Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung des Deutschen Bundestages und darf auf die Tatsache hinweisen, daß es sich um die 50. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages handelt.
Ich bitte den Schriftführer um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Voß für zwei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dewald für zwei Wochen und Abgeordneter Miller für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für drei Tage den Abgeordneten Höfler, Altmaier, Erler, D. Dr. Gerstenmaier, Kiesinger, Knapp, Dr. Kopf, Lemmer, Dr. Leverkuehn, Lücke, Neubauer, Oetzel, Dr. Pohle , von Hassel, Euler, Hilbert, Wiedeck und Rademacher.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Geiger , Neumann, Dr. Rinke, Schmücker, Ziegler und Brockmann (Rinkerode).
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Giencke, Dr. Gleissner , Glüsing, Häussler, Kunze (Bethel), Leibfried, Lulay, Dr. von Merkatz, Schmitt (Vockenhausen), Schwarz, Struve, Frau Dr. h. c. Weber (Aachen), Dr. Werber, Keuning, Hilbert, D. Dr. Ehlers, Gockeln, Dr. Reif, Massoth, Engelbrecht-Greve und Dr. Greve.
Ich darf unterstellen, daß das Haus mit der Erteilung des Urlaubs über eine Woche hinaus einverstanden ist.
Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen.
Am 16. Oktober 1954 verschied im Alter von 67 Jahren nach schwerer Krankheit der ehemalige Ministerpräsident des Bundeslandes Schleswig-Holstein Friedrich Wilhelm Lübke.
Ministerpräsident Lübke wurde am 25. August 1887 in Enkhausen in Westfalen geboren. Schon mit 14 Jahren ging er zur See und arbeitete sich zäh bis zum Kapitän auf großer Fahrt herauf. Nach dem ersten Weltkrieg, an dem er als U-BootFahrer aktiv teilnahm, wurde Lübke getreu der Tradition seiner Familie Bauer auf dem Hof Augaard in Schleswig-Holstein. Schon damals widmete er sich der Siedlungspolitik, und seiner Initiative ist die Schaffung von einigen hundert Neubauernhöfen zu verdanken.
Nach dem zweiten Weltkrieg, an dem er wieder teilnahm, wurde Friedrich Wilhelm Lübke Mitbegründer der CDU und Landrat in Flensburg-Land. 1951 wurde er zum Landesvorsitzenden der CDU und im gleichen Jahre zum Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein gewählt. Am 10. Oktober 1954 trat er infolge seiner schweren Krankheit zurück.
Der Verstorbene wurde am 4. März 1954 vom Bundespräsidenten mit dem Großkreuz des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
In die Amtszeit Friedrich Wilhelm Lübkes als Ministerpräsident fällt die entscheidende Verbesserung der Lebensbedingungen in Schleswig-Holstein: die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Umsiedlung von Vertriebenen, die Durchführung des „Programm Nord", die Aktivierung der Neulandgewinnung und die Übergabe Helgolands.
Ich darf dem Deutschen Bundesrat und dem Lande Schleswig-Holstein das Beileid des Hauses aussprechen.
Ich danke Ihnen.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 15. Oktober 1954 dem Gesetz über die Lastenausgleichsbank zugestimmt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 12. Oktober 1954 mitgeteilt, daß sich die Bundesregierung gezwungen gesehen habe, dem vom 1. Deutschen Bundestag beschlossenen Zweiten Gesetz Ober Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Viehzählungen wegen der Kostenvorschrift des § 7 a gemäß Art. 113 des Grundgesetzes ihre Zustimmung zu versagen. Das Schreiben wird als Drucksache 857 vervielfältigt und gilt zugleich als Antwort auf die Kleine Anfrage 49 der Abgeordneten Lücke und Genossen — Drucksache 416.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 15. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 56 der Abgeordneten Etzenbach und Genossen betreffend finanzielle Lage der Krankenhäuser — Drucksache 500 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 899 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 14. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 105 der Fraktion der DP betreffend zusätzliche Einstellung von arbeitslosen älteren Angestellten — Drucksache 801 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 895 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 18. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 111 der Fraktion der FDP betreffend Regelung der sozialen Fragen für die in der MontanGemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer — Drucksache 826 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 898 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 16. Oktober 1954 gemäß § 45 RHO in Verbindung mit § 57 und §§ 3
und 5 der Anlage 3 RWB die vollzogene Bestellung des Erbbaurechts an reichseigenen Grundstücken des ehemaligen Artillerie-Arsenals und des ehemaligen Scheibenhofs in Kiel-Friedrichsort nachträglich mitgeteilt. Sein Schreiben liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Meine Damen und Herren! Am heutigen Tage feiern zwei Mitglieder des Hohen Hauses Geburtstag, und zwar der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst den 73. Geburtstag
und der Herr Abgeordnete Dr. Kihn den 67. Geburtstag.
Ich darf den beiden Kollegen, die in diesem hohen Alter so Wesentliches zur Arbeit unseres Hauses beitragen, unsere besonderen Glückwünsche aussprechen.
Dieselben Glückwünsche darf ich aussprechen dem Herrn Abgeordneten Klingelhöfer, der am
16. Oktober den 66. Geburtstag gefeiert hat,
dem Herrn Abgeordneten Morgenthaler, der am
18. Oktober ebenfalls den 66. Geburtstag gefeiert hat,
dem Herrn Abgeordneten Dr. Maier ,
der am 16. Oktober den 65. Geburtstag gefeiert hat,
und dem Herrn Abgeordneten Ehren, der am
17. Oktober den 60. Geburtstag gefeiert hat.
Nunmehr komme ich zur heutigen Tagesordnung und rufe Punkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Verordnung über Auskunftspflicht .
Auf Begründung und Debatte wird verzichtet. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung zu überweisen.
— Bitte, Herr Abgeordneter Hoogen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Vorlage dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung zu überweisen.
Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat war meines Wissens eine andere Vereinbarung erfolgt; ihr entsprach mein Vorschlag für die Überweisung. Aber der Antrag wird aufrechterhalten?
Das Hohe Haus ist sich darüber einig, daß der Antrag beiden Ausschüssen überwiesen werden soll; das darf ich als erstes feststellen. Es fragt sich nur, welcher Ausschuß federführend sein soll. Ich bitte diejenigen, die gemäß der Vereinbarung des Ältestenrats dafür sind, daß federführend der Ausschuß für Wirtschaftspolitik sein soll, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; federführend ist der Ausschuß für Wirtschaftspolitik.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend Revision des GATT-Abkommens in bezug auf Filmfragen .
Die neugefaßte Drucksache ist im Hause verteilt. Die Begründung soll schriftlich zum stenographischen Protokoll gegeben werden*). Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Jugendfragen über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Bundesjugendplan (Drucksachen 755, 78);
b) Beratung des Antrags der, Fraktion der SPD betreffend Errichtung eines Instituts für Jugendfragen .
Ich darf Ihnen vorschlagen, zuerst die Berichterstattung zu a), sodann die Begründung zu b) entgegenzunehmen und dann über a) und b) gemeinsam zu debattieren. — Sie sind damit einverstanden. Als Berichterstatterin hat das Wort Frau Abgeordnete Keilhack.
— Können wir inzwischen den Antrag unter Buchstabe b) begründen? — Wer wünscht das für die Fraktion der SPD zu tun? — Herr Abgeordneter Wienand!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Drucksache 883 beantragt meine Fraktion die Errichtung eines Instituts für Jugendfragen. Das Institut soll durch eigene Forschung und durch Erteilung von Forschungsaufträgen an Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen eine systematische Zusammenfassung und Auswertung der Erkenntnisse über die Situation und die Haltung der jungen Generation erarbeiten. Im weitesten Sinne des Wortes bedeutet Forschung jedoch die höchste Form des Erkenntnisstrebens. Durch sie wurden und werden Voraussetzungen geschaffen für die Entwicklung kompliziertester Formen menschlicher Lebenstechnik innerhalb der Gesellschaft. Bei den Naturwissenschaften und der Technik hat man dieses seit langem erkannt, wenn es auch zur Zeit nicht entsprechend honoriert wird. Die gleichen Erkenntnisse sind jedoch leider noch nicht bei den Geisteswissenschaften und bei den Sozialwissenschaften in diesem Maße verbreitet. An eine entsprechende Honorierung auf diesem Gebiet wird demnach leider noch weniger gedacht. Die Auswirkungen der ständigen Komplizierung des Gesellschaftsaufbaues auf den Reifeprozeß der jungen Menschen und auf seine Fähigkeit zur Mitwirkung im gesellschaftlichen Geschehen erfordern jedoch eine größere Berücksichtigung dieser Disziplinen.
Gewöhnlich übertrumpfen totalitäre Staaten und totalitäre Regime, die wir ablehnen, demokratische Staaten im Hinblick auf die Intensität und den Umfang ihrer Jugendbetreuungs- und Jugendför-
*) Siehe Anlage 3.
derungsmaßnahmen. Wir wissen um die getarnten Absichten und den eigentlichen Zweck solcher Bestrebungen. Das Resultat ist in allen Fällen eine Staatsjugend, die in einem demokratischen Staat nie als Ziel irgendwelcher Maßnahmen angestrebt werden kann und darf. Um so mehr hat aber der demokratische Staat die Aufgabe, sich mit diesen Gegebenheiten zu beschäftigen, und dies in besonderem Maße nach solchen turbulenten Zeiten, wie sie hinter uns liegen. Diese Zeiten brachten gesundheitliche Mängel der meisten Jugendlichen mit sich. Die ärztliche Wissenschaft ist bis heute noch nicht mit der sehr zahlreich beobachteten Wachstumsüberstürzung und den sich daraus ergebenden Folgen fertig geworden. Wir stellen bei sehr vielen Jugendlichen eine biologische Reife fest und vermissen die entsprechende geistig-seelische Reife. Allein diese Tatsache erfordert schon Untersuchungen des geistigen und psychologischen Standes und der geistigen und psychologischen Situation der Jugend von heute.
Lägen solche Ergebnisse vor, so ware die Diskussion um die anstehende Jugendgesetzgebung auf einem besseren Niveau zu führen, als es heute teilweise der Fall ist. Vor allem hätte man dann durch die verschiedensten Untersuchungen in den letzten Monaten aufgedeckte Mißstände und Verstöße gegen den Jugendarbeitsschutz und den allgemeinen Jugendschutz früher erkannt und für Abhilfe sorgen können. Untersuchungen auf diesem Gebiet würden die Auswirkungen der Technik und der technisierten Arbeitsform auf den jungen Menschen deutlich machen und vor allem die damit verbundene körperliche Beanspruchung des jungen Menschen besser berücksichtigen können. Konsequenzen sind leichter zu ziehen, wenn entsprechend objektiv fundierte Gutachten und Untersuchungsergebnisse vorliegen.
Was bisher nur skizzenhaft angedeutet werden konnte, ist in den deutschen Jugendverbänden schon seit langem erkannt worden. Es fehlen ihnen jedoch zur Fortführung ihrer Arbeit die objektiven, wissenschaftlich fundierten Unterlagen, die das von uns beantragte Institut erarbeiten soll. In diesem Zusammenhang muß einmal ausgesprochen werden, mit wieviel Idealismus und Opferbereitschaft innerhalb der Jugendverbände die jungen Menschen bisher selbst ohne jeglichen Ansporn von außen her gearbeitet haben
und mit wieviel Liebe und Hilfsbereitschaft junge Menschen, sowohl Jungen als auch Mädel, sich diesen Aufgaben gewidmet haben und aus ihrer Arbeit heraus immer wieder die Frage nach gewissen Hilfsmitteln nunmehr an uns und damit auch an diesen Staat stellen.
Gewiß hat der seit fünf Jahren bestehende Bundesjugendplan und haben die Landesjugendpläne hier und da Abhilfe schaffen können. Jeder, der sich die Mittelaufteilung des nunmehr in der Planung vorliegenden 6. Bundesjugendplanes ansieht, erkennt die Vielgestaltigkeit und die Wichtigkeit dessen, was getan werden muß und was getan worden ist. Trotzdem dauerte es immerhin fünf Jahre, bevor man im 6. Bundesjugendplan einen eigenen Landjugendplan für die Landjugend aufstellte. Den Anstoß für die Aufstellung dieses Landjugendplanes mußte aber immerhin eine Untersuchungsreihe geben, die von der Landjugend
in Verbindung mit der Forschungsgemeinschaft selbst durchgeführt wurde. Diese Untersuchung der Landjugend räumte schon, obwohl sie nur im Bereich der organisierten Landjugend durchgeführt werden konnte, mit sehr vielen vorgefaßten Meinungen und Vorurteilen auf. Wenn man sich ansieht, wie die 30 Millionen des Bundesjugendplanes verplant und angesetzt werden, so stellt sich einem zwingend die Frage, ob die Möglichkeiten einer Erfolgskontrolle im Hinblick auf diese 30 Millionen bei uns vorhanden sind und ob man die Absicht hat, diese Möglichkeiten einer Erfolgskontrolle auch entsprechend anzuwenden. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Mittel des Bundesjugendplans unnütz vertan worden sind, jedoch müßte einmal die Frage überprüft werden, ob man nicht bei Vorlage der von uns gewünschten Forschungsergebnisse Mittel plan- und sinnvoller an Schwerpunkten hätte einsetzen und somit einen größeren Nutzeffekt erzielen können. In sehr vielen Gesprächen mit verantwortlichen Führern und Persönlichkeiten der Jugendverbände wird klar, daß sie diesen Wunsch haben und es begrüßen würden, wenn von dieser Seite eine entsprechende Hilfestellung geboten würde. Einige Landesjugendpläne haben sich ebenfalls bereits mit diesem Gedanken beschäftigt und Mittel vorgesehen, um diese Forschungsaufgaben, die wir durch das Institut für Bundesjugendfragen vom Bund aus geregelt sehen möchten, nunmehr in eigener Regie durchzuführen.
In diesem Zusammenhang sollte auch noch erwähnt werden, daß der geschäftsführende Ausschuß des Bundesjugendrings die Errichtung eines solchen zentralen Bundesjugendinstituts begrüßt hat. Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, an der vorbereitenden Arbeitstagung für die Errichtung des UNESCO-Jugendinstituts teilzunehmen. Die dort von den Teilnehmern der meisten demokratischen Staaten der Welt vorgebrachten Begründungen waren so reichhaltig und geben zu so vielem Nachdenken Anlaß, daß man sich wirklich einmal mit ihrem Für und Wider beschäftigen sollte.
Mittlerweile hat nun dieses UNESCO-Jugendinstitut seine Arbeit aufgenommen. Aus einer Korrespondenz, die ich vor kurzer Zeit mit dem Direktor dieses Instituts hatte, ist zu entnehmen, daß man bereits in der kurzen Zeit eine große Summe von Erfahrungen gesammelt hat, die gewiß zu der Hoffnung berechtigen, daß Institute auf nationaler Ebene, die korrespondierenden Charakter zu diesem UNESCO-Institut haben, für das UNESCO-Institut eine gewisse Hilfestellung bedeuten könnten. In Frankreich hat man bereits die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Dort ist vor kurzer Zeit ein Studienbüro eingerichtet worden, welches einmal den Zweck hat, objektive wissenschaftliche Untersuchungsaufgaben für den Bereich der Jugend durchzuführen — genau so wie wir es für ein zentrales Jugendinstitut wünschen —, und zum anderen auch den ganz konkreten Zweck, als korrespondierendes Institut das UNESCO-Jugendinstitut zu unterstützen. Das Institut sollte weiter objektiv und unabhängig die Herausarbeitung sinnvoller praktischer Möglichkeiten der staatsbürgerlichen Erziehung übernehmen. Probleme der internationalen Erziehung und der Vorbereitung auf ein Leben in überstaatlichen Zusammenschlüssen sollten ebenfalls mit zur Aufgabe dieses Instituts gehören und könnten wiederum in enger Zusammenarbeit mit dem vorhin erwähnten UNESCO-Jugendinstitut gelöst werden.
Es ließe sich ein ganzer Katalog von Problemen, die unbedingt ihrer Lösung harren, aufzählen, so z. B. eine von jeder Dogmatik freie Untersuchung der Wirkung von Film, Funk, Fernsehen, Presse und Literatur auf den jungen Menschen, die Überprüfung der Möglichkeiten zur Einhaltung der Jugend-Arbeitsschutz-Gesetzgebung und entsprechende Vorbereitungen für die Schaffung eines modernen, den heutigen Bedürfnissen angepaßten Berufsausbildungsgesetzes. Die sehr guten, vom DGB herausgegebenen und von der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung von Jugendfragen durchgeführten Untersuchungen über die Arbeitslosigkeit und die Berufsnot der Jugend bedürfen einer weitergehenden Interpretierung und einer Fortsetzung. Dann würde nach meiner Überzeugung in absehbarer Zeit nicht mehr von einer Berufsnot der Jugend gesprochen werden, sondern nur von einem jetzt akut werdenden Facharbeitermangel in der deutschen Industrie.
In diesem Zusammenhang ist noch die Frage aufzuwerfen, ob für die Berufsfindung der jungen Menschen nicht mehr getan werden könnte, vor allen Dingen für eine Verbreiterung der Berufs-ausbildungs- und der Berufsfindungsmöglichkeiten für junge Mädchen in der Bundesrepublik.
Gerade heute ist es nötiger denn je, zu einer systematischen Jugendarbeit zu kommen. Eine systematische Jugendarbeit ist jedoch ohne eine entsprechende Grundlagenforschung undenkbar. Das, was zur Zeit an Untersuchungen von einzelnen Meinungsforschungsinstituten vorliegt, reicht bei weitem nicht aus und läßt nur wenige Rückschlüsse auf die derzeitige Situation und die Einstellung der Jugend zu. Besonders in letzter Zeit zeigt sich, daß sehr viele Probleme der Jugendpolitik, Maßnahmen zur Überwindung der Jugendnot, vor allem in den Zonengrenzgebieten, und Fragen der Jugendgesetzgebung entschieden werden, ohne daß -die Entscheidungen auf Grund umfassender und sachgerechter Ermittlungen über die tatsächlich vorhandene Ausgangsituation erfolgen. Ja, man kann sagen, daß heute auf dem Jugendsektor nach den Vorstellungen, die ihren Ursprung in den zwanziger Jahren haben, gearbeitet wird. Dies läßt sich seit rund 30 Jahren in Deutschland verfolgen. Nur so läßt sich damit auch das nur als unbeholfen zu bezeichnende Verhalten der maßgebenden deutschen Stellen bei der Behandlung des Fremdenlegionär-Problems beurteilen und erklären.
Besonders deutlich wurde diese Tatsache jedoch bestätigt durch die Beobachtung des zweiten sogenannten Deutschlandtreffens der FDJ in Berlin. Hier zeigte es sich, daß die Vertreter der Bundesrepublik teilweise mit völlig falschen Erwartungen und Vorstellungen in die Gespräche der Jugendlichen aus der sowjetisch besetzten Zone einstiegen. Eine vorherige objektive Untersuchung der Situation durch eine parteipolitisch unabhängige Stelle hätte für die Vertreter der Bundesrepublik eine wesentlich bessere Ausgangssituation geschaffen.
Hiermit ist eine wesentliche Aufgabe angesprochen, die das Institut zu erfüllen hat. Wie allgemein bekannt sein dürfte, haben sich die deutschen Jugendverbände der dankenswerten, aber sehr schweren Aufgabe unterzogen, nunmehr in gemeinsame Gespräche mit den Jugendlichen der sowjetisch besetzten Zone einzutreten. Wir sind es ihnen einfach schuldig, da diese Arbeit von unschätzbarem Wert für unser gesamtes deutsches Volk ist, im Hinblick auf die Wiedervereinigung die nötige Unterstützung, soweit das in unserer Macht liegt und mit unseren Mitteln möglich ist, zu geben. Wir müßten auch — das sei in diesem Zusammenhang gesagt — den Mut aufbringen, objektiv, fern jeder Parteipolitik, nur der Wahrheit dienend, das herauszustellen, was in der Sowjetzone vielleicht besser ist als bei- uns. Die Wahrheit ist ein wesentlicher, nicht zu unterschätzender Faktor in der Demokratie. Entsprechende Arbeiten auf diesem Gebiet würden uns gewisse Erleichterungen verschaffen und würden einzelne von uns nicht in die Situation gebracht haben, von den Jugendlichen aus der sowjetisch besetzten Zone mit Tatsachen konfrontiert zu werden, was sich nur zu unserem eigenen Nachteil ausgewirkt hat. Wenn entsprechende Arbeiten auf diesem Gebiet vorliegen, wird deutlich werden, daß die Bundesrepublik noch wesentliche Anstrengungen unternehmen muß, um gegenüber der Jugend attraktiver zu erscheinen und ein wesentliches Plus gegenüber den anderen herausstellen zu können.
Wir sollten in diesem Zusammenhang einmal ansprechen, was — wenn auch aus den vorhin angedeuteten getarnten und zweckbetonten Gründen — in der Ostzone besser geregelt ist als bei uns. In -diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage der Schulgeldfreiheit aufgeworfen. Man komme mir jetzt nicht mit irgendwelchen Bedenken, die im Grundgesetz liegen mögen; denn den Jugendlichen ist es ja in letzter Konsequenz gleichgültig,
wie dieses Grundgesetz beschaffen ist, wenn sie nur diese Vorteile bekommen, die ihnen anderswo geboten werden. Man sollte dann wohl auch einmal — und hierüber sollten vor allen Dingen diejenigen ein sehr deutliches Wort 'sprechen, die die Probleme kennen — über das gesamte deutsche Schulproblem, nicht allein im Hinblick auf die Verfassung, sondern von der Notsituation der Jugend ausgehend, ein sehr deutliches Wort sagen.
Zu den Ausbildungsmöglichkeiten habe ich schon vorhin einiges gesagt. Aber es erscheint noch erwähnenswert, daß bei uns sehr viel zu tun übrigbleibt zur Fundierung und auch zur Schaffung der Voraussetzungen der jungen Ehen, nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß auch die jungen Mädchen, die morgen in den Ehestand eintreten sollen, eine entsprechende Vorbereitung auf ihre Haushaltspflichten, die es zu übernehmen gilt, bekommen sollten.
Wir sollten auch immer wieder vom Arbeitsschutz,
von der Berufsausbildung und von der staatsbürgerlichen Erziehung der deutschen Jugend reden.
Wenn wir diese.Dinge ansprechen, so ist im gleichen Atemzug auch die Lage der akademischen Jugend in der Bundesrepublik angesprochen. Ich selbst habe rund 10 Semester als Werkstudent studiert und weiß, wie es um -die Situation derjenigen bestellt ist, die sich als Werkstudenten durch ihr Studium hungern müssen. Auch hier sind sehr dankenswerte Aufgaben zu erfüllen, und ihre Erfüllung würde in letzter Konsequenz der gesamten Gesellschaft und damit dem gesamten Volke zugute kommen.
Aus all diesen Gründen und weil wir wünschen, daß in der Zukunft die vorhandenen Mittel effektvoller und zweckmäßiger eingesetzt werden, beantragt meine Fraktion die Errichtung dieses Jugendinstituts. Wir sollten nicht immer so lange mit einem entscheidenden Schritt auf eine bessere Situation der Jugend warten, wie es im vergangenen Jahrhundert geschehen ist, wo der Anstoß zur Jugendgesetzgebung und zu Schutzmaßnahmen für die Jugend erst gegeben wurde, als der Staat seine Rekrutierungen gefährdet sah.
Wenn man auch gewisse Parallelen zur heutigen Zeit ziehen kann, sollte man doch ganz klar erkennen, daß im Vordergrund der Mensch und nicht die Rekrutierung oder allein die Belange der Wirtschaft, die damals in der Wirtschaftsordnung und in der Wirtschaftsverfassung immer wieder in den Vordergrund gestellt wurden, im Vordergrund zu stehen haben.
Ich möchte nicht, da sie allgemein bekannt sein dürfte, die denkwürdige Rede des englischen Abgeordneten Macauley zitieren, der sich gerade mit diesem Problem beschäftigt. Unser Wunsch ist es, daß wir sehr schnell auf diesem Wege, wie wir ihn angedeutet haben, im Hinblick auf die brennenden Probleme, die es für die Jugend zu lösen gilt und die die Jugend heute bereit ist, mit zu lösen, diese Arbeit aufnehmen. Man rede auch nicht immer davon, daß derjenige, der die Jugend besitzt, die Zukunft hat. Es ist besser, daß man sehr nützlich in die Zukunft plant. Dann ist diese Planung für die Jugend, und wer damit die Jugend bekommt, der hat die Zukunft von selbst.
Wir beantragen deshalb von seiten der sozialdemokratischen Fraktion die Überweisung der vorliegenden Drucksache 883 an den Ausschuß für Jugendfragen.
Das Wort als Berichterstatterin zum Mündlichen Bericht des Ausschusses für Jugendfragen über den Antrag der Fraktion 'der CDU/CSU betreffend Bundesjugendplan hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Frau Keilhack , Berichterstatterin: Meine Herren und Damen! Da gerade über die Maßnahmen zur Förderung der Arbeit für unsere Jugend auch hier im Hause manche Unklarheit und manche Unkenntnis besteht, gestatte ich mir, den Mündlichen Bericht über den Ihnen vorliegenden Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 78 etwas ausführlicher zu erstatten. Ich hoffe, daß er Ihr Interesse findet.
Der Zweck des Antrags Drucksache 78 war laut Begründung der Antragsteller
zu Punkt 1: bestehende Meinungsverschiedenheiten über eine wirksame jugendpolitische Arbeit auf Bundesebene zu klären und in eingehender Aussprache im Ausschuß für Jugendfragen Vorschläge für eine eventuelle Neugliederung des bisherigen Jugend- und Sportreferats im Bundesinnenministerium zu erarbeiten;
zu Punkt 2: die vielfach laut gewordene Unzufriedenheit im Parlamentsausschuß, in den Jugendorganisationen, aber auch in der Öffentlichkeit über die Form und die Wirksamkeit der beratenden Einrichtungen für den Bundesjugendplan durch den vorliegenden Antrag aufzunehmen und zu beseitigen;
zu Punkt 3: die Methoden und den Zeitplan der Mittelverwendung, die sehr oft die Kritik der unterstützten Organisationen und Einrichtungen fanden, so zu gestalten, daß der vom Bundestag beabsichtigte Effekt für die Jugendarbeit des Bundes auch tatsächlich erreicht wird.
Vor dem eigentlichen Beginn der Ausschußberatungen wurden Vertreter der freien und öffentlichen Jugendwohlfahrt zu den im Antrag angesprochenen Problemen gehört. Es ergab sich eine weitgehende Übereinstimmung mit den Auffassungen des Ausschusses. Der Bundesjugendplan wurde anerkannt als eine wesentliche Maßnahme zur Förderung der gesamten Jugendarbeit in der Bundesrepublik.
Im Verlaufe der dann einsetzenden Ausschußberatungen wurde u. a. eine grundlegende Änderung der bisherigen Bearbeitung der Jugendfragen — insbesondere der Angelegenheiten, die sich aus der Förderung der Jugend durch den Bundesjugendplan ergeben — zur Debatte gestellt. Es wurde vorgeschlagen, eine nichtrechtsfähige Bundesinstitution zu errichten, die, ähnlich der Bundeszentrale für Heimatdienst, die Aufgaben der Jugendpolitik auf Bundesebene mit größerer Beweglichkeit und Sichtbarkeit erfüllen könnte, als es in einem Referat innerhalb des großen Bundesinnenministeriums der Fall ist. Die Zuständigkeit und die Verantwortlichkeit des Ministers würde durch eine solche Sondereinrichtung nicht berührt, denn sie wäre, genau wie die Bundeszentrale für Heimatdienst, als nichtrechtsfähige Körperschaft der Verwaltung und dem Minister unterstellt. Mit einer „Bundeszentrale für Jugendfragen" könnte die Jugendförderung durch den Bund die Bedeutsamkeit in der Öffentlichkeit erhalten, die c in Anbetracht der gesellschaftlichen und politischen Situation unserer Jugend absolut notwendig ist und die in Beantwortung der östlichen Einwirkungsversuche auf die dortige Jugend klar erweist, daß die Demokratie ihrer jungen Generation jede Hilfe zu leisten gewillt ist.
Diese Einrichtungen sollten nicht nur die finanzielle Förderung der öffentlichen und freien Jugendarbeit übernehmen, sondern durch Anregungen, Erfahrungsaustausch und Publikationen der Jugend auf breiter Ebene dienen. Sie sollte eine Wirksamkeit erhalten, wie sie z. B. auch die Jugendverbände wünschen, also eine Institution sein, die eine Mittlerstellung zwischen Behörden und freier Arbeit einnimmt, und ein Koordinierungsorgan für alle wichtigen Jugendfragen auf Bundesebene. Kompetenzüberschreitungen im Verhältnis zu den Ländern seien nicht zu befürchten, da die Zuständigkeiten des Bundes im Grundgesetz klar festgelegt sind.
Diese „Bundeszentrale für Jugendfragen" sollte, so wurde vorgeschlagen, wie die Bundeszentrale für Heimatdienst zwei beigeordnete Gremien haben, den Beirat, dem Fachkräfte der freien und öffentlichen Jugendwohlfahrt und Ländervertreter angehören, und das Kuratorium, das aus Mitgliedern des Bundestags besteht. Beide sollten im Zusammenwirken die fachlichen und haushaltsmäßigen Vorarbeiten übernehmen und die zweckmäßige Verwendung der Haushaltsmittel kontrollieren, wodurch die erwünschte Beteiligung des Parlaments sichergestellt wäre. Damit wäre auch eine befriedigende Lösung des Punktes 2 der vorgelegten Drucksache erzielt worden.
Gerade die mangelhaften Einflußmöglichkeiten des Parlaments bzw. des Ausschusses für Jugendfragen bei der Aufteilung des hohen Haushaltspostens von 30 Millionen DM für den Bundesjugendplan hatten seit Verkündung dieses Planes die Kritik der Mitglieder des 15. Ausschusses hervorgerufen. Ein solcher Einfluß konnte bisher auf andere Weise nicht erreicht werden, denn eine an sich wünschenswerte stärkere Aufgliederung der Einzelverwendung dieses großen Etatpostens im Haushalt birgt wiederum die Gefahr in sich, daß im Laufe des Haushaltsjahrs eventuell auftretenden notwendigen Veränderungen in den Verwendungszwecken nicht mehr oder nur sehr umständlich entsprochen werden kann.
Der u. a. deswegen eingebrachte Vorschlag einer Neuorganisation der Bundesjugendarbeit wurde nach Informationen durch leitende Beamte der Bundeszentrale für Heimatdienst eingehend geprüft und besprochen. Er fand volle Zustimmung bei den sozialdemokratischen Mitgliedern des Ausschusses, wurde aber auch von Ausschußmitgliedern anderer Fraktionen als gut und, mit einigen Abänderungen, als durchführbar empfunden.
Nach Stellungnahme des Herrn Staatssekretärs Bleek und leitender Beamten des Jugendreferats im Bundesministerium des Innern glaubte die Mehrheit des Ausschusses jedoch, daß zur Zeit die Schwierigkeiten der Herauslösung der angeführten jugendpolitischen Aufgaben aus der Verwaltung des Ministeriums und die Zusammenfassung in einer Sondereinrichtung zu groß seien. Die Vorarbeiten für die Gesetzgebung, etatmäßige Vorbereitungen, Verhandlungen mit anderen Ministerien und dem Haushaltsausschuß seien Ministerialarbeiten, die auch im Ministerium verbleiben müßten, so daß eine neue Form etwa in der vorgeschlagenen Art nur als wünschenswerter Endzustand über längere Zeit gesucht werden könne. Hinzu käme die Gefahr, daß die bisherige ziemlich reibungslose Zusammenarbeit des Ministeriums mit den Ländern durch eine nicht direkt im Ministerium liegende Stelle gestört würde. Die Mehrheit des 15. Ausschusses befürwortete daraufhin einen Ausbau des jetzigen Referates im Bundesinnenministerium zu einer Abteilung mit einem Ministerialdirigenten als Leiter, der dem Staatssekretär direkt unterstellt ist. Hierdurch soll dann die Jugendarbeit im Bundesinnenministerium das erwünschte größere Gewicht nach innen und außen bekommen.
Trotz anfänglicher Bedenken des Herrn Staatssekretärs auch gegen diesen Vorschlag, erging aber gegen Ende der Ausschußberatungen vom BMI eine schriftliche Zusage, daß die jetzt schon als „Gruppe" zusammengelegten Referate für „Jugend und Sport" insofern weiter ausgebaut würden, als die Gruppen„leitung" einem ausschließlich mit diesem Aufgabengebiet betreuten Beamten des höheren Dienstes übertragen würde, der nach wie vor unmittelbar dem zuständigen Staatssekretär unterstellt bliebe, wodurch die Gruppe de facto den gewünschten Rang einer Abteilung erhalte.
Nach Unterstreichung. der Forderung auf baldige Verwirklichung der von Herrn Staatssekretär Bleek gegebenen Zusicherungen erklärten die Antragsteller den Punkt 1 ihres Antrages für erledigt.
Der Punkt 2 wurde von der antragstellenden Fraktion als dadurch erledigt angesehen, daß zur Zeit keine andere Konzeption als die einer selbständigen „Gruppe" im Bundesinnenministerium zu verwirklichen sei und im Rahmen dieser Arbeitsweise der Aktionsausschuß und das Kuratorium bereits umgebildet wurden.
Die Mehrheit des Ausschusses schloß sich auch dieser Auffassung an. Die Minderheit enthielt sich bei Punkt 1 und 2 der Stimme, da sie nach wie vor die Einrichtung einer „Bundeszentrale für Jugendfragen" befürwortete.
Zum Punkt 3 beschloß der Ausschuß für Jugendfragen einstimmig, die Bundesregierung zu ersuchen, die Mittel aus dem Bundesjugendplan so früh anzuweisen, daß sie von den Empfangsberechtigten rechtzeitig verwendet werden können. Durch zu späte Zusagen über die Höhe der bewilligten Mittel und zu langsame Anweisung der Zahlungen kamen die Verbände und Einrichtungen zeitweise in außerordentliche Schwierigkeiten bei der Durchführung ihrer Aufgaben. Bereits in diesem Haushaltsjahr ist jedoch eine wesentliche Verkürzung der Termine erreicht worden. Es wird angestrebt, daß die Ubersicht über Art und Umfang der Förderungsmittel künftig bereits am Beginn des Kalenderjahres erfolgt.
Auch die Methoden der Rechnungsprüfung durch den Bundesrechnungshof wurden in diesem Zusammenhang eingehend mit Vertretern der geförderten Organisationen durchgesprochen. In Verhandlungen mit dem Bundesrechnungshof wird zu erreichen versucht, daß die haushaltsrechtliche Verfahrensweise bei der Rechnungsprüfung den Besonderheiten der geförderten Verbände angepaßt wird, damit diese einen für die Jugendarbeit unerläßlichen Spielraum in der Verwendung der Mittel behalten können. Trotzdem müssen jedoch auch die unterstützten Einrichtungen und Verbände Wert auf klare Rechnungsführung legen. Bei allen Beteiligten ergab sich volle Übereinstimmung in diesen Grundsätzen.
Die im Antrag Drucksache 78 angesprochenen Probleme sollten besondere Hemmnisse in der Wirkung des jetzt geltenden Bundesjugendplanes aus dem Wege räumen. Es bestand Übereinstimmung, daß damit jedoch keine Fixierung des jetzigen Aufgabenbereichs des Bundesjugendplanes erfolgen sollte, sondern daß dieses Förderungswerk für die Jugend in der Bundesrepublik den neu auftretenden Notwendigkeiten gemäß dynamisch weiterentwickelt werden muß, um die staatsbürgerliche Erziehung und die Unterstützung der Aufgaben von Jugendpflege und Jugendfürsorge so zu gestalten, daß eine körperlich und geistig gesunde Jugend mit einem ausgeprägten demokratischen Staatsbewußtsein heranwächst.
Der Antrag des Ausschusses lautet: Der Bundestag wolle beschließen,
1. die Bundesregierung zu ersuchen, die Mittel aus dem Bundesjugendplan so früh anzuweisen, daß sie von den Empfangsberechtigten rechtzeitig verwendet werden können,
2. Punkt 1 und 2 des Antrags für erledigt zu erklären.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seffrin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Jugend in den Kreis der Überlegungen, der Sorgen und der gesetzgeberischen Tätigkeit des Bundestages einbezogen ist, mag der Jugend und uns allen ein Beweis dafür sein, daß wir um ihren Wert und ihre Bedeutung für unser Volk und unseren Staat wissen, ohne daß wir die alten und auch neuen Fanfarenstöße vom „Garanten der Zukunft" nachblasen oder in eifernder Liebedienerei den Satz kolportieren: „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft." Für uns ist die Jugend ein Teil des Volksganzen, der in den natürlichen Einrichtungen, die das Volk für die Jugend schafft und hat, lebt, vor allen Dingen in der Familie und in den von der Jugend selbst für sich geschaffenen Jugendbünden, Jugendvereinen.
Wir sehen in der Jugend einen Teil des Volksganzen, den wir um uns leben sehen, mit dem wir uns vereint fühlen in der Verbundenheit des natürlichen Aufbaues unseres Volkes und in der Gemeinsamkeit desselben kulturellen Werdens und desselben politischen Geschicks.
Von hier aus aber haben wir als Volk an unserer Jugend allerlei gutzumachen. Für so manche Erscheinung oder Haltung, die — sei es zu Recht oder zu Unrecht — an unserer heutigen Jugend mißfällt, ist nicht zum mindesten, vor allen Dingen nicht zuerst unsere Jugend verantwortlich, sondern sind wir Erwachsenen vorweg verantwortlich, die wir, jeder zu seinem Teil, jene Schicksale und jene Zustände mit verursacht haben, die so bedrohlich das materielle und geistige Dasein unserer Jugend heute belasten und beeinflussen.
Ich bin aber durchaus nicht der Meinung, daß man beim Blick auf unsere Jugend nun nur in Pessimismus und Tadel verfallen dürfe. Im Gegenteil; in unserer Jugend ist so viel Gutes, so viel Gesundes in weiter Verbreitung vorhanden, daß sie nicht unser Miß trauen sondern unser volles Vertrauen verdient. Das heißt praktisch, daß wir nicht eine straffe, dirigierende staatliche Jugendpolitik treiben sollen, ja nicht einmal treiben wollen, an deren Ende eine Staatsjugend steht, sondern daß unsere Teilnahme, unsere Arbeit für die Jugend vom Staate, von der Politik her aufgebaut sein muß auf einem Vertrauen für ,die Jugend, aufgebaut sein muß darauf, daß die Jugend in ihrer besonderen Welt auch ihre besonderen eigenen Gesetze hat, aus denen heraus sie lebt. Zwei der wichtigsten jugendgesetzlichen Träger sind einmal die Liebe der Jugend zur Freiheit in ihrem Raum und zum andern die Bereitschaft der Jugend, verantwortliche Arbeit in ihrem Bereich auf sich zu nehmen. Deshalb sind wir der Meinung, daß alle Arbeit für die Jugend nicht einfach in dirigistischer, in staatlich gelenkter, alle Gebiete und alle Bereiche der Jugend irgendwie erfassender und irgendwie beeinflussender Weise erfolgen darf, sondern daß diese Arbeit das besondere Wesen und die besonderen positiven Eigenschaften respektieren muß, die die Jugend hat.
Wenn ich in diesem Zusammenhang auf die Anträge, die heute zur Behandlung stehen, eingehe, so darf ich zunächst vorausschicken, daß wir der Errichtung eines Instituts für Jugendfragen insoweit entgegenkommen, als wir die Überlegung, wie und ob ein solches Institut für Jugendfragen errichtet werden soll, durchaus für richtig halten. Wir befürworten deshalb die Überweisung dieses Antrags auf Errichtung eines Instituts für Jugendfragen an den Jugendausschuß zur weiteren Behandlung und Prüfung.
Es ist klar, daß dieser Antrag auf Errichtung eines Instituts für Jugendfragen so etwas wie eine Vorgeschichte hat. Sie haben dem Bericht von Frau Keilhack über die Verhandlungen im Jugendausschuß schon entnommen, daß man sich dort überlegt hat, ob es bei der bisherigen organisatorischen Form der Arbeit für die Jugend in diesem Ausschuß und vor allen Dingen beim Ministerium bleiben könne. Von meiner eigenen Fraktion aus war der Antrag gestellt worden, die Referate für Angelegenheiten der Jugend und des Sports im Bundesinnenministerium zu einer selbständigen Abteilung zusammenzufassen. Wir konnten uns davon überzeugen, daß die Errichtung einer eigenen Abteilung für Jugend und Sport im Rahmen des Ministeriums aus den verschiedensten Gründen im Augenblick noch nicht möglich ist. Das will nicht sagen, daß diese Einrichtung ein für allemal abgetan sei. Aber im Augenblick ist sie noch nicht spruchreif geworden.
Weiter ist der Gedanke aufgetaucht, eine Bundeszentrale für Jugendfragen zu schaffen. Auch diesen Gedanken kann man aus mancherlei Gründen jetzt nicht ,akzeptieren, besonders deshalb nicht, weil, ähnlich wie bei einem weiteren Gedanken bezüglich der Schaffung eines Bundesjugendamts, irgendwo Gefahren schlummern können, daß sich aus einer solchen Bundeszentrale für Jugendfragen oder aus einem solchen Bundesjugendamt schließlich im Laufe der Zeit so etwas Ähnliches wie eine staatliche Jugendleitstelle oder Jugendbefehlsstelle entwickeln könnte. Damit aber wäre dem Recht der Jugend und der Entwicklung der Jugend wirklich am wenigsten gedient.
Bei den Besprechungen mit den verschiedenen Verbänden hat sich weiter herausgestellt, daß der Bundesjugendplan, so wie er in den letzten Jahren gehandhabt wurde, seine in den Anfängen vorhandenen und auch aus seinem Werdegang heraus verständlichen Schwächen und Mängel allmählich mehr und mehr verloren hat. Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist man so weit, daß gerade diese Mängel weitgehend abgestellt sind. Vor allen Dingen ist einer der dringendsten Wünsche, die die Jugend äußerte, daß nämlich die zur Verfügung stehenden Mittel auch rechtzeitig kommen, erfüllt, da in diesem Jahre die Gelder tatsächlich vom April an, soweit wir unterrichtet sind, bereits zur Verfügung stehen.
Auch hinsichtlich des Verhaltens zum Rechnungshof bzw. des Verhaltens des Bundesrechnungshofs zu den Jugendverbänden wurden weitgehende Absprachen getroffen, die gewisse Schwierigkeiten, die sich da eingestellt hatten, mit gutem Willen von beiden Seiten her überwinden lassen.
So können wir also sagen, daß der Bundesjugendplan im Augenblick doch noch die Form ist, die wir haben müssen und haben wollen, um unsere Aufgabe an der Jugend in dem Sinne zu vollziehen, daß wir die Jugend nicht dirigieren wollen, sondern daß wir ihr helfen wollen und daß wir mit dieser Hilfe ihre eigene Bewegungsfähigkeit, ihre eigene Gestaltungsfähigkeit nicht beeinflußen wollen, sondern diese Anlagen gerade mit dem Mittel des Bundesjugendplans besonders fördern wollen.
Ob sich dann im Laufe der folgenden Jahre in dieser Hinsicht bestimmte Änderungen werden
vornehmen lassen oder ob solche Änderungen vorgenommen werden müssen, muß sich erst noch zeigen. Im ganzen stehen wir in dieser Frage noch sehr im Raum der Erfahrungssuche und noch nicht im Raum der vollkommenen Erkenntnis, wie man solches am besten macht. Eines allerdings, glaube ich, ist sicher: daß man die Verhältnisse, wie sie etwa in den Staaten östlich von uns sind, wo man eine Staatsjugend hat und wo infolgedessen alles vom Staate her gelenkt wird, für unser Gebiet nicht zum Vorbild nehmen kann. Denn auf diese Art und Weise würden wir uns jenen Einrichtungen mehr und mehr nähern und auch zu einer Staatsjugend kommen, die in keiner Weise geeignet wäre, künftighin Träger des eigenen Staates zu sein. Wir müssen vielmehr immer wieder an unsere Jugend herantreten, müssen ihr helfen und sagen, .wie es möglich ist, daß sie unter Bewahrung ihrer Eigenart in unseren Staat und in unsere Zukunft hineinwächst, so ,daß sie in der Lage ist, später einmal diesen Staat selbst zu tragen. Hilfe für die Jugend, aber unter Ablehnung dirigistischer staatlicher Einflußnahme auf die Jugend — das sind die Grundzüge der Arbeit, von der wir glauben, daß sie der Jugend am besten dient.
Das Wort hat der Abgeordnete Herold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl das erste Mal, ausgenommen die Beratungen um den 5. Bundesjugendplan, daß wir uns im 2. Deutschen Bundestag mit den Problemen der Jugend befassen. Ich weiß, daß es in diesem Hause eine große Anzahl von Kollegen gibt, die die Jugendprobleme als nicht so dringlich oder aktuell bezeichnen. Meine Fraktion und ich sind anderer Meinung. Wir haben keinerlei Grund, in dieser Angelegenheit den Selbstzufriedenen zu spielen und vielleicht untätig in der Ecke zu stehen oder, wie es in Diskussionen so oft geschieht, die gesamte Verantwortung auf die Länder und Gemeinden abzuschieben. Ich weiß, daß man in verschiedenen Kreisen die Meinung vertritt: Wir haben den Bundesjugendplan geschaffen, wir geben 30 Millionen, damit ist dieser Fall für uns erledigt! Man verschanzt sich hinter dem Föderalismus und klagt am Ende, die Jugend habe sowieso keinerlei Interesse an der Demokratie.
So einfach können wir uns die Sache nicht machen. Es ist richtig, daß die jungen Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren sehr skeptisch geworden sind. Sie können mit Recht als die „betrogene Generation" bezeichnet werden. Vor Jahren riß man sie aus Schulen und Lehrstellen, steckte sie in Uniform und schickte sie an die Front. Nach unendlichen Strapazen und Opfern, nach langen Jahren der Kriegsgefangenschaft kehrten sie heim, krank an Leib und Seele. Viele Enttäuschungen liegen hinter diesen jungen Menschen. Man hat sie rührend empfangen, man hat ihnen vieles, vieles versprochen, aber leider Gottes nur einen bescheidenen Teil davon gehalten. Der Bundesjugendplan war und ist nach unserer Meinung der Anfang. Die Mittel reichen keinesfalls aus, um die Verpflichtungen diesen jungen Menschen gegenüber zu erfüllen.
Wir wundern uns oft hier in diesem Hause über die negative Einstellung eines großen Teils dieser Jugend zum heutigen demokratischen Staat. Gehen wir dieser Sache doch einmal auf den Grund, fragen wir uns, warum das so ist! Wie viele Jungen und Mädel warten seit Jahren auf einen Arbeitsplatz! Nach den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung beträgt der Anteil der Jugendlichen an der Arbeitslosenzahl fast 20 %. Mit anderen Worten: etwa 200 000 Jugendliche bis zum 25. Lebensjahr sind bis zur Stunde noch ohne jegliche Arbeit.
Dazu kommen noch über 100 000 Jugendliche, ,die bis heute noch auf Lehrstellen warten. 300 000 junge Menschen haben also an der Ernte der Früchte des sogenannten deutschen Wirtschaftswunders nicht teilgenommen. Sie stehen noch vor den Fabriken und den Arbeitsämtern. Obwohl alle Verantwortlichen — Arbeitsverwaltung, die Industrie, das Handwerk — wissen, daß wir in absehbarer Zeit mit einem ungeheuren Mangel an Facharbeitern zu rechnen haben, hat man bisher nur unzureichende Möglichkeiten gefunden, sie vorausschauend einzugliedern. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, daß bei etwas gutem Willen, vor allen Dingen ,der deutschen Industrie, die Frage der Eingliederung dieser jungen Menschen längst hätte geklärt sein können. Leider hat die überbezirkliche Vermittlung nicht den Erfolg gebracht, den wir alle erwartet haben. Die Lage in den Zonenrand- und Grenzgebieten entlang des Eisernen Vorhangs ist wirklich zum Teil katastrophal. Es ist nicht gelungen, diesen Jugendlichen in den wirklich gefährdeten Gebieten zu einer Existenz zu verhelfen.
Betrachten wir auf .der andern Seite unseren akademischen Nachwuchs, die Menschen, die einmal in der deutschen Wirtschaft, in der deutschen Wissenschaft und in der Forschung große Erbschaften und große Aufgaben zu übernehmen haben! Diese jungen Leute legen ihre Reifeprüfung ab und gehen ins Praktikum. Dort beginnt bereits die erste Enttäuschung. Bei schlechter Entlohnung bereiten sie sich vor. Ich kenne sogar einige Fälle, wo diese jungen Menschen in den Betrieben nicht einmal ein Taschengeld bekommen, geschweige denn, daß man ihnen einen Mindestlohn gewährt.
— Ja, bitte schön, diese Leute sind doch nicht gewerkschaftlich organisiert, meine Herren! Das dürften Sie wissen.
Dann beginnt der Kampf um die Aufnahme in die Universität oder Hochschule. Ist das geschafft, beginnt die Sorge um den Lebensunterhalt während der Studienzeit. Nach einer Umfrage bei 104 000 jungen Studenten beiderlei Geschlechts wurde festgestellt, daß rund 70 000 junge Menschen, die studieren, nicht einmal 100 DM zum Lebensunterhalt besitzen,
geschweige denn zur Anschaffung der Lernmittel usw. Jeder von uns weiß, was das Leben heute kostet, angefangen — meine Herren, ich glaube, darüber gibt es keinen Zweifel, und wir können uns hier tadellose Vorstellungen machen —, angefangen bei den Zimmerpreisen der Universitätsstadt Bonn.
Die Frage der Existenzgründung der jungen Akademiker möchte ich hier gar nicht erwähnen. Sind diese Dinge nicht äußerst beschämend für unseren Staat? Sollten uns diese Beispiele nicht alarmieren?
Mit viel Aufmerksamkeit beobachten unsere jungen Menschen die Lage ihrer Altersgenossen hinter dem Eisernen Vorhang und in den anderen europäischen Ländern. Bei den angestellten Vergleichen kommen oft sehr große Zweifel bei ihnen auf. Was wird der Jugend dort geboten? Nicht alle Maßnahmen dürfen nur durch die politische Brille gesehen werden. Ich glaube, wir machen uns das zu leicht.
Was bieten wir ? Ich frage Sie nur: Was bieten wir nun unserer Jugend, um sie für die Demokratie und für unseren Staat zu gewinnen? Ich sage Ihnen: im Verhältnis herzlich wenig! Ich will hier keine großen Vergleiche bringen, aber die materiellen Dinge, die wir ihnen zu bieten haben, sind wirklich äußerst klein. Wir haben Jugendgesetze geschaffen, z. B. das RJWG. Seit über einem Jahr ist es verabschiedet. Bis zum heutigen Tage aber fehlen auf der untersten Ebene die Mittel, damit die Absichten dieses Gesetzes auch verwirklicht werden können. Man kann natürlich sagen, nes sei eine Aufgabe der Länder, der Gemeinden. Es müssen aber Wege gefunden werden, über den Finanzausgleich den Gemeinden und den Ländern die nötigen Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Aufgaben zu geben. Wir können hier nicht Dinge beschließen und den Ländern und Gemeinden neue Aufgaben zuteilen, wenn wir ihnen dafür nicht die Mittel zur Verfügung stellen.
Denken wir an den Jugendarbeitsschutz! Sind die Zahlen, die uns von den Gewerbeaufsichtsämtern erreichen, nicht erschreckend? Wo bleibt hier die Initiative des Bundesarbeitsministeriums?
1 Unsere Schulverhältnisse sind zum Teil sehr schlecht. Es gibt noch Städte und Orte, wo unsere Kinder in drei Schichten täglich zur Schule gehen müssen, weil ihnen heute — —
— Ich weiß, daß es nicht den Bund allein angeht, Frau Kollegin Niggemeyer. Auf der andern Seite ist es aber so, daß der Bund in diesem Fall schon die Initiative ergreifen und diese Länder unterstützen muß.
— Ich weiß, Sie hören es nicht gern! — Es fehlen Lehr- und Lernmittel; zum Teil sind sie veraltet und überholt. Betrachten Sie sich die Schulen in den Notstandsgebieten, betrachten Sie die Notunterkünfte der Schulen in den bombengeschädigten Städten, in denen die Jüngsten unseres Volkes zu Staatsbürgern erzogen werden sollen. Neun Jahre nach dem Kriege haben wir es nicht fertiggebracht, diese Mißstände zu beseitigen.
Auch die Frage der Berufsschulen muß erwähnt werden.
— Das ist Ihr Fach wahrscheinlich, Herr Seffrin. In vielen Landkreisen sind bis zum heutigen Tag keine Berufsschulen vorhanden; die jungen Menschen haben 30 und 40 km Weg bis zu ihren Berufsschulen
und müssen infolgedessen müde und abgespannt den Unterricht mitmachen. Die Folgen sehen Sie bei den Gesellenprüfungen.
— Das sind keine Einzelfälle, und es ist notwendig, daß man das einmal in diesem Rahmen erwähnt.
Wir sind auf jeden Fall der Meinung, daß der Bund, der genau weiß, wie sich in Zukunft gerade auch in der Ausbildung der Facharbeiter die Dinge entwickeln werden, hier viel mehr Initiative entwickeln muß als bisher.
Noch ein Wort zur Freizeitgestaltung unserer Jugend. Wie viele Dinge liegen da im argen! Unsere-Jugendverbände geben sich die größte Mühe. Es ist erfreulich, daß fast 5 Millionen Jugendliche in den Jugendorganisationen erfaßt sind. Sie müssen in ihrer Arbeit unsere volle Unterstützung finden und haben sie auch. Insbesondere — und das möchte ich hier besonders betonen — ist es notwendig, daß die politischen Gruppen, die sich der politischen Erziehung widmen, eine besondere Hilfe von uns erhalten. Wir wissen um ihre Nöte. Viele Jugendgruppen sind ohne Heim; sie finden Zuflucht in den Hinterzimmern von Gaststätten. Wo bleiben die Jugendheime? Was da bisher geschehen ist, reicht bei weitem nicht aus. — Die gute Literatur ist für unsere Jugend zum Teil nicht erschwinglich. Was wird mit der Einrichtung von guten Jugendbüchereien? Überall fehlen Turnhallen und Sportplätze. Die Gesundheitspflege läßt sehr viel zu wünschen übrig. Alle diese Probleme liegen vor uns und müssen von uns gelöst werden; zum mindesten müssen wir Entscheidendes dazu beitragen.
Die Gremien, die sich in der Theorie mit dieser Arbeit befassen, sind da; aber die praktische Arbeit fehlt. Die Dinge müssen energisch vorangetrieben werden. Der Staat, die Gesellschaft hat die Verpflichtung, der Jugend mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu helfen. Wir kennen die Ausflüchte und zum Teil die Sorgen des Finanzministers; aber sie sind nicht in allen Dingen stichhaltig. Wir dürfen, wenn wir sparen wollen, nicht bei der Jugendarbeit anfangen. Viele Millionen sind und werden für Experimente ausgegeben. Die Jugendarbeit ist kein Experiment, sie ist eine Staatsaufgabe. Der Großteil unserer Jugend hat kein Verständnis dafür, daß bei der Mittelvergabe für Jugendpflege nie genügend Geld da war, daß man es nie hatte und nie hat, daß man aber bereit ist, Milliarden auszugeben, wenn es gilt, für die Jugend neue Kasernen zu bauen
und sie zu sogenannten „Kerlen" zu erziehen.
In einer der letzten Plenarsitzungen machte man einem Jugendverband Vorwürfe, weil er sich erlaubt hat, etwas anderes zu beschließen, als es die Regierung gewünscht hätte.
Ich glaube, meine Damen und Herren, es wäre besser, wenn sich die Regierung und ein Teil der
Koalitionsparteien auch einmal um die anderen Be-
schlösse dieser Jugendverbände, die seit Jahren vorliegen, kümmern würden.
Ich möchte zum Abschluß nur noch eines sagen. Herr Kollege Dr. Seffrin hat vor der Staatsjugend und vor der staatlichen Lenkung gewarnt. Herr Dr. Seffrin, haben Sie wirklich so wenig Vertrauen in Ihre eigenen Regierungsstellen, daß Sie die Gefahr fürchten, bei der Einrichtung einer Bundeszentrale hier vielleicht eine sogenannte Staatsjugend erstehen zu sehen?
— Wir besitzen genau so viel Vertrauen in die Jugend. Wir halten die Jugend genau wie Sie für gut. Aber wir sind der Meinung, daß die Mittel, die der Bund heute für die Jugendarbeit ausgibt, bei weitem nicht ausreichen, die Lage dieser Jugend zu verbessern.
Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Fraktion wird dem Antrag des Ausschusses für Jugendfragen zustimmen. Sie wird sich dabei von dem Gesichtspunkt leiten lassen, daß wir alles unternehmen müssen, um irgendwelche Verzögerungen oder Schwierigkeiten bei dem Ablauf des Bundesjugendplanes zu vermeiden. Die jetzigen Voraussetzungen dafür, den Bundesjugendplan möglichst rasch ablaufen zu lassen, sind auch nach unserer Auffassung durchaus noch nicht vollkommen. Wir werden immer wieder neue Vorschläge unterbreiten und versuchen, Verbesserungen in der ganzen Arbeit zu erreichen.
Wir sind sehr interessiert daran, daß die Auszahlung der Mittel außerordentlich rasch und rechtzeitig erfolgt, weil wir aus der Arbeit draußen bei den einzelnen Jugendverbänden immer wieder ersehen, wie schwierig es ist, Planungen auf weite Sicht vorzutragen, wenn die Mittel nicht zur rechten Zeit zur Verfügung stehen. Ich kann mir hier eine Auswahl von Beispielen ersparen und möchte nur zwei Punkte herausstellen.
Ich nenne zunächst den internationalen Jugendaustausch. Es ist außerordentlich schwer, die Verhandlungen mit den ausländischen Gruppen zu führen. Hier ist es häufig vorgekommen, daß man Mühe und Not hatte, das Geld zurückzubekommen, nachdem die Fahrten längst beendet waren. Das ist ein Zustand, der uns wenig Freude gemacht hat und der auch im Ausschuß ausführlich besprochen worden ist. Bei dem Bau von Jugendwohnheimen ist die Situation ähnlich, nur noch etwas schwerwiegender, weil Jugendwohnheime häufig erst gebaut werden konnten, als der Winter schon vor der Tür stand, so daß wir weit in das nächste Rechnungsjahr hineingerieten.
Den Antrag der SPD auf Errichtung eines Instituts für Jugendfragen hält die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE für gut. Sie ist der Auffassung, daß er im Ausschuß eingehend beraten werden sollte. Wir werden also einer Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß zustimmen, weil wir glauben, daß wir hier viele Möglichkeiten hätten, die zum weiteren Ausbau des Bundesjugendplanes beitragen und ihn geschmeidiger machen könnten.
Unsere speziellen Sorgen hinsichtlich des Bundesjugendplanes liegen auf folgenden Gebieten. Auf dem sozialpolitischen Gebiet — das ist hier schon einige Male angeschnitten worden; ich darf es aber noch einmal betonen — haben wir es insbesondere mit der Frage des Facharbeiternachwuchses zu tun. Wir wissen, daß wir in den nächsten Jahren vor großen Problemen stehen werden, und werden daher besonderes Augenmerk darauf richten müssen, den Nachwuchs für die Facharbeiterschaft zu bekommen. Wir müssen dafür sorgen, daß wir durch berufsbildende und berufsfördernde Lehrgänge auch die vielen Tausende junger Menschen erfassen, die heute noch in Arbeitsstellen stehen, welche nur die Aussicht bieten, da sie einen ungelernten Beruf ausüben, Hilfsarbeiter zu bleiben. Sie stehen in keiner echten Berufsausbildung und werden uns deshalb in allernächster Zeit sehr fehlen. Diesem Facharbeitermangel wird gesteuert werden können, wenn wir daran denken, rechtzeitig mit den Lehrgängen zu beginnen, die auch diejenigen Jugendlichen an die Fachausbildung heranführen, die die Berufsfähigkeit zur Zeit noch nicht erreicht haben. Ich denke also besonders an die jungen Menschen, die wegen der Zurückhaltung in den Ostgebieten und überhaupt der ganzen Kriegsfolgen zurückgeblieben sind. Sie bringen an und für sich durchaus eine gute Substanz mit, haben aber auf Grund der vielen Schwierigkeiten das Volksschulziel nicht erreicht. Wir werden also hier mit besonderen Lehrgängen nachhelfen müssen und haben da eine dankbare Aufgabe vor uns.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf den sozialpolitischen Sektor, besonders auf die Nachwuchsförderung für den ländlichen Beruf hinweisen. Wir haben hier eine große Lücke zu füllen. Die letzten Jahre haben uns in erschreckender Weise gezeigt, wie wenig Verbindung gerade der junge Mensch zum Land hat und wie gerade der junge Mensch nicht mehr den Mut aufbringt, einen Beruf zu ergreifen, der scheinbar wenig Aussicht auf eine sichere Existenz für die Zukunft hat. Aber unser ganzes Bekenntnis zu dem gesamtdeutschen Vaterland, unser Bekenntnis, daß wir unsere Ostgebiete niemals abschreiben dürfen, wäre null und nichtig — gestatten Sie mir, das so deutlich auszusprechen —, wäre illusorisch, wenn es uns nicht gelänge, unsere jungen Menschen bäuerlichen Ursprungs wieder in den bäuerlichen Sektor hinein- zuführen.
Wir werden sonst eines Tages vor der großen Frage stehen, wie wir überhaupt mit dem Problem des bäuerlichen Nachwuchses fertig werden wollen. Es ist ein Problem des ganzen deutschen Volkes. Deshalb begrüßen wir es auch, daß in den kommenden Bundesjugendplan ein Landjugendplan aufgenommen wurde, der einige Ansätze zeigt, der Landflucht gerade unserer jungen Menschen etwas zu steuern. Wir werden auch hier die Maßnahmen unterstützen, soweit es irgendwie geht.
Wir sind noch darüber besorgt, daß man auch für das kommende Jahr den Betrag für die Jugendwohnheime beachtlich herabgesetzt hat, nach unserer Auffassung etwas zu stark; denn nach all diesen Plänen, die wir für die Berufsförderung, die Berufsbildung und für die konzentrische Heranführung an die Facharbeit haben, werden wir Jugendwohnheime und Jugendlehrwerkstätten dringend benötigen. Es wird ernstlich zu überprüfen sein, wieweit wir hier nicht doch noch eine Korrektur an dem Vorschlag vornehmen können.
Lassen Sie mich ein zweites Gebiet, den kulturpolitischen Sektor, kurz aufzeigen. Wir sind davon überzeugt, daß die kulturpolitische Arbeit in unseren Jugendverbänden über die jetzt bestehenden Grenzen hinweg eine echte Verbindung darstellt. Wir müssen von diesem Gesichtspunkt aus auch den Ernst der kulturpolitischen Arbeit sehen und verlangen, daß die Tätigkeit auf diesem Gebiet lebhaft ist. Wir müssen unsere Kulturarbeit lebendig erhalten. Wir müssen die Werte unserer Vorfahren unserer Jugend wieder näherbringen und bei ihr die Ehrfurcht vor diesen Werken wecken, damit das Bekenntnis zu ihrem Volk bewußter wird. Auch hier wird dann die Erkenntnis, daß wir ein ganzes deutsches Volk sind, leichter durchdringen.
Ich darf in diesem Zusammenhang ein kleines Beispiel bringen, das kulturpolitisch, aber auch geschichtlich interessant ist und vor allen Dingen zeigt, wie sehr wir damit unseren jungen Menschen die Verbundenheit unseres ganzen Vaterlandes aufzeigen können. Sie alle kennen die Sage von dem Rattenfänger von Hameln, und wir wissen, daß der Rattenfänger von Hameln eigentlich kein anderer war als ein Werber König Ottokars von Böhmen, der nach Hameln und in die Hamelnsche Gegend ging, um junge Menschen für die Aufgabe und, den Aufbau im Osten zu werben. Sehen Sie allein dieses kleine Beispiel! Wenn wir das unseren jungen Menschen näherführen, wird das Bewußtsein immer stärker, daß wir alle zusammengehören, ganz gleich, ob wir im Osten oder Westen geboren sind.
Wir sehen also, daß die kulturpolitische Arbeit sehr leicht in die staatspolitische Arbeit hinüberleiten kann. Dieses staatspolitische Arbeitsgebiet ist so groß, und für uns so entscheidend, daß man sagen kann: jeder Jugendverband, der anerkannt werden will, muß sich staatspolitisch betätigen. Eine staatspolitische Betätigung ist schlechthin die Voraussetzung dafür, daß unsere jungen Menschen später in ihrer Verantwortlichkeit als Männer und Frauen wissen, für welches Staatsgebilde, für welche -formen, für welche Lebensbedingungen sie sich zu entscheiden haben. Deshalb werden wir auf dem Gebiet der Staatspolitik unsere Betreuung noch stärker einsetzen müssen und dafür sorgen müssen, daß die Begriffe, die für uns Lebensfragen sind — denken Sie an Freiheit, denken Sie an Demokratie, denken Sie an Wiedervereinigung und an all das, was uns bewegt —, schon in der Jugend lebendig werden, damit die jungen Menschen später, soweit sie geeignet sind, sich zur politischen Verantwortung bekennen.
In dieses Aufgabengebiet der Staatspolitik fällt besonders die Betreuung der Jugendlichen aus der sowjetischen Besatzungszone. Die Betreuungsarbeit ist hier, wie überhaupt im ganzen Bundesjugendplan, ja nicht eine Prothese, sondern sie ist einfach eine kleine Beihilfe, um dem Menschen, der von sich aus nicht die Möglichkeit hat, auf die Beine zu kommen, zu helfen. Wir werden uns also bei der Betreuung der Sowjetzonenflüchtlinge — wir wissen, daß 50 % davon Jugendliche sind — besondere Mühe geben müssen, und wir werden durch Begegnungen dieser Menschen auch versuchen müssen, die Spannungen, die zwischen den beiden Zonen immer wieder auftauchen, zu entschärfen und die Verbindung von Mensch zu Mensch herzustellen. Wie wir im internationalen Jugendaustausch beachtliche Beträge dafür verwenden, um in alle Welt hinaus die Verbindungen zu schaffen und Freunde für uns zu werben und gleichzeitig damit auch eine Verbindung von Jugend zu Jugend zu schaffen, die wir doch so notwendig brauchen, so sollten wir auch dafür sorgen, daß bei der Fühlungnahme mit der sowjetischen Besatzungszone noch mehr Mittel zur Verfügung stehen. Eine Kürzung ist ja sowieso nicht vorgesehen. Wir wollen versuchen, noch weitere Mittel für diesen Sektor zu erhalten.
Mit diesen drei umfassenden Punkten — Sozialpolitik, Staatspolitik und Kulturpolitik — möchte ich die Aufzählung der Wünsche, die wir besonders in bezug auf den Bundesjugendplan haben, abschließen. Wenn der Bundesjugendplan so durchgeführt wird, wie es unser Anliegen ist, müßte er ein Bekenntnis des Parlaments zur Jugend sein, müßte er ein Bekenntnis dafür sein, daß wir unsere junge Generation ernst nehmen und daß wir wissen, daß sie niemals von uns irgendwelche Almosen haben möchte, daß sie vielmehr nur mit Recht verlangen kann, daß wir ihr — bildlich gesprochen — die größten Steine aus dem Wege räumen, jene, die sie aus eigener Kraft nicht wegschaffen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind hier wohlwollende Gedanken für die Jugend entwickelt worden, denen wir uns voll anschließen. Ich möchte aber doch herausstellen, daß diese wohlmeinenden Gedanken für die Jugend nicht ,das Eigentum einer einzelnen Partei sind,
sondern daß sie zweifelsohne Gemeingut des ganzen Hauses sind.
Ich halte es für sehr wesentlich, daß wir bei unserer Arbeit für die Jugend davon ausgehen, daß wir im Vergleich zu den Methoden, die in den letzten Jahrzehnten wirksam waren, einen völlig neuen Weg beschreiten. Damit meine ich, daß wir uns in erster Linie davon abwenden sollten, etwa Illusionen zu wecken. Denn die Skepsis der Jugend — darüber sollten wir uns wohl klar sein — ist lediglich darauf zurückzuführen, daß sie in den vergangenen Jahrzehnten ständig Illusionen ausgesetzt war, die sie auf einen völlig falschen Weg geführt haben. Ich selbst und meine Freunde haben für diese Skepsis der Jugend auch gegenüber den Maßnahmen der Regierung durchaus Verständnis. Wir haben Verständnis dafür, weil uns die Eigenwilligkeit der Jugend imponiert, und das ist gerade für meine Freunde und für mich nicht so sonderbar. Als Vertreter einer liberalen Partei wollen wir ja solche Eigenwilligkeiten durchaus sehen und fördern.
— Das nehme ich sehr gerne zur Kenntnis, Herr Kollege; dann finden wir uns auf derselben Basis zusammen.
Nun möchte ich aber gerade in diesem Zusammenhang doch auf einige Äußerungen zurückkommen, die vorhin bei der Begründung des Antrags auf Schaffung eines Instituts für Jugendfragen abgegeben worden sind. Es ist ja doch in einer, ich muß zumindest sagen, sehr bemerkenswerten Weise
darauf hingewiesen worden, daß man das herausstellen sollte, was vielleicht in der Sowjetzone besser ist. Es wurde dann noch einmal betont, man sollte doch sehen, was in der Sowjetzone besser geregelt sei als bei uns. Nun habe ich mir bei diesen Worten vorzustellen versucht, wie diese Äußerungen wohl in den Ohren eines Jugendlichen in der sowjetischen Besatzungszone klingen mögen.
Ich bin sehr davon überzeugt, daß derartige Äußerungen größte Verwunderung auslösen werden. Wenn man schon glaubt, Vergleiche ziehen zu müssen, dann sollte man doch nicht darauf verzichten, auf die Vorteile, auf die Gewinne hinzuweisen, die die Jugend in der Bundesrepublik dank der Politik der Bundesregierung in Anspruch nehmen kann.
Wenn wir eine Lösung für die Probleme der Jugend suchen, dann müssen wir wohl davon ausgehen, daß diese Lösung nicht auf organisatorischem Gebiet gefunden werden kann. Wir sollten vielmehr immer nur ein Stimulans geben, um das ureigene Wesen der Jugend anzuregen, damit die Jugend sich ihren eigenen Lebensrahmen zu schaffen in der Lage ist.
Nun lassen Sie mich einiges zu der Kritik sagen, die hier an der bisherigen Behandlung der Jugendfragen geübt worden ist. Wir haben uns insgesamt im Ausschuß sehr wohl Gedanken darüber gemacht, ob die jetzige Organisation die richtige ist. Dabei sind wir doch wohl zu der Erkenntnis gekommen, daß wesentliche Gründe dafür sprechen, die jetzige Lösung im Prinzip beizubehalten. Nicht zuletzt sind wir doch zu dieser Erkenntnis dadurch gekommen, daß wir einsehen mußten, daß das Ministerium als Zentrale mit seinen Verbindungen zu den Ländern erstens eine bessere Kenntnis der Situation besitzt, als sie über ein Zwischenglied — eben durch eine Organisation, die etwa der Bundeszentrale für Heimatdienst nachgebildet ist — gewonnen werden kann. Zweitens haben wir uns auch damit beschäftigen müssen, daß bei der Verausgabung und Bewirtschaftung von Mitteln in der Höhe des doch nicht unbeträchtlichen Betrags von 30 Millionen DM natürlich äußerste Sorgfalt angewandt werden muß, wobei alle Kontrollmöglichkeiten wahrzunehmen sind. Es ist doch nun einmal so, daß Kontrollen nur wirksam werden, wenn man die Zweckbindung von Mitteln aufrechterhält. Es kann sich also nur darum handeln, in der Zukunft den Einsatz der Mittel gut, richtig und vorausschauend zu planen. Zu diesem Ergebnis wird man kommen können, weil die Mittel über das Kuratorium und den Aktionsausschuß mit den Jugendverbänden festgesetzt werden. Der Wunsch, dem Parlament einen größeren Einfluß auf die Mittelvergabe einzuräumen, ist durch die jetzige Regelung jedenfalls in etwa berücksichtigt worden. Wir werden sehen müssen, ob dieser Einfluß 'ausreichen wird oder nicht.
Hier ist einiges — ich glaube, etwas verfrüht — zu einzelnen Positionen im Bundesjugendplan gesagt worden. Ich möchte hier nur mit ganz wenigen Sätzen auf das eingehen, was gesagt worden ist. Ich glaube, daß der Bundesjugendplan sehr wohl in der Zukunft in seiner Unterteilung sehr starke Veränderungen erhalten muß.
Vor allen Dingen sollte man einen Faktor etwas mehr in den Vordergrund rücken, der meiner Meinung nach bisher nicht genügend herausgestellt worden ist. Ich bin nämlich der Ansicht, daß der Sport doch einen wesentlichen Faktor in der ganzen Jugendbildung darstellt. Man muß sich hier natürlich vor den Auswüchsen des Sports hüten. Ich denke hier lediglich an den Sport in seiner edelsten Bedeutung als Leibesübung. Wir sollten uns doch wirklich darüber klar sein, daß in dieser Form der Sport der Weg zum Geist und Charakter ist. Wir sollten dem Sport eine genügende Förderung im Rahmen an anderer Stelle frei werdender Mittel zukommen lassen.
Von einem meiner Vorredner ist darauf hingewiesen worden, daß die Facharbeiterfrage eine wesentliche Bedeutung gewinnen wird. Ich schließe mich dem an. Wir haben hier ein Reservoir zu berücksichtigen, das die Lösung dieser Frage etwas erleichtern wird: das sind die weiblichen Jugendlichen. Wie die Erkenntnisse beweisen, die nicht zuletzt in meiner Heimat, in Berlin, gewonnen worden sind, können den weiblichen Jugendlichen zweifelsfrei noch weite Berufskreise zugänglich gemacht werden, in denen sie bisher noch keinen Einfluß hatten oder in denen sie noch nicht Fuß fassen konnten.
— Ich höre hier Einsprüche. Überlegen Sie bitte folgendes. Sie erreichen dadurch, daß Sie weiblichen Jugendlichen eine Facharbeiterausbildung geben, eine große Krisenfestigkeit für die spätere Ehe. Man sollte diese Möglichkeit nicht zu gering einschätzen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir uns sehr eifrig dafür verwendet haben, daß den Jugendorganisationen im Bereich des Steuerwesens die gebotene Erleichterung gewährt wird. Unlängst ist, wenn ich recht unterrichtet bin, im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen eine Entschließung gefaßt worden, die eine Neuordnung der Besteuerung der Jugendorganisationen fordert. Ich hoffe, daß diese Arbeit in dem sicherlich von allen Parteien des Hauses gewünschten Sinne zu Ende geführt wird.
Zur Frage der Kontaktnahme der Jugend der Bundesrepublik mit der Jugend der sowjetischen Besatzungszone kann ich nur erklären, daß dies eine Notwendigkeit ist. Hier sind wohl alle Parteien dieses Hauses von der gleichen Sorge erfüllt. Dieser Verkehr wird sicherlich von allen gefördert werden, denn über die Jugend beider Gebiete haben wir den wirksamsten Kontakt für die Deutschen beiderseits des Eisernen Vorhangs.
Der Versuch einer Lösung der Jugendfragen kann nur darauf abgestellt sein, einen Rahmen zu finden, in dem sich die Jugend ihr Haus selbst baut und selbst einrichtet. Wir müssen dabei von der Erkenntnis ausgehen, daß die Jugend in unserem Volk nicht nur die Phase der Vorbereitung auf das Leben durchzumachen hat, sondern auch ein vollberechtigtes und vollwirksames Glied unserer Gemeinschaft darstellt, auf das wir nicht verzichten können, wenn uns in unserer Gemeinschaft nicht etwas fehlen soll.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch dies: wir sind uns doch wohl alle darüber einig, daß, wo die Jugend heute steht, entscheidend dafür ist, wo Deutschland morgen steht.
Das Wort hat der Abgeordnete Pöhler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, daß bei dieser ersten grundsätzlichen Aussprache über die Probleme der jungen Generation, die. der 2. Bundestag heute abhält, das Interesse des Hauses etwas größer wäre, nämlich so groß, wie es der Bedeutung der Problematik um die junge Generation in diesem Lande entspricht.
Ich bin mit Herrn Dr. Seffrin der Meinung, daß die Jugend natürlich als ein Teil des Volksganzen betrachtet werden muß; aber er wird mit mir der Auffassung sein, daß die Schäden, die der vergangene Krieg gerade in der jungen Generation hinterlassen hat, ganz besonders groß sind und eine besondere Fürsorge erforderlich machen. Die materiellen Schäden mögen dabei noch nicht einmal so hoch veranschlagt werden wie die geistigen Schäden, die der Trümmerhaufen von 1945 hinterließ. Deshalb meinen wir von ,der sozialdemokratischen Fraktion, daß die Beseitigung der verheerenden Kriegsfolgen in der Jugend nicht nur eine selbstverständliche Pflicht dieses Parlaments, sondern wohlverstanden, darüber hinaus auch ein Existenzproblem für die junge deutsche Demokratie ist. Wenn es uns nicht gelingt, diese Jugend zu einem tragenden Pfeiler unseres Staatswesens zu machen, dann ist, darf man wohl sagen, unsere neue Demokratie in Deutschland für die Zukunft keinen Schuß Pulver wert.
Bei dieser grundsätzlichen Wertung und Beurteilung des Jugendproblems sind wir der Meinung, daß die Sorge und vor allem eine grundsätzliche und durchgreifende Hilfe für die Jugend dieses Volkes zu den ersten und vornehmsten Aufgaben der Bundesregierung gehören müßte. Nun, ich habe ein wenig den Eindruck, daß die bisherige Debatte schon einigermaßen hinreichend deutlich gemacht hat, daß die Regierung auf dem Gebiet der Jugendpolitik nicht im notwendigen Umfang initiativ geworden ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Oktober 1953, in der der jungen Generation ganze zwei magere Sätze gewidmet sind. Es ist eine sehr bittere Erinnerung, aber ich muß sie hier vorbringen.
— Herr Kollege Kemmer, Sie werden doch von der Opposition nicht erwarten, daß sie zu diesem Problem sagt, was Sie gerne hören möchten.
- Meine Damen und Herren, Sie werden sich damit abfinden müssen, daß wir zur Problematik der jungen Generation hier zum Ausdruck bringen, was ist, und zwar was wahr ist. Es ist nicht abzustreiten, auch nicht mit den Bemerkungen über die SbZ-Jugend, daß eben nicht alles Gold ist, was in der Bundesrepublik glänzt, gerade auf dem Jugendsektor. Aber dazu werde ich noch Stellung nehmen.
Wie soll die junge Generation zu einem positiven Verhältnis zum demokratischen Staat und zu einer demokratischen Lebensgestaltung kommen, wenn
der Staat in der Vergangenheit nicht bereit war, das Notwendige zur Lösung ihrer Probleme zu tun?!
Was ist denn geschehen? Gewiß, wir haben ein Gesetz zum Schutze der Jugend, wir haben die Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtgesetz verabschiedet — wobei der Finanzminister, wie schon erwähnt wurde, vergessen hat, die entsprechenden Mittel zur Durchführung bereitzustellen —, und gewiß, wir haben den Bundesjugendplan. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie auch einmal überlegt, daß dieser Bundesjugendplan gerade etwa ein Promille des gesamten Etatsvolumens der Bundesrepublik ausmacht? Ich möchte auf Grund der Jugendarbeit draußen im Lande feststellen, daß er völlig unzureichend und zudem noch mit einer ganzen Reihe bürokratischer Hemmnisse behaftet ist.
Auf die Weise, wie das Problem ,der jungen Generation bisher angepackt worden ist, gibt es eben nur ein planloses Kurpfuschen an einzelnen Symptomen. Es ist nötig, das Übel an der Wurzel anzupacken. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was verschiedene Redner bisher schon über die tatsächliche Situation in der jungen Generation gesagt haben. Aber vielleicht darf ich einmal die Frage stellen, meine Damen und Herren von der CDU: Wann gedenken Sie denn — und zwar hier von der Tribüne dieses Hauses — den Menschen draußen zu sagen, wann ein echter Arbeitsschutz für die junge Generation geschaffen wird? Wann kommt das Berufsausbildungsgesetz, wann werden Sie den Kündigungsschutz für die junge Generation verwirklichen? Diese junge Generation draußen hat ein sehr feines Gespür für die Diskrepanz zwischen Versprechungen im Wahlkampf und der praktischen Arbeit dieser Regierung!
Einige Probleme möchte ich noch ansprechen. Ein Stichwort ist hier schon gefallen. Wir werden in der nächsten Arbeitswoche hier in diesem Hause über die Fremdenlegion, den Menschenschmuggel mit jungen Deutschen in die Fremdenlegion zu reden haben. Ich möchte nichts von dem vorwegnehmen, was diese Debatte sicherlich zutage bringen wird. Aber der Menschenschmuggel für die französische Fremdenlegion ist nicht nur eine politische, er ist auch eine soziale Frage der jungen Generation. Da haben Leute, die es wissen müssen, in den Auffanglagern entlang der französischen Grenze einmal eine Statistik über die Aufgegriffenen gemacht. Da hört man, daß diesen bitteren Weg aus der Bundesrepublik in die Fremdenlegion junge Menschen zu 50 % wegen Heimatlosigkeit gehen, zu 19 % wegen Arbeitslosigkeit und dann erst 20 % wegen zerrütteter Familienverhältnisse und nur 8 % aus Abenteuerlust sowie 1 % aus Furcht vor Bestrafung. Auch hier zeigt sich wieder, daß wir vor der Notwendigkeit stehen, gesunde soziale Verhältnisse für die vom Krieg so geschlagene junge Generation zu schaffen. Es hat nicht viel Sinn, über diesen furchbaren Weg zu reden, wenn man nicht die Voraussetzungen beseitigt, die junge Menschen in die Werbebüros der Legion treiben. Das gehört mit zu diesem Komplex.
Ich erinnere auch an die ausgesprochene Erziehungskatastrophe, die wir zu verzeichnen haben. Auf den mehrschichtigen Schulunterricht ist bereits hingewiesen worden.
Das gleiche gilt für die körperliche Ausbildung, die Sportausbildung in den Schulen. Wie lange rufen die Sportverbände schon nach der täglichen Turn-und Sportstunde? All das sind Probleme, mit denen man sich beschäftigen muß; und man bringt sie nicht aus der Welt, wenn man sie zu verschweigen sucht.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Hinweis auf die andere Seite. Ich weiß nicht, ob Sie Grund hatten, unseren Redner bezüglich des Hinweises auf die Diktatur, auf die sowjetische Besatzungszone mißzuverstehen. Ich weise eine solche Unterstellung schärfstens zurück.
Eines steht fest.
— Was heißt denn das schon, Frau Kollegin? Wer fordert denn eine Staatsjugend? Das können Sie doch der sozialdemokratischen Fraktion auch nicht unterstellen! Aber wir wollen diese Jugend, die wir nicht zur Staatsjugend machen wollen, auch nicht auf die freie Wildbahn ,der bundesrepublikanischen Marktwirtschaft schicken, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen.
Ich komme noch einmal zurück auf das schon zitierte Pfingsttreffen der FDJ in Berlin, wo in Ihren Kreisen und Reihen soviel Entsetzen über die Auffassung der jungen Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone entstanden war. Ja, sie haben sehr konkrete Fragen gestellt, und man konnte mit ihnen nicht mehr auf der Schokoladen-und Kreppsohlenbasis diskutieren. Allerdings, sie haben sehr konkrete Fragen gestellt über Fortbildungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik, über Schulgeldfreiheit — das wurde schon gesagt —, über Studiumsmöglichkeiten und dergleichen.
Ich sagte schon, es ist nicht alles Gold, was in dieser Hinsicht hier glänzt. Aber es ist doch nur bedauerlich, daß die Diktaturen zu einem schlechten und verbrecherischen Zweck für die junge Generation wesentlich mehr Anstrengungen machen, als wir gemeinhin in der Gesamtheit zu tun bereit sind.
Wenn ich diese Feststellung treffe, dann ist gar nicht gesagt, daß wir auch nur in etwa das System drüben verteidigen wollten. Ganz im Gegenteil! Aber wir meinen, daß wir hier auch im gesamtdeutschen Sinne die Aufgabe haben, in der jungen Generation das soziale Leben so attraktiv wie möglich zu machen.
Nun, wir leben ja in einer Zeit, wo sich die Mehrheit dieses Hauses anschickt, von der jungen Generation zu verlangen, daß sie neue Stahlhelme aufsetzt; das kann ja wohl nicht bestritten werden.
Aber die Frage ist noch nicht beantwortet, ob denn von dieser Regierung und den sie tragenden Parteien alles getan worden ist, in der gleichen jungen Generation die Folgen des vergangenen Krieges wettzumachen. Es ist eine große Frage, ob man das moralische Recht hat, jetzt schon neue Opfer von der jungen Generation zu verlangen. Es steht fest, daß die junge Generation, die in der Vergangenheit einen so schicksalschweren Weg gegangen ist, ein Recht auf durchgreifende Maßnahmen hat.
In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis. Es wird gesprochen vom „deutschen Wunder" — nehmen wir an, es ist das Wunder dieses fleißigen Volkes und nicht einer Partei -; an diesem „deutschen Wunder" hat die junge Generation ihr gerüttelt Maß Anteil.
Ich erinnere an die Zeit, wo die jungen Menschen auch mit einer trockenen Maisbrotschnitte zur Arbeit gingen. Aus diesem Grunde meinen wir, sie haben das Recht, daß man grundsätzlich Maßnahmen für sie trifft, nicht nur mit Versprechungen und Reden, sondern ganz konkret durch die praktische Tat hier. Das Parlament hat darüber hinaus die Pflicht, eine Jugendpolitik zu machen, die in den Herzen und Köpfen der jungen Generation die Demokratie für die Zukunft sichert.
Das Wort hat der Abgeordnete Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure diese Debatte sehr. Ich war der Meinung, daß heute eine Debatte über den Mündlichen Bericht des Ausschusses, der uns vorliegt, stattfindet. Statt dessen erleben wir eine Generaldebatte über alle möglichen Dinge und Fragen und Gesetze, die in ganz anderen Bereichen und zu einer ganz anderen Stunde hier zu behandeln wären.
Ich bedaure die Ausführungen der SPD um so mehr, als wir bisher in all diesen Fragen, um die es heute geht, im wesentlichen — von einigen Punkten abgesehen — doch sehr einmütig zusammengearbeitet haben. Es ist sehr schade, daß diese Ausführungen vom Herrn Kollegen Herold und vom Herrn Kollegen Pöhler gemacht worden sind, die, wie ich schon sagte, nicht zum Thema des Mündlichen Berichts gesprochen haben, sondern leider ganz allgemein.
— Jawohl; aber der Mündliche Bericht steht heute zur Debatte, und in dem Antrag steht von Jugendarbeitsschutz, Ausbildung, Werbung für die Fremdenlegion, und was dazu gehört, kein Wort. Das müssen wir zu einer anderen Zeit beraten. Vielmehr haben die genannten Vorredner ganz allgemein — ich muß das leider sagen — Propagandareden gehalten
— nein, das tue ich wirklich nicht; ich will jetzt
ganz sachlich zu diesen Fragen sprechen, insbesondere zu dem, was Sie gesagt haben —, Propaganda-
reden gehalten, die aber, das darf ich hinzufügen, bei der Jugend nicht ankommen,
weil die Jugend viel besser weiß, was Bundesjugendplan, was Aufgabe des Bundes, was Aufgabe der Länder, was Aufgabe der Gemeinden und was vor allem auch Aufgabe der Jugend selber ist.
Ich darf einmal ganz kurz darauf hinweisen, daß in den ersten fünf Jugendplänen immerhin die runde Summe von 130 Millionen DM für die deutsche Jugend ausgeschüttet worden ist, zusätzlich zu all dem anderen, was auf Grund der Kriegsfolgenhilfe und anderer gesetzlicher Maßnahmen an Leistungen und Krediten für die Jugend gegeben worden ist. Die Leistungen der Länder, der Gemeinden und der Trägergruppen der Jugend selbst vervierfachen diesen Betrag, sie sind nicht in diesen 130 Millionen DM enthalten. Gerade die Debatte im Ausschuß, bei der die Vertreter aller Jugendverbände, auch der Vertreter der sozialistischen Jugendverbände, zu Wort gekommen sind, hat gezeigt, wie positiv sie alle miteinander zum Bundesjugendplan in dieser Form und mit diesen Mitteln stehen. Sie haben dabei mehr Verständnis und Einsicht als der Herr Kollege Herold und der Herr Kollege Pöhler dafür gezeigt, was in den Zuständigkeitsbereich des Grundgesetzes, also in die Zuständigkeit von Bund und Ländern, gehört und was nicht in den Bundesjugendplan, sondern in andere Gesetze und Maßnahmen hineingehört. Der Bundesjugendplan — das möchte ich noch einmal ganz eindeutig sagen; darüber hat doch bisher auch zwischen der SPD und uns volle Einmütigkeit bestanden — war und soll auch weiter sein eine Initialzündung, die bisher viele Mittel und Kräfte frei gemacht hat und das auch in Zukunft tun wird.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Meine Damen und Herren! Bekommen Sie keinen Schrecken, wenn ich das Wort ergreife. Ich will nur feststellen: Herr Kemmer, ich glaube, Sie gingen von einer falschen Voraussetzung aus. Wir haben nicht nur über die Drucksache 755 diskutiert, sondern unser Kollege Wienand hat die Drucksache 883 begründet,
und alle Diskussionsreden, die von uns gehalten worden sind, sind im Hinblick auf diese Drucksache 883 gehalten worden.
Damit wollten wir nachdrücklich darauf hinweisen, daß es dringend notwendig ist, ein solches Institut zu schaffen, damit die Mittel, die ausgegeben werden, sinnvoll angewandt werden können.
Dieses Institut soll erforschen, aus welchen Gründen unsere Jugend heute so und und nicht anders reagiert.
Es ist die Grundlagenforschung, die wir betreiben
müssen. Ich bedauere außerordentlich, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie den Sinn unseres Antrages nicht begriffen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Josten.
Meine Damen und Herren! Ich nehme ganz selbstverständlich an, daß jeder, der hier gesprochen hat, das Beste für die Jugend will. Vielleicht darf ich von diesem Gesichtspunkt aus gleich einen sachlichen Vorschlag machen. Gerade erst vor ein paar Tagen war doch in einem sachlichen Gespräch die Rede von einem interfraktionellen Antrag, der z. B. eine Verbesserung für die ganzen Jugendverbände mit sich bringt. Es
handelt sich um ein Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß der Deutsche Bundesjugendring nach dieser Richtung einen Vorschlag gemacht hat. Ich möchte von dieser Stelle aus anregen, daß alle Fraktionen unseres Hauses gemeinsam diesen Antrag einbringen und das Haus ihn demnächst verabschiedet, damit unsere Jugendverbände von dieser Umsatzsteuer in Zukunft befreit werden. Dies als erstes, als positiven Beitrag.
Gewisse Ausführungen, die hier gemacht wurden, sind allerdings nicht sehr erfreulich. Zum Beispiel fiel hier das Wort von dem Kasernenbau. Nun bitte, jeder von Uns hier im Haues weiß doch, daß wir lieber Jugendheime und Sportstadien bauen würden. Wir wollen aber doch nicht verkennen, daß uns das schönste Jugendheim nichts nützt, wenn die Sicherheit gefährdet ist.
— Ja, meine Herren, wie sieht es denn aus? Wenn wir einen Bruder im Zuchthaus haben, dann ist ihm
— das wissen Sie doch genau so gut wie wir — nicht dadurch geholfen, daß wir bereit sind, auch in dieses Zuchthaus hineinzugehen, sondern dann müssen wir gemeinsam überlegen, wie es möglich ist; daß wir diesen Bruder aus dem Zuchthaus herausbringen. Es wird hier immer das Problem der Wiedervereinigung angesprochen. Auch die Jugend verkennt die Bedeutung dieses Problems nicht. Deshalb können wir aber doch in sachlich ruhiger Form über diese Dinge diskutieren. Ich respektiere auch Ihre Meinung, wenn sie — das müssen Sie verstehen — auch mit sachlichen Argumenten vorgetragen wird.
Nun zur Frage der Zuständigkeit des Bundes in Angelegenheiten des Sports. Die Herren Kollegen Hübner und Pöhler haben diese Frage ebenfalls angeschnitten. Auch da gibt es gewisse Dinge, die über die Länder geregelt werden müssen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Sportjugend heute einen sehr großen Teil unserer Jugend ausmacht. Wir alle sind daran interessiert, daß z. B. die Lehrerbildung für das Fach Leibeserziehung an den pädagogischen Akademien, an den Instituten für Leibeserziehung an den Universitäten sowie der Ausbau des sportärztlichen Studiums an den medizinischen Fakultäten gefördert werden. Die sportärztliche Fortbildung von Ärzten wird von uns allen gewünscht. Wenn wir also diese Dinge im Ausschuß für Jugendfragen gemeinsam beraten und anschließend daran in den Fraktionen, werden wir
I auch zu einem guten Ergebnis kommen.
Herr Kollege Pöhler hat dann noch etwas gesagt, was mir nun gar nicht gefiel. Ich muß sagen, ich habe ihn noch nie so hitzig erlebt. Aber ich weiß bestimmt, dach er ein guter Demokrat ist. Lieber Herr Kollege Pöhler, ich gestehe Ihnen ohne weiteres zu, daß auch jeder von der Opposition das Beste für die Jugend will. Das müssen Sie dann aber auch jedem Mitglied unserer Fraktion zubilligen, und das müssen Sie auch unserem Kanzler zugestehen, der 78 Jahre alt ist und der es ganz gewiß in diesem Alter nicht mehr nötig hätte, sich so aufzureiben.
Es gibt gewiß viele hier in unserem Hause, die zwar kein Wort sagen, aber doch aktiv für die Jugend arbeiten. Es kommt nicht auf die Länge der Sätze und nicht auf die Menge der Reden, sondern auf die Arbeit an, und das ist doch in diesem Falle gegenüber unserem Kanzler unbestritten.
Nun noch ein Hinweis, der ebenfalls uns alle betrifft. Am nächsten Samstag und Sonntag begehen wir den Gedenktag für unsere noch gefangengehaltenen Kameraden. Wir wissen genau, daß neun Jahre nach Kriegsende viele von ihnen inzwischen Männer geworden sind, daß sie teilweise als Kinder und Jugendliche damals in die Gefangenschaft des Ostens kamen und in der weiten Steppe des Ostens eben nur in Gedanken in der Heimat sein können. Gerade angesichts dieses bevorstehenden Gedenktages für unsere noch gefangenen Kameraden habe ich an alle Stellen, nicht nur an die Dienststellen des Innenministeriums, die Bitte, diesen jungen Menschen, die das Glück haben, wieder den Weg nach Hause zu finden, in jeder Weise zu helfen.
— Sie nenen hier ein einzelnes Beispiel. Nennen Sie doch bitte auch die positiven Beispiele! Bei der Millionenzahl von Fällen macht es keine Schwierigkeiten, schlechte Beispiele aufzuzeigen.
Wir wollen uns nicht darüber ereifern,
höchstens ereifern in der Initiative, das Gute zu wollen und einer den andern in der Arbeit, d. h. in der Hilfe für unsere Heimkehrer zu unterstützen.
— Ja, das tun Sie bitte; das wollte ich Ihnen sagen!
Meine Damen und Herren! Mehr als alle Mittel aus dem Bundesjugendplan gilt heute das gute Beispiel der älteren Generation, gilt aber auch das gute Beispiel von uns allen. Nicht gegeneinander, miteinander für die Jugend — so arbeiten wir für das Wohl des ganzen Volkes.
Das Wort hat der Abgeordnete Gedat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob wir mit dieser Debatte unserer Demokratie und unserer Jugend einen guten Dienst getan haben.
Ich persönlich habe die Ehre, seit einem Jahre diesem Bundestage und dem Ausschuß für Jugendfragen anzugehören, und, meine Herren von der Opposition, verzeihen Sie, ich bin etwas darüber überrascht, daß wir alle diese Fragen nicht viel gründlicher in unserem Ausschuß diskutiert haben,
wo sehr viel Gelegenheit gewesen wäre und wo das nicht geschehen ist. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als verläsen wir heute bewußt vorbereitete Reden zum Fenster hinaus, die mit ganz besonderer und ganz bestimmter Pointe gehalten werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht— und Sie werden mir darin recht geben —, daß wir mit Verallgemeinerungen irgend etwas erreichen. Wenn Sie, Herr Herold, sagen, daß es Jungen und Mädel gebe, die 40 km Schulweg hätten, — entschuldigen Sie, wie viele von der Sorte gibt es denn in Deutschland?
Verallgemeinern wir nicht, sondern sehen wir doch das Eigentliche der Sache. Sie haben mit Recht gesagt, daß die Jugend ein sehr feines Gespür hat. Als ich die Diskussion anhörte, habe ich mir nur immer überlegt, was sich da oben die vielen Jugendlichen auf der Tribüne, die heute besonders zahlreich mit Jugend besetzt ist, denken und mit welchem Gefühl sie heute nach Hause gehen.
Ich hätte gewünscht und ich wünsche es noch, daß wir in den Ausschuß gehen und diese Dinge dort sehr gründlich und eindeutig durchdiskutieren, bevor wir damit an die Öffentlichkeit treten und glauben, dadurch etwas zu erreichen.
Herr Pöhler , Sie haben gefragt, wie die Jugend eine positive Stellung zum demokratischen Staat bekommen soll. Ich stehe mit größter Anerkennung vor dem, was der Bundesjugendplan im Laufe der Jahre geleistet hat. Ich glaube aber nicht, daß durch die materielle Hilfe eine positive Stellung der jungen Generation zum Staate erreicht wird,
sondern ich meine, daß, wie Sie sagen, die Wurzeln tiefer liegen und daß tiefer angepackt werden müßte.
Das eine Gute, das aus dieser Diskussion herauskommen wird, ist — und das hoffe ich —, daß wir uns im Ausschuß zusammensetzen und uns über alle diese Fragen einmal frisch-fröhlich zusammenraufen. Sicher helfen wir der Jugend, helfen wir der Demokratie auf diese Weise besser.
Ich gehöre ja wie die meisten in diesem Hause nun nicht mehr zur Jugend
— zur reiferen Jugend; danke, danke, das Feuer habe ich immer noch! —,
sondern ich gehöre zu der Generation, die nach dem ersten Weltkrieg jung war. Ich bin dankbar, daß ich aus der Jugendbewegung kommen darf, erst aus der freideutschen und später aus der
christlichen. Wenn ich zwischen dem vergleiche, was nach dem ersten Weltkrieg geschah und was jetzt für die Jugend getan wird, —
meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir etwas dankbarer sein sollten!
Ich möchte mich als der Ältere zum Sprecher der jungen Generation machen und sagen: Die Jugend ist diesem Staat für das, was er tut, viel dankbarer, als wir es sehen.
Zum andern — auch das lassen Sie mich bitte noch aussprechen —: ich wünschte, daß der Bundesjugendplan doppelt soviel Mittel herausbrächte, denn die Situation ist heute anders als damals!
Wir müssen tun, was möglich ist; darin sind wir einig. Aber hüten wir uns doch auch davor, daß der Staat nur das Kindermädchen ist: daß er nur gibt und gibt und gibt
und damit die Jugend nicht dahin bringt, daß sie selbst, von sich aus, wirklich viel mehr tut. Wir hätten uns damals in der Zeit der Jugendbewegung verbeten, daß der Staat uns allzusehr betreute;
und ich glaube, es waren nicht die Schlechtesten aus jener Zeit.
Deshalb lassen Sie uns doch noch einmal sehr ernst und ehrlich darüber diskutieren. Und im übrigen: seien wir etwas dankbarer für das, was geschehen ist! Ich glaube, die Jugend ist es viel mehr, als das heute und hier zum Ausdruck gekommen ist.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor; ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 3 a), Drucksache 755 Ziffer 1 und 2. Ich darf in einem abstimmen lassen. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Punkt 3 b), Drucksache 883, Antrag der Fraktion der SPD betreffend Errichtung eines Instituts für Jugendfragen. Die Fraktion der SPD und, wenn ich recht verstanden habe, auch die Fraktion der CDU/CSU haben Überweisung an den Ausschuß für Jugendfragen beantragt. Nach den Besprechungen im Altestenrat war allerdings Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Jugendfragen — mitberatend — vorgesehen.
- Ich schlage Ihnen vor, daß wir an den Ausschuß
für Jugendfragen — federführend — und den
Haushaltsausschuß — mitberatend — überweisen. Besteht darüber Einverständnis? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 22. Juli 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor. — Es erfolgt kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Altersgrenze von Richtern an den oberen Bundesgerichten und Mitgliedern des Bundesrechnungshofes .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Beamtenrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschuß vor. — Es erfolgt kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tageordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 168 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 885, Umdrucke 192, 193).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Becker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in den Drucksachen 412 und 885 aufgezeigten Probleme zeigen eine der großen Nachkriegsschwierigkeiten, die uns besonders infolge der Teilung Berlins begegnen. In Berlin arbeiten etwa 30 000 Menschen, die im Ostsektor wohnen. Umgekehrt arbeiten in Berlin (Ost) etwa 26 000 Personen, die in Westberlin wohnen. Nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen haben in Westberlin arbeitende, aber im Ostsektor wohnende Personen, wenn sie arbeitslos werden, keinen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, da für den Bezug der Arbeitslosenunterstützung das Arbeitsamt des Wohnorts zuständig ist.
Das hat im allgemeinen seinen guten Grund, weil das zuständige Arbeitsamt sonst keine Möglichkeiten der Kontrolle hätte, ob ,der Betreffende auch arbeitslos ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.
Eine solche Möglichkeit ,der Kontrolle im Ostsektor besteht für die West-Berliner Arbeitsverwaltung nicht. Das Landesarbeitsamt Berlin hat in Einzelfällen in Abweichung von den angeführten Bestimmungen Arbeitslosenunterstützung ausgezahlt. Eine gesetzliche Regelung des Problems ist aber unbedingt notwendig. Deshalb war die Frage zu prüfen, ob im genannten Fall ein Rechtsan-
Spruch auf Arbeitslosenunterstützung geschaffen werden soll oder ob man sich damit begnügen soll, der Arbeitsverwaltung durch eine Kann-Bestimmung ,die Möglichkeit zu geben, in solchen Fällen Unterstützung zu gewähren, in denen es aus verschiedenen Erwägungen zweckmäßig ist.
Der Ausschuß hat eine Reihe von Sachverständigen gehört, ,die sämtlich eine Änderung der bestehenden Verhältnisse für notwendig hielten, über die Form der Änderung jedoch verschiedener Auffassung waren. Der Ausschuß empfiehlt die Ihnen auf Drucksache 885 vorliegende Regelung. Danach soll die Arbeitsverwaltung ermächtigt werden, in Abweichung von der bisherigen gesetzlichen Regelung Arbeitslosenunterstützung zu zahlen. Das Verfahren soll vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit festgelegt werden.
Ich kann darauf verzichten, Ihnen die einzelnen Artikel im Wortlaut vorzutragen, und darf auf die Drucksache 885 verweisen. Ich erlaube mir nur den Hinweis, daß die vorgeschlagene Regelung nach Art. II des Gesetzentwurfs nur für die Arbeitslosenversicherung und nicht für die Arbeitslosenfürsorge Geltung haben soll. Der Vollständigkeit halber darf ich dann noch darauf hinweisen, daß außer in Berlin ähnliche Fälle, wenn auch nur in geringem Maße, beispielsweise an der holländischen Grenze und ganz vereinzelt auch im Saargrenzgürtel bestehen.
Namens des Ausschusses darf ich Sie bitten, dem Gesetzentwurf Drucksache 412 in der Ihnen jetzt vorliegenden Fassung auf Drucksache 885 mit der Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung Art. I mit den Umdrucken 192 und 193. Zur Begründung des Antrags Umdruck 193 Frau Abgeordnete Heise bitte!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben Ihnen heute einen Änderungsantrag Umdruck 193 vorgelegt. Ich berufe mich dabei auf meinen Herrn Vorredner, den Herrn Berichterstatter, der Ihnen schon sagte, daß sich der Ausschuß zwar über die materielle Notwendigkeit einer Änderung einigen konnte, daß er aber nicht zu einer Einigung über die Form der Änderung gekommen ist. Nun unterscheidet sich die alte Fassung des Gesetzentwurfs Drucksache 412 von der neuen, im Ausschuß von der Mehrheit angenommenen dadurch, daß der Ausschuß aus der MußBestimmung eine Kann-Bestimmung gemacht hat. Das ersehen Sie einmal aus Abs. 2 des § 87. Da heißt es: „Arbeitslosenunterstützung kann gewährt werden", während es in § 168 a heißt: „Für Arbeitslose . . . . kann der Präsident der Bundesanstalt zulassen". Das steht im Gegensatz zu unserem Antrag Drucksache 412, den wir mit Umdruck 193 wieder aufleben lassen. Er sieht einen Rechtsanspruch der gegen Arbeitslosigkeit Versicherten auf eine Arbeitslosenunterstützung vor.
Wie ist nun der Ausschuß für Arbeit mit Mehrheit zu seiner abweichenden Entscheidung gekommen? Die als sachverständig hinzugezogene Verwaltung — es waren Herren der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und des Landesarbeitsamtes Berlin — haben mit der von ihnen vorgeschlagenen Fassung, der sich der Ausschuß angeschlossen hat, die Möglichkeit der Aussiebung der Antragsteller offenhalten wollen. Das ist nach unserer Meinung nicht möglich. Wer als Versicherungspflichtiger — wo immer auch — Beiträge bezahlt, muß eine Leistung dafür erhalten.
Vor politisch nicht erwünschten Elementen muß sich die Insel Berlin natürlich schützen; aber das tut sie seit Jahren auf eine andere Weise. Ein im sowjetisch besetzten Sektor wohnender Berliner kann in Berlin eine Arbeit nur annehmen, wenn sein zukünftiger Arbeitgeber beim Landesarbeitsamt eine Arbeitsgenehmigung für ihn beantragt und erhält. Er wird sie jedoch in der Regel nur erhalten, wenn der Arbeitsuchende glaubhaft machen kann, daß er erstens im Ostsektor Berlins aus politischen Gründen gemaßregelt worden ist oder daß er zweitens zur Sparte der in Berlin knappen Facharbeiter gehört oder aber drittens seit der Spaltung Berlins, also seit 1948, in West-Berlin gearbeitet hat. Außerdem muß er, um zum Lohnumtausch — 66 2/3 % Ostmark und 33 1/3 % DM (West) — zugelassen zu werden, nochmals einen Antrag stellen. Die Lohnumtauschkasse in Berlin ist eine Selbsthilfeeinrichtung auf Ausgleichsbasis der Sektorengrenzgänger und läßt Leute, die gegen die demokratischen Grundregeln verstoßen haben, nicht am Umtausch teilnehmen. Diese Sicherungen sind vielleicht für das Bundesgebiet etwas ungewöhnlich, aber sie sind in Berlin notwendig, werden seit Jahren durchgeführt und haben sich bestens bewährt.
Wenn nun aber ein Arbeitnehmer aus dem sowjetisch besetzten Teil Berlins diese Hürden genommen hat, dann werden ihm wie jedem anderen Arbeitnehmer hier auch selbstverständlich die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung und für die Krankenversicherung abgezogen. Er muß nun, wenn er arbeitslos wird, auch das Recht haben — das will unser Antrag erreichen —, Arbeitslosenunterstützung zu beziehen. Ich sagte schon einmal: die in der veränderten Fassung des Ihnen vorliegenden Gesetzes eingefügte Kann-Bestimmung gibt ihm nicht das Recht. Es entspricht aber wohl dem Versicherungsprinzip wie auch dem Rechtsempfinden, daß bei einem Beitrag auch ,eine Leistung erfolgen muß.
Das Landesarbeitsamt in Berlin wußte natürlich, daß hier ein Unrecht an Versicherungspflichtigen begangen wurde. Rechtlich konnte es sich auf den Gesetzestext stützen, der die Wohnsitzklausel vorsieht, d. h. jeder Arbeitnehmer muß sich dort arbeitslos melden, wo er wohnt. Moralisch hat es sich darauf gestützt, daß es nur einem kleinen Personenkreis eine Arbeitslosenunterstützung gewährte. Mein Herr Vorredner sagte schon: Wir haben 30 000 Arbeitnehmer, die in West-Berlin arbeiten. Zur Zeit unterstützt das Landesarbeitsamt bei besonderer Notlage, die nachgewiesen werden muß, 16 Arbeitnehmer. Schon an diesen Zahlen können Sie ersehen, wie ungleich das Verhältnis ist; denn wir haben selbstverständlich mehr Arbeitslose. Das Landesarbeitsamt aber hielt diesen Personenkreis so klein, weil es fürchtete, und mit Recht fürchtete, von der Bundesanstalt in Nürnberg regreßpflichtig gemacht zu werden.
Die Zahl der Beitragzahlenden — 30 000 — und die Zahl der Unterstützungsempfänger stehen also
in keinem Verhältnis zu den wirklichen Zahlen. Hier muß eine Abänderung geschaffen werden. Die jetzt vom Ausschuß vorgelegte Gesetzesänderung gibt der Verwaltung in Berlin eine gesetzliche Grundlage, nach der sie auch verlangt hat, aber sie gibt ihr nur die Grundlage, einen von ihr bestimmten und ausgesuchten Personenkreis zu unterstützen. Das war nicht der Sinn unseres ursprünglich vorgelegten Antrags Drucksache 412. Wir wollten, daß die 30 000 im sowjetisch besetzten Sektor Berlins Lebenden und in West-Berlin Arbeitenden und ihre Familien wissen, daß sie, wenn sie das Unglück haben sollten, arbeitslos zu werden, die gleichen Rechte haben wie jeder im Bundesgebiet arbeitende und wohnende Bürger.
Wir bitten Sie deswegen, diese Menschen nicht unter ein Ausnahmerecht zu stellen — das würde geschehen, wenn Sie den jetzt vorliegenden Antrag annähmen —, sondern sich unserem Änderungsantrag Umdruck 193 anzuschließen. Damit verpflichten Sie das Landesarbeitsamt Berlin, jedem Beitragszahler die im zustehende Unterstützung auch wirklich zu zahlen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 192 hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Umdruck 192*) wird Ihnen lediglich eine technische Änderung vorgeschlagen. An Stelle des Wortes „auch" in Art. I Nr. 1 sollen die Worte treten „im Falle des § 168 a". Das ist notwendig, weil in § 168 a die weiteren Voraussetzungen enthalten sind, unter denen die Arbeitslosenunterstützung in diesen Fällen gezahlt wird. Würde die Änderung nicht eintreten, wäre das nicht klar erkennbar. Ich bitte, diesem Antrag stattzugeben.
Herr Präsident, kann ich gleichzeitig zu dem Änderungsantrag Umdruck 193 Stellung nehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Ich möchte dann gleich zu dem Antrag Umdruck 193**), dem Antrag der SPD, Stellung nehmen und auf folgendes hinweisen. Der Ausschuß für Arbeit hat die Frage in drei Sitzungen diskutiert. Er hat sich die Prüfung nicht leicht gemacht. Er hat eine Reihe von Sachverständigen gehört. Er hat dann beschlossen, Ihnen den hier vorgelegten Vorschlag zu machen.
Nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist für die Zahlung der Arbeitslosenunterstützung der Wohnort des Arbeitslosen maßgebend. Das gilt auch in Berlin. Man hat in den vergangenen Jahren bei einigen schwierigen Fällen Ausnahmen gemacht, Ausnahmen, für die an sich eine gesetzliche Grundlage nicht gegeben war. Im Ausschuß bestand aber Einmütigkeit darüber, daß man zu einer gesetzlichen Sanktionierung des bisher Geschehenen kommen sollte. Streit bestand nur darüber, ob man von dem Grundsatz des AVAVG — Unterstützungsleistung am Wohnort — abgehen oder ob man der Arbeitsverwaltung nur in besonderen Fällen die Möglichkeit geben sollte, von diesem allgemeinen Grundsatz abzuweichen. Der Wohnort ist als für die Ge*) Siehe Anlage 1. **) Siehe Anlage 2.
währung der Arbeitslosenunterstützung maßgebend mit guten Gründen festgelegt worden. Das ist seit der Schaffung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung praktiziert worden. Ich darf daran erinnern, daß der Bezug der Unterstützung die Erfüllung einer Meldepflicht voraussetzt, daß die Möglichkeit der Überprüfung der Angaben des Unterstützungsberechtigten gegeben sein muß, daß gewisse Einsatzmöglichkeiten usw. sichergestellt sein müssen, daß die Möglichkeit der Überprüfung des Arbeitswillens des Betreffenden bestehen muß. Es sind also eine Reihe von guten Gründen vorhanden, die für diese Regelung maßgebend waren.
Nun will der Antrag der SPD den Ausschußbeschluß wieder illusorisch machen, indem praktisch wieder das, was in dem ursprünglichen SPD-Antrag gesagt wurde, verlangt wird. Ich darf darauf hinweisen, daß der Ausschuß seine Beschlüsse lediglich gegen einige Stimmen der SPD gefaßt hat und daß er im übrigen mit Mehrheit der Auffassung zugestimmt hat, daß man es hier bei einer Kann-Bestimmung belassen sollte. Ich darf daran erinnern, daß zu dieser Frage sowohl das Bundesarbeitsministerium als auch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und das Landesarbeitsamt Berlin gehört worden sind und daß man seitens dieser Stellen aus einer Reihe von Gründen gesagt hat: An sich ist eine Regelung notwendig, aber wir sollten bei einer Kann-Bestimmung bleiben, um dadurch die Möglichkeit zu haben, Mißbräuche zu vermeiden.
Auswirkungen wird die Regelung insbesondere für in der Bauwirtschaft tätige Personen haben. Auch die Partner in der Bauwirtschaft, die Industriegewerkschaft Bau und die Bauarbeitgeber hatten in einem Schreiben an die Bundesanstalt und an das Bundesarbeitsministerium angeregt, diese Kann-Bestimmung zu schaffen. Ich gebe allerdings zu, daß der Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei seiner Anhörung wohl auf die Schwierigkeiten hingewiesen hat, die bei einer Schaffung des Rechtsanspruchs bestehen würden. Im allgemeinen stimmte er aber der von der SPD angeregten Regelung zu.
Nun sagt Frau Heise, Beiträge müssen unbedingt einen Leistungsanspruch ergeben. Bitte, übersehen Sie nicht, im umgekehrten Fall erwächst ein Leistungsanspruch ohne Beitragszahlung. Die 26 000 Arbeitnehmer aus Westberlin also, die in Ostberlin arbeiten, aber in Westberlin wohnen, haben in Westberlin einen echten Unterstützungsanspruch. Das darf nicht übersehen werden.
Es geht auch nicht darum — wie es Frau Heise hier dargestellt hat —, ein Ausnahmerecht zu beseitigen. Nein, Sie wollen ein Ausnahmerecht schaffen. Wir wollen die Dinge doch einmal klarstellen. Das bisherige Recht ist so, wie wir es hier vorgetragen haben. Wir wollen darüber hinaus die Kann-Bestimmung schaffen. Wir wollen — das ist unser Anliegen — natürlich haben, daß von dieser Ausnahme, von dieser Kann-Bestimmung mehr Gebrauch gemacht wird, als es bisher bei den Ausnahmen ohne gesetzliche Grundlage der Fall war. Es ist verständlich, daß das Landesarbeitsamt in Berlin hier vorsichtig sein mußte, weil eben, wie gesagt, die rechte gesetzliche Grundlage fehlte. Wir haben uns aber dahingehend abgesprochen, daß wir in einem wesentlich größeren Umfang wünschen,
daß, obwohl an sich die Voraussetzungen des AVAVG nicht erfüllt sind, Unterstützung geleistet wird. Wir wollen jedoch — und das möchte ich noch einmal klarstellen — der Arbeitsverwaltung die Möglichkeit geben, jeden Einzelfall zu überprüfen, um festzustellen, ob nicht Mißbrauch mit der Inanspruchnahme der Arbeitslosenunterstützung getrieben wird.
In der Vorlage ist gesagt, daß das Nähere vorn Verwaltungsrat festgelegt werden soll, der mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit das Verfahren festlegen und die entsprechenden Anweisungen an die unteren Dienststellen der Arbeitsverwaltung geben wird.
Ich möchte also noch einmal darum bitten — unsere Vorlage entspricht auch der Stellungnahme vieler Sachverständiger, die dazu gehört worden sind —, die Dinge nicht völlig umzukehren und nicht von dem bisher bewährten Grundsatz in der Arbeitslosenversicherung völlig abzuweichen, sondern sich darauf zu beschränken, hier eine Ausnahmemöglichkeit zu schaffen. Ich bin gewiß, daß von dieser Ausnahmemöglichkeit ein vernünftiger Gebrauch gemacht wird und daß dadurch viele Mißstände, die mit Recht hier vorgetragen und mit Recht beanstandet worden sind, beseitigt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Auftrage meiner Fraktion, des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, sehe ich mich doch veranlaßt, noch einmal zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Bei aller Würdigung der Ausführungen, die Sie, Kollege Sabel, gemacht haben,
— möchte ich doch feststellen, daß die Mehrheit meiner Fraktion der Meinung des Ausschusses nicht zustimmen kann.
Wir haben Verständnis für die Arbeiter, die in der Sowjetzone arbeiten, einen Beitrag leisten müssen und von der Bundesanstalt keine Leistung beziehen, wenn sie arbeitslos werden. Was Sie sagen, hat dann ein gewisses Gewicht, wenn es sich um normale Verhältnisse handelt. Wenn Sie sagen, daß Sie die Sachverständigen — die zuständigen Stellen der Ministerien und darüber hinaus die Bundesanstalt — gefragt haben, dann glaube ich, erklären zu müssen, daß man bei einer solchen politischen Frage — politisch nämlich für uns alle ohne Unterschied der Partei oder der Fraktion — auch einmal die Mensch en hätte fragen müssen, die nämlich einen echten Anspruch erwerben, ohne nachher die Leistung zu bekommen. Aus diesem Grunde wird meine Fraktion den SPD-Antrag Umdruck 193 unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal feststellen, daß nach der Regelung im Gesetz auch in anderen Fällen ein Rechtsanspruch auf Unterstützung gegeben ist, ohne daß dem eine Beitragsleistung gegenübersteht.
- Herr Kollege Hansen, in der Arbeitslosenversicherung ist es doch so — das werden Sie nicht bestreiten können —, daß in den Fällen, in denen der Beschäftigte dort tätig ist, wo die Bundesanstalt nicht zuständig ist, er Unterstützungsanspruch hat, obschon er keine Beitragsleistung vollbracht hat; das ist also der Fall, wenn er im Bereich der Tätigkeit der Bundesanstalt, .also im Bundesgebiet wohnhaft ist.
In Berlin ist es so — ich sage das noch einmal —, daß 26 000 Menschen einen Anspruch ohne Beitragsleistung haben und 'daß 30 000 Leute Beiträge leisten und keinen Anspruch haben. Das muß man sehen, wenn man die Dinge richtig werten will. Ich sage noch einmal: wir haben die Dinge reiflich überprüft. Ich wundere mich, daß Frau Finselberger — sie als die BHE-Vertreterin im Ausschuß hat selbstverständlich das Recht dazu — nunmehr den gegenteiligen Standpunkt vertritt. Wir glauben aber, daß man mit einer Kannbestimmung erstens dem vorgetragenen Anliegen gerecht werden kann und daß darüber hinaus die Möglichkeit verbleibt, Schäden zu vermeiden, die sonst nicht vermieden werden können. Denken Sie doch einmal an die Tatsache, daß wir in Ostberlin keinerlei Exekutivgewalt haben. Wir haben also gar nicht die Möglichkeit, irgendwelche Überprüfungen vorzunehmen, ob der Bezug der Arbeitslosenunterstützung zu Recht erfolgt. Ich glaube, das muß man doch einmal sehen. Diese technischen Dinge und diese Schwierigkeiten dürfen bei Gott nicht ignoriert werden. Es geht hier doch um folgendes. Das Anliegen, zu helfen, ist uns allen gemeinsam. Aber wir wollen in einer Form helfen, die zweckmäßig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Heise.
Herr Kollege Sabel, ich glaube, es ist nun doch notwendig, die Dinge noch einmal aufzuzeigen. Ich will Ihnen bestätigen, daß das Landesarbeitsamt an ungefähr 30 900 im Westen Tätige keine Unterstützung zahlt; ich will Ihnen auch bestätigen, daß es an 26 200 im Westen Wohnende und im Osten Arbeitende im Bedarfsfall, also im Fall einer Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenunterstützung zahlt.
Aber bitte, wie kommt es dazu? Die Grundlage bildet das vorliegende Gesetz mit dem Wohnortprinzip. Das Landesarbeitsamt ist gesetzlich gebunden, an diesen Personenkreis der 26 200 Unterstützung zu zahlen. Aber wenn das richtig ist, — seit wann wird dadurch das Unrecht an den Ostsektoranern aufgehoben? Ich will sagen: Sie können doch nicht durch den Verzicht der Ostsektoraner auf ihre Rechte den Etat des Landesarbeitsamtes ausgleichen. Das ist doch eine Unmöglichkeit.
Es ist doch so, daß sich das Landesarbeitsamt nicht nur aus politischen, sondern auch aus anderen Gründen, die Ihnen und mir bekannt sind, dagegen gewehrt hat. Es war ihm zuviel. Es wußte, daß es immer wieder von den 26 200 in Anspruch genommen wurde und sich nicht dagegen wehren konnte.
So wehrte es sich gegen diejenigen, die zu ihm kamen und keinen Anspruch auf gesetzlicher Grundlage hatten. Aber, Herr Kollege Sabel, wir waren uns im Ausschuß doch darüber einig, daß den Menschen geholfen werden muß. Wir sind uns im Ausschuß alle darüber einig, daß die materiellen Bedingungen geschaffen werden müssen, daß dieses Gesetz geändert werden muß, damit eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Jetzt kommt nur noch Ihr Einwand in Frage: Kann man denn die Menschen kontrollieren? Das ist auch im Ausschuß geklärt worden.
Sie haben von Herrn Professor Schellenberg im Ausschuß gehört, daß wir in Berlin auch die Unfall- und Krankenversicherung auf dieser Basis haben. Die Menschen zahlen ihre Beiträge nicht nur zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch zur Unfall- und Krankenversicherung. Wenn jemand, der im Osten wohnt, krank wird, dann kann er selbstverständlich das Krankengeld im Westen beziehen, dann kann er einen Arzt im Westen aufsuchen und hat alle Leistungen, die ihm zustehen.
Ich bitte Sie doch einmal zu beachten, daß die Leistung einer Versicherung auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn man versichert ist, hat man eben auch einen Anspruch. Dieser Anspruch wird in dem von Ihnen nun beschlossenen Gesetzentwurf, der eine Änderung darstellt, nicht gewährleistet. Wir wollen es nicht der Verwaltung überlassen. Wir sind nicht der Meinung, daß sich die Verwaltung aussuchen kann, wem sie Unterstützung gewährt, sondern wenn wir eine Änderung des Gesetzes hier durchbringen, dann wollen wir auch, daß die Menschen wissen: ich habe für meinen Beitrag einen Rechtsanspruch.
Um diesen Rechtsanspruch geht es jetzt.
Ich möchte Sie doch noch einmal bitten, hier nicht Ausnahmerecht zu schaffen. Die Vorlage, die Sie uns hier und heute gegeben haben, ist schon wieder ein Ausnahmerecht; denn jeder andere Beitragzahler hat einen absoluten Rechtsanspruch. Um den bitte ich Sie für die Ostsektoraner in Berlin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Bitte, Abgeordneter Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch ganz wenige Worte. Es ist darauf hingewiesen worden, daß man von den Menschen aus der Ostzone die Beitragspflicht verlangt. Es ist doch unmöglich, eine Beitragspflicht vorzusehen und den Beitrag mit gesetzlichem Zwang einzuziehen, bei Eintritt des Versicherungsfalls aber die Gegenleistung zu verweigern! Dann können Sie doch, wenn Sie glauben, die Dinge seien verwaltungsmäßig nicht zu bewerkstelligen, nur den Schluß ziehen, die Beitragsfreiheit für diese Menschen aus der Sowjetzone zu statuieren.
Das wäre die einzige Möglichkeit. Im übrigen, Herr
Sabel, trifft es doch nicht zu, daß die verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten nicht zu überwinden sind;
denn die volle Beweislast hat ja der Betroffene, der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt. Sie sind jederzeit in der Lage, seine Einsatzfähigkeit nachzuprüfen. Er muß sich seine Unterstützungen abholen. Sie können also jederzeit nachprüfen, ob der Mann noch Schwarzarbeit macht. Das sind doch alles keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, Herr Sabel. Davon kann doch keine Rede sein.
— Wie wollen Sie letzten Endes Schwarzarbeiter im Inland feststellen? Es ist doch ein offenes Geheimnis, daß man mit dem Problem der Beseitigung der Schwarzarbeit im Inland nicht fertig wird, wenn große Arbeitslosigkeit herrscht.
Ich bitte aber doch, das Politikum bei der Sache zu sehen und nicht gerade gegenüber den Bewohnern der Ostzone hier eine Ausnahmeregelung zu machen.
Das sind die rein sachlichen Gründe, die uns veranlassen, dem Antrag der SPD zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Sabel.
Ja, ich muß tatsächlich dem Kollegen D r. Gille noch einmal sagen: es geht nicht darum, daß wir ein Ausnahmerecht schaffen wollen, sondern wir wollen es ja bei der Regel belassen, aber auf Grund der Schwierigkeiten, die bestehen, über die Regel hinaus die weitgehende Kann-Bestimmung schaffen, daß trotzdem gezahlt wird,
— so daß also im Endergebnis die Bundesanstalt tatsächlich weitgehend an diejenigen zahlt, die Beiträge leisten, aber auch an die anderen, die in West-Berlin wohnen und in Ost-Berlin arbeiten, die also keine Beiträge leisten.
Man muß an sich natürlich, meine ich, überlegen — und das muß man bei der Novelle zum AVAVG einmal tun —: bleibt man grundsätzlich bei dem Standpunkt, daß für die Unterstützungsleistung der Wohnort entscheidend ist? Das muß dann einmal geprüft werden. Wenn mir der zuständige Präsident des Landesarbeitsamts in Berlin, Herr Fleischmann, sagt: wir haben mit einer Kann-Bestimmung eine bessere Möglichkeit, Mißbrauch zu verhüten, dann ist das für mich doch immerhin ein Argument, das ich nicht ignorieren kann. Das wird mir auch von der Bundesanstalt gesagt. Es geht nicht um die finanzielle Auswirkung. Ich sage in aller Offenheit: die ist gar nicht entscheidend. Die finanzielle Auswirkung kann die Bundesanstalt tragen. Das ist nicht das Entscheidende.
— Herr Kollege Hansen, Sie kennen doch das Gesetz genau so gut wie ich. Wie ist es mit dem Rechtsanspruch derjenigen, die keine Beiträge zahlen? Wir wollen doch die Dinge nicht auf den Kopf stellen. Sie wollen hier das Ausnahmerecht schaffen. Wir wollen das nicht. Ich sage noch einmal: Es wäre klüger, wenn wir dem entsprächen, was
von der Bundesanstalt und vom Landesarbeitsamt Berlin angeregt worden ist, und es, wie es vom Ausschuß vorgeschlagen worden ist, bei der Kann-Bestimmung beließen, dann aber — das haben wir bereits im Ausschuß zum Ausdruck gebracht — von dieser Kann-Bestimmung möglichst weitgehend Gebrauch machten. Das haben wir empfohlen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen jetzt nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache zu Art. I.
Ich komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst abstimmen über den Antrag auf Umdruck 192*), der beinhaltet, daß in § 87 Abs. 2 Satz 1 das Wort „auch" durch die Worte „im Falle des § 168 a" zu ersetzen ist. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf andere Formulierung des § 168 a, Umdruck 193**). Wer diesem Änderungsantrag auf Umdruck 193 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer nunmehr dem Art. I in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf zur Einzelberatung Art. II, — Art. III, — Art. IV. Wird das Wort gewünscht?
— Frau Abgeordnete Heise!
Zu Art. IV! In Kürze wird in Norddeutschland das Wetter ja nicht mehr so frühlingshaft sein. Wir haben 3500 Bauarbeiter, die aus dem sowjetisch besetzten Sektor Berlins nach West-Berlin kommen und dann arbeitslos werden. Auch bei den typischen Sommerberufen ist es schon so weit. Ich bitte deswegen, den Termin vorzuverlegen und den 1. November zu wählen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Sabel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich wäre das kein unüberwindliches Hindernis. Sie wissen ja: Bis das Gesetz Gesetzeskraft erlangt haben wird, werden eben einige Wochen vergehen. Dann würde unter Umständen eine Nachzahlungspflicht entstehen. Es sind einige technische Schwierigkeiten damit verbunden, aber ich habe keine grundsätzlichen Bedenken, diesem Antrag zuzustimmen, als Termin den 1. November zu nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung über Art. II in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
*) Siehe Anlage 1. **) Siehe Anlage 2. Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über Art. III in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich komme nunmehr zu Art. IV. Meine Damen und Herren, Sie haben den Änderungsantrag gehört, der dahin geht, die Worte „1. Dezember" durch die Worte „1. November" zu ersetzen. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wer nunmehr dem Art. IV in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. — Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Damit ist die zweite Lesung des Gesetzes beendet.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Da Änderungsanträge zur dritten Beratung nicht vorliegen, komme ich zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist das Gesetz verabschiedet.
Ich rufe auf Punkt 7 der heutigen Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Maßnahmen zur Förderung und Festigung von Vertriebenenbetrieben und Flüchtlingsunternehmen .
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Dr. Götz.
Dr. Götz , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der Ihnen auf Drucksache 838 vorliegt, beinhaltet Maßnahmen und Anregungen zur Förderung und zur Festigung der Heimatvertriebenenwirtschaft und von Flüchtlingsunternehmen. Es handelt sich dabei um Maßnahmen, die wir auf Grund der gegenwärtigen Situation der Heimatvertriebenenwirtschaft für dringend erforderlich halten, um Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Vertriebenenbetriebe aus ihrem derzeitigen sehr labilen Zustand herauszuführen und ihre Existenz zu festigen und zu sichern.
Ich darf mir zu Beginn ein grundsätzliches Wort erlauben. Wenn ich hier von Heimatvertriebenenwirtschaft und von Flüchtlingsunternehmen spreche
— und dabei denke ich an die Unternehmen der Sowjetzonenflüchtlinge —, so möchte ich damit keineswegs einer grundsätzlichen Differenzierung zwischen der einheimischen Wirtschaft und der Vertriebenenwirtschaft das Wort reden. Ich weiß, daß es nur eine Wirtschaft gibt und daß alle Wirtschaftsunternehmungen in ihr nach für alle geltenden Gesetzen und Prinzipien arbeiten. Die Heimatvertriebenenwirtschaft erhebt auch gar nicht — und ich möchte das mit Nachdruck sagen — den Anspruch, innerhalb der Gesamtwirtschaft eine Sonderstellung einzunehmen. Sie will ihre Aufgabe
als ein Teil der Gesamtwirtschaft im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft erfüllen. Aber sie muß dazu auch in der Lage sein. Mit dieser Feststellung möchte ich gleichzeitig zum Ausdruck bringen, daß sie es zur Zeit noch nicht ist.
Es würde im Rahmen der Begründung meines Antrags und mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit zu weit führen, wollte ich Ihnen hier ein Bild entwickeln über die Eingliederung des heimatvertriebenen Mittelstandes in den vergangenen Jahren, über die dabei erzielten Erfolge, aber auch über die Mängel und Schwierigkeiten und über die gegenwärtige Situation der Heimatvertriebenenwirtschaft. Es wird dazu in den Ausschüssen, denen dieser Antrag überwiesen werden wird, an Hand von aufschlußreichem Material und statistischen Unterlagen hinreichend Gelegenheit und Zeit sein. Ich bin der Überzeugung, wir werden dabei zu dem klaren Ergebnis kommen, daß die Heimatvertriebenenwirtschaft heute keineswegs, wie das so oft bei einer etwas oberflächlichen Beurteilung behauptet wird, bereits saturiert ist oder eine Hilfe nicht mehr nötig hat, sondern daß sie, wie von einem guten Kenner der Verhältnisse einmal sehr zutreffend gesagt worden ist, in einer ständigen Krise lebt. Wer die Verhältnisse so, wie sie wirklich sind, kennt, der wird mir recht geben müssen, wenn ich sage, wir können dem Flüchtlingsunternehmer, der unter fast aussichtslosen Voraussetzungen, oft nur mit seinen Fähigkeiten und einer geradezu bewundernswerten Energie, ohne Eigenkapital und mit wenig Fremdkapital seinen Betrieb wiederaufgebaut hat, nicht Unmögliches zumuten. Wer die Verhältnisse kennt, wird mir recht geben, wenn ich sage, daß wir auch dem Flüchtlingsgewerbetreibenden, der hart um seine Existenz ringt, der einen täglichen Kleinkrieg um seinen Kredit zu führen hat — sei es mit der Hausbank, sei es mit den Behörden —, auf die Dauer nicht eine Belastung zumuten können, der er einfach nicht gewachsen ist. Sie werden mir recht geben müssen, wenn ich sage, wir können es uns auch aus volkswirtschaftlichen und aus politischen Gründen nicht leisten, daß ein beträchtlicher Teil der in den letzten Jahren mühsam errungenen Eingliederungserfolge wieder verlorengeht oder vergeblich gewesen sein soll. Es gibt viele Beweise dafür, daß in den Reihen der ostdeutschen Unternehmer Energien, Fähigkeiten, arbeitstechnische Erfahrungen und Kenntnisse schlummern, die für unsere Gesamtwirtschaft von unschätzbarem Nutzen sind. Sie brachliegen zu lassen, wäre ohne Zweifel ein Verlust für die gesamte Wirtschaft. Sie verkümmern zu lassen, wäre geradezu ein sträflicher Leichtsinn. Ich möchte hier nicht erschöpfend, sondern nur in großen Zügen etwas über die Ursachen der krisenhaften Situation — so nannte ich sie — der Heimatvertriebenenwirtschaft sagen und damit gleichzeitig unseren Antrag begründen.
Welches ist die Hauptursache? Als die Hauptursache möchte ich den Mangel an Eigenkapital bezeichnen, unter dem die Heimatvertriebenenwirtschaft zu leiden hat. Eine Untersuchung der Kapitalstruktur der Heimatvertriebenenwirtschaft, vorgenommen durch das Institut für Weltwirtschaft an der Universität in Kiel und durch die Lastenausgleichsbank, hat klar ergeben, daß bei der überwiegenden Mehrzahl der Vertriebenenbetriebe der Eigenkapitalanteil nicht nur zu gering ist, sondern daß er auch eine starke rückläufige Tendenz aufweist.
Ich darf dafür nur ein Beispiel anführen, ein Beispiel aber, das für viele andere spricht. In der Industriegruppe Textil betrug der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme Ende 1951 24,8 %, Ende 1953 aber nur mehr 21,2 %. Nun lassen Sie mich zum Vergleich als Beispiel die einheimische Textilindustrie anführen, bei der noch im Jahre 1953 der durchschnittliche Eigenkapitalanteil 62 % betrug. Meine Damen und Herren, der Aufbau der Heimatvertriebenenwirtschaft kann doch wirklich nur dann erfolgreich sein und zu stabilen Verhältnissen führen — und das schwebt uns vor —, wenn den jungen Unternehmungen die Möglichkeit zu einer für die Herstellung ihrer Wirtschaftlichkeit notwendigen und auch ausreichenden Eigenkapitalbildung gegeben wird. Ohne Eigenkapital ist ein wirklich krisenfester Aufbau einfach nicht zu erzielen. Wenn heute schon aus der einheimischen Wirtschaft der Ruf nach der Ermöglichung verstärkter Eigenkapitalbildung laut wird, dann scheint mir die gleiche Forderung aus den Kreisen der Heimatvertriebenenwirtschaft um so berechtigter zu sein; denn in ihren Bilanzen bleibt nun einmal der Eigenkapitalanteil weit hinter dem der übrigen Wirtschaft zurück. Diese Tatsache ist unbestritten. Es wird heute auch anerkannt, daß hier ,ein Spezialproblem vorliegt, zu dessen Lösung ganz einfach besondere Maßnahmen erforderlich sind. Man könnte einwenden, daß Kredite und Beihilfen genügen würden. Nein. sie sind kein echter Ersatz für das fehlende Eigenkapital.
Daher müssen andere Wege gefunden werden, um die Stabilität der Vertriebenenbetriebe und der Flüchtlingsunternehmen nicht nur in ihrem Interesse, sondern — ich möchte das betonen — im Interesse der Gesamtwirtschaft so schnell wie möglich herzustellen. Nun haben wir in § 73 des Bundesvertriebenengesetzes bestimmt, daß zum Zweck der Begründung und Festigung selbständiger Erwerbstätigkeit der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge Steuervergünstigungen gewährt werden. Durch diese Bestimmung sollte vor allem die Bildung von Eigenkapital gefördert werden. Durch die §§ 7 a, 7 e und 10 a des Einkommensteuergesetzes wurde dieser Bestimmung und dieser Absicht Rechnung getragen. Die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10 a ist wohl die wesentlichste aus der Reihe dieser Vergünstigungen. Über den § 10 a kann wohl eine echte Kapitalbildung einsetzen, aber - das möchte ich hier betonen — doch nur in sehr eng gezogenen Grenzen. Er reicht in seiner jetzigen Gestalt nicht aus, um den gewünschten und notwendigen Erfolg in der Frage der Eigenkapitalbildung zu sichern.
Welcher Weg führt nun eigentlich zum Ziel? Das ist die Frage, die einmal wirklich ernsthaft geprüft werden muß. Der vorliegende Antrag sieht die Möglichkeit von Erleichterungen bei den Ertragsteuern vor. Ich weiß, daß gegen Steuervergünstigungen immer Bedenken erhoben werden und daß auch hier Bedenken erhoben werden mit der Begründung, dies würde gegen die Notwendigkeit einer Steuervereinfachung und gegen das Prinzip der Steuergleichheit und der Steuergerechtigkeit verstoßen. Ich möchte mir aber erlauben, zu sagen, daß ich beide Argumente in diesem Fall nicht für durchschlagend halte. Es handelt sich doch hier wie überhaupt bei der Frage der Eingliederung der Heimatvertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge um ein Problem von außerordentlicher Bedeutung. Das ist keine neue Erkenntnis, das ist eine Erkenntnis, die seit Jahren Allgemeingut ist. Aber wir
müssen daraus auch die Konsequenz ziehen. Die Konsequenz, angewandt auf die Frage, die mit diesem Antrag zur Debatte steht, ist einfach die, daß wir zur Lösung dieses Problems nunmehr auch den Mut zu außergewöhnlichen und ungewöhnlichen Maßnahmen haben müssen.
Man sagt oft, solche Steuervergünstigungen, Steuervorteile und Sondervergünstigungen seien ohne Vorbild. Ich glaube das nicht. Aber selbst wenn es so wäre, darf man nicht vergessen, daß auch der heimatvertriebene Unternehmer wieder von neuem beginnen mußte und beginnen muß unter Voraussetzungen, die ebenfalls ohne Vorbild sind.
Im übrigen geht es der Heimatvertriebenenwirtschaft wirklich nicht darum, eine Sonderstellung zu haben. Es geht ihr nicht darum, eine ungerechtfertigte Steuervergünstigung zu bekommen, sondern es geht ihr lediglich darum, durch gewisse steuerliche Erleichterungen oder durch eine steuerliche Schonzeit überhaupt erst lebens- und wettbewerbsfähig zu werden. Es geht ihr darum, dadurch überhaupt erst die gleichen Startbedingungen zu bekommen. Daher halte ich Steuererleichterungen zugunsten der Heimatvertriebenenwirtschaft weder für eine Sünde gegen den Geist der sozialen Marktwirtschaft noch für ein Vergehen gegen das Prinzip der Steuergleichheit und der Steuergerechtigkeit.
Ich leugne nicht die Animosität gegenüber steuerlichen Vergünstigungen. Sie ist gewiß nicht nur beim Herrn Bundesfinanzminister vorhanden. Ich glaube aber, wir sollten wirklich den Mut haben, diese Animosität zu überwinden, und wir sollten uns das nicht allzu schwerfallen lassen. Ich hoffe auch, daß der gute Wille dazu vorhanden ist und daß es nur darum geht, den richtigen Weg zu finden, der beiden Seiten, sowohl der Heimatvertriebenenwirtschaft als auch der anderen Seite, gerecht wird.
Ob das Ziel nun über eine Erweiterung des § 10 a oder aber über eine steuerfreie Rücklagenbildung oder über andere zweckdienliche Maßnahmen erreicht werden kann, wird zu prüfen sein. Wir wollen mit der Ziffer 1 unseres Antrags dazu die Anregung gegeben haben und die Diskussion darüber in Gang bringen.
Lassen Sie mich ganz kurz etwas zu Ziffer 2 unseres Antrags sagen. Wir halten die Bereitstellung ausreichender Mittel zur Finanzierung bestehender, aber auch noch zu schaffender Existenzen nach wie vor für dringend geboten. Daß bisher etwa 140 000 Vertriebenenbetriebe mit rund 400 000 Arbeitsplätzen geschaffen werden konnten, ist ohne Zweifel ein beachtlicher Erfolg. Aber damit kann die Eingliederung des heimatvertriebenen Mittelstandes, der heimatvertriebenen Unternehmungen, der Gewerbetreibenden noch keineswegs als abgeschlossen angesehen werden. Im Laufe der Jahre haben sich eine Reihe von Schwierigkeiten und Mängeln im Kreditverfahren herausgestellt. Es ist an der Zeit, diese Mängel nunmehr zu beseitigen. Mit der Ziffer 2 unseres Antrags wollen wir eine möglichst starke Konzentration aller für die Eingliederung der Heimatvertriebenenwirtschaft bereitzustellenden Mittel erreichen. Bei den Beratungen des Ausschusses werden sich wahrscheinlich auch eine Reihe von anderen Fragen ergeben, die einer gründlichen Erörterung bedürfen. Ich will hier nur einige nennen. Beispielsweise die Notwendigkeit einer Vereinfachung des Kreditverfahrens. Es sollte keinen unnötigen Kräfteverzehr im bürokratischen Verfahrensweg geben. Die Kompliziertheit der Verfahrenswege führt nicht nur zu sehr erheblichen Kreditnebenkosten für den vertriebenen Unternehmer, sondern meist auch zu einem Zeitverlust, der dann den Erwerb eines geeigneten Objekts oftmals überhaupt unmöglich macht.
Auch die Frage der Absicherungsbedingungen wird geprüft werden müssen. Die Frage der Stellung von Sicherheiten ist für den Flüchtlingsbetrieb heute beinahe unlösbar geworden, weil Sicherungen verlangt werden, die einfach nicht da sind. An diesem Problem scheitern die meisten Kreditanträge und viele Eingliederungsbemühungen.
Es bleibt noch ein Wort zur Frage der Umschuldung zu sagen. Auch diese Frage haben wir bereits im Bundesvertriebenengesetz angesprochen. Dort wird in § 72 bestimmt, daß zur Festigung selbständiger Erwerbstätigkeit auch die Umwandlung hochverzinslicher und kurzfristiger Kredite in langfristige zu günstigen Zins- und Tilgungsbedingungen ermöglicht werden soll. Die Notwendigkeit einer solchen Bestimmung ergab sich ganz einfach aus der außerordentlich hohen Zinsen- und Tilgungslast, die für den Vertriebenenbetrieb auf die Dauer untragbar ist. Die Laufzeit der Kredite ist im allgemeinen zu kurz; sie liegt im wesentlichen zwischen drei und zwölf Jahren. Dabei muß berücksichtigt werden, daß in den ersten Aufbaujahren die bewilligten Kredite von den Flüchtlingsunternehmen vor allem zur Investition verwandt werden mußten, auch wenn sie ihrer Laufzeit nach für den Zweck einer langfristigen Anlage gar nicht als geeignet angesehen werden konnten. Man mag das jetzt als einen Fehler ansehen; aber dieser Fehler muß aus der Anfangssituation der Eingliederung verstanden werden.
Zur Festigung der Vertriebenenbetriebe ist eine Umschuldung unerläßlich. Wir haben in unserem Antrag den Vorschlag gemacht, eine Anleihe über die Lastenausgleichsbank in die Wege zu leiten, und zwar etwa in Höhe von 100 Millionen DM. Diese Anleihe soll ausschließlich dem Zwecke dienen, die eingefrorenen Kredite aus dem vergangenen Jahr umzuschulden, d. h. sie auf die Dauer von 20 oder wenigstens 15 Jahren zu strecken und den Zinssatz nicht höher als auf etwa 3 bis 4 % festzusetzen.
Ich will hier nicht auf Einzelfragen eingehen, nicht auf die Frage der Bedingungen der Umschuldung, auf die Verfahrensfrage, auf die Frage der Voraussetzung für die Antragstellung usw. Ich möchte aber betonen, daß der Sinn dieser Umschuldung nicht sein soll, ungesunde oder lebensuntüchtige Betriebe zu sanieren, sondern daß der Sinn der Umschuldung sein soll, lebensfähige Betriebe zu fundieren.
Zu Ziffer 4 des Antrags brauche ich nicht viel zu sagen. Statistisches Unterlagenmaterial ist für die Prüfung und Behandlung dieses Antrags unerläßlich. Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, daß das Bundeswirtschaftsministerium eine umfassende Durchschnittsuntersuchung bei den Vertriebenenbetrieben durchführen wird, die uns eine wertvolle Unterstützung bei der Behandlung unseres Antrages sein wird.
An das Bundesfinanzministerium möchte ich die Anregung geben, bei der Auswertung der Einkommensteuerveranlagung 1952 ff. die Bogen herauszunehmen, in denen der § 10 a zur Anwendung gekommen ist. Ich glaube, daß das einen wirklich guten Überblick ergäbe.
Zusammenfassend darf ich noch einmal betonen, daß es nicht in der Absicht der Heimatvertriebenenwirtschaft liegt, eine Dauerbetreuung zu erfahren und langfristige Privilegien zu erhalten, daß es auch nicht ihre Absicht ist, eine Flüchtlingswirtschaft innerhalb der Gesamtwirtschaft aufzubauen, sondern sie erstrebt im Gegenteil, und je eher um so besser, sich mit ihren Betrieben der Gesamtheit der Wirtschaft des Bundesgebietes einzufügen. Das Ergebnis ihrer Eingliederung soll dann ein echter Leistungswettbewerb zwischen gleichgestellten Wettbewerbspartnern zum Wohle der Allgemeinheit sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, ob es berechtigt ist, der sogenannten Heimatvertriebenenwirtschaft und den Flüchtlingsunternehmen gewisse Begünstigungen zuzubilligen, die Frage, ob es in der Wirtschaft überhaupt noch Sonderprobleme geben kann, —diese Frage wird oft gestellt, und sie wird natürlich auch beantwortet. Aber sie wird verschieden beantwortet, und es gibt Leute, die heute denken oder sagen werden, die Heimatvertriebenen wollten wieder ihre Extrawurst zugeteilt haben. Die Wahrheit ist doch die, daß es eben Sondersorgen und daß es im deutschen Wirtschaftskörper Sonderprobleme gibt. Wir haben darüber ja erst am 15. Oktober in diesem Hohen Hause anläßlich der Debatte über die Investitionshilfe gehört. Es gibt heute noch Sorgen der demontierten einheimischen Wirtschaft, und auch die Existenzsicherung des Mittelstandes beispielsweise ist wirtschaftlich und politisch sehr bedeutsam. Es geht also nicht darum, eine Extrawurst zugeteilt zu bekommen; es geht aber um etwas anderes. Es ist wahr, man soll die Zeit der Begünstigungen und Förderungen einzelner Wirtschaftszweige nach Möglichkeit abkürzen, und man soll das Problem natürlich im Rahmen des Gesamtbildes sehen. Es ist ja keine Offenbarung; jeder von uns weiß, daß gerade in unseren Tagen Sach- und Sonderprobleme in großer Zahl auf uns zukommen. Es ist Aufgabe einer wirklich planvollen Überlegung, diese Sonderprobleme auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Ich möchte also sagen, daß in dieser Hinsicht der Antrag der CDU/CSU sicher des Nachdenkens wert ist. Man soll darüber Überlegungen anstellen.
Aber, Kollege Kuntscher, ich finde, dieser Antrag ist nicht ganz zeitgemäß, ist nicht termingerecht. Er kommt mir ein bißchen spät. Außerdem habe ich das Gefühl: er zeigt Züge der Unsicherheit und der Unklarheit, und er hat kein Profil. Es steckt vieles Richtige in diesem Antrag. Aber was sollen wir mit ihm anfangen? Ich möchte nicht bei Reminiszenzen verweilen. Aber am 23. September, anläßlich der Debatte über die Große Anfrage der SPD betreffend Vertriebenen- und Flüchtlingsprobleme haben wir hier ja diese ganze Problematik erörtert und durchdiskutiert. Heute ist das eine Neuauflage. Ich hoffe — und das werde ich noch zum Schluß deutlich aussprechen —, daß es nicht wieder so geht wie nach dem englischen Sprichwort: Der Gong zum Mittagessen hat geschlagen, aber Mittagessen hat keins stattgefunden.
Es geht wirklich darum, daß wir etwas Konkretes zeigen. Und darüber hinaus: da ist das Bundesvertriebenengesetz. Dort sind doch in den §§ 71, 72, 73 und 79 fast alle Voraussetzungen festgelegt, die Sie heute in Ihrem Antrag verlangen. Wahrscheinlich ohne es zu wollen, haben die Kollegen Götz und Kuntscher und die weiteren Antragsteller mit diesem Antrag indirekt und unausgesprochen zugegeben, daß der ganzen, sagen wir, Wirtschaft und Regierungspolitik die aufbauende gemeinsame Linie fehlt.
Das ist es ja eben. Man muß sich fragen: Warum sind denn bis jetzt so wenig Fortschritte in der Realisierung der §§ 71, 72, 73 und 79 des Bundesvertriebenengesetzes gemacht worden?
Da zeigt sich der Verfahrensweg und die Verfahrenspraxis der Bürokratie. Aber wenn es beispielsweise um den § 13 geht — § 13 des Bundesvertriebenengesetzes betrifft .die Beendigung der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen —, da könnte ich Ihnen sagen, wie fix die Ämter sind, einen Abschluß der Wirksamkeit dieses Paragraphen zu finden. — Nun, natürlich muß eine Beendigung in Sicht sein, selbstverständlich muß die Betreuung einmal ein Ende nehmen. Das ist ja der Sinn unseres Verlangens nach rascher Eingliederung.
Ich will also nur sagen, daß es hier verschiedene Tempi gibt, bei § 71 anders als bei § 13.
Meine Freunde und ich haben — lang, lang ist's her! — im Jänner 1952 den Antrag gestellt, 500 Millionen DM für diese Zwecke zur Verfügung zu stellen. Das ist der sogenannte Odenthal-Plan gewesen. Und was ist geschehen? Unter Vorantritt des Bundesfinanzministeriums ist dieser Antrag zu Grabe getragen worden.
Das war der Tatbestand.
Ich begrüße es, daß man auch von seiten der CSU diesen Antrag stellt. Wir haben ja auch im April dieses Jahres anläßlich der Tagung der heimatvertriebenen Wirtschaft dazu gesprochen. Ich habe damals die Grundsätze, die Sie da verlangen, im Namen meiner SPD-Freunde entwickelt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auch dort seine Verbeugungen gemacht und Beteuerungen ausgesprochen. Bis heute habe ich aber nicht viel davon gehört, was daraufhin geschehen ist. Das ist nämlich der Punkt, über den wir uns noch ganz konkret unterhalten müssen, daß wir aus dem Zustand dieser unverbindlichen Beteuerungen herauskommen.
Ich glaube, Zustimmung auf allen Bänken zu erhalten, wenn ich sage, daß das Verlangen nach Förderung und Festigung der Vertriebenenbetriebe und Flüchtlingsunternehmungen die Stärkung der gesamtdeutschen Wirtschaftskraft und insbesondere die Unterstützung der mit Flüchtlingen und Vertriebenen überbelasteten Länder bzw. der uns allen bekannten Notstands- und Grenzlandgebiete bezweckt.
Dies würde der Milderung der strukturellen Arbeitslosigkeit dienen.
Trotz der saisonbedingten Erleichterungen auf dem Arbeitsmarkt, die ich begrüße, müssen wir doch sagen, daß die heute zur Debatte stehenden Betriebe konsolidiert werden müssen, weil sie nicht krisenfest sind und bei der ersten wirtschaftlichen Erschütterung zu Fall kommen können. Daran ist die Gesamtwirtschaft sehr interessiert. An die saisonbedingten Erleichterungen kann man nicht die Hoffnung knüpfen, daß sie von Dauer sein werden, weil der Schwerpunkt der Arbeitslosigkeit heute noch in den mit Vertriebenen und Flüchtlingen überbelegten Ländern, also auch in den Notstandsgebieten liegt.
Die Industriebetriebe, die heute zur Diskussion stehen, haben wichtige volkswirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Sie wurden bei ihrer Gründung 1946, 1947 oder 1948 und 1949 durch die Gemeinden und die Länder und dann durch den Bund deswegen gefördert, weil sie einen wertvollen Beitrag zur Ergänzung ihrer wirtschaftlichen Struktur zu leisten versprachen und auch leisteten. Aus der Notwendigkeit, die besonderen deutschen Nachkriegsprobleme zu bewältigen, entwickelte sich nicht nur ein Sektor der freien Wirtschaft, sondern es zeigte sich auch die Notwendigkeit, den Sektor der Vertriebenenbetriebe zu fördern und zu unterstützen. Unter den Betrieben dieses Sektors befinden sich auch solche Industrien, die bis 1945 im Bundesgebiet überhaupt nicht oder nur spärlich vorhanden waren. Ich weise insbesondere auf die folgenden Industriezweige hin: Glas- und Schmuckwaren, Musikinstrumente, Lederhandschuhe, Spielwarenerzeugung, Strümpfe usw. Viele von ihnen haben heute eine sehr ansehnliche Exportleistung aufzuweisen. Ein einziges Beispiel sei aus der Fülle dieser Exportleistungen herausgegriffen: die Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie, die sogenannten Neu-Gablonzer Betriebe, deren Exportleistung im Jahre 1953 10 300 000 Dollar und in den ersten neun Monaten dieses Jahres 7 300 000 Dollar betragen hat.
— Darauf komme ich noch. Ich wollte damit nur den Anteil an der Gesamtwirtschaft zeigen, der ja auch wichtig ist.
Nun, Herr Samwer, zu der Frage der Vertriebenen- und Flüchtlingsunternehmungen, denen es schlecht geht. Dr. Götz hat — ich werde das nicht wiederholen — einen fundamentalen Mangel aufgezeigt, nämlich das Fehlen von genügendem Eigenkapital und die Tatsache, daß es zuviel kurzfristige und zuwenig mittel- und langfristige Kredite gibt. Der Kollege Götz hat beispielsweise die verschiedenen Textilindustrien miteinander verglichen. Aber auch allgemein ist die Situation nach den Erhebungen so, daß bei den Vertriebenen- und Flüchtlingsbetrieben die Bilanzen höchstens 20 bis 22 % Eigenkapital aufweisen. Das mittel- und langfristige Fremdkapital beträgt heute noch 33 % und das kurzfristige Fremdkapital sogar 45 %. Das ist doch ein sehr ungesunder Zustand.
Ja, dann krachen Vertriebenenbetriebe und Flüchtlingsunternehmungen zusammen, und man fragt sich, wo denn die Ursache dieses Zusammenbrechens liegt. Von einigen sehr wenigen üblen Fällen abgesehen, wo die menschliche Unvollkommenheit mitspielt, ist der Hauptgrund das Fehlen an Eigenkapital, nämlich die generelle und qualitative Unterfinanzierung. Wir wissen ja, wie das gemacht wurde. Aus der Not der Zeit und aus den Verhältnissen heraus wurde ein Mann auf das Amt gerufen, und man hat gesagt: „Sie brauchen 12 000 Mark, aber wir haben keine 12 000 Mark für Sie. Wir sind zur Breitenstreuung gezwungen. Vielleicht fangen Sie mit 6 000 Mark an. Versuchen Sie nur, es wird schon mit 6 000 Mark gehen." „Na ja", hat er gesagt, „ich versuch's". Er ist mit seinen 6 000 Mark abgezogen, und es ging nicht. Die 6 000 Mark waren auch beim Teufel. Dann gibt's Engagements, nicht nur der öffentlichen Hand, Engagements auch der Wirtschaft. Engagement-Verbindungen sind ja sehr viele. Hinzu kommen bei diesen Betrieben noch die Kettenreaktionen aus einem Gefühl der Solidarität, sei es des gleichen Schicksals oder der Heimatverbundenheit, und aus einer anderen Zwangslage heraus. Man hat natürlich mit Personen aus der alten Heimat, Lieferanten usw. Verbindungen aufgenommen. Die plumpsen nun auch mit in die Kettenreaktion hinein, und es zeigt sich eben mit nüchternen, kaufmännischen und wirtschaftlichen Augen gesehen ein sehr ernster, krisenhafter Zustand: unbezahlte Rechnungen, Wechselschulden, Lieferantenschulden,
— ich komme darauf zurück —, nicht davon zu reden, daß natürlich bei der Gründung die Anfangsgeschwindigkeit gering war.
Es gibt noch ein anderes sehr wesentliches Moment. Wer da zugeschaut, selber dringesteckt hat, der kennt doch den Weg, der oft vom Pferdestall und Bunker zum Betrieb führte mit unvollkommenen, eben nur — gestatten Sie mir dieses Wort — zusammengeschusterten Maschinen. Das war auch, wie Sie wissen, ein großes Handicap. Aber viel wichtiger scheint mir folgendes, und hier zeigen sich jetzt die Unterlassungssünden in unserer Gesetzgebung und die Unterlassungssünden bei der Regierung. Ich denke nur an den Lastenausgleich. Wäre er früher und effektiver eingetreten, hätten wir viele dieser Schwierigkeiten nicht gehabt.
Dies ist alles recht spät gekommen. Vieles muß nachgeholt und irgendwie aufgeholt werden. Man muß diese Unternehmungen konsolidieren, und wir müssen neben der Verbreiterung des Eigenkapitals die Umschuldung befürworten, die Umwandlung von kurzfristigen Krediten in lang- und mittelfristige, damit wir bei einem niedrigeren Zinssatz auch gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen. Darum geht es und um nicht mehr, um keine Vorrangstellungen.
Darüber hinaus möchte ich sagen: die bisherige, traditionelle Form der Besicherungsvorschriften ist nicht mehr haltbar. Sie muß auch geändert werden, weil der hohe Anteil des Fremdkapitals mit zu hoher Verzinsung den Nachweis eines Reingewinns verhindert. Das Fehlen eines Reingewinns aber verhindert, daß mit Hilfe der Vergünstigungen der Fremdkapitalanteil verringert wird. So entsteht ein Circulus vitiosus, aus dem schwer herauszukommen ist, wenn nicht eine rasche Umschuldung vor sich geht. Ich glaube, die Aktion für die Berliner Wirtschaft sollte ein nachahmenswertes Beispiel sein.
Erst später wird sich zeigen — nicht jetzt; es fehlen die Unterlagen und die Ergebnisse einer Statistik —, ob und wann der Abbau steuerlicher Begünstigungen anzustreben ist und wie dieser Wirtschaft außerhalb der Steuerreform geholfen werden kann. Ich denke da an § 10 a und an § 33 a. Weil die Auswirkungen dieser Maßnahmen noch nicht bekannt sind, begrüße ich auch die Forderung der Antragsteller unter Ziffer 4, solche Erhebungen durchzuführen.
Wir müssen aus der Sphäre der unverbindlichen, oft gehörten Beteuerungen herauskommen. Die Leistung und der Einsatz der Arbeitskraft der Arbeiter aus den Vertreibungsgebieten — das muß auch einmal gesagt werden — war ebenso enorm und anerkennenswert wie der Einsatz ihrer einheimischen Kollegen. Dieser Aufbauwille, der sich oft mit der Initiative vieler Unternehmer, mit ihren kaufmännischen, organisatorischen Fähigkeiten glücklich gepaart hat, hat es trotz mangelhafter und schlechter Startbedingungen doch dazu gebracht, daß heute 9000 industrielle Betriebe in der Vertriebenenwirtschaft fast 400 000 Personen beschäftigen. Daher muß im Interesse der Gesamtwirtschaft die Konsolidierung dieser Betriebe abgeschlossen werden. Das ist ein Gebot der Stunde, weil Rückschläge zu erwarten sind, wenn es ernste Störungen geben sollte, — und die kann es eines Tages geben!
Wir müssen uns also fragen: Was kann geschehen? Soll es bei der heutigen Diskussion bleiben — jeder wird seine Verbeugungen machen —, oder können wir diese Wanderdüne — das ganze Problem ist doch eine Wanderdüne — einmal zum Stehen bringen, d. h. dafür sorgen, daß auf dieser Wanderdüne einmal etwas Grünes wächst? Ich möchte daher den ernsten Appell an das Hohe Haus richten, der Anregung und meinem Antrag heute zuzustimmen, den vorliegenden Antrag sofort dem Ausschuß für Heimatvertriebene, dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik, dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und dem Ausschuß für Geld und Kredit zuzuweisen, damit sich die betreffenden Ausschüsse unverzüglich an die Arbeit machen können und damit dieses vieldiskutierte Problem endlich wenigstens teilweise zu einem befriedigenden Abschluß kommt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht lange her — Herr Kollege Reitzner hat schon darauf hingewiesen —, daß wir in diesem Hause eingehend über das Vertriebenenproblem gesprochen haben. Aber sicher ist es im allgemeinen zu begrüßen, daß wir dazu öfter Gelegenheit haben. Wir müssen uns jedoch einer Gefahr dabei bewußt sein und ihr begegnen. Diese Gespräche müssen auch einen praktischen Zweck verfolgen, und sie müssen geeignet sein, die Dinge voranzutreiben. Ich habe meine Zweifel darüber, ob der uns vorliegende Antrag diesen Zweck erfüllt. Er kann auch bei sorgfältigster Ausschußberatung nicht zu irgendwelchen gesetzlichen Bestimmungen führen, sondern nur zu einer mehr oder weniger geänderten Entschließung, und damit haben wir ja nun leider unsere Erfahrungen.
Damit haben vor allem auch die Antragsteller ihre Erfahrungen. Ich habe mir die Zeit genommen, einmal etwas in den Protokollen des 1. Bundestags zu blättern. Ich bin dort auf zwei Drucksachen mit den Nrn. 279 und 280 gestoßen. Datum: 30. November 1949. Unter Ziffer 2 des Antrags Drucksache Nr. 279 heißt es:
Die Bundesregierung wird ersucht,
alles zu unternehmen, um in möglichst hohem Umfang ECA-Mittel für die Flüchtlingshilfe zu bestimmen. Diese Mittel sollen bevorzugt für die Ansässigmachung von Flüchtlingsbetrieben auf dem Wege der Hergabe langfristiger Kredite verwandt werden.
Und in den Ziffern 1 und 2 der Drucksache Nr. 280 wird gesagt:
1. Die Bundesregierung wird um eine Gesetzesvorlage ersucht, die den Bund ermächtigt, Bürgschaften für langfristige Kredite zur Ansässigmachung von Flüchtlingsbetrieben zu übernehmen.
2. Die Bundesregierung wird ersucht, Vorschläge für eine steuerliche Begünstigung ansässig gemachter Flüchtlingsbetriebe zu unterbreiten.
Meine Damen und Herren, diese Drucksachen tragen zum weitaus größten Teil dieselben Unterschriften wie die Drucksache, die uns heute vorliegt, insbesondere die Namen von Herrn Dr. Götz, Herrn Kuntscher und Herrn Kunze.
— Ja, da haben Sie nun Pech gehabt, ,der steht nicht drunter.
Es würde aber auch gar nichts schaden, meine Herren, wenn ich im Jahre 1949 diesen Versuch gemacht hätte. Ich kritisiere ja auch nicht die damalige Vorlage. Aber ich stehe tatsächlich nun mal wirklich nicht drunter. Ich wurde damals offenbar nicht aufgefordert.
Daraus ergibt sich also nun folgendes: Wenn man den Inhalt der beiden Anträge vergleicht, stellt man fest, daß sie praktisch denselben Inhalt haben. Welchen Erfolg Sie mit Ihrem Antrag, der ja auch im März 1950 zu einer Entschließung geführt hat, in Wirklichkeit gehabt haben, beweist der Antrag vom 23. September 1954.
Selbst bei allergrößter Sachlichkeit muß man also zu dem Ergebnis kommen, daß es doch sehr fraglich ist, ob wir auf d e m Wege weiterkommen. Das war auch schon damals bekannt. Unser leider allzufrüh verstorbener Kollege Paul Krause hat damals schon ausgeführt: Mit solchen Entschließungen kommen wir nicht weiter; das haben wir schon beim Gesetz zu Art. 131 gesehen; es kommt auf die Ausführung an. Das hat Herr Krause im November 1949 gesagt. Sie werden es mir deshalb ja wohl nicht verübeln können, wenn ich heute, nach fünf Jahren, denselben Anträgen von denselben Antragstellern nun etwas skeptisch gegenüberstehe.
Es ist richtig und wiederholt darauf hingewiesen worden, daß der wesentliche Inhalt Ihrer Forderungen schon mit Gesetzeskraft in § 72 Abs. 1 und 2 des Bundesvertriebenengesetzes ausgesprochen ist, nämlich sowohl die Bereitstellung der Mittel für langfristige Kredite als auch die Umschuldung
zu hoch verzinslicher Kredite. Diese Empfehlung, dieser Befehl, kann man sagen, den der Gesetzgeber gegeben hat, ist unbeachtet geblieben. Herr Reitzner hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß Ihr Antrag das ungewollt unterstreicht. Glauben Sie, daß der Herr Bundesfinanzminister dadurch sehr beeindruckt werden wird, wenn wir jetzt eine neue Entschließung annehmen? Ich glaube es nicht.
Lesen Sie bitte einmal den § 46 des Bundesvertriebenengesetzes. Da steht nun nicht nur ein Befehl, Mittel bereitzustellen, sondern da ist auch gesagt, wieviel, nämlich 100 Millionen, für die Flüchtlingssiedlung, wenn ich mich so einmal ausdrücken kann, für die landwirtschaftliche Siedlung, und 50 Millionen — das steht an anderer Stelle — für die Einheimischen-Siedlung für den gleichen Zweck.
— Moment, lassen Sie mich aussprechen, ich bleibe Ihnen die Deckungsklausel nicht schuldig, Herr Kollege Leukert! Der Herr Bundesfinanzminister ist diesem gesetzlichen Befehl schon im ersten Jahre nicht nachgekommen.
Er hat nur 75 Millionen in den außerordentlichen Etat eingesetzt. Sie werden sich daran erinnern, meine Herren Vertriebenenabgeordneten von der CDU — wir haben ja damals in einer Front gestanden —, wie wir mit Hilfe der Opposition in einer der letzten Beratungen des Bundestags durchgesetzt haben, daß 75 Millionen DM für diesen Zweck aus dem außerordentlichen in den ordentlichen Etat überführt wurden.
Wie sah es aber in diesem Jahre aus? In diesem Jahre hat der Bundesfinanzminister trotz dieser gesetzlichen Bestimmung wieder nichts eingesetzt. Es ist in diesem Jahre nicht mehr zu einem solchen Antrag gekommen. Wir stehen also vor dem Faktum, daß diese Mittel nicht bereitgestellt sind. Ich sage — jetzt kommen Sie, Herr Leukert —: der Herr Bundesfinanzminister hat die Deckungsklausel, die ja praktisch jeder solchen Bestimmung innewohnt, auch wenn sie gar nicht besonders erwähnt wird, dazu benutzt, um zu sagen: Dafür ist kein Geld da. Daß er damit bei uns, nach alledem, was wir sonst erleben, nicht durchkommt, daß wir das nicht anerkennen können, darüber kann es gar keinen Zweifel geben. Glauben Sie nun nach den Erfahrungen mit der Haltung des Herrn Bundesfinanzministers in diesem Falle, wo ihm die 100 Millionen DM praktisch schon vorgeschrieben waren, mit einer Entschließung etwas erreichen zu können? Ich bin da anderer Meinung. Ich halte diesen Weg nicht mehr für gangbar. Ich weiß nicht, ob es gut ist, durch diese Diskussion nun wieder Hoffnungen zu erwecken und falsche Vorstellungen auszulösen,
die nachher um so größere Enttäuschung hervorrufen müssen.
Die Antragsteller haben mit Recht auf den Mangel an Eigenkapital hingewiesen. Ich brauche zur Sache nichts mehr zu sagen. Sie ist von Herrn Dr. Götz und Herrn Reitzner zutreffend gewürdigt worden. Aber Sie sind doch an die falsche Adresse gegangen. Hier muß man sagen: der Passivlegitimierte ist der Bundestag, der Gesetzgeber, und nicht die Verwaltung. Steuererleichterungen muß man schon von der Stelle fordern, von der allein sie :auch wirklich gegeben werden können. Wir werden ja in 15 Tagen die sogenannte Steuerreform hier behandeln und verabschieden.
— Einmal wird sie ja vielleicht doch kommen. Dort genügt es allerdings nicht, den Mund zu spitzen, dort muß gepfiffen werden.
Wir werden genau beobachten, welche Anträge Sie stellen und wie Sie sich zu unseren Anträgen verhalten werden. Herr Dr. Götz, ich kann Ihnen das nicht abnehmen.
Herr Dr. Kather, ich empfehle Ihnen, das Protokoll des Finanz- und Steuerausschusses vom 8. September zu lesen. Aus ihm werden Sie entnehmen können, wer welche Anträge zu der Frage der Eigenkapitalbildung gestellt hat. Dort werden vielleicht auch Sie die Begründung dafür finden, warum heute dieser Antrag gestellt worden ist.
Dr. Kather (GB/BHE): Das ist keine Frage!
— Ich wollte gerade auch sagen: Herr Dr. Götz, das war ja keine Frage!
— Herr Dr. Götz, ich glaube, auf diesen Platz gehen zu können, ohne vorher sämtliche Protokolle sämtlicher Ausschüsse gelesen zu haben.
Weiter, Herr Dr. Götz, kommt es auch nicht allein darauf an, was im Ausschuß gemacht worden ist. Sie selber wissen aus den ersten vier Jahren, wie oft wir erst hier im Plenum zum Zuge gekommen sind. Deshalb wird es darauf ankommen, welche Anträge von wem hier gestellt werden. Außerdem darf ich Ihnen eins sagen, Herr Dr. Götz: ein aus diesem Protokoll sich ergebendes Unterliegen mit solchen Anträgen kann doch nur darauf beruhen, daß die CDU-Fraktion nicht geschlossen dafür gestimmt hat. Hier steht aber die CDU-Fraktion darunter. Also ist da schon ein Widerspruch festzustellen zwischen der Haltung der Fraktion im Ausschuß und hier.
Ich kann es Ihnen nicht abnehmen, Herr Dr. Götz, daß es, nachdem Sie vor fünf Jahren schon einmal den gleichen Antrag gestellt haben, heute genüge zu sagen: Wir wollten mit diesem Antrag eine Prüfung anregen! Nein, meine Damen und Herren, wir sind weiter. Wenn wir jetzt zu einer Änderung des Einkommensteuergesetzes kommen, dann müs-
sen verbindliche und zu Ergebnissen führende Anträge gestellt werden, oder man soll überhaupt nicht über diese Dinge reden.
— Ich habe Anträge genug gestellt.
— Zeigen Sie mir einen, der immerhin so viel durchgesetzt hat wie ich. Darauf bin ich sehr neugierig.
— Meine Damen und Herren, wenn uns etwas wertvoll an diesem Antrag ist, dann ist es ganz bestimmt dies, daß er die Unterschrift „Fraktion der CDU" trägt und damit doch die Fraktion auf eine Haltung festlegt, die wir nur begrüßen können.
Es ist schon gesagt worden, daß die Forderungen zu Punkt 2 und 3 des Antrags den Anordnungen entsprechen, die im Bundesvertriebenengesetz gegeben worden sind. Sie stimmen überein mit dem § 72 Abs. 1 und 2 des Bundesvertriebenengesetzes. Ich hatte vorhin schon gesagt, daß ich es nicht als besonders sinnvoll ansehe, in dieser Richtung mit Entschließungsanträgen zu kommen, nachdem gesetzliche Bestimmungen bestehen und diese nicht beachtet worden sind.
Was nun das Ersuchen um eine weitere Anleihe angeht, meine Damen und Herren, so bitte ich, doch
einmal an das Schicksal der Anleihen zu denken, die der Vorfinanzierung dienen sollten.
Hier handelt es sich nun um Anleihen, die uns, wie Sie genau wissen, von dieser Stelle durch den Mund des Herrn Vizekanzlers im Namen der gesamten Bundesregierung zugesagt und damals auch von diesem Hohen Hause mit genehmigt worden sind. Von diesen drei Anleihen, die für 1952, 1953 und 1954 gegeben werden sollten, ist bis heute erst eine einzige zum Zuge gekommen.
Ich kann daraus nicht entnehmen, daß es nun sehr sinn- und zweckvoll ist, mit einer Entschließung eine weitere Anleihe zu verlangen.
Hinsichtlich der Umschuldung, die hier angesprochen worden ist, ist es, wie es heute ja auch schon von anderer Seite geschehen ist, notwendig, die Frage der Besicherung anzuschneiden. Es werden überhöhte Anforderungen gestellt; das kann nicht bezweifelt werden. Diese Tatsache hat z. B. bei der Vergabe der Arbeitsplatzdarlehen dazu geführt, daß nur 7 Millionen DM an Vertriebene gegeben worden sind, 28 Millionen DM an Geschädigte und 14 Millionen DM an sonstige nach dem Gesetz Berechtigte, die also an sich mit dem Lastenausgleich nichts zu tun haben. Ähnliche, nicht ganz so scharfe, aber doch auch überspitzte Anforderungen sind auch an anderer Stelle gestellt worden. Wenn wir nicht davon abgehen, dann sind alle diese Maßnahmen vergeblich. Die Vertriebenenwirtschaft ist — das erweist schon der Mangel an Eigenkapital — gar nicht in der Lage, diesen
Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. Das hat um so mehr Geltung, als eine Möglichkeit, Sicherungsunterlagen zu beschaffen, nämlich eine Beschleunigung des Feststellungsverfahrens, bisher durch Verschulden des Bundesfinanzministeriums nicht genutzt werden konnte.
Das Verfahren überhaupt, das Kreditbewilligungsverfahren, muß beschleunigt werden und von bürokratischen Hemmungen frei gemacht werden. Es wurde heute schon die Versammlung der Heimatvertriebenenwirtschaft hier in Bonn im April dieses Jahres erwähnt. Dort hat Herr Kollege Kunz e, der leider heute abwesend ist folgendes gesagt:
Was ist denn heute die Tragik, — wenn ich nur ein Problem herausgreifen darf? Da hat ein Heimatvertriebener endlich eine Chance gefunden, irgendein Unternehmen zu übernehmen. Bis die Prüfungen erfolgt sind und die Stunde da ist, wo gesagt wird: „Genehmigt", ist in den meisten Fällen das betreffende Unternehmen an einen Kapitalkräftigeren abgewandert. Das ist eines der großen Probleme, an dem wir jetzt im Augenblick arbeiten.
Es würde mich außerordentlich interessieren, den Stand dieser Arbeiten kennenzulernen.
Es hat sich in der Praxis aber noch nicht das geringste geändert, wie Herr Reitzner hier schon ganz zutreffend gesagt hat.,
Meine Damen und Herren, vor noch nicht zwei Wochen hat ein interministerieller Ausschuß, der nur aus vier Ressorts besteht — was ja sehr wenig ist —, über einen notleidenden Betrieb zu entscheiden gehabt. Dabei hat es sich um 180 Arbeitsplätze, darunter 108 Vertriebene und 39 Schwerkriegsbeschädigte, gehandelt. Diese vier Ressortvertreter haben drei Monate gebraucht, bis sie zu einer Entscheidung kamen, die dann auch noch ablehnend war. Meine Damen und Herren, so geht es nicht. Wenn nicht rechtzeitige Entscheidungen, die manchmal auch leicht Hilfe bringen können, ermöglicht werden, dann kommen wir nicht weiter. Es wird nicht besser werden, solange in allen diesen Ausschüssen die Macht entscheidend in den Händen von Beamten liegt, die aus Scheu vor der Übernahme einer Verantwortung oder gar eines Risikos, die nur von der Furcht vor dem Bundesrechnungshof übertroffen wird, zu irgendwelchen Entschlüssen nicht kommen können.
Ich erinnere an das Auftreten von Herrn Staatssekretär Hartmann bei unserer Großen Anfrage.
Herr Staatssekretär Hartmann hat es damals für
richtig gehalten, uns bei einer Materie, bei der
7,3 Millionen Anträge vorliegen, wo man also wohl sagen kann, daß fast 20 Millionen Menschen beteiligt sind, zu sagen: Wir können doch nicht für ein einzelnes Gesetz einen Referenten anstellen, von dem wir nachher nicht wissen, was wir mit ihm anfangen sollen.
Meine Damen und Herren, wenn eine solche Antwort auf der Staatssekretär-Ebene möglich ist,
dann kann man sich vorstellen, was wir auf der
Referenten-Ebene, also sagen wir mal Oberregierungsrat, Regierungsdirektor, alles erleben können;
und leider Gottes haben wir es auch schon erlebt.
Also: Abbau der Bürokratie und—das ist, das hätte ich auch so gesagt, keine parteipolitische Forderung, das ist eine Forderung, bei der alle Parteien dieses Hauses einer Meinung sein sollten — Einschaltung der Wirtschaft sowie Heranziehung der Geschädigten selbst und ihrer Organisationen zur Mitverantwortung. Dann werden wir in diesen Fragen auch schneller und besser vorankommen.
Ein Weg zur Lösung des fraglos vorhandenen Problems, das hier angesprochen worden ist, und zwar meiner Ansicht nach der wichtigste, ist bis heute nicht erwähnt worden. Das ist der Weg, der für alle Fälle gilt, in denen Kredite nicht mehr helfen können — die sehr häufig sind —, weil die Hereinnahme neuer Kredite die Relation zwischen Eigenkapital und Fremdkapital nur noch verschlechtert. Fragen Sie insoweit die Lastenausgleichsbank, die da über weitgehendes Material vieler Fälle verfügt. Da ist man und sind wir den Weg gegangen, Eigenkapital durch Beteiligung zu schaffen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß das ein guter und erfolgversprechender Weg ist, wenn er richtig gegangen wird. Ich freue mich hier darauf hinweisen zu können, daß der neue Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Middelhauve, in diesen Tagen einen Brief an die Wirtschaftsminister, Vertriebenenminister usw. geschickt hat, in dem er gerade empfiehlt, diesen Weg zu gehen. ERP-Mittel und Lastenausgleichsmittel — wenn schon Haushaltsmittel im Augenblick nicht zu erreichen sind — müssen dafür bereitgestellt werden.
Man kann uns auch nicht sagen, Lastenausglichsmittel könnten nicht so langfristig festgelegt werden. Wenn ich darauf hinweise, daß Wohnungsbaumittel aus dem Lastenausgleichsfonds mit 2 % pro Jahr getilgt werden, so zeigt das schon deutlich, daß diese Generation den Rückfluß gar nicht mehr erleben wird. Und um so langfristige Dinge handelt es sich nicht; da kommen wir mit 5 Jahren oder 10 Jahren sehr gut aus.
Ich möchte mich noch gegen eines wenden. Hier ist gesagt worden, man solle auch für neue Betriebe sorgen, „wenn es nötig erscheint", — die Formulierung ist etwas anders. Das könnte, vielleicht unbeabsichtigt, den Eindruck hervorrufen, daß diese Notwendigkeit von den Antragstellern in Frage gestellt wird. Ich möchte das nicht annehmen. Es sind immerhin, ganz vorsichtig geschätzt, noch etwa 20 000 neue Betriebe, die auf die Beine gestellt werden müssen. Ich glaube das erwähnen zu müssen, weil auch bei der Verwaltung sich häufig schon die Auffassung durchzusetzen versucht hat, daß es nur noch um die Festigung bestehender, aber nicht mehr um die Gründung neuer Betriebe geht. Ich weise darauf hin, daß im. Vertriebenengesetz die Reihenfolge — noch! — umgekehrt ist.
Zu Punkt 4 möchte ich hervorheben, daß die Lastenausgleichsbank weitgehend Vorarbeiten zu diesem Zweck geleistet hat, auf die zurückzugreifen sein wird.
Meine Damen und Herren, wenn man das alles überlegt — und es handelt sich bei diesen Fragen mit der einen Ausnahme der Steuerermäßigung überall um Dinge, die die Verwaltung angehen, die von der Bundesregierung her geändert, beeinflußt, abgestellt werden können —, wenn man sich überlegt, wie die Dinge hier zum Teil liegengeblieben sind — ich erinnere an das Feststellungsgesetz, an die Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften, die ich Ihnen hier aufzählen konnte —, dann wird für die deutsche Öffentlichkeit auch klarwerden und es wird ihr zum Bewußtsein kommen, weshalb der Gesamtdeutsche Block so großen Wert darauf legt, daß das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte sowie die Organisationen der Geschädigten selbst eine erweiterte Einflußnahme auf die produktive Eingliederung der Geschädigten erhalten. Das ist keine Personalfrage und keine Frage von Stellenbesetzungen, nein, hier. geht es darum, den Hebel da anzusetzen, wo er angesetzt werden muß und wo allein Erfolge erzielt werden können. Die Mittel und ihre Verwendung müssen Leuten in die Hände gegeben werden, die aufgeschlossen sind für diese Dinge und die wissen, daß hier eine Schlacht im Kalten Krieg zu gewinnen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preiß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht damit gerechnet, daß dieser Antrag, der mir doch im Gegensatz zu Ihrer Meinung, sehr geehrter Herr Kollege Reitzner, eine Aktualität zu haben scheint,
eine so ausgedehnte Grundsatzdebatte über den Gesamtkomplex der Vertriebenenprobleme und -fragen auslösen würde. Herr Kollege Reitzner, ich mache Ihnen das Kompliment, daß Sie es in einer reizenden Form getan haben, auch bei Ihren Kritiken, die ohne weiteres angekommen sind. Sie können auch da nicht so sehr laut sein, weil Sie mit vielen von uns unter derselben Vorbelastung stehen, trotz aller Mühe, trotz fünf oder sechs ganztätigen Sitzungen in einer Woche in den Jahren 1949, 1950 und 1951 dieses sehr schwierige Problem des Lastenausgleichsgesetzes nicht früher unter Dach und Fach gebracht zu haben. Der Kollege K a t her hat es da allerdings etwas einfacher. Er ist nicht mit diesen jahrelangen, mühevollen Anstrengungen um dieses Gesetz so behaftet gewesen wie wir. Er war nur ab und an zur Stelle.
Aber das sei ihm verziehen. Es war heute eine sehr schöne Gelegenheit, mit seinen langjährigen Freunden Abrechnung zu halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag hätte eigentlich — es ist schade, daß sich das Haus schon so stark geleert hat — zu einer breiten Besinnung auf ein außerordentlich wichtiges und aktuelles Thema führen sollen. Daß sich innerhalb der Heimatvertriebenenwirtschaft in den letzten ein, zwei Jahren erhebliche Verschiebungen
und Änderungen vollzogen haben, ist vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so beobachtet worden, wie es hätte beobachtet werden sollen. Wer sich in dieser schwierigen und so wichtigen Aufgabe persönlich stark eingesetzt hat und auch die vor Jahren angesiedelten Betriebe laufend betreut, der kennt diese Änderung und weiß um diese Wandlung.
Sie sind bei den bisherigen Reden nicht aufgeklungen. Ich möchte sie deshalb zur Ergänzung und unter Vermeidung von sonstigen Wiederholungen hier feststellen.
Uns ist doch wohl allen geläufig, daß die Heimatvertriebenen- und Flüchtlingsbetriebe in ihren ersten Gründungsjahren zum Teil mit Fachrichtungen und Produktionsrichtungen zu uns kamen, die hier nur verschwindend wenig oder zum Teil auch gar nicht vertreten waren, und daß sie deshalb in eine außerordentliche günstige Konjunktur hineinkamen, so daß sie jahrelang einen günstigen Verkäufermarkt ausnutzen konnten. Was sie mit alten Maschinen und in der Regel der Fälle unzulänglichen Kapitalausstattungen überhaupt zu produzieren in der Lage waren, wurde ihnen aus der Hand gerissen. Zahlungen im voraus waren nicht selten, Zahlungen durch die Abnehmer am Tage der Lieferung lange die Regel und Zahlungen nach kurzer Frist nach erfolgter Lieferung auch noch lange der Fall.
Seit etwa zwei Jahren haben sich diese Dinge erheblich geändert, seit wir allgemein den Übergang vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt haben. Jetzt haben auch diese Betriebe ihre 60-Tage-Frist
und dann fallweise noch drei Monate Akzeptgewährung, und dann kommen sie auf die berühmte etwa halbjährige Kreditierung. Meine Damen und Herren, da zeigt sich erst ihre Schwäche, da zeigt sich die mangelnde Liquidität. Nun mußten sie, wie es nun mal üblich ist, wenn nicht genügend Eigenkapital und besonders auch Betriebskapital zur Verfügung steht, auf den Weg der Kreditnahme bei ihren Lieferanten, bei ihren Rohstoff- und Halbfertigwarenlieferanten gehen. Und siehe da: hier stießen sie auf das völlige Fehlen von Sicherungsreserven; denn - da pflichte ich Ihnen, Herr Kather, natürlich völlig bei — bei den doppelten und dreifachen Sicherungen bei der Erstausstattung ist von ihren Realwerten ja praktisch nichts als Sicherungsreserve in Rückhalt geblieben. Sie werden - das muß einmal in aler Kraßheit gesagt werden — zunehmend kreditunfähig gegenüber ihren Lieferanten, denen gegenüber sie aber auf Kreditfähigkeit zwingend angewiesen sind.
Das wirft nun das Problem in dieser Zeit ganz besonders stark auf. Wenn wir es noch verbinden mit dem aktuellen Anlaß, daß der Finanz- und Steuerausschuß nun einmal die Generallinie bezogen hat, möglichst mit allen Vergünstigungen und Sonderbestimmungen aufzuräumen, dann ist hier Alarm geboten, und dann ist dieser Antrag durchaus aktuell. Vielleicht, verehrter Herr Kollege Götz, hätten wir ihn interfraktionell stellen sollen. Dann wäre wahrscheinlich einiges an Schärfe oder Wettbewerb hier vermieden worden. Denn es ist kein Anliegen von Ihnen oder vom BHE oder von uns oder von den Damen und Herren der SPD, sondern es ist ein Anliegen der ganzen Wirtschaft. Ich meine auch nicht nur diese 2500 Neubetriebe mit mehr als 10 Beschäftigten, sondern vielmehr die 460 000 neuen Arbeitsplätze, die sie geschaffen und begründet haben.
Aber darauf beschränkt sich die Bedeutung noch nicht einmal! Wo sind sie denn hingegangen, wo haben sie denn begonnen? Dort, wo sonst niemand den Mut dazu gehabt hätte, in diesen Trümmerstätten, ehemaligen Muna, in Drecklöchern haben sie angefangen!
Sie haben damit Enormes geleistet, abgesehen von den Millionenwerten, die sie im Export zu verzeichnen haben. Sie haben Entscheidendes zur Sanierung unserer wichtigsten Notstandsgebiete beigetragen.
Meine Damen und Herren, es gibt schon eine ganze Reihe von stark konzentrierten Flüchtlingsbetriebsorten, in denen es nicht einmal bei der Behebung der strukturellen Arbeitslosigkeit der dort zusammengeballten heimatvertriebenen Menschen geblieben ist. Nein, sie haben schon ausgegriffen in die breitere Umgebung und haben auch notleidende einheimische Wirtschaftsgebiete, zu klein strukturierte Landwirtschaft, nicht genügend beschäftigtes Handwerk und Kleingewerbe mit saniert. Die Leistungen, die diese Heimatvertriebenenwirtschaft in diesen wenigen Jahren erbracht hat, nicht nur zur Wiederbegründung ihrer eigenen Existenz und zur Beschäftigung hauptsächlich ihrer eigenen Schicksalsgefährten, sondern darüber hinaus für die Allgemeinheit, sind so entscheidend, daß hier Vorsorge getroffen werden muß, damit sie nicht notleidend wird. Es sind ganz ohne Frage in der jüngsten Vergangenheit Neubetriebe notleidend geworden, die es nicht zu werden brauchten, wenn sie entweder früher besser ausgestattet oder laufend besser betreut worden wären.
— Sehr richtig, Kollege Kuntscher! Genau das, was ich sagen wollte.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag sollte Anlaß dazu geben, daß wir uns in den zuständigen Ausschüssen mit diesen Dingen im Detail beschäftigen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Bundeswirtschaftsministerium eine sehr breite Erhebung angestellt hat über die Kapitalausstattung der Neubetriebe. Es ist schon erschreckend, wenn festgestellt wird, daß sich innerhalb des Zeitraums von 1949 bis 1952 das Eigenkapital von 40 '% im Jahre 1949 auf 22 % im Jahre 1952 verringert hat und wenn nach einer parallel laufenden Erhebung von elf überprüften Wirtschaftszweigen von nur zweien festgestellt werden konnte, daß sich ihre Anlagewerte mit dem Eigenkapital decken. Deshalb ist es ein besonderes Anliegen meiner Parteifreunde, daß dieser Antrag auch dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß überwiesen wird. Damit möchten wir dokumentieren, daß es sich hier nicht um eine Sonderangelegenheit handelt, nicht um einen Sektor der Wirtschaft, sondern praktisch um die gesamte Wirtschaft der Bundesrepublik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Sabaß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, in der Generaldebatte zu dem Antrag meiner Fraktion auf Drucksache 838 noch einmal im einzelnen Stellung zu nehmen. Die Ausführungen, die gemacht worden sind, werden wir in den Ausschüssen, an die der Antrag überwiesen werden soll, im einzelnen behandeln. Wenn auch hier in- der Debatte sehr gegensätzliche Meinungen über die Maßnahmen und deren Erfolgsaussichten in der jüngsten Vergangenheit zum Ausdruck gekommen sind, so bin ich doch überzeugt, daß wir zu einem Erfolg kommen werden. Alle Redner haben die Berechtigung unseres Antrags anerkannt, und wir wollen doch gemeinsam der Überzeugung sein, daß meine Fraktion mit diesem Antrag der Heimatvertriebenenwirtschaft helfen will, aus dem schlechten Start, der teilweise noch vorhanden ist und täglich fühlbar wird, herauszukommen und gleichen Schritt zu halten mit der erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft, wie wir sie jetzt betreiben.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich hier auch nicht zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Kather, die ich teilweise bedauere, im einzelnen Stellung nehmen. Denn ich habe doch den Eindruck — lassen Sie mich das sagen —, daß durch das Reden über die Dinge der Vergangenheit für die Zukunft wenig geholfen wird. Wir wollen doch alle, auch alle unsere Wähler im Lande, überzeugt sein, daß die Hilfe für die Heimatvertriebenenwirtschaft für uns kein politisches Geschäft ist. Heimatvertrieben sein ist das härteste Schicksal,
das wir Deutsche in unserer Zeit erleben, und dieses Schicksal müssen wir alle aus vollem Herzen und mit ganzer Liebe mildern helfen. Daher dieser Antrag.
Ich beantrage, Herr Präsident, den Antrag an den Ausschuß für Heimatvertriebene — federführend — und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit und für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte zu Punkt 7.
Es ist beantragt, den Antrag Drucksache 838 an den Ausschuß für Heimatvertriebene — als federführenden Ausschuß —, den Ausschuß für Finanz-und Steuerfragen, den Ausschuß für Geld und Kredit und den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden, daß so verfahren wird? — Das ist der Fall. Die Überweisung ist beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 51. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 21. Oktober 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.