Protokoll:
18177

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 177

  • date_rangeDatum: 10. Juni 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:16 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/177 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 177. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. Juni 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Än- derung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksache 18/8486 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17473 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 17473 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 17474 D Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 17476 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 17478 D Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 17480 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17482 A Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 17483 C Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . . 17484 A Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsch-indi- sche Bildungs- und Wissenschaftskoopera- tion ausbauen Drucksache 18/8708 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17485 C Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17485 D Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 17487 A Dr . Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17488 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17489 B Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17490 C Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . 17491 D Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 17492 D Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftrag- te oder den unabhängigen Polizeibeauf- tragten des Bundes (Bundespolizeibe- auftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7616 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17494 A b) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens erleichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftrag- ten des Bundes (Bundespolizeibeauftrag- tengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7617 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17494 A c) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bun- destages – hier: Umsetzung des Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftrag- ten des Bundes (Bundespolizeibeauftrag- tengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7618 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17494 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17494 B Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17495 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 17496 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 177 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . Juni 2016II Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17497 D Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17498 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17500 C Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Petra Sitte, Jan Korte, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Transparenz herstellen – Einführung eines verpflichtenden Lob- byistenregisters – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lob- byisten einführen Drucksachen 18/3842, 18/3920, 18/8742 . . . . 17501 C Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 17501 C Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 17503 B Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17504 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17505 D Dr . Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17506 D Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17508 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17509 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 17511 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17511 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 177 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . Juni 2016 17473 177. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. Juni 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Dagmar Ziegler (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 177 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . Juni 2016 17511 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .06 .2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 10 .06 .2016 Bülow, Marco SPD 10 .06 .2016 Felgentreu, Dr . Fritz SPD 10 .06 .2016 Ferner, Elke SPD 10 .06 .2016 Flachsbarth, Dr . Maria CDU/CSU 10 .06 .2016 Gröhe, Hermann CDU/CSU 10 .06 .2016 Grötsch, Uli SPD 10 .06 .2016 Heck, Dr . Stefan CDU/CSU 10 .06 .2016 Lämmel, Andreas G . CDU/CSU 10 .06 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 10 .06 .2016 Leutert, Michael DIE LINKE 10 .06 .2016 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 10 .06 .2016 Liebing, Ingbert CDU/CSU 10 .06 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .06 .2016 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 10 .06 .2016 Malecha-Nissen, Dr . Birgit SPD 10 .06 .2016 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 10 .06 .2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 10 .06 .2016 Rawert, Mechthild SPD 10 .06 .2016 Riesenhuber, Dr . Heinz CDU/CSU 10 .06 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Scho-Antwerpes, Elfi SPD) 10 .06 .2016 Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .06 .2016 Spahn, Jens CDU/CSU 10 .06 .2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 10 .06 .2016 Steinbrück, Peer SPD 10 .06 .2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 10 .06 .2016 Tack, Kerstin SPD 10 .06 .2016 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .06 .2016 Veit, Rüdiger SPD 10 .06 .2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 10 .06 .2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 10 .06 .2016 Werner, Katrin DIE LINKE 10 .06 .2016 Wicklein, Andrea SPD 10 .06 .2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Energieforschung 2016 Forschungsförderung für die Energiewende Drucksachen 18/8200, 18/8461 Nr. 1.2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Deutschlandsti- pendium über die Ergebnisse der Evaluation nach Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 177 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . Juni 201617512 (A) (C) (B) (D) § 15 des Stipendienprogramm-Gesetzes und der Begleitforschung Drucksache 18/7890 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Petitionsausschuss Drucksache 18/7612 Nr . A .1 EP P8_TA-PROV(2016)0021 Innenausschuss Drucksache 18/6855 Nr . A .1 EP P8_TA-PROV(2015)0388 Drucksache 18/7286 Nr . A .3 Ratsdokument 13819/15 Drucksache 18/8293 Nr . A .1 Ratsdokument 6651/16 Drucksache 18/8668 Nr . A .14 Ratsdokument 8491/16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/8293 Nr . A .14 Ratsdokument 7571/16 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/3618 Nr . A .4 Ratsdokument 16115/14 Drucksache 18/3962 Nr . A .1 Ratsdokument 5112/15 Drucksache 18/6855 Nr . A .17 Ratsdokument 13669/15 Drucksache 18/7286 Nr . A .25 Ratsdokument 14270/15 Drucksache 18/7286 Nr . A .26 Ratsdokument 14272/15 Drucksache 18/7422 Nr . A .31 Ratsdokument 15362/15 Drucksache 18/7934 Nr . A .30 EP P8_TA-PROV(2016)0050 Drucksache 18/8140 Nr . A .25 EP P8_TA-PROV(2016)0058 Drucksache 18/8470 Nr . A .31 EP P8_TA-PROV(2016)0133 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 177 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 10 . Juni 2016 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 177. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 28 Bekämpfung von Doping im Sport TOP 30 Deutsch-indische Bildungskooperation TOP 29 Bundespolizeibeauftragtengesetz TOP 31 Lobbyistenregister Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1817700000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Bauvertragsrechts und zur Änderung der
kaufrechtlichen Mängelhaftung

Drucksache 18/8486
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als Erstem erteile ich das
Wort für die Bundesregierung Bundesminister Heiko
Maas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Den Traum von den eigenen vier Wänden haben vie-
le Menschen . Für 30 Millionen Deutsche ist er Realität:
Sie wohnen im eigenen Haus . Auch die ökonomische
Bedeutung der Bauwirtschaft ist enorm: 175 Milliarden
Euro wurden im vergangenen Jahr im Wohnungsbau in-
vestiert .

Weil das Bauwesen sowohl für den Einzelnen als auch
für unsere Wirtschaft so wichtig ist, brauchen wir hier
Gesetze, die vor allen Dingen transparent und fair sind .
Deshalb wollen wir zwei große Reformen angehen .

Erstens . Wir wollen die Regelungen für den Bau-
vertrag in das Bürgerliche Gesetzbuch aufnehmen . Das
kommt dann allen Bauherren und Unternehmern zugute .

Zweitens . Wir wollen das Kaufrecht verbessern für
den Fall, dass Handwerker mangelhaftes Material kaufen
und bei ihren Kunden einbauen .

Meine Damen und Herren, für die große Mehrheit der
Menschen ist der Bau eines eigenen Hauses die größte
finanzielle Investition ihres Lebens. Der Hausbau ist für
sie oft mit Risiken verbunden . Verzögerungen oder uner-
wartete Mehrkosten können bis an ihre finanzielle Exis-
tenz gehen . Trotz dieser Bedeutung gibt es im geltenden
Recht nur ganz vereinzelt Vorschriften, die den Bauherrn
als Verbraucher schützen . Unser Werkvertragsrecht fällt
da weit hinter andere Rechtsgebiete zurück, in denen es
einen viel umfassenderen Schutz für Verbraucherinnen
und Verbraucher gibt . Außerdem sind die Regelungen,
die wir haben, auch nicht sehr detailliert .

Das BGB soll für alle Arten von Werkverträgen pas-
sen . Aber der Bau eines Wohnhauses ist nun einmal
komplexer als die Reparatur eines Fahrrades . Das führt
dazu, dass wichtige Fragen im Gesetz eben nicht aus-
reichend geregelt sind . Die Lücken haben die Gerichte
in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung gefüllt .
Aber was ist die die Folge davon? Das Bauvertragsrecht
ist nicht mehr transparent . Es ergibt sich nicht mehr aus
dem Gesetz, was ist und was nicht ist . Das ist für die
Verbraucherinnen und Verbraucher dann auch nicht mehr
zu überblicken .

Wir wollen deshalb mit der Reform mehr Schutz für
Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen, und wir
wollen auch mehr Übersichtlichkeit und Genauigkeit
im Bauvertragsrecht schaffen . Wir fügen dazu ein neues
Kapitel zum Verbraucherschutz in das Werkvertragsrecht
des Bürgerlichen Gesetzbuches ein . Es enthält vor allen
Dingen vier große Neuerungen .

Erstens . Wer einen Bauvertrag abschließt, soll über
seine Entscheidung noch einmal nachdenken können, so
wie in anderen Rechts- und Vertragsgebieten auch . Un-
ser Gesetzentwurf gibt den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern ein Widerrufsrecht . 14 Tage lang können sie
dann auch die finanziellen Folgen ihres Tuns noch einmal
sorgfältig abwägen .






(A) (C)



(B) (D)


Zweitens. Wir verpflichten die Unternehmer dazu,
sich verbindlich auf eine Bauzeit festzulegen . Damit Ver-
braucherinnen und Verbraucher mehr Planungssicherheit
haben, muss in Bauverträgen künftig verbindlich gere-
gelt werden, wann der Bau fertiggestellt wird .

Drittens. Unternehmer sind zukünftig verpflichtet,
Unterlagen über das Bauvorhaben zu erstellen und diese
dann herauszugeben . Wer einen Förderkredit beantragen
will, muss schwarz auf weiß haben, dass er die Förder-
bedingungen seiner Bank auch einhält . Nach Ende der
Bauarbeiten muss der Bauherr belegen können, dass so
gebaut wurde, wie geplant worden war .

Viertens. Wir wollen das Recht flexibler machen. Ein
Hausbau dauert Monate, manchmal sogar Jahre . In die-
ser Zeit können sich die Wünsche und Bedürfnisse aller
Beteiligten ändern . Deshalb treffen wir faire Regelungen,
wie die Vertragspartner mit neuen Entwicklungen umge-
hen können .

Meine Damen und Herren, all diese Punkte bedeu-
ten nicht nur mehr Verbraucherschutz, sie schaffen auch
mehr Rechtssicherheit . Das ist wichtig für die Unterneh-
men . Bislang werden Bauunternehmer oft unnötig stark
belastet . Das gilt etwa, wenn Änderungen angeordnet
werden, die zu Mehrkosten führen . Für solche Fälle ha-
ben wir in unserem Entwurf die Berechnungsgrundlagen
überarbeitet, damit Unternehmer auch dann noch zu ei-
ner angemessenen Vergütung kommen . Das gilt aber
auch, wenn der Bauherr Mängel reklamiert . In Zukunft
dürfen Abschlagszahlungen wegen Mängeln nicht mehr
komplett verweigert werden, sondern nur noch teilweise .

Mit der Reform des Bauvertragsrechtes erreichen wir
also beides: mehr Verbraucherschutz für den Bauherrn,
aber auch mehr Fairness für den Bauunternehmer .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, um einen fairen Interes-
senausgleich geht es auch im zweiten Teil unseres Ge-
setzes . Wir wollen den Handwerkern gegenüber ihren
Zulieferern mehr Rechte geben . Manchmal verursachen
bereits kleine Mängel große Kosten, etwa bei einem Un-
terputzventil . Das Produkt selbst kostet nur wenige Euro .
Aber wenn ein mangelhaftes Ventil erst einmal eingebaut
ist, dann kann der Aufwand, den Mangel zu beheben,
enorm sein . Der Handwerker, der das kaputte Ventil bei
seinem Baustoffhändler gekauft hat, kann natürlich ein
neues, fehlerfreies Ventil verlangen . Wenn er aber das
kaputte Ventil bereits verbaut hat, bringt dem Handwer-
ker dieses Recht nur wenig; denn er selbst schuldet dem
Bauherrn ein mangelfreies Werk, und das bedeutet: Er
muss die Wand aufstemmen, das Ventil austauschen und
das Ganze neu verputzen . Bislang musste die Kosten der
Handwerker selbst tragen; denn häufig traf den Baustoff-
händler für den Produktmangel keine Schuld, zum Bei-
spiel weil es einen nicht erkennbaren Fehler in der Pro-
duktion gab . Wenn der Handwerker aber alle Kosten für
den Einbau selber tragen muss, dann kann das für einen
Mittelständler eine enorme Belastung sein . Und deshalb
wollen wir an diesem Punkt etwas für viele Handwerker
tun . Wir schlagen vor, dass der Handwerker künftig von

seinem Händler auch die Kosten für den Aus- und Einbau
des Ventils verlangen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wir wollen den Schwarzen Peter nicht einfach
zum Baustoffhändler weiterschieben . Wir sorgen zu-
gleich dafür, dass dieser leichter bei seinem eigenen
Lieferanten Rückgriff nehmen kann . In der Lieferkette
kann also die Regressforderung künftig bis zu demje-
nigen weitergereicht werden, der den Fehler tatsächlich
verursacht hat, das heißt bei Produktionsfehlern bis zum
Hersteller .

Meine Damen und Herren, mit diesem Entwurf ma-
chen wir also etwas, was oft als unvereinbar galt . Wir
stärken den Verbraucherschutz, und wir entlasten den
Mittelstand . Das geht, weil sich durch diesen Entwurf
ein roter Faden zieht: die gerechte Verteilung von Ver-
antwortung .

Gerade jetzt, da wir wegen großer Diskussionen und
wegen der Wohnungsnot in Ballungsräumen Wohnraum
brauchen, ist unser Gesetzentwurf ein wichtiges Signal
an Eigentümer und Unternehmer . Ihr baut, und wir sor-
gen dafür, dass es dabei fair zugeht .

Schönen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1817700100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Karin Binder, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817700200

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Besu-
chertribünen! Zwei Legislaturperioden hat die Bundes-
regierung gebraucht, um endlich eine Reform des Bau-
vertragsrechts vorzulegen, um damit Verbraucherinnen
und Verbraucher besser zu schützen . Menschen, die mit
ihrem eigenen Zuhause für ihr Alter vorsorgen, hat man
bisher im Regen stehen lassen . Das ist unverantwortlich .
Gerade beim Baurecht ist der Schutz von Verbraucherin-
nen und Verbrauchern besonders wichtig . In der Regel
fehlt hier die notwendige Fachkenntnis, um auf Augen-
höhe mit Bauträgern und Baufirmen auch künftige Ver-
träge auszuhandeln .

Der Bezug der eigenen Wohnung oder des eigenen
Hauses ist für die meisten Menschen mit der größten
Investition ihres Lebens verbunden . Über die Hälfte der
Familien hat ein bescheidenes Haushaltseinkommen
zwischen 2 500 und 3 500 Euro im Monat . Sie geben für
20 bis 30 Jahre einen Großteil dieses Einkommens in die
Finanzierung der eigenen Wohnung oder des Häuschens .
Das ist für diese Familien mit hohen Risiken und auch
mit Verzicht verbunden . Durch Baumängel entstehen
nicht selten unerwartete Mehrkosten, oder der Einzug
wird durch eine längere Bauzeit verzögert . Eine Insol-
venz des Bauunternehmens kann die ganze Existenz-
grundlage der Häuslebauer vernichten . Bis heute gibt

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


es in unserem Baurecht keine allgemeinen Regeln zum
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher . Eine Ge-
setzesreform ist daher dringend notwendig .


(Beifall bei der LINKEN)


Laut Experten gehört Pfusch am Bau heute leider zum
Alltag und ist mittlerweile eher die Regel als die Ausnah-
me . Immer öfter geht es auch um Betrug . Durch schlech-
te Planung und Bauausführungen bleiben Häuslebauer
jährlich auf Schäden von etwa 5 Milliarden Euro sitzen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Etwa 45 000 Bauvorhaben enden pro Jahr im Gerichts-
saal . Viele Betroffene werden durch fehlende rechtliche
Regelungen in den Ruin getrieben . Statt in die eigene
Wohnung zu ziehen, müssen sie Kreditraten für eine
Bauruine zahlen und wohnen weiter zur Miete . Das muss
ein Ende haben; das müssen wir ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zum Gesetzentwurf der Bundesregierung . Der
Gesetzentwurf greift zahlreiche Empfehlungen der Run-
de der Experten für Bauvertragsrecht auf . Bauunterneh-
mer werden zu einer Baubeschreibung verpflichtet. Es
soll verbindliche Vereinbarungen zur Bauzeit geben .
Auch ein zweiwöchiges Widerrufsrecht für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher soll es geben . Außerdem sol-
len Obergrenzen für die Abschlagszahlungen eingeführt
werden . Das begrüßen wir ausdrücklich . Die Bauunter-
nehmen werden auch verpflichtet, Bauunterlagen an die
Bauherren herauszugeben . All das ist in Ordnung . Wir
unterstützen außerdem, dass ein Bauunternehmer den
Aufwand für den Austausch fehlerhafter Produkte von
den Herstellern erstattet bekommt . Beispielsweise wird
der beim Austausch eines defekten Heizkörpers entste-
hende Aufwand erstattet, den der Handwerker bisher al-
lein zu tragen hatte . Gute Sache!

Aber leider hat der Gesetzentwurf auch einige Bau-
mängel zum Nachteil der Verbraucherinnen und Ver-
braucher . Der Bundesrat und auch der Baugerichtstag
haben bereits darauf hingewiesen . Die Stellung der Ver-
braucherinnen und Verbraucher wird dadurch gegenüber
dem bisherigen Gesetzeszustand sogar verschlechtert .
So ist völlig unzureichend beschrieben, was eigentlich
der sogenannte Verbrauchervertrag ist . Es ist auch völlig
inakzeptabel, dass Verbraucherschutzregelungen nur bei
erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden
Gebäude greifen sollen . Was ist denn dann zum Beispiel
mit Terrassen, Hofanlagen, Garagen, Carports oder Ne-
bengebäuden? Auch übliche Einzelleistungen wie der
Rohbau eines Hauses oder der Einbau von Fenstern und
Türen werden nicht in das neue Gesetzeswerk einbezo-
gen . Die Folge wird sein, dass Unternehmer die Bau-
vorhaben in zahlreiche Einzelverträge für jeden Bauab-
schnitt aufsplitten . Wollen Sie das wirklich?

Der Gesetzentwurf schweigt zu weiteren wichtigen
Aspekten des Sachverständigenverfahrens, zum Beispiel
zu der Frage: Wer darf als Sachverständiger tätig werden,
und wann muss ein Gutachten erstellt sein? Bei Rechts-

streitigkeiten sind das wichtige Faktoren . Wir haben das
zu klären .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Regelungen zu Nachtragsforderungen reichen
nicht aus, um die Verbraucher angemessen zu schützen .
Durch eine unvollständige oder bewusst ungenaue Be-
schreibung kann das Bauunternehmen weiterhin nach-
träglich den Preis erhöhen . Das treibt Familien in die
Pleite .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Die weitverbreitete Praxis, dass Unternehmen vom Ver-
braucher Abschlagszahlungen und zusätzlich noch eine
Sicherheit von 100 Prozent des Werklohns verlangen,
ohne dass eine Fertigstellungsgarantie gegeben wird,
muss unterbunden werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Höhe der Sicherheitsleistung muss, wie im Refe-
rentenentwurf vorgesehen war, bei höchstens 20 Prozent
gedeckelt werden . Zwingend erforderlich ist außerdem,
dass die Vorleistungspflicht des Kunden ausgeschlossen
wird. Häufig werden Verbraucherinnen und Verbraucher
vertraglich genötigt, vor der Schlüsselübergabe 100 Pro-
zent des Vergütungsanspruchs an die Werkunternehmer
auszuzahlen . Damit bringen sie eine risikoreiche Vor-
leistung und können später berechtigte Mängelansprüche
kaum noch durchsetzen . Das darf so nicht bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Bauchschmerzen bereitet mir auch die Regelung zur
Abnahme des Bauwerks . Problematisch ist, dass der
Bauunternehmer unter bestimmten Umständen allei-
ne den Zustand des Bauwerkes beurteilen kann . Nach
§ 650f des neuen Gesetzentwurfs soll der unkundige
Verbraucher gemeinsam mit dem Bauunternehmer, dem
Fachkundigen, das Haus abnehmen . Baumängel, die er
bei dieser Gelegenheit nicht angibt, kann er danach kaum
noch geltend machen .

Weiter fordert die Linke: Die Insolvenzversiche-
rung des Bauunternehmers sollte von 5 auf 10 Prozent
der Bausumme erhöht werden; denn das Risiko einer
Firmeninsolvenz ist nicht unerheblich und stellt für die
Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Familien eine
existenzgefährdende Situation dar .

Ferner sollten auch die Bauträgerverträge gemäß
§ 650t, bei denen neben der Einrichtung des Hauses auch
ein Grundstück geschuldet wird, mit einem außerordent-
lichen Kündigungsrecht zum Schutze der Familien und
Häuslebauer versehen werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der im Gesetz vorgesehene Ausschluss der Kündigung
nimmt dem Bauherren die letzte Möglichkeit, sich in Fäl-
len von grob vertragswidrigem Verhalten vom Bauunter-
nehmen zu trennen .

Dringend erforderlich ist außerdem ein Kündigungs-
recht der Verbraucherinnen und Verbraucher bei Insol-

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


venz des Bauunternehmens . Das muss gesetzlich gere-
gelt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn bei der Insolvenz erhöhen sich die finanziellen und
zeitlichen Risiken für die Eigenheimbauer erheblich .

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass
weitere wichtige Regelungen fehlen . Wie beim gewerb-
lichen Bau bereits üblich, sollte der sogenannte Gewähr-
leistungseinbehalt von 5 Prozent der Bausumme gesetz-
lich geregelt werden . Das ist notwendig wegen möglicher
später auftretender Mängel .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1817700300

Die Uhr!


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817700400

Zusammenfassend stelle ich fest: Mit dem hier vor-

liegenden Entwurf zum Bauvertragsrecht planen Sie ein
Haus – das Dach ist allerdings undicht, und die Fenster
und Türen schließen nicht . Da sollte noch dringend nach-
gebessert werden . Lassen Sie uns diese Mängel ausräu-
men, bevor das Gesetz verabschiedet wird .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1817700500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr . Hendrik Hoppenstedt, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1817700600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
befassen uns heute Morgen mit einer zugegebenermaßen
relativ komplexen Materie, nämlich dem Bauvertrags-
recht und der kaufrechtlichen Mängelgewährleistung .
Beide Themen haben strenggenommen nichts miteinan-
der zu tun . Allerdings besteht im Hinblick auf den Adres-
satenkreis doch ein sachlicher Zusammenhang zwischen
beiden Regelungsmaterien: Es sind jeweils Werkunter-
nehmer beteiligt, die durch das eine Vorhaben begünstigt
und durch das andere Vorhaben belastet werden; mög-
licherweise hilft das, die Kompromissfähigkeit zu erhö-
hen .

Sie gestatten mir zu Beginn einige Bemerkungen zur
Reform des Bauvertragsrechtes, bevor ich zu den geplan-
ten Änderungen der Gewährleistung im Kaufrecht kom-
me .

Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verstän-
digt, den Verbraucherschutz bei Bau- und Dienstleistun-
gen für Bauherren und Immobilieneigentümer auszubau-
en, insbesondere im Bauvertragsrecht . Mit der Reform
des Bauvertragsrechtes stellt die Koalition die rechtli-
chen Rahmenbedingungen für Bauvorhaben insgesamt

auf ein neues und stabiles Fundament . Zugebenermaßen
rechtsästhetisch eher unschön, aber wohl unvermeidbar,
ist die Nummerierung der Paragrafen von 650a bis 650u .
Wer des Alphabets mächtig ist, wird feststellen, dass
nach „u“ nur noch eine Handvoll Buchstaben verbleibt,
dann sind wir mit dem Alphabet durch .

Lassen Sie mich zu Beginn auf den Reformbedarf
eingehen . Das Werkvertragsrecht des BGB ist bislang in
erster Linie auf den kurzfristigen, punktuellen Austausch
von Leistung und Gegenleistung angelegt . Nicht zuletzt
die Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht in der letzten Wahl-
periode und der Baugerichtstag haben gezeigt, dass das
Werkvertragsrecht nicht geeignet ist, die Durchführung
eines komplexen, auf längere Zeit angelegten Bauvor-
habens abzubilden . Deshalb wird das Bauvertragsrecht
jetzt erstmals ausführlich im BGB geregelt . Für den Bau-
vertrag, den Verbraucherbauvertrag, für den Architekten-
und Ingenieurvertrag werden spezielle Regelungen in
das Werkvertragsrecht eingefügt . Das ist die größte Än-
derung des BGB seit der Schuldrechtsreform 2002 und
setzt die Anpassung des BGB an eine immer komplexere
Lebenswirklichkeit erfolgreich fort .

Meine Damen und Herren, ein Kernpunkt der Reform
ist die deutliche Erhöhung des Verbraucherschutzes bei
Bauverträgen; der Minister hat es schon angesprochen .
Weil die meisten Verbraucher nur ein einziges Mal in ih-
rem Leben ein Haus bauen und sich dafür zumeist hoch
verschulden müssen, sind sie auch besonders schutzbe-
dürftig . Sie bekommen deshalb ein 14-tägiges Widerrufs-
recht, wir begrenzen die Höhe der Abschlagszahlungen,
und wir fordern detaillierte Baubeschreibungen, damit
Verbraucher realistisch vergleichen und sich für das qua-
litativ beste Angebot entscheiden können . Das führt im
Interesse der Verbraucher zu einem fairen Wettbewerb,
der über die Qualität statt über den Preis geführt wird .
Davon profitieren übrigens auch insbesondere die solide
kalkulierenden Bauunternehmen .

Alle Bauverträge, unabhängig davon, ob ein Verbrau-
cher Bauherr ist oder nicht, haben gemeinsam, dass sie
auf eine längere Erfüllungszeit angelegt sind . Dieser Tat-
sache soll vor allem durch die Einführung eines einseiti-
gen Anordnungsrechts des Bestellers Rechnung getragen
werden, mit dem zugleich Regelungen zur Preisanpas-
sung und zur rechtlichen Durchsetzung verbunden sind .
Wir brauchen einen Dreiklang aus Anordnung, Vergü-
tungsanspruch und zügiger Rechtsdurchsetzung .

Zum größten Knackpunkt, dem Anordnungsrecht:
Kaum ein Bauprojekt wird so gebaut, wie es geplant
wird . Während der Bauausführung können sich Wünsche
und Bedürfnisse verändern . Die geplanten Neuregelun-
gen erleichtern es dem Bauherrn, den Vertragsinhalt –
idealerweise im Einvernehmen mit dem Bauunterneh-
men – an den sich ändernden Bedarf anzupassen . Da eine
Einigung nicht immer gelingt, wird das einseitige Anord-
nungsrecht des Bauherrn eingeführt .

Dabei ist völlig klar, dass das Anordnungsrecht ein
scharfes Schwert und auch ein massiver Eingriff in die
Vertragsfreiheit ist, und aus diesem Grund äußert die
Bauwirtschaft auch deutliche Kritik . Im Interesse der zü-
gigen Abwicklung von Bauvorhaben ist das Anordnungs-

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


recht meines Erachtens jedoch sinnvoll und gerade noch
verhältnismäßig . Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass
gar nicht das einseitige Anordnungsrecht an sich so pro-
blematisch gesehen wird – nicht ohne Grund wird es ja
in der VOB/B bereits seit vielen Jahren so praktiziert –;
vielmehr steht hinter der Kritik die verständliche Be-
fürchtung der Bauunternehmer, für ihre Leistungen nicht
schnell und ordentlich bezahlt zu werden oder im Streit-
fall keine zügige Rechtsentscheidung zu bekommen .

Damit komme ich zum zweiten Knackpunkt, zur Fra-
ge der Vergütung . Damit der Unternehmer die infolge
der Änderung gegebenenfalls geschuldete Mehrleistung
nicht ohne Vergütung erbringen muss und um ihn vor Li-
quiditätsengpässen zu schützen, kann er eine 80-prozen-
tige Abschlagszahlung, basierend auf seinem ursprüng-
lichen Angebot, fordern . Dahinter steht die Idee, dass
der Unternehmer zumindest einen Teil der geschuldeten
Mehrvergütung auf jeden Fall zügig erhalten soll .

Allerdings stellt sich die Frage, wie erreicht werden
kann, dass das ursprüngliche Angebot des Unternehmers
angemessen ist . Der vorangegangene Einigungsversuch
ist ja gerade deswegen gescheitert, weil dem Bauherrn
die Preisvorstellung des Unternehmers zu hoch war . Hier
müssen wir noch Regelungen finden, die zu einem ange-
messenen interessengerechten Ausgleich führen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet .


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Aber Sie sind stets eingeladen, zu applaudieren .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Herr Kollege Hoppenstedt, jetzt haben wir ein Problem!)


Schönen Dank!


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Linke ist aufgewacht! – Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN)


– Das sollten Sie öfter tun, bei der Union zu applaudie-
ren .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Das war nicht fair!)


Dritter Diskussionspunkt ist die Frage der zügigen
Streitbeilegung . Jeder Tag Stillstand auf der Baustelle
kostet viel Geld . Längere Streitigkeiten sind für private
Häuslebauer kaum finanzierbar. Aber auch für kleine und
mittelständische Bauunternehmen und Bauhandwerker
sind langwierige und kostenintensive Streitigkeiten ein
Insolvenzrisiko . Deswegen muss die Rechtsdurchset-
zung schneller werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Aufgewacht!)


Ich bin skeptisch, ob der im Gesetzentwurf geübte Ver-
zicht auf die Erforderlichkeit der Glaubhaftmachung des
Anordnungsgrundes in einer einstweiligen Verfügung
nun so unbedingt der große Wurf ist .

Hinzu kommt: Verfahren in Bau- und Architektensa-
chen sind extrem komplex . Selbstverständlich sind alle
unsere Richterinnen und Richter exzellente Juristen .
Aber nicht alle können logischerweise automatisch Bau-
vertragsrechtsexperten sein; wie auch? Es bleibt damit
unsicher, ob der Richter am Landgericht, bei dem der
Antrag auf einstweilige Verfügung landet, in kurzer Zeit
den Streitgegenstand sachgerecht entscheiden kann, ins-
besondere dann, wenn das Landgericht gar keine Bau-
kammern eingeführt hat .

Die Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht hat deshalb zur
schnellen und effizienten Streitbeilegung die Einführung
einer sogenannten Bauverfügung empfohlen . In einem
beschleunigten vorläufigen gerichtlichen Erkenntnisver-
fahren würden die Streitigkeiten kurzfristig geklärt . Zur
Entscheidung berufen wären in jedem OLG-Bezirk be-
sonders qualifizierte Richterinnen und Richter. Ich halte
diese Idee zumindest für bedenkenswert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich komme nun zum zwei-
ten Teil des Gesetzentwurfs, zur kaufrechtlichen Mängel-
gewährleistung . Mit dem Gesetzentwurf verbessern wir
die Rechtsstellung der Handwerker und der sonstigen
Werkunternehmer . Der Verkäufer einer mangelhaften Sa-
che, die bestimmungsgemäß verbaut worden ist, ist künf-
tig im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet, entweder
deren Ausbau sowie den Einbau einer mangelfreien Sa-
che selbst vorzunehmen oder die entsprechenden Kosten
zu tragen . Da der Verkäufer den betreffenden Produkt-
fehler regelmäßig ebenfalls nicht zu vertreten hat, be-
kommt er eine Regressmöglichkeit gegenüber seinem
Vorlieferanten .

Ziel meiner Fraktion ist es, die ungerechte Haftungs-
falle für Handwerker zu beseitigen, aber zugleich auch
den berechtigten Interessen anderer Branchen, insbe-
sondere des Handels, des produzierenden Mittelstandes
sowie der Industrie, Rechnung zu tragen . Bei dieser
Zuweisung von Haftungsrisiken geht es darum, dass im
Regelfall derjenige die Kosten zu tragen hat, der für den
Produktmangel verantwortlich ist . Deshalb legen wir im
Hinblick auf abweichende Vertragsklauseln in allgemei-
nen Geschäftsbedingungen fest, dass ein Ausschluss oder
eine Begrenzung dieser Haftung gegenüber Verbrauchern
unwirksam ist . Dies wird aufgrund der Indizwirkung des
§ 309 BGB grundsätzlich auch für allgemeine Geschäfts-
bedingungen gelten, die gegenüber Unternehmern ver-
wendet werden .

Dem Handwerk geht das aber nicht weit genug . Es
möchte darüber hinaus die vorgeschlagene Regelung zu-
sätzlich AGB-fest machen, das heißt, eine ausdrückliche
Regelung haben, nach der der Verkäufer auch im unter-
nehmerischen Geschäftsverkehr keine Klausel in seine
AGB aufnehmen darf, die seine Nacherfüllungspflicht
auf die Lieferung einer mangelfreien Sache begrenzt .

Unser Koalitionspartner steht laut einer Pressemittei-
lung vom 31 . Mai dieses Jahres, also vor kurzer Zeit, die-
sem Anliegen aufgeschlossen gegenüber und stellt sich

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


somit gegen den Gesetzentwurf des eigenen Bundesmi-
nisters .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Soll vorkommen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schämt euch!)


So viel fast schon revolutionäres Eigenleben sind wir in
letzter Zeit von Ihnen gar nicht gewohnt gewesen . Das
kommt nicht unbedingt jeden Tag vor .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundesrat hat sich übrigens Ihrer Forderung ange-
schlossen . Heiko Maas hat diese Forderung in seiner
Stellungnahme und Erwiderung abgelehnt . Ich muss sa-
gen: Wo der Mann recht hat, hat er recht .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Welcher? Er oder ich?)


Auch der Handel, der produzierende Mittelstand und die
Industrie sprechen sich dagegen aus, die Forderung des
Handwerkes und des Bundesrates aufzugreifen .

Nachdem die Beseitigung der Haftungsfalle für Hand-
werker ein Anliegen ist, das auf Initiative der Union in
den Koalitionsvertrag hineingekommen ist – das darf ich
in aller Bescheidenheit anmerken –,


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das habe ich aber anders in Erinnerung!)


verstehen wir ganz gut, dass die Kollegen von der SPD
versuchen, beim Handwerk wieder Boden gutzumachen,
und sich deswegen der Forderung nach AGB-Festigkeit
anschließen . Aber das ist rechtsdogmatisch leider der fal-
sche Weg und rechtspolitisch überflüssig.


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Ihre eigenen Leute wollen das doch!)


Das ist spätestens dann zu erkennen, wenn man sich
das von Sigmar Gabriels Wirtschaftsministerium heraus-
gegebene Ergebnispapier der AG „Rechtliche Rahmen-
bedingungen“ der Plattform Industrie 4 .0 anschaut . Darin
steht, dass die ausufernde Anwendung von AGB-rechtli-
chen Restriktionen im B2B-Bereich, also innerhalb der
Wirtschaft, kritisiert wird . Die Industrie erwartet deshalb
negative Auswirkungen auf die Attraktivität des deut-
schen Rechts im grenzüberschreitenden unternehmeri-
schen Geschäftsverkehr und damit Schaden für den deut-
schen Wirtschaftsstandort insgesamt .

Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag haben
wir uns darauf verständigt, dass Handwerker nicht pau-
schal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen
bleiben sollen . Das heißt umgekehrt aber nicht, dass Un-
ternehmer und auch Handwerker Verbrauchern pauschal
gleichgestellt werden sollten . Es gibt zweifelsfrei viele
schutzwürdige Unternehmen . Für die gilt die Indizwir-
kung . Wegen der besonderen Interessen und Bedürfnis-
se des unternehmerischen Geschäftsverkehrs kann eine
entsprechende Klausel zwischen Unternehmern jedoch
im Einzelfall ausnahmsweise als angemessen angesehen

werden und zulässig sein . Mit der geplanten Regelung
wird der kleine Handwerksbetrieb ausreichend geschützt .

Es müssen aber bei der Bewertung der AGB-Klau-
seln die besonderen Verhältnisse des unternehmerischen
Geschäftsverkehrs zumindest im Einzelfall möglich
bleiben . Es wäre doch beispielsweise absurd, wenn ein
Restpostenhändler, der Fliesen aus Insolvenzmassen zu
einem Spottpreis verkauft, die Übernahme der Aus- und
Einbaukosten nicht abbedingen und von seinem Käufer
in Regress genommen werden könnte, obwohl er selbst
aufgrund der Insolvenz seines Lieferanten diese Regress-
kette ja nicht nutzen kann .

Deswegen setzt sich die Union dafür ein, dass zu-
mindest ein gewisses Maß an Gestaltungsspielraum, das
heißt Vertragsfreiheit, erhalten bleibt . Zugleich halten
wir gegenüber den Handwerkern Wort und lassen sie bei
den Aus- und Einbaukosten nicht im Stich .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Doch, genau das machen Sie!)


Alles in allem ist der von Ihnen, Herr Minister Maas,
vorgelegte Gesetzentwurf eine gute Diskussionsgrundla-
ge . Ich möchte den vielen Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern Ihres Hauses, die dafür gearbeitet haben, einmal
danken . Jetzt kommt es darauf an, dass wir in diesem Ho-
hen Haus ein gutes Gesetz daraus machen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1817700700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Christian Kühn, Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Besuche-
rinnen und Besucher auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Heiko Maas,
ich finde es erst einmal schön, dass Sie zur Kernzeitde-
batte hier im Plenum anwesend sind .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist selbstverständlich!)


Das ist in den letzten Wochen nicht bei allen Ministe-
rinnen und Ministern so gewesen . Und jetzt möchte ich
nicht, dass Sie erschrecken; denn hier ist heute ja schon
Einiges passiert, was nicht alltäglich ist . Auch meine
Rede beginnt heute nicht alltäglich – zumindest in Zeiten
der Großen Koalition .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was?)


Wo Sie sich ja in der Großen Koalition eher durch Ge-
zänk und Streit auszeichnen,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt aber!)


Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


möchte ich Sie persönlich – nicht nur die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter Ihres Hauses, sondern Sie persön-
lich – heute hier loben .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der SPD: Oh! – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Weiter so!)


Ich will Sie loben, weil Sie dieses Lob auch verdient ha-
ben – und das ist ernst gemeint –,


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Auch das noch!)


weil Sie das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts
zwar langsam und sicherlich nicht in allen Detailrege-
lungen in der Form, die man sich wünschen würde, aber
eben doch auf den Weg gebracht haben, und das ist ein
Fortschritt im Verbraucherschutz . Ich glaube, das muss
auch Opposition einmal anerkennen, dass diese Regie-
rung zwar nicht alles und nicht vieles, aber manchmal ein
bisschen was ganz gut macht .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Reicht jetzt!)


Ich fände es schön, wenn auch der eine oder andere
Kollege aus der Union und auch der SPD jetzt hier klat-
schen würde, wenn die Opposition einmal etwas Positi-
ves über diese Regierung sagt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Und dennoch:


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aha!)


Der politische Prozess zum Bauvertragsrecht war lang,
und das ist eigentlich symptomatisch, wie ich finde, für
die Themen Bauen und Wohnen, für das Thema Verbrau-
cherschutz sowie das Thema Immobilien. Ich finde, bei
diesen Themen hat Ihre Regierung die Entdeckung der
Langsamkeit zu einem Prinzip gemacht . Diese Entde-
ckung der Langsamkeit, die Sie da sozusagen zelebrie-
ren, haben Sie bühnenreif umgesetzt . Sie bewegen sich
einmal in die eine Richtung, dann wieder in die andere .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Sie wanken hin und her, gehen ein bisschen vor, dann gibt
es eine Wortmeldung von Herrn Luczak zu irgendeinem
Thema, dann gibt es eine Pressemitteilung oder ein Po-
sitionspapier der SPD oder des SPD-Ministers . Aber an
sich kommen Sie eigentlich bei fast allen Themen nicht
richtig vorwärts . Sie sollten mit diesen Trippelschritten
vielleicht eher bei Let’s Dance auftreten, als vorzugeben,
dass Sie wirklich etwas für Verbraucherinnen und Ver-
braucher auf den Weg bringen . Ich glaube, das muss man
an dieser Stelle schon auch festhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum hoffe ich jetzt inständig, dass mein Lob auch
etwas bewirkt, nämlich, dass Sie sich jetzt nicht beirren
lassen von denjenigen, die versuchen, dieses gute Ver-
braucherschutzgesetz, das zukünftige Eigentümerinnen
und Eigentümer in Deutschland schützen soll, zu durch-

löchern, dass Sie das nicht verzögern und nicht auf die
lange Bank schieben, sodass es dann vielleicht doch
nicht mehr in dieser Legislaturperiode zustande kommt .
Bleiben Sie als Koalition hier standhaft, verfahren Sie
hier nicht nach Art von Let’s Dance, sondern halten Sie
Kurs – sowohl im parlamentarischen Verfahren als auch
in den Wortmeldungen in der Presse . Ich glaube, das
wäre ganz gut .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich glau-
be, hier müssen Sie auch aufpassen . Sie dürfen sich hier,
auch wenn die Worte jetzt ganz schön klingen, nicht über
den Tisch ziehen lassen, wie das in der Vergangenheit
zum Beispiel bei der Mietpreisbremse


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Funktioniert doch! Was wollen Sie denn? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nun mischen Sie sich mal nicht ein!)


oder bei anderen Gesetzen der Fall war .

Wir brauchen ein starkes Bauvertragsrecht . Bleiben Sie
deshalb auch hier standhaft!


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Na, logo!)


Ich habe nicht nur die heutige Debatte, sondern den
ganzen Prozess der Reform des Bauvertragsrechts so ver-
standen, dass sich eigentlich alle Experten einig sind: Es
ist ein gutes Gesetz, es bringt Klarheit und Schutz für
Verbraucher, und es schützt Handwerker vor Regressfor-
derungen . Deswegen sollten wir es in einem schnellen
Verfahren einvernehmlich durch das Parlament bringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


2015 wurden in Deutschland Baugenehmigungen für
115 000 Ein- und Zweifamilienhäuser und 66 000 für Ei-
gentumswohnungen erteilt . Und das ist – das ist heute
schon mehrfach hier gesagt worden – für viele Menschen
das Investment ihres Lebens . Ich glaube, hier braucht es
einen besonderen Schutz . Gerade in der derzeitigen Nie-
drigzinsphase, in einer Zeit, in der die Immobilienmärkte
überhitzt sind und das Bauen immer teurer wird, muss der
Staat einen besonderen Schutz vorsehen . Ich glaube, dass
wir das mit diesem Gesetz ein Stück weit hinbekommen .
Doch es fehlt noch relativ viel . Damit sind wir wieder bei
der Politik . Sie machen zwar einen kleinen Schritt nach
vorne, aber er hätte eigentlich viel größer sein müssen .

Die Aktivitäten von Bauträgern auf den überhitzten
Immobilienmärkten in Baden-Württemberg und anders-
wo zurzeit erinnern mich nicht an die soziale Marktwirt-
schaft;


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da muss der Ministerpräsident in Baden-Württemberg etwas machen!)


sie legen vielmehr eine Wildwestmanier an den Tag, bei
der auch Verbraucher über den Tisch gezogen werden .
Hier bedarf es endlich einer Änderung beim Bauträger-
recht . Wir brauchen ein eigenständiges Bauträgerrecht,
das Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


effektiv schützt . Hier haben wir eine Gesetzeslücke, und
diese muss endlich geschlossen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir über Eigentümer in Deutschland reden,
dann müssen wir auch diejenigen miteinbeziehen, die be-
reits eine Eigentumswohnung haben .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Ich warte im Augenblick nicht nur darauf, dass wir das
Verfahren auf den Weg bringen, um Qualifizierungsvo-
raussetzungen für WEG-Verwalter festzulegen, sondern
auch darauf, dass endlich das WEG-Recht angepackt
wird . In einer Niedrigzinsphase mit überhitzten Märkten
muss es doch mehr Informationsrechte und mehr Trans-
parenz geben, wenn man eine Eigentumswohnung als
Bestandsimmobilie kauft. All das findet nicht statt. Des-
wegen muss, glaube ich, auch beim WEG-Recht deutlich
nachgebessert werden .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Darüber reden wir heute Morgen aber nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie schüt-
teln gerade den Kopf . Hier könnten Sie etwas für Eigen-
tümer in Deutschland tun . Es reicht nicht, nur über die
Wiedereinführung der Eigenheimzulage zu philosophie-
ren, sondern der Verbraucherschutz muss beim Thema
Eigentum endlich richtig durchdekliniert werden .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das machen wir ständig!)


Sie sollten hier nicht nur einen kleinen Schritt vorange-
hen, sondern wirklich einmal ein paar Schritte; denn das
ist absolut notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir über Verbraucherschutz bei den Themen
Wohnen und Immobilieneigentum reden, dann muss man
auf jeden Fall auch das Mietrecht miteinbeziehen . Gera-
de in einer Kernzeitdebatte gehört das dazu .

Mieterinnen und Mieter sind Verbraucher, und Miet-
recht ist letztlich auch ein Recht, das Mieterinnen und
Mieter schützt, und damit auch Teil des Verbraucher-
schutzes . Wann kommt eigentlich die von Ihnen verspro-
chene Reduzierung der Modernisierungsumlage, die Sie
im Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossen haben?
Wann kommt das endlich? Ich sehe es leider nicht . Die
Union blockiert das . Ich glaube, wenn man in Großstäd-
ten Wahlen gewinnen will, dann muss man sich auch
Gedanken darüber machen, wie man die Probleme der
Menschen dort aufgreift .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es geht aber nicht nur um Wahlkampfgeschenke, sondern um vernünftige Politik!)


Deswegen rate ich Ihnen: Machen Sie sich darüber Ge-
danken, wie Sie die Modernisierungsumlage so refor-
mieren, dass niemand mehr von dieser asozialen Praxis
des Heraussanierens betroffen ist – weder in Berlin noch
anderswo!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da haben Sie recht! Das wollen wir auch nicht!)


Nun zur Union: Ihr zentrales Wahlkampfversprechen
beim Thema Mieten und Wohnen in Deutschland war die
Mietpreisbremse .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die haben wir auch eingeführt, Herr Kollege!)


Die Kanzlerin selbst hat versprochen, dass sie die Miet-
steigerungen in Deutschland bremsen wird . Die Studi-
en zur Mietpreisbremse zeigen aber klar: Sie haben die
Mietpreisbremse verzögert und durchlöchert . Deswegen
funktioniert sie nicht .

Erinnern Sie sich an die Worte der Kanzlerin vom
Sommer 2013, dass sie die Mietsteigerungen in Deutsch-
land bremsen will! Gehen Sie in einer zweiten Miet-
rechtsnovelle gemeinsam mit der SPD den Weg, endlich
zu einer funktionsfähigen Mietpreisbremse in Deutsch-
land zu kommen . Dabei werden wir Sie unterstützen;
denn das brauchen wir, damit die Immobilienmärk-
te nicht weiter aus dem Ruder laufen und damit weder
zukünftige Eigentümer und Eigentümerinnen noch die
Mieterinnen und Mieter belastet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass Sie bei dem vorliegenden Gesetz nicht
versagen . Es ist ein guter Anfang . Sie müssen jetzt stand-
haft bleiben . Ich hoffe, dass Sie das Prinzip der Lang-
samkeit, das Sie auszeichnet, und den Streit, für den Sie
stehen, beim Thema Bauen, Wohnen und Verbraucher-
schutz abstreifen können . Fangen Sie endlich an, zu han-
deln! Ich finde, der Druck ist enorm. Lösen Sie endlich
Ihr Versprechen bei den Verbrauchern und beim Mieter-
schutz ein! Dann gibt es vielleicht öfter ein Lob der Op-
position, sowohl Applaus von der Linken als auch von
hier vorne am Rednerpult .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1817700800

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dr . Johannes Fechner, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1817700900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Nach
in der Tat intensiven Vorbereitungen und Gesprächen in
den verschiedensten Gremien können wir heute in ers-
ter Lesung über den Entwurf eines Gesetzes beraten, das
für Verbraucher, Handwerker, Bauunternehmer und vor
allem für Bauherren viele Verbesserungen bringen wird,
und zwar so viele, dass ich mich in meiner Rede auf eini-
ge wenige beschränken muss .

Wir geben mit diesem Gesetz Verbrauchern, die Bau-
material verbauen, das sich hinterher als mangelhaft

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


erweist, endlich einen Rechtsanspruch, dass sie vom
Verkäufer des mangelhaften Materials nicht nur neues,
mangelfreies Material fordern können, sondern auch den
Ersatz der Kosten für Aus- und Wiedereinbau . Das ist nur
recht und billig; denn es ist, wie ich finde, Sache des Ver-
käufers, dafür zu sorgen, dass seine gelieferte Ware keine
Mängel hat .

Wie sieht es nun aber aus, wenn ein Handwerker die
mangelhafte Ware bei einem Verbraucher eingebaut hat?
Bislang bleibt der Handwerker auf seinen Aus- und Ein-
baukosten sitzen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
soll das nun geändert werden, und nicht nur dem Ver-
braucher, sondern gerade auch dem Handwerker – uns
als SPD ist das besonders wichtig – wird gegenüber sei-
nem Baustofflieferanten ein Anspruch auf Ersatz dieser
Kosten eingeräumt . Das ist nur gerecht . Deswegen soll-
ten wir das so machen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Tat sieht der Gesetzentwurf zu unserem Miss-
fallen vor – Kollege Hoppenstedt hat es angesprochen –,
dass der Baustofflieferant gegenüber dem Handwerker
die Haftung für die genannten Kosten abbedingen kann .
Das ist wiederum nicht gerecht; denn gerade kleine und
mittlere Betriebe haben oft nicht die Stellung und die
Position, um entsprechende Klauseln in den AGBs ihrer
Lieferanten wegverhandeln zu können .

Der Gesetzentwurf geht zwar davon aus, dass Ge-
richte zu dem Ergebnis kommen mögen, dass entspre-
chende AGB-Gestaltungen unwirksam sind . Aber das
müssen die Handwerker erst in langwierigen und oft teu-
ren Prozessen erstreiten. Ich finde, wir können es nicht
zulassen, dass aufgrund einer solchen Regelung gerade
kleine und mittlere Betriebe ihrem Geld hinterherrennen
müssen . Das kann ja, wenn die Forderung eine gewis-
se Höhe erreicht, wirklich existenzbedrohend sein . Ich
finde es deshalb gut, dass Herr Billen schon angedeutet
hat, für einvernehmliche Vorschläge aus den Fraktionen
offen zu sein . Ich habe auch mit Interesse zur Kenntnis
genommen, dass Sie, Frau Kollegin Strothmann, unsere
Position teilen und sich dafür offensichtlich einsetzen .
So falsch, Herr Kollege Hoppenstedt, können wir also
da nicht liegen .

Abschließend zu diesem Punkt: Wir brauchen letzt-
lich für das Handwerk die klare Regelung, dass Ein- und
Ausbaukosten vom Lieferanten der mangelhaften Ware
zu tragen sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Im Bauvertragsrecht schaffen wir wesentliche Ver-
besserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher .
Kernstück ist das Anordnungsrecht des Bauherrn . Gele-
gentlich wird bezweifelt, dass wir so etwas brauchen . Ich
möchte Ihnen anhand eines Beispiels aus meiner eigenen
Bautätigkeit den Grund nennen, warum wir ein solches
Anordnungsrecht brauchen .

Meine Gattin und ich haben im letzten Februar einen
Bauvertrag unterschrieben . Wenige Wochen danach hat
sie, als ich in einer Sitzungswoche in Berlin war, Tine

Wittlers Baushow Einsatz in 4 Wänden, eine dem Fach-
publikum bekannte Sendung, angesehen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dort sah sie ein Treppenhaus, das sie unbedingt haben
wollte . Ich erhielt sofort den Auftrag von ihr, mit dem
Bauunternehmer nachzuverhandeln und eine Änderung
durchzusetzen .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Klare Rollenverteilung!)


Wir haben das dann einvernehmlich hinbekommen . Aber
in der Praxis ist es oft so, dass ein solcher Änderungs-
wunsch nicht einvernehmlich umgesetzt wird . Deswe-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir eine
gesetzliche Grundlage, um von dem eigentlich geltenden
Grundsatz „Verträge sind einzuhalten“ – pacta sunt ser-
vanda – abzuweichen .


(Beifall bei der SPD)


Immobilien nutzt man ja Jahrzehnte bzw . ein Leben lang .
Deswegen muss es möglich sein, auch nach dem Bauver-
tragsabschluss solche Änderungswünsche umzusetzen .

Im Sinne der Bauunternehmen haben wir die Rege-
lung vorgesehen, dass ein Rechtsanspruch auf Umset-
zung eines Änderungswunschs nur dann besteht, wenn es
für den Bauunternehmer zumutbar ist und wenn er eine
entsprechende Mehrvergütung bekommt .

Diese Regelung ist also sinnvoll . Wir sollten die Erfül-
lung von Änderungswünschen auch nach Bauvertragsab-
schluss ermöglichen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Gerade im Bauvertragsrecht haben alle Beteiligten ein
großes Interesse daran, dass es nicht zu Bauverzögerun-
gen kommt . Gut ist deshalb am vorliegenden Gesetzent-
wurf, dass wir ausdrücklich Regelungen zur Beschleu-
nigung und zur Lösung von Streitigkeiten vorsehen .
Wir haben erstmals eine Definition, was überhaupt ein
Werkvertrag ist . Verbraucher bekommen einen Rechtsan-
spruch auf Übersendung einer Baubeschreibung . Es wird
das Widerrufsrecht – genauso wie bei vielen anderen
Vertragstypen – geregelt . Und es muss zudem eine ver-
bindliche Angabe zur Bauzeit geben . Das sind wichtige
Verbesserungen, die wir hiermit vornehmen . Wenn selbst
die Linke hier zustimmend nickt, dann muss es ja wohl
ein guter Gesetzentwurf sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist ein Gütesiegel! – Zuruf von der CDU/CSU)


Wichtig ist, dass wir praktikable Regelungen finden.
Ich finde, wir sollten prüfen, ob es nicht sinnvoll ist, eine
Schriftform für den Änderungswunsch zu festzulegen,
klare Fristen für die Abgabe und die Annahme der Än-
derungswünsche zu setzen und sich anzuschauen, ob wir
das System zur Berechnung der Mehrvergütung klarer
regeln .

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Insgesamt, meine Damen und Herren, enthält dieser
Gesetzentwurf also zahlreiche Verbesserungen für Ver-
braucher, für Handwerker, für Bauunternehmen und für
die Bauherren . Jetzt gilt es, diesen Entwurf an einigen
wenigen Stellen noch zu verbessern . Für mich und die
SPD gehören hierzu ganz eindeutig die AGB-feste Rege-
lung, dass Handwerker ihre Ein- und Ausbaukosten auch
im B2B-Verhältnis umsetzen können, und die Präzisie-
rung des Genehmigungsrechts an manchen Stellen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817701000

Herr Kollege .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1817701100

Insgesamt ist es ein gelungener Gesetzentwurf . Herz-

lichen Dank an das Justizministerium und an alle, die in
den verschiedensten Gremien dazu Vorarbeit geleistet
haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817701200

Das Wort erhält nun der Kollege Alexander Hoffmann

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1817701300

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Kollege Kühn, Sie haben zu sehr vielem gesprochen –
ich würde sagen, es war eher ein bisschen Wahlkampf –:
etwa zum Wohnungseigentumsgesetz und zum Miet-
preismarkt . Ich habe an dieser Stelle etwas ganz Verrück-
tes vor . Ich will nämlich tatsächlich zum vorliegenden
Gesetzentwurf sprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen den
Satz: Das Handwerk hat goldenen Boden . Damit dieser
Satz Geltung beanspruchen kann, brauchen wir zwei Din-
ge: Wir brauchen eine prosperierende Wirtschafts- und
Marktlage, und wir brauchen praxistaugliche gesetzliche
Rahmenbedingungen . Gerade für Letzteres sind hier im
Hause die Rechtspolitiker zuständig . Nach der Schuld-
rechtsreform im Jahr 2000 gilt es, zwei Handlungsfelder
zu beleuchten und uns für die dort vorhandenen Pro-
bleme Lösungen zu überlegen .

Handlungsfeld Nummer eins ist das Werkvertrags-
recht . Wenn man genauer hinschaut, muss man fest-
stellen, dass das Werkvertragsrecht – es ist heute schon
angeklungen – noch nicht tauglich ist für die speziellen
Anforderungen im Baubereich . Das liegt vor allem an
vier Komponenten .

Erstens ist es so, dass die Werkerbringung im Baube-
reich oftmals über einen längeren Zeitraum stattfindet.

Zweitens ist die Erbringung oftmals gegliedert in eine
Vielzahl von Abschnitten .

Drittens ist es nicht nur im Hause Fechner so, dass im
Rahmen der Bauerbringung dem Auftraggeber oder der
Auftraggeberin immer wieder neue Ideen kommen, was
man noch alles machen könnte .

Viertens dreht es sich – das ist, glaube ich, ganz wich-
tig – vor allem für Bauherren immer um eine Rahmen-
größe, die letztendlich ein existenzielles Ausmaß an-
nimmt . Viele Menschen bauen nur einmal im Leben und
wenden dafür dann einen Großteil ihres Vermögens auf .

Handlungsfeld Nummer zwei ist das Kaufrecht . Die
dort vorhandene Lücke geht seit Jahren zulasten des
Handwerks . Stellen Sie sich folgenden Fall vor – diese
Konstellation ist vorhin schon dargestellt worden –: Eine
Trockenbaufirma hat den Auftrag, ein Dachgeschoss zu
dämmen und auszubauen . Der Auftrag wird erledigt,
und die Trockenbaufirma bezieht eine Dampfsperre, die
fehlerhaft ist . Sie hat Löcher, ist damit luftdurchlässig,
sodass Feuchtigkeit in die Dämmung eindringen kann .
Das wird entdeckt, nachdem eingebaut worden ist . Dann
hat der Bauherr gegen die Trockenbaufirma Anspruch
auf Lieferung einer neuen Dampfsperre, aber auch auf
Aus- und Einbau und Tragung der Kosten . Das Problem
ist, dass dann kein Rückgriff möglich ist . Die Trocken-
baufirma hat gegen den Lieferanten nur Anspruch auf
Lieferung einer mangelfreien Dampfsperre . Das ist eine
Lücke, die es zu schließen gilt .

Ich freue mich, dass die Forderung der Union, diese
Lücke zu schließen – Kollege Hoppenstedt hat es vorhin
schon dargestellt –, durch unseren Impuls Niederschlag
im Koalitionsvertrag gefunden hat . Heute können wir,
wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf anschauen,
sagen: Jawohl, wir liefern . Wir regeln hier die Rechts-
verhältnisse ähnlich wie im Verbrauchsgüterkauf . Es gibt
eine eigene Anspruchsgrundlage, ein echtes Rückgriffs-
recht . Deswegen sage ich: Allein die Vorlage dieses Ge-
setzentwurfs macht diesen Tag zu einem guten Tag für
die Handwerker .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sollten das parlamentarische Verfahren selbstver-
ständlich nutzen, um uns noch einmal gründlich das Für
und Wider vor Augen zu führen, inwieweit hier nun noch
eine AGB-Festigkeit erforderlich ist oder die Rechtspre-
chung in diesem Bereich, insbesondere die Indizwirkung
von § 307 BGB – Sie haben es vorhin angesprochen –,
ausreichend ist .

Nun zurück zum ersten Themenfeld: die bessere An-
passung des Werkvertragsrechts an die Erfordernisse
im Baubereich . Ich will auf zwei Themen eingehen, zu-
nächst auf die Abschlagszahlungen, § 632a BGB . Bisher
ist es so, dass sich die Höhe der Abschlagszahlungen am
Wertzuwachs orientiert, den der Auftraggeber durch die
Lieferung und den Einbau der Sache erlangt . Das ist im
Einzelfall bisweilen schwierig zu beurteilen, weil natür-
lich gerade der Verbindungs- oder Einbauvorgang eine
ganz andere Wertentwicklung mit sich bringen kann .
Deswegen, glaube ich, ist die vorgeschlagene Neurege-
lung ein guter Schritt . Jetzt soll sich die Abschlagszah-
lung an dem Wert der erbrachten Leistung orientieren .
Das ist im Einzelfall zweifelsfrei festzustellen; denn es
ergibt sich letztendlich aus dem Leistungsverzeichnis .

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister,
wir sollten eine Stelle der Neuregelung unbedingt hin-
terfragen und uns überlegen, ob wir sie so beibehalten
wollen . In der Neufassung ist die frühere Regelung ge-
strichen, dass die Verweigerung einer Abschlagszahlung
wegen unwesentlicher Mängel nicht möglich sein soll .
Das war in der Vergangenheit eine ganz wichtige Klar-
stellung . Ich bekomme aus meinem Wahlkreis und gera-
de auch aus der Handwerkerschaft in Bayern sehr viele
Rückmeldungen . Dort besteht die große Angst, dass man,
wenn man diese Klarstellung streicht, dem Missbrauch
Tür und Tor öffnet, dass dann nämlich wegen unwesent-
licher Mängel Abschlagszahlungen verweigert werden .
Das sollten wir dringend überdenken .

Das zweite Thema, auf das ich im Bereich des Werk-
vertragsrechts noch eingehen will, ist die Abnahme, ge-
regelt in § 640 BGB . Bisher ist es so, dass die Fälligkeit
der Werklohnforderung dann hinausgeschoben wurde,
wenn der Auftraggeber fristgerecht die Verweigerung der
Abnahme erklärt hat . Dafür brauchte er in der Vergan-
genheit aber keine Gründe anzugeben. Deswegen finde
ich es im Interesse der Handwerkerschaft sehr gut, dass
die Neuregelung fordert, dass die Verweigerung auch die
Benennung der Gründe beinhalten muss . Damit können
wir letztendlich, ich sage jetzt mal, bestimmte Winkel-
züge, bestimmte Missbräuche, die nur dazu dienen, am
Schluss die Fälligkeit der Werklohnforderung hinauszu-
zögern, verhindern .

Noch eine Ergänzung: Wenn die Verweigerung der
Abnahme mit der Benennung der Mängel formuliert
ist, dann – das halte ich für sehr gelungen – findet ein,
ich sage jetzt mal, Wechselspiel statt . Der Handwerker
hat nämlich dann einen Anspruch auf Zustandsfeststel-
lung . Ich glaube, das ist für die Praxis ein ganz wichtiger
Punkt . Es wird der Zustand, der Status quo, draußen auf
der Baustelle festgestellt . Das schafft letztendlich Klar-
heit für den Fall, dass später die Diskussion aufkommt:
Wer trägt die Verantwortung für später entdeckte Män-
gel? Ich glaube, das ist ein weiteres wirklich praxistaug-
liches Instrument .

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich am
Ende zusammenfassen: Ich glaube, wir haben mit diesem
Entwurf eine gute Arbeitsgrundlage . Er bringt vor allem
für die Handwerkerschaft viele Pluspunkte . Es gibt den
Rückgriffsanspruch. Es gibt die Begründungspflicht bei
der Abnahmeverweigerung . Es gibt den Anspruch auf
Zustandsfeststellung . Es gibt darüber hinaus noch die
Sicherungshypothek und die Bauhandwerkersicherung .
Daneben bekommt aber auch der Kunde als Verbraucher
viele Schutzkomponenten neu eingeräumt . Zu nennen ist
die umfassende Informationspflicht in der Baubeschrei-
bung . Es gibt das Widerrufsrecht; das ist schon angeklun-
gen . Und es gibt den Mindestinhalt beim Bauvertrag . Als
Mindestinhalt müssen zukünftig der Zeitplan und der
Fertigstellungstermin aufgenommen werden . Ich glau-
be, auch das ist eine praxistaugliche Ergänzung, die am
Schluss den Verbraucherinnen und Verbrauchern in un-
serem Land hilft .

Alles in allem, meine Damen, meine Herren, ein guter
Anfang! Bringen wir es im vor uns liegenden parlamen-
tarischen Verfahren gut voran und gut zu Ende!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817701400

Sabine Poschmann ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sabine Poschmann (SPD):
Rede ID: ID1817701500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörer! Als Mittelstandsbeauftragte
der SPD-Bundestagfraktion begrüße ich den Gesetzent-
wurf ausdrücklich . Auf vielen Veranstaltungen, die ich
besuchte, wurde gerade der Punkt „Wer übernimmt die
Folgekosten bei Produktmängeln?“ als Problem darge-
stellt . Aus meiner Aussage auf den Veranstaltungen „Wir
arbeiten daran“ ist heute ein „Wir haben fertig“ gewor-
den . So ganz fertig sind wir jedoch meiner Meinung nach
nicht . Denn wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen,
dass zum Beispiel der Handwerker nicht mehr auf den
Folgekosten für den Ein- und Ausbau fehlerhafter Pro-
dukte sitzen bleibt, dürfen wir keine abweichenden Re-
gelungen zulassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Unternehmen untereinander haben bisher die Mög-
lichkeit, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen
abweichende Regelungen zu treffen . Für sie gilt das so-
genannte Klauselverbot nicht . Die Marktmacht größerer
Unternehmen birgt damit die Gefahr, dass diese sich ihrer
Verantwortung entziehen und der Kleine auf den Kosten
sitzen bleibt .

Wenn zum Beispiel ein Handwerker Parkett verlegen
soll, muss er Dämmmaterial und Parkett kaufen; klar .
Dabei wird er den Geschäftsbedingungen des Händlers
zustimmen . Stellt der Kunde später fest, dass die unter
dem Parkett verlegte Dämmung keinerlei Wirkung zeigt,
wird er Nachbesserung verlangen . Das zu ersetzende
Material ist relativ günstig; der zeitliche Aufwand, das
Ganze wieder herauszureißen, ist relativ hoch . Deshalb
ist es richtig, dass der Handwerker eine Erstattung des
Materials und der Ein- und Ausbaukosten vom Händler
verlangen kann .

Hat der Händler in seinen Allgemeinen Geschäftsbe-
dingungen eine Erstattung der Kosten für den Ein- und
Ausbau ausgeschlossen, bleibt dem Handwerker im bes-
ten Fall eine Kulanzregelung oder der Klageweg . Aber,
meine Damen und Herren: Kann sich der Handwerker in
diesem Fall gegenüber dem Händler durchsetzen?

Bleiben wir beim Beispiel Parkettverleger . Ein durch-
schnittlicher Betrieb erwirtschaftet einen Jahresumsatz
von rund 250 000 Euro . Der Marktführer unter den Bau-
märkten machte 2015 in Deutschland rund 3,9 Milliar-
den Euro Umsatz . Die Verteilung der Kräfte zwischen
den Vertragspartnern könnte folglich nicht größer sein .

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einer AGB-festen
Regelung Rechtssicherheit zu schaffen . In diesem Punkt
würden wir auch die Position des Bundesrates stützen .
Ich lade Sie ein, gemeinsam an einer Formulierung zu
arbeiten, sodass wir im weiteren Verfahren noch zu ent-
sprechenden Änderungen kommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817701600

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1817701700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Baupo-
litiker, der die Debatte eben sehr intensiv verfolgt hat,
kann ich sagen: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg .
Die Feinjustierung, die noch notwendig ist, werden wir
hinbekommen . Wir sprechen ja über die Änderung der
kaufrechtlichen Mängelhaftung und die Reform des Bau-
vertragsrechts . Das sind zwei wesentliche Punkte, die
zum einen mit dem Verbraucherschutz und zum anderen
natürlich auch mit der Rechtssicherheit in der Bauwirt-
schaft zu tun haben .

Lassen Sie mich als Baupolitiker sagen: Die Bauwirt-
schaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, den
wir in unserem Land haben . Die Bauwirtschaft ist die
Konjunkturlokomotive in unserem Land oder – wenn
wir hier die falschen Entscheidungen treffen – eben auch
nicht . Die Diskussionen über die Mietpreisbremse und
die Modernisierungsumlage, die wir geführt haben, sind
sicherlich wichtig und richtig . Aber diese Instrumen-
te dienen nur dazu, die Symptome, die wir spüren, zu
mildern . Am Ende ist es wichtig, dass wir bauen, bauen,
bauen und dafür Sorge tragen, dass sich der Markt ent-
spannt und auf ihm tatsächlich auch alle Akteure arbeiten
können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Johannes Fechner [SPD])


Natürlich gehören zum Bauen Auftraggeber . Sie müs-
sen wir besonders schützen . Verbraucherschutz hat für
uns oberste Priorität . Gerade im Baubereich, in dem es
um langfristige Investitionsentscheidungen geht, viel
Geld in die Hand genommen wird und die Bauherren,
gerade Familien, ein hohes Risiko eingehen, kommt es
darauf an, sie zu schützen und ihnen dabei zu helfen, die-
ses Risiko zu minimieren .

Oft ist es so, dass Familien an Mehrkosten verzwei-
feln oder der Bauträger bzw . das Bauunternehmen in die
Insolvenz geht . In solchen Fällen benötigen sie unsere
Hilfe . Deswegen ist es auch richtig, dass wir diese beiden
Vorhaben – die Änderung der kaufrechtlichen Mängel-
haftung und die Reform des Bauvertragsrechts – mitei-
nander verknüpft haben .

Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir uns in der
jetzt anstehenden Debatte und in den Diskussionen in

den Fachgremien miteinander auf einige Prinzipien, auf
die ich im Folgenden eingehe, verständigen sollten . Die
Vertragsfreiheit ist in unserer Gesetzgebung ein wichti-
ges Gut . Wir sollten also nur das regeln, was notwendig
ist, und nichts überzogen regeln . Vielmehr sollten wir,
soweit es geht, die Möglichkeit geben, dass Partner ihren
Vertrag frei miteinander regeln können . Aber es gibt na-
türlich Dinge, die wir regeln müssen . Wir müssen dafür
sorgen, dass wir gleiches Recht für alle gelten lassen . Das
gilt für den Auftraggeber, also für den Bauherrn, genauso
wie für das Bauunternehmen, das in den allermeisten Fäl-
len sorgfältig und termingerecht den Bau ausführt .

Wir sollten darauf achten, dass wir den Grundsatz des
Verbindenden zwischen den beiden Vertragspartnern he-
rausstellen und nicht zwingend das Trennende . Genauso
gehört dazu, möglichst dafür Sorge zu tragen, dass die
Einigung der Vertragspartner ohne Rechtsstreit und ohne
andere Auseinandersetzungen im Mittelpunkt stehen
muss .

Risiken bestehen auf beiden Seiten: Einerseits steht
vielleicht die Existenz des Verbrauchers, des Auftragge-
bers auf dem Spiel, wenn man unfair miteinander um-
geht . Andererseits muss man vor allen Dingen auch die
vielen kleinen Handwerker, die kleinen Bauunternehmen
sehen und nicht zuletzt auch die Mitarbeiter, die 2, 3, 5,
10 oder 20 Mitarbeiter eines Bauunternehmens, deren
Existenz, wenn es zu unbilligen Härten kommt, unter
Umständen auch auf dem Spiel stehen kann . Deswegen
sind die Verbesserungen bei den Ein- und Ausbaukosten
für die Handwerker und für die kleinen Bauunternehmen
so wichtig und existenziell .

Meine Bitte an uns alle, so, wie wir hier zusammen
sind, ist, dass wir dieses Gesetzesvorhaben, das jetzt in
die Ausschüsse geht, nicht verzögern, sondern es zügig
zum Abschluss bringen . Das hilft den Unternehmen .
Es ist richtig und gut, dass wir mit den Änderungen im
Bereich der Ein- und Ausbaukosten die Geschäftsbezie-
hung – ich sage jetzt nicht Business, denn wir sind ja hier
im Deutschen Bundestag – zwischen dem gewerblichen
Bereich und den Endkunden, aber auch zwischen den
Gewerblichen untereinander geregelt haben, und zwar
innerhalb der gesamten Lieferkette bis hin zu den Ver-
ursachern .

Natürlich ist es so – auch wenn ich sage, dass wir das
nicht in die Länge ziehen, sondern zügig zum Abschluss
bringen sollten –, dass wir sicherlich noch Feinjustie-
rungs- und Diskussionsbedarf im Bereich des Bauver-
tragsrechts haben . Es ist erst einmal richtig, dass wir dort
Regelungen treffen . Denn – einer meiner Vorredner hat
es gesagt – wir haben zwar das Werkvertragsrecht, aber
das ist ja eher terminlich, punktuell ausgelegt, wohinge-
gen das Bauvertragsrecht den gesamten Zeitablauf, der
im Baubereich ja nun einmal über einen längeren Zeit-
raum geht, besser abbildet . Daher ist es sinnvoll, die Re-
gelungen dort zu treffen .

Aus meiner Sicht ist weitgehend unstrittig – natürlich
kam dazu Kritik aus der Bauindustrie –, dass wir Festle-
gungen zu Mindestanforderungen treffen müssen, auch
zu terminlichen . Ich glaube, das hilft allen und am Ende
auch dem Bauunternehmer, weil mehr Rechtssicherheit

Sabine Poschmann






(A) (C)



(B) (D)


gegeben ist . Dies bildet die Grundlage, auf der man sich
fair untereinander einigen kann, ohne dass es zu Ausein-
andersetzungen kommt .


(Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin auch der Meinung, dass es ein Anordnungs-
recht geben muss . Das ist ganz unstrittig . Wer das Risiko
auf sich nimmt und eine Investition tätigt, muss auch die
Möglichkeit haben, Änderungen durchzusetzen . Aber es
muss auf der anderen Seite – das meine ich mit fairem
Ausgleich – für denjenigen, der es umsetzen muss, ver-
hältnismäßig bleiben . Das heißt, er muss tatsächlich auch
die Befähigung haben . Er muss die notwendige Technik
dafür haben . Er muss vielleicht auch das Personal dafür
haben . Es muss auch in seinen sonstigen Bauablauf hi-
neinpassen . Deswegen ist es wichtig und richtig, dass
man an der Stelle genau hinschaut, sodass eine sinnvolle
Regelung für beide Seiten herauskommt . Wir reden in
der Baukostensenkungskommission natürlich auch über
die Senkung der Baukosten. Ein großer Teil sind Vorfi-
nanzierungskosten, die letztendlich der Bauunternehmer
tragen muss . Das kann man nicht überziehen . Da muss es
einen fairen Ausgleich untereinander geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was ich noch ein bisschen kritisch sehe, gerade wenn
es um das Anordnungsrecht geht – ich glaube, Kollege
Hoffmann hat es schon angesprochen –, ist, dass trotz al-
ledem Abschlagszahlungen in sinnvoller Art und Weise
möglich sein müssen; die vorher vereinbarte Möglichkeit
der Abschlagszahlung darf nicht über die einseitige An-
ordnungserlaubnis ausgehebelt werden . Hier muss also
auch eine Regelung her, die für beide Seiten vernünftig
und vertretbar ist .

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch eines sagen:
Wir haben auf der einen Seite marktstarke Auftragneh-
mer, also Bauunternehmen, die das vielleicht ausnutzen
wollen, auf der anderen Seite haben wir unter Umständen
aber auch sehr marktstarke Auftraggeber, die das natür-
lich auch in ihrem Sinne ausnutzen wollen . Deswegen ist
es unsere Aufgabe als Gesetzgeber, hier dafür zu sorgen,
dass es sowohl für die Verbraucher, den Endkunden, als
auch für die vielen seriösen, fleißigen Bauunternehmen,
die jeden Tag in Deutschland tätig sind und für uns arbei-
ten, fair und gerecht zugeht .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817701800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 18/8486 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt
es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
haben wir die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutsch-indische Bildungs- und Wissen-
schaftskooperation ausbauen

Drucksache 18/8708
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

All denen, die sich jetzt auf dem Umweg über das
Büro auf den Weg ins Wochenende begeben, wünsche
ich ein sonniges und gemütliches Wochenende .

Nachdem diejenigen, die an der Debatte zu diesem Ta-
gesordnungspunkt teilnehmen wollen, die wenigen noch
freien Plätze eingenommen haben, eröffne ich nun die
Aussprache, für die nach einer interfraktionellen Verein-
barung 38 Minuten vorgesehen sind . – Einwände höre
ich keine . Also können wir so verfahren .

Ich erteile das Wort dem Kollegen Stefan Kaufmann
für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1817701900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Aus aktuellem Anlass darf ich
als Obmann zunächst dem Sprecher der CDU/CSU-Frak-
tion für Bildung und Forschung ganz herzlich zum heuti-
gen Geburtstag gratulieren . Lieber Albert, ich denke, das
tue ich auch im Namen des ganzen Hauses .


(Beifall)


Indien ist ein Land der Extreme, aber auch extrem
spannend . Auf der einen Seite ist es ein Hightechland auf
Weltniveau mit erfolgreichen Raketensystemen, einer
eigenen Raumfahrtagentur und rund 700 000 ITlern in
einer Stadt wie Bangalore, auf der anderen Seite finden
sich dort Armut – 30 Prozent der Menschen in Indien le-
ben von weniger als 1,25 Dollar pro Tag –, Schmutz und
heilige Kühe auf den Straßen . Dritte Welt! Es ist also ein
Land der zwei Geschwindigkeiten . Das ist meine Kurz-
beschreibung unserer sehr harmonischen Delegationsrei-
se nach Indien im letzten Jahr, die unserem Antrag heute
ja auch zugrunde liegt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Erkenntnisse!)


Wie viel Potenzial in diesem Land steckt, kann man
sehr gut an einer Zahl ablesen: Weniger als 5 Prozent aller
Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen,
verfügen nach Regierungsangaben über eine berufliche
Qualifikation. Für die jährlich rund 12 Millionen jungen
Menschen, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, gibt

Volkmar Vogel (Kleinsaara)







(A) (C)



(B) (D)


es bisher lediglich rund 4,5 Millionen Ausbildungsange-
bote, die zumeist von äußerst geringer Qualität sind .

Genau hier kommen wir ins Spiel, Deutschland als
Land des Mittelstandes . So heißt denn auch die neue
Strategie der indischen Regierung „MIIM“, also „Make
in India Mittelstand“ .

Warum ist Deutschland als Partner so wichtig für In-
dien? Deutschland ist der größte Handelspartner Indiens
innerhalb der EU, doch gewünscht ist von indischer Seite
noch viel mehr, wenn es nach der Regierung Modi geht .
Das wurde auch vorgestern beim Deutsch-Indischen
Wirtschaftsdialog noch einmal deutlich . Deshalb gibt es
seit dem Frühjahr speziell für deutsche Unternehmen ei-
nen sogenannten „Fast track to India“ .

Es gibt in Indien sechs Goethe-Institute . Derzeit neh-
men dort jährlich etwa 17 000 Personen an Deutschkur-
sen teil, und außerdem wird an zahlreichen Schulen in
Indien die deutsche Sprache unterrichtet .

Im Wintersemester 2014/15 waren rund 11 860 indi-
sche Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrie-
ben . Das entspricht einer Steigerung um 24 Prozent ge-
genüber dem Vorjahr . Die Zahl deutscher Studierender
an indischen Hochschuleinrichtungen wird auf etwa
1 000 geschätzt . In Deutschland bilden über 1 000 indi-
sche Doktoranden die zweitgrößte Gruppe ausländischer
Promotionsstudenten direkt nach der chinesischen . Das
Potenzial für den Ausbau der Zusammenarbeit ist also
riesig .

In einem Bereich sind die Beziehungen zu Indien be-
sonders eng, nämlich in der Forschung . Für Indien ist
Deutschland weltweit der zweitwichtigste Forschungs-
partner hinter den USA . Die indische Wissenschaft ge-
nießt auch in Deutschland einen exzellenten Ruf . Ich darf
nur den Bereich Biotechnologie nennen .

Im Jahr 2014 haben beispielsweise über 800 in-
dische Wissenschaftler an Forschungsaufenthal-
ten an Max-Planck-Instituten teilgenommen . Die
Max-Planck-Gesellschaft unterhält gleich zwei
deutsch-indische Forschungseinrichtungen, das In-
do-German Max Planck Center for Computer Science
und das Max Planck Center on Lipid Research am Na-
tional Center of Biological Sciences in Bangalore . Das
Erstere haben wir übrigens auf unserer Delegationsreise
besucht .

Dann gibt es dort seit 2012 das Deutsche Wissen-
schafts- und Innovationshaus in Delhi . 15 Konsortial-
partner werden dort unter einem Dach zusammengeführt .
Sie erleichtern indischen und deutschen Wissenschaft-
lern sowie Studierenden den Aufbau von Kontakten
und erhöhen vor allem die Sichtbarkeit Deutschlands
als Wissenschafts- und Forschungsstandort . Seit 2012
fanden laut eigenen Angaben des DWIH rund 50 000 di-
rekte Kontakte mit Wissenschaftlern und Studierenden
dort statt . Weltweit gibt es im Übrigen nur sechs dieser
DWIHs . Auch dies unterstreicht den großen Stellenwert
der Forschungszusammenarbeit zwischen Deutschland
und Indien .

Weiterhin unterhält Deutschland sein weltweit einzi-
ges bilaterales Forschungsförderzentrum, das Indo-Ger-

man Science and Technology Centre in Gurgaon – das
ist in der Nähe von Delhi –, das wir auch in unserem
Antrag explizit erwähnen . Es wird von Deutschland und
Indien zu gleichen Teilen mit bisher jährlich 2 Millionen
Euro und ab dem nächsten Jahr mit 4 Millionen Euro
finanziert. Es fördert bilaterale, anwendungsorientierte
Forschungsprojekte unter Einbeziehung von Unterneh-
men auf beiden Seiten und ist deshalb, so finden wir, ein
vorbildliches Projekt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Umgekehrt ist Indien auch an mehreren Großfor-
schungseinrichtungen in Deutschland maßgeblich be-
teiligt; Sie wissen das . Der indische Beitrag zum mul-
tinationalen Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt
beträgt rund 30 Millionen Euro . Das ist ein stattlicher
Betrag . Auch in Nutzungsrechte des Teilchenbeschleuni-
gers DESY in Hamburg hat Indien erheblich investiert .
Schließlich ist Indien an ITER als einer von sieben Part-
nern mit 9 Prozent maßgeblich beteiligt .

Im November 2012 hat das Fraunhofer-Institut ein er-
folgreiches Marketing-Office in Bangalore eröffnet, das
Projekte in Millionenhöhe für die deutsche Wirtschaft
akquiriert . Übrigens gibt es in Bangalore – deshalb wa-
ren wir dort gewesen – etliche große Forschungszentren
deutscher Konzerne . Bei unserem Besuch konnten wir
uns von der hohen Qualität von Wissenschaft und For-
schung persönlich überzeugen .

Sie sehen, meine Damen und Herren, wie eng die For-
schungszusammenarbeit mit dem Subkontinent ist und
vor allem auch wie wichtig sie ist . Deshalb möchte ich
jetzt nur drei Forderungen aus unserem Antrag hervorhe-
ben, die mir besonders wichtig sind .

Erstens . Wir müssen alles daransetzen, dass wir den
Studierenden- und Wissenschaftleraustausch mit Indien
weiter intensivieren . Da sind DFG, AvH und DAAD ge-
fordert . Dies ist schon deshalb erfolgsträchtig, weil die
Unterrichts- und Landessprache Englisch ist und damit
auch die Verständigung im Alltag unkompliziert ist .

Zweitens . Ich habe die Zahlen bereits genannt: Wenn
nur etwa 5 Prozent der Bevölkerung über eine berufliche
Qualifikation verfügen, ergibt sich hier ein enormes Po-
tenzial . Dementsprechend müssen wir die duale Ausbil-
dung in Indien insgesamt und besonders die Ausbildung
von Facharbeitern fördern .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Regierung Modi will bis 2022 500 Millionen Inder
beruflich qualifizieren, ein wirklich gigantisches Projekt.
Mein Kollege Thomas Feist wird mit Sicherheit zu die-
sem Aspekt im Detail noch etwas sagen .

Drittens . Wir sollten für eine ausreichende räumliche
Ausstattung der deutschen Schule in Neu Delhi sorgen .
Denn was bringt die Finanzierung von Lehrkräften und
auch das enorm wachsende Interesse an der deutschen

Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


Sprache, wenn die Räume nicht da sind, um die jungen
Menschen zu unterrichten?


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zusammenfassend bin ich davon überzeugt, dass der
indische Subkontinent als größte Demokratie der Welt
mit seiner demografischen Entwicklung, seinem enormen
Potenzial und auch dem großen Hunger auf Bildung und
Fortschritt ein besonders enger Partner für Deutschland
sein muss . Das hat übrigens auch die Bundesregierung
richtig erkannt, wie erst jüngst bei den Regierungskon-
sultationen gezeigt wurde . Wissenschaft und Forschung
spielen dabei eine ganz zentrale Rolle . Lassen Sie uns
diesen Weg gemeinsam weitergehen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen
Dank auch an die Kollegen, dass wir diesen Antrag hier
gemeinsam geschrieben haben und auch die Reise so har-
monisch verlaufen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817702000

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Rosemarie

Hein das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817702100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Oktober 2011 in Neu-Delhi, Nachmittag: Besuch eines
indischen Grabmals mit Säulenhalle aus dem 17 . Jahr-
hundert, eines von unzähligen wertvollen Objekten des
indischen Kulturerbes, das restauriert werden soll . Am
Boden sitzt eine Handvoll Männer mit Schutzbrille und
Mundschutz, die unter Anleitung eines Fachmannes für
Denkmalpflege Steinmetzarbeiten verrichten. Sie erhal-
ten im Zuge dieser Restaurierungsarbeiten eine Ausbil-
dung als Handwerker – ganz praktisch, ohne Schule .

Zwei Tage später: Besuch in einer PASCH-Schule,
also einer Schule aus dem Programm „Partner der Zu-
kunft“, von denen es weltweit 1 800 gibt – nicht alle in
Indien – und die eine verstärkte Vermittlung der deut-
schen Sprache anbieten . Die jungen Leute zeigen uns en-
gagiert ihre Schule . Natürlich sprechen sie Deutsch . Wir
erleben ein trotz Schulferien eingeübtes Programm, eine
Kurzfassung indischer Geschichte – auch in Deutsch .

Es ist klar, dass bei einem solchen Besuch von Mit-
gliedern des Deutschen Bundestages uns vor allem die
Vorzüge eines Landes gezeigt werden . Beeindruckend
war das schon . Aber wir haben auch von den unbe-
schreiblichen Schwierigkeiten erfahren, von der sozialen
Spaltung Indiens, die man überwinden möchte und von
der man sich nur ein Bild machen kann, wenn man über-
haupt einmal da war .

Indien ist ein Land mit jetzt 1,3 Milliarden Menschen,
und es hat das Ziel, seinen Menschen viel Bildung mit
auf den Weg zu geben . Das Ziel „Erziehung für alle“ ist
in der Verfassung festgeschrieben . So etwas haben wir

nicht einmal im Grundgesetz, obwohl ich mir da lieber
„Bildung für alle“ wünschen würde . Seit 2010 gibt es das
gesetzlich verankerte Recht auf staatlich geförderte Bil-
dung – nicht auf kostenlose . Doch das staatliche Schul-
system ist schlecht ausgestattet, und es ist eine Mammut-
aufgabe für die indische Regierung .

Was in großen Städten langsam Gestalt annimmt, ist
in den ländlichen Gebieten sehr viel schwerer umzuset-
zen . Aber Indien hat das ehrgeizige Ziel, 400 Millionen
Menschen – das ist etwa ein Drittel der Bevölkerung –
in den nächsten Jahren beruflich zu qualifizieren und
40 Millionen Studienplätze zu schaffen . Was für ein Ziel
angesichts der Zahlen, mit denen wir uns hier herum-
schlagen und die wir gestern im Rahmen der Debatte des
Berufsbildungsberichts benannt haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Trotzdem ist dies angesichts der Zahl der Menschen,
die in Indien leben, erst ein Anfang . Darum ist es ein
richtiges Anliegen, die Wissenschaftskooperation und
die Bildungszusammenarbeit zu intensivieren . Aller-
dings darf es uns dabei nicht nur darum gehen, die Fach-
kräftesituation für deutsche Unternehmen in Indien zu
verbessern, sondern es muss auch um eine Kooperation
auf Augenhöhe gehen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin mir nicht sicher, ob das bei der Erstellung des
Antrags immer im Blick war . Es geht mir vor allem um
gegenseitigen Respekt und nicht um die missionarische
Verbreitung unserer Weisheiten .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage das insbesondere mit Blick auf den Ausbau
der beruflichen Bildung. So wichtig uns das duale Sys-
tem ist: Indien muss in Sachen beruflicher Bildung sei-
nen Weg, der möglicherweise ein anderer ist, gehen . Wir
sind immer schnell dabei, anderen Ländern aufzuschwat-
zen, was wir für gut befunden haben .


(Zurufe von der CDU/CSU: Ui! Ui!)


Andere Länder nehmen das angesichts der wirtschaftli-
chen Stärke Deutschlands auch ganz gerne an. Ich finde,
wir täten gut daran, mit etwas mehr Vorsicht und Demut
in die Welt zu schauen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei sind Beratung und Zusammenarbeit ganz sicher
richtig und wichtig, Copy and Paste nicht . Ich wunde-
re mich schon, dass die Grünen hier so wenig kritisches
Gespür haben; denn Sie haben ja diesen Antrag mitge-
zeichnet . Überhaupt müssen wir ein Auge darauf haben,
dass die großen Entwicklungsbedarfe in Indien nicht
dazu verleiten, dass deutsche Firmen nur den eigenen
Mehrwert sehen . Zum Beispiel ist Indien ein Land, in
dem gerne Arzneimittelstudien durchgeführt werden .
Wir müssen sehr peinlich darauf achten, dass dabei kei-

Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


ne schlechteren Standards zugelassen werden, als sie in
Europa gelten .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Swen Schulz [Spandau] [SPD])


Und schließlich – auch da schaue ich die Grünen fra-
gend an –: Wieso findet man eigentlich in dem Antrag
an mehreren Stellen Förderangebote für profitorientier-
te private Bildungsdienstleister, aber kein Wort zu den
Möglichkeiten von NGOs? Standen die nicht auf dem
Besuchsprogramm? Möglicherweise wollen Sie mit dem
Antrag auch nur die famosen Kooperationsbemühungen
der Bundesregierung unterstützen und ins öffentliche
Bewusstsein bringen . Das ist sicher gut . Mir allerdings
würde das nicht reichen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817702200

Die Kollegin Simone Raatz hat nun für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1817702300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Auch wenn Frau Hein einige kritische Worte
gesagt hat, so ist es ganz wichtig, festzuhalten: Alles, was
die Kooperation betrifft, insbesondere im Bereich Bil-
dung und Forschung, muss auf Augenhöhe stattfinden.
Wir sollten nicht – das haben Sie schon angesprochen –
Copy-and-paste machen . Darum geht es uns in unserem
Antrag auch nicht .

Wichtig ist – das wurde auch bei Ihnen, Frau Hein, und
auch bei meinem Kollegen, Herrn Kaufmann, deutlich –,
festzuhalten: In der internationalen Zusammenarbeit ist
die Kooperation im Bereich Bildung und Forschung ein
ganz wichtiges Element . Ich glaube, das wird manch-
mal in den Debatten vergessen . Hier macht Deutschland
enorm viel . Wir leisten viel, ohne immer darauf zu sehen,
welchen Mehrwert es für uns hat, sondern es geht darum,
den interkulturellen Austausch und im Endeffekt die ge-
genseitige Zusammenarbeit zu festigen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht bei den Kooperationen nicht nur um den Aus-
tausch von Wissen, Ideen und Erkenntnissen – natürlich
steht das im Fokus –, sondern es geht auch darum, den
interkulturellen Austausch zu stärken, bestehende Netz-
werke zu festigen und neue zu knüpfen . Deswegen war
eine kleine Delegation unseres Ausschusses für Bildung
und Forschung vor einigen Monaten in Indien, um zu se-
hen, wie unsere Mittel wirken, wohin unsere Mittel flie-
ßen, die wir jährlich in den Haushalt einstellen . Natürlich
darf man dann auch Fragen stellen, nämlich: Welche Pro-
gramme laufen gut? Wo ist es sinnvoll, in der Kooperati-
on neue und andere Wege zu gehen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ergebnis dieser
Reise ist der vorliegende Antrag „Deutsch-indische Bil-
dungs- und Wissenschaftskooperation ausbauen“ – das
kann man auch an der Medienwand lesen – als gemein-
same Initiative von Union, SPD und Grünen entstanden .
Ich muss sagen: Ich bin besonders unseren Kollegen von
den Grünen dankbar, dass sie diesen Antrag inhaltlich
mitgestaltet und mitgetragen haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dank an alle, die sich hier beteiligt haben . Das waren
nicht nur die Mitglieder der Delegation, sondern auch
viele andere Kollegen, auch wenn sich das hier in den
Reihen nicht so widerspiegelt . Es haben sich Kollegen
aus unserem Ausschuss, dem Wirtschaftsausschuss und
Kollegen, die sich mit auswärtiger Bildungsarbeit be-
schäftigen, beteiligt . Im Endeffekt ist hier eine runde Sa-
che entstanden . Darum, wie gesagt: Danke an alle Betei-
ligten und Danke an unsere Fraktionsspitzen, die uns bei
unserem Projekt ganz rege unterstützt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diese große Übereinstimmung in den Inhalten des
Antrags ist gut für unser parlamentarisches System . Man
sollte das nicht immer negativ sehen . Es ist doch auch
schön, wenn man einmal Anträge verabschiedet, bei de-
nen wir uns weitestgehend einig sind . Natürlich kann
man Kritik üben . Wenn man aber sagt, die Mehrheit der
Punkte tragen wir gemeinsam, dann, denke ich, ist das
gut und wichtig für die Sache selbst, insbesondere für die
weitere Stärkung der Zusammenarbeit mit Indien .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kaum ein anderes
Schwellenland – ich glaube, Herr Kaufmann ist auch
schon darauf eingegangen – investiert so viel in Bildung
und Forschung wie Indien . Als weltweit größte Demo-
kratie ist Indien auch für uns ein verlässlicher Partner
mit einem vielfältigen Potenzial zur Kooperation . Al-
lein bei Betrachtung des indischen Hochschulsystems
wird die rasante Entwicklung des Landes deutlich: Die
Zahl der Studierenden ist zwischen 2009 und 2015 von
12 Millionen auf knapp 30 Millionen gestiegen . In dieser
Zeit hat sich auch die Zahl der indischen Studierenden
in Deutschland mehr als verdoppelt . Damit bildet gera-
de diese Gruppe eine der größten Gruppen ausländischer
Studierender hinter China und Russland .

Es ist aber auch festzustellen – mein Kollege Herr
Kaufmann hat es eher positiv gesehen; ich würde sagen,
hier können wir vielleicht noch einen Tacken zulegen –,
dass Deutschland für indische Bachelor-Studierende bis-
her kaum attraktiv ist . Um hier den Austausch zu ver-
bessern, fordern wir in unserem Antrag, das erfolgreiche
Programm „Working Internships in Science and Enginee-
ring“ weiter auszubauen . Ziel ist es dabei, den Bachelor-
studierenden ein Stipendium zugutekommen zu lassen,
damit sie ein Praktikum an einer unserer Forschungsein-
richtungen oder einer Hochschule machen können .

Genauso – darauf müssen wir gemeinsam mit dem
DAAD hinwirken – muss es mehr deutsche Studierende
geben, die sich für einen Studienaufenthalt in Indien in-
teressieren . Während – Sie haben die Zahlen genannt –
2014 9 200 indische Studierende an unseren Hoch-

Dr. Rosemarie Hein






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(B) (D)


schulen eingeschrieben waren, waren nur 730 deutsche
Studenten – wir haben es im Antrag auf 1 000 aufgerun-
det – in Indien . Das ist nicht einmal ein Zehntel . Ziel
muss sein, dass der Austausch in beide Richtungen etwa
gleich hoch ist .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/CSU])


Natürlich müssen die Hochschulsysteme auch attrak-
tiv sein . Ich glaube, dass Indien auf einem sehr guten
Weg ist . Gerade im Bereich Mathematik und Informa-
tik könnte der Austausch wesentlich besser sein . Bereits
heute besteht in Deutschland ein Fachkräftemangel . Wir
wissen, dass der Fachkräftemangel im Zuge der Digita-
lisierung weiter zunehmen wird . Schon jetzt fehlen rund
40 000 IT-Experten . Ich habe gehört, dass derzeit bei
uns 17 000 Menschen Informatik studieren . Das ist viel
zu wenig . Da merkt man ja schon, dass hier eine Lücke
klafft . Damit sind wir im Moment auf die Ressourcen
solcher Länder wie Indien angewiesen .

Das haben wir auch deutlich gesehen, als wir in Ban-
galore, der IT-Hochburg, waren, wo über 200 deutsche
Unternehmen wie Siemens, Allianz und Infineon, also
die großen, bereits mit Tochterunternehmen und Vertre-
tungen unterwegs sind, um von den indischen IT-Spezi-
alisten zu profitieren. Die Zahl der Spezialisten, auf die
wir da bauen, ist nicht im Hunderterbereich, sondern im
Tausenderbereich .

Umso wichtiger ist es, dass wir den Studierenden- und
Wissenschaftleraustausch im MINT-Bereich intensi-
vieren . Das muss in enger Zusammenarbeit – es wurde
schon gesagt – mit der DFG, dem DAAD und der Al-
exander-von-Humboldt-Stiftung erfolgen; denn wir müs-
sen international wettbewerbsfähig bleiben . Das ist, wie
gesagt, ein wichtiger Punkt unseres Antrags .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Gerade in Zeiten, in denen populistische Par-
teien an Zuspruch gewinnen und in denen Vorurteile ge-
genüber anderen Kulturen zunehmen, ist es umso wich-
tiger, dass wir in allen Bereichen, auch im Bildungs- und
Wissenschaftsbereich, den Austausch mit anderen Natio-
nen verstetigen und intensiv pflegen. Das tun wir heute
mit dem Antrag zur deutsch-indischen Kooperation . Ich
denke, das ist ein wichtiges Zeichen . Wir werden da-
ran arbeiten, dass gerade die Kooperationen im Bereich
Bildung und Forschung weiter aktiviert und intensiviert
werden .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817702400

Kai Gehring erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grü-

nen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817702500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In-

dien wird bisweilen unterschätzt, und das völlig zu Un-

recht . Das Land steht an der Schwelle, ein richtig wir-
kungsmächtiger Global Player zu werden . Es ist darum
ein ganz wichtiges Signal, dass wir diese Debatte der
deutsch-indischen Zusammenarbeit in Bildung und For-
schung widmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sehr viele Projekte und Initiativen gibt es bereits, wie
unser gemeinsamer Antrag deutlich macht . Danke an
Simone Raatz für den Anstoß, danke den anderen Be-
richterstattern für das sehr konstruktive Miteinander . Es
ist gut, dass wir uns interfraktionell einig sind, Koopera-
tionen zu verstetigen und Positives auszubauen .

Das Interesse an mehr Kooperationen in Bildung
und Forschung ist riesengroß; das haben unsere indi-
schen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, von
NGOs bis hin zu Spitzenforschern, während der Dele-
gationsfahrt unseres Ausschusses klar an uns herangetra-
gen . Dieses Angebot nehmen wir gerne an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Indien ist ein dynamisches und quirliges Land – auf-
strebend, bildungsaffin, wissbegierig, innovativ und mit
immensen Potenzialen bei Technologie, Talenten und
Kreativität. Soziale Spaltung, eklatante Armut und Defi-
zite bei Good Governance sind als Probleme erkannt und
müssen in Indien mit Nachdruck beackert werden . Als
aufstrebendes Schwellenland setzt Indien auf Wachstum
und Wohlstand und braucht vor allem in den Millionen-
metropolen dringend mehr Umwelt- und Klimaschutz für
mehr Lebensqualität .

Indien ist die größte Demokratie der Welt – auch ein
sehr wichtiger Faktor . Damit schützt Indien demokrati-
sche Rechte und Werte, die zum Beispiel in China fehlen
und in Russland und der Türkei massiv unter Druck ste-
hen, Werte wie Meinungs-, Presse- und Wissenschafts-
freiheit, die auch wir leben und unterstützen . Auch des-
halb ist dieser Antrag so wichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Denn diese Werte bilden den fruchtbaren Boden für eine
lebendige Zivilgesellschaft . Die Vielfalt und die immen-
se Mehrsprachigkeit in Indien fördern kreatives Denken
und selbstbewusste Bürgerschaft . Dieser Weg wird sich
langfristig als viel erfolgreicher erweisen als der Weg ei-
ner Diktatur . Das macht den Austausch auch in der Au-
ßenwissenschaftspolitik umso wertvoller . Auch deswe-
gen ist diese Antragsinitiative so wichtig, auch deswegen
haben wir sie gerne aktiv mitgestaltet .

Deutschland möchte ein verlässlicher Partner Indiens
sein . Wir bieten unsere Unterstützung bei der Bewälti-
gung der großen Herausforderungen an, vor denen dieses
Land steht . Eine Herausforderung ist die große Nachfra-
ge nach Energie . Über 300 Millionen Menschen in Indien
haben keinen zuverlässigen Zugang zu Strom . Das ist so,
als wenn in den gesamten USA das Licht ausginge . Im
Kampf gegen diese Energiearmut setzt Indien leider vor

Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)


allem auf Kohlekraft, obwohl die Regierung weiß, dass
dies zu noch mehr Smog und noch mehr Treibhausgasen
führt . Auch die Atomkraft ist wegen der Sicherheitsrisi-
ken und der ungeklärten Frage der Endlagerung proble-
matisch .

Umso erfreulicher und umso unterstützenswerter ist
es aber für uns als deutsches Parlament, dass die indi-
sche Regierung zunehmend auch auf erneuerbare Ener-
gien setzt . Bis 2022 will die indische Regierung Solar-
anlagen mit einer Leistung von 100 Gigawatt aufbauen .
Deutschland hat bereits einen bedeutenden Anteil an Er-
neuerbaren . Unsere Erfahrung mit der Energiewende und
mit verantwortlicher Energieforschung teilen wir gerne .
Ein Green New Deal wäre für die indische Gesellschaft,
Wirtschaft und Umwelt ein großer Gewinn .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Eine weitere Herausforderung sind neue Jobs . Pro Jahr
kommen 12 bis 13 Millionen Jugendliche auf den indi-
schen Arbeitsmarkt; das muss man sich einmal vorstel-
len . Um die unterzubringen, um diesen jungen Menschen
Perspektiven zu geben, ist das duale System unserer Be-
rufsausbildung mit seiner Verknüpfung aus Theorie und
Praxis ein sinnvoller Weg, zumal es in Indien so viele
kleinste, kleine und mittlere Unternehmen gibt . Das du-
ale System kann helfen, kann Vorbild sein, eine flexible
und innovative Facharbeiterschaft auszubilden . Hierbei
bringen wir unsere Erfahrungen sehr gerne weiter ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Eine etablierte stabile Säule der deutsch-indischen
Freundschaft ist der Austausch von Studierenden und
Wissenschaftlern, und die Zahlen steigen . Mittlerweile
sind Inder die drittgrößte Gruppe unter den internationa-
len Studierenden hierzulande . Das ist überraschend und
beeindruckend . Umgekehrt geht noch etwas: Mehr Deut-
sche sollten in Indien studieren .

Zahlreiche Hochschulen sowie außeruniversitäre For-
schungseinrichtungen sind in Indien aktiv . Das Deut-
sche Wissenschafts- und Innovationshaus in Neu-Delhi
ist eine sehr wichtige Adresse für den Austausch, des-
sen Finanzierung wir auch künftig sicherstellen wollen .
Gleiches gilt für die Ausstattung der deutschen Schule in
Neu-Delhi . Zusammen mit der Initiative „Schulen: Part-
ner der Zukunft“, PASCH, und dem Programm „Deutsch
an 1 000 Schulen“ wecken wir Interesse am modernen
Deutschland, das sich weltoffen und vielfältig präsen-
tiert . Danke daher an alle Mittlerorganisationen, die her-
vorragend arbeiten und unser Bild als Wissensnation dort
prägen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen Freunde Deutschlands in der Welt gewin-
nen . Wir wollen die deutsch-indische Kooperation in Bil-
dung und Forschung ausbauen . Gemeinsam sind unsere
beiden Demokratien stärker, Lösungen für die soziale

und ökologische Modernisierung unserer Welt und un-
serer Länder zu finden und zu etablieren. Unser Antrag
unterstreicht das breite bildungs- und forschungspoliti-
sche Fundament hierfür . Die erfreuliche Botschaft ist:
Regierung und Parlament sind sich einig, dass wir das
noch verbreitern wollen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817702600

Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Feist für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1817702700

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Her-
ren! Genauso verstehe ich parlamentarische Arbeit:
Wir haben angeregt, die deutsch-indische Kooperation
auszubauen, die Bundesregierung hat das übernommen
und nach einiger Zeit schauen wir: Wo stehen wir? Was
können wir vielleicht noch besser machen? Wo sollten
wir neue Schwerpunkte setzen? – Genau das ist das Ziel
unseres vorliegenden Antrages, in dem es nicht nur um
Wissenschaftskooperationen geht, sondern vor allen Din-
gen auch um Bildungskooperationen . Auf diese möchte
ich kurz eingehen .

Die Zahlen sind schon mehrfach genannt worden, aber
es ist trotzdem immer wieder erstaunlich: Monat für Mo-
nat drängen 1 Million junge Menschen in Indien auf den
Arbeits- bzw . Ausbildungsmarkt . Es ist wichtig, diesen
jungen Menschen Perspektiven zu geben . Frau Hein, na-
türlich machen wir das auf Augenhöhe; denn auch wir
können aus der beruflichen Bildung dort etwas lernen.
Die Regierung in Indien hat zum Beispiel ein eigenes Mi-
nisterium für die Kompetenzentwicklung und die berufli-
che Bildung eingerichtet . Das heißt, dass der Stellenwert
der beruflichen Bildung in Indien sehr hoch angesiedelt
ist. Dass dieser Stellenwert der beruflichen Bildung so
wichtig ist, das haben wir gestern im Zusammenhang mit
dem Berufsbildungsbericht diskutiert . An Indien sollten
wir uns durchaus ein Beispiel nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Zweite ist: Wie macht die indische Regierung
das? Die indische Regierung hat dafür gesorgt, dass das
zuständige Ministerium eine Kampagne über den Wert
einer dualen Berufsausbildung initiiert; denn anders als
bei uns oder in anderen deutschsprachigen Staaten hier in
Europa ist es so, dass die Arbeit mit den Händen und mit
dem Kopf – das möchte ich hinzufügen – in Indien keine
Selbstverständlichkeit ist; vielmehr versucht man, durch
ein akademisches Studium einen bestimmten Status zu
erreichen . Diese Idee ist in Deutschland mittlerweile
nicht mehr ganz fremd, aber in Indien sehr verbreitet .

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Dort setzt man auf authentische Vorbilder . Authenti-
sche Vorbilder heißt – das konnten wir uns vor Ort in In-
dien anschauen –, dass man diejenigen Auszubildenden
mit besonderen Ergebnissen, mit besonderen Leistungen
oder auch mit besonderen Biografien herausstellt, die be-
legen, dass man eben auch aus einer unteren Kaste heraus
den Aufstieg erreichen und damit für sich und seine Fa-
milie ein sicheres Fundament des Lebens in Indien schaf-
fen kann . Diese guten Beispiele werden also besonders
herausgehoben . Ich denke, davon können wir lernen: Wir
brauchen auch in Deutschland authentische junge Leute,
die davon reden, was duale Berufsausbildung für sie und
ihr Leben bedeutet .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht bei Kooperationen immer um Gegenseitigkeit .
Wir haben das in Bangalore gesehen . Gerade im IT-Be-
reich – Kollegin Raatz ist darauf eingegangen – sind dort
viele große deutsche Unternehmen vor Ort präsent, und
man sieht, was im Bereich IT möglich ist, nämlich wirk-
lich die globalisierte Welt zu erfahren . Ich habe das an
einem Beispiel gesehen . Wir waren dort bei einer Firma,
deren Namen ich jetzt nicht nenne, weil ich sonst alle
anderen auch nennen müsste, die sich darauf spezialisiert
hat, Messinstrumente zu entwickeln und damit techni-
sche Überwachungen von Prozessen zu übernehmen .
Dort habe ich auf einem Monitor ein Bild gesehen, das
mir recht bekannt vorkam . Es hatte etwas mit einem Auto
zu tun, das in Leipzig produziert wird . Ich habe den jun-
gen Mann gefragt, was er denn da mache, und er sagte:
Ja, ich kontrolliere hier die Endfertigung dieses Wagens
der gehobenen Klasse, der in Leipzig produziert wird . –
Das ist wirklich erstaunlich .

Wichtig ist bei der Kooperation nicht nur, dass deut-
sche Firmen davon profitieren, wenn sie in Indien inves-
tieren . Vielmehr ist für mich auch ganz entscheidend,
dass wir – wie dieses Beispiel zeigt – den jungen Leuten
in Indien eine Perspektive geben; denn darauf kommt es
an . Es kommt nicht nur auf den Mehrwert für die deut-
sche Wirtschaft an, sondern auch darauf, dass wir jungen
Leuten in Indien und anderswo eine Perspektive geben,
und dafür ist das ein gutes Beispiel .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist angesprochen worden, welche Schwerpunkte
wir setzen . Ich halte es auch für sehr gut, dass wir in die-
sem interfraktionellen Antrag, den wir mit den Grünen
gemeinsam eingebracht haben, Punkte herausgearbeitet
haben, die nicht nur für Deutschland, sondern auch für
Indien ganz besonders wichtig sind .

Zwei wichtige Themen möchte ich am Schluss noch
herausgreifen . Eines davon ist die Infrastruktur . Wenn
man in Indien unterwegs ist, so erlebt man etwas, woge-
gen der größte Berliner Stau wirklich lachhaft ist . Des-
wegen ist es wichtig, dass wir überlegen: Welche Mo-
bilitätskonzepte brauchen diese Städte dort, aber auch
welche Infrastrukturkonzepte? – Da kommt wieder die
duale Ausbildung ins Spiel, weil man in einer dualen

Ausbildung natürlich nicht nur einen Arbeitsgang erlernt,
sondern auch etwas über Arbeitsschutz, Umweltschutz
und Nachhaltigkeit lernt . Deswegen ist es wichtig, dass
wir dies auch in unserer bilateralen Kooperation verstär-
ken .

Wie tun wir das? Wir können natürlich jetzt nicht die
Hälfte der 1 Million junger Inder, die jeden Monat auf
den Arbeits- und auf den Ausbildungsmarkt drängen,
nach Deutschland holen und sie hier ausbilden . Das
würde überhaupt gar keinen Sinn ergeben . Deswegen
müssen wir effektiv und zielgerichtet vorgehen . Zielge-
richtet vorzugehen heißt, dass wir das Programm „Train
the Trainer“ besonders unterstützen . „Train the Trainer“
heißt, dass wir besonders gute Ausbilder nach Deutsch-
land holen oder sie auch vor Ort fortbilden, und zwar
nach deutschen Kriterien, und auch mit einem deutschen
Zertifikat ausstatten; denn damit können wir auch etwas
für das Image der beruflichen Bildung tun. Ein deut-
sches Zertifikat ist in Indien viel wert, und wenn wir dies
noch verstärken können, wäre das eine gute Sache – für
Deutschland und für Indien .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817702800

Swen Schulz ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1817702900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Internationa-
le Zusammenarbeit ist von elementarer Bedeutung, auch
und gerade in der Wissenschaft . Das hier zu betonen,
kommt mir fast schon etwas merkwürdig vor; schließ-
lich handelt es sich um eine Binsenweisheit, eine Selbst-
verständlichkeit . Doch vor dem Hintergrund so mancher
Debatte in Deutschland gerade in den letzten Monaten
betone ich: Wir sind auf internationale Zusammenarbeit
angewiesen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur so können wir globale Probleme lösen, nur so si-
chern wir Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, nur
so werden wir unserer Verantwortung für die Menschheit
gerecht .

Dass wir als Bundestagsdelegation in Indien waren,
ist im Internet verschiedentlich kritisiert worden . Ich will
hier klar sagen: Wer meint, die Abgeordneten sollten in
Deutschland bleiben und sich um deutsche Wissenschaft
kümmern, der hat nichts kapiert .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Thomas Feist






(A) (C)



(B) (D)


Wer sich nur auf Deutschland bezieht, ist geistig arm,
verpasst den Anschluss und wird aus seiner nationalen
Träumerei böse erwachen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat das schon lange erkannt
und einen Aktionsplan „Internationale Kooperation“
aufgelegt . Ein Partnerland ist Indien . Das kann schon
angesichts der schieren Größe und des Bevölkerungs-
reichtums dieses Landes auch gar nicht anders sein . Wir
wollen mit dem vorgelegten Antrag einen Impuls geben,
die deutsch-indische Kooperation weiter auszubauen .

Gerade was die Entwicklung Indiens anbetrifft – das
ist vor Ort tatsächlich sehr deutlich zu spüren –, gibt es
gewaltige Chancen, aber auch riesige Herausforderun-
gen . Dieses Land ist in einigen Bereichen wissenschaft-
lich führend und bekommt doch anscheinend einfache
und grundlegende Dinge wie die Müllentsorgung nicht
hin . Indien ist wichtiger Exporteur von Hochtechnolo-
gieprodukten, aber auch ein Land, bei dem es nicht viel
Fantasie braucht, um sich vorzustellen, dass sich 100
oder 200 Millionen Menschen auf den Weg nach Europa
machen . Umso wichtiger ist es, dass wir auch im Bereich
Bildung und Wissenschaft die Zusammenarbeit forcie-
ren .

Ich will an einem Beispiel illustrieren, was das kon-
kret heißt . Kai Gehring hat schon auf die Energiethema-
tik abgehoben . Deutschland gehört in Sachen Sonnen-
energienutzung tatsächlich zu den führenden Nationen .
Um dieses Wissen für die Energieerzeugung in Indien
optimal zu nutzen, ist eine Anpassung an die besonderen
klimatischen Bedingungen sinnvoll . In einem gemein-
samen Projekt haben das Freiburger Fraunhofer-Institut
für Solare Energiesysteme und die Schott Solar AG aus
Mainz gemeinsam mit indischen Partnern angepasste
technische Lösungen entwickelt .

Wenn das am Ende so funktioniert wie erhofft, gibt es
lauter Gewinner: Erstens wird in Indien konkret gehol-
fen . Zweitens wird die Umwelt geschützt . Drittens lernen
auch die deutschen Partner . Viertens wird Werbung für
den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland
betrieben . Fünftens ergibt sich ein großes Marktpoten-
zial für das deutsche Unternehmen . Besser geht es doch
nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei allem Positiven will ich auch nicht verschweigen,
dass es die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeit
gibt . Lassen Sie mich drei Punkte aus dem Antrag an-
sprechen:

Erstens . Es muss klar sein, dass das DWIH, das Deut-
sche Wissenschafts- und Innovationshaus, in Neu-Delhi
seine Arbeit fortsetzen kann . Diese Häuser gibt es auch
in anderen Metropolen . Sie funktionieren vielleicht nicht
überall gleich gut, von dem Haus in Indien haben wir
jedenfalls einen ausgesprochen starken Eindruck erhal-
ten . Es wäre ein Rückschlag, wenn das DWIH seine Ar-
beit aufgrund von Schwierigkeiten andernorts einstellen

müsste . Also, wie immer es mit diesen Häusern weiter-
geht: Mit dem DWIH in Indien soll es weitergehen .

Zweitens . Wir haben Hinweise erhalten, dass bei der
Ausgestaltung der Hochschulkooperationen die Fach-
hochschulen strukturell das Nachsehen haben könnten .
Diese Sorge nehmen wir ernst . Internationale Kooperati-
on ist nicht nur etwas für Universitäten . Vielmehr haben
auch die Fachhochschulen ganz besondere Fähigkeiten,
die im Ausland gebraucht werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Drittens . Die Kooperation kann sich nicht nur auf den
technisch-naturwissenschaftlichen Bereich erstrecken .
Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenso be-
deutend . Wir haben das in Indien bei jeder möglichen
und auch unmöglichen Gelegenheit angesprochen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Es ist klar, dass unsere indischen Partner da nicht so ent-
husiastisch sind und das BMBF immer wieder vor Pro-
bleme stellen . Natürlich können wir auch nicht eine Art
Zwangsbeglückung durchführen . Aber wir ermutigen das
BMBF, immer wieder und kontinuierlich auf den Ausbau
der gemeinsamen geistes- und sozialwissenschaftlichen
Forschung zu drängen; denn ohne wird die deutsch-in-
dische Kooperation unvollständig bleiben und entschei-
dende Fortschrittspotenziale werden nicht erschlossen
werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sind wir unserer
Meinung nach auf einem guten Weg . Wenn nun bald die
versprochene Evaluierung der Internationalisierungsstra-
tegie der Bundesregierung kommt, werden wir die Dis-
kussion auch über Kooperationen mit anderen Länder
führen und diese auch noch intensivieren können . Darauf
freue ich mich .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817703000

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Claudia Lücking-Michel für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1817703100

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! „A New Passage to
India“ – damit war ursprünglich die Schiffsroute ge-
meint, zu der im 15 . Jahrhundert Vasco da Gama aufge-
brochen ist . Heute ist dies der anschauliche Name eines
DAAD-Förderprogramms .

Swen Schulz (Spandau)







(A) (C)



(B) (D)


Wir haben es gehört: Im 21 . Jahrhundert reisen wir
nicht mehr mit dem Segelschiff, sondern – Beispiele gab
es ja viele – wir finanzieren Stipendien für Studierende
und Wissenschaftler, wir fördern bilaterale Kontakte in
Wissenschaft und Wirtschaft, wir fördern das Deutsche
Wissenschafts- und Innovationshaus und engagieren uns
in der Berufsbildung .

Warum sind internationale Kooperationen gerade in
Bildung, Wissenschaft und Forschung so wichtig und
gerade und besonders mit aufsteigenden Wissenschafts-
nationen wie Indien? Am Ende der Debatte will ich ver-
suchen, das etwas grundsätzlicher zu beantworten oder
zusammenzufassen .

Drei Gedanken:

Erstens . Kollege Schulz hat es gerade als Binsenweis-
heit bezeichnet, aber man kann es nicht häufig genug
wiederholen: Wissenschaft lebt vom Austausch verschie-
dener Denkweisen und neuer Ideen . Wissenschaftlicher
Fortschritt und echte Spitzenforschung sind überhaupt
nur möglich, wenn sie international aufgestellt sind . Nur
wer sich mit Neugier auf die Reise über nationale Gren-
zen hinaus begibt, gelangt zu Spitzenergebnissen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit zunehmender Globalisierung findet Wissenschaft
aber auch in einer zunehmenden Dualität statt: Der Wett-
streit um innovative Ideen erfolgt auf der einen Seite in
Konkurrenz und auf der anderen Seite in Kooperation
zwischen den Nationen der Welt . Gute Wissenschaftspo-
litik tut gut daran, dazwischen eine Balance zu suchen .
So wollen wir unseren Wissenschaftsstandort hier bei uns
stärken und müssen gerade deswegen immer nach neuen
Partnern für internationale Zusammenarbeit suchen .

Ein zweiter Gedanke . Internationaler Austausch ist so
wichtig, weil er nicht nur zu akademischer Qualifikation,
sondern zur Persönlichkeitsbildung insgesamt beiträgt .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass Studierende nach Auslandsauf-
enthalten offener sind für weitere neue Erfahrungen .
Altruismus, Vertrauen und Entgegenkommen sind bei
ihnen stärker ausgeprägt . Sie haben in dieser Zeit nicht
nur länderspezifische Kompetenzen erworben, sondern
sind junge Menschen, die gelernt haben, mit Gegensät-
zen umzugehen, mit Gegensätzen, die einem begegnen,
wenn Kulturen, Traditionen, Werte in einer globalisierten
Welt aufeinandertreffen . Oder man kann auch sagen, es
sind junge Menschen, die Differenzerfahrung gemacht
haben, das heißt, die ihre eigene Herkunft auch von einer
Außenperspektive betrachtet haben, ihre eigenen Sicht-
weisen infrage stellen lassen und den Dialog mit anderen
dann hoffentlich respektvoll führen können .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An Bord unseres Schiffes heute brauchen wir mehr denn
je eine solche Mannschaft, die in einem globalen Hori-
zont denken und handeln kann .

Umgekehrt besetzen viele der Deutschland-Alumni
der Förderorganisationen DAAD oder Humboldt-Stif-
tung heute Schlüsselpositionen in Verwaltung und Wis-
senschaft ihrer Heimatländer . Das ist natürlich auch ein
gutes Potenzial für tragfähige Zusammenarbeit .

Darum ist es so wichtig, wenn das Programm „A New
Passage to India“ fortgeführt wird, mit dem das Interes-
se auf beiden Seiten, in Indien und in Deutschland, ja
gerade besonders gefördert wurde, mit dem wir Brücken
zwischen Deutschland und Indien bauen .

Drittens . Wir wissen es alle, Wissenschaft spielt bei
der Formulierung zukunftsfähiger Lösungen für unsere
Welt eine zentrale Rolle . Antworten auf die globalen He-
rausforderungen können wir nur in internationaler Zu-
sammenarbeit und gemeinsamer Verantwortung finden.

Das Ziel der Reise ist damit klar: Es geht nicht um ei-
nen Nord-Süd-Transfer von wissenschaftlichem Know-
how, nicht um Nachhilfe, nein, es geht um gemeinsamen
Erkenntnisgewinn .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Internationale Forschungskooperation ist nicht reiner
Eigennutz, aber auch nicht uneigennützige Aufbauhilfe
für andere, sondern hier geht es um gemeinsamen Nut-
zen für alle . Wir brauchen natur- und ingenieurwissen-
schaftliche Forschung für die drängenden Probleme .
Die Stichworte sind gefallen . Das Spektrum reicht von
Abfallwirtschaft über erneuerbare Energien und hört bei
nachhaltiger Stadtentwicklung noch lange nicht auf .

Mir ist aber wichtig, zu betonen: Wir brauchen auch
und gerade die Geisteswissenschaften .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind wichtig; denn sie deuten die Herkunft aus, bie-
ten Orientierung und reflektieren Kriterien und Maßstäbe
von Modernisierungsprozessen . Darum begrüße ich ganz
besonders das deutsch-indische Projekt des „M . S . Me-
rian – R . Tagore Centre“ für sozial- und geisteswissen-
schaftliche Forschung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag zeigt:
Wir segeln auf der „New Passage“ mit einem seetüchti-
gen Schiff, einer starken Mannschaft und viel Proviant .
Mit unserem Antrag wollen wir jetzt unsere Segel noch
stärker am Wind ausrichten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817703200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/8708 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Nach der großen
Einmütigkeit in der Debatte vermute ich stark, dass auch

Dr. Claudia Lücking-Michel






(A) (C)



(B) (D)


diese Überweisung nicht auf heftigen Widerstand stößt . –
Das ist so . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Dann kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunk-
ten 29 a bis 29 c:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes über die unabhängige Polizei-
beauftragte oder den unabhängigen Polizeibe-

(Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)


Drucksache 18/7616
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens er-
leichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Ge-
setzes über die unabhängige Polizeibeauftrag-
te oder den unabhängigen Polizeibeauftragten

(Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)


Drucksache 18/7617
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages

hier: Umsetzung des Gesetzes über die un-
abhängige Polizeibeauftragte oder den
unabhängigen Polizeibeauftragten des

(Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)


Drucksache 18/7618
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung eine Aussprache von 38 Minuten vorgesehen . – All-
gemeines Einvernehmen .

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile der Kol-
legin Mihalic das Wort .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817703300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! Vor 60 Jahren wurde im Zuge der Grün-
dung der Bundeswehr auch die Position eines Wehrbe-

auftragten beim Deutschen Bundestag verankert . Damals
ging die Initiative von der SPD aus, genauer gesagt vom
Abgeordneten Ernst Paul .

Natürlich gab es anfangs auch kritische Stimmen –
das ist ja völlig klar – von allen Seiten, unter anderem
aus der Union, aber auch von einigen Generälen, der
Wehrbeauftragte sei ein Ausdruck des tiefen Misstrauens
gegenüber dem Militär; er sei ein unnützes Institut und
würde den ohnehin vorhandenen Papierkrieg noch wei-
ter verstärken . Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im
Zusammenhang mit einem Polizeibeauftragten kommen
mir diese Argumente irgendwie bekannt vor .

Natürlich steht der Wehrbeauftragte – das ist unstrit-
tig – historisch in einem völlig anderen Kontext . Aber ich
denke, heute herrscht große Einigkeit darüber, dass der
Wehrbeauftragte eine bundesrepublikanische Erfolgsge-
schichte ist . Es ging von Anfang an ein wichtiges Signal
von dieser Institution aus: Bei der Bundeswehr zählen
nicht nur Befehl und Gehorsam, sondern sie ist Teil die-
ser Gesellschaft, und Soldatinnen und Soldaten sind Bür-
gerinnen und Bürger, wenn auch in Uniform .

Eine solche vertrauensstiftende Maßnahme wünschen
wir uns auch für die Polizei . Aber es fehlt im Bund ein
Äquivalent zum Wehrbeauftragten für die Kontrolle des
Gewaltmonopols im Innern . Genau deshalb schlagen wir
Grünen die Schaffung der Stelle eines Polizeibeauftrag-
ten beim Deutschen Bundestag vor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als die Ergebnisse des ersten NSU-Untersuchungs-
ausschusses vorgelegt wurden, wurde in diesem Hause
mit großer Geschlossenheit eine mangelnde Fehlerkultur
auch bei den Polizeibehörden festgestellt . Dabei sind wir
uns sicher einig, dass die pure Forderung „Steht zu euren
Fehlern!“ de facto nichts verändern wird . Nein, wir brau-
chen dazu Instrumente, die einen angemessenen Umgang
mit Fehlern ermöglichen, um auch für die Zukunft daraus
zu lernen .

Deshalb brauchen wir eine unabhängige Instanz au-
ßerhalb polizeilicher Hierarchien, bei der sowohl Bürge-
rinnen und Bürger als auch Polizistinnen und Polizisten
Hinweise und Kritik, gegebenenfalls auch vertraulich,
vorbringen können .

Der Polizeibeauftragte hat dann die Möglichkeit, die
Eingaben völlig unabhängig zu prüfen . Er arbeitet dabei
selbstverständlich immer eng mit den Personalvertretun-
gen zusammen, die schon heute eine enorm wichtige Ar-
beit leisten, und vor dem Bundestag soll er regelmäßig
über seine Arbeit berichten, sodass wir im Parlament die
Gelegenheit haben, wenn es nötig ist, politisch nachzu-
steuern .

Wie wichtig ein solcher unabhängiger Polizeibeauf-
tragter wäre, sehen wir in der aktuell angespannten Si-
cherheitslage immer wieder . Ich erinnere zum Beispiel
an die Vorfälle bei der Bundespolizeidirektion in Han-
nover, bei denen es um Folter- und Nötigungsvorwürfe
ging . Diese sollen nun zum Glück aufgeklärt sein . Aber
hier erfolgten viel zu spät Hinweise eines Polizisten, ver-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


mutlich aus Angst vor Konsequenzen für die eigene Be-
rufslaufbahn . Oder nehmen wir die Kölner Silvesternacht
als Beispiel, wo sich Beamte der Bundespolizei aus Man-
gel an unabhängigen Ansprechpartnern mit ihrer Einsatz-
kritik lieber gleich an die Bild-Zeitung gewandt haben .

Es fällt mir schwer, diese Leerstelle in der Sicher-
heitsarchitektur zu akzeptieren . Das sage ich auch und
gerade als ehemalige Polizistin . Ich weiß, dass fraktions-
übergreifend einige Kolleginnen und Kollegen ähnlich
denken und dass viele Polizistinnen und Polizisten, mit
denen ich in den letzten Jahren gesprochen habe, das ge-
nauso sehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sowohl die Linke als auch die SPD-Fraktion bewer-
ten eine solche Institution schon länger als grundsätzlich
positiv, auch wenn es im Detail sicherlich noch einige
Differenzen gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union, Sie haben sich zwar bisher eher skeptisch ge-
geben . Aber in Baden-Württemberg richten wir nun eine
solche Stelle gemeinsam ein . Von der Union in Nieder-
sachsen kam bereits eine ähnliche Forderung . Ich denke,
Sie unterstellen nicht, dass Ihre Kolleginnen und Kolle-
gen in den Landtagen kein Vertrauen zur Polizei haben .
Der Polizeibeauftragte jedenfalls schafft Vertrauen so-
wohl bei der Polizei als auch bei den Bürgerinnen und
Bürgern .

Heute ist die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs .
Wir wollen uns Zeit nehmen, diese Vorlage ordentlich zu
beraten . Wir wollen eine gute Expertenanhörung durch-
führen sowie alle Details und mögliche Differenzen ganz
genau besprechen . Ich wünsche mir, dass daraus am
Ende eine gemeinsame Initiative wird und dass wir einen
interfraktionellen Antrag oder Gesetzentwurf daraus ent-
wickeln, der hier im Haus eine breite Zustimmung findet.
Es wäre doch ein starkes Signal des Parlaments, wenn
wir noch vor Ende der 18 . Legislaturperiode – 60 Jahre
nach Einsetzen des Wehrbeauftragten – gemeinsam die
Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten auf den
Weg bringen . Ich freue mich auf einen konstruktiven Be-
ratungsprozess .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817703400

Armin Schuster ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1817703500

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf natürlich in-
tensiv gelesen . Ich habe ihn geradezu studiert . Für mich
als ehemaligen Polizisten ist das ein hochinteressantes
Thema . Es gibt allerdings nicht gerade wenige hand-

werkliche Mängel . Auf diese werden meine Kollegen
später wahrscheinlich noch gebührend eingehen . Ich
möchte eher ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu
dieser Idee machen . Der Umgang mit Beschwerden von
Bürgern oder internen Beschwerden ist ein sehr relevan-
tes Thema; das gestehe ich zu .

Ich möchte dazu folgende Punkte anmerken . Frau
Mihalic, Sie haben gesagt, dass wir eine Kontrolle des
Gewaltmonopols brauchen, und haben einen Vergleich
mit dem Wehrbeauftragten gezogen . Dieser hatte und hat
eine völlig andere Funktion . Die Stelle des Wehrbeauf-
tragten ist aus einer Innenperspektive heraus eingerichtet
worden, sozusagen als Anwalt der Soldatinnen und Sol-
daten, die verpflichtend Wehrdienst leisten mussten, ob
sie wollten oder nicht .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: So ist es! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So soll der Polizeibeauftragte auch verstanden werden!)


Das war nach innen gerichtet . Der Wehrbeauftragte
nimmt gar keine externen Beschwerden zur Kenntnis;
das ist nicht seine Aufgabe . Deshalb hinkt der von Ihnen
gezogene Vergleich völlig . Er ist fast irreführend . Das ist
Ihrerseits kein gutes Argument .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ein schlechtes Argument!)


Wenn wir untersuchen, ob wir eine solche Stelle ein-
richten sollen, müssen wir die Frage beantworten: Brau-
chen wir ihn wirklich, und welche anderen Beauftragten
gibt es schon? Ich habe mir die Mühe gemacht, das ein-
mal aufzulisten:

Erstens, die Personalvertretung . Sie ist sieben Tage die
Woche und 24 Stunden am Tag ansprechbar; so habe ich
es selbst erlebt . Frau Mihalic, aufgrund Ihrer Nähe zur
Bundespolizeigewerkschaft nach den letzten Wahlen ver-
stehe ich nicht, dass Sie so misstrauisch sind und offen-
bar glauben, dass diese ihren Auftrag nicht wahrnehmen
können . Die Vertretungen glauben jedenfalls, dass sie das
sehr gut können .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können das auch gut!)


Zweitens gibt es den Dienstweg mit dem Remonstrati-
onsrecht, drittens den Beschwerdeweg, der heute in al-
len Bundespolizeibehörden an einer eingerichteten Be-
schwerdestelle endet, viertens Petitionsausschüsse, die
es in Land und Bund gibt – ich vermute, dass Günter
Baumann noch etwas dazu sagen wird –, fünftens die
Innenrevision, über die heutzutage jede Behörde selbst-
verständlich verfügt, sechstens den Sozialmedizinischen
Dienst, siebtens die katholische und evangelische Seel-
sorge, die es in der Bundespolizei gibt, und zwar sogar
sehr breit angelegt, achtens die Gleichstellungsbeauf-
tragte, neuntens die Beauftragte für gleichgeschlecht-
liche Lebenspartner oder Lebensweisen . Zehntens . Die
Bundespolizei hat 2015 eine Vertrauensstelle eingerich-
tet exklusiv für die Bearbeitung interner und externer
Beschwerden .

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


Frage: Braucht es jetzt einen elften Beauftragten, oder
brauchen wir eher einen Lotsen, um bei den zehn Beauf-
tragten durchzublicken?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich mag mich gar nicht in die Rolle eines Präsidenten
versetzen, der das managt .

Insofern: Ein Blick in die Realität hilft immer . Es gibt
unter 200 Beschwerden pro Jahr bei der Bundespoli-
zei – diese Zahl entnehme ich bewusst Ihrem Gesetzent-
wurf; ich glaube, Sie schreiben dort von 182 Beschwer-
den – bei – jetzt nehme ich wieder eine für Sie günstige
Zahl – 2,5 Millionen Kontrollen, bei denen in jedem Fall
ein Bürger betroffen ist. Wenn Sie, wie es die Profis tun,
200 Beschwerden und 2,5 Millionen Kontrollen, also
Bürgerkontakte, ins Verhältnis setzen, dann kommen Sie
auf eine Zahl von 0,00014 Prozent Beschwerden . Jede
Organisation in Deutschland wäre begeistert, wenn sie
eine solche Beschwerdequote hätte .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist ein unglaublich guter Wert .

Die vor einem Jahr eingerichtete Vertrauensstelle bei
der Bundespolizei hat bis jetzt 40 Fälle – Sie haben mit
dem, was Sie in dieser Diskussion gesagt haben, nicht
unrecht – bekommen, 10 davon mit strafrechtlicher Re-
levanz, einige davon mit Disziplinar- und Folgemaßnah-
men . Auch das hat sich bereits bewährt .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erfährt niemand!)


Mein Fazit . Im Ziel sind wir uns einig: bürgernahe
Polizei, rechtskonforme hohe Qualität, vor allem bei
Eingriffen . Im Weg sind wir uns nicht einig, vielleicht
kann man auch sagen: noch nicht einig . Wir haben keinen
Beschwerdenotstand . Wir haben keine überbordenden
Missstände in den Behörden .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon spricht auch keiner!)


Wir haben eher das Gegenteil, und trotzdem wählen Sie
eher den Weg des Misstrauens . Ich zitiere einmal aus Ih-
rem Gesetzentwurf:

Gerade in angespannten Situationen kann es dazu
kommen, dass im Bürgerkontakt gesetzliche Gren-
zen überschritten, unverhältnismäßige Gewalt
ausgeübt, Menschenrechte verletzt oder einzelne
Bürgerinnen und Bürger – häufig im öffentlichen
Raum – diskriminiert oder unangemessen behandelt
werden .

Ich würde Ihnen gerade in dieser Zeit nicht empfeh-
len, so über Polizeibeamte in Deutschland zu reden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben gerade jetzt angesichts dieser geringen Be-
schwerdezahlen viel mehr Vertrauen und viel mehr Zu-
spruch verdient, gerade aus diesem Haus heraus . Deswe-
gen wähle ich eigentlich lieber den Weg des Vertrauens .

Jetzt muss ich fachlich werden – ich will gar nicht po-
litisch argumentieren –: Qualität – die zu wollen, darin

sind wir uns so etwas von einig; das können Sie sich gar
nicht vorstellen – erzeugt man immer von innen heraus .
Qualität kann man nie von außen „erprüfen“ . Deshalb las-
sen Sie uns die 2 Millionen Euro, die Ihr Vorhaben kos-
tet – diese Zahl wird in Ihrem Gesetzentwurf genannt –,
lieber dafür investieren, dass sich unsere Behörden aus
ihrer inneren Kraft heraus so aufstellen, dass Beschwer-
den von Bürgern und Beschwerden von Polizeibeamten
in den Arbeitsprozessen der Behörden systematisch und
professionell behandelt werden .

Ich sage Ihnen auch, wo ich eine Lücke sehe: Wir
haben noch keine Beschwerdestimulation – richtig . Der
Prozessschritt – wie stimuliert man eigentlich so, dass
sich Bürger beschweren? – fehlt . Aber ich möchte, dass
die Behörden selbst diesen Schritt einleiten . Ich möchte
nicht, dass er von Fremden vollzogen wird . Das würde
nicht mehr Qualität erzeugen . Folglich lehnen wir den
Gesetzentwurf ab, finden aber die Diskussion, die Sie da-
mit angestoßen haben – sie kann von mir aus gerne öfter
geführt werden –, richtig . Wir müssen in jedem Fall die
Kontrolle darüber behalten, wie es mit den Beschwerden
aussieht . Im Moment sieht es auf jeden Fall gut aus, weil
sie so gering sind .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817703600

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Frank

Tempel, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817703700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Grünen haben einen Vorschlag der Hu-
manistischen Union aufgegriffen, der die Einsetzung ei-
nes parlamentarischen Polizeibeauftragten als unabhän-
gige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und
für Polizistinnen und Polizisten gleichermaßen vorsieht .
Auch die Linke hat den Vorschlag der Humanistischen
Union aufgegriffen und die Arbeit an einem solchen Ge-
setzentwurf aufgenommen . Er ist übrigens im Wesentli-
chen fertig . Dazu komme ich gleich noch .

Die entscheidende Frage ist – Herr Schuster, Sie ha-
ben sie auch gestellt –: Brauchen wir so etwas? Braucht
der Bürger eine Beschwerdestelle, wo er doch zum Bei-
spiel die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde
oder auch einer Strafanzeige gegen Polizeibeamte bei
möglichem Fehlverhalten hat? Auch berechtigt ist die
Frage: Was bedeutet eine solche Stelle für Polizeibeam-
te? Bedeutet die Einrichtung einer solchen Stelle grund-
sätzliches Misstrauen, wie es die Polizeigewerkschaft
und auch Herr Schuster vermuten, oder nutzt diese Stelle
Polizeibeamten sogar?

Meine Damen und Herren, ich bin selbst Polizist, und
ich weiß, dass Polizeibeamte in unserem Land einen an-
strengenden und verantwortungsvollen Dienst verrichten .
Ihnen wird ein hoher Ausbildungsstandard vermittelt,
und ihnen wird im Rahmen ihrer Einsätze eine erhebliche
Belastung abverlangt . Im Verhältnis zum Bürger stehen

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


sie aber auch in einer ganz besonderen Verantwortung .
Ihnen wurde das innerstaatliche Gewaltmonopol über-
tragen, und dieser ganz besonderen Verantwortung muss
auch in einer ganz besonderen Art und Weise Rechnung
getragen werden,


(Beifall bei der LINKEN)


insbesondere wenn wir davon ausgehen, dass da, wo
Menschen ihren Dienst versehen, auch menschliches
Fehlverhalten auftreten wird – auftreten wird, Herr
Schuster; nicht: auftreten kann .

Es muss einfach im Interesse der Polizeibeamten
sein, das Vertrauen der Bürger in die Polizei zu stär-
ken . Deswegen muss der Bürger folgende Gewissheit
haben: Wenn er sich von der Polizei falsch oder unge-
recht behandelt fühlt, kann er im Zweifel auch auf eine
unabhängige Stelle zurückgreifen, die sich des Problems
annimmt . Er muss sich nicht bei der Polizei über die Po-
lizei beschweren . – Für viele Menschen, Herr Schuster,
ist es nun mal keine angenehme Vorstellung, sich bei der
Polizei über die Polizei zu beschweren . Das führt nicht
selten dazu, dass Beschwerden erst gar nicht erfolgen .
Missstände können dann auch nicht abgestellt werden .
Das ist der Blick in die Realität .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mir als ehemaligem Polizeibeamten wird niemand den
großen Respekt vor der Arbeit meiner Kollegen abspre-
chen können . Ein Generalverdacht gegen Polizeibeamte
liegt mir völlig fern . Aber die Bilder vom Vorgehen ge-
gen die Proteste bei Stuttgart 21, Berichte über die Miss-
handlung von Flüchtlingen durch Bundespolizisten in
Hannover und auch viele kleine Vorfälle zwischen Bür-
gern und Polizisten sagen mir sehr deutlich, dass es auch
keinen generellen Heiligenschein für Polizeibeamte gibt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mir schreibt zum Beispiel ein chronisch kranker
Mann, der die Erlaubnis hat, Cannabis medizinisch zu
verwenden, dass er von der Polizei monatlich mehrfach
kontrolliert wird, seit diese das weiß . Er fühlt sich von
der Polizei drangsaliert . Für eine Strafanzeige reicht es
nicht . Er schreibt mir und erhofft sich Hilfe . Besser wäre
es aber, es gäbe eine unabhängige Stelle, die diese Um-
stände klären und dann auch abstellen kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen verschließt man die Augen davor und sagt:
Es ist immer alles gut .

Ganz nebenbei: Als Reaktion auf die Misshandlung
von Flüchtlingen durch die Bundespolizisten in Hanno-
ver hat Bundespolizeipräsident Romann in seiner Behör-
de 2015 eine solche Vertrauensstelle eingerichtet . Das ist
wahrscheinlich sogar sehr ehrlich gemeint . Aber Bun-
despolizisten, die mir geschrieben haben, haben mich ge-
warnt, einer solchen Stelle, die direkt beim Präsidenten
angesiedelt ist, zuzustimmen; wenn Polizeibeamte den
Mut aufbringen sollen, interne Missstände aufzudecken,
sei dies nur über eine unabhängige Stelle denkbar . – Das,

Herr Schuster, haben mir, wie gesagt, Bundespolizisten
geschrieben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Sehr geehrte Damen und Herren, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit, das ist für uns alle im Bundestag
ein gemeinsamer Anspruch . Ich denke, mit einer klugen,
produktiven und vor allen Dingen offenen Debatte ist
das Ende eines jahrzehntelangen Diskussionsprozesses
durchaus möglich .

Aber nun zum Entwurf meiner Fraktion . Meine Frak-
tion hat trotz einiger Unterschiede darauf verzichtet,
ihren eigenen, sehr ähnlichen Entwurf hier dazuzule-
gen . Wir möchten zum Beispiel die Tätigkeit des Beauf-
tragten beim Zoll nur auf polizeilich agierende Zöllner,
die auch in Grundrechte eingreifen, beschränken . Nach
unserer Auffassung soll der Polizeibeauftragte auch bei
internationaler Zusammenarbeit der Polizei zum Tragen
kommen . Die Selbstbeschränkung bei Aussagen des Po-
lizeibeauftragten als Zeugen sehen wir ebenfalls kritisch .
Aber über all das können wir ergebnisoffen reden, ohne
dass wir gleich unseren Entwurf als Konkurrenz zum
Entwurf der Grünen dazulegen müssen . Wir können de-
mokratisch auch mal einen Prozess hier beginnen, der zu
einem Ergebnis führt


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und an dessen Ende steht, dass der Bundestag die Ein-
setzung eines parlamentarischen Polizeibeauftragten als
unabhängige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bür-
ger und für Polizisten und Polizistinnen gleichermaßen
beschließt .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817703800

Vielen Dank . – Jetzt spricht der Kollege Günter

Baumann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1817703900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Da wir heute über die Bundespolizei, über
Misstrauen und Beschwerden sprechen, möchte ich als
Erstes Danke sagen . Ich danke den Bundespolizisten in
unserem Land, die täglich eine riesengroße Aufgabe er-
füllen . Die Zahl der Einsätze nimmt zu, und die Einsät-
ze werden schwieriger und komplizierter; es geht dabei
nicht nur um Terrorismus, sondern auch um Fußballchao-
ten und Demonstrationen . Überall sind sie unterwegs, um
für unser aller Sicherheit zu sorgen . Dafür als Allererstes
einen ganz herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Frank Tempel GRÜNEN und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])





(A) (C)


(B) (D)


Meine Damen und Herren, für uns Politiker muss es
eigentlich oberste Aufgabe sein, sich die Frage zu stellen:
Was können wir tun, um die Bundespolizei in Deutsch-
land zu stärken? Dazu gehört als Erstes die personelle
und finanzielle Ausstattung; ich denke, da sind wir auf
einem ganz guten Weg . Aber genauso wichtig ist für
uns, dafür zu sorgen, dass in der Bundespolizei und im
Verhältnis zwischen Bevölkerung und Bundespolizei ein
gutes Klima herrscht, dass die Bundespolizei in Deutsch-
land also voll akzeptiert wird .

Es stellt sich natürlich auch die Frage: Was ist zu tun,
wenn es einzelne Probleme, Verfehlungen oder Schwie-
rigkeiten gibt? Armin Schuster hat einen Teil meiner
Rede vorweggenommen, weil er aufgezählt hat, welche
anderen Beauftragten es schon gibt . Er ist dabei bis zur
Zahl zehn gekommen . Als Punkt elf folgt das Wichtigste:
das Petitionswesen .

Wir haben erst gestern im Plenum unseren Tätig-
keitsbericht für das Jahr 2015 vorgestellt . Lieber Frank
Tempel, es gibt eine unabhängige Stelle, und zwar
den Petitionsausschuss . Im letzten Jahr wurden circa
13 000 Petitionen an den Deutschen Bundestag gerichtet .
Wir hatten eine Erfolgsquote von etwa 45 Prozent . In so
vielen Fällen konnten wir den Bürgern bei ihren konkre-
ten Anliegen helfen . Das ist eine riesige Erfolgsquote .

Das Petitionswesen ist ein Grundrecht . Nach Arti-
kel 17 des Grundgesetzes hat jedermann das Recht, sich
an die Volksvertretung zu wenden . Die Bürger machen
davon auch Gebrauch . Das heißt, sie kommen mit allen
möglichen Anliegen, die man sich vorstellen kann, zu uns
und sagen: Bitte helft uns; wir kommen hier nicht weiter .

Bei uns geht es um alle möglichen Themen: von
Hartz IV über die Verkehrsanbindung bis zur Rente .
Es gibt auch Petitionen von Bundespolizisten und über
Bundespolizisten . Dabei ist es nicht etwa so, dass sich
Bürger in der Mehrzahl der Eingaben beschweren, dass
Bundespolizisten bei Demonstrationen zu hart zugegrif-
fen hätten; nein, überhaupt nicht . In den Beschwerden
von Bundespolizisten geht es um Themen, die innerhalb
der Bundespolizei eine Rolle spielen . Zum Beispiel hat
ein Dienstherr eine Beförderung versagt, es gab eine
Beschwerde über die unzureichende Ausstattung mit
Schutzwesten, und ein genehmigter Sonderurlaub zu Bil-
dungszwecken wurde nicht gewährt . Die meisten Fälle
haben wir nach einer Stellungnahme des BMI positiv
bescheiden und dem betroffenen Polizisten ganz konkret
helfen können .

Wir haben aber auch Petitionen von Bürgern quer
durch das Land erhalten, die sich Sorgen um die Sicher-
heit machen; auch das ist hochinteressant . In ihren Peti-
tionen schreiben sie zum Beispiel: „Sorgt bitte für eine
bessere Ausstattung der Bundespolizei, sorgt für mehr
Bundespolizei auf Bahnhöfen, sorgt für mehr Bundespo-
lizei im Vorfeld von Fußballspielen“ usw . usf . Das heißt,
die Bürger – auch die Bundespolizisten sind ja Bürger –
nutzen die Möglichkeit, sich an uns zu wenden und uns
bei ihren Anliegen um Hilfe zu bitten . Insofern stellt sich

die Frage, Frau Mihalic: Brauchen wir die Stelle eines
unabhängigen Polizeibeauftragten?

Ich möchte Ihnen im Hinblick auf den Begriff „Leer-
stelle“ widersprechen . Wir haben keine Leerstelle . Wir
haben unheimlich viele Stellen und Möglichkeiten . Die
Frage ist: Gibt es weiteren Bedarf?

Die entscheidenden Fragen lauten für mich: Was kön-
nen wir tun, um das Ansehen der Bundespolizei und das
Verhältnis innerhalb der Bundespolizei, also das Klima,
zu verbessern? Wie können wir Einzelprobleme viel-
leicht noch besser lösen? Wir müssen in Ruhe darüber
debattieren, ob wir eine derartige Stelle brauchen . Dabei
müssen wir wissen: Sie kostet Geld . Das wird also nicht
ganz einfach; Kollege Schuster sprach bereits davon . Sie
haben bei den Kosten einen Betrag von 1,85 Millionen
Euro angesetzt . Wenn man sich an den Haushaltsausga-
ben für den Wehrbeauftragten orientiert, ist man schon
bei 4 Millionen Euro oder sogar etwas darüber . Insofern
müssen wir über dieses Thema nachdenken .

Wenn wir auf die Länder schauen, können wir über
zwei konkrete Fälle sprechen: Rheinland-Pfalz und Ba-
den-Württemberg . Andere Länder denken darüber nach,
eine solche Stelle einzurichten . Deshalb wollen wir uns
die Wirkungsweise dieser Polizeistellen in den Ländern
in Ruhe anschauen: Was kommt dabei heraus? Bringt das
eine Verbesserung, oder ist das einfach nur eine zusätzli-
che Stelle, die nicht genutzt wird? Nach einiger Zeit wür-
de ich mir gerne auch einmal die Vertrauensstelle beim

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1817704000
Was geht dort ein?
Welchen Erfolg bringt diese Stelle? Diese Varianten soll-
ten wir näher betrachten .

Den heute vorliegenden Gesetzentwurf, den Sie, Frau
Mihalic, eingebracht haben, kann man aufgrund des
Wortlauts und Ihrer Ausführungen dazu nur ablehnen .
Wir sind aber bereit, über die Idee miteinander zu disku-
tieren . Wir müssen das gesamte Thema sehen: Was kön-
nen wir für unsere Polizei leisten? Zu allen Gesprächen
darüber sind wir gern bereit .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nett!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817704100

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das

Wort der Kollege Wolfgang Gunkel .


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1817704200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist na-

türlich recht schwer, hier als Polizist zu sprechen, wenn
sich zuvor bereits drei Polizisten geäußert haben . Ich
kann nahtlos an das anschließen, was ich in der Debatte
über einen Vorschlag der Linksfraktion, den sie vor ei-
nem Jahr eingebracht hat, gesagt habe . Damals kam ich
zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag sehr diskussions-
würdig ist, dass man darüber parteiübergreifend reden
sollte . Das ist auch heute noch meine Meinung .

Günter Baumann






(A) (C)



(B) (D)


Wie ist das Ganze entstanden? Wir alle wissen, dass
der NSU-Untersuchungsausschuss zu dem katastropha-
len Ergebnis kam, dass bei der polizeilichen Arbeit er-
hebliche Fehler gemacht worden sind . Aus diesem Grund
hat meine Fraktion ein Sondervotum abgegeben und ge-
nau das gefordert, worüber wir heute diskutieren, eine
unabhängige Beschwerdestelle, die als Ombudsstelle
für die Bürger fungieren soll, aber auch als interne Be-
schwerdestelle zur Aufarbeitung polizeilicher Beschwer-
den . Dies entspricht im Wesentlichen dem, was hier vor-
gelegt worden ist .

Einige Punkte, die angeführt werden, sind wirklich
diskussionswürdig . Zu dieser Diskussion kann ich et-
was beitragen . Zunächst einmal will ich aber sagen, dass
die Anregung, die von den Vorlagen ausgeht, unbedingt
notwendig ist . Kollege Baumann, in Rheinland-Pfalz
gibt es seit 2014 eine entsprechende Stelle . Die Zahl der
dort auflaufenden Fälle beträgt etwa 2 000. Davon hat
der Beauftragte 300 zurückgewiesen . Es gibt also auch
die Möglichkeit, Fälle zurückzuweisen, die nicht in die
Kompetenz des Beauftragten fallen . Das gilt beispiels-
weise für Fälle, um die sich ein Petitionsausschuss küm-
mern kann . Diese Fälle muss der Polizeibeauftragte bzw .
der Bürgerbeauftragte nicht abarbeiten, sondern in diesen
Fällen kann er den Bürger beispielsweise an die Petiti-
onsausschüsse verweisen .

Darum geht es in diesem Zusammenhang aber nicht .
Hier geht es um ein Hilfsorgan, ein Hilfsinstrument des
Bundestages, um einen Beauftragten, der mehr Befug-
nisse haben soll als ein normaler Beschwerdebearbeiter,
der in einer Polizeidienststelle tätig ist . Dahinter steht ein
ganz spezieller Auftrag, nämlich auch bei schwerwiegen-
den Vorkommnissen Ermittlungsarbeit zu übernehmen,
Akteneinsicht zu nehmen und Ähnliches mehr . Seine Be-
fugnisse würden also ein bisschen weiter reichen .

Von dieser Warte aus betrachtet, muss man sagen, dass
es notwendig ist, diese Stelle einzurichten . Eine unab-
hängige Stelle wird gebraucht, weil bestimmte Beziehun-
gen unter den Kollegen beispielsweise bei Großeinsätzen
dazu führen, dass recht unterschiedliche Meinungen über
die Rechtmäßigkeit einer Handlung zustande kommen .

Was will ich damit sagen? Ich möchte ein kleines
Beispiel geben . Vor einigen Jahren ist Folgendes pas-
siert – ich glaube, es ist denkbar, dass es so etwas auch
heute noch gibt –: Es geht um einen Einsatz, bei dem ein
Haus geräumt werden soll, die Hochschule der Künste .
Die Polizei muss nach langen Auseinandersetzungen, die
recht heftig verlaufen, über das Dach einsteigen und die-
ses Haus räumen . Sechs Etagen sind geräumt – ich fasse
mich kurz –, und in dem Rondell vor dem Haus bildet
sich eine Gruppe . Ein Mensch tritt auf einen Beamten zu
und sagt, dass er die Rechtmäßigkeit überprüfen wolle,
und fragt, welche Rechtsgrundlage die Polizei für ihren
Einsatz habe . Der Polizeibeamte holt aus, schlägt ihm
mit der Hand ins Gesicht und sagt: Das ist die Antwort . –
Durch das Tohuwabohu, das entsteht, und den neuen
Auftrag an die Gruppe verläuft sich das Ganze, und die
Sache ist zunächst einmal erledigt .

Was passierte danach? Es wurde selbstverständlich
Anzeige erstattet . Am nächsten Tag erfuhren wir von

dem Beamten, dass darüber sicherlich nachgedacht wur-
de . Dann tauchte eine Liste mit acht oder neun Leuten
auf, die in der Gruppe dort tätig gewesen sein sollen, und
sie sollten unterschreiben, dass sie eine Straftat nicht ha-
ben feststellen können . Ein Beamter, der dort betroffen
war, sagte, dass er das nicht unterschreibt . Der Vorgesetz-
te sagte zu ihm: Dann warten wir einmal, bis der Chef
kommt, und dann wirst du ja schon sehen .

Der Chef war nicht da und erschien erst drei Tage
später . Der Beamte ging dorthin, und der erfahrene Chef
sagte ihm gleich: Überlegen Sie sich ganz genau, was Sie
hier sagen . Sie wissen, dass Ihnen ein Verfahren wegen
Strafvereitelung im Amt droht, wenn Sie etwas gesehen
und es nicht zur Anzeige gebracht haben .

Das ist eine sehr schwierige Situation, und das wollte
ich einmal so drastisch deutlich machen .

Was machte er nun? Er überlegte: Entweder gebe ich
zu, dass ich da etwas gesehen habe, aber dann bekom-
me ich eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt,
oder ich sage, dass ich nichts gesehen habe, wodurch
ich eventuell heil aus der Situation herauskomme . Er
entschied sich für Letzteres und wurde gefragt: Warum
konnten Sie es dann nicht unterschreiben? Die Antwort
war: Wenn ich nichts gesehen habe, kann ich auch nichts
unterschreiben .

So ist das gewesen . Man kann also sagen: Glück ge-
habt, dass der Vorgesetzte das auch so akzeptiert hat .

Wie ist das Verfahren weitergegangen? Es interessiert
ja auch noch der Abschluss . – Der Betroffene ist identi-
fiziert worden, weil jemand eine Kamera hat mitlaufen
lassen, und da es ein sehr warmer Tag war, war sein Vi-
sier hochgeklappt, sodass er eindeutig zu identifizieren
war . Er ist dann seiner entsprechenden Strafverfolgung
zugeführt worden .

Warum erwähne ich das? Ich will damit deutlich ma-
chen, wie schwierig es für die Kollegen in solchen Fällen
mitunter ist, all das „durchzuziehen“, was normalerweise
erforderlich ist .

Deshalb finde ich es besonders gut, dass in dem Ge-
setzentwurf der Grünen steht, dass die Frist, die für je-
den gelten soll, der mit einer solchen Sache konfrontiert
worden ist, drei Wochen betragen soll . Man kann darüber
reden, ob es zwei oder drei Wochen sind, aber das spielt
keine Rolle . Wichtig ist, dass die Beamten eine Karenz-
zeit haben, während der es ihnen möglich ist, sich auch
nachträglich entsprechend zu äußern, ohne sich der Ge-
fahr einer Strafverfolgung auszusetzen . Das ist ein ganz
wichtiger Punkt .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte auch noch auf Folgendes hinweisen: Es
gibt interne und externe Beschwerdestellen; Rhein-
land-Pfalz hatte ich in diesem Zusammenhang schon
erwähnt . Die Berliner Beschwerdestelle erhält zum Bei-
spiel über 2 000 Beschwerden pro Jahr . Das ist schon
eine große Zahl an Beschwerden, die zu bearbeiten sind .
Die Zahl der Beschwerden, die die Beschwerdestelle

Wolfgang Gunkel






(A) (C)



(B) (D)


der Bundespolizei erhält – und um sie geht es hier ja;
da haben Sie völlig recht –, liegt weitaus darunter . Ein
Grund dafür ist zum Beispiel, dass Unterstützungskräfte
natürlich immer erst in zweiter Linie ins Blickfeld gera-
ten . So war es auch in Köln und Stuttgart . Somit sind die
Fallzahlen dort recht gering . Das kann sich aber jederzeit
ändern .

Der Bundespolizeipräsident hat also dankenswerter-
weise eine interne Beschwerdestelle eingerichtet . Das
ist löblich und auch zu begrüßen . Sie erfüllt aber nicht
die Aufgabe, die hier vorgesehen ist und die ich auch für
dringend notwendig halte .

Ich möchte jetzt noch ein paar Worte zu einer anderen
enthaltenen Bestimmung sagen:

Ich habe ein Problem mit § 13 Absatz 2 des Gesetzent-
wurfs, in dem die parallele Ermittlungszuständigkeit für
Strafverfahren, Disziplinarverfahren und die Verfahren,
die der Bundespolizeibeauftragte führen soll, vorgesehen
ist . Man müsste noch einmal darüber sprechen, wie das
ausgestaltet werden soll . Das müsste für meine Begrif-
fe klarer geregelt werden . Insofern kann ich nur sagen:
Es wäre schön, wenn wir eine intensive Debatte darüber
führen könnten .

Ich bin ganz und gar der Meinung, dass man noch ein-
mal alle Beteiligten anhören sollte – die Bundespolizei,
die Gewerkschaften, den Landesbeauftragten in Rhein-
land-Pfalz und ähnliche Personen, die zur Sache etwas
sagen können –, um noch einmal über diesen ganzen Vor-
gang zu reden . Ich glaube, dann könnte man von einem
vernünftigen Ergebnis ausgehen .

Heute haben wir die erste Lesung . Es ist üblich, dass
danach das Ganze an die Ausschüsse überwiesen wird .
Das wird auch jetzt der Fall sein . Die SPD jedenfalls be-
grüßt diesen Vorschlag . Ich hoffe, wir werden uns dann
in den folgenden Wochen damit tiefer auseinandersetzen
können .

Ich möchte zum Schluss noch sagen, damit keiner
glaubt, ich erhöbe hier einen Generalverdacht gegen
Handlungen der Bundespolizei, dass ich meine Kolle-
gen sehr schätze und sehr wohl weiß, wie auch Kollege
Baumann schon gesagt hat, was von der Polizei, gerade
auch von der Bundespolizei, geleistet wird . Ich erinnere
an Millionen von Überstunden durch die Entwicklung
der letzten Monate . Auch das muss entsprechend ho-
noriert werden .

Mir liegt es fern, darüber zu philosophieren, ob die
Polizei rechtsstaatlich handelt oder nicht . Sie ist ein
Rechtsstaatselement . Wenn man die Zahlen betrachtet,
die immer wieder erhoben werden, um das Vertrauen in
Berufsgruppen anzugeben, dann muss man feststellen,
dass Feuerwehrleute, Ärzte und Polizisten bei der Bevöl-
kerung zu 80 Prozent Vertrauen genießen – das ist schon
einmal ein ganz erheblicher Wert und das schon seit
Jahren –, während es andere Gruppen wie Politiker und
Gewerkschafter gibt, die bei 30 Prozent herumdümpeln .
Das nur zum Vergleich . Man kann daran sehen: Die Po-
lizei hat ihren Stellenwert, und der Bürger hat keinerlei
Zweifel an ihrer Arbeit .

Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist insgesamt
diskussionswürdig . Nach der Überweisung an die Aus-
schüsse wird man sehen, ob etwas daraus zu machen ist .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817704300

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt hat jetzt der Kollege Dr . Volker Ullrich,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal sehen, was der Herr Ullrich jetzt dazu sagt!)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1817704400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir diskutieren heute den Gesetzentwurf der
Grünen zur Einrichtung eines Bundespolizeibeauf-
tragten . Ja, wir sind in diesem Land nicht arm an Be-
auftragten . Wir haben den Bundesbeauftragten für den
Datenschutz, wir haben gestern den Beauftragten für die
Stasi-Unterlagen wiedergewählt, und es gibt auch seit
vielen Jahrzehnten den Wehrbeauftragten .

Gerade der Vergleich des Wehrbeauftragten mit dem
von Ihnen geforderten Bundespolizeibeauftragten zeigt,
dass hier zwei Positionen verglichen werden, die nicht
vergleichbar sind . Der Wehrbeauftragte ist für Eingaben
von Soldaten zuständig, die einem besonderen Grund-
rechtsverhältnis unterliegen, und der Wehrbeauftragte
soll die Grundsätze der Inneren Führung innerhalb der
Bundeswehr überprüfen .

Sie schlagen einen Bundespolizeibeauftragten vor, der
Fehlverhalten von Polizeibeamten gegenüber den Bür-
gern im Rahmen des Einsatzes überprüfen soll .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur!)


Da muss ich Ihnen sagen: Es gibt in diesem Land bereits
genügend rechtliche und rechtsstaatlich abgesicherte
Verfahren, um Fehlverhalten zu überprüfen . Ja, es gibt
Fehlverhalten von Polizeibeamten . Das wollen wir nicht
wegdiskutieren . Gerade wenn der Staat das Gewaltmo-
nopol hat, wirkt das Fehlverhalten von Polizisten beson-
ders schwer .

Aber der Rechtsstaat hat dagegen sehr taugliche In-
strumente entwickelt . Es gibt innerhalb des Beamten-
rechts das Instrumentarium des Disziplinarverfahrens .
Bei Gewaltdelikten und anderen Straftaten gilt das Lega-
litätsprinzip . Der Staatsanwalt muss von sich aus ermit-
teln; er hat gar kein Ermessen . Darüber hinaus gibt es für
Bürger auch die Möglichkeit, polizeiliches Handeln vor
den Verwaltungsgerichten zu überprüfen .

Wir meinen, dieses Instrumentarium ist rechtsstaatlich
ausgewogen, und wir sollten es nicht durch die Möglich-

Wolfgang Gunkel






(A) (C)



(B) (D)


keit aufweichen, ein rechtsstaatlich fragwürdiges Verfah-
ren einzuführen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Sie sprechen in Ihrem
Gesetzentwurf – ich zitiere – von „exzessiver Polizei-
gewalt“, von „strukturellen Problemen“ und von „kaum
vorhandener Fehlerkultur“ . Da muss ich Ihnen ehrlich
sagen: Das sind nicht unsere Worte . Wir setzen dem
Misstrauen, das Sie in die Polizei haben, das Vertrauen
in die Polizei entgegen . Das Vertrauen in die Polizei ist
wichtig, damit dieser Rechtsstaat die ihm übertragenen
Aufgaben gewissenhaft erfüllen kann .

Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie uns
auch über Dinge sprechen, die ebenso wichtig sind und
die man im Rahmen dieser Debatte ansprechen muss . Das
ist nicht nur das Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter,
sondern das ist auch die besondere Situation, der sich Po-
lizeibeamte ausgesetzt sehen . Ich möchte sprechen über
die unerträgliche Zunahme der Gewalt gegen Polizeibe-
amte und gegen Einsatzkräfte . Allein im Jahr 2014 sind
über 60 000 Polizeibeamte angegriffen worden . Die Zahl
hat sich gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent erhöht .
Es gab über 22 000 Widerstände gegen Polizeibeamte .
Ich sage Ihnen ehrlich: Wer jeden Tag auf unseren Stra-
ßen und Plätzen seinen Kopf dafür hinhält, dass unser
Land sicher ist, der hat unsere Solidarität verdient .


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Was hat das jetzt mit dem Antrag zu tun?)


Diese Bundesregierung hat gehandelt . Sie hat ein Pro-
gramm aufgelegt, um die Ausrüstung von Polizeibeam-
ten zu verbessern . Wir werden in den nächsten Jahren
3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei schaffen, damit
unsere Bahnhöfe, Flughäfen und Plätze noch sicherer
werden . Deswegen von unserer Seite heute ein Dank an
unsere Polizeibeamten für ihren Einsatz und dafür, dass
sie unser Land sicher machen . Daran, dass die Bürger
Vertrauen in diesen Rechtsstaat und diese Polizei haben,
werden wir uns messen lassen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817704500

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla-
gen auf den Drucksachen 18/7616, 18/7617 und 18/7618
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,
das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Petra
Sitte, Jan Korte, Matthias W . Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Transparenz herstellen – Einführung eines
verpflichtenden Lobbyistenregisters

– zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Volker Beck (Köln), Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz schaffen – Verbindliches Re-
gister für Lobbyistinnen und Lobbyisten
einführen

Drucksachen 18/3842, 18/3920, 18/8742

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD] und Dagmar Ziegler [SPD])



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1817704600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Lassen Sie mich drei Punkte voranstellen .

Erster Punkt . Seit 1972 gibt es öffentliche Anhörungen
im Deutschen Bundestag, und seitdem wird im Bundes-
tag eine öffentliche Verbändeliste geführt . Dort sind über
2 200 Interessenvertretungen registriert, immer aktua-
lisiert, transparent sortiert nach Lobbybereichen . Diese
Liste ist auch die Grundlage für öffentliche Anhörungen .

Der zweite Punkt, den ich voranstellen will, ist folgen-
der: Transparency International hat bereits im Integritäts-
bericht 2012 festgestellt – ich zitiere –: „Die Transparenz
des Bundestags kann als sehr hoch eingestuft werden .“

Damit komme ich zum dritten Punkt, der im gleichen
Zusammenhang steht . Wir haben ja am 11 . Mai eine An-
hörung zu diesem Thema durchgeführt . Das Ergebnis
dieser öffentlichen Anhörung war, dass es im Bundestag
kein Transparenzdefizit gibt. Das haben sogar die Ex-
perten, die Sachverständigen bestätigt, die von der Op-
position selbst eingeladen wurden . Ich muss feststellen,
dass die Anhörung zu diesem Antrag für Sie letztendlich
verheerend war .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Da waren Sie auf einer anderen Anhörung!)


Ich konnte den Unmut der Experten verstehen, die be-
reits öfter zu diesem Thema zu einer Anhörung eingela-
den waren und die die Frage gestellt haben: Warum wird
in jeder Legislaturperiode über fast identische Anträge
diskutiert, ohne dass bei der x-ten Auflage nicht einmal
längst bekannte Kritik auch in juristischer Weise aufgear-
beitet wird? – Es sind immer die gleichen Anträge . Jetzt
debattieren wir wieder – das sage ich bewusst – diese
modrigen Anträge, die niemals aktualisiert worden sind,

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


weil das zur Inszenierung einer Veranstaltung der Frakti-
on Die Linke gehört .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Unmöglich!)


Lassen Sie mich sagen: Sie bedienen sich einer Mischung
gängiger Schlagworte .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Gängige Vorurteile!)


Sie malen das Bild eines undurchsichtigen Parlamentes
mit von Lobbyisten gesteuerten Abgeordneten . Das ist –
das wissen Sie alle – vollkommener Unsinn .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Desinformation ist das!)


Das Fatale dabei ist auch, dass Sie ganz genau wissen,
dass das Bild mit der Parlamentswirklichkeit hier im
Deutschen Bundestag mit seinen frei gewählten Abge-
ordneten nichts zu tun hat . Das ist ein Zerrbild, das Sie
zeichnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Letztendlich ist es so, dass Sie nur für den Applaus
einschlägiger Internetplattformen verschiedener linker
Netzwerke solche Anträge stellen . Denn dort wird dieses
Bild auch ständig gemalt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ja, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
brauchen bei jedem politischen Projekt den öffentlichen
Diskurs, die öffentlich zugänglichen Beratungsergebnis-
se, Drucksachen, Anhörungen, den Diskurs in den Medi-
en. Es geht darum: Wie findet hier Interessensabwägung
statt? Das kann man dann auch kritisch beleuchten . Aber
wir werden nie zulassen, dass der frei gewählte Abgeord-
nete, dem der Bürger sein Vertrauen geschenkt hat, öf-
fentlich Rechenschaft darüber ablegen muss, mit wem er
wann und wie über was gesprochen hat . Das widerspricht
unserem Grundgesetz total und unserem Selbstverständ-
nis als Abgeordnete .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Lassen Sie mich an diesem Punkt darauf eingehen,
was uns in unseren Auffassungen unterscheidet . Hier
komme ich zu der Frage: Welches Selbstverständnis ha-
ben wir vom Abgeordneten, von der parlamentarischen
Arbeit? Die Garantie des freien Mandates ist Kernbe-
standteil unseres Grundgesetzes . Ich bin fest davon über-
zeugt: Es gibt kein freies Mandat ohne Vertrauen in die
Mandatsträger . Das muss Grundlage sein . Welches Bild
wird hier gezeichnet? Welches Bild vermitteln wir den
Menschen, wenn wir beständig selbst öffentlich sugge-
rieren, ohne ein Lobbyregister gäbe es im Parlament An-
deutungen von Korruption, Klüngelwirtschaft usw .? Sie
bedienen damit Klischees . Aber Sie schüren auch Vorur-
teile und stellen die Unabhängigkeit der Kolleginnen und
Kollegen infrage . Das geht nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Meine Damen und Herren, ich finde es schlimm,
dass wir immer intensiver darüber reden, wie die Ab-
geordneten noch lückenloser in ihrer Arbeit beobachtet,
reglementiert werden können . Der Begriff „Abgeord-
netenwatch“, übersetzt: Abgeordnetenbeobachtung, das
führt das freie Mandat in das Absurde . Es geht nicht um
Beobachtung und Reglementierung von Abgeordneten .
Vielmehr sollten wir auf den Kern unserer Tätigkeit hin-
weisen: Es geht um die Kontrolle der Regierung durch
das Parlament . Hier sind die Begriffe „Kontrolle“ und
„Beobachtung“ angebracht . Aber die anderen Dinge füh-
ren zu einer Schwächung der Legislative im Verhältnis
zur Exekutive .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind
gewählt, um für die Bürgerinnen und Bürger die Abwä-
gung verschiedenster Interessen vorzunehmen, Interes-
sen, die auf die unterschiedlichste Art und Weise an uns
herangetragen werden: Bei mir und den meisten Kolle-
gen fängt das im Regelfall im Wahlkreis an . Dort vor
Ort sind Gespräche: mit der Kreishandwerkerschaft, mit
einem Unternehmen, mit Gewerkschaftsvertretern . Die
nächste Ebene ist das Bundesland . Da bittet zum Bei-
spiel der Landesverband der Steuerberater um ein Ge-
spräch mit den Abgeordneten aus Rheinland-Pfalz oder
Nordrhein-Westfalen . Hier in Berlin ist es unsere tägliche
Arbeit . Bei Telefonaten, Mails und Gesprächen geht es
immer um Politik, das heißt um die Wahrnehmung und
um die Abwägung von Interessen . Da frage ich einfach:
Trauen Sie dabei wirklich den Kollegen und Kolleginnen
nicht zu, dass sie jeweils wissen, wer ihr Gesprächspart-
ner ist? Bei der Anhörung ist zudem deutlich geworden,
dass schon allein die Abgrenzung, wer denn in diesem
Register überhaupt erfasst würde – wenn man es tatsäch-
lich schaffen würde –, ein Riesenproblem wäre .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
letzten Jahren unser Mandat schon sehr weit reguliert,
man kann auch sagen: eng reguliert . Ich gebe mal Stich-
worte: Verhaltensregeln, Nebentätigkeiten, Strafbarkeit
der Abgeordnetenbestechung . Für all die Einzelmaß-
nahmen, die wir beschlossen haben, gab es jeweils gute
Gründe, oder es gab Einzelfälle, die uns dazu veranlasst
haben . Aber lassen Sie mich auch fragen – das gebe ich
ganz persönlich zu bedenken –: Wie ist die Wirkung in
der Summe?

In gut einem Jahr wird wieder ein Deutscher Bundes-
tag gewählt . Da steht in verschiedenen Wahlkreisen wie-
der die Frage an: Wer ist künftig bereit, seine persönliche
Lebens- und Berufsbiografie für vier, acht oder zwölf
Jahre zu unterbrechen, um dem eigenen Land, der eige-
nen Heimat zu dienen und sich zu engagieren? Auf wel-
che Arbeitsbedingungen trifft er denn hier im Deutschen
Bundestag?


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie können einem ja richtig leidtun!)


Es geht um die Frage, welche Vorstellung man von ei-
nem Parlament hat: Wen möchte man hier sitzen haben?
Ich könnte jetzt viel dazu sagen, wie unterschiedlich die
Berufsstrukturen in den verschiedenen Fraktionen sind .

Bernhard Kaster






(A) (C)



(B) (D)


Wir stellen uns schon die Frage: Welche Arbeitsbe-
dingungen finden wir vor? Wieweit ist Vertrauen da?
Wieweit sind Reglementierungen notwendig? Das hat
etwas mit dem Selbstverständnis des Abgeordnetenman-
dates zu tun . Da kann durchaus die Frage gestellt werden,
was zum Beispiel einen Selbstständigen motiviert – oder
andere Menschen, die fest im Berufsleben stehen –, das
Wagnis einer Wahl und des freien Mandates auf sich
zu nehmen, wenn er beispielsweise weiß, dass er in der
Konsequenz Ihres Antrages künftig ständig Gesprächs-
notizen festzuhalten hat – mit wem er wo über was ge-
sprochen hat .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Das steht doch gar nicht im Antrag!)


– Das steht nicht im Antrag . Es ist aber die Konsequenz
daraus . Darüber wurde auch so in der Anhörung gespro-
chen . Es gibt ja bei Ihnen Kolleginnen und Kollegen,
die das so praktizieren, was nicht zu kritisieren ist . Aber
Sie möchten das als Zielrichtung für das Parlament vor-
geben . – Ein weiteres Beispiel: Ein Abgeordneter muss
damit rechnen, dass er aufgrund des Bruttoumsatzes auf
seinem Bauernhof als Topverdiener angeprangert wird .
All das sind Regelungen, die wir schon haben und die
alle ihren Sinn machen; aber ihre Wirkung ist manchmal
fraglich .

Lassen Sie mich abschließend sagen: In den letzten
Wahlperioden hat jeder Bundestag das Mandat ein Stück
weiter reglementiert . Lassen Sie mich die Sorge äußern:
Zumindest mir macht das im Hinblick auf die Entwick-
lung des Parlamentes durchaus Sorgen . Wir sollten das
bitte in Gänze im Auge behalten . Auch Ihr Antrag, Ihre
Initiative würden weiter in eine solche Richtung führen .
Haben wir Vertrauen ins freie Mandat!


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber kein blindes!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817704700

Vielen Dank . – Dr . Petra Sitte ist jetzt die nächste Red-

nerin für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817704800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mensch,

Herr Kaster, ich wusste gar nicht, dass es ein Opfer ist,
im Bundestag zu sitzen .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt! Das war eine sehr gute Rede von ihm!)


Noch eine kleine Vorbemerkung möchte ich gerne
machen: Die Opposition, sowohl die Grünen als auch
wir Linken, hat Konzepte für eine umfassende Transpa-
renzoffensive vorgelegt . Diese gehen selbstverständlich
über das Lobbyistenregister, das wir jetzt diskutieren, hi-

naus. Wir wollen schon, dass der Einfluss von Interessen-
gruppen im politischen Prozess insgesamt sichtbarer und
nachvollziehbar wird, und, Herr Kaster, wir reden nicht
nur über den Bundestag .

Transparenz ist natürlich kein Selbstzweck . Da muss
ich dem Sachverständigen, den Sie von der CDU/CSU
bestellt hatten, Professor Schliesky, widersprechen . Er
kam in der Anhörung – für die Zuhörer ist das vielleicht
interessant – doch allen Ernstes auf die Idee, der Oppo-
sition vorzuhalten, totale Transparenz schade der Demo-
kratie . Ich zitiere wörtlich:

Totalitäre Forderungen verheißen … in der Regel
wenig Gutes und sind selten demokratisch – so
verhält es sich auch mit der Forderung nach totaler
Transparenz .

Noch einmal zur Klarstellung: Es ging in den Anträgen
überhaupt nicht um Totalität .


(Beifall der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE] – Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Auf dem Auge sind Sie blind! Das ist bekannt!)


Die Vorschläge geben überhaupt nicht her, was dort un-
terstellt wurde . Aber worum es sehr wohl ging, war: De-
mokratie für alle .


(Beifall bei der LINKEN)


Jeder bzw . jede soll wissen können, wie Entscheidun-
gen, die unter anderem auch sie betreffen, zustande ge-
kommen sind . Abgeordnete wurden gewählt, das stimmt;
Interessenvertreter dagegen nicht . Oft genug hinterlassen
Lobbyisten ihren Fußabdruck nämlich gar nicht nur im
Bundestag, sondern vor allem auf der Ebene der Minis-
terien. Sie arbeiten mit an der Problemdefinition, sie ar-
beiten mit an Gesetzentwürfen und bei der Ausrichtung
von Förderprogrammen, und das alles lange vor den Ab-
geordneten . Das ist von uns auch gemeint und mit einbe-
zogen . Deshalb habe ich gesagt: Wir reden hier nicht nur
über den Bundestag .

Kommen Vorlagen ins Parlament, dann waschen die
Lobbyisten noch einmal nach . Sie haben es doch selber
erlebt: Sie haben gewissermaßen eine zweite Chance, die
Interessen ihrer Auftraggeber einzuspülen . Und natürlich
bleibt das nicht ohne Rückwirkung auf die Unterstützung
von Parteien bzw . nicht ohne Wirkung auf Wahlkämpfe .

Ich darf Sie daran erinnern: Es gab hier schon mas-
siven Druck, beispielsweise von der Springer-Verlags-
gruppe, als es um das Leistungsschutzrecht ging . Da hat
man sich ein Geschäftsmodell vom Bundestag gesetzlich
schaffen lassen . Damit wurde dann eben auch gleich
mal die innovative mittelständische Konkurrenz, näm-
lich kleine und mittelständische Unternehmen, in dieser
Branche zur Seite gedrängt . Das Gleiche droht jetzt bei
der Netzneutralität .

Machen wir uns doch nichts vor: Natürlich weiß ich,
dass jeder von uns ein mündiger Bürger ist und dass man
gelegentlich sehr fest im Glauben sein muss . Aber Big
Player haben doch eine ganz andere Möglichkeit, in die-
sen Bundestag – in Anführungsstrichen – „hineinzure-
gieren“ . Sie wissen genauso gut wie ich, dass sie in der

Bernhard Kaster






(A) (C)



(B) (D)


Politik bestens vernetzt sind . Selbstverständlich können
Medienkonzerne wie Springer für oder gegen Parteien
Wahlkämpfe machen .

Andere Beispiele waren und sind der Einfluss der Au-
tomobilindustrie auf die Bundesregierung bei der Fest-
legung von Schadstoffgrenzwerten oder der Einfluss der
Energieriesen auf die Regularien des Atomausstiegs .
Umweltverbände hatten nicht annähernd die gleichen
Möglichkeiten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Dieser Chancenungleichheit zwischen den Interessen-
gruppen sollen unsere Vorschläge ebenfalls entgegenwir-
ken .

Sie merken: Wir sind gar keine „Lobbyistenfresser“,
wie uns unterstellt wird . Wir halten es für völlig normal,
dass in einer modernen Demokratie vielfältig Interes-
sen vertreten werden: von Wirtschaftsunternehmen, von
Verbänden, von Nichtregierungsorganisationen, von Ge-
werkschaften, von Forschungseinrichtungen, von Bür-
gerinitiativen oder eben auch von Bundesländern; das ist
doch völlig klar .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der Bundesrat arbeitet mit! Der ist Verfassungsorgan! Lesen Sie das Grundgesetz!)


Politik muss sich aber am Gemeinwohl orientieren, und
in diesem Sinne ist es notwendig und sinnvoll, wenn wir
in der Gesetzgebung oder in der Antragsberatung die ver-
schiedenen Perspektiven aufnehmen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Entscheidungen sind seit 1972 ein wenig komplexer
geworden, Herr Kaster . Der Beratungsbedarf ist gewach-
sen . Schließlich entstehen die meisten Gesetze nicht hier
im Haus, sondern zu 75 Prozent bei der Bundesregierung .
Wir als Abgeordnete müssen uns oftmals, so wie Sie es
beschrieben haben, selbstständig mit einer Materie be-
schäftigen . Dazu gehören nicht nur öffentliche Anhörun-
gen, dazu gehören eben auch vielfältige Einzelgespräche .
Das ist völlig legitim . Wir verurteilen das auch gar nicht .
Wir wollen nur, dass solche Vorgänge nachvollziehbar
und transparent sind . Deshalb haben wir mit unserer Of-
fensive auch in der Verwaltung angesetzt .

Nach einer Studie von Transparency International ist
Deutschland in Sachen Korruption auf Platz 16 gelan-
det – es wurden 19 Länder und 3 Einrichtungen der EU
untersucht . Auf EU-Ebene haben alle Einrichtungen ein
Lobbyistenregister . Mit den von uns vorgeschlagenen
Maßnahmen können wir nicht nur unsere Platzierung
aufhübschen, sondern wir können vor allem ein gutes
demokratisches Werk tun . Herr Kaster, solange Sie Ihre
modrige Meinung nicht verändern, werden wir solche
Anträge stellen .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Unglaublich! Was soll denn das?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817704900

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die

Kollegin Sonja Steffen .


(Beifall bei der SPD)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1817705000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf den Tribünen!

Mal eben was im Bundestag regeln? Kurz beim zu-
ständigen Ausschussvorsitzenden anklopfen und ein
Anliegen vorbringen?

So beginnt ein Artikel der Süddeutschen Zeitung aus dem
Februar 2016 mit der Überschrift „Durch die Hintertür“ .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Lesen Sie lieber die Welt!)


Zahl und Namen der Lobbyisten hat die Bundestags-
verwaltung nach einem entsprechenden Beschluss des
Verwaltungsgerichts Berlin vor einiger Zeit veröffent-
licht, und im Februar 2016 hat der Ältestenrat des Deut-
schen Bundestages beschlossen, dass Unternehmensver-
treter zukünftig keine Hausausweise mehr bekommen .
So einfach durch die Hintertür sind die Dinge heute nicht
mehr . Das bedeutet, dass die Ausgabe von Dauerauswei-
sen, mit denen man sich früher im Bundestag frei bewe-
gen konnte, inzwischen sehr stark eingeschränkt worden
ist. Man muss sich in ein offizielles Lobbyistenregister
eintragen lassen, und man muss einem Verband angehö-
ren .

Ich zitiere jetzt mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin,
Herrn Hackmack, den Geschäftsführer von abgeordne-
tenwatch .de . Er ist nicht unbedingt immer ein Befürwor-
ter der Arbeit des Deutschen Bundestages und schaut
sehr kritisch auf die Dinge . Er sagt zu dieser Entschei-
dung des Ältestenrates:

Dass die Lobbyisten von Rüstungs- und Autokon-
zernen zukünftig nicht mehr nach Belieben im Bun-
destag ein und aus gehen können, ist ein wichtiger
Schritt auf dem Weg zu einer transparenten und sau-
beren Politik .

Die SPD-Fraktion begrüßt diesen Beschluss des Ältes-
tenrates daher ausdrücklich .


(Beifall bei der SPD)


Damit ist jedoch der Forderung der Fraktion Die Lin-
ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch nicht
entsprochen . Wir diskutieren ja heute über Anträge zur
Einführung eines verbindlichen Lobbyistenregisters, und
hierbei geht es eben nicht nur um Dauerausweise; denn
egal ob mit oder ohne Hausausweis, es wird immer Lob-
bygespräche geben . Sie sind uns übrigens – das haben
Herr Kaster und übrigens auch Frau Sitte schon gesagt –
sehr wichtig, und sie sind im Übrigen für alle Abgeordne-
ten wichtig . Das Grundgesetz erlaubt jedem, seine Inte-
ressen zu vertreten . Kein Interesse wird ausgeklammert .
Ob es um die Position der Umweltorganisationen geht,
um wirtschaftliche Standpunkte von Unternehmen oder
um Auffassungen von Sozialträgern, spielt aus verfas-
sungsrechtlicher Sicht keine Rolle . Unsere Demokratie

Dr. Petra Sitte

http://www.abgeordnetenwatch.de/
http://www.abgeordnetenwatch.de/





(A) (C)



(B) (D)


lebt vom freien Austausch der Gedanken und vom Inte-
ressenausgleich, und das gilt für diesen Bundestag erst
recht .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Bernhard Kaster [CDU/CSU])


Mir ging es in den letzten Tagen genauso wie Ihnen
allen: Ich habe verschiedene Gespräche geführt; ich lege
sie hier gerne offen . Meine Gesprächspartner kamen von
der IHK Mecklenburg-Vorpommern, von Verdi, von der
Impfallianz Gavi . Glauben Sie mir, diese Gespräche und
der Austausch, den sie ermöglichen, sind extrem wichtig,
sowohl für diejenigen, die etwas von uns erwarten bzw .
ihre Anliegen vorbringen wollen, als auch umgekehrt für
uns . Wir informieren uns in dieser Hinsicht gerne . Daher
wird sich über Sinn und Zweck dieser Gespräche nie-
mand große Sorgen machen müssen .

Im Übrigen finde ich es ganz schade, dass der Begriff
des Lobbyisten und des Lobbyismus so sehr verbrannt
ist . Das meinen übrigens auch die sogenannten Lobbyis-
ten selber . Auch ich war in der Anhörung am 11 . Mai,
und wir haben alle gehört, dass auch die Lobbyverbände
dort gesagt haben, sie wünschen sich ein verbindliches
Lobbyistenregister .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Denn mit einem verbindlichen Lobbyistenregister,
Herr Kaster, wäre unserer Meinung nach viel getan .
Dann käme nämlich endlich der Lobbyismus aus seiner
Schmuddelecke heraus .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht nun einmal um nichts Geringeres als das Vertrau-
en der Bürgerinnen und Bürger in das staatliche Handeln
und um Transparenz als wichtiges Argument dazu .

Ich meine, das tut uns im Übrigen überhaupt nicht
weh . Im Gegensatz zu dem, was unsere Koalitionskolle-
gen äußern, geht es nicht darum, dass wir sozusagen die
Hosen runterlassen, dass wir uns für alle Gespräche, die
wir führen, öffentlich rechtfertigen müssen,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich!)


sondern es geht genau um die andere Seite: Es geht nur
darum, dass die Lobbyverbände ihre Anliegen und ihre
Hintergründe offenlegen müssen . Das hat also mit einem
Nackigmachen des Parlamentariers wirklich nichts zu
tun .

Aber ich gebe zu, es gab auch kritische Stimmen in
der Anhörung . Ich habe die Wucht nicht so empfunden
wie Sie; Sie hatten vorhin gesagt, das war verheerend
für das Team, das für ein verbindliches Lobbyistenregis-
ter ist . Ich habe es anders vernommen, aber wir haben
auch die kritischen Stimmen gehört, und ich kann mir
vorstellen, dass meine Kollegin gleich auch auf einen
solchen Punkt eingehen wird . Das betrifft beispielsweise
die Offenlegung von finanziellen Dingen. Da, denke ich,
müsste man wirklich noch einmal schauen, ob das mög-
licherweise zu sehr in das Recht der informationellen

Selbstbestimmung eingreift . Dass das freie Mandat an
dieser Stelle betroffen sein soll, sehe ich wirklich nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber die kritischen Argumente gegen ein verbindli-
ches Lobbyistenregister dominieren derzeit – derzeit;
man weiß ja nie – noch bei den Koalitionskollegen der
CDU/CSU und hindern uns von der SPD-Fraktion, Ihrem
Antrag zuzustimmen .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Das ist schade, aber es gibt eine Koalitionstreue, und an
die halten wir uns .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Eine ganz arme Argumentation ist das! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Freies Mandat!)


Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal aus-
drücklich erwähnen, dass sich die Bilanz der Erfolge
der Koalition – jetzt lobe ich uns – doch sehen lassen
kann . Es ist zwar schon gesagt worden, aber vielleicht
noch nicht so deutlich: Wir haben in dieser Legislatur die
Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu eingeführt .
Wir haben eingeführt, dass es eine gesetzliche Karenzzeit
für den Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirt-
schaft gibt . Ich habe eingangs schon gesagt, dass wir die
Erteilung von Hausausweisen sehr reglementiert und ihre
Zahl sehr stark verringert haben . Ich will an dieser Stelle
noch ausdrücklich betonen: Wir von der SPD-Fraktion
werden unser Ziel eines verbindlichen Lobbyistenregis-
ters nicht aus den Augen verlieren .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wie lange wollen Sie sich eigentlich noch von der Linkspartei binden lassen?)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817705100

Vielen Dank . – Britta Haßelmann ist jetzt die nächste

Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817705200

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Austausch von
Politik und Interessenvertreterinnen und Interessenver-
tretern ist für eine funktionierende Demokratie wichtig .
Lobbyistinnen und Lobbyisten bringen wichtige Erfah-
rungen aus ihrer Praxis in den Prozess der politischen
Meinungsbildung ein; so ist es . Gleichwohl hat aber der
Einfluss von organisierten Vertreterinnen und Vertre-
tern auf Entstehungs- oder Entscheidungsprozesse von
Gesetzen in den letzten Jahren erheblich zugenommen .
Daher muss Lobbytätigkeit im Bereich der politischen
Entscheidung für die Öffentlichkeit transparent sein . Das

Sonja Steffen






(A) (C)



(B) (D)


sollte uns allen doch eine Selbstverständlichkeit sein,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir als deutsches Parlament sind in diesem Selbst-
verständnis eben nicht ganz weit vorn, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion . Ich frage
mich nach der Rede von Herrn Kaster wirklich: Was bau-
en Sie hier in der Abwehr gegen ein solches Transparenz-
und Lobbyistenregister eigentlich für einen Popanz auf?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wissen Sie eigentlich nicht, dass nicht nur wir im Par-
lament dafür streiten, sondern dass längst viele Verbän-
de, viele Unternehmen und Institutionen, deren Vertreter
nicht nur hier im Bundestag, sondern auch im Europapar-
lament und in der Kommission ein und aus gehen, sich
dort den Regeln eines Transparenz- und Lobbyistenregis-
ters selbstverständlich unterziehen? Sie empfinden das
nämlich als hilfreich; denn dann steht man nicht mehr in
einer Ecke nach dem Motto: Gibt es da einen Einfluss,
den keiner kennt und den keiner beurteilen kann? Wann
kommen Sie endlich zu dieser Einsicht? Reden Sie doch
einmal mit den Unternehmen und den Verbänden, die
nicht nur im deutschen Parlament und bei der Regierung
ein und aus gehen, sondern auch auf europäischer Ebene .
Deren Vertreter unterziehen sich alle einer solchen Re-
gistrierung, wie wir Grüne oder auch die Linken das in
den entsprechenden Anträgen fordern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da sollten Sie doch ein bisschen auf der Höhe der Zeit
sein und nicht immer auf die Verbändeliste von 1972
verweisen . Seitdem haben wir doch ganz andere Trans-
parenzanforderungen, sowohl an die deutsche Gesetzge-
bung als auch an das Parlament und an die Bundesregie-
rung . Denken Sie nur an das Informationsfreiheitsgesetz .
Warum bauen Sie hier einen solchen Popanz auch im
Hinblick auf das freie Mandat auf?


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der Vorschlag der Linken zum Informationsfreiheitsgesetz war einfach schlecht!)


Niemand stellt das freie Mandat infrage,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch!)


auch in meiner Fraktion nicht . Das ist ganz bedeutend .
Das wissen wir gerade in diesen Tagen, in denen wir die-
se massiven Auseinandersetzungen mit Herrn Erdogan
haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Daher wissen wir das freie Mandat zu schätzen und wis-
sen es auch zu verteidigen . Also, kommen Sie mir nicht
mit solchen Sachen .

Im Jahr 2015 hat Transparency International die Studie
„Lobbying in Europe“ veröffentlicht, in der 19 EU-Staa-

ten und 3 EU-Institutionen untersucht wurden . Wissen
Sie, auf welchem Platz Deutschland darin gelandet ist?
Auf Platz 16 . Das heißt, wir haben hier erheblichen
Nachholbedarf . Inzwischen haben acht europäische Län-
der und europäische Institutionen ein solches Lobbyre-
gister . In Kanada und den USA gibt es seit Jahrzehnten
verpflichtende Lobby- und Transparenzregister. Was also
veranlasst Sie, bei diesem alten Hut zu bleiben und ge-
betsmühlenartig davon abzulenken, dass mehr Transpa-
renz in unser aller Interesse ist, nicht nur im Interesse des
Parlaments, meine Damen und Herren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will zum Schluss noch ein Beispiel nennen, den
legislativen Fußabdruck . Schon einmal etwas davon ge-
hört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union?
Wäre es nicht für uns Parlamentarier, aber auch für die
Öffentlichkeit wichtig, ganz deutlich und unmissver-
ständlich dargelegt zu bekommen, und zwar ohne ent-
sprechende Fragen an die Bundesregierung, wie viele
Großkanzleien, wie viele Interessenverbände, wie viele
Unternehmen möglicherweise auf einen Gesetzentwurf,
der dem Parlament vorliegt und hier beraten wird, Ein-
fluss genommen haben? Das wäre doch für uns alle wich-
tig zu wissen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird man doch mal wissen dürfen!)


für uns Abgeordnete und für die Öffentlichkeit . Warum
sträuben Sie sich dagegen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Durch die von uns vorgeschlagene Registrierung würde
auch der legislative Fußabdruck ganz deutlich gemacht
werden . Von daher, meine Damen und Herren, führen
Sie doch nicht diese Old-fashion-Debatten in Abwehr-
schlachten, sondern nähern Sie sich einmal sachlichen
Argumenten an!

Herr Uhl, ich bin gespannt, ob Sie gleich über die An-
hörung reden werden, bei der Sie bei der Beantwortung
Ihrer Frage noch nicht einmal mehr da waren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817705300

Vielen Dank . – Dazu hätte der Kollege Dr . Hans-Peter

Uhl jetzt Gelegenheit; denn er ist der nächste Redner für
die CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1817705400

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Frau Haßelmann, nach Ihrer aufgeregten Spra-
che


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!)


Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


und der Art und Weise, mit diesem Thema umzugehen,
dass Sie vom legislativen Fußabdruck sprechen, also
in der Sprache der Kriminalpolizei, als müssten Sie auf
Spurensuche gehen, wo hier im Haus zwischen den Ab-
geordneten Straftaten begangen worden sind, frage ich
mich schon: Was sind das für verwirrte Geister, die hier
am Rednerpult stehen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es sind undurchdachte Anträge, die Sie hier vorgelegt
haben . Es ist immer ärgerlich, wenn man sich mit solchen
Anträgen herumschlagen muss, vor allem dann, wenn sie
von den Linken und den Grünen in bürgernaher Attitüde
vorgetragen worden sind .

Nach den Vorschlägen der Antragsteller ist Lobbyis-
mus offensichtlich etwas ganz Schlimmes .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!)


– Doch . – Lobby, das war und ist teilweise noch die
Wandelhalle im englischen und im amerikanischen Par-
lament, in der den Abgeordneten Meinungen und Ansich-
ten von Bürgern vorgetragen worden sind . Daher kom-
men die Wörter „Lobby“ und „Lobbyisten“ .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist so!)


Schon im Altertum kam in der Politik vor dem „parla-
re“, dem Reden, Frau Haßelmann,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, man kann auch engagiert reden!)


das „audire“, das Hören . Von „audio“ kommt übrigens
das Wort „Audienz“ . Der Gedanke „erst hören, dann re-
den“ gilt auch für die heutige Demokratie .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt lassen Sie doch mal Ihre Arroganz!)


Das freie Mandat – das haben wir in der Anhörung
gelernt; Sie hätten da zuhören sollen – hat grundrechts-
gleichen Charakter, Artikel 38 Grundgesetz, und ist der
Mittelpunkt der gelebten parlamentarischen Demokratie .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen war ich die ganze Zeit bei der Anhörung anwesend!)


Wir Abgeordnete, vom Volk gewählt, genießen das Ver-
trauen der Mehrheit des Volkes . Diesem Vertrauen sollten
wir gerecht werden; wir sollten uns nicht kleiner machen,
als wir sind . Das Volk hat Vertrauen in uns .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Wir sollten uns auch nicht ohne Not „kriminell“ machen,
indem wir vom Fußabdruck reden, den wir oder andere
eventuell in den Zimmern hinterlassen haben . Das ist al-
les dummes Zeug .

Die Linken und die Grünen meinen, dass der Abge-
ordnete, der von uns wohlverstandene Abgeordnete im

Sinne des Grundgesetzes, das ihm Vorgetragene nicht
selber einordnen und beurteilen kann . Ich verstehe mein
Amt so, dass man mir das Vertrauen gegeben hat, aus den
vielfältigen Meinungen, die mir vorgetragen werden –
immer aus Partikularinteresse heraus –, das Gemeinwohl
herauszuarbeiten und dieses abstrakt in Regelungen und
Gesetzen zu formulieren . Das ist unsere Aufgabe, und
dafür werden wir bezahlt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU wurde auch für anderes bezahlt!)


Die Menschen haben Vertrauen darin . Das sollte nicht
kriminalisiert werden . Deswegen müssen wir die Parti-
kularinteressen aufnehmen, anhören und etwas Vernünf-
tiges daraus machen .

Wenn Sie diese Gespräche, dieses Vortragen von Par-
tikularinteressen durch Interessenvertreter, kriminalisie-
ren,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das will doch niemand!)


mit Misstrauen überziehen und „Fußabdrücke“ entde-
cken wollen, dann wollen Sie Misstrauen säen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd!)


Sie wollen, dass die Gesprächspartner online an den
Pranger gestellt werden . Das ist Ihre Absicht .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ist das Old School! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Absurd!)


Das Wesensmerkmal der Demokratie heißt Interessen-
vertretung . Das Wesensmerkmal der Demokratie ist der
Wettbewerb der Meinungen . Möglichst viele Interessen
und Stimmungen der Gesellschaft sollen aufgenommen
werden, und zwar von uns, von niemand anderem, weil
wir daraus Gesetze machen sollen .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die Spenderliste nicht endlich offenlegen?)


Das nennt man responsive Demokratie . Haben Sie davon
schon gehört, Frau Sitte?


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja! Aber Sie haben noch nichts vom legislativen Fußabdruck gehört!)


Wer den Prozess der responsiven Demokratie bürokra-
tisch reglementieren will, der sorgt nicht für mehr, son-
dern für weniger Demokratie .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben so anmaßenden Einrichtungen wie Abgeord-
netenwatch soll es jetzt also eine Informations- und Ge-
sprächswatch geben . Das ist Ihre Absicht . Der Fähigkeit
des Abgeordneten zur Einordnung und Abwägung wird
nicht vertraut . „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ –
dieses Schlagwort, das Lenin zugeschrieben wird, wird
heute eher scherzhaft benutzt . Es hat aber im Lauf der

Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Geschichte der Unfreiheit, Regulierung und Bevormun-
dung Tür und Tor geöffnet . Das wollen wir nicht .

Meine Fraktion und ich haben Vertrauen in die Ur-
teilskraft der Abgeordneten und Ministerialbeamten .
Wir sind auch nicht bereit, an einer Diskriminierung und
Stigmatisierung der Menschen mitzuwirken, die für sich,
ihre Unternehmen, ihre privaten Interessen oder für ihre
NGOs Gedanken, Konzepte und Anliegen vortragen . Das
darf nicht diskreditiert werden .

Interessant war in der Anhörung die Antwort auf un-
sere Frage


(Dagmar Ziegler [SPD]: Auf meine! Das war meine Frage!)


– Ihre Frage; das gebe ich gerne zu –, wer von den An-
hörpersonen bei den Anträgen der Grünen und der Lin-
ken mitgewirkt haben .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn da enttarnt, Herr Staatsanwalt?)


Die angehörten Personen von Transparency Interna-
tional haben gesagt: Ja, wir haben die Anträge mitge-
schrieben . – Dann habe ich gefragt: Halten Sie sich denn
für Interessenvertreter, für Lobbyisten? Da mussten sie
kleinlaut zugeben: Ja, wir sind insoweit auch Lobbyis-
ten . – Ich wollte schon sagen: Wenn Sie das jetzt nicht
zugeben, dann müssten Sie eigentlich zum Psychiater ge-
hen . – Denn ein Mensch, der keine Interessen hat, sollte
sich in Behandlung begeben . Jeder Mensch hat Interes-
sen und sollte sie auch offen vortragen können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Unterste Schublade!)


Die Antragsteller wollen sich die volksnahe Deutung
von Lobbyisten als Negativurteil zunutze machen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwie wirkt das alles ziemlich hilflos!)


Das Wort „Lobbyist“ hat schon einen schmutzigen
Beiklang und kommt fast einer Beleidigung gleich . Auf
dieser Klaviatur spielen Sie mit diesen beiden Anträgen .

Natürlich kann die Grenze zwischen legitimer de-
mokratischer Interessenvertretung und illegitimer Ein-
flussnahme überschritten werden; das ist völlig un-
bestritten . Missbrauch gibt es überall, wo Menschen
unterwegs sind . Solche Missstände – zum Beispiel gab
es in der Europäischen Kommission Zeiten, wo Vertre-
ter des Bankenverbandes Berater der Kommission waren
und ihre Bankenrichtlinie gleich selbst geschrieben ha-
ben – muss man offen ansprechen und abstellen; das ist
selbstverständlich . Missstände muss man erkennen, und
man muss ihnen entgegentreten . Dafür haben wir aber
schon Gesetze und Regelungen . Ich nenne stellvertretend
§ 108e Strafgesetzbuch, in dem wir geregelt haben, dass
der Stimmenkauf und -verkauf bei Wahlen und Abstim-
mungen strafbar ist . Das ist doch selbstverständlich, und
dies sollten wir auch offen ansprechen .

Eine Registrierungsbürokratie führt aber keinen
Schritt weiter . Sie ist ein Bürokratiemonster und zwingt
die Parlamentsverwaltung, die typischerweise eine Ser-
viceverwaltung für uns Abgeordnete ist, zu einer Be-
hörde zur Kontrolle von Abgeordneten zu werden . Das
wollen wir nicht, und die Parlamentsverwaltung will es
auch nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist auch verfassungswidrig! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu welchem Antrag sprechen Sie gerade?)


Das alles ist leerer Aktionismus . Was soll geschehen,
wenn sich ein Abgeordneter mit einem Lobbyisten statt
im Abgeordnetenbüro in einem Café auf der anderen
Straßenseite trifft? Das ist nicht geregelt und auch nicht
regelbar . An diesem kleinen Beispiel sehen Sie schon die
Unsinnigkeit eines solchen Lobbyistenregisters . Nein, es
handelt sich um ein Bürokratiemonster und ist nichts an-
deres als Aktionismus . Ein solches Register schadet der
Demokratie und nutzt ihr nicht . Deswegen lehnen wir die
beiden vorliegenden Anträge strikt ab .

Frau Steffen, Sie haben allen Ernstes gesagt – das hat
mich verwundert –, dass Sie den Anträgen gerne zustim-
men, aber vom Koalitionspartner CDU/CSU daran ge-
hindert würden . Eine Sozialdemokratin, die so spricht,
wird bei ihren Wählern Stirnrunzeln verursachen . Die
Wähler werden sagen: Dann wählen wir doch gleich lie-
ber die Linke – das ist das Original – statt die SPD . –
Lassen Sie in Zukunft solche Anmerkungen . Sie schaden
Ihnen mehr, als dass sie nutzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817705500

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1817705600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen!


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Machen Sie etwas daraus!)


– Genau, daraus mache ich jetzt etwas . – Bestimmte Lob-
byisten wollen, dass wir ein Lobbyistenregister einfüh-
ren . Das haben wir heute gelernt . Ja, die SPD-Fraktion
steht dem offen gegenüber . Auch wir wollen ein solches
Register .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut, wenn Bürgerinnen und Bürger – genauso wie
in den Gelben Seiten – nachlesen können, welche Inte-
ressenvertreter Kontakte zu den Parlamentariern und der
Verwaltung pflegen. Es ist auch gut, wenn Parlamentarier
und Verwaltung wissen, wen sie zur Bereicherung ihres
Wissens und für die Abwägung bei ihrer Meinungsbil-

Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


dung hinzuziehen können . Wir alle sind uns einig – weil
durch Osmose nicht möglich –, dass Kontaktpflege und
Inanspruchnahme des Fachwissens anderer notwendig
sind, um als Verwaltung gute Gesetzentwürfe erarbei-
ten und als Abgeordnete gute Entscheidungen treffen zu
können; das ist unbestritten . Aber das war es dann auch
schon .

Gemeinsam vermeiden sollten wir solche Unterstel-
lungen wie die im Antrag der Linken formulierten, dass
Lobbyarbeit auch illegale Einflussnahme bis hin zu Kor-
ruption sein kann . Natürlich ist im Leben alles möglich .
Wenn das aber immer als Erklärungsgrund dient, warum
es ein Lobbyistenregister geben muss, dann hat Herr Uhl
zu Recht gesagt, dass man das auch im Café nebenan er-
ledigen kann . Um das zu vermeiden, bedarf es eines sol-
chen Registers nicht . Sie sollten diesen Zusammenhang
so nicht herstellen .


(Beifall bei der SPD)


Denn damit machen Sie das Parlament und die Parlamen-
tarier klein . Nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grund-
gesetzes gibt es nun einmal das Recht auf vertrauliche
Kommunikation mit Interessenvertretern zur Entwick-
lung und gegebenenfalls zur Verwerfung neuer Ideen .
Die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages und
das Strafgesetzbuch legen hier die Grenzen eindeutig
fest . Ziehen Sie das also bitte nicht als Begründung eines
Lobbyistenregisters heran!

Wir sagen Ja zu einem Lobbyistenregister, wenn ein
Koalitionsvertrag das hergibt, aber ein klares Nein zu ei-
ner Strategie der Unterstellungen und Verdächtigungen,
die der demokratischen Willensbildung am Ende Scha-
den zufügen . Herr Monath vom Tagesspiegel bringt es
auf den Punkt – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –:

Mehr Transparenz kann sicher Korruption oder
Menschenrechtsverletzungen erschweren und auch
Teilhabe ermöglichen . Als Allheilmittel, um Ver-
trauen in die Politik zurückzugewinnen, taugt sie
nicht . Denn Grenzen gegen „Transparenzterror“

(so der Berliner Philosoph Byung-Chul Han) blei-

ben weiter notwendig . Viele politische Entschei-
dungsprozesse, gerade in Demokratien, brauchen
einen geschützten Raum, wenn sie gute Ergebnis-
se bringen sollen . Allein das ist Grund genug, mit

mehr Selbstbewusstsein dem Generalverdacht ent-
gegenzutreten, wonach Intransparenz das neue Böse
schlechthin sein soll .

Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen .

Danke und ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1817705700

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung auf Drucksache 18/8742 . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3842 mit dem Titel „Trans-
parenz herstellen – Einführung eines verpflichtenden
Lobbyistenregisters“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3920 mit
dem Titel „Transparenz schaffen – Verbindliches Regis-
ter für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 22 . Juni 2016, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen eine
gute Heimreise und hoffentlich etwas Zeit am Wochen-
ende .