Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zur
15. Plenarsitzung des Bundestages.
Ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen,
dass interfraktionell vereinbart wurde, den Vorschlag des
Rates über die Unterzeichnung – im Namen der Europäi-
schen Union – eines Handelsabkommens zur Bekämp-
fung von Produkt- und Markenpiraterie auf Drucksache
18/419 Nr. C.16 sowie einen Vorschlag für einen Be-
schluss des Rates über den Abschluss des Handelsabkom-
mens auf Drucksache 18/419 Nr. C.17 dem Ausschuss
Digitale Agenda zur Mitberatung zu überweisen. – So
richtig Unruhe kann ich nicht erkennen. Ich interpretiere
das als Zustimmung. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 7 bis 9 unserer Tages-
ordnung auf:
ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Abgeord-
netengesetzes und eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Europaabgeordnetengesetzes
Drucksache 18/477
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Strafrechtsänderungsgesetzes – Erwei-
terung des Straftatbestandes der Abgeordne-
tenbestechung
Drucksache 18/476
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
ZP 9 Erste Beratung des von der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zum Übereinkommen der Ver-
einten Nationen gegen Korruption
Drucksache 18/478
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so ver-
fahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das Bundesverfassungsgericht verlangt vonuns allen hier im Deutschen Bundestag, dass wir unsereEntschädigung, unsere Vergütung selbst festlegen. Dasfindet nicht jeder hier gut, aber diese Verpflichtung be-steht, und deswegen müssen wir uns dieser Verpflich-tung auch stellen.In der öffentlichen Debatte geht die Tatsache, dasswir immer selbst festlegen, was ein Bundestagsabgeord-neter und damit wir selbst verdienen, häufig mit demVorwurf einer Selbstbedienungsmentalität einher, wasnatürlich für das Ansehen des Parlamentes und auch fürdie Stellung des Abgeordneten insgesamt nicht immerförderlich ist. Deswegen ist es richtig, dass man sich ein-mal grundsätzlich Gedanken macht: Was ist eigentlicheine angemessene Vergütung für die Abgeordnetenleis-tung, für den Umfang der Tätigkeit eines Abgeordneten?Da gibt es seit 1995 eine klare Vorgabe, die bereitsseit dieser Zeit im Abgeordnetengesetz normiert ist,nämlich die Festlegung: Für unsere Arbeit hier im Deut-schen Bundestag ist der Vergleichsmaßstab sinnvoller-weise eine Tätigkeit auf Bundesebene, und zwar die Tä-tigkeit einer Person, die nicht weisungsabhängig ist,sondern die wie wir eine spezielle Rechtsstellung in An-spruch nehmen kann. Deswegen orientiert sich dieFrage: „Was ist eine angemessene Vergütung für Abge-ordnete?“, sinnvollerweise, wie ich finde, an dem Ver-dienst eines Bundesrichters, der auf Bundesebene eine
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Michael Grosse-Brömerhohe Verantwortung hat, aber eben auch weisungsfreientscheidet.Wir haben diese schon seit 1995 im Gesetz festge-legte Vergütung nie erreicht, unter anderem auch des-halb, weil wir uns selbst in den letzten zehn Jahren sechsNullrunden verordnet haben, sicherlich in den Einzelfäl-len immer berechtigterweise, weil die Gesamtsituationaus unserer Sicht nicht geeignet war, um die Diäten zuerhöhen.Wir haben uns schon vor zwei Jahren darauf verstän-digt, eine unabhängige Sachverständigenkommissioneinzurichten, die sich grundsätzlich über die Rechtsstel-lung des Abgeordneten Gedanken macht. Der Ab-schlussbericht dieser Kommission, die sich aus ehemali-gen Ministern, aus Wirtschaftsvertretern, Vertretern derGewerkschaften, Professoren und Professorinnen zu-sammengesetzt hat, liegt seit März letzten Jahres vor.Wir hatten ihn bereits in der letzten Legislaturperiodeanberaten und uns darauf verständigt, zu Beginn dieserLegislaturperiode die notwendigen Schlussfolgerungendaraus zu ziehen. Genau die diskutieren wir heute Mor-gen zu bester Zeit, damit die Debatte öffentlich beachtetund verfolgt werden kann.Wer sich diese Schlussfolgerungen ansieht, wird fest-stellen, dass die Kommission eines wirklich gut gemachthat: Sie hat sich mit dem Leitbild des Abgeordneten be-schäftigt. Die Besonderheit ist, dass wir nicht weisungs-abhängig sind, dass wir keine Amtsträger sind und dasswir daher nicht wie ein Beamter verpflichtet sind, neu-tral zu arbeiten und zu entscheiden. Wir sind bewusst In-teressenvertreter. Wir kümmern uns darum, was inDeutschland vor sich geht. Wir vertreten unsere politi-schen Überzeugungen, aber wir sind natürlich auch Inte-ressenvertreter der Menschen unseres Wahlkreises. Dortwerden wir gewählt, dort wollen wir Zustimmung haben.Das ist Teil der Demokratie. Deswegen liegen uns dieUnternehmen und die Menschen in unserem Wahlkreismit all ihren Problemen besonders am Herzen.Die Aufgabe eines Abgeordneten ist vielfältig. Wirhaben überlegt, welche Schlussfolgerungen wir darausziehen müssen. Die Kommission hat gesagt: Die Vergü-tung, wie sie seit 1995 im Gesetz festgelegt ist, ist rich-tig. Deswegen schlagen wir heute in erster Lesung vor,dass wir die derzeit bestehende Differenz in Höhe vonrund 830 Euro ausgleichen. Wir wollen in zwei Schrittenvorgehen, um dann das Niveau zu erreichen – es wurdebereits 1995 durch eine Kommission festgelegt –, das ei-ner angemessenen Entschädigung für die Tätigkeit einesAbgeordneten entspricht.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir au-ßerdem einen wichtigen, sinnvollen und das System einStück weit ändernden Schritt. Unser Vorschlag ist, dasswir die Abgeordnetenentschädigung, sobald sie das ent-sprechende Niveau erreicht hat, an den Nominallohnin-dex koppeln. Das stellt uns nicht schlechter und nichtbesser als jeden abhängig Beschäftigten in Deutschland.
Das ist aus meiner Sicht ein sinnvoller Schritt. Wir wer-den uns daran genau orientieren. Wir werden zu Beginneiner Legislatur eine entsprechende Entscheidung treffenmüssen. Die Entschädigung orientiert sich dann an derLohnentwicklung, wie sie in ganz Deutschland stattfin-det. Wir sind somit nichts Besonderes, sondern Teil derGemeinschaft. Wir nehmen an der Lohnentwicklung ge-nauso teil wie die abhängig Beschäftigten in Deutsch-land.Das Ergebnis der Kommission beinhaltet auch dieAussage, dass die Altersversorgung des Abgeordnetenzur Sicherung seiner Unabhängigkeit, im Übrigen auchdie seines Familienumfeldes, eine geeignete Maßnahmeist und dass das damit verbundene Verfahren gut ist. Esgab zwar unterschiedliche Auffassungen, gleichwohlwaren die meisten der Meinung: Eine Umstellung desSystems würde nicht weniger Kosten verursachen.Häufig wird argumentiert, dass wir üppig versorgtseien. Natürlich verdienen wir deutlich mehr als derDurchschnitt der Bevölkerung. Aber lassen Sie mich da-ran erinnern: Wir verdienen deutlich weniger als Mana-ger oder andere Angestellte in der freien Wirtschaft, dievielleicht auch nicht wesentlich mehr Verantwortung tra-gen als wir.Was die Altersversorgung betrifft, darf man auch da-ran erinnern, dass die durchschnittliche Verweildauer ei-nes Kollegen oder einer Kollegin im Deutschen Bundes-tag rund zwei Legislaturperioden beträgt. Das sind achtJahre. Das ist bei weitem nicht ein komplettes Arbeitsle-ben. Er oder sie wird auch andere Rentenversorgungsan-sprüche erworben haben und wird im Regelfall auchnach der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag weiterin die Rentenversicherung einzahlen.Das, was wir als Altersversorgungsansprüche geltendmachen, ist eben nur die Versorgung für einen über-schaubaren, im Durchschnitt acht- bis neunjährigen Zeit-raum, während dessen wir hier im deutschen Parlamentarbeiten dürfen; so darf man das ja sagen. Natürlich istes ein Privileg, Mitglied des Deutschen Bundestages zusein. Jedenfalls empfinde ich das so, und ich weiß, dassviele Kollegen ebenso empfinden. Dennoch haben wirgesagt: Wir wollen bei der Altersversorgung Änderun-gen durchführen, und zwar Änderungen zu unseren Las-ten. Wir wollen den Höchstsatz von aktuell 67,5 Prozentauf 65 Prozent senken, den man natürlich erst nach vie-len Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag er-reicht.Sehr wichtig ist, wie ich finde, auch Folgendes: Wirschaffen die Möglichkeit des vorgezogenen Bezuges derAltersversorgung ab, der es in Einzelfällen ermöglichthätte, schon mit 57 Jahren Versorgungsansprüche gel-tend zu machen. Das schaffen wir ab, weil wir denken,dass es angesichts der allgemeinen politischen und ge-sellschaftlichen Debatte über Demografie und die darausresultierenden notwendigen politischen Reaktionen er-forderlich ist, dass wir hier Änderungen für uns durch-führen. Es kann nicht sein, dass wir die Rente mit 67 gutfinden, aber bei uns keine Änderungen vornehmen. Wirschaffen jetzt zwar für die Arbeitnehmer die Möglich-keit, nach 45 Beitragsjahren vorzeitig in Ruhestand zugehen, ansonsten ist ein vorzeitiger Ruhestand für sieaber mit Abzügen verbunden. Genau so machen wir das
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Michael Grosse-Brömerjetzt auch bei uns: Wer eher gehen will, muss Abzüge inKauf nehmen. Das war vorher nicht so. Ich denke, wirhaben diesbezüglich eine sinnvolle Änderung vorge-schlagen.Wir werden auch die Strafen, die wir uns selbst aufer-legen, verdoppeln. Wer hier unentschuldigt fehlt, musskünftig pro Tag 200 Euro bezahlen. Ich finde, das ist an-gemessen und sinnvoll. Wenn man entschuldigt fehlt,kostet das zwar auch noch Geld, aber nicht ganz so viel.Das alles wollen wir mit weiteren Änderungen kop-peln, auf die die Kolleginnen und Kollegen, die nach mirsprechen, vielleicht noch eingehen werden. Wichtig ist,dass die Änderungen, die ich gerade beschrieben habe,mit notwendigen Änderungen in Bezug auf die Abgeord-netenbestechung gekoppelt werden. Dieses Feld ist neuzu regeln; es ist ein extrem schwieriges Feld. Das habenwir schon in der letzten Legislaturperiode festgestellt.Die Anhörung hat gezeigt, dass wir in vielerlei HinsichtSchwierigkeiten haben, einen neuen Tatbestand zuschaffen, der bestimmt genug ist und uns allen die Ge-wissheit gibt, nicht zu Unrecht verfolgt zu werden.Eines ist klar: Für einen Abgeordneten, gegen den einErmittlungsverfahren eingeleitet wurde, hat – unabhän-gig vom Ausgang – allein die Tatsache, dass gegen ihnermittelt wird, eine katastrophale Auswirkung auf seineWiederwahl, sofern er unter diesen Umständen über-haupt noch einmal kandidiert. Deswegen ist das schwie-rig. Wir stellen uns aber der Aufgabe, einen neuen Tatbe-stand zu kreieren, der strafwürdiges Verhalten erfasst– natürlich muss Bestechlichkeit strafbar sein; das ist siein Teilen auch schon –, ohne dabei den Grundsatz desfreien Mandats nebst Beachtung der Besonderheiten despolitischen Prozesses aufzugeben.Angesichts dessen stehen wir vor einer schwierigenAufgabe. Ich bin davon überzeugt, dass die Kolleginnenund Kollegen im Rechtsausschuss sich dieser Aufgabestellen werden und es schaffen, die beste Lösung zu erar-beiten. Das ist nicht einfach. Das ist eine große Heraus-forderung. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen ha-ben die Sorge, dass es falsch geregelt wird. Wie das soist: Das Verfahren geht seinen normalen Gang. Wir bera-ten im Ausschuss. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wirgute Lösungen finden, wie wir sie auch bezüglich derRechtsstellung des Abgeordneten gefunden haben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Petra Sitte erhält nun das Wort für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen undKollegen! Um allen Missverständnissen vorzubeugen,sage ich es lieber gleich am Anfang: Die angemesseneEntschädigung für Abgeordnete ist eine demokratischeErrungenschaft, und das bleibt sie auch.
Bereits im antiken Griechenland wurden solche Diäteneingeführt, um weniger wohlhabenden Schichten demo-kratische Teilhabe zu sichern. Diese Funktion üben Diä-ten im Grunde genommen immer noch aus.Es ist schon etwas Besonderes, das Bundestagsman-dat als Vollzeitberuf ausfüllen zu können und dabei auf-grund der Höhe der Diäten von weiteren Finanziers un-abhängig zu sein. Das gilt nicht für alle Abgeordneten.Ich kann mich an Abgeordnete wie Herrn Merz erinnern,der, glaube ich, in 23 Aufsichtsräten gesessen hat.
Wie auch immer, prinzipiell sind wir unabhängig.Die Ansprüche an unsere Arbeit, die Ansprüche andie Mandatsausübung wachsen natürlich. Grüne undLinke erfahren das ja jetzt gerade. Wir sollen sozusagenden GroKo-Fanten bändigen, obwohl uns die notwendi-gen Instrumente dafür noch fehlen.Wer im Parlament, dem demokratischen Korrektivvon Regierungsarbeit, sitzt, sollte wirtschaftlich unab-hängig sein. Allerdings handeln wir nicht im luftleerenRaum. Wir haben ein konkretes gesellschaftliches Um-feld. Dort erleben die Menschen seit Jahren eine Spal-tung der Gesellschaft: Zum einen gibt es eine großeMasse von Beschäftigten, die sich immer wieder dieFrage stellen, ob sie ihren Wohlstand auch morgen nochsichern können, mag er auch noch so bescheiden sein.Zum anderen gibt es eine relativ kleine Gruppe von sehrReichen, deren Einkommen und Vermögen in den letz-ten Jahren, insbesondere sogar nach der Krise, explodiertsind.Herr Grosse-Brömer, mein Amtskollege von derCDU, hat gerade gesagt: Wir Abgeordnete wollen nichtschlechter und nicht besser gestellt werden als alle ande-ren Beschäftigten auch außerhalb des Parlaments. – Demkann ich erst einmal uneingeschränkt zustimmen. Aberwenn man es sich in der Praxis genau anschaut – deshalbhabe ich vom gesellschaftlichen Umfeld gesprochen –,dann sieht man – auch wenn die Koalition versucht, unsetwas anderes zu erzählen –, dass die Diäten seit 2000von 6 623 Euro auf in diesem Jahr 8 252 Euro gestiegensind. Das ist immerhin ein Wachstum von 25 Prozent.Die Bruttolöhne hingegen sind in dieser Zeit nur um22 Prozent gestiegen. Nimmt man, insbesondere vordem Hintergrund ansteigender Lohnnebenkosten, dieNettogehälter zum Maßstab, sieht die Bilanz – auch siezeigt einen Vorteil der Bundestagsabgeordneten – nochschlechter aus.Wir sind natürlich auch Profiteure der ungerechtenSteuerreform. Viele Abgeordnete profitieren beispiels-weise von der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte.
Abgeordnete profitieren beispielsweise durchaus auchvon der Absenkung des Spitzensteuersatzes. Das halten
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Dr. Petra Sittewir für höchst problematisch. Auch das muss man hierthematisieren.
Ganz dramatisch ist der Vergleich mit den unterenGehaltsklassen. Dazu gehört immerhin die überwie-gende Zahl der Beschäftigten. Bei diesen hat es seit 2000Reallohneinbußen gegeben. Angesichts der Zeitgleich-heit dieser Vorgänge – Reallohneinbußen und Diäten-erhöhung – ist das Vorhaben, die Diäten in sieben Monatenum 830 Euro steigern zu wollen, höchst problematischund diskussionswürdig. Ich finde, die Koalition hätte ru-hig erst einmal damit anfangen können, ihre Hausaufga-ben aus dem Koalitionsvertrag zu machen, bevor sie dieDiäten erhöht.
Die Regelung unserer Altersversorgung – Sie habendas Thema in Ihrem Beitrag erwähnt – steht im Wider-spruch zu der der Beschäftigten oder anderer Bürgerin-nen und Bürger. Sie sagen zwar, dass wir das Niveau derAltersversorgung jetzt von 67,5 auf 65 Prozent senken– man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen,dass dem eine Diätenerhöhung vorausgeht –, allerdingsmuten wir den Beschäftigten im Land langfristig zu,dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozentabgesenkt wird. Nun frage ich nicht, ob die Altersversor-gung der Abgeordneten nicht auch auf 43 Prozent ge-senkt werden sollte, aber ich frage Sie: Wenn für uns65 Prozent gelten sollen, wieso wird dann nicht auch dasRentenniveau wieder angehoben?
Ich habe in meinen Abgeordnetensprechstunden ge-nauso wie Sie durchaus Menschen – dazu zählen insbe-sondere altgeschiedene Frauen, die im Einigungsvertragvollkommen vergessen wurden –, die im Monat eineRente haben, die nicht einmal so hoch ist wie die jetztgeplante Steigerung der Diäten. Insofern denke ich, dassda ein bisschen Demut, ein bisschen Bescheidenheit an-gebracht wäre.
Die geplante Anhebung der Diäten steht in keinemvernünftigen Verhältnis zur Lebensrealität der Men-schen, die uns alle hier gewählt haben. Bei dieser Erhö-hung werden die falschen Prioritäten gesetzt. Aus die-sem Grund werden wir höchst kritisch in die Diskussiongehen und diesem Teil des vorliegenden Gesetzentwurfsnicht zustimmen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine
Lambrecht für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ichmöchte den Fokus in dieser Debatte doch auf das Ge-samtpaket richten, das wir heute und in der nächsten Sit-zungswoche hier beraten. Ich möchte darum bitten, esgenau so wahrzunehmen – als Gesamtpaket – und nichtden Fokus allein auf einen Punkt zu richten, auch wenndieser Punkt ein entscheidender Punkt ist.Niemand drückt sich davor, die Diskussion darüberzu führen. Selbstverständlich gehört die Erhöhung derDiäten mit zu diesem Paket; aber zu diesem Paket gehörteben auch, dass wir bei der Altersversorgung für Abge-ordnete deutliche Einschnitte vornehmen. Und es istauch richtig, dass wir endlich – nach zehn Jahren – einGesetz gegen Abgeordnetenbestechung und -bestech-lichkeit vorlegen. Dieses Gesamtpaket bitte ich Sie zubetrachten.
In dieser Debatte wird immer gefragt, ob die Anhe-bung der Diäten, die jetzt vorgenommen werden soll – ineiner Dimension, die groß ist: 830 Euro insgesamt, überzwei Schritte gestreckt –, okay ist. Das ist zugegebener-maßen richtig viel Geld. Aber jeder, der hier sitzt, wurdenicht als Bundestagsabgeordneter geboren und bezognicht von Anfang an eine Bundestagsdiät. Wir alle habeneine Biografie, wir alle haben schon andere Summenverdient und wissen deswegen sehr wohl, was diese Er-höhung bedeutet. Ich musste mein Jurastudium finanzie-ren und habe am Anfang an einer Tankstelle kassiert, fürdamals noch 7 D-Mark.
Aber die Frage, die wir stellen müssen – und die wirin der Diskussion auch stellen –, ist doch: Was verdientein Bundestagsabgeordneter, was verdient eine Bundes-tagsabgeordnete? Das ist natürlich eine Frage in doppel-ter Bedeutung; denn was wir bekommen, steht im Abge-ordnetengesetz. Aber was ist denn ein gerechtes Entgeltfür diese Arbeit, was wäre richtig? Was ist unsere gesell-schaftliche Stellung, und mit welcher Berufsgruppe sindwir zu vergleichen?
Über diese Frage, glaube ich, sollten wir einmal ausführ-lich diskutieren.Ja, wir bekommen viel Geld, auch jetzt schon, undzum Normalverdiener ist der Abstand auch groß. Es istnun einfach und populär, zu sagen: Warum verdient ihrbeispielsweise im Vergleich zu einer Verkäuferin soviel? Aber ist der Vergleich mit der Verkäuferin richtig?Wie arbeiten wir denn? Wir arbeiten in der Regel – zu-mindest derjenige, der seinen Job richtig macht – 60 bis70 Stunden die Woche. Dazu kommen dann noch dieWochenenden. An den Wochenenden sind wir ebenfallsunterwegs: um die Entscheidungen, die wir hier treffen,auch entsprechend zu begründen; da müssen wir Redeund Antwort stehen. Das ist auch richtig und gut so. Wirbesuchen darüber hinaus Vereinsjubiläen, um unsereVerbundenheit mit dem Ehrenamt zu zeigen. Das alleskommt am Wochenende dazu. Außerdem müssen wirauch noch in unseren jeweiligen Parteiorganisationen
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Christine Lambrechtunsere Entscheidungen begründen; auch das ist nicht im-mer einfach.
Wir müssen jederzeit erreichbar sein; gerade in Zeitenvon E-Mail und SMS steigert sich das Ganze auch nochgewaltig. Wenn eine Sondersitzung angesetzt wird, müs-sen Bundestagsabgeordnete präsent sein. Sie müssensich für alles erklären, manchmal auch für Dinge, die siegar nicht selbst entschieden haben.
Und sie stehen im Fokus der Medien, und das manchmalnicht nur mit Blick auf ihr berufliches Tun, sondern auchauf ihre Privatsphäre.Warum habe ich das so ausgeführt? Weil es einfachwichtig ist, einmal zu sehen, was wir machen, welcheVerantwortung wir haben, in welchem Zusammenhangunsere Arbeit steht. Das ist nicht zu vergleichen mit je-mandem, der 39, 40, 42 Stunden abhängig beschäftigtist, sondern das ist etwas völlig anderes.
Als etwas völlig anderes muss es dann eben auch behan-delt werden.
Wenn es etwas völlig anderes ist, bleibt die Frage: Mitwas ist es denn dann zu vergleichen? Wir sagen – ebensosagt es die Unabhängige Kommission –: Es ist in etwazu vergleichen mit der Tätigkeit eines Richters an denobersten Gerichten. Auch er ist weisungsunabhängigund trifft Entscheidungen, die bundesweit Gültigkeit ha-ben. Das entspricht in etwa dem, was auch wir auf Bun-desebene tun. Die obersten Richter erhalten Bezüge nachder Besoldungsgruppe R 6.Nicht jeder kann etwas mit der Besoldungsgruppe R 6anfangen. Deswegen möchte ich einen Vergleich zu ei-ner Berufsgruppe ziehen, deren Tätigkeit nach B 6 ver-gütet wird. Auch wenn diese Tätigkeit eine andere ist alsunsere, nämlich die von Landräten und Bürgermeisternmittelgroßer Städte, möchte ich Sie fragen: Haben Sieim Ernst das Gefühl, Sie verdienen – im Sinne von: zuRecht verdienen – weniger als ein Landrat? Angesichtsder Tragweite der Entscheidungen, die wir zum Beispielzur Euro-Krise, zum Finanzmarkt, zu Auslandseinsätzender Bundeswehr, wo es um Leben und Tod geht, zu tref-fen haben, finde ich, dass R 6 bzw. B 6 sehr wohl dierichtige Bezugsgröße ist.
Dies steht seit 1995 im Gesetz. Jetzt wollen wir die-sen Schritt gehen. Dies soll in zwei Stufen geschehen.Danach soll unser Einkommen – damit entsprechen wirwieder den Vorschlägen der Unabhängigen Kommis-sion – jeweils an die Entwicklung des Nominallohninde-xes gekoppelt werden. Dieser kann nach oben gehen,aber rein theoretisch auch nach unten, entsprechend demEinkommen aller Beschäftigten. Damit kommen wir derForderung „Hört endlich auf, selbst darüber zu entschei-den und euch selbst zu geben, was ihr für gerecht haltet“nach. Mit der Kopplung unseres Einkommens an diesenIndex wird die Forderung der Unabhängigen Kommis-sion erfüllt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Ein-schnitte auch in Bezug auf die Altersversorgung be-schließen. Die öffentliche Diskussion ging nicht in dieRichtung – zumindest nach meiner Wahrnehmung –, wirwürden zu viel verdienen und uns die Taschen füllen.Dass Abgeordnete gut bezahlt werden, ist gesellschaft-lich durchaus akzeptiert. Wo es Kritik gab, und zwar zuRecht, das war bei der Altersversorgung. Deswegen ge-hen wir auch an diesen Komplex heran. Wir werden dasNiveau von 67,5 Prozent auf 65 Prozent für alle absen-ken. Das ist zugegebenermaßen kein Einschnitt, ange-sichts dessen man sagen kann, dass da richtig eingegrif-fen wurde.Wo es aber einen richtigen Einschnitt geben wird, woes richtig weh tun wird – das ist richtig so –, ist, dass esin Zukunft keine Möglichkeit mehr geben soll, ab-schlagsfrei in den sogenannten Vorruhestand zu gehen.Bis jetzt kann man nach 18 Jahren Mitgliedschaft imDeutschen Bundestag und bei Vorliegen von entspre-chenden Anrechnungszeiten mit 55 bzw. 57 Jahren, jenachdem wo das persönliche Renteneintrittsalter liegt,abschlagsfrei in den Vorruhestand gehen. So etwas istaber nicht mehr zeitgemäß. Das ist nicht mehr vermittel-bar. Deswegen streichen wir das. Es wird in Zukunft kei-nen abschlagsfreien Vorruhestand für Abgeordnete mehrgeben.
Jeder, der hier sitzt, kann sich ausrechnen, ob es ihnbetrifft; denn manchmal wird behauptet, es treffe kaumjemanden. Es trifft all diejenigen, die in diesen Bundes-tag neu hinzugekommen sind oder die in ihrer zweitenLegislaturperiode hier sind. Für uns in der SPD-Fraktionbedeutet das: Von 193 Abgeordneten werden 109 Abge-ordnete diese Möglichkeit nicht mehr in Anspruch neh-men können. Das ist eine ordentliche Zahl. Wenn manden gesamten Bundestag betrachtet, dann sieht man,dass circa die Hälfte der Abgeordneten in Zukunft dieseMöglichkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Aufdie Dauer gesehen wird das dann alle Abgeordneten be-treffen. Ich finde schon, dass ein solcher Einschnittdurchaus gewürdigt werden sollte. Wir werden diesenEinschnitt vornehmen; denn er ist richtig.
Es gab in diesem Zusammenhang die Frage, warumwir das System der Altersversorgung nicht insgesamtumstellen, warum nicht jeder Abgeordnete einen be-stimmten Betrag zur Verfügung bekommt und für sichselbst vorsorgen muss. Auch das ist von der Kommis-
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Christine Lambrechtsion geprüft worden, auch darüber wurde ausdrücklichdiskutiert. Die Mehrheit der Mitglieder der Kommissionschlägt uns vor, es bei dem bestehenden System zu be-lassen.
– Natürlich kann ich der Meinung einer Minderheit fol-gen, wenn ich deren Meinung für richtig halte. Aberwenn man den Bericht der Kommission, der übrigensbereits seit letztem Jahr auf dem Tisch liegt, richtigdurchliest, dann erfährt man, dass eine völlige Umstel-lung weder zu einem einfacheren Verfahren führenwürde und schon gar nicht für den Steuerzahler günsti-ger wäre. Damit würde ich etwas beschließen, was um-ständlicher wäre und mehr Geld kosten würde. Deswe-gen haben wir uns entschieden, diesen Schritt nicht zugehen.
Frau Kollegin Lambrecht, lassen Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Strengmann-Kuhn zu?
Na klar.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen. – Ich bitte Sie, noch einmal in den Be-
richt hineinzuschauen. Es ist nicht richtig, dass es eine
Mehrheitsposition zur Alterssicherung gab.
Fünf zu fünf zu eins.
Fünf zu fünf, richtig, und die eine Person ist für eine
komplette Privatisierung gewesen.
Ja, genau.
Das ist also ein ganz anderes Modell. Insofern gab es
an der Stelle ein Patt.
Fünf haben für Verbesserungen innerhalb des Sys-
tems plädiert; das ist das, was Sie beschrieben haben und
was im Gesetzentwurf steht. Die anderen fünf haben klar
gesagt: Abgeordnete sollen in die gesetzliche Rentenver-
sicherung einzahlen.
Nein, nein.
Doch, ich kann es Ihnen vorlesen, wenn Sie gerne
möchten. Ich habe den Bericht hier vor mir liegen. –
Diese fünf plädieren also für ein Baukastenprinzip: ge-
setzliche Rentenversicherung plus Zusatzversorgung, die
es im öffentlichen Dienst über die betriebliche Altersver-
sorgung auch gibt, plus private Alterssicherung. Das ist
das übliche Drei-Säulen-System, nach dem alle anderen
außerhalb des Bundestages in der Regel abgesichert
sind.
Nun komme ich zu meiner Frage: Wir bekommen pro
Jahr Mitgliedschaft im Bundestag einen Anspruch auf
monatliche Alterssicherung von gut 200 Euro. Wenn
man in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt und
so viel verdient wie wir als Bundestagsabgeordnete, er-
hält man einen Anspruch von knapp 60 Euro. Finden Sie
es wirklich gerecht, dass es beim Rentenanspruch einen
so großen Unterschied und eine so starke Besserstellung
für Bundestagsabgeordnete gegenüber denjenigen gibt,
die gleich viel verdienen, eine ähnlich hohe Verantwor-
tung tragen und eine ähnliche Arbeitsbelastung haben?
Wäre es nicht viel gerechter, wenn wir alle – das haben
viele in der SPD bei vielen Rentendiskussionen, die ich
erlebt habe, vertreten – in die gesetzliche Rentenversi-
cherung einzahlen würden?
Sie haben im Endeffekt schon die Begründung dafürgeliefert, warum dieses völlige Umschwenken in ein an-deres System für den Steuerzahler zumindest nicht güns-tiger, sondern im Gegenteil sogar teurer wäre.Wir haben uns in unserer Fraktion die Mühe gemacht,auch mit den Kommissionsmitgliedern zu diskutieren,und wir haben das ausführlich beraten. Sie haben das an-dere System genau beschrieben. Diejenigen, die für die-ses Baukastensystem plädiert haben, sagen auch: Ja, dieAnrechnung in der gesetzlichen Rentenversicherungwäre geringer. Deswegen müsste dafür ein Ausgleich ge-zahlt werden – wozu sie auch bereit wären.
– Diskutieren Sie vielleicht einmal mit den Kommis-sionsmitgliedern. Dann erhalten Sie solche Hintergrund-informationen. – Dadurch wäre die Alterssicherung ge-nauso teuer.Das heißt, um bei dem Baukastensystem auf den jetzi-gen Altersversorgungsanspruch zu kommen, müsste esneben den Zahlungen in die gesetzliche Rentenversiche-rung noch etwas anderes geben, wodurch diese Differenzkompensiert wird. Das würde dieses System teurer ma-
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Christine Lambrechtchen. Deswegen entschließen wir uns, bei dem bisheri-gen System zu bleiben.
Für einen Systemwechsel, der weder einfacher nochgünstiger für den Steuerzahler ist – jetzt einmal imErnst –, sind wir in der Großen Koalition nicht zu haben.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchtezum Schluss noch auf einen Punkt eingehen, um den eshier neben der Diätenerhöhung und den Einschränkun-gen bei der Altersversorgung auch geht.Ich freue mich als Sozialdemokratin, die in der letztenLegislaturperiode gerade auch an der Erarbeitung deseinen heute vorliegenden Gesetzentwurfes maßgeblichbeteiligt war, dass es uns nun endlich gelingt, die Be-kämpfung der Abgeordnetenbestechung und der -be-stechlichkeit gesetzlich zu normieren. Seit 2003 warenwir aufgefordert, an dem bisherigen Zustand etwas zuändern; denn 2003 wurde die UN-Konvention gegenKorruption unterzeichnet – auch von der BundesrepublikDeutschland. Bis heute ist nichts geschehen.Wir haben in der letzten Legislaturperiode – ich weißgar nicht, in welchem Rhythmus; wahrscheinlich war esalle paar Wochen – häufig über dieses Thema diskutiert,weil wir nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt denStein“ immer wieder versucht haben, gerade in den Rei-hen der Union, aber insbesondere auch der FDP um Un-terstützung dafür zu werben. Es ist uns nicht gelungen,immer mit dem Hinweis darauf, es sei so kompliziert.Es ist kompliziert, und die Umsetzung ist auchschwierig; aber ich glaube, wir Abgeordnete entscheidenüber noch viel schwierigere Sachverhalte. Deswegentrauen wir uns auch zu, einen entsprechenden Straftatbe-stand in § 108 e StGB zu normieren, sodass in Deutsch-land in Zukunft nicht nur der Stimmenkauf unter Strafegestellt werden kann – das heißt das, was hier im Parla-ment rein theoretisch stattfinden könnte –, sondern auchdie Bestechung und die Bestechlichkeit von Abgeordne-ten.Endlich kommen wir damit aus einer Reihe von Staa-ten heraus, die diese Konvention bisher noch nicht um-gesetzt haben, wie Nordkorea, Syrien und andere, undmit denen man eigentlich nicht in einem Zusammenhanggenannt werden will.Es freut mich, dass unser Vorschlag trotz der Kritik,dass wir nicht weit genug gehen, immerhin von Verbän-den wie Transparency International oder LobbyControlwahrgenommen und begrüßt wird. Es wird anerkannt,dass sich in dieser Frage endlich etwas bewegt, dass sichDeutschland wie auch andere Staaten endlich aufrafft,diese Konvention umzusetzen.Wir unterbreiten Ihnen also auch diesen Vorschlag. Esgeht um ein Gesamtpaket, bei dem wir der Meinungsind: Es ist ausgewogen. Es geht in die richtige Rich-tung. Es nimmt ganz viele Vorschläge aus einer von unseingesetzten Unabhängigen Kommission auf.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Britta Haßelmann.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir redenheute in erster Lesung über eine Änderung des Abgeord-netengesetzes. Das Verfahren, das Sie wählen, ist formalnicht zu beanstanden, um das von vornherein zu sagen.Aber ich finde das Verfahren in der Sache nicht ange-messen. Die beiden Gesetzentwürfe, die heute erstmalsim Bundestag beraten werden – zum einen zur Änderungdes Abgeordnetengesetzes und zum anderen zur Abge-ordnetenbestechung –, sollen am Montag in einer sehrkurzfristig anberaumten Anhörung vertieft und schonnächsten Freitag in zweiter und dritter Lesung verab-schiedet werden. Ich halte es angesichts des Umfangsder beiden Gesetze und der inhaltlich wirklich komple-xen Fragen für politisch nicht in Ordnung, das so zu ma-chen.
Die Unabhängige Kommission, auf die hier mehrfachBezug genommen wurde, wurde am 24. November 2011eingerichtet und hat sich bis zum 31. März 2013 mit fol-genden Fragen befasst: Wie soll eigentlich die Abgeord-netenentschädigung, die Besoldung von Abgeordneten,aussehen? Wie soll künftig die Altersversorgung ausse-hen? Wie ist die Kostenpauschale zu bewerten? Wiesieht es mit der Ausstattung der Abgeordneten aus?Diese Fragen waren aus der Kritik hervorgegangen – daswurde von außen an uns herangetragen –, dass wir alsAbgeordnete unsere Bezüge, die von einigen als zu hochempfunden werden, immer selbst festlegen und darüberentscheiden.Wir als Fraktion halten eine grundsätzliche Orientie-rung an der Besoldungsgruppe R 6 für angemessen; dashaben wir auch in der Kommission immer vertreten. Obman allerdings die Anhebung der Bezüge um 10 Prozentinnerhalb eines halben Jahres in zwei Schritten machensollte, darüber hätten wir einmal in Ruhe diskutieren sol-len. Eine solche Anpassung hätten wir doch auch überdie Legislaturperiode strecken können.
Sie hätten mit den Fraktionen intensiv darüber redenkönnen.Wir hätten sagen können: Eine grundsätzliche Orien-tierung an der Besoldungsstufe R 6 ist richtig. Denn esgibt das unabhängige Mandat. Es gibt einen riesigenEntscheidungsrahmen. Wir wirken an Gesetzen mit. Esgibt das freie Mandat. Jeder und jede soll es ausübenkönnen, auch wenn er oder sie nicht sozial abgesichertist. Wir müssen unbestechlich sein. Es gibt viele Gründefür die Orientierung an der Besoldungsstufe R 6. Aberdas Verfahren, das Sie jetzt dafür wählen, ist nicht inOrdnung. Das ist das Problem der heutigen Diskussion.
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Britta HaßelmannDer weitaus wichtigere Punkt, der hier auch hätte dis-kutiert werden müssen, gerade mit den neuen Abgeord-neten, ist der der Altersversorgung und der Altersent-schädigung. Das ist im Kern unser Kritikpunkt, den wirin der Grünenfraktion diskutiert haben. Es gab kein Ein-vernehmen in der Kommission. Das Votum fiel fünf zufünf aus, was die Frage der Beibehaltung des jetzigenSystems mit kleinen Änderungen oder des Schwenks inein neues Baukastensystem auf der Grundlage der Ein-beziehung in die gesetzliche Rentenversicherung angeht.Angesichts eines so knappen Ergebnisses muss mansagen: Die Abgeordneten des 18. Deutschen Bundesta-ges hatten noch in keinem Ausschuss, in keiner Rechts-stellungskommission die Gelegenheit, diese beiden Mo-delle einmal in Ruhe zu bewerten; das ist das Problem.Denn wir müssen uns insbesondere mit dem Thema derAltersversorgung und Altersentschädigung der Abgeord-neten beschäftigen. Es wird in der Öffentlichkeit als zu-tiefst ungerecht empfunden, dass wir im Gegensatz zuanderen in sehr kurzer Zeit sehr hohe Rentenbezüge er-werben können. Das ist im Kern der kritische Punkt,über den wir jetzt leider in der kurzen Zeit von einer Wo-che nicht diskutieren können. Das ist ein Problem.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die ganzen Fragenvon Nebeneinkünften und Transparenz auch in diesemKontext mit diskutieren. Von daher hätten wir uns fürdiese Reform mehr Zeit nehmen sollen. Was zum Bei-spiel die kurzfristig anberaumte Anhörung angeht, kannes unser Experte aus der Kommission, der jahrelang da-ran mitgewirkt hat, nicht innerhalb einer Woche einrich-ten, zu dieser Anhörung zu kommen. Das ist ein Pro-blem.Ich halte also fest: grundsätzliche Orientierung an R 6ja, aber keine so schnelle Anpassung von 10 Prozent ineinem halben Jahr. Vor allen Dingen ist aber die Alters-versorgung grundsätzlich neu zu regeln, damit sie ge-rechter wird.
Max Straubinger ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Wir diskutieren die beiden von den Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwürfe zum einenzur Bezahlung der Abgeordneten und zum anderen zurErweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbe-stechung. Ich glaube, dass es sehr gute Vorschläge sind,die es wert sind, dass in aller Sachlichkeit darüber disku-tiert wird.Deshalb, Frau Kollegin Sitte, sollte man keine fal-schen Zusammenhänge herstellen – ich werde späternoch darauf eingehen –, wie Sie es in der Diskussion ge-macht haben. Denn es geht letztendlich darum, dieRechtsstellung des Abgeordneten zu sichern – das habenSie bejaht – und natürlich auch die die Unabhängigkeitwahrende Abgeordnetenentschädigung nicht infrage zustellen. Die Kollegin Haßelmann findet die Vorschlägeauch in der Höhe gerechtfertigt, und ich habe den Ein-druck, dass auch Sie sie in der Höhe gerechtfertigt fin-den. Somit haben wir eigentlich eine große Gemeinsam-keit, die wir dann aber auch nach außen vertreten sollten.
Von daher geht es darum, diese Unabhängigkeit unddie besondere Stellung des Abgeordneten nach außen zuvertreten, aber auch zu sichern. Das wollen wir mit denbeiden Gesetzentwürfen, die wir aufgrund der Ergeb-nisse der Kommission, die in der letzten Legislatur-periode eingesetzt worden ist, seit 2011 getagt hat und2013 ihre Ergebnisse vorgelegt hat, eingebracht haben.Wir orientieren uns sehr eng an diesen Vorschlägen. Mankönnte sicherlich über viele Bereiche noch diskutieren.Aber, Frau Kollegin Haßelmann, wenn Sie schon fest-stellen, dass die Orientierung an R 6 bzw. das Äquiva-lent der Bezahlung eines Landrats oder Bürgermeisterseiner mittleren Stadt für die Entschädigung eines Abge-ordneten gerechtfertigt ist, dann muss man das auch um-setzen, statt zu sagen, der in dem Gesetzentwurf für dieAnpassung angestrebte Zeitraum sei zu kurz. Wenn mandavon überzeugt ist, dass etwas richtig ist, dann gilt es,dies auch umzusetzen, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen.
Wenn wir uns jetzt über die Angemessenheit der Ab-geordnetenentschädigung einig sind, dann geht es umdie weitere Frage der Angemessenheit einer Altersent-schädigung. Ich glaube, dass wir trotz der unterschiedli-chen Auffassung in der Kommission einen guten Weggefunden haben, darzustellen, dass die Abgeordnetentä-tigkeit nicht alleine damit endet, dass man eine, zweioder drei Legislaturperioden in diesem Hohen Haus Ver-antwortung getragen hat, sondern dass daraus auch eineAltersentschädigung abzuleiten ist, die dem damaligenStand als Abgeordneter gerecht wird.In diesem Sinne bin ich überzeugt davon, dass dasSystem, das wir derzeit haben und das sich vielleicht mitdem der Beamten vergleichen lässt – auch wenn wirkeine Beamten sind –, richtigerweise anzuwenden ist.Das System der gesetzlichen Rentenversicherung, in dasein Arbeitnehmer einzahlt, kann deshalb nicht für unsherangezogen werden.Unter diesen Gesichtspunkten ist eine Regelung zufinden, die berücksichtigt, dass wir Abgeordnete nichtfrüher abschlagsfrei in Rente gehen können als diejeni-gen, die Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherungsind – Frau Kollegin Lambrecht hat das ausdrücklichdargelegt –, und die gleichzeitig einen Bezug zur verant-wortungsvollen Tätigkeit des Abgeordneten herstellt.
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Max StraubingerDas bedeutet, dass eine gewisse Höhe der Abgeordne-tenentschädigung letztendlich die Grundlage für eineentsprechende Altersentschädigung bildet. Das könnteman in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht errei-chen, Herr Kollege Strengmann-Kuhn. Wenn wir IhremVorschlag folgen wollten, müssten wir zusätzliche pri-vate Vorsorge gewährleisten und die Abgeordneten ent-sprechend in die Lage versetzen. Aufgrund der Höhe derDiäten sind wir als Abgeordnete aber steuerlich stärkerbelastet als der Durchschnitt der Bevölkerung; auch dasgehört zur Wahrheit. Darüber hinaus müssen entspre-chende Krankenversicherungsbeiträge abgeführt wer-den; das wird in der Regel vergessen.Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass dieAltersentschädigung im nun vorliegenden Abgeordne-tengesetz angemessen zu berücksichtigen ist. Ich bitte,dies nochmals zu bedenken und aufzunehmen.Werte Frau Kollegin Sitte, das Abgeordnetengesetzhat nicht zu berücksichtigen, ob einzelne AbgeordneteKapitaleinkünfte haben.
Es geht einzig und allein darum, ob ein Abgeordneterunabhängig tätig sein kann. Es gibt sparsame Abgeord-nete, die später möglicherweise Kapitaleinkünfte haben.Es mag auch Abgeordnete geben, die vielleicht nichtganz so sparsam sind und deshalb nicht über Kapitalein-künfte verfügen. Somit geht der Vergleich, den Sie gezo-gen haben, meines Erachtens fehl.
Festgestellt wurde auch, dass die Kostenpauschale inder jetzigen Form richtig ist. Sie dient dazu, Einheitlich-keit herzustellen und die Abgeordneten im Hinblick aufihre Arbeit und Aufwendungen zu unterstützen. Das al-les ist mittlerweile gerichtlich überprüft. Ich glaube, da-rüber brauchen wir uns nicht mehr zu streiten.Ich bin sehr dankbar, dass die Kommission ein weite-res Thema aufgegriffen hat, nämlich den Fall, in dem einAbgeordneter bereits im Rentenalter ist und aufgrundfrüherer beruflicher Tätigkeit Beiträge in die gesetzlicheRentenversicherung eingezahlt hat. Wir alle sind uns indiesem Haus einig, dass Anwartschaften in der gesetzli-chen Rentenversicherung Eigentumscharakter haben undEigentumsschutz genießen. Deshalb sage ich ganz offen– das haben mehrere Kolleginnen und Kollegen in dervergangenen Legislaturperiode nicht verstanden –: WennSie im Rentenalter und zugleich aktiver Abgeordnetersind, wurden Ihnen bislang 80 Prozent Ihrer Renten-anwartschaften zumindest während der Dauer der Abge-ordnetentätigkeit gestrichen. Die Kommission hat dasaufgegriffen und schlägt vor, nur noch um 50 Prozent zukürzen. Ich bin aufgrund meines Rechtsverständnissesder Meinung, dass überhaupt keine Kürzung erfolgensollte. Wenn Renten Eigentumscharakter haben, dürfteeigentlich gar nicht gekürzt werden.
Aber der Vorschlag der Kommission stellt nun einmal ei-nen Kompromiss dar. Diesen wollen wir umsetzen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dassder Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge-setzes sehr ausgewogen ist. Ich bitte die Oppositions-fraktionen von Linken und Grünen, sich durchzuringen,die positiven Aspekte zu sehen, damit wir gemeinsamder Verunglimpfung entgegenwirken können – dieserEindruck wird besonders dann erweckt, wenn über eineErhöhung der Diäten gesprochen wird –, Abgeordneteseien Selbstbediener. Es geht darum, dass wir einen gu-ten Anpassungsmechanismus für die Diäten finden. Dersoll darin bestehen, dass der Durchschnitt der Lohnstei-gerung aller Lohnempfänger in diesem Lande zugrundegelegt wird. Ich glaube, das ist gerechtfertigt. Damitwerden künftige Diskussionen über die Steigerung derDiäten, die dem Ansehen der Abgeordneten abträglichsind, vermieden.Frau Kollegin Sitte, ich habe gelesen, Sie würden dieSteigerungsraten der Diäten am liebsten an die Steige-rungsraten des kommenden Mindestlohns koppeln. Las-sen Sie uns doch einmal die Gewerkschaftsforderungenbei Lohnverhandlungen betrachten. Dort wird darauf ge-achtet, dass die niedrigeren Einkommen etwas stärkerals die höheren angehoben werden. Wir würden, wennwir Ihrem Vorschlag folgen würden, eine höhere Diäten-anpassung erzielen. Das würde jedoch nicht in IhremSinne sein, nehme ich an.
Unter diesem Gesichtspunkt ist der Anpassungsmecha-nismus, den wir gewählt haben und der sich auf denDurchschnitt aller Lohnempfänger in Deutschland be-zieht, sicherlich das bessere System.
In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich fürdie Aufmerksamkeit und wünsche uns gute Beratungen.
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Halina
Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zurErweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbe-stechung scheint es so, als würde eine Never-endingStory tatsächlich noch ein Ende finden.
In der letzten Legislaturperiode hatten die drei Oppo-sitionsfraktionen jeweils einen Gesetzentwurf vorgelegt.Mit dem damaligen Vorsitzenden des Rechtsausschus-ses, Siegfried Kauder, wurde sogar ein gemeinsamerKompromissentwurf erarbeitet, der hier aber leider nichtdurchsetzungsfähig war. Insofern finde ich es schon et-
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Halina Wawzyniakwas schade, dass bei dem vorliegenden Gesetzentwurfnicht versucht worden ist, alle Fraktionen mit ins Bootzu nehmen. Das wäre wahrscheinlich an dem Verdiktvon Herrn Kauder gescheitert.Diskussionswürdig ist Ihr Gesetzentwurf allemal;denn er sieht die Bestrafung von Abgeordneten vor, dieeinen rechtswidrigen Vorteil für sich selbst oder Dritteals Gegenleistung fordern, sich versprechen lassen oderannehmen. Das Wort „Gegenleistung“ macht schondeutlich: Es muss eine Handlung oder eine Unterlassungim Parlament im Zusammenhang mit dem Mandat erfol-gen, um diesen Tatbestand zu erfüllen.Nun schreiben Sie im Gesetzentwurf, dass die Gegen-leistung für den Vorteil eine Handlung oder Unterlas-sung „im Auftrag oder auf Weisung“ sein muss. Ichpersönlich würde es besser finden, wenn wir die Formu-lierung „Handlung oder Unterlassung im Zusammen-hang mit dem Mandat“ statt dieser Formulierung wählenwürden. Ich will aber auch deutlich darauf hinweisen,weil ich die Kritik an dem Ausdruck „im Auftrag oderauf Weisung“ kenne, dass eine Gegenleistung, die ja Be-standteil dieser Regelung ist, irgendwie vereinbart seinmuss. Wenn man jetzt Auftrag und Weisung nicht klas-sisch im rechtstechnischen Sinne versteht, ist es tatsäch-lich so, dass das irgendwie verabredet sein muss.Der Vorteil dieses Gesetzentwurfs ist, dass er den Ge-setzentwurf der SPD aus der letzten Legislaturperiodeum den zentralen Kritikpunkt bereinigt. Es ist nämlichnicht mehr davon die Rede, dass ein ungerechtfertigterVorteil dann vorliegt, wenn er den parlamentarischenGepflogenheiten nicht entspricht, sondern es ist jetzt ge-regelt, dass kein ungerechtfertigter Vorteil vorliegt,wenn die Annahme eines Vorteils im Einklang mit denfür die Rechtsstellung des Mitgliedes maßgeblichen Vor-schriften steht. Das haben wir Linke immer gefordert.Sie haben von uns gelernt. Weiter so!
Der Vorschlag entspricht dem Prinzip der Normen-klarheit und verhindert Richterrecht. Dass wir als Linkedurchaus Probleme mit der einen oder anderen Verhal-tensmaßregel haben, zum Beispiel, dass wir es nicht gutfinden, dass Abgeordnete Spenden entgegennehmenkönnen, steht auf einem anderen Blatt. Das können wirmit diesem Gesetz nicht regeln; das will ich sehr deutlichsagen.
Das müssen wir an anderer Stelle regeln. Aber noch ein-mal ein großes Lob an Sie von der SPD, dass Sie uns andieser Stelle gefolgt sind und eine Klarstellung vorge-nommen haben.
Ich hoffe, wir können eine ernsthafte Debatte führen.Lassen Sie mich an dieser Stelle anmerken: Der Se-riosität des gesamten Vorhabens hilft es nicht, innerhalbeiner Woche eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf so-wie dessen zweite und dritte Lesung durchzuführen. Wirhaben nicht einmal die Chance, diese Anhörung ver-nünftig auszuwerten. Das geplante Vorgehen ist auchnicht ganz sauber – um es einmal vorsichtig zu formulie-ren –; denn im Gesetzentwurf steht „Erweiterung desStraftatbestandes der Abgeordnetenbestechung“. Bishergibt es den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechungnicht.Ich hoffe, wir finden genügend Zeit, das vernünftigmiteinander zu diskutieren,
sodass Sie weitere Änderungsvorschläge aufnehmen, da-mit die Never-ending Story nicht irgendein Ende findet,sondern tatsächlich ein gutes.
Eva Högl ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-
tion.
Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!Liebe Frau Wawzyniak, ich nehme Ihr Lob sehr gernean. Das gilt natürlich auch für die gesamte SPD-Fraktionund für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich dafüreinsetzen, dass wir endlich einen Straftatbestand Abge-ordnetenbestechung bekommen. Ich habe Ihre Rede soverstanden, dass Sie sich mit uns freuen, dass wir kurzdavor sind, endlich einen Straftatbestand Abgeordneten-bestechung einzuführen. Herzlichen Dank für dieseÜbereinstimmung!
Wir haben jetzt mehr als zehn Jahre lang diskutiert.Am 9. Dezember 2003 hat Deutschland die UN-Konven-tion gegen Korruption unterzeichnet.
Natürlich sind die rechtlichen Detailfragen kompliziert.Aber wir haben jetzt zehn Jahre lang intensiv diskutiert.Wir hatten Anhörungen. Wir haben verschiedene Ge-setzentwürfe diskutiert. Wir haben alles ausführlich mit-einander besprochen. Deswegen ist es sehr richtig, dasswir am Anfang dieser Legislaturperiode endlich diesenStraftatbestand einführen. Die SPD-Fraktion hat sichlange dafür eingesetzt. Ich bin sehr froh, dass die GroßeKoalition das im Koalitionsvertrag vereinbart hat.
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Dr. Eva HöglGanz am Anfang dieser Legislaturperiode ist diese Ver-einbarung ein Bestandteil dieses Gesamtpaketes. Sie ge-hört nämlich in dieses Paket, weil sie unsere Rechtsstel-lung als Abgeordnete betrifft. Dies ist ein guter Tag, undes ist eine gute Nachricht, dass wir als Große Koalitionjetzt endlich handeln.
Worum geht es? Korruption ist ein ernstes Problem.Sie führt zu wirtschaftlichem, politischem und gesell-schaftlichem Schaden, und sie führt – das betrifft unsalle hier im Deutschen Bundestag – zu einem Verlust desVertrauens in staatliche Organe und zu einem Verlust desVertrauens in das gesamte politische System. Es mussuns Abgeordnete alle miteinander sehr besorgen, wenndie Bürgerinnen und Bürger uns nicht mehr vertrauenund unseren demokratischen Institutionen mit diesemMisstrauen begegnen und damit letztlich unserer Demo-kratie schaden.Insofern ist es so wichtig, die Bestechung von Abge-ordneten endlich unter Strafe zu stellen; wir haben unslange dafür eingesetzt. Als SPD-Fraktion haben wir auchweiter gehende Vorschläge gemacht, von denen ichhoffe, dass sie hier irgendwann weiterverfolgt werden.Ich denke zum Beispiel an die Einführung eines Lobby-registers und die sogenannte legislative Fußspur.
Wir haben heute Morgen hier darüber diskutiert, dasswir finanziell unabhängige Abgeordnete benötigen.Dazu ist einiges gesagt worden. Wir haben auch darübergesprochen – das ist wichtig in diesem Zusammenhang –,dass wir mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit Lobby-istinnen und Lobbyisten selbstverständlich im Austauschsind, dass wir auf Informationen und diesen Meinungs-austausch angewiesen sind. Aber wir dürfen uns niemalsvon einzelnen Positionen abhängig machen, und wir dür-fen uns niemals – deswegen haben wir das aufgegriffen,Frau Wawzyniak – an Aufträge und Weisungen gebun-den fühlen. Das besagt Art. 38 unseres Grundgesetzes.Genau so haben wir es in unseren Gesetzentwurf ge-schrieben: dass wir uns an Aufträge und Weisungennicht gebunden fühlen und dass wir daran nicht gebun-den sein dürfen.
Unser Gesetzentwurf setzt eine ganz konkrete Un-rechtsvereinbarung voraus: Der Vorteil muss für eineGegenleistung gewährt werden. – Bestraft wird nur,wenn es eine konkrete Gegenleistung gibt und wenn sichdaraus ein ungerechtfertigter Vorteil ableitet. Wir defi-nieren diesen ungerechtfertigten Vorteil; ich habe dasdiesbezügliche Lob selbstverständlich schon entgegen-genommen. Wir schaffen mit diesem Gesetzentwurf eineklare Regelung, nämlich dass der Vorteil dann nicht un-gerechtfertigt ist, wenn er im Einklang mit den Regelun-gen steht, die für Abgeordnete gelten. Für uns sind dasselbstverständlich die Verhaltensregeln hier im Deut-schen Bundestag. Das gilt aber in gleicher Weise auchfür die Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen undin den kommunalen Gebietskörperschaften.Deswegen darf ich hier alle dazu auffordern: LassenSie uns gemeinsam – gemeinsam! – diesen Gesetzent-wurf auf den Weg bringen! Ich darf das so sagen: Wirhaben als Große Koalition jetzt einen exzellenten Ge-setzentwurf vorgelegt. Wir haben alle rechtlichen Un-klarheiten, so denke ich jedenfalls, beseitigt. Wir habeneinen praktikablen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir könnendas Unbehagen natürlich nicht gänzlich ausräumen, aberes gibt selbstverständlich auch engagierte Staatsanwäl-tinnen und Staatsanwälte, die ganz genau hinschauenwerden.Die Regelungen, die wir jetzt schaffen werden – ichhoffe, dass sie so in Kraft treten –, sind auf jeden Fallklar. Es sind klare Handlungsanweisungen. Wir habeneinen praktikablen Gesetzentwurf vorgelegt; daran müs-sen wir als Abgeordnete ein Interesse haben. Deswegenspreche ich ganz gezielt noch einmal die Kolleginnenund Kollegen von der Opposition an: Lassen Sie es unsdoch schaffen, dass wir gemeinsam als Deutscher Bun-destag ein Signal senden, die Bestechlichkeit und dieBestechung von Abgeordneten unter Strafe stellen undder Korruption damit eine deutliche Absage erteilen! Eswäre ein wirklich gutes Signal zu Beginn dieser Legisla-turperiode, wenn uns das gelänge. Wir haben mit demGesetzentwurf einen guten Vorschlag gemacht.Herzlichen Dank.
Nun erhält Katja Keul das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Geschichte der Abgeordnetenbestechunggeht ganz langsam los und beschleunigt dann derart,dass man regelrecht Angst vor einem Crash haben muss.Unter Rot-Grün wurde 2003 die Konvention der Ver-einten Nationen gegen Korruption unterzeichnet. Seit-dem werden wir jährlich gerügt, weil wir es anscheinendnicht schaffen, die Abgeordnetenbestechung unter Strafezu stellen. Von allen Unterzeichnerstaaten haben alleinSaudi-Arabien, Sudan, Syrien, Myanmar und Deutsch-land die Konvention bis heute nicht ratifiziert – wirklichnette Gesellschaft, in der wir uns da befinden!
2011 lagen sowohl Entwürfe von uns Grünen als auchvon der Linken vor. 2012 gab es dann auch einen Ent-wurf von der SPD, von dem wir Teile heute wiederfin-den – aber leider genau die Formulierungen, die von denExperten bei der Anhörung als begrenzt tauglich qualifi-ziert worden sind.Bei allen Entwürfen hat die Union stets behauptet, sieseien zu ungenau, zu unpräzise, zu schwammig. Unse-
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Katja Keulrem grünen Entwurf wurde vorgehalten, er enthalte un-bestimmte Rechtsbegriffe, kurzum: die Materie sei be-kanntermaßen so komplex und schwierig, dass man sieleider, leider mal wieder nicht lösen könne.Und jetzt? Es liegt was vor, ja. – Da hat sich sogar dieUnion endlich bewegt, und das ist positiv.
Ansonsten sehe ich jede Menge unbestimmte Rechtsbe-griffe: Wann ist zum Beispiel ein Vorteil ungerechtfer-tigt? Oder: Wann handelt ein Abgeordneter denn imAuftrag oder auf Weisung? Genau genommen – daskann ich Ihnen sagen – nie; das sagt ja schon Art. 38Grundgesetz. Ein Abgeordneter ist an Aufträge und Wei-sungen nicht gebunden. Dann ist ja gut: Er kann denStraftatbestand damit gar nicht erfüllen. Gute Idee!Und weil das alles noch nicht sicher genug ist, stellenSie noch einmal klar, dass alles das nicht strafbar ist, wasden Verhaltensregeln entspricht. Ich zitiere Ihre Geset-zesbegründung:Mit dem Verweis … wird dem Umstand Rechnunggetragen, dass für die von dem Tatbestand erfasstenMandatsträger keine einheitlichen Regelungen gel-ten und entsprechende Vorschriften von der jeweili-gen Vertretungskörperschaft innerhalb ihrer Auto-nomie und entsprechend den Gegebenheiten vorOrt festgelegt werden sollten.Toll, wie es Ihnen gelungen ist, dem Bestimmtheitsgebothier zu entsprechen!Und weil das jetzt angeblich alles so einfach ist,braucht man natürlich auch kein geordnetes Verfahrenmehr – geschweige denn eine vorbereitete Anhörungvon Experten mit anschließender gründlicher Beratung.
Wie man das macht? Ganz einfach: Sie informieren amMontagabend die Fraktionsspitzen der Opposition, dassSie einen Gesetzentwurf haben, den Sie auch gleich aufdie Tagesordnung für Freitag setzen. Um eine Aus-schussanhörung für den nächsten Montag zu beschlie-ßen,
ist es dann leider zu spät. Das muss also am Mittwoch imRechtsausschuss vorsorglich beschlossen werden, bevorder Gesetzentwurf überhaupt überwiesen ist. Da es aberleider auch schon zu spät ist, die reguläre Tagesordnungfür den Rechtsausschuss zu ergänzen, wird mal ebeneine Sondersitzung einberufen: eine halbe Stunde vorder regulären Sitzung und mit dem einzigen Punkt: Vor-sorgliche Vereinbarung einer Anhörung. Tolles Verfah-ren! Das Praktische an der Sache: Die Opposition konnteihre eigenen Anträge gar nicht mehr einreichen, und etli-che Experten sind bis Montag auch gar nicht verfügbar.Es wird auch nicht besser, wenn man zeitgleich mitder Strafbarkeit der Bestechung auch noch schnell dieDiätenerhöhung vorbeiziehen lassen will. Oder ist es garumgekehrt? Soll die Strafbarkeit der Abgeordnetenbe-stechung die Diätenerhöhung besser aussehen lassen?
In der Eile ist Ihnen dann leider noch ein kleiner Feh-ler unterlaufen. Ging es nicht eigentlich darum, die UN-Konvention von 2004 zu ratifizieren? Ach ja, da war et-was. Gut, wenn man eine Opposition hat, die an allesdenkt, auch wenn sie noch so klein ist.
Wir haben Ihnen dankenswerterweise noch schnellden Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Konventionvorgelegt, damit Sie sich bei der nächsten Auslandsreisenicht immer noch von Assad, Baschir und den anderennetten Herren vorwerfen lassen müssen, wir seien in Sa-chen Korruption doch alle nicht besser als sie selbst. Siesehen also, wie sinnvoll es sein kann, auf die Oppositionzu hören, statt Gesetzgebung im Blindflug zu betreiben.In diesem Sinne vielen Dank.
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Wir diskutieren heute zwei Komplexe,die mehr gemeinsam haben als den Wortbestandteil „Ab-geordneten“. Beide betreffen den Kern des freien Man-dats: in seiner Ausgestaltung und seinem Schutz. Beiden Diäten geht es um die materielle Absicherung, beider Frage der Bestechung um den inhaltlichen Schutzvor unzulässiger Beeinflussung.Insofern, denke ich, müssen wir die Frage an den An-fang stellen: Was macht das freie Mandat aus? Waskennzeichnet es im Idealfall? Dabei sehe ich einen Ab-geordneten vor mir, der sich wirklich kümmert, der an-sprechbar ist, der bei seinen Wählern ist, der Interessenaufnimmt, sich diese anhört, sich dann in Bewegungsetzt und sich zur Wahrung dieser Interessen einbringt,der sich die notwendigen Informationen beschafft, derseine Prioritäten so setzt, wie er es möchte, der durchausauch politisch-taktisch denkt, weil er weiß, dass er dieDinge nicht allein bewegen kann, sondern Kompromissemachen muss und der bei alldem seinem eigenen Gewis-sen folgt, nicht an Aufträge und Weisungen gebundenist.Daraus folgt zweierlei: Es ist erstens richtig, unterStrafe zu stellen, wenn dieses freie Mandat käuflich ge-macht wird. Das darf nicht sein. Das ist auch nicht vom
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Elisabeth Winkelmeier-BeckerGrundgesetz geschützt. Zweitens darf die Regelung, diewir treffen, das freie Mandat nicht einschränken. Sie darfnicht dazu führen, dass gewünschtes, legitimes, erwarte-tes Verhalten sich verändert, dass Abgeordnete sich zu-rückziehen, weniger ansprechbar sind, sich weniger fürdie Interessen einsetzen, weil sie zu Recht oder zu Un-recht fürchten, Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungenzu werden.
Deshalb muss klar sein: Wer erkennbar nur eigenerÜberzeugung folgt, darf nicht dem Risiko strafrechtli-cher Ermittlungen unterliegen, sondern muss auf der si-cheren Seite sein, damit er auch weiter motiviert ist,diese Überzeugung einzubringen.Nun haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diebestehende Regelung zur Strafbarkeit von Abgeordne-tenbestechung in § 108 e StGB erweitert. Wir haben diesnicht deshalb getan, weil wir ein besonderes Korrup-tionsproblem in Deutschland hätten. Gerade in der letz-ten Woche hat die EU-Kommission Deutschland in ih-rem Korruptionsbericht ein sehr gutes Testat ausgestellt.Wir sind über Jahre hinweg beständig in der oberstenGruppe der europäischen Staaten gewesen und habenkein gravierendes Korruptionsproblem.
Trotzdem nehmen wir wahr, dass auch unser BGH Straf-barkeitslücken moniert, wo strafwürdiges Verhaltennicht angemessen sanktioniert ist. Natürlich gefällt auchuns nicht der Vergleich mit anderen Staaten, die die Kon-vention gezeichnet, aber nicht ratifiziert haben. Nord-korea hat es, glaube ich, jetzt sogar noch geschafft undist nicht mehr unter den Ländern, bei denen eine Ratifi-zierung noch aussteht. Das ist ein Vergleich, den wir unsselber eigentlich nicht antun sollten.
Jetzt stehen wir also vor der nicht leichten Aufgabe,einerseits strafwürdiges Verhalten zu sanktionieren, an-dererseits aber eben das freie Mandat nicht einzuschrän-ken und darüber hinaus auch noch dem Bestimmtheits-gebot des Grundgesetzes gerade bei Strafnormen zugenügen.Zentral ist die Frage der Unrechtsvereinbarung, dassynallagmatische Verhältnis zwischen dem versproche-nen Vorteil und der dafür geforderten Handlung. Wirwerden – das ist in der Praxis die Schwierigkeit – selteneine Vereinbarung finden, über der „Unrechtsvereinba-rung“ steht nach dem Motto: Du machst das, und dafürkriegst du das. – Vielmehr wird immer an Indizien an-geknüpft werden. Da ist es sehr schwierig, objektiveäußere Merkmale zu finden, die eine klare Beurteilungermöglichen. Denn das freie Mandat umfasst alle Hand-lungsoptionen: Ob man eine Rede hält oder nicht, obman dafür oder dagegen spricht, ob man seine Meinungändert oder nicht, all das ist vom freien Mandat umfasst,kann aber im Einzelfall auch auf einer Unrechtsverein-barung beruhen.Interessenvertretung ist unser Kerngeschäft, für unsalso etwas ganz Normales. Es gehört zu dem, was dieBürger von uns erwarten und was jeder gute Abgeord-nete, der seinen Beruf ernst nimmt, tut. Im Einzelfallkann sein Handeln trotzdem auf einer Unrechtsvereinba-rung beruhen.Ein Merkmal ist der Vorteil. Unter Vorteil versteht je-der etwas anderes. Wenn Sie mich zum Beispiel zumFußballländerspiel in die VIP-Lounge von Bayern Mün-chen einladen würden, würde ich sagen, ich sitze lieberzu Hause auf der Couch und habe meine Ruhe.
Aber viele andere würden das vielleicht als Vorteil be-zeichnen.
Frau Kollegin, Sie sollten noch einmal überlegen, ob
Sie das wirklich im Protokoll für jeden nachlesbar haben
wollen.
Ich stehe zu meinem Wort. – Es gibt viele Beispiele:Darf ich jetzt nicht mehr zu einem parlamentarischenAbend gehen? Muss ich dann schon irgendetwas be-fürchten? Klar ist: Das sind Dinge, die den Rahmen bil-den für das, was von uns erwartet wird. Da finden dieBegegnung, die Kontaktaufnahme, die Information statt.Deshalb können Dinge wie Geschäftsessen, parlamenta-rische Abende, auch Reisen mit einem entsprechendeninformativen und dienstlich relevanten Programm vonvornherein nicht zu den ungerechtfertigten Vorteilen ge-hören.
Jeder von uns braucht mindestens alle vier Jahre fürden Wahlkampf Spenden. Das sind handfeste finanzielleVorteile, ohne die das Ganze nicht zu bewältigen ist. Alldas macht die Abgrenzung so schwierig.Deshalb müssen wir die Sorge der Kollegen in diesemHause, aber auch die Sorge der Tausenden von Kollegenin den Landesparlamenten, den kommunalen Parlamen-ten, der ehrenamtlich Tätigen ernst nehmen, dass auchein Verhalten, das im besten Einklang mit dem Mandatsteht, missverstanden werden und zu Ermittlungen füh-ren kann. Ein Ermittlungsverfahren ist für jeden unange-nehm, eine echte Belastung. Aber für Politiker ist es häu-fig der politische Tod. Da reicht es, dass die Immunitätaufgehoben wird, dass ermittelt wird. Welches Urteil amEnde im Einzelnen gefällt wird, interessiert dann keinenmehr.Deshalb müssen wir mit zwei Ansätzen in die Diskus-sion gehen.
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Frau Winkelmeier-Becker, darf der Kollege Ströbele
Ihnen noch kurz vor Schluss eine Zwischenfrage stellen?
Aber gerne.
Frau Kollegin, danke, dass Sie die Frage zulassen. –
Wir haben – darauf ist hingewiesen worden – leider sehr
wenig Zeit, das Thema zu beraten. Auch im Rechtsaus-
schuss haben wir es nur anberaten können. Deshalb
stelle ich Ihnen hier noch einmal die Frage, die ich schon
im Ausschuss gestellt habe. „Aufträge und Weisungen“,
wie es im Grundgesetz heißt, haben ja zunächst nichts
mit Strafbarkeit zu tun. Sie haben dieses Merkmal jetzt
wieder in den Gesetzentwurf aufgenommen. Es stand
auch schon in früheren Gesetzentwürfen, sogar einmal in
einem von uns; aber wir haben das nachher nicht mehr
hineingenommen. Denn es gibt Fälle, bei denen es sich
ganz offensichtlich um Bestechung handelt, denen keine
Aufträge oder Weisungen vorausgehen, zum Beispiel
wenn der Abgeordnete oder die Abgeordnete selber zu
irgendeinem Unternehmer geht und sagt: Möchtest du
nicht für mich diese oder jene Leistung erbringen, wenn
ich mich so und so verhalte? – Da gibt es keinen Auftrag
und keine Weisung, sondern lediglich den Wunsch des
Abgeordneten selber. Sie wissen, dass das ein großes un-
bestimmtes Feld ist, das sehr schwer zu regeln ist. Wie,
meinen Sie, können Sie dieses Problem lösen, wenn es
bei Ihrer Formulierung bleibt? Wir haben ja eine andere
Formulierung vorgeschlagen, die unserer Ansicht nach
besser ist. Darüber werden wir uns im Rechtsausschuss
unterhalten. Aber das ist doch ein ganz offensichtliches
Problem.
Vielen Dank für die Frage. Die Formulierung „Auf-
träge und Weisungen“ ist ja Art. 38 Grundgesetz ent-
nommen. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie ein Problem
mit der Formulierung des Grundgesetzes haben. Wir
müssen uns Gedanken darüber machen, welche Tatbe-
stände bzw. welche Sachverhalte darunterfallen sollen.
Sie nennen ein Beispiel, das nach meiner Bewertung
ganz klar unter „Aufträge und Weisungen“ fällt.
Denn man kann Aufträge und Weisungen auch einwer-
ben. Wer hingeht und sagt: „Ich würde für einen gewis-
sen Vorteil dieses und jenes machen; wäre das nicht in
deinem Interesse?“, der lässt sich einen Auftrag bzw.
eine Weisung geben, die an einen Vorteil geknüpft ist.
Das ist ein ganz klassischer Anwendungsfall der Vor-
schrift, die wir Ihnen zur Abstimmung vorlegen.
Im Gegensatz dazu ist das, was Gegenstand des Ent-
wurfs der Grünen war, uferlos und wabernd und geht
wirklich auf krasse Weise am Bestimmtheitsgebot vor-
bei. Das haben wir auch der Anhörung im Rechtsaus-
schuss, die im Herbst 2012 stattgefunden hat, entnom-
men. Der von uns heute vorgelegte Gesetzentwurf ist
dahin gehend eine deutliche Verbesserung.
Ich komme zurück zu den zwei Ansätzen, mit denen
wir Verbesserungen des Gesetzentwurfes erreichen wol-
len. Zentral für eine richtige Bewertung von strafwürdi-
gem Verhalten einerseits und legitimer Ausübung des
freien Mandates andererseits ist die Kenntnis der parla-
mentarischen Zusammenhänge und Abläufe. Die Frage
ist, ob das bei der Staatsanwaltschaft und bei den Ge-
richten bereits in dem Maße verankert ist, wie es nötig
wäre. Deshalb plädiere ich dafür, sich einmal anzu-
schauen, wie wir die Kenntnis, die im Parlament selbst
vorhanden ist – beim Bundestagspräsidenten, den Gre-
mien, der Rechtsstellungskommission, dem 1. Ausschuss
und dergleichen –, noch verbindlich in das Verfahren
einbinden können, sowohl was einen Verfahrensschritt
als auch die materielle Beurteilung angeht. Ich denke,
das könnte eine echte Qualitätsverbesserung bringen, die
auch die Schwierigkeiten in Hinblick auf das Bestimmt-
heitsgebot ein Stück weit ausgleichen könnte.
Der andere Punkt ist, dass wir uns wirklich Gedanken
darüber machen sollten, ob wir die Zuständigkeit bei der
Strafverfolgung konzentrieren, damit mit der Zeit die
entsprechende Expertise entsteht.
Das hatten die Linken in ihrem Gesetzentwurf netter-
weise bereits vorgeschlagen. Daran könnte man even-
tuell anknüpfen. So ist auch im Prozessrecht für andere
Bereiche eine Konzentration bei den OLGs geregelt.
Unsere Aufgabe ist es jetzt, hier eine praktikable und
sachgerechte Regelung zu finden. Es ist dann Aufgabe
der Staatsanwaltschaften und Gerichte, diese Regelung
mit Gespür für die parlamentarischen Besonderheiten
und für das freie Mandat umzusetzen. Diesen Appell
richte ich ganz bewusst auch an die Medien, die manch-
mal etwas vorschnell dabei sind, wenn irgendwo ermit-
telt wird. Denn dann und nur dann ist die Regelung ein
Gewinn für die Demokratie und für das freie Mandat.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzent-würfe auf den Drucksachen 18/477, 18/476 und 18/478an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nichtder Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN
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Präsident Dr. Norbert LammertDie Demokratie verteidigen im digitalen Zeit-alterDrucksache 18/182Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Verkehr und digitale InfrastrukturAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch hierzuhöre und sehe ich keinen Widerspruch. Also können wirso verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Katrin Göring-Eckardt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Lass uns lieber spazieren gehen, das können wir hierdrin nicht besprechen. Wir wissen nicht, ob es eineWanze gibt: in der Lampe oder im Telefon.“ – So war eszu DDR-Zeiten. „Das sage ich Ihnen nicht am Telefon.Lassen Sie uns mal lieber spazieren gehen“, schieb ges-tern ein Journalist über ein Telefonat mit einem Mitar-beiter des Bundeskanzleramtes. Nein, natürlich sinddiese beiden Dinge überhaupt nicht miteinander zu ver-gleichen. Natürlich ist es gut, dass wir nicht in einer Dik-tatur, sondern in einer Demokratie leben, wo solcheDinge öffentlich werden und gesagt werden.Ja, meine Damen und Herren, die digitale Revolutionhat unser Leben, hat unseren Alltag verändert wie viel-leicht keine andere Entwicklung. Wir leben, wir kommu-nizieren, wir streiten online. Wir alle schätzen auf der ei-nen Seite diese Chancen, diese Freiräume, dieseMöglichkeiten, die uns das Netz bietet. Auf der anderenSeite sind wir seit mindestens einem Dreivierteljahr Zeu-ginnen und Zeugen des größten Geheimdienstskandals,den die westlichen Demokratien je erlebt haben.
Die Ausmaße der Überwachung nehmen Dimensionenan, die wir bisher nicht für möglich gehalten haben. Hierwird die Axt direkt an die Wurzel unseres Rechtsstaatesgelegt. Genau das ist die Katastrophe.
Das kann und darf niemandem gleichgültig sein. Ge-nau deswegen haben 562 Schriftstellerinnen und Schrift-steller weltweit ihre Stimme erhoben und fordern, dieDemokratie im digitalen Zeitalter zu verteidigen. Umnicht weniger geht es, meine Damen und Herren.
Wir haben diesen Appell – und das ist er im wahrstenSinne des Wortes – zum Gegenstand unseres Antrags fürdiese Debatte gemacht. Ich begrüße einige Unterzeich-nerinnen und Unterzeichner heute hier im Plenum.
Die Besorgnis der Bürgerinnen und Bürger ist im-mens. Es sind nicht nur einige wenige, die sagen: Wirhaben ein Problem. Zugleich ist es so, dass die Bundes-regierung, dass die Bundeskanzlerin immer noch nichtaufgewacht sind und immer noch nichts tun, um dieGrundrechte der Menschen in diesem Land, in dieserRepublik zu schützen und zu sichern. Das ist der Skan-dal, über den wir in diesem Parlament reden müssen.
Nein, es geht nicht darum, den Hashtag „#Neuland“in dieser Debatte fortzuführen, und zwar auch deswegen,weil es überhaupt nichts mehr mit Ironie zu tun hat undweil es überhaupt nicht lustig ist. Wir erleben, wie atem-beraubend leichtfertig, wie atemberaubend oberflächlichmit Grundrechten von Individuen, der Bürgerinnen undBürger umgegangen wird, aber auch mit den Rechtender Unternehmen, der Wirtschaft, die sich heute fragen:Sind eigentlich unsere Daten, ist unsere Unternehmens-kommunikation in irgendeiner Weise sicher? Wenn Siesich schon nicht für die Individuen interessieren, dannvielleicht doch für die Unternehmen in diesem Land, diezutiefst verunsichert sind.
Was erleben wir? Wir sollen darauf vertrauen, dassder ehemalige Kanzleramtsminister die Affäre für been-det erklärt hat. Pofalla beendet Dinge, das kennen wiralle. Wir erleben erfolglose Reisen in die USA und hö-ren, dass Geheimdienstler mit Geheimdienstlern Gehei-mes besprechen. Wir sind im Gegensatz zu Ihnen nichtso überrascht, dass das No-Spy-Abkommen nicht zu-stande kommt. Dennoch war es das Einzige, was Sie alsAntwort vorweisen konnten. Wo sind wir denn, wenneine Bundesregierung es nicht für nötig hält, dafür zukämpfen, dass die Grundrechte der Bürgerinnen undBürger gegenüber ausländischen Geheimdiensten ge-wahrt werden?
„Ausspähen von Freunden, das geht gar nicht.“ Deut-liche Worte immerhin. Hier ging es um das eigeneHandy. Aber wenn es um die Handys, um die E-Mail-Postfächer, um die Verbindungsdaten und die digitalenPrivaträume von Bürgerinnen und Bürgern geht, dann istFehlanzeige. Ich finde das ignorant, ich finde das verant-wortungslos, und ich finde, das verändert unseren Staatund unsere Gesellschaft. Wenn eine Bundesregierungnicht dafür eintritt, dass Bürgerinnen und Bürger Ge-
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Katrin Göring-Eckardtheimnisse haben dürfen, dass sie Geheimnisse habendürfen sollen, wenn sie nicht dafür eintritt, zwischenTerrorismusbekämpfung, die natürlich notwendig ist,und massenhafter Ausspähung zu unterscheiden, dannverändert das unsere Gesellschaft auf eine Weise, die wirnicht zulassen wollen; denn hier muss die Demokratieim Kern verteidigt werden.
Dann sind wir natürlich ganz schnell bei der europäi-schen Ebene. Sie hängen sich da nicht rein, Sie vermei-den sogar, das Thema auf EU-Ebene anzusprechen. Mitder EU-Datenschutzverordnung wäre eine grundlegendeVeränderung auch zügig möglich gewesen. Doch stär-kere Reformen und Veränderungen sind eben gerade aufTreiben Deutschlands, der deutschen Bundesregierunghin auf Eis gelegt worden – ein weiterer Skandal, einweiteres Nicht-hinsehen- und Nicht-handeln-Wollen,meine Damen und Herren. Ein weiteres Mal sind hier dieInteressen der Bürgerinnen und Bürger nicht geschütztworden; sie sind zum Freiwild für Überwachung gewor-den.
Mängel beim Grundrechtsschutz für 80 Millionen Bür-gerinnen und Bürger und für Wirtschaftsunternehmenkönnen und dürfen nicht ausgesessen werden. Hier mussman aktiv werden.Sie halten die anlasslose Massenüberwachung der Be-völkerung weiterhin für ein geeignetes Instrument. DieVorratsdatenspeicherung soll in Deutschland kommen.Ich sage Ihnen ganz klar:Erstens. Wir werden alles tun, damit es nicht ge-schieht.Zweitens sage ich an die Adresse von Herrn Maas:Ihre Vorgängerin hat diese Sache ausgesessen. Das reichtjetzt nicht mehr. Jetzt muss man aktiv werden und dafürsorgen, dass das nicht passiert.
Wenn sich die Bundesregierung in diesem Skandalder Wahrung der Grundrechte und der Menschenrechteder Bürgerinnen und Bürger verpflichtet fühlt, dann gibtes doch nur eine wirkliche Antwort, und das ist in einemersten Schritt die umfassende Aufklärung ohne jedesWenn und Aber sowie Schluss mit der Überwachung.Ich sehe, dass Sie sich immer noch wegducken. Wermusste denn den Untersuchungsausschuss beantragen?Das waren die Oppositionsfraktionen in diesem Haus.Wer musste denn dafür sorgen, dass es einen umfassen-den Untersuchungsauftrag gibt? Das waren die Opposi-tionsfraktionen in diesem Haus. Ja, natürlich, wir wollenauch wissen, inwiefern die deutschen Dienste an diesemÜberwachungsskandal beteiligt sind.
Deswegen ist es gut, dass der Untersuchungsausschussendlich eingesetzt wird.Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass die Zi-vilgesellschaft wach ist, dass sie den Schutz der Bürge-rinnen und Bürger einfordert. Es liegt eine Klage beimGeneralbundesanwalt gegen die Bundesregierung vor –so weit ist es schon gekommen.Wenn es um den Grundrechtsschutz geht, sollte manwissen:Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei …So steht es in dem Appell der Schriftstellerinnen undSchriftsteller. Ich kann nur sagen: Ja, genau so ist es.Man hat als Mensch das Recht, etwas zu verbergen,man hat als Mensch das Recht, bestimmte Dinge unver-fügbar zu halten. Wir wollen nicht, dass sich unserSchreiben und unser Reden, am Ende womöglich sogarunsere Gedanken verändern, weil wir immer damit rech-nen müssen, dass wir abgehört oder beobachtet werden.Das verändert uns als Individuen. Ich sage klar und deut-lich: Das können wir nicht zulassen; das wollen wir nichtzulassen.
Ja, ich gehe sehr gern spazieren. Aber ich telefoniereauch unheimlich gern mit meiner Freundin, und danntauschen wir Geheimnisse aus. Und darauf, verdammtnoch mal, haben wir ein Recht. Dieses Recht muss ga-rantiert sein, nicht nur für mich, sondern für alle Bürge-rinnen und Bürger.Vielen Dank.
Thomas Jarzombek erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfinde, das ist ein besonderer Augenblick. Wir haben ges-tern den neuen Ausschuss Digitale Agenda eingesetzt.Meine Kollegen von der Arbeitsgruppe Innen, vor allemClemens Binninger, haben sich spontan entschieden, alsersten Redner der Fraktion ein Mitglied unseres neuenAusschusses, nämlich mich, zu wählen. Dafür bedankeich mich.
Ich finde, das ist ein tolles Signal. Ich denke, das könn-ten die anderen Fraktionen künftig gut in ähnlicherWeise handhaben.
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Thomas JarzombekSie haben heute einen Antrag zum Thema „Demokra-tie im digitalen Zeitalter“ eingebracht. Wir haben in derEnquete-Kommission – ich sehe hier vorne Konstantinvon Notz – lange über die Chancen des Digitalen für dieDemokratie geredet, über Formen der Bürgerbeteiligung,von mehr Transparenz, von mehr Teilhabe. Dass Sie dasalles in Ihrem vorliegenden Antrag überhaupt nicht fo-kussieren, finde ich schade. Die Risiken, die Sie betrach-ten, sind nur ein Ausschnitt des Themas.Die Zielsetzung Ihres Antrags – das macht auch derAppell der 562 Schriftsteller deutlich – ist richtig. DieFrage ist nur, ob die Konsequenzen, die daraus gezogenwerden, die passenden sind. Denn eines muss man fest-stellen: Wir wissen durch Edward Snowden viel darüber,was die USA und auch Großbritannien machen. Wir wis-sen aber sehr wenig darüber, was in Russland und inChina passiert.
Ich glaube, es ist naiv, anzunehmen, wir könnten durchein einziges Abkommen mit den USA die gesamte Pro-blematik lösen.
Zu einem weiteren Thema, den Unternehmen. Ichglaube, dass die Situation hier möglicherweise viel gra-vierender ist. Schon vor Jahren habe ich verschiedentlichdarüber gebloggt und geschrieben, dass Google alle Ein-gaben personalisiert: die Suchanfragen der letzten neunMonate, alle meine E-Mails, alle meine Kalenderein-träge. Das erlaubt einen Einblick in das persönliche Le-ben, der schon ziemlich enorm ist, und wir haben es miteinem privaten Unternehmen zu tun, das von keiner öf-fentlichen Stelle in irgendeiner Art und Weise kontrol-liert wird. Wir können auch nur Mutmaßungen darüberanstellen, wie sicher die Daten dort sind und mit wemdie Daten ausgetauscht werden.Appelle helfen hier nicht weiter; denn das konstitu-tive Merkmal ist, dass die Menschen selbst ihre Dateneingeben. Das ist vielleicht auch der Unterschied zu denVorgängen im Unrechtsstaat DDR, Frau Göring-Eckardt,auf die Sie eben eingegangen sind. Die Daten werdenselbst eingestellt.Lassen Sie mich heute die Gelegenheit nutzen, dreisehr konkrete Bereiche anzusprechen, die Schwerpunkteder Arbeit des Ausschusses Digitale Agenda bilden wer-den. Es ist wichtig, dass wir insgesamt aufrüsten.Erstens. Die Frage ist: Wie sicher sind unsere Datenunterwegs? Kann ich als Einzelperson wie als Unterneh-men Privates privat halten? Als Stichworte sind hier „IT-Airbus“ und „Schengen-Routing“ zu nennen. Doch dieseallein werden das Problem nicht lösen können, dafürsind die Netze viel zu komplex.Vergleichen wir die Situation im Internet mit der Si-tuation im Straßenverkehr. Auf unseren Straßen fahrendurchaus auch Kriminelle, Terroristen und Bankräuber,aber der Einzeltransporter muss gesichert sein. Im Stra-ßenverkehr ist das der Fall, im Internet allerdings nicht.Deswegen müssen wir uns des Themas Verschlüsselungannehmen.Man könnte sagen – in Anlehnung an ein Zitat vonRon Sommer zur CeBIT-Eröffnung –, dass es sich mitdem Thema E-Mail-Verschlüsselung ähnlich verhält wiemit dem Thema Teenagersex: Alle reden darüber, kaumeiner tut es, und diejenigen, die es machen, die habenmeistens auch noch Schwierigkeiten damit.
Wir müssen erst einmal daran arbeiten, dass wir dasThema E-Mail-Verschlüsselung einfacher machen. Wirmüssen es für die Menschen greifbarer machen. Wirmüssen Anreize setzen. Wir müssen uns überlegen, obman das Thema nicht auch gesetzlich flankiert: Ichmeine damit eine Pflicht zur verschlüsselten Verbindungzwischen Clients und Servern, was einige Providerschon einführen.Die Initiative „E-Mail made in Germany“ ist einegute Initiative, weil sie dafür sorgt, dass sich die Mengeder verschlüsselten Daten insgesamt erhöht. Das mussein wesentliches Ziel sein. Letztendlich können Sieheute alles knacken, aber diese Fähigkeit ist eine knappeRessource, und je mehr verschlüsselte Verkehre es gibt,umso knapper wird die Ressource, diese zu dechiffrie-ren. Insofern brauchen wir möglichst viel verschlüssel-ten Verkehr. Um den Verkehr zu verschlüsseln, brauchenwir mehr Algorithmen, für die andere Dienste oder Län-der keinen Zweitschlüssel haben. Das ist ein ganz wich-tiger Punkt. Wir müssen auf deutsche Forschung unddeutsche Algorithmen setzen.Nicht zuletzt ist es so: Wenn Sie als Endanwendereine E-Mail verschlüsseln wollen, dann brauchen Sie einE-Mail-Zertifikat. Wenn Sie das kostenlos bekommenwollen, gehen Sie in der Regel zu einem amerikanischenProvider. Das ist dann wie bei der Haustür: Sie bekom-men zwar Ihren eigenen Schlüssel, aber wer noch eineKopie davon hat, das wissen Sie nicht. Deshalb solltesich der Ausschuss als Erstes darauf fokussieren, durcheine Initiative dafür zu sorgen, dass jeder Bürger unseresLandes kostenfreie E-Mail-Zertifikate von einer deut-schen Stelle – das kann die Bundesdruckerei oder eineUnternehmensinitiative sein – erhält. Das ist ein wichti-ges Ziel.
Zum Zweiten ist es sehr wichtig – auch da müssen wirkonkret etwas machen –, dass sich die Plattformen einStück weit wieder stärker an den europäischen Gesetzenund dem europäischen Verständnis orientieren. Was hel-fen mir sichere Netze und Abkommen mit irgendwel-chen Staaten, wenn jeder seine intimsten Daten beiGoogle speichert oder sucht, wenn jeder seine privatenDateien bei Dropbox hochlädt und bei Facebook seinegesamte soziale Kommunikation stattfinden lässt?
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Thomas JarzombekDaran wird eine klare Schwäche des StandortsDeutschland deutlich: Hinter all diesen Plattformen ste-hen de facto keine europäischen Unternehmen. Selbstdie in Deutschland gegründeten Unternehmen sind mitt-lerweile keine europäischen Unternehmen mehr. Ich ma-che das an einem ganz konkreten Beispiel deutlich: Esgibt ein Unternehmen aus – ich mag es als Düsseldorferkaum aussprechen – Köln. Diese Firma ist sehr erfolg-reich. Sie hat eine Menge Algorithmen entwickelt, umgroße Datenbestände – Big Data – untersuchbar zu ma-chen. Diese Firma besitzt eine Reihe von Patenten. Siewurde in der ersten Stufe in Deutschland finanziert. Alsdieses Unternehmen auf den Weltmarkt wollte – diesesUnternehmen hat inzwischen eine Finanzierung von13,6 Millionen Dollar –, bekam es Finanzierungsmittelfast ausschließlich im Silicon Valley, weil es hier keineInvestoren gibt. Die Entwicklungsabteilung dieses Un-ternehmens befindet sich zwar immer noch in Köln, aberinzwischen hat es auch ein Büro mit 30 Mitarbeitern inPalo Alto, und es gründet ein weiteres Büro in Boston.Was ist das jetzt für eine Firma? Ist das eine deutsche,eine europäische oder eine amerikanische Firma? Wieverhält man sich in dieser Firma, wenn die NSA anklopftund sagt: „Wir wollen gerne mit euch über Schnittstellenreden“?Hier wird eine Schwäche ganz deutlich. Ich finde esgut, dass Unternehmen aus Deutschland wachsen. Ichfinde es auch gut, dass sie den Sprung auf den amerika-nischen Markt schaffen. Aber dass wir selbst keinWachstumskapital zur Verfügung stellen können, ist eineeklatante Schwäche, ein Nachteil. Daran müssen wir ar-beiten.Beim dritten Punkt geht es um die Frage, welcheschützenswerten Infrastrukturen und Technologien wirhier noch haben. Führen wir uns noch einmal die Dis-kussion über den IT-Airbus und das Problem, dass dieSchnittstellen des Netzes, die Router, mittlerweile fastalle von amerikanischen und chinesischen Unternehmenkommen, vor Augen. Es gibt eine letzte Nische, in der esnoch deutsche Anbieter gibt. Es geht um die Endgeräte,die Router, die bei Ihnen zu Hause stehen. Diese Gerätehaben eine besondere Bedeutung, nicht nur, weil sie dieerste und letzte Linie Ihrer Verteidigung sind, sondernauch, weil diese Geräte bei Ihnen im Wohnzimmer ste-hen und weil sie die neue Schnittstelle für alles sind, wasin der Heimautomation stattfindet. Google hat nicht ganzohne Grund gerade für Milliarden von Dollar die FirmaNest gekauft: um jetzt auf Ihre Thermostate und ich weißnicht was sonst noch alles zugreifen zu können.Wenn wir nicht auch noch diesen, wie ich finde, da-tenschutzrechtlich extrem sensiblen Bereich verlierenwollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die beidenletzten deutschen mittelständischen Unternehmen, dieEndgeräte liefern, zumindest nicht kaputtgemacht wer-den. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag klar festge-schrieben, dass wir uns auch gesetzlich für das ThemaRouterfreiheit starkmachen wollen. Wir wollen, dassniemand, insbesondere keine Kommunikationsunterneh-men, Kunden am Ende zwingen kann, amerikanischeoder chinesische Endgeräte einzusetzen. Das ist, glaubeich, ein wichtiges Thema, das wir gerade jetzt als Erstesadressieren müssen.
Ich freue mich, dass wir die Chancen, die sich durchunseren neuen Ausschuss ergeben, nutzen können. Wirwerden einen guten Dialog mit den Kollegen in den an-deren Ausschüssen, insbesondere im Innenausschuss,führen. Ich glaube, dass wir, wenn wir an diesen Themenarbeiten, einen substanziellen Sprung nach vorne ma-chen werden. Was mich an der Diskussion stört, ist, dasswir zwar sehr lange über die Themen reden, bisher abernur sehr wenig über konkrete Lösungen. Das möchtenwir gerne in Angriff nehmen.Vielen Dank.
Die Kollegin Wawzyniak hat nun das Wort für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke unter-stützt den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in allen Punkten.
Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit, weil wir Frei-heit und Gerechtigkeit miteinander verbinden wollen.
Der Appell der Schriftstellerinnen und Schriftstellerist – das ist außerordentlich begrüßenswert – nicht dereinzige Appell geblieben. Mittlerweile gibt es zum Bei-spiel auch einen Aufruf von Wissenschaftlerinnen undWissenschaftlern gegen Überwachung. Der Appell derSchriftstellerinnen und Schriftsteller hat aus unsererSicht einen ganz zentralen Vorteil: Er macht deutlich,dass die Überwachung nicht allein auf das Handeln derNSA reduziert werden kann. Im Überwachungsbootsitzen Konzerne wie Staaten. Die Kapitäne im Überwa-chungsboot sind die Geheimdienste. Diese werden lo-gischerweise immer alle technischen Möglichkeiten nut-zen, um ihre Informationen zu bekommen. Das liegt imWesen von Geheimdiensten. Dagegen helfen keine Ab-kommen oder gesetzlichen Regelungen, dagegen hilftnur die Auflösung von Geheimdiensten.
Der Aufruf der Schriftstellerinnen und Schriftstellergibt uns als Parlament aber auch einen Auftrag mit. Ichbin davon überzeugt, dass allein der Aufruf an Staatenund Konzerne, das Recht auf Privatsphäre, die Gedan-ken- und Meinungsfreiheit und die Unschuldsvermutungzu respektieren, nicht zu einer Verhaltensänderung führt.
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Halina WawzyniakWir als Gesetzgeber müssen unserer Aufgabe nachkom-men, Staaten und Konzerne mit gesetzlichen Regelungenzu zwingen, diese genannten Rechte einzuhalten.
Deshalb ist es vollkommen richtig und unterstützens-wert, wenn die Grünen in ihrem Antrag fordern, Maß-nahmen zur Wiederherstellung der benannten Rechte zuergreifen.Im Übrigen – das kann nicht oft genug gesagt wer-den –: Der Vorratsdatenspeicherung ist eine endgültigeAbsage zu erteilen.
Jetzt wird es für die Genossinnen und Genossen der So-zialdemokratie interessant: Es ist ein wenig absurd,wenn der Justizminister im Rechtsausschuss ankündigt,er werde, selbst wenn der EuGH die Richtlinie zur Vor-ratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt, einen Ge-setzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung in Deutsch-land vorlegen und damit präventiv Druck für eine neueRichtlinie entfalten. – Demokratie bedeutet eben geradeauch, dass es keinen Generalverdacht gibt und dass eineTotalüberwachung der Kommunikation der Einwohne-rinnen und Einwohner nicht stattfindet. Vorratsdaten-speicherung ist das Gegenteil von Demokratie im digita-len Zeitalter.
Zur Verteidigung der Demokratie im digitalen Zeital-ter sind mehr Maßnahmen erforderlich als die im Antraggenannten, die sich weitgehend auf die Ausspähaffärekonzentrieren. Das Recht auf Anonymität und damit dieMöglichkeit der anonymen Kommunikation darf nichtinfrage gestellt werden. Ein höchstmögliches Daten-schutzniveau in den Voreinstellungen technischer Geräteund sozialer Netzwerke muss Standard werden.Ein Generalverdacht und ein in unseren Augen nichtzu rechtfertigender Eingriff in die Privatsphäre sowie dieKommunikationsfreiheit ist im Übrigen auch die nichtin-dividualisierte Funkzellenabfrage. Auch dieses Überwa-chungsinstrument gehört abgeschafft.
Demokratie im digitalen Zeitalter bedeutet aber auch,dass Menschen verstehen, wie das Internet und Compu-ter funktionieren. Nur wer versteht, wie etwas funktio-niert, kann auch emanzipiert und selbstbestimmt damitumgehen. Wir brauchen also sowohl in Schulen als auchin der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen undLehrern, Polizistinnen und Polizisten, Richterinnen undRichtern sowie Staatsanwältinnen und StaatsanwältenMedienbildung als integralen Bestandteil.
Das eine oder andere Kopfschütteln hervorrufende Urteilder vergangenen Tage wäre uns so möglicherweise er-spart geblieben.
Demokratie im digitalen Zeitalter zu verteidigen,heißt, Einwohnerinnen und Einwohnern überhaupt Zu-gang zum digitalen Zeitalter zu ermöglichen. Demokra-tie hat auch immer etwas mit Informiertheit zu tun. DieBereitschaft, etwas zu verteidigen, was man nicht kennt,dürfte nicht sehr ausgeprägt sein. Da bleibt der Koali-tionsvertrag auf einer ziemlich abstrakten Ebene.
Zwar wird noch erkannt, dass der Breitbandausbau totalwichtig ist, aber die Große Koalition schreibt nicht, wiesie ihn realisieren will. Sie hat ja sogar die entsprechen-den Mittel aus dem Koalitionsvertrag gestrichen. Es fin-det sich kein Wort darüber, dass, wenn jede und jeder ander Möglichkeit des Internets teilhaben können soll, einComputer notwendig ist und dass deshalb ein Computerzum soziokulturellen Existenzminimum gehören muss;andernfalls schließt man Menschen von der Demokratieim digitalen Zeitalter aus.
Demokratie und Teilhabe am digitalen Zeitalter be-deuten auch, Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben;denn nur die gesetzliche Festschreibung der Netzneutra-lität verhindert ein Zweiklasseninternet. Das, was geradeauf europäischer Ebene verhandelt wird, lässt vermuten,dass dort, wo Netzneutralität drauf steht, am Ende nichtNetzneutralität drin ist.Ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie istKlarheit der Rechtsnormen. Insofern sind klare, an dasdigitale Zeitalter angepasste Normen des Urheberrechtsfür alle von Nutzen. Denn durch klare Gesetzgebung istallen erkennbar, was erlaubt ist und was nicht. Das Urhe-berrecht ist an das digitale Zeitalter anzupassen. Um Ur-heberrinnen und Urhebern zu ermöglichen, von ihrer Ar-beit zu leben, und gleichzeitig den Zugang zu Wissenund Kultur für Nutzerinnen und Nutzer zu ermöglichen,brauchen wir ein verändertes Urhebervertragsrecht.
Wir Linke haben in der letzten Legislaturperiode einenumfangreichen Vorschlag zur Novellierung des Urheber-vertragsrechts unterbreitet, der genau das gewährleistenwürde. Wenn Sie mir zustimmen, dass zur Demokratieauch die Möglichkeit gehört, sich zu informieren, dannschaffen Sie endlich die Depublizierungspflicht im öf-fentlich-rechtlichen Fernsehen ab! Wir können es aufeine ganz einfache Formel bringen: Was mit öffentlichenGeldern finanziert wurde, soll auch für alle öffentlichzugänglich sein.
Das müsste dann übrigens auch für die Gutachten desWissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestagesgelten.Beim Aufruf der Schriftstellerinnen und Schriftstellergerät ein wenig aus dem Blick, dass es auch im Internetum die Eigentumsfrage geht. Es sind nicht nur Staatenund ihre Geheimdienste, die die Freiheit des Internets
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Halina Wawzyniakbedrohen, sondern auch Monopole, die sich ihre eigenenGesetze machen und ihre marktbeherrschende Stellungausnutzen. Sie sammeln Daten und können ebenso Be-wegungsprofile erstellen wie staatliche Behörden. Wirmüssen für eine rechtliche Einhegung der Monopole sor-gen. Deshalb fänden wir es gut, wenn genossenschaftli-che und commonsbasierte Initiativen unterstützt würden.Es wäre auch gut, wenn bei der Auftragsvergabe durchöffentliche Stellen konsequent auf Open Source gesetztwürde.Der Titel des Antrages der Grünen lautet: Die Demo-kratie verteidigen im digitalen Zeitalter. – Ich habe be-reits gesagt, dass wir diesen Antrag befürworten. Wennwir es alle ernst meinen mit der Verteidigung der Demo-kratie auch im digitalen Zeitalter, dann sollten wir alsAllererstes bei allen Gesetzen, die hier verabschiedetwerden, eine Demokratievereinbarkeitsprüfung vorneh-men. Gerechtigkeit und Freiheit zusammenzudenken, isteine lohnenswerte Aufgabe, der sich die Linke widmenwird.
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Matthias
Schmidt für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren auf den Zuschauertribünen! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen An-trag der Grünen, der die Intention verfolgt, die Demokra-tie zu verteidigen. In Berlin sagen wir dazu: Das ist auchgut so.
Gestatten Sie mir als neuem Abgeordneten, die letztenWochen ein wenig Revue passieren zu lassen.
– Genau. – Ich habe den Eindruck, dass wir viele leb-hafte Debatten hatten – heute Morgen im Übrigenauch –; das spricht insgesamt dafür, dass die Demokratiein unserem Land intakt ist.
„Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“, wieder Antrag der Grünen betitelt ist, gibt dem Thema jedocheinen anderen Zungenschlag. Der Antrag der Grünen fußt– Frau Kollegin Göring-Eckhardt hat das ausgeführt – aufeinem Aufruf, den 562 namhafte Schriftstellerinnen undSchriftsteller
unterzeichnet haben. Dieser Aufruf hat völlig zu Rechtgroßen Widerhall gefunden. Auch wir begrüßen denAufruf, steht er doch in einer direkten Tradition mitWilly Brandt, der schon vor fast fünf Jahrzehnten ange-fangen hat, mehr Demokratie zu wagen, und das auchumgesetzt hat.
Zu Zeiten Willy Brandts sah die Demokratie verständli-cherweise völlig anders aus: Über ihr lag noch der langeSchatten des Nationalsozialismus. Willy Brandts Inten-tion war es, Licht und Luft an die Demokratie heranzu-lassen. Er wollte Menschen zum Mitmachen bewegen,die Vielfalt des Lebens zeigen und Freude an der Demo-kratie wecken. Bei der Generation meiner Eltern hat erdies in vorbildlicher Weise geschafft.
Er hat es sogar bei meinen Eltern persönlich geschafft;sie haben sich nämlich auf dem Platz hier vor demReichstag inmitten von 750 000 Menschen kennenge-lernt, als sie Willy Brandt zuhörten.
Konrad Zuses Erfindung, den Computer, gab es da-mals schon sehr lange; trotzdem dauerte es bis in die90er-Jahre, bis der Computer die Welt völlig veränderte.Heute haben wir scheinbar grenzenlose Möglichkeiten.Was sich in den letzten Jahren getan hat, ist mit demWort „rasant“ nur sehr unzureichend beschrieben.Wir begreifen aber langsam: Datennutzung bedeutetauch Datenverantwortung. Das richtet sich einerseitspersönlich an uns als Nutzer, andererseits aber auch anden Staat, der den Auftrag hat, uns vor unlauteren Ma-chenschaften zu schützen. Der Aufruf der Schriftstelle-rinnen und Schriftsteller führt uns vor Augen: Wenn unsdies nicht gelingt, ist am Ende sogar die Demokratie ge-fährdet.Über die Demokratie und die Kernelemente, die sieausmachen, könnten wir lange philosophieren. Im Zu-sammenhang mit dem Aufruf sind besonders zu nennen:die Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäreund damit der Schutz der im Privaten geäußerten freienGedanken. Wenn der Kern dieser Elemente angetastetwird, sind wir alle aufgefordert aufzubegehren. Hier imRund sitzen 631 natürliche Verteidiger der Demokratie,die dies jeden Tag mit Leidenschaft tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,dass wir die Intention Ihres Antrags teilen, möchte ich andrei Punkten festmachen. Der Fall Snowden hat uns zumwiederholten Male, aber in völlig neuer Dimension vorAugen geführt, welche Konsequenzen Whistleblowing
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Matthias Schmidt
für den Informanten nach sich zieht. Edward Snowdenhat seine berufliche und private Perspektive in den Ver-einigten Staaten verloren und damit einen sehr hohenPreis für sein couragiertes Handeln bezahlt. Auch inkleinerer Dimension wie beim Gammelfleischskandaloder der Anzeige von Insidergeschäften zeigte sich, dassMenschen ein hohes Risiko eingehen, wenn sie Miss-stände, Korruption oder Skandale anzeigen. Es ist egal,wo sie dies tun: Ob in Unternehmen, Behörden oder inInstitutionen, in allen Fällen verloren sie ihre Arbeits-stellen oder waren anderen Repressalien ausgesetzt.
Diese Fälle machen deutlich: Die vorhandenen gesetz-lichen Bestimmungen schützen Informanten nicht ausrei-chend vor Risiken und Benachteiligungen. Wir brauchenein Gesetz, das diesen Schutz klar und umfassend regelt.Unsere Initiative dazu fand in der letzten Wahlperiodeleider keine Mehrheit.
In der Sache halten wir diesen gesetzlichen Schutz je-doch nach wie vor für dringend geboten und werden diesentsprechend dem Koalitionsvertrag in Angriff nehmen.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen,der mit dem Fall Snowden in enger Verbindung steht,dem Datenschutz. Wir brauchen einen Datenschutz, derden Erfordernissen einer digitalisierten Welt gerechtwird. Dazu gehört zum einen, dass die Datenbeständevon Unternehmen und Privatpersonen vor dem illegalengeheimdienstlichen Zugriff geschützt werden.
Zum anderen gehört dazu aber auch, dass der Transfer per-sonenbezogener Daten EU-einheitlichen und wirksamenDatenschutzrichtlinien unterliegt. Wir brauchen Transpa-renz hinsichtlich der Datenweitergabe an Drittstaaten,ausdrückliche Einwilligungsregelungen sowie angemes-sene Strafen bei Datenschutzverstößen.
Das beinhaltet auch, dass Daten wieder gelöscht wer-den können, um das Selbstverfügungsrecht der Men-schen an ihren Daten zu sichern. Die Fortschritte bei denVerhandlungen auf EU-Ebene zu einer einheitlichen eu-ropäischen Datenschutz-Grundverordnung weisen in dierichtige Richtung; Kollege Reichenbach wird später da-ran anknüpfen.Diese EU-Datenschutz-Grundverordnung muss dannauch Grundlage der Verhandlungen über ein neues Safe-Harbor-Abkommen werden. Das Datenschutzniveau vonnach dem Safe-Harbor-Verfahren zertifizierten Unter-nehmen muss künftig den Standards einer EU-Daten-schutz-Grundverordnung entsprechen, da das Daten-schutzgefälle zwischen einzelnen Mitgliedsländern derEU und den USA offenkundig groß ist. Wir brauchen da-her auf der einen Seite eine Vereinheitlichung nach EU-Recht, auf der anderen Seite ein Abkommen, das bei derDatenweitergabe Datensicherheit auf eben diesem ange-strebten einheitlichen Niveau garantiert.Allein mit der kurzen Darstellung dieser drei Hand-lungsfelder – Whistleblower-Schutz, EU-Datenschutz,Safe-Harbor-Abkommen – wird deutlich: Hier greifen vieleverschiedene Rädchen ineinander und verzahnen sich. Dasist ein komplexes Unterfangen, das sich nicht so einfachin Form einer Punkteliste abarbeiten lässt, so sehr wirdas Anliegen der Schriftstellerinnen und Schriftstellerauch teilen und deren Engagement schätzen. Das lassenSie mich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen, trägt zwar in einigen Punkten auch unsereHandschrift, Ihre Aufbereitung in dem Antrag wird derKomplexität jedoch nicht gerecht.
Wir brauchen eine verantwortungsbewusste, strategischkluge und zielgerichtete Herangehensweise, die Verfah-rensschritte mit politischen Ebenen und Kompetenzenabstimmt. Das haben wir als SPD-Fraktion fest im Blick.Dafür haben wir uns in der Vergangenheit eingesetzt,und das wird sich auch in unserem Regierungshandelnabbilden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Aufrufder Schriftstellerinnen und Schriftsteller sagen:Wir haben verstanden, dass das massenhafte Ausspä-hen privater Daten das Sicherheitsgefühl der Menschenerschüttert. Wir haben verstanden, dass der Eingriff indie Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger das Grund-vertrauen in demokratische Strukturen zerstört. Wir ha-ben verstanden, dass die illegale Überwachung vonMenschen einen inakzeptablen Bruch der Grundrechtedarstellt. Wir haben nicht zuletzt auch verstanden, dassder Schutz der Demokratie vor diesem Hintergrundgebietet, alle notwendigen und möglichen Schritte zuunternehmen, um dem unkontrollierten Zugriff auf diePrivatsphäre des Menschen verbindliche Grenzen zu set-zen.
Das Recht, frei und unbeobachtet Gedanken und Mei-nungen zu äußern, ist eine tragende Säule unserer Ver-fassung. Dem sind wir in unserem Tun als Abgeordneteverpflichtet.
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1128 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014
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Matthias Schmidt
Seien Sie versichert, dass wir den Aufruf der562 Schriftstellerinnen und Schriftsteller sehr ernst neh-men und daraus einen Handlungsauftrag ableiten. DieSPD wird auch im 151. Jahr ihres Bestehens vehementund unverändert für unsere Demokratie eintreten.Herzlichen Dank.
Lieber Kollege Schmidt, ich gratuliere Ihnen herzlichzu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wün-sche Ihnen alles Gute für die weitere parlamentarischeArbeit.
Nun erhält der Kollege Konstantin von Notz das Wortfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf der Tri-büne, Ihr Appell kommt in einer Zeit, in der die Bürger-rechte im Feuer stehen. Er ist ein wichtiges Zeichen ge-gen Ohnmacht und Gleichgültigkeit.
Sie haben zu Recht erkannt: Massenhafte Überwa-chung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächti-gen und zerstört rechtsstaatlich historische Errungen-schaften wie die Unschuldsvermutung. Sie mahnen:Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; undeine Gesellschaft unter … Beobachtung ist keineDemokratie mehr.So ist das.
Wenn wir die Bürgerrechte in der digitalen Welt ver-lieren, verlieren wir sie in allen Lebensbereichen. DerDeutsche Bundestag ist deswegen in der Pflicht, das mitaller Kraft zu verhindern.Dieser Appell ist bei weitem nicht der einzige. Es gibtunzählige Petitionen von Millionen Menschen, geradeauch von DDR-Bürgerrechtlerinnen und -Bürgerrecht-lern, Appelle von Hunderten internationalen Organisa-tionen, Zusammenschlüsse von Professorinnen und Pro-fessoren, Initiativen von Kirchen und Gewerkschaften,Aufrufe von Verbänden und Berufsgeheimnisträgern,Appelle von verschiedensten Wirtschaftsverbänden. Siealle haben eines gemeinsam: Sie zeigen, dass der Unmutüber die Untätigkeit dieser Bundesregierung, die heutehier übrigens nur sehr spärlich vertreten ist, immer grö-ßer und die Debatte nicht nur hier im Parlament, sondernauch gesellschaftlich immer breiter geführt wird.
Es geht hier nicht um die immer wieder bemühte Ab-wägung zwischen Freiheit und Sicherheit. Es geht hierum die anlasslose Massenüberwachung der Bürgerinnenund Bürger und die Frage, ob diese totalitären Überwa-chungsmethoden in einem Rechtsstaat überhaupt zuläs-sig sein können. Wir sagen: Nein.
Herr Kollege Jarzombek, in diesem Zusammenhangsage ich Ihnen: Verschlüsselungstechnologien usw. sindsuper interessant, aber bei diesem Antrag geht es heuteeben auch darum, welche Rolle die deutschen Geheim-dienste spielen.
Deswegen sollte sich Ihre Fraktion endlich dazu beken-nen, dass das für den PUA ein wichtiger Untersuchungs-auftrag ist.
Die traurige Haltung der Union zu diesem Thema ins-gesamt ist ja hinlänglich bekannt. Ich sage nur: „Super-grundrecht“ Sicherheit statt Aufklärung und Verteidi-gung der Bürgerrechte.Im Wahlkampf und in FAZ-Artikeln interessiert sichdie SPD für Aufklärung, Edward Snowden und die Netz-politik. Ich habe gehört, Sie wollen die neue Netzparteiwerden. Ihr sozialdemokratischer Präsident des Europäi-schen Parlamentes, Martin Schulz, schreibt dazu durch-aus zutreffende und erfreuliche Artikel.
Er schreibt frei nach Adorno, die Verdinglichung desMenschen müsse verhindert werden. – Recht hat derMann. Aber das ist die Theorie in der SPD. In der Praxisstimmen die sozialdemokratischen Abgeordneten im EPdann eben gegen einen sicheren Aufenthalt für EdwardSnowden.
Sie streichen sämtliche diesbezüglichen Passagen ausder Beschlussvorlage.
Dabei hat Herr Oppermann, der leider nicht da ist, ex-plizit mit Snowden im Wahlkampf im vergangenen Jahrgeworben. Er hat ihm eine „hohe Glaubwürdigkeit“ be-scheinigt und ihn einen „offenkundig wertvollen Zeu-gen“ genannt. Das war im Wahlkampf. Solche Sätze hörtman von Ihnen jetzt überhaupt nicht mehr. Der KollegeOppermann war es auch, der im Wahlkampf sagte, manmüsse neu und kritisch über die Vorratsdatenspeicherungnachdenken, um anschließend die Einführung ebendie-ser Vorratsdatenspeicherung in den schwarz-roten Koali-tionsvertrag hineinzuschreiben. So geht es nicht. Und sowird es nix mit Ihren bürgerrechtlichen Ambitionen,liebe Freundinnen und Freunde der SPD.
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Dr. Konstantin von Notz
Im Jahr 2010 erklärte das Bundesverfassungsgerichtdie Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung der letztenGroßen Koalition für verfassungswidrig. Das Gerichtentwickelte das Merkmal des „diffusen Gefühls des Be-obachtetseins“. Dieses Gefühl teilen nach dem NSA-Skandal Millionen von Menschen, wenn sie im Netzkommunizieren, sich informieren oder einfach nur ihrHandy dabei haben.Gestern bezeichnete der Präsident des Bundesverfas-sungsgerichts, Voßkuhle, die NSA-Affäre als „sehr un-appetitlich“. Und man hört: Um sich zu schützen, neh-men die Richter in ihre Besprechungen schon seitlängerem weder Handys noch Laptops mit. „Wir sitzenmit Papier und Stift da“, sagt ein Richter des Ersten Se-nats.
Herr Kollege Dr. von Notz, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Binninger?
Selbstverständlich.
Herr Kollege von Notz, wir führen diese Debatte
– wenn auch mit unterschiedlicher Betonung – nun in-
nerhalb der letzten Wochen zum dritten Mal. Ich gebe
Ihnen gerne recht, dass Sie die Probleme in ihrer Drama-
tik zutreffend beschreiben und dass die Auswirkungen
für unsere Demokratie, für das Verhalten der Menschen
mehr als schwerwiegend sind und uns alle besorgt ma-
chen müssen. Ich glaube, da sind wir sehr nahe beieinan-
der.
Es gibt etwas, was mich stört. Ich habe vorhin Ihrer
Kollegin Göring-Eckardt und jetzt auch Ihnen sehr ge-
nau zugehört. Da keine Redner mehr von Ihnen sprechen
dürfen,
muss ich jetzt meine Frage stellen.
Ja, nur zu.
Was ich bei allen Debatten vermisst habe: Neben der
Problembeschreibung und der Zuweisung von Schuld an
die Bundesregierung oder wahlweise die SPD liefern Sie
selber leider keinen einzigen konkreten Vorschlag, was
zu ändern ist. Warum denn nicht? Haben Sie nichts zu
bieten, oder erschöpft es sich in Kritik?
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Kollege Binninger, vielen Dank für die Frage. –
Wir bieten anlassbezogen massenhaft Antworten auf
dieses Problem.
– Ja, ich habe verstanden. Sie fragen nach konkreten
Antworten. – Wir haben Vorschläge ohne Ende gemacht,
wie man auf europäischer Ebene Druck erzeugen kann.
Wir haben gesagt, dass man das SWIFT-Abkommen, das
PNR-Abkommen, das Safe-Harbor-Abkommen aufkün-
digen kann
– natürlich können wir das –, um in eine vernünftige
Verhandlungsposition zu kommen. Ich hege den Ver-
dacht – ich glaube, im Herzen tun Sie das auch –: Dass
die Amerikaner mit einem solchen Schulterzucken auf
unsere Vorwürfe reagieren, hat damit zu tun, dass wir
selbst ein Rädchen in diesem System der anlasslosen
massenhaften Überwachung sind.
Wir wollen das aufklären. Dass wir hier in diesem
Hohen Hause in den letzten Wochen dreimal zu diesem
Thema, wie Sie richtig sagten, gesprochen haben, liegt
eben nicht an der Bundesregierung. Die Kanzlerin hat
sich zu dieser größten Überwachungsaffäre überhaupt
noch nicht verhalten, außer zu sagen: Das geht so nicht.
Sie sind sprachlos. Sie klären nicht auf. Wir haben Vor-
schläge gebracht, und zwar eine Menge. Sie aber agieren
nicht. Sie sind die Bundesregierung. Sie sind in der Ver-
antwortung. Und so geht es nicht.
Noch einmal zum Bundesverfassungsgericht – dann
komme ich zum Ende –: Der Richter des Ersten Senats
sagt ferner, in Telefonaten werde darauf geachtet, keine
Interna preiszugeben. Das zeigt: Selbst Verfassungsor-
gane, selbst unser höchstes Gericht lebt unter dem un-
mittelbaren, nicht nur diffusen, sondern sehr konkreten
Gefühl des Beobachtetseins. Wenn das so ist, meine Da-
men und Herren, dann ist es allerhöchste Zeit, unsere
Freiheit und unseren Rechtsstaat zu verteidigen. Danke
für diesen Appell! Dieses Parlament und diese Bundes-
regierung sind in der Pflicht, endlich zu reagieren. Ich
freue mich sehr darauf, wenn Sie diese Debatte erneut
auf die Tagesordnung setzen, Herr Binninger.
Ganz herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tim Ostermann,CDU/CSU. Bitte sehr.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Mark Twainist das Zitat überliefert:Es ist töricht, sich im Kummer die Haare zu raufen.Noch nie ist Kahlköpfigkeit ein Mittel gegen Pro-bleme gewesen.Wenn man in den letzten Monaten und gerade auchheute die Beiträge aus der Opposition verfolgt hat, dannkann man schon eine Vielzahl an lichten Häuptern er-kennen. Offensichtlich liegt das an der Haarerauferei,die seit Bekanntwerden der NSA-Affäre öffentlichkeits-wirksam betrieben wird.Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Empörungist nachvollziehbar. Auch ich war empört – und bin esimmer noch –, als ich von der Massenüberwachungdurch amerikanische und britische Geheimdienste erfah-ren habe. Das Ausmaß hat mich fassungslos gemacht. Eskommt jedoch ein Punkt, an dem Empörung zu einemHindernis wird. Empörung konzentriert sich nämlich nurauf das Problem. Mark Twain wollte uns mit seinemSinnspruch dagegen mitteilen, dass man Lösungen fin-det, indem man das Problem versachlicht und indemman vor allem eines an den Tag legt: Besonnenheit.Wir sind uns in dem Ziel einig: Die Ausspähungenmüssen unterbleiben. Die Verletzung deutschen Rechtsmuss aufhören. Über das Wie sind wir uns allerdings bis-lang nicht einig. Wir beraten heute einen Antrag derGrünen. Wenn ich den Antrag lese, komme ich zu demErgebnis, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen wenigzielführend sind und nur ein weiteres Ventil der Empö-rung darstellen.
Ich möchte dies an einigen Beispielen deutlich ma-chen: Sie wollen den Generalbundesanwalt anweisenlassen, ein förmliches Verfahren einzuleiten und geheim-dienstliche Straftaten zu verfolgen. Derzeitiger Stand istbekanntlich, dass der Generalbundesanwalt prüft, ob erein formales Ermittlungsverfahren aufnimmt. Dem Ver-nehmen nach wird er in der nächsten Woche eine Ent-scheidung verkünden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir soll-ten darauf vertrauen, dass der Generalbundesanwalt dierichtige Entscheidung trifft,
eine Entscheidung, die vor allem auf der Grundlage ju-ristischer Überlegungen getroffen werden muss.
Daher sind konkrete Anweisungen der Bundesregierungan Herrn Range wenig sinnvoll, weder in die eine nochin die andere Richtung.Sie wollen die USA vor dem UN-Menschenrechts-ausschuss mit einer Staatenbeschwerde belegen. DieseBeschwerde ist, seit sie 1966 eingeführt wurde, noch vonkeinem Staat erhoben worden – nicht ein einziges Mal.Tagtäglich gibt es auf unserem Planeten schrecklicheund grausame Menschenrechtsverletzungen. Und Siewollen dieser Verfahrensart ausgerechnet wegen Aus-spähaktivitäten zur Premiere verhelfen. Und dann auchnoch gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.
Auch das ist für mich ein klarer Fall von Empörungs-politik. Das ist kopfloser Aktionismus.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, wir sollten uns stattdessen auf Lösungen kon-zentrieren. Ich sehe hier drei Ansätze:Erstens. Wir müssen unseren Verbündeten weiterhinmit aller Vehemenz klarmachen, dass auch sie sich aufdeutschem Boden an deutsches Recht zu halten haben.Eines muss dabei aber auch klar sein: Tragfähige Lösun-gen können wir nur mit den Amerikanern und Briten zu-sammen erreichen, aber nicht gegen sie. Das ist das Ein-maleins der internationalen Beziehungstheorie.Zweitens. Wir müssen auch auf Ebene der EU und derUN für unsere Vorstellung von Netzpolitik eintreten.Entscheidend ist dabei die Frage: Für welche Netzpolitikstehen wir überhaupt? Sie ist aus meiner Sicht noch nichtbefriedigend beantwortet worden. Ebenfalls unbeant-wortet ist die Frage nach der normativen Ausgestaltungder Netzpolitik. Wie genau sollen die Regeln aussehen,die Freiheit und Sicherheit in der richtigen Balance hal-ten? Aber selbst wenn wir Regeln aufstellen, bleibt im-mer noch die Frage, wie wir diese durchsetzen wollen.Und dies führt mich zu meinem dritten Punkt, dentechnologischen Kapazitäten. Mit ein Grund für diegroße Empörung über die Ausspähung ist doch der Um-stand, dass wir von ihr kalt erwischt worden sind. Wirwaren offensichtlich nicht vorbereitet. Die Ausspähakti-vitäten haben uns vor Augen geführt, dass in Deutsch-land technologisch ein Nachholbedarf besteht. Dass wirzum Aufholen in der Lage sind, steht für mich außerZweifel. Sie werden mir beipflichten, dass wir Deutschemit die besten Autos in der Welt bauen, ich meine sogar:die besten. Trotzdem müssen deutsche Autobauer aufSoftware und Betriebssysteme amerikanischer Firmenzurückgreifen.
Oder nehmen Sie das Beispiel Maschinenbau: DeutscheFirmen gehören zu den Weltmarktführern. Die wesentli-chen Komponenten für IT und Telekommunikation, diesie verwenden, kommen aber nahezu allesamt aus den
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Dr. Tim OstermannUSA, China oder Korea. Hier besteht ein Ungleichge-wicht, das wir bisher ignoriert haben.Während wir mit unseren Partnern verhandeln, wer-den andere Länder ihre Algorithmen und Trojaner nichteinmotten. Mit diesen Staaten sind Verhandlungen vonvornherein aussichtslos und zum Scheitern verurteilt.Wir müssen auf diese Bedrohung umgehend reagieren.Damit meine ich nicht, dass wir nun zur Gegenspionageansetzen sollten –
oder überhaupt könnten. Aber eine gewisse Robustheitgegen Angriffe von außen darf und muss schon sein.Den Ausbau unserer technologischen Abwehrfähig-keit haben wir selbst in der Hand. Ich denke da etwa andie Stärkung des BSI – auch in finanzieller Hinsicht –,die verstärkte Bereitstellung von Forschungsmitteln,aber auch an die Formulierung einer neuen, an die He-rausforderungen der digitalen Welt angepassten Sicher-heitsstrategie.Ich bin mir sicher, dass die digitale Agenda, die dieBundesregierung bis Sommer vorlegen wird, Antwortengeben wird.
Ebenso bin ich davon überzeugt, dass der Untersu-chungsausschuss, den wir einsetzen werden, Antwortenformulieren wird.Ohne wildes Haareraufen und symbolische Empö-rungspolitik, dafür sachlich und besonnen, so müssenwir diese Aufgabe angehen.
Vielleicht wird dann auch deutlicher, was sich hinter derSpähaffäre aus meiner Sicht vor allem verbirgt: einWeckruf an uns, ein Weckruf, der dazu führen muss, un-seren digitalen Rückstand aufzuholen.Vielen Dank.
Herr Kollege Dr. Ostermann, das war Ihre erste Rede
im Deutschen Bundestag. Ich beglückwünsche Sie dazu
und wünsche Ihnen viele weitere erfolgreiche Reden.
Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Petra Pau, Die
Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieLinke fordert seit Monaten eine zügige, umfassende undöffentliche Aufklärung aller Umstände des sogenanntenNSA-Datenskandals; meine Kollegin Halina Wawzyniakhat es bereits gesagt. Deshalb unterstützt die Linke auchden vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.
Der NSA-Skandal ist der bislang größte Angriff aufBürgerrechte und Demokratie in der Geschichte derwestlichen Zivilisation. Im Bundeskanzleramt müssteneigentlich alle Alarmglocken schrillen. Aber da herrschtGrabesstille. Die Linke hat dafür überhaupt kein Ver-ständnis.
Dass massiv gegen verbriefte Bürgerrechte verstoßenwurde und wird, liegt auf der Hand. Dazu gehören dasPostgeheimnis ebenso wie der Datenschutz. Ausgehöhltwerden zudem der Rechtsstaat, die Pressefreiheit und dieSchweigepflicht von Ärzten oder Geistlichen sowie an-deres mehr. Das Grundgesetz wird nicht verteidigt, son-dern entwertet. Ich frage Sie: Kann es einen größerenErnstfall geben? Ich glaube, kaum.
Erinnern wir uns: Im Volkszählungsurteil hatte dasBundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informa-tionelle Selbstbestimmung und damit den Datenschutzbegründet. Im Urteil hieß es sinngemäß: Bürgerinnenund Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wis-sen können, wer was über sie weiß, sind als Menschnicht mehr souverän. Wer als Mensch nicht mehr souve-rän ist, kann auch als Bürger kein Souverän sein. EineDemokratie ohne Souveräne ist aber undenkbar.
Niemand kann heute mehr wissen, wer was über sie oderihn weiß. Um diese Dimension geht es hier, um die Be-drohung der Demokratie. Das wiederum darf keine Par-tei hier im Bundestag einfach aussitzen.Ich konstatiere: Das Internet und die Geheimdienstesind zu einer unheiligen Allianz verkommen. Schonwird öffentlich über das Ende des Internets philoso-phiert. Die Freiheit des Internets und geheime Dienstewidersprechen sich. Also muss man sich entscheiden.Die Linke sagt: für das Internet und gegen Geheim-dienste.
Denn das ist die zweite große Dimension des NSA-Skandals: die Freiheit des Internets als soziale, kulturelleund wirtschaftliche Grundlage der Zukunft. Ein gehei-mes Antispionageabkommen zwischen Geheimdienstenist dafür ein Witz ohne Lacher.
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1132 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014
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Petra PauDas taugt vielleicht für die nächste James-Bond-Folge,aber nicht für das richtige Leben.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michelle
Müntefering, der ich hiermit das Wort erteile.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Eine Bemerkung vorab: Ich bin gerade etwas mehr als100 Tage hier, und das ist meine erste Rede an diesemPult. Ich habe mich aber im Plenarsaal umgesehen. Indiesen kleinen Schubladen vor Ihnen kann man nicht nurgut Bonbonpapiere verschwinden lassen, sondern darinfindet sich auch das vielleicht stärkste Stück deutscherDemokratie. Darin liegt ein Buch, so groß wie eine Post-karte, das Stück Papier, das nichts von seiner Kraft undvon seiner Stärke eingebüßt hat seit dem Tag, an dem esvon unseren Müttern und Vätern verabschiedet wurde;ich müsste wohl eher sagen: von unseren Großmütternund Großvätern. Das Grundgesetz zu beschützen, dazuhaben wir uns gemeinsam verpflichtet. Um nichts weni-ger geht es auch in dieser Debatte heute hier: die Demo-kratie verteidigen im digitalen Zeitalter.
„Ungefährdet ist Demokratie nie“ – so formulierte esHeinz Westphal, ehemals Bundestagsvizepräsident undAbgeordneter meiner Heimatstadt Herne. Er sprach ausden Erfahrungen einer anderen Zeit, einer Zeit fernabder Demokratie, die uns ewig Mahnung bleiben muss,auch meiner Generation. Heute ist Demokratie inDeutschland – bei allen Abstrichen – ein gelungener Teilunseres Zusammenlebens. Ungefährdet jedoch ist sieauch heute nicht, auch nicht in einer veränderten, in ei-ner digitalisierten Welt. Das gilt insbesondere mit Blickauf Möglichkeiten der Überwachung, der Aufzeichnung,Speicherung und Analyse durch die von Menschen ge-machten Maschinen. Das hat uns Edward Snowdenschmerzvoll vor Augen geführt.Dass zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftstellerjetzt aufschreien: „Ein Mensch unter Beobachtung istniemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Be-obachtung ist keine Demokratie mehr“, muss uns zumHandeln bewegen. Aufklärung muss der erste Schrittsein. Für diese Aufklärung allerdings gilt der Satz einerdeutschen Schriftstellerin, die diesen Aufruf nicht mehrunterzeichnen konnte, Ingeborg Bachmann: „Die Wahr-heit ist dem Menschen zumutbar.“Als Parlamentarier brauchen wir den Mut, den Men-schen nichts vorzumachen und uns selbst auch nicht.Meine Generation ist mitten in die digitale Revolutionhineingeboren. Die Schallplattensammlung tragen wirtäglich im Handy mit uns herum. Wir zoomen Bild-schirme per Fingerzeig, und wir fragen nicht nach demWeg, sondern programmieren das Navigationssystem.Wenn wir Fragen stellen, dann antworten manchmalauch Wikipedia oder Siri; das ist die digitale Gesprächs-partnerin aus dem iPhone.Aber Digitalisierung ist viel mehr. Sie verändert wirt-schaftliche Zusammenhänge. Sie eröffnet neue Ge-schäftsmodelle, sie wirkt sich auf das staatliche Handelnaus, und sie reicht auch tief in die Privatheit des Einzel-nen. Wir sind in der Verantwortung dafür, ob wir unserWissen für ein selbstbestimmtes Leben und für den Fort-schritt nutzen, ob wir die Chancen erkennen und die Ri-siken in den Griff kriegen.
Unsere Aufgabe ist es, wieder eine Balance zwischenFreiheit und Sicherheit zu finden. Das geht; das kannman hinkriegen.Es ist offensichtlich: Der Missbrauch durch Geheim-dienste, auch durch Unternehmen und staatliche Institu-tionen hat zu großem Vertrauensverlust geführt. Wennich schon von Generationen spreche: Nicht nur meineGeneration hat in den letzten Jahren einen tiefen Vertrau-ensverlust in Bezug auf demokratische Prozesse, rechts-staatliches Handeln und den Primat der Politik erlitten.Doch gerade für die jungen Menschen im Land ist dietiefe Bindung zwischen Deutschland und den USAlängst nicht mehr selbstverständlich, auch nicht selbsterlebt. Weil aber Amerika nicht nur in der Beziehung zuDeutschland ein besonderes Land ist, muss man es an-sprechen: Es gibt sie noch, die Hoffnung auf die Zukunftder Demokratie. Deswegen ist es fatal, wenn diese Hoff-nung Risse bekommt.Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat andieser Stelle ein Völkerrecht für das Internet gefordert.Ich will einen Schritt weitergehen: Es braucht multilate-rale Verabredungen darüber, wie man miteinander um-geht, und darüber, was man nicht tut.
Eine Cyberrechtskonvention etwa müsste von Deutsch-land aus in der Welt vorangetrieben werden. Sie könntevon anderen Ländern – nicht nur in Europa – unterstütztund ratifiziert werden. Das wäre ein Schritt in die rich-tige Richtung.Wir müssen darauf achten, dass sich in einer digitali-sierten Welt ein Ideal nicht durchsetzt: „Je berechenba-rer, desto gesünder, effizienter und funktionsfähiger derMensch“; denn das können unsere Großväter und Groß-mütter nicht gemeint haben mit „Die Würde des Men-schen ist unantastbar“. Das Grundgesetz verbietet es,den Menschen zum Informationsobjekt zu machen.
Die Herausforderungen stammen aus der analogenWelt; aber sie sind geblieben. Es gilt, sie zu übertragen.Wir müssen darüber entscheiden, wie ein digitaler Marktauch ein demokratiekonformer Markt sein kann, wie derStaat die Rechte der Bürger auch im weltweiten Netz ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 1133
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Michelle Münteferingwährleistet, wie Eingriffe in die Privatsphäre geahndetwerden. Dann kann es gelingen, die Demokratie in derdigitalisierten Welt nicht bloß zu verteidigen, sondern siedurch Mitbestimmung, Aufklärung und Bildung für eineneue Generation, für eine digital mündige Generation zustärken.Deswegen noch ein paar Worte zu den Forderungender Bündnisgrünen. Ja, wir müssen Menschen schützen,die ihr Leben einsetzen, um Rechtsstaatlichkeit zu be-wahren. Diejenigen, die Grundrechte verletzen, müssensich erklären und verantworten. Ein Parlament, dasGrundrechte schützen soll, muss auch über Risiken infor-miert sein. Hier gilt es aber auch, unseren selbstgewähltenVertretern im Parlamentarischen Kontrollgremium zuvertrauen. Bezüglich der Vorratsdatenspeicherung kannman Minister Maas nur unterstützen, die Unterscheidungdes EuGH jetzt abzuwarten.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie erweckenhier den Eindruck, als würden wir nichts oder das Fal-sche tun. Aber wir haben einen ersten Schritt gemacht– wir haben einen NSA-Untersuchungsausschuss einge-setzt –, und einen zweiten Schritt machen wir mit demEinsetzen des Ausschusses Digitale Agenda. Einen drit-ten machen wir mit der Überführung der Stiftung Daten-schutz in die Stiftung Warentest, und einen vierten, in-dem wir auch Datenschutz und Bürgerrechte vor demHintergrund eines Marktwächters „digitale Welt“ stär-ken.Ich sage Ihnen auch, wo in Ihrem Antrag Verbesse-rungsbedarf besteht: Auf dem verbraucherpolitischenAuge nämlich ist er blind. Der Bürger als Verbraucherwird in Ihrem Antrag kein einziges Mal erwähnt. Es sindaber die Verbraucher, die Bücher, Filme und Reisen imInternet kaufen, die über das Netz private Beziehungenpflegen und ihrem Computer sensible Daten anvertrauen.Sie müssen wir vor Missbrauch schützen. Deswegen musses zukünftig auch eine gesetzliche Regelung dazu geben,dass Unternehmen, die etwa im Scoringverfahren mitDaten handeln, verpflichtet werden, gegenüber einer Be-hörde anzuzeigen, welche Daten sie verwenden. Hier istder Gesetzgeber gefordert.Klagen und Anklagen stellen nicht Vertrauen wiederher. Verbraucherbildung, Verbraucherinformation undVerbraucheraufklärung kommen bei Ihnen jedoch über-haupt nicht vor.Techniken zum Schutz der Privatsphäre zu fördern,kann ein richtiger Ansatz sein; ganz sicher werden derverstärkte Einsatz von Verschlüsselungstechniken, hoheDatenschutzstandards und eine Technikfolgenabschät-zung für Infrastrukturen wichtiger.Klare Regeln braucht es ebenfalls: Persönliche Datenzu missbrauchen, muss ebenso bestraft werden, wie eineTonne mit Chemikalien in den Wald zu schmeißen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zutun im digitalen Zeitalter, auch wenn wir dem Antrag derBündnisgrünen heute so nicht zustimmen. Wir werdenaber im Ausschuss noch im Detail darüber sprechen, mitwelchen Mitteln wir unsere Demokratie im digitalenZeitalter verteidigen. Einen ersten Aufschlag hat dieGroKo gemacht.Ich freue mich, dass ich mithelfen darf, bedanke michfür Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit einem tradi-tionell analogen Gruß aus meiner Heimat, dem Berg-mannsgruß: Glück auf!
Kollegin Müntefering, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ih-
nen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit.
Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Im Kern dreht sich die heutige Debatte nichtnur um das völlig inakzeptable Vorgehen einiger Nach-richtendienste, sondern um eine der zentralen Herausfor-derungen des 21. Jahrhunderts: Wie können wir unserenationalen Rechte in einer globalen Ordnung verankernund sie gleichzeitig von der realen Welt in eine grenzen-lose und sich stetig weiterentwickelnde digitale Weltübertragen?Als Antwort auf diese komplexe Frage gibt unser Ko-alitionsvertrag als Ziel ein „Völkerrecht des Netzes“ aus,um den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger auchim grenzenlosen Internet Geltung zu verschaffen. DiesesZiel ist im Grundsatz absolut richtig. Natürlich brauchenwir auch im Internet verlässliche Regeln, die dem Ein-zelnen den Schutz seiner Grundrechte, den Schutz vorKriminalität, staatlicher Willkür oder unternehmeri-schem Missbrauch sichern. In diesem Punkt herrscht Ei-nigkeit. Wir diskutieren heute also nicht über das Ziel,sondern über den richtigen Weg dorthin.Wenn man den Maßnahmenkatalog des Antragsdurchliest, bekommt man den Eindruck, Deutschlandsolle diesen schwierigen Weg unbedingt allein gehen. Eswird unter anderem gefordert, dass die USA sich vordem UN-Menschenrechtsausschuss verantworten sollenund dass Großbritannien auf EU-Ebene mit einem Ver-tragsverletzungsverfahren überzogen wird. Ich kann verste-hen, dass man angesichts der schwerwiegenden Vorwürfeund des unannehmbaren Verhaltens hart durchgreifenmöchte. Diese Maßnahmen sind langfristig aber nichtzielführend.Ein „Völkerrecht des Netzes“, das diesen Namen ver-dient, werden wir niemals gegen die USA und Großbri-tannien durchsetzen können, sondern nur gemeinsam mitihnen.
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1134 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014
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Andrea LindholzMan darf nicht vergessen, dass Länder wie Russlandoder China dieses Thema ganz anders beurteilen.Natürlich müssen wir Amerikanern und Briten klar-machen, dass der Rechtsstaat im digitalen Zeitalter nichtan Landesgrenzen aufhört und dass wir die aktuellenVorkommnisse auf das Schärfste verurteilen. Das Inter-net darf für niemanden ein rechtsfreier Raum sein.Die Bundesregierung lässt dem Generalbundesan-walt zu Recht freie Hand bei der Entscheidung, ob einErmittlungsverfahren eröffnet wird. Allein mit deut-schem Strafrecht aber – das ist unabhängig vom Ergeb-nis seiner Prüfung – werden wir die Bürgerrechte im glo-balen Netz nicht schützen.Bereits in der Debatte im November wurden an dieserStelle einige Aufgabenfelder für uns aufgezeigt. InDeutschland muss das IT-Sicherheitsgesetz verabschie-det werden und müssen Sicherheitslücken in unsererIT-Infrastruktur konsequent geschlossen werden. Aufeuropäischer Ebene müssen wir die EU-Datenschutz-Grundverordnung gewissenhaft umsetzen. InnenministerFriedrich hat erst in dieser Woche im Innenausschuss ge-äußert: Sie muss sitzen.
– Entschuldigung! Danke. Innenminister de Maizière.Die Rede von US-Präsident Obama zur NSA-Affärevom 17. Januar war kein Grund zum Jubeln. Obama hataber öffentlich anerkannt, dass einer demokratischen Na-tion wie den USA die Bürgerrechte anderer Nationennicht gleichgültig sein dürfen. Die US-Regierung siehtendlich Handlungsbedarf. Im Kongress und in der Be-völkerung wird die Kritik an den eigenen Diensten im-mer lauter. Diesen Prozess des Umdenkens müssen wirvorantreiben. Die bisherigen Interventionen der Bundes-regierung haben dazu sicherlich beigetragen.Wenn wir aber nun, wie im Antrag gefordert, die be-stehenden Abkommen mit den USA einseitig aufkündi-gen, dann frieren wir den laufenden Dialog ein.
Das seit 2010 diskutierte Datenschutzabkommen zwi-schen der EU und den USA wäre dann endgültig hinfäl-lig. Die bestehenden Abkommen – darin sind wir unsdoch einig – sollen reformiert und ausgebaut werden.Auch in den Beratungen zum Freihandelsabkommen mitden USA muss der Datenschutz neben vielen anderenFragen, die dort zu klären sind, eine zentrale Rolle spie-len. Solche Verträge zwischen der EU und den USA sinddoch der beste Ansatz, um unsere Standards in den USAnachhaltig zu verankern. Würden wir den Forderungenim Antrag folgen, gefährdeten wir die notwendigen Ver-handlungen. Deswegen ist dieser Antrag abzulehnen.Der Antrag enthält aber auch obsolet gewordene For-derungen. Die Kontrolle der deutschen Geheimdiensteobliegt dem Parlamentarischem Kontrollgremium. Zu-dem werden wir den NSA-Untersuchungsausschuss ein-setzen. Wir hoffen, damit neben Transparenz auch fürAufklärung zu sorgen.Ich möchte an dieser Stelle auf die grundsätzlicheNotwendigkeit von handlungsfähigen Geheimdienstenhinweisen. Diese Meinung teilt im Übrigen auch EdwardSnowden. Er hat in einem Internet-Chat geschrieben:Nachrichtendienste müssen eine Rolle spielen. DieLeute auf der Arbeitsebene bei NSA, CIA oder je-dem anderen Mitglied der nachrichtendienstlichenGemeinschaft sind nicht unterwegs, um euch zukriegen. Es sind gute Leute, die versuchen, dasRichtige zu tun.Ich plädiere daher dafür, die Diskussion über Bürger-rechte im Netz auf eine strategische Weise zu führen.Letztendlich bringt uns das beste Abkommen nichts,wenn es nur bilateral geschlossen oder auf der Entschei-dungsebene ignoriert wird.Rechtsstaatliche Werte müssen in einer Demokratiefür Entscheidungsträger selbstverständliche Grundlageihres Handelns sein. Wir brauchen einen fundamentalenKulturwandel im Umgang mit dem Internet und unserendigitalen Möglichkeiten auf allen Ebenen. Wir müssenauch erkennen: Je mehr Bereiche unseres Alltages wir indas Internet verlagern, desto dringender werden natür-lich Fragen nach dem Verhältnis von Sicherheit undFreiheit im Netz. Wer die Vorratsdatenspeicherung nichteinführen will – wir werden dazu in der nächsten Wochesicherlich noch Diskussionen in diesem Hause führen –,muss den Opfern und Angehörigen bei schweren Strafta-ten und Gefahr für Leib und Leben erklären, warum erdiese Vorratsdatenspeicherung ablehnt.
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik stieg die Internet-kriminalität allein im Jahr 2012 um fast 8 Prozent. DieDelikte aus dem Bereich „Datenveränderung, Compu-tersabotage“ nahmen um 134 Prozent zu. Die Dunkelzif-fer dürfte noch höher sein; denn bekanntermaßen werdenviele Verbrechen im Internet, in der digitalen Welt garnicht erst zur Anzeige gebracht.Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten derselbenMedaille. Es gibt keine echte Freiheit im weltweitenNetz, wenn dort das Recht des Stärkeren herrscht, egalob es ein Geheimdienst, ein Wirtschaftsunternehmenoder ein einzelner krimineller Hacker ist. Nur gemein-sam können wir internationale Lösungen finden – nurmiteinander, nicht gegeneinander –, um unsere bürgerli-chen Grundrechte, so wie es im Antrag gefordert wird, inder digitalen Welt zu verankern.
Der Kollege Gerold Reichenbach hat für die SPD-Fraktion das Wort.
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Es tut mir leid. Ich gratuliere Ihnen gern zu Ihrer ers-ten Rede, wenn das so ist. Der Präsident hat mir leiderkeine entsprechende Nachricht hinterlassen.
– Ich wurde gerade darauf aufmerksam gemacht. Danngratuliere ich zur zweiten Rede.
Allerdings wollen wir das nicht zur Regel werden las-sen, weil wir sonst nicht mit der Tagesordnung durch-kommen.Gerold Reichenbach hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Schriftsteller auf der Tribüne, Sie haben mitIhrem Apell auf ein grundlegendes Problem aufmerksamgemacht, dem wir als Parlamentarier, als Staat und alsGesellschaft beim Eintritt in dieses neue digitale Zeital-ter gegenüberstehen. Auch der Präsident des Europäi-schen Parlaments, unser Spitzenkandidat für die Europa-wahl, Martin Schulz – das ist ja schon erwähnt worden –,hat in dieser Woche in einem beeindruckenden Aufsatzdas totalitäre Potenzial des Internets und der digitalenRevolution deutlich gemacht. Er hat das treffend be-schrieben: Wir stehen vor großen Herausforderungen. –Übrigens, lieber Herr Konstantin von Notz, bei allemBemühen, sich in der Opposition zu profilieren, solltenSie hier nicht wahrheitswidrig behaupten, die SPD-Ab-geordneten hätten im Europaparlament gegen die sichereAufnahme von Snowden gestimmt. Sie haben dafür ge-stimmt.
Die Möglichkeiten und Vorteile dieser neuen, digita-len Ära, von der viele sagen, sie werde prägender seinals die industrielle Revolution, sind vielfältig. Sie betref-fen den Wirtschaftsbereich, das Privatleben, die alltägli-che Lebensführung, und die Möglichkeiten werden nochimmens steigen. Die Kehrseite dieser Medaille aber ist,dass wir die Netze und ihre Nutzer besser schützen müs-sen; das ist eine wachsende Erkenntnis. Trotz dieser Er-kenntnis, die schon oft, zuletzt in der Enquete-Kommis-sion „Internet und digitale Gesellschaft“, thematisiertwurde, haben uns die Offenbarungen von Snowden einStück weit erschreckt. Das ist unter anderem Anlass fürdie heutige Debatte. Es geht um den Umgang mit Daten-kraken wie Google und Facebook, und es geht um dieGefahr für unsere Demokratie, die von undurchsichtigagierenden und unkontrollierten Nachrichtendienstenund von der Zusammenarbeit zwischen beiden ausgeht.Um es grundlegend zu formulieren: Es geht um unserDemokratieverständnis in einem digitalen Zeitalter. Esgeht darum, wie wir den Anspruch des Grundgesetzes– die Kollegin Müntefering hat es formuliert – auch imdigitalen Zeitalter umsetzen.Dem Grundgedanken, dass der Staat die Bürgerinnenund Bürger grundsätzlich schützen muss und dass umge-kehrt der Bürger grundsätzlich vor der Übermacht desStaates geschützt werden muss, folgt jetzt die Erkennt-nis, dass dies bei weitem nicht reicht, dass es auch umden Schutz der Daten im privaten und im persönlichenBereich geht. Dies gilt insbesondere im Verhältnis priva-ter Organisationen und Wirtschaftsunternehmen zum In-dividuum. Denn viele Daten, die die Nachrichtendienstenutzen – ich habe es angesprochen –, haben sie gar nichtselbst erhoben. Vielmehr greifen die Dienste, teilweisesogar auf legalem Wege, auf Daten zurück, die privateWirtschaftsunternehmen en masse sammeln. Da ist es,liebe Kollegen von der CDU, auch nicht damit getan, zusagen, jeder wisse, welche Daten er ins Interstellt stellt.Niemand wusste, welche Daten die berühmte App„Angry Birds“, die man gerne benutzt hat, um zu spie-len, auf dem Smartphone abgreift und wohin diese Datengehen. Niemand wollte diese Daten bewusst für andereins Netz stellen. Die Leute, die die App benutzt haben,wollten nur spielen; sie haben nicht mitbekommen, dasssie sowohl von dem App-Produzenten als auch von derNSA bis ins letzte Detail ausspioniert worden sind. Da-vor gilt es die Menschen in Zukunft zu schützen.
Die Intention der Wirtschaftsunternehmen für ihreDatensammelwut ist die gleiche wie die der Nachrich-tendienste, nämlich die Kontrolle über das Individuum.Deswegen ist diese Agglomeration auch so gefährlichfür unsere Demokratie. Bei den einen geht es um das In-dividuum als Wirtschaftsobjekt, als Marktteilnehmer;bei den anderen geht es um das Individuum als Staats-bürger und als potenzieller Gefährder. Das hat Konse-quenzen weit über die Grenzen des Staates hinaus. Denndie zunehmende Entgrenzung, die der digitalen Entwick-lung zu eigen ist und die zum Teil auch ihre Vorteile aus-macht, ist gleichzeitig die neue Herausforderung. Daten-schutz ist heute nicht mehr nur eine Frage des Schutzesvon Persönlichkeitsrechten, sondern auch eine Frage dernationalen Sicherheit und der nationalen Souveränität.
Wenn Staaten die Fähigkeit verlieren, sich schützend vorihre Bürger zu stellen, egal ob gegenüber dem Ausspio-nieren durch fremde Mächte oder gegenüber dem An-spruch international agierender Konzerne, sich nichtmehr an deutsches oder europäisches Recht halten zumüssen, dann verlieren sie langfristig ihre Legitimation.Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir ste-hen.
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Gerold ReichenbachWir alle wissen: Das den Staaten zur Verfügung ste-hende Zoll- und Grenzregime ist in der digitalen Zeitwirkungslos geworden. Wir müssen uns einmal an-schauen, was die eigentliche Qualität dessen ist, wasSnowden offenbart hat. Bei aller Schwere des Vorgangsist es dennoch nicht die Tatsache, dass das Handy derKanzlerin und die Handys von Regierungsmitgliedernausspioniert wurden. Solche Abhöraktionen kennen wirschließlich aus den letzten Jahrhunderten.
Die eigentlich neue Qualität ist, dass aufgrund der erho-benen Daten amerikanische Behörden in einer Art und ineinem Umfang Kontrolle über die Bürger der Bundes-republik Deutschland erlangt haben, wie dies frühernoch nicht einmal möglich war, wenn man militärischeinmarschiert ist und das Land besetzt hat. Das ist die ei-gentlich neue Qualität, der wir gegenüberstehen. Mankönnte es sogar auf die Spitze treiben und sagen: Im di-gitalen Zeitalter verliert zum Teil sogar das Militärischeseine Schutzfunktion.Demokratie bedeutet für uns vor allem die Freiheitdes Einzelnen. Sie kann aber nur fortbestehen, wenn wires als Staat schaffen, die Integrität der informationstech-nischen Systeme, die zum Teil Abbild der Persönlichkeitund der eigenen persönlichen Ausdrücke, Empfindun-gen, Regungen und Beziehungen sind, zu schützen, wasdurch das Grundgesetz und die Urteile des Bundesver-fassungsgerichts zur Volkszählung, zur Vorratsdaten-speicherung und zu den sogenannten Bundestrojanern si-chergestellt werden soll. Das ist die eigentliche Aufgabe,dir vor uns liegt. Ich sage auch – durchaus konform mitkritischen Stimmen –: Das werden wir nicht schaffen, in-dem wir die Überwachung weiter ausdehnen. Wir dürfennicht nur kritisieren, was andere an Kontrolle und Über-wachung anstreben, sondern müssen auch zwischen derEinengung der Freiheit und einer gebührend umfassen-den Sicherheit qualitativ abwägen. Mit dieser Abwägungwerden wir uns jeden Tag befassen müssen. Das gehtnicht mit einem ideologischen Ja oder Nein. Dafür istdieser Abwägungsgegenstand viel zu schwierig.
Kollege Reichenbach, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung der Kollegin Wawzyniak?
Ja, klar.
Kollege Reichenbach, ich möchte Sie direkt fragen.
Sie haben gerade über das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts gesprochen. Wie, denken Sie, soll das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingehalten
werden, wenn der Justizminister, wie im Rechtsaus-
schuss angekündigt, selbst bei einer Unzulässigkeit der
Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ein deutsches
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen möchte,
und zwar präventiv, bevor eine neue EU-Richtlinie vor-
liegt, um mit diesem Gesetz auf eine neue Richtlinie
Einfluss zu nehmen? Ich frage Sie: Wie wollen Sie das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung sicherstel-
len, wenn ohne EU-rechtliche Grundlage die Vorratsda-
tenspeicherung in Deutschland eingeführt werden soll?
Liebe Halina, die umständliche Art und Weise, wie dudeine Frage formulieren musstest, zeigt mir eigentlichschon, dass du Heiko Maas offensichtlich falsch verstan-den hast.
Er hat nicht gesagt, dass er für den Fall, dass die Richtli-nie für unzulässig erklärt wird, ein Gesetz vorbereitenwird. Das ist völliger Unsinn.
Wenn der Europäische Gerichtshof sagt, dass die Richtli-nie als Ganze mit den europäischen Menschenrechtennicht vereinbar ist, dann wird ein Rechtsstaat wie dieBundesrepublik Deutschland nicht hingehen und sagen:Aber wir machen trotzdem ein Gesetz, das auf dieserRichtlinie basiert. – Das wäre ja geradezu rechtswidrig.Das steht gar nicht zur Debatte.
Die Frage ist am Ende: Wie urteilt der EuropäischeGerichtshof? Welche Teile der Richtlinie werden aufge-hoben? Welche Teile haben weiterhin Bestand? Gibt esweiterhin – und darum geht es im Koalitionsvertrag –eine Umsetzungspflicht? Oder: Ist durch das Urteil desEuropäischen Gerichtshofes die Umsetzungspflicht fürdie Staaten, die die Richtlinie noch nicht umgesetzt ha-ben, entfallen? Gibt es lediglich eine Übergangsfrist fürdie Staaten, die sie bereits umgesetzt haben, und zwar solange, bis der europäische Gesetzgeber das Ganze neugeordnet und neu aufgesetzt hat? Darum geht es. Es gehtnicht darum, nach dem alten Motto zu verfahren:Schnurzegal, was die in Brüssel machen. Wir machendas schon. – Dieses Bild, das Sie von der Koalition ausCDU/CSU und SPD zu zeichnen versuchen, ist grundle-gend falsch.
Lassen Sie mich zum Gegenstand zurückkommen.Die Frage ist am Ende: Wie können wir das durchset-zen? Das wird nicht mit der Silver Bullet oder mit demGrundsatz „one fits all“ geschehen können. Dazu brau-chen wir das Marktortprinzip, die Durchsetzung von Da-tenschutzanforderungen im Rahmen einer europäischenDatenschutzverordnung gegenüber dem privaten Be-reich, wonach Staaten von diesen Ansprüchen nicht ein-fach freigestellt werden und wonach jemand, der gesetz-
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Gerold Reichenbachwidrig Daten an Dritte preisgibt, ohne dass es einAbkommen zur Weitergabe gibt – egal wie die Rechts-lage im jeweiligen Land ist –, Strafe fürchten muss. Wirbrauchen aber nicht nur das Marktortprinzip, sondernauch das Prinzip der informierten Zustimmung. Dazugehört natürlich, dass wir die Daten, die wir in Europaschützen, nicht relativ unkontrolliert bzw. mit schwacherKontrolle an Drittstaaten weitergeben oder weitergebenlassen. Das heißt, wir müssen die europäischen Abkom-men auf den Prüfstand stellen. Ich begrüße durchaus,dass das Europäische Parlament die Kommission aufge-fordert hat, das Safe-Habor-Abkommen auf den Prüf-stand zu stellen und aufzukündigen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Edward Snowdengehört unser Dank, die Debatte angestoßen zu haben.
Die Frage ist nicht, ob, sondern welche Konsequenzenwir aus der NSA-Affäre ziehen müssen. Dazu kann derUntersuchungsausschuss einen Beitrag leisten. Demsollten wir nicht mit dem, was die Grünen in der letztenLegislaturperiode beantragt haben, vorgreifen.Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin,ich komme zum Schluss. Wir Sozialdemokratinnen undSozialdemokraten sehen es als Aufgabe an – das steht inder Tradition unserer 150-jährigen Geschichte –, dafürzu sorgen, dass das neue, digitale Zeitalter zu einemZeitalter der Freiheit und des Wohlstandes der Bürgerund nicht zu einem Zeitalter des fremdbestimmten Indi-viduums durch Wirtschaftsinteressen und Kontrolleurewird. Dafür werden wir uns in dieser Legislaturperiodeund in dieser Koalition einsetzen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Konstantin
von Notz das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Geschätzter Kollege
Reichenbach, weil Sie mich direkt angesprochen haben,
möchte ich klarstellen: Ich habe nichts Wahrheitswidri-
ges behauptet, sondern es ist so. Bei einer Abstimmung
im Innenausschuss des EP in der letzten Woche haben
leider auch die SPD-Abgeordneten dem Antrag von Lin-
ken und Grünen, Edward Snowden Schutz zu gewähren,
nicht zugestimmt. Sie haben stattdessen die Vorlage ver-
ändert und daraus einen Prüfauftrag gemacht. Das zeigt
zum wiederholten Male: Wenn es in Bürgerrechtsfragen
ernst wird, dann ist auf Sie leider kein Verlass.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Lieber Konstantin von Notz, ich mag dich ganz gerne.
Wir haben in vielen Bereichen durchaus gut zusammen-
gearbeitet. Ich denke, wir werden das auch in Zukunft
tun.
Hinter deiner Frage steckt die alte Überheblichkeit,
die wir im Parlament immer wieder erleben: Wenn die
Grünen, manchmal auch die Linkspartei, in einem An-
trag ein Thema oder eine Forderung formulieren, dann
ist jeder, der diesem Antrag nicht zustimmt, ihrer Mei-
nung nach zugleich gegen das Thema oder die Forde-
rung. Genau das ist falsch.
So geht das in einer Demokratie, die auf eine differen-
zierte Debatte angewiesen ist, nicht.
Das ist das Instrument der Schwarz-Weiß-Malerei, des-
sen wir uns nicht bedienen sollten.
Die Wahrheit ist, dass wir dem Antrag der Grünen
nicht zugestimmt, sondern eine Formulierung einge-
bracht haben, die auch den Schutz von Edward Snowden
intendiert und besagt: Es muss im Detail geprüft werden,
wie der Schutz vorzunehmen ist. – Wenn Ihnen Geheim-
dienstler sagen, dass die Forderung nach dem Schutz
von Edward Snowden zwar relativ leicht ausgesprochen
ist, aber nur schwer realisiert werden kann, dann muss
man diese Warnung ernst nehmen. Man kann das nicht
proklamatorisch mit einem scharfen Satz in der Resolu-
tion des Europäischen Parlaments wegfegen. Differen-
ziertheit bedeutet nicht, dagegen zu sein, sondern offen-
bart im Gegenteil ernsthaftes Bemühen um die Sache.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin
Nina Warken das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger mussnach wie vor unser oberstes Ziel sein. Das betrifft zumeinen den Schutz vor Terrorismus und Kriminalität, obaus dem In- oder Ausland. Das betrifft zum anderen aberauch den Schutz vor Ausspähung und Überwachung.Diese beiden Seiten von Freiheit und Sicherheit bedin-gen sich gegenseitig. Sie miteinander in Einklang zubringen, ist jedoch nicht immer einfach.Gemäß dem vorliegenden Antrag der Grünen soll derBundestag einen Aufruf von zahlreichen Schriftstellerin-
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Nina Warkennen und Schriftstellern unterstützen, in dem das Verhal-ten Deutschlands mit dem Fehlverhalten von anderenStaaten und Unternehmen auf eine Stufe gestellt wird.Wenn wir dem folgen, billigen wir, dass unser Land alsÜberwachungsstaat beschrieben wird, der seine Bürger– weil es ja technisch ganz einfach möglich ist –, wo esnur geht, bespitzelt und ihre persönlichen Daten stiehlt.Dem kann ich nur ganz entschieden widersprechen.
Es ist richtig: Die Privatsphäre der Bürgerinnen undBürger muss geschützt werden; da gebe ich dem Aufrufrecht. Das Internet und die modernen Kommunikations-mittel machen das zu einer immer größeren Herausfor-derung. Ebenso richtig ist, dass das systematische Aus-spähen unserer Bürger durch US-Geheimdienste wie derNSA in keinem Verhältnis zu berechtigten Sicherheitsin-teressen steht, schon gar nicht, wenn es um das Abhörenvon Regierungsmitgliedern geht. Zwischen befreundetenStaaten ist das keine Art des Umgangs.Die Bundesregierung und wir Innenpolitiker sindhier, anders als von der Opposition behauptet, nicht ta-tenlos.
Der Dialog mit unseren amerikanischen Partnern wirdauf politischer Ebene konsequent weitergeführt und derDruck auf sie erhöht. Nur so erreichen wir ein Umden-ken auf amerikanischer Seite. Gleichzeitig müssen undwerden wir in dieser Sache im Interesse unserer Bürge-rinnen und Bürger für größtmögliche Aufklärung sorgen.
Trotzhaltungen und die Blockademaßnahmen, die dieOpposition in ihrem Maßnahmenkatalog fordert, würdendiesen Prozess allerdings nur torpedieren und die Fron-ten verhärten.
Man darf außerdem nicht vergessen, dass dank der In-formationen unserer amerikanischen Verbündeten beiuns in Deutschland bislang glücklicherweise jeder Ver-such eines Terroranschlages noch im Vorfeld vereiteltwerden konnte. Auch das vergisst der Aufruf der Schrift-stellerinnen und Schriftsteller. Sie schreiben, dass Men-schen unter Beobachtung niemals frei sind.
Aber ein Mensch, der sich bedroht fühlen muss, ist auchnicht frei. Unser Ziel muss es sein, ein ausgewogenesMaß zwischen Sicherheit und Freiheit herzustellen. Da-für brauchen wir unsere Partner in Europa, in Amerikaund in der ganzen Welt.
Bei der Diskussion über die Sicherheit im digitalenZeitalter wäre es falsch, wenn wir uns nur auf die NSA-Affäre konzentrieren würden. Wir sollten nicht verges-sen, welche Gefahr andere Staaten für unsere Unterneh-men in puncto Wirtschaftsspionage darstellen. Das Glei-che gilt für Kriminelle, die die Daten unserer Bürgerstehlen, um sie für ihre Machenschaften zu missbrau-chen.Wie der Fall der entdeckten Botnetze und der 16 Mil-lionen gestohlenen Zugangsdaten zeigt,
fühlen sich die Menschen in Deutschland im Internetnicht mehr sicher. Aufgrund der jüngsten Entwicklungenhaben die Menschen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis,dem wir gerecht werden müssen. Deshalb wehre ichmich dagegen, dass die Opposition diese Debatte jetztnutzen will, um unsere eigenen Sicherheitsbehörden zuschwächen. Das würde die Umsetzung der von ihr gefor-derten Maßnahmen nämlich bedeuten.
Terroristen und Kriminelle operieren global und hal-ten sich weder an Gesetze noch an internationale Ab-kommen. Deshalb werden wir auch in Zukunft einen en-gen Informationsaustausch mit unseren Verbündetenbrauchen. Gleichzeitig sollten wir darauf hinarbeiten,technologisch unabhängiger zu werden. Das erreichenwir, indem wir vermehrt auf IT-Lösungen made in Ger-many setzen und indem unsere Sicherheitsbehörden imIT-Bereich personell und technisch besser ausgestattetwerden. Ebenso brauchen wir das geplante IT-Sicher-heitsgesetz. Dieses verpflichtet Anbieter, mehr für denSchutz ihrer Kunden zu tun. Gleichzeitig müssen Unter-nehmen Hackerangriffe künftig melden, damit gegen siewirksam vorgegangen werden kann.In Sachen Datenschutz ist Datensicherheit nach wievor die beste Lösung. Neben verbesserten Verschlüsse-lungsmöglichkeiten sollten wir anstreben, dass der in-nerdeutsche Datenverkehr nur über Datenleitungen undServer in Deutschland verläuft. Dann wäre auch dasBundesdatenschutzgesetz, das im internationalen Ver-gleich das höchste Schutzniveau bietet, voll anwendbar.Bei allen erforderlichen staatlichen Maßnahmen istaber auch jeder Einzelne selbst gefordert, etwas für seineSicherheit zu tun und verantwortungsvoll mit seinen Da-ten umzugehen. Mit sicheren Passwörtern, Vorsicht beimÖffnen von E-Mail-Anhängen und einem kritischen Um-gang mit Angeboten im Internet ist jedoch schon viel er-reicht. Dafür müssen wir die Bürgerinnen und Bürgernoch mehr sensibilisieren.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind die Maß-nahmen, die wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen müs-sen, um Freiheit und Sicherheit im digitalen Zeitalter zugewährleisten. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregie-rung mit dem Bundesinnenminister das gemeinsam mituns konsequent tun wird.
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Nina WarkenVielen Dank.
Kollegin Warken, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag, dazu herzliche Glückwünsche. Ich
hebe besonders hervor, dass Sie nicht nur in der Redezeit
geblieben sind, sondern für Ihre Fraktion solidarisch so-
gar noch Redezeit gespart haben.
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Mo-
naten haben 562 Schriftsteller einen Appell zur Verteidi-
gung der Demokratie im digitalen Zeitalter unterzeich-
net. Sie sorgen sich um die Würde des Menschen, um
den Schutz unserer Daten und um die Folgen massenhaf-
ter Ausspähung. Diese Sorgen teilen wir.
Unsere Befürchtungen und Sorgen gehen aber noch
weiter. Wir fragen uns auch: Was können die Gegner un-
serer Freiheit im Netz noch bewirken? Wie sieht es mit
Terrorismus aus, mit organisierter Kriminalität, mit
Netzwerken widerwärtiger Menschen, die das Wohl un-
serer Kinder bedrohen, oder mit Hackerangriffen gegen
unsere Versorgungsstrukturen? Das alles sind Angriffe
auf unsere Freiheit. Wir sehen: Der Rechtsstaat kann nur
so stark sein kann, wie er auch den Schutz unseres Ge-
meinwesens und dessen, was uns wichtig ist, gewährleis-
tet. Es ist eben doch das alte Spiel zwischen Sicherheit
und Freiheit.
Ein Minimum an Sicherheit kann niemals maximale
Freiheit gewährleisten.
Wir müssen Sicherheit und Freiheit nicht nur in die Ba-
lance bringen, sondern auch darauf achten, dass die Si-
cherheit so groß ist, dass der Mensch frei leben kann.
Wir tragen gemeinsam Verantwortung für das, was
jetzt zugunsten unserer Demokratie im digitalen Zeital-
ter geschieht. Deswegen sind Lösungen angebracht: Ge-
setzentwürfe, Verordnungen. Das ist wesentlich wichti-
ger als die Litanei der Empörung. Das ist auch
wesentlich wichtiger, als Befürchtungen und Angst zu
schüren. In diesem Zusammenhang sei an eine Rede er-
innert, die Ernst Wiechert vor annähernd 90 Jahren vor
Abiturienten gehalten hat. Er hat damals so ähnlich for-
muliert: Ich weiß nicht, ob ich euch etwas gegeben habe,
aber ich hoffe, dass ich euch etwas genommen habe,
nämlich die Angst, die Angst vor der Zukunft, die Angst
vor der Politik und die Angst vor dem Leben. – Es ist un-
sere Aufgabe als Politiker, jetzt, in einer Situation, in der
Menschen Befürchtungen haben, in der Menschen viel-
leicht besorgt sind und Ängste haben, diese Ängste zu
nehmen, aber diese Ängste nicht in einem Antrag zu for-
mulieren, der keine Lösungen aufzeigt.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die zi-
vilisatorischen Errungenschaften des Internets, die Ak-
quise von Wissen, das Ausleben von Meinungsfreiheit,
das Knüpfen von Kontakten und die Erleichterung des
täglichen Lebens, unter Berücksichtigung von Daten-
schutz und Schutz der Privatsphäre erhalten bleiben.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die De-
mokratie im digitalen Zeitalter ähnlich gut funktioniert,
wie die Demokratie im analogen Zeitalter funktioniert
hat. Lassen Sie uns gemeinsam die Demokratie im digi-
talen Zeitalter leben, eine Demokratie, welcher die Men-
schen vertrauen, weil sie den Rechtsstaat und unsere
Grundrechte schützt.
Kollege Dr. Ullrich, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich wünsche Ihnen sehr viel Erfolg für
Ihre weitere Tätigkeit und hebe hervor, weil das gar
keine Selbstverständlichkeit ist, dass Sie mit Ihrer Rede-
zeit sehr gut haushalten konnten.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Marian Wendt für die Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! In der Debatte, die wir heute führen, wurden dieProbleme und Chancen der digitalen Welt aufgeführt.Ich bin sehr dankbar, dass wir diese Debatte geführt ha-ben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir geradeerst am Beginn des Weges zur Neuregelung des Internetsund des Lebens und Wirkens darin stehen.Insofern danke ich den Grünen für den Antrag und dieMöglichkeit einer Debatte.
Das war es dann aber auch schon mit dem Lob; denn lei-der kann ich ansonsten kaum Positives über den Antragberichten.
– Sechs Minuten zwanzig. – Meine Vorredner haben diewesentlichen Kritikpunkte bereits benannt. Was michinsbesondere stört, ist die sehr unreflektierte Intonation
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Marian WendtIhrer Begründung. Wer Ihre Zeilen gelesen und Ihre De-battenbeiträge verfolgt hat, könnte glauben, die Bundes-republik sei ein autokratisches Entwicklungsland undstünde erst am Beginn des demokratischen Zeitalters.
– Ich habe hier sehr gut gelesen und der Debatte zuge-hört. – In dem Antrag ist zum Beispiel davon die Rede,dass das Persönlichkeitsrecht und die Unverletzlichkeitdes Individuums – ich zitiere – „inzwischen null undnichtig“ seien. Mit welcher Leichtigkeit Sie hohe Verfas-sungsgüter unseres demokratischen Rechtsstaates ver-worfen sehen wollen, ist schon sehr bedenklich.
Das Recht der Opposition auf Kritik in allen Ehren, aberich finde, viele Ihrer Formulierungen sind maßlos über-trieben. Ihr Antrag ist pauschalisiert und greift insgesamtzu kurz.Ich möchte deswegen die Möglichkeit nutzen, hier inder Debatte zwei Punkte zu betonen: erstens die Eigen-verantwortung der Bürgerinnen und Bürger bei der Si-cherheit im Internet und zweitens das Verhältnis von In-ternet und Demokratie, so wie es die Überschrift desAntrages erahnen lässt.Zum ersten Punkt möchte ich Folgendes sagen: Ei-genverantwortung im Internet und im Umgang mit digi-talen Medien spielt eine sehr wichtige Rolle. 80 Prozentder Menschen in unserem Land nutzen das Internet zu-mindest gelegentlich, die breite Mehrheit der Internet-nutzer hegt aber Misstrauen gegenüber dem Medium.Nach einer Umfrage des Verbandes BITKOM halten80 Prozent der Menschen in unserem Land ihre persönli-chen Daten im Internet für nicht sicher.
Es ist natürlich richtig: Politik und Wirtschaft tragenVerantwortung für mehr technische und rechtliche Si-cherheit im Netz – was auf diesen Feldern geleistet wird,haben meine Vorredner angesprochen –, aber das isteben nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seitesind ein größeres Sicherheitsbewusstsein und mehr Ei-genverantwortung der Internetnutzer notwendig. DasThema Bildung, besonders bei jungen Menschen, spieltdabei eine wichtige Rolle. Dem trägt die Koalition mitder Strategie „Digitales Lernen“ Rechnung. Gemeinsammit den Ländern und Akteuren aus dem Bildungsbereichwollen wir die Chancen der neuen Medien für gute Bil-dung entschlossen nutzen, entwickeln und umsetzen. Zu-dem wollen wir zusammen mit den Ländern die Weichenfür neue Profile im Fachbereich Informatik stellen, umdas Zukunftsthema IT bei jungen Menschen noch stärkerzu fördern und damit die Eigenverantwortung zu stär-ken.Allgemein gesprochen ist der Bereich Eigenverant-wortung natürlich ein breites Feld mit vielen Aspekten.Das fängt bei grundsätzlichen Fragen an wie: „WelcheDaten gebe ich im Netz von mir preis?“, „Was zahle ichals Nutzer für Dienste von E-Mail-Providern und Betrei-bern von sozialen Netzwerken, die eigentlich kostenlossind?“. Hier sollte einerseits der Grundsatz gelten: sowenig Persönliches wie möglich, so viel wie nötig. An-dererseits muss den Internetnutzern auch klar sein, dasssie bei kostenlosen Angeboten im Internet oftmals mitihren persönlichen Daten zahlen.Wer das nicht möchte, kann auf viele Alternativanbie-ter zurückgreifen. Gerade in Deutschland und besondershier in Berlin gibt es beispielsweise viele E-Mail-Anbie-ter, die hinsichtlich Datenschutz und Verschlüsselungsehr benutzerfreundliche Angebote machen. Wir könnenmit den Unternehmen und gesellschaftlichen Initiativennoch mehr erreichen. Sicherheit muss eine Selbstver-ständlichkeit für die Internetnutzer werden, für die jederetwas tun kann. Aspekte wie die Verschlüsselung undAnonymisierung der Daten im Netz dürfen keine Ni-schenthemen für IT-Begeisterte sein.
Sie müssen bei der breiten Mehrheit der Internetnut-zer ankommen. Das Bundesamt für Sicherheit in der In-formationstechnik, das in den letzten Monaten sehr oftgerügt wurde, sendet hierfür wichtige Impulse, zum Bei-spiel mit Initiativen wie „Deutschland sicher im Netz“und dem „Safer Internet Day“. Insofern plädiere ich mitNachdruck dafür, die Verunsicherung aufgrund der nach-richtendienstlichen Aktivitäten auch als Chance zu be-greifen. Durch verstärkte Information und Aufklärungkönnen Internetnutzer befähigt werden, sich selbst imNetz zu schützen und sensibel mit persönlichen Datenumzugehen.Zu meinem zweiten Gedanken, dem Verhältnis vonInternet und Demokratie. Das Internet ist als Medium füreine demokratische Gesellschaft wichtig. Es kann dabeihelfen, demokratische Verfahren zu vereinfachen und zuverbessern. Damit kann das Internet für eine höhere Ak-zeptanz unseres demokratischen Miteinanders sorgen.Allerdings warne ich vor zu viel Träumerei. Denn De-mokratie findet nicht nur online statt. Das mussten dieGrünen leidvoll erfahren, als sich an ihrer Kandidaten-kür für die Europawahlen im Netz nur 22 676 Menschenbeteiligten.
Wahlberechtigt waren 380 Millionen. Das ist eine Wahl-beteiligung von 0,006 Prozent.
Diese Zahlen zeigen, dass wir gerade außerhalb desInternets mehr Menschen für unser demokratisches Sys-tem begeistern müssen. Ein Beispiel dafür fand gesternstatt, als über 11 000 Menschen ein klares Zeichen fürunsere Demokratie gesetzt haben. Sie haben eine Men-schenkette für Freiheit, für Demokratie und für Rechts-
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Marian Wendtstaatlichkeit durch Dresden gebildet. Dieses gesell-schaftliche Engagement der Menschen gestern hat mirwieder einmal gezeigt, dass Demokratie eben mehr istals ein Klick auf den Gefällt-mir-Button.Demokratie braucht den persönlichen Einsatz derBürgerinnen und Bürger offline vor Ort. Das MediumInternet kann nie eine hinreichende Bedingung für eindemokratisches Gelingen sein.
Selbst Bill Gates hat das erkannt. Er hat einmal gesagt:„Die Informationstechnologie ist kein Allheilmittel. Dasist natürlich eine Enttäuschung für all diejenigen, dievon PC und Internet die Lösung aller Menschheitspro-bleme erwarten.“Sie sehen: Wir stehen im Bereich der Netzpolitik undder digitalen Agenda noch vor vielen Herausforderun-gen. Wir alle, Parlament und Gesellschaft, sind aufgefor-dert, uns hier einzubringen und aktiv daran mitzuwirken.Der pauschale Antrag der Grünen greift hier leider zukurz. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/182 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Bewältigung von Konzern-
insolvenzen
Drucksache 18/407
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Sobald die offensichtlich erforderlichen Umgruppie-
rungen in den Fraktionsreihen abgeschlossen sind, kann
ich auch die Aussprache eröffnen. – Ich eröffne die Aus-
sprache.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Lange.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Weder das europäische noch das deutsche Insol-venzrecht enthält bisher Regelungen dafür, wie die In-solvenz eines gruppenangehörigen Unternehmens mit ei-nem für die Gläubiger möglichst optimalen Ertragabgewickelt werden kann.Dies ist, so meine ich, angesichts der gesamtwirt-schaftlichen Bedeutung dieser Unternehmen zumindestbemerkenswert. So hat die Monopolkommission in ih-rem Hauptgutachten aus dem Jahr 2010 festgestellt, dasszwar nur 6,3 Prozent der in den Unternehmensregisternverzeichneten Unternehmen gruppenzugehörig sind, diegruppenzugehörigen Unternehmen jedoch – das ist ge-waltig – einen Umsatzanteil von 70 Prozent und einenBeschäftigungsanteil von 53 Prozent auf sich vereinen.Ergänzend sei noch auf die Folgenabschätzung der EU-Kommission zur Novellierung der Europäischen Insol-venzverordnung hingewiesen, wonach EU-weit 2 100 Un-ternehmen pro Jahr von einer Insolvenz ihrer Unterneh-mensgruppe betroffen sind.Diesem Defizit wollen wir mit dem vorliegenden Ge-setzentwurf nun abhelfen. Dabei wollen es bei einem– wenn ich das einmal so ausdrücken darf – minimal-invasiven Eingriff belassen: Die haftungsrechtliche Un-abhängigkeit der einzelnen Gesellschaften soll auch inder Insolvenz nicht grundlegend durchbrochen werden.Wir haben deshalb einer Konsolidierung der Haftungs-massen eine eindeutige Absage erteilt.
Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfes liegt vielmehrauf einer Harmonisierung der einzelnen Verfahren überdie konzernangehörigen Gesellschaften. Über Gerichts-stands- und Verweisungsregelungen wird eine abge-stimmte Durchführung der Verfahren angestrebt, um somöglichst mehrere oder alle Verfahren über gruppenan-gehörige Schuldner bei einem Gericht bündeln zu kön-nen.Eine wesentliche Schwachstelle des geltenden Rechtsbesteht darin, dass für die einzelnen insolventen Gesell-schaften der Unternehmensgruppe mehrere Gerichte zu-ständig sein können, von denen unterschiedliche Insol-venzverwalter bestellt werden. Dies erfordert einenerheblichen Abstimmungsbedarf sowohl auf der Ebeneder Gerichte als auch auf der Ebene der Insolvenzver-walter. Um diesen Abstimmungsbedarf, der in den Ver-fahren zu Reibungsverlusten führen kann, möglichst ge-ring zu halten, sind im Entwurf mehrere Ansätzevorgesehen:Zum einen wird für insolvente Gesellschaften, die ei-nen Eigenantrag stellen, die Möglichkeit eröffnet, einenGruppengerichtsstand zu begründen. An diesem Grup-pengerichtsstand sollen die Insolvenzverfahren überweitere gruppenangehörige Gesellschaften geführt wer-den können, sodass der Abstimmungsbedarf auf derEbene der Insolvenzgerichte vollständig entfällt. DasGericht erhält nun die Möglichkeit, für alle bei ihm kon-zentrierten Verfahren einen einzigen Insolvenzverwalter
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Parl. Staatssekretär Christian Langezu bestellen, sodass auch insofern kein Koordinierungs-bedarf mehr besteht. Dabei versteht es sich von selbst,dass das Gericht darauf zu achten hat, dass bei dieserPerson keine unüberwindlichen Interessengegensätzeauftreten, die auch durch die Bestellung eines Sonder-insolvenzverwalters nicht ausgeräumt werden können.Wird kein Gruppengerichtsstand begründet und müs-sen deshalb die Insolvenzverfahren bei unterschiedli-chen Gerichten geführt werden, sieht der Gesetzentwurfmehrere Regelungen vor, die die Zusammenarbeit zwi-schen den Gerichten, aber auch zwischen den Gerichtenund den Verwaltern gegenüber dem geltenden Recht ver-bessern.Der für die Praxis bedeutsamste Bereich dürfte dabeidie Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter sein. Nurbei deren enger Kooperation kann es gelingen, im Inte-resse der Gläubiger den Mehrwert zu heben, der in denkonzernrechtlichen Verflechtungen angelegt sein kann.Die Notwendigkeit einer Abstimmung ist insbesonderedann unerlässlich, wenn die einzelnen Unternehmen derGruppe so eng verwoben sind, dass sie ohne die Leistun-gen der anderen nicht überlebensfähig sind.Aber nicht nur den Insolvenzgerichten und den Ver-waltern wird eine enge Kooperation vorgeschrieben;vielmehr sollen auch die Gläubiger in den Abstim-mungsprozess einbezogen werden. Der Gesetzentwurfsieht deshalb die Schaffung eines Gruppengläubigeraus-schusses vor, in dem sich die Gläubigerausschüsse dergruppenangehörigen Schuldner abstimmen können.Besteht ein darüber hinausgehender Harmonisie-rungsbedarf, dem nicht mit den eben geschilderten In-strumenten ausreichend Rechnung getragen werdenkann, wird im Gesetzentwurf die Möglichkeit eröffnet,ein besonderes Koordinationsverfahren einzuleiten. Die-ses Verfahren ist weitgehend auf Konsens angewiesenund sieht als Schwerpunkt die Ausarbeitung eines Koor-dinationsplans vor, mit dem die Einzelverfahren aufei-nander abgestimmt werden können. So kann der Planetwa Vorschläge zur Wiederherstellung der wirtschaftli-chen Leistungsfähigkeit und zur Beilegung gruppenin-terner Streitigkeiten enthalten. Ebenso können in ihmVereinbarungen zwischen den Insolvenzverwaltern an-geregt werden.In seiner Stellungnahme hat der Bundesrat die Bun-desregierung um Prüfung zu drei Punkten gebeten. Diesebetreffen die Schwellenwerte, bei deren Erreichung einAntrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstandesgestellt werden kann, die gerichtsinterne Zuständigkeits-verteilung bei diesem Gericht und die Kosten des Koor-dinationsverfahrens. Die Bundesregierung wird dieserBitte um Prüfung im weiteren Verlauf des Gesetzge-bungsverfahrens gerne nachkommen.Lassen Sie mich abschließend festhalten, dass mitdiesem Gesetzentwurf keine radikale Neuausrichtungangestrebt wird; vielmehr sollen bereits vorhandene Lö-sungsansätze für eine Bewältigung von Gruppeninsol-venzen maßvoll fortentwickelt werden. Ich bin zuver-sichtlich, dass mit diesem Gesetzentwurf gerade auch imInteresse der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer ein weiterer wichtiger Schritt zur Rettungangeschlagener, aber erhaltenswerter Unternehmen unddamit hin zu einer besseren Sanierungskultur getan wird.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Wir reden heute über einen Ge-setzentwurf, der sich mit Insolvenzen in Konzernen be-schäftigt. Pleiten von Unternehmen gibt es leider immerwieder. Im letzten Jahr waren insgesamt 26 300 Unter-nehmen betroffen, im Jahr davor 28 720. Diese Pleitenlösen bange Fragen bei den betroffenen Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmern und ihren Familien aus. Sie fra-gen sich: Wird es möglich sein, das Unternehmen zu sa-nieren und die Arbeitsplätze zu erhalten? Findet sich einInvestor für eine Fortführung des Unternehmens? – Aberauch viele Lieferanten, Handwerker und andere kleineSelbstständige trifft eine Insolvenz nicht selten hart.Die Baumärkte Praktiker und Max Bahr, der Herstel-ler von Socken und Strumpfwaren Kunert, der TV-Her-steller Loewe, der Billigstromanbieter Flexstrom – allesKonzerne –, die Prokon-Gruppe – deren Konkursmachte jüngst Schlagzeilen –, ihnen allen ist gemein,dass sie nicht nur für die Muttergesellschaft, sondernauch für jede einzelne Tochtergesellschaft separat Insol-venz anmelden mussten. Allein nach der Pleite des Ar-candor-Konzerns mit den Tochtergesellschaften Karstadtund Quelle 2009 wurden 54 einzelne Insolvenzverfahreneröffnet. Dies ist mit der Einsetzung entsprechend vielerInsolvenzverwalter verbunden, die ausschließlich die In-teressen der jeweiligen Tochtergesellschaft vertreten unddas noch übrig gebliebene Vermögen einzeln verwerten.Das Gleiche gilt für die Insolvenzgerichte. Jedes Insol-venzverfahren wird isoliert abgewickelt – ohne Abstim-mung mit den Beteiligten der anderen Insolvenzverfahren.Dadurch werden die Verhandlungen zur Sanierung undeine mögliche Rettung des Gesamtkonzerns erheblicherschwert, mit der Folge, dass die gesamte Insolvenz-masse nicht optimal verwertet werden kann.Das Ganze im Konzern ist mehr wert als die Summeseiner Einzelteile. Deshalb wird in der Krise und der In-solvenz zunächst meistens versucht, den Konzern alsUnternehmensverbund weiter zu erhalten und entwedergemeinschaftlich zu sanieren oder zu verwerten. Heute– das heißt mit dem bestehenden Insolvenzrecht – gehtder Gesamtkonzern als Einheit und damit der eigentlicheWert verloren. Das muss sich ändern.Daher besteht Handlungsbedarf. Die Initiative füreine gesetzliche Regelung geht aber wieder einmal nichtvon der Bundesregierung aus, sondern kommt aus Eu-ropa. Bereits am 12. Dezember 2012 hat die EU-Kom-
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Richard Pitterlemission dem Europäischen Rat und dem EuropäischenParlament einen Vorschlag für eine Reform der Europäi-schen Insolvenzverordnung vorgelegt. Ziel ist die EU-weite Etablierung einer Rettungs- und Sanierungskulturfür Unternehmen in der Krise.Es ist gut, zu wissen, dass sich wenigstens aufgrundder Aktivitäten auf europäischer Ebene in Deutschlandetwas bewegt und weiter bewegen wird. Von dieser Bun-desregierung kommt bisher nichts, und es ist in dieserLegislaturperiode – siehe Koalitionsvertrag – auch nichtviel zu erwarten.Dabei gibt es viel Handlungsbedarf. Der Abbau vonBürokratie ist seit vielen Jahren ein Topanliegen der mit-telständischen Wirtschaft.
Die Menschen in Deutschland warten dringend auf einenAbbau der kalten Progression und des sogenannten Mit-telstandsbauchs
und fordern – gerade in diesen Wochen – die Bekämp-fung von Steuerumgehung, Steuerbetrug und Steuerhin-terziehung.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Erleichte-rung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen sollenunter anderem die Betrachtung des Konzerns in den Vor-dergrund gestellt und insbesondere Reibungs- und Wert-verluste reduziert werden. Insofern beschreiten Sie mitdem Gesetzentwurf grundsätzlich den richtigen Weg.Die Interessen der Beschäftigten werden aber wiedernicht ausreichend berücksichtigt. Hierzu zähle ich nichtnur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondernauch die Betriebsräte und Gewerkschaften. Wir wollenentsprechende Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechtefür die Vertretungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter eingefügt sehen,
zum Beispiel für den Konzernbetriebsrat. Darum wirdsich die Linke im weiteren Beratungsprozess zum Ge-setzentwurf ganz besonders kümmern.Wir werden darauf achten, dass auf jeden Fall die Ar-beitnehmerrechte gewahrt werden, die beim letzten Malin den Beratungen über das Gesetz zur weiteren Erleich-terung der Sanierung von Unternehmen – besser bekanntunter dem Kürzel ESUG – am Ende doch noch dem neo-liberalen Mainstream geopfert wurden.Es gibt also noch einiges am Gesetzentwurf zu verän-dern. Hierbei bieten wir der Bundesregierung eine kon-struktive Mitarbeit an.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Professor Dr. Heribert Hirte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuhörer! Das Bild des Bürgers vomUnternehmen ist noch immer geprägt von der einzelnenGesellschaft, meistens der GmbH oder der Aktiengesell-schaft. Die wirtschaftliche Realität – wir haben es schongehört – ist aber eine völlig andere. Unternehmensgrup-pen, teilweise bestehend aus mehreren Hundert einzel-nen Gesellschaften, bestimmen das Geschehen. Das giltnicht nur für die bekannten Multis, sondern auch fürviele Mittelständler und sogar Handwerker.Schon lange hat unsere Rechtsordnung auf diesesPhänomen reagiert. So verlangen die Offenlegungsvor-schriften des Bilanzrechts eine zusammengefasste Dar-stellung aller Konzernunternehmen, um ein den tatsächli-chen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-,Finanz- und Ertragslage des – so ist es gemeint – gesam-ten Konzerns zu vermitteln.Eine kleine Bemerkung am Rande mit Blick auf dieADAC-Diskussion: Für Vereine ist das bedauerlicher-weise noch nicht so.
Im Gesellschaftsrecht wird das Phänomen Konzern anzahlreichen Stellen aufgegriffen. Es begründet unter hiernicht weiter interessierenden Voraussetzungen Durch-griffsmöglichkeiten, Haftung, Zurechnung usw. Auf derGrenze zum Arbeitsrecht tragen schließlich der Kon-zernbetriebsrat und die konzernweite unternehmerischeMitbestimmung dem Vorliegen einer Unternehmens-gruppe Rechnung.Stiefmütterlich behandelt wird der Konzern aber nochimmer im Insolvenzrecht. Hier steht die einzelne natürli-che oder juristische Person im Vordergrund, genauso wieim 19. Jahrhundert, als mit der Konkursordnung die Vor-gängerin unserer heutigen Insolvenzordnung geschaffenwurde. Das ist wenig überzeugend, wie wir schon gehörthaben; denn dadurch werden die sogenannten Synergie-vorteile, wie wir das heute neumodisch nennen, die beider lebenden Großorganisation Konzern den Gesell-schaftern, Gläubigern und damit auch den Arbeitneh-mern zugutekommen, in der Abwicklung vergeudet.Das Insolvenzverfahren, etwa über die angehörigenUnternehmen einer Unternehmensgruppe, kann in Itze-hoe, Garmisch-Partenkirchen und Saalfeld mit jeweilsunterschiedlichen Insolvenzverwaltern stattfinden. DiePraxis – dazu zählen auch die Insolvenzgerichte – hathier im Wege von Auslegung und Vereinbarung zwardurchaus praktikable Lösungen entwickelt, beispiels-
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Dr. Heribert Hirteweise ein einheitliches Insolvenzverfahren in Köln. Dasknüpft natürlich an die Bemerkung des DüsseldorferKollegen Jarzombek an, der Köln schon ins Spiel ge-bracht hat.
– Zustimmung von der Linken: Vielen Dank! – Für dienotwendige Rechtssicherheit reicht dies aber nicht aus,zumal wir uns hier in einer Konkurrenz vor allem mitEngland befinden. Es ist relativ leicht möglich, den so-genannten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interesseneines Unternehmens nach England zu verlegen und danndoch das ganze Insolvenzverfahren über eine Unterneh-mensgruppe einheitlich abzuwickeln. Handeln ist dahergeboten.
Wo konkret liegt das Problem? Fünf Fragenkreise las-sen sich ausmachen: erstens die divergierende örtlicheZuständigkeit der Insolvenzgerichte, wie gerade gehört;zweitens die Tatsache, dass dann noch unterschiedlicheInsolvenzverwalter in den verschiedenen Verfahren tätigsind; drittens, dass wir es mit unterschiedlichen Insol-venzmassen zu tun haben; viertens die Frage, wie daseine Verfahren auf das andere Verfahren einwirkt; undfünftens und letztens, ob man einen Masterplan machenkann, mit dem man das gesamte Unternehmen einheit-lich sanieren kann.Der hier vorgelegte Regierungsentwurf, der im Sinneeiner die parteilichen Alltagskonflikte durchaus positivüberstrahlenden rechtspolitischen Kontinuität noch unterder früheren Bundesregierung erarbeitet wurde und des-sen erste Vorarbeiten noch auf die letzte Große Koalitionzurückgehen und nicht etwa erst durch EU-Vorgaben be-einflusst wurde, bildet den Abschluss – sicher nur vor-läufig – einer Novellierungstrias aus dem ESUG – dieserBegriff fiel eben schon –, also dem Gesetz zur weiterenErleichterung der Sanierung von Unternehmen, derRestschuldbefreiung und schließlich der Konzerninsol-venz, die alle das Insolvenzrecht grundlegend moderni-sieren wollen. Sie teilen das Ziel einer Erhaltung vonWerten und Arbeitsplätzen durch „Sanierung vor Zer-schlagung“. Das ist ein richtiger Weg.
Der Entwurf adressiert positiv drei der genannten Fra-gestellungen und einen weiteren explizit negativ. Diese„Selbstbeschränkung“ – minimalinvasiv, wie wir daseben gehört haben – ist zunächst zu begrüßen; denn inden streitigen Fragen, in denen noch keine endgültigeKlarheit besteht, sollte der Gesetzgeber nicht autoritativeingreifen.Als Erstes ermöglicht er eine einheitliche örtliche Zu-ständigkeit für das Insolvenzverfahren der verschiedenenkonzernangehörigen Unternehmen bzw. Gesellschaften.Der Gesetzentwurf stellt für diesen Ort im Grundsatz aufdas sogenannte Prioritätsprinzip ab, also den Ort, an demzuerst ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Das erscheintmir überzeugend, weil es nur für einen frühzeitig gestell-ten Eigenantrag gilt und Missbrauch in Form von Zu-ständigkeitserschleichungen auch noch durch andereMaßnahmen verhindert wird.Zweitens stellt er klar, dass in solchen Fällen ein ein-heitlicher Insolvenzverwalter bestellt werden darf, dassalso gerade nicht, wie bisher teilweise behauptet wurde,zwischen den einzelnen insolventen Gesellschaften sostarke Konflikte bestehen, dass immer – kostenintensiv –unterschiedliche Verwalter bestellt werden müssen. So-weit das gleichwohl der Fall ist, sollen sie zur Zusam-menarbeit verpflichtet werden.Drittens will der Entwurf die Möglichkeit einer frei-willigen Koordination durch ein besonderes neues Koor-dinationsverfahren schaffen, also einen Masterplan.Zusammengefasst: Was das Gesellschaftsrecht zu-sammengeführt hat, das soll das Insolvenzrecht nichtscheiden.
Das ist im Ansatz richtig und wichtig; denn die durchdie Neuregelung klargestellte Möglichkeit, die Insolvenz-verfahren verschiedener konzernangehöriger Unterneh-men an einem Ort und in einer Hand abzuwickeln, spartKosten. Das ist gut für die Gläubiger, die Arbeitnehmerund damit für die Menschen in unserem Land.
Was der Entwurf andererseits nicht vorschlägt: Wederwerden die Insolvenzverfahren der einzelnen konzernan-gehörigen Unternehmen als solche zusammengefasst,noch – und erst recht nicht – werden die Vermögensmas-sen der einzelnen Gesellschaften zusammengefasst. Dasentspricht der Selbstständigkeit juristischer Personenauch im Konzern. Würde man anders vorgehen – es gibtdurchaus Stimmen, die das fordern –, würde die Mög-lichkeit der Kreditvergabe an die einzelnen Gesellschaf-ten nachhaltig beeinträchtigt. Denn als Gläubigerbraucht man Berechenbarkeit, und das heißt auch: Manmuss vorher wissen, mit wem man nachher in einemBoot sitzt, wenn die Mittel des Kreditnehmers nichtmehr reichen.Der Regierungsentwurf ist – ich sagte es bereits –noch von der alten Bundesregierung erarbeitet worden.Naturgemäß kann er daher das nicht berücksichtigen,was wir als CDU/CSU mit der SPD im Koalitionsvertragim Hinblick auf das Insolvenzrecht vereinbart haben –und da gibt es durchaus einiges. Wenn es aber zu Rechtdarum geht, die Sanierungsmöglichkeiten von Unterneh-men im Interesse von Gläubigern und Arbeitnehmern zuverbessern, können wir diese Fragen nicht ausblenden.Sie sollten daher meines Erachtens in diesem Gesetzge-bungsverfahren mit abgehandelt werden.Der Koalitionsvertrag spricht insoweit zum einen da-von, das Insolvenzanfechtungsrecht auf den Prüfstand zustellen – im Interesse der Planungssicherheit des Geschäfts-verkehrs. Das betrifft vor allem die sogenannte Vorsatz-anfechtung, die – das ist sicher richtig – durch die Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs zu einem scharfen
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Dr. Heribert HirteSchwert ausgestaltet wurde. Jedenfalls gehört die langeFrist von zehn Jahren auf den Prüfstand; denn irgend-wann einmal muss sich ein Unternehmer – das gilt imÜbrigen auch im Steuerrecht – darauf verlassen können,dass er Unterlagen nicht mehr aufbewahren muss.
Bei dieser Gelegenheit wird man wahrscheinlich auchauf mögliche Fehlsteuerungen durch die Vergütungs-regelungen für Insolvenzverwalter ein Auge werfenmüssen; denn sie sind möglicherweise auch ein Grundfür die Klagen des Mittelstandes über zu weit gehendeInsolvenzanfechtungen.Zweitens geht es um die Anfechtung von Lohnzah-lungen, also um die Frage, ob ein Insolvenzverwalter vorder Insolvenz gezahlte Löhne von einem Arbeitnehmerzurückfordern darf. Hier hat die Rechtsprechung in derjüngeren Zeit zwar durchaus schon mit Augenmaß ge-wisse Grenzen eingezogen. Eine Klarstellung durch denGesetzgeber könnte aber durchaus helfen.
Diese dürfte dann aber nicht zu einer sektoralen Aus-nahme werden, will man nicht den Grundsatz der Gläu-bigergleichbehandlung insgesamt infrage stellen. Ande-rerseits darf man nicht vergessen, dass die Anfechtungvon Lohnzahlungen eine Antwort der Praxis auf die ge-setzlichen Neuregelungen war, mit denen vor einigenJahren die Anfechtung der Zahlung von Steuern und So-zialversicherungsbeiträgen erschwert wurde. Die Dis-kussion um diese Frage muss daher hier mit einbezogenwerden, wenn man nicht sogar durch andere Mittel wieetwa Prozesskostenhilfe oder eine Insolvenzverwalter-kostenversicherung sicherstellt, dass Insolvenzverfah-ren gerade in den kritischen Fällen, also Fälle geringerMasse, eröffnet werden können bzw. zu einem frühenZeitpunkt ausreichende liquide Masse zur Unterneh-mensfortführung zur Verfügung gestellt wird.Noch eine Bemerkung zum Steuerrecht: Hier gibt esim Schnittbereich zum Insolvenzrecht reihenweise Un-klarheiten, die wie Blei auf dem Erfolg einer Sanierunglasten. Wenn wir, wie die Bundesregierung das mit demhier vorliegenden Gesetzentwurf zu Recht will, dieMöglichkeiten einer Sanierung von Unternehmen ver-bessern wollen, dann müssen wir diese steuerrechtlichenFragen mit in den Blick nehmen.
Ein letzter Punkt betrifft, wiederum mit Blick auf dasSanierungsziel, die Beseitigung von möglichen Fehlernbeim schon angesprochenen ESUG, der ersten Stufe derInsolvenzrechtsreform. Sehen wir von Kleinstfragen ab,rückt hier vor allem der Fall Suhrkamp in den Blick. Erhat deutlich gemacht, dass beim Insolvenzrecht heuteMöglichkeiten eröffnet werden, an die man früher nichtzu denken gewagt hätte. Ob das zu gesetzgeberischenMaßnahmen führt, wird man zumindest zu diskutierenhaben.Damit aber genug. Lassen Sie uns die Dinge gemein-sam anpacken, um Unternehmenssanierungen im Inte-resse von Gläubigern und Arbeitnehmern zu verbessern.Vielen Dank.
Kollege Hirte, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu und alles
Gute für Ihre Arbeit!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Katja Keul das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Konzern-insolvenzrecht, das hört sich so an, als gäbe es kaum einThema, das weniger Menschen vor Spannung vom Ho-cker reißen könnte. Die wenigsten dürften Insolvenzver-walter zu ihrem Bekanntenkreis zählen; und dann geht eshier auch noch um Konzerninsolvenzverwalter. Ganz an-ders wirken dagegen folgende Zahlen: 2007 entfielenrund 70 Prozent des Umsatzes und 53 Prozent der Be-schäftigten aller Unternehmen in Deutschland auf kon-zernverbundene Unternehmen. Das heißt, dass jederzweite privat Beschäftigte von einer Konzerninsolvenzbetroffen sein könnte – vielleicht doch ein Grund, sichgenauer anzusehen, was hier geregelt werden soll.Um was geht es also? Als Konzern bezeichnet manden Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zu einerwirtschaftlichen Einheit unter der Leitung eines herr-schenden Unternehmens. Rechtlich bleiben die Unter-nehmen selbstständige juristische Personen mit eigenerBuchführung und eigener Bilanz. Ihre wirtschaftlicheund finanzielle Unabhängigkeit haben sie allerdings zu-gunsten der gemeinsamen Konzernleitung abgegeben.Sie haften nicht füreinander, sondern jeder für sich. Die-ser Grundsatz der Haftungstrennung soll mit dem vorlie-genden Gesetz nicht angetastet werden. Das lässt sichzwar durchaus begründen, gottgegeben ist dieses Gebotallerdings nicht. Man könnte schon auf die Idee kom-men, einmal zu hinterfragen, warum Unternehmen, dieihre wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit aneine gemeinsame Leitung abgeben, nicht auch bei Feh-lern dieser Leitung gemeinsam den Schaden tragen sol-len.
Es ist auf der anderen Seite durchaus nachvollziehbar,dass bei einer Insolvenz eines Unternehmens nicht im-mer gleich eine Insolvenz des ganzen Konzerns angeord-net werden soll. Schließlich treten die Einzelunterneh-men ja auch selbstständig gegenüber den Kunden undBanken auf. Die sollten sich schon auf die Solvenz desjeweiligen Vertragspartners verlassen dürfen und nichterst den ganzen Konzern unter die Lupe nehmen müs-sen.
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Katja KeulAus ähnlichen Gründen lässt sich auch nachvollzie-hen, dass für jedes insolvente Unternehmen ein eigen-ständiges Verfahren vorgesehen ist. In der Praxis wurdeallerdings schon bisher oft ein und derselbe Verwalterfür die unterschiedlichen Verfahren eingesetzt. DieFrage war, ob dies zum Regelfall gemacht werden sollte.Sie haben sich entschieden, dies dem Ermessen des Ge-richts zu überlassen. Aufgrund der zahlreichen denkba-ren unterschiedlichen Fallkonstellationen finde ich auchdies durchaus schlüssig.Ganz offensichtlich macht es aber in der Praxis Sinn,die verschiedenen Insolvenzverfahren innerhalb einesKonzerns an einem Gerichtsstand zu bündeln. Dann ver-stehe ich allerdings nicht, warum wir als Gesetzgebernicht auch eindeutig festlegen, welches Gericht das seinsoll. Gerichtsstand am Konzernsitz – das wäre eine ein-deutige und klare Regelung, die sich allen Versuchen desRosinenpickens und der Manipulation entziehen würde.
Hier sehe ich für die Zurückhaltung in Ihrem Entwurfkeinen wirklich überzeugenden Grund.Noch mutloser wird es dann, wenn es um die Koordi-nation der unterschiedlichen Verfahren geht. Sie wollendie Insolvenzverwalter verpflichten, das zu tun, was dieim Sinne bestmöglicher Verwertung ohnehin tun sollten:kooperieren. Der künftige Koordinationsverwalter sollaber nicht übergeordnet oder gar weisungsbefugt sein.Das hört sich für mich so an wie: Wasch mir den Pelz,aber mach mich nicht nass!
Entweder haben die Insolvenzverwalter auch bislangschon aus purer Vernunft kooperiert – dann bräuchte esdafür keine gesetzliche Änderung –, oder sie haben es inder Praxis gerade nicht so wirklich hinbekommen. Dannaber braucht es deutlich mehr als ein „Bitte! Bitte!“ ohnejedwede Durchschlagskraft.
Die EU-Kommission war da mit ihrem Vorschlag wech-selseitiger Mitwirkungsrechte deutlich mutiger. WennSie so etwas aus Angst vor Blockaden nicht wollen, kön-nen Sie ja stattdessen den Weg über eine Stärkung desKoordinationsverwalters gehen.Bevor Sie allerdings ein wirkungsloses Gesetz verab-schieden, weil Ihnen nichts Besseres einfällt, sollten Sielieber gar kein Gesetz machen.
Denn letztlich, Herr Kauder, ist jede Rechtsänderungeine Belastung für die Praxis und sollte gut begründetsein. Ihre Gesetzesbegründung enthält allerdings mehrGründe, warum Sie alle möglichen Regelungen geradenicht vornehmen. Noch haben Sie Gelegenheit, nachzu-bessern. Wir werden Sie dabei kritisch begleiten.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner hat nun für die
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Auch an die Adresse der Zu-hörerinnen und Zuhörer sage ich: Heute Morgen hat ineiner großen Debatte über die Fragen betreffend das Ab-geordnetenrecht und die Abgeordnetenbestechung derKollege Grosse-Brömer von einem Arbeitsparlament ge-sprochen. Deshalb sage ich Ihnen, die Sie heute alsZuhörerinnen und Zuhörer sowie Vertreter des HohenHauses da sind: Herzlichen Dank, dass Sie zu dem Ta-gesordnungspunkt, der tatsächlich Arbeit in unseremHause bedeutet, noch anwesend sind, bevor wir alle insWochenende gehen dürfen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, seien wirdoch ehrlich: Wenn wir das Wort Insolvenz hören, danngeht es uns, soweit wir nicht von Berufs wegen schondamit zu tun haben, wie den meisten Menschen in die-sem Land: Man denkt – der Kollege der Linken hat esschon gesagt – an das Wort Pleite, man denkt an das Un-ternehmensende, man denkt an den Verlust von Arbeits-plätzen, an mehr im Augenblick leider nicht. Jedoch andie Chancen für Unternehmen, an die Chancen für Gläu-biger, an die Chancen für Arbeitsplätze und an die Chan-cen für die betroffenen Menschen – daran denkt mannicht; nicht, weil es zu wenige Beispiele in unseremLand für sehr wohl gelungene Insolvenzen gibt, sondernweil wir zu wenig über Erfolgsmodelle und Erfolge be-richten.Weil es gerade im Rahmen unserer wirtschaftlichenEntwicklung stets neue Unternehmensgründungen, Unter-nehmenskonstruktionen, Holdings, Gesellschaften undgesellschaftsrechtliche Formen gibt – der Kollege vonder Union hat es angesprochen –, von denen wir gesternnoch sagten, dass es sie nie geben wird, die aber schonmorgen auf dem Tablett sind, wird es immer schwieriger,das zu verfolgen, was unser Ziel sein muss: Zerschla-gung verhindern, Sanierung ermöglichen. Verfahren wiebei Kirch, Babcock Borsig, BenQ, Arcandor/Quelle undanderen haben gezeigt, dass wechselseitige Blockade zuRechtsstreitigkeiten führt oder – ganz banal – auch nurpersönliche Eitelkeiten – wer ist der Beste, der Größte? –zu einem Misserfolg führen können. Da ich beruflichviel als Auftragnehmer von Gläubigern an Gläubigerver-sammlungen teilgenommen habe, kann ich davon einLied singen. Um echte Chancen bei Konzerninsolvenzenzu eröffnen, sind für solche Verfahren eine klare Strukturund eine klare Zuständigkeit dringend erforderlich.Zugegeben, der Titel „Gesetz zur Erleichterung derBewältigung von Konzerninsolvenzen“ klingt sperrigund lässt auf den ersten Blick vermuten, dass nur Neure-gelungen von Verfahrensabläufen geregelt sind. Jedoch,
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Dr. Karl-Heinz Brunneres steckt mehr dahinter. Ich nehme es vorweg: Derhierzu eingeschlagene Weg ist aus meiner Sicht und derder SPD-Fraktion gut.
Er ist gut, auch wenn mit dem Gesetz nur die Problemeder Vergangenheit und noch nicht die der Zukunft, diewir noch nicht kennen, die uns aber täglich ereilen kön-nen, gelöst werden. Warum? Unsere Wirtschaftswelt hatsich geändert, das Insolvenzrecht hingegen hinkt nochhinterher. Wir versuchen nun, dieses nicht mehr zulastenvon Schuldnern und Gläubigern, von Gerichten und Ge-setzgeber zu modernisieren. Wir modernisieren viel-mehr, indem wir einen bemerkenswerten Weg einschla-gen, nämlich ohne mit der bewährten Praxis und derbewährten Rechtsprechung zu brechen.Anders als der Vorschlag der Europäischen Kommis-sion und anders als der Vorschlag der Kommission derVereinten Nationen für internationales Handelsrechtknüpft dieser Gesetzentwurf an die bestehende Rechts-lage, an die bestehende Rechtsprechung und an unsereRechtsliteratur an und schafft klare Bestimmungen, wasRegelungen für den Gerichtsstand betrifft. Er schafft beiZuständigkeitskonzentrationen eine einheitliche Richter-zuständigkeit. Er ermöglicht die Zusammenarbeit zwi-schen Verwaltern und Gerichten auf einer soliden Rechts-grundlage. Die Abstimmung der Einzelverfahren wirddurch ein neues Koordinierungsverfahren verbessert.Außerdem wird geregelt, dass ein einziger Verwalterverantwortlich für einen abgestimmten Koordinierungs-plan ist. Letztendlich wird auch sichergestellt, dass alleWerte eines Konzerns im Verfahren berücksichtigt wer-den und damit optimale Verwertungsergebnisse erzielbarsind.Aus meiner Sicht nimmt dieser Gesetzentwurf nichtnur die Herausforderungen an, sondern er regelt auch mitVernunft und Augenmaß das, was zu regeln ist. Genausowichtig wird es aber sein, im weiteren Gesetzgebungsver-fahren die Anregungen des Bundesrats ernsthaft zu prü-fen, Kostenexplosionen bei den Verwaltervergütungenzu vermeiden, den Ländern bei der Umsetzung die nöti-gen Spielräume zu geben, den Mitarbeitern das nötigeHandwerkszeug zu geben und, nicht zuletzt, unserer alt-bekannten guten Tante GmbH & Co. KG eine vernünf-tige Rolle bei Konzerninsolvenzen zu geben.Auf die öffentliche Anhörung und die weiteren Bera-tungen bin ich gespannt, nicht zuletzt aufgrund der An-regungen des Koalitionsvertrags.Eins weiß ich jedenfalls, meine Damen und Herren:Mit dem Insolvenzrecht wird es uns auch in den nächs-ten Wochen, Monaten und Jahren nicht langweilig.Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Alexander Hoffmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede in die-sem Haus zu einem Thema halten darf, das auf den ers-ten Blick durchaus sehr trocken, spröde und abstrakt he-rüberkommt. Aber schon beim zweiten Hinsehenmerken wir, dass wir ganz schnell mitten im Leben an-kommen. Denn die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfsist die Vermeidung suboptimaler Verwertungsergebnisse,die Vermeidung eines Gegeneinanderarbeitens der ver-schiedenen Insolvenzverwalter mit unterschiedlichenVerwertungsstrategien, die Vermeidung unproduktiverVerfahrensverzögerungen. Das zeigt: Der Gläubiger-schutz steht im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs unddamit der Schutz von Unternehmen, von Handwerksbe-trieben, aber vor allem auch von Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern.Bisher ließen sich zentrale negative Auswirkungendurch dezentrale Insolvenzbewältigung in Konzernen ei-gentlich nur dadurch einschränken, dass alle Beteiligtenguten Willens waren, zusammenzuarbeiten. Das hat al-lenfalls für eine Abmilderung gereicht; aber ausschlie-ßen konnte man negative Konsequenzen eigentlich nie.Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Vorausset-zungen dafür schaffen, dass auch Konzerninsolvenzenkünftig rechtssicher und effektiv bewältigt werden kön-nen. Dies ist umso wichtiger, als es gerade im Rahmenvon Konzerninsolvenzen oftmals um eine Vielzahl vonArbeitsplätzen geht und dort beträchtliche Vermögens-werte auf dem Spiel stehen.Dabei baut der Gesetzentwurf auf den Zielbestim-mungen des geltenden Insolvenzrechts auf, insbesondereauf § 1 Insolvenzordnung, und konkretisiert diese Ziel-bestimmungen praxistauglich und gut orientiert. Es solldie Realisierung solcher Insolvenzbewältigungsstrate-gien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alleGläubiger im Vergleich zum unkoordinierten Nebenein-anderherlaufen der verschiedenen Verfahren – so will iches einmal nennen – verbessern, ohne dabei aber eineSchlechterstellung von Gläubigern einzelner Konzern-teile zu verursachen.Dabei erliegt dieser Entwurf gerade nicht der Versu-chung – das ist ganz wichtig –, ein konsolidiertes Kon-zernverfahren einzuführen. Sie wissen, im Konzern- undim Gesellschaftsrecht gelten die Grundsätze der rechtli-chen Trennung und der Selbstständigkeit. Diesen Grund-sätzen würde eine Massekonsolidierung voll und ganzwidersprechen. Auch unter dem Gesichtspunkt derRechtsklarheit und der Rechtssicherheit im Geschäfts-verkehr wäre dies nicht zu vermitteln; denn sonst müsstesich zukünftig ein Gläubiger, zum Beispiel im Vorfeldeiner Kreditvergabeentscheidung, zunächst einmal da-rüber klar werden, in was für einer wirtschaftlichen, inwas für einer finanziellen Situation der Konzern insge-samt und seine Teile sind, bevor er dann mit der entspre-chenden Schuldnergesellschaft kontrahieren kann.
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Alexander HoffmannDie flexiblen Koordinierungsmechanismen, die hierzum Einsatz kommen sollen – ich will es einmal dasHandwerkszeug nennen –, wurden von meinen Vorred-nern schon dargestellt. Lassen Sie mich daher nur nochhandverlesen auf Einzelheiten eingehen.Neben die allgemeine Gerichtsstandregelung, wie wirsie kennen, in § 3 Insolvenzordnung tritt nun die Mög-lichkeit eines Gruppengerichtsstands auf Antrag desSchuldners. Dabei ist wichtig, dass das nicht als eineausschließliche Gerichtsstandregelung ausgestaltet ist,was eine flexible Handhabe ermöglicht. Denn es kannauch weiterhin Konstellationen geben, wo kein erhöhterKoordinierungsbedarf gegeben ist; da erscheint die alteRegelung durchaus praktikabel.Die Voraussetzungen für den Gruppengerichtsstandstellen für mich einen praxistauglichen Ansatz dar. Al-lerdings möchte ich schon anregen, einmal den Versuchzu unternehmen, diese Voraussetzungen positiv zu for-mulieren. Das ist besser, als über eine Negativformulie-rung im Ausschlussverfahren quasi das Pferd von hintenaufzuzäumen und so den Anwendungsbereich zu eröff-nen. Im Zusammenhang mit einer Negativformulierungerschweren nämlich Formulierungen wie „nicht offen-sichtlich“ und „in der Regel“ in meinen Augen eher dieBestimmtheit.Der hier zu beratende Entwurf – das ist vorhin schonangesprochen worden – greift die Vorschläge der EU-Kommission gerade nicht auf. In den Vorschlägen – Siekennen sie – war die Rede davon, dass die einzelnen In-solvenzverwalter der gruppenangehörigen Unternehmenin den jeweils anderen Verfahren bestimmte Mitwir-kungsrechte eingeräumt bekommen sollen, zum Beispieldas Recht auf Teilnahme an einer Gläubigerversamm-lung oder auch das Vorschlagsrecht bezüglich eines Re-organisationsplans.Stattdessen soll nach dem vorliegenden Gesetzent-wurf das Koordinationsverfahren eingeführt werden, dasals wesentliches Kernelement die Bestellung eines Koor-dinationsverwalters zum Gegenstand hat. Das ist, meineDamen, meine Herren, der bessere Ansatz, weil er fol-gende Vorteile auf sich vereint: Das Koordinationsver-fahren ist funktionaler, es ist weniger missbrauchsanfäl-lig – Mitwirkungsrechte können nämlich immer wiederdazu verwendet werden, zu blockieren –, und es ist vorallem verbindlicher; das ist ein ganz wichtiger Punkt, an-sonsten wäre der Koordinationsverwalter – die KolleginKeul hat es vorhin schon angesprochen – auf ein „Bitte!Bitte!“ angewiesen. Genau das ist hier nicht der Fall.Über die allgemeine Haftungsnorm des § 60 Abs. 1 In-solvenzordnung entsteht ja quasi eine faktische Bindungder Verwalter an die Vorschläge aus dem Koordinations-verfahren. Daher ist es richtig, das Gesetz einfach einmalmit einem begleitenden Blick – so will ich es nennen –der Praxis zu überlassen, ohne konkrete Durchsetzungs-mechanismen vorzusehen.Lassen Sie mich abschließend, meine Damen, meineHerren, noch ganz kurz etwas zum Kostenrecht sagen,weil immer wieder Vorschläge laut werden, dass manparallel ein Kostenrecht schaffen müsse. Ich rate davonab, den vorliegenden Entwurf unnötig aufzublasen. Erzielt doch ab auf die Vermeidung von gegenseitigemBlockieren, Gegeneinanderarbeiten oder sogar Prozes-sieren der Insolvenzverwalter. Ich glaube, dass genaudank dieser Zielrichtung erreicht wird, dass wir zukünf-tig keine Explosion der Verfahrenskosten mehr in dembisher bekannten Maß erleben werden.
In diesem Sinne, meine Damen, meine Herren, denkeich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Gehen wir ihn wei-ter!Gestatten Sie mir ganz zum Schluss, dass ich Ihneneinen schönen Valentinstag wünsche. Im Interesse IhrerPartnerinnen und Partner empfehle ich Ihnen: MachenSie was daraus!Vielen Dank.
Kollege Hoffmann, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ge-
samten Hauses.
Das war auch die letzte Rede im Rahmen dieses Ta-
gesordnungspunktes. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/407 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
BAföG-Reform zügig umsetzen
Drucksache 18/479
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! DasThema BAföG zeigt wie so viele andere Themen – Vor-ratsdatenspeicherung, Energiewende oder Zuwande-rung –, wie tief die Gräben in der Großen Koalition sind.Wenn man sich die Schärfe der Auseinandersetzung unddie gegensätzlichen Positionen von SPD und Union an-hört, dann wird auch klar, warum das Thema BAföG imKoalitionsvertrag – angeblich – vergessen wurde. Sie
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Nicole Gohlkemussten es offenbar ausklammern, damit die Koalitionüberhaupt zustande kommt.
Jetzt haben SPD und Union zwar einen Koalitionsver-trag; den Preis dafür zahlen aber die Studierenden. Fürdie steigen seit Jahren die Lebenshaltungskosten, seitJahren explodieren die Mieten, und seit Jahren deckendie BAföG-Sätze das nicht mehr ab.
Die 20. Sozialerhebung des Studentenwerks hat dazu jadie aktuellen Zahlen geliefert. 54 Hochschulstädte wur-den betrachtet. Nur in Chemnitz lagen die Wohnkostenunterhalb der Pauschale von 224 Euro, die im BAföG-Satz dafür vorgesehen ist. Überall sonst sind die Ausga-ben für Miete und Nebenkosten höher, und Wohnheim-plätze sind absolute Mangelware. Die 448 Euro, die dieBAföG-Geförderten im Durchschnitt bekommen, rei-chen also offensichtlich vorne und hinten nicht aus. Dasmuss sich dringend ändern.
Ich finde, es ist einfach skandalös, dass es die Bun-desregierung in so einer Situation und bei so einer Fak-tenlage fertigbringt, die Ergebnisse des aktuellenBAföG-Berichts dann auch noch als Erfolg zu verkau-fen. Da feiert sich das Ministerium doch ernsthaft dafür– „abfeiern“ müsste man eigentlich sagen –, dass dieZahl der BAföG-Empfänger auf dem höchsten Stand seit30 Jahren ist, vergisst dabei aber zu erwähnen, dass auchdie Zahl der Studierenden wegen doppelter Abiturjahr-gänge, geburtenstarker Jahrgänge und gestiegener Stu-dierneigung auf einem Höchststand ist. Das ist aber bei-leibe nicht das Verdienst dieser Regierung.
Mit irgendwelchen Tricks machen Sie dann aus weni-ger mehr. Mit irgendwelchen Tricks machen Sie auseiner eigentlich sinkenden Gefördertenquote eine stei-gende. Fakt ist aber doch, dass 2012 von den knapp2,4 Millionen Studierenden gerade einmal 440 000 BAföGbezogen haben. Das sind die Zahlen. Eine einfacheRechnung genügt, um festzustellen: Das sind mickrige18,7 Prozent. Wenn die Regierung jetzt auf 28 Prozentkommt, ist das schlicht Rechentricks geschuldet. Damitmachen Sie vielleicht Ihre Statistiken schöner, aber ebennicht die Wirklichkeit.
Zu Recht wird jetzt schon fast einmütig eine BAföG-Erhöhung gefordert. Sogar Frau Wanka wird ja nichtmüde, zu wiederholen, dass eine BAföG-Reform kom-men werde. Man fragt sich eben nur: Wann und wie? DieSPD fordert völlig richtig, die Lastenverteilung beimBAföG so zu ändern, dass der Bund die gesamten Kos-ten trägt, weil sonst eine Erhöhung wohl angesichts derkommenden Schuldenbremsen an den klammen Länder-haushalten scheitern könnte.
Da beißt die SPD bei ihrem Koalitionspartner aber aufGranit. Die Union weist die SPD-Vorschläge rüde zu-rück. Ministerin Wanka erklärt, die SPD wolle sich ausder Verantwortung ziehen.
Und Sie, Herr Rupprecht, sagen, es gebe für eine andereAufteilung keinen Grund, weil die Schuldenbremseschließlich auch für den Bund gelte.
Herr Rupprecht, die Schuldenbremse ist ja nicht vomHimmel gefallen.
Die haben Sie mit den Stimmen aller Parteien mit Aus-nahme der Linken eingeführt.
Sie entpuppt sich immer mehr als eine soziale Bremseund als eine Bildungsbremse.
Es ist schon krass, wie Sie einfach über die katastro-phale Situation der Länderhaushalte hinweggehen. Ge-rade hat Sachsen-Anhalt die Zuschüsse für die Studen-tenwerke mehr als halbiert. Die Konsequenzen tragennatürlich wieder die Studierenden. Die zahlen jetzt hö-here Semesterbeiträge und mehr für Wohnheim undMensaessen. Der Bund hätte im Gegensatz zu den Län-dern ja auch die Möglichkeit, die Einnahmen zu erhö-hen. Er könnte Steuern erhöhen und damit zur Abwechs-lung auch einmal die Reichen treffen.
Das war ja auch die Forderung der SPD – vor der Wahlnatürlich –, weil sie weiß, dass man substanzielle Ver-besserungen ohne Steuergerechtigkeit nicht finanziertbekommt. Da kann ich nur sagen: Augen auf bei derWahl des Koalitionspartners!
Kolleginnen und Kollegen, das BAföG ist unbestrit-ten die zentrale Säule der Studienfinanzierung. Deswe-gen hat die Linke einen Antrag für eine umfassende undzügige Reform des BAföG eingebracht. Lassen Sie unsdas unsoziale Stipendienprogramm, das Deutschlandsti-pendium, das es in diesen Koalitionsvertrag geschaffthat, endlich zu den Akten legen.
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Nicole GohlkeVon diesem Deutschlandstipendium profitieren bislangnicht einmal 0,6 Prozent der Studierenden.
Es wird ja mittlerweile auch vom Bundesrechnungshofkritisiert, weil gerade einmal 60 Prozent der Gelder tat-sächlich bei den Studierenden ankommen, während derRest für Werbung, PR und Verwaltung rausgeschmissenwird.
Die Linke fordert stattdessen eine Erhöhung derBAföG-Sätze und Freibeträge um mindestens 10 Pro-zent. Das würde endlich den gestiegenen Lebenshal-tungskosten der Studierenden Rechnung tragen, und eswürde den Kreis der BAföG-Empfängerinnen und -Emp-fänger ausweiten.
Wir wollen, dass das BAföG wieder in einen Vollzu-schuss umgewandelt wird, damit sich junge Menschennicht durch das Studium verschulden müssen. DasBAföG muss endlich an die veränderten Studienbedin-gungen im Bologna-System angepasst werden. Master-studiengänge müssen uneingeschränkt gefördert werdenkönnen, und die Altersgrenzen müssen abgeschafft wer-den.
Kolleginnen und Kollegen, die Studierenden, die üb-rigens heute hier von einer Delegation des studentischenDachverbandes fzs, deren Mitglieder ich an dieser Stelleganz herzlich grüßen möchte, vertreten werden, erwartenvon Ihnen ein schnelles Handeln, das ihre Situation sub-stanziell verbessert. Muten Sie den Studierenden nichteine weitere Hängepartie mit ewigen Verhandlungen
zwischen Bund und Ländern oder jetzt zwischen denKoalitionspartnern Union und SPD zu! Sie haben hierdie Chance, schnell und unbürokratisch unserem Antragzuzustimmen. Damit könnten Sie jetzt nachholen, wasSie in den Koalitionsverhandlungen so sträflich ver-säumt haben.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
hat Dr. Stefan Kaufmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag derLinken, Frau Gohlke, enthält enttäuschenderweise nichtsNeues.
Ich bin davon ausgegangen, dass Sie als nunmehr größteOppositionspartei im Bundestag die Politik der Bundes-regierung etwas seriöser und konstruktiver begleiten.Aber weit gefehlt. Es wird nur gefordert: Erhöhung derFördersätze, massive Ausweitung des Berechtigtenkrei-ses
bis hin zur Forderung nach einem rückzahlungsfreienVollzuschuss für alle BAföG-Empfänger. Und wer solldas Ganze bezahlen, Frau Gohlke? Natürlich der Bund.Sie fordern alles, und der Bund soll zahlen. So einfachkann man sich Oppositionsarbeit natürlich auch machen.
Wie sagte schon Konrad Adenauer? Alles, was dieSozialisten von Geld verstehen, ist die Tatsache, dass siees von anderen haben wollen.
Anhand von drei Punkten möchte ich heute einenkonstruktiven Aufschlag machen:Erstens. Die Bundesregierung hat – es wurde schonangesprochen – am 29. Januar dieses Jahres den aktuel-len BAföG-Bericht beschlossen. Noch nie gab Deutsch-land so viel Geld für BAföG aus. Um rund eine halbeMilliarde Euro ist die Fördersumme im Berichtszeitraum2010 bis 2012 auf insgesamt 3,34 Milliarden Euro ange-stiegen. Auch das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen,Frau Kollegin.
Insofern können die Weiterentwicklungen unter derCDU/CSU-geführten Bundesregierung in der Vergan-genheit ja nicht so gering gewesen sein. Ich erinnere nuran die 2008 mit der SPD gemeinsam beschlossene großeBAföG-Reform. Im Zuge dieser Reform haben wir dieBedarfssätze um 10 Prozent und die Freibeträge um8 Prozent angehoben. Außerdem haben wir im Jahre2010 die 23. BAföG-Novelle verabschiedet – mit einerweiteren Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent undder Freibeträge um 3 Prozent. Wir haben die Alters-grenze für das Masterstudium auf 35 Jahre angehoben;
auch das sollten Sie, Frau Gohlke, bitte zur Kenntnisnehmen. Wir haben die Auslandsförderung ausgeweitet.Wir haben den Höchstsatz auf 670 Euro pro Monat ange-hoben und vieles mehr.Nun kann man natürlich immer sagen, das sei nichtgenug. Aber kleinzureden brauchen wir diese BaföG-Reformen auch nicht, meine Damen und Herren.
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Dr. Stefan KaufmannNoch einmal zurück zum aktuellen BAföG-Bericht,der ganz klar feststellt: Die Entwicklung der Bedarfs-sätze ist immer noch oberhalb des Preisindexes, und dieFreibeträge sind stärker gestiegen als die Preise und dieEinkommen. Auch das mögen Sie bitte zur Kenntnisnehmen.
Doch kann es aus meiner Sicht nicht immer nur da-rum gehen, dass wir die Sätze und Freibeträge anheben.Wir müssen zu strukturellen Weiterentwicklungen beimBAföG kommen.
Ich denke dabei beispielsweise an eine bessere Verein-barkeit des BAföG mit dem zweistufigen Studiensystemaus Bachelor und Master.
Darin sind wir uns vielleicht sogar einig. Auch über einebessere Absicherung von Studierenden mit Kindernmüssen wir diskutieren.
Zudem sind Verbesserungen bei der BAföG-Vorauszah-lung notwendig.Der zweite Punkt. Die Bundesregierung will eineBAföG-Reform. Man kann weder der aktuellen noch derVorgängerregierung vorwerfen, hier nichts getan zu ha-ben. Bereits nach Vorlage des letzten BAföG-Berichtes2012 hat die Bundesregierung den Ländern Gesprächeüber mögliche Anpassungen und auch über eine inhaltli-che Fortentwicklung des BAföG angeboten. In vielenGesprächen und Treffen auf Ministerebene bis hin zurAbteilungsleiterebene verständigte man sich zwar auf in-haltliche Änderungen; eine Novelle scheiterte aber ander fehlenden Finanzierungszusage der Länder.Auch die Anfang 2013 eingesetzte Staatssekretärsar-beitsgruppe konnte hier keine Einigung erzielen, wasebenfalls an der fehlenden Bereitschaft der Länder, dengesetzlich vorgeschriebenen Finanzierungsanteil zu leis-ten, lag. Bekanntlich hat diese Finanzierungsverweige-rung der Länder auch dazu geführt, dass im Koalitions-vertrag keine konkrete Zusage einer BAföG-Reformfestgeschrieben werden konnte, obwohl wir diese dochalle hier als Bildungspolitiker wollen.Ich komme zu meinem dritten Punkt: der Verantwor-tung der Länder. Dass jetzt nicht nur die Linkspartei,sondern auch andere Mitglieder dieses Hauses die Bun-desländer in ihrer Verweigerungshaltung unterstützen,bedauere ich sehr. Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnenund Kollegen, als Bildungspolitiker darüber noch einmalnachzudenken. Wo sind wir denn hier eigentlich? Ichdenke da zum Beispiel an die Aussage des grünen Minis-terpräsidenten Kretschmann, der sagte, dass der Bundden Ländern das Geld einfach überlassen solle, es ihmaber – ich zitiere – „so fern wie der Mond“ liege, zu ak-zeptieren, dass der Bund über diese Gelder auch nur mit-entscheiden kann.
Wie kann man denn als gewählter Bundestagsabgeord-neter eine solche Haltung unterstützen? Das kann ichwirklich nicht verstehen.
Viele Länder haben die politische Entscheidung ge-troffen, dass sie für Studierende kein Geld übrighaben;als Beispiel wurde Sachsen-Anhalt genannt. Das gehtnicht. Ich habe mir einmal die Finanzen der Länder an-geschaut. Nach dem aktuellen Monatsbericht des Bun-desfinanzministeriums haben die Länderhaushalte imJahr 2013 mit einem nahezu ausgeglichenen Ergebnisabgeschlossen, und zwar mit einem Finanzierungsdefizitvon 0,5 Milliarden Euro. Der Bund hingegen hat 22 Mil-liarden Euro Schulden gemacht. Liebe Kolleginnen undKollegen, auch für uns im Bund gilt die Schulden-bremse. Das wird immer wieder gern vergessen. Wiewollen wir denn je einen ausgeglichenen Haushalt errei-chen, wenn wir hier bedingungslos dem Verlangen derLänder nach mehr Geld nachgehen?Beim BAföG ist es besonders wichtig, dass Bund undLänder gemeinsam in der finanziellen Verantwortungbleiben. Das hat sich seit der Entstehung des BAföG inder Hochzeit der sozialliberalen Koalition von WillyBrandt auch bewährt. Daran sollten wir nicht rütteln.
Es ist wichtig, dass die Länder dabei bleiben. Bitte den-ken sie auch darüber noch einmal nach.Abschließend möchte ich meine Punkte zusammen-fassen. Erstens. Das BAföG ist die tragende Säule derStudienfinanzierung. Es ist erfolgreich, aber es gibt Re-formbedarf. Zweitens. Die Bundesregierung ist beimBAföG engagiert und versucht mit Nachdruck, Verbes-serungen für die Studierenden zu erreichen. Drittens. DieBundesländer müssen sich ihrer finanziellen Verantwor-tung für die Studierenden in Deutschland stellen und ih-ren Beitrag leisten, zumindest aber die vereinbarten35 Prozent beim BAföG zahlen.Zusammenfassend: Wenn die Länder zu ihrer finan-ziellen Verantwortung stehen, dann können wir uns hierim Bundestag schnell über Weiterentwicklungen beimBAföG verständigen. Das muss unser parteiübergreifen-des, gemeinsames Ziel sein. Die Studierenden haben dasverdient. Wir als Gesetzgeber werden auch daran gemes-sen, ob wir gerade bei diesem wichtigen Zukunftsthemavorankommen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemein-sam konstruktiv daran arbeiten!Danke sehr.
Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ach, Herr Kaufmann, ich bin nach Ihrer Rede eigentlichnicht viel schlauer. Mir ist noch immer nicht klar, wasdie Bundesregierung bzw. die 80-Prozent-Mehrheit desDeutschen Bundestages in Bezug auf das BAföG will.Sie haben viel in die Vergangenheit geblickt, aber nichtnach vorn. Das ist gerade zu Beginn einer Legislaturecht schlecht.
Die Freude über mehr Geförderte und Höchstständebei den BAföG-Ausgaben von Bund und Ländern kanndem wachsenden Reformdruck beim Bundesausbil-dungsförderungsgesetz nicht vernebeln. Stark gestiegeneStudierendenzahlen führen logischerweise zu höherenBAföG-Ausgaben. Aber schauen wir doch etwas tieferin den neuen BAföG-Bericht: Die Förderbeträge sind imletzten Jahr gesunken. Es sinkt die Gefördertenquote. Essinkt der Anteil der Studierenden, die eine maximaleFörderung erhalten. Nicht einmal ein Fünftel der Studie-renden bezieht BAföG-Leistungen, aber fast zwei Drittelmüssen neben dem Studium jobben. All das sind Warn-zeichen. Das BAföG verliert an Attraktivität. Anstatt amunsinnigen Deutschlandstipendium festzuhalten, brau-chen wir endlich eine mutige BAföG-Reform.
Das BAföG als Bildungsgerechtigkeitsgesetz und So-zialleistung mit Rechtsanspruch braucht eine Frischzel-lenkur. Wir als Grüne wollen den Empfängerkreis ver-größern und das Mittelschichtsloch verkleinern. Wirwollen das BAföG familienfreundlicher machen und aufvielfältigere Studierendenschaften ausrichten. Wir wol-len auch, dass die Ausbildungsfinanzierung durch einWeiterbildungs-BAföG fit gemacht wird für das lebens-lange Lernen. Perspektivisch wollen wir das BAföGzum Zwei-Säulen-Modell erweitern; denn für mehr Bil-dungsaufstieg und Teilhabe braucht es eine beherzte Er-neuerung.
Statt über solch konkrete Inhalte einer BAföG-No-velle zu reden, streiten Union und SPD darüber, ob derBund künftig einen größeren Finanzierungsanteil beimBAföG schultert. Doch was bringt ein anderer Finanzie-rungsschlüssel den Studierenden? Diese Frage muss dieSPD beantworten. Den Schlüssel für die Finanzministerder Länder zu ändern, macht keinen Sinn. Für uns istentscheidend, was bei Schülern und Studierenden an-kommt.Das BAföG kostet Geld, aber es zahlt sich aus: sozial-,bildungs- und wirtschaftspolitisch; denn es ist für vielejunge Menschen gerade aus einkommensärmeren Arbei-terfamilien die zentrale Geldquelle, um überhaupt stu-dieren zu können. Bei unserem Bildungskastensystemkönnen wir uns Stillstand beim BAföG nicht erlauben.
Das BAföG ist ein Bundesgesetz. Deswegen sindBundesregierung und Koalitionsfraktionen an der Reihe,endlich einen konkreten Gesetzentwurf auf den Tisch zulegen. Nur über einen ganz konkreten Gesetzentwurfkönnen wir dann im Bundestag beraten und mit den Län-dern und in den Ländern debattieren. Die Koalitionskon-troverse zwischen CDU, CSU und SPD um die Finanzie-rung des BAföG ist eine Regierungsselbstblockadezulasten der Studierenden in unserem Land.
Im Wahlkampf haben Union und SPD eine zügige Re-form des BAföG versprochen. Im Koalitionsvertrag fin-det sich dazu kein einziges Wort. Trotzdem verkündetMinisterin Wanka, die übrigens der Debatte heute leidernicht beiwohnt, wacker: Das BAföG wird erhöht. – Pas-siert ist danach aber nichts.Ähnlich verlief es beim BAföG-Bericht. Im erstenEntwurf sollte es noch eine „substanzielle Erhöhung“und „strukturelle Weiterentwicklung“ des BAföG geben.Am Morgen der Kabinettsbefassung war das Wort „sub-stanziell“ verschwunden. Zwei Stunden später war voneiner BAföG-„Erhöhung“ überhaupt keine Rede mehr.Von wegen schnelle BAföG-Reform! Nichts von den In-terviewankündigungen der Ministerin ist bisher einge-löst. Nichts ist angegangen worden.Diese Niederlage am Kabinettstisch haben Sie – das er-kennt man, wenn man Zeitung liest und zuhört – Finanz-minister Schäuble und Vizekanzler Gabriel zu verdan-ken. Aber es kommt noch besser: Wenige Tage nachseinem Nein am Kabinettstisch fordert Gabriel in seinerRolle als SPD-Chef lautstark eine zügige BAföG-Erhö-hung. Sorry, liebe SPD, aber das ist an Doppelzüngigkeitnicht zu überbieten.
Sie müssen sich fragen lassen: Warum sind 250 Millio-nen Euro für eine BAföG-Novelle neuerdings eine Provo-kation für die Länder? Vor einem halben Jahr hat die SPDim Wahlkampf landauf, landab versprochen, pro Jahr zu-sätzlich 10 Milliarden Euro für Bildung auszugeben. EinVierzigstel davon für eine BAföG-Novelle zu investieren,muss dank sprudelnder Steuereinnahmen möglich sein.Keinesfalls darf das BAföG Ihrem 160-Milliarden-Ren-tenpaket zum Opfer fallen. Die Studierenden braucheneine Perspektive.
Diese Perspektive wird seit vier Jahren vermisst. Seitvier Jahren warten Schüler und Studierende auf eine bes-sere Ausbildungs- und Studienfinanzierung. Die Förder-systematik und die Lebensrealität der Studierenden driftenimmer weiter auseinander. Alle, die aus Altersgründenaufgrund ihres Bildungsweges oder ihres Aufenthaltssta-tus nicht gefördert werden, sind ein unverantwortlicherVerlust für eine echte Bildungsrepublik. Also nehmenSie die Analyse des BAföG-Berichtes endlich ernst! Be-enden Sie die Selbstblockade! Legen Sie eine BAföG-
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Kai GehringReform vor! Noch 2014 muss es ein höheres und besse-res BAföG geben.
Als nächster Redner spricht der Kollege Oliver
Kaczmarek.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wennman einmal in den BAföG-Bericht schaut, dann siehtman, dass sich darin die besondere Bedeutung desBAföG auch 43 Jahre nach seiner Einführung dokumen-tiert. 3,4 Milliarden Euro geben Bund und Länder ge-meinsam für das BAföG aus. 440 000 Studierende wer-den gefördert. Ich gebe zu, Frau Gohlke, dass die Quoteder Geförderten stagniert. Indem Sie aber so tun, als oballe Studierenden BAföG-berechtigt seien, rechnen Siedie Quote der Geförderten herunter und schmälern damitden Erfolg des BAföG. Ich finde es nicht ehrlich, wieSie an der Stelle argumentieren.
Über die Hälfte aller Studierenden aus einem bil-dungsfernen Haushalt, die es überhaupt an eine Hoch-schule geschafft haben, erhalten BAföG. Das zeigt: Mitkeinem anderen Finanzierungsinstrument sind wir inähnlicher Weise in der Lage, soziale Verantwortung fürdie Studienfinanzierung zu übernehmen. Das BAföG istdeshalb – im Gegensatz zu allen anderen Finanzierungs-modellen, die wir hier auch kontrovers diskutiert haben –ein Erfolgsmodell der Studienfinanzierung, und dasmuss auch in den nächsten Jahren so bleiben.
Es ist aber auch völlig klar: Das BAföG muss mit derZeit gehen. Das heißt, es muss das Leben der Studieren-den und die veränderten Studienbedingungen aufnehmenund ihnen, so gut es geht, gerecht werden. Unbestrittenist dies bei den gestuften Studiengängen am deutlichstensichtbar; das ist hier in der Debatte schon gesagt worden.Über die einzelnen Maßnahmen müssen wir dann disku-tieren.Das BAföG muss aber auch die Veränderungen imLeben der Studierenden und deren Eltern aufgreifen.Studierende kommen heute auf unterschiedlichen Wegenin die Hochschule, sind teilweise älter, studieren mit Fa-milie, machen Teilzeitstudiengänge. All diese Dingemüssen wir berücksichtigen.Ich will eine Anmerkung zu den Teilzeitstudiengän-gen machen. Es ist uns ein besonderes Anliegen, Studie-rende zu fördern, die sich in einem Teilzeitstudium, ei-nem dualen Studium oder einem berufsbegleitendenStudium befinden, weil drei Viertel dieser StudierendenErststudierende sind, also diejenigen, die als Erste ausihrer Familie überhaupt eine Hochschule besuchen. Des-wegen geht es hier um eine besondere Gerechtigkeits-frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
Auch die Familiensituation muss berücksichtigt wer-den. Familien mit ein oder zwei Kindern und einemFacharbeitergehalt sind heute nicht in der Lage, ohneBAföG ein Studium zu finanzieren.
Deswegen ist die Freibetragsregelung aus unserer Sichteine wichtige Regelung, weil sie den Kreis der Geförder-ten erweitert und auf der anderen Seite dazu beiträgt,dass mehr von dem, was an BAföG ausgezahlt werdenkann, bei den Studierenden ankommt.Uns allen ist aber auch klar: Chancengleichheit undBildungsgerechtigkeit kosten Geld. Aber das ist gut an-gelegtes Geld. Denn der Staat ermöglicht mit dieser För-derung, dass Studierende aus allen sozialen Schichtenbessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erlangen. Da-durch bekommt der Staat die bereitgestellten Mittel übererhöhte Einnahmen aus Steuern und Sozialversiche-rungsbeiträgen zurück. Insofern ist das BAföG eine vo-rausschauende und nachhaltige Investition.
Es macht aber keinen Sinn, meine Damen und Her-ren, jetzt hier einen fiktiven Wunschzettel zum politi-schen Programm zu erheben.
Da möchte ich eine Anmerkung zum Antrag der Linkenmachen. Ich werde jetzt nicht alles in Grund und Bodenreden; denn viele der Forderungen, die Sie erheben, sindfraktionsübergreifend diskutiert worden. Aber Sie blei-ben an vielen Stellen unklar. Sie verzichten auf jedeAussage zur Finanzierung. Das finde ich, offen gesagt,unehrlich. Sie suggerieren den Studierenden: Schreibtauf, was ihr braucht; wir machen das, und um die Finan-zierung kümmern wir uns später. – Das finde ich unehr-lich. Ich unterstelle, dass das nicht dem entspricht, wasStudierende tatsächlich erwarten können.
Was aus Sicht der Studierenden wirklich Sinn macht, isteine BAföG-Novelle, die substanziell ist und tatsächlichumgesetzt wird, also nicht auf der Ebene des politischenWunschdenkens verharrt.
Eine kurze Anmerkung zu einem Punkt des Antrags,den ich richtig finde; das möchte ich betonen. Sie habendie Förderung von Studierenden mit Behinderung ange-sprochen. Ich finde das richtig. Ich glaube nur, dass wirdas weniger in der BAföG-Debatte berücksichtigen soll-ten als bei der Reform der Eingliederungshilfe, die sichdie Große Koalition auf die Fahnen geschrieben hat,
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Oliver Kaczmarekweil es hierbei um bedarfsgerechte Assistenzen usw.geht. An der Stelle bin ich mit Ihnen einer Meinung; ichglaube nur, dass wir das an anderer Stelle diskutierenmüssen.
Herr Kollege Kaczmarek, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Gohlke?
Gerne.
Danke für die Möglichkeit zur Zwischenfrage. – Ich
habe mich jetzt natürlich angesprochen gefühlt, weil Sie
sagten, wir stellten Forderungen auf und suggerierten,
dass man sie einfach so umsetzen könne. Sie haben ja
selber gerade zugestanden, dass viele unserer Forderun-
gen zum Beispiel in Ihrem Wahlprogramm standen oder
in der letzten Legislaturperiode auch von Ihnen, von der
SPD, aufgestellt wurden.
Sie haben in Ihrem Wahlprogramm ziemlich deutlich ge-
macht, wie Sie diese Sachen finanzieren wollen, zum
Beispiel über Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit
wie Erhöhung der Einkommensteuer und Einführung ei-
ner Millionärsteuer.
Sie haben aber davon Abstand genommen. Deswegen
frage ich: Wer suggeriert hier was? Haben Sie nicht viel-
leicht vor der Wahl falsche Wahlziele suggeriert, weil sie
bei den Studierenden oder in der Bevölkerung ganz gut
ankommen, und sind jetzt nicht mehr bereit, dazu zu ste-
hen?
Nein, das muss ich zurückweisen. Die Ursache dafür,
dass wir das nicht umsetzen können, sind nicht falsche
Versprechungen, sondern es ist ein schlechtes Wahler-
gebnis. Wir bilden eine Koalitionsregierung und haben
uns darauf geeinigt, dass wir ohne finanzielle Mehraus-
gaben und Steuererhöhungen versuchen, die Vorhaben
umzusetzen.
Sie werden sehen, dass wir finanzielle Spielräume für
die BAföG-Novelle eröffnen. Das ist kein Wunschden-
ken.
Eine Anmerkung zum Schluss. Natürlich ist das
BAföG eine Aufgabe von Bund und Ländern, die beide
gemeinsam wahrnehmen. Wer eins und eins zusammen-
zählen kann, weiß doch, dass die Länder einer BAföG-
Novelle dann zustimmen werden, wenn sie ihrer Mei-
nung nach auch zustimmungsfähig ist. Das ist keine
Hexerei, sondern das ist das kleine politische Einmal-
eins.
Es ist auch eine Binsenweisheit, dass wir frühzeitig
über eine mit den Bundesländern gemeinsam getragene
Novelle sprechen müssen. Partnerschaft in Bezug auf
BAföG muss in diesem Sinne heißen, dass keiner der
beiden Partner den anderen in finanzielle Bedrängnis
bringt und die finanziellen Forderungen überzieht. Wir
müssen eine faire finanzielle Lösung zwischen Bund und
Ländern finden. Das ist selbstverständlich und auch ein
Gebot der politischen Rationalität. Wir sollten das un-
aufgeregt angehen. Ich bin zuversichtlich, dass Bund
und Länder das gemeinsam hinbekommen.
Die gute Botschaft dieser Debatte ist: Das BAföG
wird modernisiert und verbessert werden. Die zweite
gute Nachricht ist: Das wird von niemandem mehr in-
frage gestellt.
Im Gegenteil: Diejenigen, die noch vor einigen Jahren
das BAföG als alten Karren oder als Auslaufmodell be-
zeichnet haben,
sind einem dramatischen Irrtum unterlegen und befinden
sich derzeit Gott sei Dank auf dem Weg der Besserung.
Heute geht es darum, das BAföG noch besser und zeit-
gemäßer zu machen. Wir sollten uns damit nicht allzu
viel Zeit lassen.
Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katrin
Albsteiger das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Das BAföG ist eineErfolgsgeschichte. Das BAföG ist ein systemrelevanterTeil unserer Gesellschaft. Das BAföG ist gelebte Verant-wortung gegenüber der jungen Generation.
Ihr Antrag hingegen ist genau das Gegenteil davon. Erist ein Schnellschuss, frei nach dem Motto „Wir fordernjetzt einfach mal das Maximum“, also die schöne heileWelt. Es geht Ihnen nur um den Effekt und nicht darum,ein nachhaltiges Konzept vorzulegen. Wir hingegen ha-ben immer betont, dass Bildungspolitik auch generatio-nengerecht sein muss.Die Ausgangslage ist gut. Die Bundesregierung gibtso viel Geld für Bildung und Forschung aus wie nie zu-
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Katrin Albsteigervor. Schon in den Jahren 2010 bis 2013 haben wir in die-sem Bereich 13 Milliarden Euro mehr investiert.
Gleichzeitig haben wir uns auf den Weg gemacht, dieHaushalte zu konsolidieren. Das ist in Bezug auf Gene-rationengerechtigkeit ein ganz wichtiger Punkt. Genaudiesen Weg wollen wir jetzt konsequent weitergehen, in-dem wir weitere 9 Milliarden Euro in den Bereich Bil-dung und Forschung investieren.
Das darf ich an dieser Stelle auch einmal sagen: In Zei-ten solch großer Rentenpakete ist das ein richtiges undwichtiges Signal an die junge Generation.
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben innerhalb des Bud-gets vor, die BAföG-Bedarfssätze und auch die Freibe-träge zu erhöhen. Aber das muss man erst einmal anstän-dig durchrechnen. Hier darf es keinen Schnellschussgeben.Sie haben sich immerhin die Mühe gemacht, einenhübschen Forderungskatalog aufzustellen. Dort findensich Forderungen wieder wie die nach einer Erhöhungder Bedarfssätze um mindestens 10 Prozent, dem rück-zahlungsfreien Vollzuschuss oder der elternabhängigenFörderung. Das ist keine Initiative, sondern „Wünsch dirwas“ und sonst gar nichts.
Am Ende packen Sie ihre linke Agenda wie die For-derung nach Erhöhung der Einkommen-, Vermögen- undErbschaftsteuer in Ihren BAföG-Antrag. Ich frage michernsthaft: Was hat das darin verloren? Absolut garnichts!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, statt pauschal dasMaximum zu fordern, wollen wir es anständig durch-rechnen. Die junge Generation hat auf lange Sicht über-haupt nichts davon, wenn man einfach imposante Paketeschnürt, das Umsetzungskonzept aber offen bleibt. Eswäre ja geradezu absurd und völlig abwegig – das mussman sich einmal vorstellen –, wenn wir jetzt das Geld,das Sie im Rahmen Ihrer großen Reform ins BAföG ste-cken wollen, durch Steuererhöhungen und Aufnahmeneuer Schulden finanzieren würden, und das im selbenUmfang.Oder eine andere Idee: Wäre es vielleicht toll, wennwir das Geld einfach aus anderen wichtigen und richti-gen Bildungs- und Forschungsinitiativen nehmen wür-den? Das ist das Prinzip „rechte Tasche – linke Tasche“.Das bringt uns überhaupt gar nichts. Das ist nicht gene-rationengerecht und aus dem Grund auch nicht mit unszu machen.
Andere Instrumente wie beispielsweise das Deutsch-landstipendium erklären Sie unerklärlicherweise für ge-scheitert.
Dabei ist auch das eine Erfolgsgeschichte: 14 000 Sti-pendiaten wurden Ende 2012 gefördert. Das sind immer-hin 9 000 mehr als im Jahr davor. Zusammen mit demAusbau der Begabtenförderungswerke haben wir es seit2005 geschafft, die Anzahl der Stipendien fast zu ver-dreifachen. Wir haben die Anzahl der Stipendien von16 400 auf 48 000 erhöht.
Deutschland muss zugegebenermaßen – auch das willich sagen – im Bereich der Stipendien noch einiges tun.Da gibt es noch ein bisschen aufzuholen.
Dabei setzen wir aber nicht, wie Sie es so gerne tun, al-lein auf den Staat, sondern auch auf private Träger, aufFörderer aus der Wirtschaft. Auch das ist wichtig. Die-sen Weg wollen wir als CDU/CSU-Fraktion konstruktivbegleiten.
Noch ein Wort zum Bürokratieabbau: Ein Ansatz-punkt für die BAföG-Reform muss sein, die kompli-zierte Antragstellung praxisnäher und stärker am Stu-denten orientiert zu gestalten. Das ist wichtig, damit derVergabeprozess beschleunigt werden kann und das Geldschneller dort ankommt, wo es wirklich gebraucht wird,nämlich bei den Studenten.
Zusammengefasst heißt das: Wir brauchen keinenSchnellschuss, sondern ein solides Konzept. Wir wollenbei der Weiterentwicklung des BAföG den Anforderun-gen der Studenten Rechnung tragen; dafür setzen wir unsein. Wir wollen daneben die Auswirkungen des Bolo-gna-Prozesses im Blick behalten. Das alles muss basie-ren auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Das sind wir derjungen Generation schuldig.Vielen Dank.
Dies war die erste Rede der Kollegin. HerzlichenGlückwunsch!
Jetzt hat die Kollegin Saskia Esken das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bun-
desausbildungsförderungsgesetz, das BAföG, steht für
ein zentrales gesellschaftliches Versprechen. Es steht für
den Aufstieg durch Bildung und Leistung. Es steht für
Eltern, die sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder
wünschen, und es steht für die Unterstützung junger
Menschen, die sich weiterentwickeln möchten.
Das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung und
Leistung ist das Kernthema der Sozialdemokraten seit
mehr als 150 Jahren. So kann es nicht verwundern, dass
eine SPD-geführte Regierung das BAföG erfunden und
eingeführt hat. Alle bedeutenden Reformen und Weiter-
entwicklungen des BAföG wurden von Regierungen auf
den Weg gebracht, an denen die SPD beteiligt war.
Wir können deshalb versichern: Auch bei der jetzigen
Regierung können sich die jungen Menschen und ihre
Eltern auf die SPD verlassen. Wir werden gemeinsam
mit dem Koalitionspartner dafür sorgen, dass gestiegene
Lebenshaltungskosten und Einkommen ebenso berück-
sichtigt werden wie der Wandel von Lebens- und Stu-
dienbedingungen.
Über die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform
sind wir uns nicht nur in der Regierungskoalition durch-
aus einig. Ich bin deshalb zuversichtlich, liebe Kollegen
von der Linken, dass wir für die Ausgestaltung und die
Finanzierung einer BAföG-Reform mit Substanz einen
gemeinsamen Weg finden werden.
Auch wenn die Zahl der Studienanfänger und mit ihr
die Zahl der BAföG-Empfänger immer weiter ansteigt
und wir damit die Erfolgsgeschichte des BAföG erzäh-
len können, müssen wir feststellen: Bei der Frage der
Bildungsgerechtigkeit liegt immer noch ein weiter Weg
vor uns. Eines zeigt uns die Bildungsberichterstattung,
zum Beispiel der Ländervergleich des IQB oder auch der
letzte PISA-Bericht, bei allen positiven Entwicklungen
immer wieder deutlich auf: Weiterhin ist in Deutschland
die soziale Herkunft sehr bestimmend für den Bildungs-
erfolg und damit auch für den Hochschulzugang.
Es überrascht deshalb nicht, dass auch weiterhin
hauptsächlich der Nachwuchs von Akademikern den
Weg an die Hochschulen findet. Drei Viertel der Kinder,
bei denen ein Elternteil oder beide Elternteile einen
Hochschulabschluss haben, nehmen später selbst ein
Studium auf. Bei Facharbeiterfamilien beträgt dieser An-
teil nur 25 Prozent. Soziale Gerechtigkeit und Chancen-
gleichheit dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen.
Diese hehren Ziele müssen mit Leben gefüllt werden.
Das BAföG bildet hierfür eine wichtige Basis.
Alle Eltern – hier in diesem Hause und darüber hi-
naus – wünschen sich eine gute Zukunft für ihre Kinder.
Dieser Wunsch bezieht sich nicht nur auf das persönliche
Leben, sondern auch auf den Erfolg am Arbeitsmarkt. Da-
bei wird die Qualität der Bildung und Ausbildung als Vo-
raussetzung für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt ange-
sehen. Die vergleichsweise geringen Zahlen arbeitsloser
Fachkräfte und Akademiker zeigen ja auch, dass das
nicht ganz falsch ist.
Deshalb ist der Wunsch nach der bestmöglichen Bil-
dung und Ausbildung in diesem Zusammenhang zentral.
Ob „bestmöglich“ dann eher mit einem Hochschulstu-
dium oder einer Facharbeiterausbildung zu verwirkli-
chen ist, ist eine Frage der persönlichen Neigung und
Sichtweise. In der Sorge aber, ob diese bestmögliche Bil-
dung und Ausbildung der Kinder auch finanziell leistbar
ist, stellt das BAföG gerade für die Eltern eine große
Entlastung dar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ver-
sprechen des Aufstiegs durch Bildung und Leistung war
und ist für uns Sozialdemokraten – darauf will ich gerne
noch einmal zurückkommen – die Grundlage für das
BAföG als soziales Leistungsgesetz. Hierauf wird die
SPD auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk legen
und dies in die Regierungsarbeit mit einfließen lassen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Auch Ihnen, liebe Kollegin Esken, ganz herzlichen
Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede!
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Cemile
Giousouf das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Liebe Besucher! Hätte dieLinksfraktion einen Blick in den 20. BAföG-Bericht undin die Presse geworfen, hätte sie sich diesen Antragsparen können. Ich bin der Auffassung: Auch IhreWählerinnen und Wähler verdienen es, dass wir in die-sem Hohen Haus substanziell über Studienfinanzierungdebattieren statt über Scheinanträge. Der hier vorlie-gende Antrag verzerrt die Realitäten und impliziert, dieRegierung würde die Studierenden und Schüler diesesLandes im Stich lassen. Er bietet auch keine einzige rea-listische Finanzierungsgrundlage.
Konkret fordern Sie, Frau Gohlke, fordert die Linke,den Darlehensanteil des BAföG zu streichen. Stattdessensoll ein Vollzuschuss ausgezahlt werden. Als ehemaligeBAföG-Empfängerin möchte ich einem Steuerzahlernicht vermitteln müssen, warum ein in der Regel gut ver-dienender Akademiker seine Ausbildung in voller Höhestaatlich bezuschusst bekommen soll. Die heutige Rege-lung, dass die Hälfte der BAföG-Zahlung als zinslosesDarlehen ausgezahlt wird, ist fair. Schüler und Auszubil-
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Cemile Giousoufdende bekommen diese Leistung ohnehin als darlehens-freien Vollzuschuss.Weiterhin fordern Sie in Ihrem Antrag, die Bedarfs-sätze drastisch zu erhöhen und die Altersgrenzen abzu-schaffen. Im Jahr 2008 wurde das BAföG um 10 Prozentund im Jahr 2010 das Höchstalter auf 35 Jahre erhöht.
Aber Sie wollen das BAföG zu einer statischen Rund-umversorgung degradieren: nach dem Prinzip Gieß-kanne ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
Ihre Maximalforderungen aus dem linken Wünsch-dir-was-Katalog wollen Sie durch neue Schulden und hö-here Steuern finanzieren. Mit Verlaub: Das kann wirk-lich kein Mensch ernst nehmen.
Die Forderung, das Deutschlandstipendium abzu-schaffen, gehört inzwischen offenbar zu einer Art An-tragsfolklore der Opposition.
Um es noch einmal klarzustellen: Das Stipendium istkeine Alternative zum BAföG. Etwa ein Viertel der Sti-pendiaten erhielten dieses zusätzlich zu ihrem BAföG.
Wenn man die freiwerdenden Mittel aus dem Deutsch-landstipendium den BAföG-Empfängern auszahlenwürde, käme man auf eine Summe von 1,50 Euro. Ichkann mir nicht vorstellen, dass das eine ernsthafte Forde-rung von Ihnen sein kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist dieBildungsrepublik in Europa. Wir haben die niedrigsteJugendarbeitslosigkeit, und unser Ziel ist es, jedes Kindnach seinen Begabungen zu fördern. Unsere Bilanz ist sogut wie seit Jahren nicht mehr. Auch das können Sienicht schlechtreden, auch wenn Sie sich noch so vielMühe geben; die Ergebnisse des BAföG-Berichts bestä-tigen das. Bund und Länder haben 2012 insgesamt3,3 Milliarden Euro und damit 18 Prozent mehr fürBAföG ausgegeben als noch 2010. Die Zahl der Geför-derten betrug 2012 im Jahresdurchschnitt 630 000. Daswaren 45 000 Studierende und Schüler mehr als nochvor drei Jahren. Die Förderbeiträge für Studierende undfür Schüler sind angestiegen: Schüler bekommen heute50 Euro mehr im Monat. Wir konnten 54 000 Studieren-den eine Ausbildung im Ausland ermöglichen; so etwasist sonst – da gebe ich der Kollegin aus der SPD recht –privilegierten Familien vorbehalten. 67 000 Gefördertehaben eine ausländische Staatsangehörigkeit. Das ist einZeichen dafür, dass unser Bildungssystem und unserFördersystem durchlässiger geworden sind.
Neben dem BAföG wurden im Jahr 2012 175 Millio-nen Euro in die Förderung von besonders begabten Stu-dierenden investiert. Was für die Kollegen der Linkspar-tei eine Elitenförderung darstellt, ist eine Anerkennungvon gesellschaftlichem Engagement, das nicht wenigerzählt als gute Noten; denn ein Land, das seine bestenKöpfe nicht fördert, ist nicht zukunftsfähig.
Das Drei-Säulen-Modell unserer Studienfinanzierung– BAföG, Begabtenförderung und Studiendarlehen – hatsich bewährt. Immer mehr junge Menschen können un-abhängig von sozialen und nationalen Hürden in unse-rem Land erfolgreich ihre Ausbildung machen. Ich binaber überzeugt, dass wir die Studienfinanzierung nochverbessern können: indem wir, wie meine Kolleginnenund Kollegen schon gesagt haben, die Übergänge zwi-schen den Abschlüssen erleichtern, indem wir junge El-tern, die in Teilzeit studieren, unterstützen und indemwir die BAföG-Anträge flächendeckend online zugäng-lich machen.Das BAföG, liebe Kollegen von der Linksfraktion,wird weiterentwickelt; unsere Bildungsministerin, FrauWanka, hat das klar und deutlich gesagt. Der Bund hatdie Arme weit geöffnet.
Es ist nur konsequent, dass Bund und Länder auf diesemGebiet weiter zusammenarbeiten, wie sie es seit über40 Jahren tun.
Es wird bei der Lastenverteilung bleiben, dass der Bund65 Prozent und die Länder 35 Prozent tragen. Wir sehenda auch ein wenig unsere Fürsorgepflicht gegenüber denLändern. Wir wollen, dass auch die Länder sagen kön-nen: Liebe Studierende, wir unterstützen euch und tra-gen Verantwortung für eure Ausbildung.
Ich würde mir wünschen, dass Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Linken, auf Ihre Parteikollegeneinwirken; denn während Sie hier mit fadenscheinigenAnträgen fordern, dass das BAföG verbessert wird, fal-len unter der rot-roten Landesregierung in Brandenburgjährlich 450 000 Unterrichtsstunden aus.
Das wäre doch einmal ein Punkt, wo sich Einsatz richtiglohnen würde.
Auch Ihnen, Kollegin Giousouf, herzlichen Glück-wunsch zu Ihrer ersten Rede!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die De-batte beendet. Ich schließe die Aussprache.
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Vizepräsidentin Edelgard BulmahnInterfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/479 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir amSchluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen.Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und guteArbeit.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf Mittwoch, den 19. Februar 2014, 13 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.