Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht damit gerechnet, daß dieser Antrag, der mir doch im Gegensatz zu Ihrer Meinung, sehr geehrter Herr Kollege Reitzner, eine Aktualität zu haben scheint,
eine so ausgedehnte Grundsatzdebatte über den Gesamtkomplex der Vertriebenenprobleme und -fragen auslösen würde. Herr Kollege Reitzner, ich mache Ihnen das Kompliment, daß Sie es in einer reizenden Form getan haben, auch bei Ihren Kritiken, die ohne weiteres angekommen sind. Sie können auch da nicht so sehr laut sein, weil Sie mit vielen von uns unter derselben Vorbelastung stehen, trotz aller Mühe, trotz fünf oder sechs ganztätigen Sitzungen in einer Woche in den Jahren 1949, 1950 und 1951 dieses sehr schwierige Problem des Lastenausgleichsgesetzes nicht früher unter Dach und Fach gebracht zu haben. Der Kollege K a t her hat es da allerdings etwas einfacher. Er ist nicht mit diesen jahrelangen, mühevollen Anstrengungen um dieses Gesetz so behaftet gewesen wie wir. Er war nur ab und an zur Stelle.
Aber das sei ihm verziehen. Es war heute eine sehr schöne Gelegenheit, mit seinen langjährigen Freunden Abrechnung zu halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag hätte eigentlich — es ist schade, daß sich das Haus schon so stark geleert hat — zu einer breiten Besinnung auf ein außerordentlich wichtiges und aktuelles Thema führen sollen. Daß sich innerhalb der Heimatvertriebenenwirtschaft in den letzten ein, zwei Jahren erhebliche Verschiebungen
und Änderungen vollzogen haben, ist vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so beobachtet worden, wie es hätte beobachtet werden sollen. Wer sich in dieser schwierigen und so wichtigen Aufgabe persönlich stark eingesetzt hat und auch die vor Jahren angesiedelten Betriebe laufend betreut, der kennt diese Änderung und weiß um diese Wandlung.
Sie sind bei den bisherigen Reden nicht aufgeklungen. Ich möchte sie deshalb zur Ergänzung und unter Vermeidung von sonstigen Wiederholungen hier feststellen.
Uns ist doch wohl allen geläufig, daß die Heimatvertriebenen- und Flüchtlingsbetriebe in ihren ersten Gründungsjahren zum Teil mit Fachrichtungen und Produktionsrichtungen zu uns kamen, die hier nur verschwindend wenig oder zum Teil auch gar nicht vertreten waren, und daß sie deshalb in eine außerordentliche günstige Konjunktur hineinkamen, so daß sie jahrelang einen günstigen Verkäufermarkt ausnutzen konnten. Was sie mit alten Maschinen und in der Regel der Fälle unzulänglichen Kapitalausstattungen überhaupt zu produzieren in der Lage waren, wurde ihnen aus der Hand gerissen. Zahlungen im voraus waren nicht selten, Zahlungen durch die Abnehmer am Tage der Lieferung lange die Regel und Zahlungen nach kurzer Frist nach erfolgter Lieferung auch noch lange der Fall.
Seit etwa zwei Jahren haben sich diese Dinge erheblich geändert, seit wir allgemein den Übergang vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt haben. Jetzt haben auch diese Betriebe ihre 60-Tage-Frist
und dann fallweise noch drei Monate Akzeptgewährung, und dann kommen sie auf die berühmte etwa halbjährige Kreditierung. Meine Damen und Herren, da zeigt sich erst ihre Schwäche, da zeigt sich die mangelnde Liquidität. Nun mußten sie, wie es nun mal üblich ist, wenn nicht genügend Eigenkapital und besonders auch Betriebskapital zur Verfügung steht, auf den Weg der Kreditnahme bei ihren Lieferanten, bei ihren Rohstoff- und Halbfertigwarenlieferanten gehen. Und siehe da: hier stießen sie auf das völlige Fehlen von Sicherungsreserven; denn - da pflichte ich Ihnen, Herr Kather, natürlich völlig bei — bei den doppelten und dreifachen Sicherungen bei der Erstausstattung ist von ihren Realwerten ja praktisch nichts als Sicherungsreserve in Rückhalt geblieben. Sie werden - das muß einmal in aler Kraßheit gesagt werden — zunehmend kreditunfähig gegenüber ihren Lieferanten, denen gegenüber sie aber auf Kreditfähigkeit zwingend angewiesen sind.
Das wirft nun das Problem in dieser Zeit ganz besonders stark auf. Wenn wir es noch verbinden mit dem aktuellen Anlaß, daß der Finanz- und Steuerausschuß nun einmal die Generallinie bezogen hat, möglichst mit allen Vergünstigungen und Sonderbestimmungen aufzuräumen, dann ist hier Alarm geboten, und dann ist dieser Antrag durchaus aktuell. Vielleicht, verehrter Herr Kollege Götz, hätten wir ihn interfraktionell stellen sollen. Dann wäre wahrscheinlich einiges an Schärfe oder Wettbewerb hier vermieden worden. Denn es ist kein Anliegen von Ihnen oder vom BHE oder von uns oder von den Damen und Herren der SPD, sondern es ist ein Anliegen der ganzen Wirtschaft. Ich meine auch nicht nur diese 2500 Neubetriebe mit mehr als 10 Beschäftigten, sondern vielmehr die 460 000 neuen Arbeitsplätze, die sie geschaffen und begründet haben.
Aber darauf beschränkt sich die Bedeutung noch nicht einmal! Wo sind sie denn hingegangen, wo haben sie denn begonnen? Dort, wo sonst niemand den Mut dazu gehabt hätte, in diesen Trümmerstätten, ehemaligen Muna, in Drecklöchern haben sie angefangen!
Sie haben damit Enormes geleistet, abgesehen von den Millionenwerten, die sie im Export zu verzeichnen haben. Sie haben Entscheidendes zur Sanierung unserer wichtigsten Notstandsgebiete beigetragen.
Meine Damen und Herren, es gibt schon eine ganze Reihe von stark konzentrierten Flüchtlingsbetriebsorten, in denen es nicht einmal bei der Behebung der strukturellen Arbeitslosigkeit der dort zusammengeballten heimatvertriebenen Menschen geblieben ist. Nein, sie haben schon ausgegriffen in die breitere Umgebung und haben auch notleidende einheimische Wirtschaftsgebiete, zu klein strukturierte Landwirtschaft, nicht genügend beschäftigtes Handwerk und Kleingewerbe mit saniert. Die Leistungen, die diese Heimatvertriebenenwirtschaft in diesen wenigen Jahren erbracht hat, nicht nur zur Wiederbegründung ihrer eigenen Existenz und zur Beschäftigung hauptsächlich ihrer eigenen Schicksalsgefährten, sondern darüber hinaus für die Allgemeinheit, sind so entscheidend, daß hier Vorsorge getroffen werden muß, damit sie nicht notleidend wird. Es sind ganz ohne Frage in der jüngsten Vergangenheit Neubetriebe notleidend geworden, die es nicht zu werden brauchten, wenn sie entweder früher besser ausgestattet oder laufend besser betreut worden wären.
— Sehr richtig, Kollege Kuntscher! Genau das, was ich sagen wollte.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Antrag sollte Anlaß dazu geben, daß wir uns in den zuständigen Ausschüssen mit diesen Dingen im Detail beschäftigen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Bundeswirtschaftsministerium eine sehr breite Erhebung angestellt hat über die Kapitalausstattung der Neubetriebe. Es ist schon erschreckend, wenn festgestellt wird, daß sich innerhalb des Zeitraums von 1949 bis 1952 das Eigenkapital von 40 '% im Jahre 1949 auf 22 % im Jahre 1952 verringert hat und wenn nach einer parallel laufenden Erhebung von elf überprüften Wirtschaftszweigen von nur zweien festgestellt werden konnte, daß sich ihre Anlagewerte mit dem Eigenkapital decken. Deshalb ist es ein besonderes Anliegen meiner Parteifreunde, daß dieser Antrag auch dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß überwiesen wird. Damit möchten wir dokumentieren, daß es sich hier nicht um eine Sonderangelegenheit handelt, nicht um einen Sektor der Wirtschaft, sondern praktisch um die gesamte Wirtschaft der Bundesrepublik.