Protokoll:
18222

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 222

  • date_rangeDatum: 10. März 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:06 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/222 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 222. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. März 2017 Inhalt: Tagesordnungspunkt 50: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastruk- turabgabengesetzes Drucksache 18/11237 . . . . . . . . . . . . . . . . 22367 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Zweiten Verkehr- steueränderungsgesetzes Drucksache 18/11235 . . . . . . . . . . . . . . . . 22367 B c) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Ge- setzes über die Erhebung einer zeitbe- zogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (In- frastrukturabgabenaufhebungsgesetz – InfrAGAufhG) Drucksache 18/11012 . . . . . . . . . . . . . . . . 22367 C Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22367 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22370 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22371 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22373 A Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22374 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22375 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22376 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22378 A Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22379 A Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22380 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22381 B Tagesordnungspunkt 51: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstär- kungsgesetz) Drucksache 18/11286 . . . . . . . . . . . . . . . . 22382 B b) Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, Katja Kipping, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Rente stabilisieren – Gute Rente für alle sichern Drucksache 18/11402 . . . . . . . . . . . . . . . . 22382 C c) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine faire und nachhaltige betriebli- che Altersversorgung und ein stabiles Drei-Säulen-System Drucksache 18/10384 . . . . . . . . . . . . . . . . 22382 C Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . 22382 C Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 22384 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . 22384 D Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . 22385 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 22387 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22388 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 222 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . März 2017II Dr . Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22390 A Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22391 B Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22392 D Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22393 D Anja Karliczek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22395 B Tagesordnungspunkt 52: a) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Si- cherheit durch weniger Waffen Drucksache 18/11417 . . . . . . . . . . . . . . . . 22396 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Handlungsbedarf im Waffen- recht für mehr öffentliche Sicherheit Drucksachen 18/9674, 18/11444 . . . . . . . . 22396 D in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/11239 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22396 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22397 A Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22398 B Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22400 B Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22401 B Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22403 A Tagesordnungspunkt 53: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Drucksache 18/11300 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22404 B Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22404 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22406 B Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22407 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22408 C Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22409 B Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22410 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22411 B Tagesordnungspunkt 54: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Ge- trennterfassung von wertstoffhaltigen Ab- fällen Drucksache 18/11274 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22412 B Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22412 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22413 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22414 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22415 D Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22417 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22418 B Tagesordnungspunkt 55: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Al- leinerziehende entlasten – Umgangsmehr- bedarf anerkennen Drucksachen 18/10283, 18/11434 . . . . . . . . . . 22419 D Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22419 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22421 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 22422 C Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 22424 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22424 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 22425 D Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22427 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 22427 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22427 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 22429 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22430 B (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 222 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . März 2017 22367 222. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. März 2017 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Dr. Astrid Freudenstein (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 222 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . März 2017 22429 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 10 .03 .2017 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Beermann, Maik CDU/CSU 10 .03 .2017 Binder, Karin DIE LINKE 10 .03 .2017 Brandl, Dr . Reinhard CDU/CSU 10 .03 .2017 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 10 .03 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Ehrmann, Siegmund SPD 10 .03 .2017 Esken, Saskia SPD 10 .03 .2017 Ferner, Elke SPD 10 .03 .2017 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 10 .03 .2017 Glöckner, Angelika SPD 10 .03 .2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 10 .03 .2017 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 10 .03 .2017 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 10 .03 .2017 Held, Marcus SPD 10 .03 .2017 Herzog, Gustav SPD 10 .03 .2017 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Jung, Xaver CDU/CSU 10 .03 .2017 Jüttner, Dr . Egon CDU/CSU 10 .03 .2017 Katzmarek, Gabriele SPD 10 .03 .2017 Knoerig, Axel CDU/CSU 10 .03 .2017 Kovac, Kordula CDU/CSU 10 .03 .2017 Kühn-Mengel, Helga SPD 10 .03 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kunert, Katrin DIE LINKE 10 .03 .2017 Lange (Backnang), Christian SPD 10 .03 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 10 .03 .2017 Marks, Caren SPD 10 .03 .2017 Mast, Katja SPD 10 .03 .2017 Mattheis, Hilde SPD 10 .03 .2017 Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 10 .03 .2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 10 .03 .2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 10 .03 .2017 Nietan, Dietmar SPD 10 .03 .2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 10 .03 .2017 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Radwan, Alexander CDU/CSU 10 .03 .2017 Rawert, Mechthild SPD 10 .03 .2017 Riesenhuber, Dr . Heinz CDU/CSU 10 .03 .2017 Röring, Johannes CDU/CSU 10 .03 .2017 Röspel, René SPD 10 .03 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 10 .03 .2017 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Schauws, Ulle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 10 .03 .2017 Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Schulte, Ursula SPD 10 .03 .2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 222 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . März 201722430 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Strebl, Matthäus CDU/CSU 10 .03 .2017 Terpe, Dr . Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Ulrich, Alexander DIE LINKE 10 .03 .2017 Veit, Rüdiger SPD 10 .03 .2017 Vogt, Ute SPD 10 .03 .2017 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 10 .03 .2017 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .03 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 10 .03 .2017 Weber, Gabi SPD 10 .03 .2017 Wiese (Ehingen), Heinz CDU/CSU 10 .03 .2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 10 .03 .2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 10 .03 .2017 Zimmermann, Pia DIE LINKE 10 .03 .2017 Zollner, Gudrun CDU/CSU 10 .03 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen und einzelnen, global agie- renden, internationalen Organisationen und Insti- tutionen im Rahmen des VN-Systems in den Jah- ren 2014 und 2015 Drucksachen 18/9482, 18/9596 Nr. 1.12 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 25. bis 29. Januar 2016 Drucksachen 18/10794, 18/10924 Nr. 1.12 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 18. bis 22. April 2016 Drucksachen 18/10795, 18/10924 Nr. 1.13 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 20. bis 24. Juni 2016 Drucksachen 18/10796, 18/10924 Nr. 1.14 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über Schüler-, Jugend- und Studentenaus- tausch mit der Republik Korea (Südkorea) und der Demokratischen Republik Korea (Nordkorea) Drucksachen 18/10912, 18/11025 Nr. 1.6 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbe- werbsbeschränkungen Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte Drucksachen 18/5080, 18/5285 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbe- werbsbeschränkungen Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen Drucksache 18/7508 (v . 28 .01 .16) Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Ren- tenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeits- rücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssat- zes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2016) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi- cherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbe- richt 2016 Drucksachen 18/10570, 18/10696 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 222 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 222 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . März 2017 22431 (A) (C) (B) (D) Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Ren- tenversicherungsbericht 2016 (Alterssicherungsbericht 2016) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi- cherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbe- richt 2016 Drucksachen 18/10571, 18/10696 Nr. 1.4 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastruk- turfinanzierungsgesellschaft im Jahr 2015 Drucksache 18/9545 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Siebter Bericht der Bundesregierung über die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissions- minderungsmöglichkeiten der gesamten Mobil- funktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen Drucksachen 18/10600, 18/10924 Nr. 1.1 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Innenausschuss Drucksache 18/10449 Nr . A .5 Ratsdokument 13442/16 Drucksache 18/10706 Nr . A .4 Ratsdokument 14617/16 Finanzausschuss Drucksache 18/10932 Nr . A .11 Ratsdokument 14903/16 Drucksache 18/11029 Nr . A .14 Ratsdokument 15818/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/10932 Nr . A .19 Ratsdokument 14886/16 Drucksache 18/10932 Nr . A .20 Ratsdokument 15485/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/10932 Nr . A .23 Ratsdokument 15047/16 Drucksache 18/11029 Nr . A .22 Ratsdokument 15705/16 Drucksache 18/11029 Nr . A .23 Ratsdokument 15777/16 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Drucksache 18/10116 Nr . A .32 Ratsdokument 12373/16 Drucksache 18/10706 Nr . A .12 Ratsdokument 14774/16 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/10449 Nr . A .23 Ratsdokument 13668/16 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 222. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 50 Infrastrukturabgaben und Verkehrsteuern TOP 51 Stärkung der betrieblichen Altersversorgung TOP 52, TOP 29 Gefahren durch Waffen TOP 53 Änderung des Straßenverkehrsgesetzes TOP 54 Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen TOP 55 Entlastung Alleinerziehender Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822200000

Guten Morgen! Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung

ist eröffnet.

Ich begrüße Sie alle herzlich und stelle eine auffällig
gute Laune fest, bei der ich jetzt keine Spekulationen an-
stellen möchte, worauf sie beruht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir könnten es erklären! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil wir gestern so lange getagt haben!)


– Es könnte sein, dass das möglicherweise der Hinter-
grund ist . Das müssen wir jetzt nicht vertiefen .

Es gibt für die heutige Sitzung keine Vorschläge zur
Veränderung der Tagesordnung – das ist doch auch schon
mal was –, sodass wir gleich mit den Tagesordnungs-
punkten 50 a bis 50 c beginnen können:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes

Drucksache 18/11237
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Zweiten Verkehrsteueränderungsge-
setzes

Drucksache 18/11235
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung des Gesetzes über die Erhe-

bung einer zeitbezogenen Infrastrukturabga-
be für die Benutzung von Bundesfernstraßen

(Infrastrukturabgabenaufhebungsgesetz – InfrAGAufhG)


Drucksache 18/11012
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

Für die Debatte dieser gerade aufgerufenen Gesetzent-
würfe ist interfraktionell eine Beratungszeit von 60 Mi-
nuten vorgesehen. – Das ist offensichtlich unstreitig.
Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur,
Alexander Dobrindt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Verehrter Herr Präsident!

Die vereinbarte Lösung wahrt die Rechte der
EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer
Staatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infra-
strukturfinanzierung und erleichtert den Übergang
zu einer emissionsarmen Mobilität .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das sind die Worte der EU-Kommission zur deutschen
Maut .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dobrindt, wir sind nicht beim Nockherberg!)


Das ist die Sichtweise Europas gegenüber der deutschen
Maut. Europa und die EU-Kommission sind deswegen
so überzeugt von der Maut, weil sie den notwendigen






(A) (C)



(B) (D)


Systemwechsel von der Steuerfinanzierung zur Nutzer-
finanzierung möglich macht und damit langfristig die Fi-
nanzierung unserer Infrastruktur sicherstellt . Das ist der
Grund, warum Europa zur deutschen Maut steht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Minuseinnahmen!)


Wir haben eine 100-prozentige Zweckbindung der Ein-
nahmen aus der Maut für Investitionen in unsere Infra-
struktur geschaffen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Einnahmen?)


Wir haben eine ökologische Lenkungswirkung .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Lenkungswirkung?)


Und wir haben ein modernes digitales System geschaf-
fen . Das ist das Konzept für die Pkw-Maut .

Ich möchte an dieser Stelle der EU-Kommission, dem
Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und mei-
ner Kollegin Bulc für ihren persönlichen und kontinuier-
lichen Einsatz ausdrücklich danken, der dieses Ergebnis
möglich gemacht hat .

Mit dem Systemwechsel von einer steuerfinanzierten
hin zu einer nutzerfinanzierten Infrastruktur vollziehen
wir auch den Wechsel von nicht zweckgebundenen Steu-
ermitteln, die die Autofahrer bisher über die Kfz-Steuer
zahlen, hin zu einer zweckgebundenen Infrastrukturab-
gabe, die dorthin fließt, wo sie auch erhoben worden ist,
nämlich in den Neubau und den Unterhalt unserer Ver-
kehrsinfrastruktur .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür muss aber erst mal was übrig bleiben! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn investieren?)


Wir bewegen übrigens mit der Pkw-Maut bzw . der
Infrastrukturabgabe jedes Jahr insgesamt 4 Milliarden
Euro vom allgemeinen Steuerhaushalt in den Haushalt
des Bundesverkehrsministers .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ja, jedes Jahr 4 Milliarden Euro . – Das sind dauerhafte
und zweckgebundene Investitionen in die Infrastruktur .
Das bedeutet, dass wir diese 4 Milliarden Euro jährlich,
die der Autofahrer aufbringt, vor anderen wechselnden
Begehrlichkeiten sichern und dafür sorgen, dass wir
langfristig eine verlässliche Finanzierung unserer Infra-
struktur hinbekommen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, das ist die Wahrheit .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie hier das Wort „Wahrheit“ bemühen, ist echt ein Witz!)


Wir machen unsere Investitionen in die Infrastruktur
zum ersten Mal unabhängig von Konjunktur, Wahlperio-
den und Koalitionen . Wir gehen nach dem Grundsatz vor,
dass der Wohlstand da entsteht und wächst, wo die Infra-
struktur funktioniert. „Mobilität finanziert Infrastruktur“
ist der Gedanke, der uns dabei leitet .

Meine Damen und Herren, der Grundgedanke ist, dass
wir in diesen Bereichen grundsätzlich eine Zweckbin-
dung einführen wollen . Das machen wir, was die Straße
betrifft, bisher schon bei der Lkw-Maut. Das machen wir
auch bei der Schiene . Das machen wir übrigens auch bei
der digitalen Infrastruktur, beim Glasfasernetz, mit den
Frequenzversteigerungen und der digitalen Dividende,
die wir wieder investieren . Das machen wir jetzt auch
bei der Pkw-Maut, bei der Infrastrukturabgabe . Es gibt
dabei, um auch das klar zu sagen, keine Mehrbelastungen
für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle zahlen weniger, und die Einnahmen steigen – das ist Ihre Logik! Das geht aber nicht! – Lachen des Abg . Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber zum ersten Mal beteiligen sich alle, die unsere
Straßen nutzen, auch gerecht an deren Finanzierung; das
müssen Sie sich sagen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir schaffen damit schlichtweg Gerechtigkeit auf unse-
ren Straßen .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen, weil ich ja die Zwischenrufe verneh-
me, auch sehr klar: Es gibt keinen anderen Verkehrshaus-
halt in Europa, der so viel Geld einnimmt wie der deut-
sche Verkehrshaushalt über die Pkw-Maut .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie nicht rechnen können! Nur deshalb! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie nehmen erst mal gar nichts ein! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt aber mal ruhig! Sie sind doch gleich dran!)


Kein anderer Verkehrshaushalt erzielt über die Pkw-
Maut so hohe Einnahmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


All denjenigen, die meinen, sie könnten mit ihren
Zwischenrufen die Frage der Einnahmen aufwerfen, sage
ich: In Wahrheit stellen Sie sich doch gegen die generel-
le Nutzerfinanzierung. Das ist schlichtweg das Problem,
das Sie haben. Das, was wir heute schaffen, nämlich
langfristig Investitionen in die Straße zu ermöglichen, ist
eigentlich das, was Sie nicht wollen . Eine Stärkung des
Verursacherprinzips und eine Nutzerfinanzierung, so wie
wir das machen, wollen Sie offensichtlich nicht.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! So wollen wir das nicht!)


Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


Wir sagen klar: Wer nutzt, der zahlt; aber er zahlt nicht
doppelt . – Sie wollen eine Doppelbelastung der Autofah-
rer herbeiführen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben uns ja sogar darauf verständigt, dass die
Fahrer von Euro-6-Fahrzeugen zusätzlich in einer Grö-
ßenordnung von circa 100 Millionen Euro pro Jahr ent-
lastet werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommen doch nur noch Euro-6-Fahrzeuge auf den Markt!)


Das ist die ökologische Komponente, die zusätzlich in
der Vereinbarung mit der Europäischen Kommission ent-
standen ist .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine ökologische Komponente! Das ist ein Witz!)


Ich kann Ihnen an dieser Stelle nach den Diskussio-
nen, die ich nach unserer Einigung mit der Europäischen
Kommission gehört habe, sagen: Ich habe ganz wenig
Verständnis für die Mautmaulerei unserer österreichi-
schen Freunde .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie nicht rechnen können!)


– Ich habe für Ihre kein Verständnis, aber auch nicht für
die der österreichischen Freunde .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Koalitionspartner ist ja gerade begeistert! Mal wieder!)


Ich finde es durchaus ein bisschen befremdlich, sehr ge-
ehrter Herr Behrens, dass Sie die Mautmaulerei der Ös-
terreicher in einem Antrag zur heutigen Beratung auch
noch als Grundlage dafür nehmen wollen, deutsche Ge-
setze aufzuheben . Das ist doch kein Durchsetzen deut-
scher Interessen .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind halt keine Nationalisten!)


Das ist doch kein Durchsetzen der Interessen der Auto-
fahrer auf der Straße .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist doch eine vorauseilende Kapitulation vor anderen
Interessen .

Die Österreicher formulieren an dieser Stelle klar ihre
nationalen Interessen und führen eine innenpolitische
Debatte nach dem Motto: Alle, die nach Österreich rein-
fahren, sollen sich an der Straßenfinanzierung beteiligen,
aber Österreicher sollen die Straßen in Deutschland unter
keinen Umständen mitfinanzieren. – Das ist kein europä-
ischer Gedanke, und Sie wollen dem nachgeben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um das auch ganz klar zu sagen: Die Österreicher ha-
ben vor über 20 Jahren zu Recht eine Maut eingeführt –

mit erheblichsten Entlastungen der Österreicher durch
ein hohes Anheben der Pendlerpauschale .

Ich habe mir das vor kurzem auch wieder selber an-
geschaut . Auf meinem sehr kurzen Weg nach Italien –
3,5 Stunden Fahrt bis an meinen Zielort – habe ich das
Pickerl an der Grenze, die Brenner-Maut und die Gebühr
für die Nutzung der Autostrada bezahlt, und das Gleiche
habe ich auch auf dem Weg zurück bezahlt . Das hat in
der Summe 64 Euro Maut gekostet . Ich sage Ihnen: Ich
habe das ganz selbstverständlich und auch gerne bezahlt,
weil ich auf guten Straßen sicher an meinen Urlaubsort
und wieder zurückgekommen bin .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben Sie jetzt Ihre Motivation offengelegt! Wenn Klein-Dobrindt zahlen muss, führen wir in Deutschland ein Bürokratiemonster ein!)


Aber mit der gleichen Selbstverständlichkeit erwarte ich,
dass die anderen auch zahlen, wenn sie auf unseren guten
Straßen unterwegs sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat Klein-Dobrindt seine Motivation offengelegt!)


Die Maut, wie wir sie umsetzen, hat in der Tat auch
eine ökologische Lenkungswirkung .


(Lachen der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Besonders umweltfreundliche Fahrzeuge profitieren da-
von: Elektrofahrzeuge sind komplett von der Maut be-
freit, Euro-6-Fahrzeuge werden durch die Maut zusätz-
lich mit insgesamt rund 100 Millionen Euro entlastet, und
von den im Ausland zugelassenen Fahrzeugen profitieren
besonders die schadstoffarmen Klasse-6-Fahrzeuge von
günstigen digitalen Kurzzeitvignetten .

So eine ökologische Ausrichtung, wie wir sie umset-
zen, würde man sich in vielen anderen Ländern in Europa
auch wünschen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Ökologie, was Sie da machen! Das ist eine Milchmädchenrechnung!)


Sie von den Grünen könnten eigentlich auch anerkennen,
dass wir eine Maut einführen, die eine ökologische Len-
kungswirkung hat .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat keine Lenkungswirkung! Es werden nur noch Euro-6-Fahrzeuge zugelassen!)


Sie wollen aber eigentlich etwas anderes: Sie wollen
schlichtweg eine Mehrbelastung der Autofahrer errei-
chen . Ihr Vorschlag einer streckenabhängigen Maut, die
Ihr Vorzeigeverkehrspessimist Winnie Hermann immer
wieder fordert, ist alles andere als ökologisch . Das, was
Sie vorschlagen, nämlich an jedem Ort, zu jeder Zeit und
auf jedem Kilometer Straße eine eigene separate Gebühr,
eine eigene Maut, zu erheben, führt klassisch zu einer
deutlichen Mehrbelastung der Autofahrer – gerade der-

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


jenigen, die darauf angewiesen sind: in den ländlichen
Regionen, der Familien und der Pendler .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben genau das nicht! Lesen Sie das einmal genauer!)


Sie wollen sie mehr belasten, wir wollen keine Doppel-
belastungen schaffen. Das ist der Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie fordern die Totalmaut mit Mehrbelastungen, Sie wol-
len die Citymaut, Sie wollen die Kfz-Steuer erhöhen, Sie
wollen den Sprit verteuern . Ich kann Toni Hofreiter hier
wörtlich zitieren; Zitat Toni Hofreiter: „Das Benzin ist
immer noch zu billig.“ Wenn Sie Benzin verteuern, dann
erhöhen Sie die Belastungen der Autofahrer .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das machen Sie doch auch!)


Das ist das Ergebnis Ihrer Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wollen die ja!)


Es geht in diesem Jahr, wenn wir im September die
Wahlen zum Deutschen Bundestag haben, natürlich auch
um eine Richtungsentscheidung: Freiheit, Gerechtigkeit
und Mobilität mit uns oder Belastungen, Verbote und
Stillstand mit den Grünen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind der Stillstandsminister!)


Die Menschen werden sich das sehr genau anschauen
und auch danach entscheiden .

Wir sind für den Systemwechsel . Wir wollen die Nut-
zerfinanzierung stärken; wir wollen mehr Investitionen
in die Straßen . Sie wollen die Belastungen erhöhen und
weniger Investitionen in die Straßen. Das ist der Unter-
schied .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht nicht einmal die Union hier!)


Wir führen ein digitales Mautsystem ein . Der gesam-
te Prozess der Mauterhebung ist digitalisiert . Er ist ein-
fach, schnell und unbürokratisch und führt dazu, dass die
Halter der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge ihren
Mautbescheid automatisch bekommen, und die Halter
eines im Ausland zugelassenen Fahrzeugs können ihre
digitale Vignette einfach online oder per App buchen .

Damit schaffen wir die langfristige Sicherung der In-
vestitionen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Einnahmen geht es wohl eher nicht!)


Der Investitionshochlauf, den wir in dieser Wahlperio-
de in der Großen Koalition angestoßen haben, mit einer
Steigerung der Investitionen, wie es sie in der Vergangen-
heit nie zuvor gegeben hat, kann damit verstetigt werden .

Wir haben in dieser Wahlperiode im Bereich der Infra-
strukturinvestitionen einen Rekordmittelaufwuchs von
über 40 Prozent: von ursprünglich 10 Milliarden Euro,
die wir jedes Jahr investiert haben, auf 14 Milliarden
Euro jährlich .

Wir haben als Große Koalition in dieser Legislatur-
periode die Investitionslücke geschlossen . Wir haben
zum ersten Mal einen Bundesverkehrswegeplan, der eine
klare Finanzierungsperspektive hat, und wir bleiben da-
mit in Deutschland Spitze bei Wachstum, Wohlstand und
Arbeit .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das ist die Grundlage unserer Politik, und das ist auch
die Chance, die langfristige Finanzierung der Infrastruk-
tur mit der Zweckbindung der Mittel sicherzustellen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Chance, sondern ein einziges Risiko!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822200100

Das Wort erhält nun der Kollege Herbert Behrens für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822200200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bei diesem vom Verkehrsminister vorgetrage-
nen Unsinn kommt mir sofort die US-Administration in
den Sinn .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Dort haben sich viele darüber aufgeregt, dass Trump
immer dann, wenn er mit unbestreitbaren Tatsachen
Schwierigkeiten hat, auf „alternative Fakten“ ausgewi-
chen ist .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das macht Putin ja überhaupt nicht! Schon gar nicht Russia Today! Das ist die Wahrheit, die reine Wahrheit! Russia Today!)


Nun muss ich mich fragen, ob möglicherweise Geld
geflossen ist. Egal ob das Konzept vom amerikanischen
Präsidenten übernommen worden ist oder ob man dort
ein Nutzungsrecht erworben hat: Hier sitzt der Meister
der alternativen Fakten als Verkehrsminister auf der Ka-
binettsbank . Das ist doch keine Basis für eine Verkehrs-
politik, die wir brauchen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit alternativen Fakten war er doch schon 2013 unter-
wegs, als er mit der steilen These, Gratisfahren von Aus-
ländern auf deutschen Straßen beenden zu wollen, quasi
aus einem Paralleluniversum berichtet hat. Und warum?
Allein die Einnahmen aus der Energiesteuer, die Auslän-
der zu zahlen haben, wenn sie auf deutschen Autobahnen
unterwegs sind, übersteigen bei weitem das, was die Ein-

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


führung der Infrastrukturabgabe kostet, und zwar sogar
um das Doppelte . Diese Angaben stammen vom ADAC .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wieso schreien Sie denn so?)


– Weil es mich aufregt, was hier gerade passiert: Weil
hier mit unsinnigen Argumenten immer wieder auf fal-
sche Fakten verwiesen wird und nicht zur Kenntnis ge-
nommen wird, dass von Experten, aber auch aus unseren
Reihen vernünftige Vorschläge gemacht worden sind .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Ausländermaut ist nicht europarechtskonform,
wurde uns von Experten gesagt . Weiterhin gibt es hier
die These von Herrn Dobrindt, sie sei es .


(Alexander Dobrindt, Bundesminister: Von der EU-Kommission!)


Ich weiß nicht, wie die Abstimmung mit der Euro-
päischen Kommission verlaufen ist, und kann nicht
feststellen, wie man dieses Unwerk tatsächlich europa-
rechtskonform machen könnte . Die Frage der Europa-
rechtskonformität ist in der EU-Kommission auf größte
Zweifel gestoßen .

Es ist doch nach wie vor so: Wenn nur die Ausländer
auf deutschen Autobahnen zahlen müssen, dann ist das
eine einseitige Diskriminierung von ausländischen Auto-
fahrern auf deutschen Straßen . Zwar mag es an anderer
Stelle eine Entlastung geben, aber es ist kein Ausdruck
von Europarechtskonformität, wenn diese Entlastung die
Belastung auf der anderen Seite sogar noch übersteigt .

Das zweite alternative Faktum: Die Ausländermaut
wird zu Mehreinnahmen führen . Auch da haben die Ex-
perten in den Sachverständigenanhörungen bereits da-
rauf hingewiesen, dass das nicht zutrifft. Und was ma-
chen Sie, Herr Dobrindt? Sie verschieben die Parameter
so lange hin und her, bis zumindest eine kleine schwarze
Null dabei herauskommt, damit man irgendwie begrün-
den kann, warum es diese Maut überhaupt geben kann,
die angeblich etwas einbringt und nichts kostet .

Ihre Berechnung, Herr Dobrindt, steht auf ausgespro-
chen tönernen Füßen . Das weiß inzwischen auch der
Bundesrat, der sich heute ebenfalls mit diesem zweifel-
haften Projekt auseinandersetzen muss .

Man könnte zwar meinen, das Ganze sei ein Treppen-
witz und wir können darüber Späße machen . Doch das
ist nicht so . Im Gegenteil: Die Maut hat sich zu einem
ernsthaften Problem in ganz Europa entwickelt .

Wir haben doch feststellen können, was in Österreich
passiert. Österreich begnügt sich nicht nur mit der „Maut-
maulerei“, wie Sie, Herr Dobrindt, diese Kritik gerne
abschätzig bezeichnen . Nein, die Regierung in Wien hat
einen sogenannten Beschäftigungsbonus beschlossen,
der die Einstellung von Inländern finanziell fördern soll.
Dadurch wird Menschen aus Deutschland und anderen
europäischen Staaten der Eintritt in den Arbeitsmarkt der
Alpenrepublik schwerer gemacht .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Den wir zahlen dürfen!)


Das ist die schlimmste Konsequenz der Maut à la
Dobrindt . Mir wird angst und bange, wenn ich daran den-
ke, auf welche Ideen die Regierungen in Warschau und
Bukarest kommen können .

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Diese
von der EU gebilligte und als Vignette daherkommende
Diskriminierung von Ausländern ist eine Steilvorlage für
Rechtspopulisten in ganz Europa .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie werden ihre reaktionären Forderungen mit Verweis
auf die deutsche Maut mit noch mehr Nachdruck vortra-
gen können. Jeder von uns sollte begriffen haben, dass
man den Rechtspopulisten und Nationalisten den Wind
nicht dadurch aus den Segeln nimmt, dass man ihre For-
derungen bzw . Programme umsetzt .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie reden einen Quatsch!)


Ich hoffe sehr, dass die Abgeordneten der SPD, die
jetzt zumindest einen selbsternannten überzeugten Eu-
ropäer als Kanzlerkandidaten auserkoren hat, nicht län-
ger den alternativen Fakten des Herrn Dobrindt auf den
Leim gehen . Setzen Sie sich gemeinsam mit den Linken
und den Grünen für einen echten Wechsel ein! Setzen Sie
dem rechten Spuk der CSU endlich ein Ende!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was war das denn jetzt?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822200300

Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Schwarz

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU])



Andreas Schwarz (SPD):
Rede ID: ID1822200400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich freue mich wirklich, heute wieder einmal zur CSU-
Maut reden zu dürfen . So langwierige wie auch intensi-
ve Gesetzgebungsverfahren hat man ja recht selten hier
im Hohen Hause. Man merkt: Dieses CSU-Projekt hatte
Geburtsprobleme. Ob das viel zitierte Sprichwort „Was
lange währt, wird endlich gut“ die Realität zutreffend
beschreibt, muss sich allerdings noch erweisen . Im Mo-
ment gilt der klare Arbeitsauftrag aus München: Minis-
ter, make Maut great again!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der geplanten
höheren Steuerentlastung für abgasärmere Autos hat
Minister Dobrindt auf die Kritik der EU-Kommissi-
on reagiert, dass nur Inländer über die Kfz-Steuer ihre
Mautzahlungen komplett erstattet bekommen . Der vor-
liegende Gesetzentwurf sieht vor, dass Inländer, deren
Fahrzeuge die Euro-6-Norm erfüllen, sogar noch mehr

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


Geld zurückbekommen, als sie über die Maut gezahlt
haben . Das lässt sich der Verkehrsminister immerhin
100 Millionen Euro kosten .

Zudem wurde am Preismodell gearbeitet . Für die
Kurzzeitmaut gibt es jetzt – je nach Motorengröße und
Schadstoffausstoß – fünf statt drei Stufen. Die Preise für
eine Zehn-Tages-Maut liegen zwischen 2,50 Euro und
20 Euro . Im alten Mautgesetz lagen sie noch zwischen
5 Euro und 15 Euro . Der Gesetzentwurf postuliert, dass
all diese Änderungen am ursprünglichen Gesetz nicht zu
niedrigeren Einnahmen führen sollen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sind wir beim
eigentlichen Kernproblem des Gesetzentwurfs ange-
kommen: bei der Einnahmenseite . Mit der steht und
fällt schließlich – wie wir hier ja schon an der lebhaf-
ten Diskussion gemerkt haben – das ganze Projekt . Wir
als SPD-Bundestagsfraktion sehen in dem Bereich noch
Klärungs- und Diskussionsbedarf .

Herr Minister Dobrindt und sein Ministerium gehen
nach dem Gutachten von Professor Dr . Wolfgang Schulz
von jährlichen Gesamteinnahmen in Höhe von circa
4 Milliarden Euro aus . Davon entfallen rund 3,1 Milli-
arden Euro auf in Deutschland zugelassene Fahrzeuge
und circa 830 Millionen Euro auf nicht in Deutschland
zugelassene Fahrzeuge . Abzüglich der Systemkosten und
der Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer sollen dann
jährlich circa 500 Millionen Euro zur Finanzierung der
Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stehen .

Staatssekretär Dr . Meister aus dem BMF stützt diese
Berechnung, über die wir uns ja schon in einigen bilate-
ralen Gesprächen ausgetauscht haben . Es gebe aus Sicht
des BMF keine Veranlassung, die Annahmen der Ver-
kehrsexperten des Verkehrsministeriums zu bezweifeln .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die beiden
Gutachten von Herrn Ratzenberger und Herrn Schulz
einmal verglichen. Die große Differenz bei den prognos-
tizierten Einnahmen resultiert zum ganz überwiegenden
Teil aus der Schätzung der Ein- und Durchfahrten von
im Ausland zugelassenen Fahrzeugen bei Tages- und Ge-
schäftsreisen . Im ADAC-Gutachten wird eine wesentlich
höhere Anzahl an Fahrten pro Pkw angenommen . Be-
gründet wird das mit den im kleinen Grenzverkehr üb-
licherweise recht häufigen Freizeit- und Einkaufsfahrten
von Privatleuten und mit häufigen Fahrten über kürzere
Distanzen bei Tagesgeschäftsreisen von Handelsver-
tretern und Handwerkern etc . Genau bei diesen Daten
hat aber auch das BMVI keine aktuellere Grundlage
als das ADAC-Gutachten . Der Vorwurf des BMF, das
ADAC-Gutachten basiere nur auf hochgerechneten Da-
ten aus dem Jahr 2002, ohne aktuelle Statistiken einflie-
ßen zu lassen, ist aus meiner Sicht nicht ganz stichhaltig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Insgesamt kommt das ADAC-Gutachten auf 19 Ein-
und Durchfahrten pro ausländischem Pkw, während das
Verkehrsministerium hier nur von acht ausgeht . Nach
den ADAC-Berechnungen werden nur 10,4 Millionen
Vignetten verkauft, was zu einem Gebührenaufkommen
von circa 276 Millionen Euro führt . Nach BMVI-Pro-
gnose werden 29,6 Millionen Vignetten verkauft, wor-

aus ein Gebührenaufkommen von 834 Millionen Euro
resultieren soll . Selbst wenn man nur die Berechnungen
der Ein- und Durchfahrten pro Fahrzeug bei Tages- und
Geschäftsreisen nach ADAC-Gutachten zur Grundlage
nimmt und ansonsten die Parameter aus der BMVI-Pro-
gnose unverändert lässt, ergibt sich ein Gebührenauf-
kommen in Höhe von nur 370 Millionen Euro und damit
ein Verlustgeschäft für den Staat . Ich halte die Zweifel,
die im Raum stehen, erst einmal für angebracht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch dagegen! Das ist doch die Konsequenz, wenn man Zweifel hat!)


Ich bin damit nicht der Einzige . Das wird geteilt vom
Normenkontrollrat, der die Zahlen bemängelt . Auf die
Bedenken der Länder, die zeitgleich im Bundesrat tagen,
möchte ich heute noch gar nicht eingehen .

Ich habe am Mittwoch eine schriftliche Frage an das
BMF gerichtet, weil ich gerne wissen möchte, ob das
BMF eigene Berechnungen zu den Einnahmeprognosen
erstellt hat . Ministerpräsident Stephan Weil hat gestern
der Passauer Neuen Presse gesagt – ich zitiere ihn –:

Das Finanzministerium beleuchtet in anderen Fällen
die Berechnungen anderer Ministerien sehr kritisch .
Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet beim Thema
Pkw-Maut ein klares Wort von Herrn Schäuble fehlt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt halt alles! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu den Managervergütungen bei VW hätte Herr Weil etwas sagen können!)


Dass der Herr der Zahlen bei dieser zentralen Fra-
ge schweigt, ist sicherlich seltsam und bedarf der
Aufklärung . Auch der Auftritt der BMF-Sprecherin
Tiesenhausen-Cave auf der gestrigen Regierungspres-
sekonferenz hat leider wenig Erhellendes zu der Frage
„Gibt es eine BMF-Berechnung?“ gebracht. Da war
manche Antwort mehr im Bereich des Mystischen .

Ich halte es für zwingend geboten, dass das BMF die
vorliegenden Daten noch einmal genau überprüft und
haargenau nachrechnet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Es geht hier schließlich um die Einhaltung eines zen-
tralen Versprechens des Koalitionsvertrages, dass kein
inländischer Autofahrer durch die Maut mehr belastet
werden darf und dass Mehreinnahmen generiert werden
müssen . Pacta sunt servanda, das gilt natürlich auch für
unseren Koalitionsvertrag . Aber wir sehen es als unsere
Pflicht an, im laufenden Gesetzgebungsverfahren bei of-
fenen Fragen für eine endgültige Klärung zu sorgen .


(Beifall bei der SPD)


Mir ist noch wichtig, zu erwähnen, dass die Verab-
redungen zum ersten Gesetz betreffend die Personal-
planung beim Zoll weiterhin Bestand haben . Es bleibt

Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


dabei, dass wir zwölf Monate nach Inkrafttreten einen
Zwischenbericht erhalten, um zu schauen, ob wegen des
Beratungsbedarfs der Bürgerinnen und Bürger beim Per-
sonalbedarf eventuell nachgesteuert werden muss .

Zu guter Letzt noch ein Hinweis . Wir möchten nicht
durch fehlerhafte Einnahmeprognosen die schwarze
Null, die wir uns im Hohen Haus hart erarbeitet haben,


(Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gerade ihr!)


in unserem Haushalt riskieren . Deswegen ist genaues
Rechnen wichtig .

Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war noch ein Nachklapp zum Karneval! – Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber jetzt der absolute Knaller! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind in der Fastenzeit und nicht im Karneval! – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tata, tata, tata!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822200500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun

der Kollege Oliver Krischer das Wort .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822200600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist schön, wieder einmal etwas aus dem Innenleben der
Großen Koalition mitzubekommen; das ist immer sehr
unterhaltsam . Aber bei Karneval fällt mir eher Minister
Dobrindt ein, der vor ziemlich genau zwei Jahren, am
27 . März, als Sie mit Ihrer Mehrheit das Mautgesetz ver-
abschiedet haben, hier wörtlich gesagt hat – ich zitiere –:
„Wir haben in den letzten Monaten eindrucksvoll nach-
gewiesen, dass die Europarechtskonformität besteht …“
Damit war es wohl nicht weit her . Jetzt stehen wir wieder
hier. Die EU-Kommission hat das Mautgesetz versenkt,
und wir müssen es neu beschließen . Dieser Minister hat
Sie an dieser Stelle schlicht und ergreifend belogen, in-
dem er Ihnen Fakten geboten hat, die nicht zugetroffen
haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Belogen! Das ist unparlamentarisch! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Wahrheit!)


Wenn man so gescheitert ist, dann wäre es wenigstens
ehrlich, hier ein bisschen demütiger aufzutreten und zu
sagen: Ja, das war falsch . Das war ein Fehler . – Doch
stattdessen haben wir wieder Beschimpfungen gehört:
Beschimpfungen der Nachbarstaaten, im Zweifelsfall
auch Beschimpfungen der EU-Kommission und Be-
schimpfungen in Richtung Opposition . All das ist keine
Demut, kein Eingeständnis und keine Bereitschaft, hier
etwas leiser aufzutreten, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt, Bundesminister: Alles falsch, was Sie sagen!)


Das Schlimme ist, dass Sie diese zwei Jahre, in de-
nen die Maut gescheitert ist, nicht dazu genutzt haben,
dieses Mautgesetz zu versenken . Es ist doch klar: Diese
Maut bringt am Ende nichts ein . Sie kostet mehr, als sie
bringt . Sie ist ein Bürokratie- und Datenmonster . Sie hat
keinerlei ökologische Lenkungswirkung . Sie schadet den
Menschen und den Regionen, gerade den Grenzregionen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem ist sie immer noch europarechtswidrig, auch
in der veränderten Form . Das kann man in Ihrem Koaliti-
onsvertrag nachlesen . Darin schreiben Sie nämlich, dass
nur die Ausländer belastet werden sollen . Ich habe hier
gestern eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
zur Europapolitik gehört . Wenn eine Große Koalition in
Deutschland sagt, es sollten nur Ausländer belastet wer-
den und nicht die Menschen in diesem Land, dann ver-
stößt das gegen die Grundprinzipien Europas . Deshalb ist
und bleibt diese Maut europarechtswidrig, meine Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich sage ganz deutlich: Es gibt keinen einzigen sachli-
chen Grund, warum diese Maut eingeführt werden sollte .
Das Einzige, worum es geht, ist die verkehrspolitische
Ausprägung des rechten Populismus einer südostdeut-
schen Regionalpartei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um es anders zu formulieren: Diese Maut ist eine in Ge-
setz gegossene Bierzeltparole der CSU.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ich aber, ehrlich gesagt, noch problematischer
finde als diese Politik der CSU, ist, dass die Große Ko-
alition sich jetzt anschickt, das Ganze zum zweiten Mal
mitzumachen . Meine Damen und Herren – damit spreche
ich insbesondere die Kollegen von der SPD an –, wir alle
kennen uns aus mit Koalitionen und Kompromissen und
dem Grundsatz „pacta sunt servanda“.


(Sebastian Hartmann [SPD]: Gerade aus NRW!)


Wir koalieren im Land mit der SPD . Ich habe Erfahrun-
gen mit den Grubenponys der NRW-SPD .


(Sebastian Hartmann [SPD]: He, he, he!)


Da müssen wir schwierige Beschlüsse fassen . Aber
Kompromisse in einer Koalition bedeuten nicht, dass
man Irrsinn beschließen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist die Aufforderung an Sie, meine Damen und Her-
ren .

Was wir Ihnen nicht durchgehen lassen, liebe Sozial-
demokraten, ist, dass Ihr Kandidat und Heiland durch die
Gegend zieht und überall gegen die Maut wettert,


(Thomas Oppermann [SPD]: Nur kein Neid! Bei 7 Prozent nur kein Neid!)


Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


Sie dem hier aber am Ende zustimmen . Sie können doch
einmal tun, was Sie in diesem Parlament jede Woche dut-
zendfach mit den Anträgen der Opposition machen . Die
lassen Sie, weil Ihnen die Ablehnung peinlich ist, ver-
sauern. Ich erinnere an das Thema „Ehe für alle“. Wieso
machen Sie, liebe Sozialdemokraten, nicht genau das mit
dem Mautgesetz?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Versenken Sie dieses Mautgesetz! Wenn Sie schon nicht
dagegen stimmen wollen, dann lassen Sie es versauern .
Lassen Sie es der Diskontinuität anheimfallen! Machen
Sie damit deutlich, dass Sie diese Maut nicht wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie schadet den Menschen, insbesondere den Menschen
in Nordrhein-Westfalen, die am Ende nicht nur die
Dobrindt-Maut bekommen, sondern auch die Rachemaut
der Niederländer und Belgier, die natürlich reagieren
werden und das auch schon angekündigt haben .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822200700

Herr Kollege .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822200800

Deshalb werden die Menschen in Deutschland am

Ende wegen dieser Politik mehr zahlen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822200900

Steffen Bilger ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1822201000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist immer wieder erstaunlich, welche Emotionalität bei
dem eigentlich so nüchternen Thema der Infrastruk-
turabgabe hier aufkommt . Wir erleben, wie Linke- und
SPD-Abgeordnete mit Zahlen des ADAC argumentieren,
Herr Krischer ist engagiert wie eh und je, und dabei geht
es um ein Projekt, für das doch die Fakten sprechen .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Bilger, das glauben Sie doch selber nicht!)


Ich will einmal eines klarstellen: Hier wird wieder
davon geredet, es handele sich um eine CSU-Maut. Ich
als Vertreter der CDU muss dem klar widersprechen. Ich
glaube, wie man zur Infrastrukturabgabe steht, ist eher
eine Frage, die nach regionaler Betroffenheit entschieden
wird . Bei uns im Südwesten gibt es seit jeher große Zu-
stimmung für eine Pkw-Maut .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, zu sagen, dass es
nicht nur ein bayerisches oder ein CSU-Projekt ist, zumal
CDU, CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungen
vereinbart haben, dass wir die Infrastrukturabgabe ein-
führen werden . Auch daran will ich Sie einmal erinnern,
liebe Kollegen von der SPD .

Wir haben im Bundestag lange Diskussionen zu die-
sem Vorhaben gehabt, und es wurden viele Kritikpunkte
vorgetragen . Vielleicht hat das eine oder andere zur Ver-
besserung des Gesetzentwurfes beigetragen. Unter dem
Strich haben wir jetzt einen runden Gesetzentwurf, den
man guten Gewissens verabschieden kann .

Es wurden Kritikpunkte vorgetragen – auch vom Bun-
desrat; das wurde eben angesprochen –, beispielsweise
die Belastung der Grenzregion, die wir schon längst ge-
klärt haben . Wir haben viel darüber diskutiert und Lösun-
gen gefunden, die dazu beitragen, dass es zu keiner Be-
lastung der Grenzregion kommt, die nicht verantwortbar
wäre. Wir haben Regelungen geschaffen wie beispiels-
weise die, dass nur die Autobahnbenutzung für Ausländer
bemautet wird . Deswegen muss man keine Sorge haben,
was die Effekte auf Einzelhandel und Tourismus in den
Grenzregionen anbelangt . Da wird in Zukunft nichts an-
ders sein . Auch hier kann ich als Baden-Württemberger
sagen: Bei uns weiß man einfach, dass sich in Südbaden
so gut wie jeder eine Schweizer Vignette kauft, weil man
dort viel unterwegs ist . Die Maut wird nicht dazu führen,
dass in Zukunft keiner mehr zum Einkaufen oder zum
Essen nach Deutschland kommen wird .


(Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/ CSU])


Wir haben das Problem, das mit dem Grenzverkehr
einhergeht, gelöst, und auch andere Punkte aufgegriffen.
Vorhin wurde das Gutachten zum Thema Europarechts-
konformität angesprochen, das vor einiger Zeit vorgelegt
worden ist; ich glaube, die Grünen haben es in Auftrag
gegeben . Ich habe erst gedacht: Erstaunlich, dass der
Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages
ein solches Gutachten verfasst . Dem Gutachten habe ich
dann aber entnommen, dass es von der Unterabteilung
Europa erstellt wurde . Wie auch immer: Ich glaube, die
EU-Kommission als Hüterin der Verträge kann besser
beurteilen, was EU-rechtskonform ist, als viele andere,
die dieses Thema gerade angesprochen haben . Insofern
sind wir überzeugt: Die Infrastrukturabgabe ist europa-
rechtskonform . Im Übrigen sind wir in der Koalition in
vielen Berichterstatterrunden und in vielen Anhörungen
gemeinsam zu dieser Überzeugung gelangt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie vor zwei Jahren schon mal gesagt! Und was war?)


Ich will allerdings auch noch etwas zur Kritik Öster-
reichs sagen, weil ich das wirklich sehr ärgerlich finde.
Seit zwei Jahrzehnten bezahlen wir Maut in Österreich .
Durch die Milliardeneinnahmen der ASFINAG durch eu-
ropäische Autofahrer wurden der österreichische Haus-
halt und damit der österreichische Steuerzahler entlastet .
Wo ist denn nun die Diskriminierung, wenn wir eine Ent-

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


lastung unseres Infrastrukturhaushaltes genauso finan-
zieren wie die Österreicher seit 20 Jahren?


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Österreich zahlen auch die Österreicher! Das ist der Unterschied!)


Unterm Strich ist es genau dasselbe, wenn wir nun den
ausländischen Autofahrern einen Beitrag für die Nutzung
unseres Autobahnnetzes abverlangen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Schmarrn!)


Dafür dürfen sie im Übrigen das größte Autobahnnetz
Europas nutzen, und das noch zu einem relativ günstigen
Betrag . Die Österreicher sollten ihre Position wirklich
noch einmal gründlich überdenken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weiß, dass einige hier das nicht so gern hören,
aber es ist in der Tat auch eine Frage der Gerechtigkeit .
Ich kann die Urlaubserlebnisse von Alexander Dobrindt
noch toppen: Wir waren nämlich in Kroatien im Urlaub
und dort 14 Tage unterwegs: 127 Euro Maut .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen hier jetzt Reiseberichte, oder was? Ich kann auch was aus Schweden erzählen!)


Es ist schon eine Frage der Gerechtigkeit, ob es sein
kann, dass jeder, der durch unser Land fährt, nichts be-
zahlen muss, während wir seit Jahr und Tag anderswo
sehr viel Maut zahlen müssen .


(Zuruf)


– Genau: Zeit für Gerechtigkeit .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Morgen fordert das der Schulz! Vorsicht!)


Darüber hinaus sind ökologische Aspekte berücksich-
tigt – das wurde schon angesprochen –: Elektrofahrzeuge
sind von der Maut befreit . Ich halte das für ein wichti-
ges Signal . Insgesamt hilft uns die Infrastrukturabgabe,
unsere Ziele zu erreichen, die Infrastruktur besser zu fi-
nanzieren, die Nutzer mehr an den Infrastrukturkosten zu
beteiligen . Dafür brauchen wir nicht nur den massiven
Ausbau der Lkw-Maut, sondern auch die Infrastrukturab-
gabe für Pkw .

Meine Damen und Herren, es wurden Bedenken von
Kommunen, vom Bundesrat, von der EU-Kommission
aufgegriffen. Wir haben im Bundestag viel darüber dis-
kutiert . Wir haben Anhörungen gehabt und werden noch
eine weitere Anhörung dazu haben . Die Kritikpunkte
wurden aus meiner Sicht geklärt, sodass uns nun ein aus-
gewogener Gesetzentwurf vorliegt . Deswegen bitte ich
Sie um Unterstützung für dieses Vorhaben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822201100

Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822201200

Guten Morgen, Herr Präsident! Kolleginnen und Kol-

legen! Werte Gäste! Es wird hier der Eindruck erweckt,
als ob nur die Ausländerinnen und Ausländer künftig
eine Maut für die Benutzung der deutschen Autobahnen
zu zahlen hätten . Das stimmt nicht . Tatsächlich werden
alle bezahlen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na also! Alles in Ordnung!)


Das, finde ich, muss man den Bürgerinnen und Bürgern
auch ganz deutlich sagen . Alle werden in Zukunft für die
Nutzung der Autobahnen zahlen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie wollen damit fast 4 Milliarden Euro zusätzlich für
Autobahnen einnehmen, und – auch das ist völlig klar – es
steht in den Sternen, ob es eine Kompensation für dieje-
nigen geben wird, die in Deutschland leben, weil erstens
vielleicht die EU dazwischenfunkt und zweitens – das
hat der Kollege Schwarz gerade angesprochen – der Fi-
nanzminister vielleicht irgendwann sagt: Das lohnt sich
gar nicht, wenn wir im Gegenzug etwas zurückzahlen .
Dann belassen wir es doch dabei . – Das ist eine zentrale
Weichenstellung, die wir zutiefst ablehnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wollen mehr Geld für Autobahnen, und zwar in
Verbindung mit der geplanten Infrastruktur GmbH, die
den Weg für Privatisierungen öffnet. Damit haben Sie
künftig einen Riesenbatzen Geld möglicherweise in die
Kassen von großen Versicherungen und Banken umge-
lenkt, die schon darauf warten, dass sie als private Inves-
toren über Umwege an dieser Autobahn GmbH beteiligt
werden . Die Linke ist ganz klar dagegen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist nicht ökologisch. Es ist natürlich völliger Un-
sinn, 4 Milliarden Euro mehr für Autobahnen, für mehr
Lkw-Verkehr auszugeben . Was soll daran ökologisch
sein? Stecken Sie das Geld in den Ausbau der Bahn und
des öffentlichen Nahverkehrs. Dann tun Sie etwas Öko-
logisches .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit erreiche ich meine Schwäbische Alb aber nicht!)


Es ist natürlich auch nicht gerecht, weil diejenigen, die
gar kein Auto fahren, genauso wie die Umwelt benach-
teiligt werden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Wir brauchen gerechte Verkehrsverhältnisse .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: U-Bahn auf der Schwäbischen Alb!)


Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


Das heißt, wir müssen den öffentlichen Verkehr ausbau-
en .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen
von der SPD . Wir haben gerade von Herrn Krischer eine
Option gehört, wie Sie dafür sorgen könnten, dass die-
ses Projekt scheitert, zumindest in dieser Legislatur . Ich
habe noch eine andere Idee . Es ist nach wie vor nicht
geklärt, ob die Länder bei der Einführung dieser Maut
zustimmungspflichtig sind. Noch 2015 haben die Länder
gesagt, ohne ihre Zustimmung gehe es nicht . Jetzt haben
sie sich irgendwie einwickeln lassen, und es wurde eine
kleine Mäkelklausel für Nordrhein-Westfalen eingebaut .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Aber selbstverständlich ist es richtig, dass die Länder um
ihre Mitbestimmung ringen . Es wäre überhaupt kein Pro-
blem, einen Vermittlungsausschuss einzurichten . Dieser
Vermittlungsausschuss müsste klären, ob die Länder zu
beteiligen sind . Das dauert eine Weile . In der Zwischen-
zeit ist es vielleicht so, dass andere Verhältnisse in den
Bundestag einkehren und man vernünftige Verkehrspo-
litik machen kann – für eine soziale und ökologische
Verkehrswende . Dafür jedenfalls streiten wir Linke . Wir
hoffen, dass Sie dabei sind.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822201300

Das Wort erhält nun der Kollege Sebastian Hartmann

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822201400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Es scheint so zu sein, als ob es hier
gar nicht um das Gesetz zur Einführung einer Infra-
strukturabgabe geht, sondern als ob im Kern das Wahl-
kampfthema vorweggenommen wird . Ich kann Ihnen
versichern: Für die SPD wird im Zentrum des Wahl-
kampfs mehr Gerechtigkeit für unser Land und die Men-
schen, die in diesem Land hart arbeiten, stehen und keine
Infrastrukturabgabe .


(Beifall bei der SPD)


Darüber hinaus ist offenbar der Versuch gemacht wor-
den, ein Thema zu besetzen, mit dem man Populisten den
Wind aus den Segeln nehmen kann . Es ist über alternati-
ve Fakten gesprochen worden . Wenn man sich die Fak-
ten ansieht, dann scheint es nicht so richtig erfolgreich
gewesen zu sein, die Einführung der Pkw-Maut dafür zu
nutzen, um den Einzug von unverantwortlichen Populis-
ten, Spaltern und Hetzern in regionale oder Länderpar-
lamente zu verhindern. Das scheint offensichtlich nicht
der wahre Grund gewesen zu sein . Wir müssten das noch
einmal ausdiskutieren .

Ich möchte auf den Ausgangspunkt zurückgehen . Wir
haben einen Koalitionsvertrag beschlossen . Ich danke
der Opposition dafür, dass sie an diesen Koalitionsver-
trag erinnert . Ich versichere Ihnen für die SPD-Bundes-

tagsfraktion: Dieser Koalitionsvertrag gilt, und zwar mit
jedem Satz . Daran werden wir uns abarbeiten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie beim letzten Mal auch schon erzählt!)


– Ich kann ja Ihren Neid verstehen . Im Gegensatz zu Ih-
nen haben wir einen Koalitionsvertrag . Aber das kommt
davon, wenn man nicht mitmachen will .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können diesen schönen Koalitionsvertrag, den im
Wesentlichen wir Sozialdemokraten ausgehandelt haben,
jetzt nicht zum Anlass für Ihre Kritik nehmen .

Wir werden die erste Lesung aber dazu nutzen, noch
einmal von vorne anzufangen . Wir schauen uns die Ein-
nahmeprognose an . Wir berücksichtigen, was sich in den
letzten zwei Jahren getan hat . Wir beschäftigen uns vor
allen Dingen mit der Aussage: Dieses Gesetz ist Satz
für Satz, so wie es ist, europarechtskonform . Das kann
so beschlossen werden . Es muss nichts daran geändert
werden . – Darauf hat sich die SPD-Bundestagsfraktion
verlassen .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es war doch ganz offensichtlich, dass das nicht stimmt!)


Nun haben wir die Situation, dass es offensichtlich Än-
derungsbedarf gibt . Diesen Änderungsbedarf, den der
Herr Verkehrsminister auch den Gesprächen geschuldet
sah, die Sie in Brüssel mit Unterstützung anderer Mit-
glieder der Bundesregierung geführt haben, werden wir
zum Anlass nehmen, die anstehende Anhörung sehr ernst
zu nehmen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nehmen Sie Anhörungen sonst nicht ernst?)


Herr Kollege Schwarz hat es bereits gesagt: Wir schau-
en uns die Einnahmeprognose an . Wir schauen uns die
Europarechtskonformität an . Der Koalitionsvertrag gilt,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Da hier auch aus regionaler Sicht argumentiert wurde,
aus Sicht von Baden-Württemberg oder Bayern, möchte
ich darauf hinweisen: Ich komme aus Nordrhein-West-
falen . Nordrhein-Westfalen hat einige deutliche Hin-
weise zur Auswirkung auf die Grenzregionen gegeben,
mit denen sich der Bundesrat beschäftigt hat . Wir sind
stolz darauf, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion im
ersten Entwurf des Gesetzes die Änderung bezüglich
der Grenzregionen hinbekommen haben, dass die Bun-
desstraßen, die Bundesautobahnen dort differenziert be-
trachtet werden. Aber offenbar hat der Bundesrat wiede-
rum Diskussionsbedarf angemeldet; das ist eben Teil der
Gesetzgebung auf der Bundesebene . Natürlich werden
wir über diese Grenzregionen reden . Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union, ich kann mich erinnern,
dass wir Vorschläge auf den Tisch gelegt und gesagt ha-
ben, dass wir uns auch andere Lösungen vorstellen könn-
ten . Vielleicht diskutieren wir unter dem Eindruck der
Beratungen im Bundesrat hierüber noch einmal . Dafür

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


ist das Gesetzgebungsverfahren ja da, liebe Kolleginnen
und Kollegen .

Ein letzter Punkt zu einem echten Beitrag für die In-
frastruktur; der Kollege Schwarz hat das sehr schön auf
den Punkt gebracht . Wir haben natürlich wie immer ver-
schiedenste Gutachten . Aber jetzt komme ich einmal zur
Opposition: Natürlich gibt es Gutachten zur Höhe der
Einnahmen, die man aus einer solchen Maut erzielen
kann . Das muss man plausibilisieren, indem man Anhö-
rungen durchführt . Aber es gibt eine einfache Lösung:
Es gibt Gutachten der Regierung, die man sich zu eigen
machen kann. Wenn Herr Schäuble erklärt: „Das ist die
Einnahmeprognose, die gilt; das ist der Beitrag, den wir
durch die Infrastrukturabgabe für die deutsche Infra-
struktur erzielen“, dann haben wir damit doch etwas, was
wir bisher in der Debatte noch nicht vernommen haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Da wir schon dabei sind: Natürlich ist die Maut nicht
das Herzensanliegen der SPD . Wir sind aus anderen
Gründen in die Koalition eingetreten . Für uns war der
Mindestlohn der entscheidende Punkt .


(Beifall bei der SPD)


Es ging uns um mehr Lohngerechtigkeit von Mann und
Frau, um mehr Investitionen in den Wohnungsbau, um
mehr soziale Investitionen in unserem Land . Meinen
Sie denn ernsthaft, die Maut war das Kernthema unseres
Wahlkampfes? Erinnern Sie sich an 2013! Erinnern Sie
sich daran, was wir 2017 in den Mittelpunkt stellen! Die
Umfragen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir damit
nicht ganz danebenliegen, sondern dass wir recht haben,
wenn es uns darum geht, mehr Gerechtigkeit zu schaf-
fen . Wir werden uns sicher nicht an der Frage einer In-
frastrukturabgabe abarbeiten . Wir werden darauf achten,
dass es eine vernünftige Beratung des Gesetzentwurfs
gibt, und nicht irgendetwas anderes hineindiskutieren .

Für die Opposition aber in aller Klarheit: Wer eine
Maut für alle fordert, die strecken- und wegeabhängig
ist, und darüber hinaus ein Gutachten des Wissenschaft-
lichen Dienstes zur Grundlage seiner Argumentation
macht, der muss wirklich aufpassen . Der gleiche Wis-
senschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat
nämlich ein Gutachten statuiert, das besagt, dass kom-
munale Räte – ich bin selber praktizierender Kommunal-
politiker – sich nicht mit der Frage von TTIP und CETA
beschäftigen dürfen . Wenn Sie das zur Maßgabe machen,
hätten Sie nie über TTIP und CETA in den Räten disku-
tieren dürfen . Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier,
diese wissenschaftlichen Arbeiten zu werten und dann zu
entscheiden, ob wir uns das zu eigen machen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!)


Darum wird es gehen . Sie machen es sich zu einfach,
meine Damen und Herren von der Opposition .


(Beifall bei der SPD)


Es gilt der Koalitionsvertrag . Darauf können sich die
Menschen in unserem Land verlassen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir vor zwei Jahren auch gehört!)


Wir nehmen keinen Satz zurück . Keine deutsche Auto-
fahrerin und kein deutscher Autofahrer wird mehr belas-
tet . Die SPD ist und bleibt in ihrer langen Geschichte die
Schutzmacht der kleinen Leute und damit auch der Auto-
fahrer in diesem Land .


(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da es offensichtlich andere Teile im Plenum gibt, die
das nicht wollen, sage ich: Meine lieben Mitbürgerinnen
und Mitbürger, verlassen Sie sich darauf: Es wird zu kei-
ner Mehrbelastung von deutschen Autofahrerinnen und
Autofahrern kommen . – Es ist vielleicht Ironie der Ge-
schichte, dass wir den ADAC an der Seite haben . Aber
der Koalitionsvertrag gilt, meine Damen und Herren, und
daran werden wir uns messen .

Wir sind die Europarechtspartei,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr seid die Schutzmacht!)


eine Partei, die schon 1925 die Vereinigten Staaten von
Europa gefordert hat .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Ein Spitzenkandidat wie Martin Schulz muss sich nicht
verstecken, wenn es um die Europarechtskonformität
geht .


(Beifall bei der SPD)


Wir investieren das Geld, das wir möglicherweise ein-
nehmen, in die deutsche Infrastruktur .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja bravo!)


Darum geht es, meine Damen und Herren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, dass wir für das Geld sorgen, das ihr verteilen wollt! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ihr die Schutzmacht der kleinen Leute seid, warum muss dann der Schulz alles umdrehen? – Gegenruf von der SPD: Es ist doch so! Wir halten uns an die Verträge! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir mal eine Pause! Hier gibt es Klärungsbedarf!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822201500

Es wird sicher hochgradig spannend sein, im Protokoll

nachzulesen, was jenseits der förmlichen Redebeiträge
zwischen den Fraktionen noch ausgetauscht wird .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was die SPD alles so ist, genau! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was die SPD für einen Quatsch Sebastian Hartmann erzählt! Das wird spannend sein! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Also bitte, Herr Kollege! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Quatsch“ ist aber noch sehr freundlich!)





(A) (C)


(B) (D)


– Vielleicht trägt der Hinweis zur Beruhigung bei, dass
jedenfalls Redebeiträge im Deutschen Bundestag nicht
mautpflichtig sind.


(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Nur die guten! – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Nur die guten!)


Nun hat die Kollegin Wilms für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822201600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Was haben wir denn hier ei-
gentlich erlebt? Das Ende einer Regierungskoalition!


(Lachen bei der CDU/CSU)


Redet die Union, klatscht die SPD nicht; redet die SPD,
klatscht die Union nicht.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei Ihnen klatschen wir beide nicht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Wir sind uns wieder einig! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da sind wir uns einig!)


Hier ist Schluss mit lustig . Geben Sie auf! Beenden Sie
das ganze Spielchen hier!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die heutige Debatte ist wie
aus der Zeit gefallen . Es ist beschämend, dass wir uns
immer noch mit einer Idee befassen müssen, die Sie ir-
gendwann vor der letzten Wahl an irgendeinem bayeri-
schen Biertisch geboren haben . Eine ganze Wahlperiode
geht das nun schon so . Die Leute im Land fragen sich
doch, ob wir hier nichts Besseres zu tun haben, als uns
mit einem solchen Zeug zu beschäftigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Rechtspopulisten wollen Europa zum Einsturz
bringen . Herr Dobrindt hilft ihnen gern dabei, wieder
neue Schlagbäume zu errichten . In den Städten, werte
Kolleginnen und Kollegen, ist die Luft verpestet . Bald
dürfen die Leute mit ihren Autos dort nicht mehr fahren .
Kollege Hartmann, ich bin gespannt, wie die SPD sich
dann verhält . Herr Dobrindt tut so, als ob ihn das einfach
nichts angehe . Blaue Plakette – Fehlanzeige bei ihm .
Stattdessen bekommen wir den zweiten Aufguss seiner
Ausländermaut serviert .

Beim letzten Mal haben Sie, Herr Dobrindt, großmun-
dig versprochen, dass die Maut europarechtskonform ist .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist sie!)


Tja, das war sie offensichtlich nicht; denn sonst müssten
wir nicht schon wieder über dieses Konstrukt reden . Sie

legen aus ideologischer Verbohrtheit unrechtmäßige Ge-
setze vor . So geht es nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie halten Ihre Versprechen nicht, und die ganze Koali-
tion – das sage ich an die Kolleginnen und Kollegen der
SPD gerichtet – macht diesen Bockmist auch noch mit .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war schon beim letzten Mal ziemlich sinnlos, mit
Ihnen, Herr Dobrindt, über Ihre Maut zu reden . Deswe-
gen können wir das lassen . Aber die Menschen in unse-
rem Land müssen wissen, welchen Irrsinn dieser Minis-
ter treibt . Lassen wir deswegen Europa einmal beiseite .
Schauen wir uns stattdessen an, was das Ganze bringen
soll . Das zeigt, welches Verhältnis der Minister zur Wahr-
heit hat . Machen wir einmal den Faktencheck .

Fakten interessieren ihn nur, wenn sie ihm in den
Kram passen . Seine bestellten Gutachten reden von
traumhaften Einnahmen . Leider bestehen diese Gutach-
ten nicht vor seinem eigenen Wissenschaftlichen Beirat .
Wozu hat er den eigentlich? Wenn Sie uns als Opposition
schon nicht zuhören wollen, Herr Dobrindt, dann hören
Sie doch wenigstens auf die Wissenschaftler aus Ihrem
eigenen Beirat!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt ernstzunehmende Bedenken, dass wir bei diesem
Manöver draufzahlen . Fast 200 Millionen Euro könnten
jährlich fehlen . Das allein muss doch reichen, um diesen
Quatsch sein zu lassen.

Kollege Schwarz, lassen Sie uns einmal im Detail an-
sehen, wie dieser Minister rechnet!


(Andreas Schwarz [SPD]: Ja!)


Herr Dobrindt geht davon aus, dass er das Mautsystem
geschenkt bekommt . 380 Millionen Euro für die Einfüh-
rung des Mautsystems fehlen schlicht und ergreifend in
seiner Rechnung . Ich bin gespannt, welcher Betreiber
Ihnen, Herr Dobrindt, ein so großzügiges Geschenk ma-
chen will .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dobrindt, der Rechenmeister!)


Es ist unfassbar, dass wir uns hier mit so einer Stümperei
befassen müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, beim letz-
ten Mal haben Sie betont, wie sehr Sie dem Minister ver-
trauen, dass er rechtlich saubere Gesetze macht . Da hat
er Sie getäuscht . Ihr Vertrauen hatte keine Basis . Das war
nicht mehr als das Geplapper eines früheren Generalse-
kretärs . Es bleibt mir ein Rätsel, warum Sie sich darauf
eingelassen haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sachverständige in den Anhörungen und unabhängige
Gutachter des Bundestages haben schon damals auf die-
sen Fehler hingewiesen, und ich bin gespannt, was bei

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


den nächsten Anhörungen passieren wird . Auch beim
neuen Aufguss ist es so: Es gibt keine diskriminierungs-
freie Diskriminierung . Vielmehr gibt es eindeutige Aus-
sagen, dass das nicht europarechtskonform ist und teuer
werden wird . Es gibt keinen Grund, warum Sie diesem
Minister, dem Noch-Minister, dieses Mal vertrauen soll-
ten . Beenden Sie dieses Abenteuer schnellstens!

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822201700

Philipp Murmann erhält das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1822201800

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Im Kern dient die Einführung der Maut doch dazu,
eine zweckgebundene Abgabe für die Finanzierung der
Infrastruktur zu schaffen. Das ist doch der Sinn der gan-
zen Aktion, und es ist auch sinnvoll und notwendig, dass
wir das machen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sinn ist: weil die CSU das will!)


– Das hat nichts mit der CSU zu tun.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Die CSU hat sicherlich das Thema aufgebracht; aber der
Sinn des Ganzen ist, dass wir eine zweckgebundene In-
frastrukturabgabe einführen . Gleichzeitig wollen wir die
Leute entlasten .

Ich spreche hier als Finanzpolitiker . Es geht um ein
Konstrukt zur Finanzierung der Infrastruktur . Wir ha-
ben ja schon mehrere Gesetze in diesem Bereich bera-
ten . Gestern haben wir uns mit dem Sechsten Gesetz zur
Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes beschäftigt .
Dabei geht es darum, dass wir die Zulassungsverfahren
ändern und ab September 2018 neue Zulassungsverfah-
ren bekommen werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist heute nicht das Thema!)


Eine andere wesentliche Änderung, die jetzt kommen
wird, ist, dass Halter von Fahrzeugen, die die Abgasnorm
Euro 6 erfüllen, deutlich stärker entlastet werden, als das
vorher der Fall war . Das ist eine Änderung, die auf eu-
ropäischer Ebene gemeinsam erarbeitet worden ist . Ich
denke, das ist sinnvoll, weil es die ökologische Wirkung
der Infrastrukturabgabe noch einmal herausstreicht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Werden nur noch Euro-6-Fahrzeuge zugelassen?)


In diesem Paket ist auch das Zweite Verkehrssteuerän-
derungsgesetz enthalten, auf das ich ganz kurz eingehen
möchte. Was ändert sich? Halter von Euro-6-Fahrzeugen
werden deutlich stärker entlastet, als das bisher der Fall
war, nämlich noch einmal um 100 Millionen Euro . Ich

mache das einmal an zwei Beispielen deutlich . Sie wis-
sen alle, dass sich die Kfz-Steuer aus zwei Elementen
zusammensetzt, nämlich der Besteuerung des CO2-Aus-
stoßes und des Hubraumanteils . Diese ist für Diesel- und
Benzinfahrzeuge natürlich unterschiedlich . Neu ist jetzt,
dass es einen einmaligen Entlastungsbetrag und einen
dauerhaften Entlastungsbetrag gibt . Dieser Entlastungs-
betrag ist auf 130 Euro gedeckelt .

Stellen Sie sich einmal vor, Herr Schwarz fährt einen
roten VW Polo mit einem Hubraum von 1 200 cm3, der die
Norm Euro 4 erfüllt . Das heißt: Die anteilige Steuer für
den CO2-Ausstoß beträgt 28 Euro, die für die 1 200 cm3
Hubraum 24 Euro . Das sind zusammen 52 Euro . Herr
Schwarz bekommt jetzt im Zuge der Einführung einer
Infrastrukturabgabe bzw . durch die Änderung des Ver-
kehrssteuergesetzes eine Entlastung von 29,40 Euro . Das
entspricht genau dem, was er an Infrastrukturabgabe zu
zahlen hätte . Wenn er ein Euro-6-Fahrzeug hätte, dann
wäre diese Entlastung höher . Genau das ist Sinn dieser
Änderung . Insofern ist es sinnvoll, dass wir die Ände-
rung vornehmen .

Nehmen wir einmal an, der Kollege Bilger hätte einen
schwarzen BMW 730 Diesel mit 3 000 cm3 Hubraum,
der die Euro-6-Norm erfüllt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Wir wissen nicht nur, wohin Sie in den Urlaub fahren! Wir wissen auch, welche Autos Sie fahren!)


Hier erkennt man schon die Lenkungswirkung der
Kfz-Steuer; denn Herr Bilger würde 391 Euro an Steuer
zahlen, Herr Schwarz dagegen 52 Euro . Das liegt natür-
lich am Hubraum und am CO2-Ausstoß . Wenn man das
jetzt durchrechnen würde, bekäme er, weil es sich um
ein Euro-6-Fahrzeug handelt, also eine deutlich höhere
Entlastung von 163 Euro . Da diese aber bei 130 Euro ge-
kappt wird, gibt es für ihn sozusagen keine Veränderung .
Das heißt, die Lenkungswirkung gilt vor allen Dingen für
kleine Euro-6-Fahrzeuge, deren Halter so zusätzlich ent-
lastet werden . Das, meine Damen und Herren, ist genau
das, was wir anstreben . Deswegen halte ich es auch für
richtig, dass wir diesen Weg gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte noch einen weiteren Aspekt anführen . Der
Zoll ist seit 2014 für die Kfz-Steuer zuständig . Er hat
mit der Einführung der Infrastrukturabgabe auch neue
Aufgaben . Wir rechnen damit, dass es etwa 32 Millionen
Euro kosten wird . Man muss sich vorstellen, es müssen
16 Millionen geänderte Kfz-Steuerbescheide ausgestellt
werden . Das ist natürlich eine erhebliche Zahl, aber es ist
ein einmaliger Aufwand, der sich lohnt . Wie gesagt, wir
haben dann zum ersten Mal eine zweckgebundene In-
frastrukturfinanzierung. Wahrscheinlich müssen die Leu-
te vom Zoll Fragen beantworten . Es wird natürlich auch
Einsprüche geben . Man rechnet immer mit etwa 10 Pro-
zent . Wir haben gesagt: Nach zwölf Monaten schauen
wir uns einmal an, ob die Belastung des Zolls im Rahmen
dessen ist, was wir erwarten .

Ich möchte zum Schluss kommen und weise noch
einmal darauf hin: Wir sind ein Mittelstandsland . Mittel-

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


stand ist immer dezentral organisiert . Deswegen ist für
unser Land Infrastruktur so wichtig . Das unterscheidet
uns von vielen anderen Ländern . Deswegen, meine Da-
men und Herren, ist diese zweckgebundene Infrastruk-
turabgabe sinnvoll, damit wir wettbewerbsfähig bleiben .
Auch deswegen bitte ich Sie, in den weiteren Beratungen
konstruktive Beiträge zu leisten


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gemacht!)


und nicht immer nur ideologische Diskussionen zu füh-
ren . Dass die Grünen nicht unbedingt die Infrastruktur-
partei sind, zeigen sie auch in Schleswig-Holstein immer .
Das ist aber nicht mittelstandskonform .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822201900

Herr Kollege .


Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1822202000

Wenn sie im Wahlkampf immer behaupten, sie wären

für den Mittelstand da, dann sollten sie das auch in sol-
chen Debatten einmal herausstellen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Ich freue mich
auf die Beratungen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822202100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann

für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1822202200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Sie werden jetzt nicht erwarten, dass ich
als SPD-Politikerin eine flammende Rede für die Pkw-
Maut halte .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hatte ich erwartet!)


Aber Sie wissen auch, dass wir einen Koalitionsvertrag
haben . In diesem Koalitionsvertrag haben wir Ja gesagt
zu allen Maßnahmen, unter zwei Bedingungen auch zur
Pkw-Maut . Die erste Bedingung: Kein Pkw-Halter in
Deutschland darf mehr belastet werden . Diese Bedin-
gung war schon beim ersten Gesetzentwurf erfüllt . Die
zweite Bedingung – auch sie sollte beim ersten Gesetz-
entwurf erfüllt sein –: Das Ganze soll EU-rechtskonform
sein .

Ich sage einmal: Nachdem wir die Hinweise der
EU-Kommission in unseren Gesetzentwurf aufgenom-
men haben, gehe ich davon aus, dass mit hoher Wahr-
scheinlichkeit jetzt auch die zweite Bedingung erfüllt ist .
Wir haben – das wurde hier mehrfach diskutiert – noch
die Frage der Einnahmesituation . Das steht zwar nicht im
Koalitionsvertrag, aber wenn wir irgendetwas machen,
soll es etwas für uns, für unseren Haushalt bringen . Wir
haben mehrere Gutachten vorliegen . Ich sage Ihnen ganz
ehrlich: Jeder in diesem Haus macht sich das Gutachten
zu eigen, das ihm in seine Ideologie passt, liebe Kolle-

ginnen und Kollegen . Wer recht hat, können wir hier und
heute alle nicht sagen . Das ist die Wahrheit .


(Beifall bei der SPD)


Von daher erwarten wir, dass derjenige, der die Einnah-
men – oder auch nicht – erhält, nämlich der Finanzmi-
nister, deutlich macht, welche dieser Gutachten plausibel
sind und welche nicht . Herr Schäuble, wir fordern Sie
auf: Äußern Sie sich! Ich glaube, das ist ein wichtiger
Hinweis für dieses Haus .


(Beifall bei der SPD)


Der Minister hat schon erwähnt, eigentlich bräuchten
wir diese Mehreinnahmen gar nicht; denn diese Koali-
tion hat endlich einmal ausreichende finanzielle Mittel
für unsere Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt .
Wir stellen jährlich über 14 Milliarden Euro im Haushalt
bereit . Das haben wir auch mittelfristig gesichert . Inso-
fern brauchen wir uns um unsere Verkehrsinfrastruktur
in Deutschland keine Sorgen zu machen .

Die Frage ist: Was passiert danach?


(Zuruf der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU])


– Ja, ich habe den Einwurf gehört .

Europa denkt im Moment über eine europaweite Pkw-
Maut nach . Wäre es nicht auch im Interesse von Deutsch-
land, sich in diese Diskussion einzubringen? Um unse-
re Belange, unsere besondere Bedeutung einzubringen,
sollten wir überlegen, ob wir unsere Energie dort nicht
sinnvoll einsetzen könnten . Dann würden wir unsere Ein-
nahmen auch mittelfristig gesichert haben .

Ich habe schon gesagt: Wir stehen zum Koalitionsver-
trag . Dort steht: Wenn die Bedingungen erfüllt sind, wer-
den wir zustimmen . Ich höre schon die Opposition, die
sagt: Das müsst ihr doch gar nicht .– Jetzt einmal ganz
im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich glaube
nicht, dass der Ausbau des Frankfurter Flughafens das
Herzensprojekt der Grünen ist, und ich glaube nicht, dass
die Einführung der Elektroschocker bei der Berliner Po-
lizei eine Herzensangelegenheit der Linken ist . Aber Sie
haben einen Vertrag abgeschlossen, und darum machen
Sie das mit . Das ist auch gut so; denn nur so kann man
unser Land vernünftig regieren . Das erwarten die Men-
schen von uns .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt aber nicht, dass man Unsinn beschließen muss! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Was sind denn das für Vergleiche?)


Wir haben mitbekommen, dass die Maut für die CSU
eine Herzensangelegenheit ist – wie der Mindestlohn für
die SPD . Ich sage es einmal so: In meiner Ehe habe ich
irgendwann einmal Ja gesagt .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! So arbeiten Sie in der Ehe?)


Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


Aber die Prioritäten meines Partners verstehe ich nicht
immer so ganz . Der Mindestlohn hat für 4 Millionen
Menschen in diesem Land deutliche Verbesserungen
beim Einkommen gebracht, viele aus Hartz IV heraus-
geholt . Das ist eine gute Sache . Die Pkw-Maut bringt
einige Arbeitsplätze in der Verwaltung und jede Menge
Bürokratie. Aber ich sage einmal so: Unsere Ehe dauert
29 Jahre, und ich hoffe, es ist erst die Halbzeit. Die Part-
nerschaft mit der CSU geht ihrem Ende entgegen, und
dann können die Bürger und Bürgerinnen in diesem Land
entscheiden, was für sie die Prioritäten sind, wenn es da-
rum geht, das Leben bei uns zu verbessern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822202300

Ich erteile dem Kollegen Ulrich Lange für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wollen wir auch was zur Ehe hören! – Zuruf von der SPD: Ehe für alle! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich möchte über diese privaten Dinge nichts hören!)


– Dass jedenfalls Koalitionen im Unterschied zu Ehen
nur für einen befristeten Zeitraum geschlossen werden,
hat schon manches für sich .


(Heiterkeit)


Bitte schön, Herr Lange .


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1822202400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur

Ehe sage ich nichts .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut! Das beruhigt mich!)


Ich bin glücklich verheiratet . Ob ich das mit der Kollegin
Lühmann wäre, lasse ich einmal dahingestellt .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh!)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich will mal versuchen, auf zwei oder drei we-
sentliche Punkte herunterzubrechen, worüber wir heute
diskutieren . Vielleicht versteht man es, wenn man zuhö-
ren möchte und nicht als Mitarbeiter eines Kanzlerkan-
didaten auftritt oder sich in anderer Form permanent mit
alternativen Fakten beschäftigt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich lese ganz einfach einmal vor, was die EU-Kom-
mission am 1. Dezember 2016 veröffentlicht hat:

Die vereinbarte Lösung wahrt das Recht der
EU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrer
Staatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infra-
strukturfinanzierung und erleichtert den Übergang
zu einer emissionsarmen Mobilität . …

Die beiden Gesetze werden nach den angekündig-
ten Änderungen gewährleisten, dass das deutsche
Mautsystem mit dem EU-Recht in Einklang steht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das juristi-
sche Gütesiegel der EU-Kommission. Das heißt, diese
Infrastrukturabgabe ist EU-rechtskonform.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das entscheidet aber am Ende der Europäische Gerichtshof! Dann werden wir mal sehen!)


Der zweite Punkt . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
im Koalitionsvertrag, den wir abzuarbeiten haben – Le-
sen bildet –, heißt es, dass die Pkw-Fahrer im Inland
nicht höher als heute belastet werden dürfen . Genau das
hat der Kollege Murmann jetzt perfekt dargestellt .


(Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/ CSU])


Lieber Kollege Schwarz, nehmen Sie sich ein Beispiel
am Kollegen Murmann, und alles ist gut .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Hartmann [SPD]: Das gilt ja nur für 7erBMW-Fahrer!)


– Es gibt auch noch Audi-Fahrer, Opel-Fahrer; nur damit
jetzt hier alle genannt sind, lieber Kollege .

Das Umschalten auf die Nutzerfinanzierung ist ja ge-
rade etwas, was die EU-Kommission in den Mittelpunkt
ihrer Infrastrukturpolitik gestellt hat . Genau an diesem
Punkt setzen auch wir mit dieser Infrastrukturabgabe an .
Insofern würde ich einfach einmal empfehlen, die Sache
nüchtern zu betrachten . Wenn dann heute jemand kommt
und wieder sagt: „Aber die Grenzregionen!“, so haben
wir auch dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine
Lösung gefunden . Da hat sich auch nichts geändert . Der
Sachverhalt ist der gleiche, die Lösung ist da, die Lösung
ist gut, und an dieser Lösung wird jetzt auch festgehalten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie sie doch mal! Ich habe sie nicht verstanden!)


Insofern ist alles in Ordnung . Alles ist bestens geregelt .
Man kann nur sagen: Bitte so weitermachen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Zahlen des
ADAC aus dem Jahr 2002 . Lieber Kollege Schwarz, ich
gehöre ausgewiesenermaßen nicht zu den Freunden der
Zahlen des ADAC .


(Andreas Schwarz [SPD]: Ach was!)


Da immer wieder gesagt wird, man müsse nachrechnen,
lese ich einfach einmal aus der Stellungnahme des BMF
vor . Das BMF sagt auch hier ganz klar – die Stellung-
nahme liegt Ihnen vor –, dass die Zahlen des ADAC und
das dazugehörige Gutachten auf den Daten der Ein- und
Durchfahrten aus dem Jahr 2002 beruhen,


(Andreas Schwarz [SPD]: Es hat auch keine anderen Daten!)


Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


und stellt auch klar, dass das BMVI neuere Daten hat .


(Andreas Schwarz [SPD]: Nein, eben nicht!)


Das Bundesministerium der Finanzen, so heißt es weiter,
habe keine Veranlassung, die Annahmen der Verkehrsex-
perten des BMVI zu bezweifeln . Tun Sie doch jetzt nicht
so, als liege das Ganze nicht auf dem Tisch . Suchen Sie
nicht irgendein Schlupfloch; das sage ich Ihnen von die-
ser Stelle aus ganz deutlich .

Die Fakten liegen auf dem Tisch . Wir werden die In-
frastrukturabgabe einführen und umsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht um die Systemumstellung von der Steuerfinan-
zierung zur Nutzerfinanzierung, damit unsere Infrastruk-
tur besser ausgebaut wird, damit wir das, was wir uns
vorgenommen haben, durchziehen können . Wir von der
Großen Koalition – das hat auch der Bundesverkehrswe-
geplan gezeigt – sorgen für die Sanierung und den Aus-
bau der Straßen, und wir stellen einen Bedarfsplan auf .
Dafür brauchen wir das Geld,


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Welches Geld denn, Herr Kollege?)


dafür braucht unser Land das Geld . In diesem Sinne: Al-
les Gute!

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822202500

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetz-
entwürfe auf den Drucksachen 18/11237, 18/11235 und
18/11012 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Hat jemand andere Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 51 a
bis 51 c:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der betrieblichen Altersversorgung und

(Betriebsrentenstärkungsgesetz)


Drucksache 18/11286
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald,
Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Gesetzliche Rente stabilisieren – Gute Rente
für alle sichern

Drucksache 18/11402
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Maria Klein-Schmeink,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine faire und nachhaltige betriebliche
Altersversorgung und ein stabiles Drei-Säu-
len-System

Drucksache 18/10384
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit

Die Vorlagen sollen nach einer interfraktionellen Ver-
einbarung 60 Minuten diskutiert werden . – Dazu kann
ich offensichtlich Einvernehmen feststellen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea
Nahles .

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer
ein Leben lang gearbeitet hat, der muss im Alter abgesi-
chert sein . Das ist für mich eine der Kernaufgaben des
Sozialstaates in unserem Land . Meine persönliche Über-
zeugung ist: Jede und jeder muss die Möglichkeit haben,
den gewohnten Lebensstandard im Alter zu erhalten . Das
Fundament dafür ist mit Sicherheit die gesetzliche Ren-
tenversicherung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zusätzliche Altersvorsorge muss dann – das ist meine
Überzeugung – als Plus oben draufkommen .

Vor allem für Geringverdienende schlagen Kollege
Schäuble und ich mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz
deutliche Verbesserungen vor . Dabei sind Betriebsren-
ten – das will ich deutlich hervorheben – die älteste, die
wichtigste und die kostengünstigste Zusatzversorgung
im Alter .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Doch noch längst nicht alle im Land betreiben überhaupt
eine zusätzliche Altersvorsorge, und das ist das Problem .

In großen Unternehmen und in Branchen mit breit
wirkenden Tarifverträgen ist die betriebliche Alterssi-
cherung gut verbreitet . Ende 2015 hatten rund 60 Pro-
zent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei
ihrem aktuellen Arbeitgeber eine Anwartschaft auf eine
Betriebsrente . Das sind 17,7 Millionen Menschen, die
eine betriebliche Altersvorsorge haben . Schließlich hat
sie für die Versicherten eine Menge Vorteile: weniger
Kosten und Aufwand durch Bündelung großer Beleg-

Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


schaften, häufig ein Beitrag des Arbeitgebers, Zielge-
nauigkeit und vieles mehr . Aber gerade – das haben wir
eben auch feststellen müssen – in kleineren Unterneh-
men und in Branchen mit geringverdienenden Beschäf-
tigten ist die Betriebsrente wenig verbreitet . Sie scheu-
en oft den Aufwand für den Aufbau einer betrieblichen
Altersversorgung und das Haftungsrisiko . Das soll das
Betriebsrentenstärkungsgesetz ändern . Ich setze dabei
auf die Sozialpartner . Sie können nach unserem Sozial-
partnermodell Betriebsrentensysteme für ihre Branchen
und Betriebe vereinbaren und aufbauen; denn wie bei der
gesetzlichen Rente gilt auch hier: Niemand kann alleine
für ein sicheres und gutes Auskommen im Alter sorgen .
Nur alle zusammen bekommen das hin .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Sozialpartnermodell ist deshalb der Kern des Be-
triebsrentenstärkungsgesetzes .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mehr
Betriebsrenten erreichen, indem wir es den Sozialpart-
nern ermöglichen, Tarifverträge zu schließen, in denen
Betriebsrenten vereinbart werden ohne Haftung der Ar-
beitgeber für den späteren Rentenbezug, sogenannte rei-
ne Beitragszusagen . Damit entfällt für die Betriebe das
Haftungsrisiko,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat mit betrieblicher Altersversorgung nichts zu tun, das ist betriebliche Altersvorsorge!)


das bisher ein wesentlicher Hemmschuh für die Ein-
führung einer betrieblichen Altersversorgung war . Die
Ansprüche der Beschäftigten richten sich dann aus-
schließlich an die Versorgungseinrichtung, etwa an den
Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktver-
sicherung . Die Tarifpartner vereinbaren dabei eine soge-
nannte Zielrente . Auf Garantien und Mindestleistungen
durch die Versorgungseinrichtungen wird verzichtet . Das
ist etwas fundamental Neues in der kapitalgedeckten Al-
tersvorsorge, und das ist auch eine Antwort auf die lange
Niedrigzinsphase .

In den letzten Jahren mussten wir feststellen – um
genau zu sein: seit 2009 –, dass wir keinerlei Entwick-
lung positiver Art bei der Verbreitung von Betriebsrenten
mehr haben . Wir haben eine komplette Stagnation . Das,
was wir hier vorlegen, ist der Versuch einer Antwort auf
diese Frage . Diese Antwort haben wir nicht im luftleeren
Raum, sondern in enger Absprache – Herr Schäuble und
ich haben uns dafür sehr viel Zeit genommen – mit den
Sozialpartnern, also mit Gewerkschaften und Arbeitge-
bern zusammen, entwickelt .


(Beifall bei der SPD)


Wir öffnen hier Wege für die Sozialpartner. Sie können
diesen Weg gehen, Sie können es aber auch sein lassen;
denn die bisherigen fünf Durchführungswege einer Be-
triebsrente, die wir schon kennen, existieren weiterhin .
Wir bieten eine neue Möglichkeit, auf diese besondere
Lage zu reagieren .

Gemeinsame Verantwortung heißt, dass für die Arbeit-
geber nicht nur Risiken wegfallen, sondern sie zugleich
in die Pflicht genommen werden. Im Gegenzug für die

Befreiung von der Haftung sollen sich die Arbeitgeber an
der Absicherung der Zielrenten durch Sicherungsbeiträge
beteiligen . Wichtiger noch als das ist: Wenn Entgeltum-
wandlung genutzt wird, muss der Arbeitgeber eingespar-
te Beiträge zur Sozialversicherung, die wir auch gewährt
haben, damit sie die Haftungsrisiken absichern können –
dieser Grund fällt hier ja weg –, an die Versorgungsein-
richtung weitergeben .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zum Teil! Nur zum Teil!)


20 Prozent werden gewährt; 15 Prozent muss man wei-
tergeben, mehr kann man im Rahmen der Tarifverhand-
lungen vereinbaren .

Mit anderen Worten: Wir haben nicht nur etwas an
Risiken weggenommen, sondern wir haben auch neue
Pflichten ausgehandelt. Das ist genau der Deal, den die
Sozialpartner am Ende mitgegangen sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Risikoverlagerung!)


Außerdem sorgen wir dafür, dass die Sozialpartner
im Rahmen der Betriebsrenten dauerhaft mit in die Ver-
antwortung genommen werden . Sie müssen sich an der
Durchführung und Steuerung der neuen Betriebsrenten
beteiligen, entweder durch eigene Einrichtungen oder
Mitwirkung in bestehenden Einrichtungen . Das ist ein
Grund, warum dieses Modell, das, als wir es vor zwei
Jahren vorgeschlagen haben, in der gesamten Szene mas-
sive Kritik ausgelöst hatte, am heutigen Tag auf den Weg
gebracht werden kann . Dass sich die Sozialpartner an der
Durchführung und Steuerung der neuen Betriebsrenten
beteiligen müssen, das ist etwas wirklich Neues . Damit
wollen wir sachgerechte und angemessene Betriebsren-
ten erreichen . Darum setzen wir auch Regeln für die Ziel-
rente, was die Kapitalanlage oder das Risikomanagement
betrifft. Darüber, dass diese Regeln eingehalten werden,
Herr Kurth, wacht die Bundesanstalt für Finanzdienst-
leistungsaufsicht, die BaFin . Verantwortung und Verläss-
lichkeit sind also die Grundlage .

Wir haben auch noch etwas anderes gemacht . Wir
haben die rechtssichere Lösung für ein Opting-out ge-
schaffen. Arbeitgeber können ganze Belegschaften auch
unabhängig etwa von der Zugehörigkeit zu einer Ge-
werkschaft automatisch in die betriebliche Altersversor-
gung aufnehmen . Beschäftigte, die daran nicht teilneh-
men möchten, erklären einfach ihren Austritt . Auch das
ist eine wesentliche Innovation .

Damit vor allem auch Geringverdienende in Zukunft
profitieren, fördern wir arbeitgeberfinanzierte Betriebs-
rentenbeiträge für Beschäftigte mit Einkommen unter
2 000 Euro . Dazu wird sicherlich Herr Meister nachher
noch mehr sagen, weil das auch ein wesentlicher Teil der
Zusammenarbeit mit dem BMF war .

Damit zusätzliche Vorsorge sich für alle lohnt – auch
für die Menschen, die für niedrige Löhne arbeiten –,
schaffen wir bei der Grundsicherung im Alter Freibeträge
für Zusatzrenten wie Betriebs- oder Riesterrenten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Bundesministerin Andrea Nahles






(A) (C)



(B) (D)


Dieser Schritt ist wirklich ein historischer Schritt . Das
hat es noch nie gegeben . Es bestand gerade für Gering-
verdiener ein großes Hemmnis . Viele haben ja gesagt:
Ich weiß gar nicht, ob ich im Leben so viel verdiene, dass
ich am Ende über die Grundsicherung komme . Warum
soll ich jetzt in die private Rente oder in die Betriebsrente
einzahlen? – Das hat übrigens auch Tarifverhandlungen,
beispielsweise im Dienstleistungsbereich, extrem be-
schränkt .

An dieser Stelle sagen wir jetzt: Ihr könnt, egal wie
eure Erwerbsbiografie am Ende verlaufen ist, rund
200 Euro behalten . – Das ist nun wirklich eine wesentli-
che Verbesserung


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


und trägt, hoffe ich, dazu bei, dass wir in Zukunft die
Verbreiterung der Betriebsrenten auch in dem Bereich er-
reichen, in dem es bisher noch nicht so gut läuft, nämlich
bei den Geringverdienern . Das ist einer der wesentlichen
Punkte, um das zu erreichen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822202600

Matthias Birkwald erhält nun für die Fraktion Die Lin-

ke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822202700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und

Herren! Auf der Besuchertribüne begrüße ich den Vorsit-
zenden des Vereins der Direktversicherungsgeschädig-
ten, Herrn Kieseheuer, und zehn seiner Mitstreiterinnen
und Mitstreiter sehr herzlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie kämpfen gegen die Doppelverbeitragung Ihrer Be-
triebsrenten mit Krankenkassenbeiträgen . Ich wünsche
Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Kampf .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, vor 17 Jahren haben SPD,
Grüne, Union und FDP das Rentenniveau gemeinsam in
den Sinkflug geschickt und Lücken in die gesetzlichen
Renten von Millionen von Menschen gerissen . Seitdem
gilt: Jahr für Jahr hinken die Renten den Löhnen hinter-
her, Jahr für Jahr gibt es immer mehr ältere Arme, und
Jahr für Jahr wird der Riester-Unsinn offensichtlicher.

Und was tun Union und SPD dagegen? Nichts. Sie
sagen gebetsmühlenartig: Wir müssen die Rente zu-
kunftsfähig machen . – Ich sage dazu: Sie wollen die Al-
terssicherung für die Unternehmen billiger machen. Sie
wollen die Alterssicherung für die heute Beschäftigten
teuer, kompliziert und unberechenbar machen . – Dazu
sagt die Linke klar und deutlich Nein .


(Beifall bei der LINKEN)


Beim neuen Stern der SPD zeigt unsere Kritik der Lin-
ken Wirkung . Martin Schulz sagte am 20 . Februar 2017 –
Zitat –:

… es gibt keine sozial gerechtere Form der Absiche-
rung für das Alter als die gesetzliche Rentenversi-
cherung . Deswegen wollen wir zuallererst die erste
Säule der Altersvorsorge stärken .

Und was tut die SPD? Arbeitsministerin Andrea
Nahles legt heute kein Gesetz für eine Anhebung des
Rentenniveaus vor, sondern nur ein sogenanntes Be-
triebsrentenstärkungsgesetz .


(Ralf Kapschack [SPD]: Darum geht es heute nicht, Matthias!)


Mit einem Rentenniveau von 53 Prozent könnte man
den Lebensstandard aber wieder sichern . Genau das tun
Sie nicht, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten . Das ist schlecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Nein, gegen den Verfall des Rentenniveaus helfen kei-
ne Sonntagsreden von Martin Schulz .


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Gegen die immer weiter anwachsende Rentenlücke von
vielen hart arbeitenden Menschen hilft nur ein Gesetz,
mit dem endlich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenan-
passungsformel gestrichen werden .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Sag doch mal was zum Gesetzentwurf! – Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822202800

Herr Kollege, lassen Sie Zwischenfragen zu?


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822202900

Bitte .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822203000

Bitte sehr .


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1822203100

Sehr geschätzter Herr Kollege Birkwald, danke schön,

dass Sie die Zwischenfrage zulassen . – Sind Sie bereit,
zu akzeptieren und anzuerkennen, dass Frau Ministerin
Andrea Nahles zu Beginn ihrer Rede eindeutig gesagt
hat, dass die Altersversorgung natürlich im Kern durch
die gesetzliche Rente abgesichert wird? Das waren die
Eingangsworte der Ministerin . Ihre Polemik hier bezog
sich auf ein anderes Thema, nämlich die betriebliche Al-
tersvorsorge . Das ist ein anderer Punkt, der on top kom-
men soll, wie in dieser Debatte eindeutig geäußert wurde .
Sind Sie bereit, das anzuerkennen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bundesministerin Andrea Nahles






(A) (C)



(B) (D)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822203200

Sehr geschätzte Kollegin Wolff, ich kann zitieren: Die

Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube . – Es
wird zwar gesagt, die gesetzliche Rente solle gestärkt
werden. Aber was wird gemacht? Es geht um die Be-
triebsrente .

Wir haben heute, Frau Kollegin Wolff, auch einen
Antrag der Fraktion Die Linke auf der Tagesordnung, in
dem wir aufgenommen haben, was Martin Schulz gesagt
hat . Wenn Sie unseren Antrag umsetzten, dann erhielten
heutige und künftige Rentnerinnen und Rentner deutlich
höhere Löhne, und vor allem die Menschen mit niedrigen
Löhnen würden deutlich bessergestellt und vor Altersar-
mut geschützt werden . Darum muss es doch gehen, Frau
Kollegin Wolff.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Koalition, was machen Sie denn mit Ihrem Be-
triebsrentenstärkungsgesetz? Sie sagen heute mit diesem
Gesetz zu einer Geringverdienerin: Mit deinem Lohn
landest du einmal in der Altersarmut; denn du verdienst
zu wenig für eine armutsfeste gesetzliche Rente . Du ries-
terst zu wenig . Du gibst von deinem kargen Lohn zu we-
nig Geld für eine Betriebsrente aus, und du sorgst zu we-
nig für dein Alter vor . – Ich sage: Das ist Zynismus pur .


(Beifall bei der LINKEN – Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822203300

Herr Kollege, lassen Sie noch eine weitere Zwischen-

frage zu?


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822203400

Ja, selbstverständlich .


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1822203500

Herr Kollege Birkwald, ich weiß ja, dass Ihnen die

Beantwortung von Zwischenfragen Spaß macht . Des-
wegen will ich Ihnen gerne einen Gefallen tun und noch
eine stellen .

Herr Birkwald, würden Sie vielleicht zwei Dinge zur
Kenntnis nehmen?

Erstens . Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass
Frau Ministerin Nahles in ihrem Gesamtkonzept zur Al-
terssicherung Vorschläge zur Stabilisierung des Renten-
niveaus der gesetzlichen Rente gemacht hat?

Zweitens . Würden Sie vielleicht zur Kenntnis neh-
men, dass auch das Thema betriebliche Altersvorsorge
unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten eine zentrale Rolle
spielt? Denn – Frau Ministerin hat es ausgeführt – wir
haben in Deutschland viele Beschäftigte, die Ansprüche
aus betrieblicher Altersvorsorge erwerben, teilweise so-
gar sehr hohe . Es gibt aber auch sehr viele, vor allem
in kleineren und mittleren Betrieben in bestimmten
Branchen, beispielsweise im Einzelhandel, Geringver-
diener, die keine Anwartschaften aus der betrieblichen
Altersvorsorge haben . Damit haben wir, egal wie hoch
das Niveau in der gesetzlichen Rentenversicherung ist,

bei der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge in
Deutschland eine riesige Gerechtigkeitslücke zwischen
denjenigen, die Ansprüche haben, und denjenigen, die
keine haben . Deswegen ist die Politik genau an dieser
Stelle gefragt, sich eben nicht nur um die gesetzliche
Rente zu kümmern, sondern sich gleichermaßen auch um
diese Gerechtigkeitslücke im Bereich der betrieblichen
Altersvorsorge zu kümmern .


(Beifall bei der SPD)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822203600

Sehr geschätzter Kollege Dr . Rosemann, zunächst:

Ja, die Ministerin hat einen Vorschlag gemacht, um das
Rentenniveau zu stabilisieren . Das reicht aber überhaupt
nicht . Wir haben heute ein Rentenniveau von 48,2 Pro-
zent . Die Rente sollte den Lebensstandard wieder sichern .
Dafür brauchen wir aber ein Rentenniveau von 53 Pro-
zent. Das wäre heute und auch im Jahr 2030 finanzierbar.

Sie waren doch mit mir gemeinsam in Österreich und
haben gesehen, wie man ein Rentensystem aufbaut, in
dem die Männer das Doppelte an Rente bekommen und
auch eine Bäckereifachverkäuferin und eine Floristin im
Alter eine Rente bekommen, von der sie leben können .
Das ist hier heute nicht der Fall, auch nicht mit Betriebs-
rente . Das ist der erste Punkt .

Nun zu Ihrer zweiten Frage . Man muss schon noch
einmal sagen, worum es hier geht . Denn hier wird al-
les vermuschelt . Hier wird von bAV, von betrieblicher
Altersversorgung gesprochen, obwohl es sich nur um
betriebliche Altersvorsorge handelt. Was ist der Unter-
schied? Betriebliche Altersversorgung ist, wenn Ihr Ar-
beitgeber sagt: Martin, du machst einen guten Job . Ich
gebe dir 200 Euro Betriebsrente bis an dein Lebensende .


(Rüdiger Veit [SPD]: Martin macht einen guten Job!)


Das ist betriebliche Altersversorgung . Da wird gehaftet,
da wird zugesagt, dass man das Geld bekommt .

Was ist betriebliche Altersvorsorge?


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das habe ich nicht gefragt!)


– Das kann ich mir vorstellen; aber das ist genau der
Punkt, um den es hier geht . – Sie fördern doch nur Vor-
sorge. Vorsorge von wem? Von Menschen, die häufig mit
Entgeltumwandlung – das geschieht mittlerweile über-
wiegend – ihr eigenes Gehalt zur Betriebsrente machen .


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Wir fordern Arbeitgeberfinanzierung!)


Die Menschen, die dort oben auf der Tribüne sitzen, müs-
sen, wenn sie ihre Betriebsrente bekommen, dann auch
noch doppelt Krankenversicherungsbeiträge zahlen .


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersvorsorge!)


Ich sage Ihnen: Wenn man Entgeltumwandlung macht
und der Arbeitgeber nicht mindestens 50 Prozent oder
mehr dazugibt, tut man besser daran, das Geld in ein






(A) (C)



(B) (D)


Sparkästchen oder unter das Kopfkissen zu stecken . Sie
führen die Leute hier hinter die Fichte .


(Beifall bei der LINKEN)


Echte betriebliche Altersversorgung ist gut . Betriebliche
Altersvorsorge mit weniger als 50 Prozent der Beiträge
der Arbeitgeber ist schlecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt geht es weiter . Sie sagen einem Beschäftigten mit
Ihrem Gesetz: Sorry, die gute alte Zeit der betrieblichen
Altersversorgung ist endgültig vorbei . Dass deine Bei-
träge später einmal mit Zins und Zinseszins ausgezahlt
werden, muss dir dein Arbeitgeber genauso wenig garan-
tieren wie eine Mindestrente . Er garantiert dir in Zukunft
überhaupt nichts mehr . Er zahlt künftig nur noch ein
bisschen Beitrag, und das war es. Eine Einstandspflicht,
eine Haftung des Arbeitgebers, das feste Versprechen ei-
ner ordentlichen und verlässlichen Betriebsrente ist den
Chefs einfach zu teuer . Das darf doch alles gar nicht wahr
sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Union und SPD sagen den Menschen mit diesem
Gesetz: Gib den Versicherungskonzernen und den Ver-
sorgungswerken noch mehr von deinem Lohn, und lass
uns dann mal sehen, was die Aktienmärkte in Zukunft
hergeben. Wenn es gut läuft: okay. Wenn es schiefläuft:
Pech gehabt .


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Schon mal was von Risiko beim Sparen gehört?)


„Zielrente“ nennen Sie das. Sagen Sie „Pokerrente“. Das
wäre ehrlicher .


(Beifall bei der LINKEN)


Wozu verpflichten Sie die Arbeitgeber? Frau Nahles
hat es gesagt: zu 15 Prozent . 15 Prozent des Gehalts muss
die Chefin oder der Chef zukünftig für die betriebliche
Altersvorsorge der Beschäftigten dazubezahlen . Frau
Nahles, auf meine Frage, wie viel der Arbeitgeber oder
die Arbeitgeberin an Sozialversicherungsbeiträgen wirk-
lich spart, wenn die Beschäftigten eine Entgeltumwand-
lung vornehmen, also ihre Betriebsrente überwiegend
selbst finanzieren, haben Sie geantwortet: insgesamt
20,7 Prozent . Wir Linken sagen: Die Arbeitgeber dürfen
keinen einzigen Cent an der betrieblichen Altersvorsorge
ihrer Beschäftigten verdienen .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Gegenteil: Die Chefinnen und Chefs sollen sich an
der Altersversorgung ihrer Mitarbeitenden beteiligen . Sie
sollen sie finanzieren. Die Arbeitgeber sollen zeigen, dass
ihnen ihre langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
etwas wert sind . Deshalb würde ein linkes Betriebsren-
tenstärkungsgesetz in § 1 feststellen: Um betriebliche
Altersversorgung handelt es sich nur, wenn der Arbeitge-
beranteil der Beiträge zwischen 50 und 100 Prozent liegt .


(Beifall bei der LINKEN)


Alles andere ist Vorsorge, und da gilt: Vorsicht an der
Bahnsteigkante!


(Beifall bei der LINKEN)


In § 2 würden wir die sozialabgabenfreie Entgeltum-
wandlung abschaffen. Sie ist genau das Gegenteil von
dem, was Martin Schulz fordert, verehrte Frau Nahles .
Sie stärkt nämlich die gesetzliche Rente nicht, sondern
sie schwächt die gesetzliche Rente, und zwar doppelt:
Die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung senkt
die eigenen gesetzlichen Rentenansprüche, und sie senkt
die Renten aller Versicherten, völlig egal, ob sie über den
Betrieb vorsorgen oder nicht . Dazu sagt die Linke: Das
geht gar nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung schätzt die Beitragsausfälle für
die Entgeltumwandlung auf 3 Milliarden Euro – Herr
Meister widerspricht nicht –,


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das war aber auch keine Bestätigung! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und hinzu kommen die Steuerausfälle . Was machen Sie,
Frau Ministerin Nahles? Sie führen grundsätzlich die au-
tomatische Entgeltumwandlung per Tarifvertrag ein . Sie
wollen dieses schädliche Instrument auch noch mehr för-
dern. Was gilt denn nun, liebe SPD? Schulz oder Nahles?
Gesetzliche Rente oder private Vorsorge?


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Na ja, mehr als Zwischenfragen zur Aufklärung zu stellen, können wir auch nicht machen! Jeder ist nur so gut informiert, wie er das selber sein will!)


Sie, Frau Nahles, stärken ja auch noch die priva-
te Vorsorge; denn Sie erhöhen mit diesem Gesetz die
Riester-Zulage . Dabei wären die 3 Milliarden Euro pro
Jahr an staatlicher Riester-Förderung in der Rentenkasse
viel besser angelegt, statt in den Töpfen der Versiche-
rungswirtschaft zu versickern .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frau Ministerin, Sie haben eben vorgetragen: Sie
führen Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter ein .
Auch hier die Frage: Schulz oder Nahles? Gesetzliche
Rente stärken oder private Vorsorge erzwingen?


(Dr. Carola Reimann [SPD]: Das ist doch gar kein Widerspruch!)


Das sozialdemokratisch geführte Ministerium führt Frei-
beträge für die betriebliche Vorsorge und für die Riester-
Rente bei der Grundsicherung ein . Freibeträge für die
gesetzliche Rente führen Sie nicht ein . Das ist ungerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein
deutliches Wort zu dem ganz besonderen Skandal der
Doppelverbeitragung von den Betriebsrenten der Direkt-
versicherten . Wer vor 2002 eine Direktversicherung ab-
geschlossen hat, muss dank Horst Seehofer, CSU, und
Ulla Schmidt, SPD, seit dem Jahr 2004 rückwirkend

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


doppelte Krankenversicherungsbeiträge zahlen . Der
Bundesrat, der DGB, die IG Metall, die Arbeitgeber, die
Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung,
die Sozialverbände und die Linke sind sich alle einig:
Alle Betriebsrenten dürfen nur einmal und auf gar keinen
Fall zweimal oder dreimal verbeitragt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Kollege Weiß, was bieten Sie den Betroffenen
denn konkret an? Sie wurden erst mit Steuervorteilen in
die Direktversicherung gelockt und dann rückwirkend
und ohne Bestandsschutz abgezockt . Für die betriebli-
chen Riester-Renten ändern Sie das – gut . Aber ich for-
dere Sie auf: Schaffen Sie diese große Ungerechtigkeit
für alle Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner ab!

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822203700

Peter Weiß ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1822203800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, so heftig man eine Debatte auch führt, sollte
man zu dem, was eigentlich nicht strittig ist, nicht erklä-
ren, dass es strittig sei . Nicht strittig ist – das erkläre ich
jetzt für die CDU/CSU-Fraktion und auch für die gesam-
te Koalition –, dass eine starke gesetzliche Rente natür-
lich auch in Zukunft die erste starke Säule der Altersver-
sorgung in Deutschland ist und bleiben wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann stärkt sie doch!)


Weil jeder von uns im Alter einigermaßen gut leben
will, ist es aber zwingend notwendig, dass eine starke
zweite Säule dazukommt, und es geht heute darum, dass
wir diese zweite starke Säule schaffen, sichern und un-
terstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Idee des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist ein-
fach, dass in Zukunft nicht nur 60 Prozent der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine starke
zweite Säule in Form einer Betriebsrente ihr Eigen nen-
nen können, sondern möglichst jede Arbeitnehmerin und
jeder Arbeitnehmer in Deutschland . Darum geht es uns .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn uns das mit diesem Gesetz am Schluss gelin-
gen sollte, dann gilt wirklich: Wer nicht bei der betrieb-
lichen Altersvorsorge mitmacht, der hat sich wirklich
falsch entschieden . Wenn uns dieses Gesetz gelingt und
wir wirklich eine weitere Verbreitung der betrieblichen

Altersvorsorge schaffen, dann wäre das heute sogar eine
Sternstunde für die deutsche Altersvorsorge der Zukunft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kaum ein Gesetzesvorhaben war so gründlich vorbe-
reitet wie dieses, nämlich mit mehreren Gutachten, die
das Arbeitsministerium und das Finanzministerium in
Auftrag gegeben haben und in denen sehr genau analy-
siert wurde, auf was es ankommt .

Es ist völlig richtig, verehrte Frau Ministerin: Es geht
hier nicht nur um das Sozialpartnermodell, sondern es
geht uns natürlich darum, alle Formen der betrieblichen
Altersvorsorge zu stärken .

Hier ist als Erstes der Zugang für Geringverdiener
wichtig. Wir schaffen einen Geringverdienerzuschuss,
der zu einem guten Teil dem Arbeitgeber über die Steuer
refinanziert wird. Dieser macht es für Geringverdiener
überhaupt erst möglich, in die betriebliche Altersvorsor-
ge einzusteigen .

Als Zweites schaffen wir Freibeträge in der Grundsi-
cherung . Hundert Jahre lang war das Prinzip der Nachran-
gigkeit das eherne Prinzip staatlicher Fürsorgeleistungen,
also staatlicher Unterstützung aus Steuermitteln. Danach
wurde alles, was man sonst noch hat, angerechnet .

Mit diesem Gesetzentwurf machen wir, wie ich finde,
nicht nur einen historischen Schritt, sondern es ist sogar
eine echte Revolution im deutschen Sozialrecht, dass wir
erstmals eine Regelung schaffen, wonach mindestens
100 Euro und maximal 200 Euro monatlich von dem,
was man sich an zusätzlicher Altersversorgung angespart
hat, nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden .
Auf gut Deutsch: Wer etwas zusätzlich fürs Alter macht,
der weiß eines ganz bestimmt, egal wie das Leben wei-
terverlaufen wird: Wenn ich eines Tages Grundsicherung
beantragen muss, dann habe ich auf jeden Fall mehr als
derjenige, der nichts getan hat . Das ist die wichtigste
Botschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in Deutschland, gerade auch für die Geringverdiener .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Da hätte auch einmal die SPD klatschen können!)


Natürlich ist es wünschenswert, dass das, was jetzt
auch schon Praxis ist, dass nämlich die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer durch Tarifverträge einen auto-
matischen Zugang zu einer Betriebsrente bekommen,
verbreitert wird . Das ist die Idee des sogenannten Sozi-
alpartnermodells .

Was der Kollege Birkwald von den Linken hier vor-
getragen hat, ist schlichtweg unglaublich . Er hat dieses
Modell als „Pokerrente“ diffamiert.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zielrente ist Pokerrente!)


Um es jedem zu erklären: Es geht darum, dass die
jeweiligen Arbeitgeberverbände und die zuständigen
Gewerkschaften miteinander einen Tarifvertrag abschlie-
ßen, in dem sie die Details regeln, wie die betriebliche
Altersversorgung organisiert und finanziert wird.

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Nun gibt es in den Gewerkschaften etliche Kollegin-
nen und Kollegen, die meinen, ihre politischen Ziele eher
mit der Linkspartei durchsetzen zu können .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind die Guten!)


Heute ist deutlich geworden, wie Linke wirklich über
Gewerkschaften denken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch!)


Der Vorwurf, dieses Tarifvertragsmodell sei eine Poker-
rente, ist die Misstrauenserklärung gegenüber den deut-
schen Gewerkschaften seitens der Linkspartei .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Völliger Unsinn!)


Dass Sie den Arbeitgeberverbänden misstrauen, haben
wir eh unterstellt . Aber heute ist noch einmal deutlich ge-
worden, wie Sie in Wahrheit über Gewerkschaften den-
ken .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kümmern Sie sich mal um die Doppelverbeitragung! Da sind die Arbeitgeber an unserer Seite, Herr Weiß!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Tat
ist die Frage, wie wir zusätzliche Anreize schaffen, zum
Beispiel durch das betriebliche Opting-out-Modell, das
die Ministerin vorgestellt hat, oder die Überlegung,
eingesparte Sozialversicherungsbeiträge durch die Ent-
geltumwandlung an den Arbeitnehmer als Zuschuss zur
betrieblichen Altersvorsorge weiterzugeben . Das sind
wichtige Elemente, die einen zusätzlichen finanziellen
Anreiz darstellen, um sich einer betrieblichen Altersvor-
sorge anzuschließen und entsprechend anzusparen .

Die betriebliche Altersvorsorge ist deswegen in unse-
rem Fokus, weil wir gerade in einer Niedrigzinsphase mit
der betrieblichen Altersvorsorge darstellen können, dass
große Kollektive, die versichert werden, auch attraktive
Angebote aufseiten der Versicherung finden, und Kos-
ten gespart werden, dass aber eine Altersvorsorge auch
in Zeiten niedriger Zinsen mit einer Rendite dargestellt
werden kann . Deswegen ist es richtig, dass wir gerade
in dieser Zeit unser Augenmerk auf die Stärkung der Be-
triebsrente richten .

Der Gesetzentwurf ist ein Gemeinschaftswerk von
Bundesfinanzministerium und Bundesarbeitsministeri-
um, und ich möchte beiden Häusern und den Mitarbei-
tern herzlich dafür danken . Erlauben Sie mir, dass ich
einen besonderen Dank an den Bundesfinanzminister
richte. Denn der Bundesfinanzminister hat zwar zunächst
einmal die Aufgabe, das Geld zusammenzuhalten, aber
wenn man die betriebliche Altersvorsorge richtig gestal-
ten will, dann muss es auch ein paar finanzielle Anreize –
und zwar zusätzlicher Art – geben. Dass der Bundesfi-
nanzminister sich dazu hat durchringen lassen


(Dr. Carola Reimann [SPD]: Durchringen lassen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Durchringen lassen! – Lachen bei der SPD und der LINKEN)


– ich glaube, für jeden Finanzminister, egal welcher Par-
tei er angehört, ist es ein Durchringen –, dass der Bundes-
finanzminister bereit war, ein paar zusätzliche finanzielle
Anreize für die Förderung der Betriebsrente zu geben,
ist ein richtiges Zeichen in der Niedrigzinsphase, indem
man nämlich sagt: Wer spart, den wollen wir als Staat zu-
sätzlich unterstützen. Und das wird mit diesem Betriebs-
rentengesetz gemacht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es
handelt sich insgesamt um einen guten Gesetzentwurf .
Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass wir, die Koalitions-
fraktionen, ihn im parlamentarischen Verfahren noch ge-
meinsam optimieren . Aber was wir mit der ersten Lesung
heute bezwecken sollten, ist, ein klares Signal zu geben:
Grünes Licht, freie Fahrt für eine starke betriebliche
Altersversorgung für möglichst alle Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822203900

Vielen Dank, Herr Kollege Weiß . – Als Nächster

spricht der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die
Grünen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822204000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Vorweg: Für Bündnis 90/Die
Grünen ist die betriebliche Altersvorsorge ein wichtiger,
zentraler und unbedingt zu stärkender Baustein in der
Altersvorsorge . Die Betriebsrente hat eine hohe Akzep-
tanz, weil sie eine wertgeschätzte und wertschätzende
Zusatzleistung ist . Sie ist trotz der Entgeltumwandlung,
die auch wir – das will ich betonen – abschaffen wollen,


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


in der Regel noch mit hohen Arbeitgeberanteilen verse-
hen .

Die Betriebsrente ist häufig in tarifvertragliche Rege-
lungen eingewoben, und es ist vielfach zumindest über
Gruppenverträge, aber auch über Pensionsfonds ein Sys-
tem kollektiver Absicherung und damit häufig effizien-
ter als individuelle Verträge wie beispielsweise bei der
Riester-Rente . Zusammengefasst: Grundsätzlich ist die
Stärkung der Betriebsrente auch für uns Grüne ein erstre-
benswertes Ziel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Eine Stärkung – Frau Nahles hat es ja, wie viele an-
dere auch, analysiert – ist gerade in kleinen und mittle-
ren Unternehmen sowie in bestimmten Branchen auch
notwendig . Gerade in Dienstleistungsbranchen ist die
Betriebsrente nicht besonders weit verbreitet . Ich denke

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


dabei insbesondere an den Einzelhandel sowie an das
Hotel- und Gaststättengewerbe . Diese Bereiche seien
hier nur beispielhaft genannt . Da gibt es nicht besonders
viele Betriebsrenten . Es ist für uns wichtig, auch hier
vorwärtszukommen .

Ich wundere mich allerdings, dass eigentlich keiner
von den Rednern – auch nicht der Oppositionsredner
Birkwald – die Frage aufgeworfen hat, ob dieser Gesetz-
entwurf mit dem Sozialpartnermodell seine Ziele über-
haupt erreichen kann . Jetzt sage ich Ihnen etwas, was
noch niemand hier vorne gesagt hat: Dieser Gesetzent-
wurf erreicht gerade diejenigen nicht, die besonders eine
Unterstützung brauchen. Und das ist finster!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Sie benutzen die Betriebsrente, um eigentlich ein an-
deres Ziel zu erreichen, nämlich die Tarifbindung zu stär-
ken bzw . zu erhöhen . Fast sämtliche Vergünstigungen –
oder nennen wir es einmal Subventionstatbestände; das
ist es ja tatsächlich – sind an Tarifbindung und an die
Tarifparteien gekoppelt . Das ist der Kardinalfehler die-
ses Betriebsrentenstärkungsgesetzes . Andrea Nahles hat
es ja auch in einem FAZ-Interview im Jahr 2016 gesagt:
Wer tariflich gebunden ist, wird privilegiert.

Die Tarifbindung zu stärken, ist natürlich ein erstre-
benswertes Ziel . Ob dann damit aber auch die Aufga-
benstellung – nämlich die Betriebsrente in kleinen und
mittleren Unternehmen zu stärken – erreicht wird, ist
mehr als fraglich . Das wird nicht der Fall sein . Professor
Kiesewetter, der für das Finanzministerium das vielfach
beachtete Betriebsrentengutachten erstellt hat, hat das
Kernproblem sehr klar beschrieben: Die Erhöhung des
Verbreitungsgrades hängt in großem Maße von den Ta-
rifparteien ab . Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: In
Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern beträgt der Anteil
tarifgebundener Beschäftigter gerade einmal 20 Prozent,
in Betrieben mit bis zu 9 Mitarbeitern sind es nur rund
10 Prozent. Und in Ostdeutschland sieht es noch viel ma-
gerer mit der Tarifbindung aus . Das heißt also, das So-
zialpartnermodell kann gar nicht dort greifen, wo es die
größten Regelungs- und Unterstützungsbedarfe gibt. Das
werfen wir Ihnen vor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Selbst die Gewerkschaften sehen das . Der Deutsche
Gewerkschaftsbund sagt – ich zitiere – in einer aktuellen
Stellungnahme: Wir werden das gar nicht schaffen. Und
weiter:

Ohne das Instrument der Allgemeinverbindlich-
keitserklärung wird keine Verbesserung der zusätz-
lichen Altersversorgung der dort Beschäftigten er-
reicht werden können .

Das heißt also, die Gewerkschaften setzen bereits jetzt
auf eine andere Regelung, auf eine Abschaffung des
Vetorechts bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung .
Das halten wir durchaus für vernünftig . Nur gibt es das
im Moment nicht. Und ich sehe jedenfalls nicht, dass das
in der näheren Zukunft kommen wird . Das heißt, die Ge-

werkschaften selber sehen eigentlich die große Schwä-
che dieses Gesetzentwurfs .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!)


Sogar der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes –
er vertritt kleine und mittlere Unternehmen – sagt:

Der Gesetzentwurf verliert die beiden eigentlichen
Problemgruppen – mittelständische Unternehmen
und Geringverdiener – aus den Augen .

Das ist der entscheidende, zentrale Punkt, den man Ihnen
zum Vorwurf machen kann .

Hier an dieser Stelle haben wir von Bündnis 90/Die
Grünen einen eigenen Antrag vorgelegt, der genau die-
sen Schwachpunkt erfasst . Wir sagen nämlich: Wer die
Betriebsrente wirklich umfassend verbreiten will, kommt
nicht darum herum, die Arbeitgeber – wie das übrigens
in Großbritannien der Fall ist – zu einem Angebot an die
Beschäftigten zu verpflichten. Das heißt, die Arbeitgeber
müssen nicht nur einen Zettel an das schwarze Brett hän-
gen, sondern ihren Beschäftigten ein Angebot unterbrei-
ten, das diese mindestens aktiv annehmen müssen . Der
Fachausdruck dazu lautet „active choice“. Ein Options-
modell wäre an dieser Stelle ebenfalls denkbar . Damit
nicht genug: Die Arbeitgeber müssen auch – das steht
ebenfalls in unserem Antrag – einen echten Eigenbeitrag
leisten . Das ist wichtig – Kollege Birkwald hat das schon
angedeutet –, damit die Betriebsrente ihre Funktion er-
füllt und ihren Namen verdient .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne sehen natürlich das Problem bei der soge-
nannten Haftungsverpflichtung gerade bei kleinen und
mittleren Unternehmen. Die Gärtnerei um die Ecke mit
sieben Angestellten hat sicherlich Probleme, über 50, 60
oder 70 Jahre die Beiträge zu garantieren und dafür zu
haften. Darum finden wir es richtig, einen Enthaftungs-
anreiz zu setzen, aber zielgenau . Wir wollen kleine und
mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten ent-
haften und ihnen die Beitragszusage ermöglichen . Aber
das gilt nicht für Großunternehmen. Das ist der Unter-
schied .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zudem wollen wir Anlagemöglichkeiten verbessern
und transparenter machen . Hierzu schlagen wir die Ein-
richtung eines Bürgerfonds vor wie schon bei der geför-
derten privaten Altersvorsorge . Beispielgebend ist hier
Schweden, wo unter Beweis gestellt wird, dass man mit
großen, kollektiven Kapitalstöcken in öffentlich-rechtli-
cher Verwaltung Gelder sehr günstig verwalten kann und
einfach zugängliche und transparente Angebote für Ver-
sicherte, aber auch – warum nicht? – für Betriebsrenten
machen kann . Es wäre ein entscheidender Schritt, sich in
dieser Richtung umzusehen und entsprechende Vorbilder
nachzuahmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da mir die Zeit leider davonläuft, will ich nur noch et-
was zum Freibetrag in der Grundsicherung sagen . Meine
Damen und Herren von der Koalition, ich glaube, dass

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Sie hier möglicherweise einen schwerwiegenden syste-
matischen Fehler mit Blick auf die Zukunft machen . Ich
befürchte, dass wir uns hier auf eine Kombirente zube-
wegen . Was wir Grüne vorschlagen, ist eine Garantieren-
te . Das heißt, wer 30 Versicherungsjahre vorweisen kann,
erhält eine aufgestockte Leistung, die etwas oberhalb der
Grundsicherung liegt . Dann wären Bedürftigkeitsprüfun-
gen und Anrechnungsverfahren überflüssig. Nach unse-
rer Auffassung sollten auf diese Leistung weder Betriebs-
renten noch private Vorsorge angerechnet werden . Das
wäre ein systematisch sinnvoller Weg, anstatt möglicher-
weise zu einer weiteren Verbreitung der Grundsicherung
beizutragen und schließlich faktisch zu einer Kombirente
zu kommen . Wir haben in den anstehenden Ausschusssit-
zungen noch Gelegenheit, über die zahlreichen anderen
Schwachpunkte, die ich aus Zeitgründen nicht anspre-
chen konnte – Stichwort „Pokerrente“ –, zu beraten.

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822204100

Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt hat Frau Kollegin

Dr . Carola Reimann von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1822204200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die heutige erste Lesung des Entwurfs eines
Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist ein klares Zeichen
für die Handlungsfähigkeit unserer Regierungskoalition .
Wir werden in den verbleibenden Wochen dieser Legis-
laturperiode die Zeit nutzen und bis Juni weitere wichti-
ge Weichenstellungen in der Alterssicherung vornehmen .
Neben dem Betriebsrentenstärkungsgesetz werden wir
die Absicherung der Erwerbsminderung weiter verbes-
sern . Wir werden mit der Ost-West-Rentenangleichung
die Weichen dafür stellen, dass 2025 endlich ein einheit-
liches Rentenrecht in ganz Deutschland gilt . Wenn sich
die Union in den nächsten Tagen noch einen Ruck gibt,
steht auch der gesetzlichen Solidarrente eigentlich nichts
mehr im Wege . Dann bekommen Beschäftigte, die jahr-
zehntelang gearbeitet, aber nur wenig verdient haben,
auf jeden Fall mehr als die Grundsicherung im Alter . Das
hilft vor allem Frauen . Das will ich in der Woche des In-
ternationalen Frauentags noch einmal betonen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])


Das Betriebsrentenstärkungsgesetz ist ein gelungenes
Beispiel dafür, wie man ein Gesetzgebungsverfahren er-
folgreich und sehr gut vorbereitet . Vor rund zwei Jahren
haben die ersten Diskussionen begonnen . Seitdem ist
es unserer Ministerin gelungen, die für die Umsetzung
zentral wichtigen Sozialpartner nicht nur ins Boot zu ho-
len, sondern auch von dieser Idee zu überzeugen . Das
hat mit viel Beharrlichkeit und guter, fundierter wissen-
schaftlicher Begleitung zu tun, vor allem aber auch mit
der Bereitschaft, mit allen Beteiligten ergebnisoffen die
Vor- und Nachteile zu diskutieren und abzuwägen . Da
schließe ich Ihren Ministerkollegen Herrn Schäuble aus-

drücklich ein . Für diesen Einsatz will ich mich an dieser
Stelle bedanken .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sind sehr
geeignet, die Verbreitung von Betriebsrenten in kleinen
Unternehmen und bei Beschäftigten mit kleinen Einkom-
men zu steigern . Das wird auch von den Gewerkschaften
so gesehen . Natürlich wünschen wir uns eine stärkere
Tarifbindung im Land. Das finde ich auch nicht verwerf-
lich, Kollegen . Deswegen haben wir, eingehend auf Ihren
Einwand, durch die Möglichkeit der Bezugnahme vor-
gesehen, tarifvertragliche Regelungen anzuwenden . Die
Hinweise, dass es in bestimmten Branchen Schwierigkei-
ten gibt, will ich gerne aufnehmen. Ich finde es aber sehr
erfreulich, dass zum Beispiel Verdi klar sagt, man werde
sich aktiv dafür einsetzen, das Sozialpartnermodell um-
zusetzen .


(Beifall bei der SPD)


Dabei sind die Branchen, im Speziellen der Einzelhan-
del, angesprochen .

Neben diesem Sozialpartnermodell sind es vor allen
Dingen drei Regelungen, die die Betriebsrente attraktiver
machen .

Erstens . Zukünftig zahlen Arbeitgeber den Großteil
der durch diese Entgeltumwandlung ersparten Beiträge
in die Betriebsrente ihrer Beschäftigten ein .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum nicht alles?)


Das ist heutzutage leider nicht die Regel . Es gibt aber,
wie ich finde, keinen Grund, warum Arbeitgeber davon
profitieren sollten, dass ihre Arbeitnehmer Teile ihres Ar-
beitslohns umwandeln . Da machen wir jetzt den ersten
Schritt . In den jetzt anstehenden Beratungen werden wir
deshalb noch einmal klären, ob diese Regelungen nicht
auch außerhalb des Sozialpartnerschaftsmodells Anwen-
dung finden sollten.


(Beifall bei der SPD)


Gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
wenig verdienen – da bin ich ganz bei Ihnen –, ist es
wichtig, dass sich die Arbeitgeber an ihrer Betriebsrente
beteiligen .

Zweitens . Wir als Staat werden uns deswegen an die-
ser Arbeitgeberfinanzierung massiv beteiligen. Zahlt der
Arbeitgeber einen Beitrag von 240 bis 480 Euro für sei-
nen Beschäftigten, bekommt er bis zu 144 Euro erstat-
tet . Das läuft ganz einfach und simpel über das Steuer-
abzugsverfahren . In den anstehenden parlamentarischen
Beratungen können wir gerne prüfen, ob wir die bisher
vorgesehene Lohngrenze in Höhe von 2 000 Euro nicht
besser auf 2 500 Euro anheben .


(Beifall bei der SPD)


Drittens . Kolleginnen und Kollegen, wir werden erst-
mals einen Freibetrag einführen . Das halte ich für extrem
wichtig . Wenn ich mit Leuten über die Betriebsrente
rede, werde ich ganz oft gefragt: Frau Reimann, lohnt
sich die Betriebsrente für mich denn überhaupt? Wenn

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


es schlecht läuft und ich im Alter auf Grundsicherung
angewiesen bin, wird die Rente doch angerechnet . Dann
habe ich nichts davon und hätte vielleicht das Geld vor-
her lieber für andere Sachen ausgegeben. – Das finde ich
sehr nachvollziehbar. Deshalb finde ich es wichtig, einen
Freibetrag einzuführen .

Die Ministerin hat diesen Schritt gerade als „histo-
risch“ bezeichnet; ich glaube, dass das ein ganz wichtiger
Punkt ist . Ein Sockelbetrag von 100 Euro bleibt immer
frei . Darüber hinaus werden zusätzlich 30 Prozent des
übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Al-
tersvorsorge bis zu einer Höchstgrenze von 50 Prozent
ebenfalls nicht angerechnet . Damit kann eine Zusatzrente
bis zu einem Höchstbetrag von 200 Euro anrechnungsfrei
bleiben . Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt,
dass der Regelbedarf für Alleinstehende im Moment bei
409 Euro liegt .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Lezius [CDU/CSU])


Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Betriebsren-
tenstärkungsgesetz kann es uns gelingen, die Zahl der
Betriebsrenten in kleineren Unternehmen und bei Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern insgesamt zu erhöhen .
Das ist das Ziel . Jetzt wird es darauf ankommen, dass die
Sozialpartner diese neuen Spielräume wirklich nutzen
und mit Leben füllen . Die bisherigen Signale sind viel-
versprechend . Aber eins müssen alle Beteiligten wissen:
Sollte es nicht klappen und sollten wir auf diesem Weg
keine Fortschritte erzielen, dann werden wir um ein Obli-
gatorium nicht herumkommen .

Danke .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Schon eingeplant, das Obligatorium?)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822204300

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Jetzt spricht für die

Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Michael Meister .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1822204400


Frau Präsidentin, vielen Dank! – Ich möchte mich zu-
nächst einmal im Namen von Frau Kollegin Nahles und
im Namen meines Ministers bei den Vertretern der Koa-
lition, die hier gesprochen haben, für die positive Würdi-
gung des Gesetzentwurfs, den wir gemeinsam vorgelegt
haben, ganz herzlich bedanken .

Wir wissen, dass wir eine gesetzliche Rente haben . An
dieser ändern wir heute nichts . Sie bleibt, wie auch schon
dargestellt worden ist, der wesentliche Stützpfeiler für
die Altersvorsorge . Wir müssen allerdings aufgrund der
Geburtenzahlen und der Alterung unserer Gesellschaft
einen Wandel feststellen . Deshalb ist es richtig, dass wir
die gesetzliche Rente im Umlageverfahren durch eine
betriebliche und private Altersvorsorge im Kapitalde-
ckungsverfahren flankieren.

Im Kapitaldeckungsverfahren stellt sich aktuell – das
stellen wir fest, wenn wir die Landschaft anschauen –
eine gewisse Herausforderung; denn wir befinden uns
in einer Niedrigzinsphase . Wenn wir jetzt einfach nichts
tun, dann wird es in Zukunft aufgrund dieser Niedrig-
zinsphase und der immer höheren Kapitalanforderungen,
die nötig sind, um eine Zusage einzuhalten, dazu kom-
men, dass es bei uns in Zukunft weniger kapitalgedeckte
Angebote gibt . Das kann aber nicht unser Ziel sein .

Schauen wir uns einmal Folgendes an: 40 Prozent
der Beschäftigten, die heute ein Einkommen unter
1 500 Euro im Monat haben, haben weder eine Betriebs-
noch Riester-Rente .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wovon sollen die das denn bezahlen?)


Angesichts dessen müssen wir uns doch Gedanken ma-
chen, wie wir diese Zielgruppe, also Menschen mit ge-
ringem Einkommen, in Zukunft erreichen können, um ihr
die Chance zu geben, neben der gesetzlichen Rente privat
oder betrieblich Altersvorsorge zu betreiben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stichwort „kleine Unternehmen“: Lediglich 30 Pro-
zent der Belegschaft in Unternehmen mit weniger als
zehn Mitarbeitern haben eine Anwartschaft im Bereich
der betrieblichen Rente .

Deshalb will ich noch einmal deutlich sagen, dass wir,
bezogen auf genau diese Zielgruppe, wollen, dass in Zu-
kunft nicht weniger, sondern mehr Vorsorge für das Alter
betrieben wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb setzen wir an dieser Stelle Anreize .

Es wird niemandem etwas genommen, was er bisher
hat . Frau Kollegin Nahles hat es vorhin sehr deutlich ge-
sagt: Alle Optionen, die bisher existieren, existieren auch
in Zukunft . Aber wir führen weitere Optionen ein, um
dafür zu sorgen, dass es eine betriebliche Altersvorsorge
geben kann .

An dieser Stelle muss man schon sagen, Herr Birkwald:
Wenn wir zum Ausdruck bringen, dass wir eine Garantie
wollen, dann bedeutet dies, dass Risiken ausgeschlossen
werden sollen . Mit der Garantie einer Leistung werden
aber auch Chancen ausgeschlossen . Deshalb ist das, was
Sie erzählen, nichts Gutes für die Beschäftigten, sondern
es ist eigentlich eine böse Botschaft, die Sie nur anders
formulieren . Das ist wie eine bittere Medizin, die Sie mit
Zucker überstreichen .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Wir sind von daher der Meinung, man muss den Be-
schäftigten neben den Wegen, die es derzeit gibt, auch
die Chance auf eine bessere Altersvorsorge einräumen,
und das heißt eben, wegzukommen von der Garantie-
leistung . Wenn man das macht, dann muss man natür-
lich Kontrollen einführen . Die Kontrolle erfolgt über die
Finanzaufsicht . Sie erfolgt aber auch über die Rahmen-
bedingungen, die die Tarifpartner setzen, und sie erfolgt
über die Steuerung der Tarifpartner . Ich habe mich schon

Dr. Carola Reimann






(A) (C)



(B) (D)


gewundert, dass gerade Linkspartei und Grüne hier ihr
Misstrauen gegen die Verantwortungsbereitschaft der Ta-
rifparteien formulieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann das gar nicht in meinen Kopf kriegen . Wir ver-
trauen den Tarifpartnern – eindeutig .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben doch den Kollegen Kurth gehört! Die Gewerkschaften sind selber skeptisch!)


Wir führen für die Geringverdiener einen sogenannten
bAV-Förderbetrag ein; das ist schon dargestellt worden .
Er beinhaltet eine 30-prozentige Förderung auf die Leis-
tung, die der Arbeitgeber gewährt . Das heißt im Klartext:
Der Mitarbeiter selbst muss nichts anderes tun, als zu sa-
gen: Ja, ich will diese Form der Altersvorsorge . – Dann
organisieren ihm sein Arbeitgeber und der Staat einen
Anspruch auf Altersvorsorge, der nicht auf die Grundsi-
cherung angerechnet wird . Ich glaube, auch hier ist das
Prinzip absolut richtig, den Menschen zu sagen: Wenn du
freiwillig selbst etwas für deine Altersvorsorge tust, dann
hast du mehr als derjenige, der nichts tut .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Genau dieses Prinzip implementieren wir hier . Ich halte
das für einen richtigen und zielführenden Schritt .

Dass wir hier eine Grenze setzen müssen, ist klar .
Ich habe gesagt: Wir wollen versuchen, Menschen mit
geringem Einkommen zu erreichen . Wir haben jetzt die
2 000-Euro-Grenze gesetzt . Ich will dazusagen: Dieses
Angebot ist additiv zu all den Möglichkeiten, die man
bei der Altersvorsorge im steuerlichen Bereich und durch
Riester-Rente hat . Das heißt, alles, was man seither ge-
macht hat, kann man weiterhin tun, und es kommt das
Angebot des Förderbetrages hinzu .

Was steuerliche Freibeträge für die betriebliche Al-
tersvorsorge angeht, haben wir bisher ein etwas büro-
kratisches und komplexes System aus einem Festbetrag
und einer prozentualen Größe bezogen auf die Beitrags-
bemessungsgrenze . Wir gehen jetzt hin, vereinfachen an
dieser Stelle und erhöhen . Bezogen auf das Jahr 2018
entsprechen 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze
über 6 000 Euro, die man steuerfrei in eine betriebliche
Altersvorsorge einzahlen kann . Es muss immer klar sein:
Das Ganze ist, weil es an die Beitragsbemessungsgrenze
gekoppelt ist, eine dynamische Regelung . Das heißt, die
Freibeträge werden in den Folgejahren aufwachsen und
die Chancen für eine bessere betriebliche Altersversor-
gung stärken .

Wir nehmen auch die Themen „Arbeitslosigkeit“,
„gebrochene Erwerbsbiografien“, „Elternzeit“ und „Aus-
landsaufenthalte“ in den Blick. Denn wir sagen: Wenn
jemand als Arbeitnehmer in eine solche Lage kommt,
dann kann er bis zum Zehnfachen des Jahresbetrags
nachholend in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen .
Das heißt, wir wollen auch die Menschen, die in irgend-
einer Form einen Bruch in ihrer Erwerbsbiografie haben,
erfassen . So kann man zum Beispiel, wenn man aus dem

Unternehmen ausscheidet, eine Abfindung nutzen, um
die eigene betriebliche Altersversorgung aufzufüllen . Ich
glaube, das ist ein gutes und flexibles Angebot.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin im
Rahmen der Flankierung durch die Tarifpartner von Ga-
rantierenten gesprochen . Wenn es nun heißt, dass am An-
fang eine Rente zugesagt wird, ist damit nicht gemeint,
dass wir eine konkrete Rente zusagen, wenn die Bei-
tragsleistung beginnt . Nein, erst wenn die Rentenphase
beginnt, wird eine Rente zugesagt . Das Ganze soll aber
zugleich so erfolgen, dass das Rentenniveau zum einen
nach unten abgesichert ist, aber sehr wohl auch über die
Dauer des Rentenbezugs ansteigen kann . Ich glaube, dass
das ein vernünftiger Anpassungsmechanismus mit Blick
auf Vermögens- und Ertragslage ist . Wir werden im Ka-
pitalanlagegesetz die Vorschriften so fassen, dass zwar
Chancen und Risiken bei der Kapitalanlage zugelassen
werden, die Risiken aber beherrschbar sein müssen .

Letzte Bemerkung: Wir haben auch die Riester-Ren-
te angefasst . Ich will hier ausdrücklich sagen: Ich halte
die Riester-Rente für etwas Positives, weil sie, wenn man
den staatlichen Anteil einbezieht, eine sehr ertragsstarke
Lösung ist . Deshalb sollten wir die Riester-Rente nicht
schlechtreden. Unser Ansatz an der Stelle ist vielmehr,
das Zulageverfahren zu verbessern, dafür zu sorgen, dass
die Menschen schneller Verlässlichkeit genießen und
dass wir auch für Kleinbeträge Abfindungsregelungen
bekommen .

Alles das sind Verbesserungen . Ich glaube, wir sollten
darüber diskutieren, ob wir die Riester-Rente nicht wei-
ter stärken können, anstatt sie in der öffentlichen Debat-
te schlechtzumachen; denn unser Ziel muss sein, mehr
Menschen zur freiwilligen Vorsorge zu bewegen, aber
nicht, sie von der freiwilligen Vorsorge abzuhalten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822204500

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Jetzt erteile ich

Ralf Kapschack von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1822204600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Betriebsrenten haben in
Deutschland eine lange Tradition . Die betriebliche Al-
tersversorgung bei Krupp, Siemens oder BASF ist älter
als die Deutsche Rentenversicherung .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!)


Trotzdem sind Betriebsrenten noch vergleichsweise we-
nig verbreitet. In Großbetrieben findet man sie und in
Branchen, in denen es starke Tarifpartner gibt . In kleinen
und mittleren Unternehmen und bei vielen gering bezahl-
ten Jobs sind sie immer noch die Ausnahme . Genau das

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


wollen wir ändern . Deshalb reden wir heute über das Be-
triebsrentenstärkungsgesetz .

Die gesetzliche Rente – das ist schon mehrfach betont
worden – bleibt für uns, für die SPD, die zentrale Säule
der Altersversorgung . Da gibt es überhaupt kein Vertun .


(Beifall bei der SPD)


Betriebliche Altersversorgung ist aber als kollektive Ab-
sicherung die beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb – mein Kollege Martin Rosemann hat das vorhin
schon angesprochen – kann es doch nicht sein, dass der-
jenige, der in einem Großbetrieb arbeitet, Glück gehabt
hat, und derjenige, der in einem kleinen oder mittleren
Betrieb arbeitet, Pech gehabt hat, was eine zusätzliche
betriebliche Altersversorgung angeht . Das kann doch
wohl nicht wahr sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun . Deshalb fordern
auch die Gewerkschaften einen Ausbau der betrieblichen
Altersversorgung .

Ich finde, jeder und jede sollte Zugang zu einer betrieb-
lichen Altersversorgung haben und dann frei entscheiden
können, ob er bzw . sie das nutzt oder nicht nutzt . Deshalb
bietet der Gesetzentwurf gerade für Geringverdienende
und für kleine und mittlere Betriebe neue Möglichkeiten,
in das Thema Betriebsrente einzusteigen. Ich hoffe sehr,
dass davon auch Gebrauch gemacht wird .

Ich sage ganz offen: Uns wäre es am liebsten, es gäbe
eine Verpflichtung der Arbeitgeber, mindestens ein An-
gebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen, am
besten mit einer Beteiligung des Arbeitgebers . Da gibt
es durchaus eine Übereinstimmung mit Bündnis 90/Die
Grünen . Wer über Fachkräftemangel klagt, wer die de-
mografische Entwicklung fast schon wie eine Apokalyp-
se beschreibt, der sollte auch etwas dafür tun, das eige-
ne Unternehmen im Wettbewerb um neue Beschäftigte
attraktiv zu machen . Das Angebot für eine zusätzliche
betriebliche Altersversorgung ist sicherlich ein gutes Ar-
gument für den eigenen Betrieb .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz-
entwurf stärken wir die Rolle der Tarifvertragspartei-
en und geben ihnen mehr Spielraum, in Tarifverträgen
betriebliche Altersversorgung zu gestalten . Sie, die Ta-
rifpartner, wissen am besten, was betriebs- und bran-
chenspezifisch geregelt werden kann und geregelt wer-
den muss . Ich sage an dieser Stelle auch: Mir wäre es am
liebsten, wir würden auch eine leichtere Allgemeinver-
bindlichkeitserklärung für entsprechende Tarifverträge
hinbekommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir geben den Tarifpartnern Spielräume, wir halsen
den Tarifpartnern aber auch einiges an Verantwortung
auf; auch das will ich ganz offen sagen. Mir ist schon
klar, dass der Verzicht auf Garantien in dem Modell der
Zielrente in gewisser Weise eine kommunikative Heraus-

forderung ist . Angesichts des großen Sicherheitsbedürf-
nisses in der Bevölkerung beim Thema Altersversorgung
wird es darauf ankommen, klarzumachen, dass Chancen
und Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehen
müssen und auch stehen sollen . Deshalb sollen die Ta-
rifpartner ja auch einen sogenannten Sicherungsbeitrag
vorsehen, der dazu eingesetzt wird, Schwankungen des
Kapitalmarkts auszugleichen . Wir halten es für sinnvoll,
dass verpflichtend vorgegeben wird, einen solchen Si-
cherungsbeitrag vorzusehen . Er soll nicht nur dazu die-
nen, Kapitalmarktschwankungen abzufedern; dieser Si-
cherungsbeitrag dient aber vor allem dazu, deutlich zu
machen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das
Anlagerisiko künftig nicht alleine tragen . Das ist ein ganz
wichtiger Punkt, um die Akzeptanz des neuen Sozialpart-
nermodells zu erhöhen .

Jeder lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt . Ich
habe keine Ahnung, wie lang der Weg zu einer wirk-
lich flächendeckenden betrieblichen Altersversorgung
ist . Aber wir gehen heute einen wichtigen, einen großen
Schritt . Mitgehen müssen diesen Weg jedoch die Tarif-
parteien, die kleinen und mittleren Unternehmen und vor
allen Dingen die Beschäftigten .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822204700

Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächstem erteile ich

das Wort Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1822204800

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Deutschland hat ein verlässliches
System der Alterssicherung, das auf drei Säulen beruht:
der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen
sowie der privaten Altersvorsorge. Unser Ziel ist es,
auch langfristig ein Gesamtversorgungsniveau aus allen
drei Säulen sicherzustellen, das annähernd dem heutigen
Niveau entspricht und dabei die junge Generation nicht
über Gebühr belastet .

Gerade Letzteres, die Frage der Generationengerech-
tigkeit, ist einer der zentralen Messsteine bei allen Vor-
schlägen, die Opposition und SPD vorgelegt haben und
vorlegen . Es geht also um die Frage: Wie generationen-
gerecht ist es? Wie stark werden unsere Kinder und Kin-
deskinder tatsächlich belastet?


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einmal, wie viel das in Euro im Schnitt pro Beschäftigten ist, Herr Kollege!)


Hier sehen wir letztlich auch, dass viele der Vorschläge
tatsächlich nachhaltig hinterhältig sind, weil sie zu mas-
sivsten Mehrbelastungen für die junge Generation füh-
ren .

Wir wollen das System an einzelnen Stellschrauben
nachjustieren . Wir wollen keine Revolution, keine Rol-
le rückwärts in der sozialen Sicherung in Deutschland,

Ralf Kapschack






(A) (C)



(B) (D)


sondern eine Evolution unseres bewährten Alterssiche-
rungssystems .

Mit der Rentenreform 2014 haben wir bereits in dieser
Wahlperiode wichtige rentenpolitische Maßnahmen ver-
abschiedet, die zu einer Stärkung der gesetzlichen Ren-
tenversicherung als erster und zentraler Säule der Alters-
sicherungssysteme in Deutschland geführt hat . Weitere
gesetzliche Vorhaben, beispielsweise zur Erwerbsminde-
rungsrente und zur Rentenangleichung Ost-West, werden
wir noch im Frühjahr im Deutschen Bundestag beraten .
Und mit dem Gesetzespaket, über das wir heute beraten,
verbessern wir die Bedingungen für die private und die
betriebliche Altersvorsorge .

Man kann es sich natürlich ganz einfach machen und
die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Zeiten der Niedrig-
zinsphase nach dem Motto „Alles gescheitert“ schlecht-
reden .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es doch!)


Nach demselben Muster hätte man im Übrigen vor zwölf
Jahren auch sagen können, das Umlageverfahren der ge-
setzlichen Rentenversicherung ist gescheitert .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Die Österreicher haben das, und das ist durchgängig besser!)


Erinnern wir uns doch einmal zurück: Vor zwölf Jahren
hatte Rot-Grün die gesetzliche Rentenversicherung an
die Wand gefahren .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da müssen wir Linke mitmachen, sonst wird das nichts, Herr Kollege! Das ist wohl wahr!)


Damals war die Rentenkasse pleite, und die laufenden
Renten konnten nur durch ein Bundesdarlehen des Bun-
desfinanzministers gezahlt werden.

Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente steht heute
deshalb so blendend da, weil der Jobmotor in Deutsch-
land brummt, weil wir die Rahmenbedingungen für
Wachstum und Beschäftigung seit Jahren richtig gesetzt
haben .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber die Rentnerinnen und Rentner stehen nicht gut da, nur die Rentenversicherung! Das ist ein Unterschied!)


Unsere Aufgabe als Union ist es, die Rahmenbedingun-
gen auch in Zukunft sicher und richtig zu setzen . Es hat
sich gezeigt: Das kann nur, meine sehr verehrten Damen
und Herren, die Union richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


All das, was Opposition und SPD und insbesondere
Schulz vorschlagen,


(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Guter Mann! – Ralf Kapschack [SPD]: Wer ist das noch mal?)


führt dazu, dass der Jobmotor abgewürgt wird – mit fata-
len Folgen für alle .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Schulz ist schuld!)


Allein aufgrund unserer Maßnahmen konnten wir
also in dieser Wahlperiode nach mehr als 20 Jahren die
Leistungen für die Menschen wieder deutlich verbessern .
Das hätten sich viele vor zwölf Jahren sicherlich nicht
träumen lassen . Das zeigt: Rentenpolitik ist nichts für
Schnappatmer .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt auch für die Riester-Rente und vor allem auch
für die betriebliche Altersvorsorge . Viele Millionen Men-
schen sorgen privat für ihr Alter vor . Ich stehe zum Auf-
und Ausbau der zweiten und dritten Säule und halte es
deshalb auch sozialpolitisch für zwingend, ihre Bedin-
gungen zu verbessern . Mit der Gesetzesvorlage der Re-
gierung setzen wir an zwei entscheidenden Stellschrau-
ben an .

Zum einen geht es um die stärkere Verbreitung der be-
trieblichen Altersvorsorge . Sie muss für die Mitarbeiter
von kleinen und mittleren Betrieben selbstverständlich
werden . Ende 2015 hatten circa 17,7 Millionen sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigte eine Anwartschaft bei
ihrem Arbeitgeber . Das sind knapp 60 Prozent aller sozi-
alversicherungspflichtig Beschäftigten. Allerdings – der
Kollege von den Grünen hat ja darauf hingewiesen –: In
Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten verfügen
lediglich 28 Prozent der Mitarbeiter über Betriebsren-
tenanwartschaften . Das müssen wir ändern . Die Gründe
hierfür sind vielfältig: Verwaltungsaufwand und andere
Kosten, vielleicht auch ein nicht zu kalkulierendes Haf-
tungsrisiko .

Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung setzt bei
einer Analyse genau dieser Punkte an und setzt auf die
Sozialpartner . Künftig sollen auf der Grundlage von Ta-
rifverträgen sogenannte reine Beitragszusagen – nicht
verbunden mit Mindest- oder Garantieleistungen – mög-
lich gemacht werden . Der Gesetzentwurf ist an dieser
Stelle zunächst einmal Ergebnis eines zähen Ringens von
Bundesarbeitsministerium und Finanzministerium, aber
auch Sozialpartnern . Sicherlich nicht alle Seiten sind
zufrieden, wenngleich die Idee der Enthaftung, also nur
eine reine Beitragszusage vorzusehen, stimmt . Die reine
Beitragszusage ist eine große Chance für ein stärkeres
Engagement in der betrieblichen Altersvorsorge .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und ein großes Risiko!)


Wir setzen auch mehr Anreize für Geringverdiener,
auch hier mittels zwei Stellschrauben . Einmal geht es um
den Auf- und Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge .
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass wir in Zu-
kunft bis zu 202 Euro anrechnungsfrei stellen und damit
das klare Signal aussenden: Freiwillige Altersvorsorge
zu betreiben, lohnt sich auf jeden Fall . – Zum anderen
wird die staatliche Förderung optimiert durch ein spezi-
fisches Steuerfördermodell gerade für Geringverdiener.
Insgesamt sind es 430 Millionen Euro, die zusätzlich in

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


die Hand genommen werden . Weitere 75 Millionen Euro
stehen aktuell in der Prüfung, auch vonseiten der Bun-
desregierung .

Sicherlich werden wir weiterhin prüfen, wie wir es
besser machen können, um gerade die betriebliche Al-
tersvorsorge zu stärken . Stärkere Tarifbindung mag gut
und schön sein; in erster Linie muss es jedoch darum
gehen, die betriebliche Altersvorsorge deutlich zu ver-
bessern, auch in der Breite . Hier sehe ich noch Diskus-
sionsbedarf . Wir müssen auch darüber diskutieren, wie
wir an dieser Stelle auch für nicht tarifgebundene Betrie-
be – über das hinaus, was wir zur reinen Beitragszusage
derzeit im Gesetzentwurf haben – noch weitere Verbes-
serungen vornehmen können .

Ich hoffe, dass wir eine fachlich ausgerichtete Debatte
letztlich zu all diesen Punkten haben werden . Ich freue
mich auf diese und freue mich vor allem, dass wir Ihnen
nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen einen
noch besseren Gesetzentwurf zur Abstimmung vorlegen
können .

Ein herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822204900

Vielen Dank, Herr Kollege . Das war richtiges

Timing . – Als letzter Rednerin in dieser Aussprache er-
teile ich nunmehr das Wort Frau Kollegin Anja Karliczek
von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anja Karliczek (CDU):
Rede ID: ID1822205000

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Lieber Herr Kieseheuer, schön, dass Sie
heute Morgen hier sind! Herzlich willkommen!


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich darf hier als letzte Rednerin den sogenannten
Lumpensammler machen und will nur noch den einen
oder anderen Punkt ansprechen; denn, ich glaube, vom
Grundsatz her ist so ziemlich alles angesprochen worden,
was in irgendeiner Form in diesem Gesetzentwurf steht .

Ich will noch ein klein wenig weiter ausholen . Warum
ist das Ganze, was wir machen, überhaupt so wichtig?
Wenn wir darüber nachdenken, was wir im Moment erle-
ben, dass nämlich eine Gesellschaft massiv verunsichert
ist durch Globalisierung, Digitalisierung und wahnsinnig
schnelle Veränderungen, dann wird uns klar, wie wichtig
es ist, dass wir uns des Themas einer guten Altersversor-
gung annehmen und eine Möglichkeit schaffen, im Alter
gut versorgt zu sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lieber Herr Birkwald, genau darum ist es so wichtig,
dass wir die Altersvorsorge an sich sichern und nicht dau-

ernd nur darüber sprechen, wie wir das in der gesetzli-
chen Rentenversicherung machen wollen .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gucken Sie mal nach Österreich! Da kann man lernen, dass das viel besser ist!)


– Wenn ich nach Österreich schaue, sehe ich doch, dass
die Österreicher Riesenprobleme damit haben .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo denn?)


– Die pulvern Steuern in das System hinein und wissen
nicht, wie sie es langfristig bezahlen wollen . So geht es
definitiv nicht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt ja nicht!)


– Das stimmt wohl .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir waren gerade da! Haben alle das Gegenteil erzählt!)


Ich habe mit den Kollegen gesprochen .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir auch!)


Genau das ist der Punkt . Das ist etwas, was wir nicht
wollen . Wir wollen den Menschen etwas zusagen, was
langfristig durchzuhalten ist, was auch langfristig finan-
zierbar ist. Und deswegen fordere ich Sie auf: Suggerie-
ren Sie nicht immer das Verkehrte!


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch! Das schaffen die Österreicher! Jede Wette!)


Wichtig ist uns, dass wir neben der gesetzlichen Ren-
te – Frau Nahles hat das ja am Anfang gesagt – eine ver-
nünftige kapitalgedeckte Rente auf die Füße stellen . Die
Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl ar-
beitsrechtlich als auch hinsichtlich der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen stark verändert . Deswegen müssen
wir da ran . Herr Kurth hat eben ein paar schöne Argu-
mente gebracht, etwa, dass man aufgrund der Niedrig-
zinsphase überlegen muss, wie man das anders gestalten
kann . Da bin ich sehr dabei . Das ist genau der Ansatz, mit
dem wir an die Sache herangehen .

Ich will ein paar Punkte ansprechen und arbeite mich
einmal so ein bisschen von hinten nach vorne .

Unser Staatssekretär Dr. Meister hat Riester angespro-
chen . Das ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel . Riester
ist kapitalgedeckte Altersvorsorge in der zweiten oder in
der dritten Säule . Das kann man wählen, wie man möch-
te . Über unser Betriebsrentenstärkungsgesetz hinaus
wollen wir ja auch, dass die echte Doppelverbeitragung,
nämlich die Zahlung von Krankenversicherungs- und
Pflegeversicherungsbeiträgen in der Ansparphase und in
der Auszahlungsphase, abgeschafft wird, weil sie über-
haupt nicht der Systematik entspricht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur bei Betriebs-Riester! Das sind 0,1 Prozent!)


Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


– Moment, es geht doch aber darum, dass es für alle passt
und nicht nur für ein paar .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Aber für alle abschaffen! Nicht nur für Betriebs-Riester!)


An dieser Stelle möchte ich also noch einmal eine
Lanze für Riester brechen . Je geringer der Verdienst ist,
umso höher ist die Förderung . Genau an dieser Stelle,
finde ich, tun wir Gutes, wenn wir die Förderung erhöhen
und das Zulageverfahren vereinfachen; denn das ist häu-
fig das Hindernis. Wenn wir jetzt die Förderung erhöhen,
ist das, glaube ich, an der Stelle schon der richtige Weg .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will noch einen Satz zu den Direktversicherungs-
geschädigten sagen . Sie haben sie eben angesprochen .
Sie tun so, als wenn es dafür eine ganz einfache Mög-
lichkeit geben würde und als wenn wir in dem vorliegen-
den Gesetzentwurf nichts für die Direktversicherungsge-
schädigten vorsehen würden . Das, was wir mit diesem
Betriebsrentenstärkungsgesetz tun, zielt auf die Zukunft .

Wenn wir über die Direktversicherungsgeschädigten
sprechen – Sie haben über das Jahr 2004 gesprochen –,
dann wissen Sie so gut wie ich, dass alles das, was seither
passiert ist, die Lage nicht einfacher gemacht hat . Seien
Sie versichert – Herr Kieseheuer weiß das –, dass wir
diesbezüglich im Austausch sind und uns darüber unter-
halten, was man denn überhaupt tun kann, um ein Sys-
tem, das 2004, ich sage mal, einen Schlag von der Seite
gekriegt hat, das aber schon vorher so vielfältig war in
seinen Bedingungen, was Sozialversicherungsbeiträge,
was die Besteuerung usw . angeht, wieder in Ordnung
zu bringen . Das ist keine Sache, die ich von heute auf
morgen erledigen kann und die zum Beispiel so ein Be-
triebsrentenstärkungsgesetz zu Fall bringen darf . Wir
versuchen, eine Lösung zu finden, die in der Systematik
vernünftig ist, um nicht neue Ungerechtigkeiten zu schaf-
fen . Aber das ist nicht Teil dieses Gesetzes .

Ich bin ja bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass die Sys-
tematik für alle passen muss, wenn wir die betriebliche
Altersvorsorge wirklich stärken wollen . Aber wir dürfen
nicht das eine mit dem anderen vermengen und so tun,
als ob wir das eine nicht machen könnten, ohne uns mit
dem anderen zu beschäftigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nächster Punkt: Garantien . Garantien sind heute eine
Zwangsjacke für die Chancenverwertung . Genau an
dieser Stelle muss man sehen, dass wir nun sagen, wir
wollen mehr Freiheit bei der Chancenverwertung geben;
denn niemand von uns kann abschätzen, wie sich die Si-
tuation über 40 Jahre entwickelt . Bei einer Laufzeit von
40 Jahren gibt es immer Tief- und Hochphasen . Dafür
brauchen wir einen Ausgleich . Den bekommen wir auch
im Sozialpartnermodell . Wir wollen ihn auch außerhalb
des Sozialpartnermodells . Wichtig ist an der Stelle aber,
dass wir die Chancenverwertung nicht denen ermögli-
chen, die ohnehin privat sparen können . Sie haben dann
mehr Chancen und am Ende noch mehr . Wir müssen
doch die Chancen für alle gleich gestalten, gerade in der

Altersvorsorge . An dieser Stelle müssen wir weiter da-
ran arbeiten, dass wir Chance und Kontrolle gerade für
die Menschen, die wenig verdienen, vernünftig gestalten,
und da auch aufpassen, dass es gut funktioniert .

Wichtig ist mir, noch einmal zu sagen – meine Zeit ist
schon wieder abgelaufen –,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur die Redezeit, Frau Kollegin! Nur die Redezeit!)


dass wir für die Menschen, die wenig verdienen, auch
in der kapitalgedeckten Altersvorsorge eine gute Lösung
schaffen wollen und dass nur ein Nebeneinander von
umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Rente wirklich
Wohlstand im Alter schafft. Wir geben das Signal: Wer
ein Leben lang gearbeitet hat und selbst vorgesorgt hat,
der ist im Alter auch gut abgesichert . Dieses Versprechen
des Sozialstaats wollen wir wieder auf vernünftige Füße
stellen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822205100

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Damit schließe ich die-

se Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/11286, 18/11402 und 18/10384
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint
der Fall zu sein . Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 52 a und 52 b sowie
29 auf:

52 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz,
Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Sicherheit durch weniger Waffen

Drucksache 18/11417
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und

(4 . Ausschuss)

Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz,
Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Handlungsbedarf im Waffenrecht für
mehr öffentliche Sicherheit

Drucksachen 18/9674, 18/11444

29 . Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Waffengeset-
zes und weiterer Vorschriften

Drucksache 18/11239

Anja Karliczek






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Damit ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist Frau
Kollegin Irene Mihalic von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822205200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! „Nun ist es endlich so weit“, will man
spontan sagen . Endlich befasst sich die Koalition einmal
mit dem Waffengesetz.

Anschläge überall in Europa, Amokläufe, Angriffe auf
Flüchtlingsunterkünfte, Reichsbürger mit ganzen Waf-
fenarsenalen im Keller – überall zeigt sich: Es gibt be-
stimmte Menschen und Gruppierungen, deren verbreche-
rische Pläne darauf gründen, dass der Zugang zu Waffen
und Sprengstoffen immer noch viel zu leicht ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber die Bundesregierung hat jahrelang nichts getan, um
den Zugang zu Waffen zu erschweren. Sie diskutieren
hier lieber über Fußfesseln oder – so wie gestern – über
Burkaverbote, anstatt ganz praktisch für mehr öffentliche
Sicherheit zu sorgen . Diese Wurstigkeit ist kaum noch
auszuhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicherheitsrisiko GroKo!)


Nun haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt . Aber
gleich im zweiten Satz des Gesetzentwurfes steht die
eigentliche Kernaussage. Dort heißt es nämlich: „Eine
systematische Verschärfung ist nicht erforderlich.“ Mit
Ihrem Entwurf nehmen Sie die Interessen der Waffenlob-
by also gleich vorweg . Diese hat ja in dieser Woche allen
Mitgliedern des Innenausschusses noch eine nette Kar-
te geschrieben mit der klaren Ansage: Parteien, die das
Waffenrecht verschärfen, werden wir nicht wählen. – Ich
kann Sie da beruhigen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition: Mit dem, was Sie hier vorlegen, ist
Ihre Wählbarkeit bei dieser Klientel garantiert nicht ge-
fährdet .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Nachgiebigkeit geht aber zulasten der waffenlo-
sen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, nur weil die
anderes zu tun haben, als permanent bei Ihnen für ihre
Interessen einzutreten . Das ist eine völlige Verkehrung
Ihrer Regierungsverantwortung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vieles in Ihrem Gesetzentwurf ist ja nicht grundle-
gend falsch . Das will ich hier an dieser Stelle auch ein-
mal sagen .


(Beifall des Abg. Michael Frieser [CDU/ CSU] – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/ CSU]: Oh!)


– Ja, da können Sie ruhig einmal applaudieren .


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Man nimmt alles, was man kriegen kann! Es ist nicht alles falsch!)


Feuerwaffen sollen bei der Deaktivierung unbrauchbar
gemacht werden, eine befristete Amnestie soll Bürgerin-
nen und Bürger dazu ermutigen, Waffen und Munition,
für die sie keine Erlaubnis haben, abzugeben .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr vernünftig!)


Das ist alles gut und richtig und sehr vernünftig . Aber
schon bei der dringend erforderlichen Neuregelung zur
Aufbewahrung von Schusswaffen werden Sie windel-
weich . Sie gewähren großzügigsten Bestandsschutz, und
geht es nach der CSU, dann sollen am besten auch noch
Kinder und Enkelkinder Opas ollen Waffenschrank wei-
terbenutzen dürfen . Das verstehe, wer will – ich kann es
nicht nachvollziehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es fällt einfach auf, liebe Kolleginnen und Kollegen
gerade von der Union, dass es Ihnen unheimlich leicht
fällt, für all Ihre Placebogesetze – diese Woche sind ja
davon wieder einige am Start – die Axt an die Bürger-
rechte zu legen; das ist alles überhaupt gar kein Problem
für Sie. Aber geht es um Waffenbesitzer, dann sind Sie
plötzlich die Garanten der Freiheit,


(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


als wären Waffenbesitzer Superbürger und ihre Interes-
sen Supergrundrechte . So ist es aber nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Waffen stellen eine potenzielle Gefahr für Leib und
Leben der Menschen dar, und dementsprechend gilt es,
hochsensibel mit dem Thema privater Waffenbesitz um-
zugehen . Diesem Befund trägt unser Antrag Rechnung,
den wir vor allem mit Blick auf die aktuellen Gefahren-
lagen unserer Zeit hier heute vorlegen . Wir sagen, wir
brauchen endlich konsequente Regeln für die getrennte
Aufbewahrung von Schusswaffen und Munition in Pri-
vathaushalten .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Gibt es doch schon!)


Wir müssen dringend sicherstellen, dass schussfähige
Waffen nicht in falsche Hände geraten, und wir brauchen
regelmäßige Eignungs- und Zuverlässigkeitsprüfungen
für Waffenbesitzer.


(Oswin Veith [CDU/CSU]: Gibt es schon! – Michael Frieser [CDU/CSU]: Haben wir alles!)


Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Dagegen haben Sie auf EU-Ebene ganz lange heftig mo-
bilisiert .

Wir brauchen endlich eine Regelung, die gewährleis-
tet, dass relevante Informationen der Sicherheitsbehörden
schon bei der Antragsprüfung hinreichend berücksichtigt
werden und an die zuständigen Waffenerlaubnisbehör-
den weitergeleitet werden . Wir haben laut Verfassungs-
schutzpräsident Maaßen 700 Reichsbürger, die in Waffen
stehen. Da wäre eine Prüfung vor Erteilung einer waffen-
rechtlichen Erlaubnis sehr hilfreich gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wie im bayerischen Innenministerium!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen end-
lich eine Reform des Waffenrechts, die den Zugang zu
Waffen und Munition deutlich erschwert. Ihr Gesetz-
entwurf trägt diesem Ansinnen leider in keiner Wei-
se Rechnung . Wenn Sie unter dem Punkt Alternativen
„Keine“ schreiben, dann entspricht das vielleicht dem
Merkel’schen Politikstil, aber eben nicht der Wahrheit .
Eine Alternative zeigen wir Grünen mit unserem Antrag
auf und stellen ihn hier zur Abstimmung .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822205300

Nunmehr erteile ich das Wort dem Kollegen Oswin

Veith von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oswin Veith (CDU):
Rede ID: ID1822205400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute debattieren wir nicht nur über Änderungen am
Waffengesetz – das begrüßen wir –, sondern auch über
Anträge der Grünen, die erhebliche Änderungen oder,
besser gesagt, Verschärfungen und Restriktionen am
Waffengesetz einfordern. Diesem Ansinnen tritt meine
Fraktion entschieden entgegen;


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)


um es gleich deutlich auf den Punkt zu bringen .

Erstens . Ich lehne weitere Verbote, neue Einschrän-
kungen und Restriktionen gegen rechtschaffende waffen-
führende Bürger ab .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Rechtschaffend“!)


Zweitens. Die CDU/CSU stellt Jäger, Sportschützen,
Gebirgsschützen und Waffensammler


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Reichsbürger!)


nicht unter einen Generalverdacht, wie Sie von den Grü-
nen es tun .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Drittens. Die CDU/CSU weiß um die Rechtschaffen-
heit und Gesetzestreue der Besitzer legaler Waffen und
anerkennt ihren persönlichen Beitrag – im Falle der Jäger
zur Hege und Pflege von Flora und Fauna, unserer Natur,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch nicht mit der Waffe!)


im Falle der Sportschützen zum fairen sportlichen Wett-
bewerb bis hin zu Weltklasseleistungen olympischen
Ausmaßes sowie im Falle von Waffensammlern und Ge-
birgsschützenkompanien zur historischen Dokumentati-
on alter Waffen und alten Brauchtums.

Viertens . Es wird Sie deshalb nicht überraschen, wenn
wir Ihre Anträge auch heute wieder ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie sind nämlich nichts Neues – „the same procedure as
every year“, könnte man sagen.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis Sie es lernen, Herr Veith! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie uneinsichtig sind!)


Immer wieder fordern Sie die Verschärfung unseres
jetzt schon sehr strengen Waffenrechtes, und Sie begrün-
den es immer wieder mit dem Argument, dass nur so die
innere Sicherheit verbessert werden könne .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mal ganz praktisch! Weniger Waffen, mehr Sicherheit!)


Aber gut, auch heute werden wir Ihnen erklären, warum
eine Verschärfung des Waffengesetzes, wie Sie es wollen,
nicht geeignet ist, die innere Sicherheit in unserem Land
zu erhöhen, und weshalb wir Ihre Anträge wieder einmal
ablehnen müssen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Vielleicht kommt mal ein Argument!)


Zuerst möchte ich aber auf die notwendig gewordene
Änderung am Waffengesetz eingehen. Das Waffenge-
setz ist an die technische Entwicklung anzupassen. Um
eine sichere Verwahrung von Waffen gewährleisten zu
können, wird der Sicherheitsstandard für die Aufbewah-
rung an die aktuellen technischen Standards angepasst .
Hierbei geht es nicht darum, flächendeckend neue Waf-
fenschränke einzuführen . Vielmehr soll die technische
Entwicklung berücksichtigt werden . Die Technologien
sollen zukünftig ohne Änderung des Waffengesetzes ein-
setzbar sein; denn aus sicheren Waffenschränken können
Waffen nicht in falsche Hände geraten. Die Union konnte
erreichen, dass ein Bestandsschutz für Waffenbesitzer im
Gesetzentwurf verankert wird . Das heißt, jeder darf seine
jetzigen Schränke weiter behalten und weiter nutzen . Das
war ein hartes Stück Arbeit, meine sehr verehrten Damen
und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Den bayerischen Vorschlag, die Bestandsschutzrege-
lung auf im gleichen Haushalt lebende Personen zu er-

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


weitern, begrüße ich sehr, genauso wie die Vorschläge
bezüglich der Situation von Erben . Wir sollten uns in den
kommenden Wochen dieser Diskussion noch öffnen, um
weiter an dem Entwurf zu arbeiten .

Nur für Neuanschaffungen sollen die aktualisierten
technischen Vorgaben verpflichtend sein. Wer einen
Waffenschrank im Jahre 2017 kauft, muss auch auf die
technischen Sicherheitsmöglichkeiten der Jahre 2017 ff.
zurückgreifen .

Weiterhin wollen wir den Umlauf von illegalen Waf-
fen eindämmen . Wir wollen, dass Menschen, die illegal
im Besitz von Waffen und Munition sind, diese freiwillig
abgeben . Wir bieten dafür Strafverzicht an . Wir ermög-
lichen damit eine Brücke in die Legalität. Straffreiheit
erhält jeder, der binnen eines Jahres nach Inkrafttreten
dieses Gesetzes illegal erworbene Waffen und Munition
bei der entsprechenden Behörde abgibt .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schieß-
sport, die Jagd und das Sammeln von historischen Waf-
fen gehören für mich zu den bürgerlichen Freiheiten und
auch zur Tradition unseres Landes . In Schützenvereinen
kommen rechtschaffene Bürger wie Polizisten, Beam-
te, Professoren, Politiker, Ärzte und Arbeitnehmer zu-
sammen, um sich ihrem Hobby zu widmen . Die erste
Lektion, die ein Sportschütze erhält, ist der verantwor-
tungsbewusste Umgang mit der Waffe. Deshalb kann ich
nicht verstehen, dass solche Persönlichkeiten generalver-
dächtigt werden und dass suggeriert wird, sie seien eine
potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die
Ordnung in unserem Land . Das ist nicht richtig . Das soll-
te hier deutlich gesagt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun zu Ihren Anträgen; ich will das gerne für Sie über-
nehmen, Frau Kollegin Mihalic, Sie haben ja so gut wie
nichts über Ihre Anträge gesagt . Eine Gefahr für die inne-
re Sicherheit geht nicht von legalen Waffen aus, wie Sie
es immer behaupten . Ich halte es für sehr naiv, zu glau-
ben, dass mit noch strengeren Regeln im Waffenrecht ein
Mehrwert an innerer Sicherheit gewonnen werden kann .
Hat sich jemand bewusst entschieden, unsere Rechts-
ordnung zu missachten, dann hält ihn auch das strengste
Waffengesetz nicht auf. Die von Ihnen geforderten Ver-
schärfungen betreffen in erster Linie rechtstreue Bürger,
die legal Waffen besitzen dürfen. Mit einer Änderung im
Waffenrecht bzw. einer Verschärfung wird allenfalls indi-
rekt die illegale Verwendung von Waffen erschwert.

Mit Ihren Anträgen zeigen Sie wieder, dass für Sie die
Hauptschuldigen für Taten wie in München oder Paris
bereits feststehen, nämlich die Besitzer legaler Waffen
wie die Jäger und Sportschützen . Ich will an der Stelle
sagen, dass das Problem nicht die Besitzer legaler Waf-
fen sind; und Sie wissen das, wenn Sie ehrlich sind . Das
Problem liegt eindeutig beim Besitz illegaler Waffen und
deren Verwendung . Dort setzen wir an, und das unter-
scheidet uns von Ihnen, den Grünen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum genau?)


Sie begründen Ihre Anträge – wie übrigens jeden An-
trag, den Sie zu diesem Thema hier einbringen – mit den
besorgniserregenden Tötungsdelikten in Europa, die mit
Schusswaffen begangen worden sind. Für das Berichts-
jahr 2015 wurden laut Bundeslagebild Waffenkriminali-
tät 130 Straftaten gegen das Leben registriert, das sind
2,8 Prozent aller erfassten Fälle im Bereich der Waffen-
kriminalität . Klar ist: Jeder Fall ist einer zu viel, jeder
Einzelfall ist und bleibt schrecklich . Aber aufgrund sol-
cher Zahlen ein allgemeines Gefährdungspotenzial von
Besitzern legaler Waffen herauszupressen, halte ich für
vermessen oder verblendet . Zudem werden mehr Men-
schen mit Messern, wie sie in jedem Haushalt zu finden
sind, verletzt oder gar getötet als mit Schusswaffen. Ich
bin gespannt, wann Sie das Verbot von Küchenmessern
fordern werden .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Veith, das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?)


Ich will – da Sie es nicht getan haben – noch kurz
weitere Forderungen aus Ihren Anträgen erwähnen . Sie
wollen die Nutzung von halbautomatischen Waffen ver-
bieten, wenn diese nach objektiven Kriterien besonders
gefährlich sind . Als Kriterien nennen Sie die Anzahl der
Selbstladungen, die Beschaffenheit des Laufs, Kaliber,
Magazinkapazität und Diverses mehr . All das soll Ihrer
Auffassung nach über die Gefährlichkeit von Waffen
Auskunft geben . Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung
sagen: Diese Kriterien sind nicht geeignet, um die Ge-
fährlichkeit einer Waffe zu bestimmen, insbesondere ist
das Kaliber kein taugliches Merkmal für die Gefährlich-
keit einer Waffe.

Sie fordern weiterhin, dass ein zentrales Waffenregis-
ter in allen EU-Mitgliedstaaten eingerichtet wird. Doch
schon jetzt gibt es für alle Mitgliedstaaten die Verpflich-
tung zur Errichtung eines Waffenregisters. Auch Sie wis-
sen, dass wir in Deutschland vorbildlich das Recht be-
reits zum 1 . Januar 2013 umgesetzt und ein Nationales
Waffenregister eingerichtet haben, also sehr viel früher
als von der EU gefordert.

Sie wollen, dass die Mitgliedstaaten ein Kontrollsys-
tem einrichten, worüber die körperliche und geistige Eig-
nung für den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen
sichergestellt wird . Das haben wir teilweise schon . Ver-
pflichtende medizinisch-psychologische Untersuchun-
gen bei der Erlaubniserteilung


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wäre mal was!)


lehnen wir als Union, lehnen wir als Koalition aber ab.
Das finde ich richtig, und das ist auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die größte Herausforderung ist und bleibt der Kampf
gegen den illegalen Waffenhandel. Zuvorderst geht es
dabei um den illegalen Internethandel mit Waffen. Im
Darknet – das wissen wir – können Waffen im großen
Stil und anonym gekauft und verkauft werden . Das aller-
dings – das ist Konsens – kann nicht sein und darf nicht
sein, meine sehr verehrten Damen und Herren .

Oswin Veith






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb will die Koalition verstärkt mit spezialisierten
Ermittlern, die im Darknet gezielt nach illegalem Waf-
fenhandel suchen, dagegen vorgehen . Übrigens tut das
auch schon die Sondereinheit der Generalstaatsanwalt-
schaft Frankfurt zur Bekämpfung der Internetkriminali-
tät, abgekürzt ZIT, in Gießen, unmittelbar neben meinem
Wahlkreis gelegen, bereits jetzt in hervorragender Weise .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie mal zuerst sagen sollen!)


Gestatten Sie mir zum Schluss ein Fazit . In der öf-
fentlichen Anhörung haben uns die Sachverständigen
versichert, dass der legale Waffenbesitz in Deutschland
keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Das liegt
nicht zuletzt daran – das wissen auch Sie; ich werde nicht
müde, das immer wieder zu sagen –, dass wir eines der
schärfsten Waffengesetze in der ganzen Welt haben. Na-
türlich gibt es immer wieder Einzelfälle, die sich nicht an
die Regeln halten; aber eine Schwalbe macht noch lange
keinen Sommer .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na ja, „Sommer“? Das ist aber ein Vergleich! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollateralschaden!)


Einzeltaten können nicht mit einem noch so strengen
Waffengesetz verhindert werden. Die von den Grünen
vorgeschlagenen Maßnahmen – wir haben das in der An-
hörung und auch heute gehört – bieten keinerlei Sicher-
heitsmehrgewinn für die Bürger in unserem Land . Wir
lehnen sie deshalb ab. Die Anpassung unseres Waffen-
gesetzes an den neuesten technischen Stand halte ich für
notwendig und bitte daher um Ihre Unterstützung.

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822205500

Frau Kollegin Martina Renner von der Fraktion Die

Linke hat nunmehr das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822205600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vorweg sei gesagt: Es geht hier nicht um einen General-
verdacht gegen Schützen und Jäger .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die überwiegende Zahl geht verantwortungsvoll mit
Waffen um.

Notwendige Einschränkungen im Waffenrecht sorgen
immer für Aufregung . Ähnlich viel Gegenwind bekommt
man eigentlich nur, wenn man ein Tempolimit auf Auto-
bahnen fordert .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)


Beiden Debatten ist gemeinsam: Es geht nicht um die
Beschneidung von Freiheitsrechten . Es gibt kein Frei-
heitsrecht, auf der Autobahn zu rasen, und es gibt kein
Freiheitsrecht, am Schießstand mit der Pumpgun zu bal-
lern .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht in der Debatte zum Waffenrecht weder um die
sonst übliche Symbolpolitik in der Sicherheitspolitik
noch um ein Placebo . Es geht um reale und nachweisli-
che Verbesserungen der öffentlichen Sicherheit.

Ausgangspunkt des Antrags von Bündnis 90/Die Grü-
nen, den wir bis auf einen Punkt unterstützen, ist Fol-
gendes: Auch legaler Waffen- und Munitionsbesitz ist
eine Gefahrenquelle, die sich nicht mit der Erteilung von
Erlaubnissen erledigt . Wir erkennen an, dass die meisten
Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Waf-
fen begangen werden; aber es ist auch unsere Pflicht, Ge-
fahren, die von legalen Waffen ausgehen, zu minimieren.

Fangen wir bei den sogenannten Dekowaffen an. Re-
aktivierte Dekorations- und Salutwaffen sind eine reale
Bedrohung für die Bürger und Bürgerinnen . Der Attentä-
ter von München, ein rassistischer Hitler-Verehrer, be-
nutzte im Sommer 2016 eine reaktivierte Salutwaffe, um
insgesamt neun Menschen zu töten . Der Händler dieser
Waffe und vermeintliche Mittäter hatte an Kunden zwi-
schen 17 und 60 Jahren ähnliche Waffen verkauft.

Sogenannte Dekorations- und Salutwaffen sind nicht
nur in anderen europäischen Staaten, sondern auch in
Deutschland immer noch erlaubnisfrei zu haben . Wie
Sie wissen, komme ich aus Thüringen . Ich habe einmal
einen Büchsenmacher in der Waffenstadt Suhl gefragt.
Er braucht eine halbe Stunde, um eine Dekowaffe, deren
Lauf zugeschweißt wurde, wieder schussfertig zu ma-
chen .

Nun zum zweiten großen Thema, zu den Gefah-
ren durch halbautomatische Waffen: Der Attentäter am
Gutenberg-Gymnasium in Erfurt benutzte eine Selbstla-
depistole und ein Repetiergewehr . Beides sind halbauto-
matische Waffen, die er als Schütze erworben hatte. Die
Bundesregierung schreckt immer noch davor zurück,
endlich Besitz und Nutzung halbautomatischer Waf-
fen drastisch einzuschränken bzw . zu verbieten . Gerade
diese Waffen verfügen aber über das Potenzial, dass ein
Einzeltäter in kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Men-
schen verletzen oder ermorden kann .

Wir müssen uns auch vor Augen führen, in welcher
Situation diese Debatte stattfindet. Deutschland erlebt
gerade eine Explosion rechter und rassistischer Gewalt .
Im Jahr 2013 zählte das Bundeskriminalamt 265 rechte
Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen. Im Jahr 2014
waren es schon 536. Das ist mehr als doppelt so viel. Un-
ter den dabei eingesetzten Waffen waren auch legale Waf-
fen . Kollegin Mihalic hat ja schon darauf hingewiesen:
700 sogenannte Reichsbürger sollen über waffenrechtli-
che Erlaubnisse verfügen, ebenso wenigstens 400 Neo-
nazis . Als Mitglied des Innenausschusses erinnere ich
mich auch zuletzt an den Nazi-Druiden mit seinen 1 200
Schuss legaler Munition .

Oswin Veith






(A) (C)



(B) (D)


Kommen wir zum Kleinen Waffenschein für Signal-,
Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Im letzten Jahr gab
es 470 000 neue Anträge auf diesen neuen Waffenschein.
Ich sage: Selbstbewaffnung ist ein Problem.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbstbewaffnung ist vor allem dann ein Problem, wenn
sie mit dem Gedanken der Selbstjustiz verbunden ist .
Wer denkt, das beschränke sich auf eine kleine gesell-
schaftliche Minderheit, der irrt . Die Kunden des illegalen
Waffenversandhandels „Migrantenschreck“ waren Ärzte,
Anwälte, Ingenieure und Richter . Sie kauften angeblich
harmlose Luftdruckwaffen, die aber tödliche Verletzun-
gen hervorrufen .

Nun zur angekündigten Differenz zum Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen: Als linke Innenpolitikerin sehe
ich den Inlandsgeheimdienst nicht für die Prüfung der
Zuverlässigkeit von Antragstellern geeignet . Er riet in
der Vergangenheit dazu, dass V-Leute sich Waffenbe-
sitzkarten beschaffen sollten. Er sah zu, wie der Nazi-
spitzel Tino Brandt ein Gelände kaufte, auf dem er einen
Schießstand für Wehrsportübungen errichtete . Staatliche
Zuträger im Umfeld des NSU besorgten Waffen und
Sprengstoff und bauten Rohrbomben. So werden Gefah-
ren erst geschaffen.

Eine Bemerkung zum Gesetzentwurf: Natürlich müs-
sen die Vorschriften zur Aufbewahrung von Waffen dem
heutigen technischen Stand entsprechen . Das ist eine
Selbstverständlichkeit, glaube ich . Die Sorge der Waf-
fenbesitzer vor zusätzlichen Kosten hatte jetzt eine Be-
sitzstandsklausel im Gesetzentwurf zur Folge . Für uns
muss aber gelten: Verwahrgelasse müssen auf der Höhe
der Zeit sein . Sicherheit geht hier vor Kostenersparnis .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können also festhalten: Von Waffen kann eine töd-
liche Gefahr ausgehen . Diese Gefahr wird nicht kleiner,
wenn wir so tun, als ginge sie nur von illegalen Waffen
aus . Sie wird auch nicht kleiner, wenn wir den Inlands-
geheimdienst über die Zuverlässigkeit von Antragstellern
entscheiden lassen . Wenn wir der Gefahr Einhalt gebie-
ten wollen, kommen wir um effektive Einschränkungen,
europäische Vereinheitlichungen, wirksame Kontrollen
und die sichere Aufbewahrung von Waffen in den Hän-
den von Privaten nicht herum .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822205700

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächste hat die

Kollegin der SPD-Fraktion Gabriele Fograscher das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1822205800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Waffen – ja, das stimmt – sind und bleiben gefährliche

Gegenstände . Deshalb ist es gerechtfertigt, dass jemand,
der in Deutschland legal eine Waffe besitzen will, zahl-
reiche Voraussetzungen erfüllen muss .

Bestimmte Waffentypen dürfen ab dem 18. Lebens-
jahr besessen werden, andere erst ab Vollendung des
21 . Lebensjahres . Für sie gilt: Bis zur Vollendung des
25 . Lebensjahres ist ein amts- oder fachärztliches oder
fachpsychologisches Zeugnis über die geistige Eignung
vorzulegen . Der Antragsteller muss zuverlässig sein . Zu-
verlässigkeit fehlt zum Beispiel bei Verurteilung wegen
eines Verbrechens oder Verurteilung zu 60 Tagessätzen
und mehr, bei wiederholtem und gröblichem Verstoß ge-
gen Waffengesetz, Sprengstoffgesetz oder Bundesjagd-
gesetz sowie bei Mitgliedschaft in einer verfassungs-
feindlichen Vereinigung .

Wer eine Waffe erwerben will, muss persönlich geeig-
net sein . Das heißt, Alkohol- oder Suchtmittelabhängig-
keit, psychische Erkrankung oder Gefahr eines unvor-
sichtigen oder unsachgemäßen Umgangs widersprechen
einer solchen Eignung. Zudem muss waffenrechtliche
und rechtliche Sachkunde nachgewiesen werden . Die
Haftpflichtversicherung, die Sie in Ihrem Antrag for-
dern, ist bereits jetzt Pflicht. Der Antragsteller muss min-
destens zwölf Monate Mitglied in einem anerkannten
Schießsportverein sein und dort regelmäßig schießen . Er
darf nur die Waffen erwerben, die er für seine Schießdis-
ziplinen benötigt . Die ordnungsgemäße Aufbewahrung
muss nachgewiesen werden und kann durch verdachts-
unabhängige Kontrollen jederzeit von den zuständigen
Behörden überprüft werden . Verstöße dagegen sind straf-
bewehrt .

Die überwiegende Mehrheit der Waffenbesitzer ver-
hält sich rechtstreu. Das deutsche Waffenrecht ist streng
und hat sich bewährt . Weitere Verschärfungen bringen
nicht mehr Sicherheit; das hat die Anhörung, die wir im
November 2016 durchgeführt haben, ergeben . Das aber
scheinen die Grünen überhört zu haben . Denn sie schie-
ben heute einen weiteren Antrag nach, der dem heute ab-
schließend zu beratenden Antrag sehr ähnlich ist; in Tei-
len ist er sogar wortgleich . Ihre Forderungen aber sind
reine Placebos . Ich nenne einige Beispiele .

Der Titel Ihres neuen Antrags lautet: „Mehr Sicherheit
durch weniger Waffen“. Das ist mit Zahlen nicht zu be-
legen. Die Anzahl der legalen Waffen steigt, die Zahl der
Straftaten mit Schusswaffen nimmt aber in den letzten
Jahren kontinuierlich ab, so die Polizeiliche Kriminalsta-
tistik .

Weiter schreiben Sie in Ihrem Antrag:

Die gegenwärtige Sicherheitslage, die insbesondere
durch die Bedrohung durch rechtsextreme und is-
lamistische Anschläge geprägt ist, lässt es jedoch
notwendig erscheinen, weitergehende Regelungen
im Waffenrecht zu treffen.

Einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen,
die wir in letzter Zeit leider erlebt haben, und dem Waf-
fenrecht besteht aber nicht . Der Anschlag in Würzburg
wurde mit einer Axt verübt . In Ansbach explodierte eine
Splitterbombe . Der Anschlag in München war ein Amok-
lauf. Die Waffe erwarb der Täter illegal im Darknet. Die

Martina Renner






(A) (C)



(B) (D)


Waffe, die bei dem Attentat auf den Berliner Weihnachts-
markt benutzt wurde, war illegal erworben worden . Kei-
ne dieser Taten hätte durch ein schärferes Waffenrecht
oder das Verbot bestimmter Waffentypen verhindert wer-
den können .

Weiter erklären Sie in Ihrem Antrag, dass laut Poli-
zeilicher Kriminalstatistik 2015 mehr als 15 000 Tatver-
dächtige erfasst wurden, die bei der Begehung der Tat
eine Schusswaffe mitgeführt haben. Ich will mich nicht
über diese Zahlen streiten . Ich habe sie so jedenfalls nir-
gendwo gefunden. Die Frage ist doch: Um was für Waf-
fen handelt es sich? Handelt es sich um erlaubnisfreie
Waffen, um legale Waffen oder um illegale Waffen? Dies
wird in der Statistik nicht erfasst .

Sie fordern immer wieder, dass halbautomatische
Waffen, die Kriegswaffen ähnlich sind, verboten werden
sollen. Das Aussehen einer Waffe sagt aber nichts über
ihre Gefährlichkeit aus . Ich darf Sie einmal kurz daran
erinnern: Die Streichung des Verbots von kriegswaffen-
ähnlichen halbautomatischen Schusswaffen war kein
Versehen der damaligen rot-grünen Bundesregierung .
Wir haben das bewusst gemacht; denn es gab große Ab-
grenzungsprobleme bei der Frage, was eine kriegswaffen-
ähnliche Schusswaffe ist und was nicht. Das Verbot hat in
der Praxis nie gegriffen.

Kurios ist auch Ihre Forderung nach einer Abkühl-
phase zwischen Erwerb und Erhalt einer Waffe. Was soll
das bringen? Der einzig vernünftige Vorschlag, den Sie
machen und den wir teilen, ist die Regelabfrage bei den
Sicherheitsbehörden vor Erlaubniserteilung für den Er-
werb, den Besitz und das Führen einer Waffe.

Um wirklich mehr Sicherheit zu schaffen, hat die
Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags umsetzt . Die
technische Entwicklung hat auch vor der Verbesserung
der Sicherheitsbehältnisse für die Aufbewahrung von
Waffen und Munition nicht haltgemacht. Deshalb soll
das künftige Sicherheitsniveau dieser Behältnisse an den
aktuellen Stand der Technik angepasst werden . Das gilt
nur für den Erwerb neuer Sicherheitsbehältnisse . Legal-
waffenbesitzer und -besitzerinnen können die vorhan-
denen, den alten Standards entsprechenden Behältnisse
weiterhin nutzen . Deshalb soll eine Besitzstandsregelung
gelten .

Das Waffengesetz ist ein kompliziertes Gesetz, voll
mit Verweisen, technischen Normen usw . Das erschwert
den Vollzug . Deshalb werden technische Normen dem
Gesetz entnommen und auf der Ebene einer Rechtsver-
ordnung geregelt . Anregungen der Kommunen und der
Länder wurden umgesetzt, um den Vollzug leichter und
praktikabler zu machen . Die neue, einfachere Schema-
tisierung bringt auch Erleichterungen für die Waffenbe-
sitzer mit sich . Diese hatten teilweise Probleme mit der
Komplexität des Gesetzes . Das führte nicht selten unwil-
lentlich zu strafbewehrten Rechtsverstößen . Diese Feh-
lerquelle soll nun minimiert werden .

Die Amnestieregelung soll mit diesem Gesetzentwurf
erneut, auf ein Jahr befristet, umgesetzt werden . Somit
besteht die Möglichkeit, unerlaubt besessene Waffen
oder Munition straflos abzugeben. Eine solch befristete

Amnestieregelung haben wir bereits im Juli 2009 bei der
Novellierung des Waffenrechts in das Gesetz geschrie-
ben . In einer Kleinen Anfrage hatten wir nachgefragt, wie
viele Waffen aufgrund der Amnestieregelung abgegeben
wurden . In der Antwort der Bundesregierung heißt es:

Die Amnestieregelung . . . hat bis Ende 2009 zur bun-
desweiten Abgabe von mehr als 200 000 Waffen bei
Waffenbehörden und Polizeidienststellen der Län-
der geführt .

Diese rund 200 000 Waffen wurden in weniger als
sechs Monaten abgegeben . Grundsätzlich werden diese
Waffen vernichtet. Nur zum Beispiel besonders wertvol-
le Stücke werden in Sammlungen aufgenommen . Diese
Zahlen zeigen: Die Amnestieregelung hat sich bewährt .
Deshalb ist es sinnvoll und richtig, sie erneut ins Gesetz
zu schreiben. Je weniger unerlaubt besessene Waffen im
Umlauf sind, desto besser.

Ebenfalls mit diesem Gesetz soll die EU-Deaktivie-
rungsdurchführungsverordnung in deutsches Recht um-
gesetzt werden. Die Verordnung regelt die Unbrauch-
barmachung von Schusswaffen sowie die Einzelprüfung
jeder deaktivierten Schusswaffe. Seit April 2016 ist die
Verordnung verbindliches Recht mit Anwendungsvor-
rang. Nun folgt die notwendige Umsetzung in nationales
Recht .

Wenn wir schon Änderungen am Waffenrecht vorneh-
men, sollten wir in den anstehenden Beratungen darüber
diskutieren, wie wir es verhindern können, dass Extre-
misten oder sogenannte Reichsbürger legal an Waffen
kommen . Es kann nicht sein, dass Menschen, die gegen
unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kämp-
fen, diese abschaffen wollen oder unseren Staat erst gar
nicht anerkennen, legal Schusswaffen erwerben oder be-
sitzen können . Deshalb fordern wir eine Regelabfrage
bei den Verfassungsschutzämtern vor Erteilung einer Er-
laubnis für den Erwerb, den Besitz und das Führen einer
Waffe. Ich hoffe, wir können unseren Koalitionspartner
von der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugen .


(Beifall bei der SPD)


Eines möchte ich an dieser Stelle nochmals betonen:
Wir stellen keine Schützin und keinen Schützen, keine
Jägerin und keinen Jäger, auch keine Sammlerin und
keinen Sammler unter Generalverdacht . Wir stellen auch
niemanden unter Terrorverdacht, wie in vielen Mails,
die mich in den letzten Tagen und Wochen erreicht ha-
ben, behauptet wird . Wir suchen immer nach einer Ba-
lance zwischen den berechtigten Interessen der legalen
Waffenbesitzer auf der einen Seite und den um die öf-
fentliche Sicherheit besorgten Bürgerinnen und Bürgern
auf der anderen Seite . Wir respektieren die Argumente
beider Seiten . Wir haben daher ein wachsames Auge auf
das Waffenrecht. Wir wollen Lösungen, die Sport und
Brauchtumspflege nicht unzumutbar beschränken, son-
dern die Bevölkerung effizient vor dem Missbrauch lega-
ler Schusswaffen schützen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gabriele Fograscher






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822205900

Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher . – Jetzt hat als

letzter Redner in dieser Aussprache Michael Frieser von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1822206000

Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank . – Meine sehr

verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fograscher,
am Ende des Tages sind wir wieder bei den Jägern und
Sammlern. Wenn man zum Thema Waffenrecht und zum
verantwortungsvollen Umgang mit Waffen etwas sagt,
fühlt man sich in diesem Land an Charlton Heston erin-
nert, dem man, selbst als er im Sterben lag, die Waffe fast
aus der Hand reißen musste . Liebe Grüne, es wird Ihnen
nicht gelingen, dieses Land, vor allem die Sportschützen,
die Jäger und die Menschen, die verantwortungsvoll mit
Waffen umgehen,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sammler auch!)


zu Militaristen zu machen . Das wird nicht klappen, auch
wenn Sie es immer wieder versuchen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sinnvollerweise hat Kollegin Mihalic zu ihrem eige-
nen Antrag nichts gesagt, sondern sich ganz grundsätz-
lich geäußert . Ich glaube, das war auch gut .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie nicht zugehört, Herr Frieser!)


Ich will einen Punkt aufgreifen – ich bin dem Kollegen
Oswin Veith und Frau Fograscher dankbar, dass sie ihn
angesprochen haben –, und zwar das Thema Mehrfach-
schützen und die Frage des Mehrfachschusses mit einer
Waffe. Was ist hier wirklich gefährlich? Man muss hier
extrem aufpassen . Euer Antrag ist hier so missverständ-
lich formuliert, dass man ehrlich sagen muss: Die histo-
rischen Sportschützensiege, die unsere Athleten sehr zu
unserer Freude erzielt haben, wären nach eurem Antrag
tatsächlich nicht möglich gewesen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Mit was sollen sie am Ende denn trainieren? Mit Stein-
schleudern?

Letztendlich muss man zumindest aufpassen, wie man
es formuliert, wenn man versucht, den Eindruck zu erwe-
cken, dass das Problem in diesem Land tatsächlich alle
Waffen seien. Das ist erkennbar falsch.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Großkaliber!)


Nach allen Statistiken und allen Zahlen, die uns zugäng-
lich sind, ist es eindeutig: Das Problem in diesem Land
sind die illegalen und nicht die legalen Waffen, weil diese

sich in Händen von Menschen befinden, die wissen, wie
man damit umgeht .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Die Attentäter haben in der Regel legale Waffen!)


Sie sind sich nicht nur klar darüber, welche Eignung sie
haben müssen, sondern sie wissen auch, wie man einiger-
maßen verantwortungsvoll damit umgeht . Darauf kann
man sich tatsächlich verlassen .


(Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Zugang zu Waffen schafft Taten!)


Es ist ein schmaler Grat zwischen der Freiheit des
Menschen, im Rahmen seiner Freizeit oder seines Be-
rufes mit einer Waffe umgehen zu dürfen, und einem
entsprechenden Verbot, und die Politik muss sich dieser
Grenze wirklich bewusst sein . Deshalb bringt die Bun-
desregierung diesen Gesetzentwurf ein, zu dem ich nur
sagen kann: Wer es ernst meint mit einem sinnvollen und
verantwortungsvollen Umgang mit Waffen, der sollte
diesem Gesetzentwurf tatsächlich zustimmen .

Eine Amnestie ist sinnvoll, weil wir keine illegal be-
sessenen Waffen haben wollen. Die Menschen müssen
wissen, dass es wieder in Ordnung ist, wenn sie diese
Waffen abgeben.

Zur Aufbewahrung . Natürlich ist es klar, dass der Waf-
fenschrank, den man sich heute anschafft, zeitgemäß sein
soll . Das muss aber nicht heißen – darüber sollten wir
noch einmal reden –, dass man sich am Ende des Tages
einen neuen Waffenschrank anschaffen muss, wenn man
zu zweit einen Waffenschrank benutzt und legal Waffen
darin aufbewahrt hat und der Zweite sich verabschiedet .
Im Ergebnis heißt das aber doch nicht, dass man den
Waffenschrank über fünf Generationen hinweg vererbt.

Ich bitte einmal, erstens die Kirche im Dorf und zwei-
tens die Waffe im Schrank zu lassen; denn an dieser Stelle
ist meines Erachtens vollkommen klar, dass auch das zu
einem wirklich verantwortungsvollen Umgang gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann nur sagen: Wir wissen, dass das Problem in
diesem Land die illegalen Waffen und die Bezugswege
sind und dass vor allem das Thema Darknet ganz wesent-
lich ist . In jeder zweiten Sitzung des Innenausschusses
kauen wir das durch, und wir haben an dieser Stelle vie-
le Initiativen bezüglich des Umgangs mit den entspre-
chenden Daten gestartet . Ich muss hier schon einmal die
Frage stellen: Wie kommen wir an die Ursprünge heran?
Wie ertüchtigen wir unsere Behörden gerade in diesem
Punkt, die Wege nachzuvollziehen?

Die Grünen sind gegen alle unsere entsprechenden
Anliegen . Treten Sie uns im Kampf im Darknet gegen
illegale Waffendeals an die Seite, wenn es um die Über-
wachung und Ertüchtigung unserer Behörden an dieser
Stelle geht . Hier können wir beieinander sein . Aber dazu
müsst ihr wahrscheinlich noch über euren Schatten sprin-
gen .






(A) (C)



(B) (D)


Im Ergebnis bleibt es dabei: Wir sollten es ernst damit
meinen, dass wir nicht versuchen, die Menschen in eine
illegale Ecke zu stellen . Wenn es nach Ihnen geht, ist an-
scheinend jeder nur dann ein guter Bürger, wenn er ein
schlechtes Gewissen hat, wenn er eine Waffe in die Hand
nimmt . Ich bin froh um Menschen, die wissen, wie man
damit verantwortungsvoll umgeht .

Ich habe mich bei meiner Kommune und auch bei
anderen Kommunen davon überzeugt: Die Behörden
wissen genau, wie man mit diesem Thema umgeht . Sie
kennen ihre Klientel und wissen, was sie nachvollziehen
müssen, wo sie nachfragen müssen und wie sie das um-
setzen müssen .

Deshalb kann ich nur sagen: Wer es ernst damit meint,
dass er beim verantwortungsvollen Umgang mit legalen
Waffen bleiben will, der kann das tatsächlich nur mit der
Union schaffen und der sollte dem Gesetzentwurf zustim-
men . Wer darüber hinausgeht, der verdächtigt Menschen,
die das nach meiner Auffassung nicht verdient haben.

Man sollte uns tunlichst die notwendigen Mittel an
die Hand geben, damit an der Stelle, wo man sich ille-
gale Waffen beschaffen kann, nämlich im Netz und im
Darknet, wirklich zugepackt und die Behörden tatkräftig
unterstützt werden können .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822206100

Herzlichen Dank, Herr Kollege . – Damit schließe ich

die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/11417 und 18/11239 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall
zu sein . Damit sind die Überweisungen so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 52 b . Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Handlungsbedarf im Waffenrecht für
mehr öffentliche Sicherheit“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11444,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/9674 abzulehnen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir dagegen!)


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regie-
rungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an-
genommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 53 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
derung des Straßenverkehrsgesetzes

Drucksache 18/11300

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Alexander Dobrindt . – Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir geben heute
den Startschuss für das innovativste Straßenverkehrs-
recht der Welt mit einer rechtlichen Gleichstellung von
Menschen und Computern als Fahrer . Das heißt im Klar-
text: In der Zukunft darf der Computer ans Steuer .

Das ist in der Tat ein echter Paradigmenwechsel und
die größte Reform unseres Straßenverkehrsgesetzes seit
dessen Inkrafttreten vor über 100 Jahren .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 176!)


So eine Regelung, die die Innovation im Bereich der Mo-
bilität abbildet, gibt es bisher in keinem anderen Land der
Welt . Das heißt, wir übernehmen die Innovationsführer-
schaft und stellen uns als Autoland beim automatisierten
und vernetzten Fahren an die Spitze .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der gesamten Milchstraße!)


Der Sprung zum automatisierten Fahren ist in der Tat
die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des
Automobils . Zum ersten Mal verändert sich durch den
technologischen Fortschritt nicht nur das Auto, sondern
letztlich auch der Fahrer und damit die Mobilität als Gan-
zes .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es verändert sich der Fahrer? Das müssen Sie mir erklären!)


Wir werden erleben, dass sich damit die Zahl der Unfäl-
le auf unseren Straßen erheblich reduzieren lässt . Über
90 Prozent der Unfälle sind auf menschliche Fehler zu-
rückzuführen . Die werden natürlich massiv zurückge-
drängt werden .

Wir erhöhen die Kapazität unserer Straßen . Wir kön-
nen mit automatisierten Fahrsystemen bis zu 80 Prozent
mehr Kapazität auf den Straßen abbilden und werden da-
mit die Staus deutlich reduzieren .

Wir werden auch den überflüssigen Parksuchverkehr
in unseren Städten – 40 Prozent des Autoverkehrs, der
zurzeit auf den Straßen Berlins stattfindet, ist Parksuch-

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


verkehr – reduzieren . Auch er wird zukünftig so nicht
mehr notwendig sein .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Gesetzentwurf gibt darauf keine Antwort!)


Beim automatisierten Fahrsystem werden auch Parkplät-
ze durch den Computer identifiziert und gefunden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nichts mit Ihrem Gesetz zu tun!)


Das ist ein ganz, ganz großer Vorteil für die Mobilität
neben dem, dass wir dann gerade auch in ländlichen Re-
gionen Mobilität bis ins hohe Alter möglich machen und
die individuelle Mobilität durch automatisiertes Fahren
stärken .

All das bedeutet in der Summe: weniger Unfälle, mehr
Kapazität, weniger unnötige Straßenverkehre . Das sind
große Vorteile .

Ich habe gerade mit einer Gruppe von Landfrauen aus
dem Pfaffenwinkel, die mich besucht haben, darüber ge-
sprochen: alles große Fans des automatisierten Fahrens .
Das ist es, was bei den Menschen ankommt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alle spüren, dass sich das Leben gerade im Bereich
der Mobilität radikal und grundlegend revolutioniert . Die
meisten freuen sich auch darauf, dass wir mit dem auto-
matisierten Fahren in ein neues Zeitalter kommen .

Es wird bei allen Start-up-Unternehmen, ob im Silicon
Valley oder in Deutschland, gerade kein Thema so inten-
siv bearbeitet wie das automatisierte Fahren .

Übrigens: Die großen IT-Konzerne sind genauso in-
tensiv dabei, an selbstlernenden Systemen zu arbeiten .
Dabei geht es um das sogenannte Deep Learning . Bei
diesen Systemen wird mit Algorithmen gearbeitet, die
ihre eigenen Erfahrungen selbstständig umsetzen, um
in vergleichbaren Situationen optimiert zu reagieren . Es
steht eine künstliche Intelligenz dahinter, welche die Au-
tos lenkt . All das ist kombiniert mit der modernsten Sen-
sorik . Auch geht es dabei um Kameratechnik und intelli-
gente Karten . All das wird in wenigen Monaten Realität
in den Autos sein .

Das wird natürlich auch eine enorme Auswirkung auf
die Wertschöpfung am Automobil haben . All diejeni-
gen, die zurzeit an Softwarelösungen für Autos arbeiten,
wollen letztlich einen Teil der Wertschöpfung an diesen
Autos für sich gewinnen. Unsere Aufgabe ist es, dafür
zu sorgen, dass diese Wertschöpfung hier im Autoland
Deutschland bleibt und nicht vielleicht in die asiatischen
Märkte oder nach Amerika abwandert .

Auf jeden Fall ist klar, dass der Wettbewerb um die
Wertschöpfung an den Autos auch die Grundlage für
Wachstum, Arbeit und Wohlstand verändert . Wenn wir
diesen Wettbewerb verlieren sollten, dann sind auch Ar-
beit, Wachstum und Wohlstand in Deutschland infrage

gestellt . Deswegen wollen wir an der Spitze dieser inno-
vativen Bewegung sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Platz ist dabei keine Alternative . Des-
wegen habe ich schon zu Beginn meiner Amtszeit eine
umfassende Strategie zum automatisierten Fahren vorge-
stellt . Ein Element dieser umfassenden Strategie ist das
Digitale Testfeld Autobahn auf der A 9 in Bayern, auf
dem wir durch den Aufbau einer intelligenten Sensorik,
die sich auf der Straße befindet, Echtzeitkommunikation
zeigen können . Sie macht es möglich, dass die Straße mit
den eigenen Daten, die sie erhebt, wirklich real mit den
Autos kommunizieren kann . Das ist etwas, was in keiner
anderen Region der Welt so möglich ist .

Wir haben es geschafft, dass die Autos, aus dem Labor
kommend, auf der Straße in einer echten Fahrsituation
im Realverkehr weiter erforscht und entwickelt werden .
Dabei werden die neuen Technologien erprobt, um die
Grundlage dafür zu schaffen, dass wir beim automatisier-
ten Fahren auch in Zukunft die meisten Patente – so wie
bisher auch – anmelden können . Wir wollen nicht, dass
dies in andere Regionen der Welt abwandert .

Allein die Tatsache, dass man eine Straße so mit Sen-
sorik ausgestattet hat, dass sie mit eigener Intelligenz
einen echten Kommunikationsvorgang mit den Autos
schaffen kann und man mit der Zahl der erhobenen Da-
ten dann auch in der Lage ist, die neuen Fahrzeuge im
Realverkehr zu zeigen, ist sensationell . Deshalb greifen
inzwischen auch alle internationalen Unternehmen im
Bereich des Automobilsektors – das betrifft auch die Zu-
lieferer – darauf zu . Sie erproben ihre Fahrzeuge auf un-
serem digitalen Testfeld .

Bei der Änderung unseres Straßenverkehrsrechts geht
es konkret darum, dass wir den hoch- oder vollautomati-
sierten Fahrsystemen die Fahraufgabe übergeben wollen .
Dafür sind die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Natürlich geht es in dem Zusammenhang auch um die
Haftungsfrage, die wir in unserem Gesetz geklärt haben .
Wenn der Computer fährt, dann haftet am Schluss der
Hersteller . Auch das ist eine klare Botschaft an all die-
jenigen, die diese Fahrzeuge entwickeln, und auch an
diejenigen, die sie nutzen wollen . Wir zeigen klar und
deutlich, dass die Digitalisierung in unserem Land eine
ganz große Chance in sich birgt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen aber alle anderen anders!)


Wir unterstützen das . Wir setzen auf Innovation und
nicht auf Stagnation . Das heißt, dass wir uns der Digita-
lisierung mit großen Schritten nähern .

Herr Krischer, Sie haben einen Zwischenruf gemacht .
Ich habe natürlich auch gelesen, was in Ihrem Fraktions-
beschluss zur Zukunft des Automobils steht . Sie reden
beim automatisierten Fahren nicht über Chancen, son-
dern über Datenschleudern und Datenkraken. Und Sie
reden darüber, dass es eine Gefahr gebe .

Ich kann Ihnen an der Stelle nur sagen: Wer hier die
Chancen nicht erkennt, wer nicht endlich erkennt, dass

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


Daten der Rohstoff für Digitalisierung und damit für un-
seren zukünftigen Wohlstand sind, der verspielt eine gan-
ze Menge an Zukunftschancen der nächsten Generation,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man es aber gut machen!)


Ich habe durchaus mitbekommen, dass Sie, als es
um Ihren letzten Parteitagsbeschluss zur Verkehrswen-
de ging, kein Wort über das automatisierte Fahren ver-
loren haben . Stattdessen haben Sie das große Potenzial
der Lastenfahrräder beschrieben . In Berlin haben Sie das
sogar in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben . Das
kann man machen . Rikscha statt Fahrcomputer, das ist Ihr
Mobilitätskonzept für das 21 . Jahrhundert . Aber ich kann
Ihnen sagen, dass eine ganze Reihe Dritte-Welt-Länder
mit aller Kraft daran arbeitet, von der Rikscha wegzu-
kommen . Sie wollen uns dorthin führen . Wo andere also
die Vergangenheit sehen, sehen Sie unsere Zukunft .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie leben im Zeitalter des Dieselmotors!)


Das ist beim besten Willen kein Garant für Arbeit, für
Wohlstand und für Wertschöpfung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir gehen den anderen Weg . Wir gehen konsequent den
Weg hin zum automatisierten Fahren .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822206200

Vielen Dank . – Jetzt erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822206300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, ich wäre schon froh, wenn hier im so von
Ihnen bezeichneten Autoland Deutschland die Automo-
bilkonzerne in der Lage wären, die von Ihnen vereinbar-
ten Abgasgrenzwerte einzuhalten, und wenn wir diesbe-
züglich von keinen Gefahren für unsere Gesundheit mehr
ausgehen müssten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun geht es in erster Lesung um den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes .
Das hört sich nicht sonderlich spannend an . Schließlich
geht es in diesem Gesetz um Führerschein auf Probe, den
Bußgeldkatalog oder Haftpflichtfragen. Doch die Ände-
rung, die nun vorgesehen ist, geht weit darüber hinaus . Es
geht um automatisiertes Fahren, genauer gesagt: um teil-
oder hochautomatisiertes Fahren . Aber egal, ob es sich
um teil- oder hochautomatisiertes Fahren handelt, wir ha-
ben es mit einer grundlegenden Veränderung im Autofah-

ren zu tun . Computer sollen Aufgaben übernehmen, die
bislang selbstverständlich zum Autofahren gehörten, wie
Geschwindigkeit reduzieren, wenn es plötzlich glatt ist,
Verkehrsschilder erkennen und die Fahrweise darauf ein-
stellen oder im Extremfall auf ein Hindernis reagieren,
egal ob sich ein Mensch, ein Tier oder ein Gegenstand
auf der Straße befindet. All diese Entscheidungen sollen
in Zukunft im Zusammenwirken mit dem Computer ge-
troffen werden.

Die Tragweite der damit zusammenhängenden Fra-
gen können viele von uns – ich schließe mich ein – nicht
überschauen . Der Gesetzentwurf soll nun binnen weniger
Wochen durch den Bundestag gepeitscht werden, obwohl
wir mit diesem Thema erstmalig im Dezember konfron-
tiert wurden . Das ist doch unverantwortlich . Für solche
Entscheidungen brauchen wir doch Zeit und das notwen-
dige Wissen . Aber darüber verfügen viele von uns noch
gar nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Geradezu absurd ist, schon jetzt die Automatisierung
des Autofahrens im Straßenverkehrsgesetz zu verankern,
ohne zum Beispiel die Ergebnisse der von der Bundes-
regierung selbst initiierten Testfelder auf der Autobahn
auszuwerten .

Bei der Haftung bei Unfällen mit teil- oder hochau-
tomatisierten Autos wirft der Gesetzentwurf Fragen
auf, die nicht beantwortet sind . Im Gesetzentwurf steht,
dass der Fahrzeugführer beim hochautomatisierten Fah-
ren unverzüglich das Steuer wieder übernehmen muss,
wenn ihn das Fahrzeug dazu auffordert. Diese Formu-
lierung ist so unscharf, dass selbst Sie, Herr Minister
Dobrindt, fälschlicherweise davon ausgehen, dass man
in diesen Autos schnell einmal E-Mails bearbeiten darf,
da es jederzeit möglich ist, das Steuer unverzüglich zu
übernehmen . Studien in Fahrsimulatoren haben gezeigt,
dass mindestens 15 Sekunden nötig sein können, um sich
von einer fahrfremden Tätigkeit wieder auf das Fahrge-
schehen einzustellen. Ist das unverzüglich? Wenn ich nun
15 Sekunden verstreichen lassen würde, ohne ein Wort
in das Mikrofon zu sagen, würde jedem, glaube ich, of-
fensichtlich werden, mit welchen Dimensionen wir es im
Straßenverkehr zu tun haben .

Zum Thema Datenschutz . Bei teil- oder vollautoma-
tisiertem Fahren muss bei Unfällen zweifelsfrei geklärt
werden, ob das Auto oder der Mensch gesteuert hat . Des-
halb soll eine Blackbox installiert werden, die drei Jahre
lang die Fahrdaten aufzeichnet . Das ist Vorratsdatenspei-
cherung im Straßenverkehr . Das ist völlig unakzeptabel
genauso wie der Zugriff auf die Daten.


(Beifall bei der LINKEN)


Für mich viel wichtiger sind aber – ich hoffe, dass das
auch für andere von Bedeutung ist – die ethischen Fragen .
Diese spielen im Gesetzentwurf überhaupt keine Rolle,
und das nicht etwa, weil diese ausführlich diskutiert und
entschieden sind . Die vom Verkehrsminister eingesetzte
Ethikkommission ist zwar nötig und arbeitet auch . Sie
wurde jedoch erst nach den entsprechenden Entscheidun-
gen eingerichtet . Sie muss doch erst einmal ihre Arbeit
beendet haben, damit wir ein Gespür dafür bekommen,

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


was wir entscheiden müssen und was nicht, und zwar
bevor eine Strategie für automatisiertes oder vernetz-
tes Fahren beschlossen wird . Ethische Fragen über den
Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen müssen
doch entschieden werden, bevor der Straßenverkehr, der
Tausende Tote und Zehntausende Verletzte verursacht,
vollautomatisiert oder teilautomatisiert wird .

Den Grund für die Eile lesen wir im Begründungsteil
des Gesetzentwurfs. Dort finden wir die Begriffe „Leitan-
bieter bleiben“, „Vorreiterrolle sichern“, und „Stärkung
des Innovations- und Wirtschaftsstandortes Deutsch-
land“. Herr Minister, Sie haben eben sehr deutlich ge-
macht, worum es eigentlich geht und um wessen Inte-
ressen es geht . Wer so an neue Techniken herangeht, der
nimmt keine Abwägung zwischen ethischen und ökono-
mischen Fragen vor . Diese sind schon vorab entschieden .
Die Linke macht diese besinnungslose Technikeuphorie
nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen entscheiden, wie wir leben und wie wir
mobil sein wollen . Dann kommen die Entscheidungen
über die Technik, und dann kommen die Entscheidun-
gen über die Veränderungen des Straßenverkehrsgeset-
zes . Das ist die richtige Reihenfolge für verantwortliches
Handeln . Dafür und nur dafür ist die Linke zu haben .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822206400

Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt spricht zu Ihnen

Sören Bartol von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1822206500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auf dem Weg hierher bin ich an einem Plakat des Art Di-
rectors Club vorbeigekommen . Die Elite der deutschen
Kommunikationswirtschaft wirbt mit folgendem Slogan
für ihr Festival: „Das Motto der Deutschen: Vorschrift
statt Fortschritt?“ Das klingt erst einmal mäßig und ist
außerdem ein Vorwurf, der auch in der Debatte um das
automatisierte Fahren im Raum steht . Aber wie so vieles
im Leben, liebe Werberinnen und Werber, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ist auch hier alles eine Frage der
Balance .

Apropos Frage . Beim heutigen Thema stehen eini-
ge Fragen im Raum: Wie weit ist die Technik eigent-
lich schon? Ist die weitere Entwicklung Evolution oder
Eruption? Wollen wir uns von der Technik bestimmen
lassen oder nicht? Wie lösen wir das Problem, dass hoch-
automatisierte und herkömmliche Fahrzeuge lange Zeit
parallel fahren werden?

Vorweg: Ich bin ein Befürworter des automatisierten
Fahrens . Ich unterstütze auch das Vorhaben des Bundes-
verkehrsministers, das Testfeld und den vorliegenden
Gesetzentwurf. Warum? Weil ich glaube, dass das au-
tomatisierte Fahren eine Riesenchance für die deutsche
Automobilindustrie ist, Vorreiter in einem zukunftswei-
senden Bereich zu sein . Das ist eine Chance, die wir nicht

vertun dürfen, gerade auch im Hinblick auf die Vielzahl
der Arbeitsplätze, die in der traditionellen Automobilin-
dustrie in den nächsten Jahren durch Veränderungen im
Bereich Mobilität unter Druck geraten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was passiert, wenn ich die Hand vom Lenkrad nehme
und die Maschine übernimmt? Wir brauchen dringend
eine Rechtsgrundlage für das automatisierte Fahren . Ich
halte diesen Vorstoß allerdings nicht alleine aus wirt-
schaftlichen Gründen für wichtig . Ich glaube darüber hi-
naus, dass das automatisierte Fahren das Potenzial hat,
die Verkehrssicherheit in Deutschland deutlich zu erhö-
hen . Der Mensch ist in einigen Situationen die größte
Gefahr im Verkehr . Die Sicherheit auf unseren Straßen
würde sich durch den Einsatz entsprechender Systeme
erhöhen, und die Zahl der Unfälle auf Autobahnen würde
sich deutlich verringern .

Ich weiß, wie überzeugt manche Kollegen von ihren
eigenen Fähigkeiten als Autofahrer sind . Aber glauben
Sie mir, auch wenn einige das nur ungern hören: Das
Assistenzsystem mit seinem Algorithmus kann auf der
Autobahn sicherer fahren als Sie und ich, sofern die be-
stimmungsgemäße Verwendung sichergestellt ist .

Ich möchte in dieser Debatte eines ganz klar sagen:
Das hochautomatisierte Fahren, über das wir im Moment
reden, hat mit dem in der Diskussion immer wieder vor-
gebrachten Bild des Autofahrenden, der auf dem Fahrer-
sitz die Augen schließt und sich tiefenentspannt von A
nach B fahren lässt, nichts, aber auch gar nichts zu tun .
Wer von dieser Art des Reisens träumt – gestatten Sie mir
die Werbung für unser Schienenpapier –, der sollte auch
in naher Zukunft lieber die Bahn nutzen .


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das sollte er sowieso!)


Das hochautomatisierte Fahren erfordert eine Grund-
aufmerksamkeit des Fahrers, und zwar permanent . Der
Fahrer muss unverzüglich – so steht es auch im Gesetz-
entwurf – die Kontrolle über sein Fahrzeug übernehmen,
wenn das System die Übernahmeaufforderung erteilt,
was jeden Moment geschehen kann .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist „Grundaufmerksamkeit“?)


Natürlich: Die Fortschritte, die heute technisch schon
möglich sind, werden in naher Zukunft möglicherweise
rasch zunehmen . Sie werden sich also noch ein bisschen
weiter zurücklehnen können, solange die Grundaufmerk-
samkeit gewährleistet ist, solange Sie nur so entspannt
sind, dass Sie unverzüglich jeden Moment die Kontrolle
übernehmen können .

Beim hochautomatisierten Fahren sprechen wir also
über eine Erleichterung, mehr Fahrkomfort, mehr Sicher-
heit, über eine große Evolution der schon vorhandenen
Assistenzsysteme. Ein Schläfchen auf der Autobahn?
Nein, das gibt es noch nicht .

Ich komme zu den ethischen Fragen von Mensch und
Maschine . Wir können keine Algorithmen verklagen,
falls etwas passiert, falls das System versagt, falls ein au-

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


tomatisiertes Fahrzeug einen tödlichen Unfall verursacht.
Vor deutschen Gerichten können keine Roboter verklagt
werden . Auf der Anklagebank sitzt immer ein Mensch:
der Fahrer, der Hersteller oder die oder der, die oder der
das System möglicherweise fehlerhaft programmiert hat .

Es bleibt kompliziert: Nach welchen Kriterien sol-
len die Systeme programmiert werden? Etwa wenn ein
Unfall nicht zu verhindern ist: Wie handelt das System?
Unser Grundgesetz verbietet in zivilen Situationen jedes
Abwägen von Leben gegen Leben; kein Menschenleben
ist mehr wert als ein anderes . Was soll der Algorithmus in
einer Situation tun, in der der Mensch vermutlich intuitiv
oder reflexartig entscheidet?

Ich habe auf diese Fragen keine Antwort . Es ist aber
sinnvoll, sich derartige Fragen bei der Einführung einer
neuen Technologie zu stellen und nicht erst, wenn das
Kind in den Brunnen gefallen ist . Die aktuelle Debat-
te um die Entsorgung des Atommülls ist für mich ein
alarmierendes Beispiel dafür, wie die Einführung einer
neuen Technologie nicht laufen sollte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Minister Dobrindt hat eine eigene Ethikkommission
eingerichtet . Lieber Kollege Dobrindt, diese Kritik sei
an dieser Stelle einmal erlaubt: Sie hätten hier lieber den
Nationalen Ethikrat zurate ziehen sollen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte der ja eine eigene Meinung! Das ist schlecht!)


Offene Fragen sehe ich auch beim Datenschutz. Es
muss klar sein, welche Daten wo und wie lange gespei-
chert sind und unter welchen Umständen sie anonymisiert
an Dritte herausgegeben werden können . Im weiteren
parlamentarischen Verfahren, etwa bei der kommenden
Anhörung, werden wir Lösungen suchen, die am Ende
die Zustimmung des Bundesrates finden.

Sie sehen: Fortschritt geht nicht ganz ohne Vorschrift .
Ich möchte den beiden eingangs zitierten Schlagwor-
ten abschließend noch ein drittes hinzufügen . Es heißt:
Vorsicht . Von den in Dubai vollmundig angekündigten
Drohnen, die die Bewohner dort schon im Sommer durch
das Emirat fliegen sollen und für deren Benutzung man,
wie der Spiegel schrieb, „viel Mut und Glauben mitbrin-
gen müsse“, sind wir in Deutschland weit entfernt – aus
gutem Grund . Blinde Fortschrittsgläubigkeit hat in der
Menschheitsgeschichte selten zu etwas Gutem geführt .
Die griechische Mythologie ist voll von warnenden Bei-
spielen. Ein „Volle Kraft voraus“, eine „Augen zu und
durch“-Mentalität beim automatisierten Fahren würden
in einer Katastrophe enden .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich plädiere also für den vorliegenden Gesetzentwurf,
der das automatisierte Fahren in engen Grenzen gera-
de auch auf Abschnitten deutscher Autobahnen zulässt,
wenn es uns gelingt, die Fragen, die auch der Bundesrat
in seiner Stellungnahme – wie ich finde, zu Recht – an-
gemahnt hat, im parlamentarischen Verfahren zu klären .

Ich wünsche mir zudem ein gründliches Nachdenken,
eine wirklich breite Debatte über die ethischen Fragen,
die sich spätestens mit dem autonomen Fahren stellen,
eine Debatte, die sich dem Fortschritt nicht verschließt,
sich dabei aber der eigenen Möglichkeiten und Grenzen
auch bewusst ist . Diese Debatte müssen wir nicht nur,
aber auch in diesem Hause führen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822206600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt

Stephan Kühn .

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen! Lieber Herr Verkehrsminister
Dobrindt, ich finde es gut, dass Sie unsere Papiere lesen;
Sie lesen aber sehr selektiv . Ich empfehle die Lektüre mei-
ner Rede zur Änderung des Wiener Abkommens . Dann
könnten Sie nachlesen, welche Chancen ich im Hinblick
auf das automatisierte Fahren durchaus sehe . Allerdings
erfüllen sich die Hoffnungen, die Sie beschreiben, mit der
Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs in keiner Form;
denn Sie vertreten nur die Interessen der Autohersteller .
Mit dem Gesetz laden Sie die Haftungsrisiken bei den
Autofahrern ab und schaffen erhebliche Rechtsunsicher-
heit für die Verbraucherinnen und Verbraucher .

Automatisiertes Fahren soll es Autofahrern ermög-
lichen, fahrfremde Tätigkeiten auszuüben . Das ist aber
überhaupt nicht möglich . Das Gesetz verlangt von den
Fahrzeugführern, die technischen Systeme jederzeit ma-
nuell übersteuern oder deaktivieren zu können . Ist die
Möglichkeit der Übersteuerung oder der Deaktivierung
durch den Fahrer überhaupt in jedem Fall sinnvoll? Eine
Systemübernahme in kritischen Verkehrssituationen
könnte den Fahrer überfordern . Müsste man hier nicht
differenziert vorgehen?

Der Gesetzentwurf lässt offen, was der Fahrer beden-
kenlos tun kann, während der Computer das Auto lenkt .
Der Fahrer soll den Autopiloten überwachen . Er muss
zum Beispiel erkennen, dass die Umstände für automa-
tisiertes Fahren nicht mehr vorliegen . Müsste das aber
nicht eigentlich der Computer machen? Welche fahr-
fremden Tätigkeiten der Fahrer übernehmen darf, wird
auch nicht geregelt . So wird Rechtssicherheit nicht ge-
schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer will da schon die Hände vom Lenkrad nehmen, wenn
er die Verantwortung nicht ebenfalls abgeben kann?

Unklar ist auch, was eigentlich in der Übernahme-
zeit vom automatisierten Fahren zum manuellen Fahren
passiert . Was muss das Auto eigentlich tun, wenn der
Fahrzeugführer die Kontrolle doch nicht schnell wieder
übernehmen kann? Muss der Computer den Warnblinker
anschalten und sofort nach rechts fahren und anhalten?

Sören Bartol






(A) (C)



(B) (D)


Das wird überhaupt nicht geregelt . Die Hersteller tragen
die Verantwortung für das Funktionieren der technischen
Systeme . Der Gesetzentwurf aber lädt die Gefährdungs-
haftung bei den Autofahrern ab . Das ist nicht akzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die technischen Systeme das Fahrzeug führen,
muss auch die Haftung auf die Hersteller übergehen .

Auch die Bestimmungen zum Datenschutz sind indis-
kutabel . Die Fahrzeuge werden zur Datenkrake, wenn
die Fahrdaten bis zu drei Jahre lang gespeichert werden .
Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert das zu
Recht als Vorratsdatenspeicherung von Fahrdaten . Wie
werden Daten geschützt, um Manipulation und Miss-
brauch zu verhindern? Keine Antworten dazu im Gesetz-
entwurf . Mit diesem Gesetz werden Sie die Bürgerinnen
und Bürger nicht vom hoch- und vollautomatisierten
Fahren überzeugen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer sich teure Autopiloten als Ausstattung kauft, will
Rechtssicherheit haben und wirklich beim Fahren entlas-
tet werden . Ich stimme den Rednerinnen und Rednern zu,
die gesagt haben, dass wir eine breite gesellschaftliche
Debatte darüber brauchen, was wir Maschinen überlas-
sen wollen; wir brauchen aber keine gesetzgeberischen
Schnellschüsse . Wie ist eigentlich die Arbeit der schon
beschriebenen Ethikkommission in den Gesetzentwurf
eingeflossen?


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Gar nicht!)


Wie gehen wir mit Dilemmasituationen um? Ich finde
dazu nichts im Gesetzentwurf . Herr Dobrindt, so wird es
nichts mit dem Leitmarkt für automatisiertes Fahren . Sie
verpassen erneut die Chance, die Mobilität der Zukunft
zu gestalten . Das ist schade und traurig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822206700

Das Wort hat jetzt Steffen Bilger für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1822206800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alexander Dobrindt hat in seiner Rede eine erschrecken-
de Zahl genannt: Über 90 Prozent der Autounfälle sind
auf menschliches Versagen zurückzuführen . Moderne
Fahrassistenzsysteme bieten enorme Chancen, das Un-
fallrisiko zu reduzieren . Studien gehen davon aus, dass
bereits die Fahrassistenzsysteme, die heute vielfach im
Einsatz sind, die Schadenshäufigkeit bis zu 75 Prozent
senken können . Dies lässt erahnen, welche Chancen sich
durch hoch- und vollautomatisierte Systeme eröffnen.

Die technischen Systeme machen im Gegensatz zum
Menschen kaum Fehler, sind nicht erschöpft oder unkon-
zentriert und verfügen über eine weitaus schnellere Re-
aktionsfähigkeit . Neben der Verkehrssicherheit bietet das
automatisierte Fahren viele weitere Potenziale im Sinne

einer effizienteren und nachhaltigeren individuellen Mo-
bilität, beispielsweise durch eine Optimierung des Ver-
kehrsflusses, durch die Reduzierung von Stauereignissen
und damit auch von verkehrsbedingten Emissionen .

Natürlich sind auch die Vorteile des automatisierten
Fahrens für den Einzelnen revolutionär . Die Zeit wäh-
rend des Autofahrens kann für viele sinnvolle Dinge ein-
gesetzt werden .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Für was denn eigentlich?)


Das Auto wird so mehr und mehr zu einem weiteren Ort,
an dem gearbeitet oder entspannt werden kann . Hier geht
es um Systeme, die in bestimmten Lagen, zum Beispiel
auf der Autobahn, zeitweise die Fahrzeugsteuerung über-
nehmen . Die technische Entwicklung auf diesem Feld
schreitet rasant voran . Wir werden schon bald entspre-
chende Systeme auf dem Markt haben . Daher müssen wir
jetzt handeln, um einen verantwortungsvollen Umgang
mit diesen Systemen zu gewährleisten .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Systeme, die wir nicht kennen, können wir nicht regulieren!)


Diese Entwicklung wirft für Gesellschaft und Politik
drängende Fragen auf . Wann dürfen automatisierte Fahr-
systeme eingesetzt werden? Welche Möglichkeiten und
Freiheiten eröffnen mir die Systeme als Fahrer? Wer haf-
tet bei einem Unfall? Gehe ich als Fahrer ein Risiko ein,
wenn ich solche Systeme benutze? Das alles sind Fra-
gen, die sich im Zusammenhang mit dem automatisierten
Fahren stellen . Ich denke, es ist nur allzu gut nachvoll-
ziehbar, dass diese Fragen auch viele verunsichern, und
deswegen wird mit Recht von uns eine Antwort erwartet .

Ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Sys-
temen bedarf klarer Vorgaben und Regelungen . Gleich-
wohl kann es aber nicht sein, dass jetzt von einigen Red-
nern nur mögliche Risiken in den Vordergrund gestellt
werden . Wir sollten positiv an diese große Innovation
herangehen . Wir sollten die Zukunft gestalten . Das sollte
unser Anspruch in Deutschland sein, gerade als Autoland
Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zukünftig wird es für den Fahrer bei Aktivierung ei-
nes hoch- oder vollautomatisierten Systems möglich
sein, sich vom Verkehrsgeschehen abzuwenden, bei-
spielsweise im Internet zu surfen oder E-Mails zu beant-
worten, aber er wird natürlich auch in die Verantwortung
genommen, die Fahrzeugkontrolle auf Aufforderung des
Systems oder bei Unregelmäßigkeiten wieder zu über-
nehmen und die Systeme ausschließlich bestimmungsge-
mäß und für den zugedachten Zweck einzusetzen .

Das schafft Klarheit für alle Beteiligten. Bewusst sind
einige Punkte im Gesetzentwurf nicht im Detail geregelt .
Bewusst haben wir auch eine baldige Evaluierung vorge-
sehen . Das zeigt, dass wir noch nicht genau wissen, wie
die Zukunft aussehen wird, dass wir die Herausforderung
aber annehmen und einen geeigneten Rahmen schaffen.

Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt für die
Zukunft des Automobils . Wenn wir mit den Regelungen
Mensch und Computer rechtlich teilweise gleichstellen,
setzt dies aus Beweisgründen zwingend voraus, dass die
Systeme in einer Art Blackbox aufzeichnen, wann das
Fahrzeug vom Fahrzeugführer gesteuert wurde und wann
das System die Kontrolle innehatte .

Um Unfall- oder Schadensereignisse und damit ver-
bundene Haftungsfragen zu klären, ist eine Übermittlung
der Daten an entsprechende Behörden oder beteiligte
Dritte unabdingbar . Eine solche Datenübermittlung ist
aber auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschrän-
ken . Meines Erachtens trägt der vorgelegte Gesetzent-
wurf dieser Anforderung Rechnung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetz-
entwurf haben wir die Möglichkeit, Deutschland zum
Vorreiter beim automatisierten Fahren zu machen und
die dafür notwendigen Grundlagen weltweit erstmalig
verkehrsrechtlich zu verankern . Das automatisierte Fah-
ren wird das Reisen im Automobil sicherer, nachhaltiger,
bequemer und attraktiver machen . Lassen Sie uns diese
große Chance nutzen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822206900

Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt hat als nächster

Redner Andreas Rimkus von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Andreas Rimkus (SPD):
Rede ID: ID1822207000

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und

Kollegen! In der Tat, wir beraten in erster Lesung einen
Gesetzentwurf, der besonders ist . Es ist ein besonderer
Gesetzentwurf, weil wir etwas regeln wollen, was es in
dieser technischen Reife auf unseren Straßen noch gar
nicht gibt . Für mich jedenfalls ist es ein besonderer Ge-
setzentwurf, der erste seiner Art. Umso spannender sind
natürlich auch die Diskussionen, die in Fachforen geführt
werden, und die Artikel, die wir lesen können .

Aber eines ist auch klar: Die automatisierten Assis-
tenzsysteme gibt es schon heute; sie sind Realität . Sie
sind schon heute wichtiger Bestandteil moderner Fahr-
zeuge . Es gibt Systeme, die uns dabei helfen, einzupar-
ken, die Geschwindigkeit zu regulieren, oder die sogar
schon einen Teil der Fahrzeit alleine übernehmen . Den-
ken wir an Distanzkontrollen mit Querführung; es ist al-
les schon da .

Innovative Unternehmen werden also immer mehr
solcher Produkte und Systeme auf den Markt bringen,
die uns das Leben auf der Straße erleichtern . Im Übrigen,
lieber Udo Schiefner, gilt das auch für die Logistik, und
zwar, wie ich finde, ganz besonders; denn auch da kön-
nen wir sehr vieles machen .

Dies ruft – ich finde, zu Recht – die Politik auf den
Plan; denn wir wollen gestalten. Das finde ich vollkom-
men in Ordnung; denn es ist unsere Aufgabe, neue Tech-
nologien in rechtssichere Bereiche zu führen und für die

Hersteller, aber vor allen Dingen für die Verkehrsteilneh-
menden Sicherheit herzustellen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Grundsatz geht
es darum, den Prozess zu hoch- und vollautomatisier-
ten Verkehrsflüssen zu begleiten, auch wenn dieser Pro-
zess natürlich noch viele Fragen aufwirft . Es ist wich-
tig, diesen Weg proaktiv zu beschreiten, damit wir das
höchstmögliche Maß an Klarheit schaffen; denn wenn es
konkret wird und Unfälle passieren, können wir es nicht
allein den Betroffenen überlassen, Fragen der Haftung,
der Datennutzung und am Ende auch Schuldfragen zu
klären . Daher brauchen wir ein deutliches Bekenntnis zur
Technologie, aber vor allen Dingen einen klaren Rahmen
für ihre Nutzung .


(Beifall bei der SPD)


Es ist deswegen wichtig, schon bei der Zulassung der
Fahrzeuge darauf zu achten, dass möglichst klar doku-
mentiert ist, was die Fahrzeuge können, aber auch, was
sie noch nicht können . So lassen sich bereits heute tech-
nische Barrieren einbauen, die eine missbräuchliche,
nicht bestimmungsgemäße Verwendung der Technologie
erschweren bzw . verhindern . Hier sollten wir bereits im
Gesetz klare Vorgaben zu technischen Standards machen,
um den sicheren Gebrauch zu gewährleisten .

Mit dem vorliegenden Entwurf bleibt der Fahrer oder
die Fahrerin zu jedem Zeitpunkt Fahrzeugführer bzw .
Fahrzeugführerin. Wird jedoch ein Unfall durch ein
hochautomatisiertes System verschuldet, ist zu klären,
inwieweit fahrende Personen haftbar gemacht werden
können . Kann es sein, dass ein fehlerhaftes System den
Fahrer oder die Fahrerin schuldbar macht? Sollte es sein,
dass ich haftbar gemacht werde, wenn ich zum Beispiel
die berühmte E-Mail lese und das Fahrzeug einen Unfall
baut, obwohl es mir suggeriert, es könnte selbstständig
fahren? Hier gilt es, die Nutzenden solcher Systeme zu
schützen . Ich denke, dass wir dazu in der Anhörung noch
sachdienliche Hinweise bekommen werden .

Unfallhergänge nachzuvollziehen, funktioniert aller-
dings nur dann, wenn Daten erfasst werden können; das
ist doch vollkommen klar . Dies zu regeln, ist übrigens
auch eine zentrale Aufgabe unseres Gesetzes . Hier muss
geklärt werden, wer warum wann was wie lange spei-
chern kann oder gar muss, an wen Daten versandt werden
und wie dies organisiert wird . Auch hier hat der Bundes-
rat ja Hinweise gegeben, die wir uns genauer ansehen
sollten . Daten sind ein wichtiger Bestandteil der Tech-
nologie . Doch ihre Erfassung, Nutzung und Weiterver-
arbeitung müssen klar geregelt werden . Wir werden sie
brauchen, wenn wir innovativ sein wollen . Aber das kann
nicht auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher
gehen . Hier brauchen wir einen Ausgleich, der Raum für
Innovationen schafft, herausarbeitet, welche Verantwor-
tung wir haben, ohne dabei Bürgerrechte und Freiheiten
zu gefährden .

Deswegen ist es gut, dass das Gesetz eine Evaluation
nach 2019 vorsieht, allerdings nur für den definitorischen
Teil und das Nutzungsverhalten . Wir plädieren aber, weil

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


es unbekanntes Territorium ist, dafür, eine Gesamte-
valuation ins Auge zu fassen .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen
„Intelligente Mobilität fördern – Die Chancen der Digita-
lisierung für den Verkehrssektor nutzen“ im letzten Jahr
beschlossen, dass wir das Zusammenspiel von Automa-
tisierung und Vernetzung auf der Straße und so auch die
Vorteile des automatisierten Fahrens voll ausschöpfen
wollen . Dazu gehört auch die Straße des 21 . Jahrhun-
derts . Diese braucht normierte Technologien .

Neben klaren Regelungen zum Datenschutz und zur
Datensicherheit bei der Übertragung bedarf es natürlich
auch der digitalen Infrastruktur, die die Vernetzung phy-
sisch ermöglicht, sowie der begleitenden Forschung und
Entwicklung .

Wenn wir also die Fahrzeugseite abschließend beraten
haben werden, freue ich mich auf die weiterführende Ar-
beit auf der Infrastrukturseite .

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822207100


Vielen Dank, Herr Kollege . – Der letzte Redner in
dieser Runde ist der Kollege Thomas Jarzombek für die
CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1822207200


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann
mich noch erinnern: Wenn man als Schüler im Schul-
landheim war und die Lehrer etwas nicht durchgehen las-
sen wollten, war das letzte Argument, das in Deutschland
immer funktioniert: Das ist nicht versichert . – Genau das
ist eines der Probleme, die wir hier haben . Deshalb bin
ich froh, dass wir das heute lösen – trotz einer Reihe von
Wortbeiträgen, die mich im Hinblick auf die Fortschritts-
tauglichkeit des Bundestages doch sehr skeptisch stim-
men . Wir nehmen beim hochautomatisierten Fahrzeug
das entscheidende Argument weg, indem wir festlegen:
Es ist künftig versichert .

Mich persönlich ärgert es sehr, dass wir in den Medi-
en ständig sehen, dass das Google-Auto in Kalifornien
herumfährt und was es nicht alles für tolle Innovationen
gibt, dass das bei uns aber nicht abgebildet ist . Deshalb
bin ich dankbar, dass wir das Testfeld auf der A 9 ha-
ben – so haben wir selber ein Schaufenster für Innova-
tionen – und dass wir nun selbst dabei sind, wenn auch
mit hartem Ringen, ein Gesetz auf den Weg zu bringen,
sodass wir nicht das 78 . Land auf der Welt sein werden,
in dem hochautomatisierte Autos fahren können, sondern
hier vorn sein werden .

Ich hoffe ernsthaft, dass alle diejenigen, die hier vor-
hin so viele Bedenken genannt haben und Risiken arti-
kuliert haben,


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht es doch mal handwerklich sauber!)


noch die Kurve zur Innovation kriegen; denn mit dieser
Einstellung würden wir heute alle noch mit dem Fahrrad
fahren . Ich fahre übrigens gern mit dem Fahrrad, aber
selbst gewählt . Vor über 100 Jahren waren wir die Na-
tion, die wirklich absolut euphorisch war, wenn es um
neue Technologien ging, die Nation, in der das Auto und
andere Dinge erfunden worden sind . Manchmal frage ich
mich: Wo ist der Geist von damals geblieben?


(Sören Bartol [SPD]: Das ist blinder Fortschrittsglaube!)


– Nein . – Kollege Bartol hat dazu auch schöne Beispiele
genannt . Eines davon ist diese Frage der Ethik: Wie soll
sich das Auto entscheiden? Da steht links die junge Mut-
ter und rechts die alte Dame . Was ist die ethisch richtige
Entscheidung, wenn das Auto nicht mehr anders kann,
als jemanden umzufahren?

Reden Sie mal mit Leuten, die Ahnung von Technik
haben! Bis ein Fahrzeug in der Lage sein wird, überhaupt
eine alte von einer mittelalten oder einer jungen Frau zu
unterscheiden,


(Sören Bartol [SPD]: Darum geht es doch nicht!)


wird eine verdammt lange Zeit vergehen . Wir diskutie-
ren Probleme, die es gar nicht gibt, weil ein Fahrzeug
gar nicht in der Lage sein wird, solche Unterscheidungen
vorzunehmen .


(Sören Bartol [SPD]: Aber das ist doch ein Prozess! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es vielleicht die Ethik-Kommission?)


– Genau . Es ist ein Prozess, Kollege Bartol . Die Frage ist,
ob wir heute eine Liste von 143 Problemen und Risiken
machen,


(Andreas Rimkus [SPD]: Nein! – Sören Bartol [SPD]: Das hat keiner gesagt!)


die eigentlich gar nicht lösbar sind – wir wissen, dass
es gar keine Technik dafür gibt –, oder ob wir uns jetzt
endlich darauf konzentrieren, etwas zu machen . Ich bin
für das Machen .

Ich glaube, dass wir vor allem das Thema Daten an-
ders beleuchten müssen, als der Kollege Kühn das gerade
beschrieben hat . Die Frage ist doch: Was wird am Ende,
in 10 oder in 15 Jahren, bei dem selbstfahrenden Auto
das entscheidende Kriterium sein? Bei mir in Düsseldorf


(Andreas Rimkus [SPD]: Bei uns in Düsseldorf, Herr Kollege!)


werden viele Leute so ein Fahrzeug gar nicht mehr selbst
kaufen . Sie werden es im Rahmen von Carsharing nut-
zen, weil es auf Knopfdruck zu ihnen fährt und sie am

Andreas Rimkus






(A) (C)



(B) (D)


Ende auch abliefert . Man braucht gar keinen Parkplatz
mehr zu suchen . Das ist doch super .

Die Frage wird vielleicht sein: Muss ich das Auto mit
der App rufen – dann kommt es irgendwann –, oder weiß
Google so viel über mich, dass das Google-Auto schon
vor der Tür steht, wenn ich losfahren will, was ein un-
glaublicher Wettbewerbsvorteil wäre?

Das beschreibt exakt die Situation, die wir beim Da-
tenschutz schon seit langer Zeit haben . Wer in Deutsch-
land eine Firma oder ein Start-up gründet oder seinen
mittelständischen Betrieb digitalisieren will, der muss
sich an unvorstellbare Vorschriften des Datenschutzes
halten, während bei Google und Facebook einfach alles
geht, ohne dass am Ende ernsthafte Sanktionen und Res-
triktionen folgen . Man hört immer wieder neue Beispie-
le, die einem die Haare zu Berge stehen lassen . Deshalb
müssen wir für Chancengleichheit sorgen und endlich
einmal aufhören, das Thema Daten nur aus der Risiko-
perspektive zu betrachten .


(Sören Bartol [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Das tut doch keiner!)


Wir werden mit der Automobilindustrie nur erfolgreich
sein, wenn wir auch bei der Datenverarbeitung die Bes-
ten weltweit werden, und daran müssen wir arbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822207300

Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich schließe damit die

Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11300 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 54 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
entwicklung der haushaltsnahen Getrennter-
fassung von wertstoffhaltigen Abfällen

Drucksache 18/11274

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Damit ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort der Bundesministerin Frau Dr . Barbara Hendricks .


(Beifall bei der SPD)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung hat Ihnen den Entwurf für ein neu-
es Verpackungsgesetz vorgelegt . Dieser Entwurf ist ein
ehrlicher Kompromiss, um den alle, die daran beteiligt
waren, sehr intensiv und sehr lange gerungen haben – bis
jetzt, schon vor der ersten Lesung, um die es ja heute
geht . Bereits die vorherige Bundesregierung hatte sich
vorgenommen, die Verpackungsverordnung weiterzuent-
wickeln. Allerdings war das ein vergebliches Unterfan-
gen. Wir haben das Vorhaben erneut aufgegriffen; denn
es ist zweifellos überfällig .

Es kann uns nicht unberührt lassen, wenn wir die Be-
richte über den Plastikmüll in unseren Gewässern hören,
ein Problem, das sich weltweit bis in die Arktis und in
die Tiefsee immer weiter vergrößert, auch wenn wir nicht
die Hauptverursacher sind; das will ich hier gerne einräu-
men. Unsere gemeinsame Verantwortung ist es aber, dass
weniger Verpackungsmüll aus Plastik entsteht, dass die
unvermeidbaren Verpackungen ökologischer gestaltet
werden und dass die anfallende Menge zu einem mög-
lichst hohen Prozentsatz hochwertig verwertet wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anforderungen
an die Verwertung von Verpackungsabfällen sind knapp
20 Jahre alt . Der Stand der Technik hat sich in dieser Zeit
enorm weiterentwickelt . Wir könnten das alles heute sehr
viel besser . Es geht also darum, mit dem Verpackungsge-
setz die Anforderungen deutlich zu erhöhen, das heißt,
die Effizienz der Wertstofferfassung zu verbessern und
gleichzeitig für einen fairen Wettbewerb der Marktteil-
nehmer zu sorgen . Sie alle wissen, dass wir zunächst die
Idee einer großen Lösung, eines umfassenden Wertstoff-
gesetzes verfolgt haben . Hierzu war aber auch nach ei-
nem längeren Dialog mit den Ländern und Kommunen
kein Konsens zu erreichen . Vor einiger Zeit hat mich ein
Kollege, der Umweltminister in einem Land und Mit-
glied der Grünen ist, gefragt: Warum specken Sie das ab?
Wir hatten doch vor sieben Jahren fast schon einmal eine
Verständigung . – Da habe ich gesagt: Genau das ist der
Punkt. Das war vor sieben Jahren, und es war „fast“. Jetzt
wollen wir wirklich eine Verständigung .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb habe ich also dieses Verpackungsgesetz auf
den Weg gebracht, mit dem die dringendsten Reformen
in Angriff genommen werden und die wesentlichen Ziele
ebenfalls erreicht werden können . Im Vordergrund stehen
die neuen Recyclingquoten . Diese werden in zwei Stufen
je nach Sektor, also je nach Müllfraktion, um es einmal
so zu sagen, auf bis zu 90 Prozent steigen . Vor allem bei
den Kunststoffen werden sie für einen qualitativen und
quantitativen Sprung sorgen, weil sich die bisherige
Recyclingquote von bisher eher bescheidenen 36 Prozent
auf dann 63 Prozent erhöhen wird .

Wir setzen aber auch am anderen Ende an, bei der
Herstellung. Die dualen Systeme werden verpflichtet, die
Recyclingfähigkeit von Verpackungen bei der Bemes-
sung der Lizenzentgelte zu berücksichtigen . Vereinfacht

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


gesagt: Was schwieriger zu recyceln ist, wird teurer, und
zwar für den, der es in Verkehr bringt. Das schafft neue
Anreize für ökologischere Verpackungen . Insgesamt
wird das neue Gesetz dafür sorgen, dass wesentlich mehr
Verpackungsabfälle hochwertig verwertet werden . Wir
stärken damit unsere Position als Vorreiter . Ich bin davon
überzeugt, dass sich dies nicht nur ökologisch, sondern
auch ökonomisch für die deutsche Wirtschaft auszahlt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Organisation
der Einsammlung der Verpackungsabfälle bei den Haus-
halten setzen wir weiterhin auf die dualen Systeme, also
auf die Beteiligung von beiden Seiten . Ich weiß, dass es
jede der beiden Seiten lieber jeweils alleine gemacht hät-
te . Aber auf diese Weise ist kein Kompromiss zu erzielen .
Deswegen wollen und müssen wir es weiter mit beiden
Seiten machen. Allerdings werden die öffentlich-recht-
lichen Entsorgungsträger deutlich mehr Einfluss- und
Steuerungsmöglichkeiten erhalten als bisher .

Die Kommunen können in Abstimmung mit den du-
alen Systemen frei entscheiden, ob sie die sogenannten
stoffgleichen Nichtverpackungen gemeinsam mit den du-
alen Systemen in einer Wertstofftonne erfassen wollen,
also etwa den berühmten alten Kochtopf gemeinsam mit
der Verpackung seines Nachfolgers in der Wertstoffton-
ne unterbringen . Das Verpackungsgesetz legt damit die
Grundlage für eine Ausweitung der bereits in vielen Ge-
bieten erfolgreich eingeführten Wertstofftonne. Es wird
also nichts zurückgeführt, sondern es wird eine rechtli-
che Basis dafür geschaffen, dass es noch mehr werden
kann, aber nicht muss, und dass vor Ort entschieden wer-
den kann .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf stellen wir die Weichen für eine noch
erfolgreichere Verpackungsentsorgung in Deutschland .
Ich gestehe Ihnen offen, ich hätte mir an einigen Stellen
weiter gehende Regelungen gut vorstellen können, aber
der Regierungsentwurf ist der Kompromiss zwischen
den privatwirtschaftlichen Interessen der Produktverant-
wortlichen auf der einen Seite und den Steuerungs- und
Gestaltungswünschen der Kommunen auf der anderen
Seite . Das Entscheidende deshalb: Wir bleiben nicht
streitend stehen, sondern wir kommen ein paar wichtige
Schritte voran .

Bevor ich Sie noch einmal um Unterstützung für den
Gesetzentwurf im Gesetzgebungsverfahren bitte, will ich
Ihnen sagen, dass Kollege Pronold eben auf der Regie-
rungsbank gesagt hat: Wenn wir das verabschieden, dann
gehe ich wirklich wallfahren nach Altötting . – Ich habe
gesagt: Oder ich lade Sie nach Kevelaer ein . – Aber die
Bitte um Unterstützung richtet sich nicht nur an Katholi-
ken, sondern an alle .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822207400

Herzlichen Dank, Frau Ministerin . – Als Nächster hat

Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822207500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Abfallwirtschaft muss schon aus Hygie-
negründen funktionieren . Das ist klassische kommunale
Daseinsvorsorge . Die Linke lehnt jede Privatisierung der
Daseinsvorsorge ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Es nervt wirklich, dass ich die gleiche Rede halten
könnte wie vor drei, zwei oder einem Jahr .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die kennen wir noch!)


Seit es das Verpackungsgesetz gibt, stiegen die Mengen
an Verpackungen Jahr für Jahr . Vermeidung ist der beste
Umweltschutz, und das leistet dieses Gesetz nie.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie von der Koalition schwören auf Produktverantwor-
tung . Welche Produktverantwortung übernehmen denn
Hersteller von Verpackungen, wenn sie stets die billigs-
te Entsorgung wählen, wenn nicht Verpackungsvermei-
dung, sondern Umsatzsteigerung das Unternehmensziel
ist? Welche Produktverantwortung gibt es beim Handel,
der mithilfe der Dualen Systeme große Kostenbestandtei-
le der Entsorgung des verkauften Verpackungsmülls den
Kommunen und damit den Müllgebührenzahlern auf-
halst? Gleichzeitig lässt sich dieser Handel von Kundin-
nen und Kunden die komplette Entsorgung bezahlen . Ob
die Koalition dieses geplante Schröpfen von Kommunen
und Bürgerinnen und Bürgern als Wertstofftonne oder als
Verpackungsgesetz bezeichnet, ist egal . Es ist eine Pri-
vatisierung der Abfallwirtschaft und kein Umweltschutz.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Gesetzentwurf entspricht Ihrem Mantra „Privat
geht vor Staat“, „Konzernwohl vor Gemeinwohl“. Aber
irgendwann müssen Sie von der Koalition endlich einmal
Marktwirtschaft begreifen . In der Marktwirtschaft stre-
ben Firmen immer nach Gewinn. Kein privates Unter-
nehmen kann ohne Gewinne überleben . Das gilt auch in
der Abfallwirtschaft oder bei der Verpackungsentsorgung
der Dualen Systeme .

Wenn Rewe und Edeka mit einer zweistelligen Milli-
onenspritze die erst betrügerischen und dann konkursbe-
drohten Dualen Systeme retten, dann machen sie das na-
türlich nur als Samariter . Wenn Rewe, Procter & Gamble,
Edeka und andere die Zentrale Wertstoffstelle Projektge-
sellschaft über Jahre bezahlen und die Aufsicht über die
Stelle führen, die sie später kontrollieren sollen, dann
machen sie das natürlich nur aus Idealismus . Wenn diese
Projektgesellschaft dann erklärt, eine privatwirtschaftli-
che Lösung für die Verpackungsentsorgung sei das Beste,
dann macht sie das natürlich nur für die Umwelt. Und
wenn das Bundeskartellamt dann erklärt, diese private
Lösung lade zu Missbrauch ein, dann ist diese Warnung
für Sie natürlich nur die Meinung von neidischen Beam-
ten . Begreifen Sie den Widerspruch eigentlich, oder muss
ich Sie erst an den Veolia-Müllskandal in Sachsen-An-
halt erinnern, wo Hausmüll unter Bauschutt gemischt
wurden, oder an die illegalen Exporte gelber Säcke nach

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


Tschechien oder die Elektrogeräteexporte nach Ghana,
alles privat organisiert?

Sie wollen mit diesem Gesetz ernsthaft Organisation
und Überwachung der Verpackungsentsorgung unter die
Kontrolle einer Stiftung stellen, die von den Firmen be-
zahlt und beaufsichtigt wird, die für die Entsorgung zah-
len sollen . Noch mal Marktwirtschaftsschule für die Ko-
alition: Kostensenkung bei der Entsorgung steigert auch
die privaten Gewinne und damit die Boni der Manager .
Das ist der Markt . Wer da an Selbstkontrolle glaubt, hat
Marktwirtschaft nicht begriffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht um Gewinnsteigerungen privater Konzerne
zulasten der Umwelt und der Kommunen. Den Kom-
munen drückt dieser Entwurf Pflichten auf, und er be-
schränkt ihre Entscheidungskompetenz . Ich höre schon
Ihre Einwände: Die Kommunen dürfen ja im Beirat
mitreden . – Mitreden ja, aber eben nicht mitbestimmen!
Klar können die Kommunen Auflagen zur Art und Weise
der Verpackungssammlung machen; aber die Auflagen
können gekippt werden, sobald sie Geld der Konzerne
kosten . Als Krönung gibt diese Koalition noch die Zu-
griffsrechte auf Altpapier und Altglas an die privaten
Entsorgungssysteme . Damit stehlen Sie von der Koali-
tion den kommunalen Unternehmen die Einnahmen aus
deren Verkauf .

Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition greift
in Ihre Tasche . Sie müssen dann etwa 10 Euro pro Jahr
und Person mehr zahlen . Denn um diese Summe steigen
dann die Müllgebühren, weil die Einnahmen aus Altpa-
pier und Altglas fehlen . Wir Linken lehnen diese Privati-
sierung, den Griff in unsere Taschen ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Koalitionäre, noch können wir in den Beratun-
gen diese Privatisierung verhindern . Wenn Sie es mit der
Umwelt ernst meinen, wenn Sie ein gutes Verpackungs-
gesetz verabschieden wollen, Frau Ministerin Hendricks,
dann arbeiten Sie mit den Kommunen zusammen und
nicht gegen diese .


(Beifall bei der LINKEN)


Davor entsorgen wir diesen Gesetzentwurf – in der blau-
en, kommunalen Tonne natürlich .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822207600

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr . Thomas Gebhart

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1822207700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir debattieren heute das Verpackungsgesetz,
das die bestehende Verpackungsverordnung ablösen und
weiterentwickeln wird .

Was ist eigentlich das Ziel dieses Verpackungsgeset-
zes? Das Ziel besteht darin, dass Verpackungsabfälle ver-
mieden werden, dass sie möglichst erst gar nicht entste-
hen und dass die Abfälle, wenn sie entstehen, hinterher
stofflich verwertet werden, dass sie recycelt werden.

Und warum ist das so wichtig? Es ist deswegen so
wichtig, weil wir nach wie vor weltweit steigende Res-
sourcenverbräuche haben . Deutschland ist abhängig von
Rohstoffimporten. Deswegen muss es unser Ziel sein,
die Stoffkreisläufe zu schließen, eine echte Kreislauf-
wirtschaft hinzubekommen, Ressourcenverbräuche zu
reduzieren . Es geht also um Ressourcenschonung, um
Umweltschutz.

Es geht aber auch um wirtschaftliche Ziele . Wir re-
den hier über einen großen Markt mit vielen Unterneh-
men – kleinen, mittelständischen und großen Unterneh-
men; viele Tausend Arbeitsplätze sind davon abhängig .
Es ist ein wachsender Markt, und viele Unternehmen in
Deutschland sind in diesem Bereich Vorreiter . Sie haben
Technologien entwickelt, die weltweit als führend gelten .
Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem Ver-
packungsgesetz einen klugen Rahmen geben, um diese
Vorreiterrolle zu stärken und fortzuentwickeln . Darum
geht es bei diesem Verpackungsgesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Thews [SPD])


Was ist der Kerngedanke dieses Gesetzes? Es ist in
der Tat die Produktverantwortung . Was heißt das eigent-
lich? Anfang der 90er-Jahre hatten wir in Deutschland
Müllnotstand, wir hatten Müllberge . Dann hatte Klaus
Töpfer damals die geniale Idee der Produktverantwor-
tung . Er hat gesagt, alle, die in Deutschland Verpackun-
gen an den Markt brächten, seien dafür verantwortlich,
diese hinterher zurückzunehmen und nach bestimmten
Quoten zu recyceln. Unternehmen übernehmen also
Verantwortung, auch für die Entsorgung ihrer Verpa-
ckungen . Damit werden die Kosten für die Entsorgung
der Verpackung Teil des Verkaufspreises des Produkts .
Das ist die Idee . Somit werden die Entsorgungskosten
zu einem Teil des Wettbewerbs, und daraus entstehen die
notwendigen Anreize für Unternehmen, für Hersteller,
für Inverkehrbringer, Verpackungen einzusparen . Das ist
ein marktwirtschaftliches Prinzip, um Umweltschutz zu
erreichen . Es hat damals gewirkt – die Müllberge sind
zurückgegangen –, und es ist auch heute noch das rich-
tige Prinzip . Deswegen halten wir daran fest . Mit dem
Verpackungsgesetz stärken wir genau dieses Prinzip .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will drei konkrete Punkte nennen .

Erstens . Wir sorgen dafür, dass künftig mehr Verpa-
ckungen in Deutschland recycelt werden müssen . Die
Quoten werden angehoben: beim Glas auf 80 Prozent,
später auf 90 Prozent, beim Papier auf 85 Prozent, später
auf 90 Prozent, beim Kunststoff auf knapp unter 60 Pro-
zent, später auf knapp über 60 Prozent . Das ist zwar an-
spruchsvoll, aber technisch machbar . Ich denke, die Bür-
ger erwarten das, und zwar zu Recht .

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Die Menschen in Deutschland trennen ihren Müll sehr
sorgfältig . Wir erreichen mit diesem Gesetz, dass künf-
tig mehr von dem, was im gelben Sack landet, hinter-
her tatsächlich stofflich recycelt wird und weniger in der
Müllverbrennungsanlage landet . Diese Entwicklung geht
genau in die richtige Richtung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein zweiter Punkt . Es gibt im bestehenden System
durchaus einige Schwächen: Schlupflöcher und Orga-
nisationsprobleme. Deswegen schaffen wir jetzt eine
schlanke zentrale Stelle, die dafür sorgen soll, dass es fai-
re Wettbewerbsbedingungen gibt, die dafür sorgen soll,
dass der Wettbewerb gestärkt und nicht geschwächt wird .

Ein dritter Punkt . Wir halten an einer wettbewerblich
organisierten Lösung fest und stärken gleichzeitig die
kommunalen Mitwirkungsmöglichkeiten . Die Rolle der
Kommunen wird gestärkt. Unter bestimmten Bedingun-
gen können die Kommunen künftig durch Rahmenvor-
gaben vorschreiben, wie die Sammlung der Kunststoffe,
der Metalle und der Verbundverpackungen zu erfolgen
hat, ob zum Beispiel in einem gelben Sack oder in einer
Tonne . Sie können Vorgaben zu den Abholrhythmen und
über die Größe der Tonnen machen . An dieser Stelle stär-
ken wir deutlich die Rolle der Kommunen; das ist das
Gegenteil von dem, was Herr Lenkert gesagt hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, bei einem solchen Gesetz
gehen die Interessen zweifelsohne auseinander . Die ei-
nen wollen höhere Quoten, die anderen wollen niedrige-
re Quoten. Verschiedene Gruppen wollen Zugriff auf die
Stoffströme haben. Es gibt unterschiedliche Vorstellun-
gen bei der Pfandregelung . Dazu will ich nur Folgendes
sagen: Eine Pfandpflicht bei Weinflaschen und Sektfla-
schen, so wie es die Mehrheit im Bundesrat fordert, wird
es mit uns nicht geben . Das machen wir nicht mit, weil es
keinen Sinn macht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Interessen bei diesem Gesetz gehen auseinander .
Es ist völlig klar: Es wird keine Lösung geben, die dazu
führt, dass hinterher alle zu hundert Prozent zufrieden
sind . Wir könnten noch drei, vier oder fünf Jahre weiter
diskutieren: Eine solche Lösung wird es nicht geben . Das
Entscheidende ist, dass der Gesetzentwurf unterm Strich
eine vernünftige Balance bietet .

Unterm Strich ist dieser Gesetzentwurf eine gute
Grundlage für die parlamentarischen Beratungen, die
jetzt folgen werden .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Gut für die Dualen Systeme, nicht für die Kommunen!)


Wir werden uns alle Argumente nochmals gründlich
ansehen . Es wird eine Anhörung der Sachverständigen
geben . Wir werden alles gründlich abwägen, und dann
selbstverständlich über den einen oder anderen Punkt
sprechen, zum Beispiel über die Mehrwegquote; das ist
ein Anliegen der mittelständischen Getränkewirtschaft .

Unterm Strich ist das Verpackungsgesetz ein Fort-
schritt, und es ist an der Zeit, dass wir es jetzt endlich,
nach Jahren, auf den Weg bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Thews [SPD])


Zur Wahrheit und zur Offenheit gehört allerdings auch
dies: So wichtig dieses Verpackungsgesetz ist und so
sinnvoll es ist, dass wir dieses Verpackungsgesetz jetzt
unter Dach und Fach bekommen, so wahr ist es auch,
dass das eigentliche Ziel ein Wertstoffgesetz ist und
bleibt . Meine Damen und Herren, es muss doch das Ziel
sein, dass Verpackungen und andere Abfälle, die aus den
gleichen Materialien wie diese Verpackungen bestehen,
gemeinsam erfasst werden, dass diese Stoffe gemeinsam
gesammelt und gemeinsam recycelt werden, also nicht:
der Joghurtbecher auf der einen Seite, die Quietscheen-
te und die Kunststoffschüssel auf der anderen Seite; der
Kleiderbügel, der mit dem Kleidungsstück verkauft wird,
auf der einen Seite und der Kleiderbügel, der ohne Klei-
dungsstück verkauft wird, auf der anderen Seite . Heute
ist es so: Der eine Kleiderbügel gehört nach der Rechtsla-
ge in den gelben Sack und wird recycelt, und der andere
Kleiderbügel gehört in die Restmülltonne und wird ver-
brannt . Sinn macht dies nicht .

Deswegen ist und bleibt es richtig: Wir brauchen ein
Wertstoffgesetz. Wir haben aus dem Parlament hier-
zu Vorschläge gemacht . Leider ist es zu diesem Gesetz
nicht gekommen . Ich sage aber auch ganz deutlich: An
der Union ist dieses Wertstoffgesetz nicht gescheitert. Ich
werbe ausdrücklich dafür, dass wir in der nächsten Le-
gislaturperiode Mehrheiten für ein dringend notwendiges
Wertstoffgesetz finden.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Mindrup [SPD] – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Viel Spaß beim Suchen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822207800

Das Wort hat der Kollege Peter Meiwald für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822207900

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Staatsse-

kretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was für ein
Kontrast? Heute am frühen Morgen trafen sich auf Ein-
ladung meines CDU-Kollegen Dr. Weiler und mir etwa
30 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Un-
ternehmen und Initiativen, von McDonald’s, aus dem
Bäckerhandwerk, Tankstellenbetreiber von BP, vom Por-
zellanhersteller Kahla, von der Deutschen Umwelthilfe
bis zur Initiative „Coffee To Go Again“, um gemeinsam
gegen die Verpackungsflut im Coffee-to-go-Bereich an-
zuarbeiten und für ein Mehrwegsystem auch in diesem
Segment zu arbeiten . Die gemeinsame Botschaft laute-
te, und zwar wirklich quer durch die Wirtschaft und die
Umweltverbände: Yes, we have to, and yes, we can! Wir
müssen den Müll vermeiden!

Und dann das hier, ein an Mutlosigkeit kaum zu über-
bietendes Verpackungsgesetzchen, das keinerlei Anreize

Dr. Thomas Gebhart






(A) (C)



(B) (D)


zur Müllvermeidung setzen wird, obwohl wir heute schon
Verpackungseuropameister sind, und das insgesamt und
pro Kopf . Vermeidung steht in der Abfallhierarchie vor
Recycling . Leider, Frau Ministerin, haben Sie gar nichts
dazu gesagt, was dieses Gesetz zur Abfallvermeidung
beitragen kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zusätzlich streichen Sie auch noch die Mehrwegquote
komplett aus dem Gesetz, anstatt deren Verfehlung, die
wir seit Jahren beklagen, endlich mit Sanktionen zu be-
drohen . Das ist der völlig falsche Weg . Mehrwegsysteme
sind bekanntlich ein wichtiges Instrument zur Müllver-
meidung, und das ist das oberste Ziel der europäischen
Abfallhierarchie . Der Anteil der Mehrwegverpackungen
bei den Getränken sinkt seit Jahren . Die Reaktion darauf
ist nur: Wir streichen den Anspruch . Wir geben den An-
spruch auf, statt zu überlegen, wie wir politisch darauf
hinwirken können, dass dieses Ziel endlich erreicht wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das verstößt klar gegen das Kreislaufwirtschaftsge-
setz, letztlich auch gegen das SDG 12, gegen das zwölfte
Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, bei dem es
um nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster geht .
Das muss im jetzt anlaufenden parlamentarischen Ver-
fahren dringend korrigiert werden. Ich hoffe, liebe Kol-
leginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, dass
Sie uns dabei konstruktiv unterstützen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mehrweg ist nicht das einzige Problem dieses fleisch-
gewordenen kleinsten Nenners einer großkoalitionären
Müllpolitik:

Wir schaffen rechtliche Grundlagen zur Einführung
der gemeinsamen haushaltsnahen Wertstofferfas-
sung für Verpackungen und andere Wertstoffe.

Sie erinnern sich? Seite 83, Koalitionsvertrag. Vielleicht
schon mal gehört . Sie sagten auch: Im Sommer werden
wir ein Wertstoffgesetz vorlegen. – Gemeint war der
Sommer 2014 . Sie sagten – auch das im Jahr 2014 –:
Nach der 7 . Novelle der Verpackungsverordnung werden
wir unverzüglich ein umfassendes Wertstoffgesetz vorle-
gen . – Dies war seinerzeit das Versprechen der Bundesre-
gierung, das den Bundesrat überhaupt nur dazu gebracht
hat, der 7 . Novelle, die das wirtschaftliche Überleben der
kollabierenden Dualen Systeme noch einmal gesichert
hat, zuzustimmen .

Alles das ist Jahre her und schon jahrelang bekannt .
Drei Jahre später legen Sie nun nach diversen Rohr-
krepierern, die selbst die Entsorgungswirtschaft simultan
zu uns Grünen „ein Gesetz für die Tonne“ genannt hatte,
eine Verpackungsverordnung 8 .0 vor – getarnt als Ver-
packungsgesetz, das den wesentlichen Anforderungen
der modernen Kreislaufwirtschaft leider überhaupt nicht
gerecht wird .

Dabei haben doch alle Beteiligten in den letzten Jah-
ren so viele gute, konkrete Vorschläge gemacht: die
Umweltverbände, die Unternehmen, eine Initiative aus
kommunalen Unternehmen und privaten Unternehmen,

die sich GemIni nannte, der Bundesrat und nicht zuletzt
wir als Grünenfraktion, die wir schon 2015 einen Antrag
eingebracht haben .

Alle diese Vorschläge lagen auf dem Präsentierteller
vor Ihrer Nase. Und Sie sagen jetzt: Wir sind es eigent-
lich nicht gewesen . – Keiner ist es gewesen, dass es jetzt
kein Verpackungsgesetz gibt . Das ist schwer zu verste-
hen und schwer zu vermitteln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben es vergeigt .

Weil es innerhalb Ihrer ach so großen Koalition leider
nur eine minimale Einigkeit gab, bleibt Folgendes:

Erstens. Die sogenannten stoffgleichen Nichtverpa-
ckungen, also die Produkte, die aus dem gleichen Ma-
terial wie Verpackungen, aber eben keine Verpackungen
sind – die Bratpfanne, das Bobbycar, das Plastikspiel-
zeug –, bleiben weiterhin von hochwertigem Recycling
ausgenommen . Dabei handelt es sich aber um die glei-
chen Wertstoffe. 450 000 Tonnen wertvoller Rohstoffe
werden weiterhin verbrannt werden . Darauf ist schon
hingewiesen worden .

Zweitens . Die Abfallsammlungen vor Ort bleiben für
die Menschen weiterhin unübersichtliche Flickenteppi-
che, anstatt dass Sie die Aufgabe der Daseinsvorsorge,
nämlich auch die Organisation der Müll- und Wertstoff-
abfuhr, endlich in eine Hand, nämlich die kommunale,
legen . Statt klarer Zuständigkeiten und mehr Transparenz
gibt es weiter endlose Rechtsstreitigkeiten von Kommu-
nen mit privaten Entsorgern . Das ist falsch .

Drittens . Die Verbraucherinnen und Verbraucher blei-
ben weiterhin maximal verwirrt, weil die meisten Aus-
nahmen bei der Einwegpfandregelung bestehen bleiben .
Es handelt sich aber um ein Verpackungsgesetz – wenigs-
tens das – und nicht um ein Getränkegesetz . Warum muss
man dort regeln, welchen Inhalt eine Flasche hat, also ob
darin nun ein Nektar, ein Saft oder ein Erfrischungsge-
tränk ist? Das ist weder ökologisch zu verstehen, noch ist
es den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln .

Alles das bleibt trotz einiger kleiner Korrekturen in
diesem Gesetz .

Und was ist aus Ihrer Umsetzung unserer eigentlich
guten Idee einer neu zu schaffenden zentralen Stelle
geworden? Da kann man nur den Kopf schütteln. Das
Kartellamt hat in seiner Stellungnahme dazu eigentlich
schon alles gesagt . Wollen Sie als Ministerium und auch
als Regierungskoalition wirklich die zentrale Steue-
rungsfunktion für die Zukunft aus der staatlichen Hand
geben und ausgerechnet in die Hände derer legen, die
mit Sortierung, Recycling und Müllvermeidung am we-
nigsten etwas am Hut haben, nämlich in die Hand einer
Stiftung, in der die Inverkehrbringer, der Handel, die ab-
solute Mehrheit haben? Ist das sinnvoll?

Bevor dieses Gesetz endgültig verabschiedet wird,
Frau Hendricks, sollten Sie sich doch bitte die Kritik der
kommunalen Vertreter und der Umweltverbände, aber
auch der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaft
NGG noch einmal zu Gemüte führen . Vielleicht schaf-
fen wir es im weiteren parlamentarischen Prozess, hier

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


substanziell noch etwas zu korrigieren . Ein Verpackungs-
gesetz in dieser Form können wir auf jeden Fall nur ab-
lehnen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822208000

Das Wort hat der Kollege Michael Thews für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1822208100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Barbara Hendricks hat bereits auf die Probleme hinge-
wiesen, die dieses Gesetz in der Entstehung gehabt hat .
Deswegen will ich darauf gar nicht eingehen .

Ich möchte aber noch einmal darstellen, warum wir
das Ganze überhaupt machen . Wir machen das Ganze,
weil wir auch die ökologische Dimension des Ganzen
sehen und hier vorankommen wollen – zum Beispiel mit
den anspruchsvolleren Recyclingquoten, die in diesem
Gesetz jetzt auch wirklich einmal festgeschrieben wer-
den .

Eine Steigerung von 36 auf 63 Prozent bei den Kunst-
stoffverpackungen bedeutet schon etwas. Das heißt, dass
auch entsprechende Technologie bereitgestellt werden
muss und dass die Firmen sich darauf einstellen müs-
sen, dass bei der Sammlung, bei der Sortierung und beim
Recycling wirklich Bedingungen geschaffen werden, die
dies auch sicherstellen .

Das können wir in Deutschland . Wir sind da schon
auf einem guten Weg . Aber wir warten auch darauf, dass
hier einmal etwas passiert . Viele Jahre sind jetzt ins Land
gegangen . Heute sind wir endlich in der Situation, dort
auch wirklich voranzukommen . Deswegen werbe ich da-
für, dass man das Ganze nicht einfach beiseitelegt, son-
dern es ernst nimmt und diesen Schritt auch geht .

Zu den Quoten wurde gerade teilweise schon etwas
gesagt. Für Glas wird die Quote von 70 auf 90 Prozent
gesteigert . Für Getränkekartonverpackungen wird jetzt
überhaupt erst eine Quote eingeführt.

Ich kann mir auch sehr gut vorstellen – das wurde
heute ja auch schon an mehreren Stellen angesprochen –,
dass wir das Thema Mehrwegquote noch einmal aufneh-
men und ganz ernsthaft darüber nachdenken . Bisher war
die Mehrwegquote ein zahnloser Tiger, Herr Meiwald .
Bisher hat sie nichts bewirkt .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, deswegen! Das habe ich ja gesagt! Das weiß ich!)


Das heißt: Wenn wir eine Mehrwegquote einführen, dann
muss sie auch funktionieren . Sie einfach nur in das Gesetz
zu schreiben, bringt nichts . Vielmehr müssen wir darüber
nachdenken, wie wir eine Mehrwegquote bekommen, die

dann auch nachgehalten und damit entsprechend sankti-
oniert werden kann .


(Beifall bei der SPD – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut! Da bin ich dabei!)


Wir müssen aber auch bei den Verpackungen darauf
achten, dass schon bei der Produktion bzw . bei der Pla-
nung einer Verpackung mit berücksichtigt wird, wie Res-
sourcen eingespart werden können . Damit wären wir bei
dem Vermeidungsgedanken bzw . dabei, wie das Recy-
cling wirklich durchgeführt werden kann . Erste Ansätze
gibt es in diesem Gesetz. Dies soll jetzt differenziert be-
trachtet werden . Von den Systemen sollen ökologische
Verpackungen gefördert werden . Das ist erst einmal der
Einstieg. Uns ist klar, dass das weitergehen muss. Wir
wissen, dass es auf europäischer Ebene Initiativen gibt,
die Ökodesign-Richtlinie zu verändern, um sehr frühzei-
tig anzusetzen . Das bewirkt dann auch einen Innovati-
onssprung beim Recycling . Das ist nötig . Den Einstieg
könnten wir jetzt mit dem Verpackungsgesetz schaffen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU])


Bei diesem Entwurf gibt es aber auch – das darf man
nicht verhehlen – noch einige Schwachpunkte . Da-
rauf möchte ich eingehen . Ich habe gestern von vielen
Kolleginnen und Kollegen vernommen, dass sie auch
Kommunalpolitiker sind, dass sie in ihrer Kommune, im
Kreistag und im Rat unterwegs sind. Ich finde das toll,
weil man dann ja weiß, was vor Ort passiert . Ich sage:
Viele bekommen in den Diskussionen in den Kommu-
nen mit, dass die Bedingungen nicht überall gleich sind .
Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ich eine Kommu-
ne mit einem Altstadtkern, mit engen Straßen und einer
schwierigen Verkehrssituation habe oder ob ich viel Platz
und breite Straßen habe . Dementsprechend sind die Ab-
holrhythmen organisiert, und dementsprechend sind die
Fahrzeuge oder die Behälter, die dort aufgestellt werden .
Das ist nicht in jeder Kommune gleich . Die Kommunal-
vertreter sagen: Wir wollen das mitgestalten . Das, was
wir gestaltet haben, wollen wir dann auch umsetzen . –
Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass diese Ge-
staltungsmöglichkeiten – ich spreche hier über § 22 des
Verpackungsgesetzes – so genutzt werden können, dass
wir in Zukunft eben nicht die Rechtsstreitigkeiten haben,
die wir in der Vergangenheit hatten . Dort muss klar for-
muliert werden .

Jetzt liegen Vorschläge vom Bundesrat und von den
kommunalen Spitzenverbänden auf dem Tisch . Ich ap-
pelliere noch einmal an alle, darüber nachzudenken, ob
wir das eine oder andere noch klarstellen können, sodass
die Gestaltungsmöglichkeiten, die das Gesetz der Kom-
mune einräumt, zum Beispiel beim Glas, dann auch den
Vorstellungen, die es dort gibt, entsprechen und dass den
vorhandenen Notwendigkeiten Rechnung getragen wird .

Das gilt auch für die Abfallberatung . Abfallberatung
ist ein ganz wichtiges Thema . Wir alle in Deutschland
haben ja verinnerlicht, Müll zu trennen . Das ist hier
eine Art Tradition . Alle haben das in der Vergangenheit
gelernt; aber wir müssen dafür sorgen, dass auch die
nächste Generation das versteht . Denn gerade die Ab-

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


falltrennung und der vernünftige Umgang mit Abfällen
sind für Recycling und für Ressourcenschutz absolut
erforderlich . Deswegen ist ganz wichtig: Es muss dabei
bleiben, dass die Abfallberatung in den Kommunen statt-
findet und dass sie vernünftig finanziert wird. Vielleicht
sollten – das sage ich auch mit Blick auf die Dualen Sys-
teme – einmal größere Kampagnen gefahren werden, so-
dass dieser Bereich nicht vernachlässigt wird und auch
die nächste Generation Abfälle trennt .

Ich bin überzeugt, dass der vorliegende Gesetzent-
wurf Verbesserungen für alle Seiten bringen kann: für
die kommunale Seite, für die Bürgerinnen und Bürger,
aber auch für die Privatwirtschaft . Einige entscheidende
Verbesserungen fehlen noch, damit wir dem Gesetz zu-
stimmen können . Ich vertraue aber darauf, dass wir das
im parlamentarischen Verfahren hinbekommen .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie uns auf den letzten Metern durchs Ziel fah-
ren, diesmal nicht mit einem Rennwagen, sondern einem
Müllfahrzeug .

Vielen Dank und ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822208200

Die Kollegin Dr. Anja Weisgerber hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1822208300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Seit 13 Jahren betreibe ich auf verschiedenen
Ebenen, im Europaparlament und hier im Deutschen
Bundestag, Umweltpolitik. Ich muss sagen: Das Wert-
stoffgesetz bzw. Verpackungsgesetz ist eines der schwie-
rigsten Gesetzgebungsvorhaben für mich in dieser Zeit .
Auch wenn wir heute nicht über ein Wertstoffgesetz, son-
dern über ein Verpackungsgesetz diskutieren, so bringt
auch dieses Gesetz einige wichtige Fortschritte .

Die Recyclingquoten werden erhöht . Die Dualen
Systeme, die für die Sammlung der Verpackungsmate-
rialien verantwortlich sind, werden verpflichtet, die Be-
teiligungsentgelte stärker an ökologischen Kriterien zu
orientieren . Eine neue zentrale Stelle soll einen fairen
Wettbewerb zwischen den Dualen Systemen und allen
betroffenen Marktteilnehmern sicherstellen.

Gerade durch die erhöhten Recyclingquoten werden
wertvolle Rohstoffe zurückgewonnen und dem Stoff-
kreislauf wieder zugeführt . Dies ist aus Sicht des Res-
sourcenschutzes sehr, sehr positiv . Das, meine Damen
und Herren von der Opposition, sollten auch Sie einmal
anerkennen .

Die Kommunen sind in diesem gesamten Umfeld die
Ansprechpartner der Bürgerinnen und Bürger bei der
Abfallentsorgung . Funktioniert bei der Abfallentsorgung
etwas nicht, greifen die Bürger zum Telefonhörer und
rufen bei den Kommunen an . Egal ob die Kommunen

zuständig sind, wie im Fall des Hausmülls, oder nicht,
wie im Fall der Verpackungsabfälle aus Plastik und Me-
tall, die Kommunen werden angerufen . Derzeit ist es so,
dass sich eine Kommune mit einem Dualen System hin-
sichtlich der Entsorgung der Verpackungsabfälle einigen
muss . Das hat in der Vergangenheit in der Praxis oft zu
Problemen geführt . Deshalb wollen wir die Kommunen
stärken und ihnen mehr Gestaltungsmöglichkeiten ge-
ben .

Nach dem Verpackungsgesetz können die Kommu-
nen in einer Abstimmungsvereinbarung festlegen, ob
die Verpackungsmaterialien über ein Holsystem oder
über Wertstoffhöfe gesammelt werden. Die bewährten
Sammelstrukturen bzw . Sammelsysteme der Kommunen
können erhalten bleiben; das ist eine ganz wichtige Bot-
schaft . Die Kommunen können dann auch sagen, wel-
che Größe der Behälter hat, von welcher Art er ist, ob
sie einen Sack oder eine Tonne wollen, und sie können
auch die Abholintervalle festlegen . Damit stärken wir die
Rechte der Kommunen . Das wird dazu beitragen, dass
die Sammlung der Verpackungsmaterialien letztendlich
bestmöglich auf die Hausmüllsammlung abgestimmt
werden kann. Auch das ist ein wichtiger Nebeneffekt.

Meine Damen und Herren, wir werden in den kom-
menden Wochen gemeinsam mit den Vertretern aller
Seiten darüber diskutieren, ob die im Gesetz enthaltenen
Formulierungen rechtssicher sind und den Kommunen
wirklich weiterhelfen . Allerdings dürfen wir den Wett-
bewerb nicht einschränken . Wir müssen ihn weiterhin
erhalten . Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt .

Auch an einer anderen Stelle werden wir die Rechte
der Kommunen stärken . Für den Fall, dass ein Duales
System der Verabredung nicht nachkommt, wollen wir
die Kommunen mit wirkungsvollen Durchgriffsrechten
ausstatten . Werden beispielsweise gelbe Säcke nicht ab-
geholt oder wird eine gelbe Tonne nicht geleert, kann
die Kommune sogar zur Ersatzvornahme greifen und ein
anderes Unternehmen beauftragen. Die dadurch entste-
henden Kosten müssen dann von dem entsprechenden
Dualen System getragen werden . Denn, meine Damen
und Herren, wer seine Hausaufgaben nicht richtig macht,
muss eben nachsitzen und wird in diesem Fall auch zur
Kasse gebeten .

Es war und ist uns ein Herzensanliegen, den Kom-
munen mehr Einflussmöglichkeiten zu geben. Ich habe,
glaube ich, gerade sehr ausführlich dargestellt, dass wir
das auch tun . Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Eine
Rekommunalisierung der gesamten Abfallentsorgung
mit dem Ziel einer mittelfristigen – das ist ja das eigent-
liche Ziel, das dahintersteht – Abschaffung der Dualen
Systeme, wie es die grünen Umweltminister der Länder
gefordert haben, wollen wir nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nicht nur die! Wir auch! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


An vielen Stellen der Abfallentsorgung sind mittel-
ständische Betriebe aktiv, mit denen viele Kommunen
übrigens hervorragend zusammenarbeiten . Diesen Mit-
telständlern würden wir mit einer kompletten Rekom-

Michael Thews






(A) (C)



(B) (D)


munalisierung die Grundlage entziehen . Wir wollen ein
faires Miteinander zwischen den Kommunen und der
Entsorgungswirtschaft durch die Vorgabe eines klaren
Rahmens und durch Spielregeln, die dann auch in der
Abstimmungsvereinbarung festgelegt werden .

Neben der Stärkung der Kommunen ist mir die Ab-
fallvermeidung generell – sie wurde bereits angespro-
chen – ein weiteres Anliegen . Deshalb hat es mich auch
überrascht – ich muss das so deutlich sagen, Frau Um-
weltministerin –, dass das Bundesumweltministerium
die derzeit geltende verpflichtende Mehrwegquote von
80 Prozent ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen hat; denn
tun wir dies, führen wir die ganze Diskussion über Ein-
weg und Mehrweg ad absurdum . Deswegen würde ich
mir schon wünschen – ich möchte das an dieser Stelle so
deutlich sagen –, dass wir die Quote wieder ins Gesetz
aufnehmen . Ich setze mich dafür ein .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir alle! Dann machen wir es doch!)


Ich sage aber – da stimme ich dem Kollegen Thews
zu –, dass wir dann auch überprüfen müssen, ob die Quo-
te erreicht wird . Wird sie nicht erreicht, müssen wir auf
der Basis von Ökobilanzen Konsequenzen ziehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als heimatverbundene Fränkin aus einer Weinregi-
on möchte ich noch auf ein letztes Thema zu sprechen
kommen . Dieser Punkt ist auch in der Stellungnahme
des Bundesrates enthalten, und es wurde schon ange-
sprochen: Der Bundesrat fordert, die Pfandpflicht nicht
mehr am Produkt, sondern am Verpackungsmaterial zu
orientieren . Dies lehnen wir entschieden ab, und ich sage
Ihnen auch, warum: Aufwand und Nutzen stünden in kei-
nem angemessenen Verhältnis .

Ich kann Ihnen das auch sehr gut an einem Beispiel
aus meiner Heimatregion erklären:

Die Weintradition lebt von der unverwechselbaren
Flaschenform . Bei mir in Franken ist es eben die bauchi-
ge Flaschenform, der sogenannte Bocksbeutel . – Ich
habe ihn im Europäischen Parlament übrigens auch mal
gerettet und dafür gesorgt, dass der europäische Schutz
für diese Flasche erhalten bleibt .


(Zuruf von der SPD: Sie waren das!)


– Ja, ich war das, genau .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Der Bocksbeutel ist europäisch geschützt!)


Würden Weinflaschen bepfandet werden, könnten sie
überall abgegeben werden . Was will ein Winzer aus der
Pfalz mit diesem Bockbeutel anfangen, in dem nur Wein
aus dem Anbaugebiet Franken abgefüllt werden kann?
Für ihn ist die Flasche vollkommen unbrauchbar, und er
muss sie umständlich nach Franken transportieren . Das
würde der Umwelt unter dem Strich gar nichts bringen.

Damit habe ich Ihnen das am Beispiel von Franken
erklärt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822208400

Kollegin Weisgerber, so hochinteressant das auch ist,

aber bitte setzen Sie einen Punkt .


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1822208500

Ich komme zum Schluss . – Das Verpackungsgesetz

befindet sich auf der Zielgeraden. Lassen Sie uns ge-
meinsam mit den Kommunen, der Wirtschaft, den Um-
weltverbänden, den Verbrauchern und den Bundeslän-
dern über die Ziellinie gehen und den Gesetzentwurf
verabschieden – für höhere Recyclingquoten, für eine
Stärkung der Kommunen und für einen funktionierenden
Wettbewerb .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822208600

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11274 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-

neten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid
Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehr-
bedarf anerkennen

Drucksachen 18/10283, 18/11434

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Paschke für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1822208700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurt
Schumacher hat einmal gesagt: „Politik beginnt mit dem
Betrachten der Wirklichkeit.“


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Wirklichkeit ist: Die wenigsten Menschen suchen es
sich aus, ihre Kinder alleine zu erziehen .

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


Viele von uns kennen die Situation, dass die Gemein-
samkeiten in einer Partnerschaft irgendwann auch ein-
mal aufgebraucht sein können . Dann ist eine Trennung
der beste Weg für alle Beteiligten – auch für die Kinder
übrigens . Die meisten Eltern wollen ihre Kinder jedoch
trotzdem gemeinsam erziehen und regelmäßig Kontakt
zu ihnen haben . Wenn man in dieser ohnehin schwieri-
gen Situation auch noch auf Grundsicherung angewiesen
ist, dann beginnen die Probleme; denn die Rechtslage ist
kompliziert und fördert eher den Zwist als den notwendi-
gen Zusammenhalt der Eltern .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts muss im
Zweifel stunden- oder tageweise nachgewiesen werden,
bei welchem Elternteil sich das Kind aufgehalten hat .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnten wir ändern!)


Dementsprechend wird dann das Sozialgeld des Kindes
gekürzt und, falls beide Eltern in der Grundsicherung
sind, dem Expartner zugerechnet . Ich habe Bescheide ge-
sehen, die 200 Seiten dick waren . Das ist zum einen – mit
Verlaub – totaler Unsinn und führt zum anderen häufig
zum Streit .


(Bernd Rützel [SPD]: So ist das! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das könnten wir heute ändern!)


Das müssen wir weder den Kindern noch den Eltern und
auch nicht den Mitarbeitern in den Jobcentern antun .
Deshalb hat die SPD bei den Verhandlungen zum Gesetz
zur Rechtsvereinfachung im SGB II und auch zum Re-
gelbedarfs-Ermittlungsgesetz vorgeschlagen, einen Um-
gangsmehrbedarf in drei Stufen einzuführen – einfach
für die Eltern und das Jobcenter und gut für die Kinder .
Dieser aus meiner Sicht gute Vorschlag ist leider am Fi-
nanzministerium und an der Union gescheitert.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Da würde ich mich aber unter dem Tisch verstecken und mich schämen!)


Im Vergleich zu anderen Ausgaben ging es hier gerade
einmal um 60 Millionen Euro, wohlgemerkt: bei einem
Haushaltsvolumen von 19,2 Milliarden Euro für die
Grundsicherung .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 18 Milliarden, von denen Sie nicht wissen, was Sie damit tun sollen!)


Wer, wenn nicht die Kinder und deren Eltern, die Hilfe
benötigen, sollte im Mittelpunkt der Politik stehen?


(Beifall bei der SPD – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja eben! Machen Sie mal!)


Ich bekomme einen dicken Hals, wenn ich manche Kol-
leginnen und Kollegen in Sonntagsreden über Kinder
und Familien als unsere Zukunft reden höre . Bei einigen
liegen nämlich das Reden und das Handeln so weit aus-
einander, dass mir glatt die Luft wegbleibt .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie von sich? – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Komm mal zur Sache!)


– Das war jetzt etwas Grundsätzliches zum Thema. Und
dass mir manchmal die Luft wegbleibt, passiert mir lei-
der häufig bei den Kolleginnen und Kollegen unseres
Koalitionspartners;


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkret? – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt mal Details!)


denn wir hätten das Problem schon lösen können .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir demnächst Wahlkampf, oder wie ist das?)


Nun aber zum Antrag . Auch dazu muss ich etwas
sagen . In der Analyse werden leider zwei Bereiche ver-
mischt, die für sich gesehen gar nicht so falsch sind, aber
nichts direkt miteinander zu tun haben . Die Armutsge-
fährdung Alleinerziehender können wir nämlich nicht
mit dem Umgangsmehrbedarf bekämpfen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von den Linken, sondern mit gu-
ten Angeboten zur Kinderbetreuung, gleichen Bildungs-
chancen, Qualifizierung und Weiterbildung der Eltern
und vor allem mit guter und gut bezahlter Arbeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Umgangsmehrbedarf soll die zusätzlichen Bedürf-
nisse der Kinder decken, wenn sie sich beim anderen
Elternteil befinden. Das reicht vom Spielzeug über die
Zahnbürste bis hin zum Zoobesuch . Dabei macht es aber
schon einen Unterschied, ob der Aufenthalt einen Tag
oder fünfzehn Tage im Monat dauert. Deshalb finde ich
die von Ihnen vorgeschlagene Pauschalierung zu grob .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD will mal wieder mehr Bürokratie!)


Sie schafft auch neue Ungerechtigkeiten; denn sie würde
zusammenlebende Paare mit Kindern schlechterstellen .

Ich wage für den letzten Tagesordnungspunkt heute
eine Prognose: Wenn man die Reden verfolgt, wird man
feststellen, dass fast alle das gleiche Ziel formulieren,
nämlich diejenigen zu unterstützen, die das Beste für ihre
Kinder wollen . Liebe Kolleginnen und Kollegen – das
richte ich an alle Fraktionen –, wenn das ernst gemeint
ist, können wir noch in dieser Legislaturperiode mit allen
Fraktionen eine gemeinsame Regelung schaffen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann macht mal! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch mal ein Gesetz vor!)


Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


Die SPD wird auf jeden Fall nicht lockerlassen und sich
weiter für diejenigen einsetzen, die sich gemeinsam um
ihre Kinder sorgen und kümmern wollen .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stimmen zu!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822208800

Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822208900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Lin-

ke wollen, dass alle Kinder einen guten Start ins Leben
haben. Wir wollen Kinderarmut abschaffen, damit alle
Kinder frei von Armut groß werden können .


(Beifall bei der LINKEN)


Heute stellen wir eine Maßnahme zur Abstimmung, die
die Situation von Kindern verbessert, deren Eltern ge-
trennt leben und beide auf Hartz-IV-Leistungen angewie-
sen sind. Es geht um den Umgangsmehrbedarf.

Die aktuelle Hartz-IV-Praxis sieht Folgendes vor:
Kinder, deren Eltern auf Hartz-IV-Leistungen angewie-
sen sind, bekommen den Kinderregelsatz . Wenn beide
Elternteile getrennt leben, muss der aufgeteilt werden . –
Wie soll das in der Praxis ablaufen? Versetzen Sie sich
doch einmal in die Situation von Leuten, die sowieso je-
den Euro umdrehen müssen und deren emotionale Situa-
tion womöglich angespannt ist, und die sollen dann auch
noch den geringen Regelsatz aufteilen .

Neunmalkluge Bürokraten haben vorgeschlagen, dass
die Eltern genau dokumentieren sollen, bei wem das
Kind welche Mahlzeit einnimmt . Das ist doch total wirk-
lichkeitsfremd .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Klein-Lotta abends beim Vater eine Käsestulle
isst, aber nach der Busfahrt zu Hause bei der Mutter sagt:
„Du, ich habe schon wieder Hunger“, dann sagt doch kei-
ne Mutter: Tut mir leid, der Anteil für das Abendbrot ist
schon von deinem Vater verbraucht worden . – Die Be-
dürfnisse von Kindern, auch der Appetit von Kindern,
richten sich nicht nach den kleinkarierten Berechnungen
von Bürokraten. Es ist also höchste Zeit für einen Um-
gangsmehrbedarf .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Eltern getrennt leben und die Kinder zu bei-
den Elternteilen Kontakt haben, fallen Mehrkosten an .
Erstens fallen höhere Fahrt- und Kommunikationskosten
an. Zweitens gibt es fixe Kosten wie Versicherungs- und
Vereinsbeiträge; außerdem sind Ansparungen für Haus-
haltsgeräte vorzunehmen . All diese Kosten fallen nicht
weg, nur weil das Kind gerade beim Vater bzw . bei der

Mutter ist . Drittens: Wer den Alltag mit Kindern direkt
erlebt, weiß, dass man bei ihnen auf alle Eventualitäten
und auch Witterungsbedingungen eingestellt sein muss .
Bei Regen braucht man Gummistiefel, weil Kinder gerne
in Pfützen springen . Zwei Paar Gummistiefel sind im ein-
fachen Kinderregelsatz nicht drin . Das heißt, man muss
jedes Mal, wenn das Kind zum Papa fährt, die Gummi-
stiefel einpacken . Dabei bleibt es aber nicht . Man braucht
eine Matschhose, einen Regenmantel, eine Badehose, ei-
nen Bademantel und Badelatschen . Außerdem benötigt
man eine Wärmflasche, wenn das Kind Bauchschmerzen
hat . Auch braucht das Kind Turnschuhe, wenn es in der
Freizeit kicken will . Es braucht Sportsachen und so wei-
ter und so fort . Der Rucksack, den man dem Kind jedes
Mal mitgibt, muss wirklich groß sein . Kinder, deren El-
tern getrennt leben und arm sind, haben schon ein großes
Päckchen durch das Leben zu tragen . Wie groß soll denn,
bitte schön, der Rucksack sein, den sie den Kindern jedes
Mal aufladen müssen, wenn diese zum anderen Elternteil
fahren?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kurzum: Beim Umgangsmehrbedarf handelt es sich
meiner Meinung nach um eine Selbstverständlichkeit .
Ich habe mich wirklich gefragt, warum Sie von der Uni-
on den so verbissen blockieren . Erst habe ich gedacht:
Okay, die sind so knauserig, weil sie an der schwarzen
Null hängen . – Dann aber tagte die NATO, und man be-
schloss, dass mehr Geld für Rüstung ausgegeben werden
muss: 25 Milliarden Euro . Sogar Herr Schäuble sagte
großzügig, da sei schon was drin, das sei möglich . Es
sind 25 Milliarden Euro im Jahr für Panzer drin, aber
rund 100 Euro im Monat für Kinder nicht . Das können
Sie mir doch nicht weismachen!

Als ich das Protokoll über die erste Diskussion hier im
Bundestag zu diesem Thema gelesen habe, fielen mir die
aggressiven Zwischenrufe aus Ihren Reihen bei der Rede
meiner Fraktionskollegin Hupach auf .


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das kann ja auch etwas mit der Rede zu tun haben! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sind nie aggressiv!)


Aus den Reihen der CDU hieß es da – jetzt zitiere ich –:

Das Versagen der Eltern ist für Sie eine Entschuldi-
gung, dass wir mehr Geld ausgeben!

Sie, die CDU-Männer, sprachen vom Versagen der El-
tern . Ich habe mir das nicht ausgedacht . Das kann man im
Plenarprotokoll vom 2 . Dezember 2016 nachlesen .

Wie kann man denn bei getrennt lebenden Eltern, bei
Alleinerziehenden überhaupt an das Wort „Versagen“
denken? Wer selbst erlebt hat, wie schwer es ist, einen
sicheren Kitaplatz zu bekommen, wer weiß, dass Kinder-
krankheiten alle beruflichen Planungen über Nacht über
den Haufen werfen können, wer erlebt hat, dass Kinder
just in der Nacht nicht durchschlafen können, wo die
Eltern den Schlaf selber besonders nötig hätten, wer die
großartige und zugleich tiefe Erschöpfung nach einem
gelungenen Kindergeburtstag kennt, der kann doch nicht
ernsthaft die Wörter „Alleinerziehende“ und „Versagen“

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


in einem Satz erwähnen . Ich habe all diese wunderschö-
nen und manchmal auch sehr anstrengenden Momente
aus dem Leben mit einem Kind sehr intensiv kennenge-
lernt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Meinen Sie, wir nicht?)


Und ich kann nur sagen: Hut ab vor allen Ein-Eltern-Fa-
milien! Hut ab vor allen Alleinerziehenden! Ihr leistet
Großartiges!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Einzige, die hier versagt, ist die Regierungskoaliti-
on. Die Einzigen, die hier versagen, sind die Union und
leider auch die SPD, weil sie es nicht schaffen, die Lage
von Kindern, deren Eltern in Hartz IV sind und getrennt
leben, deutlich zu verbessern .

Wenn ich mir Ihre Zwischenrufe so anschaue, dann
denke ich manchmal: Kann es sein, dass Sie tief in Ihrem
Herzen Menschen, die in einer solchen Notsituation sind,
einfach verachten?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt erzählen Sie doch keinen Unsinn!)


– Wenn Sie sich so aufregen, sage ich Ihnen: Sie von der
CDU können heute das Gegenteil beweisen und klarma-
chen, dass Ihnen die Situation von Alleinerziehenden
bzw . getrennt lebenden Eltern nicht egal ist, indem Sie
unserem Antrag einfach zustimmen . Das wäre eine prak-
tische Maßnahme, um die Situation von Kindern, deren
Eltern arm sind, zu verbessern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unmöglich! Arbeiten Sie an Ihrer Wortwahl!)


– Arbeiten Sie an Ihren Beschlüssen und am Abstim-
mungsverhalten .


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Mensch, wie hat das denn bei euch im Sozialismus ausgesehen?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822209000

Kleinen Moment mal!


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Kommt mal in die Gegenwart und lebt nicht in der Vergangenheit! – Unruhe – Glocke der Präsidentin)


– So, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort . Es liegt in der Natur der Sache, dass ich
jetzt der nächsten Rednerin das Wort erteile . Sollte es
Bedarf an weiterem Disput geben, dann sieht unsere Ge-
schäftsordnung auch dafür entsprechende Formate vor .

Nun hat aber die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1822209100


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte das Ganze nun etwas unaufgeregter vortra-
gen . Einig sind wir uns, Frau Kipping: Alleinerziehende
Mütter und Väter leisten viel . Ihr Antrag gibt uns heute
die Möglichkeit, einmal aufzuzeigen, wie die Bundesre-
gierung Alleinerziehende unterstützt und entlastet . Wir
sind uns auch einig, dass wir uns für die Lebenssituation
von Kindern starkmachen müssen. Für uns in der CDU/
CSU ist klar, dass wir Eltern – Väter wie Mütter – unter-
stützen . Aber wir sagen gleichzeitig auch: Wir nehmen
Eltern die Verantwortung nicht ab, egal ob sie alleine
wohnen oder ob sie gemeinschaftlich wohnen . Dafür
steht unsere Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da wir uns dem Thema Alleinerziehende aus einer
anderen Sicht nähern, erlauben Sie mir einige Vorbemer-
kungen . Im Rahmen einer modernen und zukunftswei-
senden Familienpolitik orientiert sich die Bundesregie-
rung an der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie schafft
die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Fami-
lie und Beruf und bietet damit auch Perspektiven für eine
eigenständige Lebensgestaltung. Die Koalition schafft
gute Rahmenbedingungen für Eltern, egal welches El-
ternmodell gelebt wird . Was haben wir allein in dieser
Legislaturperiode auf den Weg gebracht! Der Entlas-
tungsbetrag für Alleinerziehende wurde erhöht .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er kommt gar nicht an! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kommt bei den Armen nicht an!)


Der Kinderzuschlag wird aufgestockt . Wir haben wei-
terhin in den Ausbau der Kinderbetreuung massiv in-
vestiert . Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass die
Kitaöffnungszeiten erweitert werden. Die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf ist heute aus unterschiedlichen
Gründen ein ganz wichtiges Thema .

Ich füge noch einen Gedanken hinzu. Für viele Unter-
nehmen in meinem Wahlkreis in Südwestfalen ist klar:
Nicht nur die Familien profitieren von einer verbesserten
Betreuungsinfrastruktur . Gut ausgebildete Frauen und
Männer sind wichtig für die Unternehmen; das wissen
die Unternehmer. Sie bieten daher nicht nur eine flexi-
ble Arbeitszeitgestaltung, sondern auch flexible Aus-
bildungsmodelle . Ausbildung in Teilzeit zum Beispiel
kommt der ganzen Familie oder dem Einzelnen bzw . den
Alleinerziehenden zugute . Der Kollege Paschke hat es
bereits erwähnt: Es geht darum, weiterhin in Ausbildung
und Qualifizierung zu investieren.

Warum erwähne ich das alles? Sie können den Ein-
druck haben, als hätte das nichts mit Ihrem Antrag zu tun .
Wir haben beim Thema Alleinerziehende mehrere As-
pekte im Blick . Wir spielen Menschen nicht gegeneinan-
der aus . Es gibt Alleinerziehende, die im SGB-II-Leis-

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


tungsbezug sind . Es gibt aber auch Alleinerziehende, die
in Vollzeit oder in Teilzeit beschäftigt sind


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und trotzdem im SGB-II-Bezug sind!)


und ihren Lebensunterhalt bestreiten oder Aufstockung
durch die Grundsicherung erfahren . Ja, wir müssen alle
Alleinerziehenden im Blick haben, auch die Alleinerzie-
henden, die wirklich alleinerziehend sind und jeden Mor-
gen den Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuung
machen . Wir sollten diese Gruppen nicht gegeneinander
ausspielen . Jede Gruppe der Alleinerziehenden hat es
verdient, dass wir in gleicher Weise an sie denken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denken allein reicht nicht!)


Kollegen der Linken, Ihr Antrag erweckt wieder ein-
mal den Eindruck, als habe die Bundesregierung die
Personengruppe der Alleinerziehenden, welche im SGB-
II-Bezug sind, nicht richtig im Blick . Dabei bildet das
SGB II die besondere Förderung von Alleinerziehenden
ab . Dazu drei Punkte: Wir haben nicht nur einen grund-
sätzlichen Mehrbedarf und eine Entlastung in den soge-
nannten temporären Bedarfsgemeinschaften zu verzeich-
nen . Vielmehr erstatten wir schon heute angemessene
Kosten der Heizung und der Unterkunft. On top erstatten
wir die zusätzlichen durch das Umgangsrecht bedingten
Fahrtkosten .

Wenn ich mir im Jobcenter vor Ort die verschiede-
nen Leistungsempfänger unter den Alleinerziehenden im
Rechtskreis des SGB II anschaue, dann stelle ich fest,
dass jeder Fall völlig individuell ist . Es gibt Fälle, bei
denen die getrennt lebenden Eltern in einer Stadt oder in
benachbarten Städten wohnen . Es gibt aber auch Fälle,
bei denen ein Elternteil in Nordrhein-Westfalen lebt –
ich komme aus Nordrhein-Westfalen – und der andere in
Niedersachsen . Dabei entstehen hohe Kosten für Fahrten
und Unterkunft am Wochenende. Manchmal geht es auch
darum, dass ein Elternteil gar nicht in der Lage ist, sel-
ber zum Kind zu fahren, der Vater bzw . die Mutter also
mit dem Kind von dem gemeinsamen Wohnort zu dem
des anderen Elternteils fährt . Das ist ein bunter Strauß
an Möglichkeiten, die alle individuell berücksichtigt
werden, und das ist richtig und gut . Deshalb sagen wir:
Die individuelle Betrachtung und Erstattung, wie ich es
beispielsweise anhand der Fahrtkosten ausgeführt habe,
bietet mehr Vorteile für die Betreffenden als ein pauscha-
liertes Abrechnungsverfahren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sprechen Sie doch mal die Punkte von Frau Kipping an! Nehmen Sie doch mal die Punkte, die Frau Kipping genannt hat!)


Aus diesen individuellen Berechnungen für einen er-
höhten Mehrbedarf kann man folgern – auch das gehört
zur Wahrheit –, dass Alleinerziehende schon heute mehr

Leistungen erhalten als zum Beispiel Paare in der Grund-
sicherung .


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist es!)


Aus den genannten Gründen kann ich viele Argumen-
te und Schlussfolgerungen, die Sie, Frau Kipping, hier
vorgetragen haben und die in Ihrem Antrag stehen, nicht
nachvollziehen . Bei uns steht ein anderer Ansatz im Vor-
dergrund,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Mehr Bürokratie!)


nämlich Hilfe zur Selbsthilfe . Mit diesem Ansatz kön-
nen wir viel mehr erreichen, auch langfristig mehr . Wir
stärken die Menschen . Wir wollen die Menschen durch
Maßnahmen unterstützen,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn?)


wir wollen Anreize schaffen, damit es den Alleinerzie-
henden ermöglicht wird, unabhängig von sozialen Trans-
ferleistungen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu
gehen .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das widerspricht dem ja nicht!)


Dazu gehören – ich führe noch einmal den Gedanken des
Kollege Paschke aus – arbeits- und ausbildungspolitische
Maßnahmen für Alleinerziehende,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Entweder-oder!)


Kinderbetreuung und auch der Ausbau der Kinderbe-
treuung . Hier können und werden wir weiter passgenau
investieren .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht alles nicht gegen den Antrag!)


Liebe Kollegen von der Linken, Sie werden dem An-
liegen der Kinder nicht gerecht, wenn Sie ausschließlich
aus der Bedürftigkeitssicht der Eltern argumentieren;
denn der Unterhalt steht zunächst einmal den Kindern zu.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822209200

Kollegin Voßbeck-Kayser, gestatten Sie eine Frage

oder Bemerkung der Kollegin Kipping?


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1822209300

Nein, ich möchte den Gedanken gerne zu Ende brin-

gen . – Noch einmal: Es geht nicht, aus der Bedürftig-
keitssicht der Eltern zu argumentieren . Für uns, für die
CDU ist nicht das Festsetzen von Leistungsbezügen im
SGB II der richtige Ansatz, sondern die Hilfe zur Selbst-
hilfe .

Dass wir die Kinder und die Eltern unterstützen müs-
sen, dass der Unterhalt für die Kinder gesichert sein
muss, darin sind wir uns alle einig . Der Staat hilft und
unterstützt. Auch mit dem Gesetzentwurf zum Unter-
haltsvorschuss sind wir auf dem richtigen Weg .

Christel Voßbeck-Kayser






(A) (C)



(B) (D)


Zusammengefasst kann ich nur sagen: Wir nähern uns
dem Thema aus einer anderen Sicht. Ich finde, es müssen
mehrere Argumente und Aspekte berücksichtigt werden .
Von daher wird es Sie nicht wundern, wenn wir Ihren
heute vorliegenden Antrag ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822209400

Das Wort hat der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will noch einmal sagen, worum es geht . Es geht hier
um die Kinder, die in zwei verschiedenen Haushalten
aufwachsen, weil die Eltern getrennt voneinander leben .
Es geht um deren Existenzminimum, das durch die ge-
genwärtigen Leistungen nicht abgesichert ist . Wenn ein
Kind in zwei Haushalten lebt – die Kollegin Kipping
hat das eben an einigen Beispielen plastisch deutlich ge-
macht –, dann entstehen höhere Kosten . Im Steuerrecht
gibt es einen Steuerfreibetrag für doppelte Haushaltsfüh-
rung . Für Kinder, die im Hartz-IV-Bezug leben, gibt es
kein entsprechendes Gegenstück, um diesen Mehrbedarf
zu decken . Das wäre unbedingt notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann hier die Position der Union überhaupt nicht
verstehen; denn es geht darum, das Existenzminimum
der Kinder zu decken, und das möglichst unbürokratisch .
Eigentlich sollte es doch auch im Interesse der Union
sein, das zu erreichen .

Nun zur SPD . Es geht hier um einen unbürokrati-
schen Vorschlag . Der Vorschlag, den die Linke in ihrem
Antrag macht – wir haben ihn schon im letzten Jahr in
zwei Anträgen formuliert, sowohl im Bereich Rechts-
vereinfachungen als auch hinsichtlich des Regelsatzes;
es gab schon zweimal die Möglichkeit, entsprechende
Regelungen einzuführen –, ist genau der richtige Weg:
Die Person, die die Kinder überwiegend betreut, soll den
Regelsatz bekommen, und zwar in voller Höhe, unabhän-
gig davon, ob das Kind einmal ein paar Tage bei dem
Elternteil ist, der das Kind nicht überwiegend betreut .
Der andere Elternteil soll einen pauschalen Umgangs-
mehrbedarf geltend machen können . Die Linken schla-
gen hierfür 50 Prozent des Regelsatzes vor . Das ist eine
vernünftige Größenordnung . Das wäre eine ganz unbü-
rokratische, einfache Regelung, die man heute per Be-
schluss einführen könnte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will noch einmal sagen: Um Armut zu bekämp-
fen, reicht das natürlich nicht aus . Es geht darum, das
Existenzminimum für diese spezielle Gruppe zu decken .
Zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzmini-
mums fordert eigentlich sogar die Verfassung auf . Dazu
gehört das Existenzminimum von Kindern, auch wenn
die Eltern, ob verschuldet oder nicht verschuldet, ge-

trennt leben . Das ist ein Grundrecht der Kinder, dem wir
nachkommen müssen . Wenn wir Kinderarmut bekämp-
fen wollen, dann braucht es natürlich viel mehr . 20 Pro-
zent Kinderarmut in Deutschland sind definitiv zu viel.
Auch das müssen wir angehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir Grünen haben an dieser Stelle einen Vorschlag
vorgelegt . Wir sagen: Wir brauchen eine Kindergrundsi-
cherung in Höhe des höchsten Regelsatzes . Diese Grund-
sicherung muss einkommensunabhängig sein und für alle
Kinder gelten . Für Menschen mit geringem Einkommen
brauchen wir einen einkommensabhängigen Kindergeld-
bonus, der das sächliche Existenzminimum abdeckt .
Außerdem brauchen wir eine Neuberechnung und Anhe-
bung der Kinderregelsätze . Mit diesem Dreiklang können
wir das Existenzminimum für alle Kinder in Deutschland
vernünftig absichern und Kinderarmut effizient und un-
bürokratisch bekämpfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das, was jetzt ansteht . Geben Sie sich also ei-
nen Ruck, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
aber vor allen Dingen von der Union! Lassen Sie uns mit
dieser kleinen Gruppe anfangen; sie ist besonders betrof-
fen . Lassen Sie uns das Existenzminimum der Kinder,
deren Eltern getrennt leben, durch einen Umgangsmehr-
bedarf decken! Stimmen Sie dem Antrag der Linken zu!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822209500

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr . Fritz

Felgentreu das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1822209600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das gan-

ze Haus ist sich, glaube ich, darin einig, dass Alleiner-
ziehende im Vergleich zu Elternpaaren ganz besondere
Aufgaben meistern und auch mit zusätzlichen Kosten
fertigwerden müssen . Noch teurer wird das Leben für sie,
wenn die getrennt lebenden Eltern eines Kindes beide den
Anspruch haben, sich um ihr Kind liebevoll zu kümmern
und ihm ein echtes Zuhause zu bieten, egal ob es sich
gerade beim Vater oder bei der Mutter aufhält . Genau
dann entstehen zusätzliche Kosten etwa für ein zweites
Kinderzimmer, für Kleidung, für Vereine, für kulturelles
Angebot und, und, und . Diese alltäglichen Sorgen wer-
den für die Solidargemeinschaft allerspätestens in dem
Moment eine Herausforderung, in dem mindestens der
Haushalt, in dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat,
von Transferleistungen abhängig ist . Meistens geht es da-
bei um alleinerziehende Mütter, die mit ihrem Kind von
Arbeitslosengeld II leben .

Relativ leicht ist es noch, sich darüber zu verständigen,
was wir alle gemeinsam nicht wollen . Wir wollen nicht,
dass die Kinder unter dieser unglücklichen Lebenssitu-

Christel Voßbeck-Kayser






(A) (C)



(B) (D)


ation unnötig leiden, und wir wollen nicht, dass für die
Mutter ein Anreiz entsteht, den Umgang mit dem Vater
zu verhindern . Beide Überlegungen sprechen gegen die
gegenwärtige Lösung, gegen die sogenannte – Achtung,
Fachterminus – temporäre Bedarfsgemeinschaft .

Nach geltendem Recht ist es so: Das Jobcenter kann
tageweise den Aufenthalt des Kindes beim Vater berech-
nen und die entsprechenden Tagessätze – natürlich nur
für das Kind, nicht für die Mutter – von dem Geld abzie-
hen, das es an den Haushalt der Mutter überweist . Aus
der persönlichen Sicht der Mutter, die den Haushalt führt,
heißt das dann: Jeder Tag, den mein Kind bei meinem
Ex verbringt, bedeutet, dass meine sowieso schon knap-
pe Kasse noch ein bisschen leerer wird . Keine gute Vo-
raussetzung für eine partnerschaftliche Kindeserziehung!
Zum Glück verfahren bei weitem nicht alle Jobcenter so .
Aber aus Sicht der SPD ist klar: Das ist vielleicht recht-
lich einwandfrei – deswegen möchte ich Ihnen auch wi-
dersprechen, Herr Strengmann-Kuhn, dass es hier um das
Existenzminimum geht –; aber es geht an der Lebens-
wirklichkeit vorbei . Davon wollen wir wegkommen .


(Beifall bei der SPD)


Unser Koalitionspartner meint, das zusätzliche Geld,
das Alleinerziehende jetzt schon bekommen, reiche aus,
um das Problem zu lösen . Das sehen wir anders . Wir sind
auch nicht glücklich mit dem enormen Aufwand, den
manche Jobcenter betreiben, um nach den bestehenden
Regeln den Anspruch der Eltern zu berechnen . Leis-
tungsbescheide von 200 Seiten Umfang, wie der Kollege
Paschke sie eben erwähnt hat, sind zwar zum Glück auch
in diesen Fällen eine Ausnahmeerscheinung, aber, liebe
Frau Voßbeck-Kayser, bei aller Wertschätzung für die
Berücksichtigung individueller Lebenssituationen sind
sie doch eine Ausnahme, die wir in Zukunft nicht mehr
erleben wollen .

Andererseits wollen wir aber auch keine Lösung, die
bei Paaren den Eindruck erweckt, dass der Solidarge-
meinschaft ihre Kinder möglicherweise weniger wert
sind als die Kinder Alleinerziehender oder dass sie die
Familie mit nur einem Elternteil gegenüber Elternpaaren
besonders fördern wolle . Dazu noch eine Randbemer-
kung: Das Gegenteil ist der Fall . Natürlich wünschen
wir – auch hier denke ich, dass ich für das ganze Haus
sprechen kann – allen Kindern und allen Familien, dass
sie zusammenbleiben . Aber im Leben kommt es nun ein-
mal sehr oft anders . Dann brauchen die Kinder und die
Familien Verständnis und Solidarität .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das muss der Staat dann bezahlen!)


– Ja, natürlich, auch das .


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Interessant!)


Trotzdem fällt es mir bei den Vorschlägen der Linken
schwer, gegenüber Paaren zu vertreten, dass die zusätz-
liche Unterstützung, die Sie vorschlagen, nicht auf eine
Bevorzugung hinausläuft . Sie wollen den Kindern Al-

leinerziehender grundsätzlich das Anderthalbfache des-
sen zugestehen, was andere Kinder erhalten .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie können ja einen anderen Vorschlag machen!)


Auch diesen Weg wird die SPD nicht mitgehen,


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hoch ist denn der Mehrbedarf nach Ansicht der SPD?)


und zwar nicht, weil wir den Familien Unterstützung
vorenthalten wollen, nein, sondern aus Gründen der Ge-
rechtigkeit .

Am Ende müssen wir eine Lösung finden, die vom
Kindeswohl ausgeht . Das Kind braucht beide Eltern, und
zwar möglichst ohne Streit und Ärger . Deshalb müssen
wir den Regelsatz des Kindes dort lassen, wo es meistens
lebt, also in der Regel bei der Mutter . Für die Zeiten, die
es mit dem Vater verbringt, wollen wir einen nach Alter
und Dauer gestaffelten Umgangsmehrbedarf anerkennen,
der aber nicht die von den Linken vorgeschlagenen Aus-
maße erreicht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, liebe
Frau Freudenstein, ich lade Sie herzlich ein, Ihren Wider-
stand gegen eine lebensnahe und familienfreundliche Lö-
sung aufzugeben . Den Antrag der Linken können wir aus
guten Gründen heute gemeinsam ablehnen . Aber einen
vernünftig ausgestalteten Umgangsmehrbedarf sollten
wir trotzdem einführen,


(Beifall bei der SPD)


und zwar einfach, um Kindern, die es schwerer haben,
das Großwerden in solidarischer Verantwortung ein klei-
nes bisschen leichter zu machen .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822209700

Das Wort hat die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1822209800

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Wissen Sie, Frau

Kollegin Kipping, was Sie hier machen, ist wildester
Linkspopulismus .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Vielen Dank für die Blumen!)


So zu tun, als würde sich dieses Parlament in jene auftei-
len, die es mit Kindern gut meinen, und jene, die es mit
Kindern nicht gut meinen, ist der Sache nicht angemes-
sen, nicht einmal in Wahlkampfzeiten, wie ich meine .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nichtstun ist der Sache auch nicht angemessen!)


So zu tun, als wäre die momentane Gesetzeslage darauf
aus, dass Kinder keine Wärmflaschen oder Zahnbürsten

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


bekommen können, ist der Sache ebenfalls nicht ange-
messen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das, was Sie als überbordende Bürokratie bezeichnen,
ist auch dem sorgsamen Umgang mit Steuermitteln und
dem Gerechtigkeitsempfinden derer geschuldet, die das
Geld erwirtschaften .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürokratie ist sorgsamer Umgang mit Steuermitteln? Das ist eine interessante Auffassung! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Seit wann ist der Aufbau von Bürokratie ein sorgsamer Umgang mit Steuergeldern?)


Es sind auch Alleinerziehende dabei, die für diese Gelder
aufkommen .

Wissen Sie, es gibt gut 1,6 Millionen Bundesbürger,
ganz überwiegend Frauen, die alleinerziehend sind in un-
serem Land, und die allermeisten von ihnen bringen ihr
Leben auch sehr gut auf die Reihe . Sie sind berufstätig
und für ihre Kinder da. Sie schaffen das, weil sie unwahr-
scheinlich viel Kraft, Einsatz und Zeit investieren . Sie
schaffen das auch – das hat die Kollegin Voßbeck-Kayser
schon erwähnt –, weil wir die Rahmenbedingungen dafür
geschaffen haben, dass man Familie und Beruf verein-
baren kann, dass man berufstätig sein und sich um seine
eigenen Kinder kümmern kann .

Es gab auch finanzielle Verbesserungen für Alleiner-
ziehende . Es gibt aber noch viele Alleinerziehende – es
sind immer noch viel zu viele –, die trotzdem nicht klar-
kommen, und über die reden wir heute . Das sind die, die
sehr wenig oder gar nichts verdienen und Kinder haben,
die keinen festen Partner dazu haben oder eben einen, der
selbst arbeitslos ist . Es geht also um Alleinerziehende,
die Leistungen nach dem SGB II beziehen .

Sie sind auf unseren Sozialstaat angewiesen, und sie
bekommen dort natürlich auch Unterstützung. Sie be-
kommen den Regelsatz für das Kind . Sie bekommen den
Mehrbedarf für Alleinerziehende . Darüber hinaus be-
kommen sie die Kosten erstattet, die dadurch entstehen,
dass sich das Kind gelegentlich beim Partner aufhält . Das
heißt – hier wird gelegentlich ein anderer Eindruck er-
weckt –, alleinerziehende ALG-II-Bezieher und ihre Kin-
der müssen eben nicht mit dem normalen Regelbedarf
des Kindes zurechtkommen . Schon jetzt werden Extra-
kosten abgedeckt .

Sie fordern jetzt, dass der Regelbedarf von Alleiner-
ziehenden quasi auf 150 Prozent erhöht wird . Von dieser
Maßnahme würde natürlich vor allem eine Personen-
gruppe profitieren, nämlich die – ich nenne Sie jetzt ein-
mal – Wochenendväter . Wir wollen diesen grundsätzlich
höheren Regelbedarf ohne jeden Einzelnachweis auch
deshalb nicht, weil wir damit die Lebensform der Ein-El-
tern-Familie gegenüber verheirateten Paaren bevorteilen
würden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Das ist ja überhaupt keine Frage . Das können Sie doch
nicht in Abrede stellen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822209900

Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung der Kollegin Brantner?


Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1822210000

Nein, gestatte ich nicht .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ignorieren Sie einfach, was Sie falsch gesagt haben!)


Ich stelle auch in Abrede, dass die Probleme, die es in
diesen Familienkonstellationen ganz zweifelsohne gibt,
mit mehr Geld zu beheben sind . Wenn beide Elternteile
auf Hartz IV angewiesen sind und getrennt leben, dann
geht es nicht in erster Linie um mehr Geld, sondern dann
muss es in erster Linie darum gehen, dass das nicht zum
Lebensmodell werden darf und dass wir diesen Zustand
ganz rasch beenden müssen . Das heißt, wir müssen die
Eltern in einen Zustand bringen, sich wieder selbst um
ihre eigenen Kinder kümmern zu können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Bis dahin müssen das die Kinder ausbaden!)


Mit mehr Geld stellen wir leider auch nicht sicher, dass
dieses Geld wirklich bei den Kindern ankommt . Nicht
umsonst setzen wir jetzt schon dort, wo es darum geht,
Kinder in den Sportverein oder in den Musikunterricht
zu bringen, auf Gutscheine oder Direktüberweisungen .

Eines ist nun auch nicht von der Hand zu weisen: An
den Tagen, an denen sich das Kind beim Vater aufhält,
hat die Mutter tatsächlich weniger Kosten zu tragen . Das
ist ja gar nicht in Abrede zu stellen .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird die Wohnung für die zwei Tage nicht gebraucht? Wird sie dann weitervermietet?)


Eine Erhöhung des Regelsatzes um 50 Prozent würde
auch völlig falsche Anreize schaffen; denn es lohnt sich
gerade für gering Qualifizierte immer weniger, berufs-
tätig zu sein, je mehr Sozialleistungen man bezieht . Da
sich Armut vererbt, müssen wir die Arbeitslosigkeit der
Eltern beenden und nicht generell mehr ALG überwei-
sen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mehrheit der Alleinerziehenden arbeitet!)


Wir müssen bei jungen Alleinerziehenden auch die
Möglichkeit eröffnen, dass sie in Ausbildung kommen.
Wir müssen die Betroffenen individuell betreuen und
sie Schritt für Schritt in den Beruf und in die finanzielle
Selbstständigkeit bringen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mehrheit der Alleinerziehenden arbeitet!)


Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Damit ist auch den Kindern am meisten gedient . Das
ist im vergangenen Jahr mit unserer Politik schon ganz
gut gelungen . Die größte Armut, auch die größte Armut
von Kindern, herrschte immer in Staatsformen, in denen
sich Ihre Ideologie durchgesetzt hat, Frau Kollegin .

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822210100

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Brantner

das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz kurz noch, Frau Freudenstein; Sie haben ja die
Frage leider nicht zugelassen .

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es
nicht 150 Prozent für die alleinerziehende Mutter sind,
sondern dass es um die Fälle geht, in denen der Vater
aus finanziellen Gründen nicht mehr Verantwortung für
seine Kinder übernehmen kann. Unser Ziel ist, dass es
keinen Vater in diesem Land gibt, der sich deshalb nicht
um seine Kinder kümmert, weil er es sich nicht leisten
kann . Darum geht es, und nicht darum, die Mutter zu be-
vorteilen . Ich fände es schön, wenn Sie das unterstützen
könnten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822210200

Sie haben das Wort zur Erwiderung .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Es wird nicht besser! Ich würde es lassen!)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1822210300
Ich glaube,
ich habe auch nicht gesagt – –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822210400

Würden Sie bitte das Mikrofon benutzen .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da geht es schon los!)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1822210500

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich ge-

sagt hätte, dass es 150 Prozent für die Mutter geben soll;


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


dann hätten Sie mich falsch verstanden. Uns geht es da-
rum – um es noch einmal klarzustellen –, diese Lebens-
form nicht dauerhaft zu dulden,


(Widerspruch bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Es geht um die Kinder! – Katja Kipping [DIE LINKE]: „Nicht dauerhaft dulden“?)


sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die
Eltern aus der Arbeitslosigkeit herauskommen und sich
selber wieder um ihre Kinder kümmern können, weil das
die beste Hilfe für das Kind ist .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie reden Sie denn über Menschen? Sie wollen „diese Lebensform nicht dauerhaft dulden“?– Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Sie regen sich immer über die Wortwahl auf! Wir wollen dagegen etwas tun!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822210600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache .

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es geht um Menschen, die in Armut leben! „Diese Lebensform nicht dauerhaft dulden“! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glocke der Präsidentin – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Auf Kosten der Kinder! Schande! Schande! Schande!)


– Kollege Wunderlich, ich bitte darum, die Aufmerk-
samkeit jetzt wieder auf die Abläufe hier im Plenum zu
richten .

Eines scheint mir festzustehen – selbst wenn wir
gleich zu einer Abstimmung kommen –: Diese Debatte
bleibt uns erhalten . Wir werden sie auch nicht nur hier im
Plenum weiterzuführen haben .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Alleiner-
ziehende entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11434, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/10283 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .

Ich berufe den Deutschen Bundestag zur gemeinsa-
men Sitzung mit dem Bundesrat anlässlich der Vereidi-
gung des Herrn Bundespräsidenten auf Mittwoch, den
22. März 2017, 12 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen bis
dahin alles Gute, liebe Kolleginnen und Kollegen .