Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, daß bei dieser ersten grundsätzlichen Aussprache über die Probleme der jungen Generation, die. der 2. Bundestag heute abhält, das Interesse des Hauses etwas größer wäre, nämlich so groß, wie es der Bedeutung der Problematik um die junge Generation in diesem Lande entspricht.
Ich bin mit Herrn Dr. Seffrin der Meinung, daß die Jugend natürlich als ein Teil des Volksganzen betrachtet werden muß; aber er wird mit mir der Auffassung sein, daß die Schäden, die der vergangene Krieg gerade in der jungen Generation hinterlassen hat, ganz besonders groß sind und eine besondere Fürsorge erforderlich machen. Die materiellen Schäden mögen dabei noch nicht einmal so hoch veranschlagt werden wie die geistigen Schäden, die der Trümmerhaufen von 1945 hinterließ. Deshalb meinen wir von ,der sozialdemokratischen Fraktion, daß die Beseitigung der verheerenden Kriegsfolgen in der Jugend nicht nur eine selbstverständliche Pflicht dieses Parlaments, sondern wohlverstanden, darüber hinaus auch ein Existenzproblem für die junge deutsche Demokratie ist. Wenn es uns nicht gelingt, diese Jugend zu einem tragenden Pfeiler unseres Staatswesens zu machen, dann ist, darf man wohl sagen, unsere neue Demokratie in Deutschland für die Zukunft keinen Schuß Pulver wert.
Bei dieser grundsätzlichen Wertung und Beurteilung des Jugendproblems sind wir der Meinung, daß die Sorge und vor allem eine grundsätzliche und durchgreifende Hilfe für die Jugend dieses Volkes zu den ersten und vornehmsten Aufgaben der Bundesregierung gehören müßte. Nun, ich habe ein wenig den Eindruck, daß die bisherige Debatte schon einigermaßen hinreichend deutlich gemacht hat, daß die Regierung auf dem Gebiet der Jugendpolitik nicht im notwendigen Umfang initiativ geworden ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Oktober 1953, in der der jungen Generation ganze zwei magere Sätze gewidmet sind. Es ist eine sehr bittere Erinnerung, aber ich muß sie hier vorbringen.
— Herr Kollege Kemmer, Sie werden doch von der Opposition nicht erwarten, daß sie zu diesem Problem sagt, was Sie gerne hören möchten.
- Meine Damen und Herren, Sie werden sich damit abfinden müssen, daß wir zur Problematik der jungen Generation hier zum Ausdruck bringen, was ist, und zwar was wahr ist. Es ist nicht abzustreiten, auch nicht mit den Bemerkungen über die SbZ-Jugend, daß eben nicht alles Gold ist, was in der Bundesrepublik glänzt, gerade auf dem Jugendsektor. Aber dazu werde ich noch Stellung nehmen.
Wie soll die junge Generation zu einem positiven Verhältnis zum demokratischen Staat und zu einer demokratischen Lebensgestaltung kommen, wenn
der Staat in der Vergangenheit nicht bereit war, das Notwendige zur Lösung ihrer Probleme zu tun?!
Was ist denn geschehen? Gewiß, wir haben ein Gesetz zum Schutze der Jugend, wir haben die Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtgesetz verabschiedet — wobei der Finanzminister, wie schon erwähnt wurde, vergessen hat, die entsprechenden Mittel zur Durchführung bereitzustellen —, und gewiß, wir haben den Bundesjugendplan. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie auch einmal überlegt, daß dieser Bundesjugendplan gerade etwa ein Promille des gesamten Etatsvolumens der Bundesrepublik ausmacht? Ich möchte auf Grund der Jugendarbeit draußen im Lande feststellen, daß er völlig unzureichend und zudem noch mit einer ganzen Reihe bürokratischer Hemmnisse behaftet ist.
Auf die Weise, wie das Problem ,der jungen Generation bisher angepackt worden ist, gibt es eben nur ein planloses Kurpfuschen an einzelnen Symptomen. Es ist nötig, das Übel an der Wurzel anzupacken. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was verschiedene Redner bisher schon über die tatsächliche Situation in der jungen Generation gesagt haben. Aber vielleicht darf ich einmal die Frage stellen, meine Damen und Herren von der CDU: Wann gedenken Sie denn — und zwar hier von der Tribüne dieses Hauses — den Menschen draußen zu sagen, wann ein echter Arbeitsschutz für die junge Generation geschaffen wird? Wann kommt das Berufsausbildungsgesetz, wann werden Sie den Kündigungsschutz für die junge Generation verwirklichen? Diese junge Generation draußen hat ein sehr feines Gespür für die Diskrepanz zwischen Versprechungen im Wahlkampf und der praktischen Arbeit dieser Regierung!
Einige Probleme möchte ich noch ansprechen. Ein Stichwort ist hier schon gefallen. Wir werden in der nächsten Arbeitswoche hier in diesem Hause über die Fremdenlegion, den Menschenschmuggel mit jungen Deutschen in die Fremdenlegion zu reden haben. Ich möchte nichts von dem vorwegnehmen, was diese Debatte sicherlich zutage bringen wird. Aber der Menschenschmuggel für die französische Fremdenlegion ist nicht nur eine politische, er ist auch eine soziale Frage der jungen Generation. Da haben Leute, die es wissen müssen, in den Auffanglagern entlang der französischen Grenze einmal eine Statistik über die Aufgegriffenen gemacht. Da hört man, daß diesen bitteren Weg aus der Bundesrepublik in die Fremdenlegion junge Menschen zu 50 % wegen Heimatlosigkeit gehen, zu 19 % wegen Arbeitslosigkeit und dann erst 20 % wegen zerrütteter Familienverhältnisse und nur 8 % aus Abenteuerlust sowie 1 % aus Furcht vor Bestrafung. Auch hier zeigt sich wieder, daß wir vor der Notwendigkeit stehen, gesunde soziale Verhältnisse für die vom Krieg so geschlagene junge Generation zu schaffen. Es hat nicht viel Sinn, über diesen furchbaren Weg zu reden, wenn man nicht die Voraussetzungen beseitigt, die junge Menschen in die Werbebüros der Legion treiben. Das gehört mit zu diesem Komplex.
Ich erinnere auch an die ausgesprochene Erziehungskatastrophe, die wir zu verzeichnen haben. Auf den mehrschichtigen Schulunterricht ist bereits hingewiesen worden.
Das gleiche gilt für die körperliche Ausbildung, die Sportausbildung in den Schulen. Wie lange rufen die Sportverbände schon nach der täglichen Turn-und Sportstunde? All das sind Probleme, mit denen man sich beschäftigen muß; und man bringt sie nicht aus der Welt, wenn man sie zu verschweigen sucht.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Hinweis auf die andere Seite. Ich weiß nicht, ob Sie Grund hatten, unseren Redner bezüglich des Hinweises auf die Diktatur, auf die sowjetische Besatzungszone mißzuverstehen. Ich weise eine solche Unterstellung schärfstens zurück.
Eines steht fest.
— Was heißt denn das schon, Frau Kollegin? Wer fordert denn eine Staatsjugend? Das können Sie doch der sozialdemokratischen Fraktion auch nicht unterstellen! Aber wir wollen diese Jugend, die wir nicht zur Staatsjugend machen wollen, auch nicht auf die freie Wildbahn ,der bundesrepublikanischen Marktwirtschaft schicken, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen.
Ich komme noch einmal zurück auf das schon zitierte Pfingsttreffen der FDJ in Berlin, wo in Ihren Kreisen und Reihen soviel Entsetzen über die Auffassung der jungen Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone entstanden war. Ja, sie haben sehr konkrete Fragen gestellt, und man konnte mit ihnen nicht mehr auf der Schokoladen-und Kreppsohlenbasis diskutieren. Allerdings, sie haben sehr konkrete Fragen gestellt über Fortbildungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik, über Schulgeldfreiheit — das wurde schon gesagt —, über Studiumsmöglichkeiten und dergleichen.
Ich sagte schon, es ist nicht alles Gold, was in dieser Hinsicht hier glänzt. Aber es ist doch nur bedauerlich, daß die Diktaturen zu einem schlechten und verbrecherischen Zweck für die junge Generation wesentlich mehr Anstrengungen machen, als wir gemeinhin in der Gesamtheit zu tun bereit sind.
Wenn ich diese Feststellung treffe, dann ist gar nicht gesagt, daß wir auch nur in etwa das System drüben verteidigen wollten. Ganz im Gegenteil! Aber wir meinen, daß wir hier auch im gesamtdeutschen Sinne die Aufgabe haben, in der jungen Generation das soziale Leben so attraktiv wie möglich zu machen.
Nun, wir leben ja in einer Zeit, wo sich die Mehrheit dieses Hauses anschickt, von der jungen Generation zu verlangen, daß sie neue Stahlhelme aufsetzt; das kann ja wohl nicht bestritten werden.
Aber die Frage ist noch nicht beantwortet, ob denn von dieser Regierung und den sie tragenden Parteien alles getan worden ist, in der gleichen jungen Generation die Folgen des vergangenen Krieges wettzumachen. Es ist eine große Frage, ob man das moralische Recht hat, jetzt schon neue Opfer von der jungen Generation zu verlangen. Es steht fest, daß die junge Generation, die in der Vergangenheit einen so schicksalschweren Weg gegangen ist, ein Recht auf durchgreifende Maßnahmen hat.
In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis. Es wird gesprochen vom „deutschen Wunder" — nehmen wir an, es ist das Wunder dieses fleißigen Volkes und nicht einer Partei -; an diesem „deutschen Wunder" hat die junge Generation ihr gerüttelt Maß Anteil.
Ich erinnere an die Zeit, wo die jungen Menschen auch mit einer trockenen Maisbrotschnitte zur Arbeit gingen. Aus diesem Grunde meinen wir, sie haben das Recht, daß man grundsätzlich Maßnahmen für sie trifft, nicht nur mit Versprechungen und Reden, sondern ganz konkret durch die praktische Tat hier. Das Parlament hat darüber hinaus die Pflicht, eine Jugendpolitik zu machen, die in den Herzen und Köpfen der jungen Generation die Demokratie für die Zukunft sichert.