Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reformdes Bauvertragsrechts und zur Änderung derkaufrechtlichen MängelhaftungDrucksache 18/8486Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Als Erstem erteile ich dasWort für die Bundesregierung Bundesminister HeikoMaas .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Den Traum von den eigenen vier Wänden haben vie-le Menschen . Für 30 Millionen Deutsche ist er Realität:Sie wohnen im eigenen Haus . Auch die ökonomischeBedeutung der Bauwirtschaft ist enorm: 175 MilliardenEuro wurden im vergangenen Jahr im Wohnungsbau in-vestiert .Weil das Bauwesen sowohl für den Einzelnen als auchfür unsere Wirtschaft so wichtig ist, brauchen wir hierGesetze, die vor allen Dingen transparent und fair sind .Deshalb wollen wir zwei große Reformen angehen .Erstens . Wir wollen die Regelungen für den Bau-vertrag in das Bürgerliche Gesetzbuch aufnehmen . Daskommt dann allen Bauherren und Unternehmern zugute .Zweitens . Wir wollen das Kaufrecht verbessern fürden Fall, dass Handwerker mangelhaftes Material kaufenund bei ihren Kunden einbauen .Meine Damen und Herren, für die große Mehrheit derMenschen ist der Bau eines eigenen Hauses die größtefinanzielle Investition ihres Lebens. Der Hausbau ist fürsie oft mit Risiken verbunden . Verzögerungen oder uner-wartete Mehrkosten können bis an ihre finanzielle Exis-tenz gehen . Trotz dieser Bedeutung gibt es im geltendenRecht nur ganz vereinzelt Vorschriften, die den Bauherrnals Verbraucher schützen . Unser Werkvertragsrecht fälltda weit hinter andere Rechtsgebiete zurück, in denen eseinen viel umfassenderen Schutz für Verbraucherinnenund Verbraucher gibt . Außerdem sind die Regelungen,die wir haben, auch nicht sehr detailliert .Das BGB soll für alle Arten von Werkverträgen pas-sen . Aber der Bau eines Wohnhauses ist nun einmalkomplexer als die Reparatur eines Fahrrades . Das führtdazu, dass wichtige Fragen im Gesetz eben nicht aus-reichend geregelt sind . Die Lücken haben die Gerichtein der Vergangenheit durch die Rechtsprechung gefüllt .Aber was ist die die Folge davon? Das Bauvertragsrechtist nicht mehr transparent . Es ergibt sich nicht mehr ausdem Gesetz, was ist und was nicht ist . Das ist für dieVerbraucherinnen und Verbraucher dann auch nicht mehrzu überblicken .Wir wollen deshalb mit der Reform mehr Schutz fürVerbraucherinnen und Verbraucher erreichen, und wirwollen auch mehr Übersichtlichkeit und Genauigkeitim Bauvertragsrecht schaffen . Wir fügen dazu ein neuesKapitel zum Verbraucherschutz in das Werkvertragsrechtdes Bürgerlichen Gesetzbuches ein . Es enthält vor allenDingen vier große Neuerungen .Erstens . Wer einen Bauvertrag abschließt, soll überseine Entscheidung noch einmal nachdenken können, sowie in anderen Rechts- und Vertragsgebieten auch . Un-ser Gesetzentwurf gibt den Verbraucherinnen und Ver-brauchern ein Widerrufsrecht . 14 Tage lang können siedann auch die finanziellen Folgen ihres Tuns noch einmalsorgfältig abwägen .
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Zweitens. Wir verpflichten die Unternehmer dazu,sich verbindlich auf eine Bauzeit festzulegen . Damit Ver-braucherinnen und Verbraucher mehr Planungssicherheithaben, muss in Bauverträgen künftig verbindlich gere-gelt werden, wann der Bau fertiggestellt wird .Drittens. Unternehmer sind zukünftig verpflichtet,Unterlagen über das Bauvorhaben zu erstellen und diesedann herauszugeben . Wer einen Förderkredit beantragenwill, muss schwarz auf weiß haben, dass er die Förder-bedingungen seiner Bank auch einhält . Nach Ende derBauarbeiten muss der Bauherr belegen können, dass sogebaut wurde, wie geplant worden war .Viertens. Wir wollen das Recht flexibler machen. EinHausbau dauert Monate, manchmal sogar Jahre . In die-ser Zeit können sich die Wünsche und Bedürfnisse allerBeteiligten ändern . Deshalb treffen wir faire Regelungen,wie die Vertragspartner mit neuen Entwicklungen umge-hen können .Meine Damen und Herren, all diese Punkte bedeu-ten nicht nur mehr Verbraucherschutz, sie schaffen auchmehr Rechtssicherheit . Das ist wichtig für die Unterneh-men . Bislang werden Bauunternehmer oft unnötig starkbelastet . Das gilt etwa, wenn Änderungen angeordnetwerden, die zu Mehrkosten führen . Für solche Fälle ha-ben wir in unserem Entwurf die Berechnungsgrundlagenüberarbeitet, damit Unternehmer auch dann noch zu ei-ner angemessenen Vergütung kommen . Das gilt aberauch, wenn der Bauherr Mängel reklamiert . In Zukunftdürfen Abschlagszahlungen wegen Mängeln nicht mehrkomplett verweigert werden, sondern nur noch teilweise .Mit der Reform des Bauvertragsrechtes erreichen wiralso beides: mehr Verbraucherschutz für den Bauherrn,aber auch mehr Fairness für den Bauunternehmer .
Meine Damen und Herren, um einen fairen Interes-senausgleich geht es auch im zweiten Teil unseres Ge-setzes . Wir wollen den Handwerkern gegenüber ihrenZulieferern mehr Rechte geben . Manchmal verursachenbereits kleine Mängel große Kosten, etwa bei einem Un-terputzventil . Das Produkt selbst kostet nur wenige Euro .Aber wenn ein mangelhaftes Ventil erst einmal eingebautist, dann kann der Aufwand, den Mangel zu beheben,enorm sein . Der Handwerker, der das kaputte Ventil beiseinem Baustoffhändler gekauft hat, kann natürlich einneues, fehlerfreies Ventil verlangen . Wenn er aber daskaputte Ventil bereits verbaut hat, bringt dem Handwer-ker dieses Recht nur wenig; denn er selbst schuldet demBauherrn ein mangelfreies Werk, und das bedeutet: Ermuss die Wand aufstemmen, das Ventil austauschen unddas Ganze neu verputzen . Bislang musste die Kosten derHandwerker selbst tragen; denn häufig traf den Baustoff-händler für den Produktmangel keine Schuld, zum Bei-spiel weil es einen nicht erkennbaren Fehler in der Pro-duktion gab . Wenn der Handwerker aber alle Kosten fürden Einbau selber tragen muss, dann kann das für einenMittelständler eine enorme Belastung sein . Und deshalbwollen wir an diesem Punkt etwas für viele Handwerkertun . Wir schlagen vor, dass der Handwerker künftig vonseinem Händler auch die Kosten für den Aus- und Einbaudes Ventils verlangen kann .
Aber wir wollen den Schwarzen Peter nicht einfachzum Baustoffhändler weiterschieben . Wir sorgen zu-gleich dafür, dass dieser leichter bei seinem eigenenLieferanten Rückgriff nehmen kann . In der Lieferkettekann also die Regressforderung künftig bis zu demje-nigen weitergereicht werden, der den Fehler tatsächlichverursacht hat, das heißt bei Produktionsfehlern bis zumHersteller .Meine Damen und Herren, mit diesem Entwurf ma-chen wir also etwas, was oft als unvereinbar galt . Wirstärken den Verbraucherschutz, und wir entlasten denMittelstand . Das geht, weil sich durch diesen Entwurfein roter Faden zieht: die gerechte Verteilung von Ver-antwortung .Gerade jetzt, da wir wegen großer Diskussionen undwegen der Wohnungsnot in Ballungsräumen Wohnraumbrauchen, ist unser Gesetzentwurf ein wichtiges Signalan Eigentümer und Unternehmer . Ihr baut, und wir sor-gen dafür, dass es dabei fair zugeht .Schönen Dank .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Karin Binder, Fraktion Die Linke .
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Besu-chertribünen! Zwei Legislaturperioden hat die Bundes-regierung gebraucht, um endlich eine Reform des Bau-vertragsrechts vorzulegen, um damit Verbraucherinnenund Verbraucher besser zu schützen . Menschen, die mitihrem eigenen Zuhause für ihr Alter vorsorgen, hat manbisher im Regen stehen lassen . Das ist unverantwortlich .Gerade beim Baurecht ist der Schutz von Verbraucherin-nen und Verbrauchern besonders wichtig . In der Regelfehlt hier die notwendige Fachkenntnis, um auf Augen-höhe mit Bauträgern und Baufirmen auch künftige Ver-träge auszuhandeln .Der Bezug der eigenen Wohnung oder des eigenenHauses ist für die meisten Menschen mit der größtenInvestition ihres Lebens verbunden . Über die Hälfte derFamilien hat ein bescheidenes Haushaltseinkommenzwischen 2 500 und 3 500 Euro im Monat . Sie geben für20 bis 30 Jahre einen Großteil dieses Einkommens in dieFinanzierung der eigenen Wohnung oder des Häuschens .Das ist für diese Familien mit hohen Risiken und auchmit Verzicht verbunden . Durch Baumängel entstehennicht selten unerwartete Mehrkosten, oder der Einzugwird durch eine längere Bauzeit verzögert . Eine Insol-venz des Bauunternehmens kann die ganze Existenz-grundlage der Häuslebauer vernichten . Bis heute gibtBundesminister Heiko Maas
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es in unserem Baurecht keine allgemeinen Regeln zumSchutz der Verbraucherinnen und Verbraucher . Eine Ge-setzesreform ist daher dringend notwendig .
Laut Experten gehört Pfusch am Bau heute leider zumAlltag und ist mittlerweile eher die Regel als die Ausnah-me . Immer öfter geht es auch um Betrug . Durch schlech-te Planung und Bauausführungen bleiben Häuslebauerjährlich auf Schäden von etwa 5 Milliarden Euro sitzen .
Etwa 45 000 Bauvorhaben enden pro Jahr im Gerichts-saal . Viele Betroffene werden durch fehlende rechtlicheRegelungen in den Ruin getrieben . Statt in die eigeneWohnung zu ziehen, müssen sie Kreditraten für eineBauruine zahlen und wohnen weiter zur Miete . Das mussein Ende haben; das müssen wir ändern .
Nun zum Gesetzentwurf der Bundesregierung . DerGesetzentwurf greift zahlreiche Empfehlungen der Run-de der Experten für Bauvertragsrecht auf . Bauunterneh-mer werden zu einer Baubeschreibung verpflichtet. Essoll verbindliche Vereinbarungen zur Bauzeit geben .Auch ein zweiwöchiges Widerrufsrecht für die Verbrau-cherinnen und Verbraucher soll es geben . Außerdem sol-len Obergrenzen für die Abschlagszahlungen eingeführtwerden . Das begrüßen wir ausdrücklich . Die Bauunter-nehmen werden auch verpflichtet, Bauunterlagen an dieBauherren herauszugeben . All das ist in Ordnung . Wirunterstützen außerdem, dass ein Bauunternehmer denAufwand für den Austausch fehlerhafter Produkte vonden Herstellern erstattet bekommt . Beispielsweise wirdder beim Austausch eines defekten Heizkörpers entste-hende Aufwand erstattet, den der Handwerker bisher al-lein zu tragen hatte . Gute Sache!Aber leider hat der Gesetzentwurf auch einige Bau-mängel zum Nachteil der Verbraucherinnen und Ver-braucher . Der Bundesrat und auch der Baugerichtstaghaben bereits darauf hingewiesen . Die Stellung der Ver-braucherinnen und Verbraucher wird dadurch gegenüberdem bisherigen Gesetzeszustand sogar verschlechtert .So ist völlig unzureichend beschrieben, was eigentlichder sogenannte Verbrauchervertrag ist . Es ist auch völliginakzeptabel, dass Verbraucherschutzregelungen nur beierheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehendenGebäude greifen sollen . Was ist denn dann zum Beispielmit Terrassen, Hofanlagen, Garagen, Carports oder Ne-bengebäuden? Auch übliche Einzelleistungen wie derRohbau eines Hauses oder der Einbau von Fenstern undTüren werden nicht in das neue Gesetzeswerk einbezo-gen . Die Folge wird sein, dass Unternehmer die Bau-vorhaben in zahlreiche Einzelverträge für jeden Bauab-schnitt aufsplitten . Wollen Sie das wirklich?Der Gesetzentwurf schweigt zu weiteren wichtigenAspekten des Sachverständigenverfahrens, zum Beispielzu der Frage: Wer darf als Sachverständiger tätig werden,und wann muss ein Gutachten erstellt sein? Bei Rechts-streitigkeiten sind das wichtige Faktoren . Wir haben daszu klären .
Auch die Regelungen zu Nachtragsforderungen reichennicht aus, um die Verbraucher angemessen zu schützen .Durch eine unvollständige oder bewusst ungenaue Be-schreibung kann das Bauunternehmen weiterhin nach-träglich den Preis erhöhen . Das treibt Familien in diePleite .
Die weitverbreitete Praxis, dass Unternehmen vom Ver-braucher Abschlagszahlungen und zusätzlich noch eineSicherheit von 100 Prozent des Werklohns verlangen,ohne dass eine Fertigstellungsgarantie gegeben wird,muss unterbunden werden .
Die Höhe der Sicherheitsleistung muss, wie im Refe-rentenentwurf vorgesehen war, bei höchstens 20 Prozentgedeckelt werden . Zwingend erforderlich ist außerdem,dass die Vorleistungspflicht des Kunden ausgeschlossenwird. Häufig werden Verbraucherinnen und Verbrauchervertraglich genötigt, vor der Schlüsselübergabe 100 Pro-zent des Vergütungsanspruchs an die Werkunternehmerauszuzahlen . Damit bringen sie eine risikoreiche Vor-leistung und können später berechtigte Mängelansprüchekaum noch durchsetzen . Das darf so nicht bleiben .
Bauchschmerzen bereitet mir auch die Regelung zurAbnahme des Bauwerks . Problematisch ist, dass derBauunternehmer unter bestimmten Umständen allei-ne den Zustand des Bauwerkes beurteilen kann . Nach§ 650f des neuen Gesetzentwurfs soll der unkundigeVerbraucher gemeinsam mit dem Bauunternehmer, demFachkundigen, das Haus abnehmen . Baumängel, die erbei dieser Gelegenheit nicht angibt, kann er danach kaumnoch geltend machen .Weiter fordert die Linke: Die Insolvenzversiche-rung des Bauunternehmers sollte von 5 auf 10 Prozentder Bausumme erhöht werden; denn das Risiko einerFirmeninsolvenz ist nicht unerheblich und stellt für dieVerbraucherinnen und Verbraucher, für die Familien eineexistenzgefährdende Situation dar .Ferner sollten auch die Bauträgerverträge gemäߧ 650t, bei denen neben der Einrichtung des Hauses auchein Grundstück geschuldet wird, mit einem außerordent-lichen Kündigungsrecht zum Schutze der Familien undHäuslebauer versehen werden .
Der im Gesetz vorgesehene Ausschluss der Kündigungnimmt dem Bauherren die letzte Möglichkeit, sich in Fäl-len von grob vertragswidrigem Verhalten vom Bauunter-nehmen zu trennen .Dringend erforderlich ist außerdem ein Kündigungs-recht der Verbraucherinnen und Verbraucher bei Insol-Karin Binder
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venz des Bauunternehmens . Das muss gesetzlich gere-gelt werden .
Denn bei der Insolvenz erhöhen sich die finanziellen undzeitlichen Risiken für die Eigenheimbauer erheblich .Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dassweitere wichtige Regelungen fehlen . Wie beim gewerb-lichen Bau bereits üblich, sollte der sogenannte Gewähr-leistungseinbehalt von 5 Prozent der Bausumme gesetz-lich geregelt werden . Das ist notwendig wegen möglicherspäter auftretender Mängel .
Die Uhr!
Zusammenfassend stelle ich fest: Mit dem hier vor-
liegenden Entwurf zum Bauvertragsrecht planen Sie ein
Haus – das Dach ist allerdings undicht, und die Fenster
und Türen schließen nicht . Da sollte noch dringend nach-
gebessert werden . Lassen Sie uns diese Mängel ausräu-
men, bevor das Gesetz verabschiedet wird .
Danke schön .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr . Hendrik Hoppenstedt, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirbefassen uns heute Morgen mit einer zugegebenermaßenrelativ komplexen Materie, nämlich dem Bauvertrags-recht und der kaufrechtlichen Mängelgewährleistung .Beide Themen haben strenggenommen nichts miteinan-der zu tun . Allerdings besteht im Hinblick auf den Adres-satenkreis doch ein sachlicher Zusammenhang zwischenbeiden Regelungsmaterien: Es sind jeweils Werkunter-nehmer beteiligt, die durch das eine Vorhaben begünstigtund durch das andere Vorhaben belastet werden; mög-licherweise hilft das, die Kompromissfähigkeit zu erhö-hen .Sie gestatten mir zu Beginn einige Bemerkungen zurReform des Bauvertragsrechtes, bevor ich zu den geplan-ten Änderungen der Gewährleistung im Kaufrecht kom-me .Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verstän-digt, den Verbraucherschutz bei Bau- und Dienstleistun-gen für Bauherren und Immobilieneigentümer auszubau-en, insbesondere im Bauvertragsrecht . Mit der Reformdes Bauvertragsrechtes stellt die Koalition die rechtli-chen Rahmenbedingungen für Bauvorhaben insgesamtauf ein neues und stabiles Fundament . Zugebenermaßenrechtsästhetisch eher unschön, aber wohl unvermeidbar,ist die Nummerierung der Paragrafen von 650a bis 650u .Wer des Alphabets mächtig ist, wird feststellen, dassnach „u“ nur noch eine Handvoll Buchstaben verbleibt,dann sind wir mit dem Alphabet durch .Lassen Sie mich zu Beginn auf den Reformbedarfeingehen . Das Werkvertragsrecht des BGB ist bislang inerster Linie auf den kurzfristigen, punktuellen Austauschvon Leistung und Gegenleistung angelegt . Nicht zuletztdie Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht in der letzten Wahl-periode und der Baugerichtstag haben gezeigt, dass dasWerkvertragsrecht nicht geeignet ist, die Durchführungeines komplexen, auf längere Zeit angelegten Bauvor-habens abzubilden . Deshalb wird das Bauvertragsrechtjetzt erstmals ausführlich im BGB geregelt . Für den Bau-vertrag, den Verbraucherbauvertrag, für den Architekten-und Ingenieurvertrag werden spezielle Regelungen indas Werkvertragsrecht eingefügt . Das ist die größte Än-derung des BGB seit der Schuldrechtsreform 2002 undsetzt die Anpassung des BGB an eine immer komplexereLebenswirklichkeit erfolgreich fort .Meine Damen und Herren, ein Kernpunkt der Reformist die deutliche Erhöhung des Verbraucherschutzes beiBauverträgen; der Minister hat es schon angesprochen .Weil die meisten Verbraucher nur ein einziges Mal in ih-rem Leben ein Haus bauen und sich dafür zumeist hochverschulden müssen, sind sie auch besonders schutzbe-dürftig . Sie bekommen deshalb ein 14-tägiges Widerrufs-recht, wir begrenzen die Höhe der Abschlagszahlungen,und wir fordern detaillierte Baubeschreibungen, damitVerbraucher realistisch vergleichen und sich für das qua-litativ beste Angebot entscheiden können . Das führt imInteresse der Verbraucher zu einem fairen Wettbewerb,der über die Qualität statt über den Preis geführt wird .Davon profitieren übrigens auch insbesondere die solidekalkulierenden Bauunternehmen .Alle Bauverträge, unabhängig davon, ob ein Verbrau-cher Bauherr ist oder nicht, haben gemeinsam, dass sieauf eine längere Erfüllungszeit angelegt sind . Dieser Tat-sache soll vor allem durch die Einführung eines einseiti-gen Anordnungsrechts des Bestellers Rechnung getragenwerden, mit dem zugleich Regelungen zur Preisanpas-sung und zur rechtlichen Durchsetzung verbunden sind .Wir brauchen einen Dreiklang aus Anordnung, Vergü-tungsanspruch und zügiger Rechtsdurchsetzung .Zum größten Knackpunkt, dem Anordnungsrecht:Kaum ein Bauprojekt wird so gebaut, wie es geplantwird . Während der Bauausführung können sich Wünscheund Bedürfnisse verändern . Die geplanten Neuregelun-gen erleichtern es dem Bauherrn, den Vertragsinhalt –idealerweise im Einvernehmen mit dem Bauunterneh-men – an den sich ändernden Bedarf anzupassen . Da eineEinigung nicht immer gelingt, wird das einseitige Anord-nungsrecht des Bauherrn eingeführt .Dabei ist völlig klar, dass das Anordnungsrecht einscharfes Schwert und auch ein massiver Eingriff in dieVertragsfreiheit ist, und aus diesem Grund äußert dieBauwirtschaft auch deutliche Kritik . Im Interesse der zü-gigen Abwicklung von Bauvorhaben ist das Anordnungs-Karin Binder
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recht meines Erachtens jedoch sinnvoll und gerade nochverhältnismäßig . Tatsächlich habe ich den Eindruck, dassgar nicht das einseitige Anordnungsrecht an sich so pro-blematisch gesehen wird – nicht ohne Grund wird es jain der VOB/B bereits seit vielen Jahren so praktiziert –;vielmehr steht hinter der Kritik die verständliche Be-fürchtung der Bauunternehmer, für ihre Leistungen nichtschnell und ordentlich bezahlt zu werden oder im Streit-fall keine zügige Rechtsentscheidung zu bekommen .Damit komme ich zum zweiten Knackpunkt, zur Fra-ge der Vergütung . Damit der Unternehmer die infolgeder Änderung gegebenenfalls geschuldete Mehrleistungnicht ohne Vergütung erbringen muss und um ihn vor Li-quiditätsengpässen zu schützen, kann er eine 80-prozen-tige Abschlagszahlung, basierend auf seinem ursprüng-lichen Angebot, fordern . Dahinter steht die Idee, dassder Unternehmer zumindest einen Teil der geschuldetenMehrvergütung auf jeden Fall zügig erhalten soll .Allerdings stellt sich die Frage, wie erreicht werdenkann, dass das ursprüngliche Angebot des Unternehmersangemessen ist . Der vorangegangene Einigungsversuchist ja gerade deswegen gescheitert, weil dem Bauherrndie Preisvorstellung des Unternehmers zu hoch war . Hiermüssen wir noch Regelungen finden, die zu einem ange-messenen interessengerechten Ausgleich führen .
– Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet .
Aber Sie sind stets eingeladen, zu applaudieren .
Schönen Dank!
– Das sollten Sie öfter tun, bei der Union zu applaudie-ren .
Dritter Diskussionspunkt ist die Frage der zügigenStreitbeilegung . Jeder Tag Stillstand auf der Baustellekostet viel Geld . Längere Streitigkeiten sind für privateHäuslebauer kaum finanzierbar. Aber auch für kleine undmittelständische Bauunternehmen und Bauhandwerkersind langwierige und kostenintensive Streitigkeiten einInsolvenzrisiko . Deswegen muss die Rechtsdurchset-zung schneller werden .
Ich bin skeptisch, ob der im Gesetzentwurf geübte Ver-zicht auf die Erforderlichkeit der Glaubhaftmachung desAnordnungsgrundes in einer einstweiligen Verfügungnun so unbedingt der große Wurf ist .Hinzu kommt: Verfahren in Bau- und Architektensa-chen sind extrem komplex . Selbstverständlich sind alleunsere Richterinnen und Richter exzellente Juristen .Aber nicht alle können logischerweise automatisch Bau-vertragsrechtsexperten sein; wie auch? Es bleibt damitunsicher, ob der Richter am Landgericht, bei dem derAntrag auf einstweilige Verfügung landet, in kurzer Zeitden Streitgegenstand sachgerecht entscheiden kann, ins-besondere dann, wenn das Landgericht gar keine Bau-kammern eingeführt hat .Die Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht hat deshalb zurschnellen und effizienten Streitbeilegung die Einführungeiner sogenannten Bauverfügung empfohlen . In einembeschleunigten vorläufigen gerichtlichen Erkenntnisver-fahren würden die Streitigkeiten kurzfristig geklärt . ZurEntscheidung berufen wären in jedem OLG-Bezirk be-sonders qualifizierte Richterinnen und Richter. Ich haltediese Idee zumindest für bedenkenswert .
Meine Damen und Herren, ich komme nun zum zwei-ten Teil des Gesetzentwurfs, zur kaufrechtlichen Mängel-gewährleistung . Mit dem Gesetzentwurf verbessern wirdie Rechtsstellung der Handwerker und der sonstigenWerkunternehmer . Der Verkäufer einer mangelhaften Sa-che, die bestimmungsgemäß verbaut worden ist, ist künf-tig im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet, entwederderen Ausbau sowie den Einbau einer mangelfreien Sa-che selbst vorzunehmen oder die entsprechenden Kostenzu tragen . Da der Verkäufer den betreffenden Produkt-fehler regelmäßig ebenfalls nicht zu vertreten hat, be-kommt er eine Regressmöglichkeit gegenüber seinemVorlieferanten .Ziel meiner Fraktion ist es, die ungerechte Haftungs-falle für Handwerker zu beseitigen, aber zugleich auchden berechtigten Interessen anderer Branchen, insbe-sondere des Handels, des produzierenden Mittelstandessowie der Industrie, Rechnung zu tragen . Bei dieserZuweisung von Haftungsrisiken geht es darum, dass imRegelfall derjenige die Kosten zu tragen hat, der für denProduktmangel verantwortlich ist . Deshalb legen wir imHinblick auf abweichende Vertragsklauseln in allgemei-nen Geschäftsbedingungen fest, dass ein Ausschluss odereine Begrenzung dieser Haftung gegenüber Verbrauchernunwirksam ist . Dies wird aufgrund der Indizwirkung des§ 309 BGB grundsätzlich auch für allgemeine Geschäfts-bedingungen gelten, die gegenüber Unternehmern ver-wendet werden .Dem Handwerk geht das aber nicht weit genug . Esmöchte darüber hinaus die vorgeschlagene Regelung zu-sätzlich AGB-fest machen, das heißt, eine ausdrücklicheRegelung haben, nach der der Verkäufer auch im unter-nehmerischen Geschäftsverkehr keine Klausel in seineAGB aufnehmen darf, die seine Nacherfüllungspflichtauf die Lieferung einer mangelfreien Sache begrenzt .Unser Koalitionspartner steht laut einer Pressemittei-lung vom 31 . Mai dieses Jahres, also vor kurzer Zeit, die-sem Anliegen aufgeschlossen gegenüber und stellt sichDr. Hendrik Hoppenstedt
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somit gegen den Gesetzentwurf des eigenen Bundesmi-nisters .
So viel fast schon revolutionäres Eigenleben sind wir inletzter Zeit von Ihnen gar nicht gewohnt gewesen . Daskommt nicht unbedingt jeden Tag vor .
Der Bundesrat hat sich übrigens Ihrer Forderung ange-schlossen . Heiko Maas hat diese Forderung in seinerStellungnahme und Erwiderung abgelehnt . Ich muss sa-gen: Wo der Mann recht hat, hat er recht .
Auch der Handel, der produzierende Mittelstand und dieIndustrie sprechen sich dagegen aus, die Forderung desHandwerkes und des Bundesrates aufzugreifen .Nachdem die Beseitigung der Haftungsfalle für Hand-werker ein Anliegen ist, das auf Initiative der Union inden Koalitionsvertrag hineingekommen ist – das darf ichin aller Bescheidenheit anmerken –,
verstehen wir ganz gut, dass die Kollegen von der SPDversuchen, beim Handwerk wieder Boden gutzumachen,und sich deswegen der Forderung nach AGB-Festigkeitanschließen . Aber das ist rechtsdogmatisch leider der fal-sche Weg und rechtspolitisch überflüssig.
Das ist spätestens dann zu erkennen, wenn man sichdas von Sigmar Gabriels Wirtschaftsministerium heraus-gegebene Ergebnispapier der AG „Rechtliche Rahmen-bedingungen“ der Plattform Industrie 4 .0 anschaut . Darinsteht, dass die ausufernde Anwendung von AGB-rechtli-chen Restriktionen im B2B-Bereich, also innerhalb derWirtschaft, kritisiert wird . Die Industrie erwartet deshalbnegative Auswirkungen auf die Attraktivität des deut-schen Rechts im grenzüberschreitenden unternehmeri-schen Geschäftsverkehr und damit Schaden für den deut-schen Wirtschaftsstandort insgesamt .Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag habenwir uns darauf verständigt, dass Handwerker nicht pau-schal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzenbleiben sollen . Das heißt umgekehrt aber nicht, dass Un-ternehmer und auch Handwerker Verbrauchern pauschalgleichgestellt werden sollten . Es gibt zweifelsfrei vieleschutzwürdige Unternehmen . Für die gilt die Indizwir-kung . Wegen der besonderen Interessen und Bedürfnis-se des unternehmerischen Geschäftsverkehrs kann eineentsprechende Klausel zwischen Unternehmern jedochim Einzelfall ausnahmsweise als angemessen angesehenwerden und zulässig sein . Mit der geplanten Regelungwird der kleine Handwerksbetrieb ausreichend geschützt .Es müssen aber bei der Bewertung der AGB-Klau-seln die besonderen Verhältnisse des unternehmerischenGeschäftsverkehrs zumindest im Einzelfall möglichbleiben . Es wäre doch beispielsweise absurd, wenn einRestpostenhändler, der Fliesen aus Insolvenzmassen zueinem Spottpreis verkauft, die Übernahme der Aus- undEinbaukosten nicht abbedingen und von seinem Käuferin Regress genommen werden könnte, obwohl er selbstaufgrund der Insolvenz seines Lieferanten diese Regress-kette ja nicht nutzen kann .Deswegen setzt sich die Union dafür ein, dass zu-mindest ein gewisses Maß an Gestaltungsspielraum, dasheißt Vertragsfreiheit, erhalten bleibt . Zugleich haltenwir gegenüber den Handwerkern Wort und lassen sie beiden Aus- und Einbaukosten nicht im Stich .
Alles in allem ist der von Ihnen, Herr Minister Maas,vorgelegte Gesetzentwurf eine gute Diskussionsgrundla-ge . Ich möchte den vielen Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern Ihres Hauses, die dafür gearbeitet haben, einmaldanken . Jetzt kommt es darauf an, dass wir in diesem Ho-hen Haus ein gutes Gesetz daraus machen .Herzlichen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-ordneten Christian Kühn, Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen .Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Besuche-rinnen und Besucher auf der Tribüne! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Heiko Maas,ich finde es erst einmal schön, dass Sie zur Kernzeitde-batte hier im Plenum anwesend sind .
Das ist in den letzten Wochen nicht bei allen Ministe-rinnen und Ministern so gewesen . Und jetzt möchte ichnicht, dass Sie erschrecken; denn hier ist heute ja schonEiniges passiert, was nicht alltäglich ist . Auch meineRede beginnt heute nicht alltäglich – zumindest in Zeitender Großen Koalition .
Wo Sie sich ja in der Großen Koalition eher durch Ge-zänk und Streit auszeichnen,
Dr. Hendrik Hoppenstedt
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möchte ich Sie persönlich – nicht nur die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter Ihres Hauses, sondern Sie persön-lich – heute hier loben .
Ich will Sie loben, weil Sie dieses Lob auch verdient ha-ben – und das ist ernst gemeint –,
weil Sie das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechtszwar langsam und sicherlich nicht in allen Detailrege-lungen in der Form, die man sich wünschen würde, abereben doch auf den Weg gebracht haben, und das ist einFortschritt im Verbraucherschutz . Ich glaube, das mussauch Opposition einmal anerkennen, dass diese Regie-rung zwar nicht alles und nicht vieles, aber manchmal einbisschen was ganz gut macht .
Ich fände es schön, wenn auch der eine oder andereKollege aus der Union und auch der SPD jetzt hier klat-schen würde, wenn die Opposition einmal etwas Positi-ves über diese Regierung sagt .
Und dennoch:
Der politische Prozess zum Bauvertragsrecht war lang,und das ist eigentlich symptomatisch, wie ich finde, fürdie Themen Bauen und Wohnen, für das Thema Verbrau-cherschutz sowie das Thema Immobilien. Ich finde, beidiesen Themen hat Ihre Regierung die Entdeckung derLangsamkeit zu einem Prinzip gemacht . Diese Entde-ckung der Langsamkeit, die Sie da sozusagen zelebrie-ren, haben Sie bühnenreif umgesetzt . Sie bewegen sicheinmal in die eine Richtung, dann wieder in die andere .
Sie wanken hin und her, gehen ein bisschen vor, dann gibtes eine Wortmeldung von Herrn Luczak zu irgendeinemThema, dann gibt es eine Pressemitteilung oder ein Po-sitionspapier der SPD oder des SPD-Ministers . Aber ansich kommen Sie eigentlich bei fast allen Themen nichtrichtig vorwärts . Sie sollten mit diesen Trippelschrittenvielleicht eher bei Let’s Dance auftreten, als vorzugeben,dass Sie wirklich etwas für Verbraucherinnen und Ver-braucher auf den Weg bringen . Ich glaube, das muss manan dieser Stelle schon auch festhalten .
Darum hoffe ich jetzt inständig, dass mein Lob auchetwas bewirkt, nämlich, dass Sie sich jetzt nicht beirrenlassen von denjenigen, die versuchen, dieses gute Ver-braucherschutzgesetz, das zukünftige Eigentümerinnenund Eigentümer in Deutschland schützen soll, zu durch-löchern, dass Sie das nicht verzögern und nicht auf dielange Bank schieben, sodass es dann vielleicht dochnicht mehr in dieser Legislaturperiode zustande kommt .Bleiben Sie als Koalition hier standhaft, verfahren Siehier nicht nach Art von Let’s Dance, sondern halten SieKurs – sowohl im parlamentarischen Verfahren als auchin den Wortmeldungen in der Presse . Ich glaube, daswäre ganz gut .Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich glau-be, hier müssen Sie auch aufpassen . Sie dürfen sich hier,auch wenn die Worte jetzt ganz schön klingen, nicht überden Tisch ziehen lassen, wie das in der Vergangenheitzum Beispiel bei der Mietpreisbremse
oder bei anderen Gesetzen der Fall war .Wir brauchen ein starkes Bauvertragsrecht . Bleiben Siedeshalb auch hier standhaft!
Ich habe nicht nur die heutige Debatte, sondern denganzen Prozess der Reform des Bauvertragsrechts so ver-standen, dass sich eigentlich alle Experten einig sind: Esist ein gutes Gesetz, es bringt Klarheit und Schutz fürVerbraucher, und es schützt Handwerker vor Regressfor-derungen . Deswegen sollten wir es in einem schnellenVerfahren einvernehmlich durch das Parlament bringen .
2015 wurden in Deutschland Baugenehmigungen für115 000 Ein- und Zweifamilienhäuser und 66 000 für Ei-gentumswohnungen erteilt . Und das ist – das ist heuteschon mehrfach hier gesagt worden – für viele Menschendas Investment ihres Lebens . Ich glaube, hier braucht eseinen besonderen Schutz . Gerade in der derzeitigen Nie-drigzinsphase, in einer Zeit, in der die Immobilienmärkteüberhitzt sind und das Bauen immer teurer wird, muss derStaat einen besonderen Schutz vorsehen . Ich glaube, dasswir das mit diesem Gesetz ein Stück weit hinbekommen .Doch es fehlt noch relativ viel . Damit sind wir wieder beider Politik . Sie machen zwar einen kleinen Schritt nachvorne, aber er hätte eigentlich viel größer sein müssen .Die Aktivitäten von Bauträgern auf den überhitztenImmobilienmärkten in Baden-Württemberg und anders-wo zurzeit erinnern mich nicht an die soziale Marktwirt-schaft;
sie legen vielmehr eine Wildwestmanier an den Tag, beider auch Verbraucher über den Tisch gezogen werden .Hier bedarf es endlich einer Änderung beim Bauträger-recht . Wir brauchen ein eigenständiges Bauträgerrecht,das Verbraucherinnen und Verbraucher in DeutschlandChristian Kühn
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effektiv schützt . Hier haben wir eine Gesetzeslücke, unddiese muss endlich geschlossen werden .
Wenn wir über Eigentümer in Deutschland reden,dann müssen wir auch diejenigen miteinbeziehen, die be-reits eine Eigentumswohnung haben .
Ich warte im Augenblick nicht nur darauf, dass wir dasVerfahren auf den Weg bringen, um Qualifizierungsvo-raussetzungen für WEG-Verwalter festzulegen, sondernauch darauf, dass endlich das WEG-Recht angepacktwird . In einer Niedrigzinsphase mit überhitzten Märktenmuss es doch mehr Informationsrechte und mehr Trans-parenz geben, wenn man eine Eigentumswohnung alsBestandsimmobilie kauft. All das findet nicht statt. Des-wegen muss, glaube ich, auch beim WEG-Recht deutlichnachgebessert werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie schüt-teln gerade den Kopf . Hier könnten Sie etwas für Eigen-tümer in Deutschland tun . Es reicht nicht, nur über dieWiedereinführung der Eigenheimzulage zu philosophie-ren, sondern der Verbraucherschutz muss beim ThemaEigentum endlich richtig durchdekliniert werden .
Sie sollten hier nicht nur einen kleinen Schritt vorange-hen, sondern wirklich einmal ein paar Schritte; denn dasist absolut notwendig .
Wenn wir über Verbraucherschutz bei den ThemenWohnen und Immobilieneigentum reden, dann muss manauf jeden Fall auch das Mietrecht miteinbeziehen . Gera-de in einer Kernzeitdebatte gehört das dazu .Mieterinnen und Mieter sind Verbraucher, und Miet-recht ist letztlich auch ein Recht, das Mieterinnen undMieter schützt, und damit auch Teil des Verbraucher-schutzes . Wann kommt eigentlich die von Ihnen verspro-chene Reduzierung der Modernisierungsumlage, die Sieim Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossen haben?Wann kommt das endlich? Ich sehe es leider nicht . DieUnion blockiert das . Ich glaube, wenn man in Großstäd-ten Wahlen gewinnen will, dann muss man sich auchGedanken darüber machen, wie man die Probleme derMenschen dort aufgreift .
Deswegen rate ich Ihnen: Machen Sie sich darüber Ge-danken, wie Sie die Modernisierungsumlage so refor-mieren, dass niemand mehr von dieser asozialen Praxisdes Heraussanierens betroffen ist – weder in Berlin nochanderswo!
Nun zur Union: Ihr zentrales Wahlkampfversprechenbeim Thema Mieten und Wohnen in Deutschland war dieMietpreisbremse .
Die Kanzlerin selbst hat versprochen, dass sie die Miet-steigerungen in Deutschland bremsen wird . Die Studi-en zur Mietpreisbremse zeigen aber klar: Sie haben dieMietpreisbremse verzögert und durchlöchert . Deswegenfunktioniert sie nicht .Erinnern Sie sich an die Worte der Kanzlerin vomSommer 2013, dass sie die Mietsteigerungen in Deutsch-land bremsen will! Gehen Sie in einer zweiten Miet-rechtsnovelle gemeinsam mit der SPD den Weg, endlichzu einer funktionsfähigen Mietpreisbremse in Deutsch-land zu kommen . Dabei werden wir Sie unterstützen;denn das brauchen wir, damit die Immobilienmärk-te nicht weiter aus dem Ruder laufen und damit wederzukünftige Eigentümer und Eigentümerinnen noch dieMieterinnen und Mieter belastet werden .
Ich hoffe, dass Sie bei dem vorliegenden Gesetz nichtversagen . Es ist ein guter Anfang . Sie müssen jetzt stand-haft bleiben . Ich hoffe, dass Sie das Prinzip der Lang-samkeit, das Sie auszeichnet, und den Streit, für den Siestehen, beim Thema Bauen, Wohnen und Verbraucher-schutz abstreifen können . Fangen Sie endlich an, zu han-deln! Ich finde, der Druck ist enorm. Lösen Sie endlichIhr Versprechen bei den Verbrauchern und beim Mieter-schutz ein! Dann gibt es vielleicht öfter ein Lob der Op-position, sowohl Applaus von der Linken als auch vonhier vorne am Rednerpult .Danke schön .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr . Johannes Fechner, SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-be Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Nachin der Tat intensiven Vorbereitungen und Gesprächen inden verschiedensten Gremien können wir heute in ers-ter Lesung über den Entwurf eines Gesetzes beraten, dasfür Verbraucher, Handwerker, Bauunternehmer und vorallem für Bauherren viele Verbesserungen bringen wird,und zwar so viele, dass ich mich in meiner Rede auf eini-ge wenige beschränken muss .Wir geben mit diesem Gesetz Verbrauchern, die Bau-material verbauen, das sich hinterher als mangelhaftChristian Kühn
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erweist, endlich einen Rechtsanspruch, dass sie vomVerkäufer des mangelhaften Materials nicht nur neues,mangelfreies Material fordern können, sondern auch denErsatz der Kosten für Aus- und Wiedereinbau . Das ist nurrecht und billig; denn es ist, wie ich finde, Sache des Ver-käufers, dafür zu sorgen, dass seine gelieferte Ware keineMängel hat .Wie sieht es nun aber aus, wenn ein Handwerker diemangelhafte Ware bei einem Verbraucher eingebaut hat?Bislang bleibt der Handwerker auf seinen Aus- und Ein-baukosten sitzen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurfsoll das nun geändert werden, und nicht nur dem Ver-braucher, sondern gerade auch dem Handwerker – unsals SPD ist das besonders wichtig – wird gegenüber sei-nem Baustofflieferanten ein Anspruch auf Ersatz dieserKosten eingeräumt . Das ist nur gerecht . Deswegen soll-ten wir das so machen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
In der Tat sieht der Gesetzentwurf zu unserem Miss-fallen vor – Kollege Hoppenstedt hat es angesprochen –,dass der Baustofflieferant gegenüber dem Handwerkerdie Haftung für die genannten Kosten abbedingen kann .Das ist wiederum nicht gerecht; denn gerade kleine undmittlere Betriebe haben oft nicht die Stellung und diePosition, um entsprechende Klauseln in den AGBs ihrerLieferanten wegverhandeln zu können .Der Gesetzentwurf geht zwar davon aus, dass Ge-richte zu dem Ergebnis kommen mögen, dass entspre-chende AGB-Gestaltungen unwirksam sind . Aber dasmüssen die Handwerker erst in langwierigen und oft teu-ren Prozessen erstreiten. Ich finde, wir können es nichtzulassen, dass aufgrund einer solchen Regelung geradekleine und mittlere Betriebe ihrem Geld hinterherrennenmüssen . Das kann ja, wenn die Forderung eine gewis-se Höhe erreicht, wirklich existenzbedrohend sein . Ichfinde es deshalb gut, dass Herr Billen schon angedeutethat, für einvernehmliche Vorschläge aus den Fraktionenoffen zu sein . Ich habe auch mit Interesse zur Kenntnisgenommen, dass Sie, Frau Kollegin Strothmann, unserePosition teilen und sich dafür offensichtlich einsetzen .So falsch, Herr Kollege Hoppenstedt, können wir alsoda nicht liegen .Abschließend zu diesem Punkt: Wir brauchen letzt-lich für das Handwerk die klare Regelung, dass Ein- undAusbaukosten vom Lieferanten der mangelhaften Warezu tragen sind .
Im Bauvertragsrecht schaffen wir wesentliche Ver-besserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher .Kernstück ist das Anordnungsrecht des Bauherrn . Gele-gentlich wird bezweifelt, dass wir so etwas brauchen . Ichmöchte Ihnen anhand eines Beispiels aus meiner eigenenBautätigkeit den Grund nennen, warum wir ein solchesAnordnungsrecht brauchen .Meine Gattin und ich haben im letzten Februar einenBauvertrag unterschrieben . Wenige Wochen danach hatsie, als ich in einer Sitzungswoche in Berlin war, TineWittlers Baushow Einsatz in 4 Wänden, eine dem Fach-publikum bekannte Sendung, angesehen .
Dort sah sie ein Treppenhaus, das sie unbedingt habenwollte . Ich erhielt sofort den Auftrag von ihr, mit demBauunternehmer nachzuverhandeln und eine Änderungdurchzusetzen .
Wir haben das dann einvernehmlich hinbekommen . Aberin der Praxis ist es oft so, dass ein solcher Änderungs-wunsch nicht einvernehmlich umgesetzt wird . Deswe-gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir einegesetzliche Grundlage, um von dem eigentlich geltendenGrundsatz „Verträge sind einzuhalten“ – pacta sunt ser-vanda – abzuweichen .
Immobilien nutzt man ja Jahrzehnte bzw . ein Leben lang .Deswegen muss es möglich sein, auch nach dem Bauver-tragsabschluss solche Änderungswünsche umzusetzen .Im Sinne der Bauunternehmen haben wir die Rege-lung vorgesehen, dass ein Rechtsanspruch auf Umset-zung eines Änderungswunschs nur dann besteht, wenn esfür den Bauunternehmer zumutbar ist und wenn er eineentsprechende Mehrvergütung bekommt .Diese Regelung ist also sinnvoll . Wir sollten die Erfül-lung von Änderungswünschen auch nach Bauvertragsab-schluss ermöglichen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Gerade im Bauvertragsrecht haben alle Beteiligten eingroßes Interesse daran, dass es nicht zu Bauverzögerun-gen kommt . Gut ist deshalb am vorliegenden Gesetzent-wurf, dass wir ausdrücklich Regelungen zur Beschleu-nigung und zur Lösung von Streitigkeiten vorsehen .Wir haben erstmals eine Definition, was überhaupt einWerkvertrag ist . Verbraucher bekommen einen Rechtsan-spruch auf Übersendung einer Baubeschreibung . Es wirddas Widerrufsrecht – genauso wie bei vielen anderenVertragstypen – geregelt . Und es muss zudem eine ver-bindliche Angabe zur Bauzeit geben . Das sind wichtigeVerbesserungen, die wir hiermit vornehmen . Wenn selbstdie Linke hier zustimmend nickt, dann muss es ja wohlein guter Gesetzentwurf sein .
Wichtig ist, dass wir praktikable Regelungen finden.Ich finde, wir sollten prüfen, ob es nicht sinnvoll ist, eineSchriftform für den Änderungswunsch zu festzulegen,klare Fristen für die Abgabe und die Annahme der Än-derungswünsche zu setzen und sich anzuschauen, ob wirdas System zur Berechnung der Mehrvergütung klarerregeln .Dr. Johannes Fechner
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Insgesamt, meine Damen und Herren, enthält dieserGesetzentwurf also zahlreiche Verbesserungen für Ver-braucher, für Handwerker, für Bauunternehmen und fürdie Bauherren . Jetzt gilt es, diesen Entwurf an einigenwenigen Stellen noch zu verbessern . Für mich und dieSPD gehören hierzu ganz eindeutig die AGB-feste Rege-lung, dass Handwerker ihre Ein- und Ausbaukosten auchim B2B-Verhältnis umsetzen können, und die Präzisie-rung des Genehmigungsrechts an manchen Stellen .
Herr Kollege .
Insgesamt ist es ein gelungener Gesetzentwurf . Herz-
lichen Dank an das Justizministerium und an alle, die in
den verschiedensten Gremien dazu Vorarbeit geleistet
haben .
Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Alexander Hoffmann
für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Kollege Kühn, Sie haben zu sehr vielem gesprochen –ich würde sagen, es war eher ein bisschen Wahlkampf –:etwa zum Wohnungseigentumsgesetz und zum Miet-preismarkt . Ich habe an dieser Stelle etwas ganz Verrück-tes vor . Ich will nämlich tatsächlich zum vorliegendenGesetzentwurf sprechen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen denSatz: Das Handwerk hat goldenen Boden . Damit dieserSatz Geltung beanspruchen kann, brauchen wir zwei Din-ge: Wir brauchen eine prosperierende Wirtschafts- undMarktlage, und wir brauchen praxistaugliche gesetzlicheRahmenbedingungen . Gerade für Letzteres sind hier imHause die Rechtspolitiker zuständig . Nach der Schuld-rechtsreform im Jahr 2000 gilt es, zwei Handlungsfelderzu beleuchten und uns für die dort vorhandenen Pro-bleme Lösungen zu überlegen .Handlungsfeld Nummer eins ist das Werkvertrags-recht . Wenn man genauer hinschaut, muss man fest-stellen, dass das Werkvertragsrecht – es ist heute schonangeklungen – noch nicht tauglich ist für die speziellenAnforderungen im Baubereich . Das liegt vor allem anvier Komponenten .Erstens ist es so, dass die Werkerbringung im Baube-reich oftmals über einen längeren Zeitraum stattfindet.Zweitens ist die Erbringung oftmals gegliedert in eineVielzahl von Abschnitten .Drittens ist es nicht nur im Hause Fechner so, dass imRahmen der Bauerbringung dem Auftraggeber oder derAuftraggeberin immer wieder neue Ideen kommen, wasman noch alles machen könnte .Viertens dreht es sich – das ist, glaube ich, ganz wich-tig – vor allem für Bauherren immer um eine Rahmen-größe, die letztendlich ein existenzielles Ausmaß an-nimmt . Viele Menschen bauen nur einmal im Leben undwenden dafür dann einen Großteil ihres Vermögens auf .Handlungsfeld Nummer zwei ist das Kaufrecht . Diedort vorhandene Lücke geht seit Jahren zulasten desHandwerks . Stellen Sie sich folgenden Fall vor – dieseKonstellation ist vorhin schon dargestellt worden –: EineTrockenbaufirma hat den Auftrag, ein Dachgeschoss zudämmen und auszubauen . Der Auftrag wird erledigt,und die Trockenbaufirma bezieht eine Dampfsperre, diefehlerhaft ist . Sie hat Löcher, ist damit luftdurchlässig,sodass Feuchtigkeit in die Dämmung eindringen kann .Das wird entdeckt, nachdem eingebaut worden ist . Dannhat der Bauherr gegen die Trockenbaufirma Anspruchauf Lieferung einer neuen Dampfsperre, aber auch aufAus- und Einbau und Tragung der Kosten . Das Problemist, dass dann kein Rückgriff möglich ist . Die Trocken-baufirma hat gegen den Lieferanten nur Anspruch aufLieferung einer mangelfreien Dampfsperre . Das ist eineLücke, die es zu schließen gilt .Ich freue mich, dass die Forderung der Union, dieseLücke zu schließen – Kollege Hoppenstedt hat es vorhinschon dargestellt –, durch unseren Impuls Niederschlagim Koalitionsvertrag gefunden hat . Heute können wir,wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf anschauen,sagen: Jawohl, wir liefern . Wir regeln hier die Rechts-verhältnisse ähnlich wie im Verbrauchsgüterkauf . Es gibteine eigene Anspruchsgrundlage, ein echtes Rückgriffs-recht . Deswegen sage ich: Allein die Vorlage dieses Ge-setzentwurfs macht diesen Tag zu einem guten Tag fürdie Handwerker .
Wir sollten das parlamentarische Verfahren selbstver-ständlich nutzen, um uns noch einmal gründlich das Fürund Wider vor Augen zu führen, inwieweit hier nun nocheine AGB-Festigkeit erforderlich ist oder die Rechtspre-chung in diesem Bereich, insbesondere die Indizwirkungvon § 307 BGB – Sie haben es vorhin angesprochen –,ausreichend ist .Nun zurück zum ersten Themenfeld: die bessere An-passung des Werkvertragsrechts an die Erfordernisseim Baubereich . Ich will auf zwei Themen eingehen, zu-nächst auf die Abschlagszahlungen, § 632a BGB . Bisherist es so, dass sich die Höhe der Abschlagszahlungen amWertzuwachs orientiert, den der Auftraggeber durch dieLieferung und den Einbau der Sache erlangt . Das ist imEinzelfall bisweilen schwierig zu beurteilen, weil natür-lich gerade der Verbindungs- oder Einbauvorgang eineganz andere Wertentwicklung mit sich bringen kann .Deswegen, glaube ich, ist die vorgeschlagene Neurege-lung ein guter Schritt . Jetzt soll sich die Abschlagszah-lung an dem Wert der erbrachten Leistung orientieren .Das ist im Einzelfall zweifelsfrei festzustellen; denn esergibt sich letztendlich aus dem Leistungsverzeichnis .Dr. Johannes Fechner
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Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister,wir sollten eine Stelle der Neuregelung unbedingt hin-terfragen und uns überlegen, ob wir sie so beibehaltenwollen . In der Neufassung ist die frühere Regelung ge-strichen, dass die Verweigerung einer Abschlagszahlungwegen unwesentlicher Mängel nicht möglich sein soll .Das war in der Vergangenheit eine ganz wichtige Klar-stellung . Ich bekomme aus meinem Wahlkreis und gera-de auch aus der Handwerkerschaft in Bayern sehr vieleRückmeldungen . Dort besteht die große Angst, dass man,wenn man diese Klarstellung streicht, dem MissbrauchTür und Tor öffnet, dass dann nämlich wegen unwesent-licher Mängel Abschlagszahlungen verweigert werden .Das sollten wir dringend überdenken .Das zweite Thema, auf das ich im Bereich des Werk-vertragsrechts noch eingehen will, ist die Abnahme, ge-regelt in § 640 BGB . Bisher ist es so, dass die Fälligkeitder Werklohnforderung dann hinausgeschoben wurde,wenn der Auftraggeber fristgerecht die Verweigerung derAbnahme erklärt hat . Dafür brauchte er in der Vergan-genheit aber keine Gründe anzugeben. Deswegen findeich es im Interesse der Handwerkerschaft sehr gut, dassdie Neuregelung fordert, dass die Verweigerung auch dieBenennung der Gründe beinhalten muss . Damit könnenwir letztendlich, ich sage jetzt mal, bestimmte Winkel-züge, bestimmte Missbräuche, die nur dazu dienen, amSchluss die Fälligkeit der Werklohnforderung hinauszu-zögern, verhindern .Noch eine Ergänzung: Wenn die Verweigerung derAbnahme mit der Benennung der Mängel formuliertist, dann – das halte ich für sehr gelungen – findet ein,ich sage jetzt mal, Wechselspiel statt . Der Handwerkerhat nämlich dann einen Anspruch auf Zustandsfeststel-lung . Ich glaube, das ist für die Praxis ein ganz wichtigerPunkt . Es wird der Zustand, der Status quo, draußen aufder Baustelle festgestellt . Das schafft letztendlich Klar-heit für den Fall, dass später die Diskussion aufkommt:Wer trägt die Verantwortung für später entdeckte Män-gel? Ich glaube, das ist ein weiteres wirklich praxistaug-liches Instrument .Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich amEnde zusammenfassen: Ich glaube, wir haben mit diesemEntwurf eine gute Arbeitsgrundlage . Er bringt vor allemfür die Handwerkerschaft viele Pluspunkte . Es gibt denRückgriffsanspruch. Es gibt die Begründungspflicht beider Abnahmeverweigerung . Es gibt den Anspruch aufZustandsfeststellung . Es gibt darüber hinaus noch dieSicherungshypothek und die Bauhandwerkersicherung .Daneben bekommt aber auch der Kunde als Verbraucherviele Schutzkomponenten neu eingeräumt . Zu nennen istdie umfassende Informationspflicht in der Baubeschrei-bung . Es gibt das Widerrufsrecht; das ist schon angeklun-gen . Und es gibt den Mindestinhalt beim Bauvertrag . AlsMindestinhalt müssen zukünftig der Zeitplan und derFertigstellungstermin aufgenommen werden . Ich glau-be, auch das ist eine praxistaugliche Ergänzung, die amSchluss den Verbraucherinnen und Verbrauchern in un-serem Land hilft .Alles in allem, meine Damen, meine Herren, ein guterAnfang! Bringen wir es im vor uns liegenden parlamen-tarischen Verfahren gut voran und gut zu Ende!Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Sabine Poschmann ist die nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuhörer! Als Mittelstandsbeauftragteder SPD-Bundestagfraktion begrüße ich den Gesetzent-wurf ausdrücklich . Auf vielen Veranstaltungen, die ichbesuchte, wurde gerade der Punkt „Wer übernimmt dieFolgekosten bei Produktmängeln?“ als Problem darge-stellt . Aus meiner Aussage auf den Veranstaltungen „Wirarbeiten daran“ ist heute ein „Wir haben fertig“ gewor-den . So ganz fertig sind wir jedoch meiner Meinung nachnicht . Denn wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen,dass zum Beispiel der Handwerker nicht mehr auf denFolgekosten für den Ein- und Ausbau fehlerhafter Pro-dukte sitzen bleibt, dürfen wir keine abweichenden Re-gelungen zulassen .
Unternehmen untereinander haben bisher die Mög-lichkeit, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungenabweichende Regelungen zu treffen . Für sie gilt das so-genannte Klauselverbot nicht . Die Marktmacht größererUnternehmen birgt damit die Gefahr, dass diese sich ihrerVerantwortung entziehen und der Kleine auf den Kostensitzen bleibt .Wenn zum Beispiel ein Handwerker Parkett verlegensoll, muss er Dämmmaterial und Parkett kaufen; klar .Dabei wird er den Geschäftsbedingungen des Händlerszustimmen . Stellt der Kunde später fest, dass die unterdem Parkett verlegte Dämmung keinerlei Wirkung zeigt,wird er Nachbesserung verlangen . Das zu ersetzendeMaterial ist relativ günstig; der zeitliche Aufwand, dasGanze wieder herauszureißen, ist relativ hoch . Deshalbist es richtig, dass der Handwerker eine Erstattung desMaterials und der Ein- und Ausbaukosten vom Händlerverlangen kann .Hat der Händler in seinen Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen eine Erstattung der Kosten für den Ein- undAusbau ausgeschlossen, bleibt dem Handwerker im bes-ten Fall eine Kulanzregelung oder der Klageweg . Aber,meine Damen und Herren: Kann sich der Handwerker indiesem Fall gegenüber dem Händler durchsetzen?Bleiben wir beim Beispiel Parkettverleger . Ein durch-schnittlicher Betrieb erwirtschaftet einen Jahresumsatzvon rund 250 000 Euro . Der Marktführer unter den Bau-märkten machte 2015 in Deutschland rund 3,9 Milliar-den Euro Umsatz . Die Verteilung der Kräfte zwischenden Vertragspartnern könnte folglich nicht größer sein .Alexander Hoffmann
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Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einer AGB-festenRegelung Rechtssicherheit zu schaffen . In diesem Punktwürden wir auch die Position des Bundesrates stützen .Ich lade Sie ein, gemeinsam an einer Formulierung zuarbeiten, sodass wir im weiteren Verfahren noch zu ent-sprechenden Änderungen kommen .Herzlichen Dank .
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Baupo-litiker, der die Debatte eben sehr intensiv verfolgt hat,kann ich sagen: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg .Die Feinjustierung, die noch notwendig ist, werden wirhinbekommen . Wir sprechen ja über die Änderung derkaufrechtlichen Mängelhaftung und die Reform des Bau-vertragsrechts . Das sind zwei wesentliche Punkte, diezum einen mit dem Verbraucherschutz und zum anderennatürlich auch mit der Rechtssicherheit in der Bauwirt-schaft zu tun haben .Lassen Sie mich als Baupolitiker sagen: Die Bauwirt-schaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, denwir in unserem Land haben . Die Bauwirtschaft ist dieKonjunkturlokomotive in unserem Land oder – wennwir hier die falschen Entscheidungen treffen – eben auchnicht . Die Diskussionen über die Mietpreisbremse unddie Modernisierungsumlage, die wir geführt haben, sindsicherlich wichtig und richtig . Aber diese Instrumen-te dienen nur dazu, die Symptome, die wir spüren, zumildern . Am Ende ist es wichtig, dass wir bauen, bauen,bauen und dafür Sorge tragen, dass sich der Markt ent-spannt und auf ihm tatsächlich auch alle Akteure arbeitenkönnen .
Natürlich gehören zum Bauen Auftraggeber . Sie müs-sen wir besonders schützen . Verbraucherschutz hat füruns oberste Priorität . Gerade im Baubereich, in dem esum langfristige Investitionsentscheidungen geht, vielGeld in die Hand genommen wird und die Bauherren,gerade Familien, ein hohes Risiko eingehen, kommt esdarauf an, sie zu schützen und ihnen dabei zu helfen, die-ses Risiko zu minimieren .Oft ist es so, dass Familien an Mehrkosten verzwei-feln oder der Bauträger bzw . das Bauunternehmen in dieInsolvenz geht . In solchen Fällen benötigen sie unsereHilfe . Deswegen ist es auch richtig, dass wir diese beidenVorhaben – die Änderung der kaufrechtlichen Mängel-haftung und die Reform des Bauvertragsrechts – mitei-nander verknüpft haben .Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir uns in derjetzt anstehenden Debatte und in den Diskussionen inden Fachgremien miteinander auf einige Prinzipien, aufdie ich im Folgenden eingehe, verständigen sollten . DieVertragsfreiheit ist in unserer Gesetzgebung ein wichti-ges Gut . Wir sollten also nur das regeln, was notwendigist, und nichts überzogen regeln . Vielmehr sollten wir,soweit es geht, die Möglichkeit geben, dass Partner ihrenVertrag frei miteinander regeln können . Aber es gibt na-türlich Dinge, die wir regeln müssen . Wir müssen dafürsorgen, dass wir gleiches Recht für alle gelten lassen . Dasgilt für den Auftraggeber, also für den Bauherrn, genausowie für das Bauunternehmen, das in den allermeisten Fäl-len sorgfältig und termingerecht den Bau ausführt .Wir sollten darauf achten, dass wir den Grundsatz desVerbindenden zwischen den beiden Vertragspartnern he-rausstellen und nicht zwingend das Trennende . Genausogehört dazu, möglichst dafür Sorge zu tragen, dass dieEinigung der Vertragspartner ohne Rechtsstreit und ohneandere Auseinandersetzungen im Mittelpunkt stehenmuss .Risiken bestehen auf beiden Seiten: Einerseits stehtvielleicht die Existenz des Verbrauchers, des Auftragge-bers auf dem Spiel, wenn man unfair miteinander um-geht . Andererseits muss man vor allen Dingen auch dievielen kleinen Handwerker, die kleinen Bauunternehmensehen und nicht zuletzt auch die Mitarbeiter, die 2, 3, 5,10 oder 20 Mitarbeiter eines Bauunternehmens, derenExistenz, wenn es zu unbilligen Härten kommt, unterUmständen auch auf dem Spiel stehen kann . Deswegensind die Verbesserungen bei den Ein- und Ausbaukostenfür die Handwerker und für die kleinen Bauunternehmenso wichtig und existenziell .Meine Bitte an uns alle, so, wie wir hier zusammensind, ist, dass wir dieses Gesetzesvorhaben, das jetzt indie Ausschüsse geht, nicht verzögern, sondern es zügigzum Abschluss bringen . Das hilft den Unternehmen .Es ist richtig und gut, dass wir mit den Änderungen imBereich der Ein- und Ausbaukosten die Geschäftsbezie-hung – ich sage jetzt nicht Business, denn wir sind ja hierim Deutschen Bundestag – zwischen dem gewerblichenBereich und den Endkunden, aber auch zwischen denGewerblichen untereinander geregelt haben, und zwarinnerhalb der gesamten Lieferkette bis hin zu den Ver-ursachern .Natürlich ist es so – auch wenn ich sage, dass wir dasnicht in die Länge ziehen, sondern zügig zum Abschlussbringen sollten –, dass wir sicherlich noch Feinjustie-rungs- und Diskussionsbedarf im Bereich des Bauver-tragsrechts haben . Es ist erst einmal richtig, dass wir dortRegelungen treffen . Denn – einer meiner Vorredner hates gesagt – wir haben zwar das Werkvertragsrecht, aberdas ist ja eher terminlich, punktuell ausgelegt, wohinge-gen das Bauvertragsrecht den gesamten Zeitablauf, derim Baubereich ja nun einmal über einen längeren Zeit-raum geht, besser abbildet . Daher ist es sinnvoll, die Re-gelungen dort zu treffen .Aus meiner Sicht ist weitgehend unstrittig – natürlichkam dazu Kritik aus der Bauindustrie –, dass wir Festle-gungen zu Mindestanforderungen treffen müssen, auchzu terminlichen . Ich glaube, das hilft allen und am Endeauch dem Bauunternehmer, weil mehr RechtssicherheitSabine Poschmann
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gegeben ist . Dies bildet die Grundlage, auf der man sichfair untereinander einigen kann, ohne dass es zu Ausein-andersetzungen kommt .
Ich bin auch der Meinung, dass es ein Anordnungs-recht geben muss . Das ist ganz unstrittig . Wer das Risikoauf sich nimmt und eine Investition tätigt, muss auch dieMöglichkeit haben, Änderungen durchzusetzen . Aber esmuss auf der anderen Seite – das meine ich mit fairemAusgleich – für denjenigen, der es umsetzen muss, ver-hältnismäßig bleiben . Das heißt, er muss tatsächlich auchdie Befähigung haben . Er muss die notwendige Technikdafür haben . Er muss vielleicht auch das Personal dafürhaben . Es muss auch in seinen sonstigen Bauablauf hi-neinpassen . Deswegen ist es wichtig und richtig, dassman an der Stelle genau hinschaut, sodass eine sinnvolleRegelung für beide Seiten herauskommt . Wir reden inder Baukostensenkungskommission natürlich auch überdie Senkung der Baukosten. Ein großer Teil sind Vorfi-nanzierungskosten, die letztendlich der Bauunternehmertragen muss . Das kann man nicht überziehen . Da muss eseinen fairen Ausgleich untereinander geben .
Was ich noch ein bisschen kritisch sehe, gerade wennes um das Anordnungsrecht geht – ich glaube, KollegeHoffmann hat es schon angesprochen –, ist, dass trotz al-ledem Abschlagszahlungen in sinnvoller Art und Weisemöglich sein müssen; die vorher vereinbarte Möglichkeitder Abschlagszahlung darf nicht über die einseitige An-ordnungserlaubnis ausgehebelt werden . Hier muss alsoauch eine Regelung her, die für beide Seiten vernünftigund vertretbar ist .Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch eines sagen:Wir haben auf der einen Seite marktstarke Auftragneh-mer, also Bauunternehmen, die das vielleicht ausnutzenwollen, auf der anderen Seite haben wir unter Umständenaber auch sehr marktstarke Auftraggeber, die das natür-lich auch in ihrem Sinne ausnutzen wollen . Deswegen istes unsere Aufgabe als Gesetzgeber, hier dafür zu sorgen,dass es sowohl für die Verbraucher, den Endkunden, alsauch für die vielen seriösen, fleißigen Bauunternehmen,die jeden Tag in Deutschland tätig sind und für uns arbei-ten, fair und gerecht zugeht .Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 18/8486 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt
es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
haben wir die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutsch-indische Bildungs- und Wissen-
schaftskooperation ausbauen
Drucksache 18/8708
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
All denen, die sich jetzt auf dem Umweg über das
Büro auf den Weg ins Wochenende begeben, wünsche
ich ein sonniges und gemütliches Wochenende .
Nachdem diejenigen, die an der Debatte zu diesem Ta-
gesordnungspunkt teilnehmen wollen, die wenigen noch
freien Plätze eingenommen haben, eröffne ich nun die
Aussprache, für die nach einer interfraktionellen Verein-
barung 38 Minuten vorgesehen sind . – Einwände höre
ich keine . Also können wir so verfahren .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Stefan Kaufmann
für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Aus aktuellem Anlass darf ichals Obmann zunächst dem Sprecher der CDU/CSU-Frak-tion für Bildung und Forschung ganz herzlich zum heuti-gen Geburtstag gratulieren . Lieber Albert, ich denke, dastue ich auch im Namen des ganzen Hauses .
Indien ist ein Land der Extreme, aber auch extremspannend . Auf der einen Seite ist es ein Hightechland aufWeltniveau mit erfolgreichen Raketensystemen, einereigenen Raumfahrtagentur und rund 700 000 ITlern ineiner Stadt wie Bangalore, auf der anderen Seite findensich dort Armut – 30 Prozent der Menschen in Indien le-ben von weniger als 1,25 Dollar pro Tag –, Schmutz undheilige Kühe auf den Straßen . Dritte Welt! Es ist also einLand der zwei Geschwindigkeiten . Das ist meine Kurz-beschreibung unserer sehr harmonischen Delegationsrei-se nach Indien im letzten Jahr, die unserem Antrag heuteja auch zugrunde liegt .
Wie viel Potenzial in diesem Land steckt, kann mansehr gut an einer Zahl ablesen: Weniger als 5 Prozent allerPersonen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen,verfügen nach Regierungsangaben über eine beruflicheQualifikation. Für die jährlich rund 12 Millionen jungenMenschen, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, gibtVolkmar Vogel
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es bisher lediglich rund 4,5 Millionen Ausbildungsange-bote, die zumeist von äußerst geringer Qualität sind .Genau hier kommen wir ins Spiel, Deutschland alsLand des Mittelstandes . So heißt denn auch die neueStrategie der indischen Regierung „MIIM“, also „Makein India Mittelstand“ .Warum ist Deutschland als Partner so wichtig für In-dien? Deutschland ist der größte Handelspartner Indiensinnerhalb der EU, doch gewünscht ist von indischer Seitenoch viel mehr, wenn es nach der Regierung Modi geht .Das wurde auch vorgestern beim Deutsch-IndischenWirtschaftsdialog noch einmal deutlich . Deshalb gibt esseit dem Frühjahr speziell für deutsche Unternehmen ei-nen sogenannten „Fast track to India“ .Es gibt in Indien sechs Goethe-Institute . Derzeit neh-men dort jährlich etwa 17 000 Personen an Deutschkur-sen teil, und außerdem wird an zahlreichen Schulen inIndien die deutsche Sprache unterrichtet .Im Wintersemester 2014/15 waren rund 11 860 indi-sche Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrie-ben . Das entspricht einer Steigerung um 24 Prozent ge-genüber dem Vorjahr . Die Zahl deutscher Studierenderan indischen Hochschuleinrichtungen wird auf etwa1 000 geschätzt . In Deutschland bilden über 1 000 indi-sche Doktoranden die zweitgrößte Gruppe ausländischerPromotionsstudenten direkt nach der chinesischen . DasPotenzial für den Ausbau der Zusammenarbeit ist alsoriesig .In einem Bereich sind die Beziehungen zu Indien be-sonders eng, nämlich in der Forschung . Für Indien istDeutschland weltweit der zweitwichtigste Forschungs-partner hinter den USA . Die indische Wissenschaft ge-nießt auch in Deutschland einen exzellenten Ruf . Ich darfnur den Bereich Biotechnologie nennen .Im Jahr 2014 haben beispielsweise über 800 in-dische Wissenschaftler an Forschungsaufenthal-ten an Max-Planck-Instituten teilgenommen . DieMax-Planck-Gesellschaft unterhält gleich zweideutsch-indische Forschungseinrichtungen, das In-do-German Max Planck Center for Computer Scienceund das Max Planck Center on Lipid Research am Na-tional Center of Biological Sciences in Bangalore . DasErstere haben wir übrigens auf unserer Delegationsreisebesucht .Dann gibt es dort seit 2012 das Deutsche Wissen-schafts- und Innovationshaus in Delhi . 15 Konsortial-partner werden dort unter einem Dach zusammengeführt .Sie erleichtern indischen und deutschen Wissenschaft-lern sowie Studierenden den Aufbau von Kontaktenund erhöhen vor allem die Sichtbarkeit Deutschlandsals Wissenschafts- und Forschungsstandort . Seit 2012fanden laut eigenen Angaben des DWIH rund 50 000 di-rekte Kontakte mit Wissenschaftlern und Studierendendort statt . Weltweit gibt es im Übrigen nur sechs dieserDWIHs . Auch dies unterstreicht den großen Stellenwertder Forschungszusammenarbeit zwischen Deutschlandund Indien .Weiterhin unterhält Deutschland sein weltweit einzi-ges bilaterales Forschungsförderzentrum, das Indo-Ger-man Science and Technology Centre in Gurgaon – dasist in der Nähe von Delhi –, das wir auch in unseremAntrag explizit erwähnen . Es wird von Deutschland undIndien zu gleichen Teilen mit bisher jährlich 2 MillionenEuro und ab dem nächsten Jahr mit 4 Millionen Eurofinanziert. Es fördert bilaterale, anwendungsorientierteForschungsprojekte unter Einbeziehung von Unterneh-men auf beiden Seiten und ist deshalb, so finden wir, einvorbildliches Projekt .
Umgekehrt ist Indien auch an mehreren Großfor-schungseinrichtungen in Deutschland maßgeblich be-teiligt; Sie wissen das . Der indische Beitrag zum mul-tinationalen Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadtbeträgt rund 30 Millionen Euro . Das ist ein stattlicherBetrag . Auch in Nutzungsrechte des Teilchenbeschleuni-gers DESY in Hamburg hat Indien erheblich investiert .Schließlich ist Indien an ITER als einer von sieben Part-nern mit 9 Prozent maßgeblich beteiligt .Im November 2012 hat das Fraunhofer-Institut ein er-folgreiches Marketing-Office in Bangalore eröffnet, dasProjekte in Millionenhöhe für die deutsche Wirtschaftakquiriert . Übrigens gibt es in Bangalore – deshalb wa-ren wir dort gewesen – etliche große Forschungszentrendeutscher Konzerne . Bei unserem Besuch konnten wiruns von der hohen Qualität von Wissenschaft und For-schung persönlich überzeugen .Sie sehen, meine Damen und Herren, wie eng die For-schungszusammenarbeit mit dem Subkontinent ist undvor allem auch wie wichtig sie ist . Deshalb möchte ichjetzt nur drei Forderungen aus unserem Antrag hervorhe-ben, die mir besonders wichtig sind .Erstens . Wir müssen alles daransetzen, dass wir denStudierenden- und Wissenschaftleraustausch mit Indienweiter intensivieren . Da sind DFG, AvH und DAAD ge-fordert . Dies ist schon deshalb erfolgsträchtig, weil dieUnterrichts- und Landessprache Englisch ist und damitauch die Verständigung im Alltag unkompliziert ist .Zweitens . Ich habe die Zahlen bereits genannt: Wennnur etwa 5 Prozent der Bevölkerung über eine beruflicheQualifikation verfügen, ergibt sich hier ein enormes Po-tenzial . Dementsprechend müssen wir die duale Ausbil-dung in Indien insgesamt und besonders die Ausbildungvon Facharbeitern fördern .
Die Regierung Modi will bis 2022 500 Millionen Inderberuflich qualifizieren, ein wirklich gigantisches Projekt.Mein Kollege Thomas Feist wird mit Sicherheit zu die-sem Aspekt im Detail noch etwas sagen .Drittens . Wir sollten für eine ausreichende räumlicheAusstattung der deutschen Schule in Neu Delhi sorgen .Denn was bringt die Finanzierung von Lehrkräften undauch das enorm wachsende Interesse an der deutschenDr. Stefan Kaufmann
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Sprache, wenn die Räume nicht da sind, um die jungenMenschen zu unterrichten?
Zusammenfassend bin ich davon überzeugt, dass derindische Subkontinent als größte Demokratie der Weltmit seiner demografischen Entwicklung, seinem enormenPotenzial und auch dem großen Hunger auf Bildung undFortschritt ein besonders enger Partner für Deutschlandsein muss . Das hat übrigens auch die Bundesregierungrichtig erkannt, wie erst jüngst bei den Regierungskon-sultationen gezeigt wurde . Wissenschaft und Forschungspielen dabei eine ganz zentrale Rolle . Lassen Sie unsdiesen Weg gemeinsam weitergehen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielenDank auch an die Kollegen, dass wir diesen Antrag hiergemeinsam geschrieben haben und auch die Reise so har-monisch verlaufen ist .
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Rosemarie
Hein das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Oktober 2011 in Neu-Delhi, Nachmittag: Besuch einesindischen Grabmals mit Säulenhalle aus dem 17 . Jahr-hundert, eines von unzähligen wertvollen Objekten desindischen Kulturerbes, das restauriert werden soll . AmBoden sitzt eine Handvoll Männer mit Schutzbrille undMundschutz, die unter Anleitung eines Fachmannes fürDenkmalpflege Steinmetzarbeiten verrichten. Sie erhal-ten im Zuge dieser Restaurierungsarbeiten eine Ausbil-dung als Handwerker – ganz praktisch, ohne Schule .Zwei Tage später: Besuch in einer PASCH-Schule,also einer Schule aus dem Programm „Partner der Zu-kunft“, von denen es weltweit 1 800 gibt – nicht alle inIndien – und die eine verstärkte Vermittlung der deut-schen Sprache anbieten . Die jungen Leute zeigen uns en-gagiert ihre Schule . Natürlich sprechen sie Deutsch . Wirerleben ein trotz Schulferien eingeübtes Programm, eineKurzfassung indischer Geschichte – auch in Deutsch .Es ist klar, dass bei einem solchen Besuch von Mit-gliedern des Deutschen Bundestages uns vor allem dieVorzüge eines Landes gezeigt werden . Beeindruckendwar das schon . Aber wir haben auch von den unbe-schreiblichen Schwierigkeiten erfahren, von der sozialenSpaltung Indiens, die man überwinden möchte und vonder man sich nur ein Bild machen kann, wenn man über-haupt einmal da war .Indien ist ein Land mit jetzt 1,3 Milliarden Menschen,und es hat das Ziel, seinen Menschen viel Bildung mitauf den Weg zu geben . Das Ziel „Erziehung für alle“ istin der Verfassung festgeschrieben . So etwas haben wirnicht einmal im Grundgesetz, obwohl ich mir da lieber„Bildung für alle“ wünschen würde . Seit 2010 gibt es dasgesetzlich verankerte Recht auf staatlich geförderte Bil-dung – nicht auf kostenlose . Doch das staatliche Schul-system ist schlecht ausgestattet, und es ist eine Mammut-aufgabe für die indische Regierung .Was in großen Städten langsam Gestalt annimmt, istin den ländlichen Gebieten sehr viel schwerer umzuset-zen . Aber Indien hat das ehrgeizige Ziel, 400 MillionenMenschen – das ist etwa ein Drittel der Bevölkerung –in den nächsten Jahren beruflich zu qualifizieren und40 Millionen Studienplätze zu schaffen . Was für ein Zielangesichts der Zahlen, mit denen wir uns hier herum-schlagen und die wir gestern im Rahmen der Debatte desBerufsbildungsberichts benannt haben .
Trotzdem ist dies angesichts der Zahl der Menschen,die in Indien leben, erst ein Anfang . Darum ist es einrichtiges Anliegen, die Wissenschaftskooperation unddie Bildungszusammenarbeit zu intensivieren . Aller-dings darf es uns dabei nicht nur darum gehen, die Fach-kräftesituation für deutsche Unternehmen in Indien zuverbessern, sondern es muss auch um eine Kooperationauf Augenhöhe gehen .
Ich bin mir nicht sicher, ob das bei der Erstellung desAntrags immer im Blick war . Es geht mir vor allem umgegenseitigen Respekt und nicht um die missionarischeVerbreitung unserer Weisheiten .
Ich sage das insbesondere mit Blick auf den Ausbauder beruflichen Bildung. So wichtig uns das duale Sys-tem ist: Indien muss in Sachen beruflicher Bildung sei-nen Weg, der möglicherweise ein anderer ist, gehen . Wirsind immer schnell dabei, anderen Ländern aufzuschwat-zen, was wir für gut befunden haben .
Andere Länder nehmen das angesichts der wirtschaftli-chen Stärke Deutschlands auch ganz gerne an. Ich finde,wir täten gut daran, mit etwas mehr Vorsicht und Demutin die Welt zu schauen .
Dabei sind Beratung und Zusammenarbeit ganz sicherrichtig und wichtig, Copy and Paste nicht . Ich wunde-re mich schon, dass die Grünen hier so wenig kritischesGespür haben; denn Sie haben ja diesen Antrag mitge-zeichnet . Überhaupt müssen wir ein Auge darauf haben,dass die großen Entwicklungsbedarfe in Indien nichtdazu verleiten, dass deutsche Firmen nur den eigenenMehrwert sehen . Zum Beispiel ist Indien ein Land, indem gerne Arzneimittelstudien durchgeführt werden .Wir müssen sehr peinlich darauf achten, dass dabei kei-Dr. Stefan Kaufmann
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ne schlechteren Standards zugelassen werden, als sie inEuropa gelten .
Und schließlich – auch da schaue ich die Grünen fra-gend an –: Wieso findet man eigentlich in dem Antragan mehreren Stellen Förderangebote für profitorientier-te private Bildungsdienstleister, aber kein Wort zu denMöglichkeiten von NGOs? Standen die nicht auf demBesuchsprogramm? Möglicherweise wollen Sie mit demAntrag auch nur die famosen Kooperationsbemühungender Bundesregierung unterstützen und ins öffentlicheBewusstsein bringen . Das ist sicher gut . Mir allerdingswürde das nicht reichen .Vielen Dank .
Die Kollegin Simone Raatz hat nun für die SPD-Frak-
tion das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Auch wenn Frau Hein einige kritische Wortegesagt hat, so ist es ganz wichtig, festzuhalten: Alles, wasdie Kooperation betrifft, insbesondere im Bereich Bil-dung und Forschung, muss auf Augenhöhe stattfinden.Wir sollten nicht – das haben Sie schon angesprochen –Copy-and-paste machen . Darum geht es uns in unseremAntrag auch nicht .Wichtig ist – das wurde auch bei Ihnen, Frau Hein, undauch bei meinem Kollegen, Herrn Kaufmann, deutlich –,festzuhalten: In der internationalen Zusammenarbeit istdie Kooperation im Bereich Bildung und Forschung einganz wichtiges Element . Ich glaube, das wird manch-mal in den Debatten vergessen . Hier macht Deutschlandenorm viel . Wir leisten viel, ohne immer darauf zu sehen,welchen Mehrwert es für uns hat, sondern es geht darum,den interkulturellen Austausch und im Endeffekt die ge-genseitige Zusammenarbeit zu festigen .
Es geht bei den Kooperationen nicht nur um den Aus-tausch von Wissen, Ideen und Erkenntnissen – natürlichsteht das im Fokus –, sondern es geht auch darum, deninterkulturellen Austausch zu stärken, bestehende Netz-werke zu festigen und neue zu knüpfen . Deswegen wareine kleine Delegation unseres Ausschusses für Bildungund Forschung vor einigen Monaten in Indien, um zu se-hen, wie unsere Mittel wirken, wohin unsere Mittel flie-ßen, die wir jährlich in den Haushalt einstellen . Natürlichdarf man dann auch Fragen stellen, nämlich: Welche Pro-gramme laufen gut? Wo ist es sinnvoll, in der Kooperati-on neue und andere Wege zu gehen?Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ergebnis dieserReise ist der vorliegende Antrag „Deutsch-indische Bil-dungs- und Wissenschaftskooperation ausbauen“ – daskann man auch an der Medienwand lesen – als gemein-same Initiative von Union, SPD und Grünen entstanden .Ich muss sagen: Ich bin besonders unseren Kollegen vonden Grünen dankbar, dass sie diesen Antrag inhaltlichmitgestaltet und mitgetragen haben .
Dank an alle, die sich hier beteiligt haben . Das warennicht nur die Mitglieder der Delegation, sondern auchviele andere Kollegen, auch wenn sich das hier in denReihen nicht so widerspiegelt . Es haben sich Kollegenaus unserem Ausschuss, dem Wirtschaftsausschuss undKollegen, die sich mit auswärtiger Bildungsarbeit be-schäftigen, beteiligt . Im Endeffekt ist hier eine runde Sa-che entstanden . Darum, wie gesagt: Danke an alle Betei-ligten und Danke an unsere Fraktionsspitzen, die uns beiunserem Projekt ganz rege unterstützt haben .
Diese große Übereinstimmung in den Inhalten desAntrags ist gut für unser parlamentarisches System . Mansollte das nicht immer negativ sehen . Es ist doch auchschön, wenn man einmal Anträge verabschiedet, bei de-nen wir uns weitestgehend einig sind . Natürlich kannman Kritik üben . Wenn man aber sagt, die Mehrheit derPunkte tragen wir gemeinsam, dann, denke ich, ist dasgut und wichtig für die Sache selbst, insbesondere für dieweitere Stärkung der Zusammenarbeit mit Indien .Liebe Kolleginnen und Kollegen, kaum ein anderesSchwellenland – ich glaube, Herr Kaufmann ist auchschon darauf eingegangen – investiert so viel in Bildungund Forschung wie Indien . Als weltweit größte Demo-kratie ist Indien auch für uns ein verlässlicher Partnermit einem vielfältigen Potenzial zur Kooperation . Al-lein bei Betrachtung des indischen Hochschulsystemswird die rasante Entwicklung des Landes deutlich: DieZahl der Studierenden ist zwischen 2009 und 2015 von12 Millionen auf knapp 30 Millionen gestiegen . In dieserZeit hat sich auch die Zahl der indischen Studierendenin Deutschland mehr als verdoppelt . Damit bildet gera-de diese Gruppe eine der größten Gruppen ausländischerStudierender hinter China und Russland .Es ist aber auch festzustellen – mein Kollege HerrKaufmann hat es eher positiv gesehen; ich würde sagen,hier können wir vielleicht noch einen Tacken zulegen –,dass Deutschland für indische Bachelor-Studierende bis-her kaum attraktiv ist . Um hier den Austausch zu ver-bessern, fordern wir in unserem Antrag, das erfolgreicheProgramm „Working Internships in Science and Enginee-ring“ weiter auszubauen . Ziel ist es dabei, den Bachelor-studierenden ein Stipendium zugutekommen zu lassen,damit sie ein Praktikum an einer unserer Forschungsein-richtungen oder einer Hochschule machen können .Genauso – darauf müssen wir gemeinsam mit demDAAD hinwirken – muss es mehr deutsche Studierendegeben, die sich für einen Studienaufenthalt in Indien in-teressieren . Während – Sie haben die Zahlen genannt –2014 9 200 indische Studierende an unseren Hoch-Dr. Rosemarie Hein
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schulen eingeschrieben waren, waren nur 730 deutscheStudenten – wir haben es im Antrag auf 1 000 aufgerun-det – in Indien . Das ist nicht einmal ein Zehntel . Zielmuss sein, dass der Austausch in beide Richtungen etwagleich hoch ist .
Natürlich müssen die Hochschulsysteme auch attrak-tiv sein . Ich glaube, dass Indien auf einem sehr gutenWeg ist . Gerade im Bereich Mathematik und Informa-tik könnte der Austausch wesentlich besser sein . Bereitsheute besteht in Deutschland ein Fachkräftemangel . Wirwissen, dass der Fachkräftemangel im Zuge der Digita-lisierung weiter zunehmen wird . Schon jetzt fehlen rund40 000 IT-Experten . Ich habe gehört, dass derzeit beiuns 17 000 Menschen Informatik studieren . Das ist vielzu wenig . Da merkt man ja schon, dass hier eine Lückeklafft . Damit sind wir im Moment auf die Ressourcensolcher Länder wie Indien angewiesen .Das haben wir auch deutlich gesehen, als wir in Ban-galore, der IT-Hochburg, waren, wo über 200 deutscheUnternehmen wie Siemens, Allianz und Infineon, alsodie großen, bereits mit Tochterunternehmen und Vertre-tungen unterwegs sind, um von den indischen IT-Spezi-alisten zu profitieren. Die Zahl der Spezialisten, auf diewir da bauen, ist nicht im Hunderterbereich, sondern imTausenderbereich .Umso wichtiger ist es, dass wir den Studierenden- undWissenschaftleraustausch im MINT-Bereich intensi-vieren . Das muss in enger Zusammenarbeit – es wurdeschon gesagt – mit der DFG, dem DAAD und der Al-exander-von-Humboldt-Stiftung erfolgen; denn wir müs-sen international wettbewerbsfähig bleiben . Das ist, wiegesagt, ein wichtiger Punkt unseres Antrags .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss . Gerade in Zeiten, in denen populistische Par-teien an Zuspruch gewinnen und in denen Vorurteile ge-genüber anderen Kulturen zunehmen, ist es umso wich-tiger, dass wir in allen Bereichen, auch im Bildungs- undWissenschaftsbereich, den Austausch mit anderen Natio-nen verstetigen und intensiv pflegen. Das tun wir heutemit dem Antrag zur deutsch-indischen Kooperation . Ichdenke, das ist ein wichtiges Zeichen . Wir werden da-ran arbeiten, dass gerade die Kooperationen im BereichBildung und Forschung weiter aktiviert und intensiviertwerden .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Kai Gehring erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grü-
nen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In-dien wird bisweilen unterschätzt, und das völlig zu Un-recht . Das Land steht an der Schwelle, ein richtig wir-kungsmächtiger Global Player zu werden . Es ist darumein ganz wichtiges Signal, dass wir diese Debatte derdeutsch-indischen Zusammenarbeit in Bildung und For-schung widmen .
Sehr viele Projekte und Initiativen gibt es bereits, wieunser gemeinsamer Antrag deutlich macht . Danke anSimone Raatz für den Anstoß, danke den anderen Be-richterstattern für das sehr konstruktive Miteinander . Esist gut, dass wir uns interfraktionell einig sind, Koopera-tionen zu verstetigen und Positives auszubauen .Das Interesse an mehr Kooperationen in Bildungund Forschung ist riesengroß; das haben unsere indi-schen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, vonNGOs bis hin zu Spitzenforschern, während der Dele-gationsfahrt unseres Ausschusses klar an uns herangetra-gen . Dieses Angebot nehmen wir gerne an .
Indien ist ein dynamisches und quirliges Land – auf-strebend, bildungsaffin, wissbegierig, innovativ und mitimmensen Potenzialen bei Technologie, Talenten undKreativität. Soziale Spaltung, eklatante Armut und Defi-zite bei Good Governance sind als Probleme erkannt undmüssen in Indien mit Nachdruck beackert werden . Alsaufstrebendes Schwellenland setzt Indien auf Wachstumund Wohlstand und braucht vor allem in den Millionen-metropolen dringend mehr Umwelt- und Klimaschutz fürmehr Lebensqualität .Indien ist die größte Demokratie der Welt – auch einsehr wichtiger Faktor . Damit schützt Indien demokrati-sche Rechte und Werte, die zum Beispiel in China fehlenund in Russland und der Türkei massiv unter Druck ste-hen, Werte wie Meinungs-, Presse- und Wissenschafts-freiheit, die auch wir leben und unterstützen . Auch des-halb ist dieser Antrag so wichtig .
Denn diese Werte bilden den fruchtbaren Boden für einelebendige Zivilgesellschaft . Die Vielfalt und die immen-se Mehrsprachigkeit in Indien fördern kreatives Denkenund selbstbewusste Bürgerschaft . Dieser Weg wird sichlangfristig als viel erfolgreicher erweisen als der Weg ei-ner Diktatur . Das macht den Austausch auch in der Au-ßenwissenschaftspolitik umso wertvoller . Auch deswe-gen ist diese Antragsinitiative so wichtig, auch deswegenhaben wir sie gerne aktiv mitgestaltet .Deutschland möchte ein verlässlicher Partner Indienssein . Wir bieten unsere Unterstützung bei der Bewälti-gung der großen Herausforderungen an, vor denen diesesLand steht . Eine Herausforderung ist die große Nachfra-ge nach Energie . Über 300 Millionen Menschen in Indienhaben keinen zuverlässigen Zugang zu Strom . Das ist so,als wenn in den gesamten USA das Licht ausginge . ImKampf gegen diese Energiearmut setzt Indien leider vorDr. Simone Raatz
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allem auf Kohlekraft, obwohl die Regierung weiß, dassdies zu noch mehr Smog und noch mehr Treibhausgasenführt . Auch die Atomkraft ist wegen der Sicherheitsrisi-ken und der ungeklärten Frage der Endlagerung proble-matisch .Umso erfreulicher und umso unterstützenswerter istes aber für uns als deutsches Parlament, dass die indi-sche Regierung zunehmend auch auf erneuerbare Ener-gien setzt . Bis 2022 will die indische Regierung Solar-anlagen mit einer Leistung von 100 Gigawatt aufbauen .Deutschland hat bereits einen bedeutenden Anteil an Er-neuerbaren . Unsere Erfahrung mit der Energiewende undmit verantwortlicher Energieforschung teilen wir gerne .Ein Green New Deal wäre für die indische Gesellschaft,Wirtschaft und Umwelt ein großer Gewinn .
Eine weitere Herausforderung sind neue Jobs . Pro Jahrkommen 12 bis 13 Millionen Jugendliche auf den indi-schen Arbeitsmarkt; das muss man sich einmal vorstel-len . Um die unterzubringen, um diesen jungen MenschenPerspektiven zu geben, ist das duale System unserer Be-rufsausbildung mit seiner Verknüpfung aus Theorie undPraxis ein sinnvoller Weg, zumal es in Indien so vielekleinste, kleine und mittlere Unternehmen gibt . Das du-ale System kann helfen, kann Vorbild sein, eine flexibleund innovative Facharbeiterschaft auszubilden . Hierbeibringen wir unsere Erfahrungen sehr gerne weiter ein .
Eine etablierte stabile Säule der deutsch-indischenFreundschaft ist der Austausch von Studierenden undWissenschaftlern, und die Zahlen steigen . Mittlerweilesind Inder die drittgrößte Gruppe unter den internationa-len Studierenden hierzulande . Das ist überraschend undbeeindruckend . Umgekehrt geht noch etwas: Mehr Deut-sche sollten in Indien studieren .Zahlreiche Hochschulen sowie außeruniversitäre For-schungseinrichtungen sind in Indien aktiv . Das Deut-sche Wissenschafts- und Innovationshaus in Neu-Delhiist eine sehr wichtige Adresse für den Austausch, des-sen Finanzierung wir auch künftig sicherstellen wollen .Gleiches gilt für die Ausstattung der deutschen Schule inNeu-Delhi . Zusammen mit der Initiative „Schulen: Part-ner der Zukunft“, PASCH, und dem Programm „Deutschan 1 000 Schulen“ wecken wir Interesse am modernenDeutschland, das sich weltoffen und vielfältig präsen-tiert . Danke daher an alle Mittlerorganisationen, die her-vorragend arbeiten und unser Bild als Wissensnation dortprägen .
Wir wollen Freunde Deutschlands in der Welt gewin-nen . Wir wollen die deutsch-indische Kooperation in Bil-dung und Forschung ausbauen . Gemeinsam sind unserebeiden Demokratien stärker, Lösungen für die sozialeund ökologische Modernisierung unserer Welt und un-serer Länder zu finden und zu etablieren. Unser Antragunterstreicht das breite bildungs- und forschungspoliti-sche Fundament hierfür . Die erfreuliche Botschaft ist:Regierung und Parlament sind sich einig, dass wir dasnoch verbreitern wollen .Vielen Dank .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Feist für
die CDU/CSU-Fraktion .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Her-ren! Genauso verstehe ich parlamentarische Arbeit:Wir haben angeregt, die deutsch-indische Kooperationauszubauen, die Bundesregierung hat das übernommenund nach einiger Zeit schauen wir: Wo stehen wir? Waskönnen wir vielleicht noch besser machen? Wo solltenwir neue Schwerpunkte setzen? – Genau das ist das Zielunseres vorliegenden Antrages, in dem es nicht nur umWissenschaftskooperationen geht, sondern vor allen Din-gen auch um Bildungskooperationen . Auf diese möchteich kurz eingehen .Die Zahlen sind schon mehrfach genannt worden, aberes ist trotzdem immer wieder erstaunlich: Monat für Mo-nat drängen 1 Million junge Menschen in Indien auf denArbeits- bzw . Ausbildungsmarkt . Es ist wichtig, diesenjungen Menschen Perspektiven zu geben . Frau Hein, na-türlich machen wir das auf Augenhöhe; denn auch wirkönnen aus der beruflichen Bildung dort etwas lernen.Die Regierung in Indien hat zum Beispiel ein eigenes Mi-nisterium für die Kompetenzentwicklung und die berufli-che Bildung eingerichtet . Das heißt, dass der Stellenwertder beruflichen Bildung in Indien sehr hoch angesiedeltist. Dass dieser Stellenwert der beruflichen Bildung sowichtig ist, das haben wir gestern im Zusammenhang mitdem Berufsbildungsbericht diskutiert . An Indien solltenwir uns durchaus ein Beispiel nehmen .
Das Zweite ist: Wie macht die indische Regierungdas? Die indische Regierung hat dafür gesorgt, dass daszuständige Ministerium eine Kampagne über den Werteiner dualen Berufsausbildung initiiert; denn anders alsbei uns oder in anderen deutschsprachigen Staaten hier inEuropa ist es so, dass die Arbeit mit den Händen und mitdem Kopf – das möchte ich hinzufügen – in Indien keineSelbstverständlichkeit ist; vielmehr versucht man, durchein akademisches Studium einen bestimmten Status zuerreichen . Diese Idee ist in Deutschland mittlerweilenicht mehr ganz fremd, aber in Indien sehr verbreitet .Kai Gehring
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Dort setzt man auf authentische Vorbilder . Authenti-sche Vorbilder heißt – das konnten wir uns vor Ort in In-dien anschauen –, dass man diejenigen Auszubildendenmit besonderen Ergebnissen, mit besonderen Leistungenoder auch mit besonderen Biografien herausstellt, die be-legen, dass man eben auch aus einer unteren Kaste herausden Aufstieg erreichen und damit für sich und seine Fa-milie ein sicheres Fundament des Lebens in Indien schaf-fen kann . Diese guten Beispiele werden also besondersherausgehoben . Ich denke, davon können wir lernen: Wirbrauchen auch in Deutschland authentische junge Leute,die davon reden, was duale Berufsausbildung für sie undihr Leben bedeutet .
Es geht bei Kooperationen immer um Gegenseitigkeit .Wir haben das in Bangalore gesehen . Gerade im IT-Be-reich – Kollegin Raatz ist darauf eingegangen – sind dortviele große deutsche Unternehmen vor Ort präsent, undman sieht, was im Bereich IT möglich ist, nämlich wirk-lich die globalisierte Welt zu erfahren . Ich habe das aneinem Beispiel gesehen . Wir waren dort bei einer Firma,deren Namen ich jetzt nicht nenne, weil ich sonst alleanderen auch nennen müsste, die sich darauf spezialisierthat, Messinstrumente zu entwickeln und damit techni-sche Überwachungen von Prozessen zu übernehmen .Dort habe ich auf einem Monitor ein Bild gesehen, dasmir recht bekannt vorkam . Es hatte etwas mit einem Autozu tun, das in Leipzig produziert wird . Ich habe den jun-gen Mann gefragt, was er denn da mache, und er sagte:Ja, ich kontrolliere hier die Endfertigung dieses Wagensder gehobenen Klasse, der in Leipzig produziert wird . –Das ist wirklich erstaunlich .Wichtig ist bei der Kooperation nicht nur, dass deut-sche Firmen davon profitieren, wenn sie in Indien inves-tieren . Vielmehr ist für mich auch ganz entscheidend,dass wir – wie dieses Beispiel zeigt – den jungen Leutenin Indien eine Perspektive geben; denn darauf kommt esan . Es kommt nicht nur auf den Mehrwert für die deut-sche Wirtschaft an, sondern auch darauf, dass wir jungenLeuten in Indien und anderswo eine Perspektive geben,und dafür ist das ein gutes Beispiel .
Es ist angesprochen worden, welche Schwerpunktewir setzen . Ich halte es auch für sehr gut, dass wir in die-sem interfraktionellen Antrag, den wir mit den Grünengemeinsam eingebracht haben, Punkte herausgearbeitethaben, die nicht nur für Deutschland, sondern auch fürIndien ganz besonders wichtig sind .Zwei wichtige Themen möchte ich am Schluss nochherausgreifen . Eines davon ist die Infrastruktur . Wennman in Indien unterwegs ist, so erlebt man etwas, woge-gen der größte Berliner Stau wirklich lachhaft ist . Des-wegen ist es wichtig, dass wir überlegen: Welche Mo-bilitätskonzepte brauchen diese Städte dort, aber auchwelche Infrastrukturkonzepte? – Da kommt wieder dieduale Ausbildung ins Spiel, weil man in einer dualenAusbildung natürlich nicht nur einen Arbeitsgang erlernt,sondern auch etwas über Arbeitsschutz, Umweltschutzund Nachhaltigkeit lernt . Deswegen ist es wichtig, dasswir dies auch in unserer bilateralen Kooperation verstär-ken .Wie tun wir das? Wir können natürlich jetzt nicht dieHälfte der 1 Million junger Inder, die jeden Monat aufden Arbeits- und auf den Ausbildungsmarkt drängen,nach Deutschland holen und sie hier ausbilden . Daswürde überhaupt gar keinen Sinn ergeben . Deswegenmüssen wir effektiv und zielgerichtet vorgehen . Zielge-richtet vorzugehen heißt, dass wir das Programm „Trainthe Trainer“ besonders unterstützen . „Train the Trainer“heißt, dass wir besonders gute Ausbilder nach Deutsch-land holen oder sie auch vor Ort fortbilden, und zwarnach deutschen Kriterien, und auch mit einem deutschenZertifikat ausstatten; denn damit können wir auch etwasfür das Image der beruflichen Bildung tun. Ein deut-sches Zertifikat ist in Indien viel wert, und wenn wir diesnoch verstärken können, wäre das eine gute Sache – fürDeutschland und für Indien .
Swen Schulz ist der nächste Redner für die SPD-Frak-
tion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Internationa-le Zusammenarbeit ist von elementarer Bedeutung, auchund gerade in der Wissenschaft . Das hier zu betonen,kommt mir fast schon etwas merkwürdig vor; schließ-lich handelt es sich um eine Binsenweisheit, eine Selbst-verständlichkeit . Doch vor dem Hintergrund so mancherDebatte in Deutschland gerade in den letzten Monatenbetone ich: Wir sind auf internationale Zusammenarbeitangewiesen .
Nur so können wir globale Probleme lösen, nur so si-chern wir Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, nurso werden wir unserer Verantwortung für die Menschheitgerecht .Dass wir als Bundestagsdelegation in Indien waren,ist im Internet verschiedentlich kritisiert worden . Ich willhier klar sagen: Wer meint, die Abgeordneten sollten inDeutschland bleiben und sich um deutsche Wissenschaftkümmern, der hat nichts kapiert .
Dr. Thomas Feist
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Wer sich nur auf Deutschland bezieht, ist geistig arm,verpasst den Anschluss und wird aus seiner nationalenTräumerei böse erwachen .
Die Bundesregierung hat das schon lange erkanntund einen Aktionsplan „Internationale Kooperation“aufgelegt . Ein Partnerland ist Indien . Das kann schonangesichts der schieren Größe und des Bevölkerungs-reichtums dieses Landes auch gar nicht anders sein . Wirwollen mit dem vorgelegten Antrag einen Impuls geben,die deutsch-indische Kooperation weiter auszubauen .Gerade was die Entwicklung Indiens anbetrifft – dasist vor Ort tatsächlich sehr deutlich zu spüren –, gibt esgewaltige Chancen, aber auch riesige Herausforderun-gen . Dieses Land ist in einigen Bereichen wissenschaft-lich führend und bekommt doch anscheinend einfacheund grundlegende Dinge wie die Müllentsorgung nichthin . Indien ist wichtiger Exporteur von Hochtechnolo-gieprodukten, aber auch ein Land, bei dem es nicht vielFantasie braucht, um sich vorzustellen, dass sich 100oder 200 Millionen Menschen auf den Weg nach Europamachen . Umso wichtiger ist es, dass wir auch im BereichBildung und Wissenschaft die Zusammenarbeit forcie-ren .Ich will an einem Beispiel illustrieren, was das kon-kret heißt . Kai Gehring hat schon auf die Energiethema-tik abgehoben . Deutschland gehört in Sachen Sonnen-energienutzung tatsächlich zu den führenden Nationen .Um dieses Wissen für die Energieerzeugung in Indienoptimal zu nutzen, ist eine Anpassung an die besonderenklimatischen Bedingungen sinnvoll . In einem gemein-samen Projekt haben das Freiburger Fraunhofer-Institutfür Solare Energiesysteme und die Schott Solar AG ausMainz gemeinsam mit indischen Partnern angepasstetechnische Lösungen entwickelt .Wenn das am Ende so funktioniert wie erhofft, gibt eslauter Gewinner: Erstens wird in Indien konkret gehol-fen . Zweitens wird die Umwelt geschützt . Drittens lernenauch die deutschen Partner . Viertens wird Werbung fürden Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschlandbetrieben . Fünftens ergibt sich ein großes Marktpoten-zial für das deutsche Unternehmen . Besser geht es dochnicht, meine sehr verehrten Damen und Herren .
Bei allem Positiven will ich auch nicht verschweigen,dass es die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeitgibt . Lassen Sie mich drei Punkte aus dem Antrag an-sprechen:Erstens . Es muss klar sein, dass das DWIH, das Deut-sche Wissenschafts- und Innovationshaus, in Neu-Delhiseine Arbeit fortsetzen kann . Diese Häuser gibt es auchin anderen Metropolen . Sie funktionieren vielleicht nichtüberall gleich gut, von dem Haus in Indien haben wirjedenfalls einen ausgesprochen starken Eindruck erhal-ten . Es wäre ein Rückschlag, wenn das DWIH seine Ar-beit aufgrund von Schwierigkeiten andernorts einstellenmüsste . Also, wie immer es mit diesen Häusern weiter-geht: Mit dem DWIH in Indien soll es weitergehen .Zweitens . Wir haben Hinweise erhalten, dass bei derAusgestaltung der Hochschulkooperationen die Fach-hochschulen strukturell das Nachsehen haben könnten .Diese Sorge nehmen wir ernst . Internationale Kooperati-on ist nicht nur etwas für Universitäten . Vielmehr habenauch die Fachhochschulen ganz besondere Fähigkeiten,die im Ausland gebraucht werden .
Drittens . Die Kooperation kann sich nicht nur auf dentechnisch-naturwissenschaftlichen Bereich erstrecken .Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenso be-deutend . Wir haben das in Indien bei jeder möglichenund auch unmöglichen Gelegenheit angesprochen .
Es ist klar, dass unsere indischen Partner da nicht so ent-husiastisch sind und das BMBF immer wieder vor Pro-bleme stellen . Natürlich können wir auch nicht eine ArtZwangsbeglückung durchführen . Aber wir ermutigen dasBMBF, immer wieder und kontinuierlich auf den Ausbauder gemeinsamen geistes- und sozialwissenschaftlichenForschung zu drängen; denn ohne wird die deutsch-in-dische Kooperation unvollständig bleiben und entschei-dende Fortschrittspotenziale werden nicht erschlossenwerden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sind wir unsererMeinung nach auf einem guten Weg . Wenn nun bald dieversprochene Evaluierung der Internationalisierungsstra-tegie der Bundesregierung kommt, werden wir die Dis-kussion auch über Kooperationen mit anderen Länderführen und diese auch noch intensivieren können . Darauffreue ich mich .Herzlichen Dank .
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Claudia Lücking-Michel für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! „A New Passage toIndia“ – damit war ursprünglich die Schiffsroute ge-meint, zu der im 15 . Jahrhundert Vasco da Gama aufge-brochen ist . Heute ist dies der anschauliche Name einesDAAD-Förderprogramms .Swen Schulz
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Wir haben es gehört: Im 21 . Jahrhundert reisen wirnicht mehr mit dem Segelschiff, sondern – Beispiele gabes ja viele – wir finanzieren Stipendien für Studierendeund Wissenschaftler, wir fördern bilaterale Kontakte inWissenschaft und Wirtschaft, wir fördern das DeutscheWissenschafts- und Innovationshaus und engagieren unsin der Berufsbildung .Warum sind internationale Kooperationen gerade inBildung, Wissenschaft und Forschung so wichtig undgerade und besonders mit aufsteigenden Wissenschafts-nationen wie Indien? Am Ende der Debatte will ich ver-suchen, das etwas grundsätzlicher zu beantworten oderzusammenzufassen .Drei Gedanken:Erstens . Kollege Schulz hat es gerade als Binsenweis-heit bezeichnet, aber man kann es nicht häufig genugwiederholen: Wissenschaft lebt vom Austausch verschie-dener Denkweisen und neuer Ideen . WissenschaftlicherFortschritt und echte Spitzenforschung sind überhauptnur möglich, wenn sie international aufgestellt sind . Nurwer sich mit Neugier auf die Reise über nationale Gren-zen hinaus begibt, gelangt zu Spitzenergebnissen .
Mit zunehmender Globalisierung findet Wissenschaftaber auch in einer zunehmenden Dualität statt: Der Wett-streit um innovative Ideen erfolgt auf der einen Seite inKonkurrenz und auf der anderen Seite in Kooperationzwischen den Nationen der Welt . Gute Wissenschaftspo-litik tut gut daran, dazwischen eine Balance zu suchen .So wollen wir unseren Wissenschaftsstandort hier bei unsstärken und müssen gerade deswegen immer nach neuenPartnern für internationale Zusammenarbeit suchen .Ein zweiter Gedanke . Internationaler Austausch ist sowichtig, weil er nicht nur zu akademischer Qualifikation,sondern zur Persönlichkeitsbildung insgesamt beiträgt .
Wir wissen, dass Studierende nach Auslandsauf-enthalten offener sind für weitere neue Erfahrungen .Altruismus, Vertrauen und Entgegenkommen sind beiihnen stärker ausgeprägt . Sie haben in dieser Zeit nichtnur länderspezifische Kompetenzen erworben, sondernsind junge Menschen, die gelernt haben, mit Gegensät-zen umzugehen, mit Gegensätzen, die einem begegnen,wenn Kulturen, Traditionen, Werte in einer globalisiertenWelt aufeinandertreffen . Oder man kann auch sagen, essind junge Menschen, die Differenzerfahrung gemachthaben, das heißt, die ihre eigene Herkunft auch von einerAußenperspektive betrachtet haben, ihre eigenen Sicht-weisen infrage stellen lassen und den Dialog mit anderendann hoffentlich respektvoll führen können .
An Bord unseres Schiffes heute brauchen wir mehr dennje eine solche Mannschaft, die in einem globalen Hori-zont denken und handeln kann .Umgekehrt besetzen viele der Deutschland-Alumnider Förderorganisationen DAAD oder Humboldt-Stif-tung heute Schlüsselpositionen in Verwaltung und Wis-senschaft ihrer Heimatländer . Das ist natürlich auch eingutes Potenzial für tragfähige Zusammenarbeit .Darum ist es so wichtig, wenn das Programm „A NewPassage to India“ fortgeführt wird, mit dem das Interes-se auf beiden Seiten, in Indien und in Deutschland, jagerade besonders gefördert wurde, mit dem wir Brückenzwischen Deutschland und Indien bauen .Drittens . Wir wissen es alle, Wissenschaft spielt beider Formulierung zukunftsfähiger Lösungen für unsereWelt eine zentrale Rolle . Antworten auf die globalen He-rausforderungen können wir nur in internationaler Zu-sammenarbeit und gemeinsamer Verantwortung finden.Das Ziel der Reise ist damit klar: Es geht nicht um ei-nen Nord-Süd-Transfer von wissenschaftlichem Know-how, nicht um Nachhilfe, nein, es geht um gemeinsamenErkenntnisgewinn .
Internationale Forschungskooperation ist nicht reinerEigennutz, aber auch nicht uneigennützige Aufbauhilfefür andere, sondern hier geht es um gemeinsamen Nut-zen für alle . Wir brauchen natur- und ingenieurwissen-schaftliche Forschung für die drängenden Probleme .Die Stichworte sind gefallen . Das Spektrum reicht vonAbfallwirtschaft über erneuerbare Energien und hört beinachhaltiger Stadtentwicklung noch lange nicht auf .Mir ist aber wichtig, zu betonen: Wir brauchen auchund gerade die Geisteswissenschaften .
Sie sind wichtig; denn sie deuten die Herkunft aus, bie-ten Orientierung und reflektieren Kriterien und Maßstäbevon Modernisierungsprozessen . Darum begrüße ich ganzbesonders das deutsch-indische Projekt des „M . S . Me-rian – R . Tagore Centre“ für sozial- und geisteswissen-schaftliche Forschung .Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag zeigt:Wir segeln auf der „New Passage“ mit einem seetüchti-gen Schiff, einer starken Mannschaft und viel Proviant .Mit unserem Antrag wollen wir jetzt unsere Segel nochstärker am Wind ausrichten .Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufder Drucksache 18/8708 an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Nach der großenEinmütigkeit in der Debatte vermute ich stark, dass auchDr. Claudia Lücking-Michel
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diese Überweisung nicht auf heftigen Widerstand stößt . –Das ist so . Dann ist die Überweisung so beschlossen .Dann kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunk-ten 29 a bis 29 c:a) Erste Beratung des von den Abgeordneten IreneMihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ,weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes über die unabhängige Polizei-beauftragte oder den unabhängigen Polizeibe-
Drucksache 18/7616Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzb) Beratung des Antrags der Abgeordneten IreneMihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENAufklärung polizeilichen Fehlverhaltens er-leichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Ge-setzes über die unabhängige Polizeibeauftrag-te oder den unabhängigen Polizeibeauftragten
Drucksache 18/7617Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzc) Beratung des Antrags der Abgeordneten IreneMihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENÄnderung der Geschäftsordnung des Deut-schen Bundestageshier: Umsetzung des Gesetzes über die un-abhängige Polizeibeauftragte oder denunabhängigen Polizeibeauftragten des
Drucksache 18/7618Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-nung
Innenausschuss Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAuch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinba-rung eine Aussprache von 38 Minuten vorgesehen . – All-gemeines Einvernehmen .Dann eröffne ich die Aussprache und erteile der Kol-legin Mihalic das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Vor 60 Jahren wurde im Zuge der Grün-dung der Bundeswehr auch die Position eines Wehrbe-auftragten beim Deutschen Bundestag verankert . Damalsging die Initiative von der SPD aus, genauer gesagt vomAbgeordneten Ernst Paul .Natürlich gab es anfangs auch kritische Stimmen –das ist ja völlig klar – von allen Seiten, unter anderemaus der Union, aber auch von einigen Generälen, derWehrbeauftragte sei ein Ausdruck des tiefen Misstrauensgegenüber dem Militär; er sei ein unnützes Institut undwürde den ohnehin vorhandenen Papierkrieg noch wei-ter verstärken . Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch imZusammenhang mit einem Polizeibeauftragten kommenmir diese Argumente irgendwie bekannt vor .Natürlich steht der Wehrbeauftragte – das ist unstrit-tig – historisch in einem völlig anderen Kontext . Aber ichdenke, heute herrscht große Einigkeit darüber, dass derWehrbeauftragte eine bundesrepublikanische Erfolgsge-schichte ist . Es ging von Anfang an ein wichtiges Signalvon dieser Institution aus: Bei der Bundeswehr zählennicht nur Befehl und Gehorsam, sondern sie ist Teil die-ser Gesellschaft, und Soldatinnen und Soldaten sind Bür-gerinnen und Bürger, wenn auch in Uniform .Eine solche vertrauensstiftende Maßnahme wünschenwir uns auch für die Polizei . Aber es fehlt im Bund einÄquivalent zum Wehrbeauftragten für die Kontrolle desGewaltmonopols im Innern . Genau deshalb schlagen wirGrünen die Schaffung der Stelle eines Polizeibeauftrag-ten beim Deutschen Bundestag vor .
Als die Ergebnisse des ersten NSU-Untersuchungs-ausschusses vorgelegt wurden, wurde in diesem Hausemit großer Geschlossenheit eine mangelnde Fehlerkulturauch bei den Polizeibehörden festgestellt . Dabei sind wiruns sicher einig, dass die pure Forderung „Steht zu eurenFehlern!“ de facto nichts verändern wird . Nein, wir brau-chen dazu Instrumente, die einen angemessenen Umgangmit Fehlern ermöglichen, um auch für die Zukunft darauszu lernen .Deshalb brauchen wir eine unabhängige Instanz au-ßerhalb polizeilicher Hierarchien, bei der sowohl Bürge-rinnen und Bürger als auch Polizistinnen und PolizistenHinweise und Kritik, gegebenenfalls auch vertraulich,vorbringen können .Der Polizeibeauftragte hat dann die Möglichkeit, dieEingaben völlig unabhängig zu prüfen . Er arbeitet dabeiselbstverständlich immer eng mit den Personalvertretun-gen zusammen, die schon heute eine enorm wichtige Ar-beit leisten, und vor dem Bundestag soll er regelmäßigüber seine Arbeit berichten, sodass wir im Parlament dieGelegenheit haben, wenn es nötig ist, politisch nachzu-steuern .Wie wichtig ein solcher unabhängiger Polizeibeauf-tragter wäre, sehen wir in der aktuell angespannten Si-cherheitslage immer wieder . Ich erinnere zum Beispielan die Vorfälle bei der Bundespolizeidirektion in Han-nover, bei denen es um Folter- und Nötigungsvorwürfeging . Diese sollen nun zum Glück aufgeklärt sein . Aberhier erfolgten viel zu spät Hinweise eines Polizisten, ver-Präsident Dr. Norbert Lammert
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mutlich aus Angst vor Konsequenzen für die eigene Be-rufslaufbahn . Oder nehmen wir die Kölner Silvesternachtals Beispiel, wo sich Beamte der Bundespolizei aus Man-gel an unabhängigen Ansprechpartnern mit ihrer Einsatz-kritik lieber gleich an die Bild-Zeitung gewandt haben .Es fällt mir schwer, diese Leerstelle in der Sicher-heitsarchitektur zu akzeptieren . Das sage ich auch undgerade als ehemalige Polizistin . Ich weiß, dass fraktions-übergreifend einige Kolleginnen und Kollegen ähnlichdenken und dass viele Polizistinnen und Polizisten, mitdenen ich in den letzten Jahren gesprochen habe, das ge-nauso sehen .
Sowohl die Linke als auch die SPD-Fraktion bewer-ten eine solche Institution schon länger als grundsätzlichpositiv, auch wenn es im Detail sicherlich noch einigeDifferenzen gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Union, Sie haben sich zwar bisher eher skeptisch ge-geben . Aber in Baden-Württemberg richten wir nun einesolche Stelle gemeinsam ein . Von der Union in Nieder-sachsen kam bereits eine ähnliche Forderung . Ich denke,Sie unterstellen nicht, dass Ihre Kolleginnen und Kolle-gen in den Landtagen kein Vertrauen zur Polizei haben .Der Polizeibeauftragte jedenfalls schafft Vertrauen so-wohl bei der Polizei als auch bei den Bürgerinnen undBürgern .Heute ist die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs .Wir wollen uns Zeit nehmen, diese Vorlage ordentlich zuberaten . Wir wollen eine gute Expertenanhörung durch-führen sowie alle Details und mögliche Differenzen ganzgenau besprechen . Ich wünsche mir, dass daraus amEnde eine gemeinsame Initiative wird und dass wir eineninterfraktionellen Antrag oder Gesetzentwurf daraus ent-wickeln, der hier im Haus eine breite Zustimmung findet.Es wäre doch ein starkes Signal des Parlaments, wennwir noch vor Ende der 18 . Legislaturperiode – 60 Jahrenach Einsetzen des Wehrbeauftragten – gemeinsam dieStelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten auf denWeg bringen . Ich freue mich auf einen konstruktiven Be-ratungsprozess .Ganz herzlichen Dank .
Armin Schuster ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf natürlich in-tensiv gelesen . Ich habe ihn geradezu studiert . Für michals ehemaligen Polizisten ist das ein hochinteressantesThema . Es gibt allerdings nicht gerade wenige hand-werkliche Mängel . Auf diese werden meine Kollegenspäter wahrscheinlich noch gebührend eingehen . Ichmöchte eher ein paar grundsätzliche Bemerkungen zudieser Idee machen . Der Umgang mit Beschwerden vonBürgern oder internen Beschwerden ist ein sehr relevan-tes Thema; das gestehe ich zu .Ich möchte dazu folgende Punkte anmerken . FrauMihalic, Sie haben gesagt, dass wir eine Kontrolle desGewaltmonopols brauchen, und haben einen Vergleichmit dem Wehrbeauftragten gezogen . Dieser hatte und hateine völlig andere Funktion . Die Stelle des Wehrbeauf-tragten ist aus einer Innenperspektive heraus eingerichtetworden, sozusagen als Anwalt der Soldatinnen und Sol-daten, die verpflichtend Wehrdienst leisten mussten, obsie wollten oder nicht .
Das war nach innen gerichtet . Der Wehrbeauftragtenimmt gar keine externen Beschwerden zur Kenntnis;das ist nicht seine Aufgabe . Deshalb hinkt der von Ihnengezogene Vergleich völlig . Er ist fast irreführend . Das istIhrerseits kein gutes Argument .
Wenn wir untersuchen, ob wir eine solche Stelle ein-richten sollen, müssen wir die Frage beantworten: Brau-chen wir ihn wirklich, und welche anderen Beauftragtengibt es schon? Ich habe mir die Mühe gemacht, das ein-mal aufzulisten:Erstens, die Personalvertretung . Sie ist sieben Tage dieWoche und 24 Stunden am Tag ansprechbar; so habe iches selbst erlebt . Frau Mihalic, aufgrund Ihrer Nähe zurBundespolizeigewerkschaft nach den letzten Wahlen ver-stehe ich nicht, dass Sie so misstrauisch sind und offen-bar glauben, dass diese ihren Auftrag nicht wahrnehmenkönnen . Die Vertretungen glauben jedenfalls, dass sie dassehr gut können .
Zweitens gibt es den Dienstweg mit dem Remonstrati-onsrecht, drittens den Beschwerdeweg, der heute in al-len Bundespolizeibehörden an einer eingerichteten Be-schwerdestelle endet, viertens Petitionsausschüsse, diees in Land und Bund gibt – ich vermute, dass GünterBaumann noch etwas dazu sagen wird –, fünftens dieInnenrevision, über die heutzutage jede Behörde selbst-verständlich verfügt, sechstens den SozialmedizinischenDienst, siebtens die katholische und evangelische Seel-sorge, die es in der Bundespolizei gibt, und zwar sogarsehr breit angelegt, achtens die Gleichstellungsbeauf-tragte, neuntens die Beauftragte für gleichgeschlecht-liche Lebenspartner oder Lebensweisen . Zehntens . DieBundespolizei hat 2015 eine Vertrauensstelle eingerich-tet exklusiv für die Bearbeitung interner und externerBeschwerden .Irene Mihalic
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Frage: Braucht es jetzt einen elften Beauftragten, oderbrauchen wir eher einen Lotsen, um bei den zehn Beauf-tragten durchzublicken?
Ich mag mich gar nicht in die Rolle eines Präsidentenversetzen, der das managt .Insofern: Ein Blick in die Realität hilft immer . Es gibtunter 200 Beschwerden pro Jahr bei der Bundespoli-zei – diese Zahl entnehme ich bewusst Ihrem Gesetzent-wurf; ich glaube, Sie schreiben dort von 182 Beschwer-den – bei – jetzt nehme ich wieder eine für Sie günstigeZahl – 2,5 Millionen Kontrollen, bei denen in jedem Fallein Bürger betroffen ist. Wenn Sie, wie es die Profis tun,200 Beschwerden und 2,5 Millionen Kontrollen, alsoBürgerkontakte, ins Verhältnis setzen, dann kommen Sieauf eine Zahl von 0,00014 Prozent Beschwerden . JedeOrganisation in Deutschland wäre begeistert, wenn sieeine solche Beschwerdequote hätte .
Es ist ein unglaublich guter Wert .Die vor einem Jahr eingerichtete Vertrauensstelle beider Bundespolizei hat bis jetzt 40 Fälle – Sie haben mitdem, was Sie in dieser Diskussion gesagt haben, nichtunrecht – bekommen, 10 davon mit strafrechtlicher Re-levanz, einige davon mit Disziplinar- und Folgemaßnah-men . Auch das hat sich bereits bewährt .
Mein Fazit . Im Ziel sind wir uns einig: bürgernahePolizei, rechtskonforme hohe Qualität, vor allem beiEingriffen . Im Weg sind wir uns nicht einig, vielleichtkann man auch sagen: noch nicht einig . Wir haben keinenBeschwerdenotstand . Wir haben keine überbordendenMissstände in den Behörden .
Wir haben eher das Gegenteil, und trotzdem wählen Sieeher den Weg des Misstrauens . Ich zitiere einmal aus Ih-rem Gesetzentwurf:Gerade in angespannten Situationen kann es dazukommen, dass im Bürgerkontakt gesetzliche Gren-zen überschritten, unverhältnismäßige Gewaltausgeübt, Menschenrechte verletzt oder einzelneBürgerinnen und Bürger – häufig im öffentlichenRaum – diskriminiert oder unangemessen behandeltwerden .Ich würde Ihnen gerade in dieser Zeit nicht empfeh-len, so über Polizeibeamte in Deutschland zu reden .
Sie haben gerade jetzt angesichts dieser geringen Be-schwerdezahlen viel mehr Vertrauen und viel mehr Zu-spruch verdient, gerade aus diesem Haus heraus . Deswe-gen wähle ich eigentlich lieber den Weg des Vertrauens .Jetzt muss ich fachlich werden – ich will gar nicht po-litisch argumentieren –: Qualität – die zu wollen, darinsind wir uns so etwas von einig; das können Sie sich garnicht vorstellen – erzeugt man immer von innen heraus .Qualität kann man nie von außen „erprüfen“ . Deshalb las-sen Sie uns die 2 Millionen Euro, die Ihr Vorhaben kos-tet – diese Zahl wird in Ihrem Gesetzentwurf genannt –,lieber dafür investieren, dass sich unsere Behörden ausihrer inneren Kraft heraus so aufstellen, dass Beschwer-den von Bürgern und Beschwerden von Polizeibeamtenin den Arbeitsprozessen der Behörden systematisch undprofessionell behandelt werden .Ich sage Ihnen auch, wo ich eine Lücke sehe: Wirhaben noch keine Beschwerdestimulation – richtig . DerProzessschritt – wie stimuliert man eigentlich so, dasssich Bürger beschweren? – fehlt . Aber ich möchte, dassdie Behörden selbst diesen Schritt einleiten . Ich möchtenicht, dass er von Fremden vollzogen wird . Das würdenicht mehr Qualität erzeugen . Folglich lehnen wir denGesetzentwurf ab, finden aber die Diskussion, die Sie da-mit angestoßen haben – sie kann von mir aus gerne öftergeführt werden –, richtig . Wir müssen in jedem Fall dieKontrolle darüber behalten, wie es mit den Beschwerdenaussieht . Im Moment sieht es auf jeden Fall gut aus, weilsie so gering sind .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Frank
Tempel, Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Die Grünen haben einen Vorschlag der Hu-manistischen Union aufgegriffen, der die Einsetzung ei-nes parlamentarischen Polizeibeauftragten als unabhän-gige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger undfür Polizistinnen und Polizisten gleichermaßen vorsieht .Auch die Linke hat den Vorschlag der HumanistischenUnion aufgegriffen und die Arbeit an einem solchen Ge-setzentwurf aufgenommen . Er ist übrigens im Wesentli-chen fertig . Dazu komme ich gleich noch .Die entscheidende Frage ist – Herr Schuster, Sie ha-ben sie auch gestellt –: Brauchen wir so etwas? Brauchtder Bürger eine Beschwerdestelle, wo er doch zum Bei-spiel die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerdeoder auch einer Strafanzeige gegen Polizeibeamte beimöglichem Fehlverhalten hat? Auch berechtigt ist dieFrage: Was bedeutet eine solche Stelle für Polizeibeam-te? Bedeutet die Einrichtung einer solchen Stelle grund-sätzliches Misstrauen, wie es die Polizeigewerkschaftund auch Herr Schuster vermuten, oder nutzt diese StellePolizeibeamten sogar?Meine Damen und Herren, ich bin selbst Polizist, undich weiß, dass Polizeibeamte in unserem Land einen an-strengenden und verantwortungsvollen Dienst verrichten .Ihnen wird ein hoher Ausbildungsstandard vermittelt,und ihnen wird im Rahmen ihrer Einsätze eine erheblicheBelastung abverlangt . Im Verhältnis zum Bürger stehenArmin Schuster
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sie aber auch in einer ganz besonderen Verantwortung .Ihnen wurde das innerstaatliche Gewaltmonopol über-tragen, und dieser ganz besonderen Verantwortung mussauch in einer ganz besonderen Art und Weise Rechnunggetragen werden,
insbesondere wenn wir davon ausgehen, dass da, woMenschen ihren Dienst versehen, auch menschlichesFehlverhalten auftreten wird – auftreten wird, HerrSchuster; nicht: auftreten kann .Es muss einfach im Interesse der Polizeibeamtensein, das Vertrauen der Bürger in die Polizei zu stär-ken . Deswegen muss der Bürger folgende Gewissheithaben: Wenn er sich von der Polizei falsch oder unge-recht behandelt fühlt, kann er im Zweifel auch auf eineunabhängige Stelle zurückgreifen, die sich des Problemsannimmt . Er muss sich nicht bei der Polizei über die Po-lizei beschweren . – Für viele Menschen, Herr Schuster,ist es nun mal keine angenehme Vorstellung, sich bei derPolizei über die Polizei zu beschweren . Das führt nichtselten dazu, dass Beschwerden erst gar nicht erfolgen .Missstände können dann auch nicht abgestellt werden .Das ist der Blick in die Realität .
Mir als ehemaligem Polizeibeamten wird niemand dengroßen Respekt vor der Arbeit meiner Kollegen abspre-chen können . Ein Generalverdacht gegen Polizeibeamteliegt mir völlig fern . Aber die Bilder vom Vorgehen ge-gen die Proteste bei Stuttgart 21, Berichte über die Miss-handlung von Flüchtlingen durch Bundespolizisten inHannover und auch viele kleine Vorfälle zwischen Bür-gern und Polizisten sagen mir sehr deutlich, dass es auchkeinen generellen Heiligenschein für Polizeibeamte gibt .
Mir schreibt zum Beispiel ein chronisch krankerMann, der die Erlaubnis hat, Cannabis medizinisch zuverwenden, dass er von der Polizei monatlich mehrfachkontrolliert wird, seit diese das weiß . Er fühlt sich vonder Polizei drangsaliert . Für eine Strafanzeige reicht esnicht . Er schreibt mir und erhofft sich Hilfe . Besser wärees aber, es gäbe eine unabhängige Stelle, die diese Um-stände klären und dann auch abstellen kann .
Stattdessen verschließt man die Augen davor und sagt:Es ist immer alles gut .Ganz nebenbei: Als Reaktion auf die Misshandlungvon Flüchtlingen durch die Bundespolizisten in Hanno-ver hat Bundespolizeipräsident Romann in seiner Behör-de 2015 eine solche Vertrauensstelle eingerichtet . Das istwahrscheinlich sogar sehr ehrlich gemeint . Aber Bun-despolizisten, die mir geschrieben haben, haben mich ge-warnt, einer solchen Stelle, die direkt beim Präsidentenangesiedelt ist, zuzustimmen; wenn Polizeibeamte denMut aufbringen sollen, interne Missstände aufzudecken,sei dies nur über eine unabhängige Stelle denkbar . – Das,Herr Schuster, haben mir, wie gesagt, Bundespolizistengeschrieben .
Sehr geehrte Damen und Herren, Demokratie undRechtsstaatlichkeit, das ist für uns alle im Bundestagein gemeinsamer Anspruch . Ich denke, mit einer klugen,produktiven und vor allen Dingen offenen Debatte istdas Ende eines jahrzehntelangen Diskussionsprozessesdurchaus möglich .Aber nun zum Entwurf meiner Fraktion . Meine Frak-tion hat trotz einiger Unterschiede darauf verzichtet,ihren eigenen, sehr ähnlichen Entwurf hier dazuzule-gen . Wir möchten zum Beispiel die Tätigkeit des Beauf-tragten beim Zoll nur auf polizeilich agierende Zöllner,die auch in Grundrechte eingreifen, beschränken . Nachunserer Auffassung soll der Polizeibeauftragte auch beiinternationaler Zusammenarbeit der Polizei zum Tragenkommen . Die Selbstbeschränkung bei Aussagen des Po-lizeibeauftragten als Zeugen sehen wir ebenfalls kritisch .Aber über all das können wir ergebnisoffen reden, ohnedass wir gleich unseren Entwurf als Konkurrenz zumEntwurf der Grünen dazulegen müssen . Wir können de-mokratisch auch mal einen Prozess hier beginnen, der zueinem Ergebnis führt
und an dessen Ende steht, dass der Bundestag die Ein-setzung eines parlamentarischen Polizeibeauftragten alsunabhängige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bür-ger und für Polizisten und Polizistinnen gleichermaßenbeschließt .Danke schön .
Vielen Dank . – Jetzt spricht der Kollege Günter
Baumann für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Da wir heute über die Bundespolizei, überMisstrauen und Beschwerden sprechen, möchte ich alsErstes Danke sagen . Ich danke den Bundespolizisten inunserem Land, die täglich eine riesengroße Aufgabe er-füllen . Die Zahl der Einsätze nimmt zu, und die Einsät-ze werden schwieriger und komplizierter; es geht dabeinicht nur um Terrorismus, sondern auch um Fußballchao-ten und Demonstrationen . Überall sind sie unterwegs, umfür unser aller Sicherheit zu sorgen . Dafür als Allerersteseinen ganz herzlichen Dank!
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Meine Damen und Herren, für uns Politiker muss eseigentlich oberste Aufgabe sein, sich die Frage zu stellen:Was können wir tun, um die Bundespolizei in Deutsch-land zu stärken? Dazu gehört als Erstes die personelleund finanzielle Ausstattung; ich denke, da sind wir aufeinem ganz guten Weg . Aber genauso wichtig ist füruns, dafür zu sorgen, dass in der Bundespolizei und imVerhältnis zwischen Bevölkerung und Bundespolizei eingutes Klima herrscht, dass die Bundespolizei in Deutsch-land also voll akzeptiert wird .Es stellt sich natürlich auch die Frage: Was ist zu tun,wenn es einzelne Probleme, Verfehlungen oder Schwie-rigkeiten gibt? Armin Schuster hat einen Teil meinerRede vorweggenommen, weil er aufgezählt hat, welcheanderen Beauftragten es schon gibt . Er ist dabei bis zurZahl zehn gekommen . Als Punkt elf folgt das Wichtigste:das Petitionswesen .Wir haben erst gestern im Plenum unseren Tätig-keitsbericht für das Jahr 2015 vorgestellt . Lieber FrankTempel, es gibt eine unabhängige Stelle, und zwarden Petitionsausschuss . Im letzten Jahr wurden circa13 000 Petitionen an den Deutschen Bundestag gerichtet .Wir hatten eine Erfolgsquote von etwa 45 Prozent . In sovielen Fällen konnten wir den Bürgern bei ihren konkre-ten Anliegen helfen . Das ist eine riesige Erfolgsquote .Das Petitionswesen ist ein Grundrecht . Nach Arti-kel 17 des Grundgesetzes hat jedermann das Recht, sichan die Volksvertretung zu wenden . Die Bürger machendavon auch Gebrauch . Das heißt, sie kommen mit allenmöglichen Anliegen, die man sich vorstellen kann, zu unsund sagen: Bitte helft uns; wir kommen hier nicht weiter .Bei uns geht es um alle möglichen Themen: vonHartz IV über die Verkehrsanbindung bis zur Rente .Es gibt auch Petitionen von Bundespolizisten und überBundespolizisten . Dabei ist es nicht etwa so, dass sichBürger in der Mehrzahl der Eingaben beschweren, dassBundespolizisten bei Demonstrationen zu hart zugegrif-fen hätten; nein, überhaupt nicht . In den Beschwerdenvon Bundespolizisten geht es um Themen, die innerhalbder Bundespolizei eine Rolle spielen . Zum Beispiel hatein Dienstherr eine Beförderung versagt, es gab eineBeschwerde über die unzureichende Ausstattung mitSchutzwesten, und ein genehmigter Sonderurlaub zu Bil-dungszwecken wurde nicht gewährt . Die meisten Fällehaben wir nach einer Stellungnahme des BMI positivbescheiden und dem betroffenen Polizisten ganz konkrethelfen können .Wir haben aber auch Petitionen von Bürgern querdurch das Land erhalten, die sich Sorgen um die Sicher-heit machen; auch das ist hochinteressant . In ihren Peti-tionen schreiben sie zum Beispiel: „Sorgt bitte für einebessere Ausstattung der Bundespolizei, sorgt für mehrBundespolizei auf Bahnhöfen, sorgt für mehr Bundespo-lizei im Vorfeld von Fußballspielen“ usw . usf . Das heißt,die Bürger – auch die Bundespolizisten sind ja Bürger –nutzen die Möglichkeit, sich an uns zu wenden und unsbei ihren Anliegen um Hilfe zu bitten . Insofern stellt sichdie Frage, Frau Mihalic: Brauchen wir die Stelle einesunabhängigen Polizeibeauftragten?Ich möchte Ihnen im Hinblick auf den Begriff „Leer-stelle“ widersprechen . Wir haben keine Leerstelle . Wirhaben unheimlich viele Stellen und Möglichkeiten . DieFrage ist: Gibt es weiteren Bedarf?Die entscheidenden Fragen lauten für mich: Was kön-nen wir tun, um das Ansehen der Bundespolizei und dasVerhältnis innerhalb der Bundespolizei, also das Klima,zu verbessern? Wie können wir Einzelprobleme viel-leicht noch besser lösen? Wir müssen in Ruhe darüberdebattieren, ob wir eine derartige Stelle brauchen . Dabeimüssen wir wissen: Sie kostet Geld . Das wird also nichtganz einfach; Kollege Schuster sprach bereits davon . Siehaben bei den Kosten einen Betrag von 1,85 MillionenEuro angesetzt . Wenn man sich an den Haushaltsausga-ben für den Wehrbeauftragten orientiert, ist man schonbei 4 Millionen Euro oder sogar etwas darüber . Insofernmüssen wir über dieses Thema nachdenken .Wenn wir auf die Länder schauen, können wir überzwei konkrete Fälle sprechen: Rheinland-Pfalz und Ba-den-Württemberg . Andere Länder denken darüber nach,eine solche Stelle einzurichten . Deshalb wollen wir unsdie Wirkungsweise dieser Polizeistellen in den Ländernin Ruhe anschauen: Was kommt dabei heraus? Bringt daseine Verbesserung, oder ist das einfach nur eine zusätzli-che Stelle, die nicht genutzt wird? Nach einiger Zeit wür-de ich mir gerne auch einmal die Vertrauensstelle beim
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was geht dort ein?
Welchen Erfolg bringt diese Stelle? Diese Varianten soll-
ten wir näher betrachten .
Den heute vorliegenden Gesetzentwurf, den Sie, Frau
Mihalic, eingebracht haben, kann man aufgrund des
Wortlauts und Ihrer Ausführungen dazu nur ablehnen .
Wir sind aber bereit, über die Idee miteinander zu disku-
tieren . Wir müssen das gesamte Thema sehen: Was kön-
nen wir für unsere Polizei leisten? Zu allen Gesprächen
darüber sind wir gern bereit .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das
Wort der Kollege Wolfgang Gunkel .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist na-türlich recht schwer, hier als Polizist zu sprechen, wennsich zuvor bereits drei Polizisten geäußert haben . Ichkann nahtlos an das anschließen, was ich in der Debatteüber einen Vorschlag der Linksfraktion, den sie vor ei-nem Jahr eingebracht hat, gesagt habe . Damals kam ichzu dem Ergebnis, dass der Vorschlag sehr diskussions-würdig ist, dass man darüber parteiübergreifend redensollte . Das ist auch heute noch meine Meinung .Günter Baumann
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Wie ist das Ganze entstanden? Wir alle wissen, dassder NSU-Untersuchungsausschuss zu dem katastropha-len Ergebnis kam, dass bei der polizeilichen Arbeit er-hebliche Fehler gemacht worden sind . Aus diesem Grundhat meine Fraktion ein Sondervotum abgegeben und ge-nau das gefordert, worüber wir heute diskutieren, eineunabhängige Beschwerdestelle, die als Ombudsstellefür die Bürger fungieren soll, aber auch als interne Be-schwerdestelle zur Aufarbeitung polizeilicher Beschwer-den . Dies entspricht im Wesentlichen dem, was hier vor-gelegt worden ist .Einige Punkte, die angeführt werden, sind wirklichdiskussionswürdig . Zu dieser Diskussion kann ich et-was beitragen . Zunächst einmal will ich aber sagen, dassdie Anregung, die von den Vorlagen ausgeht, unbedingtnotwendig ist . Kollege Baumann, in Rheinland-Pfalzgibt es seit 2014 eine entsprechende Stelle . Die Zahl derdort auflaufenden Fälle beträgt etwa 2 000. Davon hatder Beauftragte 300 zurückgewiesen . Es gibt also auchdie Möglichkeit, Fälle zurückzuweisen, die nicht in dieKompetenz des Beauftragten fallen . Das gilt beispiels-weise für Fälle, um die sich ein Petitionsausschuss küm-mern kann . Diese Fälle muss der Polizeibeauftragte bzw .der Bürgerbeauftragte nicht abarbeiten, sondern in diesenFällen kann er den Bürger beispielsweise an die Petiti-onsausschüsse verweisen .Darum geht es in diesem Zusammenhang aber nicht .Hier geht es um ein Hilfsorgan, ein Hilfsinstrument desBundestages, um einen Beauftragten, der mehr Befug-nisse haben soll als ein normaler Beschwerdebearbeiter,der in einer Polizeidienststelle tätig ist . Dahinter steht einganz spezieller Auftrag, nämlich auch bei schwerwiegen-den Vorkommnissen Ermittlungsarbeit zu übernehmen,Akteneinsicht zu nehmen und Ähnliches mehr . Seine Be-fugnisse würden also ein bisschen weiter reichen .Von dieser Warte aus betrachtet, muss man sagen, dasses notwendig ist, diese Stelle einzurichten . Eine unab-hängige Stelle wird gebraucht, weil bestimmte Beziehun-gen unter den Kollegen beispielsweise bei Großeinsätzendazu führen, dass recht unterschiedliche Meinungen überdie Rechtmäßigkeit einer Handlung zustande kommen .Was will ich damit sagen? Ich möchte ein kleinesBeispiel geben . Vor einigen Jahren ist Folgendes pas-siert – ich glaube, es ist denkbar, dass es so etwas auchheute noch gibt –: Es geht um einen Einsatz, bei dem einHaus geräumt werden soll, die Hochschule der Künste .Die Polizei muss nach langen Auseinandersetzungen, dierecht heftig verlaufen, über das Dach einsteigen und die-ses Haus räumen . Sechs Etagen sind geräumt – ich fassemich kurz –, und in dem Rondell vor dem Haus bildetsich eine Gruppe . Ein Mensch tritt auf einen Beamten zuund sagt, dass er die Rechtmäßigkeit überprüfen wolle,und fragt, welche Rechtsgrundlage die Polizei für ihrenEinsatz habe . Der Polizeibeamte holt aus, schlägt ihmmit der Hand ins Gesicht und sagt: Das ist die Antwort . –Durch das Tohuwabohu, das entsteht, und den neuenAuftrag an die Gruppe verläuft sich das Ganze, und dieSache ist zunächst einmal erledigt .Was passierte danach? Es wurde selbstverständlichAnzeige erstattet . Am nächsten Tag erfuhren wir vondem Beamten, dass darüber sicherlich nachgedacht wur-de . Dann tauchte eine Liste mit acht oder neun Leutenauf, die in der Gruppe dort tätig gewesen sein sollen, undsie sollten unterschreiben, dass sie eine Straftat nicht ha-ben feststellen können . Ein Beamter, der dort betroffenwar, sagte, dass er das nicht unterschreibt . Der Vorgesetz-te sagte zu ihm: Dann warten wir einmal, bis der Chefkommt, und dann wirst du ja schon sehen .Der Chef war nicht da und erschien erst drei Tagespäter . Der Beamte ging dorthin, und der erfahrene Chefsagte ihm gleich: Überlegen Sie sich ganz genau, was Siehier sagen . Sie wissen, dass Ihnen ein Verfahren wegenStrafvereitelung im Amt droht, wenn Sie etwas gesehenund es nicht zur Anzeige gebracht haben .Das ist eine sehr schwierige Situation, und das wollteich einmal so drastisch deutlich machen .Was machte er nun? Er überlegte: Entweder gebe ichzu, dass ich da etwas gesehen habe, aber dann bekom-me ich eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt,oder ich sage, dass ich nichts gesehen habe, wodurchich eventuell heil aus der Situation herauskomme . Erentschied sich für Letzteres und wurde gefragt: Warumkonnten Sie es dann nicht unterschreiben? Die Antwortwar: Wenn ich nichts gesehen habe, kann ich auch nichtsunterschreiben .So ist das gewesen . Man kann also sagen: Glück ge-habt, dass der Vorgesetzte das auch so akzeptiert hat .Wie ist das Verfahren weitergegangen? Es interessiertja auch noch der Abschluss . – Der Betroffene ist identi-fiziert worden, weil jemand eine Kamera hat mitlaufenlassen, und da es ein sehr warmer Tag war, war sein Vi-sier hochgeklappt, sodass er eindeutig zu identifizierenwar . Er ist dann seiner entsprechenden Strafverfolgungzugeführt worden .Warum erwähne ich das? Ich will damit deutlich ma-chen, wie schwierig es für die Kollegen in solchen Fällenmitunter ist, all das „durchzuziehen“, was normalerweiseerforderlich ist .Deshalb finde ich es besonders gut, dass in dem Ge-setzentwurf der Grünen steht, dass die Frist, die für je-den gelten soll, der mit einer solchen Sache konfrontiertworden ist, drei Wochen betragen soll . Man kann darüberreden, ob es zwei oder drei Wochen sind, aber das spieltkeine Rolle . Wichtig ist, dass die Beamten eine Karenz-zeit haben, während der es ihnen möglich ist, sich auchnachträglich entsprechend zu äußern, ohne sich der Ge-fahr einer Strafverfolgung auszusetzen . Das ist ein ganzwichtiger Punkt .
Ich möchte auch noch auf Folgendes hinweisen: Esgibt interne und externe Beschwerdestellen; Rhein-land-Pfalz hatte ich in diesem Zusammenhang schonerwähnt . Die Berliner Beschwerdestelle erhält zum Bei-spiel über 2 000 Beschwerden pro Jahr . Das ist schoneine große Zahl an Beschwerden, die zu bearbeiten sind .Die Zahl der Beschwerden, die die BeschwerdestelleWolfgang Gunkel
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der Bundespolizei erhält – und um sie geht es hier ja;da haben Sie völlig recht –, liegt weitaus darunter . EinGrund dafür ist zum Beispiel, dass Unterstützungskräftenatürlich immer erst in zweiter Linie ins Blickfeld gera-ten . So war es auch in Köln und Stuttgart . Somit sind dieFallzahlen dort recht gering . Das kann sich aber jederzeitändern .Der Bundespolizeipräsident hat also dankenswerter-weise eine interne Beschwerdestelle eingerichtet . Dasist löblich und auch zu begrüßen . Sie erfüllt aber nichtdie Aufgabe, die hier vorgesehen ist und die ich auch fürdringend notwendig halte .Ich möchte jetzt noch ein paar Worte zu einer anderenenthaltenen Bestimmung sagen:Ich habe ein Problem mit § 13 Absatz 2 des Gesetzent-wurfs, in dem die parallele Ermittlungszuständigkeit fürStrafverfahren, Disziplinarverfahren und die Verfahren,die der Bundespolizeibeauftragte führen soll, vorgesehenist . Man müsste noch einmal darüber sprechen, wie dasausgestaltet werden soll . Das müsste für meine Begrif-fe klarer geregelt werden . Insofern kann ich nur sagen:Es wäre schön, wenn wir eine intensive Debatte darüberführen könnten .Ich bin ganz und gar der Meinung, dass man noch ein-mal alle Beteiligten anhören sollte – die Bundespolizei,die Gewerkschaften, den Landesbeauftragten in Rhein-land-Pfalz und ähnliche Personen, die zur Sache etwassagen können –, um noch einmal über diesen ganzen Vor-gang zu reden . Ich glaube, dann könnte man von einemvernünftigen Ergebnis ausgehen .Heute haben wir die erste Lesung . Es ist üblich, dassdanach das Ganze an die Ausschüsse überwiesen wird .Das wird auch jetzt der Fall sein . Die SPD jedenfalls be-grüßt diesen Vorschlag . Ich hoffe, wir werden uns dannin den folgenden Wochen damit tiefer auseinandersetzenkönnen .Ich möchte zum Schluss noch sagen, damit keinerglaubt, ich erhöbe hier einen Generalverdacht gegenHandlungen der Bundespolizei, dass ich meine Kolle-gen sehr schätze und sehr wohl weiß, wie auch KollegeBaumann schon gesagt hat, was von der Polizei, geradeauch von der Bundespolizei, geleistet wird . Ich erinnerean Millionen von Überstunden durch die Entwicklungder letzten Monate . Auch das muss entsprechend ho-noriert werden .Mir liegt es fern, darüber zu philosophieren, ob diePolizei rechtsstaatlich handelt oder nicht . Sie ist einRechtsstaatselement . Wenn man die Zahlen betrachtet,die immer wieder erhoben werden, um das Vertrauen inBerufsgruppen anzugeben, dann muss man feststellen,dass Feuerwehrleute, Ärzte und Polizisten bei der Bevöl-kerung zu 80 Prozent Vertrauen genießen – das ist schoneinmal ein ganz erheblicher Wert und das schon seitJahren –, während es andere Gruppen wie Politiker undGewerkschafter gibt, die bei 30 Prozent herumdümpeln .Das nur zum Vergleich . Man kann daran sehen: Die Po-lizei hat ihren Stellenwert, und der Bürger hat keinerleiZweifel an ihrer Arbeit .Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist insgesamtdiskussionswürdig . Nach der Überweisung an die Aus-schüsse wird man sehen, ob etwas daraus zu machen ist .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages-
ordnungspunkt hat jetzt der Kollege Dr . Volker Ullrich,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir diskutieren heute den Gesetzentwurf derGrünen zur Einrichtung eines Bundespolizeibeauf-tragten . Ja, wir sind in diesem Land nicht arm an Be-auftragten . Wir haben den Bundesbeauftragten für denDatenschutz, wir haben gestern den Beauftragten für dieStasi-Unterlagen wiedergewählt, und es gibt auch seitvielen Jahrzehnten den Wehrbeauftragten .Gerade der Vergleich des Wehrbeauftragten mit demvon Ihnen geforderten Bundespolizeibeauftragten zeigt,dass hier zwei Positionen verglichen werden, die nichtvergleichbar sind . Der Wehrbeauftragte ist für Eingabenvon Soldaten zuständig, die einem besonderen Grund-rechtsverhältnis unterliegen, und der Wehrbeauftragtesoll die Grundsätze der Inneren Führung innerhalb derBundeswehr überprüfen .Sie schlagen einen Bundespolizeibeauftragten vor, derFehlverhalten von Polizeibeamten gegenüber den Bür-gern im Rahmen des Einsatzes überprüfen soll .
Da muss ich Ihnen sagen: Es gibt in diesem Land bereitsgenügend rechtliche und rechtsstaatlich abgesicherteVerfahren, um Fehlverhalten zu überprüfen . Ja, es gibtFehlverhalten von Polizeibeamten . Das wollen wir nichtwegdiskutieren . Gerade wenn der Staat das Gewaltmo-nopol hat, wirkt das Fehlverhalten von Polizisten beson-ders schwer .Aber der Rechtsstaat hat dagegen sehr taugliche In-strumente entwickelt . Es gibt innerhalb des Beamten-rechts das Instrumentarium des Disziplinarverfahrens .Bei Gewaltdelikten und anderen Straftaten gilt das Lega-litätsprinzip . Der Staatsanwalt muss von sich aus ermit-teln; er hat gar kein Ermessen . Darüber hinaus gibt es fürBürger auch die Möglichkeit, polizeiliches Handeln vorden Verwaltungsgerichten zu überprüfen .Wir meinen, dieses Instrumentarium ist rechtsstaatlichausgewogen, und wir sollten es nicht durch die Möglich-Wolfgang Gunkel
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keit aufweichen, ein rechtsstaatlich fragwürdiges Verfah-ren einzuführen .
Meine Damen und Herren, Sie sprechen in IhremGesetzentwurf – ich zitiere – von „exzessiver Polizei-gewalt“, von „strukturellen Problemen“ und von „kaumvorhandener Fehlerkultur“ . Da muss ich Ihnen ehrlichsagen: Das sind nicht unsere Worte . Wir setzen demMisstrauen, das Sie in die Polizei haben, das Vertrauenin die Polizei entgegen . Das Vertrauen in die Polizei istwichtig, damit dieser Rechtsstaat die ihm übertragenenAufgaben gewissenhaft erfüllen kann .Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie unsauch über Dinge sprechen, die ebenso wichtig sind unddie man im Rahmen dieser Debatte ansprechen muss . Dasist nicht nur das Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter,sondern das ist auch die besondere Situation, der sich Po-lizeibeamte ausgesetzt sehen . Ich möchte sprechen überdie unerträgliche Zunahme der Gewalt gegen Polizeibe-amte und gegen Einsatzkräfte . Allein im Jahr 2014 sindüber 60 000 Polizeibeamte angegriffen worden . Die Zahlhat sich gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent erhöht .Es gab über 22 000 Widerstände gegen Polizeibeamte .Ich sage Ihnen ehrlich: Wer jeden Tag auf unseren Stra-ßen und Plätzen seinen Kopf dafür hinhält, dass unserLand sicher ist, der hat unsere Solidarität verdient .
Diese Bundesregierung hat gehandelt . Sie hat ein Pro-gramm aufgelegt, um die Ausrüstung von Polizeibeam-ten zu verbessern . Wir werden in den nächsten Jahren3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei schaffen, damitunsere Bahnhöfe, Flughäfen und Plätze noch sichererwerden . Deswegen von unserer Seite heute ein Dank anunsere Polizeibeamten für ihren Einsatz und dafür, dasssie unser Land sicher machen . Daran, dass die BürgerVertrauen in diesen Rechtsstaat und diese Polizei haben,werden wir uns messen lassen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .
Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla-
gen auf den Drucksachen 18/7616, 18/7617 und 18/7618
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,
das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Petra
Sitte, Jan Korte, Matthias W . Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Transparenz herstellen – Einführung eines
verpflichtenden Lobbyistenregisters
– zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Volker Beck , Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz schaffen – Verbindliches Re-
gister für Lobbyistinnen und Lobbyisten
einführen
Drucksachen 18/3842, 18/3920, 18/8742
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Lassen Sie mich drei Punkte voranstellen .Erster Punkt . Seit 1972 gibt es öffentliche Anhörungenim Deutschen Bundestag, und seitdem wird im Bundes-tag eine öffentliche Verbändeliste geführt . Dort sind über2 200 Interessenvertretungen registriert, immer aktua-lisiert, transparent sortiert nach Lobbybereichen . DieseListe ist auch die Grundlage für öffentliche Anhörungen .Der zweite Punkt, den ich voranstellen will, ist folgen-der: Transparency International hat bereits im Integritäts-bericht 2012 festgestellt – ich zitiere –: „Die Transparenzdes Bundestags kann als sehr hoch eingestuft werden .“Damit komme ich zum dritten Punkt, der im gleichenZusammenhang steht . Wir haben ja am 11 . Mai eine An-hörung zu diesem Thema durchgeführt . Das Ergebnisdieser öffentlichen Anhörung war, dass es im Bundestagkein Transparenzdefizit gibt. Das haben sogar die Ex-perten, die Sachverständigen bestätigt, die von der Op-position selbst eingeladen wurden . Ich muss feststellen,dass die Anhörung zu diesem Antrag für Sie letztendlichverheerend war .
Ich konnte den Unmut der Experten verstehen, die be-reits öfter zu diesem Thema zu einer Anhörung eingela-den waren und die die Frage gestellt haben: Warum wirdin jeder Legislaturperiode über fast identische Anträgediskutiert, ohne dass bei der x-ten Auflage nicht einmallängst bekannte Kritik auch in juristischer Weise aufgear-beitet wird? – Es sind immer die gleichen Anträge . Jetztdebattieren wir wieder – das sage ich bewusst – diesemodrigen Anträge, die niemals aktualisiert worden sind,Dr. Volker Ullrich
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weil das zur Inszenierung einer Veranstaltung der Frakti-on Die Linke gehört .
Lassen Sie mich sagen: Sie bedienen sich einer Mischunggängiger Schlagworte .
Sie malen das Bild eines undurchsichtigen Parlamentesmit von Lobbyisten gesteuerten Abgeordneten . Das ist –das wissen Sie alle – vollkommener Unsinn .
Das Fatale dabei ist auch, dass Sie ganz genau wissen,dass das Bild mit der Parlamentswirklichkeit hier imDeutschen Bundestag mit seinen frei gewählten Abge-ordneten nichts zu tun hat . Das ist ein Zerrbild, das Siezeichnen .
Letztendlich ist es so, dass Sie nur für den Applauseinschlägiger Internetplattformen verschiedener linkerNetzwerke solche Anträge stellen . Denn dort wird diesesBild auch ständig gemalt .
Ja, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wirbrauchen bei jedem politischen Projekt den öffentlichenDiskurs, die öffentlich zugänglichen Beratungsergebnis-se, Drucksachen, Anhörungen, den Diskurs in den Medi-en. Es geht darum: Wie findet hier Interessensabwägungstatt? Das kann man dann auch kritisch beleuchten . Aberwir werden nie zulassen, dass der frei gewählte Abgeord-nete, dem der Bürger sein Vertrauen geschenkt hat, öf-fentlich Rechenschaft darüber ablegen muss, mit wem erwann und wie über was gesprochen hat . Das widersprichtunserem Grundgesetz total und unserem Selbstverständ-nis als Abgeordnete .
Lassen Sie mich an diesem Punkt darauf eingehen,was uns in unseren Auffassungen unterscheidet . Hierkomme ich zu der Frage: Welches Selbstverständnis ha-ben wir vom Abgeordneten, von der parlamentarischenArbeit? Die Garantie des freien Mandates ist Kernbe-standteil unseres Grundgesetzes . Ich bin fest davon über-zeugt: Es gibt kein freies Mandat ohne Vertrauen in dieMandatsträger . Das muss Grundlage sein . Welches Bildwird hier gezeichnet? Welches Bild vermitteln wir denMenschen, wenn wir beständig selbst öffentlich sugge-rieren, ohne ein Lobbyregister gäbe es im Parlament An-deutungen von Korruption, Klüngelwirtschaft usw .? Siebedienen damit Klischees . Aber Sie schüren auch Vorur-teile und stellen die Unabhängigkeit der Kolleginnen undKollegen infrage . Das geht nicht .
Meine Damen und Herren, ich finde es schlimm,dass wir immer intensiver darüber reden, wie die Ab-geordneten noch lückenloser in ihrer Arbeit beobachtet,reglementiert werden können . Der Begriff „Abgeord-netenwatch“, übersetzt: Abgeordnetenbeobachtung, dasführt das freie Mandat in das Absurde . Es geht nicht umBeobachtung und Reglementierung von Abgeordneten .Vielmehr sollten wir auf den Kern unserer Tätigkeit hin-weisen: Es geht um die Kontrolle der Regierung durchdas Parlament . Hier sind die Begriffe „Kontrolle“ und„Beobachtung“ angebracht . Aber die anderen Dinge füh-ren zu einer Schwächung der Legislative im Verhältniszur Exekutive .
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sindgewählt, um für die Bürgerinnen und Bürger die Abwä-gung verschiedenster Interessen vorzunehmen, Interes-sen, die auf die unterschiedlichste Art und Weise an unsherangetragen werden: Bei mir und den meisten Kolle-gen fängt das im Regelfall im Wahlkreis an . Dort vorOrt sind Gespräche: mit der Kreishandwerkerschaft, miteinem Unternehmen, mit Gewerkschaftsvertretern . Dienächste Ebene ist das Bundesland . Da bittet zum Bei-spiel der Landesverband der Steuerberater um ein Ge-spräch mit den Abgeordneten aus Rheinland-Pfalz oderNordrhein-Westfalen . Hier in Berlin ist es unsere täglicheArbeit . Bei Telefonaten, Mails und Gesprächen geht esimmer um Politik, das heißt um die Wahrnehmung undum die Abwägung von Interessen . Da frage ich einfach:Trauen Sie dabei wirklich den Kollegen und Kolleginnennicht zu, dass sie jeweils wissen, wer ihr Gesprächspart-ner ist? Bei der Anhörung ist zudem deutlich geworden,dass schon allein die Abgrenzung, wer denn in diesemRegister überhaupt erfasst würde – wenn man es tatsäch-lich schaffen würde –, ein Riesenproblem wäre .Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in denletzten Jahren unser Mandat schon sehr weit reguliert,man kann auch sagen: eng reguliert . Ich gebe mal Stich-worte: Verhaltensregeln, Nebentätigkeiten, Strafbarkeitder Abgeordnetenbestechung . Für all die Einzelmaß-nahmen, die wir beschlossen haben, gab es jeweils guteGründe, oder es gab Einzelfälle, die uns dazu veranlassthaben . Aber lassen Sie mich auch fragen – das gebe ichganz persönlich zu bedenken –: Wie ist die Wirkung inder Summe?In gut einem Jahr wird wieder ein Deutscher Bundes-tag gewählt . Da steht in verschiedenen Wahlkreisen wie-der die Frage an: Wer ist künftig bereit, seine persönlicheLebens- und Berufsbiografie für vier, acht oder zwölfJahre zu unterbrechen, um dem eigenen Land, der eige-nen Heimat zu dienen und sich zu engagieren? Auf wel-che Arbeitsbedingungen trifft er denn hier im DeutschenBundestag?
Es geht um die Frage, welche Vorstellung man von ei-nem Parlament hat: Wen möchte man hier sitzen haben?Ich könnte jetzt viel dazu sagen, wie unterschiedlich dieBerufsstrukturen in den verschiedenen Fraktionen sind .Bernhard Kaster
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Wir stellen uns schon die Frage: Welche Arbeitsbe-dingungen finden wir vor? Wieweit ist Vertrauen da?Wieweit sind Reglementierungen notwendig? Das hatetwas mit dem Selbstverständnis des Abgeordnetenman-dates zu tun . Da kann durchaus die Frage gestellt werden,was zum Beispiel einen Selbstständigen motiviert – oderandere Menschen, die fest im Berufsleben stehen –, dasWagnis einer Wahl und des freien Mandates auf sichzu nehmen, wenn er beispielsweise weiß, dass er in derKonsequenz Ihres Antrages künftig ständig Gesprächs-notizen festzuhalten hat – mit wem er wo über was ge-sprochen hat .
– Das steht nicht im Antrag . Es ist aber die Konsequenzdaraus . Darüber wurde auch so in der Anhörung gespro-chen . Es gibt ja bei Ihnen Kolleginnen und Kollegen,die das so praktizieren, was nicht zu kritisieren ist . AberSie möchten das als Zielrichtung für das Parlament vor-geben . – Ein weiteres Beispiel: Ein Abgeordneter mussdamit rechnen, dass er aufgrund des Bruttoumsatzes aufseinem Bauernhof als Topverdiener angeprangert wird .All das sind Regelungen, die wir schon haben und diealle ihren Sinn machen; aber ihre Wirkung ist manchmalfraglich .Lassen Sie mich abschließend sagen: In den letztenWahlperioden hat jeder Bundestag das Mandat ein Stückweiter reglementiert . Lassen Sie mich die Sorge äußern:Zumindest mir macht das im Hinblick auf die Entwick-lung des Parlamentes durchaus Sorgen . Wir sollten dasbitte in Gänze im Auge behalten . Auch Ihr Antrag, IhreInitiative würden weiter in eine solche Richtung führen .Haben wir Vertrauen ins freie Mandat!
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Dr . Petra Sitte ist jetzt die nächste Red-
nerin für die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mensch,Herr Kaster, ich wusste gar nicht, dass es ein Opfer ist,im Bundestag zu sitzen .
Noch eine kleine Vorbemerkung möchte ich gernemachen: Die Opposition, sowohl die Grünen als auchwir Linken, hat Konzepte für eine umfassende Transpa-renzoffensive vorgelegt . Diese gehen selbstverständlichüber das Lobbyistenregister, das wir jetzt diskutieren, hi-naus. Wir wollen schon, dass der Einfluss von Interessen-gruppen im politischen Prozess insgesamt sichtbarer undnachvollziehbar wird, und, Herr Kaster, wir reden nichtnur über den Bundestag .Transparenz ist natürlich kein Selbstzweck . Da mussich dem Sachverständigen, den Sie von der CDU/CSUbestellt hatten, Professor Schliesky, widersprechen . Erkam in der Anhörung – für die Zuhörer ist das vielleichtinteressant – doch allen Ernstes auf die Idee, der Oppo-sition vorzuhalten, totale Transparenz schade der Demo-kratie . Ich zitiere wörtlich:Totalitäre Forderungen verheißen … in der Regelwenig Gutes und sind selten demokratisch – soverhält es sich auch mit der Forderung nach totalerTransparenz .Noch einmal zur Klarstellung: Es ging in den Anträgenüberhaupt nicht um Totalität .
Die Vorschläge geben überhaupt nicht her, was dort un-terstellt wurde . Aber worum es sehr wohl ging, war: De-mokratie für alle .
Jeder bzw . jede soll wissen können, wie Entscheidun-gen, die unter anderem auch sie betreffen, zustande ge-kommen sind . Abgeordnete wurden gewählt, das stimmt;Interessenvertreter dagegen nicht . Oft genug hinterlassenLobbyisten ihren Fußabdruck nämlich gar nicht nur imBundestag, sondern vor allem auf der Ebene der Minis-terien. Sie arbeiten mit an der Problemdefinition, sie ar-beiten mit an Gesetzentwürfen und bei der Ausrichtungvon Förderprogrammen, und das alles lange vor den Ab-geordneten . Das ist von uns auch gemeint und mit einbe-zogen . Deshalb habe ich gesagt: Wir reden hier nicht nurüber den Bundestag .Kommen Vorlagen ins Parlament, dann waschen dieLobbyisten noch einmal nach . Sie haben es doch selbererlebt: Sie haben gewissermaßen eine zweite Chance, dieInteressen ihrer Auftraggeber einzuspülen . Und natürlichbleibt das nicht ohne Rückwirkung auf die Unterstützungvon Parteien bzw . nicht ohne Wirkung auf Wahlkämpfe .Ich darf Sie daran erinnern: Es gab hier schon mas-siven Druck, beispielsweise von der Springer-Verlags-gruppe, als es um das Leistungsschutzrecht ging . Da hatman sich ein Geschäftsmodell vom Bundestag gesetzlichschaffen lassen . Damit wurde dann eben auch gleichmal die innovative mittelständische Konkurrenz, näm-lich kleine und mittelständische Unternehmen, in dieserBranche zur Seite gedrängt . Das Gleiche droht jetzt beider Netzneutralität .Machen wir uns doch nichts vor: Natürlich weiß ich,dass jeder von uns ein mündiger Bürger ist und dass mangelegentlich sehr fest im Glauben sein muss . Aber BigPlayer haben doch eine ganz andere Möglichkeit, in die-sen Bundestag – in Anführungsstrichen – „hineinzure-gieren“ . Sie wissen genauso gut wie ich, dass sie in derBernhard Kaster
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Politik bestens vernetzt sind . Selbstverständlich könnenMedienkonzerne wie Springer für oder gegen ParteienWahlkämpfe machen .Andere Beispiele waren und sind der Einfluss der Au-tomobilindustrie auf die Bundesregierung bei der Fest-legung von Schadstoffgrenzwerten oder der Einfluss derEnergieriesen auf die Regularien des Atomausstiegs .Umweltverbände hatten nicht annähernd die gleichenMöglichkeiten .
Dieser Chancenungleichheit zwischen den Interessen-gruppen sollen unsere Vorschläge ebenfalls entgegenwir-ken .Sie merken: Wir sind gar keine „Lobbyistenfresser“,wie uns unterstellt wird . Wir halten es für völlig normal,dass in einer modernen Demokratie vielfältig Interes-sen vertreten werden: von Wirtschaftsunternehmen, vonVerbänden, von Nichtregierungsorganisationen, von Ge-werkschaften, von Forschungseinrichtungen, von Bür-gerinitiativen oder eben auch von Bundesländern; das istdoch völlig klar .
Politik muss sich aber am Gemeinwohl orientieren, undin diesem Sinne ist es notwendig und sinnvoll, wenn wirin der Gesetzgebung oder in der Antragsberatung die ver-schiedenen Perspektiven aufnehmen .
Entscheidungen sind seit 1972 ein wenig komplexergeworden, Herr Kaster . Der Beratungsbedarf ist gewach-sen . Schließlich entstehen die meisten Gesetze nicht hierim Haus, sondern zu 75 Prozent bei der Bundesregierung .Wir als Abgeordnete müssen uns oftmals, so wie Sie esbeschrieben haben, selbstständig mit einer Materie be-schäftigen . Dazu gehören nicht nur öffentliche Anhörun-gen, dazu gehören eben auch vielfältige Einzelgespräche .Das ist völlig legitim . Wir verurteilen das auch gar nicht .Wir wollen nur, dass solche Vorgänge nachvollziehbarund transparent sind . Deshalb haben wir mit unserer Of-fensive auch in der Verwaltung angesetzt .Nach einer Studie von Transparency International istDeutschland in Sachen Korruption auf Platz 16 gelan-det – es wurden 19 Länder und 3 Einrichtungen der EUuntersucht . Auf EU-Ebene haben alle Einrichtungen einLobbyistenregister . Mit den von uns vorgeschlagenenMaßnahmen können wir nicht nur unsere Platzierungaufhübschen, sondern wir können vor allem ein gutesdemokratisches Werk tun . Herr Kaster, solange Sie Ihremodrige Meinung nicht verändern, werden wir solcheAnträge stellen .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Sonja Steffen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste auf den Tribünen!Mal eben was im Bundestag regeln? Kurz beim zu-ständigen Ausschussvorsitzenden anklopfen und einAnliegen vorbringen?So beginnt ein Artikel der Süddeutschen Zeitung aus demFebruar 2016 mit der Überschrift „Durch die Hintertür“ .
Zahl und Namen der Lobbyisten hat die Bundestags-verwaltung nach einem entsprechenden Beschluss desVerwaltungsgerichts Berlin vor einiger Zeit veröffent-licht, und im Februar 2016 hat der Ältestenrat des Deut-schen Bundestages beschlossen, dass Unternehmensver-treter zukünftig keine Hausausweise mehr bekommen .So einfach durch die Hintertür sind die Dinge heute nichtmehr . Das bedeutet, dass die Ausgabe von Dauerauswei-sen, mit denen man sich früher im Bundestag frei bewe-gen konnte, inzwischen sehr stark eingeschränkt wordenist. Man muss sich in ein offizielles Lobbyistenregistereintragen lassen, und man muss einem Verband angehö-ren .Ich zitiere jetzt mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin,Herrn Hackmack, den Geschäftsführer von abgeordne-tenwatch .de . Er ist nicht unbedingt immer ein Befürwor-ter der Arbeit des Deutschen Bundestages und schautsehr kritisch auf die Dinge . Er sagt zu dieser Entschei-dung des Ältestenrates:Dass die Lobbyisten von Rüstungs- und Autokon-zernen zukünftig nicht mehr nach Belieben im Bun-destag ein und aus gehen können, ist ein wichtigerSchritt auf dem Weg zu einer transparenten und sau-beren Politik .Die SPD-Fraktion begrüßt diesen Beschluss des Ältes-tenrates daher ausdrücklich .
Damit ist jedoch der Forderung der Fraktion Die Lin-ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch nichtentsprochen . Wir diskutieren ja heute über Anträge zurEinführung eines verbindlichen Lobbyistenregisters, undhierbei geht es eben nicht nur um Dauerausweise; dennegal ob mit oder ohne Hausausweis, es wird immer Lob-bygespräche geben . Sie sind uns übrigens – das habenHerr Kaster und übrigens auch Frau Sitte schon gesagt –sehr wichtig, und sie sind im Übrigen für alle Abgeordne-ten wichtig . Das Grundgesetz erlaubt jedem, seine Inte-ressen zu vertreten . Kein Interesse wird ausgeklammert .Ob es um die Position der Umweltorganisationen geht,um wirtschaftliche Standpunkte von Unternehmen oderum Auffassungen von Sozialträgern, spielt aus verfas-sungsrechtlicher Sicht keine Rolle . Unsere DemokratieDr. Petra Sittehttp://www.abgeordnetenwatch.de/http://www.abgeordnetenwatch.de/
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lebt vom freien Austausch der Gedanken und vom Inte-ressenausgleich, und das gilt für diesen Bundestag erstrecht .
Mir ging es in den letzten Tagen genauso wie Ihnenallen: Ich habe verschiedene Gespräche geführt; ich legesie hier gerne offen . Meine Gesprächspartner kamen vonder IHK Mecklenburg-Vorpommern, von Verdi, von derImpfallianz Gavi . Glauben Sie mir, diese Gespräche undder Austausch, den sie ermöglichen, sind extrem wichtig,sowohl für diejenigen, die etwas von uns erwarten bzw .ihre Anliegen vorbringen wollen, als auch umgekehrt füruns . Wir informieren uns in dieser Hinsicht gerne . Daherwird sich über Sinn und Zweck dieser Gespräche nie-mand große Sorgen machen müssen .Im Übrigen finde ich es ganz schade, dass der Begriffdes Lobbyisten und des Lobbyismus so sehr verbranntist . Das meinen übrigens auch die sogenannten Lobbyis-ten selber . Auch ich war in der Anhörung am 11 . Mai,und wir haben alle gehört, dass auch die Lobbyverbändedort gesagt haben, sie wünschen sich ein verbindlichesLobbyistenregister .
Denn mit einem verbindlichen Lobbyistenregister,Herr Kaster, wäre unserer Meinung nach viel getan .Dann käme nämlich endlich der Lobbyismus aus seinerSchmuddelecke heraus .
Es geht nun einmal um nichts Geringeres als das Vertrau-en der Bürgerinnen und Bürger in das staatliche Handelnund um Transparenz als wichtiges Argument dazu .Ich meine, das tut uns im Übrigen überhaupt nichtweh . Im Gegensatz zu dem, was unsere Koalitionskolle-gen äußern, geht es nicht darum, dass wir sozusagen dieHosen runterlassen, dass wir uns für alle Gespräche, diewir führen, öffentlich rechtfertigen müssen,
sondern es geht genau um die andere Seite: Es geht nurdarum, dass die Lobbyverbände ihre Anliegen und ihreHintergründe offenlegen müssen . Das hat also mit einemNackigmachen des Parlamentariers wirklich nichts zutun .Aber ich gebe zu, es gab auch kritische Stimmen inder Anhörung . Ich habe die Wucht nicht so empfundenwie Sie; Sie hatten vorhin gesagt, das war verheerendfür das Team, das für ein verbindliches Lobbyistenregis-ter ist . Ich habe es anders vernommen, aber wir habenauch die kritischen Stimmen gehört, und ich kann mirvorstellen, dass meine Kollegin gleich auch auf einensolchen Punkt eingehen wird . Das betrifft beispielsweisedie Offenlegung von finanziellen Dingen. Da, denke ich,müsste man wirklich noch einmal schauen, ob das mög-licherweise zu sehr in das Recht der informationellenSelbstbestimmung eingreift . Dass das freie Mandat andieser Stelle betroffen sein soll, sehe ich wirklich nicht .
Aber die kritischen Argumente gegen ein verbindli-ches Lobbyistenregister dominieren derzeit – derzeit;man weiß ja nie – noch bei den Koalitionskollegen derCDU/CSU und hindern uns von der SPD-Fraktion, IhremAntrag zuzustimmen .
Das ist schade, aber es gibt eine Koalitionstreue, und andie halten wir uns .
Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal aus-drücklich erwähnen, dass sich die Bilanz der Erfolgeder Koalition – jetzt lobe ich uns – doch sehen lassenkann . Es ist zwar schon gesagt worden, aber vielleichtnoch nicht so deutlich: Wir haben in dieser Legislatur dieStrafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu eingeführt .Wir haben eingeführt, dass es eine gesetzliche Karenzzeitfür den Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirt-schaft gibt . Ich habe eingangs schon gesagt, dass wir dieErteilung von Hausausweisen sehr reglementiert und ihreZahl sehr stark verringert haben . Ich will an dieser Stellenoch ausdrücklich betonen: Wir von der SPD-Fraktionwerden unser Ziel eines verbindlichen Lobbyistenregis-ters nicht aus den Augen verlieren .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Britta Haßelmann ist jetzt die nächste
Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Kolleginnen und Kollegen! Der Austausch vonPolitik und Interessenvertreterinnen und Interessenver-tretern ist für eine funktionierende Demokratie wichtig .Lobbyistinnen und Lobbyisten bringen wichtige Erfah-rungen aus ihrer Praxis in den Prozess der politischenMeinungsbildung ein; so ist es . Gleichwohl hat aber derEinfluss von organisierten Vertreterinnen und Vertre-tern auf Entstehungs- oder Entscheidungsprozesse vonGesetzen in den letzten Jahren erheblich zugenommen .Daher muss Lobbytätigkeit im Bereich der politischenEntscheidung für die Öffentlichkeit transparent sein . DasSonja Steffen
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 177 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . Juni 201617506
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sollte uns allen doch eine Selbstverständlichkeit sein,meine Damen und Herren .
Wir als deutsches Parlament sind in diesem Selbst-verständnis eben nicht ganz weit vorn, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion . Ich fragemich nach der Rede von Herrn Kaster wirklich: Was bau-en Sie hier in der Abwehr gegen ein solches Transparenz-und Lobbyistenregister eigentlich für einen Popanz auf?
Wissen Sie eigentlich nicht, dass nicht nur wir im Par-lament dafür streiten, sondern dass längst viele Verbän-de, viele Unternehmen und Institutionen, deren Vertreternicht nur hier im Bundestag, sondern auch im Europapar-lament und in der Kommission ein und aus gehen, sichdort den Regeln eines Transparenz- und Lobbyistenregis-ters selbstverständlich unterziehen? Sie empfinden dasnämlich als hilfreich; denn dann steht man nicht mehr ineiner Ecke nach dem Motto: Gibt es da einen Einfluss,den keiner kennt und den keiner beurteilen kann? Wannkommen Sie endlich zu dieser Einsicht? Reden Sie docheinmal mit den Unternehmen und den Verbänden, dienicht nur im deutschen Parlament und bei der Regierungein und aus gehen, sondern auch auf europäischer Ebene .Deren Vertreter unterziehen sich alle einer solchen Re-gistrierung, wie wir Grüne oder auch die Linken das inden entsprechenden Anträgen fordern .
Da sollten Sie doch ein bisschen auf der Höhe der Zeitsein und nicht immer auf die Verbändeliste von 1972verweisen . Seitdem haben wir doch ganz andere Trans-parenzanforderungen, sowohl an die deutsche Gesetzge-bung als auch an das Parlament und an die Bundesregie-rung . Denken Sie nur an das Informationsfreiheitsgesetz .Warum bauen Sie hier einen solchen Popanz auch imHinblick auf das freie Mandat auf?
Niemand stellt das freie Mandat infrage,
auch in meiner Fraktion nicht . Das ist ganz bedeutend .Das wissen wir gerade in diesen Tagen, in denen wir die-se massiven Auseinandersetzungen mit Herrn Erdoganhaben .
Daher wissen wir das freie Mandat zu schätzen und wis-sen es auch zu verteidigen . Also, kommen Sie mir nichtmit solchen Sachen .Im Jahr 2015 hat Transparency International die Studie„Lobbying in Europe“ veröffentlicht, in der 19 EU-Staa-ten und 3 EU-Institutionen untersucht wurden . WissenSie, auf welchem Platz Deutschland darin gelandet ist?Auf Platz 16 . Das heißt, wir haben hier erheblichenNachholbedarf . Inzwischen haben acht europäische Län-der und europäische Institutionen ein solches Lobbyre-gister . In Kanada und den USA gibt es seit Jahrzehntenverpflichtende Lobby- und Transparenzregister. Was alsoveranlasst Sie, bei diesem alten Hut zu bleiben und ge-betsmühlenartig davon abzulenken, dass mehr Transpa-renz in unser aller Interesse ist, nicht nur im Interesse desParlaments, meine Damen und Herren?
Ich will zum Schluss noch ein Beispiel nennen, denlegislativen Fußabdruck . Schon einmal etwas davon ge-hört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union?Wäre es nicht für uns Parlamentarier, aber auch für dieÖffentlichkeit wichtig, ganz deutlich und unmissver-ständlich dargelegt zu bekommen, und zwar ohne ent-sprechende Fragen an die Bundesregierung, wie vieleGroßkanzleien, wie viele Interessenverbände, wie vieleUnternehmen möglicherweise auf einen Gesetzentwurf,der dem Parlament vorliegt und hier beraten wird, Ein-fluss genommen haben? Das wäre doch für uns alle wich-tig zu wissen,
für uns Abgeordnete und für die Öffentlichkeit . Warumsträuben Sie sich dagegen?
Durch die von uns vorgeschlagene Registrierung würdeauch der legislative Fußabdruck ganz deutlich gemachtwerden . Von daher, meine Damen und Herren, führenSie doch nicht diese Old-fashion-Debatten in Abwehr-schlachten, sondern nähern Sie sich einmal sachlichenArgumenten an!Herr Uhl, ich bin gespannt, ob Sie gleich über die An-hörung reden werden, bei der Sie bei der BeantwortungIhrer Frage noch nicht einmal mehr da waren .
Vielen Dank . – Dazu hätte der Kollege Dr . Hans-Peter
Uhl jetzt Gelegenheit; denn er ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Frau Haßelmann, nach Ihrer aufgeregten Spra-che
Britta Haßelmann
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und der Art und Weise, mit diesem Thema umzugehen,dass Sie vom legislativen Fußabdruck sprechen, alsoin der Sprache der Kriminalpolizei, als müssten Sie aufSpurensuche gehen, wo hier im Haus zwischen den Ab-geordneten Straftaten begangen worden sind, frage ichmich schon: Was sind das für verwirrte Geister, die hieram Rednerpult stehen?
Es sind undurchdachte Anträge, die Sie hier vorgelegthaben . Es ist immer ärgerlich, wenn man sich mit solchenAnträgen herumschlagen muss, vor allem dann, wenn sievon den Linken und den Grünen in bürgernaher Attitüdevorgetragen worden sind .Nach den Vorschlägen der Antragsteller ist Lobbyis-mus offensichtlich etwas ganz Schlimmes .
– Doch . – Lobby, das war und ist teilweise noch dieWandelhalle im englischen und im amerikanischen Par-lament, in der den Abgeordneten Meinungen und Ansich-ten von Bürgern vorgetragen worden sind . Daher kom-men die Wörter „Lobby“ und „Lobbyisten“ .
Schon im Altertum kam in der Politik vor dem „parla-re“, dem Reden, Frau Haßelmann,
das „audire“, das Hören . Von „audio“ kommt übrigensdas Wort „Audienz“ . Der Gedanke „erst hören, dann re-den“ gilt auch für die heutige Demokratie .
Das freie Mandat – das haben wir in der Anhörunggelernt; Sie hätten da zuhören sollen – hat grundrechts-gleichen Charakter, Artikel 38 Grundgesetz, und ist derMittelpunkt der gelebten parlamentarischen Demokratie .
Wir Abgeordnete, vom Volk gewählt, genießen das Ver-trauen der Mehrheit des Volkes . Diesem Vertrauen solltenwir gerecht werden; wir sollten uns nicht kleiner machen,als wir sind . Das Volk hat Vertrauen in uns .
Wir sollten uns auch nicht ohne Not „kriminell“ machen,indem wir vom Fußabdruck reden, den wir oder andereeventuell in den Zimmern hinterlassen haben . Das ist al-les dummes Zeug .Die Linken und die Grünen meinen, dass der Abge-ordnete, der von uns wohlverstandene Abgeordnete imSinne des Grundgesetzes, das ihm Vorgetragene nichtselber einordnen und beurteilen kann . Ich verstehe meinAmt so, dass man mir das Vertrauen gegeben hat, aus denvielfältigen Meinungen, die mir vorgetragen werden –immer aus Partikularinteresse heraus –, das Gemeinwohlherauszuarbeiten und dieses abstrakt in Regelungen undGesetzen zu formulieren . Das ist unsere Aufgabe, unddafür werden wir bezahlt .
Die Menschen haben Vertrauen darin . Das sollte nichtkriminalisiert werden . Deswegen müssen wir die Parti-kularinteressen aufnehmen, anhören und etwas Vernünf-tiges daraus machen .Wenn Sie diese Gespräche, dieses Vortragen von Par-tikularinteressen durch Interessenvertreter, kriminalisie-ren,
mit Misstrauen überziehen und „Fußabdrücke“ entde-cken wollen, dann wollen Sie Misstrauen säen .
Sie wollen, dass die Gesprächspartner online an denPranger gestellt werden . Das ist Ihre Absicht .
Das Wesensmerkmal der Demokratie heißt Interessen-vertretung . Das Wesensmerkmal der Demokratie ist derWettbewerb der Meinungen . Möglichst viele Interessenund Stimmungen der Gesellschaft sollen aufgenommenwerden, und zwar von uns, von niemand anderem, weilwir daraus Gesetze machen sollen .
Das nennt man responsive Demokratie . Haben Sie davonschon gehört, Frau Sitte?
Wer den Prozess der responsiven Demokratie bürokra-tisch reglementieren will, der sorgt nicht für mehr, son-dern für weniger Demokratie .
Neben so anmaßenden Einrichtungen wie Abgeord-netenwatch soll es jetzt also eine Informations- und Ge-sprächswatch geben . Das ist Ihre Absicht . Der Fähigkeitdes Abgeordneten zur Einordnung und Abwägung wirdnicht vertraut . „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ –dieses Schlagwort, das Lenin zugeschrieben wird, wirdheute eher scherzhaft benutzt . Es hat aber im Lauf derDr. Hans-Peter Uhl
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Geschichte der Unfreiheit, Regulierung und Bevormun-dung Tür und Tor geöffnet . Das wollen wir nicht .Meine Fraktion und ich haben Vertrauen in die Ur-teilskraft der Abgeordneten und Ministerialbeamten .Wir sind auch nicht bereit, an einer Diskriminierung undStigmatisierung der Menschen mitzuwirken, die für sich,ihre Unternehmen, ihre privaten Interessen oder für ihreNGOs Gedanken, Konzepte und Anliegen vortragen . Dasdarf nicht diskreditiert werden .Interessant war in der Anhörung die Antwort auf un-sere Frage
– Ihre Frage; das gebe ich gerne zu –, wer von den An-hörpersonen bei den Anträgen der Grünen und der Lin-ken mitgewirkt haben .
Die angehörten Personen von Transparency Interna-tional haben gesagt: Ja, wir haben die Anträge mitge-schrieben . – Dann habe ich gefragt: Halten Sie sich dennfür Interessenvertreter, für Lobbyisten? Da mussten siekleinlaut zugeben: Ja, wir sind insoweit auch Lobbyis-ten . – Ich wollte schon sagen: Wenn Sie das jetzt nichtzugeben, dann müssten Sie eigentlich zum Psychiater ge-hen . – Denn ein Mensch, der keine Interessen hat, solltesich in Behandlung begeben . Jeder Mensch hat Interes-sen und sollte sie auch offen vortragen können .
Die Antragsteller wollen sich die volksnahe Deutungvon Lobbyisten als Negativurteil zunutze machen .
Das Wort „Lobbyist“ hat schon einen schmutzigenBeiklang und kommt fast einer Beleidigung gleich . Aufdieser Klaviatur spielen Sie mit diesen beiden Anträgen .Natürlich kann die Grenze zwischen legitimer de-mokratischer Interessenvertretung und illegitimer Ein-flussnahme überschritten werden; das ist völlig un-bestritten . Missbrauch gibt es überall, wo Menschenunterwegs sind . Solche Missstände – zum Beispiel gabes in der Europäischen Kommission Zeiten, wo Vertre-ter des Bankenverbandes Berater der Kommission warenund ihre Bankenrichtlinie gleich selbst geschrieben ha-ben – muss man offen ansprechen und abstellen; das istselbstverständlich . Missstände muss man erkennen, undman muss ihnen entgegentreten . Dafür haben wir aberschon Gesetze und Regelungen . Ich nenne stellvertretend§ 108e Strafgesetzbuch, in dem wir geregelt haben, dassder Stimmenkauf und -verkauf bei Wahlen und Abstim-mungen strafbar ist . Das ist doch selbstverständlich, unddies sollten wir auch offen ansprechen .Eine Registrierungsbürokratie führt aber keinenSchritt weiter . Sie ist ein Bürokratiemonster und zwingtdie Parlamentsverwaltung, die typischerweise eine Ser-viceverwaltung für uns Abgeordnete ist, zu einer Be-hörde zur Kontrolle von Abgeordneten zu werden . Daswollen wir nicht, und die Parlamentsverwaltung will esauch nicht .
Das alles ist leerer Aktionismus . Was soll geschehen,wenn sich ein Abgeordneter mit einem Lobbyisten stattim Abgeordnetenbüro in einem Café auf der anderenStraßenseite trifft? Das ist nicht geregelt und auch nichtregelbar . An diesem kleinen Beispiel sehen Sie schon dieUnsinnigkeit eines solchen Lobbyistenregisters . Nein, eshandelt sich um ein Bürokratiemonster und ist nichts an-deres als Aktionismus . Ein solches Register schadet derDemokratie und nutzt ihr nicht . Deswegen lehnen wir diebeiden vorliegenden Anträge strikt ab .Frau Steffen, Sie haben allen Ernstes gesagt – das hatmich verwundert –, dass Sie den Anträgen gerne zustim-men, aber vom Koalitionspartner CDU/CSU daran ge-hindert würden . Eine Sozialdemokratin, die so spricht,wird bei ihren Wählern Stirnrunzeln verursachen . DieWähler werden sagen: Dann wählen wir doch gleich lie-ber die Linke – das ist das Original – statt die SPD . –Lassen Sie in Zukunft solche Anmerkungen . Sie schadenIhnen mehr, als dass sie nutzen .
Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tages-
ordnungspunkt ist jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler,
SPD-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen!
– Genau, daraus mache ich jetzt etwas . – Bestimmte Lob-byisten wollen, dass wir ein Lobbyistenregister einfüh-ren . Das haben wir heute gelernt . Ja, die SPD-Fraktionsteht dem offen gegenüber . Auch wir wollen ein solchesRegister .
Es ist gut, wenn Bürgerinnen und Bürger – genauso wiein den Gelben Seiten – nachlesen können, welche Inte-ressenvertreter Kontakte zu den Parlamentariern und derVerwaltung pflegen. Es ist auch gut, wenn Parlamentarierund Verwaltung wissen, wen sie zur Bereicherung ihresWissens und für die Abwägung bei ihrer Meinungsbil-Dr. Hans-Peter Uhl
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dung hinzuziehen können . Wir alle sind uns einig – weildurch Osmose nicht möglich –, dass Kontaktpflege undInanspruchnahme des Fachwissens anderer notwendigsind, um als Verwaltung gute Gesetzentwürfe erarbei-ten und als Abgeordnete gute Entscheidungen treffen zukönnen; das ist unbestritten . Aber das war es dann auchschon .Gemeinsam vermeiden sollten wir solche Unterstel-lungen wie die im Antrag der Linken formulierten, dassLobbyarbeit auch illegale Einflussnahme bis hin zu Kor-ruption sein kann . Natürlich ist im Leben alles möglich .Wenn das aber immer als Erklärungsgrund dient, warumes ein Lobbyistenregister geben muss, dann hat Herr Uhlzu Recht gesagt, dass man das auch im Café nebenan er-ledigen kann . Um das zu vermeiden, bedarf es eines sol-chen Registers nicht . Sie sollten diesen Zusammenhangso nicht herstellen .
Denn damit machen Sie das Parlament und die Parlamen-tarier klein . Nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grund-gesetzes gibt es nun einmal das Recht auf vertraulicheKommunikation mit Interessenvertretern zur Entwick-lung und gegebenenfalls zur Verwerfung neuer Ideen .Die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages unddas Strafgesetzbuch legen hier die Grenzen eindeutigfest . Ziehen Sie das also bitte nicht als Begründung einesLobbyistenregisters heran!Wir sagen Ja zu einem Lobbyistenregister, wenn einKoalitionsvertrag das hergibt, aber ein klares Nein zu ei-ner Strategie der Unterstellungen und Verdächtigungen,die der demokratischen Willensbildung am Ende Scha-den zufügen . Herr Monath vom Tagesspiegel bringt esauf den Punkt – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –:Mehr Transparenz kann sicher Korruption oderMenschenrechtsverletzungen erschweren und auchTeilhabe ermöglichen . Als Allheilmittel, um Ver-trauen in die Politik zurückzugewinnen, taugt sienicht . Denn Grenzen gegen „Transparenzterror“
blei-
ben weiter notwendig . Viele politische Entschei-dungsprozesse, gerade in Demokratien, braucheneinen geschützten Raum, wenn sie gute Ergebnis-se bringen sollen . Allein das ist Grund genug, mitmehr Selbstbewusstsein dem Generalverdacht ent-gegenzutreten, wonach Intransparenz das neue Böseschlechthin sein soll .Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen .Danke und ein schönes Wochenende .
Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung auf Drucksache 18/8742 . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3842 mit dem Titel „Trans-
parenz herstellen – Einführung eines verpflichtenden
Lobbyistenregisters“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3920 mit
dem Titel „Transparenz schaffen – Verbindliches Regis-
ter für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 22 . Juni 2016, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen eine
gute Heimreise und hoffentlich etwas Zeit am Wochen-
ende .