Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie zum letzten Tag unserer Haushaltsberatun-gen – Tagesordnungspunkt 1 –:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2013
– Drucksache 17/10200 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2012 bis 2016– Drucksache 17/10201 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussWir haben für die heutige Aussprache eine Redezeitvon insgesamt dreieinhalb Stunden beschlossen.Wir beginnen den heutigen Tag der Haushaltsbera-tungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ein-zelplan 12.Ich begrüße den zuständigen Bundesminister und er-teile ihm gleich zu Beginn das Wort. Herr Dr. Ramsauer,bitte schön.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Man kann es nichtoft genug betonen: Mobilität, Bauen und Wohnen zählenzu den elementaren Grundbedürfnissen der Menschen.Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Lan-des einen Anspruch auf Verlässlichkeit in diesem Poli-tikbereich.
Diese Verlässlichkeit wollen wir gewährleisten. Es istdaher folgerichtig, dass der – technisch gesagt – Einzel-plan 12, der Haushalt des Bundesministeriums für Ver-kehr, Bau und Stadtentwicklung, unter allen Haushaltender größte Investitionshaushalt ist und mehr als dieHälfte aller Investitionen birgt, die der Bund tätigt.Ich möchte mit einem Thema beginnen, das auf denersten Blick nicht unbedingt in Zusammenhang mit demsteht, was sonst bei uns an vorderster Stelle steht, näm-lich der Verkehr. Es handelt sich um – davon war schonmehrfach in dieser Woche die Rede – die Beiträge zurEnergiewende, die aus meinem Fachbereich zum Gelin-gen dieses Jahrhundertwerks geleistet werden. Wir wis-sen, dass etwa 70 Prozent der gesamten Primärenergiedurch den Verkehr und im Gebäudebereich verbrauchtwerden. Dementsprechend wichtig sind unsere Beiträgezum Gelingen der Energiewende. Wir alle können frohdarüber sein, dass das Gebäudesanierungsprogramm biseinschließlich 2014 verlässlich mit 1,5 Milliarden Eurodotiert ist. Das Gebäudesanierungsprogramm, welchesim Jahr 2006 begann, hat sich als absoluter Renner er-wiesen. Wir müssen alles daransetzen, dass dieses Pro-gramm zur energetischen Gebäudesanierung auch in Zu-kunft ein Zugpferd der Energiewende bleibt.
Wir, der Deutsche Bundestag, haben vor gut einemJahr das Gesetz zur steuerlichen Förderung von energeti-schen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden verab-schiedet, ein – wenn ich das so bezeichnen darf – absolu-tes Muss; denn viele, die willig sind, ihre Gebäude zusanieren, können zwar etwas mit der KfW-Förderung an-fangen. Aber die steuerliche Förderung ist wesentlichpassgenauer. Es gibt gewaltige Erwartungen. Wie Siewissen, wird dieses Gesetz seit letztem Jahr vom Bun-desrat blockiert.
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23210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
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Es wird natürlich laufend verhandelt. Ich appelliere andieser Stelle abermals an SPD und Grüne: Bitte gebenSie die Blockade im Bundesrat auf.
Die Energiewende zu predigen, aber in der praktischenUmsetzung zu blockieren, das kann ich nicht durchge-hen lassen.
Ich schlage damit eine Brücke zur Städtebauförde-rung.
Ein großartiger Erfolg ist ein Programm geworden, daswir im vergangenen Jahr neu aufgenommen haben, dasProgramm „Energetische Stadtsanierung“. Es war einetolle Idee, die von vielen Kommunalpolitikern an meinHaus herangetragen wurde, nicht lauter Einzelhäuser zusanieren, sondern in den Innenstadtlagen möglichst vieleHäuser im Verbund zu sanieren. Wir fördern das mit demProgramm „Energetische Stadtsanierung“. Im laufendenJahr haben wir das Programm mit 92 Millionen Euro do-tiert, nächstes Jahr stocken wir es auf 100 MillionenEuro auf. Im Übrigen bleibt die Städtebauförderung einwichtiges Handlungsfeld des Bundes. Die Kommunenkönnen sich darauf verlassen, dass der Bund ein verläss-licher Partner der Städtebauförderung ist und auch bleibtund dass wir die Mittel bei 455 Millionen Euro belassenwerden.
Was mir große Sorgen bereitet, sind die auseinander-laufenden Entwicklungen im Bereich des Wohnungs-baus. Wir haben auf der einen Seite in strukturschwa-chen Regionen Leerstand, auf der anderen Seite inBallungsräumen zunehmend erhebliche Probleme beider Bereitstellung hinreichenden Wohnraums. Wir habenProbleme mit steigenden Mieten. Ich möchte daran erin-nern, dass mit der Föderalismusreform vor fünf Jahrendie politische und gesetzgeberische Zuständigkeit für diesoziale Wohnraumförderung vom Bund auf die Länderübergegangen ist, und zwar mit ganz klaren Regelungen.So bezahlt der Bund für die Kompensation der Lasten,die dadurch auf die Länder zukommen, 518 MillionenEuro pro Jahr. Das ist aus unserer Sicht gut angelegtesGeld.Wir verhandeln derzeit darüber, in welchem Umfangund unter welchen Bedingungen ab dem Jahr 2014 dieseFörderung durch den Bund weitergeführt wird. Wir ste-hen zu dieser Verpflichtung. Die Länder brauchen Mittelfür diese Aufgabe. Ich füge aber auch ausdrücklichhinzu: Wir müssen auf einer Zweckbindung bestehen.Wir können es nicht hinnehmen, dass die Länder diesesGeld zwar nehmen, aber dann damit verfahren, wie siewollen, und nur pauschal angeben, dass das Geld für in-vestive Zwecke verwendet wird. Wir müssen sicherstel-len, dass diese Mittel zuverlässig zweckgebunden in diesoziale Wohnraumförderung fließen.
Damit komme ich zur Verkehrsinfrastrukturpolitik.Auch diese muss realistisch und nüchtern betrachtet wer-den. Wir arbeiten derzeit im Rahmen der Vorbereitungdes nächsten Bundesverkehrswegeplans an der Ver-kehrsprognose bis zum Jahr 2030. Wir wissen, dass dieVerkehre in allen Bereichen zunehmen werden und müs-sen deshalb Prioritäten setzen. Es ist sicherlich beacht-lich, dass wir für die Investitionen in die Verkehrsinfra-struktur, inklusive Erhalt, Ausbau und Neubau,10 Milliarden Euro zur Verfügung haben. In diesem Zu-sammenhang wird immer die Vokabel „Verstetigung“gebraucht. Aber ich muss an dieser Stelle darauf hinwei-sen, dass diese wohlklingende Vokabel verschweigt,dass diese 10 Milliarden Euro, auch wenn sie nominalverstetigt sind, real von Jahr zu Jahr entwertet werden,und zwar durch erhebliche Preissteigerungen, die imBaubereich bei etwa 3 Prozent liegen. Das ist eine realeEntwertung von etwa 300 Millionen Euro pro Jahr. Ver-antwortlich dafür sind immer höhere Standards im Be-reich des Umweltschutzes, des Artenschutzes und derSicherheit.Ich muss mich mit vielen Zahlen herumschlagen. Aufeinige davon will ich genauer eingehen: Wir bindendurch laufende Projekte im Straßenbau in den Jahren2013 bis 2016 Mittel im Umfang von knapp 4,5 Milliar-den Euro. Die momentan zur Verfügung stehenden Be-darfsplanmittel haben aber nur eine Höhe von knapp2,8 Milliarden Euro. Das heißt, es klafft eine Deckungs-lücke von 1,7 Milliarden Euro, über deren Schließungwir uns alle miteinander Gedanken machen müssen. Ichwiederhole: Das sind die laufenden, im Bau befindlichenProjekte. Daneben haben wir Planfeststellungsbe-schlüsse im Bereich des Bundesfernstraßenbaus umzu-setzen, für die eine Investitionssumme von 7 MilliardenEuro veranschlagt ist. Das sind gewaltige Herausforde-rungen.Ich rede hier über Projekte im Bereich des Aus- unddes Neubaus. Was in die Instandhaltung, in den Erhalt,fließen muss, ist mit diesen Mitteln gar nicht abgebildet.Ich sage klipp und klar: Angesichts des Erfordernissesder Prioritätensetzung in diesem Ausmaß muss Instand-haltung vor Neubau gehen.
Die Substanz unserer Verkehrsinfrastruktur darf nicht in-frage gestellt werden, Stichwort „Priorisierung“. DieWünsch-dir-was-Politik der letzten zehn, zwölf Jahreunter Vorgängerregierungen können wir so nicht fortset-zen.
Ich kämpfe deswegen in den bevorstehenden Haushalts-beratungen für verlässliche Finanzierungsperspektiven.Wir brauchen eine Verstetigung des Infrastrukturbe-schleunigungsprogramms, durch das wir im vergange-nen Jahr für dieses Jahr und für die Folgejahre 1 Mil-liarde Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt haben.
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Noch eine Bemerkung zum Flughafenbau in Berlin.Ich glaube, das wird von mir an dieser Stelle erwartet.Der Bund ist mit 26 Prozent am neuen Hauptstadtflugha-fen beteiligt. Jeweils 37 Prozent entfallen auf die LänderBerlin und Brandenburg; sie sind damit Mehrheitseigner.Der Bund stellt von 15 Aufsichtsräten 2. Die weiteren13 verteilen sich auf die Länder Berlin und Brandenburgsowie auf die Arbeitnehmerseite. Ich sage das, um ein-mal klarzustellen, wie die Aufsichtsaufgaben verteiltsind.Vielen Dank an den Ausschuss für Verkehr, Bau undStadtentwicklung. Dieser Ausschuss hat sich vorgesternein Bild an Ort und Stelle gemacht. „Einmal sehen istbesser als hundertmal hören“, lautet ein chinesischesSprichwort. Ich möchte klarstellen: Der Bund steht hin-ter dem Projekt des Hauptstadtflughafens. Wir könnenund dürfen dieses Projekt selbstverständlich nicht an dieWand fahren lassen. Der Bund unterschreibt allerdingsauch keine Blankoschecks; das darf es ebenfalls nichtgeben.
Deswegen sind wir über erforderliche Konsequenzen mitden anderen Gesellschaftern laufend im Gespräch.Der neue Technikchef, den wir bestellt haben, hat je-denfalls einen imposanten und guten Start hingelegt undgenießt unser vollstes Vertrauen. Im Übrigen müssen dieVerantwortlichkeiten für die Entwicklungen in der Ver-gangenheit ganz genau geklärt werden. Wir müssen die-ses Projekt jetzt zügig zum Erfolg führen. Mein Ministe-rium hat mit der Einrichtung einer SonderkommissionFlughafen BER die entsprechende Vorkehrung geschaf-fen, um alles sicherzustellen, was in diesem Zusammen-hang Obliegenheiten des Bundes sind. Die „SoKo BER“arbeitet ausgesprochen erfolgreich.Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Wenndieser Flughafen in Betrieb sein wird, dann wird das einFlughafen sein, der weltweit Maßstäbe setzt und Beach-tung findet.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das ist der letzte Bundeshaushalt im BereichVerkehr, den dieser Minister verantworten wird, und dasist gut so.
Drei Jahre lang war Zeit, die großen und vollmundi-gen Ankündigungen und Versprechen, die am Anfangder Wahlperiode gemacht worden sind, in die Tat umzu-setzen. Außer Ankündigungen ist nichts dabei herausge-kommen. Erinnern wir uns an die erste Rede, die HerrRamsauer in diesem Haus als Bundesverkehrsministergehalten hat. Das große Thema lautete: Jeder Zuwachsim Güterverkehr soll auf die Schiene verlagert werden.Was ist die Bilanz nach dieser vollmundigen Ankündi-gung? Was ist aus der Verpflichtung im Koalitionsver-trag geworden, die Hinterlandhäfenanbindung hinzube-kommen?
Nichts. All das ist beerdigt worden. Von 1 MilliardeEuro an Sondermitteln im Verkehrshaushalt gehen ge-rade einmal 100 Millionen Euro in den Bereich derSchienen. Es gab aber keine Initiative, um Güterverkehrtatsächlich von der Straße auf die Schiene zu verlagern.Im Gegenteil, die Mittel für kombinierte Verkehre sindim Haushalt noch gekürzt worden. Die Bilanz: verspro-chen – gebrochen.
Wie oft haben wir hier darüber diskutiert, was dieMenschen zum Beispiel an der Rheintalbahn bewegt?Die Lärmbelastung ist dort in vielen Bereichen unerträg-lich. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb steht: DerSchienenbonus bei der Bahn wird aufgehoben. Was istgemacht worden? Nichts. Versprochen – gebrochen.
Herr Ramsauer, ich hätte mir gewünscht, dass Sie zu-mindest auf europäischer Ebene ein paar Initiativen er-griffen hätten. So viel Geld kostet es nicht, alle Güterwa-gen umzurüsten. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie somutig gewesen wären wie die Schweizer, die darübernachdenken, ab 2019 einfach ein Durchfahrtverbot fürdie besonders lauten Güterverkehre zu verhängen. Damitwürde man den Menschen wirklich helfen. Durch IhreAnkündigungen aber gibt es keinen Lärmschutz. Siesind vielmehr Lärm und damit eine Belästigung für dieMenschen, die vor Ort betroffen sind.
Im Koalitionsvertrag steht, dass von der Koalition inder ersten Hälfte der Legislaturperiode über die Höheder Finanzausstattung für die ehemalige Gemeindever-kehrsfinanzierung entschieden wird, die auslaufen sollund die wir in der Übergangsperiode neu regeln müssen.Die Hälfte dieser Zeit ist schon vorbei, und nichts wurdeentschieden: Angekündigt, versprochen und nicht gehal-ten.Es sollte mehr Geld in die jeweiligen Verkehrsträgerfließen. Es sollte verkehrsträgereigene Finanzierungs-kreisläufe geben. Das war die große Ankündigung. Wasist passiert? Ja, Sie haben die Einnahmen aus der Lkw-Maut tatsächlich in den Bereich Straße fließen lassen.
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Florian Pronold
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Aber steht jetzt mehr Geld für den Straßenbau zur Verfü-gung? Nein, denn andere Mittel wurden gekürzt.
Sie beklagen zu Recht, dass die geringen Mittel, diedurch den letzten Haushalt zusätzlich zur Verfügungstanden, nur ein wenig Luft zum Luftschnappen brach-ten, jedoch nicht genug Luft zum Atmen. Ich frage Sie:Was sind Sie für ein Minister, wenn Sie zulassen, dassaus dem Verkehrsbereich Milliarden eingesammelt wer-den, die diesem aber nicht zugutekommen? Die Luftver-kehrsabgabe beträgt jährlich 1 Milliarde Euro, und esgibt eine jährliche Zwangsdividende der Bahn von500 Millionen Euro. Davon fließen 270 Millionen Eurowieder zurück.
Aus dem Verkehrsbereich werden also 1,2 MilliardenEuro eingesammelt, die jedoch nicht die Investitionslinieerhöhen. Das ist doch ein Armutszeugnis.
Gleichzeitig beklagen Sie, dass zu wenig Geld vor-handen ist. Dabei haben Sie Mehrwertsteuergeschenkefür die Hoteliers und Milliarden für ein unsinniges Be-treuungsgeld in den Haushalt eingestellt. Das ist dieWahrheit. Nun stellen Sie sich hier hin und jammern.Das ist doch lächerlich.
Und dann gibt es wieder große Ankündigungen. Erstin der letzten Woche hörten wir etwas zum Bundesrad-wegeplan. Der war wirklich toll. Darin stehen viele ver-nünftige Sachen. Das einzige Problem dabei ist jedochder Haushalt. In diesem Bereich wird nämlich gekürzt:von 100 Millionen Euro unter Rot-Grün auf nunmehr60 Millionen Euro. Das ist fast eine Halbierung. Washelfen große Ankündigungen, wenn sie nicht mit Geldhinterlegt sind?Das ist ähnlich wie bei der tollen Reform des Ver-kehrssünderregisters, die Sie gemacht haben. Dort gibtes diese schöne anschauliche Ampel. Sie haben tolleFlugblätter gedruckt, und es ist ein ADAC-Sonderheftfür Sie herausgekommen. Auch hier ist nach der Ankün-digung nichts übrig geblieben.
Versprochen – gebrochen, Herr Ramsauer. Das ist dieBilanz Ihrer bisherigen Regierungstätigkeit.
Was die Priorisierung angeht, die angesichts derknappen Finanzmittel notwendig ist, ziehe ich in Bezugauf Ihr bisheriges Regierungshandeln folgendes Fazit:Der Bau einer Autobahn ist doch niemals nach objekti-ven Kriterien bewertet worden. Sie haben den Bundes-verkehrswegeplan nicht wirklich überarbeitet. Sie habennicht überlegt, wo es Knoten oder Engstellen gibt, dieman beheben muss. Das einzige Kriterium war: Führtdie Autobahn durch den Wahlkreis des Bundesminis-ters? Das war die einzige Priorität, nach der Sie Ihre Ver-kehrspolitik ausgerichtet haben!
Sie haben Ihre Rede mit der Bemerkung eingeleitet,dass Ihr Ministerium eigentlich die entscheidende Rollespielt, wenn es darum geht, wie die Energiewende ge-staltet werden soll. Zur Energiewende gehört die Einspa-rung, und die größten Einsparpotenziale liegen in denBereichen Verkehr und Gebäude.
70 Prozent des Einsparpotenzials liegen in diesem Be-reich. Was passiert?
– Rufen Sie nicht dazwischen, stellen Sie mir eine Zwi-schenfrage,
dann kann ich Ihre Fragen ordentlich beantworten.
Dann bekommen die Menschen auf den Zuschauertribü-nen auch mit, was die Wahrheit ist.
– Herr Döring, Sie sind gut im Dazwischenrufen, aberschlecht im Umgang mit den Fakten. Stellen Sie mir eineZwischenfrage, dann kommen wir weiter.Zum Thema energetische Gebäudesanierung. In die-sem Bereich liegt das Einsparpotenzial bei 70 Prozent.Wenn Sie jetzt schon so schreien, dann ist klar, wasgleich kommt. Was ist denn die Wahrheit?
Unter einem sozialdemokratischen Minister war der Bei-trag zur Förderung der energetischen Gebäudesanierungmit 2 Milliarden Euro am höchsten. Nun ist es ein Vier-tel weniger. Wer hat das zu verantworten? Sie! Das istdie Wahrheit und nichts anderes.
Sie haben das Ganze in einen Energie- und Klimafondsgepackt, der nicht gegenfinanziert ist, dessen Finanzie-rung unsicher ist.
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Sie haben damit einen Anschlag auf die mittelständischeWirtschaft verübt, weil Sie für Verunsicherung gesorgthaben; denn heute gibt es weniger Aufträge vor Ort, unddadurch wird weniger für den Klimaschutz getan.
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie denMitgliedern des Kabinetts. Wem traut das Kabinett indieser Frage? Herr Altmaier hat extra eine neue Unterab-teilung eingerichtet, die klären soll, wie man im BereichGebäude Einsparungen vornehmen kann, weil er es demVerkehrsminister nicht zutraut.
Die Bundeskanzlerin hat den Bereich Elektromobilitätnicht beim Verkehrsministerium angesiedelt, sondern imWirtschaftsministerium. Gibt es denn ein größeres Ar-mutszeugnis für einen Bundesverkehrsminister, als dassihm die eigenen Kabinettskollegen nichts zutrauen?
Zum Thema Städtebauförderung. Sie haben sie zuRecht gelobt, sie ist nämlich ein tolles Instrument, abermit der Anzahl an Protestbriefen von Kommunalpoliti-kern, die bei Ihnen eingegangen sind, weil Sie die Mittelfür die Städtebauförderung gekürzt haben, könnte manalle Bundesverkehrswege pflastern.
Sie haben die Mittel für die Städtebauförderung um einViertel gekürzt. Sie haben vor allem die Projekte, die be-sonders erfolgreich sind, aus ideologischen Gründenaufs Korn genommen. Lassen Sie mich als Beispiel dasProgramm „Soziale Stadt“ nennen, das immer noch un-terfinanziert ist. Was haben wir Debatten darüber ge-führt!
– Ja, jetzt haben Sie die Mittel wieder etwas aufgestockt.
Aber sie befinden sich noch nicht auf dem alten Niveau.Hören Sie doch mit diesen Taschenspielertricks auf!Wir haben über das Thema abgehängte Wohnquar-tiere diskutiert. Wir haben uns überlegt, was man dortüber Integration erreichen kann. Wir haben im letztenJahr in diesem Haus viel über das Thema Integration dis-kutiert. Dort, wo man nachweislich Erfolge erzielt hat,setzen Sie aus ideologischen Gründen den Rotstift an.Das ist die Bilanz Ihrer Regierungspolitik. Sie lassen dieMenschen vor Ort im Stich.
Zum Thema bezahlbare Miete. Sie haben das Themazu Recht angesprochen, aber ich frage Sie: Was habenSie denn gemacht? Was macht denn die schwarz-gelbeKoalition, beispielsweise in Bezug auf die energetischeSanierung? Sie belasten die Menschen mit zusätzlichenRisiken.
Das geltende Recht sieht noch eine Verschärfung der Be-dingungen vor,
indem 11 Prozent der Sanierungskosten auf die Miete-rinnen und Mieter umgelegt werden können.
– Schauen Sie halt ins Gesetz rein, wenn Sie es nichtglauben.
Kostet eine Sanierung 25 000 Euro, dann bedeutet dasfür einen normalen Mieter eine Mieterhöhung von bis zu230 Euro pro Monat, das sind etwa 2 750 Euro pro Jahr.Wer kann sich das denn leisten? In Metropolregionenund in Ballungsräumen kann das passieren. Wie lautetIhre Antwort? Noch weniger Rechte für die Mieterinnenund Mieter anstelle einer fairen Lasten- und Risikover-teilung, für die wir alle in diesem Hause sind.
In der Verkehrs- und Baupolitik fehlt eine Vision, einKonzept für die Zukunft.
– Wollen Sie mir auch eine Frage stellen? Meine Rede-zeit geht zu Ende. Dann sage ich Ihnen noch gerne etwaszu Emissionen, oder ich lade Sie ein. Heute Nachmittagfindet in diesem Haus ein Zukunftskongress der SPD-Bundestagsfraktion statt. Daran können Sie gerne teil-nehmen. Dort ist das wichtigste Projekt das Projekt „In-frastrukturkonsens“. Dort haben wir die entscheidendenPunkte benannt, die in der Zukunft gebraucht werden. Esist notwendig, dass die Bürgerbeteiligung bei Infrastruk-turprojekten verbessert wird – und nicht nur pro forma –,dass wir die Planungen beschleunigen, dass es eine echtePrioritätensetzung im Bundeshaushalt gibt, dass mehrGüterverkehr auf die Schiene kommt und dazu entspre-chende Investitionen gemacht werden. Das sind die He-rausforderungen. Darüber haben wir in diesem Hause oftDebatten geführt.Das Problem ist, dass unter diesem Minister dreiJahre lang nichts gemacht worden ist außer Klamauk:Wechselkennzeichen, Wiedervergabe ehemaliger Kfz-Kennzeichen. Ich erinnere mich noch an große Debattenüber Überholverbote von Lkw auf der Autobahn, aus de-nen auch nichts geworden ist. Es gibt noch viele, vieleandere Dinge.
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Florian Pronold
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Das größte Projekt des Ministers, die Pkw-Maut, ist vonder Bundeskanzlerin versenkt worden.
Versprochen – gebrochen.
Die Medien haben ihr Urteil schon gefällt. Es hieß„Pop-up-Minister“, und – das Traurigste – Ramsauerwurde gekrönt zum „König des Nichts“. Dem ist nichtshinzuzufügen.
Ich erteile das Wort der Kollegin Claudia Winterstein
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Pronold, Ihr Gejammere und Ihre Schwarz-malerei helfen überhaupt nicht weiter.
Das war einfach nur grauselig. Ich habe wirklich nochnie so viel Unsinn so kompakt in elf Minuten gehört.
Ich frage mich, was Sie zu Ihren fünf Ministern, die inden vergangen Jahren weiß Gott nichts bewerkstelligthaben, zu sagen hätten. Insofern haben Sie ein absolutschwaches Bild abgeliefert. Deswegen möchte ich alsHaushälterin zu den Fakten zurückkehren.Dank der besonnenen Haushaltspolitik und der ziel-gerichteten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik stehtDeutschland im internationalen Vergleich – vielleichtbefassen Sie sich damit auch einmal – gut da. Wir habenkonsolidiert und klug investiert. Das ist die Maßgabe derKoalition.Dass dieser Weg der richtige ist, belegt auch eine Stu-die des World Economic Forums, die in der vergangenenWoche veröffentlich worden ist. Nach dieser Studie be-legt Deutschland unter den wettbewerbsfähigsten Län-dern den sechsten Rang, und das noch vor den USA. Ur-sache hierfür sind insbesondere die hervorragendenNoten, die wir in den Rubriken Infrastruktur und Innova-tionskraft erhalten haben. Von den Gesamtausgaben imVerkehrshaushalt in Höhe von 25,7 Milliarden Euro wer-den 54 Prozent für Investitionen aufgebracht. Sie müs-sen einmal überlegen: Wir haben 33 400 KilometerSchienenwege des Bundes, 52 500 Kilometer Autobah-nen und Bundesstraßen mit 39 000 Brücken und über7 000 Kilometer Wasserstraßen. Die müssen alle erhal-ten bleiben.
Deswegen sind Investitionen in diese Verkehrsinfra-struktur besonders wichtig. Deshalb haben wir dafürauch 10,1 Milliarden Euro vorgesehen; denn eine leis-tungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist der Grundpfeilerfür ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und für die Si-cherung von Arbeitsplätzen.Was haben Sie bei Rot-Grün ausgegeben? Sie habennicht 10,1 Milliarden Euro ausgegeben, Sie haben9,5 Milliarden Euro ausgegeben. Sie hätten weitausmehr ausgeben können, wenn Sie das alles so viel besserkönnen.
Im vergangenen Jahr stellte die Koalition mit dem In-frastrukturbeschleunigungsprogramm einmalig 1 Mil-liarde Euro an zusätzlichen Mitteln bereit; das ist bereitsgesagt worden. Damit sind wir dem Investitionsstau ent-gegengetreten, den uns die fünf vorherigen SPD-Ver-kehrsminister als schwere Hypothek überlassen haben.
Auch im Jahr 2013 können wir davon noch profitieren.290 Millionen Euro davon haben wir im Haushalt 2013noch zur Verfügung. Mit den Mitteln aus diesem Infra-strukturbeschleunigungsprogramm werden 32 Maßnah-men im Straßenbau verstärkt. Zudem sind 28 zusätzlicheErhaltungsmaßnahmen und 12 zusätzliche Neubaupro-jekte ermöglicht worden. Es ist also nicht so, dass hiernichts geschieht; im Gegenteil. Mit den Zusatzmittelnfür den Bereich Schiene werden rund 380 Einzelvorha-ben zur Modernisierung der Bahnsteige und zur Herstel-lung der Barrierefreiheit umgesetzt. Schließlich kann derBau der dringend notwendigen fünften Schleuse inBrunsbüttel
an der größten künstlichen Wasserstraße der Welt, näm-lich dem Nord-Ostsee-Kanal, endlich realisiert werden.Das sind große Erfolge.
Einen weiteren Erfolg gibt es im Bereich der Ver-kehrssicherheit auf den Bundesstraßen zu verzeichnen.In der Vergangenheit stellten die fehlenden Lkw-Stell-plätze an den Bundesfernstraßen ein großes Problem undeine erhebliche Verkehrsgefährdung dar. Bis zum Jahr2015 werden 15 500 neue Plätze geschaffen. Dafür stel-len wir 130 Millionen Euro bereit.Ein Desaster ist allerdings der Bau des neuen Haupt-stadtflughafens. Hier gibt es vor allem Chaos.
Mangelhaftes Controlling, Planungsfehler und menschli-ches Versagen haben nicht nur zu einer erneuten Verschie-bung des Eröffnungstermins geführt, sondern bewirkenauch ein Finanzierungsdefizit der Flughafengesellschaftin Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Davon müsste der Bund26 Prozent, also rund 312 Millionen Euro, tragen. Für zu-
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Dr. Claudia Winterstein
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sätzliche Bundesmittel muss allerdings die Maßgabe lau-ten: so viel Gesellschafterdarlehen wie möglich, so wenigEigenkapitalzuschuss wie nötig.
Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wirzusätzliche Zahlungen an die Flughafengesellschaftohne Konsequenzen nicht mehr verantworten können.
Natürlich ist eine Insolvenz keine Option, aber zumin-dest benötigen wir eine Verbesserung der Aufsicht undeine Veränderung in der Geschäftsführung; denn ichglaube, das Vertrauen ist komplett verlorengegangen.
Es bleiben noch viele Fragen offen. Nur ein Beispiel:Der Münchener Flughafen hat für 20 Millionen Passa-giere 330 Check-in-Counter und 21 Gepäckausgabebän-der. An unserem Flughafen in Berlin gibt man sich mit96 Abfertigungsschaltern und 8 Gepäckausgaben für24 Millionen Passagiere zufrieden. Das Chaos ist an sichvorprogrammiert.Ein wichtiger Bestandteil des Einzelplans 12 ist dieSchifffahrt. Als im Sommer dieses Jahres die ReedereiDeilmann ankündigte, die „MS Deutschland“ statt unterdeutscher Flagge unter maltesischer Flagge fahren zulassen, war die Aufregung im Land natürlich groß. Die„MS Deutschland“ ist ein symbolträchtiges Schiff, nichtnur weil sie als „Traumschiff“ berühmt wurde, sondernauch, weil es leider das letzte große Kreuzfahrtschiff un-ter deutscher Flagge ist. Viele Gespräche waren notwen-dig, um die Reederei zu bewegen, das Schiff nicht aus-zuflaggen.An dieser Stelle möchte ich dem Maritimen Koordi-nator der Bundesregierung, Hans-Joachim Otto, danken,der mit wirklich unermüdlichem Einsatz die Reedereidavon überzeugen konnte, dass es neben ökonomischenGesichtspunkten auch eine nationale Verantwortunggibt. Das ist übrigens bei der SPD ganz anders. Das par-teieigene Kreuzfahrtschiff „MS Princess Daphne“ fährtnämlich unter portugiesischer Flagge.
Die maritime Wirtschaft stellt einen bedeutenden undwichtigen Wirtschaftszweig in Deutschland dar. HoheInvestitionen der Reedereien sichern und schaffen Ar-beitsplätze. Allein die deutschen Schifffahrtsunterneh-men beschäftigen 90 000 Menschen. Damit diese Er-folgsgeschichte fortgesetzt werden kann, brauchen wirdas Maritime Bündnis. Durch die Förderung von Ausbil-dung und Beschäftigung deutscher Seeleute auf deut-schen Schiffen wird der Schiffsstandort in diesem Landgestärkt. Deswegen wollen wir den Förderansatz für dasHaushaltsjahr 2013 auf einem Niveau von 57,8 Millio-nen Euro verstetigen. Wir bleiben der verlässliche Part-ner der maritimen Wirtschaft.Zum Schluss möchte ich noch auf die Reform derWasser- und Schifffahrtsverwaltung zu sprechen kom-men.
Das wird nun schwerlich möglich sein.
– Nein, das ist natürlich höchst bedauerlich; aber die
Lage ist halt so, wie sie ist.
Ich will nur sagen: Die FDP hat zehn Jahre lang dafür
gekämpft, und wir sind sehr froh, dass wir jetzt auf ei-
nem guten Weg sind und auch im Bereich der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung zu mehr Effizienz kommen.
Wir werden darüber in den kommenden Haushaltsbera-
tungen ganz sicher weiter intensiv diskutieren, Herr
Kahrs.
Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die unbestrittene Tatsache, dass es hier um dengrößten Investitions- und Infrastrukturetat des Bundesgeht, sagt noch nichts über die Qualität der Investitionen
und sagt auch nichts über die Fähigkeit des zuständigenMinisteriums, diese Investitionen voranzubringen.Herr Bundesminister Ramsauer, wohlgesonnen könnteman sagen: Sie haben Ihre Rede hier in betonter Sachlich-keit vorgetragen.
Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie hier angeboten ha-ben, war einfach nur lustlos.
Da brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Ihnen im-mer mehr Kompetenzen aus der Hand genommen wer-den. Man muss Sie zu mehr Selbstvertrauen ermuntern.Für mich steht fest: Sie können nicht mit Geld umgehen,und schon gar nicht mit viel Geld.
Sie haben sich den Beitrag Ihres Ressorts zur Energie-wende ohne Not aus der Hand nehmen lassen. Zum
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Roland Claus
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Thema Gebäudesanierung hat der Genosse Pronoldschon das Richtige gesagt.
Sie haben die Mittel für den Stadtumbau reduziert undsich damit Protestschreiben von Bürgermeistern vonCSU bis Linke eingehandelt. Sie haben das Programm„Soziale Stadt“ als baufremde Ausgabe diskreditiert.Das ist wirklich nicht hinzunehmen.Sie werden doch inzwischen weltweit Erfahrungengesammelt haben.
Wir haben uns den Umbau einer Township in Kapstadtangeschaut. Man kann sich in Deutschland den Umbauvon großen Wohnsiedlungen anschauen, zum Beispiel inBremen-Tenever.
Es geht niemals nur um die Seite des Bauens. Es gehtimmer auch um die Verbindung von Bau und demokrati-scher Teilhabe. Deshalb ist dieses Programm so wichtig.
Wenn Sie dieses Programm diskreditieren, zeugt das voneiner betonköpfigen Politik, die ich Ihnen unterstellenmuss.Sie haben das Programm „Altersgerecht Umbauen“ indie Abwicklung geschickt. Wenn es ein positives Pro-gramm gibt, das eine wirklich herausragende Wirkungauf andere Entwicklungsmöglichkeiten hat, dann ist esdieses Programm. Ich habe damit eine wunderbare Er-fahrung gemacht: An einem Neubaublock in meinemWahlkreis ist inzwischen außen ein Fahrstuhl angebrachtworden. Das ist nahezu eine Touristenattraktion. DiesesProgramm aber, mit dem Sie etwas bewirken können,schicken Sie in die Abwicklung.Ich muss mich erinnern: Ich habe 1990 als Mitgliedder letzten Volkskammer der DDR vergeblich versucht,diese unselige Altschuldenbelastung ostdeutscher Woh-nungsunternehmen zu verhindern. Das wurde mit demEinigungsvertrag Gesetz; ich konnte es nicht verhindern.
Ich hätte es aber nie für möglich gehalten, dass ich22 Jahre danach noch immer auf die verheerenden Wir-kungen dieser Altschuldenbelastung hier im DeutschenBundestag hinweisen muss. Das ist noch immer ein Rie-senproblem, das ungelöst ist. Meine Fraktion wird Ihneneinen Vorschlag für eine sinnvolle Kombination vonStadtumbau Ost und Altschuldentilgung unterbreiten.
Herr Minister, Sie sind auf die steigenden Mieten inBallungsgebieten eingegangen. Wir erwarten, dass Siean diesem Thema dranbleiben. Jetzt steht die Privatisie-rung von über 11 000 bundeseigenen Wohnungen an, diebislang noch der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft ge-hören. Das fällt zwar in die Zuständigkeit des Bundes-finanzministeriums, aber wir erwarten vom Bau- undWohnungsminister Engagement in dieser Sache. Sie wis-sen, dass etliche Mitglieder meiner Fraktion als Alterna-tive zu dieser Privatisierung eine Genossenschaft mitdem Namen FAIRWOHNEN gegründet haben. Nun sindwir aus dem Bieterverfahren ausgeschlossen worden;das werden wir uns nicht bieten lassen. Wir rechnennicht damit, dass Sie der Genossenschaft beitreten, HerrMinister, aber ein bisschen mehr Unterstützung für dieseInitiative wäre schon angebracht.
Zur Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.Seit dem Frühjahr ist die Katze aus dem Sack. Mit demsogenannten 5. Bericht zur Reform der Wasser- undSchifffahrtsverwaltung des Bundes liegen die Dinge aufdem Tisch. Sie wollen alle Behörden in Bonn zentralisie-ren. Warum gründen Sie nicht gleich ein Zentralkomiteeder Wasser-und Schifffahrtsverwaltung?
Das, was Sie vorhaben, ist dem ja ähnlich. Ich kann Ih-nen sagen, wohin das führt.Besonders zu kritisieren ist, dass Sie die Wasserstra-ßen im gesamten Osten quasi zu Restwasserstraßen er-klären. Obwohl noch nichts im Parlament entschiedenist, hat das bereits faktische Auswirkungen. Ich kann Ih-nen von einem Jugendlichen aus meinem Wahlkreis be-richten. Durch meinen Wahlkreis fließt die Saale. DerJugendliche hat ein großes Interesse an fließenden Ge-wässern und hatte sich bei der Wasser- und Schifffahrts-verwaltung beworben. Man hatte ihm gesagt: Willkom-men, junger Mann, wir brauchen unbedingt Nachwuchs. –Als er nun nachfragte – nachdem im Mai dieser Berichtauf den Tisch gekommen war –, ob er dort seine Ausbil-dung machen kann, wenn er mit der Schule fertig ist,wurde ihm gesagt: Hier im Osten geht nichts mehr. Wirstellen keine Auszubildenden mehr ein. – Das kann mandie Macht des Faktischen nennen, Herr Minister; ichnenne es die Macht des Zynischen.
Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtent-wicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortungund demokratischer Teilhabe aller an den öffentlichenGütern ausgeht. Was alle brauchen, muss öffentlich zu-gänglich und bezahlbar sein.Ich will noch ein Wort zum Flughafen Berlin sagen.Dazu möchte ich den Focus aus dem April 1996 zitieren.Der Focus berichtete im April 1996 über die Initiativevon Bundesminister Wissmann, CDU, und der CDUBerlin für eine private Investition von 8 MilliardenD-Mark für einen neuen Flughafen am Standort Schöne-feld. Der Focus nannte das ein sensationelles Konzept.
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Roland Claus
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Das muss deshalb hier zitiert werden, weil die ChristlichDemokratische Union inzwischen versucht, sich vomAcker zu machen und die Schuld bei zwei Ministerpräsi-denten, die zufällig der SPD angehören, abzuladen.
Es ist auch nicht damit zu erklären, dass der Bund mit26 Prozent Minderheitseigner ist. Der Bund hat eineMenge für die Infrastrukturanbindung dieses Flughafensgetan. Deshalb muss man Sie auffordern, zu Ihrer Ver-antwortung zu stehen, damit es nicht eines Tages heißt:Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen.Vielen Dank.
Wir ahnen die Vervollständigung der Geschichtsbü-cher.Der nächste Redner ist nun der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich muss zugeben: Als ich den Verkehrshaus-halt durchgearbeitet habe, war ich überrascht. Bei derDurchsicht der Kapitel zu den Verkehrsträgern Schieneund Straße dachte ich erst an einen Fehler in der schwarz-gelben Matrix. Ich hatte ein Déjà-vu-Gefühl. Das kam da-her: Es gibt deutliche Kürzungen der Mittel beim Neubauund beim Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen,430 Millionen Euro weniger, dafür 130 Millionen Euromehr beim Erhalt und 226 Millionen Euro mehr bei In-vestitionen in die Schiene. Das kommt mir bekannt vor;denn das ist in der Tendenz das, was in unseren grünenAnträgen zu den Haushalten der letzten Jahre steht. Ichdachte, Herr Minister, Sie hätten aus den Fehlern IhresParteifreundes Karl-Theodor zu Guttenberg gelernt. Stattzu „guttenbergen“, hätten Sie uns, die grüne Bundestags-fraktion, als Originalquelle im Haushaltsplan angebenkönnen.
Aber bei uns wird ja alles unter Creative-Commons-Li-zenz veröffentlicht.Wenn man in den Bundeshaushalt schaut, sieht man,dass die Titel Erhalt und Neubau gegenseitig deckungs-fähig sind. In der Vergangenheit wurde im laufendenHaushaltsjahr aber immer vom Erhalt zum Neubau um-geschichtet. Deswegen muss man abwarten, was pas-siert.Beim weiteren Betrachten des Haushalts trat wiederErnüchterung ein: Eine realistische Verkehrspolitik? – Fehl-anzeige! Eine nachhaltige Vision, wie wir diesen Haus-halt zukunftsfest machen? – Auch Fehlanzeige! Ein ak-tuelles Beispiel ist Ihr neues Konzept zum Radverkehr. Esist ungenau; es gibt viel heiße Luft. Was machen Sie kon-kret? Sie haben in Ihrer Amtszeit die Mittel für den Rad-verkehr um fast die Hälfte gekürzt.Ein weiteres Beispiel: ÖPP, öffentlich-private Part-nerschaften. Seit Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie dieMittel für diesen Titel fast verdoppelt, nämlich auf190 Millionen Euro. Auch dieses Jahr gibt es 20 Millio-nen Euro mehr. Was ist das Problem bei ÖPP? Erstens.Dies ist häufig teurer. Der Bund leistet sich Projekte, wo-für er eigentlich kein Geld hat, und die Projektkostensind höher. Zweitens. Dies ist häufig total intransparentund geheim. Wir erfahren nichts über die Wirtschaftlich-keitsberechnungen, nichts über die Verträge. Das sagennicht nur wir; das hat Ihnen zuletzt auch der Bundesrech-nungshof gesagt. Wenn Sie schon nicht auf uns hören,dann könnten Sie wenigstens auf den Bundesrechnungs-hof hören.
In dieser Haushaltswoche ging es auch viel um Kon-solidierung. Den schwarz-gelben Willen hierzu merktman besonders bei Ihnen, Herr Minister Ramsauer. ImJuni hat das Kabinett mit der Zustimmung des Verkehrs-ministers den Haushaltsentwurf beschlossen. Am selbenTag, Herr Minister, haben Sie eine Zusatzmilliarde ge-fordert, wie Sie es auch heute wieder gemacht haben, je-doch ohne jeden Vorschlag für eine Gegenfinanzierung.Es gibt keinen Deckungsvorschlag dafür. Gleichzeitighaben Sie – es kommt noch besser – die Abschaffung derLuftverkehrsteuer gefordert. Das wäre dann ein Einnah-meausfall von 1 Milliarde Euro. Das macht zusammen2 Milliarden Euro Defizit von Herrn Ramsauer. Mehrausgeben und Steuern senken – Glückwunsch, HerrMinister, Sie haben exemplarisch gezeigt, wie schwarz-gelbe Haushaltspolitik aussieht.
Das Problem ist auch: Mehr Geld im Verkehrsetat löstdas grundsätzliche Problem nicht. Ich habe das Bundes-verkehrsministerium gefragt: Wie viele Anmeldungengibt es eigentlich im Vordringlichen Bedarf im aktuellenBundesverkehrswegeplan für Neu- und Ausbauprojekteder Straße? Im Vordringlichen Bedarf sollen 33 Milliar-den Euro bis 2015 prioritär sein. Im Finanzplan 2012 bis2015 sind dafür 6,3 Milliarden Euro eingestellt. Dasheißt, nur 20 Prozent der Neubauprojekte sind finanziert;für 80 Prozent ist überhaupt kein Geld da. Da klafft eine27-Milliarden-Euro-Lücke. Da hilft auch 1 MilliardeEuro mehr oder weniger nicht. Das Grundproblem aberist, dass das mit der Priorisierung gar nichts zu tun hat.Sie priorisieren im Haushalt nicht. Das ist nicht ehrlichund nicht transparent. Der ganze Bundesverkehrswege-plan funktioniert so nicht. Das ist kein Problem der
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23218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Sven-Christian Kindler
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Unterfinanzierung. Der Bundesverkehrswegeplan istplanlos überbucht; das ist das grundsätzliche Problem.
– Aber das Gute in Baden-Württemberg ist, dass dorteine starke Priorisierung vorgenommen worden ist. Dorthaben wir ganz klar gesagt, welche Straßen wir priorisie-ren. Wir haben klargemacht, dass es bei Straßen in Ba-den-Württemberg eine klare Priorisierung gibt.
Wir müssen hier grundsätzlich neu denken. Wir habendas Problem, dass überall Wahlkreis- und Lobbyinteres-sen einer grundsätzlichen Neuaufstellung des Bundes-verkehrswegeplans vorgehen. Deswegen brauchen wirfür die Neuaufstellung des Bundesverkehrswegeplans ei-nen Neuanfang. Wir wollen einen Bundesmobilitätsplan.Er muss ehrlich sein, und er muss die Kosten transparentdarstellen. Vor allen Dingen muss er alle Verkehrsträgerim Gesamtnetz berücksichtigen, was er bisher eben nichtmacht, und auf die neuen Mobilitätsanforderungen ein-gehen. Für diesen Neuanfang brauchen wir viel Mut.Wir müssen uns mutig gegen die Lobbys durchsetzen.Wir müssen den Mut haben, uns gegen Wahlkreisinteres-sen durchzusetzen. Wir müssen vor allen Dingen Muthaben, Verkehrspolitik grundsätzlich neu zu denken.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir reden jetzt schon eine Woche lang über denHaushalt.
Da gibt es eine Situation, die sich kontinuierlich wieder-holt: Einerseits wird uns vorgeworfen, dass wir ange-sichts guter Steuereinnahmen überhaupt neue Schuldenmachen. Andererseits wird bei fast jedem Einzelplan ge-fordert, dass wir etwas drauflegen.
Die Kritik, dass wir in einzelnen Bereichen zu wenigGeld eingeplant hätten, wäre dann seriös, wenn Sie unsFehlverwendungen nachwiesen und seriöse Deckungs-vorschläge machten.
Herr Pronold, das haben Sie bis jetzt nicht getan. Ichhoffe, Herr Kahrs wird das nachholen, wenn er zu Wortkommt. Dann wäre ein seriöses Gespräch darüber mög-lich.
Wer Ja zur Haushaltskonsolidierung sagt, der mussdie Konsequenzen akzeptieren. Wir sagen Ja zur Haus-haltskonsolidierung. Unter diesen Bedingungen hatPeter Ramsauer einen Investitionshaushalt mit immerhin10,1 Milliarden Euro vorgelegt, der, so meine ich, einhohes Maß an Kontinuität und Investitionssicherheit er-reicht und außerdem von großer konzeptioneller Klarheitist. Was ich darunter verstehe, will ich Ihnen sagen: Wirsind eine mobile Gesellschaft und wollen das bleiben.Wir haben eine hohe Wohn- und Lebensqualität erreichtund wollen sie erhalten. Wir haben enorme Investitionenin den Schutz unserer Lebensgrundlagen getätigt undwollen dies fortsetzen. Dazu brauchen wir eine leis-tungsfähige Infrastruktur; diese müssen wir erhalten undverbessern.Ich sage Ihnen Folgendes: Wer in seinem Leben überein Jahrzehnt oder länger die vollständige Agonie einerInfrastruktur erlebt hat, wie ich während der DDR-Zeit,der will in eine solche Situation nie wieder zurück. Inso-fern halte ich die Orientierung an dem Grundsatz, keinenweiteren Werteverzehr infolge unterlassener Erhal-tungs- und Instandhaltungsarbeiten zuzulassen, für einegrundlegende Weichenstellung in diesem Haushalt,meine Damen und Herren.
Im Rahmen des Investitionsbeschleunigungspro-gramms haben wir dies in den Haushalten 2012 und2013 umgesetzt. Diese Prioritäten setzt auch der Investi-tionsrahmenplan, der bis 2015 gilt. Auch hier zeigt sichetwas sehr Interessantes:
Er hat ein Volumen von 41 Milliarden Euro. Der letzteunter sozialdemokratischer Ägide entstandene Investi-tionsrahmenplan hatte einen Umfang von 57 Milliar-den Euro. Das Problem war, dass Sie schon damalswussten, dass entschieden weniger Mittel zur Verfügungstehen. Aber das ist eben der Unterschied: Unser Grund-prinzip ist Seriosität, nicht Schaufensterpolitik.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23219
Arnold Vaatz
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Herr Pronold, wenn Sie uns vorwerfen, wir hättenkeine Visionen,
dann muss ich sagen: Ich bin mir angesichts Ihrer Redenicht hundertprozentig sicher, ob Sie den Unterschiedzwischen den Begriffen Vision und Halluzination ken-nen.
Denn das, was Sie hier vorgetragen haben, hat teilweisevon so großer Unkenntnis und von Wunschdenken ge-strotzt, dass wir darüber nur lachen konnten. Das ist dieRealität.Meine Damen und Herren, der Finanzbedarf für un-sere Verkehrsinfrastruktur ist noch viel höher, als wir ihnim Haushalt darstellen können; das wissen wir alle. Die-ser Finanzbedarf wäre nicht ganz so hoch, wenn wirnicht noch heute die Versäumnisse einer Handvoll frühe-rer SPD-Verkehrsminister nachholen müssten, durch dieunser Etat zusätzlich belastet wird. Das ist es aber nichtallein. Auch die gestiegenen Standards, die gestiegenenUmweltanforderungen und die exorbitante Länge derGenehmigungsverfahren sowie die in dieser Zeit stei-genden Material- und Baupreise erhöhen den Kosten-druck. Darauf müssen wir reagieren, entweder durch dieZurverfügungstellung von mehr Haushaltsmitteln, in-dem wir auf das allgemeine Steueraufkommen zurück-greifen, oder durch anderweitige Erhöhungen der Ein-nahmen.Dieser Weg ist eingeschlagen worden. Mittlerweilewerden die Verkehrsinvestitionen zu rund einem Drittelaus den Einnahmen aus der Lkw-Maut gespeist. Wir ha-ben auch damit begonnen, sowohl bei der Straße alsauch bei der Schiene verkehrsträgerbezogene Finanzie-rungskreisläufe einzurichten. Das bedeutet ein Stückmehr Unabhängigkeit vom Haushalt, meine Damen undHerren.
Auch wenn niemand bestreitet, dass die bedarfsgerechteFinanzierung der Verkehrswege eine Aufgabe der öffent-lichen Hand bleiben muss, glaube ich, dass wir zurFinanzierung unserer Investitionen im Bereich derVerkehrsinfrastruktur allgemein unabhängiger vomHaushalt werden müssen. Das bleibt in den kommendenJahren eine wichtige Baustelle. Die konzeptionellen An-sätze der Nutzerfinanzierung müssen weiterentwickeltwerden. Dafür brauchen wir allerdings einen breiten öf-fentlichen Konsens; denn das ist keine Augenblicksauf-gabe, sondern eine langfristige strategische Entschei-dung, die wir anstreben müssen.Meine Damen und Herren, was wir uns mit Sicherheitnicht leisten können, sind fortwährende Verzögerungenbeim Infrastrukturausbau, die bei Großprojekten in denletzten Jahren allmählich zur Regel geworden sind. DiePlanungsprozesse dauern zu lange.
Längst ist es so, dass nach Recht und Gesetz erfolgteEntscheidungen immer wieder infrage gestellt werden –nicht von uns.
Es mag ja lustig sein, dass Herr Kretschmann den Baudes Stuttgarter Bahnhofs vor Störungen durch seine ei-gene Klientel schützen muss.
Da aber Herr Kindler gesagt hat, unsere Haushalte seienüberbucht,
muss ich Sie darauf hinweisen: Vorkommnisse wie beiStuttgart 21 sind die wirklichen Kostentreiber. Das istder Grund für die Überbuchung.
Es ist nicht so, dass das von Haus aus so sein musste.Ihre Verzögerungsmaßnahmen, Ihre Prozesshanselei,Ihre teilweise mit Mitteln der Gewalt vorgetragene Geg-nerschaft bei allen Großprojekten haben bis jetzt Un-summen an zusätzlichen Kosten produziert, über die Siejetzt, weil das Geld fehlt, Krokodilstränen vergießen.Das kann nicht die Zukunft für unsere Infrastrukturin-vestitionen sein.
Zum Markenkern unseres Landes, zum Ruf Deutsch-lands in der Welt gehören Qualität, Effizienz, Termin-treue. Es war noch vor Monaten undenkbar, dass einmalin der ganzen Welt homerisches Gelächter über das Ver-sagen Deutschlands auf genau diesem Feld ausbrechenwürde. Der Dilettantismus beim Berliner Flughafenmuss aufgeklärt werden. Dergleichen darf sich niemalswiederholen. Die Chuzpe des Aufsichtsratsvorsitzendenim Umgang mit dem unter seiner Ägide angerichtetenenormen Schaden muss für ihn einschneidende politi-sche Folgen haben, wenn das Vertrauen in unsere öffent-lichen Institutionen nach diesem Fall keinen Schadennehmen soll.
Wir stehen in einem weltweiten Wettbewerb. Rah-menbedingungen, die diesen Wettbewerb verzerren,müssen beseitigt werden. Das betrifft zum Beispiel dieHarmonisierung des europäischen Schienenverkehrs.
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23220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Arnold Vaatz
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Das gilt aber auch für den Luftverkehr. Ich sehe dringen-den Diskussions- und Handlungsbedarf bei der Luftver-kehrsteuer.
– Ja, genau. Wir sind eine demokratische Partei, wir sindeine demokratische Fraktion. Demzufolge darf ich hiersagen, dass ich der Meinung bin, dass wir über diese Sa-che noch einmal nachdenken müssen.
Ein Kernstück der europäischen Politik ist das trans-europäische Verkehrsnetz. Wir haben die diesjährigenVorschläge der EU-Kommission dazu begrüßt. Aber wirhaben auch durchgesetzt, dass die Planungs- und Finan-zierungshoheit bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Damitist die zeitliche Realisierung kein Brüsseler Diktat. Siesteht unter unserem Finanzierungsvorbehalt. Das istwichtig; denn das Ganze wird sehr teuer werden. Wirsind insgesamt an sechs von insgesamt zehn transeuro-päischen Korridoren beteiligt.Im Baubereich haben wir einen Schwerpunkt auf dieFörderung der energetischen Sanierung gelegt. Für dasGebäudesanierungsprogramm haben wir 1,5 MilliardenEuro jährlich aus dem Energie- und Klimafonds zur Ver-fügung. Wir alle hoffen, dass die Länder im Vermitt-lungsverfahren einlenken und auch die zweite Säule, diesteuerliche Förderung, ermöglichen.Ich möchte auch dafür werben – das ist der einzigePunkt, Herr Claus, worin ich mit Ihnen übereinstimme –,dass wir im parlamentarischen Verfahren versuchen, dasProgramm „Altersgerecht Umbauen“, dessen Mittel mo-mentan leider auf null gesetzt sind, für die Zukunft aufalle Fälle zu erhalten.Vielen Dank. – Es gibt eine Menge zu tun. Packen wires an!
Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben heute Reden gehört, bei denen mansich fragt: Warum sind diese Redner überhaupt aufge-standen?
Der Minister hat sich hier hingestellt und, im Vergleichzu sonst, lustlos etwas vorgetragen, was ihm jemand auf-geschrieben hat. Ich kenne ihn noch vom Anfang der Le-gislaturperiode. Da hat er deutlich mehr Elan auf dieStraße gebracht.
Das ist heute nicht mehr so. Schauen wir einmal genauhin: Früher saß da eine stolze Riege seiner Staatssekre-täre. Heute sitzen da nur noch zwei. Das heißt: Im Hausegibt es kein Interesse mehr. Der Minister hat kein Inte-resse mehr; die Koalition hat bei seiner Rede kaum nochgeklatscht. Sie wickeln gerade ab; das kann vorkommen.Die letzten drei Jahre waren ja auch nicht so toll. In derUnion wird schon darüber gestritten, ob das, was Sie ge-macht haben, überhaupt sinnvoll war.Um ein Beispiel zu nennen – ich persönlich hätte die-ses Thema gar nicht angesprochen; aber der Ministerund der Kollege Vaatz haben darüber gesprochen –: Siehaben die Luftverkehrsteuer – man muss sich das Worteinmal auf der Zunge zergehen lassen – eingeführt. Jetztbejammern Sie, dass es sie noch gibt. Innerhalb von dreiJahren ist das eine echte Leistung. Das muss man ein-fach mal zur Kenntnis nehmen.
Zuerst führt man eine Steuer ein, und dann erklären derMinister und Herr Vaatz: Sie muss wieder weg. – Die da-für notwendige Mehrheit haben Sie. Ganz ehrlich: WirSozialdemokraten wären dazu bereit. Wir reichen Ihnendie Hand; wir machen sogar mit.
Sie kriegen also in diesem Haus eine Zweidrittelmehr-heit. Sie müssen sich nur mal durchsetzen.
Das ist das Hauptproblem Ihrer etwas jämmerlichenPolitik: Sie setzen sich nicht mal in dieser Koalitiondurch. Sie sind mit dem Fachausschuss und als Bau- undVerkehrspolitiker in Gänze gescheitert.
Das ist die Wahrheit, und das ist es, was der Ministerheute verkündet hat: sein eigenes Scheitern.Ich habe hier großartige Debatten über die Einfüh-rung der Pkw-Maut erlebt. Sie erinnern sich vielleichtauch noch daran, dass das vollmundig versprochenwurde, übrigens von demselben Minister, der gesagt hat:Der Autofahrer ist zu sehr belastet durch die Benzin-steuer und Benzinkosten; man muss den Autofahrer ent-lasten. – In der gleichen Sekunde stellt er sich hin undfordert eine Pkw-Maut. Da fragt man sich, wo das solideFinanzkonzept bleibt, das Sie eingefordert haben, HerrVaatz.Man muss sich fragen, was diesem Haus in den letz-ten drei Jahren gefehlt hat: nämlich Führung, Ideen undvon mir aus auch Visionen. Die Wirtschaftswoche, dienicht wirklich SPD-nah ist,
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Johannes Kahrs
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zitiert dazu Herrn Ramsauer. Sie können das nachlesen.Herr Ramsauer mahnt:Die wirtschaftlichen Grunddaten für unsere Ver-kehrsprognose 2030 machen deutlich: Wir dürfendie Infrastruktur nicht dauerhaft auf Verschleiß fah-ren – deshalb sind zusätzliche Haushaltsgelder not-wendig.Deswegen hat er die Luftverkehrsteuer abschaffen wol-len: damit er mehr Haushaltsmittel hat.Die Pkw-Maut wollte er einführen, damit er mehrHaushaltsmittel hat. Die Pkw-Maut kommt nicht.Stattdessen haben wir lustige Fragen diskutiert, zumBeispiel ob man auf dem Seitenstreifen der Autobahnfahren kann, ob alle Parkplätze neue Namen bekommensollen oder ob man neue Autokennzeichen braucht, da-mit der Lokalpatriot glücklich und selig ist.
Die Frage ist: Inwiefern ist das Politik? Das Erbärmli-che an der ganzen Veranstaltung ist, dass Sie hier seriösePolitik fordern, aber drei Jahre Murks abgeliefert haben.
Das wissen Sie auch, und das ist das Peinliche.Man kann glauben, dass, wenn es eine bürgerlicheMehrheit gibt, CDU/CSU und FDP irgendwann etwasauf den Tisch legen. Dass Sie die Wehrpflicht abge-schafft haben und eine Luftverkehrsteuer einführen, ha-ben Ihre Wähler von Ihnen nicht erwartet, übrigens auchkeine Pkw-Maut.
– Die FDP-Wähler werden weniger. Um die kümmertsich zurzeit keiner.Wenn man sich das alles anguckt, dann glauben zu-mindest wir als Sozialdemokraten, dass es mal wiederZeit ist für einen soliden Haushalt. Das heißt, dass wiruns darüber unterhalten müssen: Was muss die Liniesein zum Beispiel im Verkehrsbereich; was braucht manfür die Infrastruktur? Da muss man gucken, wie man dassolide rechnet. Der Kollege Vaatz hatte das eingefordert.Die SPD hat ein Steuer- und Finanzkonzept vorgelegt,und wir haben auch gesagt, wie wir Mehreinnahmen ge-nerieren wollen. Das ist solide durchgerechnet. Es wirdAnträge der SPD geben, den Verkehrsetat strukturell um2 Milliarden Euro zu erhöhen. Wir haben das beim letz-ten Mal mit 1 Milliarde Euro gemacht, weil wir der Mei-nung waren: Man muss in Infrastruktur investieren. DerMinister hatte mit dem, wie ihn die Wirtschaftswoche indieser Frage zitiert hatte, recht, nur, getan hat er nichts.
Ich glaube, Sie müssen sich anstrengen. Wir habengesagt, wir würden 1 Milliarde Euro für die dauerhafteInstandhaltung der Bundesautobahnen ausgeben. WennSie 1 Milliarde Euro mehr haben, können Sie endlich dienotwendigen Sanierungen angehen, und zwar strukturell.Damit das nicht wieder so eine peinliche Veranstal-tung wird wie beim Minister, dass man über das Befah-ren des Seitenstreifens spricht und sonst nicht viel pas-siert, sind wir der Meinung, dass man 24 Stunden amTag an sieben Tagen der Woche bei entsprechenderSchichtarbeit an den Baustellen auf den Autobahnen ar-beiten kann.
Es ist nichts peinlicher, als wenn man am Wochenendeüber die Autobahn fährt oder man Tag für Tag an Bau-stellen vorbeifährt, sich dort im Stau entlangquält undgar nichts passiert; es bewegt sich da niemand.
Wenn sich nicht endlich mal was bewegt, dann habenwir doch das Problem, dass all das Geld, das Sie da in-vestieren wollen, nichts bringt. Es muss mehr Geld ge-ben, und es muss auch eine Idee geben, wie man mitdem Geld umgeht, wie man es hinkriegt, dass auf deut-schen Autobahnen wieder entsprechend gefahren wer-den kann und man nicht im selbstgebauten Stau steht.Das sind Dinge, die wir hier diskutieren müssen. – HerrMinister, es bringt Ihnen gar nichts, dass Sie da mit Ih-rem Kollegen reden und nicht zuhören. Es wäre gut,wenn Sie einfach mal was tun.
Herr Kollege Kahrs, darf die Kollegin Winterstein Ih-
nen eine Frage stellen?
Die von mir so geschätzte Kollegin Claudia
Winterstein darf selbstverständlich gerne eine Frage stel-
len.
Meine Güte! Ich glaube, sie traut sich jetzt bei dieser
Charmeoffensive gar nicht mehr, das zu fragen, was sie
eigentlich vorhatte.
Doch, da bin ich unbarmherzig. – Lieber Herr Kahrs,nachdem Sie es so dargestellt haben, dass wir so viel un-terlassen haben, anstatt entsprechende Maßnahmen zuergreifen und dafür Sorge zu tragen, dass die Verkehrsin-frastruktur top ist, ist meine Frage an Sie: Wie sah esdenn am Ende der rot-grünen Koalition aus?
Wollen Sie behaupten, dass Sie uns die Straßen, die Brü-cken, die ganze Infrastruktur in einem hervorragendenZustand übergeben haben, dass Sie auch in der Großen
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23222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Dr. Claudia Winterstein
(C)
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Koalition erfolgreich waren? Denn Sie von der SPD ha-ben ja den Minister im Verkehrsbereich gestellt. HabenSie all dies so bewältigt, wie Sie es gerade uns so hervor-ragend vorgeschlagen haben? Sie haben uns vorgewor-fen, dass das nicht in ausreichendem Maße geschieht.Meine Zahlen sprechen da eine andere Sprache. Ich habenicht festgestellt, dass Sie wesentlich mehr ausgegebenhaben, sondern ich habe festgestellt, dass es wenigerwar. Ich habe auch nicht festgestellt, dass die Brücken ineinem guten Zustand waren. Wir haben nämlich jetztdiese Hypothek, wir haben die bröckelnden Brücken,und die bröckeln nicht erst seit drei Jahren.
Liebe Claudia!
Zum einen ist es schön, dass du mir eine Frage gestellt
hast. Bei meinem Kollegen, Herrn Pronold, hat sich gar
keiner getraut. Zum anderen ist es schön, dass du jetzt
wieder stehst.
In der Sache würde ich raten, dass man sich einmal
den Haushalt anguckt.
– Das ist ja schön, aber dann muss man es auch verste-
hen.
Im Kern ist es so, dass wir unter Rot-Grün natürlich viel
Geld investiert haben, zum Beispiel, um Verkehr von der
Straße auf die Schiene zu bringen. Da hat es wunderbare
Programme gegeben, die Sie in den letzten Jahren leider
immer wieder gekürzt haben. Das heißt: Wenn das
Ganze Sinn machen soll, dann müssen Sie nicht nur
Geld investieren – wir haben das getan –, sondern brau-
chen auch eine Idee, wie Sie vorankommen wollen. Ich
glaube, wir haben unter Rot-Grün gezeigt, wie es ver-
nünftig funktioniert. Übrigens, das tun wir jetzt auch
noch – in den letzten Jahren immer wieder –, weil wir
entsprechende Haushaltsanträge vorlegen.
Unser Problem ist, dass Ihr Minister, der Ihnen, wie
ich zugebe, nicht laufend folgt, in der Sache leider nicht
die Dinge macht, die notwendig sind. Die Haushalte
sprechen da eine klare Sprache. Deswegen empfehle ich
die Lektüre. Wir sehen uns noch in der Abschlussrunde,
und dann können wir das noch mal diskutieren. Viel-
leicht hast du dann etwas dazugelernt.
Ich danke für die Verlängerung meiner Redezeit.
Da die Kollegin Frau Dr. Winterstein, gerade etwas
angesprochen hat, möchte ich mit dem Thema weiterma-
chen, mit dem du liebe Claudia, aufgehört hast, nämlich
mit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Wenn man
sich anguckt, was die FDP, etwas lau und träge unter-
stützt von der CDU/CSU, in dem Bereich getrieben hat,
dann wird man feststellen, dass nicht viel Vernünftiges
dabei herumgekommen ist. Es gibt ein rechtswissen-
schaftliches Gutachten des Beamtenbundes, in dem ganz
klar festgestellt wird, dass der Umbau der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung von einer Ausführungsverwal-
tung zu einer Gewährleistungsverwaltung – das sagt Pro-
fessor Pechstein wortwörtlich – deutlich über die Gren-
zen des Zulässigen hinausgeht. Er geht davon aus, dass
das bereits heute bestehende Ausmaß von Vergaben ge-
messen an den Maßstäben des Art. 89 Grundgesetz einen
kritischen Umfang erreicht hat und jede weitere Steige-
rung der Vergabequote diese Situation noch verschärfen
würde.
Das klingt noch alles harmlos. Was haben Sie denn in
der Sache gemacht? Sie sind gerade dabei, eine funktio-
nierende Bundesverwaltung zu zerschlagen.
Ich habe nichts dagegen, dass man die Bundesverwal-
tung reformiert; das ist alles in Ordnung. Man kann das
Ganze reformieren, man kann investieren, man kann
Mitarbeiter motivieren und schulen, man kann das beste-
hende Personal qualifizieren und mit ihm anständig um-
gehen.
Was Sie tun, ist aber das genaue Gegenteil. Wenn man
sich die Beschlüsse anguckt, die Sie vorgelegt und
durchgesetzt haben, zum Beispiel über Beförderungs-
stopps oder die Nichtübernahme von Auszubildenden
und zu anderen Dingen: Sie haben doch Tausende von
Mitarbeitern in Deutschland mit diesen unsinnigen Aus-
bauplänen in Angst und Schrecken versetzt.
Jetzt haben Sie das Problem, dass es eine Diskussion
über die Wertigkeit von Flüssen gibt und darüber, wo der
Bund noch tätig wird und wo nicht. In der Sache haben
wir das immer verhindert. Wir sind sehr erfolgreich; wir
werden es weiter verhindern. Ehrlich gesagt: Die CDU/
CSU will das doch auch nicht.
Sie können sich noch so sehr mühen, es wird nichts.
Lieber Herr Kahrs, möchten Sie denn vor Ende der
Redezeit noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb
beantworten?
Das ist meine Rettung, sonst wäre meine Redezeit ja
gleich vorbei.
So ähnlich sehe ich das auch. – Bitte schön.
Herr Präsident! Lieber Kollege Kahrs, nachdem ichvorhin so charmant ausgebremst worden bin, möchte ichmeine Frage nachtragen: Würden Sie erstens bitte bestä-tigen, dass für die Bauausführung und die Baudurchfüh-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23223
Bartholomäus Kalb
(C)
(B)
rung nicht Bundesbehörden zuständig sind, sondern dieAuftragsverwaltung und hier in der Regel die Landes-bauverwaltungen?Würden Sie zweitens meine Meinung teilen, dass esim Einzelfall zwar vernünftig sein kann, rund um dieUhr und sieben Tage in der Woche zu bauen, dass diesaber auch einen erheblichen Einfluss auf die Kosten hat?Deswegen bin ich der Meinung, man muss genau abwä-gen, ob das notwendig und sinnvoll ist, da im Übrigendie Unfallgefahr nächtens natürlich größer ist.
Lieber Barthel, ich danke dir erst mal für diese Frage.
Das gibt mir die Möglichkeit,
dir in der Antwort darzustellen, dass wir natürlich Pro-
bleme mit den Landesbauverwaltungen haben.
Deswegen muss man, glaube ich, auch über eine Re-
form derselben reden. Wir alle wissen, dass bestimmte
Vorhaben nicht so bearbeitet werden, wie sie bearbeitet
werden müssten. Es gibt gute Landesbauverwaltungen,
aber es gibt auch eher grenzwertige. Wir alle glauben
aber: Wenn wir uns ernsthaft Mühe geben und diese
Landesbauverwaltungen wieder so auf Trab bringen,
wird es möglich, die notwendigen Vorhaben schließlich
durchzusetzen.
Und, Barthel, es ist so, dass es natürlich teurer wird,
wenn auf den Baustellen 24 Stunden am Tag und sieben
Tage in der Woche gearbeitet wird. Aber die Frage ist,
ob es sich volkswirtschaftlich nicht rechnet, wenn man
zwar 10, 15 oder 20 Prozent mehr zahlt, dafür aber viel-
leicht in der Hälfte der Bauzeit fertig wird.
– Das ist natürlich eine Abwägung, aber ihr habt ja drei
Jahre Zeit gehabt. Es wäre schön, wenn der Minister
nicht nur über Seitenstreifen und über neue Kennzeichen
reden würde, sondern auch etwas tut.
Das ist aber leider nicht der Fall. Deshalb hast du
recht: Man muss priorisieren.
– Entspannt bleiben! Sie können gerne eine Zwischen-
frage stellen. – Deswegen glauben wir, dass in diesem
Bereich sehr viel mehr getan werden muss, dass man
40 Millionen Euro mehr für den Fahrradverkehr ausge-
ben muss, um auf die 100 Millionen Euro zu kommen.
Ich weiß, dass dir das ebenfalls sehr am Herzen liegt.
Abschließend sei noch gesagt, dass wir glauben, dass
wir Geld auch in Wasserstraßen investieren müssen. Der
Vorschlag von 300 Millionen Euro für die fünfte
Schleuse war gut, Claudia. In dieser Sache haben wir
euch immer unterstützt, getrieben und gefordert. Das
Problem ist: Der Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals kostet
1,2 Milliarden Euro. 300 Millionen Euro sind hier nur
ein Anfang. Wir erwarten in diesem Jahr einen Antrag
von euch über die nächsten 300 Millionen Euro, damit
hier weitergemacht werden kann.
Vergessen Sie nicht die Schleuse in Scharnebeck.
Dort gibt es ein Problem mit dem Elbe-Seitenkanal. Herr
Staatssekretär Ferlemann kennt das Problem. Auch hier
erwarte ich, dass die Koalition tätig wird. Also: Eine
weitere Infrastrukturmilliarde ist notwendig. Setzen Sie
sich mal durch! Tun Sie was Gutes für Deutschland!
Glück auf!
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Sebastian
Körber für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach dieser Klamaukrede des Kollegen Kahrs wird eseinem schon ganz anders. Wenn die einzige sozialdemo-kratische Vision für dieses Land Mehrbelastung derMenschen und die Absicht, neue Schulden zu machen,ist, dann wird mir sicherlich nicht bange.
Bei all diesen Zahlen dürfen Sie aber nicht vergessen:Wenn wir uns den Mobilitätsbedarf der Gesellschaft an-sehen, stellen wir fest, dass wir einen Ausbau von allenVerkehrsträgern brauchen, und zwar gleichwertig.Es ist völlig unbestritten,
dass in den nächsten Jahrzehnten die Straße – Sie müs-sen zuhören, Herr Kollege Kindler –
der Verkehrsträger Nummer eins bleiben wird, zumin-dest für uns als schwarz-gelbe Koalition.Mit Verlaub, da Sie in letzter Zeit sehr medienwirk-sam Elektroautos anschauen: Die großen Dienstlimousi-nen – Frau Künast unterhält sich ja dahinten – stehen umdie Ecke, und vorne, wo die Kameras stehen, werden dieElektroautos angeschaut. Allerdings werden auch die aufStraßen fahren müssen.Natürlich darf man nicht vergessen, dass wir geradein diesem Bereich weiter investieren müssen, und zwarnicht nur in Lärmschutz und Ortsumgehungen. Das istbei weitem nicht ausreichend.Aber schauen wir vielleicht einmal zu Ihnen nach Ba-den-Württemberg, liebe Kolleginnen und Kollegen von
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Sebastian Körber
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den Grünen. Da haben Sie ja Regierungsverantwortung,gerade im Verkehrsbereich. Ich finde es fast schonschandhaft, dass Sie hier den Kommunen jegliche Unter-stützung für weitere Straßen völlig versagt haben. DieUnterstützung für die Straße haben Sie in Baden-Würt-temberg nämlich auf null gesetzt.
Auch dort müssten übrigens die Elektroautos auf derStraße fahren. Sie bauen dort lieber mehr Radwege.Aber wir sind nun einmal nicht im Legoland.
Es funktioniert halt nicht.
Schauen Sie sich doch einmal den ländlichen Raum an.Da sind die Bürgerinnen und Bürger darauf angewiesen,dass es Straßen gibt. Sie können sich nicht – das war jaauch ein Vorschlag – auf ein abgewracktes Fahrrad set-zen. Auch das wird natürlich nicht funktionieren. Wirsetzen hier weiterhin auf die individuelle Freiheit unddie freie Wahl des Transportmittels.Meine sehr verehrten Damen und Herren, schauen wiruns ein weiteres sozialdemokratisches Märchen an. Siereden immer von Gebäudesanierung und steuerlichenAbschreibungsmöglichkeiten. Bei der Gebäudesanie-rung – das gehört zur Wahrheit auch dazu; das muss ein-mal klargestellt werden – hat der Kollege Tiefensee, einSPD-Minister, diese Mittel zweimal auf drei Jahre be-fristet. Sie haben zweimal die Ausgabe von Mitteln vor-gezogen und haben uns dann in den Haushaltsjahren2009 und 2010 quasi ein Defizit übergeben.Mit der gleichen Inbrunst treten Sie im Bundesrat auf.Wir brauchen dringend diese steuerlichen Abschrei-bungsmöglichkeiten bei der energetischen Gebäudesa-nierung, um gerade auch beim Klimaschutz voranzu-kommen.
Diese schwarz-gelbe Regierungskoalition, die Bun-desregierung, hat der Übernahme des Bundesanteils beiden steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten durch dieentsprechenden Gesetze bereits zugestimmt. Der wirdbei etwa 638 Millionen Euro angesetzt.
Wir haben energetische Stadtsanierung eingeführt unddas CO2-Gebäudesanierungsprogramm endlich verste-tigt. Das heißt, wir stellen bereits weit mehr als 2 Mil-liarden Euro für energetische Gebäudesanierung zur Ver-fügung.
Es ist nun einmal ein zustimmungspflichtiges Gesetz imBundesrat. Wir haben unsere Hausaufgaben hier ge-macht.
Sie sollten es jetzt einmal in den Ländern machen, ge-rade auch in NRW bei der Kollegin Kraft.
– Ich kann das sehr gerne aufgreifen. Ich kann eine IhrerRegierungen zitieren – Zitat der Frau Kollegin Kraft –:Die Energiewende kann nur als Gemeinschaftswerkerfolgreich sein.Ja, dann soll sie ihre Blockadehaltung endlich aufgeben.Sie haben es doch in der Hand.
– Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen Siedoch wenigstens eine Zwischenfrage. Da kann man nochetwas lernen, Herr Pronold.Im Gebäudebestand müssen wir unsere Energieein-sparpotenziale heben. Das steht für mich und auch fürdie schwarz-gelbe Regierungskoalition fest. Wir setzenhier weiter auf Anreize anstelle von Zwangsmaßnah-men. Das ist etwas, was die Kolleginnen und Kollegenvon den Grünen immer wieder gerne vorschlagen, dassHausbesitzer immer weiter belastet werden sollen.
Dies ist schließlich und endlich nicht zulässig; denn esgeht auch darum, das Eigentum der Menschen zu schüt-zen.Im Windschatten der Energiewende segelt immerauch ein Stück weit der demografische Wandel.
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Sebastian Körber
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Es gehört dazu, dass wir den altersgerechten Umbau vo-ranbringen und auch in öffentlichen Bereichen entspre-chend Barrieren reduzieren. Der Kollege Vaatz hat esbereits angesprochen. Hier erwarte ich mir als Parlamen-tarier auch noch etwas mehr Einsatz von der Regierung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Bereichder Wohnungspolitik macht Rot-Grün in letzter Zeit jaauch wieder Schlagzeilen. Sie spielen in Wahlkampfzei-ten immer gern mit den Ängsten der Mieter. Bund, Län-der und Kommunen unterstützen mit insgesamt – manmuss sich nur einmal die Zahlen, da wir gerade über denHaushalt debattieren, vor Augen führen – 17 MilliardenEuro jährlich etwa 5 Millionen Haushalte, denen wirWohngeld zahlen. Das ist in etwa jeder zehnte Haushalt.Man muss doch auch einmal sehen, wie viel Geld wirbereits in diesem Bereich aufwenden.Zusätzlich geben wir 518,2 Millionen Euro für die so-ziale Wohnraumförderung aus. Ich erachte es als wich-tig, dass das in den Ländern dann auch für diese Zweckeverwendet wird. Das ist, glaube ich, auch ein ganz ent-scheidender Punkt, über den der eine oder andere nach-denken sollte.
In Bayern wird es exzellent eingesetzt. Das wird auchschwarz-gelb regiert.
Die Städtebauförderung haben wir effizienter ausge-staltet. Der ein oder andere Baudezernent und zahlreicheKommunalpolitiker hatten zum Schluss gar keinenÜberblick mehr über die verschiedenen Programme, dieSie angehäuft hatten. Für die Städtebauförderung stellenwir erneut 455 Millionen Euro zur Verfügung, und zwarzusätzlich zu den Mitteln für das Programm „Energeti-sche Stadtsanierung“. Insbesondere Programme wie„Kleinere Städte und Gemeinden“, „Soziale Stadt“ so-wie „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ profitieren da-von. – Hier hätte ich Applaus zumindest von der SPD er-wartet; denn das alles ist gut für den ländlichen Raumund wirkt dem Flächenverbrauch in diesem Land entge-gen.Es ist klar, dass wir die Probleme des Landes im Blickhaben. Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt, dass wirein klares Konzept haben. Das steht im Gegensatz zudem, was Sie gesagt haben. Von Visionen habe ich Ihrer-seits nichts gehört. Wir stellen weiterhin Mittel für be-zahlbare Mobilität, energieeffizientes Bauen und nach-haltige Stadtentwicklung zur Verfügung.Vielen Dank.
Thomas Lutze ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr ge-ehrter Herr Minister Ramsauer, die Menschen kennenSie als einen Mann deutlicher Worte. Nach drei JahrenWahlperiode müssen Sie sich auch an Ihren Taten mes-sen lassen.
Wir sind uns sicherlich alle einig, dass die Mobilität ei-ner der wichtigsten volkswirtschaftlichen Faktoren ist.Trotzdem werden die meisten Bürgerinnen und Bürgerim Verkehrsbereich durch deutliche Kostensteigerungenbelastet.Punkt eins: die steigenden Kraftstoffpreise. Bei derMehrwertsteuer zum Beispiel ist der Staat einer derNutznießer der Abzocke an den Zapfsäulen.
An nur einer Tankfüllung von 50 Litern verdient derStaat allein durch die Mehrwertsteuer heute knapp6 Euro mehr als noch im Jahr 2004. Hier könnten Sie et-was tun, Herr Ramsauer. Im Haushaltsentwurf dazufinde ich nichts. Frankreich macht es gerade vor: Dortwurden die Kraftstoffpreise um 10 Cent pro Liter ge-senkt.Die Mineralölkonzerne fahren Gewinne ein, die einenvor Neid erblassen lassen. Zwei Beispiele gefällig? Ers-tes Beispiel: Exxon Mobil – dazu gehört auch Esso –macht als weltweit größter Mineralölkonzern 41 Milliar-den Dollar Gewinn pro Jahr. Zweites Beispiel: Shell, Eu-ropas größter Anbieter, steigerte seinen Gewinn imzweiten Quartal 2011 gegenüber dem Vorjahreszeitraumum 97 Prozent. Nein, an den Tankstellen jedenfalls funk-tioniert das klassische marktwirtschaftliche Prinzip vonAngebot und Nachfrage nicht. Wenn die Verkaufspreisetäglich um 10 Cent schwanken und wenn es in einemUmkreis von wenigen Kilometern zu Differenzen vonbis zu 12 Cent pro Liter kommt, dann hat das nichts mitdem Ölpreis oder dem Dollarkurs zu tun; damit lässt sichdas nicht begründen. Als im Juni dieses Jahres derRohölpreis um 25 Prozent im Vergleich zum Februarsank, gab es an den Zapfsäulen keine Preissenkungen.Beim Dollarkurs das gleiche Bild: Steigt der Dollar, stei-gen die Spritpreise; fällt der Dollar, passiert nichts.Ich will Ihnen sagen, was der Hauptgrund für diesePreissteigerungen ist: Es ist die hemmungslose Geldgierder Mineralölkonzerne. Herr Ramsauer, da hilft unskeine Transparenzstelle, wo die Daten nur erfasst wer-den. Sie müssen die Verkaufspreise staatlich festlegen.Luxemburg zum Beispiel macht das, und Luxemburg istbekanntlich kein sozialistisches Land. Eine staatlicheBehörde muss also jeden Tag den Verkaufspreis festle-gen. Dieser Preis muss dann 24 Stunden gelten. Das wird
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Thomas Lutze
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höchstwahrscheinlich nicht die allgemeine Preissteige-rung verhindern. Aber das schränkt wenigstens die ab-surden Preisschwankungen, die täglich auftreten, ein.Zweites Beispiel sind die steigenden Preise im öffent-lichen Nahverkehr. Es wird schnell gesagt: Wenn derSprit so teuer ist, kann man mit Bus oder Bahn fahren. –Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir werden zum Jahres-wechsel wieder erleben, dass die Preise der Bahn undder regionalen Verkehrsanbieter deutlich anziehen wer-den. Gerade für Pendler werden die Monatskarten wie-der deutlich teurer. Nach wie vor sind die Mobilitätsan-gebote vor allem im ländlichen Raum und an denWochenenden lückenhaft. Unsere Kommunen haben zu-nehmend Probleme, sich den ÖPNV überhaupt zu leis-ten. Hier darf der Bund nicht weiter kürzen. Sonst blei-ben Busse und Bahnen irgendwann im Depot.
Was passiert im Fernverkehr der Bahn, HerrRamsauer? In der Preispolitik nichts. Kürzen Sie endlichdie Mehrwertsteuer auf Fernverkehrsfahrkarten von 19auf 7 Prozent; das ist in fast allen anderen EU-Staatenüblich. Dann werden wieder mehr Menschen mit derBahn fahren, und Sie haben aufgrund der gestiegenenFahrgastzahlen genauso viel Geld in Ihrer Steuerkassewie zuvor.
Bei Milliardenprojekten wie Stuttgart 21 oder demBerliner Flughafen scheint Geld keine Rolle mehr zuspielen, aber auch der teure Schienennetzausbau für Ge-schwindigkeiten bis zu 300 km/h ist in den letzten Jah-ren wichtiger gewesen als der Bahnverkehr in der Flä-che. Hier sollten Sie, Herr Ramsauer, zumindest in derZukunft umdenken. Von Bahnchef Grube kamen dazuschon einige Anregungen.Sie müssen Geld in die Hand nehmen und die über16 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dietäglich als Pendler zum Arbeitsplatz müssen, entlasten.Die Linke fordert eine Erhöhung der Entfernungspau-schale von mindestens 10 Cent pro Kilometer. Die letzteAnpassung gab es im Übrigen 2004. Damals kostete derLiter Benzin 1,10 Euro. Außerdem müssen endlich ge-eignete Voraussetzungen geschaffen werden, damit auchPendler mit geringem Einkommen davon profitieren.
– Vielleicht hören Sie kurz zu, Herr Kollege von denGrünen. – Es müssen die Voraussetzungen dafür ge-schaffen werden, dass auch diejenigen profitieren, diekeine oder nur sehr wenige Steuern bezahlen. Dafür gibtes hier im Parlament leider noch keine passende Initia-tive. Da sollten wir alle schnell aktiv werden.
Es kann nicht sein, dass derjenige, der keine Steuern be-zahlt, von der Pendlerpauschale nicht profitiert.Anstatt die sogenannte Elektromobilität zu fördern,sollte das Augenmerk endlich auf den Kraftstoffver-brauch der Fahrzeuge gelegt werden. Gerade wurde derneue Golf vorgestellt, sicherlich ein tolles Auto. Dochbeim Spritverbrauch hinkt die Standardvariante mindes-tens zehn Jahre hinterher. Würde der Gesetzgeber jenach Fahrzeugklasse Verbrauchsobergrenzen für Neu-wagenzulassungen einführen, dann hätten Golf, Astra,Focus und wie sie alle heißen längst serienmäßig Dreili-termotoren. Dafür brauchten Sie, Herr Ramsauer, nochnicht einmal einen eigenen Titel im Haushalt. Dafürmüssten Sie nur handeln. Unsere Unterstützung hättenSie dafür.Ein herzliches Glückauf und vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Zur Sicherstellung der Funktionsfä-higkeit des bestehenden Straßennetzes hat das BMVBSfür das Jahr 2013 2,5 Milliarden Euro Erhaltungsinvesti-tionen eingeplant. – So liest man es im Schwerpunktepa-pier zum Haushalt. Man denkt: Endlich wird der Grund-satz „Erhalt vor Neubau“ auch tatsächlich umgesetzt.Denn wir alle wissen: Der Substanzverzehr der Infra-struktur verursacht volkswirtschaftlichen Schaden.Doch der Haushaltsplan ist die Theorie, der Haushalts-vollzug ist die Praxis, und die sieht vollkommen andersaus. Die Flexibilisierung durch die gegenseitige De-ckungsfähigkeit der Haushaltstitel wird nämlich systema-tisch missbraucht. Schauen wir uns das letzte Jahr an.2011 überstiegen die für den Neubau von Autobahneneingesetzten Haushaltsmittel, die hier vom Bundestag be-schlossen wurden, den Verfügungsrahmen um 60 Pro-zent. Trotz Sanierungsstaus im Autobahnnetz wurde 2011der geplante Verfügungsrahmen für den Erhalt nur zu87 Prozent ausgeschöpft. Es wird also sichtbar zulastender Substanz umgeschichtet.Besonders ausgeprägt – das ist sehr interessant – ist derVerschiebebahnhof in zwei Bundesländern. Sie könnenraten: Bayern ist dabei, das andere Land ist Niedersach-sen. Das ist insbesondere im Bereich der Bundesstraßender Fall, Stichwort „Ortsumfahrung“. Beide Länder ha-ben 2011 nicht einmal die Hälfte des mit dem Bundes-haushalt abgesteckten Verfügungsrahmens in den Erhaltdes Bundesstraßennetzes investiert. Zufällig wird 2013 inbeiden Ländern der Landtag gewählt. Schwarz-Gelb willoffensichtlich noch einige Wahlgeschenke verteilen. „Er-halt vor Neubau“ bleibt ein Lippenbekenntnis des Minis-ters Ramsauer. Da helfen auch keine schönen Reden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23227
Stephan Kühn
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Genauso ist es bei dem Nationalen Radverkehrsplan.Da wird eine große Offensive in Sachen Radverkehrsför-derung angekündigt, und gleichzeitig werden die Mittelfür den Bau von Radwegen entlang von Bundesstraßengekürzt. Standen 2010 noch 100 Millionen Euro zur Ver-fügung, sind es 2013 gerade einmal noch 60 MillionenEuro, die eingeplant sind. Wir wissen, dass erst dieHälfte der Bundesstraßen eine entsprechende Radwegin-frastruktur hat. Offensichtlich soll auch der NationaleRadverkehrsplan nur eine Ankündigung bleiben, einschönes Papier für die Vitrine. Praktisches Regierungs-handeln daraus ist jedoch nicht zu erwarten.
Am Mittwoch hatten wir vom Verkehrsausschuss dieGelegenheit, die Baustelle des neuen Hauptstadtflugha-fens zu besichtigen. Was wir gesehen und gehört haben,war doch sehr interessant. So haben wir erfahren, dassdie Entrauchungsanlage an der Baugenehmigung vorbeigebaut wurde und man mit der zuständigen Genehmi-gungsbehörde offensichtlich nicht in eine intensiveKommunikation getreten ist. Wir haben feststellen kön-nen, dass der Pfusch mit Blick auf den Termindruck im-mer größer geworden ist. Am Ende ging es einfach nurdarum, fertig zu werden, egal wie. Das konnte man sehrschön daran erkennen, wie die Kabeltrassen verlegt wor-den sind. Wenn man an dieser Stelle nachgebohrt hat,war es wie immer: Niemand hat es bemerkt, niemandwill dafür verantwortlich gewesen sein.Meine Damen und Herren, die Terminverschiebungkostet die öffentliche Hand nicht nur 1,2 Milliarden Eurozusätzlich, sondern sie offenbart krasses Management-versagen der Flughafengesellschaft und auch der Auf-sichtsratsmitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Über-wachungsfunktion in diesem Gremium.
Jahrelang haben auch die Bundesvertreter im Auf-sichtsrat offensichtlich unkritisch den Aussagen der Ge-schäftsführung und der Planungsgemeinschaft pg bbi ver-traut. Dann fragt man sich, wo das bessere Controlling,das kritische Nachfragen denn geblieben ist? Es hat nichtstattgefunden. Im Gegenteil: Im Mai dieses Jahres stimmteder Aufsichtsrat dem unterbreiteten Rahmenterminplanfür die Eröffnung am 17. März 2013 zu. Diesen Plan hatnoch die Planungsgesellschaft pg bbi erarbeitet. DieserTruppe kündigte man eine Woche später wegen mangel-hafter Koordination und fehlender Erbringung von Bau-überwachungsleistungen. Dieser Truppe, zu der mandann kein Vertrauen mehr hatte, hat man noch eine Wo-che vorher bezüglich des Terminplans geglaubt. Daspasst alles nicht zusammen und zeigt, wie wenig auchdie Bundesvertreter im Aufsichtsrat ihre Aufgabenwahrgenommen haben.
Herr Ramsauer, Sie haben angekündigt, über Konse-quenzen mit den anderen Anteilseignern Gespräche zuführen. Ich muss ehrlich sagen: Die Zeit für Ankündi-gungen ist vorbei; wir wollen Taten sehen. – Wir forderndie Einleitung eines Verfahrens zur Sicherung von Scha-densersatzansprüchen aufgrund der falschen Entschei-dungen in Richtung der Geschäftsführung. Sie musshaftbar gemacht werden. Es kann auch nicht sein, dassdie Geschäftsführung für 2011 noch irgendwelche Er-folgsprämien ausgezahlt bekommt. Wir brauchen drin-gend einen Neuanfang im Aufsichtsrat. In dieses Gre-mium müssen Fachleute einziehen. Wir brauchen alsoeine Umstrukturierung. Gleiches gilt für die Geschäfts-führung.
Noch einmal, Herr Minister: Schluss mit den Ankün-digungen! Liefern Sie endlich!
Nächster Redner ist der Kollege Reinhold Sendker für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Infrüheren Wahlperioden ist eindeutig zu wenig in die In-standhaltung investiert worden; das dürfen wir am Endeder heutigen Debatte eindeutig feststellen. Allein derVergleich zwischen Sommer, konkret: Juli 2011, Bau-stellenlänge in Deutschland 1 400 Kilometer, und Juli2012, Baustellenlänge in Deutschland 2 000 Kilometer,unterstreicht die Ausrichtung: Erhalt steht vor Neubau.Das betrifft, wie wir alle wissen, viele Brückenbauwerkein Deutschland und zahlreiche Autobahnabschnitte. Esgilt also, ein enormes Volksvermögen im Sinne von Wachs-tum und Entwicklung in unserer Volkswirtschaft zu er-halten und zu optimieren.Die Gesamtinvestitionen liegen erneut bei gut 10 Mil-liarden Euro. Das ist mehr als in den Jahren vor derFinanz- und Wirtschaftskrise. Ich denke, es ist ein be-merkenswerter Erfolg, dass dank der Haushaltskonsoli-dierung die Schuldengrenze schon 2013 unterschrittenwerden kann, andererseits der Verkehrsinvestitionsum-fang auf hohem Niveau erhalten bleiben kann. Da istman versucht, zu fragen: Wer außer dieser Koalitionhätte das zustande gebracht?
– Wissen Sie, wenn ich mir die Haushaltszahlen aus denZeiten von Herrn Tiefensee ansehe, dann muss ich fest-stellen: Sie sind nicht wirklich vom Acker gekommen.Wahr ist aber auch, dass durch das Anwachsen derHaushaltsansätze für die Erhaltungsmaßnahmen wenigerSpielraum für die Bedarfsmaßnahmen vorhanden ist.Das wird in den nächsten Jahren wohl noch deutlicher.Die umfassenden Grunderneuerungen sind aber unaus-weichlich. Deswegen benötigen wir für Erhalt und Aus-bau weitere Mittel und unterstützen unseren Minister inseiner klaren Forderung nach einer Zusatzmilliarde fürdie Verkehrsinfrastruktur.
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Reinhold Sendker
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Das hier schon angesprochene Investitionsbeschleu-nigungsprogramm erhält in 2013 weitere 290 MillionenEuro. Danach verbleiben nur noch 210 Millionen Euroan Programmmitteln. Ich darf bemerken: Für die fünfteSchleuse in Brunsbüttel und für die Verkehre mit demOstseeraum sind diese Mittel so dringlich wie unver-zichtbar.Weitere 100 Millionen Euro werden durch die Aus-dehnung der Lkw-Maut auf vierspurige Bundesstraßenerwartet. Auch sie werden für die Stärkung von Qualitätund Leistungsfähigkeit unserer Straßen verwendet. MeineDamen und Herren, was die Mauteinnahmen in Gänzebetrifft, so darf ich feststellen, dass die Schaffung desFinanzkreislaufs Straße heute durch deutlich mehr Ak-zeptanz und Transparenz ein Erfolg unserer Koalitionist.In der Verkehrspolitik gilt unser Augenmerk ganz be-sonders den Ideen und Ansätzen zur Optimierung vonBestand und Weiterbau, und zwar vor allem dann, wenndiese wirtschaftlich sind und – ich füge hinzu – nochmehr Transparenz bieten. Diese Zieldefinition passtübrigens auch gut zu ÖPP. Die knappen Mittel für denAus- und Weiterbau vor Augen und mit dem Wissen umpositive Ergebnisse bei vorläufigen Wirtschaftlichkeits-untersuchungen im Hinterkopf kann ich das Herum-drucksen und das teilweise Zurückweisen von sinnvollenÖPP-Projekten in Deutschland durch rot-grüne odergrün-rote Landesregierungen beim besten Willen nichtmehr nachvollziehen.
Ein anderes Thema ist das Thema der Verkehrssicher-heit, das unserer Koalition besonders am Herzen liegt.Seit den 70er-Jahren gibt es 82 Prozent weniger Ver-kehrstote. Das ist eine sehr gute Bilanz. Dass die Zahlder Verkehrstoten im Jahr 2011 erstmals wieder ange-stiegen ist, ist ein ernstes Signal. Daher begrüßen wirausdrücklich die Erhöhung des Haushaltsansatzes um15 Prozent. Auch das ambitionierte Verkehrssicherheits-programm unseres Ministers mit dem Ziel, in der Zeitvon 2011 bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um40 Prozent zu verringern, ist das richtige Signal in unse-rer Debatte.Der Sicherheit auf unseren Straßen dienen aber auch130 Millionen Euro im Haushalt 2013 für die Schaffungvon Lkw-Parkständen und zusätzliche 50 MillionenEuro für die Betriebsdienste an den Bundesfernstraßen.Ich bin häufig Gast eines sogenannten Fernfahrerstamm-tisches an einer BAB-Raststätte. Dort wird Klartext ge-sprochen, wie wichtig und dringend unsere Investitionenund unser klares Bekenntnis zum Ausbau dieser Park-stände im Interesse des Verkehrsflusses auf unserenBundesfernstraßen sind.Für mehr Verkehr und für mehr Sicherheit im Straßen-verkehr und für Lärmminderung sind weitere 181 Mil-lionen Euro für Projekte an Schienenwegen und nocheinmal 60 Millionen Euro für Maßnahmen an den Perso-nenbahnhöfen eingestellt. Darauf verweise ich immerwieder gern. Erfreulicherweise ist der Gesamtansatz fürdie Investitionsmittel für die Schiene höher als im Jahr2012.Meine Damen und Herren, wenn wir hier über dieOptimierung des Verkehrsflusses bei steigenden Ver-kehrsmengen diskutieren und reden, dann muss unserAugenmerk auch auf die Verbesserungen bei unserenBundeswasserstraßen gerichtet sein. Allein in Nord-rhein-Westfalen verkehren 30 Prozent der Güterverkehreauf NRW-Wasserstraßen.
Auch hier dienen Substanzerhaltung und -erneuerungder Steigerung der Leistungsfähigkeit des Wasserwege-netzes. Aktuelle Schwerpunktmaßnahmen liegen nichtnur beim NOK, sondern auch im westdeutschen Kanal-netz sowie bei Rhein, Main, Mosel, Neckar und den see-wärtigen Anbindungen unserer Seehäfen mit der Anpas-sung notwendiger Fahrrinnen.
Wir haben also von der Instandsetzung der Schleusen bishin zur modernen Wasserwegeinfrastruktur allen Grund,in 2013 und in den Folgejahren genau diesen Verkehrs-träger weiterhin ausdrücklich zu stärken.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Klimabi-lanz sind das jährlich 5,6 Millionen Tonnen weniger anCO2-Ausstoß. Das ist mehr als der Ausstoß von Berlin.In Handwerk und Mittelstand werden 300 000 Arbeits-plätze gesichert. Kurz gefasst ist das das Ergebnis unddie Erfolgsgeschichte des CO2-Gebäudesanierungspro-gramms. Es leuchtet in das Land hinein, und deswegenwerden wir es in den nächsten Jahren im Rahmen derEnergiewende fortsetzen.Ergänzend zur Städtebauförderung erneut in Höhevon 455 Millionen Euro unterstützt der Bundeshaushaltdie Kommunen im kommenden Jahr mit 100 MillionenEuro für Maßnahmen der energetischen Stadtsanierung.In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich festgestellt,dass auch der Haushalt 2013 mit vielen weiteren positi-ven Ausschlägen aus anderen Etatbereichen wieder ein-mal ein ausgesprochen kommunalfreundlicher Haushaltist, und diesen Weg wollen wir fortsetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich abschließend sagen: Wir werden in Deutschlanddurch unseren starken Logistikstandort, als Transitlandund als Wachstumslokomotive im Herzen von Europa inder Zukunft starke Güterverkehre und Zuwächse zu ver-kraften haben. Dazu brauchen wir eine Stärkung derStraßeninfrastruktur verbunden mit einer weiteren Verla-gerung auf Schiene und Wasserwege, um das Netz insge-samt zu ertüchtigen.Was Anspruch und Wirklichkeit angeht, sehr geehrterHerr Kollege Pronold: Sie haben vorhin festgestellt, im
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23229
Reinhold Sendker
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Bereich kombinierte Verkehre herrsche Stillstand. Ich darfIhnen sagen, auch im vorliegenden Haushaltsentwurfsind für diesen Bereich 107 Millionen Euro vorgesehen.Bis 2011 wurden 75 Umschlaganlagen der kombiniertenVerkehre gefördert, was einer täglichen Entlastung desVerkehrs in einer Größenordnung von 15 000 Lkw ent-spricht.
Das sind gute Botschaften. Das ist Ausdruck einer er-folgreichen Politik, die wir im nächsten Jahr fortsetzenwerden.Vielen herzlichen Dank.
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Verkehrsetat mit einem Volumen von25,7 Milliarden Euro und einem Investitionsanteil von13,6 Milliarden Euro ist der Investitionshaushalt desBundes schlechthin. Ein besonderer Schwerpunkt diesesHaushalts sind die Investitionen in die Verkehrsinfra-struktur. Trotzdem ist dieser Einzelplan eingebettet inein Gesamtbemühen, das aus haushaltspolitischer Sichtgeboten ist, nämlich die Haushaltskonsolidierung, dieRückführung der Neuverschuldung, das Erreichen derNullverschuldung des Bundes.Die Redner der Opposition haben vorhin mit Kroko-dilstränen höhere Ausgaben für Verkehrsinvestitionengefordert.
Ich will daran erinnern: Das Elend für den Verkehrsetathat unter dem damaligen Verkehrsminister Stolpe mitdem Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 begonnen.
Die Verkehrsinvestitionen – ich weiß das noch auswen-dig – sanken dadurch um mehr als 2,5 Milliarden Euro.Es versteht sich doch von selbst, dass jedes Mitglied die-ses Hauses, auch jeder Haushälter auf die Investitioneninsbesondere im Bereich der Infrastruktur besonderesAugenmerk legen wird. Wir vonseiten der Koalitionwerden das in den nächsten Wochen und Monaten imHaushaltsausschuss tun; das sage ich ausdrücklich.Die Verkehrsinfrastruktur – Kollegin Dr. Wintersteinhat es vorhin angesprochen – ist nach wie vor ein sehrgroßer, bedeutender und positiver Standortfaktor für diedeutsche Volkswirtschaft. Deswegen müssen wir auf denErhalt und die Funktionsfähigkeit der Verkehrsinfra-struktur größten Wert legen.
Es darf nicht zu der Situation kommen, wie sie in denVereinigten Staaten von Amerika heute zu beobachtenist. Ein aus China stammender Amerikaner führte bezo-gen auf die dortige Infrastruktur in der Passauer NeuenPresse aus: Die USA heute sind wie China in den 80er-Jahren. – Das ist ein Nachteil für eine Volkswirtschaft.Darunter hat die volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähig-keit Amerikas gelitten. Gleiches sollte uns nicht passie-ren. Im Gegenteil: Wir müssen darauf achten, dass wiraufgrund der demografischen Entwicklung – wir wissen,dass die Zahl der Erwerbsfähigen bis 2040 von derzeit39 Millionen auf 38 Millionen zurückgeht – gezwungensind, leistungsfähiger und effizienter zu werden.Es ist notwendig, dass wir in Bildung und Forschunginvestieren. Wir dürfen aber nicht so tun, als ob Ver-kehrsinfrastruktur bzw. Infrastruktur allgemein einenGegensatz dazu darstellen würden, als ob es auf der ei-nen Seite Investitionen in Kopf und Geist geben würdeund alles andere wären Investitionen in Beton und Be-tonköpfe. Nein, auch diese Infrastruktur ist notwendig,um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zukönnen.
Wir dürfen in ideologisch geführten Debatten keinenGegensatz herbeireden, ob es etwa besser ist, mehr inden Bereich Schiene, Wasserstraße und Luftverkehr odermehr in den Bereich Straßenbau zu investieren. JedesMobilitätsbedürfnis sollte möglichst optimal bedientwerden, umweltschonend und günstig. Da gibt es natür-lich unterschiedlichste Anforderungen.Ich komme zum Bereich der Städtebauförderung.Auch hier haben wir
dafür gesorgt, insbesondere bei den Beratungen desHaushaltsausschusses, dass wir nach wie vor eine we-sentliche Leistung erbringen können, mit 455 MillionenEuro dotiert. Im letzten und vorletzten Jahr gab es Briefevon den Kommunen und Länderfinanzministern einer-seits. Andererseits haben sich bei der Bauministerkon-ferenz mindestens drei Landesminister gegen eine Er-höhung ausgesprochen, weil sie die Sorge hatten, einehöhere Kofinanzierung aufbringen zu müssen. So gehtdas nicht. Wenn wir dies als gemeinsame Aufgabe anse-hen, dann gilt das gleichermaßen für Bund, Länder undGemeinden.
Vorhin hat Kollege Sendker Sie erfreulicherweise da-rauf hingewiesen, was wir bei der CO2-Gebäudesanie-rung tun. Wir halten die 1,5 Milliarden Euro aufrecht,auch wenn es aus dem Energie- und Klimafonds finan-
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23230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Bartholomäus Kalb
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ziert wird. Die Staatssekretärsrunde hat sich darauf ver-ständigt, dass der CO2-Gebäudesanierung höchste Prio-rität einzuräumen ist. Auf die Effekte hat KollegeSendker hingewiesen. Ich will verzichten, darauf weitereinzugehen. Wenn Ihnen das Anliegen der CO2-Minde-rung, der Energieeinsparung so wichtig ist, dann gebenSie Ihren Widerstand im Bundesrat auf. Es kann dochnicht sein, dass es nur gut ist, wenn der Bund viel Geldgibt. Da kann nichts teuer genug und hoch genug sein.Aber sobald die Länder mit am Tische sitzen, dann sollam besten gar nichts passieren, damit es nichts kostet.Abgesehen davon bin ich der Meinung, dies bringtvolkswirtschaftliche Erträge, die sich auch in Steuerein-nahmen niederschlagen.
Mir läuft ebenfalls die Zeit davon. Ich hätte nochgerne etwas zu dem Desaster Flughafen Berlin-Branden-burg gesagt. Es ist nicht nur das gegenwärtige Thema.Ich bin lang genug in diesem Hause. Ich erinnere michnoch an die sehr exponierten Ziele, die seinerzeit ausge-sprochen worden sind. Er sollte ursprünglich einmal imJahr 2007 an den Start gehen. Davon kann man gar nichtmehr reden. Ich sage dies mit einem Unterton des Be-dauerns und der Traurigkeit. Gerade wir, KollegePronold, wissen, dass ein leistungsfähiger Flughafenenorme Entwicklungspotenziale für die jeweilige Wirt-schaftsregion auslöst, wie wir es in München sehenkonnten. Ich sage dann immer stolz: Die können darüberdiskutieren, ob das München II oder Niederbayern I ist.Die ganze Region hat daraus eine positive Entwicklungverzeichnen können.Ich sage auch nichts mehr zu dem Thema GVFG, daseben angesprochen worden ist. Die Länder wollten inder Föderalismuskommission – dort saßen Bund undLänder zusammen – diese Aufgabe übertragen bekom-men. Wir haben im Haushaltsentwurf 2013 1,335 Mil-liarden Euro an Zuweisungen für die Länder vorgesehen,die dann in eigener Verantwortung handeln müssen. Nurerwarte ich von den Ländern, dass sie dieses vom Bundübertragene Geld dann auch so einsetzen, dass es tat-sächlich der Verbesserung der Gemeindeverkehrsinfra-struktur und dem ÖPNV zugute kommt und nicht derHaushaltssanierung dient.
Herr Kollege Kalb.
Ich darf zum Schluss kommen, Herr Präsident, und
ihre Mahnung ernst nehmen.
Sie dürfen.
Für die Koalitionshaushälter sage ich, dass wir mit
großer Ernsthaftigkeit in die jetzt anstehenden Haus-
haltsberatungen im Ausschuss gehen werden und hier
genau überlegen werden, welche Akzente und Schwer-
punkte zu setzen sind. Lassen Sie uns das mutig und gut
angehen!
Herzlichen Dank.
Wir kommen damit zur Schlussrunde der Haushalts-
beratungen dieser Woche. Ich darf das Wort dem Kolle-
gen Rüdiger Kruse für die CDU/CSU-Fraktion erteilen.
Vielleicht warten Sie noch einen kleinen Augenblick,
bis sich der Schichtwechsel vollzogen hat.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Ich beginne meine Rede einmal mit einem gar nicht sodramatischen persönlichen Bekenntnis: In diesem Landzahle ich sehr gerne Steuern.
Das hat etwas mit dem jetzigen Regierungsentwurf, mitder Debatte hier und im Haushaltsausschuss und mit derArbeit des Parlaments insgesamt zu tun. Natürlich istSteuernzahlen eine Pflicht, aber man kann Pflichten un-terschiedlich nachkommen.Dass ich sie gerne zahle, hat etwas damit zu tun, dasswir hier mehr als andere sehen können, was alles mitdiesen Steuergeldern gemacht wird. Man kann an der ei-nen oder anderen Stelle zwar sagen: „Das könnte mannoch besser machen“ – über einzelne Projekte kann manunterschiedlicher Meinung sein; das haben wir ja auchvertiefend diskutiert –, aber im Großen und Ganzen ha-ben sie dazu beigetragen, dass wir in den vielen Jahrennach dem letzten Weltkrieg ein wunderbares Gemeinwe-sen geworden sind. Da weiß man, wofür man das tut.Das sollte auch immer die Grundlage unserer Debattesein: Ja, wir streiten weiterhin für das Bessere, aber es istschon recht gut.
Natürlich reklamieren wir ein gutes Stück Anteil andiesem Zustand. Das kann man natürlich auch begrün-den. Die Höhe der Ausgaben in diesem Regierungsent-wurf liegt zum Beispiel nicht am Limit dessen, was unsdurch die Schuldengrenze erlaubt ist, sondern so weitdarunter, dass wir für alle Gelegenheiten gut aufgestelltsind und wieder, so wie auch in den vergangenen Jahren,die Chance haben, dass das Ergebnis bei Tatkraft und gu-ter Entwicklung noch besser wird, als wir es vorgeben.Herr Poß hat in seinem Beitrag für die SPD-Fraktion
– „der war gut“, sagen Sie; er war geeignet, darauf zuantworten – die Verortung des Finanzministers themati-siert. Er war der Meinung, er sei nicht auf der Höhe derZeit.
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Rüdiger Kruse
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Nun kann man sagen, dass es für den einen oder ande-ren sehr anstrengend ist, auf der Höhe der Zeit zu sein.Was ist eigentlich, wenn Sie auf der Höhe der Zeit sind?
Der jetzige Augenblick: Dafür, dass Sie hier sind, kön-nen Sie direkt nichts. Das ist also die Gegenwart. Es istin Deutschland zwar immer mal ganz nett, die Vergan-genheit ein bisschen zu verklären, aber das tut derFinanzminister nicht. Deshalb werden Sie ihm also nichtvorwerfen, dass er in der Vergangenheit lebt und die alteD-Mark romantisiert.
Ein Politiker, der exakt auf der Höhe der Zeit ist, istnichts weiter als ein Chamäleon, weil er die äußeren Zu-stände aufnimmt und als eigenes Licht wiedergibt. Dasist keine Leistung. Er wird vielleicht immer beliebt sein,aber er wird nichts schaffen. Herr Poß, ich mag Ihnen jazugestehen, dass es für Sie ein Kampf ist, auf die Höheder Zeit zu kommen, aber wenn Sie da schon lange sind,dann besteht die Kunst darin, nicht zu weit voraus zusein, aber immer die Zukunft antizipieren zu können.Das, was natürlich diese Regierung auch zu Konflik-ten führt, ist, dass sie nicht bloß die Antworten liefert,die reflexmäßig aus dem Augenblick bestimmt die rich-tigen wären, sondern dass darüber nachgedacht wird,was das für einen Einfluss auf die nächste Zukunft hat.Das ist die Kunst guten Regierens.
– Ich rede von der Regierung, die von Frau Merkel ge-führt wird und in der Wolfgang Schäuble die Finanzenleitet.
Sie fragen sich jetzt vielleicht: Na ja, gut, vielleichtmuss er das so sagen?
Was sagt denn der Bürger dazu? Jenseits von Sachdebat-ten: Der Vertrauenszuwachs für diese beiden Personen indieser Regierung ist mit jedem Tag kritischer Bericht-erstattung, mit jedem Tag kritischer Meldungen ausEuropa größer geworden; denn ich vertraue Menschen,die in der Realität fest verwurzelt sind, gleichzeitig aberan meine und an die Zukunft zukünftiger Generationendenken. Das ist ja auch das große Thema der Nachhaltig-keit. Deswegen – nicht nur deswegen alleine – bin ichfroh, dass wir diese Regierung haben.Ich habe auch gesagt, dass es einen Anteil des Parla-ments gibt. Das Haushaltsrecht ist das große Recht desParlaments. Es gibt sicherlich Parlamente, die noch sehrviel lebhafter mit ihrer Regierung umgehen. Dass dieOpposition der Regierung Vorhaltungen macht und viel-leicht auch sagt: „Beim Abbau könntet ihr doch vielschneller sein“, will ich gar nicht reflexmäßig mit derFrage beantworten: Warum habt ihr das denn nicht ge-macht? Jeder hat seine eigenen Schwierigkeiten.Wichtig ist aber – das findet ja auch statt –, dass sichdie eigenen Abgeordneten der Koalition Gedanken überdie Etats machen. Deswegen passiert in diesem Parla-ment auch etwas, was man sich meistens nicht vorstellenkann, dass nämlich auch im Haushalt Dinge verändertwerden.Wir haben in den letzten Jahren in den BeratungenAkzente gesetzt, die gut und richtig waren, zum Beispielim Bereich der Infrastruktur. Ich finde, es ist ein großerAusdruck von Vertrauen in die Leistungsfähigkeit derKoalition, wenn uns Johannes Kahrs mitgibt, welchewichtigen Projekte für das Land er gerne von uns bewegtsehen möchte.
Johannes, ich begreife nicht, warum du deine Reden im-mer mit „Glück auf!“ beendest. Du bist ein norddeut-scher Jung. Vielleicht meinst du, dass es ein bisscheneinsilbig wäre, wenn du deine Rede nur mit: „Moin!“,beginnen würdest. Aber das ist dein Geheimnis.
Für uns gibt es ein übergeordnetes Thema – das kannman am Haushaltsentwurf erkennen –, das uns dienächsten Jahre beschäftigen muss: Schuldenabbau. Wirsind hierbei gut in der Spur, aber wir müssen uns trotz-dem weiter anpassen. Wenn wir rechtzeitig etwas unter-nehmen, können wir Schulden abbauen, ohne auf derStrecke jemanden zu verlieren. Vielleicht könnte die Ef-fizienz das Credo sein. Wir müssen uns fragen: Könnenwir das, was wir machen, wofür wir alle dankbar sind,was wir auch weiterhin tun wollen, effizienter tun?Gerade war die Infrastruktur unser Thema. Natürlichmüssen wir die Infrastruktur teilweise ergänzen. Gleich-zeitig kann man aber – auf gleicher Fläche – auch Effi-zienzsteigerungen erreichen. Es ist schon wichtig, dasswir in die Infrastruktur investieren.Das Thema Effizienz gilt auch für den Bereich der er-neuerbaren Energien.
Auch dort investieren wir. Diese Regierung macht mehrals die Vorgängerregierungen. Die Vorgängerregierun-gen haben sich auf einem Beschluss ausgeruht und sindnicht in die Umsetzung gegangen. Wir sind jetzt diejeni-gen – wir wollen ja regieren –, die ihr selbstgewähltesSchicksal, die Energiewende, auf die Straße bringenmüssen.
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Wir müssen die großen und die kleinen Etats darauf-hin überprüfen – das wird in der nächsten Legislatur-periode sicher ein Thema sein –, ob wir das, was wir er-reichen wollen, mit dem Geld, das wir einsetzen, auchwirklich erreichen. Wenn wir das Ziel nicht erreichen,dann muss man da etwas ändern.
Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir die-sen Mut zum Ändern haben, und das werden wir auch inder Zukunft beweisen. Dabei machen wir natürlich auchnicht vor Bereichen halt, die kleiner sind. Als Controllerwürde man sagen: Über Kultur und Justiz müssen wirnicht reden, weil diese Haushalte unterhalb der Wahr-nehmungsschwelle liegen.
Aber auch die Art und Weise, wie wir in diesen Berei-chen wirtschaften, hat Auswirkungen auf unser allge-meines Verständnis vom Wirtschaften. Deshalb ist eswichtig, dass wir auch die guten Projekte, die wir in die-sen Bereichen fahren, kritisch hinterfragen. Man mussgerade auch im Kulturbereich einmal überlegen – damitdas Kreative, das Neue wachsen kann –, ob alle Förde-rungen, die wir früher beschlossen haben, so bestehenbleiben können. Das ist nicht schlimm. Das muss malgedacht werden können; denn sonst ist das nicht Kunst,sondern nur verstaubt.
Verstaubt, Frau Künast, ist es übrigens auch, wenn mansich auf dem Thema, mit dem man seit den 80er-Jahrengut gefahren ist, ausruht. Ihr Hauptthema ist heute weg;wir haben es erledigt.
Nun ist der Kollege Carsten Schneider für die SPD-
Fraktion aufgerufen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Kruse, ich kann nachvollziehen, dass Sie
in der Schlussrunde der Debatte über den Haushaltsent-
wurf nicht über den Haushalt sprechen wollen; denn das
ist alles andere als etwas, worauf die Koalition aus
Union und FDP stolz sein kann.
Sie haben mit keinem einzigen Wort gesagt, wie hoch
die Neuverschuldung ist, die Sie in diesem Jahr beschlie-
ßen wollen: 18,8 Milliarden Euro.
Sie wollen diesem Land 18,8 Milliarden Euro neue
Schulden aufbürden, und das in einer Zeit, in der die
Konjunktur brummt, in der Sie die niedrigste Arbeitslo-
senquote, die niedrigsten Zinsausgaben und die höchsten
Steuereinnahmen haben? Kollege Fricke, das ist doch
richtig, oder?
In dieser Debatte haben Sie immer wieder gesagt,
dass Sie eine solide Politik machen, weil die Ausgaben
nicht steigen.
Sie vergleichen die Ausgabenhöhe immer mit den Vor-
jahren, insbesondere mit 2009/2010. Darf ich Ihnen mit-
teilen, dass wir in dieser Zeit Konjunkturprogramme
hatten, die natürlich – das war gewollt – zu einem Auf-
blähen des Sektors geführt haben?
Natürlich geht das jetzt zurück, und es ist gut, dass das
passiert. Das ist aber noch kein Gewinn.
Jetzt komme ich zu den Zahlen, um die Entlastung
deutlich zu machen: Im Jahr 2011 hat diese Koalition
das Haushaltsjahr mit einer Neuverschuldung von knapp
17 Milliarden Euro abgeschlossen. Für 2012 planen Sie
32 Milliarden Euro. Das ist eine deutliche Steigerung.
Im Jahr 2013 wollen Sie dann wieder auf 18 Milliar-
den Euro kommen. Dieser Zickzackkurs ist stilbildend
für Ihre Politik. Sie haben kein Ziel. Sie wollen nur ir-
gendwie über die Wahl kommen. Aber Sie bringen damit
das Land nicht voran.
Lieber Kollege Schneider, darf Ihnen der Kollege
Fricke eine Zwischenfrage stellen?
Gern.
Herr Kollege Schneider, von der erneuten Verwechs-lung von Ist und Soll – hier verweise ich auf die Ausfüh-rungen des Kollegen Barthle – einmal abgesehen: Sie sa-gen, wie die Ausgaben in 2012 sind. Sie wissen genau,dass wir zusätzliche Belastungen haben.
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Welche?
Welche? Stichwort Europa, ESM und so. Ich weiß
nicht, ob Sie sich da auskennen.
Es gab dazu diese Woche eine ziemlich wichtige Ent-
scheidung; dies nur als kleiner Hinweis.
Sie sagen, 2012 hätten wir zu viel ausgegeben. Könn-
ten Sie mir sagen, welche Milliardenausgabe – ich weiß,
dass man das bei Ihnen betonen muss – im Haushalt
2012 die SPD nicht getätigt hätte?
Sehr geehrter Kollege Fricke, es ist richtig: Der Bun-destag hat beschlossen, dem ESM in diesem Jahr, imJahr 2012, über 8 Milliarden Euro zur Verfügung zu stel-len. Jetzt subtrahieren Sie einmal: 32 minus 8. Auf wel-che Summe kommen wir dann? Ist diese Summe höherals die Neuverschuldung des Jahres 2011? Ja, ist sie. Sieist deutlich höher.
Sie haben es in der Hand, im Nachtragshaushalt dafür zusorgen, dass sie gesenkt wird. Werden Sie dies tun, oderwerden Sie die Neuverschuldung trotz der exzellentenSituation, in der wir uns befinden, weiter erhöhen?
Sehr geehrter Kollege Fricke, Sie werden sie wahr-scheinlich nicht senken; das weiß man, wenn man sichansieht, wie Sie hier die vergangenen Jahre konstant ge-arbeitet haben.Ich will jetzt eigentlich nicht mit dem Argument kom-men, dass die FDP eine Apothekerpartei
und Klientelpartei ist. Aber Sie haben gefragt, welcheAusgaben genau wir kürzen wollen. Wissen Sie, HerrKollege Fricke, der entscheidende Punkt in einemStaatshaushalt ist nicht, wie hoch die Ausgaben sind, derentscheidende Punkt ist, wie hoch die Kredite sind, dieSie brauchen, um Ihren Staatshaushalt zu finanzieren.
Wir als Sozialdemokraten setzen auf einen konse-quenten Subventionsabbau.
Dazu haben wir Ihnen Vorschläge gemacht. Ich kommezum ersten Vorschlag, auch wenn Sie es nicht mehr hö-ren können: Sie geben immer noch – das ist weiterhingeltendes Recht – 1 Milliarde Euro für die Hoteliers indiesem Lande aus. Es handelt sich um Steuerminderein-nahmen; auf dieses Geld verzichten Sie. Mit diesemGeld könnte man die Lücke schließen.
Wissen Sie, entscheidend sind nicht die Ausgaben,sondern entscheidend ist, ob Sie neue Schulden aufneh-men oder nicht. Sie tun es, und zwar mehr als notwendigist. Ihnen fehlt die Kraft, dieses Land mit diesem Haus-halt strukturell so zu verändern, dass wir von der hohenVerschuldung herunterkommen, dass wir wieder leis-tungsfähig und unabhängig von den Wirren der Finanz-märkte werden.
Ich rechne Ihnen das gerne vor. Betrachten wir dasJahr 2012 und das Jahr 2013; wir sprechen gerade überden Haushaltsentwurf für 2013. Angesichts der großenUnsicherheit, die wir sowohl aufgrund der wirtschaftli-chen Entwicklung – selbst der Finanzminister ist daraufeingegangen – als auch aufgrund der Finanzkrise undden damit verbundenen Verwerfungen an den Märktenfür Staatsanleihen haben, wäre es gut, Vorsorge zu tref-fen. Tun Sie das? Sie tun es nicht. In keinem einzigenPunkt. Im Gegenteil: Sie fahren volles Risiko.Nehmen wir als Beispiel die Zinsausgaben. Sie sagen,Ihre Ausgaben würden sinken. Sie sinken aber nicht ein-mal, sie sind stabil.
Die Gesamtausgaben des Bundes bleiben von 2012 auf2013 stabil. Aber Sie vergessen dabei – ich erkläre Ihnendas gern –, dass Sie Entlastungen haben. Sie haben10,7 Milliarden Euro weniger Zinsausgaben. Dafür kön-nen Sie gar nichts. Das sind klassische Windfall Profits,die Sie mitnehmen. 2,8 Milliarden Euro geben Sie weni-ger für die Bundesagentur für Arbeit aus. 2 MilliardenEuro hohlen Sie sich im Gesundheitsfonds und 1 Mil-liarde Euro bei der Rente. Das sind Entlastungen auf derAusgabenseite. Diese führen aber nicht dazu, dass Siedie Ausgaben senken. Im Gegenteil: Die Ausgaben blei-ben konstant.Sie haben – verglichen mit 2011 – Steuermehreinnah-men in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Das macht unterdem Strich 24 Milliarden Euro. Die Nettokreditauf-nahme wird gesenkt, aber nicht in diesem Umfang. Viel-mehr verfrühstücken Sie diese Möglichkeiten der kon-junkturellen Konsolidierung. Um die FAZ zu zitieren:Schäuble spart sich das Sparen.
Wir Sozialdemokraten
stehen für einen aktiven Staat.
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23234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Carsten Schneider
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Wir wollen ihn nicht über Schulden finanzieren – daswollen Sie –, sondern wir wollen so schnell wie möglichrunter von der Neuverschuldung.
Dazu werden wir Ihnen, so wie in den vergangenen Jah-ren, Vorschläge vorlegen, zum Beispiel zum Abbau vonSubventionen; da haben Sie vollkommen versagt. Siehaben die Subventionen erhöht, anstatt sie abzubauen.Das ist ungerecht.
Und wir werden für eine gerechtere Besteuerung in die-sem Land sorgen.Das fängt bei der Frage an: Was hat uns die Krise ei-gentlich gekostet? Bisher hat der Bundeshaushalt davonprofitiert. Ich habe die Zinsausgaben genannt. Sie abertun so, als gäbe es keine Kosten. Sie sind versteckt:20 Milliarden Euro sind im Konjunktur- und Tilgungs-fonds. Die Konjunktur läuft doch gut, oder? Wie viel ha-ben Sie getilgt? Null.Es geht weiter zu der Frage der jetzt als Schattenbankeingeführten EZB.
– Es geht um die als Schattenbank für den Bundeshaus-halt eingeführte EZB. Ich komme gleich noch einmal da-rauf zurück.
Dafür gibt es null Vorsorge. Im Gegenteil: Die Risikenwerden aus dem Bundeshaushalt auf andere Institutionenverschoben, und das mit voller Duldung und Akzeptanzder Bundesregierung.
Ich finde auch das ein starkes Stück: Herr Vizekanzlerund Herr Wirtschaftsminister, Sie haben hier gestern inder Wirtschaftsdebatte gesagt, die Bundesregierung bzw.die FDP – ich war mir nicht ganz sicher, wen Sie mein-ten – stünde für Währungsstabilität, und bezogen sichauf die Bundesbank. Diese findet natürlich in der EZBihre Wiedergeburt. Ich weiß nicht, ob Sie Zeitungen le-sen und mitbekommen haben, welche Entscheidungengetroffen worden sind. Aber eines ist klar: Seit dem letz-ten Donnerstag entwickelt sich die EZB mehr in Rich-tung Fed als in Richtung Bundesbank. Wer das abstrei-tet, meine Damen und Herren, der will den Leuten dieAugen verkleistern.
Sie haben nicht mehr die Kraft, hier im Bundestag, inder Öffentlichkeit für die notwendigen Maßnahmen zusorgen, die erforderlich sind, um Länder vor Spekulatio-nen zu schützen, weil Sie in Ihrer Koalition zerstrittensind. Aber der Bundesfinanzminister hat sich im Juni perPressemitteilung zustimmend zu der Entscheidung vonHerrn Draghi geäußert, was das Ankaufprogramm vonStaatsanleihen betrifft. Sie haben die Europäische Zen-tralbank also durch Ihr Nichthandeln in diese Situationgebracht und auch dazu beigetragen, dass der Bundes-bankpräsident voll in Opposition ging und kurz vor demRücktritt stand.Jetzt befinden wir uns deshalb auf dem Weg in dieStaatsfinanzierung durch die EZB, und zwar mit hohenRisiken, ohne dass der Bundestag – das ist für mich derentscheidende Kritikpunkt – einen maßgeblichen Ein-fluss oder eine maßgebliche Kontrolle dieser Institutionhat.
Das, meine Damen und Herren, wird das Vermächtnisdieser Bundesregierung sein.
Ich bin mir sicher, die Intervention wird ein, zweiJahre lang ökonomisch helfen. Ob dies auch dauerhafthilft, wird davon abhängen, ob es gelingt, eine gerechteOrdnung an den Finanzmärkten zu erreichen. Es bestehtaber die Gefahr, dass der Weg, den die Bundesregierungjetzt eingeschlagen hat – der Bundestag wird quasi ausder Entscheidung herausgenommen, und die EZB nimmtdie Rolle des Staatsfinanzierers ein –, lange nachwirkenwird. Das wird diese Währungsunion tüchtig verändern.Ich weiß nicht, ob Sie sich dieser Bedeutung bewusstsind.Ich höre dann immer wieder, dass dies mit vielenAuflagen verbunden sei und dass es kein Geld ohne ent-sprechende Konditionen gebe. – Meine Damen und Her-ren, ich weiß nicht, ob Sie sich die Pressemitteilung unddas Statement von Herrn Draghi wirklich angeschaut ha-ben. Er verweist auf den ESM – das ist dieser Rettungs-fonds – und dort ganz speziell auf die Dispokreditlinie.Sie nennt sich ECCL. Wissen Sie, wie die Bedingungenhinsichtlich der Inanspruchnahme lauten, dass also dieEZB dann quasi unbegrenzt, und zwar ohne Haftung,ohne Obergrenze, interveniert? Dass man sich an das je-weilige Nationale Reformprogramm hält, das sich dieStaaten selbst geben. Dem muss nicht zugestimmt wer-den. Das melden die Staaten dann einfach nach Brüssel.
Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, mir das deut-sche Nationale Reformprogramm anzugucken. Darinstehen Dinge, die Sie auch hier im Haushalt wiederfin-den, wie zum Beispiel das Betreuungsgeld.
Das kündigen Sie als Nationales Reformprogramm an,um Deutschland nach vorn zu bringen.
Das kostet nicht nur mehr als 1,2 Milliarden Euroblanko, ohne dass Sie eine Gegenfinanzierung bringen.Nein, es ist auch noch ökonomisch vollkommen unsin-nig und auch familienpolitisch kontraproduktiv.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23235
Carsten Schneider
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Meine Damen und Herren, wenn zu solchen Bedin-gungen jetzt Staaten durch die EZB finanziert werden,dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! Das ist nicht einWeg in eine Fiskalunion, bei der wir die nationale Sou-veränität einschränken müssen. Im Gegenteil: Das wirddie Rutschpartie in eine Haftungsunion, in eine Schulden-union, wie Sie es immer wieder nennen, ohne dass wirirgendeinen Einfluss auf die nationalen Haushalte derMitgliedstaaten haben. Ich finde, das ist nicht akzepta-bel. Ich glaube, dass Ihnen das in den nächsten Monatennoch auf die Füße fallen wird; denn die Verunsicherungist groß.Ich finde, wir sollten das Interview mit Herrn Draghi,das heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen ist, zumAnlass nehmen, ihn in den Bundestag einzuladen.
– Ja.
Ich finde, dass wir im Haushaltsausschuss mit ihm überdiese Maßnahmen sprechen müssen.
Insbesondere würde mich interessieren, wie sich dieBundesregierung in diesem ganzen Spiel verhalten hatund ob es nicht doch so ist, wie ich vermute: dass HerrDraghi in diese Richtung getrieben wurde und letztend-lich von der Bundeskanzlerin ganz klar Unterstützung si-gnalisiert bekommen hat. Ich erinnere nur an die Haus-haltsausschusssitzung vom vorigen Donnerstagmorgen.Da hat der Prozessbevollmächtigte klar gesagt, er könnesich nicht vorstellen, dass diese Operation gegen denWillen eines großen Mitgliedstaates durchgeführt wurde.
Wenn das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache ent-schieden hat, werden wir wissen, wie es ausgeht.Meine Damen und Herren, der vorgelegte Haushalt –um das Handelsblatt zu zitieren – ist „Das Ende derKonsolidierung“, und das im Wahljahr 2013.
Das ist keine große Überraschung, sondern das ist ty-pisch. Sie haben die letzten drei Jahre verschlafen. Siehaben sich auf den Lorbeeren der Beschäftigten, der Ge-werkschaften und der Unternehmen ausgeruht, ohne die-ses Land durch eigenes Zutun und strukturelle Verände-rungen weiter nach vorn zu bringen. Sie zeigen mit demFinger auf andere Länder in Europa, sind selbst abernicht in der Lage, hier die notwendigen Maßnahmen zuergreifen und Deutschland eine dauerhafte Führungspo-sition zu verschaffen.
Im Gegenteil: Die von Stagnation geprägte Politik dieserRegierung wird uns auf Dauer teuer zu stehen kommen.Je früher damit Schluss ist, desto besser.Vielen Dank.
Was gibt es Schöneres, als seinen Geburtstag im
Kreise von lieben Kolleginnen und Kollegen zu bege-
hen. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich, Kollege
Koppelin, und gebe Ihnen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das wird wahrscheinlich der einzige Beifall sein, den ichbei meiner Rede vom ganzen Haus bekomme;
aber ich bedanke mich natürlich dafür.Der Kollege Carsten Schneider, der eben gesprochenhat, machte auch in unsere Richtung die Bemerkung: Ichweiß nicht, ob Sie Zeitung lesen. – Bei den Reden vonCarsten Schneider und manch anderen Sozialdemokra-ten wurde ich an einen Artikel erinnert – ich lese näm-lich Zeitung –, der vor einigen Tagen, am 7. Septemberdieses Jahres, in der Financial Times Deutschland er-schienen ist. Es ging darum, dass Frau Nahles wohl beiden Demokraten in Amerika war. Am Ende des Artikelswurde darauf hingewiesen, dass im Willy-Brandt-Hausauf Wunsch von Frau Nahles Schreibkurse eingerichtetwurden, mit folgender Begründung – ich lese wörtlichaus diesem Artikel vor –: „… damit die Sozialdemokra-ten nicht mehr so langweilige Reden schreiben.“
So lautet das Originalzitat aus der Financial TimesDeutschland vom 7. September dieses Jahres. Ich rateden Rednern der Sozialdemokraten dringend, auf dievon Frau Nahles eingerichtete Datenbank zurückzugrei-fen.
Ein Beispiel hat der Kollege Carsten Schneider – daszog sich schon durch die ganze Woche – gerade abgelie-fert. Er kritisierte uns dafür, dass wir die Grenze im Hin-blick auf die Neuverschuldung bei 18 Milliarden Eurogezogen haben. Diesen Betrag muss man übrigens nichtausschöpfen. Ich erinnere an dieser Stelle an eure altenReden. Damals habt auch ihr so etwas immer gesagt.Hinterher sah das alles allerdings ganz anders aus. Ihrbaut hier also einen Popanz auf, an dem ihr euch hoch-ziehen könnt, der allerdings überhaupt nicht stimmt.
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Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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Die 18-Milliarden-Euro-Grenze hat KollegeSchneider, wie gesagt, gerade kritisiert. Noch vor einerStunde hat sein Kollege Kahrs hier gestanden und in derDebatte zu einem anderen Etat 1 Milliarde Euro mehrgefordert.
Ich habe mir ja die ganze Woche die Reden der Fachpo-litiker der Sozialdemokraten angehört. Sie haben ständigmehr und mehr und mehr gefordert, aber nicht gesagt,wie sie ihre Forderungen gegenfinanzieren wollen; da-rauf will ich gleich noch zu sprechen kommen.
Ich kann nur sagen: Die Neuverschuldung des Bundesunterschreitet die Vorgaben der Schuldenregelung. DieseKoalition steuert kraftvoll auf einen ausgeglichenenBundeshaushalt zu. Wir können das schaffen. Wir wol-len die Null bei der Neuverschuldung; das ist unser Ziel.Wahr ist: Die gute konjunkturelle Lage und die guteSituation bei den Steuereinnahmen helfen uns bei der Er-reichung dieses Ziels, ohne Frage. Aber es ist doch einMärchen, wenn die Sozialdemokraten hier erklären, dassei eigentlich ihr Verdienst aus längst vergangenen Zei-ten. Nein, das ist unser Verdienst. Unsere Politik bedeu-tet nämlich – das wissen die Menschen draußen –: keineSteuererhöhungen.
Das, was wir beschließen, gilt für längere Zeit. Bei unsgibt es kein hü und hott wie bei den Sozialdemokraten,die jeden Tag die Einführung einer neuen Steuer fordern.Im Gegensatz zu dem, was wir machen, verunsichert dasdie Menschen. Insofern glaube ich, es war sehr hilfreich,dass wir für die Betriebe und die mittelständische Wirt-schaft Planungssicherheit geschaffen haben.Im Übrigen darf ich daran erinnern – auch wenn dieSozialdemokraten das nicht hören mögen –, wie IhrePolitik in der Vergangenheit ausgesehen hat – Sie wüh-len ja gerne in der Vergangenheit herum, um zu zeigen,wie toll Sie gewesen sind –: Vor der Bundestags-wahl 2005 haben Sie erklärt, mit Ihnen werde es keineMehrwertsteuererhöhung geben, und nach der Wahl ha-ben Sie die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht.Das hat Ihnen damals 50 Milliarden eingebracht. Washat Ihr Finanzminister gemacht? Er hat trotzdem neueSchulden in Höhe von 250 Milliarden Euro aufgenom-men. Das war Ihre Politik, nichts anderes!
Wenn in dieser Woche die Argumentation bei den So-zialdemokraten – die Linken haben teilweise mitge-macht –
besonders kurzatmig wurde, verwies man auf dasdeutsch-schweizerische Steuerabkommen. Ich sage Ih-nen an dieser Stelle ganz klar: Wer Steuern hinterzieht,begeht eine Straftat. Das muss verfolgt, und das mussgeahndet werden. Aber es kann nicht sein, dass deutscheBehörden in der Schweiz Daten stehlen lassen, um soSteuersündern auf die Spur zu kommen.
Es kann nicht sein, dass wir diese Daten stehlen lassen.Der fast planmäßige Ankauf von gestohlenen SchweizerBankdaten ist für mich nicht zu akzeptieren.
Die Schweiz ist ein Rechtsstaat.
Diebstahl ist dort strafbar. Daran sollten wir uns nichtbeteiligen. Sie sollten dem deutsch-schweizerischen Ab-kommen, das der Finanzminister ausgehandelt hat, zu-stimmen.
– Tun Sie nicht so scheinheilig, Herr KollegeOppermann, weil Sie denken, Sie haben damit ein schö-nes Thema gefunden. Ich habe einmal das Gesetz überdie strafbefreiende Erklärung vom Dezember 2003 he-rausgesucht. Es stammt von Hans Eichel. Was steht indiesem Gesetz? Sie haben Leuten, die Steuern hinterzo-gen haben und im Ausland ihr Geld geparkt haben, ange-boten: Wenn ihr dieses Geld angebt, dann braucht ihr garnicht mehr alles zu versteuern.
Das heißt, der ehrliche Deutsche, der hier seine Ein-künfte versteuert hat, musste voll zahlen, und andere, dieihr Geld im Ausland hatten und dieses dann auf derGrundlage Ihres Gesetzes angegeben haben, mussten nur60 Prozent zu einem geringeren Steuersatz versteuern.
Das war Ihre Politik. Das wollten wir nicht mehr ma-chen.
Kollege Koppelin, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Montag?
Ja, klar. Das verlängert meine Redezeit.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23237
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Ich habe mich nicht deswegen gemeldet, Herr Kol-
lege Koppelin, aber Sie profitieren tatsächlich davon. –
Sie haben in Ihrer Rede ausgeführt, dass Sie sich dage-
gen wenden, dass deutsche Behörden in der Schweiz Da-
ten stehlen lassen.
Erstens. Ich möchte Sie herzlich bitten, dass Sie uns
einen einzigen Vorgang – einen einzigen Vorgang! – be-
nennen, bei dem deutsche Behörden irgendjemanden an-
gestiftet haben, irgendjemanden dazu angeleitet haben,
irgendjemanden gefragt oder gebeten haben oder irgend-
jemanden in die Schweiz geschickt haben, damit er dort
rechtswidrig Daten erwirbt.
Zweitens. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt
ist, dass es bei der Ermittlung von Straftaten und bei der
Dingfestmachung von Straftätern in Deutschland seit
Jahrzehnten absolut üblich ist, für sachdienliche Hin-
weise – ich betone: für sachdienliche Hinweise –, nicht
für rechtmäßig erworbene, Gelder auszuloben. Der Poli-
zei werden jede Woche wegen dieser Auslobungen Hin-
weise und Beweise zugeliefert, wofür die Behörden
selbstverständlich Geld bezahlen. Was haben Sie eigent-
lich plötzlich gegen dieses rechtsstaatliche Mittel? Sind
Sie nur deswegen dagegen, weil es um reiche Leute geht,
die Steuern hinterziehen?
Herr Kollege Montag, ich habe natürlich Ihren Rede-beitrag zu diesem Thema in dieser Woche mit Interessegehört. Deswegen habe ich das aufgenommen. Insofernbin ich Ihnen für die Zwischenfrage dankbar. Es ist viel-leicht mein Vorteil, dass ich nicht wie Sie Jurist bin, son-dern bei mir vielleicht mehr der gesunde Menschenver-stand durchkommt.
Für mich ist völlig klar: Wenn ich als deutsche Be-hörde laufend Geld für solche Daten-CDs anbiete undzahle, dann animiert das andere, das nachzumachen, umauch abzukassieren. Nichts anderes ist das.
Das ist dann die Aufforderung zum Diebstahl.
Frau Präsidentin, wir werden bei anderer Gelegenheitdieses Thema noch diskutieren. Aber es muss möglichsein, dass man nicht nur den Standpunkt der Grünen ver-tritt,
sondern dass wir auch unseren Standpunkt hier vertretenund dagegenhalten.
Es ist auch schon vom Kollegen Otto Fricke, vonRainer Brüderle und anderen auf Folgendes hingewiesenworden: Viel Geld kosten uns all die Forderungen ausden Bundesländern. Die eine oder andere Forderung istda wirklich zu kritisieren. Wir werden teilweise „er-presst“, weil wir die Zustimmung zu bestimmten Geset-zen im Bundesrat brauchen. Das kostet den Bundeshaus-halt Geld. Das verschweigt natürlich der KollegeCarsten Schneider.Ich will auch gleich einige Beispiele nennen. Schauenwir einmal in die Länder: Glauben Sie, lieber KollegeSchneider, dass das Land Nordrhein-Westfalen, wennwir ihm nicht 3 Milliarden Euro geben würden, damit esseine WestLB abwickeln kann – das Land muss selber8 Milliarden Euro aufbringen –, klarkommen würde?Das Geld fehlt im Bundeshaushalt.
Das ist doch klar. Die 3 Milliarden Euro hätte ich gerne.Mit der WestLB soll übrigens die Bank abgewickelt wer-den, mit der uns die Sozialdemokraten zeigen wollten,dass sie die besseren Banker sind.
Das wollten Sie uns zeigen und haben nach Strich undFaden eine Pleite hingelegt. Das war sozialdemokrati-sche Politik.
– Wenn Sie sich aufregen, Kollege Oppermann, kann ichgerne weitere Beispiele nachliefern.Nehmen wir also Rheinland-Pfalz: Da wurden durchden sozialdemokratischen Ministerpräsidenten KurtBeck Millionen an Steuergeldern in den Sand des Nür-burgrings gesetzt. Vor der Landtagswahl haben die Grü-nen das heftigst kritisiert. Nach der Vertrauensabstim-mung fallen sie jetzt Herrn Beck um den Hals. Das istihre Politik; so schnell sind sie eingeknickt; Herr Beckmuss wirklich beeindruckend sein. Beeindruckend ist al-lerdings in der Tat, dass er mit dem Projekt, so schätztman, 400 Millionen Euro in den Sand gesetzt hat.Ganz bunt geht es – das ist schon angesprochen wor-den – in den SPD-regierten Ländern Berlin und Bran-denburg mit dem Willy-Brandt-Flughafen zu.Klaus Wowereit als Aufsichtsratsvorsitzender hat – dasist auch der Eindruck in der Bevölkerung – längst denÜberblick verloren.
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23238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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– Dass Sie sich darüber aufregen, verstehe ich. –Wowereit war am 25. Juni bei uns im Haushaltsaus-schuss. Wir haben einen Sachstandsbericht zu Terminen,Kostenschätzungen und zum Finanzierungskonzept be-kommen. Herr Wowereit stand Rede und Antwort. Be-reits einen Monat danach stimmte nichts, aber auch garnichts mehr. Sie können gerne die Vorlagen von mir be-kommen.
Es stimmte nichts daran. Das werden die Grünen hof-fentlich bestätigen. Sonst hätte Frau Künast nicht viel-leicht sogar einen Untersuchungsausschuss zu demPunkt gefordert.Der Bund ist Anteilseigner. Deshalb werden wir unsvielleicht irgendwann beteiligen müssen. Aber wokommt das Geld dann her? Sie kritisieren unsere Neu-verschuldung, und gleichzeitig zocken Sie mit IhrenSPD-Ländern ab. Herr Wowereit würde völlig hilflos da-stehen, wenn der Bund ihm nicht eines Tages helfenwird. Das ist doch das Entscheidende.
Den Gipfel – das sage ich mit Blick auf den KollegenCarsten Schneider –
erreicht der Sozialdemokrat Matthias Machnig. Er istSPD-Wirtschaftsminister. Ich kannte ihn bis dato nochgar nicht.
Aber seit dem 3. September ist mir dieser Mann bekannt.Dieser Herr Machnig kommt aus Thüringen
und ist dort SPD-Wirtschaftsminister. Er hat am 3. Sep-tember im Handelsblatt vom Bund für die nächstenJahre – man höre und staune – 1 000 Milliarden Euro fürdie ostdeutschen Bundesländer gefordert.
Berechnet auf die Jahre, für die er das fordert, sind dascirca 65 Milliarden Euro mehr pro Jahr, die er vom Bundfür die ostdeutschen Länder bekommen will. Schön undgut, dort ist sicherlich etwas zu tun. In den westdeut-schen Ländern ist übrigens auch Erhebliches zu tun.Kommen Sie mal nach Schleswig-Holstein! Ich kann nursagen: Wir haben da auch Nachholbedarf.
Lieber Carsten Schneider, der Mann kommt aus Thü-ringen.
Der haushaltspolitische Sprecher der Sozialdemokraten,Carsten Schneider, kommt ebenfalls aus Thüringen.Stimmt ihr euch denn gar nicht ab, damit ihr ein einheit-liches Konzept habt? Das müsst ihr doch abgestimmt ha-ben. Das kann doch nicht wahr sein.
Schlussfolgerung auch nach dieser Woche und diesenBeispielen: Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, alsdass Sozialdemokraten sparen. Das ist meine Auffas-sung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden unseresolide Haushaltspolitik fortsetzen.
Wir wollen die Null. Wir wollen einen ausgeglichenenHaushalt. Sie können sich daran beteiligen. Aber es gehtnicht an, hier immer nur noch mehr zu fordern.Ich sehe gerade den Kollegen Kahrs. Sagen Sie doch,dass es Unsinn ist, was die Landesregierung in Schles-wig-Holstein macht. Dort werden Straßenbauprojektewie die A 20 eingestellt, und hier wird 1 Milliarde Euromehr für den Straßenbau gefordert.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Wir haben in den vergangenen Ta-gen von Bundesregierung und Koalition reichlich Selbst-gefälligkeit und Eigenlob erlebt. Ich finde das, ehrlichgesagt, völlig unangemessen, meine Damen und Herren.
Darum möchte ich die Kritik der Linken in drei Punktenzusammenfassen:Erstens. Dieser Haushalt ist kein Schutzschirm für dieMenschen in unserem Land.Zweitens. Die Bundesregierung unternimmt nichts,aber auch gar nichts, um die soziale Spaltung der Gesell-schaft zu überwinden.
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Dr. Gesine Lötzsch
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Drittens. Die Bundesregierung setzt Geld an der völ-lig falschen Stelle ein; sie verschwendet also Steuermit-tel.Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend ei-nen Schutzschirm für Arbeitnehmer, Rentner, Arbeits-lose und Familien.
Was heißt das?Schützen Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer vor Lohndumping und beschließen Sie endlich ei-nen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde!
In der Krise 2008 wurde die Regelung zur Kurzarbeitvereinfacht. Das brauchen wir jetzt wieder.Schützen Sie die heutigen und zukünftigen Rentnerin-nen und Rentner vor Altersarmut! Führen Sie endlicheine solidarische Mindestrente ein! Das ist das Gebot derStunde.
Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, sollenjetzt 8 Euro im Monat mehr bekommen. Wenn man sichnur einmal anschaut, wie die Preise gestiegen sind– Mieten, Strom, Wasser, Lebensmittel werden immerteurer –, dann muss man sagen: 8 Euro im Monat sinddoch wirklich eine Verhöhnung dieser Menschen. Wirbrauchen endlich eine Überwindung des unwürdigenHartz-Systems, meine Damen und Herren.
Wir als Linke sind die schärfsten Kritiker der Banken.Aber eigentlich sind doch die Banken nur die Söldner,die mit dem Spielgeld der Superreichen auf den Finanz-märkten nach hohen Renditen jagen und dabei kein Er-barmen kennen. Darum will ich hier unsere Forderungwiederholen und bekräftigen, die gestern auch schon vonmeinem Kollegen Roland Claus aufgebracht wurde:Spekulationen mit Nahrungsmitteln müssen endlich ver-boten werden.
Doch die dringend nötige Regulierung von Bankenund Finanzmärkten ist nur ein Schritt. Die eigentlicheUrsache für die dauerhafte Finanzkrise ist doch die Kon-zentration des Reichtums in den Händen weniger. Des-halb ist unsere Forderung nach Umverteilung nicht nureine Forderung nach mehr Gerechtigkeit, sondern inWirklichkeit eine Forderung nach Erhalt unserer Gesell-schaft. Aber diese Bundesregierung steht für wenigerGerechtigkeit; sie steht für eine Beschädigung der De-mokratie und unserer Sozialsysteme. Wir müssen end-lich einen anderen politischen Weg gehen, meine Damenund Herren.
Nun ist heute von mehreren Kollegen über Subventio-nen gesprochen worden. Ich finde, wenn man über Sub-ventionen spricht, soll man das sehr konkret machen.Schauen wir uns einmal die 20 größten Subventionsemp-fänger in Deutschland an: Hier stehen die energieintensi-ven Unternehmen auf Platz eins. Durch Subventionenfür diese gehen dem Bundeshaushalt jährlich 2,3 Milliar-den Euro verloren. Ich finde, das ist nicht hinzunehmen.
Finanzminister Schäuble hat nun gefordert, dass die Un-ternehmen wenigstens einen konkreten Nachweis überdie eingesparten Mengen an Strom und Brennstoff lie-fern sollen, aber das wurde dann vom Wirtschaftsminis-ter, der sonst nichts bringt, gekippt.Meine Damen und Herren, die Steuerzahler solltendurch eine Bankenabgabe von den Krisenkosten entlas-tet werden. Auch das ist ein Flop. Eigentlich war ge-plant, dass Herr Schäuble im Jahr 2011 über die Banken-abgabe 1,3 Milliarden Euro einnimmt. Es wurde wenigerals die Hälfte, gerade einmal 500 Millionen Euro. DieBundesbank hat uns die Auskunft erteilt – Sie könnendas nachlesen –, dass die Krise den deutschen Steuerzah-ler bisher 335 Milliarden Euro gekostet hat.
Da fragt man sich: Warum wurden bei den Banken nur500 Millionen Euro geholt? Da ist wirklich mehr drin.
Im Jahr 2010 – Sie erinnern sich – haben Sie ein Kür-zungspaket beschlossen. Es wurde immer wieder geän-dert, und darum ist es interessant, zu schauen, was da-raus geworden ist. Die Konzerne müssen zur Sanierungder Staatsfinanzen so gut wie gar nichts beitragen; dasalles wurde peu à peu wieder gestrichen. Aber die Kür-zungen, die den einfachen Steuerzahler treffen, wurdeneins zu eins umgesetzt.Darum finde ich es immer besonders empörend, wennPolitiker – auch in dieser Woche wieder – versuchen, dasMärchen zu verbreiten, dass eigentlich nur die Besser-verdienenden Steuern zahlen. Das, meine Damen undHerren, stimmt nicht.
Auch Arbeitslose und Rentner zahlen Steuern, nämlichVerbrauchssteuern, vor allen Dingen die Mehrwert-steuer. Diese Steuern sind in den letzten Jahren immerwieder gestiegen, im Gegensatz zur Einkommen- undzur Erbschaftsteuer. Nur einmal zwei aktuelle Zahlen:Wenn wir die Einnahmen aus den Jahren 2010 und 2011vergleichen, so sehen wir, dass die Einnahmen aus derErbschaftsteuer um 3,6 Prozent zurückgegangen sind,aber die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer um 1,8 Pro-zent gestiegen sind; hier wurden insgesamt 139 Milliar-den Euro eingenommen. Ich finde, dass es für alle Men-schen, die sich mit ihren Steuerzahlungen amStaatshaushalt beteiligen, beleidigend ist, ihnen immerwieder zu erklären, sie würden gar nichts zahlen undnichts beitragen. Das stimmt einfach nicht, meine Da-men und Herren.
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23240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Dr. Gesine Lötzsch
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Wir brauchen endlich eine Finanztransaktionsteuer,die den Finanzmarkt entschleunigt und die zudem or-dentlich Geld in die Staatskasse bringt. Wir brauchen hö-here Vermögensteuern in unserem Land. Man muss auchganz deutlich sagen: Hier wurde viel über die Schweizdiskutiert; das ist alles richtig. Wenn es jedoch um dieBesteuerung von Vermögen geht, ist Deutschland einegroße Steueroase. Auch das muss ein Ende haben.
Ich möchte konkret etwas zur Verschwendung vonGeldern sagen. Ein einziges Beispiel: Nach dem 2010beschlossenen Kürzungspaket sollte das Verteidigungs-ministerium im Jahr 2013 1 Milliarde Euro weniger aus-geben. Davon findet man im Haushalt gar nicht mehr.Die Bundeswehr macht eine Reform und baut Personalab. Doch trotz des Personalabbaus will der Minister fast1 Milliarde Euro mehr für sein Personal haben. In derSumme macht das 2 Milliarden Euro mehr aus als noch2010 geplant.Stellen Sie sich bitte einmal vor: In Griechenlandwird, so wie es die Troika gefordert hat, Personal im öf-fentlichen Dienst abgebaut. Dann sagen die Griechenaber: Ja, wir bauen Personal ab, aber wir senken die Per-sonalkosten nicht um 1 Milliarde Euro, sondern wir er-höhen sie um 1 Milliarde Euro. – Diese Koalition würdedoch im Karree springen und sofort alle Kreditlinien fürGriechenland sperren lassen. Wenden Sie endlich dieMaßstäbe, die Sie anderen abverlangen, auf sich selberan! Erst dann wird eine glaubwürdige Politik daraus.
Jeder Europäer, der es wissen will, weiß es schon: DieBundesregierung hat viel bittere Medizin für unsere eu-ropäischen Nachbarn zur Hand. Auch im eigenen Landwird diese bittere Medizin verteilt, aber nur an Arbeit-nehmer, Arbeitslose, Rentner und Menschen, denen esnicht so gut geht. Die Wirkung ist katastrophal.
Dieser Haushalt ist ein Schönwetterhaushalt für dieMenschen, die schon immer auf dem Sonnendeck gele-gen haben. Er ist jedoch eine Bedrohung für die Men-schen, die unter Deck sitzen müssen. Es wird Zeit, dasssich etwas ändert in unserem Land.Vielen Dank.
Der Kollege Sven-Christian Kindler hat das Wort fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eine Woche lang haben wir nun über denBundeshaushalt 2013 geredet. Vor einer entscheidendenFrage hat sich die Koalition jedoch immer gedrückt. DieFrage lautet, wie sich die Konjunktur in der nächstenZeit entwickeln wird.
Davon hängt nämlich maßgeblich ab, ob ihr Entwurfauch nur im Ansatz funktioniert.Zu den Zahlen: Die Koalition geht für den Haushalt2013 von einem Wirtschaftswachstum in Höhe von1,6 Prozent aus und für die Folgejahre laut Finanzplanvon einem Wachstum in Höhe von 1,5 Prozent. Das In-stitut für Wirtschaftsforschung in Halle hat seine Pro-gnose schon auf 0,8 Prozent gesenkt, geht also nur nochvon der Hälfte aus. Das RWI sagt nur noch ein Wachs-tum in Höhe von 1,0 Prozent für das nächste Jahr voraus.Auch in der Wirtschaft ist dieser Trend spürbar. DieAuftragseingänge gehen zurück, befristete Verträge wer-den nicht verlängert, die Investitionen werden zurückge-fahren. Viele Länder Europas befinden sich in derRezession. Das zeigt: Ihre Haushaltsführung ist nichtnachhaltig. Sie surfen nur auf der Konjunkturwelle.Wenn diese Welle einbricht, wird auch Ihr Haushalt zu-sammenbrechen wie ein Kartenhaus.
Bei Ihrer Haushaltspolitik haben Sie nur von der gu-ten Konjunktur der letzten Jahre profitiert. Hinzukommt, dass die Zinsausgaben auf einem historischniedrigen Niveau liegen. Obwohl diese schwarz-gelbeKoalition in dieser Legislaturperiode die Schulden um100 Milliarden Euro erhöht hat – 100 Milliarden Eurodurch diese Schuldenkoalition –, sind die Zinsausgabenum 10 Milliarden Euro gesunken. Dafür haben Sie abernichts getan. Das ist Ihnen einfach zugefallen, weilDeutschland Krisengewinner ist. Daher rührt die kon-junkturelle Haushaltsverbesserung. Diese Haushaltsver-besserung ist also rein konjunkturell bedingt; Sie habendiese Zeit leider nicht genutzt, irgendetwas im Haushaltvoranzubringen. Sie haben sich nicht um eine struktu-relle Haushaltsverbesserung gekümmert. Das ist Ihr gro-ßer Fehler.
Was jetzt nötig ist, auch angesichts der großen ökono-mischen Probleme und der Konjunkturdaten, ist ein mas-sives Umsteuern in der Krise. Wir brauchen einerseitsnachhaltige Investitionen, um Konjunkturimpulse gegendie Rezession in Europa auszusenden. Andererseitsbrauchen wir Investitionen, um für die Zukunft vorzu-sorgen. Das gilt vor allem im sozialen und ökologischenBereich, weil wir den Ressourcenverbrauch ebenso wieden Ausstoß der Treibhausgase vermindern müssen. DerKlimawandel mit seinen großen Herausforderungen darfin dieser Finanzkrise nicht vergessen werden, denn er istdie eigentliche Megakrise des 21. Jahrhunderts.
Was wollen wir konkret tun? Wir wollen konkret zumBeispiel einen 3-Milliarden-Energiesparfonds einführen.
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Sven-Christian Kindler
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Wir wollen Bürgerinnen und Bürgern sowie Unterneh-men helfen, wirtschaftlicher mit Energie umzugehen,mit Energie effizienter zu leben. Es soll insbesonderedort energetische Stadtteilsanierung gemacht werden,wo Menschen leben, die nicht so privilegiert sind. Ge-rade sozial benachteiligte Viertel wollen wir sanieren.Denn wir wissen, es ist jetzt dringend notwendig, dieseEnergiewende wirklich mit aller Kraft voranzutreiben.Was aber macht diese Bundesregierung? Der Um-weltminister hat auch diese Woche noch einmal gesagt,er wolle die erneuerbaren Energien ausbremsen. AngelaMerkel hat gesagt, sie wolle die Windenergie einschrän-ken. Der FDP-Chef Rainer Brüderle will mit seinemplanwirtschaftlichen Quotenmodell ein Moratorium fürdie Energiewende durchsetzen. Wahnsinn! Diese Bun-desregierung setzt die Energiewende mit voller Absichtin den Sand, obwohl wir jetzt schnell erneuerbare Ener-gien, Netze und Speicher ausbauen müssten.
Was wir uns wirklich sparen können, sind ökologischschädliche Subventionen. Wir brauchen keine Milliar-densubventionen für die Industrie bei der EEG-Umlage,bei Netzentgelten oder bei der Ökosteuer. Es gibt Mil-liardensubventionen durch das Dienstwagenprivileg,und es gibt Milliardensubventionen für den Flugverkehr.Es ist nicht nur umweltpolitisch geboten, diese umwelt-schädlichen Subventionen endlich abzubauen, sonderndies ist auch haushaltspolitisch geboten, um Spielräumeim Haushalt zu schaffen.
Wir müssen in der Krise aber auch auf ein gerechteresSteuersystem umsteuern. Wir hatten sehr gute Konjunk-turdaten. Wir hatten nachlaufend wirklich sehr guteSteuereinnahmen, und wir haben historisch niedrige Zin-sen. Aber immer noch plant diese Bundesregierung, imnächsten Jahr 18 Milliarden neue Schulden zu machen.Das heißt, wir haben ein strukturelles Einnahmeproblemdes Staates, und wir haben eine strukturelle Unterfinan-zierung des Staates, jedenfalls dann, wenn man den So-zialstaat erhalten will.Diese Koalition steht – das weiß ich – natürlich für ei-nen magersüchtigen Staat, sie steht für einen Nacht-wächterstaat, den sich nur Reiche leisten können. Daswollen wir Grüne nicht. Wir Grüne sagen auch klar: Wirwollen einen leistungsfähigen Sozialstaat. Wir wollendie Staatsquote wieder erhöhen. Wir wollen Besserver-dienende stärker beteiligen über eine Anhebung desSpitzensteuersatzes auf 49 Prozent und indem wir Kapi-talerträge angemessen besteuern; denn Haushaltskonso-lidierung funktioniert nur, wenn es gerecht zugeht undgerade starke Schultern mehr dazu beitragen.
Außerdem wollen wir Schulden abbauen. Wir sinddie einzige Partei, die ein tragfähiges Konzept für denSchuldenabbau hat.
– Ja, Baden-Württemberg macht eine sehr gute Haus-haltspolitik. Darauf sind Sie hier neidisch; das weiß ich.
Wir sind die einzige Partei, die ein tragfähiges Kon-zept hat. Wir setzen uns für einen Altschuldentilgungs-fonds in Europa ein, um Europa zu stabilisieren. Damites gerecht und konjunkturverträglich läuft, wollen wirauch Vermögensabgaben einführen; denn wir wissen, dieGegenseite zu Schulden sind immer auch Vermögens-werte. Mit unserem grünen Konzept für eine deutscheVermögensabgabe belasten wir 99 Prozent überhauptnicht. 1 Prozent, die Millionäre, sollen ihren Beitragdazu leisten, dass wir Schulden aus dieser Bankenkrisezurückführen.
Das ist nicht nur aus sozialen Gründen richtig, um ge-gen die wachsende Ungleichheit anzugehen. Das istauch ökonomisch vernünftig, weil sehr viel privaterReichtum in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf dieFinanzmärkte geflossen ist und da zu großen Spekula-tionsblasen geführt hat. Deswegen ist Schuldenabbaumit einer Vermögensabgabe auch ein wichtiger Beitragfür die Finanzmarktstabilität.
Ich war übrigens etwas überrascht, als MinisterSchäuble in seiner Einbringungsrede am Dienstag Argu-mente gegen eine höhere Vermögensbesteuerung ge-bracht hat, so zum Beispiel das Argument der Kapital-flucht. Das ist bei unserem Konzept ausgeschlossen,weil wir für die Vermögensbewertung eine Stichtagsre-gelung mit einem Stichtag in der Vergangenheit haben.Wenn da mit Kapitalflucht argumentiert wird, wun-dere ich mich schon; denn es ist doch diese Bundesregie-rung, die mit der Schweiz ein Steuerabkommen machenwill, mit dem man Kapitalflucht per Steuerhinterziehungquasi legalisieren möchte.
Wir haben in den nächsten Monaten im Haushaltsaus-schuss viel vor. Wir haben viele Sitzungen. Die Grünenwerden Ihnen konkrete Vorschläge unterbreiten – ichhoffe, Sie nehmen sie an –, wie wir Schulden mit einerVermögensabgabe abbauen können, wie wir sozial undökologisch in dieser Krise umsteuern können und wiewir nachhaltig und gerecht diesen Haushalt konsolidie-ren können; denn eine andere Politik ist möglich. Vor al-len Dingen ist eine andere Politik endlich notwendig.Vielen Dank.
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23242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
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Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! DieseHaushaltswoche war eine erfolgreiche Woche fürDeutschland, für Europa, für unser Parlament und für diechristlich-liberale Koalition. Wir sind Stabilitätsanker,Impulsgeber für Wachstum und Vorbild für Wettbe-werbsfähigkeit. Wir senden ein starkes Signal und zei-gen, welche Kraft in Deutschland steckt, wenn unserLand richtig regiert wird.
Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit und denhöchsten Beschäftigungsstand aller Zeiten in Deutsch-land. Wir halten die Vorgaben der Schuldenbremse be-reits drei Jahre früher als geplant ein. Das ist unser Er-folg, ein unbestreitbarer Erfolg.
Herr Kollege Schneider, da Sie die Neuverschuldungin Höhe von rund 18 Milliarden Euro kritisieren, sageich Ihnen: Denken Sie an den Schuldenansatz von86 Milliarden Euro in dem Jahr, als Sie zuletzt Verant-wortung getragen haben! Denken Sie an NRW und Ba-den-Württemberg! Sie kennen nichts anderes, als immerwieder neue Schulden zu machen.
Der Haushalt dieser Koalition ist Ausdruck einer soli-den Finanzpolitik der Nachhaltigkeit. Unser Haushalt istwachstumsfreundlich, krisenbekämpfend und zukunfts-orientiert gestaltet. Mit diesem Haushalt gelingt uns diezielführende Balance zwischen einer vernünftigen,schrittweisen Konsolidierung und notwendigen Investi-tions- und Wachstumsimpulsen. Eine erfolgreiche Kri-senbekämpfung kann nur mit Haushaltskonsolidierungund positiver Wachstumsentwicklung gleichermaßen ge-lingen.Deutschland ist erfolgreich als Stabilitätsanker inEuropa.
Es liegt in unserem Interesse, dass es allen in Europa gutgeht. Wichtig ist, dass jetzt die in den letzten Jahren ge-wachsene Unsicherheit in Europa beendet wird. Dafürstehen wir; dafür arbeiten wir. Die Überwindung derVertrauenskrise ist nur mit einer Stabilitätsunion undnicht mit einer Schuldenunion möglich. Das ist derGrundsatz; das ist unsere Konzeption. Wir wollen keineunkontrollierte Vergemeinschaftung der Schulden. Wirwollen nicht Ihre Euro-Bonds. Wir wollen keinen Alt-lastentilgungsfonds. Wir wollen kein einheitliches Einla-gensicherungssystem für alle Banken in Europa. Wirwollen keine unbeschränkte Zahlmeisterei mit Haftungfür alle.
Das ist unser Prinzip.
Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Wocheunsere Auffassung bestätigt, die Parlamentsrechte ent-sprechend gewichtet sowie unseren Fiskalpakt und un-sere ESM-Gesetzgebung weitgehend akzeptiert. Das istdoch ein Erfolg. Wir sollten damit offensiv umgehen undder Bevölkerung sagen: Jawohl, hier wird richtige Poli-tik gemacht. – Die Kritiker lassen dagegen jeglichen Lö-sungsansatz vermissen.Es gibt doch nur drei Wege. Der erste Weg ist der derRenationalisierung und der Verweigerung jeglicherHilfe. Das wäre mit ungeordneten Staatspleiten und gro-ßen Arbeitsplatzverlusten auch bei uns verbunden. Derzweite Weg – das ist der Weg der Opposition – ist dieVergemeinschaftung der Schulden und die Haftung füralles. Das lehnen wir ab, weil das langfristig nicht zumZiel führt.Der dritte Weg – das ist unser Weg – sind Hilfen mitKonditionalität und Verbesserung der Wettbewerbsfä-higkeit aller Länder. Das ist die einzige Chance; denn dieSchuldenkrise ist in einzelnen Ländern entstanden, unddie Probleme können nur dort gelöst werden. Die Pro-bleme sind durch nichts anderes als die unterschiedlicheWettbewerbsfähigkeit entstanden. Deshalb ist eine Fort-entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion mitdem Fiskalpakt sowie mit konsequenten Prüfungen undKontrollen der einzig richtige Weg; den beschreiten wir.
Wir sind gegen eine reine Flutung mit Geld durch dieEZB.
Das ist sinnlos und brandgefährlich im Hinblick auf dieInflation. Ihre Unterstellung, wir machten unsere politi-schen Hausaufgaben nicht und verließen uns auf dieEZB,
ist grundfalsch. Die EZB ist unabhängig, und wir sinddafür, dass sie unabhängig bleibt.
Wir sollten das auch nicht infrage stellen.
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Dr. h. c. Hans Michelbach
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Die wichtigste Handlungsschneise sehe ich nach wievor bei den Banken. Wir stehen in dieser Situation voreiner wichtigen Entscheidung und einer politischen He-rausforderung.
Deshalb verfolgen wir eine konsequente Regulierungs-politik gegenüber den Finanzmärkten. Da lassen wir unsvon niemandem der Untätigkeit zeihen und uns in unse-ren Bemühungen von niemandem überholen. Das Funk-tionieren der Währungsunion und des Finanzmarktes istfür uns eine wesentliche Herausforderung.Wir haben geliefert. Wir haben in dieser Legislaturpe-riode über zwölf Regulierungsgesetze auf den Weg ge-bracht. Wir werden jetzt CRD IV mit der Basel-III-Eigenkapitalanforderung voranbringen. Das heißt, wirhaben Finanzmarktregulierungen auf den Weg gebracht.Mit unserem Restrukturierungsgesetz und der Banken-abgabe haben wir Regelungen getroffen, die Vorbild fürganz Europa sind. In einer Bankenunion dürfen nichtalle gleichbehandelt werden, sondern sie muss differen-ziert gestaltet werden. Wir haben hier große Erfolge er-zielt. Wir werden den Hochfrequenzhandel einschrän-ken, und wir werden weitere Regulierungen auf den Wegbringen, weil die Handlungsschneise bei den Bankennach wie vor eine große Aufgabe für die Politik ist. WirFinanzpolitiker werden uns dieser Aufgabe widmen unduns der Herausforderung stellen.
Was ist noch zu tun in dieser Zeit? Wir kämpfen fürweitere Wachstumsimpulse. Das ist sicher notwendig.Ich habe bereits gesagt: Konsolidierung ist nur mitWachstum möglich. – Daher ist auch wichtig, dass diesteuerpolitische Agenda nicht in die falsche Richtunggeht. Es darf nicht immer höhere Steuerbelastungen fürdie Bürger geben, sondern wir müssen die heimlichenSteuererhöhungen beenden und den Menschen das Geldzurückgeben, indem wir das Gesetz zum Abbau der kal-ten Progression auf den Weg bringen. Ich kann Sie nurbitten: Hören Sie auf mit Ihrer Blockadehaltung. Dierichtet sich gegen die Interessen der Menschen.
Mit der Beitragssenkung bei den Sozialversicherun-gen werden wir die Menschen um 32 Milliarden Euroentlasten. Das ist für die Stärkung der Kaufkraft und desKonsums ein wesentlicher Faktor und wird die Konjunk-tur verstetigen. Das ist der richtige Weg. Wir werden mitdem Jahressteuergesetz neue Wege beschreiten. DieAufbewahrungsfrist wird auf sieben Jahre verkürzt. Dasist ein Abbau von Bürokratie und erspart 2,5 MilliardenEuro. Wir dürfen die Menschen nicht immer weiter be-lasten, sondern wir müssen ihnen Freiräume geben; denndas Geld gehört zuerst den Menschen und dann erst demStaat. Deutschland hat überhaupt kein Einnahmepro-blem. Deutschland hat eine richtige Politik betrieben, in-dem es mit Wachstumsimpulsen in Verbindung mit einerentsprechenden Steuerpolitik zur Konsolidierung beige-tragen hat.Eines möchte ich zum Schluss deutlich sagen: HörenSie auf mit Ihrem scheinheiligen Verhalten, wenn es umdas Steuerabkommen mit der Schweiz geht! Wer dauer-haft Geschäfte mit kriminellen Hehlern macht, perver-tiert den Rechtsstaat. Die Spielchen, die Sie machen,sind nicht hinnehmbar. Es geht Ihnen nur darum, Neidim Volk zu wecken.
Wir müssen deutlich machen: Die oberen 50 Prozent derSteuerzahler in Deutschland zahlen 95 Prozent der Ein-kommensteuer.
Hier gibt es Gleichbehandlung. Hier sind keine Ände-rungen notwendig. Sie machen sich der Untreue schul-dig, wenn Sie auf die Einnahme der 10 Milliarden Euroverzichten, die aus dem Steuerabkommen mit derSchweiz dem Fiskus zufließen werden.
In diesem Sinne sage ich: Kommen Sie zur Vernunft!Wir warten darauf, dass Sie im Vermittlungsverfahrenzum Wohle und im Interesse der Menschen mitarbeiten.Vielen Dank.
Die Kollegin Bettina Hagedorn hat nun für die SPD-
Fraktion das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Herr Kollege Michelbach, Ihre Rede reiht sichnahtlos in die vielen Reden von Schwarz-Gelb ein, diewir hier diese Woche leider hören mussten. Die Rednerhaben vor Selbstgefälligkeit gestrotzt, so als seien dieguten Arbeitslosenzahlen, die Höchstbeschäftigung, diesprudelnden Steuerquellen, die überquellenden Sozial-kassen allein Ihr Verdienst.
– Nein, das ist es nicht, und das wissen Sie auch. Das hatdraußen längst jeder wahrgenommen.Sie profitieren seit Jahren quasi im Schlafwagen vondieser guten Konjunktur. Wir Deutsche sind nur so gut
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23244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Bettina Hagedorn
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durch die Krise gekommen – warum verleugnen Sie daseigentlich, liebe Kollegen von der CDU/CSU? –, weilwir damals in der Krise mit den Konjunkturpaketen unddem Kurzarbeitergeld gemeinsam die Weichen richtiggestellt haben. Damals hatten wir eigentlich eine hervor-ragende Nettokreditaufnahme: Sie wurde bei 10,5 Mil-liarden Euro veranschlagt. Wir Haushälter wollten siedamals gemeinsam unter 10 Milliarden Euro drücken.Das war, unmittelbar bevor Lehman Brothers pleiteging.Dann haben wir gemeinsam das Richtige gemacht, undnur deshalb sind wir so gut durch die Krise gekommen.Sie profitieren jetzt davon.
Wir freuen uns, dass Deutschland davon profitiert. Ichverurteile aber die Art und Weise, wie Sie hier davon ab-zulenken versuchen, dass Sie keine eigenen Strukturan-strengungen unternommen haben. Sie wollten doch Sub-ventionen abbauen. Was ist denn daraus in den letztendrei Jahren geworden? Sie haben die Subventionen auf-gestockt, Stichwort „Mövenpick/Hoteliers“. Davon ver-suchen Sie abzulenken. Herr Kollege Michelbach, Siehaben mit den kriminellen Steuerhinterziehern, über de-nen Sie mit dem Steuerabkommen mit der Schweiz ei-nen Schutzschirm ausbreiten wollen, gerade wieder eingutes Beispiel für Ihre Klientelpolitik geliefert.
Seien Sie ganz sicher: Da machen wir nicht mit.In gleicher Weise haben Sie die ganze Woche gebets-mühlenartig versucht, die kritischen Redebeiträge derOpposition zu diffamieren. Wir haben immer wieder zuRecht gesagt – ich werde gleich darauf noch eingehen –,dass der Haushalt, den Sie hier vorgelegt haben, deshalbunverantwortlich ist, weil Sie keine Vorsorge für denFall tragen, dass sich – der Kollege Sven Kindler hatschon darauf hingewiesen – die Konjunktur eintrübt.Null Vorsorge! Stattdessen plündern Sie mit diesemHaushalt auch noch sämtliche Sozialkassen, und nur sobringen Sie Ihre Prognose zustande.
Auch wenn darauf schon verwiesen worden ist, willich es noch einmal kurz erwähnen: Die für die Zinslastenveranschlagten Mittel müssten aufgestockt werden,wenn wir es mit einer Konjunkturdelle zu tun bekom-men. Sie tragen keine Vorsorge für die Lasten der euro-päischen Rettungsaktionen, und Sie diffamieren uns allesalopp und lapidar als Schwarzmaler. Aber damit wer-den Sie der Situation nicht gerecht. Sie von Schwarz-Gelb haben hier einen Haushaltsentwurf vorgelegt, mitdem wir für eine Konjunkturdelle nicht gewappnet sind.Sie haben eben so unverschämt gelacht, als ich gesagthabe: Sie greifen in die Sozialkassen, und das ist unver-antwortlich mit Blick auf das, was für die Zukunft ei-gentlich an Vorsorge geschehen müsste. – Daher will ichan dieser Stelle konkret werden. Das Schlimme ist, dassSie seit drei Jahren kürzen, und zwar jedes Jahr mehr.Und wo kürzen Sie? Einzig und allein im Haushalt vonFrau von der Leyen, einzig und allein auf dem Rückenvon Arbeitslosen bzw. Langzeitarbeitslosen und ihrenFamilien.
Darunter sind zu einem großen Teil, nämlich 40 Prozent,Alleinerziehende. Darunter sind sehr viele Migrantenund sehr viele Menschen mit Behinderungen.
Dadurch, dass Sie sich an den Mitteln, die für Qualifizie-rung und Weiterbildung erforderlich wären, vergreifen,nehmen Sie diesen Menschen Chancen, obwohl es ge-rade die Aufgabe von Frau von der Leyen wäre, ihnenChancen zu eröffnen.
Diese Ministerin versucht, das Ganze zu kaschieren– sie hat in diesem Kabinett grandios versagt, weil sieeben nicht die erfolgreiche und ehrgeizige Kämpferin fürdiejenigen Menschen ist, die ihr eigentlich anvertrautsind –, zum Beispiel gerade mit ihrer Shownummer Zu-schussrente. Sie versucht, davon abzulenken, dass sie ei-gentlich gar keine Anwältin der Rentner ist. Sie hat eswieder einmal kommentarlos hingenommen, dass dieserHaushalt erneut mit 2 Milliarden Euro zulasten der Ren-tenkasse konsolidiert wird; „konsolidiert“, so nennen Siedas. 1 Milliarde Euro davon haben Sie im Haushalt undauch im Finanzplan ausgewiesen. Das addiert sich übri-gens bis 2016 auf satte 4,75 Milliarden Euro.Dann haben Sie noch etwas ganz Bemerkenswertesgemacht. Sie haben im August im Kabinett eine Bei-tragssatzsenkung von 19,6 Prozent auf 19,0 Prozent ver-kündet. Damit haben Sie so getan, als sei dies eine Wohl-tat, obwohl es eigentlich aktuelle Gesetzeslage ist. Wirhätten das in der Bereinigungssitzung ohnehin beschlos-sen, weil wir das all die Jahre so gemacht haben. Wir ha-ben den Beitragssatz immer so angepasst, wie der Schät-zerkreis es Anfang November empfohlen hat, und erwird aller Voraussicht nach Anfang November eine Sen-kung auf 19,0 Prozent verkünden.Was aber haben Sie gemacht? – Sie wollten denShoweffekt im August. Sie wollten sich bei den Bei-tragszahlern einschmeicheln. Obwohl dieser Beschlusserst im August durch das Kabinett ging, hat HerrSchäuble schon bei seinem Haushaltsentwurf, den er imJuli vorgelegt hat, die Einsparung von 1 Milliarde Euro– in diesem Umfang profitiert nämlich der Bundeshaus-halt von einer Beitragssatzsenkung – eingerechnet unddamit vorweggenommen. Was bedeutet das? Das bedeu-tet: Wenn sich Ihre CDU-Ministerpräsidenten oder auchLandesminister, die im Moment gern laut darüber nach-denken, ob nicht die Beitragssatzsenkung in dieser Höhewegen anderer Maßnahmen verändert werden könnte,durchsetzen würden und damit der Beitragssatz nicht indiesem Umfang gesenkt würde oder sogar stabil bliebe
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23245
Bettina Hagedorn
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– es gibt ja viele, die sagen, dies wäre aus demografi-schen Gründen ein schlauer Gedanke –, dann hätten Siein Ihrem Haushalt plötzlich eine Lücke von 1 MilliardeEuro. Diese Art, einen Haushalt aufzustellen, ist einfachunsolide.
Sie haben Ihr Sparpaket aufgelegt, aber bei der Wirt-schaft und bei sich selbst sparen Sie gar nichts ein. Dassind alles Luftbuchungen. Sie sparen nur im Bereich vonFrau von der Leyen. Da kürzen Sie schon seit Jahren. Sieversuchen, das zu kaschieren. Manche Journalisten ha-ben es noch nicht mitgekriegt, dass die Einsparungen indiesem Bereich in Wirklichkeit in jedem Jahr zunehmen.Nachdem in Ihrem Sparpaket schon Einsparungenvon 5 Milliarden Euro allein 2013 zulasten der Langzeit-arbeitslosen und der Arbeitslosen vorgesehen waren, le-gen Sie mit diesem Haushalt noch etwas drauf. Jetztwollen Sie nämlich mit Ihrer sogenannten Instrumenten-reform und der Umwandlung von Rechtsansprüchen inErmessensleistungen zusätzlich zu den 5 MilliardenEuro um weitere 1,5 Milliarden Euro kürzen, und zwarausschließlich bei den Langzeitarbeitslosen.
Zwar ist die Arbeitslosenquote niedrig, worüber wiruns gemeinsam freuen. Wie gesagt, wir haben eine guteKonjunktur. Trotzdem haben wir in Deutschland ein Pro-blem. Es gibt hier nämlich eine verfestigte Langzeit-arbeitslosigkeit. Es gibt bei uns eine sehr große Anzahlvon Menschen, die sich nicht erst seit einem halben, seiteinem Jahr oder seit zwei Jahren in Arbeitslosigkeit be-finden, sondern schon fünf oder sechs Jahre, also inLangzeitarbeitslosigkeit sind. Wenn wir diese Menschennicht bis an das Ende ihrer Tage abschreiben wollen,dann müssen wir sie qualifizieren, was unter dem Aspektdes Fachkräftemangels kein schlechter Gedanke ist.
Das kostet Geld. Dieses Geld ist in den Jobcenternaber nicht mehr vorhanden.
Kollegin Hagedorn, auch die Kollegin Winterstein
kann Ihre Redezeit jetzt nicht mehr verlängern. Es tut
mir leid. Sie haben Ihre Redezeit schon überzogen. Inso-
fern kann ich die Frage jetzt nicht mehr zulassen.
Es tut mir leid, ich habe nicht auf die Uhr geschaut.
Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen von Schwarz-Gelb, da wir einen Finanzminister
haben – er kann heute leider nicht da sein –, von dem wir
wissen, dass er eigentlich fachlich kompetent ist, kann
man ihm angesichts dieses verantwortungslosen Haus-
halts leider nicht einmal nur grobe Fahrlässigkeit unter-
stellen. Nein, es ist ein vorsätzlich verantwortungsloser
Haushalt.
Vielen Dank.
Kollegin Winterstein, es tut mir leid. Das Präsidium
hat in seiner ganzen Schönheit offensichtlich seine Auf-
merksamkeit der falschen Seite des Hauses zugewandt.
Wir werden das zukünftig korrigieren.
Das Wort hat nun der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Das ist schon vollkommen in Ord-nung. Man sollte die Aufmerksamkeit in Haushalts-debatten mehr auf die linke Seite des Hauses richten;denn es ist viel wichtiger, diese unter Kontrolle zu hal-ten.Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist derletzte Haushalt, den wir in dieser Legislatur debattieren.
Wir sollten ganz ruhig und entspannt schauen, wo wirstehen, und das damit vergleichen, wie das bei den je-weiligen Haushalten der letzten Legislaturperioden aus-sah. Ich habe nachgeschaut: 2004/2005, da war so einHans Eichel dabei, der hat uns einen Haushalt hinterlas-sen mit einer Neuverschuldung in Höhe von 40 Milliar-den Euro. 2009 war da so ein Herr Steinbrück – auch einSozialdemokrat –,
der uns einen Haushalt mit einer Neuverschuldung inHöhe von 86 Milliarden Euro hinterlassen hat.
Für das Haushaltsjahr 2013 ist eine Neuverschuldungin Höhe von 18 Milliarden Euro geplant. Ich kann michden Aussagen der Bundeskanzlerin nur anschließen: Vonüber 80 Milliarden Euro auf 18 Milliarden Euro herun-terzukommen, das ist eine Leistung, die sozialdemokra-tische Finanzminister nicht geschafft haben und auchnicht schaffen würden.
Darauf kann unsere Koalition stolz sein.
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23246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Otto Fricke
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Das sollte man den Bürgern auch immer wieder sagen.
Warum ist das so, dass bei Ihnen eine Neuverschul-dung von 40 Milliarden Euro und 86 Milliarden Eurostattfindet und bei uns eben nur von 18 Milliarden Euro?In den Debatten war eine starke Widersprüchlichkeit zuspüren. Es hieß auf der einen Seite: mehr sparen, aberauf der anderen Seite: mehr ausgeben. Lassen Sie michdas im Einzelnen darstellen.Warum ist die Basis des Haushalts so gut? Warum be-mühen wir uns, die Milliardenbeträge zu reduzieren?Weil wir wissen, dass jeder Cent, den wir zusätzlich aus-geben, die nächste Generation belastet. Deshalb kämp-fen wir darum, so wenig neue Schulden wie möglich zumachen. Warum stehen wir besser da? Weil die Wirt-schaft gut dasteht. Warum steht die Wirtschaft gut da?Weil die Rahmenbedingungen gut sind und weil die Be-völkerung sagt: Es lohnt sich, entsprechende Leistungenzu erbringen. Sie steht gut da, weil Unternehmer, Arbeit-geber und Arbeitnehmer etwas leisten. Das ist der Rah-men, den diese Regierung gesetzt hat.Frau Kollegin Hagedorn, Sie suchen geradezu nachirgendeiner benachteiligten Gruppe.
Ich gebe Ihnen recht: Langzeitarbeitslose sind eineGruppe, um die man sich Gedanken machen muss. Nur,der Unterschied ist: Sie haben es in all den elf Jahren, indenen Sie an der Regierung waren, nicht hinbekommen,
beim Thema Langzeitarbeitslose auch nur irgendetwaszu bewegen, und haben außerdem noch ein paar Millio-nen Arbeitslose draufgepackt. Das ist der Unterschiedzwischen Ihnen und uns: Wir haben die Arbeitslosenzah-len heruntergesetzt.
Wir haben dafür gesorgt, dass mehr Leute in Arbeit sind.All das tut Ihnen weh, weil es Ihnen lieber wäre, wennSie für Ihre Politik andere Zahlen hätten. Weil Sie das imBereich Arbeitsmarkt nicht mehr schaffen, versuchenSie jetzt beim Thema Sozialneid einen Popanz aufzu-bauen. So läuft doch bei Ihnen im Moment Haushalts-politik.Der Wirtschaftsmotor läuft gut, die Sozialsystemesind gesichert, und der Kernhaushalt des Bundes liegtbei einer schwarzen Null. Um das den Bürgern noch ein-mal zu verdeutlichen: Wir haben für den Haushalt 2013Zusatzbelastungen zu erwarten. Das hat zwei Gründe.Der eine Grund ist die vom Kollegen Schneider vorhinvollkommen vergessene Zusatzausgabe in Höhe von8 Milliarden Euro für den ESM. Der zweite Grund wirddeutlich, wenn ich die völlig leere Bundesratsbank be-trachte.
Bei jedem Thema – ich würde vermuten, selbst wenn esum das Zweite Gesetz zur Änderung des Berufsrechtsder Podologen ginge – sagt der Bundesrat: Das Gesetzist okay, aber wir hätten gerne noch einmal 2 MilliardenEuro für dieses oder 3 Milliarden Euro für jenes,
damit wir diesem Gesetz zustimmen. Wir haben zwarnichts damit zu tun, aber gebt uns mehr Geld. – In die-sem Fall sind das 10 Milliarden Euro. Jeder kann nach-rechnen: Für die Länder und Kommunen zusätzlich10 Milliarden Euro und für Europa zusätzlich 8 Milliar-den, das ergibt 18 Milliarden Euro, und das entsprichtgenau der Summe der Neuverschuldung für 2013.
Das zeigt: In Bezug auf die Ausgaben des Bundes istes der schwarz-gelben Koalition gelungen, eineschwarze Null zu schreiben. Damit ist es uns gelungen,die verfassungsrechtlichen und auch die europarechtli-chen Vorgaben zu erreichen. All das tut Ihnen weh, aberdiese Zahlen zeigen: Schwarz-Gelb kann mit dem Gelddes Steuerzahlers umgehen.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der mich wirklichärgert. Sie sagen immer wieder:
Die Verschuldung ist zu hoch, und deswegen müssen dieAusgaben gesenkt werden. Kollege Schneider hat dasauch gesagt. Ich habe ihm eben die Frage gestellt: HerrKollege Schneider, sagen Sie mir doch einmal, an wel-cher Stelle im Haushalt Sie Ausgaben in Milliardenhöheeinsparen wollen?
Die Antwort des Kollegen Schneider war – gar keine.
Sie haben mir keinen einzigen Bereich genannt, in demSie die Ausgaben senken wollen. Soll ich Ihnen sagen,warum das so ist? Weil Sie es nicht können! Sie könnendem Bürger nicht sagen: Wir müssen auf diese oder aufjene Ausgabe verzichten. Oder ist es anders? Liebe So-zialdemokraten und Grüne, darf ich mal fragen: Wollen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23247
Otto Fricke
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Sie etwa im Bereich der Investitionen die Ausgaben kür-zen?
Nein. Ich höre nichts. Wollen Sie im Bereich der Sozial-politik Ausgaben kürzen? Nein. Ich höre nichts.
Wollen Sie im Bereich der Familienpolitik Ausgabenkürzen?
– Ja. Also, wir halten fest: Bei der Familienpolitik wol-len Sie Ausgaben kürzen. Richtig? Gut.
Wir wollen bei der Familienpolitik keine Ausgaben kür-zen, weil sie neben der Bildung die Basis für die Zukunftunseres Landes ist und wir die Rohstoffe in den Köpfennutzen wollen.
Wenn es die Sozialdemokraten wollen, dann können siebei den Familien gerne kürzen. Wir kürzen bei Familiennicht.
Als Haushälter sitzt man gemeinsam mit den Kolle-gen stundenlang in einer Sitzung, hört zu und muss über-legen, ob man in der Finanzdebatte ist – dann werden Sievon uns wahrscheinlich weniger Ausgaben fordern, be-weisen aber nicht, dass dies geht – oder in einer Fachde-batte. In einer Fachdebatte habe ich immer das Gefühl,die Schizophrenie in der SPD ist nicht dreigeteilt wie beiden Spitzenkandidaten, sondern nur zweigeteilt, nachdem Motto: Die einen fordern: „Weniger ausgeben!“ undkönnen es nicht beweisen, und die anderen sagen: Mehrausgeben! In der Gesundheitsdebatte zum Beispielwurde gesagt: Wir geben viel zu wenig aus. Die 2 Mil-liarden Euro, die wir als Puffer haben, dürfen wir nichtzurücknehmen. Daraufhin habe ich gefragt: Wo fehlt esdenn? Es wurde geantwortet: Da und dort fehlt es. Ichhabe weiter gefragt: Wie viel mehr sollte denn ausgege-ben werden? Ihre Leute sagen dann: 2 Milliarden Euromehr
und beim Verkehr 1 Milliarde Euro mehr.
Es gibt doch keinen Bereich, wo Sie nicht mehr aus-geben wollen. Diese Art – das muss man den Bürgernimmer wieder sagen – ist in allen anderen europäischenLändern, die sich jetzt in der Krise befinden, der Beginndes Krebses gewesen, den wir alle nicht haben wollen.Wir wollen den Bürgern nicht sagen: Ich sorge dafür: Dukriegst mehr, du kriegst mehr, und du kriegst mehr. –Demjenigen, dem man das Geld spätestens mit einerMehrwertsteuererhöhung wegnehmen will, sagt man esnicht. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Das Schöne ist, dass man inzwischen bei diesemThema wunderbar sehen kann, wie es wäre, wenn So-zialdemokraten an der Macht wären.
Gucken Sie nach Frankreich. Ich sage Ihnen: Wir sindsehr froh, dass Herr Hollande uns spätestens im Mai zei-gen wird, dass ihm genau dasselbe passieren wird, wasSchröder passiert ist. Er wird erkennen, dass all dieWunschträume, wie man die Welt gerne hätte und wieviel Geld man gerne noch ausgeben würde, in den Sandgesetzt werden.
Das wird für diese Koalition eine wunderbare Vorlage,um zu sagen: Leute, bleibt bei wirtschaftlicher Vernunftund glaubt nicht linken Träumereien.Zu den Grünen: In Baden-Württemberg gab es in denJahren 2010, 2011 jeweils eine schwarze Null. Was pas-siert in 2012, 2013 und 2014? Sie machen Schulden inMilliardenhöhe. So ist es nämlich, wenn Grün-Rot dieRegierung mit einem grünen Ministerpräsidenten und ei-nem roten Finanzminister übernimmt:
Dann steigt die Neuverschuldung, und dann steigen dieAusgaben.Das Allerbeste ist: Wer Lust und Interesse hat, demempfehle ich – in Nordrhein-Westfalen finden derzeitparallel die Haushaltsberatungen statt – die Rede vonFrau Kraft.
– Gute Frau. Ja, das finde ich übrigens auch. Sie ist derBeweis dafür, dass Sie es so machen. – Nordrhein-West-falen hat, seitdem die Sozialdemokraten die Regierungübernommen haben, bei einem Haushaltsvolumen von50 Milliarden Euro die Ausgaben um 5 Milliarden Euroerhöht,
während wir sie bei einem sechsmal so großen Haushaltum 1 Milliarde gesenkt haben. Das ist der Unterschied:Bei Ihnen geht es runter, bei uns geht es wunderbar nachoben mit der Wirtschaft und mit dem Ausgleichen vonHaushalten. Daran können wir sehen, wo es entspre-chende Parallelitäten geben würde.
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Otto Fricke
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Zum Schluss: Ich finde, diese Woche war eine guteWoche; denn sie hat gezeigt, dass Schwarz-Gelb wirk-lich die einzige Möglichkeit ist, dieses Land innerhalbEuropas auf einer guten Basis zu halten. Dabei hat unsdas Verfassungsgericht geholfen.Diese Woche hat ein Zweites gezeigt – das darf ich alsgroßer Freund der Niederlande sagen –: Wenn man fürEuropa einsteht, aber auch klar sagt, dass es Regeln gibt,an die man sich zu halten hat, dann kann man Wahlengewinnen und dann kann man sich vor allen Dingen ge-gen diejenigen durchsetzen, die einfach nur mehr Geldausgeben wollen. So wird es auch kommen. In einemJahr – das sage ich Ihnen voraus – werden wir genau se-hen, dass uns der Wähler das, was wir jetzt vorbereitethaben, danken wird, weil er weiß, dass wir auf sein Geldaufpassen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seltenwar so viel Beschwörung christlich-liberaler Gemein-samkeit in einer Haushaltsberatung. Ein Gespenst gingum im Plenarsaal: das Gespenst der Gemeinsamkeit.
Ich sage Ihnen dazu: Wer so viel demonstrative Be-schwörung braucht, wie wir es alle erlebt haben, der hatein handfestes Problem mit wirklicher Gemeinsamkeit.
Um es nicht ganz direkt zu sagen: Bei so viel Eigenlobmüsste die Klimaanlage im Plenarsaal eigentlich aufHöchststufe arbeiten. Wir sagen Ihnen aber auch: Einesolche Irreführung der Öffentlichkeit lassen wir Ihnennicht durchgehen.
Ich will mich mit Ihrem Eigenlob befassen:Eigenlob eins: Wir halten Wort, der Koalitionsvertraggilt. Was steht im Koalitionsvertrag? In dieser Legisla-turperiode werden die Ostrenten endlich angeglichen.Was ist Fakt? Dieses Versprechen wird öffentlich gebro-chen.
Ich sage Ihnen, was das zur Folge hat: Mein Enkel hatim August seine Berufsausbildung begonnen. Mit Be-ginn dieser Berufsausbildung ist er ein Ostrentenanwär-ter. Wenn mein Enkel seine Berufszeit beendet – daswird etwa 2060 der Fall sein –, wird er seinen Enkeln er-klären müssen, was ein Ostrentner ist und warum er ei-ner ist.Frau Bundeskanzlerin, das ist einfach nur gaga. Einesolche Enttäuschung der Ostdeutschen dürfen Sie sichnicht leisten.
Eigenlob zwei: Wir sparen. Mein Kollege DietmarBartsch hat Ihnen am Dienstag vorgerechnet, dass Sie indieser Legislaturperiode mehr als 112 Milliarden Euroan neuen Schulden aufnehmen. Daneben verschweigenSie ja auch noch die Schattenhaushalte.
Sie sagen der Öffentlichkeit nicht, welche Milliardenver-luste für die Rettung deutscher Banken bereits angefal-len sind und wahrscheinlich noch anfallen werden. Er-staunlicherweise kommt die deutsche Bankenrettungauch in den Medien überhaupt nicht mehr vor. Das müs-sen wir thematisieren.
Eigenlob drei: Bundesminister Schäuble sagte amDienstag wörtlich: „Der soziale Ausgleich … funktio-niert …“ Als Beleg fügte er an, dass 10 Prozent der Ein-kommensbezieher 50 Prozent des Einkommensteuerauf-kommens tragen. Das ist ebenso richtig wie irreführend,weil ausgeblendet wird, welchen Beitrag die unteren Ge-haltsgruppen im Zusammenhang mit dem Mehrwertsteu-eraufkommen leisten. Das muss doch an dieser Stelleeinmal klargestellt werden!
Mit einer Veröffentlichung zur Sozialstatistik hat dasStatistische Bundesamt gestern Ihr Eigenlob natürlichein bisschen beschädigt. Das Statistische Bundesamtsagt uns: In Deutschland ist die Armut gewachsen
und hat sich das Armutsrisiko erhöht. – Von den Flä-chenländern sind hier leider wieder die BundesländerMecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sach-sen traurige Spitzenreiter.Man muss also sagen: Beides wächst. Ja, der Reich-tum ist gewachsen. In der Krise hat sich die Zahl derMillionäre von 720 000 auf 960 000 erhöht. Zugleichwächst aber die Armut in diesem Lande. Deshalb kannman nicht sagen, dass der soziale Ausgleich funktioniert.Was hier leider funktioniert, ist die soziale Spaltung: Die
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Roland Claus
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Reichen werden reicher, und die Armen werden zahlrei-cher. So kann es nicht weitergehen.
Eigenlob vier: Unser Sozialetat ist riesig; wir leistenerhebliche soziale Wohltaten. Es stimmt, dass der Etatriesig ist. Aber warum ist er denn so groß? Er ist so groß,weil wir für eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpoli-tik, die sehr viele Menschen aus der Gesellschaft aus-grenzt, so viele soziale Nachsorgemaßnahmen und Re-paraturen durchführen müssen, dass solche riesigenSummen notwendig sind. Sie nehmen diesen Menschendabei auch die Würde und treten Art. 1 unseres Grund-gesetzes mit Füßen.Eigenlob fünf: Wir tun etwas für die deutsche Einheitund für den Osten. Fakt ist: Die Schere geht nicht zu-sammen, sondern seit Jahren wieder auseinander. Bei derSteigerung des Bruttoinlandsprodukts blieb der Osten imJahre 2011 mit 2,5 Prozent deutlich hinter dem Westenmit 3,1 Prozent zurück.Im Stern wird für den Osten ab und zu schon mal derBegriff „verbrannte Erde“ verwendet. Der Anteil desNiedriglohnsektors ist im Osten doppelt so groß wie imBundesdurchschnitt. Auch das ist nicht hinzunehmenund kann bei Ihnen nicht auch noch unter der Rubrik Ei-genlob abgebucht werden.
Eigenlob sechs: Wir sind für Frieden und Abrüstung.Was ist die Wahrheit? Das Volumen der deutschen Rüs-tungsexporte wächst. Wir sind, wie ich es inzwischenvom Bundesverteidigungsminister schriftlich bekommenhabe, noch immer im Beistandsfall, also, wenn man esdeutlich sagt, im Krieg. Nichts von dem, was Sie zur Be-gründung der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Krieg früher hier angeführt haben, ist eingetreten. Ich er-innere mich noch gut an das, was ich mir von Ihnen allesanhören musste, als ich vor elf Jahren für meine Fraktionhier im Bundestag die Formel vorgetragen habe: Kriegist die falsche Antwort auf den Terror. Deshalb gilt auchhier: Es ist nicht wahr, was Sie der Öffentlichkeit ver-sprechen.Eigenlob 7 bis 100 und die notwendige Kritik daranreiche ich Ihnen im Haushaltsausschuss nach. Wir sehenden Beratungen mit Interesse entgegen.
Die Kollegin Katja Dörner hat das Wort für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Wir konnten in dieser Woche und auchheute wieder erleben, dass die Regierungsfraktionen sichvor Begeisterung über sich selbst gar nicht mehr einkrie-gen konnten. Aber es ist ja bekanntlich so: Wer sichselbst so loben muss, der hat es offensichtlich nötig, weiles sonst niemand tut. Da steckt nicht besonders viel da-hinter.
Ich werde jetzt einmal ein paar Fakten auf den Tischlegen.
Es ist ja richtig: Die Neuverschuldung wurde gesenkt,sie wurde sogar deutlich gesenkt. Aber das ist nun wahr-haftig keine eigene Leistung. Das wird deutlich, wennman sieht, dass allein durch konjunkturelle Effekte16,5 Milliarden Euro zusätzlich in den Haushalt gespültwerden. Dann sieht der Haushaltsentwurf auch noch flottKürzungen beim Gesundheitsfonds, bei der BA undbeim Bundeszuschuss zur Rentenversicherung im Um-fang von 5 Milliarden Euro vor. Trotzdem kommen wirauf eine Konsolidierungslücke von mehr als 3 Milliar-den Euro. Ich frage mich: Was würden unsere griechi-schen Freundinnen und Freunde in ihrer derzeitigen Si-tuation zu einer solchen Haushaltsführung sagen?
Apropos Griechenland, ich habe in dieser Woche inkeiner Rede der Kolleginnen und Kollegen aus den Re-gierungsfraktionen einen einzigen Hinweis darauf ge-hört, wie massiv wir aktuell in unserem Haushalt vonden historisch niedrigen Zinsen profitieren.
Selbstverständlich sind diese niedrigen Zinsen, die wirfür unsere Kredite zahlen, die Kehrseite der Medaille dermassiven Zinsbelastungen in anderen Ländern der Euro-päischen Union.
Mit dem Finger auf andere wie beispielsweise Grie-chenland zu zeigen und dabei den ganz harten Hund zuspielen, ist immer einfach. Wir haben aber schon in die-ser Woche nachgewiesen, dass Schwarz-Gelb selbst beider Haushaltskonsolidierung nichts auf die Kette be-kommt.
Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Re-gierungsfraktionen, wer für eine derart unsinnige undtatsächlich schädliche Leistung wie das Betreuungsgeldernsthaft zunächst 300 Millionen Euro und ab 2014schon 1,4 Milliarden Euro in den Haushalt einstellt, dermuss mit uns über Konsolidierung überhaupt nicht mehrsprechen.
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23250 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Katja Dörner
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Mir ist am Mittwoch und auch gestern in der Debattezum Etat des Familienministeriums durchaus aufgefal-len, dass sich die FDP für das Betreuungsgeld nicht sorecht begeistern kann. In der gestrigen Debatte zum Etatdes Familienministeriums haben drei Kolleginnen undKollegen von der FDP gesprochen. Dabei ist kein einzi-ges Wort zum Betreuungsgeld gefallen. Ich muss sagen:Dieses Wegducken werden wir der FDP in dieser Fragenicht durchgehen lassen.
Andererseits – das möchte ich auch sagen – habensich einzelne FDP-Haushaltspolitiker schon ziemlichweit aus dem Fenster gehängt. Sie haben angekündigt, inden Haushaltsberatungen das Betreuungsgeld zu kippen,und das trotz des Kanzlerinnenmachtworts. Hierzu mussich sagen: Wenn es um die Verhinderung des Betreu-ungsgeldes geht, dann würden sogar wir eine Lieferungder FDP dankbar entgegennehmen,
aber wahrscheinlich bleiben auch diese Ankündigungennur heiße Luft.Ein schönes, aber auch ärgerliches Beispiel für „alsTiger gesprungen, aber als Bettvorleger gelandet“, wennes um die Haushaltskonsolidierung geht, findet man beieinem Blick in den Verteidigungsetat. Was wurde nichtalles von Herrn Guttenberg im Zusammenhang mit derBundeswehrreform angekündigt? 8,2 Milliarden Eurowollte Guttenberg einsparen. Davon spricht heute aufsei-ten der Regierungskoalition kein Mensch mehr. Stattdes-sen steigt der Verteidigungsetat nächstes Jahr erneut um1,4 Milliarden Euro. Das ist aus unserer Sicht völlig in-akzeptabel.
Was im Verteidigungshaushalt nicht gelingt, das hatbei den Ärmsten in unserem Land geklappt und klapptleider weiterhin. Was ist denn von dem sogenanntenSparpaket übrig geblieben? Übrig geblieben ist die An-rechnung des Sockelbetrags beim Elterngeld auf dieALG-II-Leistungen. Hier geht es um 400 MillionenEuro. Dieses Geld fehlt gerade den frischgebackenen El-tern, die das Geld am Nötigsten hätten. Geblieben istauch die Abschaffung der Rentenzahlungen für Lang-zeitarbeitslose. Nur das Sparen bei den Ärmsten ist ge-blieben, bei denen, die sich selbst am wenigsten helfenkönnen. Das ist Sprengstoff für unsere Gesellschaft.
Für das kommende Jahr planen Sie den Griff in dieKasse der Bundesagentur für Arbeit. Auch das ver-schärft die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land.Denn wenn bei der Qualifizierung und bei der Wieder-eingliederung gespart wird, werden Menschen Lebens-chancen entzogen.In der Pflege kommt der sonderbare Pflege-Bahr, derletztendlich nicht mehr ist als ein Subventionsprogrammfür die privaten Pflegeversicherungen. Ich finde, mansollte einmal ganz genau hinschauen, welche Unterneh-mensbeteiligungen von Parteien dabei gegebenenfallseine Rolle spielen könnten.
Es ist doch absehbar, wer sich eine solche Zusatzversi-cherung wird leisten können. Das Ganze ist nicht nach-haltig und wird uns sehr bald ganz übel auf die Füße fal-len.
Die Bundesregierung tut nichts, um die soziale Scherein Deutschland zu schließen. Sie tut sogar einiges, umdiese weiter auseinanderdriften zu lassen. Hierzu gehört,dass es immer noch keinen gesetzlichen Mindestlohngibt. Hierzu gehört die regelrecht skandalöse Weigerungder Bundesregierung, die ALG-II-Regelsätze endlich aufein verfassungskonformes Niveau anzuheben.
Wir werden in den Haushaltsberatungen zeigen, dassKonsolidierung des Haushalts und mehr soziale Gerech-tigkeit, Konsolidierung und mehr Klimaschutz sowieKonsolidierung und bessere Bildung möglich sind. Ichfreue mich auf die Beratungen im Haushaltsausschuss.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Steffen Kampeter.
S
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir bewegen uns auf den Schlusspunkt der ers-ten Lesung dieses Bundeshaushalts zu. Es ist an der Zeit,deutlich zu machen, welche Alternativen es in der Haus-haltspolitik gibt.
Auf der einen Seite – das ist nicht nur bei der Einbrin-gung des Haushaltsentwurfs, sondern auch in den Beiträ-gen der Fachminister deutlich geworden – steht diewachstumsfreundliche Konsolidierung durch die christ-
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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lich-liberale Koalition: Verlässlichkeit, Einhalten vonZusagen, kein Aktionismus, eine Politik von Maß undMitte, die auch auf den inneren sozialen Zusammenhaltin diesem Land setzt.
Auf der anderen Seite steht die Finanzpolitik der Op-position, die aus zwei Obersätzen besteht: Im ersten Satzwird gesagt, dass zu viele Schulden gemacht werden,und im nächsten Satz werden neue Ausgaben in Milliar-denhöhe gefordert. Die einzige Finanzierungsoption istzusätzliches Abkassieren bei den Bürgerinnen und Bür-gern. Das ist der Kern Ihrer Finanzpolitik. Es gibt klareAlternativen: Maß und Mitte auf unserer Seite und man-gelnde Solidität und Abkassiererei aufseiten der Opposi-tion.
Wir haben uns in der Haushaltspolitik dieser Legisla-turperiode bemüht, nur solche Zusagen zu machen, diewir auch sicher einhalten konnten. Wir haben Jahr fürJahr die Planungen so optimiert, dass wir die Nettokre-ditaufnahme und auch die Ausgaben senken konnten.Das war eine Gemeinschaftsleistung dieser Koalitionund dieses Kabinetts. Das fällt einem nicht in den Schoß.Ich möchte das mithilfe eines Schaubilds deutlich ma-chen. Ich habe einmal die Entwicklung der Kreditauf-nahme seit 2010 aufgezeigt: Wo sind wir gestartet, undwo werden wir verlässlich landen? Ich muss meinSchaubild aufklappen;
es ist sehr groß, weil der Startpunkt bei 86,1 MilliardenEuro liegt. Das waren die Befürchtungen des HerrnSteinbrück.
Hier sehen Sie die Erfolge des Herrn Schäuble. So unter-scheiden sich die Zahlen. Das ist das Ergebnis einer gu-ten Zusammenarbeit und einer erfolgreichen Finanzpoli-tik.
Wir haben immer wieder gehört, wir würden von derkonjunkturellen Entwicklung profitieren. Es ist richtig:Die konjunkturelle Entwicklung ist eine Leistung derBürgerinnen und Bürger dieses Landes, die durch Fleiß,Innovationsbereitschaft und die Bereitschaft, auch inschwierigen Zeiten die Ärmel hochzukrempeln, entstan-den ist. Diese Bundesregierung tut alles, was notwendigist, damit auch der Rahmen stimmt, damit die Konjunk-tur brummt.
Wenn Sie andere Länder Europas betrachten, sehen Sieunterschiedliche konjunkturelle Entwicklungen. Nebendem Fleiß und der Einsatzbereitschaft der Menschen isteine Bundesregierung wichtig, die diesem Fleiß und die-ser Einsatzbereitschaft auch den Freiraum lässt, sich zuentwickeln.
Kollege Kampeter, erstens fühlt sich das Präsidium
benachteiligt, da Sie ihm das Ergebnis Ihrer Arbeit nicht
gezeigt haben. Wir konnten also nicht prüfen, ob das
eine erlaubte Einbringung von Materialien ist.
Zweitens möchte der Kollege Schneider eine Frage
stellen oder eine Bemerkung machen. Gestatten Sie das?
S
Nein, in diesem Fall nicht. Ich werde mich jetzt aller-dings dem Kollegen Schneider widmen.
Ich glaube, der Kollege Schneider spielt im Rahmenseiner Argumentation im Zusammenhang mit der SPD-Finanzpolitik ein ziemlich scheinheiliges Spiel;
das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. WennSie die Rede von Frau Hagedorn und die Rede vonHerrn Schneider einmal nebeneinanderlegen, dann sehenSie: Herr Scheider klagt über zu viele Schulden, undFrau Hagedorn fordert, die Ausgaben in den Sozialsyste-men weiter hoch zu halten. Man muss sich aber für einesentscheiden.
Entweder glaubt man Herrn Schneider, der von zu hohenSchulden spricht, oder man glaubt Frau Hagedorn, dievon zu wenig Ausgaben in vielen Bereichen spricht. Weraber beides sagt, der handelt scheinheilig, der ist nichtverlässlich und dem kann man in der Finanzpolitik nichttrauen.
Ich möchte mich jetzt dem Argument von Herrn Poßzuwenden, der gesagt hat – ich glaube, es war am Diens-tag –, wir seien von sozialer Ignoranz geprägt.
Das waren Ihre Worte, Herr Kollege Poß. Sie haben wei-terhin ausgeführt, wir würden bei den Schwachen in die-ser Gesellschaft kürzen.
Aber dafür haben Sie überhaupt keine Belege,
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23252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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weder im aktuellen Haushalt noch in der erfolgreichenBilanz der Sozial- und Wirtschaftspolitik.Herr Kollege Poß, Sie stehen an der Spitze derjeni-gen, die im Bundesrat verhindern, dass wir für mehr so-ziale Gerechtigkeit bei den Beziehern von kleinen undmittleren Einkommen sorgen können, nämlich durch dieAbschaffung der kalten Progression.
Wer hier das Lied der sozialen Ungerechtigkeit singt,den Menschen keine Lohnerhöhungen gönnt und imBundesrat gegen die Abschaffung der kalten Progressionstimmt, der handelt scheinheilig. Das ist das Marken-zeichen der Finanzpolitik der Sozialdemokratie.
Ich möchte mich nun ein Stück weit dem Argumentnähern – ich glaube, auch die Kollegin Hagedorn hat esvorgetragen –, wir würden eine Konsolidierung zulastender sozialen Sicherungssysteme betreiben.
Zuerst einmal möchte ich sagen: Wir geben einen erheb-lichen Anteil aus dem Bundeshaushalt, aus Steuergel-dern in die sozialen Sicherungssysteme.
Das ist der Bärenanteil.Lassen Sie uns einmal die drei Bereiche anschauen.Worum geht es, und was machen wir mit diesem Geld?Erstens. Wir haben – ich habe mich gerade bei DanielBahr rückversichert – zum ersten Mal riesige Über-schüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung. Vordiesem Hintergrund ist es doch wohl vernünftig und ge-boten, dass wir – die Sozialdemokraten sagen, wir habenzu hohe Schulden – überprüfen, ob der Zuschuss, denwir aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen undden wir nötigenfalls auch mit Schulden finanzieren,leicht zurückgeführt werden kann. Denn es macht wenigSinn, viele Schulden im Bundeshaushalt und viele Über-schüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung zu ha-ben. Fragen Sie einmal Ulla Schmidt und auch FrauFischer von den Grünen. Die hätten die Probleme, dieDaniel Bahr gerade hat, in ihrer Amtszeit gerne gehabt.Überschüsse in den Sozialkassen ermöglichen es,
den steuerfinanzierten Zuschuss leicht und moderat ab-zusenken. So bleiben Überschüsse und Stabilität in dergesetzlichen Krankenversicherung.
Zweitens. Was die Arbeitslosenversicherung angeht,zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Große Koalition hat imJahr 2007 beschlossen: Wir geben Steuergelder in dieArbeitslosenversicherung, damit der Arbeitslosenversi-cherungsbeitrag sinken kann. Wir waren der festenÜberzeugung: Das ist ein Beitrag für mehr Wachstumund Beschäftigung, weil der Abgabenhebel gerade beiden Beziehern von kleinen und mittleren Einkommenbrutal zugeschlagen hat.Diese Politik war erfolgreich. Der Wirtschaftsministerund die Arbeitsministerin können mit Stolz darauf hin-weisen, dass wir, was die Zahl der sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten in Deutschland betrifft, einenNachkriegsrekord aufgestellt haben.
In dieser Situation ist es nicht mehr geboten, einer aus-geglichenen, wahrscheinlich sogar über Überschüsseverfügenden Arbeitslosenversicherung weiterhin einenSteuerzuschuss zu gewähren. Wenn Herr Schneider kriti-siert, das Defizit sei zu hoch, müsste er doch eigentlichder Erste sein, der fordert, dass es keine Steuerzuschüssezur Arbeitslosenversicherung mehr geben darf, weil siediese nicht braucht und das Beitragsniveau ohnehin aus-gesprochen niedrig ist. Das ist solide Finanzpolitik, unddas ist geboten und vernünftig.
Das gilt im Übrigen auch im Hinblick auf die Renten-versicherung. Ich habe das Plädoyer der KolleginHagedorn für die Absenkung des Rentenversicherungs-beitragssatzes gehört. Wir wollen, dass mehr netto vomBrutto bleibt, insbesondere deshalb, weil wir wissen,dass für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommendie Höhe der Sozialabgaben eine viel größere Bedeutunghat als die steuerliche Belastung.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wirdafür in Bundestag und Bundesrat politische Mehrheitenbrauchen. Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, diesich hier für Beitragssatzsenkungen einsetzen, dies auchbei ihren Parteifreundinnen und Parteifreunden im Bun-desrat verkünden würden. Wir arbeiten daran genausohart. Wir wollen diese Beitragssatzsenkung.
Mit dieser Beitragssatzsenkung wäre übrigens eineleichte, moderate Absenkung der Höhe des Bundeszu-schusses verbunden.
Die Rentenversicherung verfügt aufgrund der erfreuli-chen konjunkturellen Entwicklung in Deutschland überden höchsten Überschuss in ihrer Geschichte. Die Rück-lage ist solide. Wer angesichts dessen behauptet, wir
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23253
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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konsolidierten zulasten der Stabilität der sozialen Siche-rungssysteme, stellt unter Beweis, dass er weder kompe-tent noch verantwortungsvoll, noch ein verlässlicherPartner ist, weder in der Wirtschafts- und Sozialpolitiknoch in der Finanzpolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich zum Schluss noch auf zwei Punkte hinweisen.
Herr Kollege Schneider, Sie haben mehr über die Geld-politik als über die Fiskalpolitik geredet. Dass die deut-sche Sozialdemokratie die Zuständigkeit für die Geld-politik hat, ist mir nicht bekannt. Wir haben mit diesemHaushalt deutlich gemacht, dass wir auf nationalerEbene unsere fiskalpolitischen Hausaufgaben erledigen.
Wir haben mit den Entscheidungen auf europäischerEbene deutlich gemacht – Fiskalpakt und ESM wurdenja in dieser Woche bestätigt –, dass wir dafür Sorge tra-gen werden, dass auch europaweit die Hausaufgaben imBereich der Fiskalpolitik erledigt werden. Das ist dieAufgabe der Politik. Sie sollten keine Schattengefechtemit der EZB führen. Sie sollten endlich konstruktive,vernünftige Beiträge leisten, beispielsweise im Hinblickauf ein Steuerabkommen mit der Schweiz,
damit wir bei der Konsolidierung weiter voranschreitenkönnen, anstatt Scheingefechte mit Herrn Draghi – er istsowieso eine Nummer zu groß für Sie – zu führen, meinesehr verehrten Damen und Herren von der Opposition.
Wachstumsfreundliche Konsolidierung bedeutet imÜbrigen auch, Ordnungspolitik zu betreiben.
Vor diesem Hintergrund will ich ganz zum Schluss aufeinen Aspekt hinweisen, der in dieser Woche etwas un-tergegangen ist, nämlich auf den Sachverhalt, dass sichder Staat aus seinen Beteiligungen an Unternehmen zu-rückzieht. Diese christlich-liberale Koalition hat 5 Pro-zent der Beteiligungen, die indirekt über die Telekomund die KfW gehalten wurden, zurückgeführt. Wir glau-ben nämlich, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesemLand auch wirtschaftliche Freiheit genießen sollten. Wirwissen, dass dies eine der Kernkompetenzen der sozialenMarktwirtschaft ist. Wirtschaftliche Freiheit und sozia-ler, innerer Zusammenhalt in diesem Land sind der Mar-kenkern christlich-liberaler sozialer Marktwirtschafts-politik.
Dies unterstützen wir mit diesem Haushaltsentwurf.
Er führt uns einen Schritt weiter auf dem Weg zu einemausgeglichenen Bundeshaushalt. Alle, die daran interes-siert sind, sollten – auch im Interesse der nachfolgendenGenerationen –, anstatt herumzumäkeln und zu sagen:„Alles ist Mist“, diese kraftvolle Gemeinschaftsleistungder christlich-liberalen Koalition zumindest ein Stückweit anerkennen.Herzlichen Dank.
Der Kollege Johannes Kahrs hat nun für die SPD-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich schätze den Kollege Kampeter sehr, aberdas war eher eine Fünf minus.
Herumdröhnen alleine ersetzt keine Inhalte. Wir habenin den letzten Reden viel eitles Geschwätz und Ge-spreize, Herr Fricke, und viel Gedröhne gehört. Wir ha-ben viel gehört, was man eigentlich überhaupt nicht ver-treten kann. Herr Michelbach sprach hier von „unserenErfolgen“ und „unseren Verdiensten“.
Wenn man sich das einmal ansieht und auf die Sach-ebene entschwindet, dann wird man folgende Fragenstellen müssen: Welche Bundesregierung hat die größteSteuerreform in der Geschichte dieser Republik erreicht?Das war Rot-Grün!
Welche Bundesregierung hat die großen Reformen indiesem Land nach vorne getrieben, ob es nun dieAgenda 2010, Hartz IV oder die Rente mit 67 war? Im-mer waren es die Sozialdemokraten.
Diese Bundesregierung hat nichts, aber auch gar nichtsdazu geleistet, schon gar nicht die FDP.
Wenn man sich ansieht, wer dieses Land reformierthat und die Reformen nach vorne getrieben hat, wer die-ses Land nach vorne gebracht hat, dann stellt man fest:Das waren die Sozialdemokraten, das war GerhardSchröder, das war die Bundesregierung unter Rot-Grün.Das, was Sie hier feiern, was Herr Michelbach, HerrFricke und Herr Kampeter hier zu einem Verdienst derBundesregierung erklärt haben, sind die Früchte dieser
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23254 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
Johannes Kahrs
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Reformen. Die Reformen brauchen, bis sie wirken. Dannhat man die Ergebnisse. Diese können Sie jetzt sehen.Sie spiegeln sich bei den Einnahmen wider. Das ist kla-res Verdienst guter sozialdemokratischer Politik. Das ha-ben Sie nicht hinbekommen. Wenn man sich anschaut,was in den letzten drei Jahren passiert ist, dann kannman nur feststellen: Gar nichts!
Sie haben selbst die Gesetze, die Sie beschlossen ha-ben, zurückgenommen. Die Luftverkehrsteuer, die Sieeingeführt haben, hat der zuständige Ressortminister, derjetzt wieder da ist, für überflüssig erklärt, man brauchesie nicht, sie könne weg. Da sind wir gerne dabei. Ichglaube aber nicht, dass er sich durchsetzt. Das ist halt so.
Kollege Kahrs, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung vom Kollegen Kalb?
Ja.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass jemand aus Ih-
ren Reihen, der Herr Bartol, vor kurzem die Erhöhung
der Luftverkehrsteuer gefordert hat? Wie bringen Sie das
mit Ihrer Auffassung zusammen?
In der Sache ist es so, dass wir dem Vorschlag derBundesregierung, Ihres Bundesministers und Ihrer Kol-legen gefolgt sind, die gesagt haben: Man muss die Luft-verkehrsteuer abschaffen. Ich glaube, wir haben gese-hen, was die Luftverkehrsteuer in den letzten drei Jahrenangerichtet hat. Wir sind bereit, uns mit Ihnen hinzuset-zen und zu sehen, wie man das vernünftig hinbekommenkann. Der Kollege Bartol hat – Sie müssen genau zuhö-ren – gesagt: Wir setzen uns mit Ihnen hin und schauen,wie wir aus dem Murks, den Sie da angerichtet haben,etwas Vernünftiges machen können. Sozialdemokratensind in dieser Republik immer dann gefragt, wenn dieSchwarzen den Wagen gegen die Wand gefahren haben.
Es ist nun einmal so, dass wir die großen Reformen indieser Republik durchgeführt haben. Die jetzige Situa-tion in dieser Republik – der Wirtschaft geht es gut, dieHaushaltseinnahmen fließen – ist Ergebnis sozialdemo-kratischer Reformpolitik. All das, wovon Sie hier immerwieder laut reden, hat die SPD umgesetzt. Sie schaffenkeine einzige große Reform. Sie bekommen es nicht hin.Das war auch aus all Ihren Reden herauszuhören: Siehaben keinen einzigen eigenen Erfolg vorweisen kön-nen. Sie haben hier immer nur gesagt: Die jetzigen Er-gebnisse, das Geld, das zurzeit auf dem Konto eingeht,finden wir gut. – Das ist toll. Aber das hat einen Grund.Die Grundlagen wurden geschaffen, als GerhardSchröder dieses Land regiert hat. Das war richtig, wich-tig und gut. Ich finde, das können Sie einfach einmal zurKenntnis nehmen.
Was haben wir bisher hier erlebt? Diese Bundesregie-rung unter Frau Merkel hat jede Form von politischemHandeln verweigert. In der gesamten Euro-Krise stiehltsie sich aus der Verantwortung, duldet, dass die Kriseseit drei Jahren weiter wütet. Es werden stets nur Trip-pelschritte unternommen und kleine Rettungsschirmeaufgespannt. Es wird nichts reguliert. Wir haben ge-merkt: Weder bei den Banken noch bei den Finanzmärk-ten haben Sie sich zu einer akzeptablen Maßnahme auf-raffen können.Im Ergebnis ist Ihre Politik gescheitert. Das, was jetztpassiert, dass die Europäische Zentralbank die Geld-druckmaschine anwerfen muss, um Ihre Politik zu rettenund das zu retten, was Sie gegen die Wand gefahren ha-ben, erfüllt die Menschen in diesem Land mit tieferAngst. Hören Sie sich doch einmal um: Die Menschenhaben Angst vor Inflation. Sie haben Angst davor, dassihre Einkommen, ihr Erspartes, ihre Rente nichts mehrwert sind.Dazu wird das, was Sie zurzeit machen – Sie verste-cken sich hinter der Unabhängigkeit der EZB, obwohlSie vorher klar gesagt haben, dass Sie es begrüßen undunterstützen, wie Herr Schäuble vorgegangen ist –, aberführen.Wenn Sie das jetzt noch mit der Politik von Frau vonder Leyen verbinden, die alle Rentner und auch diejeni-gen ab 45 aufwärts, die schon ihre Rente planen, inAngst und Schrecken versetzt, und keine Lösung liefern– erst streitet man sich laut und dann einigt man sich da-rauf, dass das SPD-Programm gar nicht so schlecht ist –,
dann führt das in der Kombination dazu, dass die Men-schen auf der einen Seite Angst vor Inflation und auf deranderen Seite Angst vor Armut im Alter haben. Sie bie-ten keine Lösung an.
Das kann in diesem Land nicht funktionieren. DieMenschen brauchen ein anständiges Einkommen. Siebrauchen eine anständige Rente, und sie brauchen eineanständige Regierung. Letztere muss Ersteres umsetzen.Diese Regierung kriegt es nicht hin.Was Herr Michelbach gesagt hat, war der Abgrundder gesamten Veranstaltung. Er hat sich dafür eingesetzt,dass das Steuerabkommen mit der Schweiz umgesetztwird. Ehrlich gesagt, Herr Michelbach: So etwas Peinli-ches habe ich schon lange nicht mehr gehört. Dass ge-rade Sie so etwas sagen, finde ich unsäglich. Wenn SieSteuerbetrüger privilegieren
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23255
Johannes Kahrs
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und Menschen beschützen, die kriminell sind, weil sieSteuern hinterziehen, und das als christlich-liberale Re-gierung, dann ist das unsäglich.
Dieses Steuerabkommen gehört abgelehnt und versenkt.Dieses Steuerabkommen ist falsch. Es ist menschlichund moralisch unanständig. Das sollten Sie lernen.
Das geht nämlich nicht. Dafür haben die Menschen indiesem Land ein gutes und klares Gefühl.
Herr Kollege Kahrs.
Wenn Sie sich entschuldigen wollen, Herr
Michelbach, dann können Sie das jetzt gerne tun.
Sie gestatten also eine Zwischenfrage oder Bemer-
kung des Kollegen Michelbach. – Bitte.
Herr Kollege Kahrs, können Sie sich vorstellen, dass
Sie hier falsch Zeugnis sprechen?
Nein!
Ich habe deutlich gemacht, dass die Steuerzahler, die
Vermögen in der Schweiz haben, sich auch letzten Endes
einer Besteuerung unterziehen müssen und dass damit
für den deutschen Fiskus Einnahmen in Höhe von
10 Milliarden Euro verbunden sind, die ansonsten, wenn
man eine Blockade betreibt wie Sie, nicht dem deut-
schen Fiskus zur Verfügung stehen. Damit käme es zu
einer Art politischer Untreue, weil Sie 10 Milliarden
Euro Einnahmen von Leuten, die Vermögen in der
Schweiz haben – illegal oder legal, wie auch immer –,
verhindern.
Das ist die Situation. Deswegen verhindern Sie letz-
ten Endes auch diese Einnahmen für das Gemeinwohl.
Deswegen haben Sie falsch Zeugnis gesprochen.
Herr Michelbach, ob legal oder illegal, ist durchaus
ein Unterschied. Das scheint Ihnen egal zu sein. Ich
finde aber, wenn Menschen ihr Vermögen in die Schweiz
bringen, macht es einen Unterschied, ob sie dies legal
oder illegal tun. Bei illegalem Handeln hätte ich ein Pro-
blem.
Im Übrigen sind Ihre 10 Milliarden Euro ein gegriffe-
ner Wert. Es gibt kaum jemanden, der auf 10 Milliarden
Euro käme, wenn man das alles addiert.
Es ist aber so: Sie privilegieren die Steuerhinterzieher
bzw. die Kriminellen, die das Geld in die Schweiz ge-
bracht haben, indem Sie sie steuerlich gegenüber denje-
nigen bevorzugen, die in Deutschland ehrlich und an-
ständig ihre Steuern zahlen.
Das ist doch der Punkt. Auf das hinterzogene Geld
müssen sie keine Steuern zahlen, sondern auf die Er-
träge. Sie sind doch derjenige, der falsch Zeugnis redet.
Deswegen, Herr Michelbach, sollten Sie sich erstens
schämen und zweitens fragen, ob Sie in einer christli-
chen Partei den Menschen so etwas verkaufen wollen
und können.
Als CDU, CSU und FDP Steuerhinterziehung zu pri-
vilegieren, ist peinlich. Das ist in diesem Land nicht ak-
zeptabel. Das haben wir Ihnen mehr als einmal gesagt.
Die Bundesländer werden verhindern, was Sie anrichten.
Das hat mit Anstand nichts zu tun.
Jetzt sollten Sie sich setzen.
– Mit parlamentarischem Stil, Herr Fricke,
hat es nichts zu tun, wenn Sie Steuerkriminelle privile-
gieren, schützen und vor dem deutschen Fiskus retten.
Diese Bundesregierung, wie sie hier sitzt, hat 2010
das Land Nordrhein-Westfalen, in dem die CDU mit der
FDP regiert hat, schriftlich aufgefordert, Steuer-CDs zu
kaufen. Jetzt frage ich mich – –
Kollege Kahrs, indem der Kollege Michelbach noch
steht –
Das ist doch gut so!
– so einfach ist das nicht – und sich zu Wort meldet,signalisiert er mir, dass er eine weitere Frage hat odereine weitere Bemerkung machen will. Deshalb muss ichjetzt wissen, ob Sie diese zugestehen wollen. Wenn ja,dann treten Sie beide wieder in den Austausch.
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Wenn nein, hat der Kollege Michelbach – das sei mir alskleiner Hinweis gestattet – noch andere Möglichkeiten,zu intervenieren. Ich wüsste jetzt gerne, wie es hier wei-tergehen soll.
Ich bin da sehr entspannt.
Wir können das über Kurzintervention oder auch jetzt
machen. Ich freue mich immer.
Ich mache darauf aufmerksam, dass keine Dialoge
vorgesehen sind, sondern nur Bemerkungen und Fragen.
Dann können Sie noch einmal antworten, und danach
sollten wir in der Debatte fortfahren.
Je mehr meine Redezeit bei diesem Thema verlängert
wird, desto besser.
Herr Kollege Kahrs, können wir uns zunächst einmal
darauf verständigen, dass die Wortmeldungen in diesem
Hohen Hause von der Frau Präsidentin vergeben werden
und nicht von Ihnen? Ich halte es für unkollegial und an-
maßend, wie Sie mit Ihren Kollegen umgehen.
Das hat nichts mit parlamentarischen Gepflogenheiten
zu tun. Ich gehöre diesem Hause schon lange an, und ich
kann mich nicht entsinnen, dass ich so etwas schon ein-
mal erlebt hätte.
Ich frage Sie noch einmal: Bestätigen Sie, dass durch
Ihre Blockadehaltung beim Steuerabkommen mit der
Schweiz auch illegales Schwarzgeld keiner Besteuerung
unterzogen wird, während durch unser Abkommen diese
illegalen Schwarzgelder erstmals zugunsten des deutschen
Fiskus besteuert würden und somit für das Gemeinwohl
zur Verfügung stünden?
Herr Michelbach, ich habe es schon gesagt, aber ich
wiederhole es gerne für Sie: Zum einen ist es so, dass Sie
denjenigen, die hier in Deutschland Steuern hinterzogen
haben, die dieses Geld am Finanzamt vorbei in die
Schweiz gebracht haben,
um keine Steuern zahlen zu müssen, die damit alle Steuer-
zahler in diesem Land und den Sozialstaat schädigen, ei-
nen verbesserten Steuersatz genehmigen und sie damit
privilegieren.
Zum anderen schützen Sie sie, indem Sie ihnen dadurch
Anonymität garantieren,
dass die Namen nicht bekannt gemacht werden. Das
heißt, Verbrechen lohnt sich unter Ihrer Regierung. Das
kann doch nicht FDP-CDU/CSU-Politik in diesem
Lande sein.
– Ganz ehrlich, Herr Fricke? Sie haben sich eben hier
hingespreizt, eitel und gestelzt. Die Sache ist: Wenn man
in diesem Land Menschen dazu bringen will, gerne und
ehrlich ihre Steuern zu zahlen, dann darf man nicht die-
jenigen privilegieren und schützen,
die Steuern hinterziehen. Aber genau das tun Sie.
Die SPD-geführten Länder verweigern sich im Bun-
desrat überhaupt nicht, Herr Michelbach, dieses Abkom-
men so zu überarbeiten, dass es gerecht und anständig
wird und demjenigen, der in diesem Land ehrlich arbei-
tet, garantiert, dass er nicht schlechter behandelt wird als
diejenigen, die betrügen, sich in die Schweiz begeben
und Steuern hinterziehen. Da machen wir mit. Wir sind
gerne dabei, wenn es darum geht, ein vernünftiges Ab-
kommen zu machen. Aber die Art, wie diese Regierung
hier handelt, ist nicht in Ordnung und weder christlich
noch sozial, noch liberal.
Vielen Dank und schönen Tag noch.
Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Nach dieser Rede, lieber, geschätzter KollegeJohannes Kahrs, bin ich froh, dass in Deutschland nochnicht die Sozialdemokraten die Deutungshoheit darüberhaben, was anständig und was unanständig ist und wersich für was zu schämen hat.
Darüber bin ich wirklich froh.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23257
Norbert Barthle
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Lassen Sie uns am Ende dieser Haushaltswoche viel-leicht mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit einenBlick auf die Haushaltsberatungen werfen, mit etwasDistanz und auch unter der Perspektive, wie das Ganzewohl in der Öffentlichkeit ankommt.Ich erlaube mir in aller Ruhe und Gelassenheit einendezenten Hinweis an die Opposition. Auch wenn man inder Opposition ist, muss man darum kämpfen, seineGlaubwürdigkeit zu behalten. Deshalb würde ich Ihnenempfehlen, darüber nachzudenken, ob es nicht klug wäre,die derzeitige Haushaltssituation einfach anzuerkennenund zu sagen: Da wurde gut gewirtschaftet. Dem stehtnicht entgegen, dass man sich in der Fachpolitik aus-einandersetzen kann. Sie lassen auch hier die Gelegen-heit aus, sich in der Öffentlichkeit Anerkennung zu ver-schaffen, indem Sie gute Leistungen honorieren.
Niemand bestreitet, dass man durchaus unterschiedli-che Wege gehen kann. Lassen Sie uns doch einmal einenBlick auf die Situation werfen. Sie werfen uns vor, beiuns würde nicht gespart, es würde zu viel Geld ausgege-ben und es würden zu hohe Schulden gemacht.
In dieser Legislaturperiode haben wir für eine Entlastungin Höhe von 38 Milliarden Euro gesorgt, das wird häufigvergessen.
Der Kollege Carsten Schneider redet immer wiedervon 18 Milliarden Euro neuen Schulden, das seien sogarnoch mehr als im Jahr 2011; denn da seien es nur 17 Mil-liarden Euro gewesen.
Mein Gott! Der Herr Scharping hat einmal brutto undnetto verwechselt, wahrscheinlich weil er nicht ausei-nanderhalten konnte, was das eine und was das anderebedeutet. Der Kollege Carsten Schneider weiß jedoch,was Soll und was Haben ist.
Denken wir einmal einen kurzen Augenblick darübernach und nehmen diese Argumentation auf. Herr Schneiderwirft uns vor, wir würden jetzt mehr Schulden machenals 2011. Das bedeutet, wir hätten 2011 mehr Schuldenmachen müssen, also die Nettokreditaufnahme wenigerreduzieren, und schlechter wirtschaften müssen, dannwären wir laut seiner Argumentation besser. Das ist dochgaga!Niemand draußen im Lande kann verstehen, dass unsdie Erfolge, die sich darin abbilden, dass die ursprüng-lich vorgesehene Nettokreditaufnahme im Jahresablaufdeutlich abgesenkt wird – indem wir die vorhandenenMehreinnahmen dazu nutzen, die NKA zu senken undweniger Schulden zu machen –, auch noch als ein Makelvorgeworfen werden. So schräg kann man auch in derOpposition nicht argumentieren. Das wird Ihnen auf dieFüße fallen.
Schauen wir uns Ihren zweiten Vorwurf an. Sie behaup-ten ständig, wir würden bei den Ausgaben nicht sparen.Werfen wir einen Blick auf die Haushaltsansätze: ImJahr 2010 hatten wir im Bundeshaushalt 304 MilliardenEuro Gesamtausgaben. Im Soll für 2012 standen 312,7 Mil-liarden Euro; über ESM usw. haben wir bereits disku-tiert. Im Entwurf für 2013 stehen 302,2 Milliarden Euro,für 2014 302,9 Milliarden Euro, für 2015 303,3 Milliar-den Euro.Was heißt das? Wir liegen im kommenden Jahr fast10 Milliarden Euro unter dem Ansatz von 2012. In derlängerfristigen Perspektive gehen die Ausgaben zurück,und zwar um 0,2 Prozent. Welche sozialdemokratischeoder grüne oder sonst wie geführte Landes- oder Bun-desregierung hat es jemals geschafft,
bei ansteigenden Einnahmen die Ausgaben zurückzu-nehmen, abzusenken oder stabil zu halten? Zeigen Siemir eine einzige rot-grün geführte Landesregierung, diedas geschafft hat! Erinnern Sie sich an Ihre eigene Re-gierungszeit hier in Berlin. Zeigen Sie mir, wo Sie dasauch nur einmal geschafft hätten. Das haben Sie nie hin-bekommen. Wir schaffen das. Die christlich-liberaleKoalition hält an dieser Linie konstant fest.
Jetzt komme ich zu Ihrem dritten Vorwurf. Sie be-haupten, wir würden keine Vorsorge für die Entwicklungder kommenden Jahre treffen.
– Das stimmt eben nicht.
– Ich sage Ihnen, was wir in diesem Jahr an Zinsausga-ben vorgesehen haben. Das sind im Jahr 2012 ganz ge-nau 34,3 Milliarden Euro, im Jahr 2013 sind es nur noch31,7 Milliarden Euro. Dann aber steigen die Ansätze fürdie Zinsausgaben an, in der Finanzplanung für das Jahr2016 auf 41,2 Milliarden Euro. Für 2016 haben wir10 Milliarden Euro mehr an Zinsausgaben als für daskommende Jahr vorgesehen, denn wir wissen genau:Wenn es uns gelingt, diese europaweite Krise zu beruhi-gen, dann werden die Zinsen wieder in die Höhe gehen.Andere Länder genießen dann auch wieder größeres Ver-trauen, und der derzeitige überproportionierte Vertrau-ensbonus mit den ausgesprochen niedrigen Zinsen wirdsich verlieren. Wenn es uns nicht gelingt, die Krise zuberuhigen, werden unsere Zinsen trotzdem ansteigen.Deshalb haben wir ein Mehr von 10 Milliarden Euro anZinsausgaben für die kommenden Jahre vorgesehen.Hier ist Vorsorge getroffen worden, Herr Kollege. Des-halb stimmt auch dieses dritte Argument nicht.
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Norbert Barthle
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Wir haben bei all unseren Haushaltsplanungen in denvergangenen Jahren immer so gewirtschaftet, dass wiruns entsprechende Sicherheitspuffer vorbehalten haben.Seien Sie ehrlich: Sie würden sich doch eine Situa-tion, wie wir sie haben, herbeiwünschen, sich die Fingerdanach lecken. Staatssekretär Steffen Kampeter hat ge-rade noch einmal ausführlich die Situation der sozialenSicherungssysteme dargelegt. Wir haben Rücklagen ge-bildet. Wir haben bei der Bundesagentur für ArbeitRücklagen, die in den kommenden Jahren noch anwach-sen werden.
Wir könnten in diese Kassen hineingreifen; denn essind Steuerzuschüsse. Wir könnten da jetzt sofort abgrei-fen. Dann wäre die NKA noch niedriger. Wir tun dasaber nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob eine rot-grüne Re-gierung nicht diesen Weg beschreiten würde. Ich will esnicht unterstellen. Aber wir tun dieses nicht, sondern wirhalten auch an der Stelle Linie. Wir halten uns einen Si-cherheitspuffer parat, um auf schwierige Zeiten vorbe-reitet zu sein.
Das ist die Strategie dieser Regierung. Wir stehen fürVerlässlichkeit, für Solidität und für Konsolidierung derHaushalte. Das ist unsere Politik. Die werden wir nichtnur nächstes, sondern auch über- und überübernächstesJahr so fortsetzen.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Flosbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am Ende einer Haushaltswoche blickt man natürlich aufdie Woche zurück. Aber ich habe mir auch die Mühe ge-macht, die letzte Rede von Peer Steinbrück als Finanz-minister hier in diesem Hause noch einmal nachzulesen.Er hielt sie am 8. September 2009. Er hat von diesemPult aus mit Blick auf die Zukunft gesagt, dass er damitrechnet, dass man wahrscheinlich im Jahre 2010 eineNettokreditaufnahme in Höhe von 100 Milliarden Eurovornehmen müsse. Bitte lesen Sie es auf Seite 26337nach. Er hat hier gesagt, 100 Milliarden Euro müsste erneu aufnehmen.Nun ist Peer Steinbrück ja ein bekannter Redner, auchheute, ein Prognostiker. Er hat sich allerdings – ich sageeinmal – „nur“ um 56 Milliarden Euro verschätzt; dennes gab einen Regierungswechsel.
Wir haben natürlich gemeinsam in der Großen Koali-tion mit Kurzarbeit, mit Konjunkturpaketen Gutes ge-macht. Aber wir haben in dieser Koalition aus CDU,CSU und FDP als Erstes alle Gesetze darauf konzen-triert, das Wachstum in Deutschland zu beschleunigen.Wir haben alle krisenverschärfenden Elemente im Kör-perschaftsteuerrecht, im Gewerbesteuerrecht, im Erb-schaftsteuerrecht beseitigt. Das war der entscheidendePunkt, um die Wirtschaft wieder nach vorne zu bringen,die Staatseinnahmen zu steigern und damit unser hohessoziales Niveau zu halten, meine Damen und Herren.
Wir haben damals nicht nur die Wirtschaft gefördert,sondern wir haben vor allen Dingen auch die Familiengefördert. Das haben wir dabei nicht vergessen; denn wirstehen für soziale Marktwirtschaft.
Sowohl der Kollege Fricke als auch der KollegeMeister haben in dieser Woche ja deutlich gemacht, dasswir faktisch einen ausgeglichenen Haushalt haben, in-klusive der Sozialsysteme. Trotz ESM, trotz der Über-nahme der Grundsicherung von den Kommunen durchden Bund haben wir im Grunde einen ausgeglichenenHaushalt.Im nächsten Jahr werden wir die Schuldenbremse ein-halten, also nicht erst im Jahre 2016, sondern bereits imJahre 2013.
Wir haben gesagt, wir wollen die Haushalte sanieren,aber trotz der Probleme wollen wir in den Bereichen, indenen eine ungerechte Steuererhöhung stattfindet, denBürgern Geld zurückgeben; denn jedes Jahr nimmt derStaat nur dadurch 3 Milliarden Euro zusätzlich ein, dassBruttoeinkommen steigen und jeder Arbeitnehmer mehrSteuern zu zahlen hat. Wir haben gesagt, dieses Geldwollen wir den Bürgern zurückgeben. Genau Sie von derSPD blockieren dies im Bundesrat. Ich weiß nicht, woSie angekommen sind, wenn es um die kleinen Einkom-men geht.
Nun gut, meine Damen und Herren von den Grünenund von der SPD, Sie haben uns Ihre Vorlagen gezeigt.Sie wollen bei einer möglichen Übernahme der Regie-rung die Steuern dramatisch anheben. Jedes Mal begrün-den Sie die Erhöhung der Einkommensteuer mit Mehr-ausgaben für Bildung. In der besagten Rede des HerrnSteinbrück hat er dieses Thema auch angesprochen. Erhat vor drei Jahren, vor der Bundestagswahl, gesagt, erwürde den Spitzensteuersatz von 45 Prozent auf 47 Pro-zent – plus Solidaritätszuschlag – anheben, und das Geldwürde ganz zielgerichtet in die Bildung fließen.Meine Damen und Herren, Sie haben ja alle mit Zah-len zu tun. Sie wissen, wenn nur der Spitzensteuersatzvon 45 auf 47 Prozent angehoben wird, dann bringt dies600 Millionen Euro mehr in die Staatskasse. Das ist einTausendstel unserer Steuereinnahmen. Von diesem Tau-sendstel fließen nur 42,5 Prozent an den Bund, also
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Klaus-Peter Flosbach
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250 Millionen Euro. Was hat diese Bundesregierung ge-macht, und zwar ohne die Steuern zu erhöhen? Wir ha-ben 800 Millionen Euro mehr in Bildung und Forschunggesteckt und unterstützen gleichzeitig die Kommunenmit 580 Millionen Euro für die U-3-Betreuung und dieKindertagesstätten. Das ist die Bildungspolitik, die vondieser Regierung betrieben wird.
Die Welt beneidet uns als Stabilitätsanker und um un-sere geringe Arbeitslosigkeit. Wir haben drei Krisen er-lebt: die Banken- und Finanzkrise, die Wirtschaftskriseund dann die
Staatsschuldenkrise, die vielfach als Euro-Krise bezeich-net wird. Wir stehen für eine Stabilitätskultur. Wir unter-stützen die Regierung in dem Bemühen, für Unterstüt-zung Gegenleistungen einzufordern. Das Problem istnicht unser Haushalt, sondern nach wie vor die Einhal-tung der Stabilitätskriterien. Herr Kahrs, da Sie vorhinein großes Plädoyer gehalten haben, möchte ich Sie da-ran erinnern: 2003/04 haben Sie von Rot-Grün die Stabi-litätskriterien nicht eingehalten und damit das Unheilverursacht, das auf uns zugekommen ist.
Sie sollten hier nicht so große Reden schwingen, son-dern lieber das Büßerhemd anziehen; das würde Ihnenbesser stehen.Unsere Aufgabe ist nicht nur, auf den Haushalt zuachten. Wir sind als Finanzpolitiker auch besonders ge-fordert, auf die systemischen Gefahren auf dem Finanz-markt zu reagieren.
Die Opposition hat gerade behauptet, es sei nichts ge-schehen. Schauen Sie sich einmal an, was in den letztendrei Jahren in diesem Bereich passiert ist. Die erste Maß-nahme war die drastische Anhebung der Eigenkapital-quote, der wichtigsten Größe, für alle Banken um dasDreieinhalbfache, um für Stabilität auf den Märkten zusorgen.
Im Hinblick auf systemische Gefahren ist das besonderswichtig. Wir haben des Weiteren die Vergütungssystemeim Bankenbereich geändert. Wir haben deutlich ge-macht: Wer Chancen auf Gewinn haben will, muss gege-benenfalls auch die Risiken und Verluste tragen. Das istein Konzept der sozialen Marktwirtschaft.
Wir werden das Finanzsystem krisenfester machen.Der G-20-Gipfel hat deutlich gemacht: Je größer dieBanken sind, desto mehr Eigenkapital müssen sievorhalten. Die europäische Bankenaufsicht hat auch den13 großen deutschen Banken zur Auflage gemacht, deut-lich mehr Eigenkapital vorzuhalten. Wir in Deutschlandsind mit unserem Restrukturierungsgesetz federführendin Europa. Hier geht es um die Sanierung und Abwick-lung von Banken. Wir waren die Ersten, die Spekula-tionsgeschäfte im Bereich der Leerverkäufe verbotenhaben. Wir sind auch die Ersten, die den computerge-steuerten Hochgeschwindigkeitshandel einschränkenwerden. Wir sind Vorreiter in Europa und liegen vor al-len anderen Ländern. Die anderen nehmen uns zum Vor-bild. Wir geben die Blaupause für andere Länder. Wirsind federführend in diesem Bereich.
Wir erhöhen die Transparenz; Herr Kahrs, das solltenSie zur Kenntnis nehmen. Schon in diesem Jahr werdendie außerbörslichen Derivate reguliert, genauso wie dieHedgefonds. Die G 20 nehmen sich noch in diesem Jahrden Bereich der Schattenbanken vor. Die Liikanen-Kommission der Europäischen Kommission wird nochin diesem Jahr Vorschläge vorlegen, aus denen hervor-geht, ob das Universalsystem erhalten bleibt oder ob einTrennbankensystem erforderlich ist.
Kollege Flosbach, Sie können gern weitersprechen.
Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, dass das dann
zulasten Ihres Kollegen geht, der nach Ihnen spricht.
Frau Präsidentin, ich habe schon gesehen, dass Sie
mich so freundlich anblinken.
Ich komme zum Schluss. Wir beteiligen die Verursa-
cher. Wir stärken die Aufsicht.
Ich halte gerade nach dieser Haushaltswoche fest: Wir,
die Koalition aus CDU, CSU und FDP, stehen für Stabi-
lität nicht nur beim Haushalt, sondern auch auf den Fi-
nanzmärkten.
Wir sind Partner der Bürger. Wir wissen, dass eine starke
Wirtschaft und gute Arbeitsplätze ein starkes Sozialsys-
tem schaffen werden. Diese Koalition hat Erfolg, und
dieser Erfolg kommt den Bürgern in diesem Land zu-
gute.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann für dieUnionsfraktion.
Metadaten/Kopzeile:
23260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012
(C)
(B)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Haushalt ist ein Gradmesser für den Zu-stand und den Wohlstand unserer Gesellschaft.
Darauf muss angesichts all der Zahlen und abstraktenDiskussionen hin und wieder hingewiesen werden.
Letztlich zeigt der Haushalt, was wir für die Menschen,die uns gewählt haben und für deren Wohl wir da zu seinhaben, geleistet haben und worauf sie sich auch in Zu-kunft verlassen können.
Deswegen ist es wichtig, heute bei der letzten Rede zurEinbringung dieses letzten Haushalts, den wir in dieserPeriode komplett verabschieden werden – –
– Das wissen Sie heute noch nicht, und darüber wollenwir auch nicht spekulieren. – Aber wichtig ist, was indieser Legislaturperiode von dieser Regierung bisher er-bracht wurde.
Ich erinnere mich sehr gut an die erste Einbringungeines Haushaltes hier, als wir eine ähnliche Diskussiongehabt haben. Damals ist diese Regierung mit der sie tra-genden Koalition angetreten und hat erklärt, dass sieeine wachstumsfördernde Politik der Konsolidierungmachen wolle. Damals lautete Ihre Kritik, wir würdendie Konjunktur in Deutschland abwürgen und mit die-sem Sparpaket den Wohlstand der Menschen in Deutsch-land schmälern.
Wir haben heute unterschiedliche Reden gehört, indenen Sie das genaue Gegenteil sagten. Die Menschenmerken sehr genau, was ihnen diese Politik gebracht hat.
Weil Sie, Frau Hagedorn, sich wieder mit Zwischenrufenhervortun, sage ich: Wenn Sie als Gradmesser für densozialen Wohlstand den Etat des Arbeits- und Sozial-ministeriums nehmen, dann gehen Sie in die Irre.
Es ist Ihnen vorhin vermittelt worden, dass wir diesenEtat unter anderem abschmelzen können, weil die Ar-beitslosigkeit dramatisch zurückgegangen ist.
– Mitnahmeeffekte. – Sie haben genau diese Politik zuAnfang dieser Legislaturperiode – deswegen sage ichdas ausdrücklich – bekämpft.Wir sind jetzt in einer Situation, die in Europa nahezueinzigartig ist. 92 Prozent der Jugendlichen bei uns sindin Beschäftigung, in Griechenland ist es nur die Hälfte,nämlich 46 Prozent. Im europäischen Durchschnitt sindes 77 Prozent. Wir sind Spitzenreiter, was die Beschäfti-gung unserer Jugend angeht. Wir haben eine extremhohe Beschäftigung mit rund 42 Millionen Beschäftig-ten. Wir haben 2011 610 000 zusätzliche Vollzeitstellengeschaffen und damit insgesamt über 23 Millionen ge-habt. Damit hatten wir fast so viele Vollzeitbeschäftigtewie 1998. Weil der Vergleich mit 2005 vom KollegenKahrs bemüht worden ist, weise ich darauf hin, dass wir1,6 Millionen mehr Vollzeitbeschäftigte als 2005 haben.Das merken die Menschen. Menschen in Arbeit bringen,von der sie leben können, ist die beste Sozialpolitik, dieman überhaupt machen kann.
Die Menschen sind der Gradmesser, nicht der Etat derSozialministerin.Wir lernen daraus noch etwas anderes, nämlich dassBorgen Sorgen macht. Wenn wir die Arbeitslosigkeit alsIndikator nehmen, dann stellen wir fest, dass Länder wieDeutschland, das eine Arbeitslosenquote von 6,8 Pro-zent hat, einen viel niedrigeren Wert haben als die Län-der, die mit ihren Haushalten extreme Sorgen haben.Spanien hat eine Arbeitslosenquote von 25,1 Prozent– über ein Viertel der Menschen ist somit arbeitslos –, inGriechenland beträgt die Arbeitslosenquote 24,4 Pro-zent. Ich könnte noch andere Länder Europas als Bei-spiel nennen. Die Arbeitslosenquote in Deutschland istmittlerweile die drittbeste in ganz Europa. Dies hatDeutschland zum letzten Mal vor 40 Jahren geschafft.Das ist nicht nur, aber auch ein Erfolg dieser christlich-liberalen Koalition.
Es wird immer wieder die demografische Entwick-lung bemüht und gesagt, dass wir immer älter werden.
– Wir leben länger. Das ist auch gut so. – Was noch bes-ser ist: Wir bleiben auch immer länger gesund. Deswe-gen können wir auch immer länger arbeiten. Was von Ih-nen bisher bestritten wurde, tritt tatsächlich ein: In denletzten zehn Jahren hat sich die Zahl derjenigen, die zwi-schen 60 und 63 Jahre alt und noch erwerbstätig sind,verdoppelt. Auch das ist ein gutes Zeichen und lässt unsdarauf hoffen, dass wir ein längeres Leben auch in Wohl-stand organisieren können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. September 2012 23261
Norbert Brackmann
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Das setzt natürlich voraus, dass wir eine leistungsfä-hige Wirtschaft haben – und das haben wir: Mit 37 Pro-zent mehr Exporten als 2009 haben wir 2011 erstmalsdie Marke von 1 Billion Euro geknackt. Das heißt, wirhaben Waren im Wert von mehr als 1 Billion Euro ex-portiert. Wir werden auch in Zukunft – das sagen uns dieWirtschaftsinstitute voraus – in dieser Größenordnungexportieren. Aber wir müssen dabei Maß halten.Damit sind wir beim Thema Schulden. Es ist eines Ih-rer Merkmale, Herr Kollege Schneider, immer wiederSoll und Ist zu verwechseln.
– In Beziehung setzen, genau. Sie setzen Dinge in Bezie-hung, die wenig miteinander zu tun haben. – Ich willeinmal die geraden Linien zeigen. Nehmen wir nur ein-mal das Soll: 2010 sollte die Neuverschuldung – nochvon Ihrem Finanzminister veranschlagt – bei 86 Milliar-den Euro liegen.
Im Bundeshaushalt 2010 waren es dann schon 6 Milliar-den Euro weniger – schließlich war unsere Kanzlerinverantwortlich; wohl wahr –: Die Neuverschuldung lagbei 80,2 Milliarden Euro. 2011 sollte die Neuverschul-dung 48,4 Milliarden Euro betragen, 2012 32,1 Milliar-den Euro, nach dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurffür 2013 18,8 Milliarden Euro. Das Soll verzeichnetalso eine ganz klare Linie der Senkung der Neuverschul-dung. Ich stelle dem die Istzahlen gegenüber: 2010 lagdie Neuverschuldung bei 44 Milliarden Euro, 2011 bei17,3 Milliarden Euro, und in diesem Jahr werden wirebenfalls ein Ergebnis haben, das deutlich unter demSoll liegen wird.
Diese Differenz zeigt, dass wir eine sehr positive Ent-wicklung zu verzeichnen haben.Wir haben daraus den Schluss zu ziehen, dass wireine Regierung haben, die anders, als es früher der Fallwar, unter dem bleibt, was wir ihr vorgeben.
Dies schafft Glaubwürdigkeit, und Glaubwürdigkeit istdie Grundlage dafür, dass wir das Vertrauen der Bürge-rinnen und Bürger in die Zukunft haben.
Dieses Vertrauen dürfen wir nicht verspielen. Diese Re-gierung und dieser Haushalt sind der Beleg und die Ga-rantie dafür, dass uns Konsolidierung in den Erfolgführt. Unsere Maßgabe ist deswegen: konsolidieren,wirtschaftlich denken und damit Wachstum generieren.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/10200 und 17/10201 an den Haus-
haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 26. September 2012, 14 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute.