Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt uns heute ein Gesetz vor, das in die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit und — insbesondere mit der vorgesehenen Kronzeugenregelung — in rechtsstaatliche Grundprinzipien unserer Verfassung eingreift.
— Sie wissen es, und ich werde es Ihnen schon noch beweisen. Es hören ja Gott sei Dank eine Menge Bürgerinnen und Bürger heute zu. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halten diesen Gesetzentwurf, Herr Marschewski, für überflüssig, für schädlich für den inneren Frieden und verfassungsrechtlich für
mehr als bedenklich. Wir lehnen ihn ab. Wir fordern Sie auf, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das gleiche zu tun.
Sie wiederholen, meine Damen und Herren, gebetsmühlenhaft, Ihr Gesetz werde die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und den Schutz für Bürgerinnen und Bürger erhöhen. Ich sage: Das ist Etikettenschwindel, denn das kann und wird es nicht. Nicht einmal Ihre Behauptung trifft zu, die Zahl der Demonstrationen bei denen es zu Gewalt kommt, steige, und deshalb sei die Verschärfung strafrechtlicher und strafverfahrensrechtlicher sowie demonstrations-strafrechtlicher Bestimmungen notwendig. Nachprüfbare Tatsache, meine Damen und Herren, ist vielmehr, daß zwar die Zahl der Demonstrationen steigt, daß aber Gewalt bei Demonstrationen abnimmt, und zwar relativ und absolut gerechnet.
Das war in den letzten Jahren so, und — Sie werden es in den kommenden Tagen wieder sehen — auch die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik für die vergangenen Monate weisen aus, daß das so ist. Der neue Bundesinnenminister wird diese Kriminalstatistik in den nächsten Tagen der Öffentlichkeit vorstellen. Außer unbewiesenen Behauptungen hat die Bundesregierung auch im Gesetzgebungsverfahren nichts für die Notwendigkeit so schwerwiegender Eingriffe in Versammlungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit vortragen können. Dabei ist klar, meine Damen und Herren: Schutz und Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, Freiheit und demokratische Mitbestimmung, innerer Friede und Rechtsstaat sind unverzichtbare Elemente unserer Verfassung, und diese wollen wir nicht nur erfüllen, sondern wir wollen sie täglich neu ausfüllen und weiterentwickeln.
Das ständige Drehen an der Schraube des Straf- und Demonstrationsstrafrechts indes, Herr Marschewski, meine Damen und Herren, macht uns weder sicherer, noch führt es uns zum inneren Frieden. Für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger allerdings ist dieses Drehen an der Gesetzesschraube mehr als schädlich.
Ich sage: Eigentlich müßten sich diese simplen Tatsachen mittlerweile auch bei Ihnen herumgesprochen haben. In den vergangenen 15 Jahren wurden viele Strafgesetze verändert oder verschärft, meist als Reaktion auf spektakuläre Kriminalfälle oder terroristische Anschläge. Unserer Rechtskultur und unserem Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu schützen, täte es nur gut, jetzt einmal innezuhalten und nachzuprüfen, was diese Verschärfungen eigentlich gebracht haben. Da gibt es ja manchen Zweifel.
Auch in Ihren Reihen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, gab es doch Ansatzpunkte zu solchen Überlegungen. Die Bundesregierung hat doch eine Regierungskommission mit Sachverständigen eingesetzt, die den Auftrag hat, die Ursachen von Gewalt zu erforschen und danach Vorschläge vorzulegen. Wie man aus der Presse hören
10192 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn. Freitag, cien 21. April 1989
Frau Dr. Däubler-Gmelin
kann, arbeitet diese Kommission gut. Sie arbeitet zügig und effektiv. Es sind gute Leute dabei, trotz der merkwürdigen Eingriffe des ehemaligen Bundesinnenministers bei der Einsetzung.
Meine Damen und Herren, viele Mitglieder der Kommission können und wollen Ihnen von der Regierungsmehrheit einiges zu dem Artikelgesetz sagen, das Sie heute verabschieden wollen. Warum geben Sie eigentlich dieser Kommission dazu nicht die Gelegenheit?
Warum lassen Sie diese Kommission die Kronzeugenregelung oder auch das strafrechtliche Vermummungsverbot nicht bewerten? Das ist doch Ihre Kommission. Wollen Sie das deshalb nicht, weil Sie mittlerweile — wie wir auch — wissen, daß auch dort die Unterstützung für Ihre Pläne äußerst karg, ja geradezu verschwindend gering ausfällt, und daß auch Mitglieder Ihrer eigenen Kommission — und das pfeifen ja die Spatzen hier in Bonn schon von den Dächern, obwohl die Gutachten noch nicht veröffentlicht wurden — Sie weitestgehend im Regen stehen lassen?
Ich werde Ihnen einige von den Bedenken vortragen, die auch Ihre eigene Sachverständigenkommission teilt. Wir sagen: Es ist falsch, das Vermummungsverbot von einer Ordnungswidrigkeit zu einem Straftatbestand zu machen. Sie gehen inflationär mit dem Strafrecht um. Es soll das letzte Mittel sein, wenn es wirksam bleiben soll. Auch von seiten der Kommission wird betont — das stimmt auch — , daß die bei der heutigen Rechtslage gegebenen Mittel ausreichen, zumal bei Gewalttätigkeit, daß also die Vorschriften des § 125 Abs. 2, wie wir wissen, Eingriffs- und Bestrafungsmöglichkeiten in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen.
Wir sagen: Sie fördern falsche Solidarisierungen. Dabei muß es uns doch gemeinsam darum gehen, Gewalttäter aus der Solidarisierung herauszulösen.
Da wird zu Recht kritisiert, daß Sie alles wie Kraut und Rüben in einen Topf werfen.
Für Sie und den Kollegen Stark, den ich sehr schätze — das weiß er —, ist Vermummung strafwürdige Gewaltbereitschaft, obwohl das wirklich zwei paar Stiefel sind. Sie machen Gesetze, als sei die Stammtischparole Wahrheit, die da besagt: heute vermummt, morgen Terrorist. Dabei ist diese Parole, Herr Stark, genauso unsinnig wie etwa die Gleichsetzungen: heute Schwarzfahrer, morgen Flugzeugentführer oder: heute jugendlicher Ladendieb, morgen Bankräuber.