Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Eidesleistung der Bundesminister
Der Bundespräsident hat mir hierzu mit Schreiben vom heutigen Tag mitgeteilt, daß er gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers folgende Minister ernannt hat:
Bundesminister Dr. Gerhard Stoltenberg zum Bundesminister der Verteidigung,
Bundesminister Hans Klein zum Bundesminister für besondere Aufgaben,
Bundesminister Dr. Jürgen Warnke zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit,
Bundesminister Dr. Friedrich Zimmermann zum Bundesminister für Verkehr,
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble zum Bundesminister des Innern,
Herrn Dr. Theodor Waigel zum Bundesminister der Finanzen,
Frau Gerda Hasselfeldt zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
Herrn Rudolf Seiters zum Bundesminister für besondere Aufgaben.
Wir kommen jetzt zur Eidesleistung der erstmals ernannten Bundesminister. Nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgegebenen Eid.
Herr Bundesminister Dr. Waigel, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe.
Ich wünsche Ihnen viel Glück und Segen in Ihrem neuen Amt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Frau Bundesministerin Hasselfeldt, ich darf Sie zu mir bitten. Ich möchte Sie ebenfalls bitten, den Eid zu leisten.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe.
Ich wünsche auch Ihnen viel Glück und Segen in Ihrem neuen Amt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Bundesminister Rudolf Seiters, ich möchte Sie ebenfalls zur Eidesleistung zu mir bitten und Sie bitten, den Eid zu sprechen.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe.
Ich wünsche Ihnen viel Glück und Segen im neuen Amt.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, die Bundesminister haben den vom Grundgesetz
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10186 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Präsidentin Dr. Süssmuthvorgeschriebenen Eid bei der Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag geleistet. Für ihre verantwortungsvolle Aufgabe spreche ich ihnen die besten Wünsche des Hauses aus.
Den ausscheidenden Bundesministern, Herrn Professor Dr. Rupert Scholz und Herrn Dr. Oscar Schneider, spreche ich den Dank des Hauses für ihr Wirken ebenfalls aus.
Bevor wir die Tagesordnung fortsetzen, möchte ich zunächst Verfahrensanträge des Abgeordneten Wüppesahl für die Plenarsitzung am Freitag, dem 21. April 1989, hier einbringen.
— Es hat jetzt keinen Sinn. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich für drei Minuten unterbreche; wir machen dann weiter.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie jetzt bitten, Platz zu nehmen, damit wir die Sitzung fortsetzen können. —
Bevor wir mit der Tagesordnung fortfahren, teile ich Ihnen mit, daß Herr Kollege Wüppesahl auch für die heutige Plenarsitzung insgesamt drei Schreiben
mit dem Datum 20. April 1989 mit verschiedenen Anträgen zum Ablauf der heutigen Plenarsitzung an mich gerichtet hat. Diese Anträge sind darauf gerichtet, einen Gesetzentwurf, einen Sachantrag sowie einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung zu setzen. Sämtliche Vorlagen tragen, worauf der Abgeordnete Wüppesahl bereits hingewiesen wurde, nicht
— wie nach unserer Geschäftsordnung erforderlich — die Unterschrift von 26 Abgeordneten, sondern allein die Unterschrift des Abgeordneten Wüppesahl. Die verschiedenen Initiativen sind deshalb unzulässig.
Aus diesem Grund beantragt der Abgeordnete Wüppesahl gleichzeitig, daß seine drei Vorlagen in Abweichung von der Geschäftsordnung auch ohne die notwendige Zahl von mindestens 26 Unterschriften in den Geschäftsgang genommen werden. Dieser Antrag ist gemäß § 126 der Geschäftsordnung zulässig. Ich beabsichtige, jetzt über ihn abstimmen zu lassen.
— Bitte, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Einen schönen guten Morgen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Gerster, es ist wahr, daß mir nach meinerRechtsauffassung als kleinster Einheit in diesem Parlament das Recht zustehen muß,
entsprechend den Vorgaben des Grundgesetzes, abzuleiten aus Art. 38, aber auch aus weiteren Artikeln des Grundgesetzes,
in denen es u. a. heißt, daß Gesetzentwürfe „aus der Mitte" — „aus der Mitte " ! — unseres Hauses eingebracht werden können, Gesetzentwürfe einzubringen. Wenn Sie in früheren Perioden die Geschäftsordnung so verformt, oder — lassen wir es ruhig wertneutral — geformt haben, daß Sie ein Quorum von einer Fraktion oder 26 Abgeordneten hineinformulierten, dann tut mir das leid. Ich möchte die Möglichkeit haben, solche Initiativen genauso wie Sie zu starten. Ich möchte nicht nur Initiativen einbringen können, sondern auch mein Interpellationsrecht entsprechend in Anspruch nehmen können, also Fragen an die Bundesregierung zu stellen.Sie wissen auch — um vielleicht etwas mehr Verständnis nach oben zu befördern — , daß ich dies nicht als Selbstzweck mache, sondern ich möchte im Bereich der Zulässigkeitsvoraussetzungen für meine Organstreitklage in Karlsruhe ein solches mögliches Leck auch schließen. Das heißt, wenn Sie heute beschließen sollten — was ich sehr bedauern würde —, daß diese Initiativen nicht auf die Tagesordnung gelangen, dann ist die Maßnahme getroffen und damit auch mein Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsgericht in Karlsruhe gegeben — wenn der Senat es so sieht, wie ich es beantragt habe.Ich möchte nur kurz vergegenwärtigen, daß es nicht um irgend etwas, sondern um Dinge geht, die, glaube ich, sogar sehr viele von Ihnen mit unterstützen können.Das eine ist ein Gesetzesinitiativantrag zur Einführung von 0,0 Promille im Straßenverkehr, ordnungswidrigkeitenrechtlich bewehrt bis 0,3 Promille und dann strafrechtlich bewehrt, wie zur Zeit im Strafgesetzbuch ab 1,3 Promille.Ich denke, es gibt viele gute Gründe dafür, eine solche Regelung in der Bundesrepublik Deutschland, dem Hochraserland in Europa, einzuführen. Die Zahl der Verkehrstoten würde — statistisch nachweisbar — auf jeden Fall gesenkt werden, und viele andere Nebenfolgen, auf die ich jetzt nicht eingehe, auch im ökologischen Bereich, wären ein weiteres Plus für die Lebenssituation von uns allen in dieser Republik.Der zweite Antrag, der auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, ist ein Initiativantrag. Ich möchte, daß die Bundesregierung veranlaßt wird, den Einfluß auf die Polizeien des Bundes und der Länder, soweit sie diesen Einfluß ausüben kann — das betrifft vor allen Dingen die Bereitschaftspolizeiabteilungen —, dahin gehend wahrzunehmen, u. a. auch über die Innenministerkonferenz, daß zukünftig bei Großeinsätzen auch die Zahl der verletzten Bürgerinnen und Bürger außerhalb der Definition von Polizeibeamten erfaßt wird.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10187
WüppesahlDazu nur ein Gesichtspunkt: 1986 wurden mehrere zehntausend Menschen durch Polizeieinsätze, durch polizeiliches Vorgehen verletzt. Allein durch Giftgaseinsätze in Brokdorf — —
— Herr Fellner, Sie wissen, wieviel. Das waren unter tausend, und jeder ist einer zuviel. Nur, es wird eben mit solchen Zahlen von verletzten Polizeibeamten Politik gemacht. Dagegen steht die Tatsache, daß Bürger und Bürgerinnen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte immer stärker — —
Herr Wüppesahl, bitte, es geht um Ihren Antrag auf Abweichung von der Geschäftsordnung. Ihre Redezeit ist in Kürze beendet.
Frau Präsidentin, eigentlich stehen mir dreimal fünf Minuten Redezeit zu. Es sind drei Geschäftsordnungsanträge.
Es sind ferner Änderungsanträge zur Geschäftsordnung. Dort sind praktisch all die Änderungen formuliert, die auch die Zielsetzung der Organstreitklage in Karlsruhe ausdrücken. Das heißt, mit der möglichen, von mir dann sicherlich bedauerten, Ablehnung durch das Haus würde praktisch jeder Gesichtspunkt dessen, was in der Organstreitklage beantragt ist, noch einmal als Maßnahme negativer Art fundamentiert werden.
Ich möchte Sie darum bitten, entsprechend der Regelung in § 126 unserer Geschäftsordnung jetzt mit einer Zweidrittelmehrheit zu beschließen, daß meine drei Initiativen nach dem Tagesordnungspunkt 18 als drei Zusatztagesordnungspunkte auf die Tagesordnung gelangen, damit wir dann mit einfacher Mehrheit über den eigentlichen Sachgegenstand in diesen drei Papieren entscheiden können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Abweichung von der Geschäftsordnung?
— Herr Abgeordneter Wüppesahl, Ihre Anträge sind formal alle gleichgerichtet. Deswegen haben Sie auch nur das Wort zu einem Redebeitrag.
Wir stimmen jetzt über den Antrag auf Abweichung von der Geschäftsordnung ab. Wer stimmt für die Abweichung von der Geschäftsordnung? — Einer. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag auf Abweichung von der Geschäftsordnung abgelehnt.
Damit entfällt eine Abstimmung über die vom Abgeordneten Wüppesahl gleichfalls gestellten Anträge auf Erweiterung der Tagesordnung. Denn eine Erweiterung der Tagesordnung setzt voraus, daß die Vorlagen, die zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen, selbst zulässig sind. Das ist, nachdem der Bundestag die beantragte Abweichung von der Geschäftsordnung abgelehnt hat, nicht der Fall.
Wir kommen nunmehr zur Behandlung des nächsten Tagesordnungspunktes.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten
— Drucksache 11/2834 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/4359 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Häfner Kleinert Dr. Stark (Nürtingen) Dr. de With
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD Verteidigung der inneren Liberalität und Stärkung der Demokratie
— Drucksachen 11/17, 11/4359 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Häfner Kleinert Dr. Stark (Nürtingen) Dr. de With
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4396 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit großer Befriedigung darf ich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion feststellen, daß die Regierungsfraktionen nach ausführlicher und äußerst gründlicher Beratung
— gnädige Frau, wir hatten 18 Beratungen und ein großes Hearing — heute die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes verabschieden werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält diese Gesetzesänderungen für notwendige, längst fällige Maßnahmen im Interesse der inneren Sicherheit und des inneren Friedens in unserer Bundesrepublik Deutschland. Wir werden ihnen deshalb geschlossen zustimmen.
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10188 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Dr. Stark
Mit diesen Gesetzesänderungen wollen wir die Gewalt in allen Erscheinungsformen möglichst verhindern bzw. wirksam bekämpfen, die Herrschaft des Rechts in unserem demokratischen Rechtsstaat gewährleisten, das Grundrecht auf friedliche Demonstration sichern, das in Art. 8 unseres Grundgesetzes so umschrieben ist: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln."Unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat darf vor der Gewalt, Frau Unruh — gleich, in welcher Form, ob auf der Straße oder in der mörderischen Form des Terrorismus —, nicht zurückweichen.
Unser liberaler Rechtsstaat darf nicht als Nachtwächterstaat mißverstanden werden.
Ansonsten nehmen das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung, aber auch die Motivation unserer Polizeibeamten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben Schaden mit unabsehbaren Folgen für unsere rechtsstaatliche Ordnung und die innere Stabilität unseres Staates. Ich glaube, daß gerade in diesen Tagen Anlaß besteht, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen.Lassen Sie mich nun auf die für uns wichtigsten Einzelheiten der Gesetzentwürfe zu sprechen kommen. Das ist zunächst die Änderung des Versammlungsrechts, hier vor allem das strafbewehrte Verbot der Vermummung und passiven Bewaffnung bei Demonstrationen und anderen öffentlichen Versammlungen. Wer auf diesem Gebiet Handlungsbedarf bestreitet, wie die beiden Oppositionsfraktionen SPD und GRÜNE, der muß daran erinnert werden, — —
Frau Präsidentin, darf man ständig oder nur gelegentlich gestört werden?
Sie sind ein starker Redner.
Ich muß mich wiederholen, weil ich gestört wurde: Wer auf diesem Gebiet Handlungsbedarf bestreitet wie die SPD-Fraktion und DIE GRÜNEN, muß daran erinnert werden, daß wir seit dem Jahre 1985, als wir uns zum letztenmal mit dieser Materie befaßt haben, immerhin ca. 1 000 unfriedliche, gewalttätige Demonstrationen hatten, bei denen über 1 500 Polizeibeamte — zum Teil schwer — verletzt wurden. Zwei Polizeibeamte wurden, wie wir alle wissen, heimtückisch ermordet. Hunderte von Brandanschlägen haben in dieser Zeit stattgefunden. Über 100 Anschläge auf Bahn- und öffentliche Versorgungseinrichtungen wurden verübt. Wer hier sagt, das sei nicht zu ändern, geht an derRealität, geht an der Wirklichkeit vorbei und läßt unsere Bürger in diesen Fragen allein.
Die Zerstörung privaten Eigentums in Millionenhöhe anläßlich gewaltsamer Demonstrationen möchte ich hier nur am Rande erwähnen.Vermummung bei Demonstrationen in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ist meines Erachtens eines freien, verantwortungsvollen Bürgers unwürdig und deshalb inhuman. „Demonstrare" heißt: sich zeigen, nicht als vermummtes Lebewesen, sondern als Mensch mit Gesicht.
Strafgrund für die Vermummung sind aber nicht diese mehr anthropologischen Überlegungen, sondern ist die Tatsache, daß Vermummung und passive Bewaffnung bei Demonstrationen gefährlich und deshalb sozialschädlich sind.
Vermummung und passive Bewaffnung indizieren, provozieren und produzieren Gewalt, und zwar nicht nur bei den Vermummten selbst, sondern auch bei zunächst friedlichen Demonstranten. Es ist eine Erfahrungstatsache von Praktikern, die auch von Psychologen bestätigt wird, daß Demonstrationen mit Vermummten und passiv Bewaffneten zehnmal so häufig unfriedlich verlaufen wie Demonstrationen ohne vermummte und passiv bewaffnete Teilnehmer.Der angesehene Tübinger Strafrechtler Prof. Dr. Baumann, der nicht in dem Verdacht steht, ein Konservativer zu sein, und der im übrigen kein Befürworter unseres Gesetzentwurfs ist,
stellt zu dieser Frage,
die wir gerade erörtern, im „Strafverteidiger", 1/88, folgendes fest:Daß passive Bewaffnung und vor allem Vermummung eine Gefahr und ein Herabsetzen der Schwellen der Gewaltanwendung bedeuten, war mir eigentlich immer schon geläufig. Ich staune darüber, daß man das in Bonn erst jetzt entdeckt.
— Hören Sie doch gut zu! Sie haben es besonders nötig.
Baumann fährt an anderer Stelle fort:
An wohl niemandem ist die Erkenntnis vorbeigegangen, daß Vermummte und passiv Bewaffnete seit über einem Jahrzehnt eine Gefahr für die Polizei und für das Demonstrationsrecht, auch übrigens für friedliche Demonstranten, sind.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10189
Dr. Stark
— Ich hoffe, daß das im Protokoll festgehalten wird. Bei Ihnen könnte man allerdings auf den Gedanken kommen, daß Sie eine Gefahr sind.
Mit seiner letzten Feststellung hat sich Professor Baumann allerdings geirrt. Wenn er nämlich meint, alle wüßten das, hat er nicht zur Kenntnis genommen, daß SPD und GRÜNE das nicht wissen. Sie bestreiten es.
Herr Abgeordneter Stark, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hirsch?
Lassen Sie mich den folgenden Satz noch zu Ende bringen, dann gerne.
SPD und GRÜNE bestreiten diese Zusammenhänge, die Baumann so klar feststellt. Allerdings stimmen 75 % der Bevölkerung und 90 % der aktiven Polizeibeamten dem Professor Baumann wieder zu.
Bitte schön, Herr Hirsch.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der jetzige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, in seinem Kommentar zum Grundgesetz ausgeführt hat, daß die Vermummung als solche vom Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gedeckt wird, wenn sie nicht zusätzlich von der Absicht begleitet wird, Gewalt auszuüben?
Herr Hirsch, das ist mir wohlbekannt. Es gibt zu dieser Frage die verschiedensten Meinungen. Leider waren Sie nicht bei dem Hearing, sonst hätten Sie den Präsidenten des Bundesgerichtshofes gehört, der das Gegenteil sagt.
— Herr Hirsch, bei der Anhörung war ich die ganze Zeit dabei, Sie habe ich nur sehr selten gesehen.
Ich will Ihnen zugeben, daß zu dieser Frage verschiedene Meinungen vertreten werden. Ich habe soeben Professor Baumann zitiert.
Herr Abgeordneter Stark, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marschewski?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Stark, ist Ihnen bekannt, daß die RAF gesagt hat, zu Pfingsten drohe sie mit Mord, und daß die Bundesanwälte von einer Eskalation der Gewalt sprechen?
Das ist mir bekannt. Sie können den Artikel über die Pressekonferenz des Sprechers der Bundesanwaltschaft, Prechtl, in der „Kölnischen Rundschau" nachlesen.
Es gibt in unserem freiheitlichen Rechtsstaat, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, keinen legitimen und nachvollziehbaren Grund
— das sage ich vor allem dem Abgeordneten Hirsch — , vermummt oder passiv bewaffnet zu einer Demonstration zu gehen, zumal wir in dem heute zu verabschiedenden Gesetz das Recht der Polizei zu Bild- und Tonaufnahmen bei Demonstrationen über den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf hinaus einschränkend normiert haben. Sehr verehrter Herr Kollege Hirsch, was Sie heute dazu in der „Stuttgarter Zeitung" geäußert haben, stimmt hinten und vorne nicht.
Herr Abgeordneter Stark, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Vollmer?
Danke, nein.
— Von der Frau Vollmer lasse ich keine Zwischenfrage zu.
— Das ist doch meine Entscheidung!
Lassen Sie mich zu diesem Problem verständlich sagen: Wer nichts auf dem Kerbholz hat und nichts Böses im Schilde führt, kann sich in unserem Rechtsstaat an jeder Demonstration mit offenem Visier zeigen, ohne dabei irgendeine berechtigte Angst vor Nachteilen haben zu müssen.
Ich bitte darum, daß der Abgeordnete Stark seine Rede vortragen kann.
Mir wird diese Störung ja nicht angerechnet — oder?
Die Fragen werden nicht angerechnet.
Es kann deshalb nicht im Ernst davon gesprochen werden, daß unsere Gesetzesänderungen eine Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit seien.
Mit unseren Gesetzesänderungen wollen wir vielmehr einen Beitrag zur „Rekultivierung des Demonstrationsgeschehens" leisten, so daß in Zukunft niemand, der friedlich für oder gegen etwas demonstrieren will, sich davon aus Angst vor Randale und Gewalt10190 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn. Freitag, cien 21. April 1989Dr. Stark
abhalten lassen muß. Auf diesen Gedanken hat schon Professor Baumann hingewiesen.
Ein zweiter wichtiger Punkt des Gesetzes, wenn auch nicht so gewichtig wie der soeben erörterte, ist die Einführung der Untersuchungshaft für sogenannte reisende Gewalttäter, die ihre Gewalt sozusagen im Umherziehen ausüben.Der Gewalttäter konnte bisher, auch wenn der Polizeibeamte wußte, er steht in dringendem Verdacht, einen schweren Landfriedensbruch begangen zu haben und einen solchen wieder zu begehen, selbst dann nicht in Haft genommen werden, wenn er dem Polizeibeamten sagt: Lieber „Freund", nächstens sehen wir uns wieder.Diese Regelung ist für unsere Polizeibeamten zutiefst frustrierend und findet im Rechtsgefühl unserer Mitbürger keinerlei Verständnis. Deshalb haben wir sie geändert.Vom dritten Schwerpunkt, von der Kronzeugenregelung, versprechen wir uns
in Übereinstimmung mit vielen Sachverständigen, dem Generalbundesanwalt und dem Bundeskriminalamt
einen wirkungsvollen Beitrag
vor allem zur Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge, aber auch zur Aufklärung begangener terroristischer Taten.
Unser Rechtsstaat befindet sich bezüglich terroristischer Straftaten in einem faktischen Ermittlungsnotstand. Die Mörder von Ernst Zimmermann, Beckurts, Groppler und von Braunmühl wie auch die Täter des Anschlags auf Dr. Tietmeyer und seinen Fahrer sind alle noch in Freiheit.Die Aufklärungsquote bei üblichen Mordtaten liegt bei 90 %.
Sie liegt im terroristischen Bereich in den letzten Jahren bei 0 %.In dieser besonderen Situation darf ein Rechtsstaat nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: Wir können nichts tun; wir müssen es halt hinnehmen; es ist halt nun mal so. — Vielmehr muß er alles versuchen, um schwere Anschläge zu verhindern, die Fahndungserfolge spürbar zu verbessern, den harten Kern der Terroristen und ihr Umfeld nachhaltig zu verunsichern und die Verbrecher einer gerechten Strafe zuzuführen. Wenn das mit den klassischen Mitteln des Strafrechts nicht möglich ist, ist der Staat verpflichtet, im interesse des Schutzes seiner Bürger auch zu unkonventionellen Rechtsinstituten zu greifen.
Im übrigen ist die Rechtsfigur des Kronzeugen schon in unserem geltenden Recht angelegt. Sie stellt also kein völlig systemfremdes Novum dar. Nach § 129a Abs. 5 und 6 unseres Strafgesetzbuches kann das Gericht die Strafe wegen Gründung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schon jetzt mindern oder von einer Bestrafung ganz absehen.
— Herr de With, Ihre Art ist es doch nicht, ständig zu schreien. Sie dürfen nachher zu dem Problem doch etwas sagen.
Noch weiter geht die Kronzeugenregelung in § 31 des Betäubungsmittelgesetzes.Meine Damen und Herren, auch alte Demokratien wie die USA, Großbritannien, Irland und vor allem Italien haben eine Art Kronzeugenregelung und damit zum Teil recht gute Erfahrungen gemacht.
Wir sind uns dabei durchaus bewußt, daß die Kronzeugenregelung einen Versuch darstellt. Deshalb erfolgt sie auch außerhalb des Strafgesetzbuches und ist befristet. Die Kronzeugenregelung ist ein Angebot an Terroristen, die aus dem Teufelskreis ihrer terroristischen Verirrung aussteigen wollen und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Verhinderung weiterer schwerer Straftaten leisten können. Niemand weiß, ob wir mit diesem Versuch Erfolg haben werden.
Wenn aber auch das Leben nur eines unschuldigen Menschen durch die Einführung der Kronzeugenregelung gerettet werden könnte, so hätte sich die Einführung der Kronzeugenregelung schon gerechtfertigt.
Auf einige von der Bundesregierung in dem Artikelpaket vorgeschlagenen Gesetzesvorschriften haben wir im Laufe der Beratungen verzichtet, nachdem wir uns davon überzeugt haben, daß diese Vorschriften zumindest im Augenblick nicht unbedingt notwendig sind. Hierbei geht es vor allem um den § 130b StGB, der die allgemeine Befürwortung von Gewalt betrifft.Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß gerade die Ereignisse, Äußerungen und Taten der letzten Wochen und Tage im Zusammenhang mit dem sogenannten Hungerstreik der RAF-Häftlinge sowohl aus dem Gefängnis heraus als auch von außerhalb bei
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10191
Dr. Stark
RAF-Anhängern und -Sympathisanten uns allen die Augen dafür öffnen sollten, daß Gewaltanwendung und Terrorismus leider keine Erscheinung der Vergangenheit, sondern eine höchst aktuelle Herausforderung unseres Rechtsstaates sind. Gegenüber diesen zutiefst rechtsstaatsfeindlichen Erscheinungen und Aktivitäten sollten die verantwortlichen Politiker aller Parteien meines Erachtens mehr Einigkeit und Standfestigkeit zeigen. Unser Staat muß jeden Anschein meiden, als würde er zum Tarifpartner der Terroristen, was ihren Haftvollzug betrifft.
Sicher werden wir dieser Herausforderung nicht nur mit Strafgesetzen begegnen können. Aber Voraussetzung für die geistige Auseinandersetzung mit den Ursachen von Gewalt und Terrorismus ist meines Erachtens ein geordneter, funktionierender, in seinen Grundsätzen und Zielen überzeugender Rechtsstaat, der das Vertrauen seiner Bürger und der für Recht, Ordnung und innere Sicherheit zuvörderst zuständigen Polizeibeamten genießt.Mit der Verabschiedung der vorliegenden Gesetze zur inneren Sicherheit leisten wir — davon sind wir überzeugt — einen Beitrag zur Erhaltung und Festigung dieses Vertrauens der Bevölkerung und der Polizeibeamten in unserem Rechtsstaat. Gerade jetzt leisten wir einen höchst notwendigen und aktuellen Beitrag.Die Oppositionsparteien dagegen haben, wie wir heute noch hören werden und wie wir bereits wissen, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und des inneren Friedens, wo die Gemeinsamkeit der Demokraten besonders gefordert wäre, außer einer wenig fundierten Kritik und einigen rechtsdogmatischen Einwendungen aus der Gartenlaube des 19. Jahrhunderts, nichts zur Lösung der schwierigen Probleme zu bieten. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik das zur Kenntnis nimmt.Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt uns heute ein Gesetz vor, das in die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit und — insbesondere mit der vorgesehenen Kronzeugenregelung — in rechtsstaatliche Grundprinzipien unserer Verfassung eingreift.
— Sie wissen es, und ich werde es Ihnen schon noch beweisen. Es hören ja Gott sei Dank eine Menge Bürgerinnen und Bürger heute zu. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halten diesen Gesetzentwurf, Herr Marschewski, für überflüssig, für schädlich für den inneren Frieden und verfassungsrechtlich für
mehr als bedenklich. Wir lehnen ihn ab. Wir fordern Sie auf, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das gleiche zu tun.
Sie wiederholen, meine Damen und Herren, gebetsmühlenhaft, Ihr Gesetz werde die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und den Schutz für Bürgerinnen und Bürger erhöhen. Ich sage: Das ist Etikettenschwindel, denn das kann und wird es nicht. Nicht einmal Ihre Behauptung trifft zu, die Zahl der Demonstrationen bei denen es zu Gewalt kommt, steige, und deshalb sei die Verschärfung strafrechtlicher und strafverfahrensrechtlicher sowie demonstrations-strafrechtlicher Bestimmungen notwendig. Nachprüfbare Tatsache, meine Damen und Herren, ist vielmehr, daß zwar die Zahl der Demonstrationen steigt, daß aber Gewalt bei Demonstrationen abnimmt, und zwar relativ und absolut gerechnet.
Das war in den letzten Jahren so, und — Sie werden es in den kommenden Tagen wieder sehen — auch die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik für die vergangenen Monate weisen aus, daß das so ist. Der neue Bundesinnenminister wird diese Kriminalstatistik in den nächsten Tagen der Öffentlichkeit vorstellen. Außer unbewiesenen Behauptungen hat die Bundesregierung auch im Gesetzgebungsverfahren nichts für die Notwendigkeit so schwerwiegender Eingriffe in Versammlungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit vortragen können. Dabei ist klar, meine Damen und Herren: Schutz und Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, Freiheit und demokratische Mitbestimmung, innerer Friede und Rechtsstaat sind unverzichtbare Elemente unserer Verfassung, und diese wollen wir nicht nur erfüllen, sondern wir wollen sie täglich neu ausfüllen und weiterentwickeln.
Das ständige Drehen an der Schraube des Straf- und Demonstrationsstrafrechts indes, Herr Marschewski, meine Damen und Herren, macht uns weder sicherer, noch führt es uns zum inneren Frieden. Für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger allerdings ist dieses Drehen an der Gesetzesschraube mehr als schädlich.
Ich sage: Eigentlich müßten sich diese simplen Tatsachen mittlerweile auch bei Ihnen herumgesprochen haben. In den vergangenen 15 Jahren wurden viele Strafgesetze verändert oder verschärft, meist als Reaktion auf spektakuläre Kriminalfälle oder terroristische Anschläge. Unserer Rechtskultur und unserem Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu schützen, täte es nur gut, jetzt einmal innezuhalten und nachzuprüfen, was diese Verschärfungen eigentlich gebracht haben. Da gibt es ja manchen Zweifel.
Auch in Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, gab es doch Ansatzpunkte zu solchen Überlegungen. Die Bundesregierung hat doch eine Regierungskommission mit Sachverständigen eingesetzt, die den Auftrag hat, die Ursachen von Gewalt zu erforschen und danach Vorschläge vorzulegen. Wie man aus der Presse hören
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Frau Dr. Däubler-Gmelin
kann, arbeitet diese Kommission gut. Sie arbeitet zügig und effektiv. Es sind gute Leute dabei, trotz der merkwürdigen Eingriffe des ehemaligen Bundesinnenministers bei der Einsetzung.
Meine Damen und Herren, viele Mitglieder der Kommission können und wollen Ihnen von der Regierungsmehrheit einiges zu dem Artikelgesetz sagen, das Sie heute verabschieden wollen. Warum geben Sie eigentlich dieser Kommission dazu nicht die Gelegenheit?
Warum lassen Sie diese Kommission die Kronzeugenregelung oder auch das strafrechtliche Vermummungsverbot nicht bewerten? Das ist doch Ihre Kommission. Wollen Sie das deshalb nicht, weil Sie mittlerweile — wie wir auch — wissen, daß auch dort die Unterstützung für Ihre Pläne äußerst karg, ja geradezu verschwindend gering ausfällt, und daß auch Mitglieder Ihrer eigenen Kommission — und das pfeifen ja die Spatzen hier in Bonn schon von den Dächern, obwohl die Gutachten noch nicht veröffentlicht wurden — Sie weitestgehend im Regen stehen lassen?
Ich werde Ihnen einige von den Bedenken vortragen, die auch Ihre eigene Sachverständigenkommission teilt. Wir sagen: Es ist falsch, das Vermummungsverbot von einer Ordnungswidrigkeit zu einem Straftatbestand zu machen. Sie gehen inflationär mit dem Strafrecht um. Es soll das letzte Mittel sein, wenn es wirksam bleiben soll. Auch von seiten der Kommission wird betont — das stimmt auch — , daß die bei der heutigen Rechtslage gegebenen Mittel ausreichen, zumal bei Gewalttätigkeit, daß also die Vorschriften des § 125 Abs. 2, wie wir wissen, Eingriffs- und Bestrafungsmöglichkeiten in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen.
Wir sagen: Sie fördern falsche Solidarisierungen. Dabei muß es uns doch gemeinsam darum gehen, Gewalttäter aus der Solidarisierung herauszulösen.
Da wird zu Recht kritisiert, daß Sie alles wie Kraut und Rüben in einen Topf werfen.
Für Sie und den Kollegen Stark, den ich sehr schätze — das weiß er —, ist Vermummung strafwürdige Gewaltbereitschaft, obwohl das wirklich zwei paar Stiefel sind. Sie machen Gesetze, als sei die Stammtischparole Wahrheit, die da besagt: heute vermummt, morgen Terrorist. Dabei ist diese Parole, Herr Stark, genauso unsinnig wie etwa die Gleichsetzungen: heute Schwarzfahrer, morgen Flugzeugentführer oder: heute jugendlicher Ladendieb, morgen Bankräuber.
Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?
Selbstverständlich,
ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, würden Sie Ihren nebulösen Andeutungen über die Einsetzung der Gewalt-Kommission und über Ihnen offenbar bekannte Ergebnisse etwas konkretisieren? Welche Eingriffe gab es, und welche Erkenntnisse haben Sie aus dieser Gewalt-Kommission zu diesem Thema, das wir heute hier erörtern? Bitte sagen Sie es konkret und nicht mit nebulösen Andeutungen.
Lieber Herr Gerster, ich drücke mich immer sehr konkret aus.
Sie können sich auf eines verlassen: Wir werden über die Einsetzung der Gewalt-Kommission und deren Ergebnisse hier im Bundestag noch so viel reden, daß Ihnen die Ohren klingeln. Nur, heute würde ich mich gerne mit der Kronzeugenregelung und der Stellungnahme aus dieser Kommission dazu befassen. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.
Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren, denken Sie auch einmal daran, was die Polizei und die Gerichte auszuhalten haben, wenn Sie heute dieses Gesetz verabschieden.
Auch das wird in der Kommission vertreten. Wenn Sie das nicht wissen, Herr Fellner, müssen Sie sich halt sachkundig machen. Wir alle wissen genau, daß die Polizei vor Ort entscheiden können muß, ob sie bei Demonstrationen eingreift und wie sie das tut. Nur wenn sie diese Handlungsfreiheit hat, können die Polizeibeamten dort, wo es nötig ist, Provokationen abbauen, Gewalt verhindern und Eskalationen vermeiden.Wenn das Vermummungsverbot Ordnungswidrigkeit bleibt, dann können die Polizeibeamten das auch weiterhin tun.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, das Vermummungsverbot zum Straftatbestand machen, können sie das nicht mehr. Dann wird nämlich die Flexibilität des Opportunitätsprinzips durch die Starrheit des Legalitätsprinzips ersetzt, zum Schaden der Polizeibeamten, es sei denn, meine Damen und Herren, Sie setzen gleich noch einen Schelm drauf — Herr Stark, Sie haben das eben, glaube ich, das Greifen zu unkonventionellen Mitteln genannt — und verwischen die rechtstaatlich notwendige Grenzlinie zwischen Legalitätsprinzip und Opportunitätsprinzip gleich mit.Ich sage Ihnen aber: Das machen wir nicht mit, auch im Interesse der Gerichte, auf die dann eine Menge an Mehrarbeit zukommt. Dabei wissen Sie doch, daß das, was am Ende eines strafrechtlichen Verfahrens als Sanktion für dieses formale Unrecht herauskommt,
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10193
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz fördert nicht die innere Sicherheit, sondern es fördert das Mißtrauen in unseren Staat und seine Institutionen.Vergleichbar massive Bedenken, Herr Stark, werden auch gegen Ihre Kronzeugenregelung vorgebracht, nach der Terroristen der Strafverfolgung ganz entzogen werden können, wenn sie ihre Mittäter verpfeifen. Man muß sich einmal überlegen, was das heißt: Diese Terroristen müssen dann nicht einmal vor Gericht gestellt werden. Das muß man sich vorstellen!Dabei, meine Damen und Herren, ist dieser Vorschlag nicht neu. Noch 1986 waren wir uns doch nach langen Diskussionen in diesem Hause einig, ihn aus wohlerwogenen Gründen nicht aufzugreifen.
es denn damals vorgeschlagen, Frau Däubler-Gmelin?)Wir haben damals gesagt — und wir sagen das auch heute — : Das Rechtsbewußtsein in der Bevölkerung, von dem doch auch Sie soviel reden, würde erheblichen Schaden nehmen, wenn ausgerechnet Schwerstkriminelle zu Kronzeugen werden können. Wir wollen — auch das sagen wir ganz deutlich — diese Kooperation zwischen Strafverfolgungsorganen und Terroristen, die ihre Mittäter verpfeifen, nicht. Das bringt den Rechtsstaat in Verruf, ganz egal im übrigen, wer über ihre Straflosigkeit oder die mildere Bestrafung entscheidet. Wir sagen: Wir halten an einem Gerichtsverfahren für Terroristen fest, und dieser Meinung werden wir auch weiter Ausdruck verleihen.Meine Damen und Herren, auch die Zweckmäßigkeit der Kronzeugenregelung ist doch mehr als zweifelhaft. Auch unsere Anhörungsverfahren haben ergeben, daß im Ausland mit ähnlichen Rechtsinstituten mehr als zwiespältige Erfahrungen gemacht wurden. Einige Länder schaffen diese Regelung mittlerweile doch schon wieder ab. Das wissen wir doch, meine Damen und Herren, und das wußten wir vor zwei Jahren übrigens auch schon. Bis heute gibt es keinerlei Gründe, die uns zu einer Änderung unserer Haltung bewegen könnten.Sie wollen trotzdem daran festhalten, und das, meine Damen und Herren, nachdem in den letzten Tagen — das kommt noch dazu — Unionspolitiker schwerste und massive Vorwürfe an SPD-regierte Bundesländer gerichtet haben. „Kniefall vor Terroristen" hieß es, weil die SPD-regierten Länder im Zusammenhang mit dem Hungerstreik von RAF-Häftlingen Vorschläge aufgegriffen hatten, die der Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz — in Absprache, wie man weiß, mit dem FDP-Vorsitzenden und sicherlich nicht ohne die Rückendeckung des Justizministers selbst — den Bundesländern vorgetragen hatte.
Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marschewski?
Noch zwei Minuten, Herr Marschewski; seien Sie so freundlich. Ich möchte erst gern noch meine Ausführungen zum Hungerstreik machen.
Dabei ging es um die Frage, wie man mit verurteilten, schon im Gefängnis einsitzenden terroristischen Straftätern umgehen sollte. Die vorgeschlagene Bildung von mehreren kleinen Gruppen ist nach Recht und Gesetz ganz unzweifelhaft zulässig. „Kniefall vor Terroristen" — das haben Sie gesagt, und heute gehen Sie her und muten uns zu, Terroristen ohne Gerichtsurteil
von vornherein der Strafverfolgung zu entziehen, nur weil sie ihre Mittäter verpfeifen. Merken Sie eigentlich nicht, was Sie hier tun, wie unglaubwürdig diese Regelung ist und wie unglaubwürdig Sie damit werden?
Bitte schön!
Ist Ihnen, Frau Däubler-Gmelin, bekannt, daß uns dieser sogenannte schreiende Widerspruch, Herr Vogel, vom damaligen nordrhein-westfälischen Justizminister empfohlen worden ist?
Aber sicher, Herr Marschewski.
— Lieber Herr Marschewski, entweder wollen Sie sich jetzt miteinander unterhalten, oder Sie möchten eine Antwort von mir.
— Der hat recht, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Fellner; das wissen wir doch. —
Herr Marschewski, wir wissen das ganz genau, und ich habe auch gar nichts dagegen. Das geht mir bei den z. B. von Herrn Boeden — auch in der Öffentlichkeit — gemachten Vorschlägen genauso; man muß auch sie prüfen. Nur, wenn man dann zu dem Ergebnis kommt — und zu diesem Ergebnis sind wir gekommen — , daß sie nichts taugen, dann muß man sie doch fallenlassen können.
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10194 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Frau Dr. Däubler-GmelinDiese Fähigkeit zur Korrektur, Herr Marschewski, sollten wir uns doch nicht von irgendwelchen Populisten ausreden lassen.
Ich weiß, Sie möchten diese Bedenken — auch heute — alle nicht hören. Sie haben die Ohren auch im Gesetzgebungsverfahren, Herr Weng, soweit es irgendwie ging, verschlossen. Anlässe, Warnungen, Bedenken und Einwände haben Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, obwohl es genügend davon gab. Von den 26 Anhörpersonen aus Praxis, Wissenschaft und Verbänden hat sich die weitaus überwiegende Mehrheit ganz eindeutig gegen Ihre Vorschläge ausgesprochen.
Erst in den letzten Tagen haben Vereinigungen von Strafverteidigern aus mehreren Bundesländern die Bedenken wiederholt; früher haben das schon Strafrechtslehrer getan, übrigens, Herr Marschewski und Herr Stark, mehr als 100. Viele von denen rechnen sich durchaus dem konservativen Bereich zu.
Das können Sie alles in großen Anzeigen der „Zeit" nachlesen.Wenn Sie einmal mit Polizeibeamten und Praktikern über ihre Pläne reden,
nämlich mit solchen, die bei Demonstrationen Dienst tun
und für die unser Grundgesetz und der Wert unserer Demonstrationsfreiheit nicht nur bei Gedenkfeiern zum 40. Geburtstag unserer Verfassung wichtig sind, sondern die sie insgesamt und Tag für Tag ernst nehmen, dann werden Sie wirklich Ihr blaues Wunder erleben.
Diese Praktiker halten überhaupt nichts vom ständigen Drehen an der Gesetzesschraube. Sie verlangen etwas ganz anderes — und das zu Recht. Sie verlangen, daß Probleme, die es in unserer Gesellschaft gibt, durch Politik aufgegriffen werden,
daß die Konflikte angesprochen und dann politisch ausgetragen werden.Wackersdorf ist dafür ein Beispiel — mit all den schrecklichen Demonstrationen und der Gewalt, die es dort gegeben hat.
Festzuhalten ist, daß diese Atomfabrik ein Fehler war und ein Fehler ist, genauso wie übrigens der Glaube an die Beherrschbarkeit der Atomenergie ein Irrtum ist. Das wissen die Bürgerinnen und Bürger heute, und deshalb lehnen sie Wackersdorf ab.Jetzt komme ich auf den wichtigen Punkt: Fehler, die man gemacht hat, muß man korrigieren, auch in der Politik.
Das, Herr Weng, wollen Sie nicht begreifen.
Heute sagt Ihnen sogar die an Wackersdorf beteiligte Wirtschaft, sie wolle nicht daran festhalten. Hier müssen wir gemeinsam oder wir allein, wenn Sie das nicht schaffen, die Weichen anders stellen. Schärfere Gesetze und Eingriffe in Demonstrations- und Versammlungsfreiheit bringen nichts, auch ein neues Gesetz nicht. Es ist unvertretbar — das sage ich hier sehr deutlich — , die Polizei dazu zu mißbrauchen, die fehlende Akzeptanz für menschengefährdende Projekte wie in Wackersdorf in scheinbar sichere Bahnen zu lenken.
— Das ist so.Meine Damen und Herren, es gibt noch eine Menge guter Überlegungen, die Sie davon abhalten müßten, Ihr Gesetz zu beschließen: die Warnungen des Datenschutzbeauftragten von Hamburg etwa, der mit Recht darauf hinweist, daß Ihr Gesetz nahezu schrankenlose Möglichkeiten eröffnet, um bei Demonstrationen und Versammlungen im Saal und unter freiem Himmel jeden Teilnehmer zu fotografieren, zu speichern und zu katalogisieren.
— Das ist ein Unding, Herr Stark.Ich weiß, meine Damen und Herren, daß manche— gerade in den Reihen der FDP — etwas ganz anderes wollten. Ihnen ging es häufig darum, begrenzende, einschränkende Rechtsvorschriften zu entwikkeln. Sie wollten gerade jungen Leuten, die demonstrieren, die Sorge vor der polizeilichen Allgegenwärtigkeit und der Kontrolle nehmen und damit die Motivation für Vermummung abbauen. Aber, meine Damen und Herren, diese Vorschrift ist nicht zustimmungsfähig. Sie erreicht und bewirkt genau das Gegenteil, auch deshalb, weil die unmittelbare Gefährdung als Voraussetzung polizeilichen Handelns jetzt nicht mehr nötig ist, sondern jetzt tatsächliche Anhaltspunkte ausreichen sollen, die die Annahme erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung rechtfertigen.
Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10195Frau Dr. Däubler-GmelinDas, meine Damen und Herren, ist ein weiterer Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, den wir nicht mitmachen.
Sie sollten, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, eigentlich auch vor der Sprache des Gesetzentwurfs zurückschrecken, die verschleiern will und doch so verräterisch ist. Da wird von „Schutzwaffen" gesprochen, auch von „passiver Bewaffnung" — auch der verehrte Kollege Stark hat das gerade getan — , aber gemeint ist etwas ganz anderes; gemeint sind Motorradhelme oder gepolsterte Schultern, manchmal sogar Friesennerze. Wenn Sie, meine Damen und Herren, bei Demonstrationen oder auf dem Weg dorthin so etwas tragen, dann können Sie jetzt bestraft werden.
Das, meine Damen und Herren, ist ein Unfug.Sie bedienen sich ganz anderer Begriffe, wenn es um wirkliche Waffen geht, beispielsweise um Munition für Schußwaffen, entweder für allgemeine Zwecke oder gar für die Polizei. Dann sprechen Ihre Dokumente, dann sprechen die Dokumente aus dem Bundesinnenministerium von etwas ganz anderem. Dann heißt es nicht „Munition", auch nicht „Schußwaffe", dann heißt es „distanzfördernde Sicherheitsmittel".
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aber auch von den Freien Demokraten, ich weiß, und ich merke es auch wieder: Wir reden heute bei Ihnen wieder gegen eine Wand. Sie sagen: Laßt die nur reden, schließlich haben wir die Mehrheit; wir bestimmen, was gemacht wird.
So haben Sie es in den vergangenen Jahren immer wieder getan, z. B. damals, als Sie die Verlängerung des Wehrdienstes gegen unseren Widerspruch beschlossen haben. So haben Sie es im Bereich des Gesundheitswesens gemacht. Auch da haben Sie unsere Argumente lässig vom Tisch gewischt.
Bei der Steuerfreiheit für Flugbenzin und bei der Quellensteuer — überall war es das gleiche. Auf diese Weise, meine Damen und Herren — und deswegen werden Sie auch so unruhig —, sind Sie mit Ihrer Politik gründlich in die Sackgasse geraten. Das wissen Sie. Die letzten Wahlen haben Ihnen das gezeigt.
Deswegen fangen Sie auch an, sich auf einigen Gebieten umzustellen.
Wir begrüßen das durchaus. Wir begrüßen insbesondere, daß Sie sich jetzt auch im Bereich des Ausländerrechts unseren Vorschlägen annähern.
Ich sage Ihnen aber, meine Damen und Herren: Mit der Verabschiedung des Artikelgesetzes heute machen Sie einen großen Fehler. Da zeigen Sie, Herr Stark, dal3 Sie Ihre alte Starrköpfigkeit und Ihre ideologischen Scheuklappen immer noch nicht abgelegt haben, daß Sie Ihren Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen wichtiger nehmen
als sachgerechte Entscheidungen, die uns dem inneren Frieden näherbringen.
— Herr Fellner, wenn Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen dieses Artikelgesetz heute verabschieden, dann werden Sie es morgen wieder aufheben müssen, wie so vieles, was Sie jetzt wieder korrigieren. Ich sage Ihnen: Wenn Sie es nicht tun, dann werden wir es nach 1990 tun.
Wir fordern Sie auf, meine Damen und Herren, uns diese Doppelarbeit, vor allen Dingen aber die Beschädigung des Rechtsstaates zu ersparen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist wirklich beneidenswert, es ist sicher auch ein hohes Glück, und der lieben Kollegin Frau Däubler-Gmelin gönne ich das dann auch von Herzen, soweit es ein Glück ist, wenn man in der Lage ist, seine Meinungen so zweifelsfrei und stromlinienförmig über alle Punkte hinweg zu formieren und ganz sicher zu sein, daß das eine ganz falsch ist und das andere ganz richtig.
Zumindest ist es rhetorisch eine glückliche Gabe, aber es ist nicht sehr glaubwürdig.
Es kann gar nicht sein, daß in so komplizierten Fragenalles so stimmig und so leicht zu entscheiden ist, wiewir und wahrscheinlich auch andere außerhalb dieses
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10196 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Kleinert
Saales es Ihren Worten eben entnehmen sollten, Frau Däubler-Gmelin.Die Frage von Herrn Marschewski war ja nicht von ungefähr, ob Sie sich nicht an Herrn Possers Vorschlag erinnern. Herr Posser war ja nicht alleine mit seinem seinerzeitigen Vorschlag zu einer der Fragen, die hier interessieren.Ich weiß doch, daß wir uns im Kreise der damaligen Koalition sehr vernünftig, verständig und ruhig über die Möglichkeiten einerseits und andererseits unterhalten haben und dann zu einer Ablehnung gekommen sind. Das ist richtig. Aber es war nicht so, daß wir von Anfang an — ich will doch jetzt keinen namentlich ansprechen und die Meinung, die er zu irgendeiner Minute einmal vertreten hat — der Meinung gewesen wären: Das ist grundsätzlich falsch, oder: Das ist grundsätzlich richtig.
Es spricht vielmehr in so komplizierten Fällen einiges dagegen und einiges dafür, es so zu machen. Diejenigen, die hier mit ganz einfachen Grundsätzen kommen, werden mit Sicherheit dem Rechtsstaat, den sie neuerdings in inflationärer Weise in den Mund nehmen, ohne ihm, wie ich meine, deshalb zu dienen, nicht gerecht.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Vollmer?
Bitte schön.
Herr Kollege Kleinert, da Sie sich hier ja als sehr selbstkritischer Bedenkenträger in dieser Frage darstellen, möchte ich Sie fragen, wo Sie bei der Anhörung waren, in der Sie ja die verschiedenen Argumente zu dieser Gesetzgebung hätten abwägen können. Ich habe Sie da nämlich nicht gesehen.
Erstens, Frau Kollegin, war ich bei der Anhörung, wenn auch nicht durchgängig.
Zweitens hatte ich im Laufe der Jahre die Freude, schon sehr viele Anhörungen gleicher Art mit den gleichen Sachverständigen zum gleichen Thema zur Kenntnis zu nehmen, weil wir uns nämlich schon sehr lange und sehr gründlich damit befassen.
Drittens frage ich Sie auch nicht nach Ihrem Terminzettel, weil wir eben dafür sind, daß man auch noch einen Restbestand an Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten de With?
Bitte schön.
Herr Kollege Kleinert, würden Sie einräumen, daß sich seit unserer gemeinsamen Ablehnung der Kronzeugenregelung im Jahre 1976 die Sachumstände überhaupt nicht geändert haben und deswegen Ihre, die Zustimmung der FDP nur dadurch zu erklären ist, daß Sie der Union gefällig sein wollen?
Erstens haben sich die tatsächlichen Umstände meiner Ansicht nach, wenn nicht grundsätzlich verändert, so doch in mehreren gravierenden Fällen anders dargestellt.Ich denke insbesondere immer wieder an die Entführung von Herrn Schleyer. Ich denke an den Krisenstab, der damals gebildet worden war und sich ganz intensiv Sorgen gemacht hat, was man tun könne, um hier noch in letzter Minute Leben zu retten. Ich bleibe allerdings bei meiner Behauptung, die ich eigentlich erst an späterer Stelle vortragen wollte, daß man, wenn sich eine Möglichkeit geboten hätte, so zu verfahren, wie wir es jetzt durch Recht und Gesetz vorschlagen, auch auf den § 34 zurückgegriffen hätte, um zu sagen: Hier haben wir einen Notstand; wir werden genauso handeln wie nach dem jetzt vorgeschlagenen Gesetz, wir werden den, der uns die Nachricht gibt, belohnen,
und das ohne gesetzliche Grundlage; diese Grundlage wollen wir deshalb schaffen.
— Das ist öfter geschehen, Herr Conradi, als es Ihnen vielleicht gegenwärtig ist.Zum zweiten, Herr de With, möchte ich Ihnen noch auf den zweiten Teil Ihrer Frage antworten. Wir haben nämlich in der Koalition mit Ihnen tatsächlich in einigen Fällen zugestimmt, weil in einer Koalition auch der Wille des anderen Partners einfach Faktum ist, das mitbedacht gehört. Anders kann man Koalitionen nicht führen. Wir haben Ihnen in manchen Punkten nachgegeben, Punkten wenig liberaler Art, die uns heute noch stören. § 88a , der jetzt durch einen ähnlichen § 130b (neu) ersetzt werden sollte, haben wir doch nicht erfunden, er ist doch von sozialdemokratischer Seite seinerzeit auf uns zugekommen, und dann haben wir das mitgetragen.
Das ist eines dieser Beispiele, auf die man sich besinnen sollte, wenn man versucht,
nicht von beiden Seiten mit Maximalpositionen aufeinander einzudreschen, sondern die Nachdenklich-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10197
Kleinert
keit zu bewahren, die dann schließlich in der Mitte zusammenführt. Das ist ein sehr schwieriges Geschäft, ein Geschäft, das manche in unserem Lande erschweren wollen.Ich bin fest überzeugt, daß es neben vielen, die aus sehr vernünftigen, und etliche, die aus weniger vernünftigen Gründen zu Demonstrationen gehen und dort auch Gewalt nicht in allen Fällen abhold sind, auch andere gibt, die das strategisch betreiben, weil es nämlich nützlich ist, auf einer Seite der politischen Skala extreme Aktivitäten aufzubauen und deutlich zu machen, damit sie sich auf der anderen Seite in Reaktion aufbauen und schließlich von beiden Seiten gegenseitig hochschaukeln können.
Das wird von Extremen von alters her gewußt und auch bewußt so betrieben,
und zwar zum Nachteil der vernünftigen Unterhaltung über das, worauf man sich im Wege des Kompromisses immer wieder in der Mitte einigen muß.Es ist nun einmal nicht so, daß Rechtsstaat heißt: Das Individuum soll alles Recht haben und der Staat und seine Organe gar keine Rechte, sondern Rechtsstaat heißt, den Ausgleich zu suchen. Diejenigen, die für die Freiheit des einzelnen sind, also mindestens auch die Liberalen, haben sich seit sehr langer Zeit immer wieder darüber unterhalten und nachdenken müssen.
Begonnen hat damit z. B. zu Beginn des politischen Liberalismus Kant, wenn er gesagt hat: „Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden
auf der Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist." Das darf man doch hier einmal als das Ergebnis konsequenten und tiefen Nachdenkens über dieses Spannungsverhältnis von Freiheit und Gesetz vortragen.Ich kann es auch einfacher sagen. Wer die Freiheit bewahren will, muß ihren Mißbrauch kraftvoll begrenzen, sonst kann es keine Freiheit geben.
Damit ist noch lange keine fix und fertige Gebrauchsanweisung nach Ihrer Machart entstanden, aber die ständige Aufforderung, in neuen Situationen neu nachzudenken, und das haben wir hier getan. Daß hier wieder die Verdächtigungen der intellektuell besonders schlichten Art herhalten müssen, um dieDurchgängigkeit der gegnerischen Meinung auseinanderzuargumentieren,
nämlich diese Albernheiten von Friesennerzen und Motorradhelmen, die hier statt etwas seriöserer Argumente vorgetragen werden, zeigt doch, daß Ihnen bei der durchgängigen Ablehnung so wohl auch nicht ist. Denn der hat doch seine juristischen Minimalkenntnisse an der Garderobe abgegeben, der meint, daß nicht jeder vernünftige Richter diese sozialadäquaten Umstände ohne weiteres ausscheiden kann und daß dadurch eine solche Regelung jedenfalls mit Sicherheit nicht belastet wird.
Frau Däubler-Gmelin, das Problem Legalitätsprinzip, Opportunitätsprinzip ist sicher von erheblich größerem Gewicht als das eben erwähnte.
In diesem Bereich sind wir nun einmal der Meinung, daß die Abwägung vor Ort durchaus vernünftig erfolgen kann, daß sie erfolgen muß und daß das auch im Einzelfall nicht zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen wird.
Hinzufügen darf ich diesen Erwägungen, die sich einer ausführlichen Diskussion bei dieser Gelegenheit nun wirklich entziehen, daß wir uns schon mal ganz grundsätzlich Ratschläge von denen, die das Legalitätsprinzip in diversesten Fallgestaltungen zum Teil schwerster Art in der Hafenstraße in Hamburg durch Ihre Parteifreunde mit Füßen treten lassen und die Polizei immer wieder zwingen, hier gegen das Legalitätsprinzip zu handeln,
nicht gefallen lassen wollen. Ratschläge von dieser Seite sind nicht notwendig. Dann helfen wir uns schon lieber mit unseren eigenen Überlegungen.
Wir haben etwas sehr Wesentliches — ich habe das vorhin schon anklingen lassen — durchgesetzt, nämlich die Streichung der vorgesehenen, allerdings die Freiheit mehr gefährdenden als sichernden Fassung des § 130b.
Wir haben in der Frage der Vermummung seit vielen Jahren versucht, zu Regelungen zu kommen, die einigermaßen einleuchtend sind.
10198 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1 April 1989Kleinert
Die große Zahl unserer Staatsbürger verstehen nun einmal nicht, daß man das Recht auf Demonstration in der Weise wahrnehmen können soll, wie das in den schwarzen Blöcken geschieht, und daß man auch die unmittelbar damit verbundene Bedrohung durch Gewalt in Kauf nehmen muß um des anderen Rechtes willen. Bei der hier gebotenen Abwägung ist es deshalb so schwer nicht, zu der jetzt hier getroffenen Maßnahme zu kommen.Zum Schluß möchte ich noch einmal zu der bereits angesprochenen Kronzeugenregelung zurückkommen. Natürlich sträubt sich hier vieles,
natürlich ist es eine unbehagliche Vorstellung, daß ein Mittäter hier erhebliche Vergünstigungen nun wieder ganz klar gegen das geltende Recht haben soll, und natürlich muß man sich dergleichen sehr genau überlegen. Ich sehe aber hier in erster Linie die Wahl zwischen dem im Einzelfall völlig ungeregelten Eingreifen der Verantwortlichen oder der vorsorglichen gesetzlichen Regelung,
die gewisse Regeln für ein solches Handeln im Extremfall vorrätig hält und damit dieses notfalls erforderliche, verantwortliche Handeln besser regelt.Daß der Kronzeuge im eigentlichen Sinn, nämlich als Zeuge im Hauptverfahren, gebraucht werden würde, mag ich nicht glauben. Ich hoffe es auch nicht, weil ich da ein weiteres schweres Bedenken sehe. Ich sehe den Hauptpunkt dieser Regelung darin, daß man Informationen gewinnt, die helfen, schwerste Verbrechen zu verhindern, und daß sich dann infolge dieser Informationen auch andere Fakten und andere Beweismittel finden lassen, die schließlich in einer Hauptverhandlung auch ohne Beteiligung des Anzeigers zu Verurteilungen führen.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestattet Sie noch einmal eine Zwischenfrage der Frau Vollmer?
Danke schön. Ich glaube, ich muß jetzt hier zum Ende kommen.
Ganz abgesehen davon, daß Sie sich schließlich auch fragen müssen, ob es überhaupt notwendig ist, daß der Anzeigeerstatter, der wirklich wichtige Informationen überbringt, bestraft wird, wenn Sie das Leben des Gefährdeten oder das Leben vieler Gefährdeter gegen die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches in diesem einen Fall abwägen. Ich glaube, da kann man mit einiger Nachdenklichkeit durchaus zu dem Ergebnis kommen, daß wir es uns hier keineswegs leichtgemacht haben und daß sich die Entscheidung, die wir heute vortragen, in der heutigen Situation mit gleichem Recht tragen läßt wie andere Entscheidungen, die Sie früher aus Verantwortungsbewußtsein vorgeschlagen haben, die wir zum Teil mitgetragen und die wir zum Teil auch gemeinsam verworfen haben.
Deshalb werden wir, nachdem wir uns gründlich so viele Gedanken gemacht haben, heute diesem Gesetz hier aus den genannten und noch aus einigen weiteren Gründen zustimmen.
Danke schön.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte für die heutige Tagesordnung nach § 126 unserer Geschäftsordnung abweichend zu beschließen, daß Beiträge zur Geschäftsordnung, zur Tagesordnung und entsprechende auf eine Redezeit von zwei Minuten statt fünf Minuten begrenzt werden. Ich brauche dazu eine Unterstützung von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder dieses Hauses. Um die bitte ich hiermit.
Wünscht jemand das Wort zu diesem Antrag? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung. Wer stimmt diesem Antrag des Abgeordneten Jahn zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist der Antrag des Abgeordneten Jahn gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl zur Geschäftsordnung nach § 29.
Meine Damen und Herren, ich mache es sowieso kurz.Der § 42 unserer Geschäftsordnung lautet:Der Bundestag kann auf Antrag einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages die Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung beschließen.Nun kann ich mich wirklich nicht darüber beschweren, wer aus dem Hause des Bundesministers der Justiz anwesend ist: sowohl die sogenannte graue Eminenz, Herr Kleinert, als auch der Minister selbst. Ich empfinde es allerdings als unerträglich, daß das Haus hier nicht vertreten ist, das im wesentlichen für die Gesichtspunkte verantwortlich ist, die hier besonders strittig diskutiert werden.
Das sind Vermummungsverbot, Kronzeugenregelung und andere Punkte.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10199
WüppesahlIch möchte also, daß dieser Antrag von Ihnen mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wird, daß ich einen Antrag stellen kann, daß Herr Bundesminister des Innern , Herr Zimmermann, und der Bundesminister des Innern (neu), Herr Schäuble, anwesend sind. Ich empfinde es wirklich als dolle Nummer, daß bei einem solchen Gesetz, das so tiefgreifende Eingriffe zum Teil sogar in unsere Rechtsdogmatik, nicht nur in die bestehende Gesetzeslage, vornimmt, diese beiden Minister nicht anwesend sind. Herr Zimmermann ist ganz wesentlich verantwortlich für die bis heute gelaufene Diskussion, und Herr Schäuble ist es praktisch ab heute.Wir haben in den vorherigen Redebeiträgen sehr häufig etwas zu den Gesichtspunkten der Polizei gehört. Wir wissen auch, wie stark die Begehrlichkeiten aus diesem Bereich herangetragen werden. Da ist Herr Engelhard mit Sicherheit nicht die erste Stelle, die angesprochen ist, auch wenn Sie, Herr Engelhard — das erkenne ich wohl an — , die Federführung haben.Ich bitte also um die Abstimmung über diese beiden Geschäftsordnungsanträge: erstens, daß Sie das jetzt meinetwegen mit einer Fraktion beschließen — dann ist das Herbeirufungsrecht nach § 42 bereits gültig —, und zweitens, daß, wenn sich das keine Fraktion zu eigen machen möchte, mir nach § 126 eine Zweidrittelmehrheit die Möglichkeit gibt, auch als einzelner Abgeordneter die Herbeirufung zu beantragen.
Danke. — Der federführende Minister der Justiz bittet um das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lege nach diesem Beitrag — —
Der Minister der Justiz hat Rederecht.
Bitte.
Ich habe im Rahmen der Geschäftsordnung das Anliegen, mitzuteilen, daß der bis soeben anwesende Parlamentarische Staatssekretär Spranger mir sagte, daß auch er sich jetzt entfernen müsse, weil um 11 Uhr die Amtsübergabe im Bundesministerium der Justiz — —
— Pardon, im Bundesministerium des Innern stattfindet, wie dies an solchen Tagen üblich und notwendig ist.
Ich stelle den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? —
Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche nach dem Häuptling der gespaltenen Truppe; der Rest der FDP wird uns ja noch bevorstehen. Übrigens habe ich nichts dagegen, daß man in diesem Hause unterschiedlich abstimmt. Ich fände es nur schön, wenn man bei einem solchen wichtigen Gesetzeswerk zur Begründung seine Überzeugung und sein Gewissen anführen würde und nicht die Notwendigkeit, in der Koalition zusammenzustehen.
Meine Damen und Herren, wir feiern in diesem Jahr viele Geburtstage, die bösen, wie den von Adolf Hitler gestern abend — —
— Der Schal ist ein Vermummungsgegenstand, das hat Herr Bohl richtig geahnt. Herr Bohl, ich würde Ihnen vorschlagen, mir jetzt keine Kleidervorschriften zu machen, sondern das zu tun, was angesichts einer Rede vielleicht angebracht wäre, nämlich zuzuhören.
Es stehen uns also eine Reihe von Geburtstagen ins Haus; die bösen, wie z. B. den Jahrestag des Kriegsanfangs, übergeht man weitgehend, andere werden dafür groß gefeiert, etwa der vierzigste des Grundgesetzes und der vierzigste der Bundesrepublik Deutschland. Weihrauchfeste der Demokratie sind geplant; einige tatsächlich spannend, die meisten aber von peinlicher schulterklopfender und feister Langweiligkeit, so fürchte ich.Meine Damen und Herren, Herr Schäuble und Herr Waigel, ich glaube, dieses Geld, die Buchsbäume, den Weihrauch und all die Reden auf das Grundgesetz und die Demokratie können Sie sich sparen, wenn wir das Grundgesetz und die Demokratie nicht gerade auch hier und heute ernst nehmen.
Dieses Artikelgesetz, Herr Marschewski, ist ein beispielloser Angriff auf das Recht, auf die Grundrechte und auf die Demokratie, der aus meiner Sicht auf gar keinen Fall zum Erfolg führen darf.
10200 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138, Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989HäfnerSollte dieser Angriff Erfolg haben, bleibt vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht mehr viel übrig.
Praktisch jeder Versammlungsteilnehmer gilt dem vorliegenden Gesetzesvorschlag zufolge künftig potentiell als Straftäter. Ist Ihnen dabei eigentlich gar nicht bewußt, daß Widerstand und Protest zu den Wesensmerkmalen einer funktionierenden Demokratie gehören, und ist Ihnen ebenfalls nie in den Sinn gekommen, daß Protest und Widerstand auch immer ihre Ursachen haben? Mir scheint dieses Gesetzeswerk nicht zufällig in einer Zeit zu kommen, in der die Unzufriedenheit mit der umwelt- und friedensgefährdenden Politik der Bundesregierung immer mehr wächst. Da liegt es nahe, daß die, die Verantwortung für eine solche Politik tragen, eben nicht ihre Politik verändern, sondern gegen diejenigen vorgehen, die öffentlich gegen diese Politik protestieren.Doch der Protest hat Gründe. Er hat seine Gründe in der immer größer werdenden Kluft zwischen dem Bürgerbewußtsein auf der einen Seite und dem staatlichen Handeln auf der anderen Seite, im Umweltbereich, im Atombereich, im Bereich der Abrüstung
— auch im Sozialbereich, selbstverständlich —, wo viele Bürgerinnen und Bürger seit langem beispielsweise einen Stopp der Tiefflüge, einen Verzicht auf den Jäger 90 oder auf eine neue Atomrüstung fordern und die Regierung das Gegenteil tut, oder in dem, was Frau Däubler-Gmelin bereits ausgeführt hat: dem Bau der WAA in Wackersdorf, der unökonomisch, unökologisch und unverantwortlich ist, gegen den die ganze Bevölkerung insbesondere in der betroffenen Region steht und bei der es ein leichtes wäre, Gewaltpotentiale signifikant abzubauen, wenn Sie das wirklich wollten, indem Sie nämlich schlicht und einfach endlich Einsicht zeigen und sagen: Die WAA, für die es keinen vernünftigen Grund mehr gibt, wird nicht gebaut.
In einer Zeit, in der der offene und auch verdeckte Widerstand gegen die Politik der Bundesregierung ständig wächst, werden Gesetze gemacht, deren vordringliches Ziel und jedenfalls vordringliche Wirkung ich vor allem darin sehe, die Bürger von der Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Rechte und Möglichkeiten abzuschrecken. Denn wer eingeschüchtert ist, wer Angst haben muß, als Straftäter verhaftet zu werden, wird möglicherweise nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen. Gegen Gewalttaten dagegen, wie das vorgegeben wird, unternimmt dieses Artikelgesetz nichts. Denn solche Gewalttaten stehen ja — das wissen Sie — schon heute unter Strafe.Dagegen werden tausende Menschen auf Grund völlig friedlichen und demokratischen Verhaltens zu Kriminellen gestempelt werden. So, meine Damen und Herren, wird kein innerer Friede geschaffen. Bedenken Sie doch einmal: Bereitschaft zur Gewalt entsteht selten von selbst. Bereitschaft zur Gewalt entsteht gerade aus dem Empfinden staatlichen Unrechtsund aus der Erfahrung der Ohnmacht, aus der Erfahrung, daß man nichts machen kann.
Zu genau dieser Einsicht ist selbst der Deutsche Bundestag schon einmal gelangt, und zwar, für mich erstaunlich, mit der Zustimmung aller Fraktionen. Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß Sie in der letzten Legislaturperiode hier festgestellt haben — ich zitiere — :Die Bereitschaft von Jugendlichen, Gewalt anzuwenden, wird in der Öffentlichkeit oft überschätzt und ist weit geringer, als sie durch die Darstellungen in der Öffentlichkeit erscheint.— Das hat der Deutsche Bundestag beschlossen. —Gleichwohl zeigt sich in der Bereitschaft zur Gewaltanwendung kleiner Gruppen ein Verlust an politischer Kultur. Allerdings ist dies vielfach die Reaktion auf den mangelnden Willen oder die mangelnde Fähigkeit des Staates, auf Forderungen der Jugendlichen einzugehen. Deshalb muß staatliches Handeln einsichtig und nachvollziehbar sein und muß sich stets neu um Glaubwürdigkeit bemühen.
— Es heißt dann im selben Beschluß:
Die übergroße Mehrheit der protestierenden Jugendlichen will nicht aus der Gesellschaft aussteigen, sondern in sie hineinwirken und fordert dazu nachdrücklich Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte.Warum haben Sie eigentlich die Einsicht, diese Erkenntnis so schnell verlassen? Der Bundeskanzler ist ja offenbar der Meinung, die Politik der Bundesregierung sei viel besser als ihre Darstellung. Deswegen wechselt er auch, wie wir heute morgen hier miterleben konnten, die Darsteller, nicht aber die Politik. Ich glaube jedoch, daß eine Änderung der Politik dringend vonnöten ist, wenn wir in der Gesellschaft inneren Frieden und innere Sicherheit, wie Sie das immer nennen, erreichen wollen. Denn innerer Friede, innere Sicherheit entsteht nicht durch Drohung, nicht durch Gewalt, sondern durch Übereinstimmung der Menschen mit der Politik, die praktiziert wird. Das erfordert, daß sich die Menschen beteiligen können.Sie haben hier heute Gesetzentwürfe vorgelegt, die nach meiner Ansicht handwerklich und politisch derart schlecht sind, wie ich dies selten erlebt habe.
Sie präsentieren uns Gesetze, für die jedem JuraErstsemester die Scham ins Gesicht steigen würde,
Gesetze, bei denen noch nicht einmal die Begründung stimmt und die jedem üblichen Erfordernis an Normenklarheit, an Bestimmtheit und Rechtssicherheit widersprechen,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10201
HäfnerGesetze, die die Öffentlichkeit über ihren eigenen Zweck täuschen, und Gesetze, die das — diesen Satz bitte ich zu bedenken — , was sie angeblich erreichen wollen, gerade zerstören und das, was sie bekämpfen wollen, verstärken.
Glauben Sie denn wirklich, daß man inneren Frieden durch ein Mehr an Aufrüstung, Verfolgung, Erfassung, Kriminalisierung und staatlicher Gewalt erreichen kann? Nein, Demokratie, Freiheit und innere Sicherheit werden mit diesen Gesetzen zerstört und gefährdet, und zwar viel wirkungsvoller und nachhaltiger, als es außerparlamentarischer Widerstand und selbst gewaltsamer Protest je vermöchten.Die Begründung zu diesem Gesetzentwurf ist eine glatte Lüge. Immer wieder wird von der „Zunahme politisch motivierter Gewalttaten" — wörtliches Zitat aus der Begründung —, von dem Anwachsen von Gewalt im Zusammenhang mit Demonstrationen gesprochen.
— Hören Sie sich doch die Tatsachen an, Herr Marschewski. Das Gegenteil ist der Fall. 1968 hatten wir 25,9 % unfriedliche Demonstrationen, und zwar nach Feststellung des Bundesinnenministeriums. 1988, Herr Marschewski, hatten wir 1,85 %. Das ist die niedrigste Zahl seit 20 Jahren. Obwohl bei dieser Statistik unter „unfriedlich" in einzelnen Fällen bereits die verspätete Anmeldung einer Demonstration oder unzulässiger Lärm verstanden wird, liegen sowohl der Prozentsatz als auch die absolute Zahl sogenannter unfriedlicher Demonstrationen heute so niedrig wie niemals zuvor. Und selbst die Zahl verletzter Polizeibeamter, Herr Stark, ist drastisch zurückgegangen, z. B. von 818 im vorvergangenen Jahr auf 293 im vergangenen Jahr.
Warum sagen Sie das der Öffentlichkeit nicht? Diese Tatsachen, Herr Stark, gehören auch zur Redlichkeit. Ich glaube nicht, daß Sie sich den Vorwurf machen lassen wollen, ein solch einschneidendes Gesetz unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durchsetzen zu wollen.Ich möchte noch kurz etwas zum Vermummungsverbot und zum Verbot passiver Bewaffnung sagen, wobei ich offen bekennen muß, daß der Begriff „passive Bewaffnung" aus meiner Sicht in den Orwell-schen Sprachschatz gehört. Was ist „passive Bewaffnung" eigentlich? Ich kann das noch nicht einmal denken. Eine Waffe ist etwas, womit ich andere verletzen, womit ich mich gegen andere richten kann. Das kann beim Messer anfangen und kann bis zum Knüppel oder bis zur Pistole gehen.Eine passive Waffe dagegen gibt es gar nicht. Es ist eine Denkunmöglichkeit. Was Sie mit passiver Waffe meinen, das ist z. B. eine gefütterte Lederjacke. In Berlin wurde eine Frau, die einer Theatergruppe angehörte, auf offener Straße gezwungen, ihr wattiertes Kostüm auszuziehen, weil die Polizei behauptete, eshandle sich dabei um eine passive Waffe. Es ist wirklich absurd, was Sie hier tun.
Mit diesem Gesetz werden nicht Straftaten, wird nicht Gewalt unter Strafe gestellt, sondern es wird z. B. eine bestimmte Art, sich zu kleiden, sich zu geben, unter Strafe gestellt,
etwas, was wir in unserem Rechtssystem noch nie gehabt haben, Herr Stark.
Sie wissen genau, daß Ihre Behauptung, die Vermummung sei eine Vorbereitungshandlung zur Gewalt,
und die angeblichen Erkenntnisse, daß Vermummung und Gewalt korrelierten, weder rechtlich noch tatsächlich tragen können. Selbst wenn Vermummte häufig Gewalt begehen,
so ist das weiß Gott nicht immer der Fall.Der häufigste Grund für die sogenannte Vermummung besteht auch gar nicht darin, Gewalt zu planen oder begehen, sondern besteht in der Sorge, Herr Stark, daß man in die Dokumentationen der Polizei und anderer Stellen gerät. Sie wissen, daß heute bei praktisch jeder Demonstration Photo- und Videotrupps eine uneingeschränkte Aufnahme und Speicherung der Demonstranten betreiben.
Der von Ihnen jetzt vorgelegte § 12 a, Herr Fellner — das einzige Gesetz, worauf man naiv vielleicht noch hätte hoffen können, das, was sich die FDP so gerne an den Hut heften würde, wenn es denn substantiell auch nur irgend etwas Positives brächte — , führt nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlimmerung des gegenwärtigen Zustands. Ich hoffe, Sie haben gelesen, was der Hamburger Datenschutzbeauftragte Schapper hierzu gesagt hat.
§ 12 a ist eine klare Augenwischerei. Er unterstellt das Anfertigen und Aufbewahren von personenbezogenen Ton-, Photo- und Videodokumenten nicht strafrechtlichen, sondern rein polizeirechtlichen Gesichtspunkten.Neben den völlig unwirksamen Löschungs- und Vernichtungsvorschriften empört mich vor allem folgendes. Ich habe im Ausschuß sehr deutlich darauf hingewiesen, daß diese Vorschriften schon deshalb nicht taugen können, weil Sie auch die Aufbewahrung der Aufnahmen von Dritten, die z. B. auf Photos
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10202 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Häfnermit dokumentiert werden, auf denen einer z. B. als Straftäter verfolgt oder gesucht wird, grenzenlos zulassen wollen und weil Sie sogenannte Übersichtsaufnahmen ganz generell von jeder Löschungsvorschrift ausnehmen wollen. Wir wissen alle, daß es heute technisch längst möglich ist, aus jeder beliebigen Übersichtsaufnahme jeden gewünschten Teilnehmer herauszuvergrößern und so zu identifizieren. Das heißt unter dem Strich: Nichts wird wirklich vernichtet, nichts wird wirklich untersagt, sondern in Zukunft wird alles gestattet sein, was der Polizei technisch an Aufnahmen, an Dokumentation und damit auch an Identifizierung überhaupt gelingen kann.
Herr Abgeordneter Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?
Unter der Maßgabe, daß es nicht auf die Redezeit angerechnet wird, sehr gerne.
Herr Kollege Häfner, wie kommen Sie dazu, die Löschungs- und Vernichtungsbestimmungen, die vorgesehen sind, als völlig unwirksam zu bezeichnen? Wollen Sie damit den Gesetzesanwendern von vornherein unterstellen, daß sie das Gesetz brechen werden?
Herr Irmer, jetzt bringen Sie mich in eine Schwierigkeit; denn bei der Beantwortung Ihrer Frage müßte ich einfach etwas wiederholen, was ich eben schon gesagt habe. Sie haben Löschungsvorschriften geschaffen, von denen es jederzeit Ausnahmen gibt, wenn jemand, der auf einem Photo abgebildet ist, aus irgendeinem Grunde der Strafverfolgung unterliegt oder gesucht wird und zu besorgen ist, daß er auch künftig ein Straftäter werden könnte, was ich für völlig unzuträglich halte. Sie haben weiterhin gesagt, daß die Aufnahmen aller, die noch mit betroffen sind, ebenfalls aufbewahrt und gespeichert werden können.
Was also ist das denn für eine Löschungsvorschrift?
Herr Irmer, wenn Sie das gewollt hätten, was Sie hier vorgeben, hätten Sie eine Vorschrift aufgenommen, wie ich sie Ihnen damals schon im Ausschuß vorgehalten habe,
— lassen Sie mich doch die Frage zu Ende beantworten — , nämlich daß nicht das Material selbst, sondern ausschließlich Vergrößerungen der nach Ihren Klauseln jeweils Betroffenen aufbewahrt werden können und daß der Rest des Materials einschließlich der Negative vernichtet werden muß.
Genau dies haben Sie nicht gemacht. Sie haben es sogar abgelehnt.
Herr Abgeordneter Häfner, gestatten Sie eine Frage der Abgeordneten Unruh?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, ich bin ja nun keine Juristin und kann auch kaum juristisch denken.
Wie schätzen Sie z. B. die Vorgänge um das Celler Loch in bezug auf Kronzeugenregelung, Anstiftung, Staatsgewalt usw. ein? Da hätte ich als einfache Volksvertreterin doch gern einmal eine Aufklärung.
Leider ist das Celler Loch etwas anderes als das Binger Loch; ich denke, Sie wissen das. Das Celler Loch ist ein Beispiel für etwas, was ich bis dahin in dieser Form für nicht möglich gehalten hatte, nämlich eine Form von Staatsterrorismus. Ich sage als Antwort auf diese Frage sehr deutlich: Sie wissen — gerade diejenigen, die die Reise nach Spanien und nach Frankreich unternommen haben —, daß es in beiden Ländern bis heute nicht einen einzigen Terroristen gibt, der von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht und andere verpfiffen hat. Ich habe Gründe zu der Annahme, daß gerade im Hinblick auf einen solchen Täterkreis, einen Kreis von Überzeugungstätern, die Vermutung, da könnte jemand die anderen verpfeifen und sich damit fast Straffreiheit erkaufen, völlig ins Leere geht.
Es gibt aber — und das ist meine Antwort auf diese Frage — Gründe zu der Sorge, daß die Regelung in eine andere Richtung zielt, daß hier auch Menschen von Strafe freigestellt werden könnten, die beispielsweise, wie es beim Celler Loch der Fall war, im Staatsauftrag rechtsbrecherisch tätig geworden sind;
und daß dies bis hin zu schweren Verbrechen gehen kann, haben wir leider Gottes nicht nur in Celle erfahren müssen.
Herr Abgeordneter Häfner, trotzdem weise ich den Ausdruck „Staatsterrorismus" zurück.
Das ist selbstverständlich möglich, aber ich glaube, daß er in diesem Fall durch die Tatsachen völlig gedeckt ist.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10203
HäfnerLassen Sie mich zum Abschluß noch sagen: Dieser Gesetzentwurf ist eine Kriegserklärung nach innen, eine Kriegserklärung gegen die eigene Bevölkerung. Es genügt nicht, zu sagen: Wer sich friedlich verhält, ist ja nicht betroffen. Vielmehr wird, wie z. B. Herr Schueler in der „Zeit" sagt, „der Rechtsstaat" Schritt um Schritt „zum Polizeistaat denaturiert".Ich glaube, daß wir in einer ganz anderen Richtung denken müssen. Es reicht nicht mehr hin, sich zu sagen: Wir sind diejenigen, die die Politik machen, und die Menschen draußen haben gefälligst den Mund zu halten, und wenn sie zu laut werden, werden eben die Gesetze verschärft, dann werden wir gegen sie vorgehen.
— Herr Marschewski, ich denke, daß wir die Ursachen von Protest begreifen müssen
und daß wir darüber nachdenken müssen, wie wir die Menschen an den politischen Entscheidungen real stärker beteiligen können. Nur durch eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und nur durch die Ausweitung von Demokratie, durch die Ausweitung gerade auch von konkreten Rechten, seine Meinung zu äußern und in die Entscheidungen einzubringen, können innere Sicherheit und innerer Frieden auf Dauer gefördert werden, nicht aber durch die Erhöhung und Ausweitung staatlicher Gewalt und nicht durch das Drehen an der Gewaltspirale von seiten des Staates.Ich danke Ihnen.
Der Abgeordnete Wüppesahl hat sich erneut zur Geschäftsordnung gemeldet. Herr Abgeordneter Wüppesahl, wir sind jetzt schon zeitlich erheblich im Verzuge.
Die Sitzung wird bis in den Nachmittag andauern. Sie haben Gelegenheit gehabt, zur Geschäftsordnung zu sprechen. Für weitere Geschäftsordnungsanträge erteile ich das Wort jetzt nicht mehr. Es geht hier um die Redezeit. Die kleinste Fraktion des Hauses mit 44 Mitgliedern erhält insgesamt 14 Minuten. Deshalb kann ich Ihnen nicht mehr als fünf Minuten zubilligen. Ich bitte Sie, das zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren! Ich habe einen Redebeitrag von zehn Minuten beantragt. Fünf Minuten wurden mir gewährt. Sie wissen, daß ich genau in diesem Themenbereich sachkundig bin und meinen Arbeitsschwerpunkt habe.
Von daher halte ich zehn Minuten bei einer zweistündigen Debatte für angemessen, wenn bei Debatten von einer Stunde ohnhin fünf Minuten Mindestredezeit gegeben werden sollen.
Ich möchte Sie auch mit der Tatsache konfrontieren, daß sich das Präsidium über Ostern darauf geeinigt hat, fast linear meine Redekontingente um rund 50 % zu reduzieren. Das heißt, bei einer Debatte von einer Stunde kriege ich nur noch zwei bis drei Minuten. Das ist mir auch gestern mehrfach angeboten worden.
Daher werde ich konsequent an jedem Sitzungstag bis zur Verkündung des Urteils oder der einstweiligen Anordnung aus Karlsruhe meine mir nach der Geschäftsordnung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten anwenden müssen. Denn durch die Terminverschiebung ist die Zeitspanne einfach zu groß geworden, und mein Rechtsschutzbedürfnis, das nun überdeutlich geworden ist, wird erst relativ spät von dem Senat geschützt werden können.
Ich bin in der Tat der Auffassung: Sie machen hier einen orientalischen Bazar aus dem Bundestag, wenn wir ständig um zwei, drei oder vier Minuten feilschen müssen.
Ihr Vorgehen hat auch keinen Bezug zur Realität. Weshalb lassen Sie mich denn nicht fünf oder zehn Minuten reden? Dann brauchen wir nicht wie gestern 40 oder 50 Minuten Redezeit mit Geschäftsordnungsdebatten zu vertun.
Sie sind es, die hier das Feindbild gegen mich aufbauen. Ich weiß einfach nicht, warum.
Wenn ich mein Gegner wäre, würde ich es anders machen. Da würde ich mich leerlaufen lassen. Dann bekomme ich eben die zehn Minuten dazu und rede nicht mehrmals zur Geschäftsordnung. Ich finde es daher auch taktisch sehr unklug, wie Sie darauf eingehen.
Ich finde das, was Sie hier mit mir machen, substantiell unhaltbar, weil Sie es waren, die die politische Diskussion und Entscheidung abgelehnt haben und ausdrücklich die Delegation der Entscheidung an die Judikative, ans Bundesverfassungsgericht, haben wollten, statt selber die Probleme für die innere Organisation des Parlaments in die Hand zu nehmen und endlich auch die fraktionslosen Abgeordneten in die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags aufzunehmen. Ich tauche dort an keiner Stelle mit Rechten auf.
Abschließend: Vizepräsidentin Frau Renger hat bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe auf Fragen des Gerichts unter anderem gesagt, daß man selbstverständlich fünf Minuten Mindestredezeit geben kann. Ich mußte gestern erleben, daß ich mehrmals darum kämpfen mußte, daß ich eine angemessene Redezeit erhalte.
Sie verweisen mich ständig auf die Geschäftsordnung, um meine Rechte zu strangulieren. Und ich benutze jetzt die Geschäftsordnung in einer Art Notwehrrecht.
Wenn Sie Ihre Rechte in Anspruch nehmen, dann von Ihrer Redezeit.
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10204 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Das ist doch nun völlig absurd: den GO-Beitrag zur Redezeit addieren!
Eben haben Sie schon auf Jahns Antrag ein Lex Wüppesahl mit zwei Minuten Redezeit zur Geschäftsordnung beschlossen. Und jetzt noch so was! Wo gibt's denn so was?
Wo sind wir hier denn eigentlich?
Ich bitte um Zustimmung zu dem Antrag, mir zehn Minuten Redezeit zur Sachdebatte zu gewähren.
Frau Abgeordnete Nikkels.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Gegenrede halten.
Ich bin der Meinung: Wir können nicht, weil wir uns hier ärgern, die GO-Beiträge stoppen.
Aber, Thomas, eines will ich sagen: Wenn ein einzelner Abgeordneter mehr Redezeit als die kleinste Fraktion beansprucht, dann finde ich, daß du deinem Anliegen, den fraktionslosen Abgeordneten und den einzelnen Abgeordneten zu stärken, einen Bärendienst antust. Ich finde das unerträglich.
Und zum zweiten glaube ich, man darf sich auch nicht so plustern und so unendlich wichtig nehmen, daß man ernsthafte Debatten, die hier laufen, immer mit seinen eigenen Sachen so überwölbt.
Ich bitte dich, daß du zwar deine Redezeit, die dir zusteht, in Anspruch nimmst, was ja richtig ist, aber daß du aufhörst, dich so aufzuplustern wie ein Heißluftballon. Das ist nicht angemessen. Das finde ich falsch. Das schadet auch deinem Anliegen, das ich unterstütze, daß die Rechte der einzelnen Abgeordneten, auch der fraktionslosen, gestärkt werden.
Ich bitte dich: Laß das jetzt bitte sein!
Herr Wüppesahl, Sie haben einen Sachbeitrag gegeben. Ich habe keine Redezeit zur Geschäftsordnung gegeben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war am 23. September 1988, daß hier in der ersten Lesung dieser Entwurf von mir eingebracht und vom Deutschen Bundestag debattiert wurde.
In der Zwischenzeit haben sehr eingehende Ausschußberatungen, voran im Rechtsausschuß, stattgefunden. Ich meine, daß dabei dieser Entwurf mit einigen Änderungen wesentlich verbessert werden konnte. Ich sage ausdrücklich, daß ich es begrüße, daß sich der Rechtsausschuß nicht darauf beschränkt hat, ein bloßes Ja zu sagen oder gar ein Nein, sondern daß in einer Reihe von kritischen Punkten die Dinge sehr genau beleuchtet und abgewogen wurden. Ich meine, wie hier Veränderungen vorgenommen wurden, ist aber in den Beratungen insgesamt deutlich geworden, daß dieser Entwurf in seiner Grundkonzeption richtig ist und so Gesetz werden muß.
Meine Damen und Herren, an der Notwendigkeit, die Vermummung und passive Bewaffnung bei öffentlichen Demonstrationen unter Strafandrohung zu verbieten, hat sich seit der Vorlage des Gesetzentwurfes nichts geändert. Da mag man sich jetzt — ich kenne das seit vielen, vielen Jahren, in denen wir die Dinge immer und immer wieder im Rechtsausschuß debattiert haben — eingehend mit der neuesten Statistik des Demonstrationsgeschehens beschäftigen. Es ist richtig, daß die Zahl der verletzten Polizisten sehr stark zurückgegangen ist. Das begrüßen wir. Das ist unserer Zustimmung und unserer Unterstützung, das noch wesentlich zu verbessern, in jeder Weise sicher.
Nur wissen wir, wie sich die Dinge von einem Tag zum andern sprunghaft in gegenläufiger Richtung entwikkeln können. Wir können nicht die Gesetzgebung des Tages machen, orientiert an Zahlen, die uns für jedes Jahr neu gegeben werden müssen.
Nein, die Frage ist eine ganz andere: Sind wir es nicht eigentlich jedem Demonstranten in diesem Lande, der auf sich hält, schuldig, dafür Sorge zu tragen, daß nicht Vermummte und passiv Bewaffnete als ein Stoßtrupp hinzukommen, der allein durch sein Erscheinungsbild Gewalttätigkeit indiziert?
Ein deutlicher Hinweis darauf ist nach all unseren Erfahrungen der letzten Jahre, daß das so ist. Dann ist es nicht richtig, Herr Abgeordneter Häfner — aber mir ist klar, daß mit Ihnen darüber zu sprechen sehr schwierig ist — , daß Sie sagen, hier sei das Ende des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit angebrochen, und jeder Demonstrant, der sich in einem Zuge bewege, sei durch unser neues Gesetz bereits ein potentieller Straftäter.
Nein, meine Damen und Herren, es ist genau umgekehrt: Wir werden uns bemühen müssen, wie ich bereits sagte, im Interesse derer, die auf sich und auf Friedfertigkeit halten, dafür Sorge zu tragen, daß das Demonstrationsgeschehen in unserem Lande von deutlicher Aussprache, aber immer von Friedlichkeit geprägt ist.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner?
Ja, bitte.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10205
: Vielen Dank. Herr Minister, da Sie mich eben selbst angesprochen haben, können Sie mir die Frage beantworten, ob beispielsweise der Schal, den ich heute hier trage, ein Vermummungsgegenstand ist oder nicht und woraus ich als Demonstrationsteilnehmer erkennen soll, welches ein zur Vermummung geeigneter Gegenstand ist und welches nicht, und weiterhin, wann ich diesen Gegenstand tragen darf und wann nicht, weil doch in Ihrem Gesetz steht, daß das schon auf dem Weg der Demonstration verboten sei.
— Im Winter kann ich gar nicht mehr demonstrieren. Sonst erkälte ich mich. Das ist klar.
Herr Abgeordneter Häfner, es hat seinen besonderen Reiz, bei allen Dingen immer wieder
an die Ursprünge zurückzukehren und alles neu hin-und herzuwenden. Ich habe gute Wünsche für Sie. Sie können sich unbesorgt dort, wo es geboten ist, mit einem Schal zu einer Demonstration bewegen.
Ja, ich wünsche Ihnen das für den Winter, weil ich jedem Menschen wünsche, daß er nicht Opfer einer schweren Erkältung wird. Aber wie Sie den Schal nicht anwenden dürfen, das wissen Sie auch. Dazu besteht auch keinerlei Veranlassung.Damit glaube ich, daß die Uraltfrage wieder einmal, inzwischen zum 325. Mal, beantwortet ist.
Meine Damen und Herren, ich meine, der friedliche Demonstrant hat keinen Grund, Befürchtungen wegen dieses Gesetzes zu haben. Das gilt um so mehr, als nunmehr im Versammlungsgesetz ausdrücklich geregelt werden soll, unter welchen Voraussetzungen die Polizei bei öffentlichen Versammlungen Bild- und Tonaufnahmen fertigen darf und wann sie gehalten ist, solche Aufnahmen wieder zu vernichten. Diese Regelung — speziell von seiten meiner Fraktion in die Debatte gebracht — hat auch meine Zustimmung und die Zustimmung der Bundesregierung aus drei Gründen.Zum einen: Mit der Vorschrift wird dem verfassungsrechtlichen Gebot Rechnung getragen, eine Rechtsgrundlage für die Anfertigung und für die Aufbewahrung von Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern an einer öffentlichen Versammlung durch die Polizei zu schaffen.
Zum zweiten: Inhaltlich trägt die vorgesehene Regelung der vielfach geäußerten Sorge Rechnung, daß Bürger von der Ausübung ihres Demonstrationsrechtsabgeschreckt werden könnten, weil sie befürchten, von der Polizei alleine wegen ihrer Teilnahme aufgenommen und dann registriert und gespeichert zu werden. Auf diese Sorge hat mehrfach auch bereits das Bundesverfassungsgericht hingewiesen.Im übrigen — weil die Frage auftauchte, daß auf einem Bild auch jemand sein kann, der da gar nicht gemeint ist — : Auch das läßt sich technisch bewältigen. Nur meine ich, daß wir — bei allem Interesse, Grundsätze durchzusetzen — schon auf dem Teppich des Realen bleiben sollten. Denn wer meint, daß er als Demonstrationsteilnehmer an einer Geheimversammlung teilnimmt, der ist am falschen Platz. Der wird sich in der Tat bereits als Passant auf der Straße allzusehr beobachtet fühlen und bleibt am besten in seinem stillen Kämmerlein.Zum dritten: Meine Damen und Herren, wesentlich erscheint mir schließlich, daß die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt wird und der Polizei klare Rechtsvorschriften und auch praktikable Rechtsvorschriften für die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen gegeben werden.Meine Damen und Herren, ein weiterer wesentlicher und wichtiger Teil ist in diesem Gesetzentwurf die Kronzeugenregelung. Ich habe in der ersten Lesung sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß dies nicht Gesetz nach unserem Vorschlag werden würde, wenn es nur darum ginge, bereits begangene schwerste Straftaten aufzuklären. Dies ist wichtig. Die Opfer haben einen Anspruch, daß wir nicht ruhen und rasten, um begangene Straftaten aufzuklären und die Täter der Bestrafung zuzuführen. Aber nach unserer Vorstellung und Zielsetzung muß etwas anderes hinzukommen — dies an der Spitze — : künftig Straftaten dieser Art, wo immer es geht, zu verhindern. Dazu haben wir jetzt zum Mittel der Kronzeugenregelung
in ihrer vorgeschlagenen befristeten Form gegriffen.Die Regelung, die heute vorliegt — und darauf möchte ich hinweisen — , hat sich in den Beratungen des Rechtsausschusses in einem wesentlichen Punkte verändert: Während ursprünglich der Generalbundesanwalt bei seiner Entscheidung — von der Verfolgung abzusehen — der Zustimmung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof bedurfte, soll nun an dessen Stelle ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs treten.
Dies bringt eine andere Qualität dieser Entscheidung. Hier tritt an die Stelle eines Einzelrichters das richterliche Kollegium. Damit sind manche der Befürchtungen und der Bedenken, die manchen bei der Debatte um die Kronzeugenregelung bewegt haben mögen, ganz sicherlich nicht mehr berechtigt.Meine Damen und Herren, die wirksame Bekämpfung der Gewalttätigkeit bei öffentlichen Demonstrationen, die Verhinderung, Aufklärung und Bekämpfung von terroristischer Schwerstkriminalität, das ist ein Anliegen, das uns doch sicher alle bewegt. Des-
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10206 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Bundesminister Engelhardwegen habe ich an Sie die Bitte, dem vorliegenden Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage auch: Herr Minister! Was dem Deutschen Bundestag angesonnen wird, heute zu verabschieden, sind „fleurs du mal", ein Strauß böser Blumen. Die Farben täuschen, auch wenn sie gelb eingefärbt sind: Sie sind Gift für den freiheitlichen Rechtsstaat.
Die Bundesregierung erweitert den Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei Vorliegen eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs. Das klingt für viele Bürger zunächst gut; denn sie hören, daß die reisenden gewalttätigen Berufsdemonstranten nun endlich festgenommen werden können, ehe sie wieder auf die Polizeibeamten losgehen.
Nur, was steckt wirklich hinter dieser Vorschrift? Auf Frage im Rechtsausschuß, auf welcher Rechtstatsachenforschung dieser schwere und gefährliche Eingriffstatbestand denn beruhe, mußte die Bundesregierung kleinlaut einräumen: auf keiner. Sie mußte auf Grund der Verurteilten-Statistik weiter einräumen, daß es 1987 nur ganze 57 Verurteilungen wegen besonders schweren Landfriedensbruchs gegeben hat, daß die Zahlen für 1986 und 1988 wohl nicht anders aussehen und daß darunter auch die Fälle von Vorgängen in Fußballstadien fallen. Realistisch gesehen gibt es danach pro Jahr nur etwa 30 Verurteilungen im Rahmen einer Demonstration.In Wahrheit ist damit die Zahl der von dieser Vorschrift erfaßten potentiellen Täter ganz außerordentlich gering. Die Festnahme der gewalttätigen reisenden Berufsdemonstranten — was ja suggeriert wird —wird sie schlechthin nicht ermöglichen. Die Vorschrift täuscht in ihrer Wirkung. Nun könnte man sich damit zufrieden geben, daß sie ja praktisch kaum wirksam werde. Da aber gibt es noch eine andere Wirkung, und die ist träufelndes Gift gegen den Rechtsstaat.Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr setzt nicht nur dringenden Verdacht voraus, eine der bezeichneten Straftaten begangen zu haben. Er verlangt dazu auch eine Prognose darüber, daß der Verdächtige eine solche Tat wieder begehen werde. Auf welch wackeligen Füßen eine solche Prognose stehen wird, kann sich jedermann vorstellen.Weil das so ist und weil die Gefahr besteht, daß dabei in der Eile Fehlprognosen gestellt werden, hat das Bundesverfassungsgericht besonders enge Voraussetzungen für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr verlangt. An deren Einhaltung hier bestehen ganz erhebliche Zweifel, solche Zweifel, daß die übergroße Mehrheit der gehörten Sachverständigen derMeinung war, daß wir die Finger davon lassen sollten.
Die Regierungsparteien schlagen das in den Wind. Sie suggerieren lieber Stärke
und nehmen dabei die Aufweichung des Rechtsstaates in Kauf.
Wir Sozialdemokraten bagatellisieren die schändlichen Morde und die noch immer bestehende Gefahr durch RAF-Mitglieder nicht. Ebenso wie Sie verurteilen wir die jüngsten Brandanschläge aus dem Umfeld der RAF zu deren Unterstützung.
Wir stehen ebenso wie Sie vor der bitteren Tatsache, daß die Kapitalverbrechen an Beckurts, von Braunmühl und Zimmermann noch immer nicht aufgeklärt werden konnten.Es ist richtig, daß wir Sozialdemokraten in der sozialliberalen Koalition neue Instrumente zur Bekämpfung des Terrorismus geschaffen haben. Dazu stehen wir. Wir haben im nachhinein nach etwas ruhigerer Betrachtung das eine oder andere etwas abgeschwächt und die Vorschrift der verfassungsfeindlichen Befürwortung von Straftaten, den unglücklichen § 88a, wieder abgeschafft. Wir hätten vielleicht auch, von heute aus betrachtet — das sei eingeräumt — , das eine oder andere etwas anders ausgestaltet. Aber im Kern waren unsere damaligen Maßnahmen auch aus heutiger Sicht nicht nur wirksam und richtig, sondern wir haben darüber hinaus den liberalen Rahmen des Strafrechts und des Strafprozeßrechts nie verletzt und vor allem nie in fundamentale Rechtspositionen eingegriffen oder diese für eine Sondergruppe zeitweise außer Kraft gesetzt.
Aber genau das tun Sie von den Regierungsparteien mit der sogenannten Kronzeugenregelung.Die von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien vorgesehene Kronzeugenregelung ermöglicht dem Generalbundesanwalt, mit einem terroristischen Gewalttäter direkt oder über dessen Anwalt einen regelrechten Handel abzuwickeln.
— Das ist ein Handel, Herr Stark, und nichts anderes!
Dabei kann der Generalbundesanwalt — man höreund staune — einem Mörder die lebenslange Frei-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10207
Dr. de Withheitsstrafe auf drei Jahre ermäßigen und einen Anstifter zum Mord sogar straflos stellen,
wenn diese ihr Wissen preisgeben und er, der Generalbundesanwalt, das für verhältnismäßig hält.
Er muß sich dazu allerdings der Zustimmung eines Strafsenats — ursprünglich hieß es noch: eines Ermittlungsrichters — des Bundesgerichtshofs versichern.Dabei aber kommt es — und das ist der Punkt — zu keiner öffentlichen Verhandlung. Hinter den Augen der Öffentlichkeit kommt es zum Deal. Es wird damit das Prinzip der Öffentlichkeit durchbrochen. Weder die Italiener noch die Spanier noch die Franzosen, die hier so gern zitiert wurden, sind auf die Idee gekommen, das bei sich so einzuführen.Das Legalitätsprinzip, die Pflicht, jeden ohne Ansehen der Person der gesetzlichen Strafe zuzuführen, wird hier für Kapitalverbrechen durchbrochen.
Das ist in dieser Form einmalig in unserer Rechtsgeschichte.
Und es gibt diese Privilegierung nur für Terroristen, nicht auch für andere entsprechende „normale" Täter. Damit wird der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt wie nie bisher.
Daß der Generalbundesanwalt dabei Gefahr läuft, getäuscht zu werden, liegt auf der Hand. Beispiele aus dem Ausland gibt es genug, aber eines auch aus dem Inland. Denn wir alle wissen um die Geschichte des Schmücker-Prozesses, der jetzt zum dritten Mal verhandelt wird. Dabei wird belegt, was ich eingangs andeutete: Die Rechtsvergewisserung mit dem Kronzeugen wird nicht größer, sondern kleiner.
Und hier wurde der Kronzeuge auch noch umgebracht. Nein, gegen den Kronzeugen muß der Verdacht bestehen, daß er sich reinwaschen oder aber andere reinlegen will. Daher das Mißtrauen.Daß dies alles das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat erschüttern muß, haben die gehörten Sachverständigen im Übermaß bestätigt; Zustimmung gibt es kaum. Die Gewerkschaft der Polizei ebenso wie der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund sperren sich.
Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren,hätte die Bundesregierung, am heutigen Tag einesgewissen Neubeginns, die Chance gehabt, sich mit Anstand zu korrigieren.
Es hätte der Glaubwürdigkeit gut getan.
Auf zwei Ungereimtheiten darf ich noch einmal zu sprechen kommen.Dieselben, die mit der Kronzeugenregelung tragende Rechtsprinzipien außer Kraft setzen, kritisieren den Bundespräsidenten, wenn er Gnadenerweise gegenüber RAF-Terroristen erteilt,
Gnadenerweise, die Ministerpräsidenten aller Couleur in ähnlichem Umfang vorgenommen haben.
Und sie kritisieren sozialdemokratische Justizminister, wenn diese den RAF-Gefangenen genau das anbieten, was der Staatssekretär des Bundesministers der Justiz, sicher mit dessen Zustimmung, auch getan hat.
Und ich sage hierzu: Wer das eine tut und das andere als das des Teufels kritisiert, der spricht — ich kann es nicht anders sagen, Herr Marschewski — für mich mit gespaltener Zunge.
Nicht viel anders sehen die Vorschläge zur Strafbewehrung des Vermummungsverbots und zur Bestrafung der sogenannten passiven Bewaffnung aus. Die Demonstration der Stärke verdeckt den verschleierten Eingriff in das Recht auf freie Demonstration. Mein Kollege Günter Graf wird hierzu Stellung nehmen.Ich will nur an Hand einer einzigen Vorschrift darlegen, wie hier unter dem Deckmantel des wehrhaften Staates gegen Grundprinzipien des Strafrechts verstoßen wird. Der neue § 23 des Versammlungsgesetzes bestraft die bloße Aufforderung zur Teilnahme an einer Demonstration, deren Auflösung die Polizei angeordnet hat, erstmals als Vergehen. Derjenige aber, der der Aufforderung folgt, begeht nur eine Ordnungswidrigkeit, macht sich also nicht strafbar. Nach den das Strafgesetzbuch beherrschenden Prinzipien ist dies verkehrt; denn normalerweise folgt die Behandlung des Anstifters der Behandlung des Täters.
Die hier vorgeschlagene Regelung — und das muß man sich einmal vergegenwärtigen — führt zu einem kuriosen und zugleich fatalen Ergebnis. Ruft der Polizeibeamte: „Die Demonstration ist aufgelöst" , entgegnet darauf der Demonstrant ärgerlich: „Ich mache weiter" , dann kann das eine Ordnungswidrigkeit oder aber ein Vergehen sein. Wird nämlich der Zuruf „Ich mache weiter" als spontane Antwort zu sich selbst verstanden, dann ist es nur eine Ordnungswidrigkeit. Legt aber die Polizei diesen Zuruf „Ich mache weiter" auch als Aufforderung gegenüber den Umstehenden aus, dann ist es ein Vergehen.Dr. de WithIch sage noch ein Weiteres: Es kommt nach der vorgeschlagenen Regelung überhaupt nicht darauf an, ob sich der Polizeibeamte dabei geirrt hat. Nachdem selbst bei dem Straftatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt der nicht bestraft wird, der sich rechtmäßig gegen einen irrenden Polizeibeamten wehrt — und Sie tun es hier im vorliegenden Fall nicht —, kann ich nur sagen: Offensichtlich wurde hier nicht die Feder geführt, sondern der Stock gehoben.
Natürlich haben Sie unter dem Druck der öffentlichen Meinung den Vorschlag — das habe ich schon erwähnt, und es ist auch schon vorher gesagt worden — der Befürwortung von Gewalttaten zurückgenommen. Und natürlich haben Sie hier und da Schönheitsreparaturen vorgenommen. Aber im Kern haben Sie gegenüber der ursprünglichen Vorlage nichts geändert.
Sie haben damit vielleicht, wie die „Süddeutsche Zeitung" gestern schrieb, einen Beitrag zum Koalitionsfrieden geleistet, einen Beitrag zum inneren Frieden in der Bundesrepublik aber sicher nicht.
Der heutige Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren,
wird nicht als hoffnungsvoller Neuanfang für die Bundesregierung Geschichte machen. Er wird als Niederlage für den Rechtsstaat, als Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten, er wird als schwarzer Tag Ihre Regierung markieren.
Wir werden in dritter Lesung Ihre Vorlage in namentlicher Abstimmung ablehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Novellierung verschiedener Gesetze im Bereich der inneren Sicherheit zeigt der Rechtsstaat Flagge, und diese Koalition zeigt Handlungsfähigkeit, auch wenn der Kollege Hirsch oder andere in diesem Zusammenhang etwas grummeln.
Wir wollten unseren Sicherheitsbehörden ein erfolgversprechenderes Instrumentarium an die Hand geben, um Gewalt bekämpfen zu können. Das wollen wir tun, auch wenn z. B. im vergangenen Jahr die Gewalt bei Demonstrationen tatsächlich nicht mehr so bestürzend war wie in den Jahren zuvor.
Aber ein ordnungsgemäßer Rechtsstaat hat die Verpflichtung, das, was er bei früheren Demonstrationen als Mangel erkannt hat, jetzt möglichst nicht mehr passieren zu lassen und dafür eben die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Daß wir uns bei dieser Zielsetzung mit Ihnen nicht einig sind, liebe Kollegen von der SPD, überrascht uns nicht; es kann uns aber auch nicht davon abhalten, daß wir das nach unserer Ansicht Richtige tun.
Frau Däubler-Gmelin, es ist schon etwas unseriös, wenn Sie sich auf angebliche Informationen aus dieser Gewalt-Kommission berufen,
nur um Ihren Argumenten, die vielleicht nicht so kräftig sind, die notwendige Autorität zu verleihen. Es ist wirklich unseriös, daß Sie das tun.
Zum Vorwurf an uns in Richtung Stammtische:
Ihre Argumentation zur Kronzeugenregelung rechtfertigt den Vorwurf, daß Sie sich nahezu im Tiefflug auf die Stammtische gestürzt haben.
— Ich habe mir lange überlegt, wie ich diese Verrenkung, die Sie veranstalten, kennzeichnen soll. Der
„Tiefflug auf die Stammtische" ist schon interessant.
Herr Abgeordneter Fellner, die Abgeordnete Frau Nickels möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident, ich würde darum bitten — nicht meinetwegen, sondern im Interesse der Kollegen, da wir ohnehin schon so weit in Verzug sind —, daß ich meine fünf Minuten schnell erledigen kann und daß wir es nicht weiter verzögern.
Meine Damen und Herren, ein Wesensmerkmal des Rechtsstaates besteht darin, daß er die Ausübung staatlicher Gewalt durch ihre Bindung an Recht und an Gesetze — und deshalb machen wir Gesetze — in Umfang und Einsatzmöglichkeiten begrenzt und dadurch den Bürger davor schützt, an der Ausübung seiner Freiheit von Staats wegen willkürlich gehindert zu werden.Aufgabe des Rechtsstaates ist es aber darüber hinaus auch, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, indem er sie davor bewahrt, Opfer von Übergriffen anderer Mitbürger zu werden, die es auf die Rechts- und Wirtschaftsgüter ihrer Nachbarn abgesehen haben.Aufgabe des Rechtsstaates ist also gleichermaßen, Übergriffe des Staates wie auch rechtswidrige Handlungen der Bürger zu bekämpfen und zu verhindern. Der Rechtsstaat hat also Sorge zu tragen, daß die gel-
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Fellnertende Rechtsordnung gewahrt und der innere Frieden aufrechterhalten wird.Zu den demokratischen Grundprinzipien gehört es, daß die Richtung der Politik von der Mehrheit des Volkes bestimmt wird. Ein Rechtsstaat muß gewährleisten können, daß rechtlich einwandfrei getroffene Entscheidungen von Parlament, Regierung und Administration auch umgesetzt und verwirklicht werden können. Ein Rechtsstaat kann es nicht hinnehmen, daß Entscheidungen und Maßnahmen des Staates gewaltsamer Widerstand entgegengesetzt wird. Es kann nicht hingenommen werden, daß Minderheiten, die aus guten Gründen keine Mehrheit für ihre Begehren erreichen, diese mit Gewalt und unter Mißachtung der Mehrheitsentscheidungen durchsetzen wollen.Ganz offensichtlich gibt es in der Bundesrepublik Deutschland politische Strömungen und Gruppen, die glauben, sich von der für alle gültigen Verbindlichkeit des Rechts lösen zu können. Zu ihren Strategien der Systemüberwindung gehören die Leugnung der Verbindlichkeit der Gesetze für sich selber und, als ein Mittel hierzu, die Ersetzung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs durch einen sie entlastenden soziologischen Gewaltbegriff. Beispiele und Erwartungen dazu haben wir ja heute schon wieder ausreichend erleben dürfen.Sie definieren die Anwendung von Gewalt in politischen Auseinandersetzungen als sogenanntes Widerstandsrecht und behaupten, dies sei legitim und notwendig. Gegen diesen Versuch, schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsordnung zu legitimieren, muß klare Position bezogen werden. Das haben wir u. a. bei dieser jetzt zur Verabschiedung anstehenden Novelle getan. Die Zuhilfenahme eines Widerstandsrechts in diesem Zusammenhang ist nichts anderes als die Perversion dieses Begriffs. In einer Diktatur beruht die geistig-moralische Berechtigung des Widerstandes darauf,
daß der Staat seinen Bürgern die elementaren Freiheitsrechte vorenthält. Gegen rechtsstaatliches Handeln im Rahmen der Gesetze und die demokratische Entscheidungsbildung im Verfassungsstaat kann es dagegen keine Legitimation zum Widerstand geben.
Wer das Entscheidungsrecht des demokratischen Rechtsstaates und die Bindung aller Bürger an das Gesetz in Frage stellt, betreibt die Auflösung des Rechtsstaates.
Er nimmt in Kauf, daß die Schutzfunktion des Staates außer Kraft gesetzt wird. Unser Rechtsstaat lebt nun einmal von der Verbindlichkeit des Rechtes für alle, egal ob es uns paßt oder nicht.
Er lebt von der Gleichheit aller vor dem Gesetz undvon der Gesetzestreue seiner Bürger. Niemand ist berechtigt, seine subjektiven Auffassungen zum allgemein maßgeblichen Maßstab für sein Verhalten zu machen und sich über das geltende Recht hinwegzusetzen.Gewalt und Rechtsbruch dürfen nicht beschönigt und nicht entschuldigt werden. Die Durchsetzung des Rechtsfriedens ist allein dem demokratisch legitimierten Staat übertragen. Die Alternativen wären Willkür und Faustrecht. Weil wir in der Vergangenheit mehrmals erleben mußten, daß diese Grundprinzipien mißachtet wurden und daß dieser Rechtsstaat nicht die Instrumente hatte, sich dagegen erfolgreich zur Wehr zu setzen, weil wir der Polizei nicht das ausreichende Instrumentarium dazu gegeben hatten, haben wir uns entschlossen, diese Novelle auf den Weg zu bringen. Wir halten das für ein Instrumentarium, das uns zumindest eine Chance gibt, daß sich Ereignisse, wie wir sie leider erleben mußten, in der Zukunft nicht wiederholen werden.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß der heutige 21. April als ein denkwürdiger Tag in die Geschichte dieser Bundesrepublik Deutschland eingehen wird, dies deshalb, weil die christlich-liberale Koalition heute hier mit einem liberalen Justizminister einen äußerst illiberalen Gesetzentwurf verabschieden will.
Illiberal ist dieser Gesetzentwurf unserer Auffassung zufolge, weil er dem eigentlichen Ziel, gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen wirksam zu bekämpfen, nicht gerecht wird. Vielmehr tangieren die gesetzgeberischen Maßnahmen in ganz erheblichem Umfange Grundrechtspositionen. Darüber hinaus gefährden sie die Akzeptanz des für das Strafrecht entscheidenden Legalitätsprinzips.Ich möchte zu zwei Bereichen kurz Stellung nehmen. Zum einen geht es um die Regelung für Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei öffentlichen Versammlungen, und zum zweiten um die Strafbewehrung der Verbote der Vermummung und der passiven Bewaffnung bei öffentlichen Veranstaltungen.Zunächst zu § 12 a, der sich mit Ton- und Bildaufnahmen befaßt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre wünschenswert, die Befugnisse der Polizei bundeseinheitlich zu regeln. Dieses erscheint mir schon deshalb notwendig, weil die Regelungsversuche der verschiedenen Bundesländer in dieser Frage nicht zustande gekommen sind. Die Entwürfe zur Novellierung der Polizeigesetze der Länder Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes, aber auch der CDU-geführten Länder Niedersachsen und Hessen trugen eine weitaus liberalere Handschrift als der Gesetzentwurf der Bundesregierung,
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Grafganz zu schweigen von dem von der SPD erarbeiteten Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder vom 21. Juni 1988.Dem vorliegenden Gesetzentwurf zufolge soll die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei künftig schon dann zulässig sein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen. Dies bedeutet doch schlicht und ergreifend nichts anderes, als daß allein das Vorliegen einer Gefahr für nicht unerhebliche Vermögenswerte, was immer das sein mag, ausreicht, um Dokumentation zu betreiben.Ich frage Sie: Was bedeutet eigentlich die Formulierung, die da lautet: ,,... oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen" ? Meinem Rechtsempfinden zufolge läßt es diese Formulierung zu, bereits bei nichtöffentlichen Vorbereitungstreffen in privaten Räumlichkeiten Bild- und Tonaufzeichnungen durch die Polizei zuzulassen. Dies bedeutet dann doch wohl auch nichts anderes, als daß die Polizei künftig Wanzen oder ähnliche Geräte anbringen darf, um Gespräche abzuhören, ohne selbst anwesend zu sein.
Ein solches vom Wortlaut des Gesetzes gedecktes Vorgehen verstößt nicht nur gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, sondern auch gegen die in Art. 13 des Grundgesetzes geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung.
Des weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, Bild- und Tonaufnahmen auch dann aufbewahren zu dürfen, wenn die betroffene Person verdächtigt wird, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung lediglich vorbereitet zu haben. Dieses heißt im Klartext, künftig dürfen Speicherungen auch dann vorgenommen werden, wenn es sich um nach unserer Rechtsordnung straflose Vorbereitungshandlungen handelt. Mit dieser Vorschrift wird eine Ermächtigungsnorm geschaffen, nach der gerade Daten kritischer Mitbürger, die sich in aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen engagieren — ich sage und betone ausdrücklich, wir brauchen diese kritischen Mitbürger — , auf Dauer gespeichert werden dürfen.
Kolleginnen und Kollegen, es ist mehr als bedauerlich, daß derart verfassungsrechtlich bedenkliche Regelungen Eingang in das Versammlungsgesetz finden sollen. Vielleicht wäre dies nicht geschehen, hätte man rechtzeitig die Datenschutzbeauftragten zu Rate gezogen.Lassen Sie mich noch kurz auf einen weiteren Tatbestand des Versammlungsgesetzes zu sprechen kommen. Denn aus über 10jähriger Berufserfahrung als Zug- und Hundertschaftführer einer Polizeihundertschaft, die in dieser Republik an vielen Standorten bei vielen gewalttätigen Demonstrationen teilgenommen hat, glaube ich — ich habe es hier schon einmal gesagt — , daß Sie, wenn Sie dieses ein bißchen ernsthaft betrachten, die Glaubwürdigkeit meiner Angaben nicht anzweifeln werden.
Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregierung erweckt den Anschein, als werde durch die jetzt vorgesehene Einführung der Strafbewehrung des Verbots der Vermummung und der passiven Bewaffnung die zunehmende Gewalt radikaler Gruppen bei demonstrativen Anlässen gesenkt oder verhindert. Tatsache ist jedoch — darauf ist bereits mehrfach hingewiesen worden — , daß die Zahl der unfriedlichen Demonstrationen im Jahre 1988 gegenüber den Vorjahren rückläufig war. Es steht fest — das ist unumstritten —, daß in den vergangenen Jahren beständig ca. 96 bis 97 % aller Demonstrationen friedlich verlaufen sind.Aufgabe der Politik ist es, zum Abbau des Gewaltpotentials beizutragen, d. h. die Politik muß geeignete Maßnahmen und geeignete Gesetze schaffen. Hier gibt es nun den politischen Streit über die Frage, ob das Sich-Vermummen in einer friedlichen Demonstration ein Straftatbestand werden soll oder nicht. Aus welchen rechtspolitischen Gründen das Sich-Vermummen in einer friedlichen Demonstration ein Straftatbestand werden muß, vermag ich auch nach der bisherigen Debatte nicht einzusehen. Schon jetzt kann die Polizei gegen Vermummte einschreiten. Sie darf deren Identität feststellen. Im Falle des Widerstandes macht sich der Vermummte strafbar. Wer sich vermummt, muß heute mit einer Geldbuße und morgen mit einer Geldstrafe rechnen. Ist dieses wirklich so entscheidend? Ich denke, daß sich diejenigen, die Straftaten planen und sich deswegen vermummen, durch ein strafbewehrtes Vermummungsverbot sicher nicht dazu bringen lassen werden, auf die ihnen schutzbietende Maskierung künftig zu verzichten. Vielleicht hinterläßt die Strafbewehrung einen nachhaltigeren Eindruck auf nicht gewaltbereite Bürger, aber sicher bin ich mir da nicht.Viel entscheidender dürfte sein, ob der Bürger erkennt, daß der Staat entschlossen ist, seinen Strafanspruch durchzusetzen. Dieses scheint mir bei der Einführung des Straftatbestandes der Vermummung nicht gewährleistet zu sein, denn durch den Ersatz des Opportunitätsprinzips durch das Legalitätsprinzip verliert der polizeiliche Einsatzleiter das entscheidende Mittel, die Friedlichkeit zunächst friedlicher Demonstrationen zu wahren. Ihm wird die Freiheit der Entscheidung genommen, auch dann für einen friedlichen Verlauf der Demonstration zu sorgen, wenn Vermummte auftreten. Vor diesem Hintergrund wage ich hier die Behauptung, daß sich künftig Bild und Charakter bisher friedlich verlaufender Demonstrationen ändern werden, wenn die Strafbewehrung des Vermummungsverbots durchgesetzt wird, und dies ist ja wohl der Fall. Ein solches Gesetz, wie es heute hier beschlossen werden soll, wird nicht das Gewaltpotential abbauen, sondern das Gegenteil bewirken.
Kolleginnen und Kollegen, die von mir nur stichwortartig aufgegriffenen wesentlichen Änderungen
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Grafdes Versammlungsgesetzes lassen eindeutig erkennen, daß die geplanten Neuregelungen verfassungsrechtlich mehr als bedenklich sind.
In dem Volkszählungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht u. a. ausgeführt, daß, wer damit rechnet, bei der Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert zu werden, möglicherweise von vornherein auf die Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichtet. In der Brokdorf-Entscheidung hat das gleiche Gericht hierauf verwiesen und darüber hinaus gefordert, daß der Maßstab für staatliche Maßnahmen, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit beschränken, wegen der besonderen Bedeutung dieses Grundrechts in einer Demokratie besonders streng sein muß. Diesem Maßstab wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht gerecht. Er ermächtigt die Polizei zur Vornahme exzessiver Maßnahmen, die geeignet sind, den staatsfreien Charakter von Versammlungen zu beeinträchtigen und die Bürger von der Wahrnehmung ihrer Grundrechte abzuhalten. Hierin liegt nach unserer Auffassung ein Verstoß gegen den Art. 8 des Grundgesetzes und auch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.Ein letztes Wort. In der Anhörung des Rechtsausschusses am 30. November 1988 zu dem vorliegenden Gesetzentwurf hat die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen die vorgesehenen Neuregelungen abgelehnt, kritisiert und zum Teil als schädlich bezeichnet. Vor diesem Hintergrund frage ich: Welchen Sinn haben eigentlich Anhörungen, wenn die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP die Ergebnisse rüde ignorieren? Daß die FDP ihre liberalen und rechtsstaatlichen Grundsätze auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert hat, ist bezeichnend für die Qualität dieses Gesetzes.Die SPD-Fraktion lehnt aus den vorgenannten Gründen diesen Gesetzentwurf ab.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft sich gut, daß ich jetzt gleich nach dem Kollegen Graf spreche; denn — das wissen Sie alle —: Die FDP hat diese Gesetze ursprünglich nicht gewollt;
wir haben sie nicht betrieben. Herr Kollege de With, ich wiederhole gerne das — Sie haben mich gestern dazu aufgefordert — , was ich gestern in einer anderen Debatte gesagt habe, daß es nämlich ein Irrglaube sei, die Lösung von Problemen immer und überall in der Verschärfung von Gesetzen sehen zu wollen.
Das ist der Grundsatz, meine Damen und Herren. Nur, in diesem Falle haben wir innerhalb der Koalition ja langen Streit gehabt,
ob diese Gesetze nötig sind oder nicht.Wir als FDP sagen aber: Wir halten uns nicht unbedingt und nicht in jeder Lage für die Klügsten.
Wir setzen unsere eigenen Vorstellungen nicht absolut. Wenn es mit achtbaren und vertretbaren Gründen bei unserem Koalitionspartner die Meinung gab, man müsse die Gesetze ändern, dann haben wir letzten Endes gesagt: Wir wollen uns diesem Wunsch nicht entziehen, aber es kommt darauf an, diese Gesetze, wenn sie gemacht werden, rechtsstaatlich dann so abzusichern, daß sie mit den Grundrechten in Einklang stehen und daß sie insbesondere das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nicht einschränken. Dies, meine Damen und Herren, ist gelungen.
Gegenüber den ursprünglichen Plänen, insbesondere was der Koalitionspartner CSU verlangt hat, sind diesem Gesetz in einem guten Kompromiß bestimmte Zähne gezogen worden.
Ich möchte als Beispiel den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nennen, der ja, Herr de With, im Gesetz längst drinsteht, z. B. für schweren Diebstahl oder für gefährliche Körperverletzung.
Der einzige Punkt, der sich jetzt geändert hat, ist der, daß wir den Fall nicht des einfachen, sondern des schweren Landfriedensbruches in den existierenden Katalog mit einbeziehen. Wo soll denn da ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze sein? Oder wollen Sie behaupten, daß ein schwerer Diebstahl ein schwereres Delikt sei als der schwere Landfriedensbruch, wo jemand immerhin mit Waffen bei sich in einer Demonstration Gewalt ausübt? Dieses Argument ist überhaupt nicht haltbar.
Ich füge hinzu: Es muß ja ein Täter sein, der mindestens eine einjährige Freiheitsstrafe zu erwarten hat. Da können Sie nicht von Vorbeuge- oder Verdachtshaft reden. Anders — das sage ich in Klammern — ist es in Bayern, wo nämlich tatsächlich nicht nur der Täter, sondern nach dem neuen Landesgesetz jemand in Vorbeugehaft genommen werden kann,
auch wenn er als Täter gar nicht in Frage kommt, sondern sich nur irgendwie verdächtig gemacht hat. Alldies ist in unserem Vorschlag völlig sauber geregelt.
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10212 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Herr Abgeordneter Irmer, der Abgeordnete Penner möchte dazu eine Zwischenfrage stellen.
Gerne, wenn Sie mir nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ich rechne Ihnen das nicht an.
Herzlichen Dank.
Herr Irmer, ich habe da so etwas gehört: Trifft es eigentlich zu, daß nach den Vorstellungen der FDP der Unterbindungsgehorsam demnächst im Quellensteueramt vollzogen werden soll?
Verehrter Herr Kollege Penner, ich gebe Ihnen darauf die Antwort, daß Sie diesen brillanten Vorschlag vielleicht bei dem Kabarett anbringen, das vor einigen Tagen hier in Bonn Premiere gehabt hat. Sie werden sich sicher über diesen zusätzlichen Gag besonders freuen.
— Darf ich die Kollegen bitten, sich doch vielleicht auf die Sache zu konzentrieren.
Ich möchte Ihnen nämlich jetzt eine ganz wesentliche Antwort auf das larmoyante Gezeter geben, das hier angestellt wurde, durch die Strafbarkeit des ja bereits längst existierenden Vermummungsverbotes werde die Demonstrationsfreiheit in ihren Grundfesten ausgehöhlt. Meine Damen und Herren, das ist doch Unsinn, und zwar ganz einfach deshalb : Die Vermummung und die passive Bewaffnung sind doch bereits heute verboten.
Sie sind doch verboten. Was hier geändert wird, ist lediglich die Sanktion.
Die Art der Sanktion kann doch nicht an den Grundfesten dessen rühren, was als Grundrecht Versammlungsfreiheit nach wie vor besteht und grundrechtlich gesichert ist.
Meine Damen und Herren, Sie argumentieren, wenn Sie die Friesennerze und die Mopedhelme hernehmen, doch immer vom Extremfall, vom Grenzfall aus.
Wir reden vom schwarzen Block, um den es uns geht, und der schwarze Block muß von der Straße weg.
Das mag der Bürger am Fernsehen nicht mehr sehen. Ich sage Ihnen, der schwarze Block gefährdet die Demonstrationsfreiheit,
weil sich nämlich niemand mehr dafür interessiert,
weshalb, wofür oder wogegen die Leute demonstrieren, sondern man interessiert sich nur noch für die Begleitumstände. Das ist eine faktische Gefährdung der Demonstrationsfreiheit und des entsprechenden Grundrechtes.
— Herr de With, sofort.
Noch eines. Wer behauptet, daß die Polizei demnächst den Mopedfahrer behelligt, der mit dem Motorrad zur Demonstration gefahren ist, und vor den Strafrichter zerrt, der unterstellt von vornherein, daß die Polizei dieses Gesetz falsch und rechtswidrig anwenden wird.
Denn ein harmloser Mopedfahrer, der auf der Fahrt gemäß der Straßenverkehrs-Ordnung den Helm getragen hat, ihn jetzt mitnimmt, damit er nicht geklaut wird, der begeht eben keine Straftat, auch nach dem neuen Recht nicht.
Sie unterstellen dem Polizisten, daß er rechtswidrig handelt und diesen Menschen herausgreift.
Da muß ich erst einmal etwas sagen. Die Polizei hat bei allen diesen Demonstrationen eine unglaublich schwere Aufgabe; Herr Graf, das werden gerade Sie bestätigen.
Wir sollten sie nicht diskriminieren, indem wir ihr von vornherein unterstellen, daß sie rechtswidrig handeln wird.
Bevor ich dem Abgeordneten de With das Wort zu einer Zwischenfrage erteile, möchte ich Sie, Frau Abgeordnete Unruh, und Herrn Abgeordneten Such darauf aufmerksam machen, daß Herr Abgeordneter Irmer das Wort hat und nicht Sie. Wir haben im Moment genug Unruhe im Saal.
Ich wäre also dankbar, wenn Sie das ein wenig berücksichtigen würden.
Herr Abgeordneter de With, Sie haben nun das Wort.
Herr Kollege Irmer, sind Sie bereit einzuräumen, daß sich nach dem neuen Recht auch derjenige als Demonstrant strafbar macht, der spontan einem Aufruf eines Buchhändlers, der den Mordauftrag Khomeinis geißeln will, folgt, sich dabei unkenntlich macht, um den Schergen des Iran zu ent-
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Dr. de Withgehen, und zwar für den Fall, daß der Buchhändler in der Eile versäumt hat, sich eine Genehmigung zu besorgen?
Er wird niemals bestraft werden können, weil er einen Rechtfertigungsgrund hat.
— Er hat doch einen Rechtfertigungsgrund. Der kann doch nicht bestraft werden.
Das ist dasselbe Beispiel wie das, das immer gebracht wird, daß die AIDS-Kranken Angst haben, am Fernsehschirm in ihrem Dorf erkannt zu werden; die haben doch einen Rechtfertigungsgrund. Die dürfen sich doch vermummen, das ist doch ganz klar. Gegen die richtet sich das alles doch nicht.
Herr Abgeordneter Irmer, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner zu beantworten?
Herr Häfner, ja. Vizepräsident Cronenberg: Herr Häfner.
Herr Abgeordneter Irmer, sind Sie der Meinung, daß die Klarheit, die Sie hier vorgeben wollen, aus dem Gesetzentwurf hervorgeht, oder sind Sie der Meinung, daß Sie aus Ihren langatmigen Äußerungen hervorgehen soll?
Ich bin der Meinung, daß sie aus der einzig vernünftigen, rechtlich sauberen Interpretation der Gesetzestexte hervorgeht; daran kann es keinen Zweifel geben.
Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, ich muß in der ganz kurzen Zeit, die mir hier noch verbleibt, einen Punkt noch ansprechen, und zwar betrifft das die Sache mit den Fotos. Herr Kollege Häfner, Sie haben ja vollkommen unrecht. Sie können doch lesen; ich selbst habe Sie schon des öfteren dabei ertappt.
Deshalb lesen Sie doch jetzt einmal den Gesetzestext, und nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß hier steht, die Fotos, die angefertigt worden sind, müssen „unverzüglich" vernichtet werden!
Das ist völlig neu. Bisher war nichts geregelt. Sie müssen nach der Demonstration unverzüglich vernichtet werden. Mit zwei Ausnahmen.
— Ja, natürlich — , und zwar „für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern" .
Oder wollen Sie, daß die Fotos von den Gewalttätern vernichtet werden und im Strafprozeß gegen sie nicht verwendet werden können? Ich will das nicht; ich will die als Beweismittel haben.
Ich komme auf den zweiten Punkt,
nämlich weil „im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtig ist" usw. Herr Kollege Häfner, da haben Sie die Antwort auf Ihre Frage, was mit denen geschieht, die zufällig mit auf das Bild gekommen sind. Deren Gesichter müssen nämlich herausgeschwärzt werden, oder die Betroffenen, um die es sich hier handelt, müssen herauskopiert werden, und alle anderen Fotos müssen vernichtet werden.
Das sagt der Gesetzestext, und nichts anderes.
— Herr Kollege Häfner, wir können uns im Anschluß an das Plenum gerne unten treffen. Dann werde ich Ihnen Nachhilfeunterricht in Gesetzesinterpretation geben, den Sie offensichtlich dringend nötig haben, wie es sich ja schon öfter herausgestellt hat.
Im übrigen: Wenn Sie vorher von der friedengefährdenden Politik der Bundesregierung gesprochen haben, dann haben Sie sich alleine dadurch disqualifiziert; dann braucht man auch übrige Argumente nicht ernstzunehmen.
— Ich bin am Ende, Herr Präsident.
Ich will noch eines sagen: Wir haben uns die Zustimmung zu diesem Gesetz nicht leicht gemacht. Wir werden aber, mit Ausnahme einiger Kollegen, deren Motive ich sehr achte, diesen Gesetzen mehrheitlich zustimmen, und zwar deshalb, weil wir hoffen, daß sie zum inneren Frieden beitragen, und weil wir fest davon überzeugt und sicher sind, daß dies eine rechtsstaatlich saubere, verfassungskonforme, tadellose Regelung ist. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die notwendige Ruhe für den Abgeordneten Wüppesahl herzustellen.
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10214 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Die Bestrafung besteht darin, daß mir von meinen fünf Minuten für einen Sachbeitrag zwei Minuten rechtswidrig weggenommen wurden. Ein GO-Beitrag wird einfach als Sachbeitrag deklariert. So geht es hier im Deutschen Bundestag in bezug auf Einzelabgeordnete zu.
Ich lasse andere für mich sprechen und zitiere. Zum erpresserischen Menschenraub — § 239 a StGB — und Geiselnahme — § 239b StGB — sagen folgende Experten: die Strafverteidigervereinigung: „Es ist eine akademische Perfektionsphantasie. Es besteht kein Bedarf dafür. Es ist bedenklich."
Es sagt der Deutsche Anwaltverein dazu: „Kriminalpolitisch gefährlich". Es sagt Professor Dr. Pfeiffer dazu: „Unerwünschte Konsequenzen werden die Folgen sein. "
Zu der Strafverschärfung für Waffendiebstahl — § 243 StGB — machen folgende Experten die jetzt zitierten Aussagen: die Internationale Liga für Menschenrechte: „Verhaftung von gefährlichen Gedanken" und „Anlaß zur großen Sorge". Der Ex-BGH-
„ Gesinnungsstrafrecht" . Der Deutsche Richterbund sagt: „Kaum praktikabel",
wie übrigens auch die meisten Praktiker. Der Deutsche Anwaltverein sagt: „nichts anderes als Gesinnungsstrafrecht" und „Zensur". Die Strafverteidigervereinigung sagt: „innerstaatliche Feinderklärung".
Dies, meine Damen und Herren, ist das, was Sie gerade lobpreisend an die Bevölkerung zu vermitteln versucht haben oder für das Sie hier auch noch werbend irgendwelche Stimmen einzuheimsen versucht haben.
Ich habe in der Tat das Problem, daß ich einen Sachbeitrag für zehn Minuten vorbereitet habe. Ich versuche jetzt, noch ein Kapitel loszuwerden.
Zwei Beispiele: Aus Protest gegen die jüngst festgestellte Trinkwasserverseuchung planen zahlreiche Initiativen in der Gemeinde X eine Kundgebung vor dem Gebäude der örtlichen Wasserwerke. Mit einem Foto vor deren Wasserspeichern sowie der ironischen Unterzeile „Wer hat denn da Nitrat hineingestreut?" weist die Regionalzeitung auf diesen Termin hin. Die zur Polizei vorgeladene Elterninitiative „Sauberer Babytrunk" will und kann auf Befragen keine genaue Auskunft über die Zahl der voraussichtlich zur Demo mitgebrachten Kleinkinder geben. Unter Hinweis auf deren mögliche Gefährdung durch auswärtige Gewalttäter wird die Kundgebung daraufhin verboten, allerdings wenige Stunden vor Beginn gerichtlich wieder erlaubt. Bis dahin hängt im örtlichen Kindergarten das von einem Erzieher angebrachte Aufrufflugblatt.
Meine Damen und Herren, in diesem Vorgang fallen nach Ihren Gesetzen, die Sie jetzt verabschieden wollen, folgende strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Bewehrungen an: Bußgeld bis zu 5 000 DM für die Vertreter und Vertreterinnen der
Elterninitiative, Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr für den Erzieher des Kindergartens, wegen Fehlverhalten vor und nach der Kundgebung Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr sowie Bußgeld bis zu 1 000 DM für die Familie F., für den Sprayer S. Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Untersuchungshaft und Verurteilung auf Grund unüberprüfbarer Anschuldigungen eines unbekannt gebliebenen Kronzeugen.
Das ist jetzt nur ein Beispiel. Ich habe dazu noch ein paar andere Beispielfälle.
Die rote Lampe leuchtet auf. Ich denke in der Tat, Sie werden sich im Ältestenrat noch einmal unterhalten müssen, was Sie zukünftig mit meinem verfassungsrechtlich verankerten Rederecht machen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Manifest einer sogenannten Bürgerrechtsbewegung, das mir dieser Tage auf den Tisch flatterte, heißt es, die Freiheit sterbe mit Sicherheit. Das soll wohl heißen: die Freiheit sterbe mit Sicherheit durch die Sicherheitsgesetze. Ein anderes Wort, das vielfach zitiert wird, geht dahin, daß die Freiheit zentimeterweise sterbe.In der Tat, eine Republik kann auch zentimeterweise sterben. Sie stirbt nämlich dann, wenn sie ihren Feinden nicht mit der nötigen Entschiedenheit entgegentritt.
Wir hatten Gelegenheit, uns gerade in den letzten Tagen daran zu erinnern, wie die Weimarer Republik zugrunde gegangen ist, wie sie zentimeterweise von einem Mann zerstört wurde, der sie zerstören und ein Terrorregime errichten wollte.
Eine der Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik, die Sie vergessen haben, war — das war für die Schöpfer des Grundgesetzes noch verbindlich —, daß wir eine wehrhafte Demokratie haben wollen
und daß es keine Freiheit für diejenigen geben soll, die diese Republik zerstören wollen.
Daraus folgt für mich, daß wir auch mit Entschiedenheit denen gegenübertreten müssen, die sich vermummt und passiv bewaffnet auf eine Demonstration begeben.Herr Kollege Hirsch, es mag ja richtig sein, daß es in einem Staat, in dem durchweg friedlich demonstriert wird, durch das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gedeckt ist, wenn sich jemand eine Theatermaske vor das Gesicht bindet, um damit vielleicht sein Anliegen zu unterstreichen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10215
EylmannAber so ist doch wohl die Wirklichkeit in unserer Republik nicht. Das ist reine Theorie.
Ich will Ihnen die Realität einmal durch das Zitieren einer Pressemeldung vor Augen führen:Mit Schlagstöcken, Gaspistolen und Ketten bewaffnet haben in Berlin in der Nacht zum Freitag— letzte Nacht —Hunderte von Menschen Jagd aufeinander gemacht. Linksgerichtete versuchten, Neonazis aufzuspüren, die zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers Aktionen angekündigt hatten. Sie patrouillierten nach Angaben der Polizei in den Straßen, warfen Bauwagen um und zertrümmerten Fensterscheiben. Die Polizei zählte 13 verletzte Beamte, 100 Festnahmen und eine Vielzahl von Anzeigen wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Landfriedensbruchs und der Bildung bewaffneter Haufen.Und Sie tun so, als ob der schwarze Block ein Kaffeekränzchen auf dem Pfingstausflug wäre.
Das ist doch die Situation.
Die eindeutige Mehrheit derjenigen, die sich heute vermummt und passiv bewaffnet auf eine Demonstration begeben, wollen dort Gewalt anwenden oder nehmen zumindest Gewaltanwendung in Kauf. Das ist die Realität, die jeder in dieser Republik kennt. Nur Sie wollen sie nicht wahrhaben.
Herr Abgeordneter Eylmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch zu beantworten?
Gern.
Herr Kollege, ist es denn nicht so, daß gegen alle von Ihnen eben aufgezählten Straftaten schon Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren angedroht sind, so daß es eines solchen Gesetzes gar nicht bedürfte?
Herr Kollege Hirsch, Sie wissen, daß wir vor Jahren beide an dem Zustandekommen des sogenannten Berliner Kompromisses beteiligt waren und daß ich mich damals dafür eingesetzt habe, die Vermummung zunächst nur als Ordnungswidrigkeitentatbestand zu verfolgen. Ich gehe durchaus vorsichtig mit dem scharfen Mittel des Strafrechts um. Aber Sie wie ich müssen eigentlich zur Kenntnis nehmen, daß wir damit nichts erreicht haben und daß die schwarzen Blöcke auf unseren Straßen nach wie vor ihr Unwesen treiben.
So ist es leider. Dann müssen wir, die wir vorsichtig mit dem Mittel des Strafrechts arbeiten wollen, daraus auch die Konsequenz ziehen.
Bedenken Sie, welche Auswirkungen es auf die Motivation unserer Polizisten haben muß, wenn wir sie diesen gewaltsamen Angriffen Vermummter schutzlos aussetzen.
Das Zurückweichen des Parlaments vor der Gewalt hat korrumpierende Wirkung auf die innere Einstellung derjenigen, die aufgerufen sind, die Freiheit auf den Straßen zu verteidigen. Vergessen wir das nicht! Es gibt genug Warnungen aus der Polizei, der Polizeiführung, zuletzt in Hamburg.Die Haltung der Sozialdemokraten ist leider Gottes gekennzeichnet durch eine Mischung aus Unentschlossenheit, Unbelehrbarkeit und Nachgiebigkeit gegenüber der Gewalt.
Hinter Ihrer heutigen Haltung steht dieselbe Verharmlosung politisch motivierter Gewalt, wie sie am Fall der Hafenstraße deutlich geworden ist.
Vor Jahren haben dort Leute Häuser besetzt. Nein, man hat die Häuser dann ja nicht räumen lassen, man hat ja politisch argumentieren wollen, man hat das Recht nicht angewandt. Herr von Dohnanyi schloß Verträge mit den Rechtsbrechern und ließ sich in der deutschen Öffentlichkeit als Friedensfürst feiern. Ein gefühliges Beben ging durch einen Teil unserer veröffentlichten Meinung: Hier habe ein Mann denen, die gefehlt haben, endlich die Hand gereicht, und das sei doch ein sicheres Mittel, um den Frieden zu wahren.
Meine Damen und Herren, und was ist daraus geworden? Sie haben die alte Lehre vergessen, daß das Zurückweichen vor dem Gewalttäter ihn nur zu weiteren Gewalttaten provoziert. Heute sind Sie alle der Meinung, daß das Hafenstraßen-Experiment gescheitert ist. Nur, Sie ziehen für die anderen Fälle nicht die Konsequenzen daraus.
Das ist das Bedauerliche.Wann werden Sie denn endlich lernen, daß man der Gewalt nicht dadurch beikommt, daß man gute Miene zum bösen Spiel macht, sich in den schmückenden Mantel vermeintlicher Liberalität hüllt und von politischen Mitteln redet, wenn man die Abkehr von der Durchsetzung des Rechts kaschieren will? Wir bedauern, daß wir auf Sie ja nur noch in eingeschränktem Maße zählen können, wenn es um die Verteidigung der inneren Sicherheit geht. Die opportunistische Rücksichtnahme auf die AL in Berlin durch den Bür-
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10216 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Eylmanngermeister Momper in der Hungerstreik-Frage hat dies ja hinreichend deutlich gemacht.Meine Damen und Herren, Sie können aber sicher sein: Wir werden uns diese Republik, die wir gemeinsam mit Ihnen sehr mühsam aufgebaut haben, nicht kaputtmachen lassen, auch nicht zentimeterweise von schwarzen Blocks,
von Freunden der Gewalt, von Gegnern dieser Republik, mögen sie ihre Motivation nun aus der linksradikalen oder aus der rechtsradikalen Szene beziehen. Wir werden diese Republik mit den nötigen rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen!
Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Hillerich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion DIE GRÜNEN möchte ich getrennte Abstimmung in der zweiten Lesung zu den einzelnen Artikeln beantragen, um einigen Mitgliedern des Hauses eine Abstimmung entsprechend ihrer — zum Teil auch öffentlich geäußerten — persönlichen politischen Überzeugung zu ermöglichen, insbesondere was den letzten Artikel mit der Kronzeugenregelung betrifft.
Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.
Eine fürsorgliche Verwaltung hat dies in der Debattenplanung ohnehin vorgesehen, Frau Abgeordnete.
Da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, darf ich zur Abstimmung kommen, zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten in der Ausschußfassung. Es handelt sich um die Drucksachen 11/2834 und 11/4359.
Wie Sie eben gehört haben, wünscht die Fraktion der GRÜNEN, daß über die Einzelvorschriften getrennt abgestimmt wird. Ich verfahre so und rufe den Art. 1 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Art. 1 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 2 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist Art. 2 angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Wieder keine. Damit ist auch Art. 3 angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 4 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? —
— Das Sitzungspräsidium ist sich über die Mehrheitsverhältnisse völlig einig.
Ich frage noch nach Enthaltungen zu Art. 4. — Keine. Damit ist Art. 4 angenommen.
Ich rufe den Art. 5 auf. Wer stimmt dafür? — Dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist auch der Art. 5 angenommen.
Ich rufe den Art. 6 auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltung. Damit ist auch der Art. 6 angenommen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer stimmt für Einleitung und Überschrift? — Dagegen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltung.
— Entschuldigung. Eine Enthaltung. Der Abgeordnete Hirsch hat sich enthalten. Wir werden das selbstverständlich im Protokoll vermerken. — Damit sind auch Einleitung und Überschrift angenommen worden.
Bevor wir zur dritten Lesung kommen, habe ich verschiedene Wortmeldungen abzuwickeln.
Ich gebe zunächst dem Abgeordneten Dr. Hirsch, der zugleich für die Abgeordneten Baum, Lüder, Richter, Frau Dr. Segall und Zywietz sprechen möchte, nach § 31 unserer Geschäftsordnung das Wort. Herr Dr. Hirsch, ich möchte mich nur vergewissern: Es liegt mir auch eine Wortmeldung des Abgeordneten Lüder vor. Ist sie damit erledigt? — Sie ist nicht erledigt. Herr Lüder möchte trotzdem sprechen. In Ordnung. Herr Dr. Hirsch, Sie haben das Wort.
Wir, die genannten Abgeordneten, können diesem Gesetz nicht zustimmen. Wir lehnen es ab. Es dient weder der inneren Sicherheit noch dem inneren Frieden.
Gewalt ist kein zulässiges Mittel der politischen Auseinandersetzung. Es ist auch richtig, daß die sogenannte Vermummung die Ausübung von Gewalt erleichtern kann. Sie ist auch eine bewußte Provokation. Es ist töricht und ein Mangel an Zivilcourage, sich zu vermummen. Das rechtfertigt aber kein Gesetz, das zur weiteren Entfremdung vieler Bürger vom Staat beitragen wird, das zur Überreaktion verleitet und das die Gewaltlosigkeit nicht fördert.
Der Gesetzentwurf setzt den Weg fort, Beweisschwierigkeiten dadurch zu lösen, daß die Straftatbestände bis zum Verdachtstrafrecht ausgedehnt werden. Er fordert die Polizei heraus, gegen Leute vorzugehen, die sich zwar töricht verhalten, aber noch nichts Strafwürdiges tun. Der Entwurf unterläßt es, das sogenannte Legalitätsprinzip, also die Handlungspflicht der Polizei, zu begrenzen. Damit schiebt er ihr eine Verantwortung zu, die sie nicht tragen kann. Die einen werden ihr hinterher vorwerfen, daß sie durch vorzeitiges Eingreifen die Krawalle selber ausgelöst hat, und die anderen werden ihr hinterher vorhalten, sie habe nicht rechtzeitig eingegriffen und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10217
Dr. Hirschsie habe geduldet, daß vor ihren Augen Tatbestände verwirklicht werden, die der Gesetzgeber mit Gefängnis bedroht.
Der Umfang und die Ungenauigkeit der vorgeschlagenen Strafvorschriften lösen sich von rechtsstaatlichen Grundsätzen. Sie sind ohne Beispiel.
Als passiv bewaffnet wird schon derjenige mit Gefängnis bedroht, der sich mit dem Mopedhelm in der Hand auf den Weg zu einer öffentlichen Veranstaltung begibt,
wenn irgendwelche Umstände zu der Annahme führen, er wolle sich mit dem Helm davor schützen, von einem Polizeibeamten einen Schlag auf den Kopf zu bekommen. Ist das strafwürdig?
Welche Umstände sollen die Polizei zu der Annahme berechtigen, er führe Böses im Schilde? Und muß der sogenannte Täter diese Umstände kennen? Soll die Polizei wirklich denjenigen festnehmen dürfen, der ein Kleidungsstück bei sich hat, mit dem er sich vermummen kann?Wieso muß ich mich unter Strafandrohung photographieren lassen, wenn ich ein Bürgerrecht ausüben will?
In Wirklichkeit wird die Absicht vermutet, Gewalt auszuüben. Und diese vermutete Absicht wird unter Strafe gestellt. Das ist Verdachtstrafrecht und in einem Rechtsstaat unannehmbar.
Unannehmbar ist auch die vom Rechtsausschuß neu eingeführte Bestimmung offener oder heimlicher Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern oder im Umfeld einer Versammlung oder Demonstration. Diese Regelung führt nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, zur Einschränkung staatlicher Befugnisse, sondern sie schafft zum ersten Mal eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für heimliche polizeiliche Bild- und Tonaufnahmen auch bei Versammlungen in geschlossenen Räumen.
Sie schafft nicht nur die Möglicheit, bei einem Verdacht auf künftige erhebliche Gefahren Ton- und Bildaufnahmen vorsorglich aufzubewahren; sie läßt es auch zu, sie für andere Zwecke zu verwenden und sie weiterzugeben, und das alles ohne richterliche Kontrolle und ohne die Benachrichtigung des Betroffenen, der nicht einmal wissen kann, daß Bild- und Tonmaterial über ihn aufbewahrt wird. Entspricht dasder Bedeutung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit?
Die gesetzgeberische Absicht, durch eine einschränkende Regelung zum inneren Frieden beizutragen, Demonstrationen oder öffentliche Versammlungen unter einen besonderen Schutz zu stellen, ihnen einen besonderen Freiheitsraum zu sichern, wie es unserer Verfassung entsprechen würde, wird in ihr Gegenteil verkehrt.
Die Feststellung des Rechtsausschusses zum Kronzeugen im Ausland haben die Zweifel an der Wirksamkeit dieser Regelung bestätigt. Wir sind mit unserer Meinung auf dem Mannheimer Parteitag in der Minderheit geblieben. Wir übersehen nicht, daß die Beratungen bei einzelnen Regelungen zu besseren Ergebnissen geführt haben. Der Kern aber ist unverändert geblieben: der Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Bestimmtheit der Strafdrohung, die Strafbarkeit nicht der Tat, sondern der vermuteten Absicht, eine verheerende Regelung heimlicher Bild- und Tonaufnahmen und eine Kronzeugenregelung, die in dieser Form in keinem anderen Rechtsstaat akzeptiert wird. Darum lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident, die fünf Minuten werde ich nur zu einem Fünftel ausnutzen, um uns alle nicht überzustrapazieren.
Das Haus wird es Ihnen danken.
Zusätzlich zu den vom Kollegen Dr. Hirsch auch für mich vorgetragenen Bedenken gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzentwurf es, die mein Nein insgesamt begründen, stütze ich meine Ablehnung auf einen weiteren für mich rechtsstaatlich wichtigen Punkt.
In § 112 a StPO soll als weiterer Haftgrund der Verdacht des wiederholten Verstoßes gegen die Strafbestimmung des schweren Landfriedensbruchs aufgenommen werden. Die Ausschußberatungen haben hier zu meiner Überzeugung ergeben, daß es keine rechtstatsächlichen Anhaltspunkte dafür gibt, daß auf Grund dieser neuen Vorschrift tatsächlich richterliche Haftbefehle ergehen werden. Ich habe da sehr intensiv im Rechtsausschuß gebohrt. Es gibt fast keinen Verurteilten, der als Wiederholungstäter erfaßt wurde.
Die Vorschrift wird, befürchte ich aber, trotzdem angewandt werden, nur nicht vom Richter, sondern von der Polizei,
um Demonstrationsteilnehmer wegen des lediglich
befürchteten Verdachts der Wiederholungstat erst
10218 Deutschei Bundestag — 11. Wahlperiode - 138. Sitzung. Bonn, Freitag; den 21. April 1989
Lüder
einmal vorläufig festzunehmen. Vor Ablauf der Garantiefrist des zweiten Tages, aber eben nach Ende der Demonstration, wird dieser Mensch dann entweder vom Richter oder von der Polizei wieder freigelassen, weil eben doch nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen des neuen Paragraphen nachweisbar waren.
Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit wird so in nicht vertretbarer Weise gefährdet.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner BrokdorfEntscheidung u. a. ausgeführt: Wer damit rechne, daß ihm durch die Teilnahme an einer Versammlung Risiken entstehen könnten, werde möglicherweise deswegen auf eine Ausübung seines Grundrechts verzichten. Gerade das aber soll nicht sein dürfen.
Deswegen lehne ich auch wegen dieser Vorschrift den Gesetzentwurf ab.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ursprünglich hatte ich trotz mancher Bedenken und der grundsätzlichen Ablehnung der Kronzeugenregelung — weil mit unserem Rechtssystem nicht vereinbar — die Absicht, diesem Gesetz zuzustimmen, nicht wegen des Altars der Koalition — der ist im Grundgesetz nicht vorgesehen —, sondern weil ich es in einem freiheitlichen Gemeinwesen — ich glaube, in einem solchen leben wir — wirklich nicht für nötig halte, daß bei friedlichen Demonstrationen Vermummung stattfinden muß.
Das war für mich der ausschlaggebende Grund.
Aber der neue § 12a des Versammlungsgesetzes, der im Zuge der Ausschußberatungen eingefügt worden ist, der verdeckte Ton- und Bildaufnahmen erlauben soll und in dem die Tilgungsbestimmung sehr vage und für mich nicht einsichtig ist — —
— Das ist eben nicht der Parteitagsbeschluß.
Außerdem wäre das für mich auch noch kein ausschlaggebender Grund.
— Erlauben Sie mir doch bitte, genau wie ich es Ihnen selbstverständlich zugestehe, wenn Sie anderer Meinung sind, zu sagen, daß ich mich aus diesem Grunde bei der Abstimmung der Stimme enthalten muß.
Meine Damen und Herren, nun würde ich gern die namentliche Abstimmung eröffnen, wenn ich sicher wäre, daß die Urnen besetzt wären. Ich wäre also dankbar dafür, wenn wir dafür Sorge trügen, daß die Abstimmungsurnen ordnungsgemäß besetzt werden.Wenn das der Fall ist, eröffne ich die von der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung beantragte namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. —Ich mache darauf aufmerksam, daß es noch weitere Abstimmungen gibt. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie das Haus noch nicht verlassen würden. —Ich möchte es nicht versäumen, der Kollegin und Vizepräsidentin Renger für ihren persönlichen Einsatz an der Urne ganz besonders zu danken. —Meine Damen und Herren, ich frage, ob sich jemand im Saal befindet, der noch nicht abgestimmt hat. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. * )Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir mit den Beratungen fortfahren können, und bitte Sie, Platz zu nehmen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4396. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Buchst. b der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 11/4359. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/17 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei unterschiedlichem Stimmverhalten der Fraktion DIE GRÜNEN — Enthaltungen und Ablehnungen — und bei Ablehnung der SPD-Fraktion ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden.Meine Damen und Herren, ich darf nunmehr dem Hause bekanntgeben, daß sich die Geschäftsführer der Fraktionen dankenswerterweise geeinigt haben, daß Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesordnungspunkt 4 von der Tagesordnung abgesetzt werden. Wir sind also nach der Aktuellen Stunde mit unserer heutigen Tagesordnung fertig.Nun rufe ich den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:Aktuelle StundeHaltung der Bundesregierung zu jüngsten Äußerungen der Gewerkschaften IG Metall, IG Medien sowie Handel, Banken und Versicherungen zur Kriegsdienstverweigerung und Bundeswehr.*) Ergebnis Seite 10220 A
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10219
Vizepräsident CronenbergDie Fraktionen der FDP und der CDU/CSU haben gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde beantragt.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Ronneburger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verfasser des genannten Aufrufs scheinen vergessen zu haben, was der Deutsche Gewerkschaftsbund im Jahre 1981 gemeinsam mit der Bundeswehr veröffentlicht hat. Ich zitiere aus diesem Beschluß nur einen einzigen kurzen Absatz. Er lautet:
Die allgemeine Wehrpflicht schafft daher einen dauernden lebendigen Austausch zwischen dem Volk und seinen Soldaten. Das gemeinsame Bekenntnis zur Verteidigung macht den Willen zur Erhaltung der Freiheit des einzelnen und des Staates deutlich.
Ich kann an dieser Stelle allen denjenigen, die heute etwas anderes sagen — aus einigen Industriegewerkschaften und aus dem Bereich der Kriegsdienstgegner und Friedensgruppen — , nur bitten, noch einmal nachzulesen, was hier in längeren Ausführungen steht und was im Grunde genommen keines Kommentars bedarf.
Für mich und für meine Freunde in meiner Fraktion gab es drei entscheidende Gründe dafür, zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde zu beantragen.
Der erste Grund ist folgender: Diejenigen, die sich bisher für den Wehrdienst, für den Dienst innerhalb der Bundeswehr, entschieden haben, haben ihren Teil dazu beigetragen, daß der Friede für unser Land erhalten worden ist. Sie haben damit gleichzeitig einen Dienst dafür geleistet, daß in unserem Land eine freiheitliche Ordnung aufrechterhalten werden konnte, die u. a. das Recht zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen beinhaltet.
Der zweite Grund ist der: Übersehen eigentlich diejenigen, die diesen Aufruf verfaßt und veröffentlicht haben, völlig, was auf anderen Gebieten geschieht, was durch die Bundeswehr, was durch Soldaten in aller Welt an Hilfeleistung geschieht? In einer plattplakativen Alternative wird hier schlicht und einfach „Die eine Zukunft" mit falschen Behauptungen als Zerrbild vom furchterregenden Waffen- und Heerlager Bundesrepublik in Kriegsvorbereitung gezeichnet, „Die andere Zukunft" in einem Bild der heilen Welt: „Unser Land frei von Militär" durch Kriegsdienstverweigerung.
Hier geschieht etwas, was nicht respektiert und was nicht im Bewußtsein behält, welche Hilfeleistungen Soldaten in der Welt erbringen. „Soldaten sind Täter" heißt es da vielmehr ganz im Sinne des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt. Kein Wort, meine Damen und Herren, von den Soldaten, die 1948 in Palästina, 1949 in Indien und Pakistan ihre friedenserhaltende Pflicht getan haben. Ich will dies alles zwar nicht wiederholen, sage aber: Ja, diese Soldaten sind
Täter, eingesetzt, um Leben zu erhalten, indem sie Kampfhandlungen unterbinden.
Und wer spricht eigentlich von den Soldaten der Bundeswehr, die sich in anderen Regionen der Welt in Hilfseinsätzen gegen die Not in der Welt wenden?
Aber das, was mich vor allen Dingen bewegt, Frau Kollegin, ist, daß wir hier in den Bereich der ethischen Grundlagen unseres Staates geraten. Das Grundgesetz — niemand bestreitet dies — gibt die Möglichkeit, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Niemand hat dagegen Bedenken erhoben. Aber ich sage hier: Die Entscheidung derjenigen, die sich für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden, ist nicht weniger eine Gewissensentscheidung als die Entscheidung derjenigen, die sich für den zivilen Ersatzdienst entschieden haben.
Und ich sage hier weiter: Gewissen ist keine Massenware , Gewissensentscheidung ist zutiefst persönlich. Wer glaubt, mit einem Aufruf zur „massenhaften Kriegsdienstverweigerung" den Schritt in eine richtige Zukunft tun zu können, der, meine Damen und Herren, stellt in Frage, was Grundlage unseres freiheitlichen Rechtsstaates ist.
Ich wehre mich gegen eine pauschale Beeinflussung von Gewissen. Ich bin dafür, daß jeder in diesem Staat seine Gewissensentscheidung nach seinem persönlichen Gewissen treffen kann.
Deswegen wehren wir uns gegen diesen Aufruf.
Meine Fraktion und meine Freunde stellen sich an die Seite derjenigen, die in der Vergangenheit das Gelöbnis abgelegt haben, treu zu dienen und tapfer zu verteidigen, an die Seite auch derjenigen, die das in Zukunft tun werden. Ich hoffe, daß wir unsere gemeinsame Politik auf dem Weg in eine friedliche Zukunft so besser sichern können als mit einer pauschalen Verunglimpfung derjenigen, die einen Dienst für unser Volk und seinen Staat leisten.
Bevor ich dem Abgeordneten Bahr das Wort erteile, darf ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern dieses Hauses haben 361 ihre Stimme abgegeben; ungültig war keine. Mit Ja haben 209, mit Nein haben 151 gestimmt; eine Enthaltung ist zu verzeichnen.Von den Berliner Abgeordneten haben 16 ihre Stimme abgegeben; ungültig war keine. Mit Ja haben 11, mit Nein haben 5 gestimmt.
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10220 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Vizepräsident CronenbergEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 360 und 16 Berliner Abgeordnete; davonja: 209 und 11 Berliner Abgeordnetenein: 150 und 5 Berliner Abgeordneteenthalten: 1JaCDU/CSUBauerBayhaDr. Becker BiehleDr. Blank Dr. BlensBöhm Börnsen (Bönstrup) Dr. BötschBohlBohlsen Borchert BreuerBühler Carstens (Emstek)Dr. CzajaDr. Daniels Frau Dempwolf DeresDörflingerDossDr. Dregger EchternachEhrbar EigenEylmann Dr. Fell FellnerFischer Francke (Hamburg) Dr. FriedmannDr. FriedrichFuchtelFunk Ganz (St. Wendel) GeisDr. von Geldern GersteinGerster
GlosGröblDr. Grünewald Günther HamesFrau Hasselfeldt HaungsHauser HedrichHelmrichHerkenrathHinrichs Höffkes HöpfingerHörsterDr. HoffackerDr. HornhuesFrau Hürland-Büning Dr. HüschGraf HuynJägerDr. Jahn Dr. JenningerDr. JobstJung
Jung
KalbDr.-Ing. KansyDr. Kappes Frau KarwatzkiKlein
Dr. Köhler KolbKossendey KrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert LattmannDr. Laufs LenzerFrau LimbachLink
Link
LintnerDr. Lippold LouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewskiDr. Meyer zu BentrupDr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
NelleNiegelDr. Olderog OswaldFrau Pack PeschPetersen Pfeffermann PfeiferDr. Pinger Dr. PohlmeierDr. Probst RauenRaweReddemann RepnikDr. RiesenhuberFrau Rönsch Frau Roitzsch (Quickborn) RossmanithRoth
RüheDr. Rüttgers RufSauer
Sauer
Sauter
Dr. Schäuble ScharrenbroichSchartz
Schemken ScheuSchmidbauerFreiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
SchwarzDr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark Dr. StoltenbergStrubeStücklenFrau Dr. Süssmuth SussetTillmannDr. TodenhöferDr. Uelhoff UldallDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel
Vogt
Dr. Voigt Dr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeiß Werner (Ulm)Frau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann WürzbachDr. Wulff ZeitlmannDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BuschbomFeilckeKalischKittelmann LummerDr. Mahlo Dr. PfennigSchulze StraßmeirFDPBeckmann BredehornCronenberg EngelhardFrau Folz-Steinacker GallusGenscher GriesGrünerHeinrichDr. Hitschler Dr. Hoyer InnerKleinert Dr. Graf Lambsdorff Möllemann NeuhausenNoltingRindRonneburgerSchäfer
Frau Seiler-AlbringDr. ThomaeTimmFrau WalzDr. Weng Wolfgramm (Göttingen) Frau WürfelBerliner Abgeordneter HoppeNeinSPDAndresAntretterBachmaierBahrBecker Frau Becker-Inglau BindigDr. Böhme BrandtBrückDr. von Billow BuschfortFrau ConradConradiDiller DreßlerDuveDr. Ehmke
Dr. EmmerlichErler Ewen Frau FaßeFischer Frau Fuchs (Verl) GanselDr. GautierGerster GilgesFrau Dr. GötteGraf GroßmannGrunenbergHaack
HaarFrau Dr. Hartenstein HasenfratzDr. HauchlerHeistermannHeyennHiller
Horn HuonkerIbrüggerJahn
Dr. JensJung KiehmKirschnerKißlingerDr. Klejdzinski KoltzschKoschnickKuhlweinLeidingerLeonhartLutzFrau Matthäus-Maier Dr. Mertens Müller (Pleisweiler) MünteferingNagel
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10221
Vizepräsident CronenbergNehmFrau Dr. NiehuisDr. NieseNiggemeier Frau Odendahl Oesinghaus OpelDr. Osswald PauliDr. Penner Dr. PickPorznerPoßPurpsReimannFrau Renger ReuterRixeSchanzDr. Scheer ScherrerSchluckebier Dr. Schmude SchreinerSchützFrau Seuster SingerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Stahl
SteinerFrau SteinhauerFrau Dr. Timm Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugenVoigt WaltematheFrau Dr. Wegner WeiermannFrau Weiler WestphalDr. WieczorekFrau Wieczorek-Zeulvon der Wiesche WischnewskiDr. de With WittichZanderZeitlerZumkleyBerliner AbgeordneteDr. Vogel Wartenberg
FDP BaumDr, HirschRichterFrau Dr. Segall ZywietzBerliner Abgeordneter LüderDIE GRÜNENFrau BeerBrauer Dr. BriefsDr. Daniels EichFrau FlinnerFrau GarbeHäfnerFrau HillerichHüserDr. KnabeDr. Lippelt Dr. MechtersheimerFrau NickelsFrau Oesterle-Schwerin Frau RustFrau SaiboldFrau SchillingSchilyFrau Schmidt Frau SchoppeSuchFrau TeubnerFrau UnruhFrau VennegertsFrau Dr. VollmerVolmerWeiss
WetzelFrau Wilms-KegelBerliner AbgeordneteFrau Frieß Meneses VoglFraktionslos WüppesahlEnthaltenFDPFrau Dr. Hamm-BrücherDamit ist die Gesetzesvorlage angenommen.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die FDP- und, daran angeschlossen, die CDU/CSU-Fraktion eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben, ist aus einem doppelten Grund verständlich:Erstens. Dies gibt Gelegenheit, das Bekenntnis der Parteien zur allgemeinen Wehrpflicht zu erneuern.
Zweitens. Es soll ablenken von dem Umfeld, in dem die Zahl der Verweigerer steigt und für das die Bundesregierung verantwortlich ist.
Ich bedauere sehr, Herr Kollege Ronneburger, daß Sie bei Ihrer sonst differenzierenden Darstellung vergessen haben, zu erwähnen, daß der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Breit, gestern exakt die Erklärung wiederholt hat, auf die Sie sich eben bezogen haben. Das hätte doch eigentlich zu einer sachlichen Darstellung der Situation dazugehört.
Auch als Vorsitzender der Sicherheitspolitischen Kommission und als Mitglied des Präsidiums der SPD stelle ich fest: Im Godesberger Programm haben wir die Landesverteidigung bejaht.
Und in dem neuen Entwurf des Grundsatzprogramms steht: Wir stehen zu den Streitkräften und bejahen die Wehrpflicht.Für den Schutz des Rechts auf Verweigerung des Dienstes mit der Waffe haben wir uns immer eingesetzt. Es ist ein Recht auf Gewissensfreiheit des einzelnen, das nicht durch eine Kampagne kollektivierbar ist.
Die SPD will gemeinsame Sicherheit an die Stelle der Abschreckung setzen. Das heißt, wir sind für eine Strategie, die nicht mit der Zerstörung dessen drohen muß, was verteidigt werden soll. Die Unglaubwürdigkeit der heutigen Strategie spricht sich herum. Das ist der eine Grund für den Zweifel der jungen Menschen. Der Auftrag für die Bundeswehr muß nicht nur für die Gesellschaft nachvollziehbar und akzeptabel, er muß auch für die Soldaten erfüllbar sein. So haben wir 1986 auf unserem Parteitag in Nürnberg beschlossen. Die Streitkräfte können nicht die Last verdrängter Probleme und einer widersprüchlichen Sicherheitspolitik tragen. Führungs- und Konzeptionslosigkeit hat gerade ein Kollege der CSU seiner Regierung vorgeworfen. Das kennzeichnet das Umfeld der wachsenden Verweigerung.
Damit sind wir bei dem anderen Grund dafür, daß diese Wende-Regierung zu verantworten hat, wenn die Zahl der Wehrdienstverweigerer eine Rekordhöhe erreicht hat. Drei Monate länger nicht sinnvoll dienen, sondern Zeit totschlagen, ist nicht besonders attraktiv.
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10222 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
BahrDas sind jedenfalls nicht die sinnvollen Opfer, die ich von den Wehrpflichtigen verlange,
wenn ich wie bisher bei öffentlichen Gelöbnissen sprechen werde.Wenn der Bundeswehr bei dieser Arbeitslosigkeit 8 000 Unteroffiziere fehlen, dann müßte die Bundesregierung das als Alarmzeichen betrachten. Statt dessen wird ein Mann auf die Hardthöhe versetzt oder: strafversetzt,
der die bekannte Jahrhundertreform verfehlt hat und der nun erst einmal im Archiv prüfen muß, was er für die Verlängerung der Wehrpflicht auf 18 Monate gesagt hat, damit er als eine seiner ersten Aufgaben überlegen kann, was er seinem Generalinspekteur zugunsten der Rücknahme sagen kann. Die Bundeswehr hat nicht verdient, so behandelt zu werden.
Und die wehrpflichtigen jungen Menschen haben nicht diese verächtliche Beliebigkeit verdient, mit der über Lebensplanung von Menschen verfügt wird, nicht weil es notwendig ist, sondern weil es nützlich ist für Machterhalt.
Wo soll denn die Motivation herkommen bei diesem Umfeld, die unser Staat braucht und weiter brauchen wird?
Wenn wir am Ende der Wiener Verhandlungen gemeinsame Sicherheit in Europa haben werden, wenn beide Seiten nach Vorstellung meiner Partei wirklich nur noch verteidigungsfähig sind, wenn also wirklich geschützt werden kann, was geschützt werden soll, dann wird die Zahl der Wehrdienstverweigerer drastisch sinken. Und das muß unser Ziel sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gemeinsame Erklärung „Kriegsdienstverweigerung als Zukunftssicherung" der Deutschen Friedensgesellschaft und verschiedener Abteilungen unserer Gewerkschaft dient leider dem Frieden nicht — weder dem äußeren noch dem inneren.
Wer massenhafte — ich darf zitieren: hunderttausendfache — Kriegsdienstverweigerung zu einem Druckfaktor auf die Regierenden benutzen will, mißbraucht unsere freiheitliche Ordnung.
Diese Äußerungen sind gleichzeitig ein Armutszeugnis. Frau Beer, ich bleibe dabei: Sie suggerierenGleichheit von etwas, das nicht vergleichbar ist. DerWehrdienst in unserem Staat ist die Regel. Zivildienst und Wehrdienstverweigerung sind die Ausnahmen und setzen eine besondere Gewissensbelastung voraus. Wer das nicht anerkennen will, möchte unsere Verfassung ändern. Der sollte das hier dann auch ganz offen sagen.Ein freier demokratischer Staat braucht Bürger, die auch bereit und so frei sind, sich für die eigene und die Freiheit anderer einzusetzen. Das ist eine Tradition aus den großen Gedanken der Reformer in den Freiheitskriegen der Deutschen Anfang des letzten Jahrhunderts. Die Verteidigung ist danach keine Frage von Söldnern oder Klassen, sondern das Anliegen einer freien Gesellschaft. Diese Tradition hatte entscheidend zum Demokratie- und Freiheitsverständnis in Deutschland beigetragen. Ohne sie wäre auch die Frankfurter Verfassung von 1848, die uns auch als Vorlage für spätere Verfassungen gedient hat, undenkbar gewesen. Auch daran sollten wir uns als Deutsche einmal erinnern.Dieses Grundverständnis zum Wehrdienst ist für uns Deutsche, an der Nahtstelle zwischen Ost und West gelegen, von ganz besonderer Bedeutung. Wer junge Leute heute zur massenhaften, hunderttausendfachen Kriegsdienstverweigerung auffordert, stellt seine eigene Freiheit in Frage.
Er mißbraucht unser freiheitliches System und stellt sich außerhalb des notwendigen Grundkonsenses unserer Demokratie. Demokratie setzt Grundkonsens voraus, auch einmal über das gesprochene oder geschriebene Wort hinaus.Die Aufforderung, die Wehrhaftigkeit unseres demokratischen Systems in Fage zu stellen, dient auch nicht den Arbeitnehmerinteressen. Sie verrät sie. Auch der Arbeitnehmer braucht einen sicheren Staat und keine Illusionen.
Unsere Jugend wird darauf eine angemessene Antwort finden. Sie wird sich gegen diese suggestive Bevormundung durch die Deutsche Friedensgesellschaft und gewerkschaftliche Gruppen wenden.Ich möchte die Debatte aber auch, meine sehr verehrten Kollegen, zum Anlaß nehmen, uns als verantwortliche Politiker und die Bundesregierung aufzufordern, angemessen zu reagieren, indem wir erstens dafür sorgen, daß der Dienst in der Bundeswehr so attraktiv wie möglich gestaltet wird, und zweitens klarstellen, daß noch lange keine Gründe für die Euphorie vorliegen, es werde nun weltweit abgerüstet werden, und Verteidigungsanstrengungen würden zum Großteil überflüssig. Das wäre eine furchtbare Illusion. Auch die Rolle Gorbatschows muß in aller Nüchternheit dargestellt werden.Lieber Kollege Bahr, hier sind wir der Auffassung, daß wir dazu beitragen müssen, daß die Wiener Verhandlungen wirklich zu einem guten Ergebnis kommen, daß das aber nicht durch parallel geführte Verhandlungen konterkariert werden darf, die uns gerade von diesem Erfolg in Wien abbringen könnten.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10223
LowackUnser Staat braucht, um sich weiter entwickeln zu können, Sicherheit. Diese Sicherheit müssen wir mit einem großen eigenen Beitrag im Bündnis gewährleisten. Nicht nur unsere Jugend, unsere gesamte freie Gesellschaft sollte sich deshalb der Ungeheuerlichkeit des Aufrufs von Gewerkschaftsgruppen zusammen mit der Deutschen Friedensgesellschaft bewußt werden und sich wehren.Ich fordere die Bundesregierung auf, klarzustellen, daß der Soldat, der seiner Wehrpflicht nachkommt, einen wertvollen und nicht verzichtbaren Dienst für uns alle leistet. Der Wehrpflichtige verdient nicht Kritik und Denunzierung, er verdient Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Worum geht es hier eigentlich?Die Fakten: Eine Gewerkschaft, die IG Metall und die DFG-VK haben zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung aufgerufen.
Und die Mächtigen erzittern. Der Nerv scheint getroffen.
Der Hintergrund: Nachdem die faschistische deutsche Wehrmacht den Zweiten Weltkrieg geführt hatte, und ganz Europa in Schutt und Asche lag, war die Ablehnung von Militär noch allgemein. Politiker aller demokratischen Parteien erklärten sich gegen eine Wiederaufrüstung. Carlo Schmidt 1946: „Wir wollen unsere Söhne niemals mehr in die Kasernen schicken, und wenn noch einmal irgendwo der Wahnsinn des Krieges ausbrechen sollte, dann wollen wir eher untergehen und dabei das Bewußtsein haben, daß nicht wir Verbrechen begangen und gefördert haben. "Franz Josef Strauß distanzierte sich öffentlich von Aufrüstungsplänen 1949, wo er im Wahlkampf zum ersten Bundestag sagte: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen. "
Schließlich wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert. Hier wurde eine antimilitaristische und antifaschistische Grundentscheidung getroffen. Danach wurde aber insgeheim die Remilitarisierung der Bundesrepublik vorbereitet — mit den bekannten Folgen.
Bis heute können sich die Militärs und die sogenannten politisch Verantwortlichen nicht mit der Existenz des Art. 4 Abs. 3 im Grundgesetz abfinden: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Aushöhlen, Einschränken und Inanspruchnahme unmöglich machen heißt die Devise.
Bis heute ist den ermordeten Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern von zwei Weltkriegen keine Anerkennung und kein Gedenken zuteil geworden. Die Friedensbewegung wird das am 1. September dieses Jahres nachholen.Kriegsdienstverweigerung ist neben dem Asylrecht das einzige Grundrecht, dessen Ausübung förmlich beantragt werden muß. Hier werden unveräußerliche, unmittelbar geltende Menschenrechte, Grundrechte, zu einem Ausnahmerecht degradiert.
Das war und ist Verfassungsbruch. Wo ist da Ihr Gewissen, meine Herren?Erfreulich ist es allerdings auf der Seite der Kriegsdienstverweigerer. Trotz alledem sind die Zahlen immer weiter gestiegen und haben mit dem einmillionsten Kriegsdienstverweigerer ein Zeichen gesetzt. Von 1958 bis 1981, also in 24 Jahren, waren es eine halbe Million, in den letzten acht Jahren eine Million, also eine Verdoppelung. Daß Ihnen das nicht schmeckt, ist klar, und deswegen reagieren Sie auch so hysterisch.Wo ist eigentlich Ihr Gewissen bei der Einhaltung des Grundgesetzes in einem demokratischen Rechtsstaat? Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes, wie eben erwähnt, Art. 12 a Abs. 2 des Grundgesetzes: „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen" , Art. 3 Grundgesetz: „Niemand darf wegen ... seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt ... werden. " Wo ist da Ihr Gewissen? Ein unveräußerliches Grundrecht wurde einem parteipolitischen Machterhalt untergeordnet, einem Machterhalt, der völlig unrealistisch ist. Erhalt und Schutz der Umwelt, soziale Sicherheit und Frieden können nämlich gar nicht mit militärischen Mitteln erreicht werden.
Die Kriegsdienstverweigerer stellen sich der Realität, nämlich daß jeder Krieg in Mitteleuropa nicht überlebbar ist und die Selbstvernichtung der Menschheit heraufbeschwört. Kriegsdienstverweigerer ziehen mit ihrem persönlichen Bekenntnis zum Gewaltverzicht und ihrer Bereitschaft, einen sozialen Dienst zu leisten, jene Konsequenz, zu der die herrschende Politik nicht in der Lage ist.
Kriegsdienstverweigerung ist eine permanente Abstimmung gegen die Militär- und Rüstungspolitik dieser Regierung. Die Totalverweigerung ist der Protest gegen die Militarisierung des Zivildienstes.Wo ist hier wenigstens die Einhaltung von geltendem Recht in einem demokratischen Rechtsstaat? Wer
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10224 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Frau Schillingist hier im Verfassungsabseits, Herr Dregger und CDU/CSU-FDP? Zum 40. Geburtstag des Grundgesetzes und 50 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ist Kriegsdienstverweigerung Zukunftssicherung. Der heutige Soldat, der weiterhin nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam funktionieren soll, macht sich zum Werkzeug in der Hand von Massenmordstrategen,
die die Selbstvernichtung des eigenen Volkes und der gesamten Menschheit gewissenlos in ihr parteipolitisches Kalkül einrechnen.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bin in der Aktuellen Stunde gehalten, sehr darauf zu achten, und bitte Sie, jetzt Schluß zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, meinen letzten Satz aussprechen zu dürfen.
Hier ist die Inanspruchnahme des politischen Widerstandsrechts angebracht. Wir fordern als GRÜNE mit der DFG-VK gemeinsam ein rekrutenfreies Jahr, ein Rekrutenmoratorium. Es gibt viele Menschen in dieser Republik, die ein Gewissen haben, die es benützen, die aus der Geschichte gelernt haben, im Gegensatz zu dieser Bundesregierung.
Frau Abgeordnete, halten Sie sich wenigstens an das, was Sie selber gesagt haben: einen Satz!
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Aktuellen Stunde ist Gelegenheit zu klaren Positionsbestimmungen zur Landesverteidigung, zur Bundeswehr, ihrem Auftrag und ihren Soldaten.
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche.
Ich bitte, sofort dafür Sorge zu tragen, daß diese hier unzulässige Demonstration unterbleibt und daß diejenigen, die das Transparent aufgehängt haben, sofort aus dem Saal entfernt werden.
Es handelt sich um einen üblen Mißbrauch auf der Besuchertribüne.
Ich unterbreche die Sitzung, bis das geschehen ist. —
Wir können die Sitzung fortsetzen. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Wir haben auch in der soeben gehörten kurzen Rede der Sprecherin der GRÜNEN erkennen können, daß es im Verhältnis zu manchen Gruppierungen innerhalb und außerhalb dieses Hauses nicht einmal mehr den Ansatz für einen Minimalkonsens gibt.Ausgangspunkt dieser Debatte ist ein Aufruf, ein Text, der bestimmt ist durch falsche Tatsachenbehauptungen, durch eine schlimme Mißachtung unserer demokratischen Streitkräfte und des Dienstes der Soldaten. Zum Ausdruck kommt ein Verfassungsverständnis, das entschieden zurückgewiesen werden muß.
Der Aufruf gefährdet auch eine wichtige Grundlage des Miteinanders von Gewerkschaften und Bundeswehr. Herr Kollege Ronneburger und andere haben auf den unverändert bedeutsamen Text der gemeinsamen Erklärung hingewiesen, der 1981 nach sehr gründlichen Gesprächen von Gewerkschaftsbund und der Führung der Bundeswehr erarbeitet und veröffentlicht wurde. Er hat das Verhältnis von Bundeswehr und Gewerkschaften auf der Basis gegenseitiger Achtung und des gegenseitigen Vertrauens formuliert. Hierin werden die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten der beiden Partner beschrieben und anerkannt. Beide, die Repräsentanten des DGB und der Bundeswehr, haben darin ein gemeinsames Bekenntnis zur Verteidigung als Ausdruck des Willens zur Erhaltung von Frieden und Freiheit abgelegt. Wehrdienst "wird als aktiver Dienst für den Frieden bestätigt. Zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung heißt es dort — ich zitiere — , wo das Gewissen des einzelnen diesem Dienst unüberwindbare Hindernisse entgegenstelle, werde ihm um des Eigenwertes seiner Persönlichkeit willen das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes mit der Waffe als Grundrecht gewährleistet.Mit ihrem Aufruf stellen bestimmte Gruppierungen im DGB diese gemeinsame Erklärung in Frage. Diese Gewerkschaftsvertreter müssen sich auch nach ihrem Verhältnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fragen lassen.
Wer zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung aufruft, verfälscht ein kostbares Individualrecht, versucht Indoktrination, versucht, Massen emotional zu mobilisieren, um sie als Instrument im politischen Kampf einzusetzen, und das ist zu verurteilen.
Meine Damen und Herren, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Breit — das ist richtig, Herr Bahr — , hat sich mit seiner gestrigen Presseerklärung hinter das Prinzip der gemeinsamen Erklärung von 1981 gestellt. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich hätte es allerdings auch begrüßt, wenn Herr Breit bei dieser Gelegenheit einen vollkommen klaren Trennungsstrich zu den konträren Kräften ge-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10225
Bundesminister Dr. Stoltenbergzogen hätte, die jene Erklärung, die wir kritisieren, zu verantworten haben.
Drei Aussagen dieses Aufrufs, Frau Kollegin, sind vollkommen unannehmbar, nämlich erstens seine Aufforderung an die jungen Menschen, zu einem Dienst nein zu sagen, der, wie sie behaupten, zunehmend als sinnlos begriffen werde, zweitens eben jener Aufruf zu massenhafter, hunderttausendfacher Kriegsdienstverweigerung und drittens der Appell zur Abschaffung jeder Form der Gewissensprüfung.Ich will hierzu feststellen: Der allgemeinen Pflicht zum Wehrdienst steht das persönliche Grundrecht des einzelnen zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen gegenüber. Nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das bedeutet keine gleichwertige oder völlig beliebige Alternative der Wehrpflicht und der Verweigerung. Es wird vielmehr nur die Gewissensfreiheit des einzelnen Bürgers unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt. Die grundsätzliche staatsbürgerliche Pflicht ist, Wehrdienst zu leisten. Nur wer den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, wird dann zum Ersatzdienst herangezogen.Meine Damen und Herren, Verweigerung kommt im Vergleich zum Wehrdienst kein moralisch höherer Stellenwert zu.
Unsere Streitkräfte schützen die Grundrechte und die freiheitliche Lebensgestaltung auch für diejenigen Mitbürger, die sich der militärischen Landesverteidigung versagen. Der Dienst unserer Soldaten gilt dem Frieden. Ihr Dienst hat wesentlich dazu beigetragen, daß wir seit Jahrzehnten in Frieden und Freiheit, übrigens auch im Wohlstand, leben.Herr Kollege Bahr hat über einige Gründe für die gegenwärtige Orientierungskrise, die wir in der Debatte über die Bundeswehr feststellen, reflektiert, allerdings doch in einer sehr einseitigen Weise.
Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Sie haben gesagt, daß — was ich begrüße — Sie als Abgeordneter weiterhin bei öffentlichen Gelöbnissen sprechen werden. Massenhaft wird aber von Organisationen Ihrer Partei, auch in Schleswig-Holstein, das öffentliche Gelöbnis als solches in Frage gestellt. Das ist ein Ausdruck der Orientierungskrise auch der Sozialdemokratischen Partei,
die Sie aufarbeiten sollten, bevor Sie uns Belehrungen geben.
— Lassen Sie mich dies so sagen. Es ist doch gar nichtzu bestreiten, daß es so ist, Herr Kollege Ehmke, wieich es sage. Sie können das durch persönliche Polemiken gar nicht aus der Welt schaffen. Wenn Sie sich in etwas süffisanter Weise wie Herr Bahr über meine sogenannte Versetzung mokieren, dann will ich Sie einmal an zwei Dinge erinnern: zum einen daran, daß einer meiner sozialdemokratischen Vorgänger, Hans Apel, vor nicht vielen Jahren vom Finanzministerium in das Verteidigungsministerium ging. Das wurde damals vom Bundeskanzler und von Ihnen als eine Auszeichnung dargestellt.
Einigen Sie sich einmal über eine Bewertung der beiden Ressorts.Zum zweiten sage ich: Zu den Vorgängern im Verteidigungsministerium, deren Persönlichkeit und Leistung ich bei allen sachlichen Gegensätzen hochschätze, gehören Männer wie Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel. Ich weiß mich auch hier in einer guten Tradition. Nur haben Sie als SPD diese Tradition mittlerweile weitgehend verlassen. Das ist der Punkt.
Meine Damen und Herren, es gibt Bewegung in den Ost-West-Beziehungen. Wir haben den ersten Vertrag über Abrüstung in einem wichtigen Teilbereich der Mittelstreckenraketen erreicht — wir, d. h. das Bündnis, mit dem Warschauer Pakt. Die Abrüstungsverhandlungen sind auf breiterer Basis in Gang gekommen. Die Bundesregierung unterstützt diese Politik weiterhin mit aller Kraft. Das aber ist nur möglich auf Grund der Stärke, des politischen Zusammenhalts des Bündnisses und der demokratischen Armee, der Bundeswehr, der Streitkräfte.In den letzten Jahren haben wir im großen Streit um die Mittelstreckenraketen erfahren: Ohne die Stärke des Bündnisses, damals: ohne Nachrüstung hätte es keine Abrüstung gegeben. Heute und morgen gilt: Ohne die Bundeswehr, ohne den Dienst der Soldaten gibt es keine Hoffnung auf gleichgewichtige, kontrollierte Abrüstung auch im konventionellen Bereich.
Insofern sind Ihre Forderungen nach einseitigen Vorleistungen falsch.
Wir wollen Sicherheit, wechselseitige Abrüstung kontrollierbar, verifizierbar miteinander verbinden. Da sind wir uns hoffentlich einig.
Dafür brauchen wir weiter den Dienst der Soldaten und ihre Anerkennung nicht nur durch die Mehrheiten, sondern durch unser ganzes deutsches Volk.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koschnick.
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10226 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis, Herr Stoltenberg muß sich einarbeiten. Die ersten hundert Tage als Minister sind noch nicht herum, deswegen kann er die Beschlußlage der SPD auch nicht kennen. Wir werden sie ihm noch mitteilen.Zweitens bitte ich sowohl die GRÜNEN wie Herrn Stoltenberg, wirklich genau zu lesen, was die junge Generation der IG Metall und die Friedensgesellschaft besprochen und unterschrieben haben. Beide haben falsch interpretiert. Bei der Bundesregierung macht mir das nichts aus; sie muß dagegenhalten.
Frau Schilling, ich glaube, Sie haben den jungen Leuten der IG Metall einen Bärendienst geleistet, weil Sie über diese Frage in einer Weise debattieren, wie es von der IG Metall nicht gewollt ist. Es steht in dieser Erklärung kein Wort gegen die Soldaten; vielmehr will die IG Metall eine Aufklärung bei den Arbeiterkindern, bei denen, die kein Abitur haben. Sie will, daß diese die gleichen Rechte wie Abiturienten haben: sich unter Umständen auf ihr Gewissen zu berufen, sich von dem Wehrdienst freistellen zu lassen und Ersatzdienst zu leisten.Ich werfe der IG-Metall-Jugend allerdings vor, daß die Formulierung über die massenhafte Wehrdienstverweigerung so mißverständlich ist, daß sie auch als Aufruf und nicht nur als Feststellung dahin gehend verstanden werden kann, daß in den letzten 23 Jahren inzwischen eine Million junger Menschen den Wehrdienst verweigert, von ihrem Recht nach dem Grundgesetz Gebrauch gemacht haben. Die Rechte des Grundgesetzes gehen den Pflichten vor. Das Individualrecht ist vor 200 Jahren bei der Französischen Revolution, bei der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, bei der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung eine der großen Hoffnungen gewesen. Der Staat soll das Gewissen schützen, und wer sich darauf beruft, hat Anspruch, geschützt zu werden.
Wir Sozialdemokraten sind aus Prinzip für die Wehrpflicht, weil wir gerne möchten, daß eine integrative Verteidigungsorganisation nicht abseits vom Volke aufgebaut wird, sondern die gesellschaftlichen Fragen in dieser Armee mitgetragen werden können.
Wir sind für den Staatsbürger in Uniform, d. h. er soll auch in der Truppe Staatsbürger sein. Aus diesem Grunde werben wir dafür: daß jeder seinen Beitrag in diesem Bereich leistet. Mit dem gleichen Respekt und nicht gegeneinander gewandt sagen wir: So wenig wie ein Wehrpflichtiger ein Depp ist, weil er zum Bund geht, so wenig ist der andere ein Drückeberger, wenn er von seinem Gewissen her sagt: Ich will einen anderen Dienst für die Gesellschaft leisten. — Die Gleichwertigkeit muß deutlich werden.
Nächste Bemerkung. Es gibt leider eine Entwicklung, die mir Sorgen bereitet: daß für die junge Generation das Pflichtbewußtsein für die Bundeswehr immer fragwürdiger wird, weil sie nicht mehr erkennen kann,
daß diese Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Lande die Chancen wirklich voll nutzen, die sich aus einem neuen Verhältnis zwischen Ost und West für Frieden und Abrüstung möglicherweise ergeben.
— Ich sage: möglicherweise. — Das werden wir am Verhandlungstisch erleben, nicht vorher. Ich weiß, der Generalsekretär der KPdSU ist kein Friedensengel; ein Bundeskanzler wird hoffentlich auch kein Friedensengel sein. Beide sollen die Interessen ihrer Nation vertreten, und das höchste Interesse ist, Frieden zu halten und Lösungen für den Frieden zu finden.
Weil das so ist, sage ich Ihnen: Wer jetzt so wie Sie über die Lance-Modernisierung spricht, wer über 15 oder 18 Monate Grundwehrdienst spricht, wer die Beliebigkeit von Verfügung über die junge Generation so aufbaut, wer auf der einen Seite dafür sorgt, daß Abiturienten einen Monat eher aus der Schule entlassen werden, damit sie beim Studium nur anderthalb Jahre verlieren, wer bei den Kriegsdienstverweigerern aber auf der anderen Seite dafür sorgt, daß sie zweieinhalb Jahre verlieren, weil sie zu spät entlassen werden, der führt die Situation herbei, daß junge Menschen gegen diese Ungerechtigkeit aufbegehren. Wer Ungerechtigkeit vom Staate duldet und fördert, führt dazu, daß eine junge Generation diesen Dienst für den Staat nicht will. Ich sage Ihnen: Wenn sich diese Koalition, wenn sich diese Bundesregierung und wenn sich die Freien Demokraten nicht sechs Wochen zu spät, sondern, ausgehend von den gleichen Zahlen, zur rechten Zeit mit uns entschieden hätten, diesen Weg nicht mitzugehen,
hätten wir uns diese Debatte ersparen können.
Im übrigen muß ich Ihnen noch folgendes sagen. Man sollte hier nicht der IG Metall etwas vorwerfen. Nicht die CDU/CSU — schon gar nicht die CSU; sie hat ja immer konsequent falsch gelegen — war es, sondern ihr Freien Demokraten wart es, die wie Hasen gesprungen sind, einmal hierhin, einmal dahin, zuerst die Erklärung Lambsdorff, dann die andere Erklärung. Das macht uns wirklich Schwierigkeiten. Seid doch einmal Manns genug, und sorgt zur rechten Zeit für richtige Entscheidungen. Dann kommen wir weiter. Sprecht nicht von scheußlichen Zeitgenossen, sondern denkt einmal nach und handelt richtig. Ihr habt eben schon Fehler bei der anderen Gesetzgebung gemacht.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10227
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Roitzsch.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die beiden Reden von Herrn Bahr und von Herrn Koschnick bestärken mich eigentlich in meinem Vorhaben, die SPD zu fragen, wie sie es wirklich mit der Bundeswehr hält.
Herr Koschnick, Sie haben ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr abgelegt.
— Frau Fuchs, ich würde gerne reden; ich bin nämlich dran.
Aber, Herr Koschnick, Sie haben von der Gleichwertigkeit von Wehrdienst und Ersatzdienst gesprochen. Dies stimmt nicht. Gleichwertig sind sie nicht. Die Regel ist der Wehrdienst, und die Ausnahme sind die Wehrdienstverweigerung und der Ersatzdienst.
— Moment.
Herr Bahr, Sie haben eigentlich das typische Beispiel dafür geliefert, wie sich die SPD heute in bezug auf die Bundeswehr darstellt. Sie haben zwar das Godesberger Programm angesprochen; Sie haben ferner gesagt, daß Sie auch in dem künftigen Programm, das Sie ja offensichtlich immer noch nicht fertig bekommen, weshalb Sie Ihren Parteitag verschieben mußten, eine klare Aussage zur Bundeswehr machen. Wenn Sie aber dann im selben Atemzug davon sprechen, daß der Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg auf die Hardthöhe strafversetzt worden sei, dann ist das ein Schlag ins Gesicht der Bundeswehr.
Es kann keine Strafe sein, Chef der Hardthöhe zu sein.
Sie machen es heute so und morgen so.
Ihr Parteivorsitzender kalkuliert in seinen Sonntagsreden zwar ein, daß Soldaten und ihre Familien auch Wähler sind. Tatsächlich aber handeln sozialdemokratische Politiker gegen die Bundeswehr.
— Brigitte Traupe, lachen Sie nicht. Ich nenne ein paar Beispiele. In meinem Heimatland Schleswig-Holstein verbietet die SPD z. B. den Soldaten, sich an Stadtjubiläen zu beteiligen. Ein SPD-Vizelandtagspräsident führt Sitzblockaden vor Kasernentoren an, und die SPD-Landtagspräsidentin weigert sich, einer guten Tradition folgend ausländische Offiziere, die
ihren Lehrgang an der Führungsakademie abgeschlossen haben, zu empfangen.
Schließlich, meine Damen, meine Herren, stellen SPD-Bürgermeister in Rathäusern, in öffentlichen Gebäuden also, Räume für links-extremistische Vereinigungen wie die Deutsche Friedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsgegner zur Verfügung, damit diese mit den Jusos gemeinsam Beratungen für Kriegsdienstverweigerer durchführen können. Dies erfolgt genau nach dem Schema und nach der Broschüre, womit IG Metall-Jugend und Deutsche Friedensgesellschaft zu massenhafter, hunderttausendfacher Kriegsdienstverweigerung aufgerufen haben.
Doch leider — das haben wir auch heute hier wieder gehört — ist die SPD Schleswig-Holstein kein Einzelfall. Denn schließlich hat ja die SPD auf ihrem Bundesparteitag folgendes — so der Wortlaut — beschlossen:
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands spricht sich gegen eine weitere Durchführung öffentlicher Gelöbnisse der Bundeswehr aus.
Ich frage: Wo bleibt hier das im Grundgesetz verankerte Recht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit?
Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die SPD macht die Soldaten der Bundeswehr zu Menschen zweiter Klasse. Sie läßt zu, daß Bürger in Uniform und ihre Angehörigen von Mitbürgern gemieden, beschimpft und terrorisiert werden, und momentan ganz besonders die Jet-Piloten der Luftwaffe.
Machen wir uns endlich bewußt: Die Soldaten der Bundeswehr erfüllen ihre Pflicht, die das Grundgesetz und wir Politiker ihnen auferlegt haben, auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD.
Danken wir den jungen Männern, die trotz der Droge Zeitgeist den unbequemen Wehrdienst ableisten, und bekennen wir uns zu unserer Bundeswehr. Denn sie hat wesentlich dazu beigetragen, daß wir in der längsten Friedensphase leben, die es je gab. Trotz aller Abrüstungsbemühungen, meine Damen und Herren, können und werden wir auch in Zukunft auf die Bundeswehr nicht verzichten. Denn Frieden und Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif.
Die Soldaten der Bundeswehr garantieren durch ihren Dienst den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Schutz der Menschenwürde. Sie garantieren damit auch den Schutz freier Gewerkschaften, auch den der IG Metall und der IG Medien, den Schutz einer freien Presse, freier Kirchen und Jugendverbände und — auch dies wollen wir nicht vergessen — das Recht auf Demonstration und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen.
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Frau Roitzsch
Ich rufe deshalb alle Demokraten zu massenhaftem, hunderttausendfachem Bekenntnis zu unseren Soldaten in der Bundeswehr auf. Denn unser erster Bundespräsident, Theodor Heuss, hat bereits in den fünfziger Jahren gesagt: „Die Bundeswehr ist das legitime Kind der Demokratie. " — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Auftrag der Bundeswehr ist Friedenssicherung. Wehrdienst, aktiver Dienst für Frieden. Im allgemeinen Wehrdienst kommt der Bürger seinen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nach." Dieses Zitat können Sie der gemeinsamen 7-PunkteErklärung des DGB und der Bundeswehr aus dem Jahr 1981 entnehmen. Herr Ronneburger hat schon darauf hingewiesen. Wir sind der Gewerkschaft Bergbau und Energie dankbar, daß sie diese Erklärung in der letzten Woche noch einmal veröffentlicht hat.
Ich frage aber von dieser Stelle aus, ob diese gemeinsame Erklärung heute noch uneingeschränkt für den Deutschen Gewerkschaftsbund gilt, wenn Teilgewerkschaften zur massenhaften Verweigerung des Wehrdienstes aufrufen.
— Zur massenhaften Verweigerung. Ja, Sie haben richtig gehört.
Ich frage auch: Distanziert sich der DGB schrittweise von der Bundeswehr? Wir erwarten eine Klarstellung und Distanzierung ohne Wenn und Aber durch den DGB.
Wir erwarten von der DGB-Führung ein klares Bekenntnis zum Wehrdienst, zur Bundeswehr und zu unseren Soldaten. Ich sage Ihnen dazu, daß die Aussagen des DGB-Vorsitzenden Breit reichlich spät kommen und aus unserer Sicht nicht ausreichend sind.
Als ehemaliger Wehrpflichtiger sage ich Ihnen auch: Ich empfinde den Aufruf einiger Gewerkschaften zur massenhaften Wehrdienstverweigerung als Diffamierung unserer Bundeswehr, unserer aktiven und ehemaligen Bundeswehrsoldaten, aber auch als Schlag gegen alle Demokraten.
Es ist darauf hingewiesen worden, daß Theodor Heuss einmal gesagt hat: „Die Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie. " Mit unserer Bundeswehr haben wir zum ersten Mal im demokratischen Deutschland eine auf der allgemeinen Wehrpflicht gegründete Landesverteidigung geschaffen. Seit Bestehen der Bundeswehr haben mehr als 5 Millionen junger Männer und viele Hunderttausende von Zeit- und Berufssoldaten für unseren Staat, für Freiheit und für Frieden gedient. Ich denke, wir alle schulden ihnen hierfür Dank und Anerkennung.
Unsere Soldaten sind als Staatsbürger in Uniform Teil unseres demokratischen Staates. Sie haben unter
Aufgabe vieler Annehmlichkeiten des zivilen Lebens zur Verhinderung eines militärischen Krieges beigetragen, und sie garantieren damit unsere Freiheit. Auch darauf ist schon hingewiesen worden. Sie leisten einen Friedensdienst. Damit haben sie eine Gewissensentscheidung getroffen. Das sollten alle Parteien und Gruppierungen in der Bundesrepublik anerkennen.
Die Soldaten sind bei ihrem Dienst an Befehl und Gehorsam gebunden, aber auch an Recht und Gewissen. Unsere Landesverteidigung ist im Grundgesetz festgelegt. Sie ist damit demokratisch festgelegt. Somit sind unsere Soldaten ein wesentlicher Bestandteil unserer freien Gesellschaft, und sie wollen es sein. Wir sind alle aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, daß das Selbstwertgefühl und das Verständnis der Bevölkerung für die Soldaten gestärkt werden.
Das erwarte ich auch vom DGB; denn der Aufruf der genannten Gewerkschaften scheint ja nur der Höhepunkt einer Kampagne gegen die Bundeswehr zu sein.
Ich will an dieser Stelle aber auch noch sagen, daß politische Diskussionen nicht auf dem Rücken der Bundeswehrsoldaten ausgetragen werden dürfen. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die aktuelle Diskussion über die Verschiebung der Wehrdienstverlängerung, Herr Koschnick. Auch hier gilt der Primat der Politik. Wir sollten die Bundeswehr da heraushalten.
Die Kollegin Roitzsch hat auf den Parteitagsbeschluß der SPD hingewiesen. Auch Sie, Herr Koschnick, frage ich jetzt: Warum wollen Sie die Bundeswehr eigentlich verstecken? Oder distanziert sich Ihre Partei mittlerweile auch schon schrittweise von der Bundeswehr? Revidieren Sie diesen Beschluß; denn auch das ist der Boden, auf dem weitere Repressalien gedeihen können.
Rufen Sie aber auch Ihre Gewerkschaftsfreunde auf, diesen unseligen Aufruf zurückzuziehen; es sind ja zum Teil auch Ihre Parteifreunde.
Fordern Sie Ihre Gewerkschaftsfreunde auf — so wie es Herr Horn getan hat, der heute nicht hier ist —, ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr abzugeben.
Ich sage an dieser Stelle abschließend: Wir Freien Demokraten werden auch in Zukunft nicht bereit sein, Diffamierungen unserer Bundeswehr stillschweigend hinzunehmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10229
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren und Kollegen!
— Das ist eine Redeunterstützung für mich.
Vielen Dank! — Massenhafte Kriegsdienstverweigerung ist das Gebot der Stunde, wenn die Chance für Abrüstung und für die Reduzierung der Bundeswehr von den Regierenden boykottiert wird. Daß die Aufrüstungsbefürworter solche Anregungen in den Bereich der Verfassungsfeindlichkeit rücken wollen, zeigt, wie wichtig solche Initiativen sind. Wer auf dem richtigen Weg ist, muß Diffamierungen offenbar in Kauf nehmen und verdient unsere volle Solidarität. Das betrifft nicht nur die hier heute angeprangerten Gewerkschaften, sondern die ganze Friedensbewegung.
Ich hoffe, daß selbst die Koalitionsfraktionen mir darin zustimmen können, daß ein breit getragener Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung vor dem 1. September 1939 richtig und nötig gewesen wäre.
Bis heute aber verteidigen Sie die massenhafte Teilnahme an Hitlers verbrecherischem Angriffskrieg als Pflichterfüllung der Soldaten. Diejeningen, die sich damals verweigert haben und der Nazimilitärjustiz zum Opfer fielen, sind bis heute nicht rehabilitiert, sind nicht als Opfer des Naziregimes anerkannt und erhalten keine Entschädigungsleistungen. Ihre Mörder aber wurden in den Justizdienst der Bundesrepublik übernommen.
Die Bonner Friedensgruppen wollen diesen Deserteuren des Zweiten Weltkrieges 50 Jahre danach das mir eben weggenommene Denkmal setzen, damit wir über ihr Schicksal nachdenken. Statt aber diese Bürgeranregung zu begrüßen, nennt der Oberbürgermeister der Bundeshauptstadt, Herr Kollege Dr. Daniels, dieses Anliegen „Verherrlichung von Fahnenflucht" und „Verhöhnung der Soldaten". Die Bonner CDU spricht von einem „Schandmal" und einer Verletzung des Grundgesetzes und schließt die Befürworter dieses Projekts aus den Reihen der Demokraten aus.
Frau Abgeordnete, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Schluß.
Dieses Geschrei der harten Rechten und der Kriegstreiber schadet dem Ansehen der Bundesrepublik. Die ganze Bundeshauptstadt, die Regierung und dieser Bundestag wären gehalten, dieses Denkmal zu unterstützen und am 1. September zu Ehren der Deserteure aufzustellen.
Ich bedanke mich und verurteile die Zensur, die durch Wegnahme des Denkmals ausgeübt wurde. Das ist Kunst!
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Stellung der Soldaten in einer demokratischen Gesellschaft betrifft den Kernbereich des demokratischen Staatsverständnisses. Das ist das Thema dieser Aussprache, und da sollte wahrlich kein Platz für parteipolitische Polemik sein.
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sichert das Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Wie viele Länder dieser Welt bedürfen noch einer solchen Verfassungsbestimmung und einer solchen Verfassungswirklichkeit! Dieses Grundgesetz schafft ein Recht für den einzelnen Staatsbürger. Es sichert die Ausübung einer Gewissensentscheidung gegen den Dienst mit der Waffe, aber diese Gewissensentscheidung kann nicht kollektiviert werden. Diese Verfassungsbestimmung schafft kein Instrument zur Durchsetzung einer bestimmten politischen Auffassung, auch nicht in der Sicherheitspolitik. Der Aufruf zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung als — wie es heißt — Druckfaktor ist der Aufruf zum Mißbrauch einer Verfassungsbestimmung, und das muß mit Entschiedenheit zurückgewiesen werden.
Der Satz „Der Auftrag der Bundeswehr ist Friedenssicherung, Wehrdienst ist aktiver Dienst für Frieden" steht in der gemeinsamen Erklärung das DGB und der Bundeswehr aus dem Jahre 1981. Es ist gut, daß der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ernst Breit, die Fortgeltung dieser gemeinsamen Erklärung deutlich gemacht hat. Es liegt aber in der Verantwortung der Einzelgewerkschaften des DGB, diese Erklärung des DGB-Vorsitzenden glaubwürdig und mit allen ihren Teilen zu unterstützen. Gewerkschafter wie Theodor Blank und Georg Leber haben als Bundesminister der Verteidigung in besonderer Weise dazu beigetragen, daß unserer Republik der Gegensatz zwischen Gewerkschaften und Streitkräften erspart geblieben ist. Dabei muß es bleiben.Die Bezeichnung des Wehrdienstes als Mitwirkung an der Kriegsvorbereitung ist eine nicht hinnehmbare Diffamierung des Freiheits- und Friedensdienstes der Soldaten der Bundeswehr, der Wehrpflichtigen, der Zeitsoldaten, der Berufssoldaten und der Reservisten.
Wer sich hinter eine solche Erklärung stellt, der mußsich fragen, wie er sich zu Millionen junger Staatsbür-
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10230 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Bundesminister Genscherger stellt, die in den vergangenen Jahrzehnten diesen Freiheits- und Friedensdienst geleistet haben.
Auch die Entscheidung für den Dienst in der Bundeswehr ist eine Gewissensentscheidung und bedarf der gleichen Respektierung.
Unsere Wehrpflichtarmee ist nicht ein Staat im Staate. Sie ist ein Teil unserer Gesellschaft. Unsere Soldaten leben mitten in dieser Gesellschaft. Die Bundeswehr ist ein Ausdruck des Willens unserer Demokratie, Freiheit und äußeren Frieden zu bewahren.Wer aber zur Kriegsdienstverweigerung als einem politischen Druckmittel aufruft, wer sich mit der Behauptung solidarisiert, der Dienst in der Bundeswehr sei Mitwirkung an der Kriegsvorbereitung, der grenzt die Soldaten unserer Bundeswehr aus unserer demokratischen Gesellschaft aus.
Hier muß gelten: Wehret den Anfängen! Diese Armee gehört in unsere Gesellschaft. Sie will in unserer Gesellschaft sein, und sie darf nicht aus dieser Gesellschaft hinausgeschoben werden.
Parlament und Regierung dürfen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie den Friedens- und Freiheitsdienst der Soldaten nicht nur als Beitrag zur Sicherheit unseres Landes akzeptieren. Sie müssen sich zu diesem Dienst bekennen, zu seiner Notwendigkeit und zu seiner freiheits- und friedenssichernden Funktion. Bei allen notwendigen und unverzichtbaren Auseinandersetzungen über die richtige Sicherheitspolitik darf der sicherheitspolitische Konsens in unserem Land, der auch in dem Bekenntnis zu den Streitkräften unseres demokratischen Staates zum Ausdruck kommt, nicht in Frage gestellt werden.
Unsere Bundeswehr wird auch in künftigen kooperativen europäischen Sicherheitsstrukturen eine wichtige Rolle zu erfüllen haben. Verantwortliche Friedenspolitik schafft deshalb keine Legitimations- und Akzeptanzprobleme für die Bundeswehr.
Das setzt voraus, daß der sicherheitspolitische Konsens, der von der Mehrheit unserer Bürger getragen wird, durch beherzte Nutzung aller Möglichkeiten der Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses, der Rüstungskontrolle und der Abrüstung gefestigt wird.
Die Erfüllung des Auftrags verlangt, daß die Bundeswehr in die Lage versetzt wird, ihren Auftrag zu erfüllen. Darauf haben die Staatsbürger in Uniform Anspruch.
Deshalb ist es auch wichtig, den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu gestalten.
Dazu gehört bessere soziale Absicherung der Wehrpflichtigen, der Zeit- und Berufssoldaten sowie ihrer Familien, und dazu gehört auch die Behebung des Mangels an jungen Offizieren und Unteroffizieren.
Der Auftrag unserer Streitkräfte ist wie der des ganzen Bündnisses Kriegsverhinderung. Für diesen Auftrag werden unsere Soldaten ausgebildet. Diesem Auftrag sind sie verpflichtet. Für diesen Auftrag haben sie sich durch ihre Gewissensentscheidung entschieden.Die Sorge, daß ein abnehmendes Bedrohungsgefühl in unserer Bevölkerung zu einem Abnehmen der Verteidigungsbereitschaft führt, ist nicht nur unbegründet. Ich finde, sie ist ungerecht gegenüber der Haltung unserer Bürger, und sie ist ungerecht gegenüber der Pflichterfüllung unserer Soldaten. Die Einschätzung, daß die Gefahr einer militärischen Konfrontation geringer als früher ist und daß heute mehr Abrüstungschancen als früher bestehen, beruht auf einer zutreffenden Analyse. Aber die Bürger unseres Landes wissen gut genug, daß ihre Sicherheit auf der Existenz unserer Bundeswehr, auf unserer Mitgliedschaft im Bündnis und auf einer verantwortungsvollen, auf Dialog, Zusammenarbeit und Rüstungskontrolle gerichteten Friedenspolitik der Bundesregierung beruht.Dieser sicherheitspolitische Konsens könnte eigentlich nur dann gefährdet werden, wenn wir die Chancen für eine solche Politik nicht nutzen.Für die Haltung unserer Soldaten — auch das muß gesagt werden — zu unserer demokratischen Gesellschaft und zu unserem demokratischen Staat ist es von entscheidender Bedeutung, daß sie von der Politik mit ihrem Auftrag nicht allein gelassen werden.
Der Primat der Politik gegenüber den Streitkräften entspricht unserem demokratischen Staatsverständnis. Aber der Vorrang der Politik, meine Damen und Herren, bedeutet auch die Verantwortung der Politik für alle Entscheidungen, die die Bundeswehr betreffen.
Dieser Verantwortung dürfen wir uns alle nicht entziehen. Den Auftrag, den die Bundeswehr zu erfüllen hat, einschließlich aller Übungen und Manöver, hat sich die Bundeswehr nicht selbst gegeben. Es ist ein von der Politik erteilter Auftrag.
Diesen Auftrag hat die Politik zu vertreten. Niemand darf diese Aufgabe auf die Soldaten und ihre Familien abladen.Der Auftrag der Bundeswehr ist ein unverzichtbarer Teil unserer Politik der aktiven Friedenssicherung.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10231
Bundesminister GenscherDas ist heute so. Das wird morgen so sein. Deshalb bekennen wir uns zu diesem Dienst in der Bundeswehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es drängt sich mir zunehmend der Eindruck auf, daß diese Veranstaltung die Legitimationsbasis für die Gewerkschaftsfeindlichkeit der CDU/CSU und der FDP ist.
Der DGB-Vorsitzende Ernst Breit hat klargestellt, daß die Erklärung von 1981 in ihrer vollen Länge für den Deutschen Gewerkschaftsbund nach wie vor Gültigkeit hat. Es ist nicht nötig, daß das wiederholt wird. Ich sage auch dazu: Es wird Ihnen nicht gelingen, zwischen die Bundeswehr und den Deutschen Gewerkschaftsbund einen Keil zu treiben.
Es wird Ihnen auch nicht gelingen, zwischen die Bundeswehr, den Deutschen Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften einen Keil zu treiben,
auch wenn Sie das heute fortwährend versuchen.Sie sprechen von Generalangriff auf die Bundeswehr — so Herr Kohl. Sie sprechen von gefährlichen Schritten in das Verfassungsabseits. Herr Genscher hat jetzt noch einmal vom Mißbrauch der Verfassung geredet. Nun müssen Sie sich die Frage stellen: Was ist das, was zur Zeit stattfindet? Da gibt es z. B. ein neues Liederbuch für die Bundeswehr.
Das erste Lied in diesem Liederbuch ist — man lese und staune — das Deutschlandlied in seinen drei Strophen.
Demnächst werden die Bundeswehrsoldaten wieder angehalten, „Deutschland, Deutschland über alles, ... von der Etsch bis an den Belt ... " zu singen. Hier sage ich Ihnen: Das ist mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen. So etwas steht nicht in unserer Verfassung.
Seit vielen Jahren schwadronieren Sie darüber, wo das Einsatzgebiet der Bundeswehr sein könnte, obman das erweitern könnte. Auch das ist nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen.
Auch die Beteiligung deutscher Firmen an der Atomwaffenproduktion und an Chemiewerken ist mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen.
Auch die Beteiligung von Bundeswehrangehörigen an Kriegsvorbereitungen Libyens gegen Israel ist mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen.
Es würde Ihnen gut anstehen, wenn Sie sich einmal um Ihren eigenen Laden kümmerten,
über Ihre Verantwortung und das, was Verfasssung in diesem Lande bedeutet.
Übrig bleibt der Wirrwarr, den Sie mit der Frage der Wehrdienstverlängerung geschaffen haben. Das hat bei vielen Jugendlichen, ob sie nun Wehrdienst oder Zivildienst leisten, zu einer großen Verärgerung geführt. Diese Verärgerung drückt sich auch dadurch aus, daß manch einer sagt: Mit diesem Staat will ich nichts mehr zu tun haben. Wer so mit den Interessen der jungen Menschen umgeht, wer so mit ihrer Lebensplanung umgeht, wer so etwas veranstaltet,
der muß sich fragen lassen, wieweit er das Leben junger Menschen und deren Interessen ernst nimmt.
— Herr Breuer, Sie sind nachher noch dran.Jedem Bürger und jeder Organisation steht das Recht zu, auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Grundgesetzartikels aufmerksam zu machen. Das hat die IG Metall,
das hat die DFG/VK getan.
Das ist ein Recht. Wenn jemand darauf hinweist, daßnach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes die Möglichkeitbesteht, den Kriegsdienst zu verweigern, ist das rich-
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10232 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989
Gilgestig. Das darf hier in diesem Hause nicht in Zweifel gezogen werden.
Die Wahrnehmung dieses Grundrechts, meine sehr verehrten Damen und Herren — das kann jeder in der Praxis erkennen — , ist in dieser Gesellschaft vom Bildungsstand abhängig. Das weiß jeder, der sich mit der Frage beschäftigt. Deswegen hat Karin Benz-Overhagen — Vorstandsmitglied der IG Metall — recht, wenn sie sagt: Es ist unsere Aufgabe, den jungen Arbeitnehmern in den Betrieben und im Beruf schon klarzumachen, daß es diese Möglichkeit auf Verweigerung gibt, und hinzuweisen und zu informieren, daß es Kriegsdienstverweigerung gibt.
Kriegsdienstverweigerung ist nicht, wie sie es hier wieder dargestellt haben, ein Ausnahmerecht. Es geht einem ja schon an die Nerven, wenn Sie das immer wieder deklarieren. Es wäre einmal gut, Herr Genscher, wenn Sie auch hier einmal ein Bekenntnis— ich unterstütze Ihre Meinung zur Bundeswehr und das, was Sie da gesagt haben, da gibt es keine Debatte — zur Kriegsdienstverweigerung und zum Zivildienst hier ablegen würden. Es wird doch ständig Ungleichgewichtigkeit hergestellt.
— Ja, in den Sonntagsreden tun Sie das. Aber in der Regel gibt es ein Bekenntnis zur Bundeswehr, und das Ausnahmerecht ist die Kriegsdienstverweigerung bzw. der Zivildienst.
Die Behauptung des massenhaften Aufrufs, die immer wieder unterstellt wird, ist schlicht und einfach falsch.Ich will zum Schluß sagen: Das Vorstandsmitglied Ilse Brusis — verantwortlich für Jugend beim Deutschen Gewerkschaftsbund — hat gesagt:Ich würde mir wünschen, daß in Bonn einmal ähnlich viel Aufregung über Jugendarbeitslosigkeit herrscht wie jetzt über die Informationskampagne zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung.Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es glaubwürdig und respektabel, Herr Kollege Koschnick, daß Sie ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr abgeben.
— Es überrascht mich nicht, lieber Florian Gerster, weil es in der persönlichen Kontinuität der Politik von Hans Koschnick steht. — Es kommt kein „Aber" .
Ich möchte zu der Frage der moralischen Gleichwertigkeit eine Ergänzung liefern, Herr Kollege Koschnick. Die Auseinandersetzung ist ja nicht nur, ob, so wie DGB und Bundeswehr 1981 richtigerweise gemeinsam festgestellt haben, der Dienst in der Bundeswehr Friedensdienst und nicht Kriegsdienst ist und der Dienst als Wehrdienstverweigerer Friedensdienst ist. Nein, es geht ja auch darum, meine Damen und Herren, festzustellen, daß der äußere Friede als Bedingung für die Entwicklung eines freiheitlichen und rechtsstaatlichen Gemeinwesens von den Soldaten der Bundeswehr aufrechterhalten wird. Dies leisten die Wehrdienstverweigerer nicht. Das heißt, die Wahrnehmung ihrer Freiheitsrechte nach Art. 4 Abs. 3 basiert auch auf der Gewährleistung des äußeren Friedens durch die Soldaten der Bundeswehr.Ich respektiere die Presseerklärung von Ernst Breit, der die eben angesprochene gemeinsame Erklärung mit der Bundeswehr von 1981 erneuert.Meine Damen und Herren, mir liegt es wirklich fern, einen Keil zwischen Bundeswehr und Gewerkschaften treiben zu wollen. Das wäre das Falscheste, was wir machen könnten. Im Gegenteil, wir müssen dafür sorgen, daß die Stärke der politischen Mitte — und das ist doch auch die Tradition der Einheitsgewerkschaft, organisiert im Deutschen Gewerkschaftsbund — , wie es nach der Gründung der Bundesrepublik der Fall war, zur tragenden Säule auch der Bundeswehr wird; denn die Bundeswehr ist tragende Säule dieses Gemeinwesens.Aber, meine Damen und Herren, man muß sich natürlich etwas tiefer mit den Äußerungen und der Tätigkeit von Frau Benz-Overhagen beschäftigen. Da reicht das heute Diskutierte bisher nicht aus. Meine Meinung ist, daß das Unterzeichnen von Frau BenzOverhagen dieser gemeinsamen Erklärung mit der DFG/VK keine einmalige Entgleisung ist. Vielmehr ist das — das ist nachweisbar — ein Indiz für eine seit Jahren fehlgeleitete Arbeit in der Deutschen Gewerkschaftsjugend.
— Wenn Sie mir das nicht abnehmen, Frau Kollegin Fuchs, dann möchte ich Ihnen die gemeinsam von der IG-Metall-Jugend und DFG/VK herausgegebene Schrift „Ratgeber Kriegsdienst verweigern" einmal in Teilen zitieren.Dort wird z. B. die Frage gestellt — das steht auf der Seite 21 — : Was soll denn verteidigt werden? Das Waldsterben im Schwarzwald, die Massenarbeitslo-
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Breuersigkeit, die mehr als drei Millionen Sozialhilfeempfänger usw.?
— Ja, eine gute Frage dann, wenn die Antwort käme, daß ein freiheitliches Gemeinwesen, und zwar das freiheitlichste auf deutschem Boden, das jemals bestand, verteidigt werden soll; dann wäre das gut. — Aber auf der Seite 25, Frau Fuchs, steht dann — ich zitiere wörtlich — : Soldaten sind Täter!
Das bestätigt meine Behauptung einer seit Jahren fehlgeleiteten Jugendarbeit in DGB-Gewerkschaften.
Damit muß sich Herr Breit, damit muß sich auch Herr Steinkühler beschäftigen. An dem zustimmenden Nicken des Kollegen Koschnick erkenne ich, daß Sie dazu bereit sind, diese Arbeit mit zu leisten.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen debattieren wir über die Haltung der Bundesregierung zu einem Aufruf bzw. zu einer gemeinsamen Erklärung. Wenn wir über die Haltung der Bundesregierung debattieren, gäbe es andere Themen, über die wir zu sprechen hätten und die unmittelbar mit der Akzeptanzkrise der Bundeswehr zu tun haben.
Sie hat wiederum auch mit dem anders nicht erklärbaren Anstieg der Zahlen der Kriegsdienstverweigerer seit 1982 zu tun, einem eklatanten Anstieg. Es sind einige Gründe genannt worden.Ich will einen weiteren Grund nennen, der zur Akzeptanzkrise der Bundeswehr und zur Motivationskrise in den Streitkräften beigetragen hat. Das ist — das kann ich Ihnen nicht ersparen, sehr geehrter Herr Stoltenberg — die Personalpolitik dieses Bundeskanzlers und dieser Bundesregierung. Die Bundeswehr, die Truppe — auch das Ministerium, aber in erster Linie die Truppe — war irritiert, als ihr Herr Scholz vor die Nase gesetzt wurde, und sie war entsetzt, Herr Stoltenberg, als ihr ein Minister vor die Nase gesetzt wurde, der in einem anderen klassischen Ressort nicht mehr haltbar war.
Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Dies hat auch sehr viel mit dem Selbstverständnis der Streitkräfte zu tun, die sich von dieser Personalpolitik auf oberster Ebene zutiefst vernachlässigt sowie falsch und schlecht behandelt fühlen.Meine Damen und Herren, wir verteidigen nicht die Formulierung dieser gemeinsamen Erklärung,
und wir haben mehrfach deutlich gemacht, daß das individuelle Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung als individuelles Grundrecht unantastbar ist, daß es ungeeignet ist für den politischen Kampf. Wir haben mehrfach deutlich gemacht, daß die Wehrpflicht Verfassungsrang hat und daß die Bundeswehr ein dauerhaftes Instrument der Friedenssicherung ist.Wir begrüßen auch die Klarstellungen, die viele Gewerkschaftsführer in den letzten Wochen ganz eindeutig vollzogen haben. Es war nicht nur Ernst Breit, der sich ohne jede Differenzierung auf die Erklärung von 1981 gestellt hat, die in ihrem Wortlaut wiederum sehr eindeutig ist; es waren auch die Vorsitzenden der IG Metall, der HBV, der ÖTV, der IG Chemie. Ich könnte weitere aufzählen, die sich alle von diesem Tenor der gemeinsamen Erklärung von IG-MetallJugend und DFG/VK distanziert haben.Im übrigen: Wir werden uns doch nicht verteidigen — auch die Sozialdemokraten nicht — , daß in unseren Reihen selbstverständlich Pazifisten ihren Platz haben. Ich bin sogar stolz darauf, in einer Partei zu sein, in der es Menschen gibt — seit sie besteht, seit über 125 Jahren — , die überzeugte Pazifisten sind.
Sie haben ihren Platz bei uns, sie werden aber nicht die Politik bestimmen können. Die Politik muß eine Politik sein, die mit der Programmatik der SPD vereinbar ist, und das ist nun einmal seit Godesberg und lange davor das Ja zur Landesverteidigung, meine Damen und Herren.Dieser Aufruf oder diese gemeinsame Erklärung ist aus einem besonderen Grund besonders unerfreulich, nämlich deshalb, weil diese Erklärung den Eindruck erweckt, es bleibe einem jungen Mann, der mit der Aufrüstung, mit der atomaren Abschreckung oder mit der konkreten Verteidigungspolitik dieser Bundesregierung nicht einverstanden ist, kein anderer Weg, als den Kriegsdienst zu verweigern. Wenn das so wäre, dann wäre das tatsächlich schlimm.
Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich sehr deutlich: Wir achten die Gewissensentscheidung jedes jungen Mannes, der an der militärischen Landesverteidigung nicht mitwirken möchte. Er sollte sich allerdings — das möchte ich auch den Kollegen der GRÜNEN sagen — nicht auf die Deserteure des Zweiten Weltkrieges berufen. Das wäre eine schlimme Geschichtsklitterung.
Wir achten die Motive des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen. Aber wir ermutigen auch jeden kritischen Wehrpflichtigen, jeden Soldaten, die Bundeswehr mit uns zu einer Bundeswehr der Zukunft weiterzuentwickeln: in einem System gemeinsamer Sicherheit, mit weniger Waffen, mit anderen Waffen, mit einer geringeren Friedenspräsenz und mit
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Gerster
sehr viel mehr gesellschaftlicher Akzeptanz als heute.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fischer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die heutige Aktuelle Stunde gibt uns Gelegenheit, auch einige Gedanken grundsätzlicher Art zur Verteidigungsbereitschaft einzubringen. Ich meine, daß einige Kollegen und Kolleginnen, die gesprochen haben, sehr wohl versucht haben, sich auf das grundsätzliche Übereinstimmen von uns zu einigen.
Ich finde den Aufruf der IG Metall erbärmlich. Ich muß ganz deutlich sagen, daß manchen Leuten in der Führung der Gewerkschaften offensichtlich das Gefühl dafür verlorengegangen ist — wenn sie es denn je besaßen — , den Soldaten als Hüter unserer freiheitlichen Lebensweise in der Gegenwart zu begreifen.
Der Appell zur „massenhaften Kriegsdienstverweigerung" , der von der IG Metall mitverantwortet wird, ist, finde ich, einfach eine Ohrfeige für zahlreiche Gewerkschafter, die zur Bundeswehr stehen und die ihren Dienst in der Bundeswehr geleistet haben. Sie können sich von ihren Funktionären dann doch gar nicht vertreten fühlen.
Dieser Aufruf verletzt das historische Bündnis der Aussöhnung zwischen Arbeiterschaft und Streitkräften. Da kann ich nur raten, wie einige von uns und von der Opposition es jetzt ja auch schon getan haben, sich einmal auf den früheren Verteidigungsminister Georg Leber zurückzubeziehen. Ich finde die Belastung der Einheitsgewerkschaft mit diesen Dingen einfach unerträglich. Die Äußerungen von Herrn Breit gehen mir nicht weit genug und sind mir nicht deutlich genug, — damit es jeder versteht.
Wenn ich zu meinem Entsetzen auch noch feststelle, daß das Präsidium der deutschen Sektion von Pax Christi tatsächlich meint, die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner — und nach den Verfassungsschutzberichten kann man ja wohl sagen: kommunistisch orientierte Friedensgesellschaft — unterstützen zu müssen, kann ich nur hoffen, daß das nicht von meiner Kirchensteuer finanziert wird.
Im übrigen muß man in zunehmendem Maße wirklich den Eindruck haben, daß es Leute bei uns gibt — ich will das einmal etwas salopp formulieren —, die jetzt glauben, die Rote Armee sei bereits eine Art Heilsarmee geworden. Manchmal hat man den Eindruck, das gelte auch schon für Teile der Rote-ArmeeFraktion.
Allen Ernstes muß man doch fragen, was bei diesem Aufruf die wirkliche Absicht derer ist, die — emotional aufbauschend — die Gewissensentscheidung, d. h. eine persönliche Entscheidung eines einzelnen,
zu einer Massenentscheidung kollektivieren wollen. Außerdem glaube ich sagen zu dürfen, daß es schon erschreckend ist, feststellen zu müssen, daß offenbar sehr geringe historische Kenntnisse, kompensiert durch großes emotionales Engagement, zu dieser negativen Einstellung führen.
Die Bundeswehr hat gerade in Zeiten des Friedens einen besonders wichtigen Platz in unserem Staat. Sie hat in mehr als 30 Jahren ihren Auftrag zur Erhaltung des Friedens in Freiheit innerhalb des NATO-Bündnisses erfüllt. Ich weiß immer noch nicht, ob es jetzt dümmlich war oder nicht doch ein perfider Versuch, mit diesem Aufruf mit der Sehnsucht der Menschen nach Bewahrung des Friedens durch Abrüstung ein böses Spiel zu spielen und Dinge vorzugaukeln, als ob Angebote bereits jetzt in Realität umgesetzt seien.
Ich finde die Entscheidung für die Armee als eine Wehrpflichtarmee, die damals hier im Bundestag gefällt worden ist, ganz besonders richtig und wichtig. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, wir, haben sich bewußt gegen die Berufsarmee entschieden. Politisch spricht für die Wehrpflichtarmee, daß durch sie eine Entwicklung verhindert wird, bei der die Armee zu einem Staat im Staat und damit der staatlichen Ordnung selbst gefährlich werden könnte. Ich meine, wir sollten dieses ganz besonders hochachten.
Die Armee ist ein Attribut der Souveränität. Sie ist konstitutiv für die nationale Unabhängigkeit.
Dieses zu erkennen und gleichzeitig im Gesamtzusammenhang die Funktion der militärischen Verteidigung im europäischen Sicherheitssystem oder im Atlantischen Bündnis zu sehen, gehört zu einer wichtigen Auflärungsarbeit, der wir eigentlich alle verpflichtet sein müßten.
Letztendlich hat sich zu allen Zeiten der Geschichte, von der Antike bis heute, gezeigt, daß immer dann, wenn irgendwo ein Machtvakuum bestand, ausländische Kräfte in dieses Vakuum gezogen wurden. Sie kennen alle den Spruch von Winston Churchill — und damit muß ich schließen — : Jedes Volk hat eine Armee, entweder eine eigene oder eine Besatzungsarmee.
Wir wären sehr gut beraten, in Zukunft im Hinblick auf die jungen Leute in unserem Land verstärkt zu erklären, zu erläutern, zu begründen und zu überzeugen, damit die Gegner der Bundeswehr nicht nach Rattenfängermanier vorgehen und Erfolg haben können.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, zum Schluß erteile ich dem Abgeordneten Kossendey das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem nun sehr viele Argumente
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Kossendeypro und contra gefallen sind, kann man sich die Wiederholung derselben ersparen.
Ich will einige Bemerkungen zu dem machen, was hier gesagt worden ist. Ich glaube, es muß gesagt werden.Der Beitrag von Frau Schilling war neben vielen uns bekannten Unsachlichkeiten
aus meiner Sicht durch die Aussage über die faschistische Wehrmacht gekrönt. Ich sage sehr deutlich: Ich persönlich fühle mich betroffen, weil meine Eltern und die Eltern vieler derer, die heute hier unter uns sind, dort gedient haben, sei es als Soldat, sei es als ziviler Mitarbeiter. Wir sollten sehr deutlich sagen, daß der allergrößte Teil derer, die in der Wehrmacht gedient haben, keine Faschisten waren, daß sie Opfer faschistischer Herrschaft waren, die mittels des Prinzips von Befehl und Gehorsam diese jungen Leute in ihrem Idealismus zu schrecklichen Dingen mißbraucht hat. Ich glaube, es steht uns gut an, das hier deutlich zu sagen.
Die Kollegen von der SPD glaubten sich darüber erregen zu müssen, daß wir einen neuen Verteidigungsminister haben. Ich sage Ihnen: Wer von Strafversetzung redet, der redet genauso abstrus wie derjenige, der behauptet, der Kollege Koschnick sei aus Bremen in den Bundestag strafversetzt worden.
Wir alle tun eigentlich der Bundeswehr keinen guten Dienst, wenn wir so sprechen.Insgesamt, liebe Frau Traupe: Das, was hier heute von der SPD geboten wurde, erinnert mich so ein bißchen an einen politischen Gemischtwarenladen. Da ist der Kollege Bahr ständig auf der Suche nach neuen Kunden, Leimruten nach Grün und zur Friedensbewegung auslegend. Da kommt dann der Kollege Gerster, der sich um die Stammkunden sorgt. Dann kommt der Kollege Koschnick, der sozusagen der Brückenkopf ins konservative Lager ist, aus der Sicht der Geschäftsführung zuständig für auslaufende Modelle in der SPD.
Der belegt eigentlich mehr die Schubladen, die man für neue Produkte brauchte; aber es gibt halt immer noch Sachen, die von älteren Interessenten an dieser Partei nachgefragt werden, und da dürfen Sie sich den Verwalter dieser Schubladen nicht sparen. Eine klare Aussage zu dem, was die IG Metall gesagt hat, haben wir nur von ihm gehört. — Ich will auch den Kollegen Gerster da mit einbeziehen. — Wir sollten sehr wohl darauf achten, daß die SPD nicht aus dem Konsens, den wir in diesem Hause über weite Strecken haben, ausschert.Frau Fischer hat darauf hingewiesen, daß sich möglicherweise der eine oder andere Heißsporn in der Gewerkschaft in der Wortwahl vergriffen habe. Ich glaube das nicht. Politische Dummheit — das will ich dazusagen — entschuldigt in unserem Lande noch längst nicht alles. Ich meine, diese vermeintlichen Friedensapostel, die dort diese Schrift verfaßt haben, denken überhaupt nicht daran, welch verheerendes Echo durch diese Aktion in der Bundeswehr ausgelöst worden ist.
Die Schriftsteller dieser Schrift, die ja von den Jusos, liebe Frau Traupe, unterstützt worden sind — wir haben heute nichts dazu gehört, daß sich der Juso-Bundesvorstand hinter diese Aktion gestellt hat; ich habe kein Wort der Distanzierung heute von Ihnen dazu gehört — wissen eigentlich gar nicht, daß sie damit die Soldaten und ihre Familien vieltausendfach diffamierend treffen. Man sollte auch sagen: Sie spüren wahrscheinlich überhaupt nicht, daß sie damit Männern wie Georg Leber, dem großen Gewerkschafter und ehemaligen Verteidigungsminister, einen Schlag ins Gesicht versetzen.Lassen Sie mich noch einiges sagen, weil das auch von einigen Ihrer Redner angezweifelt worden ist:
Für uns gilt sehr deutlich, daß wir die Gewissenentscheidung jedes einzelnen respektieren — des Kriegsdienstverweigerers, aber — dies mache ich auch noch einmal deutlich — insbesondere desjenigen, der dem Normalfall des Grundgesetzes folgt, der sich als Soldat zur Verteidigung unserer Freiheit zur Verfügung stellt.
Ich will noch eines dazu sagen: Ich glaube, niemand kann seine Gewissensentscheidung dadurch bekräftigen, daß er die Gewissensentscheidung des anderen in den Dreck zieht.
Auch das darf man einmal sagen. Die Glaubwürdigkeit einer Gewissensentscheidung, gerade für Kriegsdienstverweigerer, bemesse ich daran, wie tolerant und wie friedfertig er im Umgang mit anderen ist. Da ist dieses, was wir von der IG Metall gelesen haben, weiß Gott kein gutes Zeugnis.Ich glaube, die Glaubwürdigkeit einer Entscheidung für den Frieden gewinnt dadurch, daß man sich selber für diesen Frieden engagiert. Wer Soldaten Friedensunfähigkeit bescheinigt, der vergeht sich genauso am Grundrecht dieser jungen Leute wie derjenige, der die Kriegsdienstverweigerer pauschal als Drückeberger abqualifiziert.Ich glaube, es zeugt auch nicht sehr von großer Toleranz, wenn die IG Metall so agiert. Man stelle sich einmal vor, die katholische Kirche würde dazu aufrufen, in Massen aus den Gewerkschaften auszutreten, weil den katholischen Christen die Stellung der Gewerkschaften zum § 218 nicht gefällt. Da würde wortreich die Toleranz der Kirche eingefordert, da würde
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Kossendeywortreich dafür gesorgt werden, daß diese Kirche in eine Ecke gestellt würde, in der wir sie nicht haben wollen.Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen — ich will diesen Aspekt nicht unerwähnt lassen, weil er gerade in diesen letzten Wochen akut geworden ist: Wer dieses dumpfe kommunistische Stammtischpalaver in Resolutionen einer DGB-Gewerkschaft umformt, der darf sich nicht wundern, wenn an den Stammtischen der Rechtsradikalen in unserem Lande die Wogen höher schlagen. da sollte man sehr vorsichtig sein.Ich fordere von hier aus die IG Metall auf: Respektieren Sie die Arbeit der Soldaten, die ihren Dienst am Frieden in unser aller Auftrag erfüllen! Kehren Sie zu der Resolution zurück, die Sie 1981 gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium erarbeitet haben! Füllen Sie diese Resolution mit Inhalten aus!
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer Aktuellen Stunde und am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. April 1989, um 13 Uhr ein.
Ich bedanke mich bei denjenigen, die die Geduld gehabt haben, bis zum Schluß auszuharren, und wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.