Gesamtes Protokol
Guten Morgen! Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzungist eröffnet.Ich begrüße Sie alle herzlich und stelle eine auffälliggute Laune fest, bei der ich jetzt keine Spekulationen an-stellen möchte, worauf sie beruht .
– Es könnte sein, dass das möglicherweise der Hinter-grund ist . Das müssen wir jetzt nicht vertiefen .Es gibt für die heutige Sitzung keine Vorschläge zurVeränderung der Tagesordnung – das ist doch auch schonmal was –, sodass wir gleich mit den Tagesordnungs-punkten 50 a bis 50 c beginnen können:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des InfrastrukturabgabengesetzesDrucksache 18/11237Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Finanzausschuss Haushaltsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Zweiten Verkehrsteueränderungsge-setzesDrucksache 18/11235Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GOc) Erste Beratung des von den AbgeordnetenHerbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay,weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIELINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Aufhebung des Gesetzes über die Erhe-bung einer zeitbezogenen Infrastrukturabga-be für die Benutzung von Bundesfernstraßen
Drucksache 18/11012Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Finanzausschuss HaushaltsausschussFür die Debatte dieser gerade aufgerufenen Gesetzent-würfe ist interfraktionell eine Beratungszeit von 60 Mi-nuten vorgesehen. – Das ist offensichtlich unstreitig.Also können wir so verfahren .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur,Alexander Dobrindt .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Verehrter Herr Präsident!Die vereinbarte Lösung wahrt die Rechte derEU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrerStaatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infra-strukturfinanzierung und erleichtert den Übergangzu einer emissionsarmen Mobilität .
Das sind die Worte der EU-Kommission zur deutschenMaut .
Das ist die Sichtweise Europas gegenüber der deutschenMaut. Europa und die EU-Kommission sind deswegenso überzeugt von der Maut, weil sie den notwendigen
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Systemwechsel von der Steuerfinanzierung zur Nutzer-finanzierung möglich macht und damit langfristig die Fi-nanzierung unserer Infrastruktur sicherstellt . Das ist derGrund, warum Europa zur deutschen Maut steht .
Wir haben eine 100-prozentige Zweckbindung der Ein-nahmen aus der Maut für Investitionen in unsere Infra-struktur geschaffen.
Wir haben eine ökologische Lenkungswirkung .
Und wir haben ein modernes digitales System geschaf-fen . Das ist das Konzept für die Pkw-Maut .Ich möchte an dieser Stelle der EU-Kommission, demKommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und mei-ner Kollegin Bulc für ihren persönlichen und kontinuier-lichen Einsatz ausdrücklich danken, der dieses Ergebnismöglich gemacht hat .Mit dem Systemwechsel von einer steuerfinanziertenhin zu einer nutzerfinanzierten Infrastruktur vollziehenwir auch den Wechsel von nicht zweckgebundenen Steu-ermitteln, die die Autofahrer bisher über die Kfz-Steuerzahlen, hin zu einer zweckgebundenen Infrastrukturab-gabe, die dorthin fließt, wo sie auch erhoben worden ist,nämlich in den Neubau und den Unterhalt unserer Ver-kehrsinfrastruktur .
Wir bewegen übrigens mit der Pkw-Maut bzw . derInfrastrukturabgabe jedes Jahr insgesamt 4 MilliardenEuro vom allgemeinen Steuerhaushalt in den Haushaltdes Bundesverkehrsministers .
– Ja, jedes Jahr 4 Milliarden Euro . – Das sind dauerhafteund zweckgebundene Investitionen in die Infrastruktur .Das bedeutet, dass wir diese 4 Milliarden Euro jährlich,die der Autofahrer aufbringt, vor anderen wechselndenBegehrlichkeiten sichern und dafür sorgen, dass wirlangfristig eine verlässliche Finanzierung unserer Infra-struktur hinbekommen, meine Damen und Herren .
– Ja, das ist die Wahrheit .
Wir machen unsere Investitionen in die Infrastrukturzum ersten Mal unabhängig von Konjunktur, Wahlperio-den und Koalitionen . Wir gehen nach dem Grundsatz vor,dass der Wohlstand da entsteht und wächst, wo die Infra-struktur funktioniert. „Mobilität finanziert Infrastruktur“ist der Gedanke, der uns dabei leitet .Meine Damen und Herren, der Grundgedanke ist, dasswir in diesen Bereichen grundsätzlich eine Zweckbin-dung einführen wollen . Das machen wir, was die Straßebetrifft, bisher schon bei der Lkw-Maut. Das machen wirauch bei der Schiene . Das machen wir übrigens auch beider digitalen Infrastruktur, beim Glasfasernetz, mit denFrequenzversteigerungen und der digitalen Dividende,die wir wieder investieren . Das machen wir jetzt auchbei der Pkw-Maut, bei der Infrastrukturabgabe . Es gibtdabei, um auch das klar zu sagen, keine Mehrbelastungenfür in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge .
Aber zum ersten Mal beteiligen sich alle, die unsereStraßen nutzen, auch gerecht an deren Finanzierung; dasmüssen Sie sich sagen lassen .
Wir schaffen damit schlichtweg Gerechtigkeit auf unse-ren Straßen .
Ich sage Ihnen, weil ich ja die Zwischenrufe verneh-me, auch sehr klar: Es gibt keinen anderen Verkehrshaus-halt in Europa, der so viel Geld einnimmt wie der deut-sche Verkehrshaushalt über die Pkw-Maut .
Kein anderer Verkehrshaushalt erzielt über die Pkw-Maut so hohe Einnahmen .
All denjenigen, die meinen, sie könnten mit ihrenZwischenrufen die Frage der Einnahmen aufwerfen, sageich: In Wahrheit stellen Sie sich doch gegen die generel-le Nutzerfinanzierung. Das ist schlichtweg das Problem,das Sie haben. Das, was wir heute schaffen, nämlichlangfristig Investitionen in die Straße zu ermöglichen, isteigentlich das, was Sie nicht wollen . Eine Stärkung desVerursacherprinzips und eine Nutzerfinanzierung, so wiewir das machen, wollen Sie offensichtlich nicht.
Bundesminister Alexander Dobrindt
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Wir sagen klar: Wer nutzt, der zahlt; aber er zahlt nichtdoppelt . – Sie wollen eine Doppelbelastung der Autofah-rer herbeiführen .
Wir haben uns ja sogar darauf verständigt, dass dieFahrer von Euro-6-Fahrzeugen zusätzlich in einer Grö-ßenordnung von circa 100 Millionen Euro pro Jahr ent-lastet werden .
Das ist die ökologische Komponente, die zusätzlich inder Vereinbarung mit der Europäischen Kommission ent-standen ist .
Ich kann Ihnen an dieser Stelle nach den Diskussio-nen, die ich nach unserer Einigung mit der EuropäischenKommission gehört habe, sagen: Ich habe ganz wenigVerständnis für die Mautmaulerei unserer österreichi-schen Freunde .
– Ich habe für Ihre kein Verständnis, aber auch nicht fürdie der österreichischen Freunde .
Ich finde es durchaus ein bisschen befremdlich, sehr ge-ehrter Herr Behrens, dass Sie die Mautmaulerei der Ös-terreicher in einem Antrag zur heutigen Beratung auchnoch als Grundlage dafür nehmen wollen, deutsche Ge-setze aufzuheben . Das ist doch kein Durchsetzen deut-scher Interessen .
Das ist doch kein Durchsetzen der Interessen der Auto-fahrer auf der Straße .
Das ist doch eine vorauseilende Kapitulation vor anderenInteressen .Die Österreicher formulieren an dieser Stelle klar ihrenationalen Interessen und führen eine innenpolitischeDebatte nach dem Motto: Alle, die nach Österreich rein-fahren, sollen sich an der Straßenfinanzierung beteiligen,aber Österreicher sollen die Straßen in Deutschland unterkeinen Umständen mitfinanzieren. – Das ist kein europä-ischer Gedanke, und Sie wollen dem nachgeben .
Um das auch ganz klar zu sagen: Die Österreicher ha-ben vor über 20 Jahren zu Recht eine Maut eingeführt –mit erheblichsten Entlastungen der Österreicher durchein hohes Anheben der Pendlerpauschale .Ich habe mir das vor kurzem auch wieder selber an-geschaut . Auf meinem sehr kurzen Weg nach Italien –3,5 Stunden Fahrt bis an meinen Zielort – habe ich dasPickerl an der Grenze, die Brenner-Maut und die Gebührfür die Nutzung der Autostrada bezahlt, und das Gleichehabe ich auch auf dem Weg zurück bezahlt . Das hat inder Summe 64 Euro Maut gekostet . Ich sage Ihnen: Ichhabe das ganz selbstverständlich und auch gerne bezahlt,weil ich auf guten Straßen sicher an meinen Urlaubsortund wieder zurückgekommen bin .
Aber mit der gleichen Selbstverständlichkeit erwarte ich,dass die anderen auch zahlen, wenn sie auf unseren gutenStraßen unterwegs sind .
Die Maut, wie wir sie umsetzen, hat in der Tat aucheine ökologische Lenkungswirkung .
Besonders umweltfreundliche Fahrzeuge profitieren da-von: Elektrofahrzeuge sind komplett von der Maut be-freit, Euro-6-Fahrzeuge werden durch die Maut zusätz-lich mit insgesamt rund 100 Millionen Euro entlastet, undvon den im Ausland zugelassenen Fahrzeugen profitierenbesonders die schadstoffarmen Klasse-6-Fahrzeuge vongünstigen digitalen Kurzzeitvignetten .So eine ökologische Ausrichtung, wie wir sie umset-zen, würde man sich in vielen anderen Ländern in Europaauch wünschen .
Sie von den Grünen könnten eigentlich auch anerkennen,dass wir eine Maut einführen, die eine ökologische Len-kungswirkung hat .
Sie wollen aber eigentlich etwas anderes: Sie wollenschlichtweg eine Mehrbelastung der Autofahrer errei-chen . Ihr Vorschlag einer streckenabhängigen Maut, dieIhr Vorzeigeverkehrspessimist Winnie Hermann immerwieder fordert, ist alles andere als ökologisch . Das, wasSie vorschlagen, nämlich an jedem Ort, zu jeder Zeit undauf jedem Kilometer Straße eine eigene separate Gebühr,eine eigene Maut, zu erheben, führt klassisch zu einerdeutlichen Mehrbelastung der Autofahrer – gerade der-Bundesminister Alexander Dobrindt
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jenigen, die darauf angewiesen sind: in den ländlichenRegionen, der Familien und der Pendler .
Sie wollen sie mehr belasten, wir wollen keine Doppel-belastungen schaffen. Das ist der Unterschied.
Sie fordern die Totalmaut mit Mehrbelastungen, Sie wol-len die Citymaut, Sie wollen die Kfz-Steuer erhöhen, Siewollen den Sprit verteuern . Ich kann Toni Hofreiter hierwörtlich zitieren; Zitat Toni Hofreiter: „Das Benzin istimmer noch zu billig.“ Wenn Sie Benzin verteuern, dannerhöhen Sie die Belastungen der Autofahrer .
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik .
Es geht in diesem Jahr, wenn wir im September dieWahlen zum Deutschen Bundestag haben, natürlich auchum eine Richtungsentscheidung: Freiheit, Gerechtigkeitund Mobilität mit uns oder Belastungen, Verbote undStillstand mit den Grünen .
Die Menschen werden sich das sehr genau anschauenund auch danach entscheiden .Wir sind für den Systemwechsel . Wir wollen die Nut-zerfinanzierung stärken; wir wollen mehr Investitionenin die Straßen . Sie wollen die Belastungen erhöhen undweniger Investitionen in die Straßen. Das ist der Unter-schied .
Wir führen ein digitales Mautsystem ein . Der gesam-te Prozess der Mauterhebung ist digitalisiert . Er ist ein-fach, schnell und unbürokratisch und führt dazu, dass dieHalter der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge ihrenMautbescheid automatisch bekommen, und die Haltereines im Ausland zugelassenen Fahrzeugs können ihredigitale Vignette einfach online oder per App buchen .Damit schaffen wir die langfristige Sicherung der In-vestitionen .
Der Investitionshochlauf, den wir in dieser Wahlperio-de in der Großen Koalition angestoßen haben, mit einerSteigerung der Investitionen, wie es sie in der Vergangen-heit nie zuvor gegeben hat, kann damit verstetigt werden .Wir haben in dieser Wahlperiode im Bereich der Infra-strukturinvestitionen einen Rekordmittelaufwuchs vonüber 40 Prozent: von ursprünglich 10 Milliarden Euro,die wir jedes Jahr investiert haben, auf 14 MilliardenEuro jährlich .Wir haben als Große Koalition in dieser Legislatur-periode die Investitionslücke geschlossen . Wir habenzum ersten Mal einen Bundesverkehrswegeplan, der eineklare Finanzierungsperspektive hat, und wir bleiben da-mit in Deutschland Spitze bei Wachstum, Wohlstand undArbeit .
Das ist die Grundlage unserer Politik, und das ist auchdie Chance, die langfristige Finanzierung der Infrastruk-tur mit der Zweckbindung der Mittel sicherzustellen .Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Herbert Behrens für
die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bei diesem vom Verkehrsminister vorgetrage-nen Unsinn kommt mir sofort die US-Administration inden Sinn .
Dort haben sich viele darüber aufgeregt, dass Trumpimmer dann, wenn er mit unbestreitbaren TatsachenSchwierigkeiten hat, auf „alternative Fakten“ ausgewi-chen ist .
Nun muss ich mich fragen, ob möglicherweise Geldgeflossen ist. Egal ob das Konzept vom amerikanischenPräsidenten übernommen worden ist oder ob man dortein Nutzungsrecht erworben hat: Hier sitzt der Meisterder alternativen Fakten als Verkehrsminister auf der Ka-binettsbank . Das ist doch keine Basis für eine Verkehrs-politik, die wir brauchen .
Mit alternativen Fakten war er doch schon 2013 unter-wegs, als er mit der steilen These, Gratisfahren von Aus-ländern auf deutschen Straßen beenden zu wollen, quasiaus einem Paralleluniversum berichtet hat. Und warum?Allein die Einnahmen aus der Energiesteuer, die Auslän-der zu zahlen haben, wenn sie auf deutschen Autobahnenunterwegs sind, übersteigen bei weitem das, was die Ein-Bundesminister Alexander Dobrindt
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führung der Infrastrukturabgabe kostet, und zwar sogarum das Doppelte . Diese Angaben stammen vom ADAC .
– Weil es mich aufregt, was hier gerade passiert: Weilhier mit unsinnigen Argumenten immer wieder auf fal-sche Fakten verwiesen wird und nicht zur Kenntnis ge-nommen wird, dass von Experten, aber auch aus unserenReihen vernünftige Vorschläge gemacht worden sind .
Die Ausländermaut ist nicht europarechtskonform,wurde uns von Experten gesagt . Weiterhin gibt es hierdie These von Herrn Dobrindt, sie sei es .
Ich weiß nicht, wie die Abstimmung mit der Euro-päischen Kommission verlaufen ist, und kann nichtfeststellen, wie man dieses Unwerk tatsächlich europa-rechtskonform machen könnte . Die Frage der Europa-rechtskonformität ist in der EU-Kommission auf größteZweifel gestoßen .Es ist doch nach wie vor so: Wenn nur die Ausländerauf deutschen Autobahnen zahlen müssen, dann ist daseine einseitige Diskriminierung von ausländischen Auto-fahrern auf deutschen Straßen . Zwar mag es an andererStelle eine Entlastung geben, aber es ist kein Ausdruckvon Europarechtskonformität, wenn diese Entlastung dieBelastung auf der anderen Seite sogar noch übersteigt .Das zweite alternative Faktum: Die Ausländermautwird zu Mehreinnahmen führen . Auch da haben die Ex-perten in den Sachverständigenanhörungen bereits da-rauf hingewiesen, dass das nicht zutrifft. Und was ma-chen Sie, Herr Dobrindt? Sie verschieben die Parameterso lange hin und her, bis zumindest eine kleine schwarzeNull dabei herauskommt, damit man irgendwie begrün-den kann, warum es diese Maut überhaupt geben kann,die angeblich etwas einbringt und nichts kostet .Ihre Berechnung, Herr Dobrindt, steht auf ausgespro-chen tönernen Füßen . Das weiß inzwischen auch derBundesrat, der sich heute ebenfalls mit diesem zweifel-haften Projekt auseinandersetzen muss .Man könnte zwar meinen, das Ganze sei ein Treppen-witz und wir können darüber Späße machen . Doch dasist nicht so . Im Gegenteil: Die Maut hat sich zu einemernsthaften Problem in ganz Europa entwickelt .Wir haben doch feststellen können, was in Österreichpassiert. Österreich begnügt sich nicht nur mit der „Maut-maulerei“, wie Sie, Herr Dobrindt, diese Kritik gerneabschätzig bezeichnen . Nein, die Regierung in Wien hateinen sogenannten Beschäftigungsbonus beschlossen,der die Einstellung von Inländern finanziell fördern soll.Dadurch wird Menschen aus Deutschland und andereneuropäischen Staaten der Eintritt in den Arbeitsmarkt derAlpenrepublik schwerer gemacht .
Das ist die schlimmste Konsequenz der Maut à laDobrindt . Mir wird angst und bange, wenn ich daran den-ke, auf welche Ideen die Regierungen in Warschau undBukarest kommen können .Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Diesevon der EU gebilligte und als Vignette daherkommendeDiskriminierung von Ausländern ist eine Steilvorlage fürRechtspopulisten in ganz Europa .
Sie werden ihre reaktionären Forderungen mit Verweisauf die deutsche Maut mit noch mehr Nachdruck vortra-gen können. Jeder von uns sollte begriffen haben, dassman den Rechtspopulisten und Nationalisten den Windnicht dadurch aus den Segeln nimmt, dass man ihre For-derungen bzw . Programme umsetzt .
Ich hoffe sehr, dass die Abgeordneten der SPD, diejetzt zumindest einen selbsternannten überzeugten Eu-ropäer als Kanzlerkandidaten auserkoren hat, nicht län-ger den alternativen Fakten des Herrn Dobrindt auf denLeim gehen . Setzen Sie sich gemeinsam mit den Linkenund den Grünen für einen echten Wechsel ein! Setzen Siedem rechten Spuk der CSU endlich ein Ende!
Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Schwarz
für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Ich freue mich wirklich, heute wieder einmal zur CSU-Maut reden zu dürfen . So langwierige wie auch intensi-ve Gesetzgebungsverfahren hat man ja recht selten hierim Hohen Hause. Man merkt: Dieses CSU-Projekt hatteGeburtsprobleme. Ob das viel zitierte Sprichwort „Waslange währt, wird endlich gut“ die Realität zutreffendbeschreibt, muss sich allerdings noch erweisen . Im Mo-ment gilt der klare Arbeitsauftrag aus München: Minis-ter, make Maut great again!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der geplantenhöheren Steuerentlastung für abgasärmere Autos hatMinister Dobrindt auf die Kritik der EU-Kommissi-on reagiert, dass nur Inländer über die Kfz-Steuer ihreMautzahlungen komplett erstattet bekommen . Der vor-liegende Gesetzentwurf sieht vor, dass Inländer, derenFahrzeuge die Euro-6-Norm erfüllen, sogar noch mehrHerbert Behrens
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Geld zurückbekommen, als sie über die Maut gezahlthaben . Das lässt sich der Verkehrsminister immerhin100 Millionen Euro kosten .Zudem wurde am Preismodell gearbeitet . Für dieKurzzeitmaut gibt es jetzt – je nach Motorengröße undSchadstoffausstoß – fünf statt drei Stufen. Die Preise füreine Zehn-Tages-Maut liegen zwischen 2,50 Euro und20 Euro . Im alten Mautgesetz lagen sie noch zwischen5 Euro und 15 Euro . Der Gesetzentwurf postuliert, dassall diese Änderungen am ursprünglichen Gesetz nicht zuniedrigeren Einnahmen führen sollen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sind wir beimeigentlichen Kernproblem des Gesetzentwurfs ange-kommen: bei der Einnahmenseite . Mit der steht undfällt schließlich – wie wir hier ja schon an der lebhaf-ten Diskussion gemerkt haben – das ganze Projekt . Wirals SPD-Bundestagsfraktion sehen in dem Bereich nochKlärungs- und Diskussionsbedarf .Herr Minister Dobrindt und sein Ministerium gehennach dem Gutachten von Professor Dr . Wolfgang Schulzvon jährlichen Gesamteinnahmen in Höhe von circa4 Milliarden Euro aus . Davon entfallen rund 3,1 Milli-arden Euro auf in Deutschland zugelassene Fahrzeugeund circa 830 Millionen Euro auf nicht in Deutschlandzugelassene Fahrzeuge . Abzüglich der Systemkosten undder Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer sollen dannjährlich circa 500 Millionen Euro zur Finanzierung derInfrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stehen .Staatssekretär Dr . Meister aus dem BMF stützt dieseBerechnung, über die wir uns ja schon in einigen bilate-ralen Gesprächen ausgetauscht haben . Es gebe aus Sichtdes BMF keine Veranlassung, die Annahmen der Ver-kehrsexperten des Verkehrsministeriums zu bezweifeln .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die beidenGutachten von Herrn Ratzenberger und Herrn Schulzeinmal verglichen. Die große Differenz bei den prognos-tizierten Einnahmen resultiert zum ganz überwiegendenTeil aus der Schätzung der Ein- und Durchfahrten vonim Ausland zugelassenen Fahrzeugen bei Tages- und Ge-schäftsreisen . Im ADAC-Gutachten wird eine wesentlichhöhere Anzahl an Fahrten pro Pkw angenommen . Be-gründet wird das mit den im kleinen Grenzverkehr üb-licherweise recht häufigen Freizeit- und Einkaufsfahrtenvon Privatleuten und mit häufigen Fahrten über kürzereDistanzen bei Tagesgeschäftsreisen von Handelsver-tretern und Handwerkern etc . Genau bei diesen Datenhat aber auch das BMVI keine aktuellere Grundlageals das ADAC-Gutachten . Der Vorwurf des BMF, dasADAC-Gutachten basiere nur auf hochgerechneten Da-ten aus dem Jahr 2002, ohne aktuelle Statistiken einflie-ßen zu lassen, ist aus meiner Sicht nicht ganz stichhaltig .
Insgesamt kommt das ADAC-Gutachten auf 19 Ein-und Durchfahrten pro ausländischem Pkw, während dasVerkehrsministerium hier nur von acht ausgeht . Nachden ADAC-Berechnungen werden nur 10,4 MillionenVignetten verkauft, was zu einem Gebührenaufkommenvon circa 276 Millionen Euro führt . Nach BMVI-Pro-gnose werden 29,6 Millionen Vignetten verkauft, wor-aus ein Gebührenaufkommen von 834 Millionen Euroresultieren soll . Selbst wenn man nur die Berechnungender Ein- und Durchfahrten pro Fahrzeug bei Tages- undGeschäftsreisen nach ADAC-Gutachten zur Grundlagenimmt und ansonsten die Parameter aus der BMVI-Pro-gnose unverändert lässt, ergibt sich ein Gebührenauf-kommen in Höhe von nur 370 Millionen Euro und damitein Verlustgeschäft für den Staat . Ich halte die Zweifel,die im Raum stehen, erst einmal für angebracht .
Ich bin damit nicht der Einzige . Das wird geteilt vomNormenkontrollrat, der die Zahlen bemängelt . Auf dieBedenken der Länder, die zeitgleich im Bundesrat tagen,möchte ich heute noch gar nicht eingehen .Ich habe am Mittwoch eine schriftliche Frage an dasBMF gerichtet, weil ich gerne wissen möchte, ob dasBMF eigene Berechnungen zu den Einnahmeprognosenerstellt hat . Ministerpräsident Stephan Weil hat gesternder Passauer Neuen Presse gesagt – ich zitiere ihn –:Das Finanzministerium beleuchtet in anderen Fällendie Berechnungen anderer Ministerien sehr kritisch .Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet beim ThemaPkw-Maut ein klares Wort von Herrn Schäuble fehlt .
Dass der Herr der Zahlen bei dieser zentralen Fra-ge schweigt, ist sicherlich seltsam und bedarf derAufklärung . Auch der Auftritt der BMF-Sprecherin Tiesenhausen-Cave auf der gestrigen Regierungspres-sekonferenz hat leider wenig Erhellendes zu der Frage„Gibt es eine BMF-Berechnung?“ gebracht. Da warmanche Antwort mehr im Bereich des Mystischen .Ich halte es für zwingend geboten, dass das BMF dievorliegenden Daten noch einmal genau überprüft undhaargenau nachrechnet .
Es geht hier schließlich um die Einhaltung eines zen-tralen Versprechens des Koalitionsvertrages, dass keininländischer Autofahrer durch die Maut mehr belastetwerden darf und dass Mehreinnahmen generiert werdenmüssen . Pacta sunt servanda, das gilt natürlich auch fürunseren Koalitionsvertrag . Aber wir sehen es als unserePflicht an, im laufenden Gesetzgebungsverfahren bei of-fenen Fragen für eine endgültige Klärung zu sorgen .
Mir ist noch wichtig, zu erwähnen, dass die Verab-redungen zum ersten Gesetz betreffend die Personal-planung beim Zoll weiterhin Bestand haben . Es bleibtAndreas Schwarz
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dabei, dass wir zwölf Monate nach Inkrafttreten einenZwischenbericht erhalten, um zu schauen, ob wegen desBeratungsbedarfs der Bürgerinnen und Bürger beim Per-sonalbedarf eventuell nachgesteuert werden muss .Zu guter Letzt noch ein Hinweis . Wir möchten nichtdurch fehlerhafte Einnahmeprognosen die schwarzeNull, die wir uns im Hohen Haus hart erarbeitet haben,
in unserem Haushalt riskieren . Deswegen ist genauesRechnen wichtig .Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Oliver Krischer das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist schön, wieder einmal etwas aus dem Innenleben derGroßen Koalition mitzubekommen; das ist immer sehrunterhaltsam . Aber bei Karneval fällt mir eher MinisterDobrindt ein, der vor ziemlich genau zwei Jahren, am27 . März, als Sie mit Ihrer Mehrheit das Mautgesetz ver-abschiedet haben, hier wörtlich gesagt hat – ich zitiere –:„Wir haben in den letzten Monaten eindrucksvoll nach-gewiesen, dass die Europarechtskonformität besteht …“Damit war es wohl nicht weit her . Jetzt stehen wir wiederhier. Die EU-Kommission hat das Mautgesetz versenkt,und wir müssen es neu beschließen . Dieser Minister hatSie an dieser Stelle schlicht und ergreifend belogen, in-dem er Ihnen Fakten geboten hat, die nicht zugetroffenhaben .
Wenn man so gescheitert ist, dann wäre es wenigstensehrlich, hier ein bisschen demütiger aufzutreten und zusagen: Ja, das war falsch . Das war ein Fehler . – Dochstattdessen haben wir wieder Beschimpfungen gehört:Beschimpfungen der Nachbarstaaten, im Zweifelsfallauch Beschimpfungen der EU-Kommission und Be-schimpfungen in Richtung Opposition . All das ist keineDemut, kein Eingeständnis und keine Bereitschaft, hieretwas leiser aufzutreten, meine Damen und Herren .
Das Schlimme ist, dass Sie diese zwei Jahre, in de-nen die Maut gescheitert ist, nicht dazu genutzt haben,dieses Mautgesetz zu versenken . Es ist doch klar: DieseMaut bringt am Ende nichts ein . Sie kostet mehr, als siebringt . Sie ist ein Bürokratie- und Datenmonster . Sie hatkeinerlei ökologische Lenkungswirkung . Sie schadet denMenschen und den Regionen, gerade den Grenzregionen .
Außerdem ist sie immer noch europarechtswidrig, auchin der veränderten Form . Das kann man in Ihrem Koaliti-onsvertrag nachlesen . Darin schreiben Sie nämlich, dassnur die Ausländer belastet werden sollen . Ich habe hiergestern eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerinzur Europapolitik gehört . Wenn eine Große Koalition inDeutschland sagt, es sollten nur Ausländer belastet wer-den und nicht die Menschen in diesem Land, dann ver-stößt das gegen die Grundprinzipien Europas . Deshalb istund bleibt diese Maut europarechtswidrig, meine Damenund Herren .
Ich sage ganz deutlich: Es gibt keinen einzigen sachli-chen Grund, warum diese Maut eingeführt werden sollte .Das Einzige, worum es geht, ist die verkehrspolitischeAusprägung des rechten Populismus einer südostdeut-schen Regionalpartei .
Um es anders zu formulieren: Diese Maut ist eine in Ge-setz gegossene Bierzeltparole der CSU.
Was ich aber, ehrlich gesagt, noch problematischerfinde als diese Politik der CSU, ist, dass die Große Ko-alition sich jetzt anschickt, das Ganze zum zweiten Malmitzumachen . Meine Damen und Herren – damit sprecheich insbesondere die Kollegen von der SPD an –, wir allekennen uns aus mit Koalitionen und Kompromissen unddem Grundsatz „pacta sunt servanda“.
Wir koalieren im Land mit der SPD . Ich habe Erfahrun-gen mit den Grubenponys der NRW-SPD .
Da müssen wir schwierige Beschlüsse fassen . AberKompromisse in einer Koalition bedeuten nicht, dassman Irrsinn beschließen muss .
Das ist die Aufforderung an Sie, meine Damen und Her-ren .Was wir Ihnen nicht durchgehen lassen, liebe Sozial-demokraten, ist, dass Ihr Kandidat und Heiland durch dieGegend zieht und überall gegen die Maut wettert,
Andreas Schwarz
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Sie dem hier aber am Ende zustimmen . Sie können docheinmal tun, was Sie in diesem Parlament jede Woche dut-zendfach mit den Anträgen der Opposition machen . Dielassen Sie, weil Ihnen die Ablehnung peinlich ist, ver-sauern. Ich erinnere an das Thema „Ehe für alle“. Wiesomachen Sie, liebe Sozialdemokraten, nicht genau das mitdem Mautgesetz?
Versenken Sie dieses Mautgesetz! Wenn Sie schon nichtdagegen stimmen wollen, dann lassen Sie es versauern .Lassen Sie es der Diskontinuität anheimfallen! MachenSie damit deutlich, dass Sie diese Maut nicht wollen .
Sie schadet den Menschen, insbesondere den Menschenin Nordrhein-Westfalen, die am Ende nicht nur die Dobrindt-Maut bekommen, sondern auch die Rachemautder Niederländer und Belgier, die natürlich reagierenwerden und das auch schon angekündigt haben .
Herr Kollege .
Deshalb werden die Menschen in Deutschland am
Ende wegen dieser Politik mehr zahlen .
Ich danke Ihnen .
Steffen Bilger ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist immer wieder erstaunlich, welche Emotionalität beidem eigentlich so nüchternen Thema der Infrastruk-turabgabe hier aufkommt . Wir erleben, wie Linke- undSPD-Abgeordnete mit Zahlen des ADAC argumentieren,Herr Krischer ist engagiert wie eh und je, und dabei gehtes um ein Projekt, für das doch die Fakten sprechen .
Ich will einmal eines klarstellen: Hier wird wiederdavon geredet, es handele sich um eine CSU-Maut. Ichals Vertreter der CDU muss dem klar widersprechen. Ichglaube, wie man zur Infrastrukturabgabe steht, ist ehereine Frage, die nach regionaler Betroffenheit entschiedenwird . Bei uns im Südwesten gibt es seit jeher große Zu-stimmung für eine Pkw-Maut .
Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, zu sagen, dass esnicht nur ein bayerisches oder ein CSU-Projekt ist, zumalCDU, CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungenvereinbart haben, dass wir die Infrastrukturabgabe ein-führen werden . Auch daran will ich Sie einmal erinnern,liebe Kollegen von der SPD .Wir haben im Bundestag lange Diskussionen zu die-sem Vorhaben gehabt, und es wurden viele Kritikpunktevorgetragen . Vielleicht hat das eine oder andere zur Ver-besserung des Gesetzentwurfes beigetragen. Unter demStrich haben wir jetzt einen runden Gesetzentwurf, denman guten Gewissens verabschieden kann .Es wurden Kritikpunkte vorgetragen – auch vom Bun-desrat; das wurde eben angesprochen –, beispielsweisedie Belastung der Grenzregion, die wir schon längst ge-klärt haben . Wir haben viel darüber diskutiert und Lösun-gen gefunden, die dazu beitragen, dass es zu keiner Be-lastung der Grenzregion kommt, die nicht verantwortbarwäre. Wir haben Regelungen geschaffen wie beispiels-weise die, dass nur die Autobahnbenutzung für Ausländerbemautet wird . Deswegen muss man keine Sorge haben,was die Effekte auf Einzelhandel und Tourismus in denGrenzregionen anbelangt . Da wird in Zukunft nichts an-ders sein . Auch hier kann ich als Baden-Württembergersagen: Bei uns weiß man einfach, dass sich in Südbadenso gut wie jeder eine Schweizer Vignette kauft, weil mandort viel unterwegs ist . Die Maut wird nicht dazu führen,dass in Zukunft keiner mehr zum Einkaufen oder zumEssen nach Deutschland kommen wird .
Wir haben das Problem, das mit dem Grenzverkehreinhergeht, gelöst, und auch andere Punkte aufgegriffen.Vorhin wurde das Gutachten zum Thema Europarechts-konformität angesprochen, das vor einiger Zeit vorgelegtworden ist; ich glaube, die Grünen haben es in Auftraggegeben . Ich habe erst gedacht: Erstaunlich, dass derWissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestagesein solches Gutachten verfasst . Dem Gutachten habe ichdann aber entnommen, dass es von der UnterabteilungEuropa erstellt wurde . Wie auch immer: Ich glaube, dieEU-Kommission als Hüterin der Verträge kann besserbeurteilen, was EU-rechtskonform ist, als viele andere,die dieses Thema gerade angesprochen haben . Insofernsind wir überzeugt: Die Infrastrukturabgabe ist europa-rechtskonform . Im Übrigen sind wir in der Koalition invielen Berichterstatterrunden und in vielen Anhörungengemeinsam zu dieser Überzeugung gelangt .
Ich will allerdings auch noch etwas zur Kritik Öster-reichs sagen, weil ich das wirklich sehr ärgerlich finde.Seit zwei Jahrzehnten bezahlen wir Maut in Österreich .Durch die Milliardeneinnahmen der ASFINAG durch eu-ropäische Autofahrer wurden der österreichische Haus-halt und damit der österreichische Steuerzahler entlastet .Wo ist denn nun die Diskriminierung, wenn wir eine Ent-Oliver Krischer
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lastung unseres Infrastrukturhaushaltes genauso finan-zieren wie die Österreicher seit 20 Jahren?
Unterm Strich ist es genau dasselbe, wenn wir nun denausländischen Autofahrern einen Beitrag für die Nutzungunseres Autobahnnetzes abverlangen .
Dafür dürfen sie im Übrigen das größte AutobahnnetzEuropas nutzen, und das noch zu einem relativ günstigenBetrag . Die Österreicher sollten ihre Position wirklichnoch einmal gründlich überdenken .
Ich weiß, dass einige hier das nicht so gern hören,aber es ist in der Tat auch eine Frage der Gerechtigkeit .Ich kann die Urlaubserlebnisse von Alexander Dobrindtnoch toppen: Wir waren nämlich in Kroatien im Urlaubund dort 14 Tage unterwegs: 127 Euro Maut .
Es ist schon eine Frage der Gerechtigkeit, ob es seinkann, dass jeder, der durch unser Land fährt, nichts be-zahlen muss, während wir seit Jahr und Tag anderswosehr viel Maut zahlen müssen .
– Genau: Zeit für Gerechtigkeit .
Darüber hinaus sind ökologische Aspekte berücksich-tigt – das wurde schon angesprochen –: Elektrofahrzeugesind von der Maut befreit . Ich halte das für ein wichti-ges Signal . Insgesamt hilft uns die Infrastrukturabgabe,unsere Ziele zu erreichen, die Infrastruktur besser zu fi-nanzieren, die Nutzer mehr an den Infrastrukturkosten zubeteiligen . Dafür brauchen wir nicht nur den massivenAusbau der Lkw-Maut, sondern auch die Infrastrukturab-gabe für Pkw .Meine Damen und Herren, es wurden Bedenken vonKommunen, vom Bundesrat, von der EU-Kommissionaufgegriffen. Wir haben im Bundestag viel darüber dis-kutiert . Wir haben Anhörungen gehabt und werden nocheine weitere Anhörung dazu haben . Die Kritikpunktewurden aus meiner Sicht geklärt, sodass uns nun ein aus-gewogener Gesetzentwurf vorliegt . Deswegen bitte ichSie um Unterstützung für dieses Vorhaben.
Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke .
Guten Morgen, Herr Präsident! Kolleginnen und Kol-legen! Werte Gäste! Es wird hier der Eindruck erweckt,als ob nur die Ausländerinnen und Ausländer künftigeine Maut für die Benutzung der deutschen Autobahnenzu zahlen hätten . Das stimmt nicht . Tatsächlich werdenalle bezahlen .
Das, finde ich, muss man den Bürgerinnen und Bürgernauch ganz deutlich sagen . Alle werden in Zukunft für dieNutzung der Autobahnen zahlen .
Sie wollen damit fast 4 Milliarden Euro zusätzlich fürAutobahnen einnehmen, und – auch das ist völlig klar – essteht in den Sternen, ob es eine Kompensation für dieje-nigen geben wird, die in Deutschland leben, weil erstensvielleicht die EU dazwischenfunkt und zweitens – dashat der Kollege Schwarz gerade angesprochen – der Fi-nanzminister vielleicht irgendwann sagt: Das lohnt sichgar nicht, wenn wir im Gegenzug etwas zurückzahlen .Dann belassen wir es doch dabei . – Das ist eine zentraleWeichenstellung, die wir zutiefst ablehnen .
Sie wollen mehr Geld für Autobahnen, und zwar inVerbindung mit der geplanten Infrastruktur GmbH, dieden Weg für Privatisierungen öffnet. Damit haben Siekünftig einen Riesenbatzen Geld möglicherweise in dieKassen von großen Versicherungen und Banken umge-lenkt, die schon darauf warten, dass sie als private Inves-toren über Umwege an dieser Autobahn GmbH beteiligtwerden . Die Linke ist ganz klar dagegen .
Das ist nicht ökologisch. Es ist natürlich völliger Un-sinn, 4 Milliarden Euro mehr für Autobahnen, für mehrLkw-Verkehr auszugeben . Was soll daran ökologischsein? Stecken Sie das Geld in den Ausbau der Bahn unddes öffentlichen Nahverkehrs. Dann tun Sie etwas Öko-logisches .
Es ist natürlich auch nicht gerecht, weil diejenigen, diegar kein Auto fahren, genauso wie die Umwelt benach-teiligt werden .
Wir brauchen gerechte Verkehrsverhältnisse .
Steffen Bilger
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Das heißt, wir müssen den öffentlichen Verkehr ausbau-en .
Jetzt noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegenvon der SPD . Wir haben gerade von Herrn Krischer eineOption gehört, wie Sie dafür sorgen könnten, dass die-ses Projekt scheitert, zumindest in dieser Legislatur . Ichhabe noch eine andere Idee . Es ist nach wie vor nichtgeklärt, ob die Länder bei der Einführung dieser Mautzustimmungspflichtig sind. Noch 2015 haben die Ländergesagt, ohne ihre Zustimmung gehe es nicht . Jetzt habensie sich irgendwie einwickeln lassen, und es wurde einekleine Mäkelklausel für Nordrhein-Westfalen eingebaut .
Aber selbstverständlich ist es richtig, dass die Länder umihre Mitbestimmung ringen . Es wäre überhaupt kein Pro-blem, einen Vermittlungsausschuss einzurichten . DieserVermittlungsausschuss müsste klären, ob die Länder zubeteiligen sind . Das dauert eine Weile . In der Zwischen-zeit ist es vielleicht so, dass andere Verhältnisse in denBundestag einkehren und man vernünftige Verkehrspo-litik machen kann – für eine soziale und ökologischeVerkehrswende . Dafür jedenfalls streiten wir Linke . Wirhoffen, dass Sie dabei sind.
Das Wort erhält nun der Kollege Sebastian Hartmann
für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Es scheint so zu sein, als ob es hiergar nicht um das Gesetz zur Einführung einer Infra-strukturabgabe geht, sondern als ob im Kern das Wahl-kampfthema vorweggenommen wird . Ich kann Ihnenversichern: Für die SPD wird im Zentrum des Wahl-kampfs mehr Gerechtigkeit für unser Land und die Men-schen, die in diesem Land hart arbeiten, stehen und keineInfrastrukturabgabe .
Darüber hinaus ist offenbar der Versuch gemacht wor-den, ein Thema zu besetzen, mit dem man Populisten denWind aus den Segeln nehmen kann . Es ist über alternati-ve Fakten gesprochen worden . Wenn man sich die Fak-ten ansieht, dann scheint es nicht so richtig erfolgreichgewesen zu sein, die Einführung der Pkw-Maut dafür zunutzen, um den Einzug von unverantwortlichen Populis-ten, Spaltern und Hetzern in regionale oder Länderpar-lamente zu verhindern. Das scheint offensichtlich nichtder wahre Grund gewesen zu sein . Wir müssten das nocheinmal ausdiskutieren .Ich möchte auf den Ausgangspunkt zurückgehen . Wirhaben einen Koalitionsvertrag beschlossen . Ich dankeder Opposition dafür, dass sie an diesen Koalitionsver-trag erinnert . Ich versichere Ihnen für die SPD-Bundes-tagsfraktion: Dieser Koalitionsvertrag gilt, und zwar mitjedem Satz . Daran werden wir uns abarbeiten .
– Ich kann ja Ihren Neid verstehen . Im Gegensatz zu Ih-nen haben wir einen Koalitionsvertrag . Aber das kommtdavon, wenn man nicht mitmachen will .
Sie können diesen schönen Koalitionsvertrag, den imWesentlichen wir Sozialdemokraten ausgehandelt haben,jetzt nicht zum Anlass für Ihre Kritik nehmen .Wir werden die erste Lesung aber dazu nutzen, nocheinmal von vorne anzufangen . Wir schauen uns die Ein-nahmeprognose an . Wir berücksichtigen, was sich in denletzten zwei Jahren getan hat . Wir beschäftigen uns vorallen Dingen mit der Aussage: Dieses Gesetz ist Satzfür Satz, so wie es ist, europarechtskonform . Das kannso beschlossen werden . Es muss nichts daran geändertwerden . – Darauf hat sich die SPD-Bundestagsfraktionverlassen .
Nun haben wir die Situation, dass es offensichtlich Än-derungsbedarf gibt . Diesen Änderungsbedarf, den derHerr Verkehrsminister auch den Gesprächen geschuldetsah, die Sie in Brüssel mit Unterstützung anderer Mit-glieder der Bundesregierung geführt haben, werden wirzum Anlass nehmen, die anstehende Anhörung sehr ernstzu nehmen .
Herr Kollege Schwarz hat es bereits gesagt: Wir schau-en uns die Einnahmeprognose an . Wir schauen uns dieEuroparechtskonformität an . Der Koalitionsvertrag gilt,meine Damen und Herren .
Da hier auch aus regionaler Sicht argumentiert wurde,aus Sicht von Baden-Württemberg oder Bayern, möchteich darauf hinweisen: Ich komme aus Nordrhein-West-falen . Nordrhein-Westfalen hat einige deutliche Hin-weise zur Auswirkung auf die Grenzregionen gegeben,mit denen sich der Bundesrat beschäftigt hat . Wir sindstolz darauf, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion imersten Entwurf des Gesetzes die Änderung bezüglichder Grenzregionen hinbekommen haben, dass die Bun-desstraßen, die Bundesautobahnen dort differenziert be-trachtet werden. Aber offenbar hat der Bundesrat wiede-rum Diskussionsbedarf angemeldet; das ist eben Teil derGesetzgebung auf der Bundesebene . Natürlich werdenwir über diese Grenzregionen reden . Liebe Kolleginnenund Kollegen von der Union, ich kann mich erinnern,dass wir Vorschläge auf den Tisch gelegt und gesagt ha-ben, dass wir uns auch andere Lösungen vorstellen könn-ten . Vielleicht diskutieren wir unter dem Eindruck derBeratungen im Bundesrat hierüber noch einmal . DafürSabine Leidig
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ist das Gesetzgebungsverfahren ja da, liebe Kolleginnenund Kollegen .Ein letzter Punkt zu einem echten Beitrag für die In-frastruktur; der Kollege Schwarz hat das sehr schön aufden Punkt gebracht . Wir haben natürlich wie immer ver-schiedenste Gutachten . Aber jetzt komme ich einmal zurOpposition: Natürlich gibt es Gutachten zur Höhe derEinnahmen, die man aus einer solchen Maut erzielenkann . Das muss man plausibilisieren, indem man Anhö-rungen durchführt . Aber es gibt eine einfache Lösung:Es gibt Gutachten der Regierung, die man sich zu eigenmachen kann. Wenn Herr Schäuble erklärt: „Das ist dieEinnahmeprognose, die gilt; das ist der Beitrag, den wirdurch die Infrastrukturabgabe für die deutsche Infra-struktur erzielen“, dann haben wir damit doch etwas, waswir bisher in der Debatte noch nicht vernommen haben,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Da wir schon dabei sind: Natürlich ist die Maut nichtdas Herzensanliegen der SPD . Wir sind aus anderenGründen in die Koalition eingetreten . Für uns war derMindestlohn der entscheidende Punkt .
Es ging uns um mehr Lohngerechtigkeit von Mann undFrau, um mehr Investitionen in den Wohnungsbau, ummehr soziale Investitionen in unserem Land . MeinenSie denn ernsthaft, die Maut war das Kernthema unseresWahlkampfes? Erinnern Sie sich an 2013! Erinnern Siesich daran, was wir 2017 in den Mittelpunkt stellen! DieUmfragen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir damitnicht ganz danebenliegen, sondern dass wir recht haben,wenn es uns darum geht, mehr Gerechtigkeit zu schaf-fen . Wir werden uns sicher nicht an der Frage einer In-frastrukturabgabe abarbeiten . Wir werden darauf achten,dass es eine vernünftige Beratung des Gesetzentwurfsgibt, und nicht irgendetwas anderes hineindiskutieren .Für die Opposition aber in aller Klarheit: Wer eineMaut für alle fordert, die strecken- und wegeabhängigist, und darüber hinaus ein Gutachten des Wissenschaft-lichen Dienstes zur Grundlage seiner Argumentationmacht, der muss wirklich aufpassen . Der gleiche Wis-senschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatnämlich ein Gutachten statuiert, das besagt, dass kom-munale Räte – ich bin selber praktizierender Kommunal-politiker – sich nicht mit der Frage von TTIP und CETAbeschäftigen dürfen . Wenn Sie das zur Maßgabe machen,hätten Sie nie über TTIP und CETA in den Räten disku-tieren dürfen . Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier,diese wissenschaftlichen Arbeiten zu werten und dann zuentscheiden, ob wir uns das zu eigen machen .
Darum wird es gehen . Sie machen es sich zu einfach,meine Damen und Herren von der Opposition .
Es gilt der Koalitionsvertrag . Darauf können sich dieMenschen in unserem Land verlassen .
Wir nehmen keinen Satz zurück . Keine deutsche Auto-fahrerin und kein deutscher Autofahrer wird mehr belas-tet . Die SPD ist und bleibt in ihrer langen Geschichte dieSchutzmacht der kleinen Leute und damit auch der Auto-fahrer in diesem Land .
Da es offensichtlich andere Teile im Plenum gibt, diedas nicht wollen, sage ich: Meine lieben Mitbürgerinnenund Mitbürger, verlassen Sie sich darauf: Es wird zu kei-ner Mehrbelastung von deutschen Autofahrerinnen undAutofahrern kommen . – Es ist vielleicht Ironie der Ge-schichte, dass wir den ADAC an der Seite haben . Aberder Koalitionsvertrag gilt, meine Damen und Herren, unddaran werden wir uns messen .Wir sind die Europarechtspartei,
eine Partei, die schon 1925 die Vereinigten Staaten vonEuropa gefordert hat .
Ein Spitzenkandidat wie Martin Schulz muss sich nichtverstecken, wenn es um die Europarechtskonformitätgeht .
Wir investieren das Geld, das wir möglicherweise ein-nehmen, in die deutsche Infrastruktur .
Darum geht es, meine Damen und Herren .Vielen Dank .
Es wird sicher hochgradig spannend sein, im Protokollnachzulesen, was jenseits der förmlichen Redebeiträgezwischen den Fraktionen noch ausgetauscht wird .
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– Vielleicht trägt der Hinweis zur Beruhigung bei, dassjedenfalls Redebeiträge im Deutschen Bundestag nichtmautpflichtig sind.
Nun hat die Kollegin Wilms für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen das Wort .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Was haben wir denn hier ei-gentlich erlebt? Das Ende einer Regierungskoalition!
Redet die Union, klatscht die SPD nicht; redet die SPD,klatscht die Union nicht.
Hier ist Schluss mit lustig . Geben Sie auf! Beenden Siedas ganze Spielchen hier!
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte ist wieaus der Zeit gefallen . Es ist beschämend, dass wir unsimmer noch mit einer Idee befassen müssen, die Sie ir-gendwann vor der letzten Wahl an irgendeinem bayeri-schen Biertisch geboren haben . Eine ganze Wahlperiodegeht das nun schon so . Die Leute im Land fragen sichdoch, ob wir hier nichts Besseres zu tun haben, als unsmit einem solchen Zeug zu beschäftigen .
Die Rechtspopulisten wollen Europa zum Einsturzbringen . Herr Dobrindt hilft ihnen gern dabei, wiederneue Schlagbäume zu errichten . In den Städten, werteKolleginnen und Kollegen, ist die Luft verpestet . Balddürfen die Leute mit ihren Autos dort nicht mehr fahren .Kollege Hartmann, ich bin gespannt, wie die SPD sichdann verhält . Herr Dobrindt tut so, als ob ihn das einfachnichts angehe . Blaue Plakette – Fehlanzeige bei ihm .Stattdessen bekommen wir den zweiten Aufguss seinerAusländermaut serviert .Beim letzten Mal haben Sie, Herr Dobrindt, großmun-dig versprochen, dass die Maut europarechtskonform ist .
Tja, das war sie offensichtlich nicht; denn sonst müsstenwir nicht schon wieder über dieses Konstrukt reden . Sielegen aus ideologischer Verbohrtheit unrechtmäßige Ge-setze vor . So geht es nicht!
Sie halten Ihre Versprechen nicht, und die ganze Koali-tion – das sage ich an die Kolleginnen und Kollegen derSPD gerichtet – macht diesen Bockmist auch noch mit .
Es war schon beim letzten Mal ziemlich sinnlos, mitIhnen, Herr Dobrindt, über Ihre Maut zu reden . Deswe-gen können wir das lassen . Aber die Menschen in unse-rem Land müssen wissen, welchen Irrsinn dieser Minis-ter treibt . Lassen wir deswegen Europa einmal beiseite .Schauen wir uns stattdessen an, was das Ganze bringensoll . Das zeigt, welches Verhältnis der Minister zur Wahr-heit hat . Machen wir einmal den Faktencheck .Fakten interessieren ihn nur, wenn sie ihm in denKram passen . Seine bestellten Gutachten reden vontraumhaften Einnahmen . Leider bestehen diese Gutach-ten nicht vor seinem eigenen Wissenschaftlichen Beirat .Wozu hat er den eigentlich? Wenn Sie uns als Oppositionschon nicht zuhören wollen, Herr Dobrindt, dann hörenSie doch wenigstens auf die Wissenschaftler aus Ihremeigenen Beirat!
Es gibt ernstzunehmende Bedenken, dass wir bei diesemManöver draufzahlen . Fast 200 Millionen Euro könntenjährlich fehlen . Das allein muss doch reichen, um diesenQuatsch sein zu lassen.Kollege Schwarz, lassen Sie uns einmal im Detail an-sehen, wie dieser Minister rechnet!
Herr Dobrindt geht davon aus, dass er das Mautsystemgeschenkt bekommt . 380 Millionen Euro für die Einfüh-rung des Mautsystems fehlen schlicht und ergreifend inseiner Rechnung . Ich bin gespannt, welcher BetreiberIhnen, Herr Dobrindt, ein so großzügiges Geschenk ma-chen will .
Es ist unfassbar, dass wir uns hier mit so einer Stümpereibefassen müssen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, beim letz-ten Mal haben Sie betont, wie sehr Sie dem Minister ver-trauen, dass er rechtlich saubere Gesetze macht . Da hater Sie getäuscht . Ihr Vertrauen hatte keine Basis . Das warnicht mehr als das Geplapper eines früheren Generalse-kretärs . Es bleibt mir ein Rätsel, warum Sie sich daraufeingelassen haben .
Sachverständige in den Anhörungen und unabhängigeGutachter des Bundestages haben schon damals auf die-sen Fehler hingewiesen, und ich bin gespannt, was beiPräsident Dr. Norbert Lammert
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den nächsten Anhörungen passieren wird . Auch beimneuen Aufguss ist es so: Es gibt keine diskriminierungs-freie Diskriminierung . Vielmehr gibt es eindeutige Aus-sagen, dass das nicht europarechtskonform ist und teuerwerden wird . Es gibt keinen Grund, warum Sie diesemMinister, dem Noch-Minister, dieses Mal vertrauen soll-ten . Beenden Sie dieses Abenteuer schnellstens!Danke .
Philipp Murmann erhält das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Im Kern dient die Einführung der Maut doch dazu,eine zweckgebundene Abgabe für die Finanzierung derInfrastruktur zu schaffen. Das ist doch der Sinn der gan-zen Aktion, und es ist auch sinnvoll und notwendig, dasswir das machen .
– Das hat nichts mit der CSU zu tun.
Die CSU hat sicherlich das Thema aufgebracht; aber derSinn des Ganzen ist, dass wir eine zweckgebundene In-frastrukturabgabe einführen . Gleichzeitig wollen wir dieLeute entlasten .Ich spreche hier als Finanzpolitiker . Es geht um einKonstrukt zur Finanzierung der Infrastruktur . Wir ha-ben ja schon mehrere Gesetze in diesem Bereich bera-ten . Gestern haben wir uns mit dem Sechsten Gesetz zurÄnderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes beschäftigt .Dabei geht es darum, dass wir die Zulassungsverfahrenändern und ab September 2018 neue Zulassungsverfah-ren bekommen werden .
Eine andere wesentliche Änderung, die jetzt kommenwird, ist, dass Halter von Fahrzeugen, die die AbgasnormEuro 6 erfüllen, deutlich stärker entlastet werden, als dasvorher der Fall war . Das ist eine Änderung, die auf eu-ropäischer Ebene gemeinsam erarbeitet worden ist . Ichdenke, das ist sinnvoll, weil es die ökologische Wirkungder Infrastrukturabgabe noch einmal herausstreicht .
In diesem Paket ist auch das Zweite Verkehrssteuerän-derungsgesetz enthalten, auf das ich ganz kurz eingehenmöchte. Was ändert sich? Halter von Euro-6-Fahrzeugenwerden deutlich stärker entlastet, als das bisher der Fallwar, nämlich noch einmal um 100 Millionen Euro . Ichmache das einmal an zwei Beispielen deutlich . Sie wis-sen alle, dass sich die Kfz-Steuer aus zwei Elementenzusammensetzt, nämlich der Besteuerung des CO2-Aus-stoßes und des Hubraumanteils . Diese ist für Diesel- undBenzinfahrzeuge natürlich unterschiedlich . Neu ist jetzt,dass es einen einmaligen Entlastungsbetrag und einendauerhaften Entlastungsbetrag gibt . Dieser Entlastungs-betrag ist auf 130 Euro gedeckelt .Stellen Sie sich einmal vor, Herr Schwarz fährt einenroten VW Polo mit einem Hubraum von 1 200 cm3, der dieNorm Euro 4 erfüllt . Das heißt: Die anteilige Steuer fürden CO2-Ausstoß beträgt 28 Euro, die für die 1 200 cm3Hubraum 24 Euro . Das sind zusammen 52 Euro . HerrSchwarz bekommt jetzt im Zuge der Einführung einerInfrastrukturabgabe bzw . durch die Änderung des Ver-kehrssteuergesetzes eine Entlastung von 29,40 Euro . Dasentspricht genau dem, was er an Infrastrukturabgabe zuzahlen hätte . Wenn er ein Euro-6-Fahrzeug hätte, dannwäre diese Entlastung höher . Genau das ist Sinn dieserÄnderung . Insofern ist es sinnvoll, dass wir die Ände-rung vornehmen .Nehmen wir einmal an, der Kollege Bilger hätte einenschwarzen BMW 730 Diesel mit 3 000 cm3 Hubraum,der die Euro-6-Norm erfüllt .
Hier erkennt man schon die Lenkungswirkung derKfz-Steuer; denn Herr Bilger würde 391 Euro an Steuerzahlen, Herr Schwarz dagegen 52 Euro . Das liegt natür-lich am Hubraum und am CO2-Ausstoß . Wenn man dasjetzt durchrechnen würde, bekäme er, weil es sich umein Euro-6-Fahrzeug handelt, also eine deutlich höhereEntlastung von 163 Euro . Da diese aber bei 130 Euro ge-kappt wird, gibt es für ihn sozusagen keine Veränderung .Das heißt, die Lenkungswirkung gilt vor allen Dingen fürkleine Euro-6-Fahrzeuge, deren Halter so zusätzlich ent-lastet werden . Das, meine Damen und Herren, ist genaudas, was wir anstreben . Deswegen halte ich es auch fürrichtig, dass wir diesen Weg gehen .
Ich möchte noch einen weiteren Aspekt anführen . DerZoll ist seit 2014 für die Kfz-Steuer zuständig . Er hatmit der Einführung der Infrastrukturabgabe auch neueAufgaben . Wir rechnen damit, dass es etwa 32 MillionenEuro kosten wird . Man muss sich vorstellen, es müssen16 Millionen geänderte Kfz-Steuerbescheide ausgestelltwerden . Das ist natürlich eine erhebliche Zahl, aber es istein einmaliger Aufwand, der sich lohnt . Wie gesagt, wirhaben dann zum ersten Mal eine zweckgebundene In-frastrukturfinanzierung. Wahrscheinlich müssen die Leu-te vom Zoll Fragen beantworten . Es wird natürlich auchEinsprüche geben . Man rechnet immer mit etwa 10 Pro-zent . Wir haben gesagt: Nach zwölf Monaten schauenwir uns einmal an, ob die Belastung des Zolls im Rahmendessen ist, was wir erwarten .Ich möchte zum Schluss kommen und weise nocheinmal darauf hin: Wir sind ein Mittelstandsland . Mittel-Dr. Valerie Wilms
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stand ist immer dezentral organisiert . Deswegen ist fürunser Land Infrastruktur so wichtig . Das unterscheidetuns von vielen anderen Ländern . Deswegen, meine Da-men und Herren, ist diese zweckgebundene Infrastruk-turabgabe sinnvoll, damit wir wettbewerbsfähig bleiben .Auch deswegen bitte ich Sie, in den weiteren Beratungenkonstruktive Beiträge zu leisten
und nicht immer nur ideologische Diskussionen zu füh-ren . Dass die Grünen nicht unbedingt die Infrastruktur-partei sind, zeigen sie auch in Schleswig-Holstein immer .Das ist aber nicht mittelstandskonform .
Herr Kollege .
Wenn sie im Wahlkampf immer behaupten, sie wären
für den Mittelstand da, dann sollten sie das auch in sol-
chen Debatten einmal herausstellen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Ich freue mich
auf die Beratungen .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann
für die SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! LiebeKolleginnen! Sie werden jetzt nicht erwarten, dass ichals SPD-Politikerin eine flammende Rede für die Pkw-Maut halte .
Aber Sie wissen auch, dass wir einen Koalitionsvertraghaben . In diesem Koalitionsvertrag haben wir Ja gesagtzu allen Maßnahmen, unter zwei Bedingungen auch zurPkw-Maut . Die erste Bedingung: Kein Pkw-Halter inDeutschland darf mehr belastet werden . Diese Bedin-gung war schon beim ersten Gesetzentwurf erfüllt . Diezweite Bedingung – auch sie sollte beim ersten Gesetz-entwurf erfüllt sein –: Das Ganze soll EU-rechtskonformsein .Ich sage einmal: Nachdem wir die Hinweise derEU-Kommission in unseren Gesetzentwurf aufgenom-men haben, gehe ich davon aus, dass mit hoher Wahr-scheinlichkeit jetzt auch die zweite Bedingung erfüllt ist .Wir haben – das wurde hier mehrfach diskutiert – nochdie Frage der Einnahmesituation . Das steht zwar nicht imKoalitionsvertrag, aber wenn wir irgendetwas machen,soll es etwas für uns, für unseren Haushalt bringen . Wirhaben mehrere Gutachten vorliegen . Ich sage Ihnen ganzehrlich: Jeder in diesem Haus macht sich das Gutachtenzu eigen, das ihm in seine Ideologie passt, liebe Kolle-ginnen und Kollegen . Wer recht hat, können wir hier undheute alle nicht sagen . Das ist die Wahrheit .
Von daher erwarten wir, dass derjenige, der die Einnah-men – oder auch nicht – erhält, nämlich der Finanzmi-nister, deutlich macht, welche dieser Gutachten plausibelsind und welche nicht . Herr Schäuble, wir fordern Sieauf: Äußern Sie sich! Ich glaube, das ist ein wichtigerHinweis für dieses Haus .
Der Minister hat schon erwähnt, eigentlich bräuchtenwir diese Mehreinnahmen gar nicht; denn diese Koali-tion hat endlich einmal ausreichende finanzielle Mittelfür unsere Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt .Wir stellen jährlich über 14 Milliarden Euro im Haushaltbereit . Das haben wir auch mittelfristig gesichert . Inso-fern brauchen wir uns um unsere Verkehrsinfrastrukturin Deutschland keine Sorgen zu machen .Die Frage ist: Was passiert danach?
– Ja, ich habe den Einwurf gehört .Europa denkt im Moment über eine europaweite Pkw-Maut nach . Wäre es nicht auch im Interesse von Deutsch-land, sich in diese Diskussion einzubringen? Um unse-re Belange, unsere besondere Bedeutung einzubringen,sollten wir überlegen, ob wir unsere Energie dort nichtsinnvoll einsetzen könnten . Dann würden wir unsere Ein-nahmen auch mittelfristig gesichert haben .Ich habe schon gesagt: Wir stehen zum Koalitionsver-trag . Dort steht: Wenn die Bedingungen erfüllt sind, wer-den wir zustimmen . Ich höre schon die Opposition, diesagt: Das müsst ihr doch gar nicht .– Jetzt einmal ganzim Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich glaubenicht, dass der Ausbau des Frankfurter Flughafens dasHerzensprojekt der Grünen ist, und ich glaube nicht, dassdie Einführung der Elektroschocker bei der Berliner Po-lizei eine Herzensangelegenheit der Linken ist . Aber Siehaben einen Vertrag abgeschlossen, und darum machenSie das mit . Das ist auch gut so; denn nur so kann manunser Land vernünftig regieren . Das erwarten die Men-schen von uns .
Wir haben mitbekommen, dass die Maut für die CSUeine Herzensangelegenheit ist – wie der Mindestlohn fürdie SPD . Ich sage es einmal so: In meiner Ehe habe ichirgendwann einmal Ja gesagt .
Dr. Philipp Murmann
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Aber die Prioritäten meines Partners verstehe ich nichtimmer so ganz . Der Mindestlohn hat für 4 MillionenMenschen in diesem Land deutliche Verbesserungenbeim Einkommen gebracht, viele aus Hartz IV heraus-geholt . Das ist eine gute Sache . Die Pkw-Maut bringteinige Arbeitsplätze in der Verwaltung und jede MengeBürokratie. Aber ich sage einmal so: Unsere Ehe dauert29 Jahre, und ich hoffe, es ist erst die Halbzeit. Die Part-nerschaft mit der CSU geht ihrem Ende entgegen, unddann können die Bürger und Bürgerinnen in diesem Landentscheiden, was für sie die Prioritäten sind, wenn es da-rum geht, das Leben bei uns zu verbessern .Herzlichen Dank .
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
– Dass jedenfalls Koalitionen im Unterschied zu Ehen
nur für einen befristeten Zeitraum geschlossen werden,
hat schon manches für sich .
Bitte schön, Herr Lange .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ZurEhe sage ich nichts .
Ich bin glücklich verheiratet . Ob ich das mit der KolleginLühmann wäre, lasse ich einmal dahingestellt .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich will mal versuchen, auf zwei oder drei we-sentliche Punkte herunterzubrechen, worüber wir heutediskutieren . Vielleicht versteht man es, wenn man zuhö-ren möchte und nicht als Mitarbeiter eines Kanzlerkan-didaten auftritt oder sich in anderer Form permanent mitalternativen Fakten beschäftigt .
Ich lese ganz einfach einmal vor, was die EU-Kom-mission am 1. Dezember 2016 veröffentlicht hat:Die vereinbarte Lösung wahrt das Recht derEU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrerStaatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infra-strukturfinanzierung und erleichtert den Übergangzu einer emissionsarmen Mobilität . …Die beiden Gesetze werden nach den angekündig-ten Änderungen gewährleisten, dass das deutscheMautsystem mit dem EU-Recht in Einklang steht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das juristi-sche Gütesiegel der EU-Kommission. Das heißt, dieseInfrastrukturabgabe ist EU-rechtskonform.
Der zweite Punkt . Liebe Kolleginnen und Kollegen,im Koalitionsvertrag, den wir abzuarbeiten haben – Le-sen bildet –, heißt es, dass die Pkw-Fahrer im Inlandnicht höher als heute belastet werden dürfen . Genau dashat der Kollege Murmann jetzt perfekt dargestellt .
Lieber Kollege Schwarz, nehmen Sie sich ein Beispielam Kollegen Murmann, und alles ist gut .
– Es gibt auch noch Audi-Fahrer, Opel-Fahrer; nur damitjetzt hier alle genannt sind, lieber Kollege .Das Umschalten auf die Nutzerfinanzierung ist ja ge-rade etwas, was die EU-Kommission in den Mittelpunktihrer Infrastrukturpolitik gestellt hat . Genau an diesemPunkt setzen auch wir mit dieser Infrastrukturabgabe an .Insofern würde ich einfach einmal empfehlen, die Sachenüchtern zu betrachten . Wenn dann heute jemand kommtund wieder sagt: „Aber die Grenzregionen!“, so habenwir auch dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, eineLösung gefunden . Da hat sich auch nichts geändert . DerSachverhalt ist der gleiche, die Lösung ist da, die Lösungist gut, und an dieser Lösung wird jetzt auch festgehalten .
Insofern ist alles in Ordnung . Alles ist bestens geregelt .Man kann nur sagen: Bitte so weitermachen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Zahlen desADAC aus dem Jahr 2002 . Lieber Kollege Schwarz, ichgehöre ausgewiesenermaßen nicht zu den Freunden derZahlen des ADAC .
Da immer wieder gesagt wird, man müsse nachrechnen,lese ich einfach einmal aus der Stellungnahme des BMFvor . Das BMF sagt auch hier ganz klar – die Stellung-nahme liegt Ihnen vor –, dass die Zahlen des ADAC unddas dazugehörige Gutachten auf den Daten der Ein- undDurchfahrten aus dem Jahr 2002 beruhen,
Kirsten Lühmann
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und stellt auch klar, dass das BMVI neuere Daten hat .
Das Bundesministerium der Finanzen, so heißt es weiter,habe keine Veranlassung, die Annahmen der Verkehrsex-perten des BMVI zu bezweifeln . Tun Sie doch jetzt nichtso, als liege das Ganze nicht auf dem Tisch . Suchen Sienicht irgendein Schlupfloch; das sage ich Ihnen von die-ser Stelle aus ganz deutlich .Die Fakten liegen auf dem Tisch . Wir werden die In-frastrukturabgabe einführen und umsetzen .
Es geht um die Systemumstellung von der Steuerfinan-zierung zur Nutzerfinanzierung, damit unsere Infrastruk-tur besser ausgebaut wird, damit wir das, was wir unsvorgenommen haben, durchziehen können . Wir von derGroßen Koalition – das hat auch der Bundesverkehrswe-geplan gezeigt – sorgen für die Sanierung und den Aus-bau der Straßen, und wir stellen einen Bedarfsplan auf .Dafür brauchen wir das Geld,
dafür braucht unser Land das Geld . In diesem Sinne: Al-les Gute!Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetz-entwürfe auf den Drucksachen 18/11237, 18/11235 und18/11012 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-schüsse vorgeschlagen. Hat jemand andere Vorschläge? –Das ist nicht der Fall . Dann sind die Überweisungen sobeschlossen .Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 51 abis 51 c:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-kung der betrieblichen Altersversorgung und
Drucksache 18/11286Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineZimmermann , Matthias W . Birkwald,Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEGesetzliche Rente stabilisieren – Gute Rentefür alle sichernDrucksache 18/11402Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusKurth, Kerstin Andreae, Maria Klein-Schmeink,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFür eine faire und nachhaltige betrieblicheAltersversorgung und ein stabiles Drei-Säu-len-SystemDrucksache 18/10384Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss Ausschuss für GesundheitDie Vorlagen sollen nach einer interfraktionellen Ver-einbarung 60 Minuten diskutiert werden . – Dazu kannich offensichtlich Einvernehmen feststellen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derBundesministerin für Arbeit und Soziales, AndreaNahles .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werein Leben lang gearbeitet hat, der muss im Alter abgesi-chert sein . Das ist für mich eine der Kernaufgaben desSozialstaates in unserem Land . Meine persönliche Über-zeugung ist: Jede und jeder muss die Möglichkeit haben,den gewohnten Lebensstandard im Alter zu erhalten . DasFundament dafür ist mit Sicherheit die gesetzliche Ren-tenversicherung .
Die zusätzliche Altersvorsorge muss dann – das ist meineÜberzeugung – als Plus oben draufkommen .Vor allem für Geringverdienende schlagen KollegeSchäuble und ich mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetzdeutliche Verbesserungen vor . Dabei sind Betriebsren-ten – das will ich deutlich hervorheben – die älteste, diewichtigste und die kostengünstigste Zusatzversorgungim Alter .
Doch noch längst nicht alle im Land betreiben überhaupteine zusätzliche Altersvorsorge, und das ist das Problem .In großen Unternehmen und in Branchen mit breitwirkenden Tarifverträgen ist die betriebliche Alterssi-cherung gut verbreitet . Ende 2015 hatten rund 60 Pro-zent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beiihrem aktuellen Arbeitgeber eine Anwartschaft auf eineBetriebsrente . Das sind 17,7 Millionen Menschen, dieeine betriebliche Altersvorsorge haben . Schließlich hatsie für die Versicherten eine Menge Vorteile: wenigerKosten und Aufwand durch Bündelung großer Beleg-Ulrich Lange
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schaften, häufig ein Beitrag des Arbeitgebers, Zielge-nauigkeit und vieles mehr . Aber gerade – das haben wireben auch feststellen müssen – in kleineren Unterneh-men und in Branchen mit geringverdienenden Beschäf-tigten ist die Betriebsrente wenig verbreitet . Sie scheu-en oft den Aufwand für den Aufbau einer betrieblichenAltersversorgung und das Haftungsrisiko . Das soll dasBetriebsrentenstärkungsgesetz ändern . Ich setze dabeiauf die Sozialpartner . Sie können nach unserem Sozial-partnermodell Betriebsrentensysteme für ihre Branchenund Betriebe vereinbaren und aufbauen; denn wie bei dergesetzlichen Rente gilt auch hier: Niemand kann alleinefür ein sicheres und gutes Auskommen im Alter sorgen .Nur alle zusammen bekommen das hin .
Das Sozialpartnermodell ist deshalb der Kern des Be-triebsrentenstärkungsgesetzes .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mehrBetriebsrenten erreichen, indem wir es den Sozialpart-nern ermöglichen, Tarifverträge zu schließen, in denenBetriebsrenten vereinbart werden ohne Haftung der Ar-beitgeber für den späteren Rentenbezug, sogenannte rei-ne Beitragszusagen . Damit entfällt für die Betriebe dasHaftungsrisiko,
das bisher ein wesentlicher Hemmschuh für die Ein-führung einer betrieblichen Altersversorgung war . DieAnsprüche der Beschäftigten richten sich dann aus-schließlich an die Versorgungseinrichtung, etwa an denPensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktver-sicherung . Die Tarifpartner vereinbaren dabei eine soge-nannte Zielrente . Auf Garantien und Mindestleistungendurch die Versorgungseinrichtungen wird verzichtet . Dasist etwas fundamental Neues in der kapitalgedeckten Al-tersvorsorge, und das ist auch eine Antwort auf die langeNiedrigzinsphase .In den letzten Jahren mussten wir feststellen – umgenau zu sein: seit 2009 –, dass wir keinerlei Entwick-lung positiver Art bei der Verbreitung von Betriebsrentenmehr haben . Wir haben eine komplette Stagnation . Das,was wir hier vorlegen, ist der Versuch einer Antwort aufdiese Frage . Diese Antwort haben wir nicht im luftleerenRaum, sondern in enger Absprache – Herr Schäuble undich haben uns dafür sehr viel Zeit genommen – mit denSozialpartnern, also mit Gewerkschaften und Arbeitge-bern zusammen, entwickelt .
Wir öffnen hier Wege für die Sozialpartner. Sie könnendiesen Weg gehen, Sie können es aber auch sein lassen;denn die bisherigen fünf Durchführungswege einer Be-triebsrente, die wir schon kennen, existieren weiterhin .Wir bieten eine neue Möglichkeit, auf diese besondereLage zu reagieren .Gemeinsame Verantwortung heißt, dass für die Arbeit-geber nicht nur Risiken wegfallen, sondern sie zugleichin die Pflicht genommen werden. Im Gegenzug für dieBefreiung von der Haftung sollen sich die Arbeitgeber ander Absicherung der Zielrenten durch Sicherungsbeiträgebeteiligen . Wichtiger noch als das ist: Wenn Entgeltum-wandlung genutzt wird, muss der Arbeitgeber eingespar-te Beiträge zur Sozialversicherung, die wir auch gewährthaben, damit sie die Haftungsrisiken absichern können –dieser Grund fällt hier ja weg –, an die Versorgungsein-richtung weitergeben .
20 Prozent werden gewährt; 15 Prozent muss man wei-tergeben, mehr kann man im Rahmen der Tarifverhand-lungen vereinbaren .Mit anderen Worten: Wir haben nicht nur etwas anRisiken weggenommen, sondern wir haben auch neuePflichten ausgehandelt. Das ist genau der Deal, den dieSozialpartner am Ende mitgegangen sind .
Außerdem sorgen wir dafür, dass die Sozialpartnerim Rahmen der Betriebsrenten dauerhaft mit in die Ver-antwortung genommen werden . Sie müssen sich an derDurchführung und Steuerung der neuen Betriebsrentenbeteiligen, entweder durch eigene Einrichtungen oderMitwirkung in bestehenden Einrichtungen . Das ist einGrund, warum dieses Modell, das, als wir es vor zweiJahren vorgeschlagen haben, in der gesamten Szene mas-sive Kritik ausgelöst hatte, am heutigen Tag auf den Weggebracht werden kann . Dass sich die Sozialpartner an derDurchführung und Steuerung der neuen Betriebsrentenbeteiligen müssen, das ist etwas wirklich Neues . Damitwollen wir sachgerechte und angemessene Betriebsren-ten erreichen . Darum setzen wir auch Regeln für die Ziel-rente, was die Kapitalanlage oder das Risikomanagementbetrifft. Darüber, dass diese Regeln eingehalten werden,Herr Kurth, wacht die Bundesanstalt für Finanzdienst-leistungsaufsicht, die BaFin . Verantwortung und Verläss-lichkeit sind also die Grundlage .Wir haben auch noch etwas anderes gemacht . Wirhaben die rechtssichere Lösung für ein Opting-out ge-schaffen. Arbeitgeber können ganze Belegschaften auchunabhängig etwa von der Zugehörigkeit zu einer Ge-werkschaft automatisch in die betriebliche Altersversor-gung aufnehmen . Beschäftigte, die daran nicht teilneh-men möchten, erklären einfach ihren Austritt . Auch dasist eine wesentliche Innovation .Damit vor allem auch Geringverdienende in Zukunftprofitieren, fördern wir arbeitgeberfinanzierte Betriebs-rentenbeiträge für Beschäftigte mit Einkommen unter2 000 Euro . Dazu wird sicherlich Herr Meister nachhernoch mehr sagen, weil das auch ein wesentlicher Teil derZusammenarbeit mit dem BMF war .Damit zusätzliche Vorsorge sich für alle lohnt – auchfür die Menschen, die für niedrige Löhne arbeiten –,schaffen wir bei der Grundsicherung im Alter Freibeträgefür Zusatzrenten wie Betriebs- oder Riesterrenten .
Bundesministerin Andrea Nahles
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Dieser Schritt ist wirklich ein historischer Schritt . Dashat es noch nie gegeben . Es bestand gerade für Gering-verdiener ein großes Hemmnis . Viele haben ja gesagt:Ich weiß gar nicht, ob ich im Leben so viel verdiene, dassich am Ende über die Grundsicherung komme . Warumsoll ich jetzt in die private Rente oder in die Betriebsrenteeinzahlen? – Das hat übrigens auch Tarifverhandlungen,beispielsweise im Dienstleistungsbereich, extrem be-schränkt .An dieser Stelle sagen wir jetzt: Ihr könnt, egal wieeure Erwerbsbiografie am Ende verlaufen ist, rund200 Euro behalten . – Das ist nun wirklich eine wesentli-che Verbesserung
und trägt, hoffe ich, dazu bei, dass wir in Zukunft dieVerbreiterung der Betriebsrenten auch in dem Bereich er-reichen, in dem es bisher noch nicht so gut läuft, nämlichbei den Geringverdienern . Das ist einer der wesentlichenPunkte, um das zu erreichen .Vielen Dank .
Matthias Birkwald erhält nun für die Fraktion Die Lin-
ke das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Auf der Besuchertribüne begrüße ich den Vorsit-
zenden des Vereins der Direktversicherungsgeschädig-
ten, Herrn Kieseheuer, und zehn seiner Mitstreiterinnen
und Mitstreiter sehr herzlich .
Sie kämpfen gegen die Doppelverbeitragung Ihrer Be-
triebsrenten mit Krankenkassenbeiträgen . Ich wünsche
Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Kampf .
Meine Damen und Herren, vor 17 Jahren haben SPD,
Grüne, Union und FDP das Rentenniveau gemeinsam in
den Sinkflug geschickt und Lücken in die gesetzlichen
Renten von Millionen von Menschen gerissen . Seitdem
gilt: Jahr für Jahr hinken die Renten den Löhnen hinter-
her, Jahr für Jahr gibt es immer mehr ältere Arme, und
Jahr für Jahr wird der Riester-Unsinn offensichtlicher.
Und was tun Union und SPD dagegen? Nichts. Sie
sagen gebetsmühlenartig: Wir müssen die Rente zu-
kunftsfähig machen . – Ich sage dazu: Sie wollen die Al-
terssicherung für die Unternehmen billiger machen. Sie
wollen die Alterssicherung für die heute Beschäftigten
teuer, kompliziert und unberechenbar machen . – Dazu
sagt die Linke klar und deutlich Nein .
Beim neuen Stern der SPD zeigt unsere Kritik der Lin-
ken Wirkung . Martin Schulz sagte am 20 . Februar 2017 –
Zitat –:
… es gibt keine sozial gerechtere Form der Absiche-
rung für das Alter als die gesetzliche Rentenversi-
cherung . Deswegen wollen wir zuallererst die erste
Säule der Altersvorsorge stärken .
Und was tut die SPD? Arbeitsministerin Andrea
Nahles legt heute kein Gesetz für eine Anhebung des
Rentenniveaus vor, sondern nur ein sogenanntes Be-
triebsrentenstärkungsgesetz .
Mit einem Rentenniveau von 53 Prozent könnte man
den Lebensstandard aber wieder sichern . Genau das tun
Sie nicht, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten . Das ist schlecht .
Nein, gegen den Verfall des Rentenniveaus helfen kei-
ne Sonntagsreden von Martin Schulz .
Gegen die immer weiter anwachsende Rentenlücke von
vielen hart arbeitenden Menschen hilft nur ein Gesetz,
mit dem endlich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenan-
passungsformel gestrichen werden .
Herr Kollege, lassen Sie Zwischenfragen zu?
Bitte .
Bitte sehr .
Sehr geschätzter Herr Kollege Birkwald, danke schön,dass Sie die Zwischenfrage zulassen . – Sind Sie bereit,zu akzeptieren und anzuerkennen, dass Frau MinisterinAndrea Nahles zu Beginn ihrer Rede eindeutig gesagthat, dass die Altersversorgung natürlich im Kern durchdie gesetzliche Rente abgesichert wird? Das waren dieEingangsworte der Ministerin . Ihre Polemik hier bezogsich auf ein anderes Thema, nämlich die betriebliche Al-tersvorsorge . Das ist ein anderer Punkt, der on top kom-men soll, wie in dieser Debatte eindeutig geäußert wurde .Sind Sie bereit, das anzuerkennen?
Bundesministerin Andrea Nahles
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Sehr geschätzte Kollegin Wolff, ich kann zitieren: Die
Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube . – Es
wird zwar gesagt, die gesetzliche Rente solle gestärkt
werden. Aber was wird gemacht? Es geht um die Be-
triebsrente .
Wir haben heute, Frau Kollegin Wolff, auch einen
Antrag der Fraktion Die Linke auf der Tagesordnung, in
dem wir aufgenommen haben, was Martin Schulz gesagt
hat . Wenn Sie unseren Antrag umsetzten, dann erhielten
heutige und künftige Rentnerinnen und Rentner deutlich
höhere Löhne, und vor allem die Menschen mit niedrigen
Löhnen würden deutlich bessergestellt und vor Altersar-
mut geschützt werden . Darum muss es doch gehen, Frau
Kollegin Wolff.
Liebe Koalition, was machen Sie denn mit Ihrem Be-
triebsrentenstärkungsgesetz? Sie sagen heute mit diesem
Gesetz zu einer Geringverdienerin: Mit deinem Lohn
landest du einmal in der Altersarmut; denn du verdienst
zu wenig für eine armutsfeste gesetzliche Rente . Du ries-
terst zu wenig . Du gibst von deinem kargen Lohn zu we-
nig Geld für eine Betriebsrente aus, und du sorgst zu we-
nig für dein Alter vor . – Ich sage: Das ist Zynismus pur .
Herr Kollege, lassen Sie noch eine weitere Zwischen-
frage zu?
Ja, selbstverständlich .
Herr Kollege Birkwald, ich weiß ja, dass Ihnen die
Beantwortung von Zwischenfragen Spaß macht . Des-
wegen will ich Ihnen gerne einen Gefallen tun und noch
eine stellen .
Herr Birkwald, würden Sie vielleicht zwei Dinge zur
Kenntnis nehmen?
Erstens . Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass
Frau Ministerin Nahles in ihrem Gesamtkonzept zur Al-
terssicherung Vorschläge zur Stabilisierung des Renten-
niveaus der gesetzlichen Rente gemacht hat?
Zweitens . Würden Sie vielleicht zur Kenntnis neh-
men, dass auch das Thema betriebliche Altersvorsorge
unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten eine zentrale Rolle
spielt? Denn – Frau Ministerin hat es ausgeführt – wir
haben in Deutschland viele Beschäftigte, die Ansprüche
aus betrieblicher Altersvorsorge erwerben, teilweise so-
gar sehr hohe . Es gibt aber auch sehr viele, vor allem
in kleineren und mittleren Betrieben in bestimmten
Branchen, beispielsweise im Einzelhandel, Geringver-
diener, die keine Anwartschaften aus der betrieblichen
Altersvorsorge haben . Damit haben wir, egal wie hoch
das Niveau in der gesetzlichen Rentenversicherung ist,
bei der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge in
Deutschland eine riesige Gerechtigkeitslücke zwischen
denjenigen, die Ansprüche haben, und denjenigen, die
keine haben . Deswegen ist die Politik genau an dieser
Stelle gefragt, sich eben nicht nur um die gesetzliche
Rente zu kümmern, sondern sich gleichermaßen auch um
diese Gerechtigkeitslücke im Bereich der betrieblichen
Altersvorsorge zu kümmern .
Sehr geschätzter Kollege Dr . Rosemann, zunächst:Ja, die Ministerin hat einen Vorschlag gemacht, um dasRentenniveau zu stabilisieren . Das reicht aber überhauptnicht . Wir haben heute ein Rentenniveau von 48,2 Pro-zent . Die Rente sollte den Lebensstandard wieder sichern .Dafür brauchen wir aber ein Rentenniveau von 53 Pro-zent. Das wäre heute und auch im Jahr 2030 finanzierbar.Sie waren doch mit mir gemeinsam in Österreich undhaben gesehen, wie man ein Rentensystem aufbaut, indem die Männer das Doppelte an Rente bekommen undauch eine Bäckereifachverkäuferin und eine Floristin imAlter eine Rente bekommen, von der sie leben können .Das ist hier heute nicht der Fall, auch nicht mit Betriebs-rente . Das ist der erste Punkt .Nun zu Ihrer zweiten Frage . Man muss schon nocheinmal sagen, worum es hier geht . Denn hier wird al-les vermuschelt . Hier wird von bAV, von betrieblicherAltersversorgung gesprochen, obwohl es sich nur umbetriebliche Altersvorsorge handelt. Was ist der Unter-schied? Betriebliche Altersversorgung ist, wenn Ihr Ar-beitgeber sagt: Martin, du machst einen guten Job . Ichgebe dir 200 Euro Betriebsrente bis an dein Lebensende .
Das ist betriebliche Altersversorgung . Da wird gehaftet,da wird zugesagt, dass man das Geld bekommt .Was ist betriebliche Altersvorsorge?
– Das kann ich mir vorstellen; aber das ist genau derPunkt, um den es hier geht . – Sie fördern doch nur Vor-sorge. Vorsorge von wem? Von Menschen, die häufig mitEntgeltumwandlung – das geschieht mittlerweile über-wiegend – ihr eigenes Gehalt zur Betriebsrente machen .
Die Menschen, die dort oben auf der Tribüne sitzen, müs-sen, wenn sie ihre Betriebsrente bekommen, dann auchnoch doppelt Krankenversicherungsbeiträge zahlen .
Ich sage Ihnen: Wenn man Entgeltumwandlung machtund der Arbeitgeber nicht mindestens 50 Prozent odermehr dazugibt, tut man besser daran, das Geld in ein
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Sparkästchen oder unter das Kopfkissen zu stecken . Sieführen die Leute hier hinter die Fichte .
Echte betriebliche Altersversorgung ist gut . BetrieblicheAltersvorsorge mit weniger als 50 Prozent der Beiträgeder Arbeitgeber ist schlecht .
Jetzt geht es weiter . Sie sagen einem Beschäftigten mitIhrem Gesetz: Sorry, die gute alte Zeit der betrieblichenAltersversorgung ist endgültig vorbei . Dass deine Bei-träge später einmal mit Zins und Zinseszins ausgezahltwerden, muss dir dein Arbeitgeber genauso wenig garan-tieren wie eine Mindestrente . Er garantiert dir in Zukunftüberhaupt nichts mehr . Er zahlt künftig nur noch einbisschen Beitrag, und das war es. Eine Einstandspflicht,eine Haftung des Arbeitgebers, das feste Versprechen ei-ner ordentlichen und verlässlichen Betriebsrente ist denChefs einfach zu teuer . Das darf doch alles gar nicht wahrsein .
Union und SPD sagen den Menschen mit diesemGesetz: Gib den Versicherungskonzernen und den Ver-sorgungswerken noch mehr von deinem Lohn, und lassuns dann mal sehen, was die Aktienmärkte in Zukunfthergeben. Wenn es gut läuft: okay. Wenn es schiefläuft:Pech gehabt .
„Zielrente“ nennen Sie das. Sagen Sie „Pokerrente“. Daswäre ehrlicher .
Wozu verpflichten Sie die Arbeitgeber? Frau Nahleshat es gesagt: zu 15 Prozent . 15 Prozent des Gehalts mussdie Chefin oder der Chef zukünftig für die betrieblicheAltersvorsorge der Beschäftigten dazubezahlen . FrauNahles, auf meine Frage, wie viel der Arbeitgeber oderdie Arbeitgeberin an Sozialversicherungsbeiträgen wirk-lich spart, wenn die Beschäftigten eine Entgeltumwand-lung vornehmen, also ihre Betriebsrente überwiegendselbst finanzieren, haben Sie geantwortet: insgesamt20,7 Prozent . Wir Linken sagen: Die Arbeitgeber dürfenkeinen einzigen Cent an der betrieblichen Altersvorsorgeihrer Beschäftigten verdienen .
Im Gegenteil: Die Chefinnen und Chefs sollen sich ander Altersversorgung ihrer Mitarbeitenden beteiligen . Siesollen sie finanzieren. Die Arbeitgeber sollen zeigen, dassihnen ihre langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiteretwas wert sind . Deshalb würde ein linkes Betriebsren-tenstärkungsgesetz in § 1 feststellen: Um betrieblicheAltersversorgung handelt es sich nur, wenn der Arbeitge-beranteil der Beiträge zwischen 50 und 100 Prozent liegt .
Alles andere ist Vorsorge, und da gilt: Vorsicht an derBahnsteigkante!
In § 2 würden wir die sozialabgabenfreie Entgeltum-wandlung abschaffen. Sie ist genau das Gegenteil vondem, was Martin Schulz fordert, verehrte Frau Nahles .Sie stärkt nämlich die gesetzliche Rente nicht, sondernsie schwächt die gesetzliche Rente, und zwar doppelt:Die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung senktdie eigenen gesetzlichen Rentenansprüche, und sie senktdie Renten aller Versicherten, völlig egal, ob sie über denBetrieb vorsorgen oder nicht . Dazu sagt die Linke: Dasgeht gar nicht .
Die Bundesregierung schätzt die Beitragsausfälle fürdie Entgeltumwandlung auf 3 Milliarden Euro – HerrMeister widerspricht nicht –,
und hinzu kommen die Steuerausfälle . Was machen Sie,Frau Ministerin Nahles? Sie führen grundsätzlich die au-tomatische Entgeltumwandlung per Tarifvertrag ein . Siewollen dieses schädliche Instrument auch noch mehr för-dern. Was gilt denn nun, liebe SPD? Schulz oder Nahles?Gesetzliche Rente oder private Vorsorge?
Sie, Frau Nahles, stärken ja auch noch die priva-te Vorsorge; denn Sie erhöhen mit diesem Gesetz die Riester-Zulage . Dabei wären die 3 Milliarden Euro proJahr an staatlicher Riester-Förderung in der Rentenkasseviel besser angelegt, statt in den Töpfen der Versiche-rungswirtschaft zu versickern .
Frau Ministerin, Sie haben eben vorgetragen: Sieführen Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter ein .Auch hier die Frage: Schulz oder Nahles? GesetzlicheRente stärken oder private Vorsorge erzwingen?
Das sozialdemokratisch geführte Ministerium führt Frei-beträge für die betriebliche Vorsorge und für die Riester-Rente bei der Grundsicherung ein . Freibeträge für diegesetzliche Rente führen Sie nicht ein . Das ist ungerecht .
Meine Damen und Herren, zum Schluss noch eindeutliches Wort zu dem ganz besonderen Skandal derDoppelverbeitragung von den Betriebsrenten der Direkt-versicherten . Wer vor 2002 eine Direktversicherung ab-geschlossen hat, muss dank Horst Seehofer, CSU, undUlla Schmidt, SPD, seit dem Jahr 2004 rückwirkendMatthias W. Birkwald
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doppelte Krankenversicherungsbeiträge zahlen . DerBundesrat, der DGB, die IG Metall, die Arbeitgeber, dieArbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung,die Sozialverbände und die Linke sind sich alle einig:Alle Betriebsrenten dürfen nur einmal und auf gar keinenFall zweimal oder dreimal verbeitragt werden .
Herr Kollege Weiß, was bieten Sie den Betroffenendenn konkret an? Sie wurden erst mit Steuervorteilen indie Direktversicherung gelockt und dann rückwirkendund ohne Bestandsschutz abgezockt . Für die betriebli-chen Riester-Renten ändern Sie das – gut . Aber ich for-dere Sie auf: Schaffen Sie diese große Ungerechtigkeitfür alle Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner ab!Ich danke Ihnen .
Peter Weiß ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich finde, so heftig man eine Debatte auch führt, sollteman zu dem, was eigentlich nicht strittig ist, nicht erklä-ren, dass es strittig sei . Nicht strittig ist – das erkläre ichjetzt für die CDU/CSU-Fraktion und auch für die gesam-te Koalition –, dass eine starke gesetzliche Rente natür-lich auch in Zukunft die erste starke Säule der Altersver-sorgung in Deutschland ist und bleiben wird .
Weil jeder von uns im Alter einigermaßen gut lebenwill, ist es aber zwingend notwendig, dass eine starkezweite Säule dazukommt, und es geht heute darum, dasswir diese zweite starke Säule schaffen, sichern und un-terstützen .
Die Idee des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist ein-fach, dass in Zukunft nicht nur 60 Prozent der Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine starkezweite Säule in Form einer Betriebsrente ihr Eigen nen-nen können, sondern möglichst jede Arbeitnehmerin undjeder Arbeitnehmer in Deutschland . Darum geht es uns .
Wenn uns das mit diesem Gesetz am Schluss gelin-gen sollte, dann gilt wirklich: Wer nicht bei der betrieb-lichen Altersvorsorge mitmacht, der hat sich wirklichfalsch entschieden . Wenn uns dieses Gesetz gelingt undwir wirklich eine weitere Verbreitung der betrieblichenAltersvorsorge schaffen, dann wäre das heute sogar eineSternstunde für die deutsche Altersvorsorge der Zukunft .
Kaum ein Gesetzesvorhaben war so gründlich vorbe-reitet wie dieses, nämlich mit mehreren Gutachten, diedas Arbeitsministerium und das Finanzministerium inAuftrag gegeben haben und in denen sehr genau analy-siert wurde, auf was es ankommt .Es ist völlig richtig, verehrte Frau Ministerin: Es gehthier nicht nur um das Sozialpartnermodell, sondern esgeht uns natürlich darum, alle Formen der betrieblichenAltersvorsorge zu stärken .Hier ist als Erstes der Zugang für Geringverdienerwichtig. Wir schaffen einen Geringverdienerzuschuss,der zu einem guten Teil dem Arbeitgeber über die Steuerrefinanziert wird. Dieser macht es für Geringverdienerüberhaupt erst möglich, in die betriebliche Altersvorsor-ge einzusteigen .Als Zweites schaffen wir Freibeträge in der Grundsi-cherung . Hundert Jahre lang war das Prinzip der Nachran-gigkeit das eherne Prinzip staatlicher Fürsorgeleistungen,also staatlicher Unterstützung aus Steuermitteln. Danachwurde alles, was man sonst noch hat, angerechnet .Mit diesem Gesetzentwurf machen wir, wie ich finde,nicht nur einen historischen Schritt, sondern es ist sogareine echte Revolution im deutschen Sozialrecht, dass wirerstmals eine Regelung schaffen, wonach mindestens100 Euro und maximal 200 Euro monatlich von dem,was man sich an zusätzlicher Altersversorgung angesparthat, nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden .Auf gut Deutsch: Wer etwas zusätzlich fürs Alter macht,der weiß eines ganz bestimmt, egal wie das Leben wei-terverlaufen wird: Wenn ich eines Tages Grundsicherungbeantragen muss, dann habe ich auf jeden Fall mehr alsderjenige, der nichts getan hat . Das ist die wichtigsteBotschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerin Deutschland, gerade auch für die Geringverdiener .
Natürlich ist es wünschenswert, dass das, was jetztauch schon Praxis ist, dass nämlich die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer durch Tarifverträge einen auto-matischen Zugang zu einer Betriebsrente bekommen,verbreitert wird . Das ist die Idee des sogenannten Sozi-alpartnermodells .Was der Kollege Birkwald von den Linken hier vor-getragen hat, ist schlichtweg unglaublich . Er hat diesesModell als „Pokerrente“ diffamiert.
Um es jedem zu erklären: Es geht darum, dass diejeweiligen Arbeitgeberverbände und die zuständigenGewerkschaften miteinander einen Tarifvertrag abschlie-ßen, in dem sie die Details regeln, wie die betrieblicheAltersversorgung organisiert und finanziert wird.Matthias W. Birkwald
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Nun gibt es in den Gewerkschaften etliche Kollegin-nen und Kollegen, die meinen, ihre politischen Ziele ehermit der Linkspartei durchsetzen zu können .
Heute ist deutlich geworden, wie Linke wirklich überGewerkschaften denken .
Der Vorwurf, dieses Tarifvertragsmodell sei eine Poker-rente, ist die Misstrauenserklärung gegenüber den deut-schen Gewerkschaften seitens der Linkspartei .
Dass Sie den Arbeitgeberverbänden misstrauen, habenwir eh unterstellt . Aber heute ist noch einmal deutlich ge-worden, wie Sie in Wahrheit über Gewerkschaften den-ken .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Tatist die Frage, wie wir zusätzliche Anreize schaffen, zumBeispiel durch das betriebliche Opting-out-Modell, dasdie Ministerin vorgestellt hat, oder die Überlegung,eingesparte Sozialversicherungsbeiträge durch die Ent-geltumwandlung an den Arbeitnehmer als Zuschuss zurbetrieblichen Altersvorsorge weiterzugeben . Das sindwichtige Elemente, die einen zusätzlichen finanziellenAnreiz darstellen, um sich einer betrieblichen Altersvor-sorge anzuschließen und entsprechend anzusparen .Die betriebliche Altersvorsorge ist deswegen in unse-rem Fokus, weil wir gerade in einer Niedrigzinsphase mitder betrieblichen Altersvorsorge darstellen können, dassgroße Kollektive, die versichert werden, auch attraktiveAngebote aufseiten der Versicherung finden, und Kos-ten gespart werden, dass aber eine Altersvorsorge auchin Zeiten niedriger Zinsen mit einer Rendite dargestelltwerden kann . Deswegen ist es richtig, dass wir geradein dieser Zeit unser Augenmerk auf die Stärkung der Be-triebsrente richten .Der Gesetzentwurf ist ein Gemeinschaftswerk vonBundesfinanzministerium und Bundesarbeitsministeri-um, und ich möchte beiden Häusern und den Mitarbei-tern herzlich dafür danken . Erlauben Sie mir, dass icheinen besonderen Dank an den Bundesfinanzministerrichte. Denn der Bundesfinanzminister hat zwar zunächsteinmal die Aufgabe, das Geld zusammenzuhalten, aberwenn man die betriebliche Altersvorsorge richtig gestal-ten will, dann muss es auch ein paar finanzielle Anreize –und zwar zusätzlicher Art – geben. Dass der Bundesfi-nanzminister sich dazu hat durchringen lassen
– ich glaube, für jeden Finanzminister, egal welcher Par-tei er angehört, ist es ein Durchringen –, dass der Bundes-finanzminister bereit war, ein paar zusätzliche finanzielleAnreize für die Förderung der Betriebsrente zu geben,ist ein richtiges Zeichen in der Niedrigzinsphase, indemman nämlich sagt: Wer spart, den wollen wir als Staat zu-sätzlich unterstützen. Und das wird mit diesem Betriebs-rentengesetz gemacht .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, eshandelt sich insgesamt um einen guten Gesetzentwurf .Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass wir, die Koalitions-fraktionen, ihn im parlamentarischen Verfahren noch ge-meinsam optimieren . Aber was wir mit der ersten Lesungheute bezwecken sollten, ist, ein klares Signal zu geben:Grünes Licht, freie Fahrt für eine starke betrieblicheAltersversorgung für möglichst alle Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer in Deutschland!Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Weiß . – Als Nächster
spricht der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Vorweg: Für Bündnis 90/DieGrünen ist die betriebliche Altersvorsorge ein wichtiger,zentraler und unbedingt zu stärkender Baustein in derAltersvorsorge . Die Betriebsrente hat eine hohe Akzep-tanz, weil sie eine wertgeschätzte und wertschätzendeZusatzleistung ist . Sie ist trotz der Entgeltumwandlung,die auch wir – das will ich betonen – abschaffen wollen,
in der Regel noch mit hohen Arbeitgeberanteilen verse-hen .Die Betriebsrente ist häufig in tarifvertragliche Rege-lungen eingewoben, und es ist vielfach zumindest überGruppenverträge, aber auch über Pensionsfonds ein Sys-tem kollektiver Absicherung und damit häufig effizien-ter als individuelle Verträge wie beispielsweise bei derRiester-Rente . Zusammengefasst: Grundsätzlich ist dieStärkung der Betriebsrente auch für uns Grüne ein erstre-benswertes Ziel .
Eine Stärkung – Frau Nahles hat es ja, wie viele an-dere auch, analysiert – ist gerade in kleinen und mittle-ren Unternehmen sowie in bestimmten Branchen auchnotwendig . Gerade in Dienstleistungsbranchen ist dieBetriebsrente nicht besonders weit verbreitet . Ich denkePeter Weiß
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dabei insbesondere an den Einzelhandel sowie an dasHotel- und Gaststättengewerbe . Diese Bereiche seienhier nur beispielhaft genannt . Da gibt es nicht besondersviele Betriebsrenten . Es ist für uns wichtig, auch hiervorwärtszukommen .Ich wundere mich allerdings, dass eigentlich keinervon den Rednern – auch nicht der OppositionsrednerBirkwald – die Frage aufgeworfen hat, ob dieser Gesetz-entwurf mit dem Sozialpartnermodell seine Ziele über-haupt erreichen kann . Jetzt sage ich Ihnen etwas, wasnoch niemand hier vorne gesagt hat: Dieser Gesetzent-wurf erreicht gerade diejenigen nicht, die besonders eineUnterstützung brauchen. Und das ist finster!
Sie benutzen die Betriebsrente, um eigentlich ein an-deres Ziel zu erreichen, nämlich die Tarifbindung zu stär-ken bzw . zu erhöhen . Fast sämtliche Vergünstigungen –oder nennen wir es einmal Subventionstatbestände; dasist es ja tatsächlich – sind an Tarifbindung und an dieTarifparteien gekoppelt . Das ist der Kardinalfehler die-ses Betriebsrentenstärkungsgesetzes . Andrea Nahles hates ja auch in einem FAZ-Interview im Jahr 2016 gesagt:Wer tariflich gebunden ist, wird privilegiert.Die Tarifbindung zu stärken, ist natürlich ein erstre-benswertes Ziel . Ob dann damit aber auch die Aufga-benstellung – nämlich die Betriebsrente in kleinen undmittleren Unternehmen zu stärken – erreicht wird, istmehr als fraglich . Das wird nicht der Fall sein . ProfessorKiesewetter, der für das Finanzministerium das vielfachbeachtete Betriebsrentengutachten erstellt hat, hat dasKernproblem sehr klar beschrieben: Die Erhöhung desVerbreitungsgrades hängt in großem Maße von den Ta-rifparteien ab . Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: InBetrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern beträgt der Anteiltarifgebundener Beschäftigter gerade einmal 20 Prozent,in Betrieben mit bis zu 9 Mitarbeitern sind es nur rund10 Prozent. Und in Ostdeutschland sieht es noch viel ma-gerer mit der Tarifbindung aus . Das heißt also, das So-zialpartnermodell kann gar nicht dort greifen, wo es diegrößten Regelungs- und Unterstützungsbedarfe gibt. Daswerfen wir Ihnen vor .
Selbst die Gewerkschaften sehen das . Der DeutscheGewerkschaftsbund sagt – ich zitiere – in einer aktuellenStellungnahme: Wir werden das gar nicht schaffen. Undweiter:Ohne das Instrument der Allgemeinverbindlich-keitserklärung wird keine Verbesserung der zusätz-lichen Altersversorgung der dort Beschäftigten er-reicht werden können .Das heißt also, die Gewerkschaften setzen bereits jetztauf eine andere Regelung, auf eine Abschaffung desVetorechts bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung .Das halten wir durchaus für vernünftig . Nur gibt es dasim Moment nicht. Und ich sehe jedenfalls nicht, dass dasin der näheren Zukunft kommen wird . Das heißt, die Ge-werkschaften selber sehen eigentlich die große Schwä-che dieses Gesetzentwurfs .
Sogar der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes –er vertritt kleine und mittlere Unternehmen – sagt:Der Gesetzentwurf verliert die beiden eigentlichenProblemgruppen – mittelständische Unternehmenund Geringverdiener – aus den Augen .Das ist der entscheidende, zentrale Punkt, den man Ihnenzum Vorwurf machen kann .Hier an dieser Stelle haben wir von Bündnis 90/DieGrünen einen eigenen Antrag vorgelegt, der genau die-sen Schwachpunkt erfasst . Wir sagen nämlich: Wer dieBetriebsrente wirklich umfassend verbreiten will, kommtnicht darum herum, die Arbeitgeber – wie das übrigensin Großbritannien der Fall ist – zu einem Angebot an dieBeschäftigten zu verpflichten. Das heißt, die Arbeitgebermüssen nicht nur einen Zettel an das schwarze Brett hän-gen, sondern ihren Beschäftigten ein Angebot unterbrei-ten, das diese mindestens aktiv annehmen müssen . DerFachausdruck dazu lautet „active choice“. Ein Options-modell wäre an dieser Stelle ebenfalls denkbar . Damitnicht genug: Die Arbeitgeber müssen auch – das stehtebenfalls in unserem Antrag – einen echten Eigenbeitragleisten . Das ist wichtig – Kollege Birkwald hat das schonangedeutet –, damit die Betriebsrente ihre Funktion er-füllt und ihren Namen verdient .
Wir Grüne sehen natürlich das Problem bei der soge-nannten Haftungsverpflichtung gerade bei kleinen undmittleren Unternehmen. Die Gärtnerei um die Ecke mitsieben Angestellten hat sicherlich Probleme, über 50, 60oder 70 Jahre die Beiträge zu garantieren und dafür zuhaften. Darum finden wir es richtig, einen Enthaftungs-anreiz zu setzen, aber zielgenau . Wir wollen kleine undmittlere Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten ent-haften und ihnen die Beitragszusage ermöglichen . Aberdas gilt nicht für Großunternehmen. Das ist der Unter-schied .
Zudem wollen wir Anlagemöglichkeiten verbessernund transparenter machen . Hierzu schlagen wir die Ein-richtung eines Bürgerfonds vor wie schon bei der geför-derten privaten Altersvorsorge . Beispielgebend ist hierSchweden, wo unter Beweis gestellt wird, dass man mitgroßen, kollektiven Kapitalstöcken in öffentlich-rechtli-cher Verwaltung Gelder sehr günstig verwalten kann undeinfach zugängliche und transparente Angebote für Ver-sicherte, aber auch – warum nicht? – für Betriebsrentenmachen kann . Es wäre ein entscheidender Schritt, sich indieser Richtung umzusehen und entsprechende Vorbildernachzuahmen .
Da mir die Zeit leider davonläuft, will ich nur noch et-was zum Freibetrag in der Grundsicherung sagen . MeineDamen und Herren von der Koalition, ich glaube, dassMarkus Kurth
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Sie hier möglicherweise einen schwerwiegenden syste-matischen Fehler mit Blick auf die Zukunft machen . Ichbefürchte, dass wir uns hier auf eine Kombirente zube-wegen . Was wir Grüne vorschlagen, ist eine Garantieren-te . Das heißt, wer 30 Versicherungsjahre vorweisen kann,erhält eine aufgestockte Leistung, die etwas oberhalb derGrundsicherung liegt . Dann wären Bedürftigkeitsprüfun-gen und Anrechnungsverfahren überflüssig. Nach unse-rer Auffassung sollten auf diese Leistung weder Betriebs-renten noch private Vorsorge angerechnet werden . Daswäre ein systematisch sinnvoller Weg, anstatt möglicher-weise zu einer weiteren Verbreitung der Grundsicherungbeizutragen und schließlich faktisch zu einer Kombirentezu kommen . Wir haben in den anstehenden Ausschusssit-zungen noch Gelegenheit, über die zahlreichen anderenSchwachpunkte, die ich aus Zeitgründen nicht anspre-chen konnte – Stichwort „Pokerrente“ –, zu beraten.Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt hat Frau Kollegin
Dr . Carola Reimann von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Die heutige erste Lesung des Entwurfs einesBetriebsrentenstärkungsgesetzes ist ein klares Zeichenfür die Handlungsfähigkeit unserer Regierungskoalition .Wir werden in den verbleibenden Wochen dieser Legis-laturperiode die Zeit nutzen und bis Juni weitere wichti-ge Weichenstellungen in der Alterssicherung vornehmen .Neben dem Betriebsrentenstärkungsgesetz werden wirdie Absicherung der Erwerbsminderung weiter verbes-sern . Wir werden mit der Ost-West-Rentenangleichungdie Weichen dafür stellen, dass 2025 endlich ein einheit-liches Rentenrecht in ganz Deutschland gilt . Wenn sichdie Union in den nächsten Tagen noch einen Ruck gibt,steht auch der gesetzlichen Solidarrente eigentlich nichtsmehr im Wege . Dann bekommen Beschäftigte, die jahr-zehntelang gearbeitet, aber nur wenig verdient haben,auf jeden Fall mehr als die Grundsicherung im Alter . Dashilft vor allem Frauen . Das will ich in der Woche des In-ternationalen Frauentags noch einmal betonen .
Das Betriebsrentenstärkungsgesetz ist ein gelungenesBeispiel dafür, wie man ein Gesetzgebungsverfahren er-folgreich und sehr gut vorbereitet . Vor rund zwei Jahrenhaben die ersten Diskussionen begonnen . Seitdem istes unserer Ministerin gelungen, die für die Umsetzungzentral wichtigen Sozialpartner nicht nur ins Boot zu ho-len, sondern auch von dieser Idee zu überzeugen . Dashat mit viel Beharrlichkeit und guter, fundierter wissen-schaftlicher Begleitung zu tun, vor allem aber auch mitder Bereitschaft, mit allen Beteiligten ergebnisoffen dieVor- und Nachteile zu diskutieren und abzuwägen . Daschließe ich Ihren Ministerkollegen Herrn Schäuble aus-drücklich ein . Für diesen Einsatz will ich mich an dieserStelle bedanken .
Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sind sehrgeeignet, die Verbreitung von Betriebsrenten in kleinenUnternehmen und bei Beschäftigten mit kleinen Einkom-men zu steigern . Das wird auch von den Gewerkschaftenso gesehen . Natürlich wünschen wir uns eine stärkereTarifbindung im Land. Das finde ich auch nicht verwerf-lich, Kollegen . Deswegen haben wir, eingehend auf IhrenEinwand, durch die Möglichkeit der Bezugnahme vor-gesehen, tarifvertragliche Regelungen anzuwenden . DieHinweise, dass es in bestimmten Branchen Schwierigkei-ten gibt, will ich gerne aufnehmen. Ich finde es aber sehrerfreulich, dass zum Beispiel Verdi klar sagt, man werdesich aktiv dafür einsetzen, das Sozialpartnermodell um-zusetzen .
Dabei sind die Branchen, im Speziellen der Einzelhan-del, angesprochen .Neben diesem Sozialpartnermodell sind es vor allenDingen drei Regelungen, die die Betriebsrente attraktivermachen .Erstens . Zukünftig zahlen Arbeitgeber den Großteilder durch diese Entgeltumwandlung ersparten Beiträgein die Betriebsrente ihrer Beschäftigten ein .
Das ist heutzutage leider nicht die Regel . Es gibt aber,wie ich finde, keinen Grund, warum Arbeitgeber davonprofitieren sollten, dass ihre Arbeitnehmer Teile ihres Ar-beitslohns umwandeln . Da machen wir jetzt den erstenSchritt . In den jetzt anstehenden Beratungen werden wirdeshalb noch einmal klären, ob diese Regelungen nichtauch außerhalb des Sozialpartnerschaftsmodells Anwen-dung finden sollten.
Gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, diewenig verdienen – da bin ich ganz bei Ihnen –, ist eswichtig, dass sich die Arbeitgeber an ihrer Betriebsrentebeteiligen .Zweitens . Wir als Staat werden uns deswegen an die-ser Arbeitgeberfinanzierung massiv beteiligen. Zahlt derArbeitgeber einen Beitrag von 240 bis 480 Euro für sei-nen Beschäftigten, bekommt er bis zu 144 Euro erstat-tet . Das läuft ganz einfach und simpel über das Steuer-abzugsverfahren . In den anstehenden parlamentarischenBeratungen können wir gerne prüfen, ob wir die bishervorgesehene Lohngrenze in Höhe von 2 000 Euro nichtbesser auf 2 500 Euro anheben .
Drittens . Kolleginnen und Kollegen, wir werden erst-mals einen Freibetrag einführen . Das halte ich für extremwichtig . Wenn ich mit Leuten über die Betriebsrenterede, werde ich ganz oft gefragt: Frau Reimann, lohntsich die Betriebsrente für mich denn überhaupt? WennMarkus Kurth
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es schlecht läuft und ich im Alter auf Grundsicherungangewiesen bin, wird die Rente doch angerechnet . Dannhabe ich nichts davon und hätte vielleicht das Geld vor-her lieber für andere Sachen ausgegeben. – Das finde ichsehr nachvollziehbar. Deshalb finde ich es wichtig, einenFreibetrag einzuführen .Die Ministerin hat diesen Schritt gerade als „histo-risch“ bezeichnet; ich glaube, dass das ein ganz wichtigerPunkt ist . Ein Sockelbetrag von 100 Euro bleibt immerfrei . Darüber hinaus werden zusätzlich 30 Prozent desübersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Al-tersvorsorge bis zu einer Höchstgrenze von 50 Prozentebenfalls nicht angerechnet . Damit kann eine Zusatzrentebis zu einem Höchstbetrag von 200 Euro anrechnungsfreibleiben . Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt,dass der Regelbedarf für Alleinstehende im Moment bei409 Euro liegt .
Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Betriebsren-tenstärkungsgesetz kann es uns gelingen, die Zahl derBetriebsrenten in kleineren Unternehmen und bei Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern insgesamt zu erhöhen .Das ist das Ziel . Jetzt wird es darauf ankommen, dass dieSozialpartner diese neuen Spielräume wirklich nutzenund mit Leben füllen . Die bisherigen Signale sind viel-versprechend . Aber eins müssen alle Beteiligten wissen:Sollte es nicht klappen und sollten wir auf diesem Wegkeine Fortschritte erzielen, dann werden wir um ein Obli-gatorium nicht herumkommen .Danke .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Jetzt spricht für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Michael Meister .
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Frau Präsidentin, vielen Dank! – Ich möchte mich zu-nächst einmal im Namen von Frau Kollegin Nahles undim Namen meines Ministers bei den Vertretern der Koa-lition, die hier gesprochen haben, für die positive Würdi-gung des Gesetzentwurfs, den wir gemeinsam vorgelegthaben, ganz herzlich bedanken .Wir wissen, dass wir eine gesetzliche Rente haben . Andieser ändern wir heute nichts . Sie bleibt, wie auch schondargestellt worden ist, der wesentliche Stützpfeiler fürdie Altersvorsorge . Wir müssen allerdings aufgrund derGeburtenzahlen und der Alterung unserer Gesellschafteinen Wandel feststellen . Deshalb ist es richtig, dass wirdie gesetzliche Rente im Umlageverfahren durch einebetriebliche und private Altersvorsorge im Kapitalde-ckungsverfahren flankieren.Im Kapitaldeckungsverfahren stellt sich aktuell – dasstellen wir fest, wenn wir die Landschaft anschauen –eine gewisse Herausforderung; denn wir befinden unsin einer Niedrigzinsphase . Wenn wir jetzt einfach nichtstun, dann wird es in Zukunft aufgrund dieser Niedrig-zinsphase und der immer höheren Kapitalanforderungen,die nötig sind, um eine Zusage einzuhalten, dazu kom-men, dass es bei uns in Zukunft weniger kapitalgedeckteAngebote gibt . Das kann aber nicht unser Ziel sein .Schauen wir uns einmal Folgendes an: 40 Prozentder Beschäftigten, die heute ein Einkommen unter1 500 Euro im Monat haben, haben weder eine Betriebs-noch Riester-Rente .
Angesichts dessen müssen wir uns doch Gedanken ma-chen, wie wir diese Zielgruppe, also Menschen mit ge-ringem Einkommen, in Zukunft erreichen können, um ihrdie Chance zu geben, neben der gesetzlichen Rente privatoder betrieblich Altersvorsorge zu betreiben .
Stichwort „kleine Unternehmen“: Lediglich 30 Pro-zent der Belegschaft in Unternehmen mit weniger alszehn Mitarbeitern haben eine Anwartschaft im Bereichder betrieblichen Rente .Deshalb will ich noch einmal deutlich sagen, dass wir,bezogen auf genau diese Zielgruppe, wollen, dass in Zu-kunft nicht weniger, sondern mehr Vorsorge für das Alterbetrieben wird .
Deshalb setzen wir an dieser Stelle Anreize .Es wird niemandem etwas genommen, was er bisherhat . Frau Kollegin Nahles hat es vorhin sehr deutlich ge-sagt: Alle Optionen, die bisher existieren, existieren auchin Zukunft . Aber wir führen weitere Optionen ein, umdafür zu sorgen, dass es eine betriebliche Altersvorsorgegeben kann .An dieser Stelle muss man schon sagen, Herr Birkwald:Wenn wir zum Ausdruck bringen, dass wir eine Garantiewollen, dann bedeutet dies, dass Risiken ausgeschlossenwerden sollen . Mit der Garantie einer Leistung werdenaber auch Chancen ausgeschlossen . Deshalb ist das, wasSie erzählen, nichts Gutes für die Beschäftigten, sondernes ist eigentlich eine böse Botschaft, die Sie nur andersformulieren . Das ist wie eine bittere Medizin, die Sie mitZucker überstreichen .
Wir sind von daher der Meinung, man muss den Be-schäftigten neben den Wegen, die es derzeit gibt, auchdie Chance auf eine bessere Altersvorsorge einräumen,und das heißt eben, wegzukommen von der Garantie-leistung . Wenn man das macht, dann muss man natür-lich Kontrollen einführen . Die Kontrolle erfolgt über dieFinanzaufsicht . Sie erfolgt aber auch über die Rahmen-bedingungen, die die Tarifpartner setzen, und sie erfolgtüber die Steuerung der Tarifpartner . Ich habe mich schonDr. Carola Reimann
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gewundert, dass gerade Linkspartei und Grüne hier ihrMisstrauen gegen die Verantwortungsbereitschaft der Ta-rifparteien formulieren .
Ich kann das gar nicht in meinen Kopf kriegen . Wir ver-trauen den Tarifpartnern – eindeutig .
Wir führen für die Geringverdiener einen sogenanntenbAV-Förderbetrag ein; das ist schon dargestellt worden .Er beinhaltet eine 30-prozentige Förderung auf die Leis-tung, die der Arbeitgeber gewährt . Das heißt im Klartext:Der Mitarbeiter selbst muss nichts anderes tun, als zu sa-gen: Ja, ich will diese Form der Altersvorsorge . – Dannorganisieren ihm sein Arbeitgeber und der Staat einenAnspruch auf Altersvorsorge, der nicht auf die Grundsi-cherung angerechnet wird . Ich glaube, auch hier ist dasPrinzip absolut richtig, den Menschen zu sagen: Wenn dufreiwillig selbst etwas für deine Altersvorsorge tust, dannhast du mehr als derjenige, der nichts tut .
Genau dieses Prinzip implementieren wir hier . Ich haltedas für einen richtigen und zielführenden Schritt .Dass wir hier eine Grenze setzen müssen, ist klar .Ich habe gesagt: Wir wollen versuchen, Menschen mitgeringem Einkommen zu erreichen . Wir haben jetzt die2 000-Euro-Grenze gesetzt . Ich will dazusagen: DiesesAngebot ist additiv zu all den Möglichkeiten, die manbei der Altersvorsorge im steuerlichen Bereich und durchRiester-Rente hat . Das heißt, alles, was man seither ge-macht hat, kann man weiterhin tun, und es kommt dasAngebot des Förderbetrages hinzu .Was steuerliche Freibeträge für die betriebliche Al-tersvorsorge angeht, haben wir bisher ein etwas büro-kratisches und komplexes System aus einem Festbetragund einer prozentualen Größe bezogen auf die Beitrags-bemessungsgrenze . Wir gehen jetzt hin, vereinfachen andieser Stelle und erhöhen . Bezogen auf das Jahr 2018entsprechen 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenzeüber 6 000 Euro, die man steuerfrei in eine betrieblicheAltersvorsorge einzahlen kann . Es muss immer klar sein:Das Ganze ist, weil es an die Beitragsbemessungsgrenzegekoppelt ist, eine dynamische Regelung . Das heißt, dieFreibeträge werden in den Folgejahren aufwachsen unddie Chancen für eine bessere betriebliche Altersversor-gung stärken .Wir nehmen auch die Themen „Arbeitslosigkeit“,„gebrochene Erwerbsbiografien“, „Elternzeit“ und „Aus-landsaufenthalte“ in den Blick. Denn wir sagen: Wennjemand als Arbeitnehmer in eine solche Lage kommt,dann kann er bis zum Zehnfachen des Jahresbetragsnachholend in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen .Das heißt, wir wollen auch die Menschen, die in irgend-einer Form einen Bruch in ihrer Erwerbsbiografie haben,erfassen . So kann man zum Beispiel, wenn man aus demUnternehmen ausscheidet, eine Abfindung nutzen, umdie eigene betriebliche Altersversorgung aufzufüllen . Ichglaube, das ist ein gutes und flexibles Angebot.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin imRahmen der Flankierung durch die Tarifpartner von Ga-rantierenten gesprochen . Wenn es nun heißt, dass am An-fang eine Rente zugesagt wird, ist damit nicht gemeint,dass wir eine konkrete Rente zusagen, wenn die Bei-tragsleistung beginnt . Nein, erst wenn die Rentenphasebeginnt, wird eine Rente zugesagt . Das Ganze soll aberzugleich so erfolgen, dass das Rentenniveau zum einennach unten abgesichert ist, aber sehr wohl auch über dieDauer des Rentenbezugs ansteigen kann . Ich glaube, dassdas ein vernünftiger Anpassungsmechanismus mit Blickauf Vermögens- und Ertragslage ist . Wir werden im Ka-pitalanlagegesetz die Vorschriften so fassen, dass zwarChancen und Risiken bei der Kapitalanlage zugelassenwerden, die Risiken aber beherrschbar sein müssen .Letzte Bemerkung: Wir haben auch die Riester-Ren-te angefasst . Ich will hier ausdrücklich sagen: Ich haltedie Riester-Rente für etwas Positives, weil sie, wenn manden staatlichen Anteil einbezieht, eine sehr ertragsstarkeLösung ist . Deshalb sollten wir die Riester-Rente nichtschlechtreden. Unser Ansatz an der Stelle ist vielmehr,das Zulageverfahren zu verbessern, dafür zu sorgen, dassdie Menschen schneller Verlässlichkeit genießen unddass wir auch für Kleinbeträge Abfindungsregelungenbekommen .Alles das sind Verbesserungen . Ich glaube, wir solltendarüber diskutieren, ob wir die Riester-Rente nicht wei-ter stärken können, anstatt sie in der öffentlichen Debat-te schlechtzumachen; denn unser Ziel muss sein, mehrMenschen zur freiwilligen Vorsorge zu bewegen, abernicht, sie von der freiwilligen Vorsorge abzuhalten .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Jetzt erteile ich
Ralf Kapschack von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Damen und Herren! Betriebsrenten haben inDeutschland eine lange Tradition . Die betriebliche Al-tersversorgung bei Krupp, Siemens oder BASF ist älterals die Deutsche Rentenversicherung .
Trotzdem sind Betriebsrenten noch vergleichsweise we-nig verbreitet. In Großbetrieben findet man sie und inBranchen, in denen es starke Tarifpartner gibt . In kleinenund mittleren Unternehmen und bei vielen gering bezahl-ten Jobs sind sie immer noch die Ausnahme . Genau dasParl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
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wollen wir ändern . Deshalb reden wir heute über das Be-triebsrentenstärkungsgesetz .Die gesetzliche Rente – das ist schon mehrfach betontworden – bleibt für uns, für die SPD, die zentrale Säuleder Altersversorgung . Da gibt es überhaupt kein Vertun .
Betriebliche Altersversorgung ist aber als kollektive Ab-sicherung die beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente .
Deshalb – mein Kollege Martin Rosemann hat das vorhinschon angesprochen – kann es doch nicht sein, dass der-jenige, der in einem Großbetrieb arbeitet, Glück gehabthat, und derjenige, der in einem kleinen oder mittlerenBetrieb arbeitet, Pech gehabt hat, was eine zusätzlichebetriebliche Altersversorgung angeht . Das kann dochwohl nicht wahr sein .
Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun . Deshalb fordernauch die Gewerkschaften einen Ausbau der betrieblichenAltersversorgung .Ich finde, jeder und jede sollte Zugang zu einer betrieb-lichen Altersversorgung haben und dann frei entscheidenkönnen, ob er bzw . sie das nutzt oder nicht nutzt . Deshalbbietet der Gesetzentwurf gerade für Geringverdienendeund für kleine und mittlere Betriebe neue Möglichkeiten,in das Thema Betriebsrente einzusteigen. Ich hoffe sehr,dass davon auch Gebrauch gemacht wird .Ich sage ganz offen: Uns wäre es am liebsten, es gäbeeine Verpflichtung der Arbeitgeber, mindestens ein An-gebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen, ambesten mit einer Beteiligung des Arbeitgebers . Da gibtes durchaus eine Übereinstimmung mit Bündnis 90/DieGrünen . Wer über Fachkräftemangel klagt, wer die de-mografische Entwicklung fast schon wie eine Apokalyp-se beschreibt, der sollte auch etwas dafür tun, das eige-ne Unternehmen im Wettbewerb um neue Beschäftigteattraktiv zu machen . Das Angebot für eine zusätzlichebetriebliche Altersversorgung ist sicherlich ein gutes Ar-gument für den eigenen Betrieb .Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz-entwurf stärken wir die Rolle der Tarifvertragspartei-en und geben ihnen mehr Spielraum, in Tarifverträgenbetriebliche Altersversorgung zu gestalten . Sie, die Ta-rifpartner, wissen am besten, was betriebs- und bran-chenspezifisch geregelt werden kann und geregelt wer-den muss . Ich sage an dieser Stelle auch: Mir wäre es amliebsten, wir würden auch eine leichtere Allgemeinver-bindlichkeitserklärung für entsprechende Tarifverträgehinbekommen .
Wir geben den Tarifpartnern Spielräume, wir halsenden Tarifpartnern aber auch einiges an Verantwortungauf; auch das will ich ganz offen sagen. Mir ist schonklar, dass der Verzicht auf Garantien in dem Modell derZielrente in gewisser Weise eine kommunikative Heraus-forderung ist . Angesichts des großen Sicherheitsbedürf-nisses in der Bevölkerung beim Thema Altersversorgungwird es darauf ankommen, klarzumachen, dass Chancenund Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehenmüssen und auch stehen sollen . Deshalb sollen die Ta-rifpartner ja auch einen sogenannten Sicherungsbeitragvorsehen, der dazu eingesetzt wird, Schwankungen desKapitalmarkts auszugleichen . Wir halten es für sinnvoll,dass verpflichtend vorgegeben wird, einen solchen Si-cherungsbeitrag vorzusehen . Er soll nicht nur dazu die-nen, Kapitalmarktschwankungen abzufedern; dieser Si-cherungsbeitrag dient aber vor allem dazu, deutlich zumachen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dasAnlagerisiko künftig nicht alleine tragen . Das ist ein ganzwichtiger Punkt, um die Akzeptanz des neuen Sozialpart-nermodells zu erhöhen .Jeder lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt . Ichhabe keine Ahnung, wie lang der Weg zu einer wirk-lich flächendeckenden betrieblichen Altersversorgungist . Aber wir gehen heute einen wichtigen, einen großenSchritt . Mitgehen müssen diesen Weg jedoch die Tarif-parteien, die kleinen und mittleren Unternehmen und vorallen Dingen die Beschäftigten .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächstem erteile ich
das Wort Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion.
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Deutschland hat ein verlässlichesSystem der Alterssicherung, das auf drei Säulen beruht:der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichensowie der privaten Altersvorsorge. Unser Ziel ist es,auch langfristig ein Gesamtversorgungsniveau aus allendrei Säulen sicherzustellen, das annähernd dem heutigenNiveau entspricht und dabei die junge Generation nichtüber Gebühr belastet .Gerade Letzteres, die Frage der Generationengerech-tigkeit, ist einer der zentralen Messsteine bei allen Vor-schlägen, die Opposition und SPD vorgelegt haben undvorlegen . Es geht also um die Frage: Wie generationen-gerecht ist es? Wie stark werden unsere Kinder und Kin-deskinder tatsächlich belastet?
Hier sehen wir letztlich auch, dass viele der Vorschlägetatsächlich nachhaltig hinterhältig sind, weil sie zu mas-sivsten Mehrbelastungen für die junge Generation füh-ren .Wir wollen das System an einzelnen Stellschraubennachjustieren . Wir wollen keine Revolution, keine Rol-le rückwärts in der sozialen Sicherung in Deutschland,Ralf Kapschack
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sondern eine Evolution unseres bewährten Alterssiche-rungssystems .Mit der Rentenreform 2014 haben wir bereits in dieserWahlperiode wichtige rentenpolitische Maßnahmen ver-abschiedet, die zu einer Stärkung der gesetzlichen Ren-tenversicherung als erster und zentraler Säule der Alters-sicherungssysteme in Deutschland geführt hat . Weiteregesetzliche Vorhaben, beispielsweise zur Erwerbsminde-rungsrente und zur Rentenangleichung Ost-West, werdenwir noch im Frühjahr im Deutschen Bundestag beraten .Und mit dem Gesetzespaket, über das wir heute beraten,verbessern wir die Bedingungen für die private und diebetriebliche Altersvorsorge .Man kann es sich natürlich ganz einfach machen unddie kapitalgedeckte Altersvorsorge in Zeiten der Niedrig-zinsphase nach dem Motto „Alles gescheitert“ schlecht-reden .
Nach demselben Muster hätte man im Übrigen vor zwölfJahren auch sagen können, das Umlageverfahren der ge-setzlichen Rentenversicherung ist gescheitert .
Erinnern wir uns doch einmal zurück: Vor zwölf Jahrenhatte Rot-Grün die gesetzliche Rentenversicherung andie Wand gefahren .
Damals war die Rentenkasse pleite, und die laufendenRenten konnten nur durch ein Bundesdarlehen des Bun-desfinanzministers gezahlt werden.Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente steht heutedeshalb so blendend da, weil der Jobmotor in Deutsch-land brummt, weil wir die Rahmenbedingungen fürWachstum und Beschäftigung seit Jahren richtig gesetzthaben .
Unsere Aufgabe als Union ist es, die Rahmenbedingun-gen auch in Zukunft sicher und richtig zu setzen . Es hatsich gezeigt: Das kann nur, meine sehr verehrten Damenund Herren, die Union richtig.
All das, was Opposition und SPD und insbesondereSchulz vorschlagen,
führt dazu, dass der Jobmotor abgewürgt wird – mit fata-len Folgen für alle .
Allein aufgrund unserer Maßnahmen konnten wiralso in dieser Wahlperiode nach mehr als 20 Jahren dieLeistungen für die Menschen wieder deutlich verbessern .Das hätten sich viele vor zwölf Jahren sicherlich nichtträumen lassen . Das zeigt: Rentenpolitik ist nichts fürSchnappatmer .
Das gilt auch für die Riester-Rente und vor allem auchfür die betriebliche Altersvorsorge . Viele Millionen Men-schen sorgen privat für ihr Alter vor . Ich stehe zum Auf-und Ausbau der zweiten und dritten Säule und halte esdeshalb auch sozialpolitisch für zwingend, ihre Bedin-gungen zu verbessern . Mit der Gesetzesvorlage der Re-gierung setzen wir an zwei entscheidenden Stellschrau-ben an .Zum einen geht es um die stärkere Verbreitung der be-trieblichen Altersvorsorge . Sie muss für die Mitarbeitervon kleinen und mittleren Betrieben selbstverständlichwerden . Ende 2015 hatten circa 17,7 Millionen sozialver-sicherungspflichtig Beschäftigte eine Anwartschaft beiihrem Arbeitgeber . Das sind knapp 60 Prozent aller sozi-alversicherungspflichtig Beschäftigten. Allerdings – derKollege von den Grünen hat ja darauf hingewiesen –: InBetrieben mit weniger als zehn Beschäftigten verfügenlediglich 28 Prozent der Mitarbeiter über Betriebsren-tenanwartschaften . Das müssen wir ändern . Die Gründehierfür sind vielfältig: Verwaltungsaufwand und andereKosten, vielleicht auch ein nicht zu kalkulierendes Haf-tungsrisiko .Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung setzt beieiner Analyse genau dieser Punkte an und setzt auf dieSozialpartner . Künftig sollen auf der Grundlage von Ta-rifverträgen sogenannte reine Beitragszusagen – nichtverbunden mit Mindest- oder Garantieleistungen – mög-lich gemacht werden . Der Gesetzentwurf ist an dieserStelle zunächst einmal Ergebnis eines zähen Ringens vonBundesarbeitsministerium und Finanzministerium, aberauch Sozialpartnern . Sicherlich nicht alle Seiten sindzufrieden, wenngleich die Idee der Enthaftung, also nureine reine Beitragszusage vorzusehen, stimmt . Die reineBeitragszusage ist eine große Chance für ein stärkeresEngagement in der betrieblichen Altersvorsorge .
Wir setzen auch mehr Anreize für Geringverdiener,auch hier mittels zwei Stellschrauben . Einmal geht es umden Auf- und Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge .Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass wir in Zu-kunft bis zu 202 Euro anrechnungsfrei stellen und damitdas klare Signal aussenden: Freiwillige Altersvorsorgezu betreiben, lohnt sich auf jeden Fall . – Zum anderenwird die staatliche Förderung optimiert durch ein spezi-fisches Steuerfördermodell gerade für Geringverdiener.Insgesamt sind es 430 Millionen Euro, die zusätzlich inStephan Stracke
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die Hand genommen werden . Weitere 75 Millionen Eurostehen aktuell in der Prüfung, auch vonseiten der Bun-desregierung .Sicherlich werden wir weiterhin prüfen, wie wir esbesser machen können, um gerade die betriebliche Al-tersvorsorge zu stärken . Stärkere Tarifbindung mag gutund schön sein; in erster Linie muss es jedoch darumgehen, die betriebliche Altersvorsorge deutlich zu ver-bessern, auch in der Breite . Hier sehe ich noch Diskus-sionsbedarf . Wir müssen auch darüber diskutieren, wiewir an dieser Stelle auch für nicht tarifgebundene Betrie-be – über das hinaus, was wir zur reinen Beitragszusagederzeit im Gesetzentwurf haben – noch weitere Verbes-serungen vornehmen können .Ich hoffe, dass wir eine fachlich ausgerichtete Debatteletztlich zu all diesen Punkten haben werden . Ich freuemich auf diese und freue mich vor allem, dass wir Ihnennach Abschluss der parlamentarischen Beratungen einennoch besseren Gesetzentwurf zur Abstimmung vorlegenkönnen .Ein herzliches Dankeschön .
Vielen Dank, Herr Kollege . Das war richtiges
Timing . – Als letzter Rednerin in dieser Aussprache er-
teile ich nunmehr das Wort Frau Kollegin Anja Karliczek
von der CDU/CSU-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damenund Herren! Lieber Herr Kieseheuer, schön, dass Sieheute Morgen hier sind! Herzlich willkommen!
Ich darf hier als letzte Rednerin den sogenanntenLumpensammler machen und will nur noch den einenoder anderen Punkt ansprechen; denn, ich glaube, vomGrundsatz her ist so ziemlich alles angesprochen worden,was in irgendeiner Form in diesem Gesetzentwurf steht .Ich will noch ein klein wenig weiter ausholen . Warumist das Ganze, was wir machen, überhaupt so wichtig?Wenn wir darüber nachdenken, was wir im Moment erle-ben, dass nämlich eine Gesellschaft massiv verunsichertist durch Globalisierung, Digitalisierung und wahnsinnigschnelle Veränderungen, dann wird uns klar, wie wichtiges ist, dass wir uns des Themas einer guten Altersversor-gung annehmen und eine Möglichkeit schaffen, im Altergut versorgt zu sein .
Lieber Herr Birkwald, genau darum ist es so wichtig,dass wir die Altersvorsorge an sich sichern und nicht dau-ernd nur darüber sprechen, wie wir das in der gesetzli-chen Rentenversicherung machen wollen .
– Wenn ich nach Österreich schaue, sehe ich doch, dassdie Österreicher Riesenprobleme damit haben .
– Die pulvern Steuern in das System hinein und wissennicht, wie sie es langfristig bezahlen wollen . So geht esdefinitiv nicht.
– Das stimmt wohl .
Ich habe mit den Kollegen gesprochen .
Genau das ist der Punkt . Das ist etwas, was wir nichtwollen . Wir wollen den Menschen etwas zusagen, waslangfristig durchzuhalten ist, was auch langfristig finan-zierbar ist. Und deswegen fordere ich Sie auf: Suggerie-ren Sie nicht immer das Verkehrte!
Wichtig ist uns, dass wir neben der gesetzlichen Ren-te – Frau Nahles hat das ja am Anfang gesagt – eine ver-nünftige kapitalgedeckte Rente auf die Füße stellen . DieSituation hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl ar-beitsrechtlich als auch hinsichtlich der wirtschaftlichenRahmenbedingungen stark verändert . Deswegen müssenwir da ran . Herr Kurth hat eben ein paar schöne Argu-mente gebracht, etwa, dass man aufgrund der Niedrig-zinsphase überlegen muss, wie man das anders gestaltenkann . Da bin ich sehr dabei . Das ist genau der Ansatz, mitdem wir an die Sache herangehen .Ich will ein paar Punkte ansprechen und arbeite micheinmal so ein bisschen von hinten nach vorne .Unser Staatssekretär Dr. Meister hat Riester angespro-chen . Das ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel . Riesterist kapitalgedeckte Altersvorsorge in der zweiten oder inder dritten Säule . Das kann man wählen, wie man möch-te . Über unser Betriebsrentenstärkungsgesetz hinauswollen wir ja auch, dass die echte Doppelverbeitragung,nämlich die Zahlung von Krankenversicherungs- undPflegeversicherungsbeiträgen in der Ansparphase und inder Auszahlungsphase, abgeschafft wird, weil sie über-haupt nicht der Systematik entspricht .
Stephan Stracke
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– Moment, es geht doch aber darum, dass es für alle passtund nicht nur für ein paar .
An dieser Stelle möchte ich also noch einmal eineLanze für Riester brechen . Je geringer der Verdienst ist,umso höher ist die Förderung . Genau an dieser Stelle,finde ich, tun wir Gutes, wenn wir die Förderung erhöhenund das Zulageverfahren vereinfachen; denn das ist häu-fig das Hindernis. Wenn wir jetzt die Förderung erhöhen,ist das, glaube ich, an der Stelle schon der richtige Weg .
Ich will noch einen Satz zu den Direktversicherungs-geschädigten sagen . Sie haben sie eben angesprochen .Sie tun so, als wenn es dafür eine ganz einfache Mög-lichkeit geben würde und als wenn wir in dem vorliegen-den Gesetzentwurf nichts für die Direktversicherungsge-schädigten vorsehen würden . Das, was wir mit diesemBetriebsrentenstärkungsgesetz tun, zielt auf die Zukunft .Wenn wir über die Direktversicherungsgeschädigtensprechen – Sie haben über das Jahr 2004 gesprochen –,dann wissen Sie so gut wie ich, dass alles das, was seitherpassiert ist, die Lage nicht einfacher gemacht hat . SeienSie versichert – Herr Kieseheuer weiß das –, dass wirdiesbezüglich im Austausch sind und uns darüber unter-halten, was man denn überhaupt tun kann, um ein Sys-tem, das 2004, ich sage mal, einen Schlag von der Seitegekriegt hat, das aber schon vorher so vielfältig war inseinen Bedingungen, was Sozialversicherungsbeiträge,was die Besteuerung usw . angeht, wieder in Ordnungzu bringen . Das ist keine Sache, die ich von heute aufmorgen erledigen kann und die zum Beispiel so ein Be-triebsrentenstärkungsgesetz zu Fall bringen darf . Wirversuchen, eine Lösung zu finden, die in der Systematikvernünftig ist, um nicht neue Ungerechtigkeiten zu schaf-fen . Aber das ist nicht Teil dieses Gesetzes .Ich bin ja bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass die Sys-tematik für alle passen muss, wenn wir die betrieblicheAltersvorsorge wirklich stärken wollen . Aber wir dürfennicht das eine mit dem anderen vermengen und so tun,als ob wir das eine nicht machen könnten, ohne uns mitdem anderen zu beschäftigen .
Nächster Punkt: Garantien . Garantien sind heute eineZwangsjacke für die Chancenverwertung . Genau andieser Stelle muss man sehen, dass wir nun sagen, wirwollen mehr Freiheit bei der Chancenverwertung geben;denn niemand von uns kann abschätzen, wie sich die Si-tuation über 40 Jahre entwickelt . Bei einer Laufzeit von40 Jahren gibt es immer Tief- und Hochphasen . Dafürbrauchen wir einen Ausgleich . Den bekommen wir auchim Sozialpartnermodell . Wir wollen ihn auch außerhalbdes Sozialpartnermodells . Wichtig ist an der Stelle aber,dass wir die Chancenverwertung nicht denen ermögli-chen, die ohnehin privat sparen können . Sie haben dannmehr Chancen und am Ende noch mehr . Wir müssendoch die Chancen für alle gleich gestalten, gerade in derAltersvorsorge . An dieser Stelle müssen wir weiter da-ran arbeiten, dass wir Chance und Kontrolle gerade fürdie Menschen, die wenig verdienen, vernünftig gestalten,und da auch aufpassen, dass es gut funktioniert .Wichtig ist mir, noch einmal zu sagen – meine Zeit istschon wieder abgelaufen –,
dass wir für die Menschen, die wenig verdienen, auchin der kapitalgedeckten Altersvorsorge eine gute Lösungschaffen wollen und dass nur ein Nebeneinander vonumlagefinanzierter und kapitalgedeckter Rente wirklichWohlstand im Alter schafft. Wir geben das Signal: Werein Leben lang gearbeitet hat und selbst vorgesorgt hat,der ist im Alter auch gut abgesichert . Dieses Versprechendes Sozialstaats wollen wir wieder auf vernünftige Füßestellen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Damit schließe ich die-se Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 18/11286, 18/11402 und 18/10384an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheintder Fall zu sein . Dann sind die Überweisungen so be-schlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 52 a und 52 b sowie29 auf:52 . a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenIrene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz,Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMehr Sicherheit durch weniger WaffenDrucksache 18/11417Überweisungsvorschlag: Innenausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und
Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz,Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHandlungsbedarf im Waffenrecht fürmehr öffentliche SicherheitDrucksachen 18/9674, 18/1144429 . Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines ZweitenGesetzes zur Änderung des Waffengeset-zes und weiterer VorschriftenDrucksache 18/11239Anja Karliczek
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Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und LandwirtschaftNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Damit ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist FrauKollegin Irene Mihalic von der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! „Nun ist es endlich so weit“, will manspontan sagen . Endlich befasst sich die Koalition einmalmit dem Waffengesetz.Anschläge überall in Europa, Amokläufe, Angriffe aufFlüchtlingsunterkünfte, Reichsbürger mit ganzen Waf-fenarsenalen im Keller – überall zeigt sich: Es gibt be-stimmte Menschen und Gruppierungen, deren verbreche-rische Pläne darauf gründen, dass der Zugang zu Waffenund Sprengstoffen immer noch viel zu leicht ist.
Aber die Bundesregierung hat jahrelang nichts getan, umden Zugang zu Waffen zu erschweren. Sie diskutierenhier lieber über Fußfesseln oder – so wie gestern – überBurkaverbote, anstatt ganz praktisch für mehr öffentlicheSicherheit zu sorgen . Diese Wurstigkeit ist kaum nochauszuhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Nun haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt . Abergleich im zweiten Satz des Gesetzentwurfes steht dieeigentliche Kernaussage. Dort heißt es nämlich: „Einesystematische Verschärfung ist nicht erforderlich.“ MitIhrem Entwurf nehmen Sie die Interessen der Waffenlob-by also gleich vorweg . Diese hat ja in dieser Woche allenMitgliedern des Innenausschusses noch eine nette Kar-te geschrieben mit der klaren Ansage: Parteien, die dasWaffenrecht verschärfen, werden wir nicht wählen. – Ichkann Sie da beruhigen, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Koalition: Mit dem, was Sie hier vorlegen, istIhre Wählbarkeit bei dieser Klientel garantiert nicht ge-fährdet .
Ihre Nachgiebigkeit geht aber zulasten der waffenlo-sen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, nur weil dieanderes zu tun haben, als permanent bei Ihnen für ihreInteressen einzutreten . Das ist eine völlige VerkehrungIhrer Regierungsverantwortung .
Vieles in Ihrem Gesetzentwurf ist ja nicht grundle-gend falsch . Das will ich hier an dieser Stelle auch ein-mal sagen .
– Ja, da können Sie ruhig einmal applaudieren .
Feuerwaffen sollen bei der Deaktivierung unbrauchbargemacht werden, eine befristete Amnestie soll Bürgerin-nen und Bürger dazu ermutigen, Waffen und Munition,für die sie keine Erlaubnis haben, abzugeben .
Das ist alles gut und richtig und sehr vernünftig . Aberschon bei der dringend erforderlichen Neuregelung zurAufbewahrung von Schusswaffen werden Sie windel-weich . Sie gewähren großzügigsten Bestandsschutz, undgeht es nach der CSU, dann sollen am besten auch nochKinder und Enkelkinder Opas ollen Waffenschrank wei-terbenutzen dürfen . Das verstehe, wer will – ich kann esnicht nachvollziehen .
Es fällt einfach auf, liebe Kolleginnen und Kollegengerade von der Union, dass es Ihnen unheimlich leichtfällt, für all Ihre Placebogesetze – diese Woche sind jadavon wieder einige am Start – die Axt an die Bürger-rechte zu legen; das ist alles überhaupt gar kein Problemfür Sie. Aber geht es um Waffenbesitzer, dann sind Sieplötzlich die Garanten der Freiheit,
als wären Waffenbesitzer Superbürger und ihre Interes-sen Supergrundrechte . So ist es aber nicht .
Waffen stellen eine potenzielle Gefahr für Leib undLeben der Menschen dar, und dementsprechend gilt es,hochsensibel mit dem Thema privater Waffenbesitz um-zugehen . Diesem Befund trägt unser Antrag Rechnung,den wir vor allem mit Blick auf die aktuellen Gefahren-lagen unserer Zeit hier heute vorlegen . Wir sagen, wirbrauchen endlich konsequente Regeln für die getrennteAufbewahrung von Schusswaffen und Munition in Pri-vathaushalten .
Wir müssen dringend sicherstellen, dass schussfähigeWaffen nicht in falsche Hände geraten, und wir brauchenregelmäßige Eignungs- und Zuverlässigkeitsprüfungenfür Waffenbesitzer.
Vizepräsidentin Michaela Noll
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Dagegen haben Sie auf EU-Ebene ganz lange heftig mo-bilisiert .Wir brauchen endlich eine Regelung, die gewährleis-tet, dass relevante Informationen der Sicherheitsbehördenschon bei der Antragsprüfung hinreichend berücksichtigtwerden und an die zuständigen Waffenerlaubnisbehör-den weitergeleitet werden . Wir haben laut Verfassungs-schutzpräsident Maaßen 700 Reichsbürger, die in Waffenstehen. Da wäre eine Prüfung vor Erteilung einer waffen-rechtlichen Erlaubnis sehr hilfreich gewesen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen end-lich eine Reform des Waffenrechts, die den Zugang zuWaffen und Munition deutlich erschwert. Ihr Gesetz-entwurf trägt diesem Ansinnen leider in keiner Wei-se Rechnung . Wenn Sie unter dem Punkt Alternativen„Keine“ schreiben, dann entspricht das vielleicht demMerkel’schen Politikstil, aber eben nicht der Wahrheit .Eine Alternative zeigen wir Grünen mit unserem Antragauf und stellen ihn hier zur Abstimmung .Vielen Dank .
Nunmehr erteile ich das Wort dem Kollegen Oswin
Veith von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute debattieren wir nicht nur über Änderungen amWaffengesetz – das begrüßen wir –, sondern auch überAnträge der Grünen, die erhebliche Änderungen oder,besser gesagt, Verschärfungen und Restriktionen amWaffengesetz einfordern. Diesem Ansinnen tritt meineFraktion entschieden entgegen;
um es gleich deutlich auf den Punkt zu bringen .Erstens . Ich lehne weitere Verbote, neue Einschrän-kungen und Restriktionen gegen rechtschaffende waffen-führende Bürger ab .
Zweitens. Die CDU/CSU stellt Jäger, Sportschützen,Gebirgsschützen und Waffensammler
nicht unter einen Generalverdacht, wie Sie von den Grü-nen es tun .
Drittens. Die CDU/CSU weiß um die Rechtschaffen-heit und Gesetzestreue der Besitzer legaler Waffen undanerkennt ihren persönlichen Beitrag – im Falle der Jägerzur Hege und Pflege von Flora und Fauna, unserer Natur,
im Falle der Sportschützen zum fairen sportlichen Wett-bewerb bis hin zu Weltklasseleistungen olympischenAusmaßes sowie im Falle von Waffensammlern und Ge-birgsschützenkompanien zur historischen Dokumentati-on alter Waffen und alten Brauchtums.Viertens . Es wird Sie deshalb nicht überraschen, wennwir Ihre Anträge auch heute wieder ablehnen .
Sie sind nämlich nichts Neues – „the same procedure asevery year“, könnte man sagen.
Immer wieder fordern Sie die Verschärfung unseresjetzt schon sehr strengen Waffenrechtes, und Sie begrün-den es immer wieder mit dem Argument, dass nur so dieinnere Sicherheit verbessert werden könne .
Aber gut, auch heute werden wir Ihnen erklären, warumeine Verschärfung des Waffengesetzes, wie Sie es wollen,nicht geeignet ist, die innere Sicherheit in unserem Landzu erhöhen, und weshalb wir Ihre Anträge wieder einmalablehnen müssen .
Zuerst möchte ich aber auf die notwendig gewordeneÄnderung am Waffengesetz eingehen. Das Waffenge-setz ist an die technische Entwicklung anzupassen. Umeine sichere Verwahrung von Waffen gewährleisten zukönnen, wird der Sicherheitsstandard für die Aufbewah-rung an die aktuellen technischen Standards angepasst .Hierbei geht es nicht darum, flächendeckend neue Waf-fenschränke einzuführen . Vielmehr soll die technischeEntwicklung berücksichtigt werden . Die Technologiensollen zukünftig ohne Änderung des Waffengesetzes ein-setzbar sein; denn aus sicheren Waffenschränken könnenWaffen nicht in falsche Hände geraten. Die Union konnteerreichen, dass ein Bestandsschutz für Waffenbesitzer imGesetzentwurf verankert wird . Das heißt, jeder darf seinejetzigen Schränke weiter behalten und weiter nutzen . Daswar ein hartes Stück Arbeit, meine sehr verehrten Damenund Herren .
Den bayerischen Vorschlag, die Bestandsschutzrege-lung auf im gleichen Haushalt lebende Personen zu er-Irene Mihalic
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weitern, begrüße ich sehr, genauso wie die Vorschlägebezüglich der Situation von Erben . Wir sollten uns in denkommenden Wochen dieser Diskussion noch öffnen, umweiter an dem Entwurf zu arbeiten .Nur für Neuanschaffungen sollen die aktualisiertentechnischen Vorgaben verpflichtend sein. Wer einenWaffenschrank im Jahre 2017 kauft, muss auch auf dietechnischen Sicherheitsmöglichkeiten der Jahre 2017 ff.zurückgreifen .Weiterhin wollen wir den Umlauf von illegalen Waf-fen eindämmen . Wir wollen, dass Menschen, die illegalim Besitz von Waffen und Munition sind, diese freiwilligabgeben . Wir bieten dafür Strafverzicht an . Wir ermög-lichen damit eine Brücke in die Legalität. Straffreiheiterhält jeder, der binnen eines Jahres nach Inkrafttretendieses Gesetzes illegal erworbene Waffen und Munitionbei der entsprechenden Behörde abgibt .Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schieß-sport, die Jagd und das Sammeln von historischen Waf-fen gehören für mich zu den bürgerlichen Freiheiten undauch zur Tradition unseres Landes . In Schützenvereinenkommen rechtschaffene Bürger wie Polizisten, Beam-te, Professoren, Politiker, Ärzte und Arbeitnehmer zu-sammen, um sich ihrem Hobby zu widmen . Die ersteLektion, die ein Sportschütze erhält, ist der verantwor-tungsbewusste Umgang mit der Waffe. Deshalb kann ichnicht verstehen, dass solche Persönlichkeiten generalver-dächtigt werden und dass suggeriert wird, sie seien einepotenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und dieOrdnung in unserem Land . Das ist nicht richtig . Das soll-te hier deutlich gesagt werden .
Nun zu Ihren Anträgen; ich will das gerne für Sie über-nehmen, Frau Kollegin Mihalic, Sie haben ja so gut wienichts über Ihre Anträge gesagt . Eine Gefahr für die inne-re Sicherheit geht nicht von legalen Waffen aus, wie Siees immer behaupten . Ich halte es für sehr naiv, zu glau-ben, dass mit noch strengeren Regeln im Waffenrecht einMehrwert an innerer Sicherheit gewonnen werden kann .Hat sich jemand bewusst entschieden, unsere Rechts-ordnung zu missachten, dann hält ihn auch das strengsteWaffengesetz nicht auf. Die von Ihnen geforderten Ver-schärfungen betreffen in erster Linie rechtstreue Bürger,die legal Waffen besitzen dürfen. Mit einer Änderung imWaffenrecht bzw. einer Verschärfung wird allenfalls indi-rekt die illegale Verwendung von Waffen erschwert.Mit Ihren Anträgen zeigen Sie wieder, dass für Sie dieHauptschuldigen für Taten wie in München oder Parisbereits feststehen, nämlich die Besitzer legaler Waffenwie die Jäger und Sportschützen . Ich will an der Stellesagen, dass das Problem nicht die Besitzer legaler Waf-fen sind; und Sie wissen das, wenn Sie ehrlich sind . DasProblem liegt eindeutig beim Besitz illegaler Waffen undderen Verwendung . Dort setzen wir an, und das unter-scheidet uns von Ihnen, den Grünen .
Sie begründen Ihre Anträge – wie übrigens jeden An-trag, den Sie zu diesem Thema hier einbringen – mit denbesorgniserregenden Tötungsdelikten in Europa, die mitSchusswaffen begangen worden sind. Für das Berichts-jahr 2015 wurden laut Bundeslagebild Waffenkriminali-tät 130 Straftaten gegen das Leben registriert, das sind2,8 Prozent aller erfassten Fälle im Bereich der Waffen-kriminalität . Klar ist: Jeder Fall ist einer zu viel, jederEinzelfall ist und bleibt schrecklich . Aber aufgrund sol-cher Zahlen ein allgemeines Gefährdungspotenzial vonBesitzern legaler Waffen herauszupressen, halte ich fürvermessen oder verblendet . Zudem werden mehr Men-schen mit Messern, wie sie in jedem Haushalt zu findensind, verletzt oder gar getötet als mit Schusswaffen. Ichbin gespannt, wann Sie das Verbot von Küchenmessernfordern werden .
Ich will – da Sie es nicht getan haben – noch kurzweitere Forderungen aus Ihren Anträgen erwähnen . Siewollen die Nutzung von halbautomatischen Waffen ver-bieten, wenn diese nach objektiven Kriterien besondersgefährlich sind . Als Kriterien nennen Sie die Anzahl derSelbstladungen, die Beschaffenheit des Laufs, Kaliber,Magazinkapazität und Diverses mehr . All das soll IhrerAuffassung nach über die Gefährlichkeit von WaffenAuskunft geben . Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrungsagen: Diese Kriterien sind nicht geeignet, um die Ge-fährlichkeit einer Waffe zu bestimmen, insbesondere istdas Kaliber kein taugliches Merkmal für die Gefährlich-keit einer Waffe.Sie fordern weiterhin, dass ein zentrales Waffenregis-ter in allen EU-Mitgliedstaaten eingerichtet wird. Dochschon jetzt gibt es für alle Mitgliedstaaten die Verpflich-tung zur Errichtung eines Waffenregisters. Auch Sie wis-sen, dass wir in Deutschland vorbildlich das Recht be-reits zum 1 . Januar 2013 umgesetzt und ein NationalesWaffenregister eingerichtet haben, also sehr viel früherals von der EU gefordert.Sie wollen, dass die Mitgliedstaaten ein Kontrollsys-tem einrichten, worüber die körperliche und geistige Eig-nung für den Erwerb und den Besitz von Schusswaffensichergestellt wird . Das haben wir teilweise schon . Ver-pflichtende medizinisch-psychologische Untersuchun-gen bei der Erlaubniserteilung
lehnen wir als Union, lehnen wir als Koalition aber ab.Das finde ich richtig, und das ist auch gut so.
Die größte Herausforderung ist und bleibt der Kampfgegen den illegalen Waffenhandel. Zuvorderst geht esdabei um den illegalen Internethandel mit Waffen. ImDarknet – das wissen wir – können Waffen im großenStil und anonym gekauft und verkauft werden . Das aller-dings – das ist Konsens – kann nicht sein und darf nichtsein, meine sehr verehrten Damen und Herren .Oswin Veith
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Deshalb will die Koalition verstärkt mit spezialisiertenErmittlern, die im Darknet gezielt nach illegalem Waf-fenhandel suchen, dagegen vorgehen . Übrigens tut dasauch schon die Sondereinheit der Generalstaatsanwalt-schaft Frankfurt zur Bekämpfung der Internetkriminali-tät, abgekürzt ZIT, in Gießen, unmittelbar neben meinemWahlkreis gelegen, bereits jetzt in hervorragender Weise .
Gestatten Sie mir zum Schluss ein Fazit . In der öf-fentlichen Anhörung haben uns die Sachverständigenversichert, dass der legale Waffenbesitz in Deutschlandkeine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Das liegtnicht zuletzt daran – das wissen auch Sie; ich werde nichtmüde, das immer wieder zu sagen –, dass wir eines derschärfsten Waffengesetze in der ganzen Welt haben. Na-türlich gibt es immer wieder Einzelfälle, die sich nicht andie Regeln halten; aber eine Schwalbe macht noch langekeinen Sommer .
Einzeltaten können nicht mit einem noch so strengenWaffengesetz verhindert werden. Die von den Grünenvorgeschlagenen Maßnahmen – wir haben das in der An-hörung und auch heute gehört – bieten keinerlei Sicher-heitsmehrgewinn für die Bürger in unserem Land . Wirlehnen sie deshalb ab. Die Anpassung unseres Waffen-gesetzes an den neuesten technischen Stand halte ich fürnotwendig und bitte daher um Ihre Unterstützung.Danke schön .
Frau Kollegin Martina Renner von der Fraktion Die
Linke hat nunmehr das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vorweg sei gesagt: Es geht hier nicht um einen General-verdacht gegen Schützen und Jäger .
Die überwiegende Zahl geht verantwortungsvoll mitWaffen um.Notwendige Einschränkungen im Waffenrecht sorgenimmer für Aufregung . Ähnlich viel Gegenwind bekommtman eigentlich nur, wenn man ein Tempolimit auf Auto-bahnen fordert .
Beiden Debatten ist gemeinsam: Es geht nicht um dieBeschneidung von Freiheitsrechten . Es gibt kein Frei-heitsrecht, auf der Autobahn zu rasen, und es gibt keinFreiheitsrecht, am Schießstand mit der Pumpgun zu bal-lern .
Es geht in der Debatte zum Waffenrecht weder um diesonst übliche Symbolpolitik in der Sicherheitspolitiknoch um ein Placebo . Es geht um reale und nachweisli-che Verbesserungen der öffentlichen Sicherheit.Ausgangspunkt des Antrags von Bündnis 90/Die Grü-nen, den wir bis auf einen Punkt unterstützen, ist Fol-gendes: Auch legaler Waffen- und Munitionsbesitz isteine Gefahrenquelle, die sich nicht mit der Erteilung vonErlaubnissen erledigt . Wir erkennen an, dass die meistenStraftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Waf-fen begangen werden; aber es ist auch unsere Pflicht, Ge-fahren, die von legalen Waffen ausgehen, zu minimieren.Fangen wir bei den sogenannten Dekowaffen an. Re-aktivierte Dekorations- und Salutwaffen sind eine realeBedrohung für die Bürger und Bürgerinnen . Der Attentä-ter von München, ein rassistischer Hitler-Verehrer, be-nutzte im Sommer 2016 eine reaktivierte Salutwaffe, uminsgesamt neun Menschen zu töten . Der Händler dieserWaffe und vermeintliche Mittäter hatte an Kunden zwi-schen 17 und 60 Jahren ähnliche Waffen verkauft.Sogenannte Dekorations- und Salutwaffen sind nichtnur in anderen europäischen Staaten, sondern auch inDeutschland immer noch erlaubnisfrei zu haben . WieSie wissen, komme ich aus Thüringen . Ich habe einmaleinen Büchsenmacher in der Waffenstadt Suhl gefragt.Er braucht eine halbe Stunde, um eine Dekowaffe, derenLauf zugeschweißt wurde, wieder schussfertig zu ma-chen .Nun zum zweiten großen Thema, zu den Gefah-ren durch halbautomatische Waffen: Der Attentäter am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt benutzte eine Selbstla-depistole und ein Repetiergewehr . Beides sind halbauto-matische Waffen, die er als Schütze erworben hatte. DieBundesregierung schreckt immer noch davor zurück,endlich Besitz und Nutzung halbautomatischer Waf-fen drastisch einzuschränken bzw . zu verbieten . Geradediese Waffen verfügen aber über das Potenzial, dass einEinzeltäter in kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Men-schen verletzen oder ermorden kann .Wir müssen uns auch vor Augen führen, in welcherSituation diese Debatte stattfindet. Deutschland erlebtgerade eine Explosion rechter und rassistischer Gewalt .Im Jahr 2013 zählte das Bundeskriminalamt 265 rechteStraftaten unter Einsatz von Schusswaffen. Im Jahr 2014waren es schon 536. Das ist mehr als doppelt so viel. Un-ter den dabei eingesetzten Waffen waren auch legale Waf-fen . Kollegin Mihalic hat ja schon darauf hingewiesen:700 sogenannte Reichsbürger sollen über waffenrechtli-che Erlaubnisse verfügen, ebenso wenigstens 400 Neo-nazis . Als Mitglied des Innenausschusses erinnere ichmich auch zuletzt an den Nazi-Druiden mit seinen 1 200Schuss legaler Munition .Oswin Veith
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Kommen wir zum Kleinen Waffenschein für Signal-,Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Im letzten Jahr gabes 470 000 neue Anträge auf diesen neuen Waffenschein.Ich sage: Selbstbewaffnung ist ein Problem.
Selbstbewaffnung ist vor allem dann ein Problem, wennsie mit dem Gedanken der Selbstjustiz verbunden ist .Wer denkt, das beschränke sich auf eine kleine gesell-schaftliche Minderheit, der irrt . Die Kunden des illegalenWaffenversandhandels „Migrantenschreck“ waren Ärzte,Anwälte, Ingenieure und Richter . Sie kauften angeblichharmlose Luftdruckwaffen, die aber tödliche Verletzun-gen hervorrufen .Nun zur angekündigten Differenz zum Antrag vonBündnis 90/Die Grünen: Als linke Innenpolitikerin seheich den Inlandsgeheimdienst nicht für die Prüfung derZuverlässigkeit von Antragstellern geeignet . Er riet inder Vergangenheit dazu, dass V-Leute sich Waffenbe-sitzkarten beschaffen sollten. Er sah zu, wie der Nazi-spitzel Tino Brandt ein Gelände kaufte, auf dem er einenSchießstand für Wehrsportübungen errichtete . StaatlicheZuträger im Umfeld des NSU besorgten Waffen undSprengstoff und bauten Rohrbomben. So werden Gefah-ren erst geschaffen.Eine Bemerkung zum Gesetzentwurf: Natürlich müs-sen die Vorschriften zur Aufbewahrung von Waffen demheutigen technischen Stand entsprechen . Das ist eineSelbstverständlichkeit, glaube ich . Die Sorge der Waf-fenbesitzer vor zusätzlichen Kosten hatte jetzt eine Be-sitzstandsklausel im Gesetzentwurf zur Folge . Für unsmuss aber gelten: Verwahrgelasse müssen auf der Höheder Zeit sein . Sicherheit geht hier vor Kostenersparnis .
Wir können also festhalten: Von Waffen kann eine töd-liche Gefahr ausgehen . Diese Gefahr wird nicht kleiner,wenn wir so tun, als ginge sie nur von illegalen Waffenaus . Sie wird auch nicht kleiner, wenn wir den Inlands-geheimdienst über die Zuverlässigkeit von Antragstellernentscheiden lassen . Wenn wir der Gefahr Einhalt gebie-ten wollen, kommen wir um effektive Einschränkungen,europäische Vereinheitlichungen, wirksame Kontrollenund die sichere Aufbewahrung von Waffen in den Hän-den von Privaten nicht herum .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächste hat die
Kollegin der SPD-Fraktion Gabriele Fograscher das
Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Waffen – ja, das stimmt – sind und bleiben gefährlicheGegenstände . Deshalb ist es gerechtfertigt, dass jemand,der in Deutschland legal eine Waffe besitzen will, zahl-reiche Voraussetzungen erfüllen muss .Bestimmte Waffentypen dürfen ab dem 18. Lebens-jahr besessen werden, andere erst ab Vollendung des21 . Lebensjahres . Für sie gilt: Bis zur Vollendung des25 . Lebensjahres ist ein amts- oder fachärztliches oderfachpsychologisches Zeugnis über die geistige Eignungvorzulegen . Der Antragsteller muss zuverlässig sein . Zu-verlässigkeit fehlt zum Beispiel bei Verurteilung wegeneines Verbrechens oder Verurteilung zu 60 Tagessätzenund mehr, bei wiederholtem und gröblichem Verstoß ge-gen Waffengesetz, Sprengstoffgesetz oder Bundesjagd-gesetz sowie bei Mitgliedschaft in einer verfassungs-feindlichen Vereinigung .Wer eine Waffe erwerben will, muss persönlich geeig-net sein . Das heißt, Alkohol- oder Suchtmittelabhängig-keit, psychische Erkrankung oder Gefahr eines unvor-sichtigen oder unsachgemäßen Umgangs widersprecheneiner solchen Eignung. Zudem muss waffenrechtlicheund rechtliche Sachkunde nachgewiesen werden . DieHaftpflichtversicherung, die Sie in Ihrem Antrag for-dern, ist bereits jetzt Pflicht. Der Antragsteller muss min-destens zwölf Monate Mitglied in einem anerkanntenSchießsportverein sein und dort regelmäßig schießen . Erdarf nur die Waffen erwerben, die er für seine Schießdis-ziplinen benötigt . Die ordnungsgemäße Aufbewahrungmuss nachgewiesen werden und kann durch verdachts-unabhängige Kontrollen jederzeit von den zuständigenBehörden überprüft werden . Verstöße dagegen sind straf-bewehrt .Die überwiegende Mehrheit der Waffenbesitzer ver-hält sich rechtstreu. Das deutsche Waffenrecht ist strengund hat sich bewährt . Weitere Verschärfungen bringennicht mehr Sicherheit; das hat die Anhörung, die wir imNovember 2016 durchgeführt haben, ergeben . Das aberscheinen die Grünen überhört zu haben . Denn sie schie-ben heute einen weiteren Antrag nach, der dem heute ab-schließend zu beratenden Antrag sehr ähnlich ist; in Tei-len ist er sogar wortgleich . Ihre Forderungen aber sindreine Placebos . Ich nenne einige Beispiele .Der Titel Ihres neuen Antrags lautet: „Mehr Sicherheitdurch weniger Waffen“. Das ist mit Zahlen nicht zu be-legen. Die Anzahl der legalen Waffen steigt, die Zahl derStraftaten mit Schusswaffen nimmt aber in den letztenJahren kontinuierlich ab, so die Polizeiliche Kriminalsta-tistik .Weiter schreiben Sie in Ihrem Antrag:Die gegenwärtige Sicherheitslage, die insbesonderedurch die Bedrohung durch rechtsextreme und is-lamistische Anschläge geprägt ist, lässt es jedochnotwendig erscheinen, weitergehende Regelungenim Waffenrecht zu treffen.Einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen,die wir in letzter Zeit leider erlebt haben, und dem Waf-fenrecht besteht aber nicht . Der Anschlag in Würzburgwurde mit einer Axt verübt . In Ansbach explodierte eineSplitterbombe . Der Anschlag in München war ein Amok-lauf. Die Waffe erwarb der Täter illegal im Darknet. DieMartina Renner
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Waffe, die bei dem Attentat auf den Berliner Weihnachts-markt benutzt wurde, war illegal erworben worden . Kei-ne dieser Taten hätte durch ein schärferes Waffenrechtoder das Verbot bestimmter Waffentypen verhindert wer-den können .Weiter erklären Sie in Ihrem Antrag, dass laut Poli-zeilicher Kriminalstatistik 2015 mehr als 15 000 Tatver-dächtige erfasst wurden, die bei der Begehung der Tateine Schusswaffe mitgeführt haben. Ich will mich nichtüber diese Zahlen streiten . Ich habe sie so jedenfalls nir-gendwo gefunden. Die Frage ist doch: Um was für Waf-fen handelt es sich? Handelt es sich um erlaubnisfreieWaffen, um legale Waffen oder um illegale Waffen? Dieswird in der Statistik nicht erfasst .Sie fordern immer wieder, dass halbautomatischeWaffen, die Kriegswaffen ähnlich sind, verboten werdensollen. Das Aussehen einer Waffe sagt aber nichts überihre Gefährlichkeit aus . Ich darf Sie einmal kurz daranerinnern: Die Streichung des Verbots von kriegswaffen-ähnlichen halbautomatischen Schusswaffen war keinVersehen der damaligen rot-grünen Bundesregierung .Wir haben das bewusst gemacht; denn es gab große Ab-grenzungsprobleme bei der Frage, was eine kriegswaffen-ähnliche Schusswaffe ist und was nicht. Das Verbot hat inder Praxis nie gegriffen.Kurios ist auch Ihre Forderung nach einer Abkühl-phase zwischen Erwerb und Erhalt einer Waffe. Was solldas bringen? Der einzig vernünftige Vorschlag, den Siemachen und den wir teilen, ist die Regelabfrage bei denSicherheitsbehörden vor Erlaubniserteilung für den Er-werb, den Besitz und das Führen einer Waffe.Um wirklich mehr Sicherheit zu schaffen, hat dieBundesregierung nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, derdie Vereinbarungen des Koalitionsvertrags umsetzt . Dietechnische Entwicklung hat auch vor der Verbesserungder Sicherheitsbehältnisse für die Aufbewahrung vonWaffen und Munition nicht haltgemacht. Deshalb solldas künftige Sicherheitsniveau dieser Behältnisse an denaktuellen Stand der Technik angepasst werden . Das giltnur für den Erwerb neuer Sicherheitsbehältnisse . Legal-waffenbesitzer und -besitzerinnen können die vorhan-denen, den alten Standards entsprechenden Behältnisseweiterhin nutzen . Deshalb soll eine Besitzstandsregelunggelten .Das Waffengesetz ist ein kompliziertes Gesetz, vollmit Verweisen, technischen Normen usw . Das erschwertden Vollzug . Deshalb werden technische Normen demGesetz entnommen und auf der Ebene einer Rechtsver-ordnung geregelt . Anregungen der Kommunen und derLänder wurden umgesetzt, um den Vollzug leichter undpraktikabler zu machen . Die neue, einfachere Schema-tisierung bringt auch Erleichterungen für die Waffenbe-sitzer mit sich . Diese hatten teilweise Probleme mit derKomplexität des Gesetzes . Das führte nicht selten unwil-lentlich zu strafbewehrten Rechtsverstößen . Diese Feh-lerquelle soll nun minimiert werden .Die Amnestieregelung soll mit diesem Gesetzentwurferneut, auf ein Jahr befristet, umgesetzt werden . Somitbesteht die Möglichkeit, unerlaubt besessene Waffenoder Munition straflos abzugeben. Eine solch befristeteAmnestieregelung haben wir bereits im Juli 2009 bei derNovellierung des Waffenrechts in das Gesetz geschrie-ben . In einer Kleinen Anfrage hatten wir nachgefragt, wieviele Waffen aufgrund der Amnestieregelung abgegebenwurden . In der Antwort der Bundesregierung heißt es:Die Amnestieregelung . . . hat bis Ende 2009 zur bun-desweiten Abgabe von mehr als 200 000 Waffen beiWaffenbehörden und Polizeidienststellen der Län-der geführt .Diese rund 200 000 Waffen wurden in weniger alssechs Monaten abgegeben . Grundsätzlich werden dieseWaffen vernichtet. Nur zum Beispiel besonders wertvol-le Stücke werden in Sammlungen aufgenommen . DieseZahlen zeigen: Die Amnestieregelung hat sich bewährt .Deshalb ist es sinnvoll und richtig, sie erneut ins Gesetzzu schreiben. Je weniger unerlaubt besessene Waffen imUmlauf sind, desto besser.Ebenfalls mit diesem Gesetz soll die EU-Deaktivie-rungsdurchführungsverordnung in deutsches Recht um-gesetzt werden. Die Verordnung regelt die Unbrauch-barmachung von Schusswaffen sowie die Einzelprüfungjeder deaktivierten Schusswaffe. Seit April 2016 ist dieVerordnung verbindliches Recht mit Anwendungsvor-rang. Nun folgt die notwendige Umsetzung in nationalesRecht .Wenn wir schon Änderungen am Waffenrecht vorneh-men, sollten wir in den anstehenden Beratungen darüberdiskutieren, wie wir es verhindern können, dass Extre-misten oder sogenannte Reichsbürger legal an Waffenkommen . Es kann nicht sein, dass Menschen, die gegenunsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kämp-fen, diese abschaffen wollen oder unseren Staat erst garnicht anerkennen, legal Schusswaffen erwerben oder be-sitzen können . Deshalb fordern wir eine Regelabfragebei den Verfassungsschutzämtern vor Erteilung einer Er-laubnis für den Erwerb, den Besitz und das Führen einerWaffe. Ich hoffe, wir können unseren Koalitionspartnervon der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugen .
Eines möchte ich an dieser Stelle nochmals betonen:Wir stellen keine Schützin und keinen Schützen, keineJägerin und keinen Jäger, auch keine Sammlerin undkeinen Sammler unter Generalverdacht . Wir stellen auchniemanden unter Terrorverdacht, wie in vielen Mails,die mich in den letzten Tagen und Wochen erreicht ha-ben, behauptet wird . Wir suchen immer nach einer Ba-lance zwischen den berechtigten Interessen der legalenWaffenbesitzer auf der einen Seite und den um die öf-fentliche Sicherheit besorgten Bürgerinnen und Bürgernauf der anderen Seite . Wir respektieren die Argumentebeider Seiten . Wir haben daher ein wachsames Auge aufdas Waffenrecht. Wir wollen Lösungen, die Sport undBrauchtumspflege nicht unzumutbar beschränken, son-dern die Bevölkerung effizient vor dem Missbrauch lega-ler Schusswaffen schützen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Gabriele Fograscher
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Vielen Dank, Frau Kollegin Fograscher . – Jetzt hat als
letzter Redner in dieser Aussprache Michael Frieser von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank . – Meine sehrverehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fograscher,am Ende des Tages sind wir wieder bei den Jägern undSammlern. Wenn man zum Thema Waffenrecht und zumverantwortungsvollen Umgang mit Waffen etwas sagt,fühlt man sich in diesem Land an Charlton Heston erin-nert, dem man, selbst als er im Sterben lag, die Waffe fastaus der Hand reißen musste . Liebe Grüne, es wird Ihnennicht gelingen, dieses Land, vor allem die Sportschützen,die Jäger und die Menschen, die verantwortungsvoll mitWaffen umgehen,
zu Militaristen zu machen . Das wird nicht klappen, auchwenn Sie es immer wieder versuchen .
Sinnvollerweise hat Kollegin Mihalic zu ihrem eige-nen Antrag nichts gesagt, sondern sich ganz grundsätz-lich geäußert . Ich glaube, das war auch gut .
Ich will einen Punkt aufgreifen – ich bin dem KollegenOswin Veith und Frau Fograscher dankbar, dass sie ihnangesprochen haben –, und zwar das Thema Mehrfach-schützen und die Frage des Mehrfachschusses mit einerWaffe. Was ist hier wirklich gefährlich? Man muss hierextrem aufpassen . Euer Antrag ist hier so missverständ-lich formuliert, dass man ehrlich sagen muss: Die histo-rischen Sportschützensiege, die unsere Athleten sehr zuunserer Freude erzielt haben, wären nach eurem Antragtatsächlich nicht möglich gewesen .
Mit was sollen sie am Ende denn trainieren? Mit Stein-schleudern?Letztendlich muss man zumindest aufpassen, wie manes formuliert, wenn man versucht, den Eindruck zu erwe-cken, dass das Problem in diesem Land tatsächlich alleWaffen seien. Das ist erkennbar falsch.
Nach allen Statistiken und allen Zahlen, die uns zugäng-lich sind, ist es eindeutig: Das Problem in diesem Landsind die illegalen und nicht die legalen Waffen, weil diesesich in Händen von Menschen befinden, die wissen, wieman damit umgeht .
Sie sind sich nicht nur klar darüber, welche Eignung siehaben müssen, sondern sie wissen auch, wie man einiger-maßen verantwortungsvoll damit umgeht . Darauf kannman sich tatsächlich verlassen .
Es ist ein schmaler Grat zwischen der Freiheit desMenschen, im Rahmen seiner Freizeit oder seines Be-rufes mit einer Waffe umgehen zu dürfen, und einementsprechenden Verbot, und die Politik muss sich dieserGrenze wirklich bewusst sein . Deshalb bringt die Bun-desregierung diesen Gesetzentwurf ein, zu dem ich nursagen kann: Wer es ernst meint mit einem sinnvollen undverantwortungsvollen Umgang mit Waffen, der solltediesem Gesetzentwurf tatsächlich zustimmen .Eine Amnestie ist sinnvoll, weil wir keine illegal be-sessenen Waffen haben wollen. Die Menschen müssenwissen, dass es wieder in Ordnung ist, wenn sie dieseWaffen abgeben.Zur Aufbewahrung . Natürlich ist es klar, dass der Waf-fenschrank, den man sich heute anschafft, zeitgemäß seinsoll . Das muss aber nicht heißen – darüber sollten wirnoch einmal reden –, dass man sich am Ende des Tageseinen neuen Waffenschrank anschaffen muss, wenn manzu zweit einen Waffenschrank benutzt und legal Waffendarin aufbewahrt hat und der Zweite sich verabschiedet .Im Ergebnis heißt das aber doch nicht, dass man denWaffenschrank über fünf Generationen hinweg vererbt.Ich bitte einmal, erstens die Kirche im Dorf und zwei-tens die Waffe im Schrank zu lassen; denn an dieser Stelleist meines Erachtens vollkommen klar, dass auch das zueinem wirklich verantwortungsvollen Umgang gehört.
Ich kann nur sagen: Wir wissen, dass das Problem indiesem Land die illegalen Waffen und die Bezugswegesind und dass vor allem das Thema Darknet ganz wesent-lich ist . In jeder zweiten Sitzung des Innenausschusseskauen wir das durch, und wir haben an dieser Stelle vie-le Initiativen bezüglich des Umgangs mit den entspre-chenden Daten gestartet . Ich muss hier schon einmal dieFrage stellen: Wie kommen wir an die Ursprünge heran?Wie ertüchtigen wir unsere Behörden gerade in diesemPunkt, die Wege nachzuvollziehen?Die Grünen sind gegen alle unsere entsprechendenAnliegen . Treten Sie uns im Kampf im Darknet gegenillegale Waffendeals an die Seite, wenn es um die Über-wachung und Ertüchtigung unserer Behörden an dieserStelle geht . Hier können wir beieinander sein . Aber dazumüsst ihr wahrscheinlich noch über euren Schatten sprin-gen .
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Im Ergebnis bleibt es dabei: Wir sollten es ernst damitmeinen, dass wir nicht versuchen, die Menschen in eineillegale Ecke zu stellen . Wenn es nach Ihnen geht, ist an-scheinend jeder nur dann ein guter Bürger, wenn er einschlechtes Gewissen hat, wenn er eine Waffe in die Handnimmt . Ich bin froh um Menschen, die wissen, wie mandamit verantwortungsvoll umgeht .Ich habe mich bei meiner Kommune und auch beianderen Kommunen davon überzeugt: Die Behördenwissen genau, wie man mit diesem Thema umgeht . Siekennen ihre Klientel und wissen, was sie nachvollziehenmüssen, wo sie nachfragen müssen und wie sie das um-setzen müssen .Deshalb kann ich nur sagen: Wer es ernst damit meint,dass er beim verantwortungsvollen Umgang mit legalenWaffen bleiben will, der kann das tatsächlich nur mit derUnion schaffen und der sollte dem Gesetzentwurf zustim-men . Wer darüber hinausgeht, der verdächtigt Menschen,die das nach meiner Auffassung nicht verdient haben.Man sollte uns tunlichst die notwendigen Mittel andie Hand geben, damit an der Stelle, wo man sich ille-gale Waffen beschaffen kann, nämlich im Netz und imDarknet, wirklich zugepackt und die Behörden tatkräftigunterstützt werden können .Danke schön .
Herzlichen Dank, Herr Kollege . – Damit schließe ichdie Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 18/11417 und 18/11239 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fallzu sein . Damit sind die Überweisungen so beschlossen .Tagesordnungspunkt 52 b . Wir kommen zur Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des Innenausschus-ses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenmit dem Titel „Handlungsbedarf im Waffenrecht fürmehr öffentliche Sicherheit“. Der Ausschuss empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11444,den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/9674 abzulehnen .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regie-rungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an-genommen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 53 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-derung des StraßenverkehrsgesetzesDrucksache 18/11300Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesminister Alexander Dobrindt . – Bitte schön .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir geben heuteden Startschuss für das innovativste Straßenverkehrs-recht der Welt mit einer rechtlichen Gleichstellung vonMenschen und Computern als Fahrer . Das heißt im Klar-text: In der Zukunft darf der Computer ans Steuer .Das ist in der Tat ein echter Paradigmenwechsel unddie größte Reform unseres Straßenverkehrsgesetzes seitdessen Inkrafttreten vor über 100 Jahren .
So eine Regelung, die die Innovation im Bereich der Mo-bilität abbildet, gibt es bisher in keinem anderen Land derWelt . Das heißt, wir übernehmen die Innovationsführer-schaft und stellen uns als Autoland beim automatisiertenund vernetzten Fahren an die Spitze .
Der Sprung zum automatisierten Fahren ist in der Tatdie größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung desAutomobils . Zum ersten Mal verändert sich durch dentechnologischen Fortschritt nicht nur das Auto, sondernletztlich auch der Fahrer und damit die Mobilität als Gan-zes .
Wir werden erleben, dass sich damit die Zahl der Unfäl-le auf unseren Straßen erheblich reduzieren lässt . Über90 Prozent der Unfälle sind auf menschliche Fehler zu-rückzuführen . Die werden natürlich massiv zurückge-drängt werden .Wir erhöhen die Kapazität unserer Straßen . Wir kön-nen mit automatisierten Fahrsystemen bis zu 80 Prozentmehr Kapazität auf den Straßen abbilden und werden da-mit die Staus deutlich reduzieren .Wir werden auch den überflüssigen Parksuchverkehrin unseren Städten – 40 Prozent des Autoverkehrs, derzurzeit auf den Straßen Berlins stattfindet, ist Parksuch-Michael Frieser
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verkehr – reduzieren . Auch er wird zukünftig so nichtmehr notwendig sein .
Beim automatisierten Fahrsystem werden auch Parkplät-ze durch den Computer identifiziert und gefunden.
Das ist ein ganz, ganz großer Vorteil für die Mobilitätneben dem, dass wir dann gerade auch in ländlichen Re-gionen Mobilität bis ins hohe Alter möglich machen unddie individuelle Mobilität durch automatisiertes Fahrenstärken .All das bedeutet in der Summe: weniger Unfälle, mehrKapazität, weniger unnötige Straßenverkehre . Das sindgroße Vorteile .Ich habe gerade mit einer Gruppe von Landfrauen ausdem Pfaffenwinkel, die mich besucht haben, darüber ge-sprochen: alles große Fans des automatisierten Fahrens .Das ist es, was bei den Menschen ankommt .
Alle spüren, dass sich das Leben gerade im Bereichder Mobilität radikal und grundlegend revolutioniert . Diemeisten freuen sich auch darauf, dass wir mit dem auto-matisierten Fahren in ein neues Zeitalter kommen .Es wird bei allen Start-up-Unternehmen, ob im SiliconValley oder in Deutschland, gerade kein Thema so inten-siv bearbeitet wie das automatisierte Fahren .Übrigens: Die großen IT-Konzerne sind genauso in-tensiv dabei, an selbstlernenden Systemen zu arbeiten .Dabei geht es um das sogenannte Deep Learning . Beidiesen Systemen wird mit Algorithmen gearbeitet, dieihre eigenen Erfahrungen selbstständig umsetzen, umin vergleichbaren Situationen optimiert zu reagieren . Essteht eine künstliche Intelligenz dahinter, welche die Au-tos lenkt . All das ist kombiniert mit der modernsten Sen-sorik . Auch geht es dabei um Kameratechnik und intelli-gente Karten . All das wird in wenigen Monaten Realitätin den Autos sein .Das wird natürlich auch eine enorme Auswirkung aufdie Wertschöpfung am Automobil haben . All diejeni-gen, die zurzeit an Softwarelösungen für Autos arbeiten,wollen letztlich einen Teil der Wertschöpfung an diesenAutos für sich gewinnen. Unsere Aufgabe ist es, dafürzu sorgen, dass diese Wertschöpfung hier im AutolandDeutschland bleibt und nicht vielleicht in die asiatischenMärkte oder nach Amerika abwandert .Auf jeden Fall ist klar, dass der Wettbewerb um dieWertschöpfung an den Autos auch die Grundlage fürWachstum, Arbeit und Wohlstand verändert . Wenn wirdiesen Wettbewerb verlieren sollten, dann sind auch Ar-beit, Wachstum und Wohlstand in Deutschland infragegestellt . Deswegen wollen wir an der Spitze dieser inno-vativen Bewegung sein .
Der zweite Platz ist dabei keine Alternative . Des-wegen habe ich schon zu Beginn meiner Amtszeit eineumfassende Strategie zum automatisierten Fahren vorge-stellt . Ein Element dieser umfassenden Strategie ist dasDigitale Testfeld Autobahn auf der A 9 in Bayern, aufdem wir durch den Aufbau einer intelligenten Sensorik,die sich auf der Straße befindet, Echtzeitkommunikationzeigen können . Sie macht es möglich, dass die Straße mitden eigenen Daten, die sie erhebt, wirklich real mit denAutos kommunizieren kann . Das ist etwas, was in keineranderen Region der Welt so möglich ist .Wir haben es geschafft, dass die Autos, aus dem Laborkommend, auf der Straße in einer echten Fahrsituationim Realverkehr weiter erforscht und entwickelt werden .Dabei werden die neuen Technologien erprobt, um dieGrundlage dafür zu schaffen, dass wir beim automatisier-ten Fahren auch in Zukunft die meisten Patente – so wiebisher auch – anmelden können . Wir wollen nicht, dassdies in andere Regionen der Welt abwandert .Allein die Tatsache, dass man eine Straße so mit Sen-sorik ausgestattet hat, dass sie mit eigener Intelligenzeinen echten Kommunikationsvorgang mit den Autosschaffen kann und man mit der Zahl der erhobenen Da-ten dann auch in der Lage ist, die neuen Fahrzeuge imRealverkehr zu zeigen, ist sensationell . Deshalb greifeninzwischen auch alle internationalen Unternehmen imBereich des Automobilsektors – das betrifft auch die Zu-lieferer – darauf zu . Sie erproben ihre Fahrzeuge auf un-serem digitalen Testfeld .Bei der Änderung unseres Straßenverkehrsrechts gehtes konkret darum, dass wir den hoch- oder vollautomati-sierten Fahrsystemen die Fahraufgabe übergeben wollen .Dafür sind die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.Natürlich geht es in dem Zusammenhang auch um dieHaftungsfrage, die wir in unserem Gesetz geklärt haben .Wenn der Computer fährt, dann haftet am Schluss derHersteller . Auch das ist eine klare Botschaft an all die-jenigen, die diese Fahrzeuge entwickeln, und auch andiejenigen, die sie nutzen wollen . Wir zeigen klar unddeutlich, dass die Digitalisierung in unserem Land eineganz große Chance in sich birgt .
Wir unterstützen das . Wir setzen auf Innovation undnicht auf Stagnation . Das heißt, dass wir uns der Digita-lisierung mit großen Schritten nähern .Herr Krischer, Sie haben einen Zwischenruf gemacht .Ich habe natürlich auch gelesen, was in Ihrem Fraktions-beschluss zur Zukunft des Automobils steht . Sie redenbeim automatisierten Fahren nicht über Chancen, son-dern über Datenschleudern und Datenkraken. Und Siereden darüber, dass es eine Gefahr gebe .Ich kann Ihnen an der Stelle nur sagen: Wer hier dieChancen nicht erkennt, wer nicht endlich erkennt, dassBundesminister Alexander Dobrindt
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Daten der Rohstoff für Digitalisierung und damit für un-seren zukünftigen Wohlstand sind, der verspielt eine gan-ze Menge an Zukunftschancen der nächsten Generation,meine Damen und Herren .
Ich habe durchaus mitbekommen, dass Sie, als esum Ihren letzten Parteitagsbeschluss zur Verkehrswen-de ging, kein Wort über das automatisierte Fahren ver-loren haben . Stattdessen haben Sie das große Potenzialder Lastenfahrräder beschrieben . In Berlin haben Sie dassogar in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben . Daskann man machen . Rikscha statt Fahrcomputer, das ist IhrMobilitätskonzept für das 21 . Jahrhundert . Aber ich kannIhnen sagen, dass eine ganze Reihe Dritte-Welt-Ländermit aller Kraft daran arbeitet, von der Rikscha wegzu-kommen . Sie wollen uns dorthin führen . Wo andere alsodie Vergangenheit sehen, sehen Sie unsere Zukunft .
Das ist beim besten Willen kein Garant für Arbeit, fürWohlstand und für Wertschöpfung .
Wir gehen den anderen Weg . Wir gehen konsequent denWeg hin zum automatisierten Fahren .Danke schön .
Vielen Dank . – Jetzt erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Herbert Behrens von der Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, ich wäre schon froh, wenn hier im so vonIhnen bezeichneten Autoland Deutschland die Automo-bilkonzerne in der Lage wären, die von Ihnen vereinbar-ten Abgasgrenzwerte einzuhalten, und wenn wir diesbe-züglich von keinen Gefahren für unsere Gesundheit mehrausgehen müssten .
Nun geht es in erster Lesung um den Entwurf einesGesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes .Das hört sich nicht sonderlich spannend an . Schließlichgeht es in diesem Gesetz um Führerschein auf Probe, denBußgeldkatalog oder Haftpflichtfragen. Doch die Ände-rung, die nun vorgesehen ist, geht weit darüber hinaus . Esgeht um automatisiertes Fahren, genauer gesagt: um teil-oder hochautomatisiertes Fahren . Aber egal, ob es sichum teil- oder hochautomatisiertes Fahren handelt, wir ha-ben es mit einer grundlegenden Veränderung im Autofah-ren zu tun . Computer sollen Aufgaben übernehmen, diebislang selbstverständlich zum Autofahren gehörten, wieGeschwindigkeit reduzieren, wenn es plötzlich glatt ist,Verkehrsschilder erkennen und die Fahrweise darauf ein-stellen oder im Extremfall auf ein Hindernis reagieren,egal ob sich ein Mensch, ein Tier oder ein Gegenstandauf der Straße befindet. All diese Entscheidungen sollenin Zukunft im Zusammenwirken mit dem Computer ge-troffen werden.Die Tragweite der damit zusammenhängenden Fra-gen können viele von uns – ich schließe mich ein – nichtüberschauen . Der Gesetzentwurf soll nun binnen wenigerWochen durch den Bundestag gepeitscht werden, obwohlwir mit diesem Thema erstmalig im Dezember konfron-tiert wurden . Das ist doch unverantwortlich . Für solcheEntscheidungen brauchen wir doch Zeit und das notwen-dige Wissen . Aber darüber verfügen viele von uns nochgar nicht .
Geradezu absurd ist, schon jetzt die Automatisierungdes Autofahrens im Straßenverkehrsgesetz zu verankern,ohne zum Beispiel die Ergebnisse der von der Bundes-regierung selbst initiierten Testfelder auf der Autobahnauszuwerten .Bei der Haftung bei Unfällen mit teil- oder hochau-tomatisierten Autos wirft der Gesetzentwurf Fragenauf, die nicht beantwortet sind . Im Gesetzentwurf steht,dass der Fahrzeugführer beim hochautomatisierten Fah-ren unverzüglich das Steuer wieder übernehmen muss,wenn ihn das Fahrzeug dazu auffordert. Diese Formu-lierung ist so unscharf, dass selbst Sie, Herr MinisterDobrindt, fälschlicherweise davon ausgehen, dass manin diesen Autos schnell einmal E-Mails bearbeiten darf,da es jederzeit möglich ist, das Steuer unverzüglich zuübernehmen . Studien in Fahrsimulatoren haben gezeigt,dass mindestens 15 Sekunden nötig sein können, um sichvon einer fahrfremden Tätigkeit wieder auf das Fahrge-schehen einzustellen. Ist das unverzüglich? Wenn ich nun15 Sekunden verstreichen lassen würde, ohne ein Wortin das Mikrofon zu sagen, würde jedem, glaube ich, of-fensichtlich werden, mit welchen Dimensionen wir es imStraßenverkehr zu tun haben .Zum Thema Datenschutz . Bei teil- oder vollautoma-tisiertem Fahren muss bei Unfällen zweifelsfrei geklärtwerden, ob das Auto oder der Mensch gesteuert hat . Des-halb soll eine Blackbox installiert werden, die drei Jahrelang die Fahrdaten aufzeichnet . Das ist Vorratsdatenspei-cherung im Straßenverkehr . Das ist völlig unakzeptabelgenauso wie der Zugriff auf die Daten.
Für mich viel wichtiger sind aber – ich hoffe, dass dasauch für andere von Bedeutung ist – die ethischen Fragen .Diese spielen im Gesetzentwurf überhaupt keine Rolle,und das nicht etwa, weil diese ausführlich diskutiert undentschieden sind . Die vom Verkehrsminister eingesetzteEthikkommission ist zwar nötig und arbeitet auch . Siewurde jedoch erst nach den entsprechenden Entscheidun-gen eingerichtet . Sie muss doch erst einmal ihre Arbeitbeendet haben, damit wir ein Gespür dafür bekommen,Bundesminister Alexander Dobrindt
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was wir entscheiden müssen und was nicht, und zwarbevor eine Strategie für automatisiertes oder vernetz-tes Fahren beschlossen wird . Ethische Fragen über denSchutz von Leben und Gesundheit der Menschen müssendoch entschieden werden, bevor der Straßenverkehr, derTausende Tote und Zehntausende Verletzte verursacht,vollautomatisiert oder teilautomatisiert wird .Den Grund für die Eile lesen wir im Begründungsteildes Gesetzentwurfs. Dort finden wir die Begriffe „Leitan-bieter bleiben“, „Vorreiterrolle sichern“, und „Stärkungdes Innovations- und Wirtschaftsstandortes Deutsch-land“. Herr Minister, Sie haben eben sehr deutlich ge-macht, worum es eigentlich geht und um wessen Inte-ressen es geht . Wer so an neue Techniken herangeht, dernimmt keine Abwägung zwischen ethischen und ökono-mischen Fragen vor . Diese sind schon vorab entschieden .Die Linke macht diese besinnungslose Technikeuphorienicht mit .
Wir müssen entscheiden, wie wir leben und wie wirmobil sein wollen . Dann kommen die Entscheidungenüber die Technik, und dann kommen die Entscheidun-gen über die Veränderungen des Straßenverkehrsgeset-zes . Das ist die richtige Reihenfolge für verantwortlichesHandeln . Dafür und nur dafür ist die Linke zu haben .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt spricht zu Ihnen
Sören Bartol von der SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auf dem Weg hierher bin ich an einem Plakat des Art Di-rectors Club vorbeigekommen . Die Elite der deutschenKommunikationswirtschaft wirbt mit folgendem Sloganfür ihr Festival: „Das Motto der Deutschen: Vorschriftstatt Fortschritt?“ Das klingt erst einmal mäßig und istaußerdem ein Vorwurf, der auch in der Debatte um dasautomatisierte Fahren im Raum steht . Aber wie so vielesim Leben, liebe Werberinnen und Werber, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ist auch hier alles eine Frage derBalance .Apropos Frage . Beim heutigen Thema stehen eini-ge Fragen im Raum: Wie weit ist die Technik eigent-lich schon? Ist die weitere Entwicklung Evolution oderEruption? Wollen wir uns von der Technik bestimmenlassen oder nicht? Wie lösen wir das Problem, dass hoch-automatisierte und herkömmliche Fahrzeuge lange Zeitparallel fahren werden?Vorweg: Ich bin ein Befürworter des automatisiertenFahrens . Ich unterstütze auch das Vorhaben des Bundes-verkehrsministers, das Testfeld und den vorliegendenGesetzentwurf. Warum? Weil ich glaube, dass das au-tomatisierte Fahren eine Riesenchance für die deutscheAutomobilindustrie ist, Vorreiter in einem zukunftswei-senden Bereich zu sein . Das ist eine Chance, die wir nichtvertun dürfen, gerade auch im Hinblick auf die Vielzahlder Arbeitsplätze, die in der traditionellen Automobilin-dustrie in den nächsten Jahren durch Veränderungen imBereich Mobilität unter Druck geraten .
Was passiert, wenn ich die Hand vom Lenkrad nehmeund die Maschine übernimmt? Wir brauchen dringendeine Rechtsgrundlage für das automatisierte Fahren . Ichhalte diesen Vorstoß allerdings nicht alleine aus wirt-schaftlichen Gründen für wichtig . Ich glaube darüber hi-naus, dass das automatisierte Fahren das Potenzial hat,die Verkehrssicherheit in Deutschland deutlich zu erhö-hen . Der Mensch ist in einigen Situationen die größteGefahr im Verkehr . Die Sicherheit auf unseren Straßenwürde sich durch den Einsatz entsprechender Systemeerhöhen, und die Zahl der Unfälle auf Autobahnen würdesich deutlich verringern .Ich weiß, wie überzeugt manche Kollegen von ihreneigenen Fähigkeiten als Autofahrer sind . Aber glaubenSie mir, auch wenn einige das nur ungern hören: DasAssistenzsystem mit seinem Algorithmus kann auf derAutobahn sicherer fahren als Sie und ich, sofern die be-stimmungsgemäße Verwendung sichergestellt ist .Ich möchte in dieser Debatte eines ganz klar sagen:Das hochautomatisierte Fahren, über das wir im Momentreden, hat mit dem in der Diskussion immer wieder vor-gebrachten Bild des Autofahrenden, der auf dem Fahrer-sitz die Augen schließt und sich tiefenentspannt von Anach B fahren lässt, nichts, aber auch gar nichts zu tun .Wer von dieser Art des Reisens träumt – gestatten Sie mirdie Werbung für unser Schienenpapier –, der sollte auchin naher Zukunft lieber die Bahn nutzen .
Das hochautomatisierte Fahren erfordert eine Grund-aufmerksamkeit des Fahrers, und zwar permanent . DerFahrer muss unverzüglich – so steht es auch im Gesetz-entwurf – die Kontrolle über sein Fahrzeug übernehmen,wenn das System die Übernahmeaufforderung erteilt,was jeden Moment geschehen kann .
Natürlich: Die Fortschritte, die heute technisch schonmöglich sind, werden in naher Zukunft möglicherweiserasch zunehmen . Sie werden sich also noch ein bisschenweiter zurücklehnen können, solange die Grundaufmerk-samkeit gewährleistet ist, solange Sie nur so entspanntsind, dass Sie unverzüglich jeden Moment die Kontrolleübernehmen können .Beim hochautomatisierten Fahren sprechen wir alsoüber eine Erleichterung, mehr Fahrkomfort, mehr Sicher-heit, über eine große Evolution der schon vorhandenenAssistenzsysteme. Ein Schläfchen auf der Autobahn?Nein, das gibt es noch nicht .Ich komme zu den ethischen Fragen von Mensch undMaschine . Wir können keine Algorithmen verklagen,falls etwas passiert, falls das System versagt, falls ein au-Herbert Behrens
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tomatisiertes Fahrzeug einen tödlichen Unfall verursacht.Vor deutschen Gerichten können keine Roboter verklagtwerden . Auf der Anklagebank sitzt immer ein Mensch:der Fahrer, der Hersteller oder die oder der, die oder derdas System möglicherweise fehlerhaft programmiert hat .Es bleibt kompliziert: Nach welchen Kriterien sol-len die Systeme programmiert werden? Etwa wenn einUnfall nicht zu verhindern ist: Wie handelt das System?Unser Grundgesetz verbietet in zivilen Situationen jedesAbwägen von Leben gegen Leben; kein Menschenlebenist mehr wert als ein anderes . Was soll der Algorithmus ineiner Situation tun, in der der Mensch vermutlich intuitivoder reflexartig entscheidet?Ich habe auf diese Fragen keine Antwort . Es ist abersinnvoll, sich derartige Fragen bei der Einführung einerneuen Technologie zu stellen und nicht erst, wenn dasKind in den Brunnen gefallen ist . Die aktuelle Debat-te um die Entsorgung des Atommülls ist für mich einalarmierendes Beispiel dafür, wie die Einführung einerneuen Technologie nicht laufen sollte .
Minister Dobrindt hat eine eigene Ethikkommissioneingerichtet . Lieber Kollege Dobrindt, diese Kritik seian dieser Stelle einmal erlaubt: Sie hätten hier lieber denNationalen Ethikrat zurate ziehen sollen .
Offene Fragen sehe ich auch beim Datenschutz. Esmuss klar sein, welche Daten wo und wie lange gespei-chert sind und unter welchen Umständen sie anonymisiertan Dritte herausgegeben werden können . Im weiterenparlamentarischen Verfahren, etwa bei der kommendenAnhörung, werden wir Lösungen suchen, die am Endedie Zustimmung des Bundesrates finden.Sie sehen: Fortschritt geht nicht ganz ohne Vorschrift .Ich möchte den beiden eingangs zitierten Schlagwor-ten abschließend noch ein drittes hinzufügen . Es heißt:Vorsicht . Von den in Dubai vollmundig angekündigtenDrohnen, die die Bewohner dort schon im Sommer durchdas Emirat fliegen sollen und für deren Benutzung man,wie der Spiegel schrieb, „viel Mut und Glauben mitbrin-gen müsse“, sind wir in Deutschland weit entfernt – ausgutem Grund . Blinde Fortschrittsgläubigkeit hat in derMenschheitsgeschichte selten zu etwas Gutem geführt .Die griechische Mythologie ist voll von warnenden Bei-spielen. Ein „Volle Kraft voraus“, eine „Augen zu unddurch“-Mentalität beim automatisierten Fahren würdenin einer Katastrophe enden .
Ich plädiere also für den vorliegenden Gesetzentwurf,der das automatisierte Fahren in engen Grenzen gera-de auch auf Abschnitten deutscher Autobahnen zulässt,wenn es uns gelingt, die Fragen, die auch der Bundesratin seiner Stellungnahme – wie ich finde, zu Recht – an-gemahnt hat, im parlamentarischen Verfahren zu klären .Ich wünsche mir zudem ein gründliches Nachdenken,eine wirklich breite Debatte über die ethischen Fragen,die sich spätestens mit dem autonomen Fahren stellen,eine Debatte, die sich dem Fortschritt nicht verschließt,sich dabei aber der eigenen Möglichkeiten und Grenzenauch bewusst ist . Diese Debatte müssen wir nicht nur,aber auch in diesem Hause führen .Vielen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetztStephan Kühn .Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kol-leginnen und Kollegen! Lieber Herr VerkehrsministerDobrindt, ich finde es gut, dass Sie unsere Papiere lesen;Sie lesen aber sehr selektiv . Ich empfehle die Lektüre mei-ner Rede zur Änderung des Wiener Abkommens . Dannkönnten Sie nachlesen, welche Chancen ich im Hinblickauf das automatisierte Fahren durchaus sehe . Allerdingserfüllen sich die Hoffnungen, die Sie beschreiben, mit derVerabschiedung dieses Gesetzentwurfs in keiner Form;denn Sie vertreten nur die Interessen der Autohersteller .Mit dem Gesetz laden Sie die Haftungsrisiken bei denAutofahrern ab und schaffen erhebliche Rechtsunsicher-heit für die Verbraucherinnen und Verbraucher .Automatisiertes Fahren soll es Autofahrern ermög-lichen, fahrfremde Tätigkeiten auszuüben . Das ist aberüberhaupt nicht möglich . Das Gesetz verlangt von denFahrzeugführern, die technischen Systeme jederzeit ma-nuell übersteuern oder deaktivieren zu können . Ist dieMöglichkeit der Übersteuerung oder der Deaktivierungdurch den Fahrer überhaupt in jedem Fall sinnvoll? EineSystemübernahme in kritischen Verkehrssituationenkönnte den Fahrer überfordern . Müsste man hier nichtdifferenziert vorgehen?Der Gesetzentwurf lässt offen, was der Fahrer beden-kenlos tun kann, während der Computer das Auto lenkt .Der Fahrer soll den Autopiloten überwachen . Er musszum Beispiel erkennen, dass die Umstände für automa-tisiertes Fahren nicht mehr vorliegen . Müsste das abernicht eigentlich der Computer machen? Welche fahr-fremden Tätigkeiten der Fahrer übernehmen darf, wirdauch nicht geregelt . So wird Rechtssicherheit nicht ge-schaffen.
Wer will da schon die Hände vom Lenkrad nehmen, wenner die Verantwortung nicht ebenfalls abgeben kann?Unklar ist auch, was eigentlich in der Übernahme-zeit vom automatisierten Fahren zum manuellen Fahrenpassiert . Was muss das Auto eigentlich tun, wenn derFahrzeugführer die Kontrolle doch nicht schnell wiederübernehmen kann? Muss der Computer den Warnblinkeranschalten und sofort nach rechts fahren und anhalten?Sören Bartol
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Das wird überhaupt nicht geregelt . Die Hersteller tragendie Verantwortung für das Funktionieren der technischenSysteme . Der Gesetzentwurf aber lädt die Gefährdungs-haftung bei den Autofahrern ab . Das ist nicht akzeptabel .
Wenn die technischen Systeme das Fahrzeug führen,muss auch die Haftung auf die Hersteller übergehen .Auch die Bestimmungen zum Datenschutz sind indis-kutabel . Die Fahrzeuge werden zur Datenkrake, wenndie Fahrdaten bis zu drei Jahre lang gespeichert werden .Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert das zuRecht als Vorratsdatenspeicherung von Fahrdaten . Wiewerden Daten geschützt, um Manipulation und Miss-brauch zu verhindern? Keine Antworten dazu im Gesetz-entwurf . Mit diesem Gesetz werden Sie die Bürgerinnenund Bürger nicht vom hoch- und vollautomatisiertenFahren überzeugen .
Wer sich teure Autopiloten als Ausstattung kauft, willRechtssicherheit haben und wirklich beim Fahren entlas-tet werden . Ich stimme den Rednerinnen und Rednern zu,die gesagt haben, dass wir eine breite gesellschaftlicheDebatte darüber brauchen, was wir Maschinen überlas-sen wollen; wir brauchen aber keine gesetzgeberischenSchnellschüsse . Wie ist eigentlich die Arbeit der schonbeschriebenen Ethikkommission in den Gesetzentwurfeingeflossen?
Wie gehen wir mit Dilemmasituationen um? Ich findedazu nichts im Gesetzentwurf . Herr Dobrindt, so wird esnichts mit dem Leitmarkt für automatisiertes Fahren . Sieverpassen erneut die Chance, die Mobilität der Zukunftzu gestalten . Das ist schade und traurig .
Das Wort hat jetzt Steffen Bilger für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Alexander Dobrindt hat in seiner Rede eine erschrecken-de Zahl genannt: Über 90 Prozent der Autounfälle sindauf menschliches Versagen zurückzuführen . ModerneFahrassistenzsysteme bieten enorme Chancen, das Un-fallrisiko zu reduzieren . Studien gehen davon aus, dassbereits die Fahrassistenzsysteme, die heute vielfach imEinsatz sind, die Schadenshäufigkeit bis zu 75 Prozentsenken können . Dies lässt erahnen, welche Chancen sichdurch hoch- und vollautomatisierte Systeme eröffnen.Die technischen Systeme machen im Gegensatz zumMenschen kaum Fehler, sind nicht erschöpft oder unkon-zentriert und verfügen über eine weitaus schnellere Re-aktionsfähigkeit . Neben der Verkehrssicherheit bietet dasautomatisierte Fahren viele weitere Potenziale im Sinneeiner effizienteren und nachhaltigeren individuellen Mo-bilität, beispielsweise durch eine Optimierung des Ver-kehrsflusses, durch die Reduzierung von Stauereignissenund damit auch von verkehrsbedingten Emissionen .Natürlich sind auch die Vorteile des automatisiertenFahrens für den Einzelnen revolutionär . Die Zeit wäh-rend des Autofahrens kann für viele sinnvolle Dinge ein-gesetzt werden .
Das Auto wird so mehr und mehr zu einem weiteren Ort,an dem gearbeitet oder entspannt werden kann . Hier gehtes um Systeme, die in bestimmten Lagen, zum Beispielauf der Autobahn, zeitweise die Fahrzeugsteuerung über-nehmen . Die technische Entwicklung auf diesem Feldschreitet rasant voran . Wir werden schon bald entspre-chende Systeme auf dem Markt haben . Daher müssen wirjetzt handeln, um einen verantwortungsvollen Umgangmit diesen Systemen zu gewährleisten .
Diese Entwicklung wirft für Gesellschaft und Politikdrängende Fragen auf . Wann dürfen automatisierte Fahr-systeme eingesetzt werden? Welche Möglichkeiten undFreiheiten eröffnen mir die Systeme als Fahrer? Wer haf-tet bei einem Unfall? Gehe ich als Fahrer ein Risiko ein,wenn ich solche Systeme benutze? Das alles sind Fra-gen, die sich im Zusammenhang mit dem automatisiertenFahren stellen . Ich denke, es ist nur allzu gut nachvoll-ziehbar, dass diese Fragen auch viele verunsichern, unddeswegen wird mit Recht von uns eine Antwort erwartet .Ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Sys-temen bedarf klarer Vorgaben und Regelungen . Gleich-wohl kann es aber nicht sein, dass jetzt von einigen Red-nern nur mögliche Risiken in den Vordergrund gestelltwerden . Wir sollten positiv an diese große Innovationherangehen . Wir sollten die Zukunft gestalten . Das sollteunser Anspruch in Deutschland sein, gerade als AutolandDeutschland .
Zukünftig wird es für den Fahrer bei Aktivierung ei-nes hoch- oder vollautomatisierten Systems möglichsein, sich vom Verkehrsgeschehen abzuwenden, bei-spielsweise im Internet zu surfen oder E-Mails zu beant-worten, aber er wird natürlich auch in die Verantwortunggenommen, die Fahrzeugkontrolle auf Aufforderung desSystems oder bei Unregelmäßigkeiten wieder zu über-nehmen und die Systeme ausschließlich bestimmungsge-mäß und für den zugedachten Zweck einzusetzen .Das schafft Klarheit für alle Beteiligten. Bewusst sindeinige Punkte im Gesetzentwurf nicht im Detail geregelt .Bewusst haben wir auch eine baldige Evaluierung vorge-sehen . Das zeigt, dass wir noch nicht genau wissen, wiedie Zukunft aussehen wird, dass wir die Herausforderungaber annehmen und einen geeigneten Rahmen schaffen.Stephan Kühn
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Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt für dieZukunft des Automobils . Wenn wir mit den RegelungenMensch und Computer rechtlich teilweise gleichstellen,setzt dies aus Beweisgründen zwingend voraus, dass dieSysteme in einer Art Blackbox aufzeichnen, wann dasFahrzeug vom Fahrzeugführer gesteuert wurde und wanndas System die Kontrolle innehatte .Um Unfall- oder Schadensereignisse und damit ver-bundene Haftungsfragen zu klären, ist eine Übermittlungder Daten an entsprechende Behörden oder beteiligteDritte unabdingbar . Eine solche Datenübermittlung istaber auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschrän-ken . Meines Erachtens trägt der vorgelegte Gesetzent-wurf dieser Anforderung Rechnung .Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetz-entwurf haben wir die Möglichkeit, Deutschland zumVorreiter beim automatisierten Fahren zu machen unddie dafür notwendigen Grundlagen weltweit erstmaligverkehrsrechtlich zu verankern . Das automatisierte Fah-ren wird das Reisen im Automobil sicherer, nachhaltiger,bequemer und attraktiver machen . Lassen Sie uns diesegroße Chance nutzen .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt hat als nächster
Redner Andreas Rimkus von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen undKollegen! In der Tat, wir beraten in erster Lesung einenGesetzentwurf, der besonders ist . Es ist ein besondererGesetzentwurf, weil wir etwas regeln wollen, was es indieser technischen Reife auf unseren Straßen noch garnicht gibt . Für mich jedenfalls ist es ein besonderer Ge-setzentwurf, der erste seiner Art. Umso spannender sindnatürlich auch die Diskussionen, die in Fachforen geführtwerden, und die Artikel, die wir lesen können .Aber eines ist auch klar: Die automatisierten Assis-tenzsysteme gibt es schon heute; sie sind Realität . Siesind schon heute wichtiger Bestandteil moderner Fahr-zeuge . Es gibt Systeme, die uns dabei helfen, einzupar-ken, die Geschwindigkeit zu regulieren, oder die sogarschon einen Teil der Fahrzeit alleine übernehmen . Den-ken wir an Distanzkontrollen mit Querführung; es ist al-les schon da .Innovative Unternehmen werden also immer mehrsolcher Produkte und Systeme auf den Markt bringen,die uns das Leben auf der Straße erleichtern . Im Übrigen,lieber Udo Schiefner, gilt das auch für die Logistik, undzwar, wie ich finde, ganz besonders; denn auch da kön-nen wir sehr vieles machen .Dies ruft – ich finde, zu Recht – die Politik auf denPlan; denn wir wollen gestalten. Das finde ich vollkom-men in Ordnung; denn es ist unsere Aufgabe, neue Tech-nologien in rechtssichere Bereiche zu führen und für dieHersteller, aber vor allen Dingen für die Verkehrsteilneh-menden Sicherheit herzustellen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Grundsatz gehtes darum, den Prozess zu hoch- und vollautomatisier-ten Verkehrsflüssen zu begleiten, auch wenn dieser Pro-zess natürlich noch viele Fragen aufwirft . Es ist wich-tig, diesen Weg proaktiv zu beschreiten, damit wir dashöchstmögliche Maß an Klarheit schaffen; denn wenn eskonkret wird und Unfälle passieren, können wir es nichtallein den Betroffenen überlassen, Fragen der Haftung,der Datennutzung und am Ende auch Schuldfragen zuklären . Daher brauchen wir ein deutliches Bekenntnis zurTechnologie, aber vor allen Dingen einen klaren Rahmenfür ihre Nutzung .
Es ist deswegen wichtig, schon bei der Zulassung derFahrzeuge darauf zu achten, dass möglichst klar doku-mentiert ist, was die Fahrzeuge können, aber auch, wassie noch nicht können . So lassen sich bereits heute tech-nische Barrieren einbauen, die eine missbräuchliche,nicht bestimmungsgemäße Verwendung der Technologieerschweren bzw . verhindern . Hier sollten wir bereits imGesetz klare Vorgaben zu technischen Standards machen,um den sicheren Gebrauch zu gewährleisten .Mit dem vorliegenden Entwurf bleibt der Fahrer oderdie Fahrerin zu jedem Zeitpunkt Fahrzeugführer bzw .Fahrzeugführerin. Wird jedoch ein Unfall durch einhochautomatisiertes System verschuldet, ist zu klären,inwieweit fahrende Personen haftbar gemacht werdenkönnen . Kann es sein, dass ein fehlerhaftes System denFahrer oder die Fahrerin schuldbar macht? Sollte es sein,dass ich haftbar gemacht werde, wenn ich zum Beispieldie berühmte E-Mail lese und das Fahrzeug einen Unfallbaut, obwohl es mir suggeriert, es könnte selbstständigfahren? Hier gilt es, die Nutzenden solcher Systeme zuschützen . Ich denke, dass wir dazu in der Anhörung nochsachdienliche Hinweise bekommen werden .Unfallhergänge nachzuvollziehen, funktioniert aller-dings nur dann, wenn Daten erfasst werden können; dasist doch vollkommen klar . Dies zu regeln, ist übrigensauch eine zentrale Aufgabe unseres Gesetzes . Hier mussgeklärt werden, wer warum wann was wie lange spei-chern kann oder gar muss, an wen Daten versandt werdenund wie dies organisiert wird . Auch hier hat der Bundes-rat ja Hinweise gegeben, die wir uns genauer ansehensollten . Daten sind ein wichtiger Bestandteil der Tech-nologie . Doch ihre Erfassung, Nutzung und Weiterver-arbeitung müssen klar geregelt werden . Wir werden siebrauchen, wenn wir innovativ sein wollen . Aber das kannnicht auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbrauchergehen . Hier brauchen wir einen Ausgleich, der Raum fürInnovationen schafft, herausarbeitet, welche Verantwor-tung wir haben, ohne dabei Bürgerrechte und Freiheitenzu gefährden .Deswegen ist es gut, dass das Gesetz eine Evaluationnach 2019 vorsieht, allerdings nur für den definitorischenTeil und das Nutzungsverhalten . Wir plädieren aber, weilSteffen Bilger
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es unbekanntes Territorium ist, dafür, eine Gesamte-valuation ins Auge zu fassen .
Wir haben mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen„Intelligente Mobilität fördern – Die Chancen der Digita-lisierung für den Verkehrssektor nutzen“ im letzten Jahrbeschlossen, dass wir das Zusammenspiel von Automa-tisierung und Vernetzung auf der Straße und so auch dieVorteile des automatisierten Fahrens voll ausschöpfenwollen . Dazu gehört auch die Straße des 21 . Jahrhun-derts . Diese braucht normierte Technologien .Neben klaren Regelungen zum Datenschutz und zurDatensicherheit bei der Übertragung bedarf es natürlichauch der digitalen Infrastruktur, die die Vernetzung phy-sisch ermöglicht, sowie der begleitenden Forschung undEntwicklung .Wenn wir also die Fahrzeugseite abschließend beratenhaben werden, freue ich mich auf die weiterführende Ar-beit auf der Infrastrukturseite .Ich danke fürs Zuhören .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Der letzte Redner in
dieser Runde ist der Kollege Thomas Jarzombek für die
CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kannmich noch erinnern: Wenn man als Schüler im Schul-landheim war und die Lehrer etwas nicht durchgehen las-sen wollten, war das letzte Argument, das in Deutschlandimmer funktioniert: Das ist nicht versichert . – Genau dasist eines der Probleme, die wir hier haben . Deshalb binich froh, dass wir das heute lösen – trotz einer Reihe vonWortbeiträgen, die mich im Hinblick auf die Fortschritts-tauglichkeit des Bundestages doch sehr skeptisch stim-men . Wir nehmen beim hochautomatisierten Fahrzeugdas entscheidende Argument weg, indem wir festlegen:Es ist künftig versichert .Mich persönlich ärgert es sehr, dass wir in den Medi-en ständig sehen, dass das Google-Auto in Kalifornienherumfährt und was es nicht alles für tolle Innovationengibt, dass das bei uns aber nicht abgebildet ist . Deshalbbin ich dankbar, dass wir das Testfeld auf der A 9 ha-ben – so haben wir selber ein Schaufenster für Innova-tionen – und dass wir nun selbst dabei sind, wenn auchmit hartem Ringen, ein Gesetz auf den Weg zu bringen,sodass wir nicht das 78 . Land auf der Welt sein werden,in dem hochautomatisierte Autos fahren können, sondernhier vorn sein werden .Ich hoffe ernsthaft, dass alle diejenigen, die hier vor-hin so viele Bedenken genannt haben und Risiken arti-kuliert haben,
noch die Kurve zur Innovation kriegen; denn mit dieserEinstellung würden wir heute alle noch mit dem Fahrradfahren . Ich fahre übrigens gern mit dem Fahrrad, aberselbst gewählt . Vor über 100 Jahren waren wir die Na-tion, die wirklich absolut euphorisch war, wenn es umneue Technologien ging, die Nation, in der das Auto undandere Dinge erfunden worden sind . Manchmal frage ichmich: Wo ist der Geist von damals geblieben?
– Nein . – Kollege Bartol hat dazu auch schöne Beispielegenannt . Eines davon ist diese Frage der Ethik: Wie sollsich das Auto entscheiden? Da steht links die junge Mut-ter und rechts die alte Dame . Was ist die ethisch richtigeEntscheidung, wenn das Auto nicht mehr anders kann,als jemanden umzufahren?Reden Sie mal mit Leuten, die Ahnung von Technikhaben! Bis ein Fahrzeug in der Lage sein wird, überhaupteine alte von einer mittelalten oder einer jungen Frau zuunterscheiden,
wird eine verdammt lange Zeit vergehen . Wir diskutie-ren Probleme, die es gar nicht gibt, weil ein Fahrzeuggar nicht in der Lage sein wird, solche Unterscheidungenvorzunehmen .
– Genau . Es ist ein Prozess, Kollege Bartol . Die Frage ist,ob wir heute eine Liste von 143 Problemen und Risikenmachen,
die eigentlich gar nicht lösbar sind – wir wissen, dasses gar keine Technik dafür gibt –, oder ob wir uns jetztendlich darauf konzentrieren, etwas zu machen . Ich binfür das Machen .Ich glaube, dass wir vor allem das Thema Daten an-ders beleuchten müssen, als der Kollege Kühn das geradebeschrieben hat . Die Frage ist doch: Was wird am Ende,in 10 oder in 15 Jahren, bei dem selbstfahrenden Autodas entscheidende Kriterium sein? Bei mir in Düsseldorf
werden viele Leute so ein Fahrzeug gar nicht mehr selbstkaufen . Sie werden es im Rahmen von Carsharing nut-zen, weil es auf Knopfdruck zu ihnen fährt und sie amAndreas Rimkus
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Ende auch abliefert . Man braucht gar keinen Parkplatzmehr zu suchen . Das ist doch super .Die Frage wird vielleicht sein: Muss ich das Auto mitder App rufen – dann kommt es irgendwann –, oder weißGoogle so viel über mich, dass das Google-Auto schonvor der Tür steht, wenn ich losfahren will, was ein un-glaublicher Wettbewerbsvorteil wäre?Das beschreibt exakt die Situation, die wir beim Da-tenschutz schon seit langer Zeit haben . Wer in Deutsch-land eine Firma oder ein Start-up gründet oder seinenmittelständischen Betrieb digitalisieren will, der musssich an unvorstellbare Vorschriften des Datenschutzeshalten, während bei Google und Facebook einfach allesgeht, ohne dass am Ende ernsthafte Sanktionen und Res-triktionen folgen . Man hört immer wieder neue Beispie-le, die einem die Haare zu Berge stehen lassen . Deshalbmüssen wir für Chancengleichheit sorgen und endlicheinmal aufhören, das Thema Daten nur aus der Risiko-perspektive zu betrachten .
Wir werden mit der Automobilindustrie nur erfolgreichsein, wenn wir auch bei der Datenverarbeitung die Bes-ten weltweit werden, und daran müssen wir arbeiten .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich schließe damit dieAussprache .Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/11300 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen .Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 54 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-entwicklung der haushaltsnahen Getrennter-fassung von wertstoffhaltigen AbfällenDrucksache 18/11274Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit
Innenausschuss Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Damit ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dasWort der Bundesministerin Frau Dr . Barbara Hendricks .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung hat Ihnen den Entwurf für ein neu-es Verpackungsgesetz vorgelegt . Dieser Entwurf ist einehrlicher Kompromiss, um den alle, die daran beteiligtwaren, sehr intensiv und sehr lange gerungen haben – bisjetzt, schon vor der ersten Lesung, um die es ja heutegeht . Bereits die vorherige Bundesregierung hatte sichvorgenommen, die Verpackungsverordnung weiterzuent-wickeln. Allerdings war das ein vergebliches Unterfan-gen. Wir haben das Vorhaben erneut aufgegriffen; dennes ist zweifellos überfällig .Es kann uns nicht unberührt lassen, wenn wir die Be-richte über den Plastikmüll in unseren Gewässern hören,ein Problem, das sich weltweit bis in die Arktis und indie Tiefsee immer weiter vergrößert, auch wenn wir nichtdie Hauptverursacher sind; das will ich hier gerne einräu-men. Unsere gemeinsame Verantwortung ist es aber, dassweniger Verpackungsmüll aus Plastik entsteht, dass dieunvermeidbaren Verpackungen ökologischer gestaltetwerden und dass die anfallende Menge zu einem mög-lichst hohen Prozentsatz hochwertig verwertet wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anforderungenan die Verwertung von Verpackungsabfällen sind knapp20 Jahre alt . Der Stand der Technik hat sich in dieser Zeitenorm weiterentwickelt . Wir könnten das alles heute sehrviel besser . Es geht also darum, mit dem Verpackungsge-setz die Anforderungen deutlich zu erhöhen, das heißt,die Effizienz der Wertstofferfassung zu verbessern undgleichzeitig für einen fairen Wettbewerb der Marktteil-nehmer zu sorgen . Sie alle wissen, dass wir zunächst dieIdee einer großen Lösung, eines umfassenden Wertstoff-gesetzes verfolgt haben . Hierzu war aber auch nach ei-nem längeren Dialog mit den Ländern und Kommunenkein Konsens zu erreichen . Vor einiger Zeit hat mich einKollege, der Umweltminister in einem Land und Mit-glied der Grünen ist, gefragt: Warum specken Sie das ab?Wir hatten doch vor sieben Jahren fast schon einmal eineVerständigung . – Da habe ich gesagt: Genau das ist derPunkt. Das war vor sieben Jahren, und es war „fast“. Jetztwollen wir wirklich eine Verständigung .
Deshalb habe ich also dieses Verpackungsgesetz aufden Weg gebracht, mit dem die dringendsten Reformenin Angriff genommen werden und die wesentlichen Zieleebenfalls erreicht werden können . Im Vordergrund stehendie neuen Recyclingquoten . Diese werden in zwei Stufenje nach Sektor, also je nach Müllfraktion, um es einmalso zu sagen, auf bis zu 90 Prozent steigen . Vor allem beiden Kunststoffen werden sie für einen qualitativen undquantitativen Sprung sorgen, weil sich die bisherigeRecyclingquote von bisher eher bescheidenen 36 Prozentauf dann 63 Prozent erhöhen wird .Wir setzen aber auch am anderen Ende an, bei derHerstellung. Die dualen Systeme werden verpflichtet, dieRecyclingfähigkeit von Verpackungen bei der Bemes-sung der Lizenzentgelte zu berücksichtigen . VereinfachtThomas Jarzombek
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gesagt: Was schwieriger zu recyceln ist, wird teurer, undzwar für den, der es in Verkehr bringt. Das schafft neueAnreize für ökologischere Verpackungen . Insgesamtwird das neue Gesetz dafür sorgen, dass wesentlich mehrVerpackungsabfälle hochwertig verwertet werden . Wirstärken damit unsere Position als Vorreiter . Ich bin davonüberzeugt, dass sich dies nicht nur ökologisch, sondernauch ökonomisch für die deutsche Wirtschaft auszahlt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Organisationder Einsammlung der Verpackungsabfälle bei den Haus-halten setzen wir weiterhin auf die dualen Systeme, alsoauf die Beteiligung von beiden Seiten . Ich weiß, dass esjede der beiden Seiten lieber jeweils alleine gemacht hät-te . Aber auf diese Weise ist kein Kompromiss zu erzielen .Deswegen wollen und müssen wir es weiter mit beidenSeiten machen. Allerdings werden die öffentlich-recht-lichen Entsorgungsträger deutlich mehr Einfluss- undSteuerungsmöglichkeiten erhalten als bisher .Die Kommunen können in Abstimmung mit den du-alen Systemen frei entscheiden, ob sie die sogenanntenstoffgleichen Nichtverpackungen gemeinsam mit den du-alen Systemen in einer Wertstofftonne erfassen wollen,also etwa den berühmten alten Kochtopf gemeinsam mitder Verpackung seines Nachfolgers in der Wertstoffton-ne unterbringen . Das Verpackungsgesetz legt damit dieGrundlage für eine Ausweitung der bereits in vielen Ge-bieten erfolgreich eingeführten Wertstofftonne. Es wirdalso nichts zurückgeführt, sondern es wird eine rechtli-che Basis dafür geschaffen, dass es noch mehr werdenkann, aber nicht muss, und dass vor Ort entschieden wer-den kann .Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-den Gesetzentwurf stellen wir die Weichen für eine nocherfolgreichere Verpackungsentsorgung in Deutschland .Ich gestehe Ihnen offen, ich hätte mir an einigen Stellenweiter gehende Regelungen gut vorstellen können, aberder Regierungsentwurf ist der Kompromiss zwischenden privatwirtschaftlichen Interessen der Produktverant-wortlichen auf der einen Seite und den Steuerungs- undGestaltungswünschen der Kommunen auf der anderenSeite . Das Entscheidende deshalb: Wir bleiben nichtstreitend stehen, sondern wir kommen ein paar wichtigeSchritte voran .Bevor ich Sie noch einmal um Unterstützung für denGesetzentwurf im Gesetzgebungsverfahren bitte, will ichIhnen sagen, dass Kollege Pronold eben auf der Regie-rungsbank gesagt hat: Wenn wir das verabschieden, danngehe ich wirklich wallfahren nach Altötting . – Ich habegesagt: Oder ich lade Sie nach Kevelaer ein . – Aber dieBitte um Unterstützung richtet sich nicht nur an Katholi-ken, sondern an alle .Herzlichen Dank .
Herzlichen Dank, Frau Ministerin . – Als Nächster hat
Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Abfallwirtschaft muss schon aus Hygie-negründen funktionieren . Das ist klassische kommunaleDaseinsvorsorge . Die Linke lehnt jede Privatisierung derDaseinsvorsorge ab .
Es nervt wirklich, dass ich die gleiche Rede haltenkönnte wie vor drei, zwei oder einem Jahr .
Seit es das Verpackungsgesetz gibt, stiegen die Mengenan Verpackungen Jahr für Jahr . Vermeidung ist der besteUmweltschutz, und das leistet dieses Gesetz nie.
Sie von der Koalition schwören auf Produktverantwor-tung . Welche Produktverantwortung übernehmen dennHersteller von Verpackungen, wenn sie stets die billigs-te Entsorgung wählen, wenn nicht Verpackungsvermei-dung, sondern Umsatzsteigerung das Unternehmenszielist? Welche Produktverantwortung gibt es beim Handel,der mithilfe der Dualen Systeme große Kostenbestandtei-le der Entsorgung des verkauften Verpackungsmülls denKommunen und damit den Müllgebührenzahlern auf-halst? Gleichzeitig lässt sich dieser Handel von Kundin-nen und Kunden die komplette Entsorgung bezahlen . Obdie Koalition dieses geplante Schröpfen von Kommunenund Bürgerinnen und Bürgern als Wertstofftonne oder alsVerpackungsgesetz bezeichnet, ist egal . Es ist eine Pri-vatisierung der Abfallwirtschaft und kein Umweltschutz.
Dieser Gesetzentwurf entspricht Ihrem Mantra „Privatgeht vor Staat“, „Konzernwohl vor Gemeinwohl“. Aberirgendwann müssen Sie von der Koalition endlich einmalMarktwirtschaft begreifen . In der Marktwirtschaft stre-ben Firmen immer nach Gewinn. Kein privates Unter-nehmen kann ohne Gewinne überleben . Das gilt auch inder Abfallwirtschaft oder bei der Verpackungsentsorgungder Dualen Systeme .Wenn Rewe und Edeka mit einer zweistelligen Milli-onenspritze die erst betrügerischen und dann konkursbe-drohten Dualen Systeme retten, dann machen sie das na-türlich nur als Samariter . Wenn Rewe, Procter & Gamble,Edeka und andere die Zentrale Wertstoffstelle Projektge-sellschaft über Jahre bezahlen und die Aufsicht über dieStelle führen, die sie später kontrollieren sollen, dannmachen sie das natürlich nur aus Idealismus . Wenn dieseProjektgesellschaft dann erklärt, eine privatwirtschaftli-che Lösung für die Verpackungsentsorgung sei das Beste,dann macht sie das natürlich nur für die Umwelt. Undwenn das Bundeskartellamt dann erklärt, diese privateLösung lade zu Missbrauch ein, dann ist diese Warnungfür Sie natürlich nur die Meinung von neidischen Beam-ten . Begreifen Sie den Widerspruch eigentlich, oder mussich Sie erst an den Veolia-Müllskandal in Sachsen-An-halt erinnern, wo Hausmüll unter Bauschutt gemischtwurden, oder an die illegalen Exporte gelber Säcke nachBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Tschechien oder die Elektrogeräteexporte nach Ghana,alles privat organisiert?Sie wollen mit diesem Gesetz ernsthaft Organisationund Überwachung der Verpackungsentsorgung unter dieKontrolle einer Stiftung stellen, die von den Firmen be-zahlt und beaufsichtigt wird, die für die Entsorgung zah-len sollen . Noch mal Marktwirtschaftsschule für die Ko-alition: Kostensenkung bei der Entsorgung steigert auchdie privaten Gewinne und damit die Boni der Manager .Das ist der Markt . Wer da an Selbstkontrolle glaubt, hatMarktwirtschaft nicht begriffen.
Es geht um Gewinnsteigerungen privater Konzernezulasten der Umwelt und der Kommunen. Den Kom-munen drückt dieser Entwurf Pflichten auf, und er be-schränkt ihre Entscheidungskompetenz . Ich höre schonIhre Einwände: Die Kommunen dürfen ja im Beiratmitreden . – Mitreden ja, aber eben nicht mitbestimmen!Klar können die Kommunen Auflagen zur Art und Weiseder Verpackungssammlung machen; aber die Auflagenkönnen gekippt werden, sobald sie Geld der Konzernekosten . Als Krönung gibt diese Koalition noch die Zu-griffsrechte auf Altpapier und Altglas an die privatenEntsorgungssysteme . Damit stehlen Sie von der Koali-tion den kommunalen Unternehmen die Einnahmen ausderen Verkauf .Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition greiftin Ihre Tasche . Sie müssen dann etwa 10 Euro pro Jahrund Person mehr zahlen . Denn um diese Summe steigendann die Müllgebühren, weil die Einnahmen aus Altpa-pier und Altglas fehlen . Wir Linken lehnen diese Privati-sierung, den Griff in unsere Taschen ab.
Liebe Koalitionäre, noch können wir in den Beratun-gen diese Privatisierung verhindern . Wenn Sie es mit derUmwelt ernst meinen, wenn Sie ein gutes Verpackungs-gesetz verabschieden wollen, Frau Ministerin Hendricks,dann arbeiten Sie mit den Kommunen zusammen undnicht gegen diese .
Davor entsorgen wir diesen Gesetzentwurf – in der blau-en, kommunalen Tonne natürlich .Vielen Dank .
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr . Thomas Gebhart
von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir debattieren heute das Verpackungsgesetz,das die bestehende Verpackungsverordnung ablösen undweiterentwickeln wird .Was ist eigentlich das Ziel dieses Verpackungsgeset-zes? Das Ziel besteht darin, dass Verpackungsabfälle ver-mieden werden, dass sie möglichst erst gar nicht entste-hen und dass die Abfälle, wenn sie entstehen, hinterherstofflich verwertet werden, dass sie recycelt werden.Und warum ist das so wichtig? Es ist deswegen sowichtig, weil wir nach wie vor weltweit steigende Res-sourcenverbräuche haben . Deutschland ist abhängig vonRohstoffimporten. Deswegen muss es unser Ziel sein,die Stoffkreisläufe zu schließen, eine echte Kreislauf-wirtschaft hinzubekommen, Ressourcenverbräuche zureduzieren . Es geht also um Ressourcenschonung, umUmweltschutz.Es geht aber auch um wirtschaftliche Ziele . Wir re-den hier über einen großen Markt mit vielen Unterneh-men – kleinen, mittelständischen und großen Unterneh-men; viele Tausend Arbeitsplätze sind davon abhängig .Es ist ein wachsender Markt, und viele Unternehmen inDeutschland sind in diesem Bereich Vorreiter . Sie habenTechnologien entwickelt, die weltweit als führend gelten .Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem Ver-packungsgesetz einen klugen Rahmen geben, um dieseVorreiterrolle zu stärken und fortzuentwickeln . Darumgeht es bei diesem Verpackungsgesetz .
Was ist der Kerngedanke dieses Gesetzes? Es ist inder Tat die Produktverantwortung . Was heißt das eigent-lich? Anfang der 90er-Jahre hatten wir in DeutschlandMüllnotstand, wir hatten Müllberge . Dann hatte KlausTöpfer damals die geniale Idee der Produktverantwor-tung . Er hat gesagt, alle, die in Deutschland Verpackun-gen an den Markt brächten, seien dafür verantwortlich,diese hinterher zurückzunehmen und nach bestimmtenQuoten zu recyceln. Unternehmen übernehmen alsoVerantwortung, auch für die Entsorgung ihrer Verpa-ckungen . Damit werden die Kosten für die Entsorgungder Verpackung Teil des Verkaufspreises des Produkts .Das ist die Idee . Somit werden die Entsorgungskostenzu einem Teil des Wettbewerbs, und daraus entstehen dienotwendigen Anreize für Unternehmen, für Hersteller,für Inverkehrbringer, Verpackungen einzusparen . Das istein marktwirtschaftliches Prinzip, um Umweltschutz zuerreichen . Es hat damals gewirkt – die Müllberge sindzurückgegangen –, und es ist auch heute noch das rich-tige Prinzip . Deswegen halten wir daran fest . Mit demVerpackungsgesetz stärken wir genau dieses Prinzip .
Ich will drei konkrete Punkte nennen .Erstens . Wir sorgen dafür, dass künftig mehr Verpa-ckungen in Deutschland recycelt werden müssen . DieQuoten werden angehoben: beim Glas auf 80 Prozent,später auf 90 Prozent, beim Papier auf 85 Prozent, späterauf 90 Prozent, beim Kunststoff auf knapp unter 60 Pro-zent, später auf knapp über 60 Prozent . Das ist zwar an-spruchsvoll, aber technisch machbar . Ich denke, die Bür-ger erwarten das, und zwar zu Recht .Ralph Lenkert
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Die Menschen in Deutschland trennen ihren Müll sehrsorgfältig . Wir erreichen mit diesem Gesetz, dass künf-tig mehr von dem, was im gelben Sack landet, hinter-her tatsächlich stofflich recycelt wird und weniger in derMüllverbrennungsanlage landet . Diese Entwicklung gehtgenau in die richtige Richtung .
Ein zweiter Punkt . Es gibt im bestehenden Systemdurchaus einige Schwächen: Schlupflöcher und Orga-nisationsprobleme. Deswegen schaffen wir jetzt eineschlanke zentrale Stelle, die dafür sorgen soll, dass es fai-re Wettbewerbsbedingungen gibt, die dafür sorgen soll,dass der Wettbewerb gestärkt und nicht geschwächt wird .Ein dritter Punkt . Wir halten an einer wettbewerblichorganisierten Lösung fest und stärken gleichzeitig diekommunalen Mitwirkungsmöglichkeiten . Die Rolle derKommunen wird gestärkt. Unter bestimmten Bedingun-gen können die Kommunen künftig durch Rahmenvor-gaben vorschreiben, wie die Sammlung der Kunststoffe,der Metalle und der Verbundverpackungen zu erfolgenhat, ob zum Beispiel in einem gelben Sack oder in einerTonne . Sie können Vorgaben zu den Abholrhythmen undüber die Größe der Tonnen machen . An dieser Stelle stär-ken wir deutlich die Rolle der Kommunen; das ist dasGegenteil von dem, was Herr Lenkert gesagt hat .
Meine Damen und Herren, bei einem solchen Gesetzgehen die Interessen zweifelsohne auseinander . Die ei-nen wollen höhere Quoten, die anderen wollen niedrige-re Quoten. Verschiedene Gruppen wollen Zugriff auf dieStoffströme haben. Es gibt unterschiedliche Vorstellun-gen bei der Pfandregelung . Dazu will ich nur Folgendessagen: Eine Pfandpflicht bei Weinflaschen und Sektfla-schen, so wie es die Mehrheit im Bundesrat fordert, wirdes mit uns nicht geben . Das machen wir nicht mit, weil eskeinen Sinn macht .
Die Interessen bei diesem Gesetz gehen auseinander .Es ist völlig klar: Es wird keine Lösung geben, die dazuführt, dass hinterher alle zu hundert Prozent zufriedensind . Wir könnten noch drei, vier oder fünf Jahre weiterdiskutieren: Eine solche Lösung wird es nicht geben . DasEntscheidende ist, dass der Gesetzentwurf unterm Stricheine vernünftige Balance bietet .Unterm Strich ist dieser Gesetzentwurf eine guteGrundlage für die parlamentarischen Beratungen, diejetzt folgen werden .
Wir werden uns alle Argumente nochmals gründlichansehen . Es wird eine Anhörung der Sachverständigengeben . Wir werden alles gründlich abwägen, und dannselbstverständlich über den einen oder anderen Punktsprechen, zum Beispiel über die Mehrwegquote; das istein Anliegen der mittelständischen Getränkewirtschaft .Unterm Strich ist das Verpackungsgesetz ein Fort-schritt, und es ist an der Zeit, dass wir es jetzt endlich,nach Jahren, auf den Weg bringen .
Zur Wahrheit und zur Offenheit gehört allerdings auchdies: So wichtig dieses Verpackungsgesetz ist und sosinnvoll es ist, dass wir dieses Verpackungsgesetz jetztunter Dach und Fach bekommen, so wahr ist es auch,dass das eigentliche Ziel ein Wertstoffgesetz ist undbleibt . Meine Damen und Herren, es muss doch das Zielsein, dass Verpackungen und andere Abfälle, die aus dengleichen Materialien wie diese Verpackungen bestehen,gemeinsam erfasst werden, dass diese Stoffe gemeinsamgesammelt und gemeinsam recycelt werden, also nicht:der Joghurtbecher auf der einen Seite, die Quietscheen-te und die Kunststoffschüssel auf der anderen Seite; derKleiderbügel, der mit dem Kleidungsstück verkauft wird,auf der einen Seite und der Kleiderbügel, der ohne Klei-dungsstück verkauft wird, auf der anderen Seite . Heuteist es so: Der eine Kleiderbügel gehört nach der Rechtsla-ge in den gelben Sack und wird recycelt, und der andereKleiderbügel gehört in die Restmülltonne und wird ver-brannt . Sinn macht dies nicht .Deswegen ist und bleibt es richtig: Wir brauchen einWertstoffgesetz. Wir haben aus dem Parlament hier-zu Vorschläge gemacht . Leider ist es zu diesem Gesetznicht gekommen . Ich sage aber auch ganz deutlich: Ander Union ist dieses Wertstoffgesetz nicht gescheitert. Ichwerbe ausdrücklich dafür, dass wir in der nächsten Le-gislaturperiode Mehrheiten für ein dringend notwendigesWertstoffgesetz finden.Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Peter Meiwald für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Staatsse-kretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was für einKontrast? Heute am frühen Morgen trafen sich auf Ein-ladung meines CDU-Kollegen Dr. Weiler und mir etwa30 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Un-ternehmen und Initiativen, von McDonald’s, aus demBäckerhandwerk, Tankstellenbetreiber von BP, vom Por-zellanhersteller Kahla, von der Deutschen Umwelthilfebis zur Initiative „Coffee To Go Again“, um gemeinsamgegen die Verpackungsflut im Coffee-to-go-Bereich an-zuarbeiten und für ein Mehrwegsystem auch in diesemSegment zu arbeiten . Die gemeinsame Botschaft laute-te, und zwar wirklich quer durch die Wirtschaft und dieUmweltverbände: Yes, we have to, and yes, we can! Wirmüssen den Müll vermeiden!Und dann das hier, ein an Mutlosigkeit kaum zu über-bietendes Verpackungsgesetzchen, das keinerlei AnreizeDr. Thomas Gebhart
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zur Müllvermeidung setzen wird, obwohl wir heute schonVerpackungseuropameister sind, und das insgesamt undpro Kopf . Vermeidung steht in der Abfallhierarchie vorRecycling . Leider, Frau Ministerin, haben Sie gar nichtsdazu gesagt, was dieses Gesetz zur Abfallvermeidungbeitragen kann .
Zusätzlich streichen Sie auch noch die Mehrwegquotekomplett aus dem Gesetz, anstatt deren Verfehlung, diewir seit Jahren beklagen, endlich mit Sanktionen zu be-drohen . Das ist der völlig falsche Weg . Mehrwegsystemesind bekanntlich ein wichtiges Instrument zur Müllver-meidung, und das ist das oberste Ziel der europäischenAbfallhierarchie . Der Anteil der Mehrwegverpackungenbei den Getränken sinkt seit Jahren . Die Reaktion daraufist nur: Wir streichen den Anspruch . Wir geben den An-spruch auf, statt zu überlegen, wie wir politisch daraufhinwirken können, dass dieses Ziel endlich erreicht wird .
Das verstößt klar gegen das Kreislaufwirtschaftsge-setz, letztlich auch gegen das SDG 12, gegen das zwölfteNachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, bei dem esum nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster geht .Das muss im jetzt anlaufenden parlamentarischen Ver-fahren dringend korrigiert werden. Ich hoffe, liebe Kol-leginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, dassSie uns dabei konstruktiv unterstützen werden .
Mehrweg ist nicht das einzige Problem dieses fleisch-gewordenen kleinsten Nenners einer großkoalitionärenMüllpolitik:Wir schaffen rechtliche Grundlagen zur Einführungder gemeinsamen haushaltsnahen Wertstofferfas-sung für Verpackungen und andere Wertstoffe.Sie erinnern sich? Seite 83, Koalitionsvertrag. Vielleichtschon mal gehört . Sie sagten auch: Im Sommer werdenwir ein Wertstoffgesetz vorlegen. – Gemeint war derSommer 2014 . Sie sagten – auch das im Jahr 2014 –:Nach der 7 . Novelle der Verpackungsverordnung werdenwir unverzüglich ein umfassendes Wertstoffgesetz vorle-gen . – Dies war seinerzeit das Versprechen der Bundesre-gierung, das den Bundesrat überhaupt nur dazu gebrachthat, der 7 . Novelle, die das wirtschaftliche Überleben derkollabierenden Dualen Systeme noch einmal gesicherthat, zuzustimmen .Alles das ist Jahre her und schon jahrelang bekannt .Drei Jahre später legen Sie nun nach diversen Rohr-krepierern, die selbst die Entsorgungswirtschaft simultanzu uns Grünen „ein Gesetz für die Tonne“ genannt hatte,eine Verpackungsverordnung 8 .0 vor – getarnt als Ver-packungsgesetz, das den wesentlichen Anforderungender modernen Kreislaufwirtschaft leider überhaupt nichtgerecht wird .Dabei haben doch alle Beteiligten in den letzten Jah-ren so viele gute, konkrete Vorschläge gemacht: dieUmweltverbände, die Unternehmen, eine Initiative auskommunalen Unternehmen und privaten Unternehmen,die sich GemIni nannte, der Bundesrat und nicht zuletztwir als Grünenfraktion, die wir schon 2015 einen Antrageingebracht haben .Alle diese Vorschläge lagen auf dem Präsentiertellervor Ihrer Nase. Und Sie sagen jetzt: Wir sind es eigent-lich nicht gewesen . – Keiner ist es gewesen, dass es jetztkein Verpackungsgesetz gibt . Das ist schwer zu verste-hen und schwer zu vermitteln .
Sie haben es vergeigt .Weil es innerhalb Ihrer ach so großen Koalition leidernur eine minimale Einigkeit gab, bleibt Folgendes:Erstens. Die sogenannten stoffgleichen Nichtverpa-ckungen, also die Produkte, die aus dem gleichen Ma-terial wie Verpackungen, aber eben keine Verpackungensind – die Bratpfanne, das Bobbycar, das Plastikspiel-zeug –, bleiben weiterhin von hochwertigem Recyclingausgenommen . Dabei handelt es sich aber um die glei-chen Wertstoffe. 450 000 Tonnen wertvoller Rohstoffewerden weiterhin verbrannt werden . Darauf ist schonhingewiesen worden .Zweitens . Die Abfallsammlungen vor Ort bleiben fürdie Menschen weiterhin unübersichtliche Flickenteppi-che, anstatt dass Sie die Aufgabe der Daseinsvorsorge,nämlich auch die Organisation der Müll- und Wertstoff-abfuhr, endlich in eine Hand, nämlich die kommunale,legen . Statt klarer Zuständigkeiten und mehr Transparenzgibt es weiter endlose Rechtsstreitigkeiten von Kommu-nen mit privaten Entsorgern . Das ist falsch .Drittens . Die Verbraucherinnen und Verbraucher blei-ben weiterhin maximal verwirrt, weil die meisten Aus-nahmen bei der Einwegpfandregelung bestehen bleiben .Es handelt sich aber um ein Verpackungsgesetz – wenigs-tens das – und nicht um ein Getränkegesetz . Warum mussman dort regeln, welchen Inhalt eine Flasche hat, also obdarin nun ein Nektar, ein Saft oder ein Erfrischungsge-tränk ist? Das ist weder ökologisch zu verstehen, noch istes den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln .Alles das bleibt trotz einiger kleiner Korrekturen indiesem Gesetz .Und was ist aus Ihrer Umsetzung unserer eigentlichguten Idee einer neu zu schaffenden zentralen Stellegeworden? Da kann man nur den Kopf schütteln. DasKartellamt hat in seiner Stellungnahme dazu eigentlichschon alles gesagt . Wollen Sie als Ministerium und auchals Regierungskoalition wirklich die zentrale Steue-rungsfunktion für die Zukunft aus der staatlichen Handgeben und ausgerechnet in die Hände derer legen, diemit Sortierung, Recycling und Müllvermeidung am we-nigsten etwas am Hut haben, nämlich in die Hand einerStiftung, in der die Inverkehrbringer, der Handel, die ab-solute Mehrheit haben? Ist das sinnvoll?Bevor dieses Gesetz endgültig verabschiedet wird,Frau Hendricks, sollten Sie sich doch bitte die Kritik derkommunalen Vertreter und der Umweltverbände, aberauch der Wirtschaftsverbände und der GewerkschaftNGG noch einmal zu Gemüte führen . Vielleicht schaf-fen wir es im weiteren parlamentarischen Prozess, hierPeter Meiwald
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substanziell noch etwas zu korrigieren . Ein Verpackungs-gesetz in dieser Form können wir auf jeden Fall nur ab-lehnen .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Michael Thews für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Barbara Hendricks hat bereits auf die Probleme hinge-wiesen, die dieses Gesetz in der Entstehung gehabt hat .Deswegen will ich darauf gar nicht eingehen .Ich möchte aber noch einmal darstellen, warum wirdas Ganze überhaupt machen . Wir machen das Ganze,weil wir auch die ökologische Dimension des Ganzensehen und hier vorankommen wollen – zum Beispiel mitden anspruchsvolleren Recyclingquoten, die in diesemGesetz jetzt auch wirklich einmal festgeschrieben wer-den .Eine Steigerung von 36 auf 63 Prozent bei den Kunst-stoffverpackungen bedeutet schon etwas. Das heißt, dassauch entsprechende Technologie bereitgestellt werdenmuss und dass die Firmen sich darauf einstellen müs-sen, dass bei der Sammlung, bei der Sortierung und beimRecycling wirklich Bedingungen geschaffen werden, diedies auch sicherstellen .Das können wir in Deutschland . Wir sind da schonauf einem guten Weg . Aber wir warten auch darauf, dasshier einmal etwas passiert . Viele Jahre sind jetzt ins Landgegangen . Heute sind wir endlich in der Situation, dortauch wirklich voranzukommen . Deswegen werbe ich da-für, dass man das Ganze nicht einfach beiseitelegt, son-dern es ernst nimmt und diesen Schritt auch geht .Zu den Quoten wurde gerade teilweise schon etwasgesagt. Für Glas wird die Quote von 70 auf 90 Prozentgesteigert . Für Getränkekartonverpackungen wird jetztüberhaupt erst eine Quote eingeführt.Ich kann mir auch sehr gut vorstellen – das wurdeheute ja auch schon an mehreren Stellen angesprochen –,dass wir das Thema Mehrwegquote noch einmal aufneh-men und ganz ernsthaft darüber nachdenken . Bisher wardie Mehrwegquote ein zahnloser Tiger, Herr Meiwald .Bisher hat sie nichts bewirkt .
Das heißt: Wenn wir eine Mehrwegquote einführen, dannmuss sie auch funktionieren . Sie einfach nur in das Gesetzzu schreiben, bringt nichts . Vielmehr müssen wir darübernachdenken, wie wir eine Mehrwegquote bekommen, diedann auch nachgehalten und damit entsprechend sankti-oniert werden kann .
Wir müssen aber auch bei den Verpackungen daraufachten, dass schon bei der Produktion bzw . bei der Pla-nung einer Verpackung mit berücksichtigt wird, wie Res-sourcen eingespart werden können . Damit wären wir beidem Vermeidungsgedanken bzw . dabei, wie das Recy-cling wirklich durchgeführt werden kann . Erste Ansätzegibt es in diesem Gesetz. Dies soll jetzt differenziert be-trachtet werden . Von den Systemen sollen ökologischeVerpackungen gefördert werden . Das ist erst einmal derEinstieg. Uns ist klar, dass das weitergehen muss. Wirwissen, dass es auf europäischer Ebene Initiativen gibt,die Ökodesign-Richtlinie zu verändern, um sehr frühzei-tig anzusetzen . Das bewirkt dann auch einen Innovati-onssprung beim Recycling . Das ist nötig . Den Einstiegkönnten wir jetzt mit dem Verpackungsgesetz schaffen.
Bei diesem Entwurf gibt es aber auch – das darf mannicht verhehlen – noch einige Schwachpunkte . Da-rauf möchte ich eingehen . Ich habe gestern von vielenKolleginnen und Kollegen vernommen, dass sie auchKommunalpolitiker sind, dass sie in ihrer Kommune, imKreistag und im Rat unterwegs sind. Ich finde das toll,weil man dann ja weiß, was vor Ort passiert . Ich sage:Viele bekommen in den Diskussionen in den Kommu-nen mit, dass die Bedingungen nicht überall gleich sind .Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ich eine Kommu-ne mit einem Altstadtkern, mit engen Straßen und einerschwierigen Verkehrssituation habe oder ob ich viel Platzund breite Straßen habe . Dementsprechend sind die Ab-holrhythmen organisiert, und dementsprechend sind dieFahrzeuge oder die Behälter, die dort aufgestellt werden .Das ist nicht in jeder Kommune gleich . Die Kommunal-vertreter sagen: Wir wollen das mitgestalten . Das, waswir gestaltet haben, wollen wir dann auch umsetzen . –Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass diese Ge-staltungsmöglichkeiten – ich spreche hier über § 22 desVerpackungsgesetzes – so genutzt werden können, dasswir in Zukunft eben nicht die Rechtsstreitigkeiten haben,die wir in der Vergangenheit hatten . Dort muss klar for-muliert werden .Jetzt liegen Vorschläge vom Bundesrat und von denkommunalen Spitzenverbänden auf dem Tisch . Ich ap-pelliere noch einmal an alle, darüber nachzudenken, obwir das eine oder andere noch klarstellen können, sodassdie Gestaltungsmöglichkeiten, die das Gesetz der Kom-mune einräumt, zum Beispiel beim Glas, dann auch denVorstellungen, die es dort gibt, entsprechen und dass denvorhandenen Notwendigkeiten Rechnung getragen wird .Das gilt auch für die Abfallberatung . Abfallberatungist ein ganz wichtiges Thema . Wir alle in Deutschlandhaben ja verinnerlicht, Müll zu trennen . Das ist hiereine Art Tradition . Alle haben das in der Vergangenheitgelernt; aber wir müssen dafür sorgen, dass auch dienächste Generation das versteht . Denn gerade die Ab-Peter Meiwald
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falltrennung und der vernünftige Umgang mit Abfällensind für Recycling und für Ressourcenschutz absoluterforderlich . Deswegen ist ganz wichtig: Es muss dabeibleiben, dass die Abfallberatung in den Kommunen statt-findet und dass sie vernünftig finanziert wird. Vielleichtsollten – das sage ich auch mit Blick auf die Dualen Sys-teme – einmal größere Kampagnen gefahren werden, so-dass dieser Bereich nicht vernachlässigt wird und auchdie nächste Generation Abfälle trennt .Ich bin überzeugt, dass der vorliegende Gesetzent-wurf Verbesserungen für alle Seiten bringen kann: fürdie kommunale Seite, für die Bürgerinnen und Bürger,aber auch für die Privatwirtschaft . Einige entscheidendeVerbesserungen fehlen noch, damit wir dem Gesetz zu-stimmen können . Ich vertraue aber darauf, dass wir dasim parlamentarischen Verfahren hinbekommen .
Lassen Sie uns auf den letzten Metern durchs Ziel fah-ren, diesmal nicht mit einem Rennwagen, sondern einemMüllfahrzeug .Vielen Dank und ein schönes Wochenende .
Die Kollegin Dr. Anja Weisgerber hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Seit 13 Jahren betreibe ich auf verschiedenenEbenen, im Europaparlament und hier im DeutschenBundestag, Umweltpolitik. Ich muss sagen: Das Wert-stoffgesetz bzw. Verpackungsgesetz ist eines der schwie-rigsten Gesetzgebungsvorhaben für mich in dieser Zeit .Auch wenn wir heute nicht über ein Wertstoffgesetz, son-dern über ein Verpackungsgesetz diskutieren, so bringtauch dieses Gesetz einige wichtige Fortschritte .Die Recyclingquoten werden erhöht . Die DualenSysteme, die für die Sammlung der Verpackungsmate-rialien verantwortlich sind, werden verpflichtet, die Be-teiligungsentgelte stärker an ökologischen Kriterien zuorientieren . Eine neue zentrale Stelle soll einen fairenWettbewerb zwischen den Dualen Systemen und allenbetroffenen Marktteilnehmern sicherstellen.Gerade durch die erhöhten Recyclingquoten werdenwertvolle Rohstoffe zurückgewonnen und dem Stoff-kreislauf wieder zugeführt . Dies ist aus Sicht des Res-sourcenschutzes sehr, sehr positiv . Das, meine Damenund Herren von der Opposition, sollten auch Sie einmalanerkennen .Die Kommunen sind in diesem gesamten Umfeld dieAnsprechpartner der Bürgerinnen und Bürger bei derAbfallentsorgung . Funktioniert bei der Abfallentsorgungetwas nicht, greifen die Bürger zum Telefonhörer undrufen bei den Kommunen an . Egal ob die Kommunenzuständig sind, wie im Fall des Hausmülls, oder nicht,wie im Fall der Verpackungsabfälle aus Plastik und Me-tall, die Kommunen werden angerufen . Derzeit ist es so,dass sich eine Kommune mit einem Dualen System hin-sichtlich der Entsorgung der Verpackungsabfälle einigenmuss . Das hat in der Vergangenheit in der Praxis oft zuProblemen geführt . Deshalb wollen wir die Kommunenstärken und ihnen mehr Gestaltungsmöglichkeiten ge-ben .Nach dem Verpackungsgesetz können die Kommu-nen in einer Abstimmungsvereinbarung festlegen, obdie Verpackungsmaterialien über ein Holsystem oderüber Wertstoffhöfe gesammelt werden. Die bewährtenSammelstrukturen bzw . Sammelsysteme der Kommunenkönnen erhalten bleiben; das ist eine ganz wichtige Bot-schaft . Die Kommunen können dann auch sagen, wel-che Größe der Behälter hat, von welcher Art er ist, obsie einen Sack oder eine Tonne wollen, und sie könnenauch die Abholintervalle festlegen . Damit stärken wir dieRechte der Kommunen . Das wird dazu beitragen, dassdie Sammlung der Verpackungsmaterialien letztendlichbestmöglich auf die Hausmüllsammlung abgestimmtwerden kann. Auch das ist ein wichtiger Nebeneffekt.Meine Damen und Herren, wir werden in den kom-menden Wochen gemeinsam mit den Vertretern allerSeiten darüber diskutieren, ob die im Gesetz enthaltenenFormulierungen rechtssicher sind und den Kommunenwirklich weiterhelfen . Allerdings dürfen wir den Wett-bewerb nicht einschränken . Wir müssen ihn weiterhinerhalten . Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt .Auch an einer anderen Stelle werden wir die Rechteder Kommunen stärken . Für den Fall, dass ein DualesSystem der Verabredung nicht nachkommt, wollen wirdie Kommunen mit wirkungsvollen Durchgriffsrechtenausstatten . Werden beispielsweise gelbe Säcke nicht ab-geholt oder wird eine gelbe Tonne nicht geleert, kanndie Kommune sogar zur Ersatzvornahme greifen und einanderes Unternehmen beauftragen. Die dadurch entste-henden Kosten müssen dann von dem entsprechendenDualen System getragen werden . Denn, meine Damenund Herren, wer seine Hausaufgaben nicht richtig macht,muss eben nachsitzen und wird in diesem Fall auch zurKasse gebeten .Es war und ist uns ein Herzensanliegen, den Kom-munen mehr Einflussmöglichkeiten zu geben. Ich habe,glaube ich, gerade sehr ausführlich dargestellt, dass wirdas auch tun . Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: EineRekommunalisierung der gesamten Abfallentsorgungmit dem Ziel einer mittelfristigen – das ist ja das eigent-liche Ziel, das dahintersteht – Abschaffung der DualenSysteme, wie es die grünen Umweltminister der Ländergefordert haben, wollen wir nicht .
An vielen Stellen der Abfallentsorgung sind mittel-ständische Betriebe aktiv, mit denen viele Kommunenübrigens hervorragend zusammenarbeiten . Diesen Mit-telständlern würden wir mit einer kompletten Rekom-Michael Thews
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munalisierung die Grundlage entziehen . Wir wollen einfaires Miteinander zwischen den Kommunen und derEntsorgungswirtschaft durch die Vorgabe eines klarenRahmens und durch Spielregeln, die dann auch in derAbstimmungsvereinbarung festgelegt werden .Neben der Stärkung der Kommunen ist mir die Ab-fallvermeidung generell – sie wurde bereits angespro-chen – ein weiteres Anliegen . Deshalb hat es mich auchüberrascht – ich muss das so deutlich sagen, Frau Um-weltministerin –, dass das Bundesumweltministeriumdie derzeit geltende verpflichtende Mehrwegquote von80 Prozent ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen hat; denntun wir dies, führen wir die ganze Diskussion über Ein-weg und Mehrweg ad absurdum . Deswegen würde ichmir schon wünschen – ich möchte das an dieser Stelle sodeutlich sagen –, dass wir die Quote wieder ins Gesetzaufnehmen . Ich setze mich dafür ein .
Ich sage aber – da stimme ich dem Kollegen Thewszu –, dass wir dann auch überprüfen müssen, ob die Quo-te erreicht wird . Wird sie nicht erreicht, müssen wir aufder Basis von Ökobilanzen Konsequenzen ziehen .
Als heimatverbundene Fränkin aus einer Weinregi-on möchte ich noch auf ein letztes Thema zu sprechenkommen . Dieser Punkt ist auch in der Stellungnahmedes Bundesrates enthalten, und es wurde schon ange-sprochen: Der Bundesrat fordert, die Pfandpflicht nichtmehr am Produkt, sondern am Verpackungsmaterial zuorientieren . Dies lehnen wir entschieden ab, und ich sageIhnen auch, warum: Aufwand und Nutzen stünden in kei-nem angemessenen Verhältnis .Ich kann Ihnen das auch sehr gut an einem Beispielaus meiner Heimatregion erklären:Die Weintradition lebt von der unverwechselbarenFlaschenform . Bei mir in Franken ist es eben die bauchi-ge Flaschenform, der sogenannte Bocksbeutel . – Ichhabe ihn im Europäischen Parlament übrigens auch malgerettet und dafür gesorgt, dass der europäische Schutzfür diese Flasche erhalten bleibt .
– Ja, ich war das, genau .
Würden Weinflaschen bepfandet werden, könnten sieüberall abgegeben werden . Was will ein Winzer aus derPfalz mit diesem Bockbeutel anfangen, in dem nur Weinaus dem Anbaugebiet Franken abgefüllt werden kann?Für ihn ist die Flasche vollkommen unbrauchbar, und ermuss sie umständlich nach Franken transportieren . Daswürde der Umwelt unter dem Strich gar nichts bringen.Damit habe ich Ihnen das am Beispiel von Frankenerklärt .
Kollegin Weisgerber, so hochinteressant das auch ist,
aber bitte setzen Sie einen Punkt .
Ich komme zum Schluss . – Das Verpackungsgesetz
befindet sich auf der Zielgeraden. Lassen Sie uns ge-
meinsam mit den Kommunen, der Wirtschaft, den Um-
weltverbänden, den Verbrauchern und den Bundeslän-
dern über die Ziellinie gehen und den Gesetzentwurf
verabschieden – für höhere Recyclingquoten, für eine
Stärkung der Kommunen und für einen funktionierenden
Wettbewerb .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11274 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeord-
neten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid
Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehr-
bedarf anerkennen
Drucksachen 18/10283, 18/11434
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Paschke für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! KurtSchumacher hat einmal gesagt: „Politik beginnt mit demBetrachten der Wirklichkeit.“
Die Wirklichkeit ist: Die wenigsten Menschen suchen essich aus, ihre Kinder alleine zu erziehen .Dr. Anja Weisgerber
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Viele von uns kennen die Situation, dass die Gemein-samkeiten in einer Partnerschaft irgendwann auch ein-mal aufgebraucht sein können . Dann ist eine Trennungder beste Weg für alle Beteiligten – auch für die Kinderübrigens . Die meisten Eltern wollen ihre Kinder jedochtrotzdem gemeinsam erziehen und regelmäßig Kontaktzu ihnen haben . Wenn man in dieser ohnehin schwieri-gen Situation auch noch auf Grundsicherung angewiesenist, dann beginnen die Probleme; denn die Rechtslage istkompliziert und fördert eher den Zwist als den notwendi-gen Zusammenhalt der Eltern .
Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts muss imZweifel stunden- oder tageweise nachgewiesen werden,bei welchem Elternteil sich das Kind aufgehalten hat .
Dementsprechend wird dann das Sozialgeld des Kindesgekürzt und, falls beide Eltern in der Grundsicherungsind, dem Expartner zugerechnet . Ich habe Bescheide ge-sehen, die 200 Seiten dick waren . Das ist zum einen – mitVerlaub – totaler Unsinn und führt zum anderen häufigzum Streit .
Das müssen wir weder den Kindern noch den Eltern undauch nicht den Mitarbeitern in den Jobcentern antun .Deshalb hat die SPD bei den Verhandlungen zum Gesetzzur Rechtsvereinfachung im SGB II und auch zum Re-gelbedarfs-Ermittlungsgesetz vorgeschlagen, einen Um-gangsmehrbedarf in drei Stufen einzuführen – einfachfür die Eltern und das Jobcenter und gut für die Kinder .Dieser aus meiner Sicht gute Vorschlag ist leider am Fi-nanzministerium und an der Union gescheitert.
Im Vergleich zu anderen Ausgaben ging es hier geradeeinmal um 60 Millionen Euro, wohlgemerkt: bei einemHaushaltsvolumen von 19,2 Milliarden Euro für dieGrundsicherung .
Wer, wenn nicht die Kinder und deren Eltern, die Hilfebenötigen, sollte im Mittelpunkt der Politik stehen?
Ich bekomme einen dicken Hals, wenn ich manche Kol-leginnen und Kollegen in Sonntagsreden über Kinderund Familien als unsere Zukunft reden höre . Bei einigenliegen nämlich das Reden und das Handeln so weit aus-einander, dass mir glatt die Luft wegbleibt .
– Das war jetzt etwas Grundsätzliches zum Thema. Unddass mir manchmal die Luft wegbleibt, passiert mir lei-der häufig bei den Kolleginnen und Kollegen unseresKoalitionspartners;
denn wir hätten das Problem schon lösen können .
Nun aber zum Antrag . Auch dazu muss ich etwassagen . In der Analyse werden leider zwei Bereiche ver-mischt, die für sich gesehen gar nicht so falsch sind, abernichts direkt miteinander zu tun haben . Die Armutsge-fährdung Alleinerziehender können wir nämlich nichtmit dem Umgangsmehrbedarf bekämpfen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von den Linken, sondern mit gu-ten Angeboten zur Kinderbetreuung, gleichen Bildungs-chancen, Qualifizierung und Weiterbildung der Elternund vor allem mit guter und gut bezahlter Arbeit .
Der Umgangsmehrbedarf soll die zusätzlichen Bedürf-nisse der Kinder decken, wenn sie sich beim anderenElternteil befinden. Das reicht vom Spielzeug über dieZahnbürste bis hin zum Zoobesuch . Dabei macht es aberschon einen Unterschied, ob der Aufenthalt einen Tagoder fünfzehn Tage im Monat dauert. Deshalb finde ichdie von Ihnen vorgeschlagene Pauschalierung zu grob .
Sie schafft auch neue Ungerechtigkeiten; denn sie würdezusammenlebende Paare mit Kindern schlechterstellen .Ich wage für den letzten Tagesordnungspunkt heuteeine Prognose: Wenn man die Reden verfolgt, wird manfeststellen, dass fast alle das gleiche Ziel formulieren,nämlich diejenigen zu unterstützen, die das Beste für ihreKinder wollen . Liebe Kolleginnen und Kollegen – dasrichte ich an alle Fraktionen –, wenn das ernst gemeintist, können wir noch in dieser Legislaturperiode mit allenFraktionen eine gemeinsame Regelung schaffen.
Markus Paschke
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Die SPD wird auf jeden Fall nicht lockerlassen und sichweiter für diejenigen einsetzen, die sich gemeinsam umihre Kinder sorgen und kümmern wollen .Danke schön .
Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Frak-
tion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Lin-ke wollen, dass alle Kinder einen guten Start ins Lebenhaben. Wir wollen Kinderarmut abschaffen, damit alleKinder frei von Armut groß werden können .
Heute stellen wir eine Maßnahme zur Abstimmung, diedie Situation von Kindern verbessert, deren Eltern ge-trennt leben und beide auf Hartz-IV-Leistungen angewie-sen sind. Es geht um den Umgangsmehrbedarf.Die aktuelle Hartz-IV-Praxis sieht Folgendes vor:Kinder, deren Eltern auf Hartz-IV-Leistungen angewie-sen sind, bekommen den Kinderregelsatz . Wenn beideElternteile getrennt leben, muss der aufgeteilt werden . –Wie soll das in der Praxis ablaufen? Versetzen Sie sichdoch einmal in die Situation von Leuten, die sowieso je-den Euro umdrehen müssen und deren emotionale Situa-tion womöglich angespannt ist, und die sollen dann auchnoch den geringen Regelsatz aufteilen .Neunmalkluge Bürokraten haben vorgeschlagen, dassdie Eltern genau dokumentieren sollen, bei wem dasKind welche Mahlzeit einnimmt . Das ist doch total wirk-lichkeitsfremd .
Wenn Klein-Lotta abends beim Vater eine Käsestulleisst, aber nach der Busfahrt zu Hause bei der Mutter sagt:„Du, ich habe schon wieder Hunger“, dann sagt doch kei-ne Mutter: Tut mir leid, der Anteil für das Abendbrot istschon von deinem Vater verbraucht worden . – Die Be-dürfnisse von Kindern, auch der Appetit von Kindern,richten sich nicht nach den kleinkarierten Berechnungenvon Bürokraten. Es ist also höchste Zeit für einen Um-gangsmehrbedarf .
Wenn die Eltern getrennt leben und die Kinder zu bei-den Elternteilen Kontakt haben, fallen Mehrkosten an .Erstens fallen höhere Fahrt- und Kommunikationskostenan. Zweitens gibt es fixe Kosten wie Versicherungs- undVereinsbeiträge; außerdem sind Ansparungen für Haus-haltsgeräte vorzunehmen . All diese Kosten fallen nichtweg, nur weil das Kind gerade beim Vater bzw . bei derMutter ist . Drittens: Wer den Alltag mit Kindern direkterlebt, weiß, dass man bei ihnen auf alle Eventualitätenund auch Witterungsbedingungen eingestellt sein muss .Bei Regen braucht man Gummistiefel, weil Kinder gernein Pfützen springen . Zwei Paar Gummistiefel sind im ein-fachen Kinderregelsatz nicht drin . Das heißt, man mussjedes Mal, wenn das Kind zum Papa fährt, die Gummi-stiefel einpacken . Dabei bleibt es aber nicht . Man brauchteine Matschhose, einen Regenmantel, eine Badehose, ei-nen Bademantel und Badelatschen . Außerdem benötigtman eine Wärmflasche, wenn das Kind Bauchschmerzenhat . Auch braucht das Kind Turnschuhe, wenn es in derFreizeit kicken will . Es braucht Sportsachen und so wei-ter und so fort . Der Rucksack, den man dem Kind jedesMal mitgibt, muss wirklich groß sein . Kinder, deren El-tern getrennt leben und arm sind, haben schon ein großesPäckchen durch das Leben zu tragen . Wie groß soll denn,bitte schön, der Rucksack sein, den sie den Kindern jedesMal aufladen müssen, wenn diese zum anderen Elternteilfahren?
Kurzum: Beim Umgangsmehrbedarf handelt es sichmeiner Meinung nach um eine Selbstverständlichkeit .Ich habe mich wirklich gefragt, warum Sie von der Uni-on den so verbissen blockieren . Erst habe ich gedacht:Okay, die sind so knauserig, weil sie an der schwarzenNull hängen . – Dann aber tagte die NATO, und man be-schloss, dass mehr Geld für Rüstung ausgegeben werdenmuss: 25 Milliarden Euro . Sogar Herr Schäuble sagtegroßzügig, da sei schon was drin, das sei möglich . Essind 25 Milliarden Euro im Jahr für Panzer drin, aberrund 100 Euro im Monat für Kinder nicht . Das könnenSie mir doch nicht weismachen!Als ich das Protokoll über die erste Diskussion hier imBundestag zu diesem Thema gelesen habe, fielen mir dieaggressiven Zwischenrufe aus Ihren Reihen bei der Redemeiner Fraktionskollegin Hupach auf .
Aus den Reihen der CDU hieß es da – jetzt zitiere ich –:Das Versagen der Eltern ist für Sie eine Entschuldi-gung, dass wir mehr Geld ausgeben!Sie, die CDU-Männer, sprachen vom Versagen der El-tern . Ich habe mir das nicht ausgedacht . Das kann man imPlenarprotokoll vom 2 . Dezember 2016 nachlesen .Wie kann man denn bei getrennt lebenden Eltern, beiAlleinerziehenden überhaupt an das Wort „Versagen“denken? Wer selbst erlebt hat, wie schwer es ist, einensicheren Kitaplatz zu bekommen, wer weiß, dass Kinder-krankheiten alle beruflichen Planungen über Nacht überden Haufen werfen können, wer erlebt hat, dass Kinderjust in der Nacht nicht durchschlafen können, wo dieEltern den Schlaf selber besonders nötig hätten, wer diegroßartige und zugleich tiefe Erschöpfung nach einemgelungenen Kindergeburtstag kennt, der kann doch nichternsthaft die Wörter „Alleinerziehende“ und „Versagen“Markus Paschke
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in einem Satz erwähnen . Ich habe all diese wunderschö-nen und manchmal auch sehr anstrengenden Momenteaus dem Leben mit einem Kind sehr intensiv kennenge-lernt .
Und ich kann nur sagen: Hut ab vor allen Ein-Eltern-Fa-milien! Hut ab vor allen Alleinerziehenden! Ihr leistetGroßartiges!
Die Einzige, die hier versagt, ist die Regierungskoaliti-on. Die Einzigen, die hier versagen, sind die Union undleider auch die SPD, weil sie es nicht schaffen, die Lagevon Kindern, deren Eltern in Hartz IV sind und getrenntleben, deutlich zu verbessern .Wenn ich mir Ihre Zwischenrufe so anschaue, danndenke ich manchmal: Kann es sein, dass Sie tief in IhremHerzen Menschen, die in einer solchen Notsituation sind,einfach verachten?
– Wenn Sie sich so aufregen, sage ich Ihnen: Sie von derCDU können heute das Gegenteil beweisen und klarma-chen, dass Ihnen die Situation von Alleinerziehendenbzw . getrennt lebenden Eltern nicht egal ist, indem Sieunserem Antrag einfach zustimmen . Das wäre eine prak-tische Maßnahme, um die Situation von Kindern, derenEltern arm sind, zu verbessern .Vielen Dank .
– Arbeiten Sie an Ihren Beschlüssen und am Abstim-mungsverhalten .
Kleinen Moment mal!
– So, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort . Es liegt in der Natur der Sache, dass ich
jetzt der nächsten Rednerin das Wort erteile . Sollte es
Bedarf an weiterem Disput geben, dann sieht unsere Ge-
schäftsordnung auch dafür entsprechende Formate vor .
Nun hat aber die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte das Ganze nun etwas unaufgeregter vortra-gen . Einig sind wir uns, Frau Kipping: AlleinerziehendeMütter und Väter leisten viel . Ihr Antrag gibt uns heutedie Möglichkeit, einmal aufzuzeigen, wie die Bundesre-gierung Alleinerziehende unterstützt und entlastet . Wirsind uns auch einig, dass wir uns für die Lebenssituationvon Kindern starkmachen müssen. Für uns in der CDU/CSU ist klar, dass wir Eltern – Väter wie Mütter – unter-stützen . Aber wir sagen gleichzeitig auch: Wir nehmenEltern die Verantwortung nicht ab, egal ob sie alleinewohnen oder ob sie gemeinschaftlich wohnen . Dafürsteht unsere Politik .
Da wir uns dem Thema Alleinerziehende aus eineranderen Sicht nähern, erlauben Sie mir einige Vorbemer-kungen . Im Rahmen einer modernen und zukunftswei-senden Familienpolitik orientiert sich die Bundesregie-rung an der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie schafftdie Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Fami-lie und Beruf und bietet damit auch Perspektiven für eineeigenständige Lebensgestaltung. Die Koalition schafftgute Rahmenbedingungen für Eltern, egal welches El-ternmodell gelebt wird . Was haben wir allein in dieserLegislaturperiode auf den Weg gebracht! Der Entlas-tungsbetrag für Alleinerziehende wurde erhöht .
Der Kinderzuschlag wird aufgestockt . Wir haben wei-terhin in den Ausbau der Kinderbetreuung massiv in-vestiert . Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass dieKitaöffnungszeiten erweitert werden. Die Vereinbarkeitvon Familie und Beruf ist heute aus unterschiedlichenGründen ein ganz wichtiges Thema .Ich füge noch einen Gedanken hinzu. Für viele Unter-nehmen in meinem Wahlkreis in Südwestfalen ist klar:Nicht nur die Familien profitieren von einer verbessertenBetreuungsinfrastruktur . Gut ausgebildete Frauen undMänner sind wichtig für die Unternehmen; das wissendie Unternehmer. Sie bieten daher nicht nur eine flexi-ble Arbeitszeitgestaltung, sondern auch flexible Aus-bildungsmodelle . Ausbildung in Teilzeit zum Beispielkommt der ganzen Familie oder dem Einzelnen bzw . denAlleinerziehenden zugute . Der Kollege Paschke hat esbereits erwähnt: Es geht darum, weiterhin in Ausbildungund Qualifizierung zu investieren.Warum erwähne ich das alles? Sie können den Ein-druck haben, als hätte das nichts mit Ihrem Antrag zu tun .Wir haben beim Thema Alleinerziehende mehrere As-pekte im Blick . Wir spielen Menschen nicht gegeneinan-der aus . Es gibt Alleinerziehende, die im SGB-II-Leis-Katja Kipping
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tungsbezug sind . Es gibt aber auch Alleinerziehende, diein Vollzeit oder in Teilzeit beschäftigt sind
und ihren Lebensunterhalt bestreiten oder Aufstockungdurch die Grundsicherung erfahren . Ja, wir müssen alleAlleinerziehenden im Blick haben, auch die Alleinerzie-henden, die wirklich alleinerziehend sind und jeden Mor-gen den Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuungmachen . Wir sollten diese Gruppen nicht gegeneinanderausspielen . Jede Gruppe der Alleinerziehenden hat esverdient, dass wir in gleicher Weise an sie denken .
Kollegen der Linken, Ihr Antrag erweckt wieder ein-mal den Eindruck, als habe die Bundesregierung diePersonengruppe der Alleinerziehenden, welche im SGB-II-Bezug sind, nicht richtig im Blick . Dabei bildet dasSGB II die besondere Förderung von Alleinerziehendenab . Dazu drei Punkte: Wir haben nicht nur einen grund-sätzlichen Mehrbedarf und eine Entlastung in den soge-nannten temporären Bedarfsgemeinschaften zu verzeich-nen . Vielmehr erstatten wir schon heute angemesseneKosten der Heizung und der Unterkunft. On top erstattenwir die zusätzlichen durch das Umgangsrecht bedingtenFahrtkosten .Wenn ich mir im Jobcenter vor Ort die verschiede-nen Leistungsempfänger unter den Alleinerziehenden imRechtskreis des SGB II anschaue, dann stelle ich fest,dass jeder Fall völlig individuell ist . Es gibt Fälle, beidenen die getrennt lebenden Eltern in einer Stadt oder inbenachbarten Städten wohnen . Es gibt aber auch Fälle,bei denen ein Elternteil in Nordrhein-Westfalen lebt –ich komme aus Nordrhein-Westfalen – und der andere inNiedersachsen . Dabei entstehen hohe Kosten für Fahrtenund Unterkunft am Wochenende. Manchmal geht es auchdarum, dass ein Elternteil gar nicht in der Lage ist, sel-ber zum Kind zu fahren, der Vater bzw . die Mutter alsomit dem Kind von dem gemeinsamen Wohnort zu demdes anderen Elternteils fährt . Das ist ein bunter Straußan Möglichkeiten, die alle individuell berücksichtigtwerden, und das ist richtig und gut . Deshalb sagen wir:Die individuelle Betrachtung und Erstattung, wie ich esbeispielsweise anhand der Fahrtkosten ausgeführt habe,bietet mehr Vorteile für die Betreffenden als ein pauscha-liertes Abrechnungsverfahren .
Aus diesen individuellen Berechnungen für einen er-höhten Mehrbedarf kann man folgern – auch das gehörtzur Wahrheit –, dass Alleinerziehende schon heute mehrLeistungen erhalten als zum Beispiel Paare in der Grund-sicherung .
Aus den genannten Gründen kann ich viele Argumen-te und Schlussfolgerungen, die Sie, Frau Kipping, hiervorgetragen haben und die in Ihrem Antrag stehen, nichtnachvollziehen . Bei uns steht ein anderer Ansatz im Vor-dergrund,
nämlich Hilfe zur Selbsthilfe . Mit diesem Ansatz kön-nen wir viel mehr erreichen, auch langfristig mehr . Wirstärken die Menschen . Wir wollen die Menschen durchMaßnahmen unterstützen,
wir wollen Anreize schaffen, damit es den Alleinerzie-henden ermöglicht wird, unabhängig von sozialen Trans-ferleistungen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zugehen .
Dazu gehören – ich führe noch einmal den Gedanken desKollege Paschke aus – arbeits- und ausbildungspolitischeMaßnahmen für Alleinerziehende,
Kinderbetreuung und auch der Ausbau der Kinderbe-treuung . Hier können und werden wir weiter passgenauinvestieren .
Liebe Kollegen von der Linken, Sie werden dem An-liegen der Kinder nicht gerecht, wenn Sie ausschließlichaus der Bedürftigkeitssicht der Eltern argumentieren;denn der Unterhalt steht zunächst einmal den Kindern zu.
Kollegin Voßbeck-Kayser, gestatten Sie eine Frage
oder Bemerkung der Kollegin Kipping?
Nein, ich möchte den Gedanken gerne zu Ende brin-gen . – Noch einmal: Es geht nicht, aus der Bedürftig-keitssicht der Eltern zu argumentieren . Für uns, für dieCDU ist nicht das Festsetzen von Leistungsbezügen imSGB II der richtige Ansatz, sondern die Hilfe zur Selbst-hilfe .Dass wir die Kinder und die Eltern unterstützen müs-sen, dass der Unterhalt für die Kinder gesichert seinmuss, darin sind wir uns alle einig . Der Staat hilft undunterstützt. Auch mit dem Gesetzentwurf zum Unter-haltsvorschuss sind wir auf dem richtigen Weg .Christel Voßbeck-Kayser
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Zusammengefasst kann ich nur sagen: Wir nähern unsdem Thema aus einer anderen Sicht. Ich finde, es müssenmehrere Argumente und Aspekte berücksichtigt werden .Von daher wird es Sie nicht wundern, wenn wir Ihrenheute vorliegenden Antrag ablehnen .
Das Wort hat der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will noch einmal sagen, worum es geht . Es geht hier
um die Kinder, die in zwei verschiedenen Haushalten
aufwachsen, weil die Eltern getrennt voneinander leben .
Es geht um deren Existenzminimum, das durch die ge-
genwärtigen Leistungen nicht abgesichert ist . Wenn ein
Kind in zwei Haushalten lebt – die Kollegin Kipping
hat das eben an einigen Beispielen plastisch deutlich ge-
macht –, dann entstehen höhere Kosten . Im Steuerrecht
gibt es einen Steuerfreibetrag für doppelte Haushaltsfüh-
rung . Für Kinder, die im Hartz-IV-Bezug leben, gibt es
kein entsprechendes Gegenstück, um diesen Mehrbedarf
zu decken . Das wäre unbedingt notwendig .
Ich kann hier die Position der Union überhaupt nicht
verstehen; denn es geht darum, das Existenzminimum
der Kinder zu decken, und das möglichst unbürokratisch .
Eigentlich sollte es doch auch im Interesse der Union
sein, das zu erreichen .
Nun zur SPD . Es geht hier um einen unbürokrati-
schen Vorschlag . Der Vorschlag, den die Linke in ihrem
Antrag macht – wir haben ihn schon im letzten Jahr in
zwei Anträgen formuliert, sowohl im Bereich Rechts-
vereinfachungen als auch hinsichtlich des Regelsatzes;
es gab schon zweimal die Möglichkeit, entsprechende
Regelungen einzuführen –, ist genau der richtige Weg:
Die Person, die die Kinder überwiegend betreut, soll den
Regelsatz bekommen, und zwar in voller Höhe, unabhän-
gig davon, ob das Kind einmal ein paar Tage bei dem
Elternteil ist, der das Kind nicht überwiegend betreut .
Der andere Elternteil soll einen pauschalen Umgangs-
mehrbedarf geltend machen können . Die Linken schla-
gen hierfür 50 Prozent des Regelsatzes vor . Das ist eine
vernünftige Größenordnung . Das wäre eine ganz unbü-
rokratische, einfache Regelung, die man heute per Be-
schluss einführen könnte .
Ich will noch einmal sagen: Um Armut zu bekämp-
fen, reicht das natürlich nicht aus . Es geht darum, das
Existenzminimum für diese spezielle Gruppe zu decken .
Zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzmini-
mums fordert eigentlich sogar die Verfassung auf . Dazu
gehört das Existenzminimum von Kindern, auch wenn
die Eltern, ob verschuldet oder nicht verschuldet, ge-
trennt leben . Das ist ein Grundrecht der Kinder, dem wir
nachkommen müssen . Wenn wir Kinderarmut bekämp-
fen wollen, dann braucht es natürlich viel mehr . 20 Pro-
zent Kinderarmut in Deutschland sind definitiv zu viel.
Auch das müssen wir angehen .
Wir Grünen haben an dieser Stelle einen Vorschlag
vorgelegt . Wir sagen: Wir brauchen eine Kindergrundsi-
cherung in Höhe des höchsten Regelsatzes . Diese Grund-
sicherung muss einkommensunabhängig sein und für alle
Kinder gelten . Für Menschen mit geringem Einkommen
brauchen wir einen einkommensabhängigen Kindergeld-
bonus, der das sächliche Existenzminimum abdeckt .
Außerdem brauchen wir eine Neuberechnung und Anhe-
bung der Kinderregelsätze . Mit diesem Dreiklang können
wir das Existenzminimum für alle Kinder in Deutschland
vernünftig absichern und Kinderarmut effizient und un-
bürokratisch bekämpfen .
Das ist das, was jetzt ansteht . Geben Sie sich also ei-
nen Ruck, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
aber vor allen Dingen von der Union! Lassen Sie uns mit
dieser kleinen Gruppe anfangen; sie ist besonders betrof-
fen . Lassen Sie uns das Existenzminimum der Kinder,
deren Eltern getrennt leben, durch einen Umgangsmehr-
bedarf decken! Stimmen Sie dem Antrag der Linken zu!
Vielen Dank .
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr . Fritz
Felgentreu das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das gan-ze Haus ist sich, glaube ich, darin einig, dass Alleiner-ziehende im Vergleich zu Elternpaaren ganz besondereAufgaben meistern und auch mit zusätzlichen Kostenfertigwerden müssen . Noch teurer wird das Leben für sie,wenn die getrennt lebenden Eltern eines Kindes beide denAnspruch haben, sich um ihr Kind liebevoll zu kümmernund ihm ein echtes Zuhause zu bieten, egal ob es sichgerade beim Vater oder bei der Mutter aufhält . Genaudann entstehen zusätzliche Kosten etwa für ein zweitesKinderzimmer, für Kleidung, für Vereine, für kulturellesAngebot und, und, und . Diese alltäglichen Sorgen wer-den für die Solidargemeinschaft allerspätestens in demMoment eine Herausforderung, in dem mindestens derHaushalt, in dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat,von Transferleistungen abhängig ist . Meistens geht es da-bei um alleinerziehende Mütter, die mit ihrem Kind vonArbeitslosengeld II leben .Relativ leicht ist es noch, sich darüber zu verständigen,was wir alle gemeinsam nicht wollen . Wir wollen nicht,dass die Kinder unter dieser unglücklichen Lebenssitu-Christel Voßbeck-Kayser
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ation unnötig leiden, und wir wollen nicht, dass für dieMutter ein Anreiz entsteht, den Umgang mit dem Vaterzu verhindern . Beide Überlegungen sprechen gegen diegegenwärtige Lösung, gegen die sogenannte – Achtung,Fachterminus – temporäre Bedarfsgemeinschaft .Nach geltendem Recht ist es so: Das Jobcenter kanntageweise den Aufenthalt des Kindes beim Vater berech-nen und die entsprechenden Tagessätze – natürlich nurfür das Kind, nicht für die Mutter – von dem Geld abzie-hen, das es an den Haushalt der Mutter überweist . Ausder persönlichen Sicht der Mutter, die den Haushalt führt,heißt das dann: Jeder Tag, den mein Kind bei meinemEx verbringt, bedeutet, dass meine sowieso schon knap-pe Kasse noch ein bisschen leerer wird . Keine gute Vo-raussetzung für eine partnerschaftliche Kindeserziehung!Zum Glück verfahren bei weitem nicht alle Jobcenter so .Aber aus Sicht der SPD ist klar: Das ist vielleicht recht-lich einwandfrei – deswegen möchte ich Ihnen auch wi-dersprechen, Herr Strengmann-Kuhn, dass es hier um dasExistenzminimum geht –; aber es geht an der Lebens-wirklichkeit vorbei . Davon wollen wir wegkommen .
Unser Koalitionspartner meint, das zusätzliche Geld,das Alleinerziehende jetzt schon bekommen, reiche aus,um das Problem zu lösen . Das sehen wir anders . Wir sindauch nicht glücklich mit dem enormen Aufwand, denmanche Jobcenter betreiben, um nach den bestehendenRegeln den Anspruch der Eltern zu berechnen . Leis-tungsbescheide von 200 Seiten Umfang, wie der KollegePaschke sie eben erwähnt hat, sind zwar zum Glück auchin diesen Fällen eine Ausnahmeerscheinung, aber, liebeFrau Voßbeck-Kayser, bei aller Wertschätzung für dieBerücksichtigung individueller Lebenssituationen sindsie doch eine Ausnahme, die wir in Zukunft nicht mehrerleben wollen .Andererseits wollen wir aber auch keine Lösung, diebei Paaren den Eindruck erweckt, dass der Solidarge-meinschaft ihre Kinder möglicherweise weniger wertsind als die Kinder Alleinerziehender oder dass sie dieFamilie mit nur einem Elternteil gegenüber Elternpaarenbesonders fördern wolle . Dazu noch eine Randbemer-kung: Das Gegenteil ist der Fall . Natürlich wünschenwir – auch hier denke ich, dass ich für das ganze Haussprechen kann – allen Kindern und allen Familien, dasssie zusammenbleiben . Aber im Leben kommt es nun ein-mal sehr oft anders . Dann brauchen die Kinder und dieFamilien Verständnis und Solidarität .
– Ja, natürlich, auch das .
Trotzdem fällt es mir bei den Vorschlägen der Linkenschwer, gegenüber Paaren zu vertreten, dass die zusätz-liche Unterstützung, die Sie vorschlagen, nicht auf eineBevorzugung hinausläuft . Sie wollen den Kindern Al-leinerziehender grundsätzlich das Anderthalbfache des-sen zugestehen, was andere Kinder erhalten .
Auch diesen Weg wird die SPD nicht mitgehen,
und zwar nicht, weil wir den Familien Unterstützungvorenthalten wollen, nein, sondern aus Gründen der Ge-rechtigkeit .Am Ende müssen wir eine Lösung finden, die vomKindeswohl ausgeht . Das Kind braucht beide Eltern, undzwar möglichst ohne Streit und Ärger . Deshalb müssenwir den Regelsatz des Kindes dort lassen, wo es meistenslebt, also in der Regel bei der Mutter . Für die Zeiten, diees mit dem Vater verbringt, wollen wir einen nach Alterund Dauer gestaffelten Umgangsmehrbedarf anerkennen,der aber nicht die von den Linken vorgeschlagenen Aus-maße erreicht .Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, liebeFrau Freudenstein, ich lade Sie herzlich ein, Ihren Wider-stand gegen eine lebensnahe und familienfreundliche Lö-sung aufzugeben . Den Antrag der Linken können wir ausguten Gründen heute gemeinsam ablehnen . Aber einenvernünftig ausgestalteten Umgangsmehrbedarf solltenwir trotzdem einführen,
und zwar einfach, um Kindern, die es schwerer haben,das Großwerden in solidarischer Verantwortung ein klei-nes bisschen leichter zu machen .Danke schön .
Das Wort hat die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für
die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Wissen Sie, FrauKollegin Kipping, was Sie hier machen, ist wildesterLinkspopulismus .
So zu tun, als würde sich dieses Parlament in jene auftei-len, die es mit Kindern gut meinen, und jene, die es mitKindern nicht gut meinen, ist der Sache nicht angemes-sen, nicht einmal in Wahlkampfzeiten, wie ich meine .
So zu tun, als wäre die momentane Gesetzeslage daraufaus, dass Kinder keine Wärmflaschen oder ZahnbürstenDr. Fritz Felgentreu
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bekommen können, ist der Sache ebenfalls nicht ange-messen .
Das, was Sie als überbordende Bürokratie bezeichnen,ist auch dem sorgsamen Umgang mit Steuermitteln unddem Gerechtigkeitsempfinden derer geschuldet, die dasGeld erwirtschaften .
Es sind auch Alleinerziehende dabei, die für diese Gelderaufkommen .Wissen Sie, es gibt gut 1,6 Millionen Bundesbürger,ganz überwiegend Frauen, die alleinerziehend sind in un-serem Land, und die allermeisten von ihnen bringen ihrLeben auch sehr gut auf die Reihe . Sie sind berufstätigund für ihre Kinder da. Sie schaffen das, weil sie unwahr-scheinlich viel Kraft, Einsatz und Zeit investieren . Sieschaffen das auch – das hat die Kollegin Voßbeck-Kayserschon erwähnt –, weil wir die Rahmenbedingungen dafürgeschaffen haben, dass man Familie und Beruf verein-baren kann, dass man berufstätig sein und sich um seineeigenen Kinder kümmern kann .Es gab auch finanzielle Verbesserungen für Alleiner-ziehende . Es gibt aber noch viele Alleinerziehende – essind immer noch viel zu viele –, die trotzdem nicht klar-kommen, und über die reden wir heute . Das sind die, diesehr wenig oder gar nichts verdienen und Kinder haben,die keinen festen Partner dazu haben oder eben einen, derselbst arbeitslos ist . Es geht also um Alleinerziehende,die Leistungen nach dem SGB II beziehen .Sie sind auf unseren Sozialstaat angewiesen, und siebekommen dort natürlich auch Unterstützung. Sie be-kommen den Regelsatz für das Kind . Sie bekommen denMehrbedarf für Alleinerziehende . Darüber hinaus be-kommen sie die Kosten erstattet, die dadurch entstehen,dass sich das Kind gelegentlich beim Partner aufhält . Dasheißt – hier wird gelegentlich ein anderer Eindruck er-weckt –, alleinerziehende ALG-II-Bezieher und ihre Kin-der müssen eben nicht mit dem normalen Regelbedarfdes Kindes zurechtkommen . Schon jetzt werden Extra-kosten abgedeckt .Sie fordern jetzt, dass der Regelbedarf von Alleiner-ziehenden quasi auf 150 Prozent erhöht wird . Von dieserMaßnahme würde natürlich vor allem eine Personen-gruppe profitieren, nämlich die – ich nenne Sie jetzt ein-mal – Wochenendväter . Wir wollen diesen grundsätzlichhöheren Regelbedarf ohne jeden Einzelnachweis auchdeshalb nicht, weil wir damit die Lebensform der Ein-El-tern-Familie gegenüber verheirateten Paaren bevorteilenwürden .
– Das ist ja überhaupt keine Frage . Das können Sie dochnicht in Abrede stellen .
Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung der Kollegin Brantner?
Nein, gestatte ich nicht .
Ich stelle auch in Abrede, dass die Probleme, die es indiesen Familienkonstellationen ganz zweifelsohne gibt,mit mehr Geld zu beheben sind . Wenn beide Elternteileauf Hartz IV angewiesen sind und getrennt leben, danngeht es nicht in erster Linie um mehr Geld, sondern dannmuss es in erster Linie darum gehen, dass das nicht zumLebensmodell werden darf und dass wir diesen Zustandganz rasch beenden müssen . Das heißt, wir müssen dieEltern in einen Zustand bringen, sich wieder selbst umihre eigenen Kinder kümmern zu können .
Mit mehr Geld stellen wir leider auch nicht sicher, dassdieses Geld wirklich bei den Kindern ankommt . Nichtumsonst setzen wir jetzt schon dort, wo es darum geht,Kinder in den Sportverein oder in den Musikunterrichtzu bringen, auf Gutscheine oder Direktüberweisungen .Eines ist nun auch nicht von der Hand zu weisen: Anden Tagen, an denen sich das Kind beim Vater aufhält,hat die Mutter tatsächlich weniger Kosten zu tragen . Dasist ja gar nicht in Abrede zu stellen .
Eine Erhöhung des Regelsatzes um 50 Prozent würdeauch völlig falsche Anreize schaffen; denn es lohnt sichgerade für gering Qualifizierte immer weniger, berufs-tätig zu sein, je mehr Sozialleistungen man bezieht . Dasich Armut vererbt, müssen wir die Arbeitslosigkeit derEltern beenden und nicht generell mehr ALG überwei-sen .
Wir müssen bei jungen Alleinerziehenden auch dieMöglichkeit eröffnen, dass sie in Ausbildung kommen.Wir müssen die Betroffenen individuell betreuen undsie Schritt für Schritt in den Beruf und in die finanzielleSelbstständigkeit bringen .
Dr. Astrid Freudenstein
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Damit ist auch den Kindern am meisten gedient . Dasist im vergangenen Jahr mit unserer Politik schon ganzgut gelungen . Die größte Armut, auch die größte Armutvon Kindern, herrschte immer in Staatsformen, in denensich Ihre Ideologie durchgesetzt hat, Frau Kollegin .Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Brantner
das Wort .
Ganz kurz noch, Frau Freudenstein; Sie haben ja die
Frage leider nicht zugelassen .
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es
nicht 150 Prozent für die alleinerziehende Mutter sind,
sondern dass es um die Fälle geht, in denen der Vater
aus finanziellen Gründen nicht mehr Verantwortung für
seine Kinder übernehmen kann. Unser Ziel ist, dass es
keinen Vater in diesem Land gibt, der sich deshalb nicht
um seine Kinder kümmert, weil er es sich nicht leisten
kann . Darum geht es, und nicht darum, die Mutter zu be-
vorteilen . Ich fände es schön, wenn Sie das unterstützen
könnten .
Sie haben das Wort zur Erwiderung .
Ich glaube,
ich habe auch nicht gesagt – –
Würden Sie bitte das Mikrofon benutzen .
Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich ge-
sagt hätte, dass es 150 Prozent für die Mutter geben soll;
dann hätten Sie mich falsch verstanden. Uns geht es da-
rum – um es noch einmal klarzustellen –, diese Lebens-
form nicht dauerhaft zu dulden,
sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die
Eltern aus der Arbeitslosigkeit herauskommen und sich
selber wieder um ihre Kinder kümmern können, weil das
die beste Hilfe für das Kind ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
– Kollege Wunderlich, ich bitte darum, die Aufmerk-
samkeit jetzt wieder auf die Abläufe hier im Plenum zu
richten .
Eines scheint mir festzustehen – selbst wenn wir
gleich zu einer Abstimmung kommen –: Diese Debatte
bleibt uns erhalten . Wir werden sie auch nicht nur hier im
Plenum weiterzuführen haben .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Alleiner-
ziehende entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11434, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/10283 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .
Ich berufe den Deutschen Bundestag zur gemeinsa-
men Sitzung mit dem Bundesrat anlässlich der Vereidi-
gung des Herrn Bundespräsidenten auf Mittwoch, den
22. März 2017, 12 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen bis
dahin alles Gute, liebe Kolleginnen und Kollegen .