Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben Ihnen heute einen Änderungsantrag Umdruck 193 vorgelegt. Ich berufe mich dabei auf meinen Herrn Vorredner, den Herrn Berichterstatter, der Ihnen schon sagte, daß sich der Ausschuß zwar über die materielle Notwendigkeit einer Änderung einigen konnte, daß er aber nicht zu einer Einigung über die Form der Änderung gekommen ist. Nun unterscheidet sich die alte Fassung des Gesetzentwurfs Drucksache 412 von der neuen, im Ausschuß von der Mehrheit angenommenen dadurch, daß der Ausschuß aus der MußBestimmung eine Kann-Bestimmung gemacht hat. Das ersehen Sie einmal aus Abs. 2 des § 87. Da heißt es: „Arbeitslosenunterstützung kann gewährt werden", während es in § 168 a heißt: „Für Arbeitslose . . . . kann der Präsident der Bundesanstalt zulassen". Das steht im Gegensatz zu unserem Antrag Drucksache 412, den wir mit Umdruck 193 wieder aufleben lassen. Er sieht einen Rechtsanspruch der gegen Arbeitslosigkeit Versicherten auf eine Arbeitslosenunterstützung vor.
Wie ist nun der Ausschuß für Arbeit mit Mehrheit zu seiner abweichenden Entscheidung gekommen? Die als sachverständig hinzugezogene Verwaltung — es waren Herren der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und des Landesarbeitsamtes Berlin — haben mit der von ihnen vorgeschlagenen Fassung, der sich der Ausschuß angeschlossen hat, die Möglichkeit der Aussiebung der Antragsteller offenhalten wollen. Das ist nach unserer Meinung nicht möglich. Wer als Versicherungspflichtiger — wo immer auch — Beiträge bezahlt, muß eine Leistung dafür erhalten.
Vor politisch nicht erwünschten Elementen muß sich die Insel Berlin natürlich schützen; aber das tut sie seit Jahren auf eine andere Weise. Ein im sowjetisch besetzten Sektor wohnender Berliner kann in Berlin eine Arbeit nur annehmen, wenn sein zukünftiger Arbeitgeber beim Landesarbeitsamt eine Arbeitsgenehmigung für ihn beantragt und erhält. Er wird sie jedoch in der Regel nur erhalten, wenn der Arbeitsuchende glaubhaft machen kann, daß er erstens im Ostsektor Berlins aus politischen Gründen gemaßregelt worden ist oder daß er zweitens zur Sparte der in Berlin knappen Facharbeiter gehört oder aber drittens seit der Spaltung Berlins, also seit 1948, in West-Berlin gearbeitet hat. Außerdem muß er, um zum Lohnumtausch — 66 2/3 % Ostmark und 33 1/3 % DM (West) — zugelassen zu werden, nochmals einen Antrag stellen. Die Lohnumtauschkasse in Berlin ist eine Selbsthilfeeinrichtung auf Ausgleichsbasis der Sektorengrenzgänger und läßt Leute, die gegen die demokratischen Grundregeln verstoßen haben, nicht am Umtausch teilnehmen. Diese Sicherungen sind vielleicht für das Bundesgebiet etwas ungewöhnlich, aber sie sind in Berlin notwendig, werden seit Jahren durchgeführt und haben sich bestens bewährt.
Wenn nun aber ein Arbeitnehmer aus dem sowjetisch besetzten Teil Berlins diese Hürden genommen hat, dann werden ihm wie jedem anderen Arbeitnehmer hier auch selbstverständlich die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung und für die Krankenversicherung abgezogen. Er muß nun, wenn er arbeitslos wird, auch das Recht haben — das will unser Antrag erreichen —, Arbeitslosenunterstützung zu beziehen. Ich sagte schon einmal: die in der veränderten Fassung des Ihnen vorliegenden Gesetzes eingefügte Kann-Bestimmung gibt ihm nicht das Recht. Es entspricht aber wohl dem Versicherungsprinzip wie auch dem Rechtsempfinden, daß bei einem Beitrag auch ,eine Leistung erfolgen muß.
Das Landesarbeitsamt in Berlin wußte natürlich, daß hier ein Unrecht an Versicherungspflichtigen begangen wurde. Rechtlich konnte es sich auf den Gesetzestext stützen, der die Wohnsitzklausel vorsieht, d. h. jeder Arbeitnehmer muß sich dort arbeitslos melden, wo er wohnt. Moralisch hat es sich darauf gestützt, daß es nur einem kleinen Personenkreis eine Arbeitslosenunterstützung gewährte. Mein Herr Vorredner sagte schon: Wir haben 30 000 Arbeitnehmer, die in West-Berlin arbeiten. Zur Zeit unterstützt das Landesarbeitsamt bei besonderer Notlage, die nachgewiesen werden muß, 16 Arbeitnehmer. Schon an diesen Zahlen können Sie ersehen, wie ungleich das Verhältnis ist; denn wir haben selbstverständlich mehr Arbeitslose. Das Landesarbeitsamt aber hielt diesen Personenkreis so klein, weil es fürchtete, und mit Recht fürchtete, von der Bundesanstalt in Nürnberg regreßpflichtig gemacht zu werden.
Die Zahl der Beitragzahlenden — 30 000 — und die Zahl der Unterstützungsempfänger stehen also
in keinem Verhältnis zu den wirklichen Zahlen. Hier muß eine Abänderung geschaffen werden. Die jetzt vom Ausschuß vorgelegte Gesetzesänderung gibt der Verwaltung in Berlin eine gesetzliche Grundlage, nach der sie auch verlangt hat, aber sie gibt ihr nur die Grundlage, einen von ihr bestimmten und ausgesuchten Personenkreis zu unterstützen. Das war nicht der Sinn unseres ursprünglich vorgelegten Antrags Drucksache 412. Wir wollten, daß die 30 000 im sowjetisch besetzten Sektor Berlins Lebenden und in West-Berlin Arbeitenden und ihre Familien wissen, daß sie, wenn sie das Unglück haben sollten, arbeitslos zu werden, die gleichen Rechte haben wie jeder im Bundesgebiet arbeitende und wohnende Bürger.
Wir bitten Sie deswegen, diese Menschen nicht unter ein Ausnahmerecht zu stellen — das würde geschehen, wenn Sie den jetzt vorliegenden Antrag annähmen —, sondern sich unserem Änderungsantrag Umdruck 193 anzuschließen. Damit verpflichten Sie das Landesarbeitsamt Berlin, jedem Beitragszahler die im zustehende Unterstützung auch wirklich zu zahlen.