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ID1113814500

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    Plenarprotokoll 11/138 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 138. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. April 1989 Inhalt: Verfahrensanträge des Abg. Wüppesahl . 10186A Absetzung des Punktes 20 — deutsche Staatsangehörigkeit — und des Zusatzpunktes 4 — Staatsangehörigkeit — von der Tagesordnung 10218D Tagesordnungspunkt 18: Eidesleistung der neuernannten Bundesminister Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 10185 B Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau . 10185 C Seiters, Bundesminister für besondere Auf- gaben 10185D Wüppesahl fraktionslos (zur GO) . . . 10186B Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Drucksachen 11/2834, 11/4359) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Verteidigung der inneren Liberaltiät und Stärkung der Demokratie (Drucksachen 11/17, 11/4359) Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 10187 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 10191B Kleinert (Hannover) FDP 10195 D Jahn (Marburg) SPD (zur GO) 10198 C Wüppesahl fraktionslos (zur GO) 10198D, 10203 B Engelhard, Bundesminister BMJ 10199B, 10204 B Häfner GRÜNE 10199 C Frau Nickels GRÜNE 10204 A Dr. de With SPD 10206A Fellner CDU/CSU 10208 B Graf SPD 10209 C Irmer FDP 10211B Wüppesahl fraktionslos 10214 A Eylmann CDU/CSU 10214 C Frau Hillerich GRÜNE (zur GO) 10216A Dr. Hirsch FDP (Erklärung nach § 31 GO) 10216D Lüder FDP (Erklärung nach § 31 GO) . . 10217D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (Erklärung nach § 31 GO) 10218A Namentliche Abstimmung 10218 C Ergebnis 10219D Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu jüngsten Äußerungen der Gewerkschaften IG Metall, IG Medien sowie Handel, Banken und Versicherungen zu Kriegsdienstverweigerung und Bundeswehr Ronneburger FDP 10219A Bahr SPD 10221 B Lowack CDU/CSU 10222 B Frau Schilling GRÜNE 10223 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . 10224 B Koschnick SPD 10226A Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU . 10227A Nolting FDP 10228 A II Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 Frau Beer GRÜNE 10229 A Genscher, Bundesminister AA 10229 C Gilges SPD 10231 A Breuer CDU/CSU 10232 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 10233 A Frau Fischer CDU/CSU 10234 A Kossendey CDU/CSU 10234 D Nächste Sitzung 10236 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 10237* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 10237* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. April 1989 10185 138. Sitzung Bonn, den 21. April 1989 Beginn: 9.15 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 21. 04. 89 Dr. Ahrens SPD 21. 04. 89 * Amling SPD 21. 04. 89 Bamberg SPD 21. 04. 89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 21. 04. 89 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 21. 04. 89 Böhm (Melsungen) CDU/CSU 21. 04. 89 * Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 21. 04. 89 Clemens CDU/CSU 21. 04. 89 Egert SPD 21. 04. 89 Eimer (Fürth) FDP 21. 04. 89 Engelsberger CDU/CSU 21. 04. 89 Frau Fuchs (Köln) SPD 21. 04. 89 Funke FDP 21. 04. 89 Gattermann FDP 21. 04. 89 Dr. Glotz SPD 21. 04. 89 Grünbeck FDP 21. 04. 89 Dr. Hauff SPD 21. 04. 89 Dr. Häfele CDU/CSU 21. 04. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 21. 04. 89 Zuydtwyck Heimann SPD 21. 04. 89 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 21. 04. 89 Dr. Holtz SPD 21. 04. 89 * Kleinert (Marburg) GRÜNE 21. 04. 89 Kolbow SPD 21. 04. 89 Dr. Kreile CDU/CSU 21. 04. 89 Kreuzeder GRÜNE 21. 04. 89 Dr. Langner CDU/CSU 21. 04. 89 Frau Luuk SPD 21. 04. 89 * Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 21. 04. 89 Meyer SPD 21. 04. 89 Mischnick FDP 21. 04. 89 Dr. Mitzscherling SPD 21. 04. 89 Oesinghaus SPD 21. 04. 89 Oostergetelo SPD 21. 04. 89 Paintner FPD 21. 04. 89 Reuschenbach SPD 21. 04. 89 Frau Rock GRÜNE 21. 04. 89 Roth (Gießen) CDU/CSU 21. 04. 89 Schäfer (Offenburg) SPD 21. 04. 89 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 21. 04. 89 von Schmude CDU/CSU 21. 04. 89 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 21. 04. 89 Schröer (Mülheim) SPD 21. 04. 89 Seidenthal SPD 21. 04. 89 Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 21. 04. 89 Dr. Stercken CDU/CSU 21. 04. 89 Stiegler SPD 21. 04. 89 Stobbe SPD 21. 04. 89 Stratmann GRÜNE 21. 04. 89 Dr. Struck SPD 21. 04. 89 Dr. Vondran CDU/CSU 21. 04. 89 Weisskirchen (Wiesloch) SPD 21. 04. 89 Frau Dr. Wilms CDU/CSU 21. 04. 89 Frau Wollny GRÜNE 21. 04. 89 Würtz SPD 21.04.89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Drucksache 11/3090 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/2956 Nr. 2.1 Drucksache 11/3311 Nr. 2.2 Finanzausschuß Drucksache 11/3882 Nr. 3.1 Drucksache 11/3927 Nr. 3.1 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/3831 Nr. 24 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/2956 Nr. 2.6 Drucksache 11/3117 Nr. 2.15 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/883 Nr. 137 Drucksache 11/1707 Nr. 30 Drucksache 11/3021 Nr. 2.15 Drucksache 11/3311 Nr. 2.20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Stoltenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Wir haben auch in der soeben gehörten kurzen Rede der Sprecherin der GRÜNEN erkennen können, daß es im Verhältnis zu manchen Gruppierungen innerhalb und außerhalb dieses Hauses nicht einmal mehr den Ansatz für einen Minimalkonsens gibt.
    Ausgangspunkt dieser Debatte ist ein Aufruf, ein Text, der bestimmt ist durch falsche Tatsachenbehauptungen, durch eine schlimme Mißachtung unserer demokratischen Streitkräfte und des Dienstes der Soldaten. Zum Ausdruck kommt ein Verfassungsverständnis, das entschieden zurückgewiesen werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schilling [GRÜNE]: Das Gegenteil ist der Fall!)

    Der Aufruf gefährdet auch eine wichtige Grundlage des Miteinanders von Gewerkschaften und Bundeswehr. Herr Kollege Ronneburger und andere haben auf den unverändert bedeutsamen Text der gemeinsamen Erklärung hingewiesen, der 1981 nach sehr gründlichen Gesprächen von Gewerkschaftsbund und der Führung der Bundeswehr erarbeitet und veröffentlicht wurde. Er hat das Verhältnis von Bundeswehr und Gewerkschaften auf der Basis gegenseitiger Achtung und des gegenseitigen Vertrauens formuliert. Hierin werden die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten der beiden Partner beschrieben und anerkannt. Beide, die Repräsentanten des DGB und der Bundeswehr, haben darin ein gemeinsames Bekenntnis zur Verteidigung als Ausdruck des Willens zur Erhaltung von Frieden und Freiheit abgelegt. Wehrdienst "wird als aktiver Dienst für den Frieden bestätigt. Zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung heißt es dort — ich zitiere — , wo das Gewissen des einzelnen diesem Dienst unüberwindbare Hindernisse entgegenstelle, werde ihm um des Eigenwertes seiner Persönlichkeit willen das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes mit der Waffe als Grundrecht gewährleistet.
    Mit ihrem Aufruf stellen bestimmte Gruppierungen im DGB diese gemeinsame Erklärung in Frage. Diese Gewerkschaftsvertreter müssen sich auch nach ihrem Verhältnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fragen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer zur massenhaften Kriegsdienstverweigerung aufruft, verfälscht ein kostbares Individualrecht, versucht Indoktrination, versucht, Massen emotional zu mobilisieren, um sie als Instrument im politischen Kampf einzusetzen, und das ist zu verurteilen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Breit — das ist richtig, Herr Bahr — , hat sich mit seiner gestrigen Presseerklärung hinter das Prinzip der gemeinsamen Erklärung von 1981 gestellt. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich hätte es allerdings auch begrüßt, wenn Herr Breit bei dieser Gelegenheit einen vollkommen klaren Trennungsstrich zu den konträren Kräften ge-



    Bundesminister Dr. Stoltenberg
    zogen hätte, die jene Erklärung, die wir kritisieren, zu verantworten haben.

    (Frau Traupe [SPD]: Das tun Sie doch bei Ihren eigenen politischen Leuten auch nicht!)

    Drei Aussagen dieses Aufrufs, Frau Kollegin, sind vollkommen unannehmbar, nämlich erstens seine Aufforderung an die jungen Menschen, zu einem Dienst nein zu sagen, der, wie sie behaupten, zunehmend als sinnlos begriffen werde, zweitens eben jener Aufruf zu massenhafter, hunderttausendfacher Kriegsdienstverweigerung und drittens der Appell zur Abschaffung jeder Form der Gewissensprüfung.
    Ich will hierzu feststellen: Der allgemeinen Pflicht zum Wehrdienst steht das persönliche Grundrecht des einzelnen zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen gegenüber. Nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das bedeutet keine gleichwertige oder völlig beliebige Alternative der Wehrpflicht und der Verweigerung. Es wird vielmehr nur die Gewissensfreiheit des einzelnen Bürgers unter den besonderen Schutz der Verfassung gestellt. Die grundsätzliche staatsbürgerliche Pflicht ist, Wehrdienst zu leisten. Nur wer den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, wird dann zum Ersatzdienst herangezogen.
    Meine Damen und Herren, Verweigerung kommt im Vergleich zum Wehrdienst kein moralisch höherer Stellenwert zu.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

    Unsere Streitkräfte schützen die Grundrechte und die freiheitliche Lebensgestaltung auch für diejenigen Mitbürger, die sich der militärischen Landesverteidigung versagen. Der Dienst unserer Soldaten gilt dem Frieden. Ihr Dienst hat wesentlich dazu beigetragen, daß wir seit Jahrzehnten in Frieden und Freiheit, übrigens auch im Wohlstand, leben.
    Herr Kollege Bahr hat über einige Gründe für die gegenwärtige Orientierungskrise, die wir in der Debatte über die Bundeswehr feststellen, reflektiert, allerdings doch in einer sehr einseitigen Weise.

    (Horn [SPD]: Sinnkrise der Bundeswehr!)

    Ich will Ihnen dazu folgendes sagen. Sie haben gesagt, daß — was ich begrüße — Sie als Abgeordneter weiterhin bei öffentlichen Gelöbnissen sprechen werden. Massenhaft wird aber von Organisationen Ihrer Partei, auch in Schleswig-Holstein, das öffentliche Gelöbnis als solches in Frage gestellt. Das ist ein Ausdruck der Orientierungskrise auch der Sozialdemokratischen Partei,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    die Sie aufarbeiten sollten, bevor Sie uns Belehrungen geben.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Arbeiten Sie einmal Barschel auf!)

    — Lassen Sie mich dies so sagen. Es ist doch gar nicht
    zu bestreiten, daß es so ist, Herr Kollege Ehmke, wie
    ich es sage. Sie können das durch persönliche Polemiken gar nicht aus der Welt schaffen. Wenn Sie sich in etwas süffisanter Weise wie Herr Bahr über meine sogenannte Versetzung mokieren, dann will ich Sie einmal an zwei Dinge erinnern: zum einen daran, daß einer meiner sozialdemokratischen Vorgänger, Hans Apel, vor nicht vielen Jahren vom Finanzministerium in das Verteidigungsministerium ging. Das wurde damals vom Bundeskanzler und von Ihnen als eine Auszeichnung dargestellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Fuchs [Verl] [SPD]: War es ja auch im Gegensatz zu Ihnen! — Horn [SPD]: Da wurde der Vorgänger auch nicht geschaßt! — Frau Traupe [SPD]: Er wurde befördert!)

    Einigen Sie sich einmal über eine Bewertung der beiden Ressorts.
    Zum zweiten sage ich: Zu den Vorgängern im Verteidigungsministerium, deren Persönlichkeit und Leistung ich bei allen sachlichen Gegensätzen hochschätze, gehören Männer wie Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel. Ich weiß mich auch hier in einer guten Tradition. Nur haben Sie als SPD diese Tradition mittlerweile weitgehend verlassen. Das ist der Punkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, es gibt Bewegung in den Ost-West-Beziehungen. Wir haben den ersten Vertrag über Abrüstung in einem wichtigen Teilbereich der Mittelstreckenraketen erreicht — wir, d. h. das Bündnis, mit dem Warschauer Pakt. Die Abrüstungsverhandlungen sind auf breiterer Basis in Gang gekommen. Die Bundesregierung unterstützt diese Politik weiterhin mit aller Kraft. Das aber ist nur möglich auf Grund der Stärke, des politischen Zusammenhalts des Bündnisses und der demokratischen Armee, der Bundeswehr, der Streitkräfte.
    In den letzten Jahren haben wir im großen Streit um die Mittelstreckenraketen erfahren: Ohne die Stärke des Bündnisses, damals: ohne Nachrüstung hätte es keine Abrüstung gegeben. Heute und morgen gilt: Ohne die Bundeswehr, ohne den Dienst der Soldaten gibt es keine Hoffnung auf gleichgewichtige, kontrollierte Abrüstung auch im konventionellen Bereich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Insofern sind Ihre Forderungen nach einseitigen Vorleistungen falsch.

    (Lowack [CDU/CSU]: Richtig!)

    Wir wollen Sicherheit, wechselseitige Abrüstung kontrollierbar, verifizierbar miteinander verbinden. Da sind wir uns hoffentlich einig.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Worüber redet der eigentlich?)

    Dafür brauchen wir weiter den Dienst der Soldaten und ihre Anerkennung nicht nur durch die Mehrheiten, sondern durch unser ganzes deutsches Volk.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koschnick.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Koschnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis, Herr Stoltenberg muß sich einarbeiten. Die ersten hundert Tage als Minister sind noch nicht herum, deswegen kann er die Beschlußlage der SPD auch nicht kennen. Wir werden sie ihm noch mitteilen.
    Zweitens bitte ich sowohl die GRÜNEN wie Herrn Stoltenberg, wirklich genau zu lesen, was die junge Generation der IG Metall und die Friedensgesellschaft besprochen und unterschrieben haben. Beide haben falsch interpretiert. Bei der Bundesregierung macht mir das nichts aus; sie muß dagegenhalten.

    (Breuer [CDU/CSU]: Sie haben nicht alles gelesen, Herr Koschnick!)

    Frau Schilling, ich glaube, Sie haben den jungen Leuten der IG Metall einen Bärendienst geleistet, weil Sie über diese Frage in einer Weise debattieren, wie es von der IG Metall nicht gewollt ist. Es steht in dieser Erklärung kein Wort gegen die Soldaten; vielmehr will die IG Metall eine Aufklärung bei den Arbeiterkindern, bei denen, die kein Abitur haben. Sie will, daß diese die gleichen Rechte wie Abiturienten haben: sich unter Umständen auf ihr Gewissen zu berufen, sich von dem Wehrdienst freistellen zu lassen und Ersatzdienst zu leisten.
    Ich werfe der IG-Metall-Jugend allerdings vor, daß die Formulierung über die massenhafte Wehrdienstverweigerung so mißverständlich ist, daß sie auch als Aufruf und nicht nur als Feststellung dahin gehend verstanden werden kann, daß in den letzten 23 Jahren inzwischen eine Million junger Menschen den Wehrdienst verweigert, von ihrem Recht nach dem Grundgesetz Gebrauch gemacht haben. Die Rechte des Grundgesetzes gehen den Pflichten vor. Das Individualrecht ist vor 200 Jahren bei der Französischen Revolution, bei der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, bei der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung eine der großen Hoffnungen gewesen. Der Staat soll das Gewissen schützen, und wer sich darauf beruft, hat Anspruch, geschützt zu werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten sind aus Prinzip für die Wehrpflicht, weil wir gerne möchten, daß eine integrative Verteidigungsorganisation nicht abseits vom Volke aufgebaut wird, sondern die gesellschaftlichen Fragen in dieser Armee mitgetragen werden können.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sind für den Staatsbürger in Uniform, d. h. er soll auch in der Truppe Staatsbürger sein. Aus diesem Grunde werben wir dafür: daß jeder seinen Beitrag in diesem Bereich leistet. Mit dem gleichen Respekt und nicht gegeneinander gewandt sagen wir: So wenig wie ein Wehrpflichtiger ein Depp ist, weil er zum Bund geht, so wenig ist der andere ein Drückeberger, wenn er von seinem Gewissen her sagt: Ich will einen anderen Dienst für die Gesellschaft leisten. — Die Gleichwertigkeit muß deutlich werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Nächste Bemerkung. Es gibt leider eine Entwicklung, die mir Sorgen bereitet: daß für die junge Generation das Pflichtbewußtsein für die Bundeswehr immer fragwürdiger wird, weil sie nicht mehr erkennen kann,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und will!)

    daß diese Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Lande die Chancen wirklich voll nutzen, die sich aus einem neuen Verhältnis zwischen Ost und West für Frieden und Abrüstung möglicherweise ergeben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Möglicherweise!)

    — Ich sage: möglicherweise. — Das werden wir am Verhandlungstisch erleben, nicht vorher. Ich weiß, der Generalsekretär der KPdSU ist kein Friedensengel; ein Bundeskanzler wird hoffentlich auch kein Friedensengel sein. Beide sollen die Interessen ihrer Nation vertreten, und das höchste Interesse ist, Frieden zu halten und Lösungen für den Frieden zu finden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Weil das so ist, sage ich Ihnen: Wer jetzt so wie Sie über die Lance-Modernisierung spricht, wer über 15 oder 18 Monate Grundwehrdienst spricht, wer die Beliebigkeit von Verfügung über die junge Generation so aufbaut, wer auf der einen Seite dafür sorgt, daß Abiturienten einen Monat eher aus der Schule entlassen werden, damit sie beim Studium nur anderthalb Jahre verlieren, wer bei den Kriegsdienstverweigerern aber auf der anderen Seite dafür sorgt, daß sie zweieinhalb Jahre verlieren, weil sie zu spät entlassen werden, der führt die Situation herbei, daß junge Menschen gegen diese Ungerechtigkeit aufbegehren. Wer Ungerechtigkeit vom Staate duldet und fördert, führt dazu, daß eine junge Generation diesen Dienst für den Staat nicht will. Ich sage Ihnen: Wenn sich diese Koalition, wenn sich diese Bundesregierung und wenn sich die Freien Demokraten nicht sechs Wochen zu spät, sondern, ausgehend von den gleichen Zahlen, zur rechten Zeit mit uns entschieden hätten, diesen Weg nicht mitzugehen,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!) hätten wir uns diese Debatte ersparen können.


    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen muß ich Ihnen noch folgendes sagen. Man sollte hier nicht der IG Metall etwas vorwerfen. Nicht die CDU/CSU — schon gar nicht die CSU; sie hat ja immer konsequent falsch gelegen — war es, sondern ihr Freien Demokraten wart es, die wie Hasen gesprungen sind, einmal hierhin, einmal dahin, zuerst die Erklärung Lambsdorff, dann die andere Erklärung. Das macht uns wirklich Schwierigkeiten. Seid doch einmal Manns genug, und sorgt zur rechten Zeit für richtige Entscheidungen. Dann kommen wir weiter. Sprecht nicht von scheußlichen Zeitgenossen, sondern denkt einmal nach und handelt richtig. Ihr habt eben schon Fehler bei der anderen Gesetzgebung gemacht.

    (Beifall bei der SPD)