Protokoll:
18015

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 15

  • date_rangeDatum: 14. Februar 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:39 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/15 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 15. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Abge- ordnetengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes Drucksache 18/477 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Erweiterung des Straftatbestandes der Ab- geordnetenbestechung Drucksache 18/476 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption Drucksache 18/478 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107 B Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . 1107 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1109 B Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1110 B Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . 1112 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1113 C Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1114 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1115 D Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1116 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1117 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 1118 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1120 A Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Die Demokratie verteidigen im digi- talen Zeitalter Drucksache 18/182 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1120 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1122 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1124 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 1126 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1128 A Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . 1129 A Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1130 A Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1131 B Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1132 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1133 C Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1135 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . 1136 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1137 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1137 C Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1137 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1139 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1139 D Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Kon- zerninsolvenzen Drucksache 18/407 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1142 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1143 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1145 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 1146 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1147 C Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: BAföG-Reform zügig umsetzen Drucksache 18/479 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1148 D Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1148 D Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1150 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1152 A Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1153 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1154 A Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1154 D Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1156 A Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1156 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1158 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1159 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1160 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 1107 (A) (C) (D)(B) 15. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 Beginn: 9.00 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 1159 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 14.02.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 14.02.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 14.02.2014 Beckmeyer, Uwe SPD 14.02.2014 Brantner, Dr. Franziska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Brase, Willi SPD 14.02.2014 Durz, Hansjörg CDU/CSU 14.02.2014 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Ernst, Klaus DIE LINKE 14.02.2014 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 14.02.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 14.02.2014 Golze, Diana DIE LINKE 14.02.2014 Grindel, Reinhard CDU/CSU 14.02.2014 Heller, Uda CDU/CSU 14.02.2014 Höger, Inge DIE LINKE 14.02.2014 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Holzenkamp, Franz- Josef CDU/CSU 14.02.2014 Ilgen, Matthias SPD 14.02.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 14.02.2014 Jelpke, Ulla DIE LINKE 14.02.2014 Juratovic, Josip SPD 14.02.2014 Korte, Jan DIE LINKE 14.02.2014 Krellmann, Jutta DIE LINKE 14.02.2014 Künast, Renate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Lischka, Burkhard SPD 14.02.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 14.02.2014 Movassat, Niema DIE LINKE 14.02.2014 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Rabanus, Martin SPD 14.02.2014 Rüthrich, Susann SPD 14.02.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 14.02.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 14.02.2014 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 14.02.2014 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 14.02.2014 Schulte-Drüggelte, Bernhard CDU/CSU 14.02.2014 Dr. Steinmeier, Frank- Walter SPD 14.02.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 14.02.2014 Strothmann, Lena CDU/CSU 14.02.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Thönnes, Franz SPD 14.02.2014 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 14.02.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Weber, Gabi SPD 14.02.2014 Dr. Wilms, Valerie BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.02.2014 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 14.02.2014 Zimmermann, Pia DIE LINKE 14.02.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 1160 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Änderung der Geschäfts- ordnung des Deutschen Bundestages zwecks Siche- rung der Minderheitenrechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag auf Drucksache 18/183 zu- rückzieht. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Entwurf eines Gesetzes zur Siche- rung der Oppositionsrechte in der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages auf Drucksache 18/184 zurückzieht. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter- parlamentarischen Union 128. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 22. bis 27. März 2013 in Quito, Ecuador Drucksachen 18/81, 18/305 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundes- tages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 22. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 25. bis 27. August 2013 in Pärnu, Estland Drucksachen 18/158, 18/305 Nr. 10 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Offsetdruc sellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 K Haushaltsführung 2013 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 30 02 Titel 632 50 – BAföG – Schü- lerinnen und Schüler – bis zur Höhe von 83 Mio. Euro Drucksachen 18/327, 18/413 Nr. 1.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.4 EP P7_TA-PROV(2013)0333 Drucksache 18/419 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2013)0378 Drucksache 18/419 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2013)0379 Drucksache 18/419 Nr. A.11 EP P7_TA-PROV(2013)0453 Drucksache 18/419 Nr. A.15 Ratsdokument 11482/13 Drucksache 18/419 Nr. A.17 Ratsdokument 14042/13 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/419 Nr. A.95 Ratsdokument 13834/13 Drucksache 18/419 Nr. A.96 Ratsdokument 16120/13 Drucksache 18/419 Nr. A.97 Ratsdokument 18152/13 Drucksache 18/419 Nr. A.98 Ratsdokument 18153/13 Drucksache 18/419 Nr. A.99 Ratsdokument 18171/13 kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 öln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 15. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 7 bis 9 Abgeordnetengesetz, Abgeordnetenbestechung TOP 14 Demokratie im digitalen Zeitalter TOP 15 Bewältigung von Konzerninsolvenzen TOP 16 BAföG-Reform Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801500000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zur
15. Plenarsitzung des Bundestages.

Ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen,
dass interfraktionell vereinbart wurde, den Vorschlag des
Rates über die Unterzeichnung – im Namen der Europäi-
schen Union – eines Handelsabkommens zur Bekämp-
fung von Produkt- und Markenpiraterie auf Drucksache
18/419 Nr. C.16 sowie einen Vorschlag für einen Be-
schluss des Rates über den Abschluss des Handelsabkom-
mens auf Drucksache 18/419 Nr. C.17 dem Ausschuss
Digitale Agenda zur Mitberatung zu überweisen. – So
richtig Unruhe kann ich nicht erkennen. Ich interpretiere
das als Zustimmung. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe nun die Zusatzpunkte 7 bis 9 unserer Tages-
ordnung auf:

ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Abgeord-
netengesetzes und eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Europaabgeordnetengesetzes

Drucksache 18/477
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Strafrechtsänderungsgesetzes – Erwei-
terung des Straftatbestandes der Abgeordne-
tenbestechung

Drucksache 18/476
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 9 Erste Beratung des von der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zum Übereinkommen der Ver-
einten Nationen gegen Korruption
Drucksache 18/478
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1801500100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht verlangt von
uns allen hier im Deutschen Bundestag, dass wir unsere
Entschädigung, unsere Vergütung selbst festlegen. Das
findet nicht jeder hier gut, aber diese Verpflichtung be-
steht, und deswegen müssen wir uns dieser Verpflich-
tung auch stellen.

In der öffentlichen Debatte geht die Tatsache, dass
wir immer selbst festlegen, was ein Bundestagsabgeord-
neter und damit wir selbst verdienen, häufig mit dem
Vorwurf einer Selbstbedienungsmentalität einher, was
natürlich für das Ansehen des Parlamentes und auch für
die Stellung des Abgeordneten insgesamt nicht immer
förderlich ist. Deswegen ist es richtig, dass man sich ein-
mal grundsätzlich Gedanken macht: Was ist eigentlich
eine angemessene Vergütung für die Abgeordnetenleis-
tung, für den Umfang der Tätigkeit eines Abgeordneten?

Da gibt es seit 1995 eine klare Vorgabe, die bereits
seit dieser Zeit im Abgeordnetengesetz normiert ist,
nämlich die Festlegung: Für unsere Arbeit hier im Deut-
schen Bundestag ist der Vergleichsmaßstab sinnvoller-
weise eine Tätigkeit auf Bundesebene, und zwar die Tä-
tigkeit einer Person, die nicht weisungsabhängig ist,
sondern die wie wir eine spezielle Rechtsstellung in An-
spruch nehmen kann. Deswegen orientiert sich die
Frage: „Was ist eine angemessene Vergütung für Abge-
ordnete?“, sinnvollerweise, wie ich finde, an dem Ver-
dienst eines Bundesrichters, der auf Bundesebene eine






(A) (C)



(D)(B)

Michael Grosse-Brömer

hohe Verantwortung hat, aber eben auch weisungsfrei
entscheidet.

Wir haben diese schon seit 1995 im Gesetz festge-
legte Vergütung nie erreicht, unter anderem auch des-
halb, weil wir uns selbst in den letzten zehn Jahren sechs
Nullrunden verordnet haben, sicherlich in den Einzelfäl-
len immer berechtigterweise, weil die Gesamtsituation
aus unserer Sicht nicht geeignet war, um die Diäten zu
erhöhen.

Wir haben uns schon vor zwei Jahren darauf verstän-
digt, eine unabhängige Sachverständigenkommission
einzurichten, die sich grundsätzlich über die Rechtsstel-
lung des Abgeordneten Gedanken macht. Der Ab-
schlussbericht dieser Kommission, die sich aus ehemali-
gen Ministern, aus Wirtschaftsvertretern, Vertretern der
Gewerkschaften, Professoren und Professorinnen zu-
sammengesetzt hat, liegt seit März letzten Jahres vor.
Wir hatten ihn bereits in der letzten Legislaturperiode
anberaten und uns darauf verständigt, zu Beginn dieser
Legislaturperiode die notwendigen Schlussfolgerungen
daraus zu ziehen. Genau die diskutieren wir heute Mor-
gen zu bester Zeit, damit die Debatte öffentlich beachtet
und verfolgt werden kann.

Wer sich diese Schlussfolgerungen ansieht, wird fest-
stellen, dass die Kommission eines wirklich gut gemacht
hat: Sie hat sich mit dem Leitbild des Abgeordneten be-
schäftigt. Die Besonderheit ist, dass wir nicht weisungs-
abhängig sind, dass wir keine Amtsträger sind und dass
wir daher nicht wie ein Beamter verpflichtet sind, neu-
tral zu arbeiten und zu entscheiden. Wir sind bewusst In-
teressenvertreter. Wir kümmern uns darum, was in
Deutschland vor sich geht. Wir vertreten unsere politi-
schen Überzeugungen, aber wir sind natürlich auch Inte-
ressenvertreter der Menschen unseres Wahlkreises. Dort
werden wir gewählt, dort wollen wir Zustimmung haben.
Das ist Teil der Demokratie. Deswegen liegen uns die
Unternehmen und die Menschen in unserem Wahlkreis
mit all ihren Problemen besonders am Herzen.

Die Aufgabe eines Abgeordneten ist vielfältig. Wir
haben überlegt, welche Schlussfolgerungen wir daraus
ziehen müssen. Die Kommission hat gesagt: Die Vergü-
tung, wie sie seit 1995 im Gesetz festgelegt ist, ist rich-
tig. Deswegen schlagen wir heute in erster Lesung vor,
dass wir die derzeit bestehende Differenz in Höhe von
rund 830 Euro ausgleichen. Wir wollen in zwei Schritten
vorgehen, um dann das Niveau zu erreichen – es wurde
bereits 1995 durch eine Kommission festgelegt –, das ei-
ner angemessenen Entschädigung für die Tätigkeit eines
Abgeordneten entspricht.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir au-
ßerdem einen wichtigen, sinnvollen und das System ein
Stück weit ändernden Schritt. Unser Vorschlag ist, dass
wir die Abgeordnetenentschädigung, sobald sie das ent-
sprechende Niveau erreicht hat, an den Nominallohnin-
dex koppeln. Das stellt uns nicht schlechter und nicht
besser als jeden abhängig Beschäftigten in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist aus meiner Sicht ein sinnvoller Schritt. Wir wer-
den uns daran genau orientieren. Wir werden zu Beginn
einer Legislatur eine entsprechende Entscheidung treffen
müssen. Die Entschädigung orientiert sich dann an der
Lohnentwicklung, wie sie in ganz Deutschland stattfin-
det. Wir sind somit nichts Besonderes, sondern Teil der
Gemeinschaft. Wir nehmen an der Lohnentwicklung ge-
nauso teil wie die abhängig Beschäftigten in Deutsch-
land.

Das Ergebnis der Kommission beinhaltet auch die
Aussage, dass die Altersversorgung des Abgeordneten
zur Sicherung seiner Unabhängigkeit, im Übrigen auch
die seines Familienumfeldes, eine geeignete Maßnahme
ist und dass das damit verbundene Verfahren gut ist. Es
gab zwar unterschiedliche Auffassungen, gleichwohl
waren die meisten der Meinung: Eine Umstellung des
Systems würde nicht weniger Kosten verursachen.

Häufig wird argumentiert, dass wir üppig versorgt
seien. Natürlich verdienen wir deutlich mehr als der
Durchschnitt der Bevölkerung. Aber lassen Sie mich da-
ran erinnern: Wir verdienen deutlich weniger als Mana-
ger oder andere Angestellte in der freien Wirtschaft, die
vielleicht auch nicht wesentlich mehr Verantwortung tra-
gen als wir.

Was die Altersversorgung betrifft, darf man auch da-
ran erinnern, dass die durchschnittliche Verweildauer ei-
nes Kollegen oder einer Kollegin im Deutschen Bundes-
tag rund zwei Legislaturperioden beträgt. Das sind acht
Jahre. Das ist bei weitem nicht ein komplettes Arbeitsle-
ben. Er oder sie wird auch andere Rentenversorgungsan-
sprüche erworben haben und wird im Regelfall auch
nach der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag weiter
in die Rentenversicherung einzahlen.

Das, was wir als Altersversorgungsansprüche geltend
machen, ist eben nur die Versorgung für einen über-
schaubaren, im Durchschnitt acht- bis neunjährigen Zeit-
raum, während dessen wir hier im deutschen Parlament
arbeiten dürfen; so darf man das ja sagen. Natürlich ist
es ein Privileg, Mitglied des Deutschen Bundestages zu
sein. Jedenfalls empfinde ich das so, und ich weiß, dass
viele Kollegen ebenso empfinden. Dennoch haben wir
gesagt: Wir wollen bei der Altersversorgung Änderun-
gen durchführen, und zwar Änderungen zu unseren Las-
ten. Wir wollen den Höchstsatz von aktuell 67,5 Prozent
auf 65 Prozent senken, den man natürlich erst nach vie-
len Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag er-
reicht.

Sehr wichtig ist, wie ich finde, auch Folgendes: Wir
schaffen die Möglichkeit des vorgezogenen Bezuges der
Altersversorgung ab, der es in Einzelfällen ermöglicht
hätte, schon mit 57 Jahren Versorgungsansprüche gel-
tend zu machen. Das schaffen wir ab, weil wir denken,
dass es angesichts der allgemeinen politischen und ge-
sellschaftlichen Debatte über Demografie und die daraus
resultierenden notwendigen politischen Reaktionen er-
forderlich ist, dass wir hier Änderungen für uns durch-
führen. Es kann nicht sein, dass wir die Rente mit 67 gut
finden, aber bei uns keine Änderungen vornehmen. Wir
schaffen jetzt zwar für die Arbeitnehmer die Möglich-
keit, nach 45 Beitragsjahren vorzeitig in Ruhestand zu
gehen, ansonsten ist ein vorzeitiger Ruhestand für sie
aber mit Abzügen verbunden. Genau so machen wir das






(A) (C)



(D)(B)

Michael Grosse-Brömer

jetzt auch bei uns: Wer eher gehen will, muss Abzüge in
Kauf nehmen. Das war vorher nicht so. Ich denke, wir
haben diesbezüglich eine sinnvolle Änderung vorge-
schlagen.

Wir werden auch die Strafen, die wir uns selbst aufer-
legen, verdoppeln. Wer hier unentschuldigt fehlt, muss
künftig pro Tag 200 Euro bezahlen. Ich finde, das ist an-
gemessen und sinnvoll. Wenn man entschuldigt fehlt,
kostet das zwar auch noch Geld, aber nicht ganz so viel.

Das alles wollen wir mit weiteren Änderungen kop-
peln, auf die die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir
sprechen, vielleicht noch eingehen werden. Wichtig ist,
dass die Änderungen, die ich gerade beschrieben habe,
mit notwendigen Änderungen in Bezug auf die Abgeord-
netenbestechung gekoppelt werden. Dieses Feld ist neu
zu regeln; es ist ein extrem schwieriges Feld. Das haben
wir schon in der letzten Legislaturperiode festgestellt.
Die Anhörung hat gezeigt, dass wir in vielerlei Hinsicht
Schwierigkeiten haben, einen neuen Tatbestand zu
schaffen, der bestimmt genug ist und uns allen die Ge-
wissheit gibt, nicht zu Unrecht verfolgt zu werden.

Eines ist klar: Für einen Abgeordneten, gegen den ein
Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, hat – unabhän-
gig vom Ausgang – allein die Tatsache, dass gegen ihn
ermittelt wird, eine katastrophale Auswirkung auf seine
Wiederwahl, sofern er unter diesen Umständen über-
haupt noch einmal kandidiert. Deswegen ist das schwie-
rig. Wir stellen uns aber der Aufgabe, einen neuen Tatbe-
stand zu kreieren, der strafwürdiges Verhalten erfasst
– natürlich muss Bestechlichkeit strafbar sein; das ist sie
in Teilen auch schon –, ohne dabei den Grundsatz des
freien Mandats nebst Beachtung der Besonderheiten des
politischen Prozesses aufzugeben.

Angesichts dessen stehen wir vor einer schwierigen
Aufgabe. Ich bin davon überzeugt, dass die Kolleginnen
und Kollegen im Rechtsausschuss sich dieser Aufgabe
stellen werden und es schaffen, die beste Lösung zu erar-
beiten. Das ist nicht einfach. Das ist eine große Heraus-
forderung. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen ha-
ben die Sorge, dass es falsch geregelt wird. Wie das so
ist: Das Verfahren geht seinen normalen Gang. Wir bera-
ten im Ausschuss. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir
gute Lösungen finden, wie wir sie auch bezüglich der
Rechtsstellung des Abgeordneten gefunden haben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801500200

Die Kollegin Petra Sitte erhält nun das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801500300

Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und

Kollegen! Um allen Missverständnissen vorzubeugen,
sage ich es lieber gleich am Anfang: Die angemessene
Entschädigung für Abgeordnete ist eine demokratische
Errungenschaft, und das bleibt sie auch.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Bereits im antiken Griechenland wurden solche Diäten
eingeführt, um weniger wohlhabenden Schichten demo-
kratische Teilhabe zu sichern. Diese Funktion üben Diä-
ten im Grunde genommen immer noch aus.

Es ist schon etwas Besonderes, das Bundestagsman-
dat als Vollzeitberuf ausfüllen zu können und dabei auf-
grund der Höhe der Diäten von weiteren Finanziers un-
abhängig zu sein. Das gilt nicht für alle Abgeordneten.
Ich kann mich an Abgeordnete wie Herrn Merz erinnern,
der, glaube ich, in 23 Aufsichtsräten gesessen hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur kein Neid!)


Wie auch immer, prinzipiell sind wir unabhängig.

Die Ansprüche an unsere Arbeit, die Ansprüche an
die Mandatsausübung wachsen natürlich. Grüne und
Linke erfahren das ja jetzt gerade. Wir sollen sozusagen
den GroKo-Fanten bändigen, obwohl uns die notwendi-
gen Instrumente dafür noch fehlen.

Wer im Parlament, dem demokratischen Korrektiv
von Regierungsarbeit, sitzt, sollte wirtschaftlich unab-
hängig sein. Allerdings handeln wir nicht im luftleeren
Raum. Wir haben ein konkretes gesellschaftliches Um-
feld. Dort erleben die Menschen seit Jahren eine Spal-
tung der Gesellschaft: Zum einen gibt es eine große
Masse von Beschäftigten, die sich immer wieder die
Frage stellen, ob sie ihren Wohlstand auch morgen noch
sichern können, mag er auch noch so bescheiden sein.
Zum anderen gibt es eine relativ kleine Gruppe von sehr
Reichen, deren Einkommen und Vermögen in den letz-
ten Jahren, insbesondere sogar nach der Krise, explodiert
sind.

Herr Grosse-Brömer, mein Amtskollege von der
CDU, hat gerade gesagt: Wir Abgeordnete wollen nicht
schlechter und nicht besser gestellt werden als alle ande-
ren Beschäftigten auch außerhalb des Parlaments. – Dem
kann ich erst einmal uneingeschränkt zustimmen. Aber
wenn man es sich in der Praxis genau anschaut – deshalb
habe ich vom gesellschaftlichen Umfeld gesprochen –,
dann sieht man – auch wenn die Koalition versucht, uns
etwas anderes zu erzählen –, dass die Diäten seit 2000
von 6 623 Euro auf in diesem Jahr 8 252 Euro gestiegen
sind. Das ist immerhin ein Wachstum von 25 Prozent.
Die Bruttolöhne hingegen sind in dieser Zeit nur um
22 Prozent gestiegen. Nimmt man, insbesondere vor
dem Hintergrund ansteigender Lohnnebenkosten, die
Nettogehälter zum Maßstab, sieht die Bilanz – auch sie
zeigt einen Vorteil der Bundestagsabgeordneten – noch
schlechter aus.

Wir sind natürlich auch Profiteure der ungerechten
Steuerreform. Viele Abgeordnete profitieren beispiels-
weise von der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Da müssen Sie aber welche haben!)


Abgeordnete profitieren beispielsweise durchaus auch
von der Absenkung des Spitzensteuersatzes. Das halten






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Petra Sitte

wir für höchst problematisch. Auch das muss man hier
thematisieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz dramatisch ist der Vergleich mit den unteren
Gehaltsklassen. Dazu gehört immerhin die überwie-
gende Zahl der Beschäftigten. Bei diesen hat es seit 2000
Reallohneinbußen gegeben. Angesichts der Zeitgleich-
heit dieser Vorgänge – Reallohneinbußen und Diäten-
erhöhung – ist das Vorhaben, die Diäten in sieben Monaten
um 830 Euro steigern zu wollen, höchst problematisch
und diskussionswürdig. Ich finde, die Koalition hätte ru-
hig erst einmal damit anfangen können, ihre Hausaufga-
ben aus dem Koalitionsvertrag zu machen, bevor sie die
Diäten erhöht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regelung unserer Altersversorgung – Sie haben
das Thema in Ihrem Beitrag erwähnt – steht im Wider-
spruch zu der der Beschäftigten oder anderer Bürgerin-
nen und Bürger. Sie sagen zwar, dass wir das Niveau der
Altersversorgung jetzt von 67,5 auf 65 Prozent senken
– man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen,
dass dem eine Diätenerhöhung vorausgeht –, allerdings
muten wir den Beschäftigten im Land langfristig zu,
dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent
abgesenkt wird. Nun frage ich nicht, ob die Altersversor-
gung der Abgeordneten nicht auch auf 43 Prozent ge-
senkt werden sollte, aber ich frage Sie: Wenn für uns
65 Prozent gelten sollen, wieso wird dann nicht auch das
Rentenniveau wieder angehoben?


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe in meinen Abgeordnetensprechstunden ge-
nauso wie Sie durchaus Menschen – dazu zählen insbe-
sondere altgeschiedene Frauen, die im Einigungsvertrag
vollkommen vergessen wurden –, die im Monat eine
Rente haben, die nicht einmal so hoch ist wie die jetzt
geplante Steigerung der Diäten. Insofern denke ich, dass
da ein bisschen Demut, ein bisschen Bescheidenheit an-
gebracht wäre.


(Beifall bei der LINKEN)


Die geplante Anhebung der Diäten steht in keinem
vernünftigen Verhältnis zur Lebensrealität der Men-
schen, die uns alle hier gewählt haben. Bei dieser Erhö-
hung werden die falschen Prioritäten gesetzt. Aus die-
sem Grund werden wir höchst kritisch in die Diskussion
gehen und diesem Teil des vorliegenden Gesetzentwurfs
nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801500400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine

Lambrecht für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1801500500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
möchte den Fokus in dieser Debatte doch auf das Ge-
samtpaket richten, das wir heute und in der nächsten Sit-
zungswoche hier beraten. Ich möchte darum bitten, es
genau so wahrzunehmen – als Gesamtpaket – und nicht
den Fokus allein auf einen Punkt zu richten, auch wenn
dieser Punkt ein entscheidender Punkt ist.

Niemand drückt sich davor, die Diskussion darüber
zu führen. Selbstverständlich gehört die Erhöhung der
Diäten mit zu diesem Paket; aber zu diesem Paket gehört
eben auch, dass wir bei der Altersversorgung für Abge-
ordnete deutliche Einschnitte vornehmen. Und es ist
auch richtig, dass wir endlich – nach zehn Jahren – ein
Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung und -bestech-
lichkeit vorlegen. Dieses Gesamtpaket bitte ich Sie zu
betrachten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In dieser Debatte wird immer gefragt, ob die Anhe-
bung der Diäten, die jetzt vorgenommen werden soll – in
einer Dimension, die groß ist: 830 Euro insgesamt, über
zwei Schritte gestreckt –, okay ist. Das ist zugegebener-
maßen richtig viel Geld. Aber jeder, der hier sitzt, wurde
nicht als Bundestagsabgeordneter geboren und bezog
nicht von Anfang an eine Bundestagsdiät. Wir alle haben
eine Biografie, wir alle haben schon andere Summen
verdient und wissen deswegen sehr wohl, was diese Er-
höhung bedeutet. Ich musste mein Jurastudium finanzie-
ren und habe am Anfang an einer Tankstelle kassiert, für
damals noch 7 D-Mark.


(Zuruf von der SPD: Ich war bei der Müllabfuhr!)


Aber die Frage, die wir stellen müssen – und die wir
in der Diskussion auch stellen –, ist doch: Was verdient
ein Bundestagsabgeordneter, was verdient eine Bundes-
tagsabgeordnete? Das ist natürlich eine Frage in doppel-
ter Bedeutung; denn was wir bekommen, steht im Abge-
ordnetengesetz. Aber was ist denn ein gerechtes Entgelt
für diese Arbeit, was wäre richtig? Was ist unsere gesell-
schaftliche Stellung, und mit welcher Berufsgruppe sind
wir zu vergleichen?


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!)


Über diese Frage, glaube ich, sollten wir einmal ausführ-
lich diskutieren.

Ja, wir bekommen viel Geld, auch jetzt schon, und
zum Normalverdiener ist der Abstand auch groß. Es ist
nun einfach und populär, zu sagen: Warum verdient ihr
beispielsweise im Vergleich zu einer Verkäuferin so
viel? Aber ist der Vergleich mit der Verkäuferin richtig?
Wie arbeiten wir denn? Wir arbeiten in der Regel – zu-
mindest derjenige, der seinen Job richtig macht – 60 bis
70 Stunden die Woche. Dazu kommen dann noch die
Wochenenden. An den Wochenenden sind wir ebenfalls
unterwegs: um die Entscheidungen, die wir hier treffen,
auch entsprechend zu begründen; da müssen wir Rede
und Antwort stehen. Das ist auch richtig und gut so. Wir
besuchen darüber hinaus Vereinsjubiläen, um unsere
Verbundenheit mit dem Ehrenamt zu zeigen. Das alles
kommt am Wochenende dazu. Außerdem müssen wir
auch noch in unseren jeweiligen Parteiorganisationen






(A) (C)



(D)(B)

Christine Lambrecht

unsere Entscheidungen begründen; auch das ist nicht im-
mer einfach.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen jederzeit erreichbar sein; gerade in Zeiten
von E-Mail und SMS steigert sich das Ganze auch noch
gewaltig. Wenn eine Sondersitzung angesetzt wird, müs-
sen Bundestagsabgeordnete präsent sein. Sie müssen
sich für alles erklären, manchmal auch für Dinge, die sie
gar nicht selbst entschieden haben.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Job! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Job, und wir machen das alle freiwillig!)


Und sie stehen im Fokus der Medien, und das manchmal
nicht nur mit Blick auf ihr berufliches Tun, sondern auch
auf ihre Privatsphäre.

Warum habe ich das so ausgeführt? Weil es einfach
wichtig ist, einmal zu sehen, was wir machen, welche
Verantwortung wir haben, in welchem Zusammenhang
unsere Arbeit steht. Das ist nicht zu vergleichen mit je-
mandem, der 39, 40, 42 Stunden abhängig beschäftigt
ist, sondern das ist etwas völlig anderes.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Andere haben auch zwei Jobs!)


Als etwas völlig anderes muss es dann eben auch behan-
delt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn es etwas völlig anderes ist, bleibt die Frage: Mit
was ist es denn dann zu vergleichen? Wir sagen – ebenso
sagt es die Unabhängige Kommission –: Es ist in etwa
zu vergleichen mit der Tätigkeit eines Richters an den
obersten Gerichten. Auch er ist weisungsunabhängig
und trifft Entscheidungen, die bundesweit Gültigkeit ha-
ben. Das entspricht in etwa dem, was auch wir auf Bun-
desebene tun. Die obersten Richter erhalten Bezüge nach
der Besoldungsgruppe R 6.

Nicht jeder kann etwas mit der Besoldungsgruppe R 6
anfangen. Deswegen möchte ich einen Vergleich zu ei-
ner Berufsgruppe ziehen, deren Tätigkeit nach B 6 ver-
gütet wird. Auch wenn diese Tätigkeit eine andere ist als
unsere, nämlich die von Landräten und Bürgermeistern
mittelgroßer Städte, möchte ich Sie fragen: Haben Sie
im Ernst das Gefühl, Sie verdienen – im Sinne von: zu
Recht verdienen – weniger als ein Landrat? Angesichts
der Tragweite der Entscheidungen, die wir zum Beispiel
zur Euro-Krise, zum Finanzmarkt, zu Auslandseinsätzen
der Bundeswehr, wo es um Leben und Tod geht, zu tref-
fen haben, finde ich, dass R 6 bzw. B 6 sehr wohl die
richtige Bezugsgröße ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dies steht seit 1995 im Gesetz. Jetzt wollen wir die-
sen Schritt gehen. Dies soll in zwei Stufen geschehen.
Danach soll unser Einkommen – damit entsprechen wir
wieder den Vorschlägen der Unabhängigen Kommis-
sion – jeweils an die Entwicklung des Nominallohninde-
xes gekoppelt werden. Dieser kann nach oben gehen,
aber rein theoretisch auch nach unten, entsprechend dem
Einkommen aller Beschäftigten. Damit kommen wir der
Forderung „Hört endlich auf, selbst darüber zu entschei-
den und euch selbst zu geben, was ihr für gerecht haltet“
nach. Mit der Kopplung unseres Einkommens an diesen
Index wird die Forderung der Unabhängigen Kommis-
sion erfüllt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Ein-
schnitte auch in Bezug auf die Altersversorgung be-
schließen. Die öffentliche Diskussion ging nicht in die
Richtung – zumindest nach meiner Wahrnehmung –, wir
würden zu viel verdienen und uns die Taschen füllen.
Dass Abgeordnete gut bezahlt werden, ist gesellschaft-
lich durchaus akzeptiert. Wo es Kritik gab, und zwar zu
Recht, das war bei der Altersversorgung. Deswegen ge-
hen wir auch an diesen Komplex heran. Wir werden das
Niveau von 67,5 Prozent auf 65 Prozent für alle absen-
ken. Das ist zugegebenermaßen kein Einschnitt, ange-
sichts dessen man sagen kann, dass da richtig eingegrif-
fen wurde.

Wo es aber einen richtigen Einschnitt geben wird, wo
es richtig weh tun wird – das ist richtig so –, ist, dass es
in Zukunft keine Möglichkeit mehr geben soll, ab-
schlagsfrei in den sogenannten Vorruhestand zu gehen.
Bis jetzt kann man nach 18 Jahren Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag und bei Vorliegen von entspre-
chenden Anrechnungszeiten mit 55 bzw. 57 Jahren, je
nachdem wo das persönliche Renteneintrittsalter liegt,
abschlagsfrei in den Vorruhestand gehen. So etwas ist
aber nicht mehr zeitgemäß. Das ist nicht mehr vermittel-
bar. Deswegen streichen wir das. Es wird in Zukunft kei-
nen abschlagsfreien Vorruhestand für Abgeordnete mehr
geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder, der hier sitzt, kann sich ausrechnen, ob es ihn
betrifft; denn manchmal wird behauptet, es treffe kaum
jemanden. Es trifft all diejenigen, die in diesen Bundes-
tag neu hinzugekommen sind oder die in ihrer zweiten
Legislaturperiode hier sind. Für uns in der SPD-Fraktion
bedeutet das: Von 193 Abgeordneten werden 109 Abge-
ordnete diese Möglichkeit nicht mehr in Anspruch neh-
men können. Das ist eine ordentliche Zahl. Wenn man
den gesamten Bundestag betrachtet, dann sieht man,
dass circa die Hälfte der Abgeordneten in Zukunft diese
Möglichkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Auf
die Dauer gesehen wird das dann alle Abgeordneten be-
treffen. Ich finde schon, dass ein solcher Einschnitt
durchaus gewürdigt werden sollte. Wir werden diesen
Einschnitt vornehmen; denn er ist richtig.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gab in diesem Zusammenhang die Frage, warum
wir das System der Altersversorgung nicht insgesamt
umstellen, warum nicht jeder Abgeordnete einen be-
stimmten Betrag zur Verfügung bekommt und für sich
selbst vorsorgen muss. Auch das ist von der Kommis-






(A) (C)



(D)

Christine Lambrecht

sion geprüft worden, auch darüber wurde ausdrücklich
diskutiert. Die Mehrheit der Mitglieder der Kommission
schlägt uns vor, es bei dem bestehenden System zu be-
lassen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber auch der Minderheit kann man folgen!)


– Natürlich kann ich der Meinung einer Minderheit fol-
gen, wenn ich deren Meinung für richtig halte. Aber
wenn man den Bericht der Kommission, der übrigens
bereits seit letztem Jahr auf dem Tisch liegt, richtig
durchliest, dann erfährt man, dass eine völlige Umstel-
lung weder zu einem einfacheren Verfahren führen
würde und schon gar nicht für den Steuerzahler günsti-
ger wäre. Damit würde ich etwas beschließen, was um-
ständlicher wäre und mehr Geld kosten würde. Deswe-
gen haben wir uns entschieden, diesen Schritt nicht zu
gehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801500600

Frau Kollegin Lambrecht, lassen Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Strengmann-Kuhn zu?


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1801500700

Na klar.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801500800

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen. – Ich bitte Sie, noch einmal in den Be-
richt hineinzuschauen. Es ist nicht richtig, dass es eine
Mehrheitsposition zur Alterssicherung gab.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1801500900

Fünf zu fünf zu eins.


(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fünf zu fünf, richtig, und die eine Person ist für eine
komplette Privatisierung gewesen.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1801501000

Ja, genau.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist also ein ganz anderes Modell. Insofern gab es
an der Stelle ein Patt.

Fünf haben für Verbesserungen innerhalb des Sys-
tems plädiert; das ist das, was Sie beschrieben haben und
was im Gesetzentwurf steht. Die anderen fünf haben klar
gesagt: Abgeordnete sollen in die gesetzliche Rentenver-
sicherung einzahlen.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1801501100

Nein, nein.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Doch, ich kann es Ihnen vorlesen, wenn Sie gerne
möchten. Ich habe den Bericht hier vor mir liegen. –
Diese fünf plädieren also für ein Baukastenprinzip: ge-
setzliche Rentenversicherung plus Zusatzversorgung, die
es im öffentlichen Dienst über die betriebliche Altersver-
sorgung auch gibt, plus private Alterssicherung. Das ist
das übliche Drei-Säulen-System, nach dem alle anderen
außerhalb des Bundestages in der Regel abgesichert
sind.

Nun komme ich zu meiner Frage: Wir bekommen pro
Jahr Mitgliedschaft im Bundestag einen Anspruch auf
monatliche Alterssicherung von gut 200 Euro. Wenn
man in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt und
so viel verdient wie wir als Bundestagsabgeordnete, er-
hält man einen Anspruch von knapp 60 Euro. Finden Sie
es wirklich gerecht, dass es beim Rentenanspruch einen
so großen Unterschied und eine so starke Besserstellung
für Bundestagsabgeordnete gegenüber denjenigen gibt,
die gleich viel verdienen, eine ähnlich hohe Verantwor-
tung tragen und eine ähnliche Arbeitsbelastung haben?
Wäre es nicht viel gerechter, wenn wir alle – das haben
viele in der SPD bei vielen Rentendiskussionen, die ich
erlebt habe, vertreten – in die gesetzliche Rentenversi-
cherung einzahlen würden?


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1801501200

Sie haben im Endeffekt schon die Begründung dafür

geliefert, warum dieses völlige Umschwenken in ein an-
deres System für den Steuerzahler zumindest nicht güns-
tiger, sondern im Gegenteil sogar teurer wäre.

Wir haben uns in unserer Fraktion die Mühe gemacht,
auch mit den Kommissionsmitgliedern zu diskutieren,
und wir haben das ausführlich beraten. Sie haben das an-
dere System genau beschrieben. Diejenigen, die für die-
ses Baukastensystem plädiert haben, sagen auch: Ja, die
Anrechnung in der gesetzlichen Rentenversicherung
wäre geringer. Deswegen müsste dafür ein Ausgleich ge-
zahlt werden – wozu sie auch bereit wären.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch einmal genau nach!)


– Diskutieren Sie vielleicht einmal mit den Kommis-
sionsmitgliedern. Dann erhalten Sie solche Hintergrund-
informationen. – Dadurch wäre die Alterssicherung ge-
nauso teuer.

Das heißt, um bei dem Baukastensystem auf den jetzi-
gen Altersversorgungsanspruch zu kommen, müsste es
neben den Zahlungen in die gesetzliche Rentenversiche-
rung noch etwas anderes geben, wodurch diese Differenz
kompensiert wird. Das würde dieses System teurer ma-

(B)







(A) (C)



(D)(B)

Christine Lambrecht

chen. Deswegen entschließen wir uns, bei dem bisheri-
gen System zu bleiben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Für einen Systemwechsel, der weder einfacher noch
günstiger für den Steuerzahler ist – jetzt einmal im
Ernst –, sind wir in der Großen Koalition nicht zu haben.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
zum Schluss noch auf einen Punkt eingehen, um den es
hier neben der Diätenerhöhung und den Einschränkun-
gen bei der Altersversorgung auch geht.

Ich freue mich als Sozialdemokratin, die in der letzten
Legislaturperiode gerade auch an der Erarbeitung des
einen heute vorliegenden Gesetzentwurfes maßgeblich
beteiligt war, dass es uns nun endlich gelingt, die Be-
kämpfung der Abgeordnetenbestechung und der -be-
stechlichkeit gesetzlich zu normieren. Seit 2003 waren
wir aufgefordert, an dem bisherigen Zustand etwas zu
ändern; denn 2003 wurde die UN-Konvention gegen
Korruption unterzeichnet – auch von der Bundesrepublik
Deutschland. Bis heute ist nichts geschehen.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode – ich weiß
gar nicht, in welchem Rhythmus; wahrscheinlich war es
alle paar Wochen – häufig über dieses Thema diskutiert,
weil wir nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den
Stein“ immer wieder versucht haben, gerade in den Rei-
hen der Union, aber insbesondere auch der FDP um Un-
terstützung dafür zu werben. Es ist uns nicht gelungen,
immer mit dem Hinweis darauf, es sei so kompliziert.

Es ist kompliziert, und die Umsetzung ist auch
schwierig; aber ich glaube, wir Abgeordnete entscheiden
über noch viel schwierigere Sachverhalte. Deswegen
trauen wir uns auch zu, einen entsprechenden Straftatbe-
stand in § 108 e StGB zu normieren, sodass in Deutsch-
land in Zukunft nicht nur der Stimmenkauf unter Strafe
gestellt werden kann – das heißt das, was hier im Parla-
ment rein theoretisch stattfinden könnte –, sondern auch
die Bestechung und die Bestechlichkeit von Abgeordne-
ten.

Endlich kommen wir damit aus einer Reihe von Staa-
ten heraus, die diese Konvention bisher noch nicht um-
gesetzt haben, wie Nordkorea, Syrien und andere, und
mit denen man eigentlich nicht in einem Zusammenhang
genannt werden will.

Es freut mich, dass unser Vorschlag trotz der Kritik,
dass wir nicht weit genug gehen, immerhin von Verbän-
den wie Transparency International oder LobbyControl
wahrgenommen und begrüßt wird. Es wird anerkannt,
dass sich in dieser Frage endlich etwas bewegt, dass sich
Deutschland wie auch andere Staaten endlich aufrafft,
diese Konvention umzusetzen.

Wir unterbreiten Ihnen also auch diesen Vorschlag. Es
geht um ein Gesamtpaket, bei dem wir der Meinung
sind: Es ist ausgewogen. Es geht in die richtige Rich-
tung. Es nimmt ganz viele Vorschläge aus einer von uns
eingesetzten Unabhängigen Kommission auf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801501300

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

die Kollegin Britta Haßelmann.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801501400

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir reden
heute in erster Lesung über eine Änderung des Abgeord-
netengesetzes. Das Verfahren, das Sie wählen, ist formal
nicht zu beanstanden, um das von vornherein zu sagen.

Aber ich finde das Verfahren in der Sache nicht ange-
messen. Die beiden Gesetzentwürfe, die heute erstmals
im Bundestag beraten werden – zum einen zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes und zum anderen zur Abge-
ordnetenbestechung –, sollen am Montag in einer sehr
kurzfristig anberaumten Anhörung vertieft und schon
nächsten Freitag in zweiter und dritter Lesung verab-
schiedet werden. Ich halte es angesichts des Umfangs
der beiden Gesetze und der inhaltlich wirklich komple-
xen Fragen für politisch nicht in Ordnung, das so zu ma-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Unabhängige Kommission, auf die hier mehrfach
Bezug genommen wurde, wurde am 24. November 2011
eingerichtet und hat sich bis zum 31. März 2013 mit fol-
genden Fragen befasst: Wie soll eigentlich die Abgeord-
netenentschädigung, die Besoldung von Abgeordneten,
aussehen? Wie soll künftig die Altersversorgung ausse-
hen? Wie ist die Kostenpauschale zu bewerten? Wie
sieht es mit der Ausstattung der Abgeordneten aus?
Diese Fragen waren aus der Kritik hervorgegangen – das
wurde von außen an uns herangetragen –, dass wir als
Abgeordnete unsere Bezüge, die von einigen als zu hoch
empfunden werden, immer selbst festlegen und darüber
entscheiden.

Wir als Fraktion halten eine grundsätzliche Orientie-
rung an der Besoldungsgruppe R 6 für angemessen; das
haben wir auch in der Kommission immer vertreten. Ob
man allerdings die Anhebung der Bezüge um 10 Prozent
innerhalb eines halben Jahres in zwei Schritten machen
sollte, darüber hätten wir einmal in Ruhe diskutieren sol-
len. Eine solche Anpassung hätten wir doch auch über
die Legislaturperiode strecken können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie hätten mit den Fraktionen intensiv darüber reden
können.

Wir hätten sagen können: Eine grundsätzliche Orien-
tierung an der Besoldungsstufe R 6 ist richtig. Denn es
gibt das unabhängige Mandat. Es gibt einen riesigen
Entscheidungsrahmen. Wir wirken an Gesetzen mit. Es
gibt das freie Mandat. Jeder und jede soll es ausüben
können, auch wenn er oder sie nicht sozial abgesichert
ist. Wir müssen unbestechlich sein. Es gibt viele Gründe
für die Orientierung an der Besoldungsstufe R 6. Aber
das Verfahren, das Sie jetzt dafür wählen, ist nicht in
Ordnung. Das ist das Problem der heutigen Diskussion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)

Britta Haßelmann

Der weitaus wichtigere Punkt, der hier auch hätte dis-
kutiert werden müssen, gerade mit den neuen Abgeord-
neten, ist der der Altersversorgung und der Altersent-
schädigung. Das ist im Kern unser Kritikpunkt, den wir
in der Grünenfraktion diskutiert haben. Es gab kein Ein-
vernehmen in der Kommission. Das Votum fiel fünf zu
fünf aus, was die Frage der Beibehaltung des jetzigen
Systems mit kleinen Änderungen oder des Schwenks in
ein neues Baukastensystem auf der Grundlage der Ein-
beziehung in die gesetzliche Rentenversicherung angeht.

Angesichts eines so knappen Ergebnisses muss man
sagen: Die Abgeordneten des 18. Deutschen Bundesta-
ges hatten noch in keinem Ausschuss, in keiner Rechts-
stellungskommission die Gelegenheit, diese beiden Mo-
delle einmal in Ruhe zu bewerten; das ist das Problem.
Denn wir müssen uns insbesondere mit dem Thema der
Altersversorgung und Altersentschädigung der Abgeord-
neten beschäftigen. Es wird in der Öffentlichkeit als zu-
tiefst ungerecht empfunden, dass wir im Gegensatz zu
anderen in sehr kurzer Zeit sehr hohe Rentenbezüge er-
werben können. Das ist im Kern der kritische Punkt,
über den wir jetzt leider in der kurzen Zeit von einer Wo-
che nicht diskutieren können. Das ist ein Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die ganzen Fragen
von Nebeneinkünften und Transparenz auch in diesem
Kontext mit diskutieren. Von daher hätten wir uns für
diese Reform mehr Zeit nehmen sollen. Was zum Bei-
spiel die kurzfristig anberaumte Anhörung angeht, kann
es unser Experte aus der Kommission, der jahrelang da-
ran mitgewirkt hat, nicht innerhalb einer Woche einrich-
ten, zu dieser Anhörung zu kommen. Das ist ein Pro-
blem.

Ich halte also fest: grundsätzliche Orientierung an R 6
ja, aber keine so schnelle Anpassung von 10 Prozent in
einem halben Jahr. Vor allen Dingen ist aber die Alters-
versorgung grundsätzlich neu zu regeln, damit sie ge-
rechter wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801501500

Max Straubinger ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1801501600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir diskutieren die beiden von den Fraktionen CDU/
CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwürfe zum einen
zur Bezahlung der Abgeordneten und zum anderen zur
Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbe-
stechung. Ich glaube, dass es sehr gute Vorschläge sind,
die es wert sind, dass in aller Sachlichkeit darüber disku-
tiert wird.
Deshalb, Frau Kollegin Sitte, sollte man keine fal-
schen Zusammenhänge herstellen – ich werde später
noch darauf eingehen –, wie Sie es in der Diskussion ge-
macht haben. Denn es geht letztendlich darum, die
Rechtsstellung des Abgeordneten zu sichern – das haben
Sie bejaht – und natürlich auch die die Unabhängigkeit
wahrende Abgeordnetenentschädigung nicht infrage zu
stellen. Die Kollegin Haßelmann findet die Vorschläge
auch in der Höhe gerechtfertigt, und ich habe den Ein-
druck, dass auch Sie sie in der Höhe gerechtfertigt fin-
den. Somit haben wir eigentlich eine große Gemeinsam-
keit, die wir dann aber auch nach außen vertreten sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von daher geht es darum, diese Unabhängigkeit und
die besondere Stellung des Abgeordneten nach außen zu
vertreten, aber auch zu sichern. Das wollen wir mit den
beiden Gesetzentwürfen, die wir aufgrund der Ergeb-
nisse der Kommission, die in der letzten Legislatur-
periode eingesetzt worden ist, seit 2011 getagt hat und
2013 ihre Ergebnisse vorgelegt hat, eingebracht haben.
Wir orientieren uns sehr eng an diesen Vorschlägen. Man
könnte sicherlich über viele Bereiche noch diskutieren.
Aber, Frau Kollegin Haßelmann, wenn Sie schon fest-
stellen, dass die Orientierung an R 6 bzw. das Äquiva-
lent der Bezahlung eines Landrats oder Bürgermeisters
einer mittleren Stadt für die Entschädigung eines Abge-
ordneten gerechtfertigt ist, dann muss man das auch um-
setzen, statt zu sagen, der in dem Gesetzentwurf für die
Anpassung angestrebte Zeitraum sei zu kurz. Wenn man
davon überzeugt ist, dass etwas richtig ist, dann gilt es,
dies auch umzusetzen, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir uns jetzt über die Angemessenheit der Ab-
geordnetenentschädigung einig sind, dann geht es um
die weitere Frage der Angemessenheit einer Altersent-
schädigung. Ich glaube, dass wir trotz der unterschiedli-
chen Auffassung in der Kommission einen guten Weg
gefunden haben, darzustellen, dass die Abgeordnetentä-
tigkeit nicht alleine damit endet, dass man eine, zwei
oder drei Legislaturperioden in diesem Hohen Haus Ver-
antwortung getragen hat, sondern dass daraus auch eine
Altersentschädigung abzuleiten ist, die dem damaligen
Stand als Abgeordneter gerecht wird.

In diesem Sinne bin ich überzeugt davon, dass das
System, das wir derzeit haben und das sich vielleicht mit
dem der Beamten vergleichen lässt – auch wenn wir
keine Beamten sind –, richtigerweise anzuwenden ist.
Das System der gesetzlichen Rentenversicherung, in das
ein Arbeitnehmer einzahlt, kann deshalb nicht für uns
herangezogen werden.

Unter diesen Gesichtspunkten ist eine Regelung zu
finden, die berücksichtigt, dass wir Abgeordnete nicht
früher abschlagsfrei in Rente gehen können als diejeni-
gen, die Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung
sind – Frau Kollegin Lambrecht hat das ausdrücklich
dargelegt –, und die gleichzeitig einen Bezug zur verant-
wortungsvollen Tätigkeit des Abgeordneten herstellt.






(A) (C)



(D)(B)

Max Straubinger

Das bedeutet, dass eine gewisse Höhe der Abgeordne-
tenentschädigung letztendlich die Grundlage für eine
entsprechende Altersentschädigung bildet. Das könnte
man in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht errei-
chen, Herr Kollege Strengmann-Kuhn. Wenn wir Ihrem
Vorschlag folgen wollten, müssten wir zusätzliche pri-
vate Vorsorge gewährleisten und die Abgeordneten ent-
sprechend in die Lage versetzen. Aufgrund der Höhe der
Diäten sind wir als Abgeordnete aber steuerlich stärker
belastet als der Durchschnitt der Bevölkerung; auch das
gehört zur Wahrheit. Darüber hinaus müssen entspre-
chende Krankenversicherungsbeiträge abgeführt wer-
den; das wird in der Regel vergessen.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass die
Altersentschädigung im nun vorliegenden Abgeordne-
tengesetz angemessen zu berücksichtigen ist. Ich bitte,
dies nochmals zu bedenken und aufzunehmen.

Werte Frau Kollegin Sitte, das Abgeordnetengesetz
hat nicht zu berücksichtigen, ob einzelne Abgeordnete
Kapitaleinkünfte haben.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Natürlich! Das gehört doch mit dazu!)


Es geht einzig und allein darum, ob ein Abgeordneter
unabhängig tätig sein kann. Es gibt sparsame Abgeord-
nete, die später möglicherweise Kapitaleinkünfte haben.
Es mag auch Abgeordnete geben, die vielleicht nicht
ganz so sparsam sind und deshalb nicht über Kapitalein-
künfte verfügen. Somit geht der Vergleich, den Sie gezo-
gen haben, meines Erachtens fehl.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Festgestellt wurde auch, dass die Kostenpauschale in
der jetzigen Form richtig ist. Sie dient dazu, Einheitlich-
keit herzustellen und die Abgeordneten im Hinblick auf
ihre Arbeit und Aufwendungen zu unterstützen. Das al-
les ist mittlerweile gerichtlich überprüft. Ich glaube, da-
rüber brauchen wir uns nicht mehr zu streiten.

Ich bin sehr dankbar, dass die Kommission ein weite-
res Thema aufgegriffen hat, nämlich den Fall, in dem ein
Abgeordneter bereits im Rentenalter ist und aufgrund
früherer beruflicher Tätigkeit Beiträge in die gesetzliche
Rentenversicherung eingezahlt hat. Wir alle sind uns in
diesem Haus einig, dass Anwartschaften in der gesetzli-
chen Rentenversicherung Eigentumscharakter haben und
Eigentumsschutz genießen. Deshalb sage ich ganz offen
– das haben mehrere Kolleginnen und Kollegen in der
vergangenen Legislaturperiode nicht verstanden –: Wenn
Sie im Rentenalter und zugleich aktiver Abgeordneter
sind, wurden Ihnen bislang 80 Prozent Ihrer Renten-
anwartschaften zumindest während der Dauer der Abge-
ordnetentätigkeit gestrichen. Die Kommission hat das
aufgegriffen und schlägt vor, nur noch um 50 Prozent zu
kürzen. Ich bin aufgrund meines Rechtsverständnisses
der Meinung, dass überhaupt keine Kürzung erfolgen
sollte. Wenn Renten Eigentumscharakter haben, dürfte
eigentlich gar nicht gekürzt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber der Vorschlag der Kommission stellt nun einmal ei-
nen Kompromiss dar. Diesen wollen wir umsetzen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass
der Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge-
setzes sehr ausgewogen ist. Ich bitte die Oppositions-
fraktionen von Linken und Grünen, sich durchzuringen,
die positiven Aspekte zu sehen, damit wir gemeinsam
der Verunglimpfung entgegenwirken können – dieser
Eindruck wird besonders dann erweckt, wenn über eine
Erhöhung der Diäten gesprochen wird –, Abgeordnete
seien Selbstbediener. Es geht darum, dass wir einen gu-
ten Anpassungsmechanismus für die Diäten finden. Der
soll darin bestehen, dass der Durchschnitt der Lohnstei-
gerung aller Lohnempfänger in diesem Lande zugrunde
gelegt wird. Ich glaube, das ist gerechtfertigt. Damit
werden künftige Diskussionen über die Steigerung der
Diäten, die dem Ansehen der Abgeordneten abträglich
sind, vermieden.

Frau Kollegin Sitte, ich habe gelesen, Sie würden die
Steigerungsraten der Diäten am liebsten an die Steige-
rungsraten des kommenden Mindestlohns koppeln. Las-
sen Sie uns doch einmal die Gewerkschaftsforderungen
bei Lohnverhandlungen betrachten. Dort wird darauf ge-
achtet, dass die niedrigeren Einkommen etwas stärker
als die höheren angehoben werden. Wir würden, wenn
wir Ihrem Vorschlag folgen würden, eine höhere Diäten-
anpassung erzielen. Das würde jedoch nicht in Ihrem
Sinne sein, nehme ich an.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der LINKEN)


Unter diesem Gesichtspunkt ist der Anpassungsmecha-
nismus, den wir gewählt haben und der sich auf den
Durchschnitt aller Lohnempfänger in Deutschland be-
zieht, sicherlich das bessere System.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für
die Aufmerksamkeit und wünsche uns gute Beratungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801501700

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Halina

Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801501800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur
Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbe-
stechung scheint es so, als würde eine Never-ending
Story tatsächlich noch ein Ende finden.


(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


In der letzten Legislaturperiode hatten die drei Oppo-
sitionsfraktionen jeweils einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Mit dem damaligen Vorsitzenden des Rechtsausschus-
ses, Siegfried Kauder, wurde sogar ein gemeinsamer
Kompromissentwurf erarbeitet, der hier aber leider nicht
durchsetzungsfähig war. Insofern finde ich es schon et-






(A) (C)



(D)(B)

Halina Wawzyniak

was schade, dass bei dem vorliegenden Gesetzentwurf
nicht versucht worden ist, alle Fraktionen mit ins Boot
zu nehmen. Das wäre wahrscheinlich an dem Verdikt
von Herrn Kauder gescheitert.

Diskussionswürdig ist Ihr Gesetzentwurf allemal;
denn er sieht die Bestrafung von Abgeordneten vor, die
einen rechtswidrigen Vorteil für sich selbst oder Dritte
als Gegenleistung fordern, sich versprechen lassen oder
annehmen. Das Wort „Gegenleistung“ macht schon
deutlich: Es muss eine Handlung oder eine Unterlassung
im Parlament im Zusammenhang mit dem Mandat erfol-
gen, um diesen Tatbestand zu erfüllen.

Nun schreiben Sie im Gesetzentwurf, dass die Gegen-
leistung für den Vorteil eine Handlung oder Unterlas-
sung „im Auftrag oder auf Weisung“ sein muss. Ich
persönlich würde es besser finden, wenn wir die Formu-
lierung „Handlung oder Unterlassung im Zusammen-
hang mit dem Mandat“ statt dieser Formulierung wählen
würden. Ich will aber auch deutlich darauf hinweisen,
weil ich die Kritik an dem Ausdruck „im Auftrag oder
auf Weisung“ kenne, dass eine Gegenleistung, die ja Be-
standteil dieser Regelung ist, irgendwie vereinbart sein
muss. Wenn man jetzt Auftrag und Weisung nicht klas-
sisch im rechtstechnischen Sinne versteht, ist es tatsäch-
lich so, dass das irgendwie verabredet sein muss.

Der Vorteil dieses Gesetzentwurfs ist, dass er den Ge-
setzentwurf der SPD aus der letzten Legislaturperiode
um den zentralen Kritikpunkt bereinigt. Es ist nämlich
nicht mehr davon die Rede, dass ein ungerechtfertigter
Vorteil dann vorliegt, wenn er den parlamentarischen
Gepflogenheiten nicht entspricht, sondern es ist jetzt ge-
regelt, dass kein ungerechtfertigter Vorteil vorliegt,
wenn die Annahme eines Vorteils im Einklang mit den
für die Rechtsstellung des Mitgliedes maßgeblichen Vor-
schriften steht. Das haben wir Linke immer gefordert.
Sie haben von uns gelernt. Weiter so!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Vorschlag entspricht dem Prinzip der Normen-
klarheit und verhindert Richterrecht. Dass wir als Linke
durchaus Probleme mit der einen oder anderen Verhal-
tensmaßregel haben, zum Beispiel, dass wir es nicht gut
finden, dass Abgeordnete Spenden entgegennehmen
können, steht auf einem anderen Blatt. Das können wir
mit diesem Gesetz nicht regeln; das will ich sehr deutlich
sagen.


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: So ist es!)


Das müssen wir an anderer Stelle regeln. Aber noch ein-
mal ein großes Lob an Sie von der SPD, dass Sie uns an
dieser Stelle gefolgt sind und eine Klarstellung vorge-
nommen haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich hoffe, wir können eine ernsthafte Debatte führen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle anmerken: Der Se-
riosität des gesamten Vorhabens hilft es nicht, innerhalb
einer Woche eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf so-
wie dessen zweite und dritte Lesung durchzuführen. Wir
haben nicht einmal die Chance, diese Anhörung ver-
nünftig auszuwerten. Das geplante Vorgehen ist auch
nicht ganz sauber – um es einmal vorsichtig zu formulie-
ren –; denn im Gesetzentwurf steht „Erweiterung des
Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung“. Bisher
gibt es den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung
nicht.

Ich hoffe, wir finden genügend Zeit, das vernünftig
miteinander zu diskutieren,


(Thomas Oppermann [SPD]: Wir haben jetzt zehn Jahre gewartet, Frau Kollegin! – Christine Lambrecht [SPD]: Zehn Jahre haben wir das diskutiert!)


sodass Sie weitere Änderungsvorschläge aufnehmen, da-
mit die Never-ending Story nicht irgendein Ende findet,
sondern tatsächlich ein gutes.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801501900

Eva Högl ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801502000

Guten Morgen, sehr geehrter Herr Präsident! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Liebe Frau Wawzyniak, ich nehme Ihr Lob sehr gerne
an. Das gilt natürlich auch für die gesamte SPD-Fraktion
und für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich dafür
einsetzen, dass wir endlich einen Straftatbestand Abge-
ordnetenbestechung bekommen. Ich habe Ihre Rede so
verstanden, dass Sie sich mit uns freuen, dass wir kurz
davor sind, endlich einen Straftatbestand Abgeordneten-
bestechung einzuführen. Herzlichen Dank für diese
Übereinstimmung!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir haben jetzt mehr als zehn Jahre lang diskutiert.
Am 9. Dezember 2003 hat Deutschland die UN-Konven-
tion gegen Korruption unterzeichnet.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir nicht! Die Regierung!)


Natürlich sind die rechtlichen Detailfragen kompliziert.
Aber wir haben jetzt zehn Jahre lang intensiv diskutiert.
Wir hatten Anhörungen. Wir haben verschiedene Ge-
setzentwürfe diskutiert. Wir haben alles ausführlich mit-
einander besprochen. Deswegen ist es sehr richtig, dass
wir am Anfang dieser Legislaturperiode endlich diesen
Straftatbestand einführen. Die SPD-Fraktion hat sich
lange dafür eingesetzt. Ich bin sehr froh, dass die Große
Koalition das im Koalitionsvertrag vereinbart hat.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da sehen Sie mal, was alles möglich ist!)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Eva Högl

Ganz am Anfang dieser Legislaturperiode ist diese Ver-
einbarung ein Bestandteil dieses Gesamtpaketes. Sie ge-
hört nämlich in dieses Paket, weil sie unsere Rechtsstel-
lung als Abgeordnete betrifft. Dies ist ein guter Tag, und
es ist eine gute Nachricht, dass wir als Große Koalition
jetzt endlich handeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Worum geht es? Korruption ist ein ernstes Problem.
Sie führt zu wirtschaftlichem, politischem und gesell-
schaftlichem Schaden, und sie führt – das betrifft uns
alle hier im Deutschen Bundestag – zu einem Verlust des
Vertrauens in staatliche Organe und zu einem Verlust des
Vertrauens in das gesamte politische System. Es muss
uns Abgeordnete alle miteinander sehr besorgen, wenn
die Bürgerinnen und Bürger uns nicht mehr vertrauen
und unseren demokratischen Institutionen mit diesem
Misstrauen begegnen und damit letztlich unserer Demo-
kratie schaden.

Insofern ist es so wichtig, die Bestechung von Abge-
ordneten endlich unter Strafe zu stellen; wir haben uns
lange dafür eingesetzt. Als SPD-Fraktion haben wir auch
weiter gehende Vorschläge gemacht, von denen ich
hoffe, dass sie hier irgendwann weiterverfolgt werden.
Ich denke zum Beispiel an die Einführung eines Lobby-
registers und die sogenannte legislative Fußspur.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Wir haben heute Morgen hier darüber diskutiert, dass
wir finanziell unabhängige Abgeordnete benötigen.
Dazu ist einiges gesagt worden. Wir haben auch darüber
gesprochen – das ist wichtig in diesem Zusammenhang –,
dass wir mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit Lobby-
istinnen und Lobbyisten selbstverständlich im Austausch
sind, dass wir auf Informationen und diesen Meinungs-
austausch angewiesen sind. Aber wir dürfen uns niemals
von einzelnen Positionen abhängig machen, und wir dür-
fen uns niemals – deswegen haben wir das aufgegriffen,
Frau Wawzyniak – an Aufträge und Weisungen gebun-
den fühlen. Das besagt Art. 38 unseres Grundgesetzes.
Genau so haben wir es in unseren Gesetzentwurf ge-
schrieben: dass wir uns an Aufträge und Weisungen
nicht gebunden fühlen und dass wir daran nicht gebun-
den sein dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Unser Gesetzentwurf setzt eine ganz konkrete Un-
rechtsvereinbarung voraus: Der Vorteil muss für eine
Gegenleistung gewährt werden. – Bestraft wird nur,
wenn es eine konkrete Gegenleistung gibt und wenn sich
daraus ein ungerechtfertigter Vorteil ableitet. Wir defi-
nieren diesen ungerechtfertigten Vorteil; ich habe das
diesbezügliche Lob selbstverständlich schon entgegen-
genommen. Wir schaffen mit diesem Gesetzentwurf eine
klare Regelung, nämlich dass der Vorteil dann nicht un-
gerechtfertigt ist, wenn er im Einklang mit den Regelun-
gen steht, die für Abgeordnete gelten. Für uns sind das
selbstverständlich die Verhaltensregeln hier im Deut-
schen Bundestag. Das gilt aber in gleicher Weise auch
für die Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen und
in den kommunalen Gebietskörperschaften.

Deswegen darf ich hier alle dazu auffordern: Lassen
Sie uns gemeinsam – gemeinsam! – diesen Gesetzent-
wurf auf den Weg bringen! Ich darf das so sagen: Wir
haben als Große Koalition jetzt einen exzellenten Ge-
setzentwurf vorgelegt. Wir haben alle rechtlichen Un-
klarheiten, so denke ich jedenfalls, beseitigt. Wir haben
einen praktikablen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir können
das Unbehagen natürlich nicht gänzlich ausräumen, aber
es gibt selbstverständlich auch engagierte Staatsanwäl-
tinnen und Staatsanwälte, die ganz genau hinschauen
werden.

Die Regelungen, die wir jetzt schaffen werden – ich
hoffe, dass sie so in Kraft treten –, sind auf jeden Fall
klar. Es sind klare Handlungsanweisungen. Wir haben
einen praktikablen Gesetzentwurf vorgelegt; daran müs-
sen wir als Abgeordnete ein Interesse haben. Deswegen
spreche ich ganz gezielt noch einmal die Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition an: Lassen Sie es uns
doch schaffen, dass wir gemeinsam als Deutscher Bun-
destag ein Signal senden, die Bestechlichkeit und die
Bestechung von Abgeordneten unter Strafe stellen und
der Korruption damit eine deutliche Absage erteilen! Es
wäre ein wirklich gutes Signal zu Beginn dieser Legisla-
turperiode, wenn uns das gelänge. Wir haben mit dem
Gesetzentwurf einen guten Vorschlag gemacht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801502100

Nun erhält Katja Keul das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801502200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Geschichte der Abgeordnetenbestechung
geht ganz langsam los und beschleunigt dann derart,
dass man regelrecht Angst vor einem Crash haben muss.

Unter Rot-Grün wurde 2003 die Konvention der Ver-
einten Nationen gegen Korruption unterzeichnet. Seit-
dem werden wir jährlich gerügt, weil wir es anscheinend
nicht schaffen, die Abgeordnetenbestechung unter Strafe
zu stellen. Von allen Unterzeichnerstaaten haben allein
Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Myanmar und Deutsch-
land die Konvention bis heute nicht ratifiziert – wirklich
nette Gesellschaft, in der wir uns da befinden!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben auch mit denen, die ratifiziert haben, eine nette Gesellschaft, wo es auch Korruption gibt!)


2011 lagen sowohl Entwürfe von uns Grünen als auch
von der Linken vor. 2012 gab es dann auch einen Ent-
wurf von der SPD, von dem wir Teile heute wiederfin-
den – aber leider genau die Formulierungen, die von den
Experten bei der Anhörung als begrenzt tauglich qualifi-
ziert worden sind.

Bei allen Entwürfen hat die Union stets behauptet, sie
seien zu ungenau, zu unpräzise, zu schwammig. Unse-






(A) (C)



(D)(B)

Katja Keul

rem grünen Entwurf wurde vorgehalten, er enthalte un-
bestimmte Rechtsbegriffe, kurzum: die Materie sei be-
kanntermaßen so komplex und schwierig, dass man sie
leider, leider mal wieder nicht lösen könne.

Und jetzt? Es liegt was vor, ja. – Da hat sich sogar die
Union endlich bewegt, und das ist positiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ansonsten sehe ich jede Menge unbestimmte Rechtsbe-
griffe: Wann ist zum Beispiel ein Vorteil ungerechtfer-
tigt? Oder: Wann handelt ein Abgeordneter denn im
Auftrag oder auf Weisung? Genau genommen – das
kann ich Ihnen sagen – nie; das sagt ja schon Art. 38
Grundgesetz. Ein Abgeordneter ist an Aufträge und Wei-
sungen nicht gebunden. Dann ist ja gut: Er kann den
Straftatbestand damit gar nicht erfüllen. Gute Idee!

Und weil das alles noch nicht sicher genug ist, stellen
Sie noch einmal klar, dass alles das nicht strafbar ist, was
den Verhaltensregeln entspricht. Ich zitiere Ihre Geset-
zesbegründung:

Mit dem Verweis … wird dem Umstand Rechnung
getragen, dass für die von dem Tatbestand erfassten
Mandatsträger keine einheitlichen Regelungen gel-
ten und entsprechende Vorschriften von der jeweili-
gen Vertretungskörperschaft innerhalb ihrer Auto-
nomie und entsprechend den Gegebenheiten vor
Ort festgelegt werden sollten.

Toll, wie es Ihnen gelungen ist, dem Bestimmtheitsgebot
hier zu entsprechen!

Und weil das jetzt angeblich alles so einfach ist,
braucht man natürlich auch kein geordnetes Verfahren
mehr – geschweige denn eine vorbereitete Anhörung
von Experten mit anschließender gründlicher Beratung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Haben wir alles schon hinter uns!)


Wie man das macht? Ganz einfach: Sie informieren am
Montagabend die Fraktionsspitzen der Opposition, dass
Sie einen Gesetzentwurf haben, den Sie auch gleich auf
die Tagesordnung für Freitag setzen. Um eine Aus-
schussanhörung für den nächsten Montag zu beschlie-
ßen,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht ja gar nicht!)


ist es dann leider zu spät. Das muss also am Mittwoch im
Rechtsausschuss vorsorglich beschlossen werden, bevor
der Gesetzentwurf überhaupt überwiesen ist. Da es aber
leider auch schon zu spät ist, die reguläre Tagesordnung
für den Rechtsausschuss zu ergänzen, wird mal eben
eine Sondersitzung einberufen: eine halbe Stunde vor
der regulären Sitzung und mit dem einzigen Punkt: Vor-
sorgliche Vereinbarung einer Anhörung. Tolles Verfah-
ren! Das Praktische an der Sache: Die Opposition konnte
ihre eigenen Anträge gar nicht mehr einreichen, und etli-
che Experten sind bis Montag auch gar nicht verfügbar.

Es wird auch nicht besser, wenn man zeitgleich mit
der Strafbarkeit der Bestechung auch noch schnell die
Diätenerhöhung vorbeiziehen lassen will. Oder ist es gar
umgekehrt? Soll die Strafbarkeit der Abgeordnetenbe-
stechung die Diätenerhöhung besser aussehen lassen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


In der Eile ist Ihnen dann leider noch ein kleiner Feh-
ler unterlaufen. Ging es nicht eigentlich darum, die UN-
Konvention von 2004 zu ratifizieren? Ach ja, da war et-
was. Gut, wenn man eine Opposition hat, die an alles
denkt, auch wenn sie noch so klein ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das haben aber die Wähler entschieden und nicht die Koalition!)


Wir haben Ihnen dankenswerterweise noch schnell
den Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Konvention
vorgelegt, damit Sie sich bei der nächsten Auslandsreise
nicht immer noch von Assad, Baschir und den anderen
netten Herren vorwerfen lassen müssen, wir seien in Sa-
chen Korruption doch alle nicht besser als sie selbst. Sie
sehen also, wie sinnvoll es sein kann, auf die Opposition
zu hören, statt Gesetzgebung im Blindflug zu betreiben.

In diesem Sinne vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801502300

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1801502400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir diskutieren heute zwei Komplexe,
die mehr gemeinsam haben als den Wortbestandteil „Ab-
geordneten“. Beide betreffen den Kern des freien Man-
dats: in seiner Ausgestaltung und seinem Schutz. Bei
den Diäten geht es um die materielle Absicherung, bei
der Frage der Bestechung um den inhaltlichen Schutz
vor unzulässiger Beeinflussung.

Insofern, denke ich, müssen wir die Frage an den An-
fang stellen: Was macht das freie Mandat aus? Was
kennzeichnet es im Idealfall? Dabei sehe ich einen Ab-
geordneten vor mir, der sich wirklich kümmert, der an-
sprechbar ist, der bei seinen Wählern ist, der Interessen
aufnimmt, sich diese anhört, sich dann in Bewegung
setzt und sich zur Wahrung dieser Interessen einbringt,
der sich die notwendigen Informationen beschafft, der
seine Prioritäten so setzt, wie er es möchte, der durchaus
auch politisch-taktisch denkt, weil er weiß, dass er die
Dinge nicht allein bewegen kann, sondern Kompromisse
machen muss und der bei alldem seinem eigenen Gewis-
sen folgt, nicht an Aufträge und Weisungen gebunden
ist.

Daraus folgt zweierlei: Es ist erstens richtig, unter
Strafe zu stellen, wenn dieses freie Mandat käuflich ge-
macht wird. Das darf nicht sein. Das ist auch nicht vom






(A) (C)



(D)(B)

Elisabeth Winkelmeier-Becker

Grundgesetz geschützt. Zweitens darf die Regelung, die
wir treffen, das freie Mandat nicht einschränken. Sie darf
nicht dazu führen, dass gewünschtes, legitimes, erwarte-
tes Verhalten sich verändert, dass Abgeordnete sich zu-
rückziehen, weniger ansprechbar sind, sich weniger für
die Interessen einsetzen, weil sie zu Recht oder zu Un-
recht fürchten, Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen
zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb muss klar sein: Wer erkennbar nur eigener
Überzeugung folgt, darf nicht dem Risiko strafrechtli-
cher Ermittlungen unterliegen, sondern muss auf der si-
cheren Seite sein, damit er auch weiter motiviert ist,
diese Überzeugung einzubringen.

Nun haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die
bestehende Regelung zur Strafbarkeit von Abgeordne-
tenbestechung in § 108 e StGB erweitert. Wir haben dies
nicht deshalb getan, weil wir ein besonderes Korrup-
tionsproblem in Deutschland hätten. Gerade in der letz-
ten Woche hat die EU-Kommission Deutschland in ih-
rem Korruptionsbericht ein sehr gutes Testat ausgestellt.
Wir sind über Jahre hinweg beständig in der obersten
Gruppe der europäischen Staaten gewesen und haben
kein gravierendes Korruptionsproblem.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!)


Trotzdem nehmen wir wahr, dass auch unser BGH Straf-
barkeitslücken moniert, wo strafwürdiges Verhalten
nicht angemessen sanktioniert ist. Natürlich gefällt auch
uns nicht der Vergleich mit anderen Staaten, die die Kon-
vention gezeichnet, aber nicht ratifiziert haben. Nord-
korea hat es, glaube ich, jetzt sogar noch geschafft und
ist nicht mehr unter den Ländern, bei denen eine Ratifi-
zierung noch aussteht. Das ist ein Vergleich, den wir uns
selber eigentlich nicht antun sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt stehen wir also vor der nicht leichten Aufgabe,
einerseits strafwürdiges Verhalten zu sanktionieren, an-
dererseits aber eben das freie Mandat nicht einzuschrän-
ken und darüber hinaus auch noch dem Bestimmtheits-
gebot des Grundgesetzes gerade bei Strafnormen zu
genügen.

Zentral ist die Frage der Unrechtsvereinbarung, das
synallagmatische Verhältnis zwischen dem versproche-
nen Vorteil und der dafür geforderten Handlung. Wir
werden – das ist in der Praxis die Schwierigkeit – selten
eine Vereinbarung finden, über der „Unrechtsvereinba-
rung“ steht nach dem Motto: Du machst das, und dafür
kriegst du das. – Vielmehr wird immer an Indizien an-
geknüpft werden. Da ist es sehr schwierig, objektive
äußere Merkmale zu finden, die eine klare Beurteilung
ermöglichen. Denn das freie Mandat umfasst alle Hand-
lungsoptionen: Ob man eine Rede hält oder nicht, ob
man dafür oder dagegen spricht, ob man seine Meinung
ändert oder nicht, all das ist vom freien Mandat umfasst,
kann aber im Einzelfall auch auf einer Unrechtsverein-
barung beruhen.

Interessenvertretung ist unser Kerngeschäft, für uns
also etwas ganz Normales. Es gehört zu dem, was die
Bürger von uns erwarten und was jeder gute Abgeord-
nete, der seinen Beruf ernst nimmt, tut. Im Einzelfall
kann sein Handeln trotzdem auf einer Unrechtsvereinba-
rung beruhen.

Ein Merkmal ist der Vorteil. Unter Vorteil versteht je-
der etwas anderes. Wenn Sie mich zum Beispiel zum
Fußballländerspiel in die VIP-Lounge von Bayern Mün-
chen einladen würden, würde ich sagen, ich sitze lieber
zu Hause auf der Couch und habe meine Ruhe.


(Heiterkeit und Beifall)


Aber viele andere würden das vielleicht als Vorteil be-
zeichnen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801502500

Frau Kollegin, Sie sollten noch einmal überlegen, ob

Sie das wirklich im Protokoll für jeden nachlesbar haben
wollen.


(Heiterkeit)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1801502600

Ich stehe zu meinem Wort. – Es gibt viele Beispiele:

Darf ich jetzt nicht mehr zu einem parlamentarischen
Abend gehen? Muss ich dann schon irgendetwas be-
fürchten? Klar ist: Das sind Dinge, die den Rahmen bil-
den für das, was von uns erwartet wird. Da finden die
Begegnung, die Kontaktaufnahme, die Information statt.
Deshalb können Dinge wie Geschäftsessen, parlamenta-
rische Abende, auch Reisen mit einem entsprechenden
informativen und dienstlich relevanten Programm von
vornherein nicht zu den ungerechtfertigten Vorteilen ge-
hören.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder von uns braucht mindestens alle vier Jahre für
den Wahlkampf Spenden. Das sind handfeste finanzielle
Vorteile, ohne die das Ganze nicht zu bewältigen ist. All
das macht die Abgrenzung so schwierig.

Deshalb müssen wir die Sorge der Kollegen in diesem
Hause, aber auch die Sorge der Tausenden von Kollegen
in den Landesparlamenten, den kommunalen Parlamen-
ten, der ehrenamtlich Tätigen ernst nehmen, dass auch
ein Verhalten, das im besten Einklang mit dem Mandat
steht, missverstanden werden und zu Ermittlungen füh-
ren kann. Ein Ermittlungsverfahren ist für jeden unange-
nehm, eine echte Belastung. Aber für Politiker ist es häu-
fig der politische Tod. Da reicht es, dass die Immunität
aufgehoben wird, dass ermittelt wird. Welches Urteil am
Ende im Einzelnen gefällt wird, interessiert dann keinen
mehr.

Deshalb müssen wir mit zwei Ansätzen in die Diskus-
sion gehen.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801502700

Frau Winkelmeier-Becker, darf der Kollege Ströbele

Ihnen noch kurz vor Schluss eine Zwischenfrage stellen?


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1801502800

Aber gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kollegin, danke, dass Sie die Frage zulassen. –
Wir haben – darauf ist hingewiesen worden – leider sehr
wenig Zeit, das Thema zu beraten. Auch im Rechtsaus-
schuss haben wir es nur anberaten können. Deshalb
stelle ich Ihnen hier noch einmal die Frage, die ich schon
im Ausschuss gestellt habe. „Aufträge und Weisungen“,
wie es im Grundgesetz heißt, haben ja zunächst nichts
mit Strafbarkeit zu tun. Sie haben dieses Merkmal jetzt
wieder in den Gesetzentwurf aufgenommen. Es stand
auch schon in früheren Gesetzentwürfen, sogar einmal in
einem von uns; aber wir haben das nachher nicht mehr
hineingenommen. Denn es gibt Fälle, bei denen es sich
ganz offensichtlich um Bestechung handelt, denen keine
Aufträge oder Weisungen vorausgehen, zum Beispiel
wenn der Abgeordnete oder die Abgeordnete selber zu
irgendeinem Unternehmer geht und sagt: Möchtest du
nicht für mich diese oder jene Leistung erbringen, wenn
ich mich so und so verhalte? – Da gibt es keinen Auftrag
und keine Weisung, sondern lediglich den Wunsch des
Abgeordneten selber. Sie wissen, dass das ein großes un-
bestimmtes Feld ist, das sehr schwer zu regeln ist. Wie,
meinen Sie, können Sie dieses Problem lösen, wenn es
bei Ihrer Formulierung bleibt? Wir haben ja eine andere
Formulierung vorgeschlagen, die unserer Ansicht nach
besser ist. Darüber werden wir uns im Rechtsausschuss
unterhalten. Aber das ist doch ein ganz offensichtliches
Problem.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1801502900

Vielen Dank für die Frage. Die Formulierung „Auf-

träge und Weisungen“ ist ja Art. 38 Grundgesetz ent-
nommen. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie ein Problem
mit der Formulierung des Grundgesetzes haben. Wir
müssen uns Gedanken darüber machen, welche Tatbe-
stände bzw. welche Sachverhalte darunterfallen sollen.
Sie nennen ein Beispiel, das nach meiner Bewertung
ganz klar unter „Aufträge und Weisungen“ fällt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Denn man kann Aufträge und Weisungen auch einwer-
ben. Wer hingeht und sagt: „Ich würde für einen gewis-
sen Vorteil dieses und jenes machen; wäre das nicht in
deinem Interesse?“, der lässt sich einen Auftrag bzw.
eine Weisung geben, die an einen Vorteil geknüpft ist.
Das ist ein ganz klassischer Anwendungsfall der Vor-
schrift, die wir Ihnen zur Abstimmung vorlegen.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!)


Im Gegensatz dazu ist das, was Gegenstand des Ent-
wurfs der Grünen war, uferlos und wabernd und geht
wirklich auf krasse Weise am Bestimmtheitsgebot vor-
bei. Das haben wir auch der Anhörung im Rechtsaus-
schuss, die im Herbst 2012 stattgefunden hat, entnom-
men. Der von uns heute vorgelegte Gesetzentwurf ist
dahin gehend eine deutliche Verbesserung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich komme zurück zu den zwei Ansätzen, mit denen
wir Verbesserungen des Gesetzentwurfes erreichen wol-
len. Zentral für eine richtige Bewertung von strafwürdi-
gem Verhalten einerseits und legitimer Ausübung des
freien Mandates andererseits ist die Kenntnis der parla-
mentarischen Zusammenhänge und Abläufe. Die Frage
ist, ob das bei der Staatsanwaltschaft und bei den Ge-
richten bereits in dem Maße verankert ist, wie es nötig
wäre. Deshalb plädiere ich dafür, sich einmal anzu-
schauen, wie wir die Kenntnis, die im Parlament selbst
vorhanden ist – beim Bundestagspräsidenten, den Gre-
mien, der Rechtsstellungskommission, dem 1. Ausschuss
und dergleichen –, noch verbindlich in das Verfahren
einbinden können, sowohl was einen Verfahrensschritt
als auch die materielle Beurteilung angeht. Ich denke,
das könnte eine echte Qualitätsverbesserung bringen, die
auch die Schwierigkeiten in Hinblick auf das Bestimmt-
heitsgebot ein Stück weit ausgleichen könnte.

Der andere Punkt ist, dass wir uns wirklich Gedanken
darüber machen sollten, ob wir die Zuständigkeit bei der
Strafverfolgung konzentrieren, damit mit der Zeit die
entsprechende Expertise entsteht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das hatten die Linken in ihrem Gesetzentwurf netter-
weise bereits vorgeschlagen. Daran könnte man even-
tuell anknüpfen. So ist auch im Prozessrecht für andere
Bereiche eine Konzentration bei den OLGs geregelt.

Unsere Aufgabe ist es jetzt, hier eine praktikable und
sachgerechte Regelung zu finden. Es ist dann Aufgabe
der Staatsanwaltschaften und Gerichte, diese Regelung
mit Gespür für die parlamentarischen Besonderheiten
und für das freie Mandat umzusetzen. Diesen Appell
richte ich ganz bewusst auch an die Medien, die manch-
mal etwas vorschnell dabei sind, wenn irgendwo ermit-
telt wird. Denn dann und nur dann ist die Regelung ein
Gewinn für die Demokratie und für das freie Mandat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801503000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 18/477, 18/476 und 18/478
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN






(A) (C)



(D)(B)

Präsident Dr. Norbert Lammert

Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeit-
alter

Drucksache 18/182
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
höre und sehe ich keinen Widerspruch. Also können wir
so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Lass uns lieber spazieren gehen, das können wir hier
drin nicht besprechen. Wir wissen nicht, ob es eine
Wanze gibt: in der Lampe oder im Telefon.“ – So war es
zu DDR-Zeiten. „Das sage ich Ihnen nicht am Telefon.
Lassen Sie uns mal lieber spazieren gehen“, schieb ges-
tern ein Journalist über ein Telefonat mit einem Mitar-
beiter des Bundeskanzleramtes. Nein, natürlich sind
diese beiden Dinge überhaupt nicht miteinander zu ver-
gleichen. Natürlich ist es gut, dass wir nicht in einer Dik-
tatur, sondern in einer Demokratie leben, wo solche
Dinge öffentlich werden und gesagt werden.

Ja, meine Damen und Herren, die digitale Revolution
hat unser Leben, hat unseren Alltag verändert wie viel-
leicht keine andere Entwicklung. Wir leben, wir kommu-
nizieren, wir streiten online. Wir alle schätzen auf der ei-
nen Seite diese Chancen, diese Freiräume, diese
Möglichkeiten, die uns das Netz bietet. Auf der anderen
Seite sind wir seit mindestens einem Dreivierteljahr Zeu-
ginnen und Zeugen des größten Geheimdienstskandals,
den die westlichen Demokratien je erlebt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Die Ausmaße der Überwachung nehmen Dimensionen
an, die wir bisher nicht für möglich gehalten haben. Hier
wird die Axt direkt an die Wurzel unseres Rechtsstaates
gelegt. Genau das ist die Katastrophe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das kann und darf niemandem gleichgültig sein. Ge-
nau deswegen haben 562 Schriftstellerinnen und Schrift-
steller weltweit ihre Stimme erhoben und fordern, die
Demokratie im digitalen Zeitalter zu verteidigen. Um
nicht weniger geht es, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Wir haben diesen Appell – und das ist er im wahrsten
Sinne des Wortes – zum Gegenstand unseres Antrags für
diese Debatte gemacht. Ich begrüße einige Unterzeich-
nerinnen und Unterzeichner heute hier im Plenum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Die Besorgnis der Bürgerinnen und Bürger ist im-
mens. Es sind nicht nur einige wenige, die sagen: Wir
haben ein Problem. Zugleich ist es so, dass die Bundes-
regierung, dass die Bundeskanzlerin immer noch nicht
aufgewacht sind und immer noch nichts tun, um die
Grundrechte der Menschen in diesem Land, in dieser
Republik zu schützen und zu sichern. Das ist der Skan-
dal, über den wir in diesem Parlament reden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nein, es geht nicht darum, den Hashtag „#Neuland“
in dieser Debatte fortzuführen, und zwar auch deswegen,
weil es überhaupt nichts mehr mit Ironie zu tun hat und
weil es überhaupt nicht lustig ist. Wir erleben, wie atem-
beraubend leichtfertig, wie atemberaubend oberflächlich
mit Grundrechten von Individuen, der Bürgerinnen und
Bürger umgegangen wird, aber auch mit den Rechten
der Unternehmen, der Wirtschaft, die sich heute fragen:
Sind eigentlich unsere Daten, ist unsere Unternehmens-
kommunikation in irgendeiner Weise sicher? Wenn Sie
sich schon nicht für die Individuen interessieren, dann
vielleicht doch für die Unternehmen in diesem Land, die
zutiefst verunsichert sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was erleben wir? Wir sollen darauf vertrauen, dass
der ehemalige Kanzleramtsminister die Affäre für been-
det erklärt hat. Pofalla beendet Dinge, das kennen wir
alle. Wir erleben erfolglose Reisen in die USA und hö-
ren, dass Geheimdienstler mit Geheimdienstlern Gehei-
mes besprechen. Wir sind im Gegensatz zu Ihnen nicht
so überrascht, dass das No-Spy-Abkommen nicht zu-
stande kommt. Dennoch war es das Einzige, was Sie als
Antwort vorweisen konnten. Wo sind wir denn, wenn
eine Bundesregierung es nicht für nötig hält, dafür zu
kämpfen, dass die Grundrechte der Bürgerinnen und
Bürger gegenüber ausländischen Geheimdiensten ge-
wahrt werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


„Ausspähen von Freunden, das geht gar nicht.“ Deut-
liche Worte immerhin. Hier ging es um das eigene
Handy. Aber wenn es um die Handys, um die E-Mail-
Postfächer, um die Verbindungsdaten und die digitalen
Privaträume von Bürgerinnen und Bürgern geht, dann ist
Fehlanzeige. Ich finde das ignorant, ich finde das verant-
wortungslos, und ich finde, das verändert unseren Staat
und unsere Gesellschaft. Wenn eine Bundesregierung
nicht dafür eintritt, dass Bürgerinnen und Bürger Ge-






(A) (C)



(D)(B)

Katrin Göring-Eckardt

heimnisse haben dürfen, dass sie Geheimnisse haben
dürfen sollen, wenn sie nicht dafür eintritt, zwischen
Terrorismusbekämpfung, die natürlich notwendig ist,
und massenhafter Ausspähung zu unterscheiden, dann
verändert das unsere Gesellschaft auf eine Weise, die wir
nicht zulassen wollen; denn hier muss die Demokratie
im Kern verteidigt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann sind wir natürlich ganz schnell bei der europäi-
schen Ebene. Sie hängen sich da nicht rein, Sie vermei-
den sogar, das Thema auf EU-Ebene anzusprechen. Mit
der EU-Datenschutzverordnung wäre eine grundlegende
Veränderung auch zügig möglich gewesen. Doch stär-
kere Reformen und Veränderungen sind eben gerade auf
Treiben Deutschlands, der deutschen Bundesregierung
hin auf Eis gelegt worden – ein weiterer Skandal, ein
weiteres Nicht-hinsehen- und Nicht-handeln-Wollen,
meine Damen und Herren. Ein weiteres Mal sind hier die
Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht geschützt
worden; sie sind zum Freiwild für Überwachung gewor-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mängel beim Grundrechtsschutz für 80 Millionen Bür-
gerinnen und Bürger und für Wirtschaftsunternehmen
können und dürfen nicht ausgesessen werden. Hier muss
man aktiv werden.

Sie halten die anlasslose Massenüberwachung der Be-
völkerung weiterhin für ein geeignetes Instrument. Die
Vorratsdatenspeicherung soll in Deutschland kommen.
Ich sage Ihnen ganz klar:

Erstens. Wir werden alles tun, damit es nicht ge-
schieht.

Zweitens sage ich an die Adresse von Herrn Maas:
Ihre Vorgängerin hat diese Sache ausgesessen. Das reicht
jetzt nicht mehr. Jetzt muss man aktiv werden und dafür
sorgen, dass das nicht passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Er plant das Gegenteil!)


Wenn sich die Bundesregierung in diesem Skandal
der Wahrung der Grundrechte und der Menschenrechte
der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet fühlt, dann gibt
es doch nur eine wirkliche Antwort, und das ist in einem
ersten Schritt die umfassende Aufklärung ohne jedes
Wenn und Aber sowie Schluss mit der Überwachung.
Ich sehe, dass Sie sich immer noch wegducken. Wer
musste denn den Untersuchungsausschuss beantragen?
Das waren die Oppositionsfraktionen in diesem Haus.
Wer musste denn dafür sorgen, dass es einen umfassen-
den Untersuchungsauftrag gibt? Das waren die Opposi-
tionsfraktionen in diesem Haus. Ja, natürlich, wir wollen
auch wissen, inwiefern die deutschen Dienste an diesem
Überwachungsskandal beteiligt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen ist es gut, dass der Untersuchungsausschuss
endlich eingesetzt wird.

Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass die Zi-
vilgesellschaft wach ist, dass sie den Schutz der Bürge-
rinnen und Bürger einfordert. Es liegt eine Klage beim
Generalbundesanwalt gegen die Bundesregierung vor –
so weit ist es schon gekommen.

Wenn es um den Grundrechtsschutz geht, sollte man
wissen:

Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei …

So steht es in dem Appell der Schriftstellerinnen und
Schriftsteller. Ich kann nur sagen: Ja, genau so ist es.

Man hat als Mensch das Recht, etwas zu verbergen,
man hat als Mensch das Recht, bestimmte Dinge unver-
fügbar zu halten. Wir wollen nicht, dass sich unser
Schreiben und unser Reden, am Ende womöglich sogar
unsere Gedanken verändern, weil wir immer damit rech-
nen müssen, dass wir abgehört oder beobachtet werden.
Das verändert uns als Individuen. Ich sage klar und deut-
lich: Das können wir nicht zulassen; das wollen wir nicht
zulassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, ich gehe sehr gern spazieren. Aber ich telefoniere
auch unheimlich gern mit meiner Freundin, und dann
tauschen wir Geheimnisse aus. Und darauf, verdammt
noch mal, haben wir ein Recht. Dieses Recht muss ga-
rantiert sein, nicht nur für mich, sondern für alle Bürge-
rinnen und Bürger.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801503100

Thomas Jarzombek erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1801503200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

finde, das ist ein besonderer Augenblick. Wir haben ges-
tern den neuen Ausschuss Digitale Agenda eingesetzt.
Meine Kollegen von der Arbeitsgruppe Innen, vor allem
Clemens Binninger, haben sich spontan entschieden, als
ersten Redner der Fraktion ein Mitglied unseres neuen
Ausschusses, nämlich mich, zu wählen. Dafür bedanke
ich mich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal abwarten, was du sagst!)


Ich finde, das ist ein tolles Signal. Ich denke, das könn-
ten die anderen Fraktionen künftig gut in ähnlicher
Weise handhaben.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir machen das von vornherein!)







(A) (C)



(D)(B)

Thomas Jarzombek

Sie haben heute einen Antrag zum Thema „Demokra-
tie im digitalen Zeitalter“ eingebracht. Wir haben in der
Enquete-Kommission – ich sehe hier vorne Konstantin
von Notz – lange über die Chancen des Digitalen für die
Demokratie geredet, über Formen der Bürgerbeteiligung,
von mehr Transparenz, von mehr Teilhabe. Dass Sie das
alles in Ihrem vorliegenden Antrag überhaupt nicht fo-
kussieren, finde ich schade. Die Risiken, die Sie betrach-
ten, sind nur ein Ausschnitt des Themas.

Die Zielsetzung Ihres Antrags – das macht auch der
Appell der 562 Schriftsteller deutlich – ist richtig. Die
Frage ist nur, ob die Konsequenzen, die daraus gezogen
werden, die passenden sind. Denn eines muss man fest-
stellen: Wir wissen durch Edward Snowden viel darüber,
was die USA und auch Großbritannien machen. Wir wis-
sen aber sehr wenig darüber, was in Russland und in
China passiert.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)


Ich glaube, es ist naiv, anzunehmen, wir könnten durch
ein einziges Abkommen mit den USA die gesamte Pro-
blematik lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu einem weiteren Thema, den Unternehmen. Ich
glaube, dass die Situation hier möglicherweise viel gra-
vierender ist. Schon vor Jahren habe ich verschiedentlich
darüber gebloggt und geschrieben, dass Google alle Ein-
gaben personalisiert: die Suchanfragen der letzten neun
Monate, alle meine E-Mails, alle meine Kalenderein-
träge. Das erlaubt einen Einblick in das persönliche Le-
ben, der schon ziemlich enorm ist, und wir haben es mit
einem privaten Unternehmen zu tun, das von keiner öf-
fentlichen Stelle in irgendeiner Art und Weise kontrol-
liert wird. Wir können auch nur Mutmaßungen darüber
anstellen, wie sicher die Daten dort sind und mit wem
die Daten ausgetauscht werden.

Appelle helfen hier nicht weiter; denn das konstitu-
tive Merkmal ist, dass die Menschen selbst ihre Daten
eingeben. Das ist vielleicht auch der Unterschied zu den
Vorgängen im Unrechtsstaat DDR, Frau Göring-Eckardt,
auf die Sie eben eingegangen sind. Die Daten werden
selbst eingestellt.

Lassen Sie mich heute die Gelegenheit nutzen, drei
sehr konkrete Bereiche anzusprechen, die Schwerpunkte
der Arbeit des Ausschusses Digitale Agenda bilden wer-
den. Es ist wichtig, dass wir insgesamt aufrüsten.

Erstens. Die Frage ist: Wie sicher sind unsere Daten
unterwegs? Kann ich als Einzelperson wie als Unterneh-
men Privates privat halten? Als Stichworte sind hier „IT-
Airbus“ und „Schengen-Routing“ zu nennen. Doch diese
allein werden das Problem nicht lösen können, dafür
sind die Netze viel zu komplex.

Vergleichen wir die Situation im Internet mit der Si-
tuation im Straßenverkehr. Auf unseren Straßen fahren
durchaus auch Kriminelle, Terroristen und Bankräuber,
aber der Einzeltransporter muss gesichert sein. Im Stra-
ßenverkehr ist das der Fall, im Internet allerdings nicht.
Deswegen müssen wir uns des Themas Verschlüsselung
annehmen.

Man könnte sagen – in Anlehnung an ein Zitat von
Ron Sommer zur CeBIT-Eröffnung –, dass es sich mit
dem Thema E-Mail-Verschlüsselung ähnlich verhält wie
mit dem Thema Teenagersex: Alle reden darüber, kaum
einer tut es, und diejenigen, die es machen, die haben
meistens auch noch Schwierigkeiten damit.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Wir müssen erst einmal daran arbeiten, dass wir das
Thema E-Mail-Verschlüsselung einfacher machen. Wir
müssen es für die Menschen greifbarer machen. Wir
müssen Anreize setzen. Wir müssen uns überlegen, ob
man das Thema nicht auch gesetzlich flankiert: Ich
meine damit eine Pflicht zur verschlüsselten Verbindung
zwischen Clients und Servern, was einige Provider
schon einführen.

Die Initiative „E-Mail made in Germany“ ist eine
gute Initiative, weil sie dafür sorgt, dass sich die Menge
der verschlüsselten Daten insgesamt erhöht. Das muss
ein wesentliches Ziel sein. Letztendlich können Sie
heute alles knacken, aber diese Fähigkeit ist eine knappe
Ressource, und je mehr verschlüsselte Verkehre es gibt,
umso knapper wird die Ressource, diese zu dechiffrie-
ren. Insofern brauchen wir möglichst viel verschlüssel-
ten Verkehr. Um den Verkehr zu verschlüsseln, brauchen
wir mehr Algorithmen, für die andere Dienste oder Län-
der keinen Zweitschlüssel haben. Das ist ein ganz wich-
tiger Punkt. Wir müssen auf deutsche Forschung und
deutsche Algorithmen setzen.

Nicht zuletzt ist es so: Wenn Sie als Endanwender
eine E-Mail verschlüsseln wollen, dann brauchen Sie ein
E-Mail-Zertifikat. Wenn Sie das kostenlos bekommen
wollen, gehen Sie in der Regel zu einem amerikanischen
Provider. Das ist dann wie bei der Haustür: Sie bekom-
men zwar Ihren eigenen Schlüssel, aber wer noch eine
Kopie davon hat, das wissen Sie nicht. Deshalb sollte
sich der Ausschuss als Erstes darauf fokussieren, durch
eine Initiative dafür zu sorgen, dass jeder Bürger unseres
Landes kostenfreie E-Mail-Zertifikate von einer deut-
schen Stelle – das kann die Bundesdruckerei oder eine
Unternehmensinitiative sein – erhält. Das ist ein wichti-
ges Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Zweiten ist es sehr wichtig – auch da müssen wir
konkret etwas machen –, dass sich die Plattformen ein
Stück weit wieder stärker an den europäischen Gesetzen
und dem europäischen Verständnis orientieren. Was hel-
fen mir sichere Netze und Abkommen mit irgendwel-
chen Staaten, wenn jeder seine intimsten Daten bei
Google speichert oder sucht, wenn jeder seine privaten
Dateien bei Dropbox hochlädt und bei Facebook seine
gesamte soziale Kommunikation stattfinden lässt?






(A) (C)



(D)(B)

Thomas Jarzombek

Daran wird eine klare Schwäche des Standorts
Deutschland deutlich: Hinter all diesen Plattformen ste-
hen de facto keine europäischen Unternehmen. Selbst
die in Deutschland gegründeten Unternehmen sind mitt-
lerweile keine europäischen Unternehmen mehr. Ich ma-
che das an einem ganz konkreten Beispiel deutlich: Es
gibt ein Unternehmen aus – ich mag es als Düsseldorfer
kaum aussprechen – Köln. Diese Firma ist sehr erfolg-
reich. Sie hat eine Menge Algorithmen entwickelt, um
große Datenbestände – Big Data – untersuchbar zu ma-
chen. Diese Firma besitzt eine Reihe von Patenten. Sie
wurde in der ersten Stufe in Deutschland finanziert. Als
dieses Unternehmen auf den Weltmarkt wollte – dieses
Unternehmen hat inzwischen eine Finanzierung von
13,6 Millionen Dollar –, bekam es Finanzierungsmittel
fast ausschließlich im Silicon Valley, weil es hier keine
Investoren gibt. Die Entwicklungsabteilung dieses Un-
ternehmens befindet sich zwar immer noch in Köln, aber
inzwischen hat es auch ein Büro mit 30 Mitarbeitern in
Palo Alto, und es gründet ein weiteres Büro in Boston.
Was ist das jetzt für eine Firma? Ist das eine deutsche,
eine europäische oder eine amerikanische Firma? Wie
verhält man sich in dieser Firma, wenn die NSA anklopft
und sagt: „Wir wollen gerne mit euch über Schnittstellen
reden“?

Hier wird eine Schwäche ganz deutlich. Ich finde es
gut, dass Unternehmen aus Deutschland wachsen. Ich
finde es auch gut, dass sie den Sprung auf den amerika-
nischen Markt schaffen. Aber dass wir selbst kein
Wachstumskapital zur Verfügung stellen können, ist eine
eklatante Schwäche, ein Nachteil. Daran müssen wir ar-
beiten.

Beim dritten Punkt geht es um die Frage, welche
schützenswerten Infrastrukturen und Technologien wir
hier noch haben. Führen wir uns noch einmal die Dis-
kussion über den IT-Airbus und das Problem, dass die
Schnittstellen des Netzes, die Router, mittlerweile fast
alle von amerikanischen und chinesischen Unternehmen
kommen, vor Augen. Es gibt eine letzte Nische, in der es
noch deutsche Anbieter gibt. Es geht um die Endgeräte,
die Router, die bei Ihnen zu Hause stehen. Diese Geräte
haben eine besondere Bedeutung, nicht nur, weil sie die
erste und letzte Linie Ihrer Verteidigung sind, sondern
auch, weil diese Geräte bei Ihnen im Wohnzimmer ste-
hen und weil sie die neue Schnittstelle für alles sind, was
in der Heimautomation stattfindet. Google hat nicht ganz
ohne Grund gerade für Milliarden von Dollar die Firma
Nest gekauft: um jetzt auf Ihre Thermostate und ich weiß
nicht was sonst noch alles zugreifen zu können.

Wenn wir nicht auch noch diesen, wie ich finde, da-
tenschutzrechtlich extrem sensiblen Bereich verlieren
wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die beiden
letzten deutschen mittelständischen Unternehmen, die
Endgeräte liefern, zumindest nicht kaputtgemacht wer-
den. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag klar festge-
schrieben, dass wir uns auch gesetzlich für das Thema
Routerfreiheit starkmachen wollen. Wir wollen, dass
niemand, insbesondere keine Kommunikationsunterneh-
men, Kunden am Ende zwingen kann, amerikanische
oder chinesische Endgeräte einzusetzen. Das ist, glaube
ich, ein wichtiges Thema, das wir gerade jetzt als Erstes
adressieren müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich freue mich, dass wir die Chancen, die sich durch
unseren neuen Ausschuss ergeben, nutzen können. Wir
werden einen guten Dialog mit den Kollegen in den an-
deren Ausschüssen, insbesondere im Innenausschuss,
führen. Ich glaube, dass wir, wenn wir an diesen Themen
arbeiten, einen substanziellen Sprung nach vorne ma-
chen werden. Was mich an der Diskussion stört, ist, dass
wir zwar sehr lange über die Themen reden, bisher aber
nur sehr wenig über konkrete Lösungen. Das möchten
wir gerne in Angriff nehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801503300

Die Kollegin Wawzyniak hat nun das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801503400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke unter-
stützt den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen in allen Punkten.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir gut!)


Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit, weil wir Frei-
heit und Gerechtigkeit miteinander verbinden wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Appell der Schriftstellerinnen und Schriftsteller
ist – das ist außerordentlich begrüßenswert – nicht der
einzige Appell geblieben. Mittlerweile gibt es zum Bei-
spiel auch einen Aufruf von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern gegen Überwachung. Der Appell der
Schriftstellerinnen und Schriftsteller hat aus unserer
Sicht einen ganz zentralen Vorteil: Er macht deutlich,
dass die Überwachung nicht allein auf das Handeln der
NSA reduziert werden kann. Im Überwachungsboot
sitzen Konzerne wie Staaten. Die Kapitäne im Überwa-
chungsboot sind die Geheimdienste. Diese werden lo-
gischerweise immer alle technischen Möglichkeiten nut-
zen, um ihre Informationen zu bekommen. Das liegt im
Wesen von Geheimdiensten. Dagegen helfen keine Ab-
kommen oder gesetzlichen Regelungen, dagegen hilft
nur die Auflösung von Geheimdiensten.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Aufruf der Schriftstellerinnen und Schriftsteller
gibt uns als Parlament aber auch einen Auftrag mit. Ich
bin davon überzeugt, dass allein der Aufruf an Staaten
und Konzerne, das Recht auf Privatsphäre, die Gedan-
ken- und Meinungsfreiheit und die Unschuldsvermutung
zu respektieren, nicht zu einer Verhaltensänderung führt.






(A) (C)



(D)(B)

Halina Wawzyniak

Wir als Gesetzgeber müssen unserer Aufgabe nachkom-
men, Staaten und Konzerne mit gesetzlichen Regelungen
zu zwingen, diese genannten Rechte einzuhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist es vollkommen richtig und unterstützens-
wert, wenn die Grünen in ihrem Antrag fordern, Maß-
nahmen zur Wiederherstellung der benannten Rechte zu
ergreifen.

Im Übrigen – das kann nicht oft genug gesagt wer-
den –: Der Vorratsdatenspeicherung ist eine endgültige
Absage zu erteilen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt wird es für die Genossinnen und Genossen der So-
zialdemokratie interessant: Es ist ein wenig absurd,
wenn der Justizminister im Rechtsausschuss ankündigt,
er werde, selbst wenn der EuGH die Richtlinie zur Vor-
ratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt, einen Ge-
setzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung in Deutsch-
land vorlegen und damit präventiv Druck für eine neue
Richtlinie entfalten. – Demokratie bedeutet eben gerade
auch, dass es keinen Generalverdacht gibt und dass eine
Totalüberwachung der Kommunikation der Einwohne-
rinnen und Einwohner nicht stattfindet. Vorratsdaten-
speicherung ist das Gegenteil von Demokratie im digita-
len Zeitalter.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur Verteidigung der Demokratie im digitalen Zeital-
ter sind mehr Maßnahmen erforderlich als die im Antrag
genannten, die sich weitgehend auf die Ausspähaffäre
konzentrieren. Das Recht auf Anonymität und damit die
Möglichkeit der anonymen Kommunikation darf nicht
infrage gestellt werden. Ein höchstmögliches Daten-
schutzniveau in den Voreinstellungen technischer Geräte
und sozialer Netzwerke muss Standard werden.

Ein Generalverdacht und ein in unseren Augen nicht
zu rechtfertigender Eingriff in die Privatsphäre sowie die
Kommunikationsfreiheit ist im Übrigen auch die nichtin-
dividualisierte Funkzellenabfrage. Auch dieses Überwa-
chungsinstrument gehört abgeschafft.


(Beifall bei der LINKEN)


Demokratie im digitalen Zeitalter bedeutet aber auch,
dass Menschen verstehen, wie das Internet und Compu-
ter funktionieren. Nur wer versteht, wie etwas funktio-
niert, kann auch emanzipiert und selbstbestimmt damit
umgehen. Wir brauchen also sowohl in Schulen als auch
in der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und
Lehrern, Polizistinnen und Polizisten, Richterinnen und
Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten
Medienbildung als integralen Bestandteil.


(Beifall bei der LINKEN)


Das eine oder andere Kopfschütteln hervorrufende Urteil
der vergangenen Tage wäre uns so möglicherweise er-
spart geblieben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Demokratie im digitalen Zeitalter zu verteidigen,
heißt, Einwohnerinnen und Einwohnern überhaupt Zu-
gang zum digitalen Zeitalter zu ermöglichen. Demokra-
tie hat auch immer etwas mit Informiertheit zu tun. Die
Bereitschaft, etwas zu verteidigen, was man nicht kennt,
dürfte nicht sehr ausgeprägt sein. Da bleibt der Koali-
tionsvertrag auf einer ziemlich abstrakten Ebene.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Zwar wird noch erkannt, dass der Breitbandausbau total
wichtig ist, aber die Große Koalition schreibt nicht, wie
sie ihn realisieren will. Sie hat ja sogar die entsprechen-
den Mittel aus dem Koalitionsvertrag gestrichen. Es fin-
det sich kein Wort darüber, dass, wenn jede und jeder an
der Möglichkeit des Internets teilhaben können soll, ein
Computer notwendig ist und dass deshalb ein Computer
zum soziokulturellen Existenzminimum gehören muss;
andernfalls schließt man Menschen von der Demokratie
im digitalen Zeitalter aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Demokratie und Teilhabe am digitalen Zeitalter be-
deuten auch, Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben;
denn nur die gesetzliche Festschreibung der Netzneutra-
lität verhindert ein Zweiklasseninternet. Das, was gerade
auf europäischer Ebene verhandelt wird, lässt vermuten,
dass dort, wo Netzneutralität drauf steht, am Ende nicht
Netzneutralität drin ist.

Ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie ist
Klarheit der Rechtsnormen. Insofern sind klare, an das
digitale Zeitalter angepasste Normen des Urheberrechts
für alle von Nutzen. Denn durch klare Gesetzgebung ist
allen erkennbar, was erlaubt ist und was nicht. Das Urhe-
berrecht ist an das digitale Zeitalter anzupassen. Um Ur-
heberrinnen und Urhebern zu ermöglichen, von ihrer Ar-
beit zu leben, und gleichzeitig den Zugang zu Wissen
und Kultur für Nutzerinnen und Nutzer zu ermöglichen,
brauchen wir ein verändertes Urhebervertragsrecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir Linke haben in der letzten Legislaturperiode einen
umfangreichen Vorschlag zur Novellierung des Urheber-
vertragsrechts unterbreitet, der genau das gewährleisten
würde. Wenn Sie mir zustimmen, dass zur Demokratie
auch die Möglichkeit gehört, sich zu informieren, dann
schaffen Sie endlich die Depublizierungspflicht im öf-
fentlich-rechtlichen Fernsehen ab! Wir können es auf
eine ganz einfache Formel bringen: Was mit öffentlichen
Geldern finanziert wurde, soll auch für alle öffentlich
zugänglich sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das müsste dann übrigens auch für die Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
gelten.

Beim Aufruf der Schriftstellerinnen und Schriftsteller
gerät ein wenig aus dem Blick, dass es auch im Internet
um die Eigentumsfrage geht. Es sind nicht nur Staaten
und ihre Geheimdienste, die die Freiheit des Internets






(A) (C)



(D)(B)

Halina Wawzyniak

bedrohen, sondern auch Monopole, die sich ihre eigenen
Gesetze machen und ihre marktbeherrschende Stellung
ausnutzen. Sie sammeln Daten und können ebenso Be-
wegungsprofile erstellen wie staatliche Behörden. Wir
müssen für eine rechtliche Einhegung der Monopole sor-
gen. Deshalb fänden wir es gut, wenn genossenschaftli-
che und commonsbasierte Initiativen unterstützt würden.
Es wäre auch gut, wenn bei der Auftragsvergabe durch
öffentliche Stellen konsequent auf Open Source gesetzt
würde.

Der Titel des Antrages der Grünen lautet: Die Demo-
kratie verteidigen im digitalen Zeitalter. – Ich habe be-
reits gesagt, dass wir diesen Antrag befürworten. Wenn
wir es alle ernst meinen mit der Verteidigung der Demo-
kratie auch im digitalen Zeitalter, dann sollten wir als
Allererstes bei allen Gesetzen, die hier verabschiedet
werden, eine Demokratievereinbarkeitsprüfung vorneh-
men. Gerechtigkeit und Freiheit zusammenzudenken, ist
eine lohnenswerte Aufgabe, der sich die Linke widmen
wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801503500

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Matthias

Schmidt für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801503600

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen An-
trag der Grünen, der die Intention verfolgt, die Demokra-
tie zu verteidigen. In Berlin sagen wir dazu: Das ist auch
gut so.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nicht mehr lange!)


Gestatten Sie mir als neuem Abgeordneten, die letzten
Wochen ein wenig Revue passieren zu lassen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird turbulent!)


– Genau. – Ich habe den Eindruck, dass wir viele leb-
hafte Debatten hatten – heute Morgen im Übrigen
auch –; das spricht insgesamt dafür, dass die Demokratie
in unserem Land intakt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


„Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“, wie
der Antrag der Grünen betitelt ist, gibt dem Thema jedoch
einen anderen Zungenschlag. Der Antrag der Grünen fußt
– Frau Kollegin Göring-Eckhardt hat das ausgeführt – auf
einem Aufruf, den 562 namhafte Schriftstellerinnen und
Schriftsteller


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über tausend!)

unterzeichnet haben. Dieser Aufruf hat völlig zu Recht
großen Widerhall gefunden. Auch wir begrüßen den
Aufruf, steht er doch in einer direkten Tradition mit
Willy Brandt, der schon vor fast fünf Jahrzehnten ange-
fangen hat, mehr Demokratie zu wagen, und das auch
umgesetzt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zu Zeiten Willy Brandts sah die Demokratie verständli-
cherweise völlig anders aus: Über ihr lag noch der lange
Schatten des Nationalsozialismus. Willy Brandts Inten-
tion war es, Licht und Luft an die Demokratie heranzu-
lassen. Er wollte Menschen zum Mitmachen bewegen,
die Vielfalt des Lebens zeigen und Freude an der Demo-
kratie wecken. Bei der Generation meiner Eltern hat er
dies in vorbildlicher Weise geschafft.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Na ja!)


Er hat es sogar bei meinen Eltern persönlich geschafft;
sie haben sich nämlich auf dem Platz hier vor dem
Reichstag inmitten von 750 000 Menschen kennenge-
lernt, als sie Willy Brandt zuhörten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah! – Zuruf von der CDU/CSU: Er ist das Groupiekind!)


Konrad Zuses Erfindung, den Computer, gab es da-
mals schon sehr lange; trotzdem dauerte es bis in die
90er-Jahre, bis der Computer die Welt völlig veränderte.
Heute haben wir scheinbar grenzenlose Möglichkeiten.
Was sich in den letzten Jahren getan hat, ist mit dem
Wort „rasant“ nur sehr unzureichend beschrieben.

Wir begreifen aber langsam: Datennutzung bedeutet
auch Datenverantwortung. Das richtet sich einerseits
persönlich an uns als Nutzer, andererseits aber auch an
den Staat, der den Auftrag hat, uns vor unlauteren Ma-
chenschaften zu schützen. Der Aufruf der Schriftstelle-
rinnen und Schriftsteller führt uns vor Augen: Wenn uns
dies nicht gelingt, ist am Ende sogar die Demokratie ge-
fährdet.

Über die Demokratie und die Kernelemente, die sie
ausmachen, könnten wir lange philosophieren. Im Zu-
sammenhang mit dem Aufruf sind besonders zu nennen:
die Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäre
und damit der Schutz der im Privaten geäußerten freien
Gedanken. Wenn der Kern dieser Elemente angetastet
wird, sind wir alle aufgefordert aufzubegehren. Hier im
Rund sitzen 631 natürliche Verteidiger der Demokratie,
die dies jeden Tag mit Leidenschaft tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade nicht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
dass wir die Intention Ihres Antrags teilen, möchte ich an
drei Punkten festmachen. Der Fall Snowden hat uns zum
wiederholten Male, aber in völlig neuer Dimension vor
Augen geführt, welche Konsequenzen Whistleblowing






(A) (C)



(D)(B)

Matthias Schmidt (Berlin)


für den Informanten nach sich zieht. Edward Snowden
hat seine berufliche und private Perspektive in den Ver-
einigten Staaten verloren und damit einen sehr hohen
Preis für sein couragiertes Handeln bezahlt. Auch in
kleinerer Dimension wie beim Gammelfleischskandal
oder der Anzeige von Insidergeschäften zeigte sich, dass
Menschen ein hohes Risiko eingehen, wenn sie Miss-
stände, Korruption oder Skandale anzeigen. Es ist egal,
wo sie dies tun: Ob in Unternehmen, Behörden oder in
Institutionen, in allen Fällen verloren sie ihre Arbeits-
stellen oder waren anderen Repressalien ausgesetzt.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aufenthalt für Snowden in Deutschland!)


Diese Fälle machen deutlich: Die vorhandenen gesetz-
lichen Bestimmungen schützen Informanten nicht ausrei-
chend vor Risiken und Benachteiligungen. Wir brauchen
ein Gesetz, das diesen Schutz klar und umfassend regelt.
Unsere Initiative dazu fand in der letzten Wahlperiode
leider keine Mehrheit.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir gespannt, wie Sie das wieder einbringen!)


In der Sache halten wir diesen gesetzlichen Schutz je-
doch nach wie vor für dringend geboten und werden dies
entsprechend dem Koalitionsvertrag in Angriff nehmen.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen,
der mit dem Fall Snowden in enger Verbindung steht,
dem Datenschutz. Wir brauchen einen Datenschutz, der
den Erfordernissen einer digitalisierten Welt gerecht
wird. Dazu gehört zum einen, dass die Datenbestände
von Unternehmen und Privatpersonen vor dem illegalen
geheimdienstlichen Zugriff geschützt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum anderen gehört dazu aber auch, dass der Transfer per-
sonenbezogener Daten EU-einheitlichen und wirksamen
Datenschutzrichtlinien unterliegt. Wir brauchen Transpa-
renz hinsichtlich der Datenweitergabe an Drittstaaten,
ausdrückliche Einwilligungsregelungen sowie angemes-
sene Strafen bei Datenschutzverstößen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das beinhaltet auch, dass Daten wieder gelöscht wer-
den können, um das Selbstverfügungsrecht der Men-
schen an ihren Daten zu sichern. Die Fortschritte bei den
Verhandlungen auf EU-Ebene zu einer einheitlichen eu-
ropäischen Datenschutz-Grundverordnung weisen in die
richtige Richtung; Kollege Reichenbach wird später da-
ran anknüpfen.

Diese EU-Datenschutz-Grundverordnung muss dann
auch Grundlage der Verhandlungen über ein neues Safe-
Harbor-Abkommen werden. Das Datenschutzniveau von
nach dem Safe-Harbor-Verfahren zertifizierten Unter-
nehmen muss künftig den Standards einer EU-Daten-
schutz-Grundverordnung entsprechen, da das Daten-
schutzgefälle zwischen einzelnen Mitgliedsländern der
EU und den USA offenkundig groß ist. Wir brauchen da-
her auf der einen Seite eine Vereinheitlichung nach EU-
Recht, auf der anderen Seite ein Abkommen, das bei der
Datenweitergabe Datensicherheit auf eben diesem ange-
strebten einheitlichen Niveau garantiert.

Allein mit der kurzen Darstellung dieser drei Hand-
lungsfelder – Whistleblower-Schutz, EU-Datenschutz,
Safe-Harbor-Abkommen – wird deutlich: Hier greifen viele
verschiedene Rädchen ineinander und verzahnen sich. Das
ist ein komplexes Unterfangen, das sich nicht so einfach
in Form einer Punkteliste abarbeiten lässt, so sehr wir
das Anliegen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller
auch teilen und deren Engagement schätzen. Das lassen
Sie mich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, trägt zwar in einigen Punkten auch unsere
Handschrift, Ihre Aufbereitung in dem Antrag wird der
Komplexität jedoch nicht gerecht.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht so! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er trägt die Handschrift der Schriftsteller! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Antrag?)


Wir brauchen eine verantwortungsbewusste, strategisch
kluge und zielgerichtete Herangehensweise, die Verfah-
rensschritte mit politischen Ebenen und Kompetenzen
abstimmt. Das haben wir als SPD-Fraktion fest im Blick.
Dafür haben wir uns in der Vergangenheit eingesetzt,
und das wird sich auch in unserem Regierungshandeln
abbilden.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Aufruf
der Schriftstellerinnen und Schriftsteller sagen:

Wir haben verstanden, dass das massenhafte Ausspä-
hen privater Daten das Sicherheitsgefühl der Menschen
erschüttert. Wir haben verstanden, dass der Eingriff in
die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger das Grund-
vertrauen in demokratische Strukturen zerstört. Wir ha-
ben verstanden, dass die illegale Überwachung von
Menschen einen inakzeptablen Bruch der Grundrechte
darstellt. Wir haben nicht zuletzt auch verstanden, dass
der Schutz der Demokratie vor diesem Hintergrund
gebietet, alle notwendigen und möglichen Schritte zu
unternehmen, um dem unkontrollierten Zugriff auf die
Privatsphäre des Menschen verbindliche Grenzen zu set-
zen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Recht, frei und unbeobachtet Gedanken und Mei-
nungen zu äußern, ist eine tragende Säule unserer Ver-
fassung. Dem sind wir in unserem Tun als Abgeordnete
verpflichtet.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)







(A) (C)



(D)(B)

Matthias Schmidt (Berlin)


Seien Sie versichert, dass wir den Aufruf der
562 Schriftstellerinnen und Schriftsteller sehr ernst neh-
men und daraus einen Handlungsauftrag ableiten. Die
SPD wird auch im 151. Jahr ihres Bestehens vehement
und unverändert für unsere Demokratie eintreten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801503700

Lieber Kollege Schmidt, ich gratuliere Ihnen herzlich

zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wün-
sche Ihnen alles Gute für die weitere parlamentarische
Arbeit.


(Beifall)


Nun erhält der Kollege Konstantin von Notz das Wort
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf der Tri-
büne, Ihr Appell kommt in einer Zeit, in der die Bürger-
rechte im Feuer stehen. Er ist ein wichtiges Zeichen ge-
gen Ohnmacht und Gleichgültigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben zu Recht erkannt: Massenhafte Überwa-
chung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächti-
gen und zerstört rechtsstaatlich historische Errungen-
schaften wie die Unschuldsvermutung. Sie mahnen:

Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und
eine Gesellschaft unter … Beobachtung ist keine
Demokratie mehr.

So ist das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn wir die Bürgerrechte in der digitalen Welt ver-
lieren, verlieren wir sie in allen Lebensbereichen. Der
Deutsche Bundestag ist deswegen in der Pflicht, das mit
aller Kraft zu verhindern.

Dieser Appell ist bei weitem nicht der einzige. Es gibt
unzählige Petitionen von Millionen Menschen, gerade
auch von DDR-Bürgerrechtlerinnen und -Bürgerrecht-
lern, Appelle von Hunderten internationalen Organisa-
tionen, Zusammenschlüsse von Professorinnen und Pro-
fessoren, Initiativen von Kirchen und Gewerkschaften,
Aufrufe von Verbänden und Berufsgeheimnisträgern,
Appelle von verschiedensten Wirtschaftsverbänden. Sie
alle haben eines gemeinsam: Sie zeigen, dass der Unmut
über die Untätigkeit dieser Bundesregierung, die heute
hier übrigens nur sehr spärlich vertreten ist, immer grö-
ßer und die Debatte nicht nur hier im Parlament, sondern
auch gesellschaftlich immer breiter geführt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es geht hier nicht um die immer wieder bemühte Ab-
wägung zwischen Freiheit und Sicherheit. Es geht hier
um die anlasslose Massenüberwachung der Bürgerinnen
und Bürger und die Frage, ob diese totalitären Überwa-
chungsmethoden in einem Rechtsstaat überhaupt zuläs-
sig sein können. Wir sagen: Nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Kollege Jarzombek, in diesem Zusammenhang
sage ich Ihnen: Verschlüsselungstechnologien usw. sind
super interessant, aber bei diesem Antrag geht es heute
eben auch darum, welche Rolle die deutschen Geheim-
dienste spielen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Deswegen sollte sich Ihre Fraktion endlich dazu beken-
nen, dass das für den PUA ein wichtiger Untersuchungs-
auftrag ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die traurige Haltung der Union zu diesem Thema ins-
gesamt ist ja hinlänglich bekannt. Ich sage nur: „Super-
grundrecht“ Sicherheit statt Aufklärung und Verteidi-
gung der Bürgerrechte.

Im Wahlkampf und in FAZ-Artikeln interessiert sich
die SPD für Aufklärung, Edward Snowden und die Netz-
politik. Ich habe gehört, Sie wollen die neue Netzpartei
werden. Ihr sozialdemokratischer Präsident des Europäi-
schen Parlamentes, Martin Schulz, schreibt dazu durch-
aus zutreffende und erfreuliche Artikel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Er schreibt frei nach Adorno, die Verdinglichung des
Menschen müsse verhindert werden. – Recht hat der
Mann. Aber das ist die Theorie in der SPD. In der Praxis
stimmen die sozialdemokratischen Abgeordneten im EP
dann eben gegen einen sicheren Aufenthalt für Edward
Snowden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie streichen sämtliche diesbezüglichen Passagen aus
der Beschlussvorlage.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Dabei hat Herr Oppermann, der leider nicht da ist, ex-
plizit mit Snowden im Wahlkampf im vergangenen Jahr
geworben. Er hat ihm eine „hohe Glaubwürdigkeit“ be-
scheinigt und ihn einen „offenkundig wertvollen Zeu-
gen“ genannt. Das war im Wahlkampf. Solche Sätze hört
man von Ihnen jetzt überhaupt nicht mehr. Der Kollege
Oppermann war es auch, der im Wahlkampf sagte, man
müsse neu und kritisch über die Vorratsdatenspeicherung
nachdenken, um anschließend die Einführung ebendie-
ser Vorratsdatenspeicherung in den schwarz-roten Koali-
tionsvertrag hineinzuschreiben. So geht es nicht. Und so
wird es nix mit Ihren bürgerrechtlichen Ambitionen,
liebe Freundinnen und Freunde der SPD.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Konstantin von Notz


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Jahr 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht
die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung der letzten
Großen Koalition für verfassungswidrig. Das Gericht
entwickelte das Merkmal des „diffusen Gefühls des Be-
obachtetseins“. Dieses Gefühl teilen nach dem NSA-
Skandal Millionen von Menschen, wenn sie im Netz
kommunizieren, sich informieren oder einfach nur ihr
Handy dabei haben.

Gestern bezeichnete der Präsident des Bundesverfas-
sungsgerichts, Voßkuhle, die NSA-Affäre als „sehr un-
appetitlich“. Und man hört: Um sich zu schützen, neh-
men die Richter in ihre Besprechungen schon seit
längerem weder Handys noch Laptops mit. „Wir sitzen
mit Papier und Stift da“, sagt ein Richter des Ersten Se-
nats.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801503800

Herr Kollege Dr. von Notz, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Binninger?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Selbstverständlich.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1801503900

Herr Kollege von Notz, wir führen diese Debatte

– wenn auch mit unterschiedlicher Betonung – nun in-
nerhalb der letzten Wochen zum dritten Mal. Ich gebe
Ihnen gerne recht, dass Sie die Probleme in ihrer Drama-
tik zutreffend beschreiben und dass die Auswirkungen
für unsere Demokratie, für das Verhalten der Menschen
mehr als schwerwiegend sind und uns alle besorgt ma-
chen müssen. Ich glaube, da sind wir sehr nahe beieinan-
der.

Es gibt etwas, was mich stört. Ich habe vorhin Ihrer
Kollegin Göring-Eckardt und jetzt auch Ihnen sehr ge-
nau zugehört. Da keine Redner mehr von Ihnen sprechen
dürfen,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


muss ich jetzt meine Frage stellen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, nur zu.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1801504000

Was ich bei allen Debatten vermisst habe: Neben der

Problembeschreibung und der Zuweisung von Schuld an
die Bundesregierung oder wahlweise die SPD liefern Sie
selber leider keinen einzigen konkreten Vorschlag, was
zu ändern ist. Warum denn nicht? Haben Sie nichts zu
bieten, oder erschöpft es sich in Kritik?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Kollege Binninger, vielen Dank für die Frage. –
Wir bieten anlassbezogen massenhaft Antworten auf
dieses Problem.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Dann mal los!)


– Ja, ich habe verstanden. Sie fragen nach konkreten
Antworten. – Wir haben Vorschläge ohne Ende gemacht,
wie man auf europäischer Ebene Druck erzeugen kann.
Wir haben gesagt, dass man das SWIFT-Abkommen, das
PNR-Abkommen, das Safe-Harbor-Abkommen aufkün-
digen kann


(Zuruf von der CDU/CSU)


– natürlich können wir das –, um in eine vernünftige
Verhandlungsposition zu kommen. Ich hege den Ver-
dacht – ich glaube, im Herzen tun Sie das auch –: Dass
die Amerikaner mit einem solchen Schulterzucken auf
unsere Vorwürfe reagieren, hat damit zu tun, dass wir
selbst ein Rädchen in diesem System der anlasslosen
massenhaften Überwachung sind.

Wir wollen das aufklären. Dass wir hier in diesem
Hohen Hause in den letzten Wochen dreimal zu diesem
Thema, wie Sie richtig sagten, gesprochen haben, liegt
eben nicht an der Bundesregierung. Die Kanzlerin hat
sich zu dieser größten Überwachungsaffäre überhaupt
noch nicht verhalten, außer zu sagen: Das geht so nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sind sprachlos. Sie klären nicht auf. Wir haben Vor-
schläge gebracht, und zwar eine Menge. Sie aber agieren
nicht. Sie sind die Bundesregierung. Sie sind in der Ver-
antwortung. Und so geht es nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch einmal zum Bundesverfassungsgericht – dann
komme ich zum Ende –: Der Richter des Ersten Senats
sagt ferner, in Telefonaten werde darauf geachtet, keine
Interna preiszugeben. Das zeigt: Selbst Verfassungsor-
gane, selbst unser höchstes Gericht lebt unter dem un-
mittelbaren, nicht nur diffusen, sondern sehr konkreten
Gefühl des Beobachtetseins. Wenn das so ist, meine Da-
men und Herren, dann ist es allerhöchste Zeit, unsere
Freiheit und unseren Rechtsstaat zu verteidigen. Danke
für diesen Appell! Dieses Parlament und diese Bundes-
regierung sind in der Pflicht, endlich zu reagieren. Ich
freue mich sehr darauf, wenn Sie diese Debatte erneut
auf die Tagesordnung setzen, Herr Binninger.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801504100

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tim Ostermann,

CDU/CSU. Bitte sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Tim Ostermann (CDU):
Rede ID: ID1801504200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Mark Twain
ist das Zitat überliefert:

Es ist töricht, sich im Kummer die Haare zu raufen.
Noch nie ist Kahlköpfigkeit ein Mittel gegen Pro-
bleme gewesen.

Wenn man in den letzten Monaten und gerade auch
heute die Beiträge aus der Opposition verfolgt hat, dann
kann man schon eine Vielzahl an lichten Häuptern er-
kennen. Offensichtlich liegt das an der Haarerauferei,
die seit Bekanntwerden der NSA-Affäre öffentlichkeits-
wirksam betrieben wird.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Empörung
ist nachvollziehbar. Auch ich war empört – und bin es
immer noch –, als ich von der Massenüberwachung
durch amerikanische und britische Geheimdienste erfah-
ren habe. Das Ausmaß hat mich fassungslos gemacht. Es
kommt jedoch ein Punkt, an dem Empörung zu einem
Hindernis wird. Empörung konzentriert sich nämlich nur
auf das Problem. Mark Twain wollte uns mit seinem
Sinnspruch dagegen mitteilen, dass man Lösungen fin-
det, indem man das Problem versachlicht und indem
man vor allem eines an den Tag legt: Besonnenheit.

Wir sind uns in dem Ziel einig: Die Ausspähungen
müssen unterbleiben. Die Verletzung deutschen Rechts
muss aufhören. Über das Wie sind wir uns allerdings bis-
lang nicht einig. Wir beraten heute einen Antrag der
Grünen. Wenn ich den Antrag lese, komme ich zu dem
Ergebnis, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen wenig
zielführend sind und nur ein weiteres Ventil der Empö-
rung darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Ich möchte dies an einigen Beispielen deutlich ma-
chen: Sie wollen den Generalbundesanwalt anweisen
lassen, ein förmliches Verfahren einzuleiten und geheim-
dienstliche Straftaten zu verfolgen. Derzeitiger Stand ist
bekanntlich, dass der Generalbundesanwalt prüft, ob er
ein formales Ermittlungsverfahren aufnimmt. Dem Ver-
nehmen nach wird er in der nächsten Woche eine Ent-
scheidung verkünden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gut!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir soll-
ten darauf vertrauen, dass der Generalbundesanwalt die
richtige Entscheidung trifft,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sowieso!)


eine Entscheidung, die vor allem auf der Grundlage ju-
ristischer Überlegungen getroffen werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Exakt!)

Daher sind konkrete Anweisungen der Bundesregierung
an Herrn Range wenig sinnvoll, weder in die eine noch
in die andere Richtung.

Sie wollen die USA vor dem UN-Menschenrechts-
ausschuss mit einer Staatenbeschwerde belegen. Diese
Beschwerde ist, seit sie 1966 eingeführt wurde, noch von
keinem Staat erhoben worden – nicht ein einziges Mal.
Tagtäglich gibt es auf unserem Planeten schreckliche
und grausame Menschenrechtsverletzungen. Und Sie
wollen dieser Verfahrensart ausgerechnet wegen Aus-
spähaktivitäten zur Premiere verhelfen. Und dann auch
noch gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Nicht gegen die Vereinigten Staaten von Amerika!)


Auch das ist für mich ein klarer Fall von Empörungs-
politik. Das ist kopfloser Aktionismus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir sollten uns stattdessen auf Lösungen kon-
zentrieren. Ich sehe hier drei Ansätze:

Erstens. Wir müssen unseren Verbündeten weiterhin
mit aller Vehemenz klarmachen, dass auch sie sich auf
deutschem Boden an deutsches Recht zu halten haben.
Eines muss dabei aber auch klar sein: Tragfähige Lösun-
gen können wir nur mit den Amerikanern und Briten zu-
sammen erreichen, aber nicht gegen sie. Das ist das Ein-
maleins der internationalen Beziehungstheorie.

Zweitens. Wir müssen auch auf Ebene der EU und der
UN für unsere Vorstellung von Netzpolitik eintreten.
Entscheidend ist dabei die Frage: Für welche Netzpolitik
stehen wir überhaupt? Sie ist aus meiner Sicht noch nicht
befriedigend beantwortet worden. Ebenfalls unbeant-
wortet ist die Frage nach der normativen Ausgestaltung
der Netzpolitik. Wie genau sollen die Regeln aussehen,
die Freiheit und Sicherheit in der richtigen Balance hal-
ten? Aber selbst wenn wir Regeln aufstellen, bleibt im-
mer noch die Frage, wie wir diese durchsetzen wollen.

Und dies führt mich zu meinem dritten Punkt, den
technologischen Kapazitäten. Mit ein Grund für die
große Empörung über die Ausspähung ist doch der Um-
stand, dass wir von ihr kalt erwischt worden sind. Wir
waren offensichtlich nicht vorbereitet. Die Ausspähakti-
vitäten haben uns vor Augen geführt, dass in Deutsch-
land technologisch ein Nachholbedarf besteht. Dass wir
zum Aufholen in der Lage sind, steht für mich außer
Zweifel. Sie werden mir beipflichten, dass wir Deutsche
mit die besten Autos in der Welt bauen, ich meine sogar:
die besten. Trotzdem müssen deutsche Autobauer auf
Software und Betriebssysteme amerikanischer Firmen
zurückgreifen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja die Hölle!)


Oder nehmen Sie das Beispiel Maschinenbau: Deutsche
Firmen gehören zu den Weltmarktführern. Die wesentli-
chen Komponenten für IT und Telekommunikation, die
sie verwenden, kommen aber nahezu allesamt aus den






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Tim Ostermann

USA, China oder Korea. Hier besteht ein Ungleichge-
wicht, das wir bisher ignoriert haben.

Während wir mit unseren Partnern verhandeln, wer-
den andere Länder ihre Algorithmen und Trojaner nicht
einmotten. Mit diesen Staaten sind Verhandlungen von
vornherein aussichtslos und zum Scheitern verurteilt.
Wir müssen auf diese Bedrohung umgehend reagieren.
Damit meine ich nicht, dass wir nun zur Gegenspionage
ansetzen sollten –


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege Hartmann!)


oder überhaupt könnten. Aber eine gewisse Robustheit
gegen Angriffe von außen darf und muss schon sein.

Den Ausbau unserer technologischen Abwehrfähig-
keit haben wir selbst in der Hand. Ich denke da etwa an
die Stärkung des BSI – auch in finanzieller Hinsicht –,
die verstärkte Bereitstellung von Forschungsmitteln,
aber auch an die Formulierung einer neuen, an die He-
rausforderungen der digitalen Welt angepassten Sicher-
heitsstrategie.

Ich bin mir sicher, dass die digitale Agenda, die die
Bundesregierung bis Sommer vorlegen wird, Antworten
geben wird.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich auch!)


Ebenso bin ich davon überzeugt, dass der Untersu-
chungsausschuss, den wir einsetzen werden, Antworten
formulieren wird.

Ohne wildes Haareraufen und symbolische Empö-
rungspolitik, dafür sachlich und besonnen, so müssen
wir diese Aufgabe angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Vielleicht wird dann auch deutlicher, was sich hinter der
Spähaffäre aus meiner Sicht vor allem verbirgt: ein
Weckruf an uns, ein Weckruf, der dazu führen muss, un-
seren digitalen Rückstand aufzuholen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801504300

Herr Kollege Dr. Ostermann, das war Ihre erste Rede

im Deutschen Bundestag. Ich beglückwünsche Sie dazu
und wünsche Ihnen viele weitere erfolgreiche Reden.


(Beifall)


Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Petra Pau, Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801504400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Linke fordert seit Monaten eine zügige, umfassende und
öffentliche Aufklärung aller Umstände des sogenannten
NSA-Datenskandals; meine Kollegin Halina Wawzyniak
hat es bereits gesagt. Deshalb unterstützt die Linke auch
den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der NSA-Skandal ist der bislang größte Angriff auf
Bürgerrechte und Demokratie in der Geschichte der
westlichen Zivilisation. Im Bundeskanzleramt müssten
eigentlich alle Alarmglocken schrillen. Aber da herrscht
Grabesstille. Die Linke hat dafür überhaupt kein Ver-
ständnis.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht!)


Dass massiv gegen verbriefte Bürgerrechte verstoßen
wurde und wird, liegt auf der Hand. Dazu gehören das
Postgeheimnis ebenso wie der Datenschutz. Ausgehöhlt
werden zudem der Rechtsstaat, die Pressefreiheit und die
Schweigepflicht von Ärzten oder Geistlichen sowie an-
deres mehr. Das Grundgesetz wird nicht verteidigt, son-
dern entwertet. Ich frage Sie: Kann es einen größeren
Ernstfall geben? Ich glaube, kaum.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erinnern wir uns: Im Volkszählungsurteil hatte das
Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung und damit den Datenschutz
begründet. Im Urteil hieß es sinngemäß: Bürgerinnen
und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wis-
sen können, wer was über sie weiß, sind als Mensch
nicht mehr souverän. Wer als Mensch nicht mehr souve-
rän ist, kann auch als Bürger kein Souverän sein. Eine
Demokratie ohne Souveräne ist aber undenkbar.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Niemand kann heute mehr wissen, wer was über sie oder
ihn weiß. Um diese Dimension geht es hier, um die Be-
drohung der Demokratie. Das wiederum darf keine Par-
tei hier im Bundestag einfach aussitzen.

Ich konstatiere: Das Internet und die Geheimdienste
sind zu einer unheiligen Allianz verkommen. Schon
wird öffentlich über das Ende des Internets philoso-
phiert. Die Freiheit des Internets und geheime Dienste
widersprechen sich. Also muss man sich entscheiden.
Die Linke sagt: für das Internet und gegen Geheim-
dienste.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn das ist die zweite große Dimension des NSA-
Skandals: die Freiheit des Internets als soziale, kulturelle
und wirtschaftliche Grundlage der Zukunft. Ein gehei-
mes Antispionageabkommen zwischen Geheimdiensten
ist dafür ein Witz ohne Lacher.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)

Petra Pau

Das taugt vielleicht für die nächste James-Bond-Folge,
aber nicht für das richtige Leben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801504500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Michelle

Müntefering, der ich hiermit das Wort erteile.


(Beifall bei der SPD)



Michelle Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1801504600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Eine Bemerkung vorab: Ich bin gerade etwas mehr als
100 Tage hier, und das ist meine erste Rede an diesem
Pult. Ich habe mich aber im Plenarsaal umgesehen. In
diesen kleinen Schubladen vor Ihnen kann man nicht nur
gut Bonbonpapiere verschwinden lassen, sondern darin
findet sich auch das vielleicht stärkste Stück deutscher
Demokratie. Darin liegt ein Buch, so groß wie eine Post-
karte, das Stück Papier, das nichts von seiner Kraft und
von seiner Stärke eingebüßt hat seit dem Tag, an dem es
von unseren Müttern und Vätern verabschiedet wurde;
ich müsste wohl eher sagen: von unseren Großmüttern
und Großvätern. Das Grundgesetz zu beschützen, dazu
haben wir uns gemeinsam verpflichtet. Um nichts weni-
ger geht es auch in dieser Debatte heute hier: die Demo-
kratie verteidigen im digitalen Zeitalter.


(Beifall bei der SPD)


„Ungefährdet ist Demokratie nie“ – so formulierte es
Heinz Westphal, ehemals Bundestagsvizepräsident und
Abgeordneter meiner Heimatstadt Herne. Er sprach aus
den Erfahrungen einer anderen Zeit, einer Zeit fernab
der Demokratie, die uns ewig Mahnung bleiben muss,
auch meiner Generation. Heute ist Demokratie in
Deutschland – bei allen Abstrichen – ein gelungener Teil
unseres Zusammenlebens. Ungefährdet jedoch ist sie
auch heute nicht, auch nicht in einer veränderten, in ei-
ner digitalisierten Welt. Das gilt insbesondere mit Blick
auf Möglichkeiten der Überwachung, der Aufzeichnung,
Speicherung und Analyse durch die von Menschen ge-
machten Maschinen. Das hat uns Edward Snowden
schmerzvoll vor Augen geführt.

Dass zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller
jetzt aufschreien: „Ein Mensch unter Beobachtung ist
niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Be-
obachtung ist keine Demokratie mehr“, muss uns zum
Handeln bewegen. Aufklärung muss der erste Schritt
sein. Für diese Aufklärung allerdings gilt der Satz einer
deutschen Schriftstellerin, die diesen Aufruf nicht mehr
unterzeichnen konnte, Ingeborg Bachmann: „Die Wahr-
heit ist dem Menschen zumutbar.“

Als Parlamentarier brauchen wir den Mut, den Men-
schen nichts vorzumachen und uns selbst auch nicht.
Meine Generation ist mitten in die digitale Revolution
hineingeboren. Die Schallplattensammlung tragen wir
täglich im Handy mit uns herum. Wir zoomen Bild-
schirme per Fingerzeig, und wir fragen nicht nach dem
Weg, sondern programmieren das Navigationssystem.
Wenn wir Fragen stellen, dann antworten manchmal
auch Wikipedia oder Siri; das ist die digitale Gesprächs-
partnerin aus dem iPhone.

Aber Digitalisierung ist viel mehr. Sie verändert wirt-
schaftliche Zusammenhänge. Sie eröffnet neue Ge-
schäftsmodelle, sie wirkt sich auf das staatliche Handeln
aus, und sie reicht auch tief in die Privatheit des Einzel-
nen. Wir sind in der Verantwortung dafür, ob wir unser
Wissen für ein selbstbestimmtes Leben und für den Fort-
schritt nutzen, ob wir die Chancen erkennen und die Ri-
siken in den Griff kriegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Unsere Aufgabe ist es, wieder eine Balance zwischen
Freiheit und Sicherheit zu finden. Das geht; das kann
man hinkriegen.

Es ist offensichtlich: Der Missbrauch durch Geheim-
dienste, auch durch Unternehmen und staatliche Institu-
tionen hat zu großem Vertrauensverlust geführt. Wenn
ich schon von Generationen spreche: Nicht nur meine
Generation hat in den letzten Jahren einen tiefen Vertrau-
ensverlust in Bezug auf demokratische Prozesse, rechts-
staatliches Handeln und den Primat der Politik erlitten.

Doch gerade für die jungen Menschen im Land ist die
tiefe Bindung zwischen Deutschland und den USA
längst nicht mehr selbstverständlich, auch nicht selbst
erlebt. Weil aber Amerika nicht nur in der Beziehung zu
Deutschland ein besonderes Land ist, muss man es an-
sprechen: Es gibt sie noch, die Hoffnung auf die Zukunft
der Demokratie. Deswegen ist es fatal, wenn diese Hoff-
nung Risse bekommt.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat an
dieser Stelle ein Völkerrecht für das Internet gefordert.
Ich will einen Schritt weitergehen: Es braucht multilate-
rale Verabredungen darüber, wie man miteinander um-
geht, und darüber, was man nicht tut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Cyberrechtskonvention etwa müsste von Deutsch-
land aus in der Welt vorangetrieben werden. Sie könnte
von anderen Ländern – nicht nur in Europa – unterstützt
und ratifiziert werden. Das wäre ein Schritt in die rich-
tige Richtung.

Wir müssen darauf achten, dass sich in einer digitali-
sierten Welt ein Ideal nicht durchsetzt: „Je berechenba-
rer, desto gesünder, effizienter und funktionsfähiger der
Mensch“; denn das können unsere Großväter und Groß-
mütter nicht gemeint haben mit „Die Würde des Men-
schen ist unantastbar“. Das Grundgesetz verbietet es,
den Menschen zum Informationsobjekt zu machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Herausforderungen stammen aus der analogen
Welt; aber sie sind geblieben. Es gilt, sie zu übertragen.
Wir müssen darüber entscheiden, wie ein digitaler Markt
auch ein demokratiekonformer Markt sein kann, wie der
Staat die Rechte der Bürger auch im weltweiten Netz ge-






(A) (C)



(D)(B)

Michelle Müntefering

währleistet, wie Eingriffe in die Privatsphäre geahndet
werden. Dann kann es gelingen, die Demokratie in der
digitalisierten Welt nicht bloß zu verteidigen, sondern sie
durch Mitbestimmung, Aufklärung und Bildung für eine
neue Generation, für eine digital mündige Generation zu
stärken.

Deswegen noch ein paar Worte zu den Forderungen
der Bündnisgrünen. Ja, wir müssen Menschen schützen,
die ihr Leben einsetzen, um Rechtsstaatlichkeit zu be-
wahren. Diejenigen, die Grundrechte verletzen, müssen
sich erklären und verantworten. Ein Parlament, das
Grundrechte schützen soll, muss auch über Risiken infor-
miert sein. Hier gilt es aber auch, unseren selbstgewählten
Vertretern im Parlamentarischen Kontrollgremium zu
vertrauen. Bezüglich der Vorratsdatenspeicherung kann
man Minister Maas nur unterstützen, die Unterscheidung
des EuGH jetzt abzuwarten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie erwecken
hier den Eindruck, als würden wir nichts oder das Fal-
sche tun. Aber wir haben einen ersten Schritt gemacht
– wir haben einen NSA-Untersuchungsausschuss einge-
setzt –, und einen zweiten Schritt machen wir mit dem
Einsetzen des Ausschusses Digitale Agenda. Einen drit-
ten machen wir mit der Überführung der Stiftung Daten-
schutz in die Stiftung Warentest, und einen vierten, in-
dem wir auch Datenschutz und Bürgerrechte vor dem
Hintergrund eines Marktwächters „digitale Welt“ stär-
ken.

Ich sage Ihnen auch, wo in Ihrem Antrag Verbesse-
rungsbedarf besteht: Auf dem verbraucherpolitischen
Auge nämlich ist er blind. Der Bürger als Verbraucher
wird in Ihrem Antrag kein einziges Mal erwähnt. Es sind
aber die Verbraucher, die Bücher, Filme und Reisen im
Internet kaufen, die über das Netz private Beziehungen
pflegen und ihrem Computer sensible Daten anvertrauen.
Sie müssen wir vor Missbrauch schützen. Deswegen muss
es zukünftig auch eine gesetzliche Regelung dazu geben,
dass Unternehmen, die etwa im Scoringverfahren mit
Daten handeln, verpflichtet werden, gegenüber einer Be-
hörde anzuzeigen, welche Daten sie verwenden. Hier ist
der Gesetzgeber gefordert.

Klagen und Anklagen stellen nicht Vertrauen wieder
her. Verbraucherbildung, Verbraucherinformation und
Verbraucheraufklärung kommen bei Ihnen jedoch über-
haupt nicht vor.

Techniken zum Schutz der Privatsphäre zu fördern,
kann ein richtiger Ansatz sein; ganz sicher werden der
verstärkte Einsatz von Verschlüsselungstechniken, hohe
Datenschutzstandards und eine Technikfolgenabschät-
zung für Infrastrukturen wichtiger.

Klare Regeln braucht es ebenfalls: Persönliche Daten
zu missbrauchen, muss ebenso bestraft werden, wie eine
Tonne mit Chemikalien in den Wald zu schmeißen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu
tun im digitalen Zeitalter, auch wenn wir dem Antrag der
Bündnisgrünen heute so nicht zustimmen. Wir werden
aber im Ausschuss noch im Detail darüber sprechen, mit
welchen Mitteln wir unsere Demokratie im digitalen
Zeitalter verteidigen. Einen ersten Aufschlag hat die
GroKo gemacht.

Ich freue mich, dass ich mithelfen darf, bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit einem tradi-
tionell analogen Gruß aus meiner Heimat, dem Berg-
mannsgruß: Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801504700

Kollegin Müntefering, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer

ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ih-
nen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit.


(Beifall)


Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1801504800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Im Kern dreht sich die heutige Debatte nicht
nur um das völlig inakzeptable Vorgehen einiger Nach-
richtendienste, sondern um eine der zentralen Herausfor-
derungen des 21. Jahrhunderts: Wie können wir unsere
nationalen Rechte in einer globalen Ordnung verankern
und sie gleichzeitig von der realen Welt in eine grenzen-
lose und sich stetig weiterentwickelnde digitale Welt
übertragen?

Als Antwort auf diese komplexe Frage gibt unser Ko-
alitionsvertrag als Ziel ein „Völkerrecht des Netzes“ aus,
um den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger auch
im grenzenlosen Internet Geltung zu verschaffen. Dieses
Ziel ist im Grundsatz absolut richtig. Natürlich brauchen
wir auch im Internet verlässliche Regeln, die dem Ein-
zelnen den Schutz seiner Grundrechte, den Schutz vor
Kriminalität, staatlicher Willkür oder unternehmeri-
schem Missbrauch sichern. In diesem Punkt herrscht Ei-
nigkeit. Wir diskutieren heute also nicht über das Ziel,
sondern über den richtigen Weg dorthin.

Wenn man den Maßnahmenkatalog des Antrags
durchliest, bekommt man den Eindruck, Deutschland
solle diesen schwierigen Weg unbedingt allein gehen. Es
wird unter anderem gefordert, dass die USA sich vor
dem UN-Menschenrechtsausschuss verantworten sollen
und dass Großbritannien auf EU-Ebene mit einem Ver-
tragsverletzungsverfahren überzogen wird. Ich kann verste-
hen, dass man angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe
und des unannehmbaren Verhaltens hart durchgreifen
möchte. Diese Maßnahmen sind langfristig aber nicht
zielführend.

Ein „Völkerrecht des Netzes“, das diesen Namen ver-
dient, werden wir niemals gegen die USA und Großbri-
tannien durchsetzen können, sondern nur gemeinsam mit
ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])







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(D)(B)

Andrea Lindholz

Man darf nicht vergessen, dass Länder wie Russland
oder China dieses Thema ganz anders beurteilen.

Natürlich müssen wir Amerikanern und Briten klar-
machen, dass der Rechtsstaat im digitalen Zeitalter nicht
an Landesgrenzen aufhört und dass wir die aktuellen
Vorkommnisse auf das Schärfste verurteilen. Das Inter-
net darf für niemanden ein rechtsfreier Raum sein.

Die Bundesregierung lässt dem Generalbundesan-
walt zu Recht freie Hand bei der Entscheidung, ob ein
Ermittlungsverfahren eröffnet wird. Allein mit deut-
schem Strafrecht aber – das ist unabhängig vom Ergeb-
nis seiner Prüfung – werden wir die Bürgerrechte im glo-
balen Netz nicht schützen.

Bereits in der Debatte im November wurden an dieser
Stelle einige Aufgabenfelder für uns aufgezeigt. In
Deutschland muss das IT-Sicherheitsgesetz verabschie-
det werden und müssen Sicherheitslücken in unserer
IT-Infrastruktur konsequent geschlossen werden. Auf
europäischer Ebene müssen wir die EU-Datenschutz-
Grundverordnung gewissenhaft umsetzen. Innenminister
Friedrich hat erst in dieser Woche im Innenausschuss ge-
äußert: Sie muss sitzen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innenminister Friedrich?)


– Entschuldigung! Danke. Innenminister de Maizière.

Die Rede von US-Präsident Obama zur NSA-Affäre
vom 17. Januar war kein Grund zum Jubeln. Obama hat
aber öffentlich anerkannt, dass einer demokratischen Na-
tion wie den USA die Bürgerrechte anderer Nationen
nicht gleichgültig sein dürfen. Die US-Regierung sieht
endlich Handlungsbedarf. Im Kongress und in der Be-
völkerung wird die Kritik an den eigenen Diensten im-
mer lauter. Diesen Prozess des Umdenkens müssen wir
vorantreiben. Die bisherigen Interventionen der Bundes-
regierung haben dazu sicherlich beigetragen.

Wenn wir aber nun, wie im Antrag gefordert, die be-
stehenden Abkommen mit den USA einseitig aufkündi-
gen, dann frieren wir den laufenden Dialog ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Das seit 2010 diskutierte Datenschutzabkommen zwi-
schen der EU und den USA wäre dann endgültig hinfäl-
lig. Die bestehenden Abkommen – darin sind wir uns
doch einig – sollen reformiert und ausgebaut werden.
Auch in den Beratungen zum Freihandelsabkommen mit
den USA muss der Datenschutz neben vielen anderen
Fragen, die dort zu klären sind, eine zentrale Rolle spie-
len. Solche Verträge zwischen der EU und den USA sind
doch der beste Ansatz, um unsere Standards in den USA
nachhaltig zu verankern. Würden wir den Forderungen
im Antrag folgen, gefährdeten wir die notwendigen Ver-
handlungen. Deswegen ist dieser Antrag abzulehnen.

Der Antrag enthält aber auch obsolet gewordene For-
derungen. Die Kontrolle der deutschen Geheimdienste
obliegt dem Parlamentarischem Kontrollgremium. Zu-
dem werden wir den NSA-Untersuchungsausschuss ein-
setzen. Wir hoffen, damit neben Transparenz auch für
Aufklärung zu sorgen.

Ich möchte an dieser Stelle auf die grundsätzliche
Notwendigkeit von handlungsfähigen Geheimdiensten
hinweisen. Diese Meinung teilt im Übrigen auch Edward
Snowden. Er hat in einem Internet-Chat geschrieben:

Nachrichtendienste müssen eine Rolle spielen. Die
Leute auf der Arbeitsebene bei NSA, CIA oder je-
dem anderen Mitglied der nachrichtendienstlichen
Gemeinschaft sind nicht unterwegs, um euch zu
kriegen. Es sind gute Leute, die versuchen, das
Richtige zu tun.

Ich plädiere daher dafür, die Diskussion über Bürger-
rechte im Netz auf eine strategische Weise zu führen.
Letztendlich bringt uns das beste Abkommen nichts,
wenn es nur bilateral geschlossen oder auf der Entschei-
dungsebene ignoriert wird.

Rechtsstaatliche Werte müssen in einer Demokratie
für Entscheidungsträger selbstverständliche Grundlage
ihres Handelns sein. Wir brauchen einen fundamentalen
Kulturwandel im Umgang mit dem Internet und unseren
digitalen Möglichkeiten auf allen Ebenen. Wir müssen
auch erkennen: Je mehr Bereiche unseres Alltages wir in
das Internet verlagern, desto dringender werden natür-
lich Fragen nach dem Verhältnis von Sicherheit und
Freiheit im Netz. Wer die Vorratsdatenspeicherung nicht
einführen will – wir werden dazu in der nächsten Woche
sicherlich noch Diskussionen in diesem Hause führen –,
muss den Opfern und Angehörigen bei schweren Strafta-
ten und Gefahr für Leib und Leben erklären, warum er
diese Vorratsdatenspeicherung ablehnt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Laut Polizeilicher Kriminalstatistik stieg die Internet-
kriminalität allein im Jahr 2012 um fast 8 Prozent. Die
Delikte aus dem Bereich „Datenveränderung, Compu-
tersabotage“ nahmen um 134 Prozent zu. Die Dunkelzif-
fer dürfte noch höher sein; denn bekanntermaßen werden
viele Verbrechen im Internet, in der digitalen Welt gar
nicht erst zur Anzeige gebracht.

Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten derselben
Medaille. Es gibt keine echte Freiheit im weltweiten
Netz, wenn dort das Recht des Stärkeren herrscht, egal
ob es ein Geheimdienst, ein Wirtschaftsunternehmen
oder ein einzelner krimineller Hacker ist. Nur gemein-
sam können wir internationale Lösungen finden – nur
miteinander, nicht gegeneinander –, um unsere bürgerli-
chen Grundrechte, so wie es im Antrag gefordert wird, in
der digitalen Welt zu verankern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801504900

Der Kollege Gerold Reichenbach hat für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erste Vizepräsidentin Petra Pau Rede! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, das war ihre erste Rede!)





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Es tut mir leid. Ich gratuliere Ihnen gern zu Ihrer ers-
ten Rede, wenn das so ist. Der Präsident hat mir leider
keine entsprechende Nachricht hinterlassen.


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das war die erste Rede für den Innenausschuss, aber meine zweite Rede!)


– Ich wurde gerade darauf aufmerksam gemacht. Dann
gratuliere ich zur zweiten Rede.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings wollen wir das nicht zur Regel werden las-
sen, weil wir sonst nicht mit der Tagesordnung durch-
kommen.

Gerold Reichenbach hat das Wort.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1801505000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Schriftsteller auf der Tribüne, Sie haben mit
Ihrem Apell auf ein grundlegendes Problem aufmerksam
gemacht, dem wir als Parlamentarier, als Staat und als
Gesellschaft beim Eintritt in dieses neue digitale Zeital-
ter gegenüberstehen. Auch der Präsident des Europäi-
schen Parlaments, unser Spitzenkandidat für die Europa-
wahl, Martin Schulz – das ist ja schon erwähnt worden –,
hat in dieser Woche in einem beeindruckenden Aufsatz
das totalitäre Potenzial des Internets und der digitalen
Revolution deutlich gemacht. Er hat das treffend be-
schrieben: Wir stehen vor großen Herausforderungen. –
Übrigens, lieber Herr Konstantin von Notz, bei allem
Bemühen, sich in der Opposition zu profilieren, sollten
Sie hier nicht wahrheitswidrig behaupten, die SPD-Ab-
geordneten hätten im Europaparlament gegen die sichere
Aufnahme von Snowden gestimmt. Sie haben dafür ge-
stimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das rausgestrichen aus der Beschlussvorlage!)


Die Möglichkeiten und Vorteile dieser neuen, digita-
len Ära, von der viele sagen, sie werde prägender sein
als die industrielle Revolution, sind vielfältig. Sie betref-
fen den Wirtschaftsbereich, das Privatleben, die alltägli-
che Lebensführung, und die Möglichkeiten werden noch
immens steigen. Die Kehrseite dieser Medaille aber ist,
dass wir die Netze und ihre Nutzer besser schützen müs-
sen; das ist eine wachsende Erkenntnis. Trotz dieser Er-
kenntnis, die schon oft, zuletzt in der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“, thematisiert
wurde, haben uns die Offenbarungen von Snowden ein
Stück weit erschreckt. Das ist unter anderem Anlass für
die heutige Debatte. Es geht um den Umgang mit Daten-
kraken wie Google und Facebook, und es geht um die
Gefahr für unsere Demokratie, die von undurchsichtig
agierenden und unkontrollierten Nachrichtendiensten
und von der Zusammenarbeit zwischen beiden ausgeht.
Um es grundlegend zu formulieren: Es geht um unser
Demokratieverständnis in einem digitalen Zeitalter. Es
geht darum, wie wir den Anspruch des Grundgesetzes
– die Kollegin Müntefering hat es formuliert – auch im
digitalen Zeitalter umsetzen.

Dem Grundgedanken, dass der Staat die Bürgerinnen
und Bürger grundsätzlich schützen muss und dass umge-
kehrt der Bürger grundsätzlich vor der Übermacht des
Staates geschützt werden muss, folgt jetzt die Erkennt-
nis, dass dies bei weitem nicht reicht, dass es auch um
den Schutz der Daten im privaten und im persönlichen
Bereich geht. Dies gilt insbesondere im Verhältnis priva-
ter Organisationen und Wirtschaftsunternehmen zum In-
dividuum. Denn viele Daten, die die Nachrichtendienste
nutzen – ich habe es angesprochen –, haben sie gar nicht
selbst erhoben. Vielmehr greifen die Dienste, teilweise
sogar auf legalem Wege, auf Daten zurück, die private
Wirtschaftsunternehmen en masse sammeln. Da ist es,
liebe Kollegen von der CDU, auch nicht damit getan, zu
sagen, jeder wisse, welche Daten er ins Interstellt stellt.
Niemand wusste, welche Daten die berühmte App
„Angry Birds“, die man gerne benutzt hat, um zu spie-
len, auf dem Smartphone abgreift und wohin diese Daten
gehen. Niemand wollte diese Daten bewusst für andere
ins Netz stellen. Die Leute, die die App benutzt haben,
wollten nur spielen; sie haben nicht mitbekommen, dass
sie sowohl von dem App-Produzenten als auch von der
NSA bis ins letzte Detail ausspioniert worden sind. Da-
vor gilt es die Menschen in Zukunft zu schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Intention der Wirtschaftsunternehmen für ihre
Datensammelwut ist die gleiche wie die der Nachrich-
tendienste, nämlich die Kontrolle über das Individuum.
Deswegen ist diese Agglomeration auch so gefährlich
für unsere Demokratie. Bei den einen geht es um das In-
dividuum als Wirtschaftsobjekt, als Marktteilnehmer;
bei den anderen geht es um das Individuum als Staats-
bürger und als potenzieller Gefährder. Das hat Konse-
quenzen weit über die Grenzen des Staates hinaus. Denn
die zunehmende Entgrenzung, die der digitalen Entwick-
lung zu eigen ist und die zum Teil auch ihre Vorteile aus-
macht, ist gleichzeitig die neue Herausforderung. Daten-
schutz ist heute nicht mehr nur eine Frage des Schutzes
von Persönlichkeitsrechten, sondern auch eine Frage der
nationalen Sicherheit und der nationalen Souveränität.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wenn Staaten die Fähigkeit verlieren, sich schützend vor
ihre Bürger zu stellen, egal ob gegenüber dem Ausspio-
nieren durch fremde Mächte oder gegenüber dem An-
spruch international agierender Konzerne, sich nicht
mehr an deutsches oder europäisches Recht halten zu
müssen, dann verlieren sie langfristig ihre Legitimation.
Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir ste-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)

Gerold Reichenbach

Wir alle wissen: Das den Staaten zur Verfügung ste-
hende Zoll- und Grenzregime ist in der digitalen Zeit
wirkungslos geworden. Wir müssen uns einmal an-
schauen, was die eigentliche Qualität dessen ist, was
Snowden offenbart hat. Bei aller Schwere des Vorgangs
ist es dennoch nicht die Tatsache, dass das Handy der
Kanzlerin und die Handys von Regierungsmitgliedern
ausspioniert wurden. Solche Abhöraktionen kennen wir
schließlich aus den letzten Jahrhunderten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht von Freunden!)


Die eigentlich neue Qualität ist, dass aufgrund der erho-
benen Daten amerikanische Behörden in einer Art und in
einem Umfang Kontrolle über die Bürger der Bundes-
republik Deutschland erlangt haben, wie dies früher
noch nicht einmal möglich war, wenn man militärisch
einmarschiert ist und das Land besetzt hat. Das ist die ei-
gentlich neue Qualität, der wir gegenüberstehen. Man
könnte es sogar auf die Spitze treiben und sagen: Im di-
gitalen Zeitalter verliert zum Teil sogar das Militärische
seine Schutzfunktion.

Demokratie bedeutet für uns vor allem die Freiheit
des Einzelnen. Sie kann aber nur fortbestehen, wenn wir
es als Staat schaffen, die Integrität der informationstech-
nischen Systeme, die zum Teil Abbild der Persönlichkeit
und der eigenen persönlichen Ausdrücke, Empfindun-
gen, Regungen und Beziehungen sind, zu schützen, was
durch das Grundgesetz und die Urteile des Bundesver-
fassungsgerichts zur Volkszählung, zur Vorratsdaten-
speicherung und zu den sogenannten Bundestrojanern si-
chergestellt werden soll. Das ist die eigentliche Aufgabe,
dir vor uns liegt. Ich sage auch – durchaus konform mit
kritischen Stimmen –: Das werden wir nicht schaffen, in-
dem wir die Überwachung weiter ausdehnen. Wir dürfen
nicht nur kritisieren, was andere an Kontrolle und Über-
wachung anstreben, sondern müssen auch zwischen der
Einengung der Freiheit und einer gebührend umfassen-
den Sicherheit qualitativ abwägen. Mit dieser Abwägung
werden wir uns jeden Tag befassen müssen. Das geht
nicht mit einem ideologischen Ja oder Nein. Dafür ist
dieser Abwägungsgegenstand viel zu schwierig.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801505100

Kollege Reichenbach, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung der Kollegin Wawzyniak?


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1801505200

Ja, klar.


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801505300

Kollege Reichenbach, ich möchte Sie direkt fragen.

Sie haben gerade über das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts gesprochen. Wie, denken Sie, soll das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingehalten
werden, wenn der Justizminister, wie im Rechtsaus-
schuss angekündigt, selbst bei einer Unzulässigkeit der
Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ein deutsches
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen möchte,
und zwar präventiv, bevor eine neue EU-Richtlinie vor-
liegt, um mit diesem Gesetz auf eine neue Richtlinie
Einfluss zu nehmen? Ich frage Sie: Wie wollen Sie das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung sicherstel-
len, wenn ohne EU-rechtliche Grundlage die Vorratsda-
tenspeicherung in Deutschland eingeführt werden soll?


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Frage!)



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1801505400

Liebe Halina, die umständliche Art und Weise, wie du

deine Frage formulieren musstest, zeigt mir eigentlich
schon, dass du Heiko Maas offensichtlich falsch verstan-
den hast.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aha!)


Er hat nicht gesagt, dass er für den Fall, dass die Richtli-
nie für unzulässig erklärt wird, ein Gesetz vorbereiten
wird. Das ist völliger Unsinn.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was hat er denn gesagt?)


Wenn der Europäische Gerichtshof sagt, dass die Richtli-
nie als Ganze mit den europäischen Menschenrechten
nicht vereinbar ist, dann wird ein Rechtsstaat wie die
Bundesrepublik Deutschland nicht hingehen und sagen:
Aber wir machen trotzdem ein Gesetz, das auf dieser
Richtlinie basiert. – Das wäre ja geradezu rechtswidrig.
Das steht gar nicht zur Debatte.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut zu hören! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das werden wir sehen!)


Die Frage ist am Ende: Wie urteilt der Europäische
Gerichtshof? Welche Teile der Richtlinie werden aufge-
hoben? Welche Teile haben weiterhin Bestand? Gibt es
weiterhin – und darum geht es im Koalitionsvertrag –
eine Umsetzungspflicht? Oder: Ist durch das Urteil des
Europäischen Gerichtshofes die Umsetzungspflicht für
die Staaten, die die Richtlinie noch nicht umgesetzt ha-
ben, entfallen? Gibt es lediglich eine Übergangsfrist für
die Staaten, die sie bereits umgesetzt haben, und zwar so
lange, bis der europäische Gesetzgeber das Ganze neu
geordnet und neu aufgesetzt hat? Darum geht es. Es geht
nicht darum, nach dem alten Motto zu verfahren:
Schnurzegal, was die in Brüssel machen. Wir machen
das schon. – Dieses Bild, das Sie von der Koalition aus
CDU/CSU und SPD zu zeichnen versuchen, ist grundle-
gend falsch.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich zum Gegenstand zurückkommen.
Die Frage ist am Ende: Wie können wir das durchset-
zen? Das wird nicht mit der Silver Bullet oder mit dem
Grundsatz „one fits all“ geschehen können. Dazu brau-
chen wir das Marktortprinzip, die Durchsetzung von Da-
tenschutzanforderungen im Rahmen einer europäischen
Datenschutzverordnung gegenüber dem privaten Be-
reich, wonach Staaten von diesen Ansprüchen nicht ein-
fach freigestellt werden und wonach jemand, der gesetz-






(A) (C)



(D)(B)

Gerold Reichenbach

widrig Daten an Dritte preisgibt, ohne dass es ein
Abkommen zur Weitergabe gibt – egal wie die Rechts-
lage im jeweiligen Land ist –, Strafe fürchten muss. Wir
brauchen aber nicht nur das Marktortprinzip, sondern
auch das Prinzip der informierten Zustimmung. Dazu
gehört natürlich, dass wir die Daten, die wir in Europa
schützen, nicht relativ unkontrolliert bzw. mit schwacher
Kontrolle an Drittstaaten weitergeben oder weitergeben
lassen. Das heißt, wir müssen die europäischen Abkom-
men auf den Prüfstand stellen. Ich begrüße durchaus,
dass das Europäische Parlament die Kommission aufge-
fordert hat, das Safe-Habor-Abkommen auf den Prüf-
stand zu stellen und aufzukündigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Edward Snowden
gehört unser Dank, die Debatte angestoßen zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Frage ist nicht, ob, sondern welche Konsequenzen
wir aus der NSA-Affäre ziehen müssen. Dazu kann der
Untersuchungsausschuss einen Beitrag leisten. Dem
sollten wir nicht mit dem, was die Grünen in der letzten
Legislaturperiode beantragt haben, vorgreifen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin,
ich komme zum Schluss. Wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten sehen es als Aufgabe an – das steht in
der Tradition unserer 150-jährigen Geschichte –, dafür
zu sorgen, dass das neue, digitale Zeitalter zu einem
Zeitalter der Freiheit und des Wohlstandes der Bürger
und nicht zu einem Zeitalter des fremdbestimmten Indi-
viduums durch Wirtschaftsinteressen und Kontrolleure
wird. Dafür werden wir uns in dieser Legislaturperiode
und in dieser Koalition einsetzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801505500

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Konstantin

von Notz das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Geschätzter Kollege
Reichenbach, weil Sie mich direkt angesprochen haben,
möchte ich klarstellen: Ich habe nichts Wahrheitswidri-
ges behauptet, sondern es ist so. Bei einer Abstimmung
im Innenausschuss des EP in der letzten Woche haben
leider auch die SPD-Abgeordneten dem Antrag von Lin-
ken und Grünen, Edward Snowden Schutz zu gewähren,
nicht zugestimmt. Sie haben stattdessen die Vorlage ver-
ändert und daraus einen Prüfauftrag gemacht. Das zeigt
zum wiederholten Male: Wenn es in Bürgerrechtsfragen
ernst wird, dann ist auf Sie leider kein Verlass.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801505600

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1801505700

Lieber Konstantin von Notz, ich mag dich ganz gerne.

Wir haben in vielen Bereichen durchaus gut zusammen-
gearbeitet. Ich denke, wir werden das auch in Zukunft
tun.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Hinter deiner Frage steckt die alte Überheblichkeit,
die wir im Parlament immer wieder erleben: Wenn die
Grünen, manchmal auch die Linkspartei, in einem An-
trag ein Thema oder eine Forderung formulieren, dann
ist jeder, der diesem Antrag nicht zustimmt, ihrer Mei-
nung nach zugleich gegen das Thema oder die Forde-
rung. Genau das ist falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


So geht das in einer Demokratie, die auf eine differen-
zierte Debatte angewiesen ist, nicht.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer hat denn jetzt Wahrheitswidriges gesagt?)


Das ist das Instrument der Schwarz-Weiß-Malerei, des-
sen wir uns nicht bedienen sollten.


(Beifall bei der SPD)


Die Wahrheit ist, dass wir dem Antrag der Grünen
nicht zugestimmt, sondern eine Formulierung einge-
bracht haben, die auch den Schutz von Edward Snowden
intendiert und besagt: Es muss im Detail geprüft werden,
wie der Schutz vorzunehmen ist. – Wenn Ihnen Geheim-
dienstler sagen, dass die Forderung nach dem Schutz
von Edward Snowden zwar relativ leicht ausgesprochen
ist, aber nur schwer realisiert werden kann, dann muss
man diese Warnung ernst nehmen. Man kann das nicht
proklamatorisch mit einem scharfen Satz in der Resolu-
tion des Europäischen Parlaments wegfegen. Differen-
ziertheit bedeutet nicht, dagegen zu sein, sondern offen-
bart im Gegenteil ernsthaftes Bemühen um die Sache.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801505800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin

Nina Warken das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1801505900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger muss
nach wie vor unser oberstes Ziel sein. Das betrifft zum
einen den Schutz vor Terrorismus und Kriminalität, ob
aus dem In- oder Ausland. Das betrifft zum anderen aber
auch den Schutz vor Ausspähung und Überwachung.
Diese beiden Seiten von Freiheit und Sicherheit bedin-
gen sich gegenseitig. Sie miteinander in Einklang zu
bringen, ist jedoch nicht immer einfach.

Gemäß dem vorliegenden Antrag der Grünen soll der
Bundestag einen Aufruf von zahlreichen Schriftstellerin-






(A) (C)



(D)(B)

Nina Warken

nen und Schriftstellern unterstützen, in dem das Verhal-
ten Deutschlands mit dem Fehlverhalten von anderen
Staaten und Unternehmen auf eine Stufe gestellt wird.
Wenn wir dem folgen, billigen wir, dass unser Land als
Überwachungsstaat beschrieben wird, der seine Bürger
– weil es ja technisch ganz einfach möglich ist –, wo es
nur geht, bespitzelt und ihre persönlichen Daten stiehlt.
Dem kann ich nur ganz entschieden widersprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist richtig: Die Privatsphäre der Bürgerinnen und
Bürger muss geschützt werden; da gebe ich dem Aufruf
recht. Das Internet und die modernen Kommunikations-
mittel machen das zu einer immer größeren Herausfor-
derung. Ebenso richtig ist, dass das systematische Aus-
spähen unserer Bürger durch US-Geheimdienste wie der
NSA in keinem Verhältnis zu berechtigten Sicherheitsin-
teressen steht, schon gar nicht, wenn es um das Abhören
von Regierungsmitgliedern geht. Zwischen befreundeten
Staaten ist das keine Art des Umgangs.

Die Bundesregierung und wir Innenpolitiker sind
hier, anders als von der Opposition behauptet, nicht ta-
tenlos.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Der Dialog mit unseren amerikanischen Partnern wird
auf politischer Ebene konsequent weitergeführt und der
Druck auf sie erhöht. Nur so erreichen wir ein Umden-
ken auf amerikanischer Seite. Gleichzeitig müssen und
werden wir in dieser Sache im Interesse unserer Bürge-
rinnen und Bürger für größtmögliche Aufklärung sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Trotzhaltungen und die Blockademaßnahmen, die die
Opposition in ihrem Maßnahmenkatalog fordert, würden
diesen Prozess allerdings nur torpedieren und die Fron-
ten verhärten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen Ihre Maßnahmen! Darauf freuen wir uns schon!)


Man darf außerdem nicht vergessen, dass dank der In-
formationen unserer amerikanischen Verbündeten bei
uns in Deutschland bislang glücklicherweise jeder Ver-
such eines Terroranschlages noch im Vorfeld vereitelt
werden konnte. Auch das vergisst der Aufruf der Schrift-
stellerinnen und Schriftsteller. Sie schreiben, dass Men-
schen unter Beobachtung niemals frei sind.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Aber ein Mensch, der sich bedroht fühlen muss, ist auch
nicht frei. Unser Ziel muss es sein, ein ausgewogenes
Maß zwischen Sicherheit und Freiheit herzustellen. Da-
für brauchen wir unsere Partner in Europa, in Amerika
und in der ganzen Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])

Bei der Diskussion über die Sicherheit im digitalen
Zeitalter wäre es falsch, wenn wir uns nur auf die NSA-
Affäre konzentrieren würden. Wir sollten nicht verges-
sen, welche Gefahr andere Staaten für unsere Unterneh-
men in puncto Wirtschaftsspionage darstellen. Das Glei-
che gilt für Kriminelle, die die Daten unserer Bürger
stehlen, um sie für ihre Machenschaften zu missbrau-
chen.

Wie der Fall der entdeckten Botnetze und der 16 Mil-
lionen gestohlenen Zugangsdaten zeigt,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mal ein gutes Thema!)


fühlen sich die Menschen in Deutschland im Internet
nicht mehr sicher. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen
haben die Menschen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis,
dem wir gerecht werden müssen. Deshalb wehre ich
mich dagegen, dass die Opposition diese Debatte jetzt
nutzen will, um unsere eigenen Sicherheitsbehörden zu
schwächen. Das würde die Umsetzung der von ihr gefor-
derten Maßnahmen nämlich bedeuten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was unternehmen Sie denn?)


Terroristen und Kriminelle operieren global und hal-
ten sich weder an Gesetze noch an internationale Ab-
kommen. Deshalb werden wir auch in Zukunft einen en-
gen Informationsaustausch mit unseren Verbündeten
brauchen. Gleichzeitig sollten wir darauf hinarbeiten,
technologisch unabhängiger zu werden. Das erreichen
wir, indem wir vermehrt auf IT-Lösungen made in Ger-
many setzen und indem unsere Sicherheitsbehörden im
IT-Bereich personell und technisch besser ausgestattet
werden. Ebenso brauchen wir das geplante IT-Sicher-
heitsgesetz. Dieses verpflichtet Anbieter, mehr für den
Schutz ihrer Kunden zu tun. Gleichzeitig müssen Unter-
nehmen Hackerangriffe künftig melden, damit gegen sie
wirksam vorgegangen werden kann.

In Sachen Datenschutz ist Datensicherheit nach wie
vor die beste Lösung. Neben verbesserten Verschlüsse-
lungsmöglichkeiten sollten wir anstreben, dass der in-
nerdeutsche Datenverkehr nur über Datenleitungen und
Server in Deutschland verläuft. Dann wäre auch das
Bundesdatenschutzgesetz, das im internationalen Ver-
gleich das höchste Schutzniveau bietet, voll anwendbar.

Bei allen erforderlichen staatlichen Maßnahmen ist
aber auch jeder Einzelne selbst gefordert, etwas für seine
Sicherheit zu tun und verantwortungsvoll mit seinen Da-
ten umzugehen. Mit sicheren Passwörtern, Vorsicht beim
Öffnen von E-Mail-Anhängen und einem kritischen Um-
gang mit Angeboten im Internet ist jedoch schon viel er-
reicht. Dafür müssen wir die Bürgerinnen und Bürger
noch mehr sensibilisieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind die Maß-
nahmen, die wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen müs-
sen, um Freiheit und Sicherheit im digitalen Zeitalter zu
gewährleisten. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregie-
rung mit dem Bundesinnenminister das gemeinsam mit
uns konsequent tun wird.






(A) (C)



(D)(B)

Nina Warken

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801506000

Kollegin Warken, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag, dazu herzliche Glückwünsche. Ich
hebe besonders hervor, dass Sie nicht nur in der Redezeit
geblieben sind, sondern für Ihre Fraktion solidarisch so-
gar noch Redezeit gespart haben.


(Beifall)


Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die
Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1801506100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Mo-
naten haben 562 Schriftsteller einen Appell zur Verteidi-
gung der Demokratie im digitalen Zeitalter unterzeich-
net. Sie sorgen sich um die Würde des Menschen, um
den Schutz unserer Daten und um die Folgen massenhaf-
ter Ausspähung. Diese Sorgen teilen wir.

Unsere Befürchtungen und Sorgen gehen aber noch
weiter. Wir fragen uns auch: Was können die Gegner un-
serer Freiheit im Netz noch bewirken? Wie sieht es mit
Terrorismus aus, mit organisierter Kriminalität, mit
Netzwerken widerwärtiger Menschen, die das Wohl un-
serer Kinder bedrohen, oder mit Hackerangriffen gegen
unsere Versorgungsstrukturen? Das alles sind Angriffe
auf unsere Freiheit. Wir sehen: Der Rechtsstaat kann nur
so stark sein kann, wie er auch den Schutz unseres Ge-
meinwesens und dessen, was uns wichtig ist, gewährleis-
tet. Es ist eben doch das alte Spiel zwischen Sicherheit
und Freiheit.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht!)


Ein Minimum an Sicherheit kann niemals maximale
Freiheit gewährleisten.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umgekehrt auch nicht!)


Wir müssen Sicherheit und Freiheit nicht nur in die Ba-
lance bringen, sondern auch darauf achten, dass die Si-
cherheit so groß ist, dass der Mensch frei leben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir tragen gemeinsam Verantwortung für das, was
jetzt zugunsten unserer Demokratie im digitalen Zeital-
ter geschieht. Deswegen sind Lösungen angebracht: Ge-
setzentwürfe, Verordnungen. Das ist wesentlich wichti-
ger als die Litanei der Empörung. Das ist auch
wesentlich wichtiger, als Befürchtungen und Angst zu
schüren. In diesem Zusammenhang sei an eine Rede er-
innert, die Ernst Wiechert vor annähernd 90 Jahren vor
Abiturienten gehalten hat. Er hat damals so ähnlich for-
muliert: Ich weiß nicht, ob ich euch etwas gegeben habe,
aber ich hoffe, dass ich euch etwas genommen habe,
nämlich die Angst, die Angst vor der Zukunft, die Angst
vor der Politik und die Angst vor dem Leben. – Es ist un-
sere Aufgabe als Politiker, jetzt, in einer Situation, in der
Menschen Befürchtungen haben, in der Menschen viel-
leicht besorgt sind und Ängste haben, diese Ängste zu
nehmen, aber diese Ängste nicht in einem Antrag zu for-
mulieren, der keine Lösungen aufzeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die zi-
vilisatorischen Errungenschaften des Internets, die Ak-
quise von Wissen, das Ausleben von Meinungsfreiheit,
das Knüpfen von Kontakten und die Erleichterung des
täglichen Lebens, unter Berücksichtigung von Daten-
schutz und Schutz der Privatsphäre erhalten bleiben.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die De-
mokratie im digitalen Zeitalter ähnlich gut funktioniert,
wie die Demokratie im analogen Zeitalter funktioniert
hat. Lassen Sie uns gemeinsam die Demokratie im digi-
talen Zeitalter leben, eine Demokratie, welcher die Men-
schen vertrauen, weil sie den Rechtsstaat und unsere
Grundrechte schützt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801506200

Kollege Dr. Ullrich, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Ich wünsche Ihnen sehr viel Erfolg für
Ihre weitere Tätigkeit und hebe hervor, weil das gar
keine Selbstverständlichkeit ist, dass Sie mit Ihrer Rede-
zeit sehr gut haushalten konnten.


(Beifall)


Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Marian Wendt für die Unionsfraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1801506300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! In der Debatte, die wir heute führen, wurden die
Probleme und Chancen der digitalen Welt aufgeführt.
Ich bin sehr dankbar, dass wir diese Debatte geführt ha-
ben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade
erst am Beginn des Weges zur Neuregelung des Internets
und des Lebens und Wirkens darin stehen.

Insofern danke ich den Grünen für den Antrag und die
Möglichkeit einer Debatte.


(Beifall des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das war es dann aber auch schon mit dem Lob; denn lei-
der kann ich ansonsten kaum Positives über den Antrag
berichten.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie noch sechs Minuten! Das wird ja eine traurige Zeit!)


– Sechs Minuten zwanzig. – Meine Vorredner haben die
wesentlichen Kritikpunkte bereits benannt. Was mich
insbesondere stört, ist die sehr unreflektierte Intonation






(A) (C)



(D)(B)

Marian Wendt

Ihrer Begründung. Wer Ihre Zeilen gelesen und Ihre De-
battenbeiträge verfolgt hat, könnte glauben, die Bundes-
republik sei ein autokratisches Entwicklungsland und
stünde erst am Beginn des demokratischen Zeitalters.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie nicht gut gelesen!)


– Ich habe hier sehr gut gelesen und der Debatte zuge-
hört. – In dem Antrag ist zum Beispiel davon die Rede,
dass das Persönlichkeitsrecht und die Unverletzlichkeit
des Individuums – ich zitiere – „inzwischen null und
nichtig“ seien. Mit welcher Leichtigkeit Sie hohe Verfas-
sungsgüter unseres demokratischen Rechtsstaates ver-
worfen sehen wollen, ist schon sehr bedenklich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht!)


Das Recht der Opposition auf Kritik in allen Ehren, aber
ich finde, viele Ihrer Formulierungen sind maßlos über-
trieben. Ihr Antrag ist pauschalisiert und greift insgesamt
zu kurz.

Ich möchte deswegen die Möglichkeit nutzen, hier in
der Debatte zwei Punkte zu betonen: erstens die Eigen-
verantwortung der Bürgerinnen und Bürger bei der Si-
cherheit im Internet und zweitens das Verhältnis von In-
ternet und Demokratie, so wie es die Überschrift des
Antrages erahnen lässt.

Zum ersten Punkt möchte ich Folgendes sagen: Ei-
genverantwortung im Internet und im Umgang mit digi-
talen Medien spielt eine sehr wichtige Rolle. 80 Prozent
der Menschen in unserem Land nutzen das Internet zu-
mindest gelegentlich, die breite Mehrheit der Internet-
nutzer hegt aber Misstrauen gegenüber dem Medium.
Nach einer Umfrage des Verbandes BITKOM halten
80 Prozent der Menschen in unserem Land ihre persönli-
chen Daten im Internet für nicht sicher.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also!)


Es ist natürlich richtig: Politik und Wirtschaft tragen
Verantwortung für mehr technische und rechtliche Si-
cherheit im Netz – was auf diesen Feldern geleistet wird,
haben meine Vorredner angesprochen –, aber das ist
eben nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite
sind ein größeres Sicherheitsbewusstsein und mehr Ei-
genverantwortung der Internetnutzer notwendig. Das
Thema Bildung, besonders bei jungen Menschen, spielt
dabei eine wichtige Rolle. Dem trägt die Koalition mit
der Strategie „Digitales Lernen“ Rechnung. Gemeinsam
mit den Ländern und Akteuren aus dem Bildungsbereich
wollen wir die Chancen der neuen Medien für gute Bil-
dung entschlossen nutzen, entwickeln und umsetzen. Zu-
dem wollen wir zusammen mit den Ländern die Weichen
für neue Profile im Fachbereich Informatik stellen, um
das Zukunftsthema IT bei jungen Menschen noch stärker
zu fördern und damit die Eigenverantwortung zu stär-
ken.

Allgemein gesprochen ist der Bereich Eigenverant-
wortung natürlich ein breites Feld mit vielen Aspekten.
Das fängt bei grundsätzlichen Fragen an wie: „Welche
Daten gebe ich im Netz von mir preis?“, „Was zahle ich
als Nutzer für Dienste von E-Mail-Providern und Betrei-
bern von sozialen Netzwerken, die eigentlich kostenlos
sind?“. Hier sollte einerseits der Grundsatz gelten: so
wenig Persönliches wie möglich, so viel wie nötig. An-
dererseits muss den Internetnutzern auch klar sein, dass
sie bei kostenlosen Angeboten im Internet oftmals mit
ihren persönlichen Daten zahlen.

Wer das nicht möchte, kann auf viele Alternativanbie-
ter zurückgreifen. Gerade in Deutschland und besonders
hier in Berlin gibt es beispielsweise viele E-Mail-Anbie-
ter, die hinsichtlich Datenschutz und Verschlüsselung
sehr benutzerfreundliche Angebote machen. Wir können
mit den Unternehmen und gesellschaftlichen Initiativen
noch mehr erreichen. Sicherheit muss eine Selbstver-
ständlichkeit für die Internetnutzer werden, für die jeder
etwas tun kann. Aspekte wie die Verschlüsselung und
Anonymisierung der Daten im Netz dürfen keine Ni-
schenthemen für IT-Begeisterte sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie müssen bei der breiten Mehrheit der Internetnut-
zer ankommen. Das Bundesamt für Sicherheit in der In-
formationstechnik, das in den letzten Monaten sehr oft
gerügt wurde, sendet hierfür wichtige Impulse, zum Bei-
spiel mit Initiativen wie „Deutschland sicher im Netz“
und dem „Safer Internet Day“. Insofern plädiere ich mit
Nachdruck dafür, die Verunsicherung aufgrund der nach-
richtendienstlichen Aktivitäten auch als Chance zu be-
greifen. Durch verstärkte Information und Aufklärung
können Internetnutzer befähigt werden, sich selbst im
Netz zu schützen und sensibel mit persönlichen Daten
umzugehen.

Zu meinem zweiten Gedanken, dem Verhältnis von
Internet und Demokratie. Das Internet ist als Medium für
eine demokratische Gesellschaft wichtig. Es kann dabei
helfen, demokratische Verfahren zu vereinfachen und zu
verbessern. Damit kann das Internet für eine höhere Ak-
zeptanz unseres demokratischen Miteinanders sorgen.
Allerdings warne ich vor zu viel Träumerei. Denn De-
mokratie findet nicht nur online statt. Das mussten die
Grünen leidvoll erfahren, als sich an ihrer Kandidaten-
kür für die Europawahlen im Netz nur 22 676 Menschen
beteiligten.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir trauen uns wenigstens so etwas!)


Wahlberechtigt waren 380 Millionen. Das ist eine Wahl-
beteiligung von 0,006 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Immerhin!)


Diese Zahlen zeigen, dass wir gerade außerhalb des
Internets mehr Menschen für unser demokratisches Sys-
tem begeistern müssen. Ein Beispiel dafür fand gestern
statt, als über 11 000 Menschen ein klares Zeichen für
unsere Demokratie gesetzt haben. Sie haben eine Men-
schenkette für Freiheit, für Demokratie und für Rechts-






(A) (C)



(D)(B)

Marian Wendt

staatlichkeit durch Dresden gebildet. Dieses gesell-
schaftliche Engagement der Menschen gestern hat mir
wieder einmal gezeigt, dass Demokratie eben mehr ist
als ein Klick auf den Gefällt-mir-Button.

Demokratie braucht den persönlichen Einsatz der
Bürgerinnen und Bürger offline vor Ort. Das Medium
Internet kann nie eine hinreichende Bedingung für ein
demokratisches Gelingen sein.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch gar niemand behauptet!)


Selbst Bill Gates hat das erkannt. Er hat einmal gesagt:
„Die Informationstechnologie ist kein Allheilmittel. Das
ist natürlich eine Enttäuschung für all diejenigen, die
von PC und Internet die Lösung aller Menschheitspro-
bleme erwarten.“

Sie sehen: Wir stehen im Bereich der Netzpolitik und
der digitalen Agenda noch vor vielen Herausforderun-
gen. Wir alle, Parlament und Gesellschaft, sind aufgefor-
dert, uns hier einzubringen und aktiv daran mitzuwirken.
Der pauschale Antrag der Grünen greift hier leider zu
kurz. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801506400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/182 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Bewältigung von Konzern-
insolvenzen

Drucksache 18/407
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Sobald die offensichtlich erforderlichen Umgruppie-
rungen in den Fraktionsreihen abgeschlossen sind, kann
ich auch die Aussprache eröffnen. – Ich eröffne die Aus-
sprache.

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Lange.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1801506500


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Weder das europäische noch das deutsche Insol-
venzrecht enthält bisher Regelungen dafür, wie die In-
solvenz eines gruppenangehörigen Unternehmens mit ei-
nem für die Gläubiger möglichst optimalen Ertrag
abgewickelt werden kann.

Dies ist, so meine ich, angesichts der gesamtwirt-
schaftlichen Bedeutung dieser Unternehmen zumindest
bemerkenswert. So hat die Monopolkommission in ih-
rem Hauptgutachten aus dem Jahr 2010 festgestellt, dass
zwar nur 6,3 Prozent der in den Unternehmensregistern
verzeichneten Unternehmen gruppenzugehörig sind, die
gruppenzugehörigen Unternehmen jedoch – das ist ge-
waltig – einen Umsatzanteil von 70 Prozent und einen
Beschäftigungsanteil von 53 Prozent auf sich vereinen.
Ergänzend sei noch auf die Folgenabschätzung der EU-
Kommission zur Novellierung der Europäischen Insol-
venzverordnung hingewiesen, wonach EU-weit 2 100 Un-
ternehmen pro Jahr von einer Insolvenz ihrer Unterneh-
mensgruppe betroffen sind.

Diesem Defizit wollen wir mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf nun abhelfen. Dabei wollen es bei einem
– wenn ich das einmal so ausdrücken darf – minimal-
invasiven Eingriff belassen: Die haftungsrechtliche Un-
abhängigkeit der einzelnen Gesellschaften soll auch in
der Insolvenz nicht grundlegend durchbrochen werden.
Wir haben deshalb einer Konsolidierung der Haftungs-
massen eine eindeutige Absage erteilt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfes liegt vielmehr
auf einer Harmonisierung der einzelnen Verfahren über
die konzernangehörigen Gesellschaften. Über Gerichts-
stands- und Verweisungsregelungen wird eine abge-
stimmte Durchführung der Verfahren angestrebt, um so
möglichst mehrere oder alle Verfahren über gruppenan-
gehörige Schuldner bei einem Gericht bündeln zu kön-
nen.

Eine wesentliche Schwachstelle des geltenden Rechts
besteht darin, dass für die einzelnen insolventen Gesell-
schaften der Unternehmensgruppe mehrere Gerichte zu-
ständig sein können, von denen unterschiedliche Insol-
venzverwalter bestellt werden. Dies erfordert einen
erheblichen Abstimmungsbedarf sowohl auf der Ebene
der Gerichte als auch auf der Ebene der Insolvenzver-
walter. Um diesen Abstimmungsbedarf, der in den Ver-
fahren zu Reibungsverlusten führen kann, möglichst ge-
ring zu halten, sind im Entwurf mehrere Ansätze
vorgesehen:

Zum einen wird für insolvente Gesellschaften, die ei-
nen Eigenantrag stellen, die Möglichkeit eröffnet, einen
Gruppengerichtsstand zu begründen. An diesem Grup-
pengerichtsstand sollen die Insolvenzverfahren über
weitere gruppenangehörige Gesellschaften geführt wer-
den können, sodass der Abstimmungsbedarf auf der
Ebene der Insolvenzgerichte vollständig entfällt. Das
Gericht erhält nun die Möglichkeit, für alle bei ihm kon-
zentrierten Verfahren einen einzigen Insolvenzverwalter






(A) (C)



(D)(B)

Parl. Staatssekretär Christian Lange

zu bestellen, sodass auch insofern kein Koordinierungs-
bedarf mehr besteht. Dabei versteht es sich von selbst,
dass das Gericht darauf zu achten hat, dass bei dieser
Person keine unüberwindlichen Interessengegensätze
auftreten, die auch durch die Bestellung eines Sonder-
insolvenzverwalters nicht ausgeräumt werden können.

Wird kein Gruppengerichtsstand begründet und müs-
sen deshalb die Insolvenzverfahren bei unterschiedli-
chen Gerichten geführt werden, sieht der Gesetzentwurf
mehrere Regelungen vor, die die Zusammenarbeit zwi-
schen den Gerichten, aber auch zwischen den Gerichten
und den Verwaltern gegenüber dem geltenden Recht ver-
bessern.

Der für die Praxis bedeutsamste Bereich dürfte dabei
die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter sein. Nur
bei deren enger Kooperation kann es gelingen, im Inte-
resse der Gläubiger den Mehrwert zu heben, der in den
konzernrechtlichen Verflechtungen angelegt sein kann.
Die Notwendigkeit einer Abstimmung ist insbesondere
dann unerlässlich, wenn die einzelnen Unternehmen der
Gruppe so eng verwoben sind, dass sie ohne die Leistun-
gen der anderen nicht überlebensfähig sind.

Aber nicht nur den Insolvenzgerichten und den Ver-
waltern wird eine enge Kooperation vorgeschrieben;
vielmehr sollen auch die Gläubiger in den Abstim-
mungsprozess einbezogen werden. Der Gesetzentwurf
sieht deshalb die Schaffung eines Gruppengläubigeraus-
schusses vor, in dem sich die Gläubigerausschüsse der
gruppenangehörigen Schuldner abstimmen können.

Besteht ein darüber hinausgehender Harmonisie-
rungsbedarf, dem nicht mit den eben geschilderten In-
strumenten ausreichend Rechnung getragen werden
kann, wird im Gesetzentwurf die Möglichkeit eröffnet,
ein besonderes Koordinationsverfahren einzuleiten. Die-
ses Verfahren ist weitgehend auf Konsens angewiesen
und sieht als Schwerpunkt die Ausarbeitung eines Koor-
dinationsplans vor, mit dem die Einzelverfahren aufei-
nander abgestimmt werden können. So kann der Plan
etwa Vorschläge zur Wiederherstellung der wirtschaftli-
chen Leistungsfähigkeit und zur Beilegung gruppenin-
terner Streitigkeiten enthalten. Ebenso können in ihm
Vereinbarungen zwischen den Insolvenzverwaltern an-
geregt werden.

In seiner Stellungnahme hat der Bundesrat die Bun-
desregierung um Prüfung zu drei Punkten gebeten. Diese
betreffen die Schwellenwerte, bei deren Erreichung ein
Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstandes
gestellt werden kann, die gerichtsinterne Zuständigkeits-
verteilung bei diesem Gericht und die Kosten des Koor-
dinationsverfahrens. Die Bundesregierung wird dieser
Bitte um Prüfung im weiteren Verlauf des Gesetzge-
bungsverfahrens gerne nachkommen.

Lassen Sie mich abschließend festhalten, dass mit
diesem Gesetzentwurf keine radikale Neuausrichtung
angestrebt wird; vielmehr sollen bereits vorhandene Lö-
sungsansätze für eine Bewältigung von Gruppeninsol-
venzen maßvoll fortentwickelt werden. Ich bin zuver-
sichtlich, dass mit diesem Gesetzentwurf gerade auch im
Interesse der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer ein weiterer wichtiger Schritt zur Rettung
angeschlagener, aber erhaltenswerter Unternehmen und
damit hin zu einer besseren Sanierungskultur getan wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801506600

Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801506700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir reden heute über einen Ge-
setzentwurf, der sich mit Insolvenzen in Konzernen be-
schäftigt. Pleiten von Unternehmen gibt es leider immer
wieder. Im letzten Jahr waren insgesamt 26 300 Unter-
nehmen betroffen, im Jahr davor 28 720. Diese Pleiten
lösen bange Fragen bei den betroffenen Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern und ihren Familien aus. Sie fra-
gen sich: Wird es möglich sein, das Unternehmen zu sa-
nieren und die Arbeitsplätze zu erhalten? Findet sich ein
Investor für eine Fortführung des Unternehmens? – Aber
auch viele Lieferanten, Handwerker und andere kleine
Selbstständige trifft eine Insolvenz nicht selten hart.

Die Baumärkte Praktiker und Max Bahr, der Herstel-
ler von Socken und Strumpfwaren Kunert, der TV-Her-
steller Loewe, der Billigstromanbieter Flexstrom – alles
Konzerne –, die Prokon-Gruppe – deren Konkurs
machte jüngst Schlagzeilen –, ihnen allen ist gemein,
dass sie nicht nur für die Muttergesellschaft, sondern
auch für jede einzelne Tochtergesellschaft separat Insol-
venz anmelden mussten. Allein nach der Pleite des Ar-
candor-Konzerns mit den Tochtergesellschaften Karstadt
und Quelle 2009 wurden 54 einzelne Insolvenzverfahren
eröffnet. Dies ist mit der Einsetzung entsprechend vieler
Insolvenzverwalter verbunden, die ausschließlich die In-
teressen der jeweiligen Tochtergesellschaft vertreten und
das noch übrig gebliebene Vermögen einzeln verwerten.

Das Gleiche gilt für die Insolvenzgerichte. Jedes Insol-
venzverfahren wird isoliert abgewickelt – ohne Abstim-
mung mit den Beteiligten der anderen Insolvenzverfahren.
Dadurch werden die Verhandlungen zur Sanierung und
eine mögliche Rettung des Gesamtkonzerns erheblich
erschwert, mit der Folge, dass die gesamte Insolvenz-
masse nicht optimal verwertet werden kann.

Das Ganze im Konzern ist mehr wert als die Summe
seiner Einzelteile. Deshalb wird in der Krise und der In-
solvenz zunächst meistens versucht, den Konzern als
Unternehmensverbund weiter zu erhalten und entweder
gemeinschaftlich zu sanieren oder zu verwerten. Heute
– das heißt mit dem bestehenden Insolvenzrecht – geht
der Gesamtkonzern als Einheit und damit der eigentliche
Wert verloren. Das muss sich ändern.

Daher besteht Handlungsbedarf. Die Initiative für
eine gesetzliche Regelung geht aber wieder einmal nicht
von der Bundesregierung aus, sondern kommt aus Eu-
ropa. Bereits am 12. Dezember 2012 hat die EU-Kom-






(A) (C)



(D)(B)

Richard Pitterle

mission dem Europäischen Rat und dem Europäischen
Parlament einen Vorschlag für eine Reform der Europäi-
schen Insolvenzverordnung vorgelegt. Ziel ist die EU-
weite Etablierung einer Rettungs- und Sanierungskultur
für Unternehmen in der Krise.

Es ist gut, zu wissen, dass sich wenigstens aufgrund
der Aktivitäten auf europäischer Ebene in Deutschland
etwas bewegt und weiter bewegen wird. Von dieser Bun-
desregierung kommt bisher nichts, und es ist in dieser
Legislaturperiode – siehe Koalitionsvertrag – auch nicht
viel zu erwarten.

Dabei gibt es viel Handlungsbedarf. Der Abbau von
Bürokratie ist seit vielen Jahren ein Topanliegen der mit-
telständischen Wirtschaft.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Bestimmt nicht von Ihnen!)


Die Menschen in Deutschland warten dringend auf einen
Abbau der kalten Progression und des sogenannten Mit-
telstandsbauchs


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)


und fordern – gerade in diesen Wochen – die Bekämp-
fung von Steuerumgehung, Steuerbetrug und Steuerhin-
terziehung.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Dass Sie sich zum Fürsprecher der Steuerzahler machen!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Erleichte-
rung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen sollen
unter anderem die Betrachtung des Konzerns in den Vor-
dergrund gestellt und insbesondere Reibungs- und Wert-
verluste reduziert werden. Insofern beschreiten Sie mit
dem Gesetzentwurf grundsätzlich den richtigen Weg.

Die Interessen der Beschäftigten werden aber wieder
nicht ausreichend berücksichtigt. Hierzu zähle ich nicht
nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern
auch die Betriebsräte und Gewerkschaften. Wir wollen
entsprechende Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte
für die Vertretungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter eingefügt sehen,


(Beifall bei der LINKEN)


zum Beispiel für den Konzernbetriebsrat. Darum wird
sich die Linke im weiteren Beratungsprozess zum Ge-
setzentwurf ganz besonders kümmern.

Wir werden darauf achten, dass auf jeden Fall die Ar-
beitnehmerrechte gewahrt werden, die beim letzten Mal
in den Beratungen über das Gesetz zur weiteren Erleich-
terung der Sanierung von Unternehmen – besser bekannt
unter dem Kürzel ESUG – am Ende doch noch dem neo-
liberalen Mainstream geopfert wurden.

Es gibt also noch einiges am Gesetzentwurf zu verän-
dern. Hierbei bieten wir der Bundesregierung eine kon-
struktive Mitarbeit an.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Danke, darauf können wir verzichten!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801506800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege

Professor Dr. Heribert Hirte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1801506900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörer! Das Bild des Bürgers vom
Unternehmen ist noch immer geprägt von der einzelnen
Gesellschaft, meistens der GmbH oder der Aktiengesell-
schaft. Die wirtschaftliche Realität – wir haben es schon
gehört – ist aber eine völlig andere. Unternehmensgrup-
pen, teilweise bestehend aus mehreren Hundert einzel-
nen Gesellschaften, bestimmen das Geschehen. Das gilt
nicht nur für die bekannten Multis, sondern auch für
viele Mittelständler und sogar Handwerker.

Schon lange hat unsere Rechtsordnung auf dieses
Phänomen reagiert. So verlangen die Offenlegungsvor-
schriften des Bilanzrechts eine zusammengefasste Dar-
stellung aller Konzernunternehmen, um ein den tatsächli-
chen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage des – so ist es gemeint – gesam-
ten Konzerns zu vermitteln.

Eine kleine Bemerkung am Rande mit Blick auf die
ADAC-Diskussion: Für Vereine ist das bedauerlicher-
weise noch nicht so.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Im Gesellschaftsrecht wird das Phänomen Konzern an
zahlreichen Stellen aufgegriffen. Es begründet unter hier
nicht weiter interessierenden Voraussetzungen Durch-
griffsmöglichkeiten, Haftung, Zurechnung usw. Auf der
Grenze zum Arbeitsrecht tragen schließlich der Kon-
zernbetriebsrat und die konzernweite unternehmerische
Mitbestimmung dem Vorliegen einer Unternehmens-
gruppe Rechnung.

Stiefmütterlich behandelt wird der Konzern aber noch
immer im Insolvenzrecht. Hier steht die einzelne natürli-
che oder juristische Person im Vordergrund, genauso wie
im 19. Jahrhundert, als mit der Konkursordnung die Vor-
gängerin unserer heutigen Insolvenzordnung geschaffen
wurde. Das ist wenig überzeugend, wie wir schon gehört
haben; denn dadurch werden die sogenannten Synergie-
vorteile, wie wir das heute neumodisch nennen, die bei
der lebenden Großorganisation Konzern den Gesell-
schaftern, Gläubigern und damit auch den Arbeitneh-
mern zugutekommen, in der Abwicklung vergeudet.

Das Insolvenzverfahren, etwa über die angehörigen
Unternehmen einer Unternehmensgruppe, kann in Itze-
hoe, Garmisch-Partenkirchen und Saalfeld mit jeweils
unterschiedlichen Insolvenzverwaltern stattfinden. Die
Praxis – dazu zählen auch die Insolvenzgerichte – hat
hier im Wege von Auslegung und Vereinbarung zwar
durchaus praktikable Lösungen entwickelt, beispiels-






(A) (C)



(B)

Dr. Heribert Hirte

weise ein einheitliches Insolvenzverfahren in Köln. Das
knüpft natürlich an die Bemerkung des Düsseldorfer
Kollegen Jarzombek an, der Köln schon ins Spiel ge-
bracht hat.


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Das ist immer gut!)


– Zustimmung von der Linken: Vielen Dank! – Für die
notwendige Rechtssicherheit reicht dies aber nicht aus,
zumal wir uns hier in einer Konkurrenz vor allem mit
England befinden. Es ist relativ leicht möglich, den so-
genannten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen
eines Unternehmens nach England zu verlegen und dann
doch das ganze Insolvenzverfahren über eine Unterneh-
mensgruppe einheitlich abzuwickeln. Handeln ist daher
geboten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wo konkret liegt das Problem? Fünf Fragenkreise las-
sen sich ausmachen: erstens die divergierende örtliche
Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, wie gerade gehört;
zweitens die Tatsache, dass dann noch unterschiedliche
Insolvenzverwalter in den verschiedenen Verfahren tätig
sind; drittens, dass wir es mit unterschiedlichen Insol-
venzmassen zu tun haben; viertens die Frage, wie das
eine Verfahren auf das andere Verfahren einwirkt; und
fünftens und letztens, ob man einen Masterplan machen
kann, mit dem man das gesamte Unternehmen einheit-
lich sanieren kann.

Der hier vorgelegte Regierungsentwurf, der im Sinne
einer die parteilichen Alltagskonflikte durchaus positiv
überstrahlenden rechtspolitischen Kontinuität noch unter
der früheren Bundesregierung erarbeitet wurde und des-
sen erste Vorarbeiten noch auf die letzte Große Koalition
zurückgehen und nicht etwa erst durch EU-Vorgaben be-
einflusst wurde, bildet den Abschluss – sicher nur vor-
läufig – einer Novellierungstrias aus dem ESUG – dieser
Begriff fiel eben schon –, also dem Gesetz zur weiteren
Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, der
Restschuldbefreiung und schließlich der Konzerninsol-
venz, die alle das Insolvenzrecht grundlegend moderni-
sieren wollen. Sie teilen das Ziel einer Erhaltung von
Werten und Arbeitsplätzen durch „Sanierung vor Zer-
schlagung“. Das ist ein richtiger Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Entwurf adressiert positiv drei der genannten Fra-
gestellungen und einen weiteren explizit negativ. Diese
„Selbstbeschränkung“ – minimalinvasiv, wie wir das
eben gehört haben – ist zunächst zu begrüßen; denn in
den streitigen Fragen, in denen noch keine endgültige
Klarheit besteht, sollte der Gesetzgeber nicht autoritativ
eingreifen.

Als Erstes ermöglicht er eine einheitliche örtliche Zu-
ständigkeit für das Insolvenzverfahren der verschiedenen
konzernangehörigen Unternehmen bzw. Gesellschaften.
Der Gesetzentwurf stellt für diesen Ort im Grundsatz auf
das sogenannte Prioritätsprinzip ab, also den Ort, an dem
zuerst ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Das erscheint
mir überzeugend, weil es nur für einen frühzeitig gestell-
ten Eigenantrag gilt und Missbrauch in Form von Zu-
ständigkeitserschleichungen auch noch durch andere
Maßnahmen verhindert wird.

Zweitens stellt er klar, dass in solchen Fällen ein ein-
heitlicher Insolvenzverwalter bestellt werden darf, dass
also gerade nicht, wie bisher teilweise behauptet wurde,
zwischen den einzelnen insolventen Gesellschaften so
starke Konflikte bestehen, dass immer – kostenintensiv –
unterschiedliche Verwalter bestellt werden müssen. So-
weit das gleichwohl der Fall ist, sollen sie zur Zusam-
menarbeit verpflichtet werden.

Drittens will der Entwurf die Möglichkeit einer frei-
willigen Koordination durch ein besonderes neues Koor-
dinationsverfahren schaffen, also einen Masterplan.

Zusammengefasst: Was das Gesellschaftsrecht zu-
sammengeführt hat, das soll das Insolvenzrecht nicht
scheiden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist im Ansatz richtig und wichtig; denn die durch
die Neuregelung klargestellte Möglichkeit, die Insolvenz-
verfahren verschiedener konzernangehöriger Unterneh-
men an einem Ort und in einer Hand abzuwickeln, spart
Kosten. Das ist gut für die Gläubiger, die Arbeitnehmer
und damit für die Menschen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was der Entwurf andererseits nicht vorschlägt: Weder
werden die Insolvenzverfahren der einzelnen konzernan-
gehörigen Unternehmen als solche zusammengefasst,
noch – und erst recht nicht – werden die Vermögensmas-
sen der einzelnen Gesellschaften zusammengefasst. Das
entspricht der Selbstständigkeit juristischer Personen
auch im Konzern. Würde man anders vorgehen – es gibt
durchaus Stimmen, die das fordern –, würde die Mög-
lichkeit der Kreditvergabe an die einzelnen Gesellschaf-
ten nachhaltig beeinträchtigt. Denn als Gläubiger
braucht man Berechenbarkeit, und das heißt auch: Man
muss vorher wissen, mit wem man nachher in einem
Boot sitzt, wenn die Mittel des Kreditnehmers nicht
mehr reichen.

Der Regierungsentwurf ist – ich sagte es bereits –
noch von der alten Bundesregierung erarbeitet worden.
Naturgemäß kann er daher das nicht berücksichtigen,
was wir als CDU/CSU mit der SPD im Koalitionsvertrag
im Hinblick auf das Insolvenzrecht vereinbart haben –
und da gibt es durchaus einiges. Wenn es aber zu Recht
darum geht, die Sanierungsmöglichkeiten von Unterneh-
men im Interesse von Gläubigern und Arbeitnehmern zu
verbessern, können wir diese Fragen nicht ausblenden.
Sie sollten daher meines Erachtens in diesem Gesetzge-
bungsverfahren mit abgehandelt werden.

Der Koalitionsvertrag spricht insoweit zum einen da-
von, das Insolvenzanfechtungsrecht auf den Prüfstand zu
stellen – im Interesse der Planungssicherheit des Geschäfts-
verkehrs. Das betrifft vor allem die sogenannte Vorsatz-
anfechtung, die – das ist sicher richtig – durch die Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs zu einem scharfen

(D)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Heribert Hirte

Schwert ausgestaltet wurde. Jedenfalls gehört die lange
Frist von zehn Jahren auf den Prüfstand; denn irgend-
wann einmal muss sich ein Unternehmer – das gilt im
Übrigen auch im Steuerrecht – darauf verlassen können,
dass er Unterlagen nicht mehr aufbewahren muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei dieser Gelegenheit wird man wahrscheinlich auch
auf mögliche Fehlsteuerungen durch die Vergütungs-
regelungen für Insolvenzverwalter ein Auge werfen
müssen; denn sie sind möglicherweise auch ein Grund
für die Klagen des Mittelstandes über zu weit gehende
Insolvenzanfechtungen.

Zweitens geht es um die Anfechtung von Lohnzah-
lungen, also um die Frage, ob ein Insolvenzverwalter vor
der Insolvenz gezahlte Löhne von einem Arbeitnehmer
zurückfordern darf. Hier hat die Rechtsprechung in der
jüngeren Zeit zwar durchaus schon mit Augenmaß ge-
wisse Grenzen eingezogen. Eine Klarstellung durch den
Gesetzgeber könnte aber durchaus helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Diese dürfte dann aber nicht zu einer sektoralen Aus-
nahme werden, will man nicht den Grundsatz der Gläu-
bigergleichbehandlung insgesamt infrage stellen. Ande-
rerseits darf man nicht vergessen, dass die Anfechtung
von Lohnzahlungen eine Antwort der Praxis auf die ge-
setzlichen Neuregelungen war, mit denen vor einigen
Jahren die Anfechtung der Zahlung von Steuern und So-
zialversicherungsbeiträgen erschwert wurde. Die Dis-
kussion um diese Frage muss daher hier mit einbezogen
werden, wenn man nicht sogar durch andere Mittel wie
etwa Prozesskostenhilfe oder eine Insolvenzverwalter-
kostenversicherung sicherstellt, dass Insolvenzverfah-
ren gerade in den kritischen Fällen, also Fälle geringer
Masse, eröffnet werden können bzw. zu einem frühen
Zeitpunkt ausreichende liquide Masse zur Unterneh-
mensfortführung zur Verfügung gestellt wird.

Noch eine Bemerkung zum Steuerrecht: Hier gibt es
im Schnittbereich zum Insolvenzrecht reihenweise Un-
klarheiten, die wie Blei auf dem Erfolg einer Sanierung
lasten. Wenn wir, wie die Bundesregierung das mit dem
hier vorliegenden Gesetzentwurf zu Recht will, die
Möglichkeiten einer Sanierung von Unternehmen ver-
bessern wollen, dann müssen wir diese steuerrechtlichen
Fragen mit in den Blick nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein letzter Punkt betrifft, wiederum mit Blick auf das
Sanierungsziel, die Beseitigung von möglichen Fehlern
beim schon angesprochenen ESUG, der ersten Stufe der
Insolvenzrechtsreform. Sehen wir von Kleinstfragen ab,
rückt hier vor allem der Fall Suhrkamp in den Blick. Er
hat deutlich gemacht, dass beim Insolvenzrecht heute
Möglichkeiten eröffnet werden, an die man früher nicht
zu denken gewagt hätte. Ob das zu gesetzgeberischen
Maßnahmen führt, wird man zumindest zu diskutieren
haben.
Damit aber genug. Lassen Sie uns die Dinge gemein-
sam anpacken, um Unternehmenssanierungen im Inte-
resse von Gläubigern und Arbeitnehmern zu verbessern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801507000

Kollege Hirte, das war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Herzlichen Glückwunsch dazu und alles
Gute für Ihre Arbeit!


(Beifall)


Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Katja Keul das Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801507100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Konzern-
insolvenzrecht, das hört sich so an, als gäbe es kaum ein
Thema, das weniger Menschen vor Spannung vom Ho-
cker reißen könnte. Die wenigsten dürften Insolvenzver-
walter zu ihrem Bekanntenkreis zählen; und dann geht es
hier auch noch um Konzerninsolvenzverwalter. Ganz an-
ders wirken dagegen folgende Zahlen: 2007 entfielen
rund 70 Prozent des Umsatzes und 53 Prozent der Be-
schäftigten aller Unternehmen in Deutschland auf kon-
zernverbundene Unternehmen. Das heißt, dass jeder
zweite privat Beschäftigte von einer Konzerninsolvenz
betroffen sein könnte – vielleicht doch ein Grund, sich
genauer anzusehen, was hier geregelt werden soll.

Um was geht es also? Als Konzern bezeichnet man
den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zu einer
wirtschaftlichen Einheit unter der Leitung eines herr-
schenden Unternehmens. Rechtlich bleiben die Unter-
nehmen selbstständige juristische Personen mit eigener
Buchführung und eigener Bilanz. Ihre wirtschaftliche
und finanzielle Unabhängigkeit haben sie allerdings zu-
gunsten der gemeinsamen Konzernleitung abgegeben.
Sie haften nicht füreinander, sondern jeder für sich. Die-
ser Grundsatz der Haftungstrennung soll mit dem vorlie-
genden Gesetz nicht angetastet werden. Das lässt sich
zwar durchaus begründen, gottgegeben ist dieses Gebot
allerdings nicht. Man könnte schon auf die Idee kom-
men, einmal zu hinterfragen, warum Unternehmen, die
ihre wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit an
eine gemeinsame Leitung abgeben, nicht auch bei Feh-
lern dieser Leitung gemeinsam den Schaden tragen sol-
len.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist auf der anderen Seite durchaus nachvollziehbar,
dass bei einer Insolvenz eines Unternehmens nicht im-
mer gleich eine Insolvenz des ganzen Konzerns angeord-
net werden soll. Schließlich treten die Einzelunterneh-
men ja auch selbstständig gegenüber den Kunden und
Banken auf. Die sollten sich schon auf die Solvenz des
jeweiligen Vertragspartners verlassen dürfen und nicht
erst den ganzen Konzern unter die Lupe nehmen müs-
sen.






(A) (C)



(D)(B)

Katja Keul

Aus ähnlichen Gründen lässt sich auch nachvollzie-
hen, dass für jedes insolvente Unternehmen ein eigen-
ständiges Verfahren vorgesehen ist. In der Praxis wurde
allerdings schon bisher oft ein und derselbe Verwalter
für die unterschiedlichen Verfahren eingesetzt. Die
Frage war, ob dies zum Regelfall gemacht werden sollte.
Sie haben sich entschieden, dies dem Ermessen des Ge-
richts zu überlassen. Aufgrund der zahlreichen denkba-
ren unterschiedlichen Fallkonstellationen finde ich auch
dies durchaus schlüssig.

Ganz offensichtlich macht es aber in der Praxis Sinn,
die verschiedenen Insolvenzverfahren innerhalb eines
Konzerns an einem Gerichtsstand zu bündeln. Dann ver-
stehe ich allerdings nicht, warum wir als Gesetzgeber
nicht auch eindeutig festlegen, welches Gericht das sein
soll. Gerichtsstand am Konzernsitz – das wäre eine ein-
deutige und klare Regelung, die sich allen Versuchen des
Rosinenpickens und der Manipulation entziehen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier sehe ich für die Zurückhaltung in Ihrem Entwurf
keinen wirklich überzeugenden Grund.

Noch mutloser wird es dann, wenn es um die Koordi-
nation der unterschiedlichen Verfahren geht. Sie wollen
die Insolvenzverwalter verpflichten, das zu tun, was die
im Sinne bestmöglicher Verwertung ohnehin tun sollten:
kooperieren. Der künftige Koordinationsverwalter soll
aber nicht übergeordnet oder gar weisungsbefugt sein.
Das hört sich für mich so an wie: Wasch mir den Pelz,
aber mach mich nicht nass!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist die sogenannte Trockenreinigung!)


Entweder haben die Insolvenzverwalter auch bislang
schon aus purer Vernunft kooperiert – dann bräuchte es
dafür keine gesetzliche Änderung –, oder sie haben es in
der Praxis gerade nicht so wirklich hinbekommen. Dann
aber braucht es deutlich mehr als ein „Bitte! Bitte!“ ohne
jedwede Durchschlagskraft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die EU-Kommission war da mit ihrem Vorschlag wech-
selseitiger Mitwirkungsrechte deutlich mutiger. Wenn
Sie so etwas aus Angst vor Blockaden nicht wollen, kön-
nen Sie ja stattdessen den Weg über eine Stärkung des
Koordinationsverwalters gehen.

Bevor Sie allerdings ein wirkungsloses Gesetz verab-
schieden, weil Ihnen nichts Besseres einfällt, sollten Sie
lieber gar kein Gesetz machen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na!)


Denn letztlich, Herr Kauder, ist jede Rechtsänderung
eine Belastung für die Praxis und sollte gut begründet
sein. Ihre Gesetzesbegründung enthält allerdings mehr
Gründe, warum Sie alle möglichen Regelungen gerade
nicht vornehmen. Noch haben Sie Gelegenheit, nachzu-
bessern. Wir werden Sie dabei kritisch begleiten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801507200

Der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner hat nun für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1801507300

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Auch an die Adresse der Zu-
hörerinnen und Zuhörer sage ich: Heute Morgen hat in
einer großen Debatte über die Fragen betreffend das Ab-
geordnetenrecht und die Abgeordnetenbestechung der
Kollege Grosse-Brömer von einem Arbeitsparlament ge-
sprochen. Deshalb sage ich Ihnen, die Sie heute als
Zuhörerinnen und Zuhörer sowie Vertreter des Hohen
Hauses da sind: Herzlichen Dank, dass Sie zu dem Ta-
gesordnungspunkt, der tatsächlich Arbeit in unserem
Hause bedeutet, noch anwesend sind, bevor wir alle ins
Wochenende gehen dürfen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, seien wir
doch ehrlich: Wenn wir das Wort Insolvenz hören, dann
geht es uns, soweit wir nicht von Berufs wegen schon
damit zu tun haben, wie den meisten Menschen in die-
sem Land: Man denkt – der Kollege der Linken hat es
schon gesagt – an das Wort Pleite, man denkt an das Un-
ternehmensende, man denkt an den Verlust von Arbeits-
plätzen, an mehr im Augenblick leider nicht. Jedoch an
die Chancen für Unternehmen, an die Chancen für Gläu-
biger, an die Chancen für Arbeitsplätze und an die Chan-
cen für die betroffenen Menschen – daran denkt man
nicht; nicht, weil es zu wenige Beispiele in unserem
Land für sehr wohl gelungene Insolvenzen gibt, sondern
weil wir zu wenig über Erfolgsmodelle und Erfolge be-
richten.

Weil es gerade im Rahmen unserer wirtschaftlichen
Entwicklung stets neue Unternehmensgründungen, Unter-
nehmenskonstruktionen, Holdings, Gesellschaften und
gesellschaftsrechtliche Formen gibt – der Kollege von
der Union hat es angesprochen –, von denen wir gestern
noch sagten, dass es sie nie geben wird, die aber schon
morgen auf dem Tablett sind, wird es immer schwieriger,
das zu verfolgen, was unser Ziel sein muss: Zerschla-
gung verhindern, Sanierung ermöglichen. Verfahren wie
bei Kirch, Babcock Borsig, BenQ, Arcandor/Quelle und
anderen haben gezeigt, dass wechselseitige Blockade zu
Rechtsstreitigkeiten führt oder – ganz banal – auch nur
persönliche Eitelkeiten – wer ist der Beste, der Größte? –
zu einem Misserfolg führen können. Da ich beruflich
viel als Auftragnehmer von Gläubigern an Gläubigerver-
sammlungen teilgenommen habe, kann ich davon ein
Lied singen. Um echte Chancen bei Konzerninsolvenzen
zu eröffnen, sind für solche Verfahren eine klare Struktur
und eine klare Zuständigkeit dringend erforderlich.

Zugegeben, der Titel „Gesetz zur Erleichterung der
Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ klingt sperrig
und lässt auf den ersten Blick vermuten, dass nur Neure-
gelungen von Verfahrensabläufen geregelt sind. Jedoch,






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Karl-Heinz Brunner

es steckt mehr dahinter. Ich nehme es vorweg: Der
hierzu eingeschlagene Weg ist aus meiner Sicht und der
der SPD-Fraktion gut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Er ist gut, auch wenn mit dem Gesetz nur die Probleme
der Vergangenheit und noch nicht die der Zukunft, die
wir noch nicht kennen, die uns aber täglich ereilen kön-
nen, gelöst werden. Warum? Unsere Wirtschaftswelt hat
sich geändert, das Insolvenzrecht hingegen hinkt noch
hinterher. Wir versuchen nun, dieses nicht mehr zulasten
von Schuldnern und Gläubigern, von Gerichten und Ge-
setzgeber zu modernisieren. Wir modernisieren viel-
mehr, indem wir einen bemerkenswerten Weg einschla-
gen, nämlich ohne mit der bewährten Praxis und der
bewährten Rechtsprechung zu brechen.

Anders als der Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion und anders als der Vorschlag der Kommission der
Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht
knüpft dieser Gesetzentwurf an die bestehende Rechts-
lage, an die bestehende Rechtsprechung und an unsere
Rechtsliteratur an und schafft klare Bestimmungen, was
Regelungen für den Gerichtsstand betrifft. Er schafft bei
Zuständigkeitskonzentrationen eine einheitliche Richter-
zuständigkeit. Er ermöglicht die Zusammenarbeit zwi-
schen Verwaltern und Gerichten auf einer soliden Rechts-
grundlage. Die Abstimmung der Einzelverfahren wird
durch ein neues Koordinierungsverfahren verbessert.
Außerdem wird geregelt, dass ein einziger Verwalter
verantwortlich für einen abgestimmten Koordinierungs-
plan ist. Letztendlich wird auch sichergestellt, dass alle
Werte eines Konzerns im Verfahren berücksichtigt wer-
den und damit optimale Verwertungsergebnisse erzielbar
sind.

Aus meiner Sicht nimmt dieser Gesetzentwurf nicht
nur die Herausforderungen an, sondern er regelt auch mit
Vernunft und Augenmaß das, was zu regeln ist. Genauso
wichtig wird es aber sein, im weiteren Gesetzgebungsver-
fahren die Anregungen des Bundesrats ernsthaft zu prü-
fen, Kostenexplosionen bei den Verwaltervergütungen
zu vermeiden, den Ländern bei der Umsetzung die nöti-
gen Spielräume zu geben, den Mitarbeitern das nötige
Handwerkszeug zu geben und, nicht zuletzt, unserer alt-
bekannten guten Tante GmbH & Co. KG eine vernünf-
tige Rolle bei Konzerninsolvenzen zu geben.

Auf die öffentliche Anhörung und die weiteren Bera-
tungen bin ich gespannt, nicht zuletzt aufgrund der An-
regungen des Koalitionsvertrags.

Eins weiß ich jedenfalls, meine Damen und Herren:
Mit dem Insolvenzrecht wird es uns auch in den nächs-
ten Wochen, Monaten und Jahren nicht langweilig.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801507400

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege

Alexander Hoffmann.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1801507500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede in die-
sem Haus zu einem Thema halten darf, das auf den ers-
ten Blick durchaus sehr trocken, spröde und abstrakt he-
rüberkommt. Aber schon beim zweiten Hinsehen
merken wir, dass wir ganz schnell mitten im Leben an-
kommen. Denn die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs
ist die Vermeidung suboptimaler Verwertungsergebnisse,
die Vermeidung eines Gegeneinanderarbeitens der ver-
schiedenen Insolvenzverwalter mit unterschiedlichen
Verwertungsstrategien, die Vermeidung unproduktiver
Verfahrensverzögerungen. Das zeigt: Der Gläubiger-
schutz steht im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs und
damit der Schutz von Unternehmen, von Handwerksbe-
trieben, aber vor allem auch von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern.

Bisher ließen sich zentrale negative Auswirkungen
durch dezentrale Insolvenzbewältigung in Konzernen ei-
gentlich nur dadurch einschränken, dass alle Beteiligten
guten Willens waren, zusammenzuarbeiten. Das hat al-
lenfalls für eine Abmilderung gereicht; aber ausschlie-
ßen konnte man negative Konsequenzen eigentlich nie.

Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Vorausset-
zungen dafür schaffen, dass auch Konzerninsolvenzen
künftig rechtssicher und effektiv bewältigt werden kön-
nen. Dies ist umso wichtiger, als es gerade im Rahmen
von Konzerninsolvenzen oftmals um eine Vielzahl von
Arbeitsplätzen geht und dort beträchtliche Vermögens-
werte auf dem Spiel stehen.

Dabei baut der Gesetzentwurf auf den Zielbestim-
mungen des geltenden Insolvenzrechts auf, insbesondere
auf § 1 Insolvenzordnung, und konkretisiert diese Ziel-
bestimmungen praxistauglich und gut orientiert. Es soll
die Realisierung solcher Insolvenzbewältigungsstrate-
gien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle
Gläubiger im Vergleich zum unkoordinierten Nebenein-
anderherlaufen der verschiedenen Verfahren – so will ich
es einmal nennen – verbessern, ohne dabei aber eine
Schlechterstellung von Gläubigern einzelner Konzern-
teile zu verursachen.

Dabei erliegt dieser Entwurf gerade nicht der Versu-
chung – das ist ganz wichtig –, ein konsolidiertes Kon-
zernverfahren einzuführen. Sie wissen, im Konzern- und
im Gesellschaftsrecht gelten die Grundsätze der rechtli-
chen Trennung und der Selbstständigkeit. Diesen Grund-
sätzen würde eine Massekonsolidierung voll und ganz
widersprechen. Auch unter dem Gesichtspunkt der
Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit im Geschäfts-
verkehr wäre dies nicht zu vermitteln; denn sonst müsste
sich zukünftig ein Gläubiger, zum Beispiel im Vorfeld
einer Kreditvergabeentscheidung, zunächst einmal da-
rüber klar werden, in was für einer wirtschaftlichen, in
was für einer finanziellen Situation der Konzern insge-
samt und seine Teile sind, bevor er dann mit der entspre-
chenden Schuldnergesellschaft kontrahieren kann.






(A) (C)



(D)(B)

Alexander Hoffmann

Die flexiblen Koordinierungsmechanismen, die hier
zum Einsatz kommen sollen – ich will es einmal das
Handwerkszeug nennen –, wurden von meinen Vorred-
nern schon dargestellt. Lassen Sie mich daher nur noch
handverlesen auf Einzelheiten eingehen.

Neben die allgemeine Gerichtsstandregelung, wie wir
sie kennen, in § 3 Insolvenzordnung tritt nun die Mög-
lichkeit eines Gruppengerichtsstands auf Antrag des
Schuldners. Dabei ist wichtig, dass das nicht als eine
ausschließliche Gerichtsstandregelung ausgestaltet ist,
was eine flexible Handhabe ermöglicht. Denn es kann
auch weiterhin Konstellationen geben, wo kein erhöhter
Koordinierungsbedarf gegeben ist; da erscheint die alte
Regelung durchaus praktikabel.

Die Voraussetzungen für den Gruppengerichtsstand
stellen für mich einen praxistauglichen Ansatz dar. Al-
lerdings möchte ich schon anregen, einmal den Versuch
zu unternehmen, diese Voraussetzungen positiv zu for-
mulieren. Das ist besser, als über eine Negativformulie-
rung im Ausschlussverfahren quasi das Pferd von hinten
aufzuzäumen und so den Anwendungsbereich zu eröff-
nen. Im Zusammenhang mit einer Negativformulierung
erschweren nämlich Formulierungen wie „nicht offen-
sichtlich“ und „in der Regel“ in meinen Augen eher die
Bestimmtheit.

Der hier zu beratende Entwurf – das ist vorhin schon
angesprochen worden – greift die Vorschläge der EU-
Kommission gerade nicht auf. In den Vorschlägen – Sie
kennen sie – war die Rede davon, dass die einzelnen In-
solvenzverwalter der gruppenangehörigen Unternehmen
in den jeweils anderen Verfahren bestimmte Mitwir-
kungsrechte eingeräumt bekommen sollen, zum Beispiel
das Recht auf Teilnahme an einer Gläubigerversamm-
lung oder auch das Vorschlagsrecht bezüglich eines Re-
organisationsplans.

Stattdessen soll nach dem vorliegenden Gesetzent-
wurf das Koordinationsverfahren eingeführt werden, das
als wesentliches Kernelement die Bestellung eines Koor-
dinationsverwalters zum Gegenstand hat. Das ist, meine
Damen, meine Herren, der bessere Ansatz, weil er fol-
gende Vorteile auf sich vereint: Das Koordinationsver-
fahren ist funktionaler, es ist weniger missbrauchsanfäl-
lig – Mitwirkungsrechte können nämlich immer wieder
dazu verwendet werden, zu blockieren –, und es ist vor
allem verbindlicher; das ist ein ganz wichtiger Punkt, an-
sonsten wäre der Koordinationsverwalter – die Kollegin
Keul hat es vorhin schon angesprochen – auf ein „Bitte!
Bitte!“ angewiesen. Genau das ist hier nicht der Fall.
Über die allgemeine Haftungsnorm des § 60 Abs. 1 In-
solvenzordnung entsteht ja quasi eine faktische Bindung
der Verwalter an die Vorschläge aus dem Koordinations-
verfahren. Daher ist es richtig, das Gesetz einfach einmal
mit einem begleitenden Blick – so will ich es nennen –
der Praxis zu überlassen, ohne konkrete Durchsetzungs-
mechanismen vorzusehen.

Lassen Sie mich abschließend, meine Damen, meine
Herren, noch ganz kurz etwas zum Kostenrecht sagen,
weil immer wieder Vorschläge laut werden, dass man
parallel ein Kostenrecht schaffen müsse. Ich rate davon
ab, den vorliegenden Entwurf unnötig aufzublasen. Er
zielt doch ab auf die Vermeidung von gegenseitigem
Blockieren, Gegeneinanderarbeiten oder sogar Prozes-
sieren der Insolvenzverwalter. Ich glaube, dass genau
dank dieser Zielrichtung erreicht wird, dass wir zukünf-
tig keine Explosion der Verfahrenskosten mehr in dem
bisher bekannten Maß erleben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Sinne, meine Damen, meine Herren, denke
ich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Gehen wir ihn wei-
ter!

Gestatten Sie mir ganz zum Schluss, dass ich Ihnen
einen schönen Valentinstag wünsche. Im Interesse Ihrer
Partnerinnen und Partner empfehle ich Ihnen: Machen
Sie was daraus!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801507600

Kollege Hoffmann, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ge-
samten Hauses.


(Beifall)


Das war auch die letzte Rede im Rahmen dieses Ta-
gesordnungspunktes. Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/407 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

BAföG-Reform zügig umsetzen

Drucksache 18/479
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Haushaltsauschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801507700

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das

Thema BAföG zeigt wie so viele andere Themen – Vor-
ratsdatenspeicherung, Energiewende oder Zuwande-
rung –, wie tief die Gräben in der Großen Koalition sind.
Wenn man sich die Schärfe der Auseinandersetzung und
die gegensätzlichen Positionen von SPD und Union an-
hört, dann wird auch klar, warum das Thema BAföG im
Koalitionsvertrag – angeblich – vergessen wurde. Sie






(A) (C)



(D)(B)

Nicole Gohlke

mussten es offenbar ausklammern, damit die Koalition
überhaupt zustande kommt.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)


Jetzt haben SPD und Union zwar einen Koalitionsver-
trag; den Preis dafür zahlen aber die Studierenden. Für
die steigen seit Jahren die Lebenshaltungskosten, seit
Jahren explodieren die Mieten, und seit Jahren decken
die BAföG-Sätze das nicht mehr ab.


(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht! – Albert Rupprecht [CDU/ CSU]: Sie kennen den BAföG-Bericht nicht!)


Die 20. Sozialerhebung des Studentenwerks hat dazu ja
die aktuellen Zahlen geliefert. 54 Hochschulstädte wur-
den betrachtet. Nur in Chemnitz lagen die Wohnkosten
unterhalb der Pauschale von 224 Euro, die im BAföG-
Satz dafür vorgesehen ist. Überall sonst sind die Ausga-
ben für Miete und Nebenkosten höher, und Wohnheim-
plätze sind absolute Mangelware. Die 448 Euro, die die
BAföG-Geförderten im Durchschnitt bekommen, rei-
chen also offensichtlich vorne und hinten nicht aus. Das
muss sich dringend ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, es ist einfach skandalös, dass es die Bun-
desregierung in so einer Situation und bei so einer Fak-
tenlage fertigbringt, die Ergebnisse des aktuellen
BAföG-Berichts dann auch noch als Erfolg zu verkau-
fen. Da feiert sich das Ministerium doch ernsthaft dafür
– „abfeiern“ müsste man eigentlich sagen –, dass die
Zahl der BAföG-Empfänger auf dem höchsten Stand seit
30 Jahren ist, vergisst dabei aber zu erwähnen, dass auch
die Zahl der Studierenden wegen doppelter Abiturjahr-
gänge, geburtenstarker Jahrgänge und gestiegener Stu-
dierneigung auf einem Höchststand ist. Das ist aber bei-
leibe nicht das Verdienst dieser Regierung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit irgendwelchen Tricks machen Sie dann aus weni-
ger mehr. Mit irgendwelchen Tricks machen Sie aus
einer eigentlich sinkenden Gefördertenquote eine stei-
gende. Fakt ist aber doch, dass 2012 von den knapp
2,4 Millionen Studierenden gerade einmal 440 000 BAföG
bezogen haben. Das sind die Zahlen. Eine einfache
Rechnung genügt, um festzustellen: Das sind mickrige
18,7 Prozent. Wenn die Regierung jetzt auf 28 Prozent
kommt, ist das schlicht Rechentricks geschuldet. Damit
machen Sie vielleicht Ihre Statistiken schöner, aber eben
nicht die Wirklichkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu Recht wird jetzt schon fast einmütig eine BAföG-
Erhöhung gefordert. Sogar Frau Wanka wird ja nicht
müde, zu wiederholen, dass eine BAföG-Reform kom-
men werde. Man fragt sich eben nur: Wann und wie? Die
SPD fordert völlig richtig, die Lastenverteilung beim
BAföG so zu ändern, dass der Bund die gesamten Kos-
ten trägt, weil sonst eine Erhöhung wohl angesichts der
kommenden Schuldenbremsen an den klammen Länder-
haushalten scheitern könnte.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Für den Bund gilt auch eine Schuldenbremse!)


Da beißt die SPD bei ihrem Koalitionspartner aber auf
Granit. Die Union weist die SPD-Vorschläge rüde zu-
rück. Ministerin Wanka erklärt, die SPD wolle sich aus
der Verantwortung ziehen.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie reden doch von Kooperation! Das ist gelebte Kooperation!)


Und Sie, Herr Rupprecht, sagen, es gebe für eine andere
Aufteilung keinen Grund, weil die Schuldenbremse
schließlich auch für den Bund gelte.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Herr Rupprecht, die Schuldenbremse ist ja nicht vom
Himmel gefallen.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Stuss!)


Die haben Sie mit den Stimmen aller Parteien mit Aus-
nahme der Linken eingeführt.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Eine historische Leistung! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Grünen haben auch nicht zugestimmt!)


Sie entpuppt sich immer mehr als eine soziale Bremse
und als eine Bildungsbremse.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist schon krass, wie Sie einfach über die katastro-
phale Situation der Länderhaushalte hinweggehen. Ge-
rade hat Sachsen-Anhalt die Zuschüsse für die Studen-
tenwerke mehr als halbiert. Die Konsequenzen tragen
natürlich wieder die Studierenden. Die zahlen jetzt hö-
here Semesterbeiträge und mehr für Wohnheim und
Mensaessen. Der Bund hätte im Gegensatz zu den Län-
dern ja auch die Möglichkeit, die Einnahmen zu erhö-
hen. Er könnte Steuern erhöhen und damit zur Abwechs-
lung auch einmal die Reichen treffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das war ja auch die Forderung der SPD – vor der Wahl
natürlich –, weil sie weiß, dass man substanzielle Ver-
besserungen ohne Steuergerechtigkeit nicht finanziert
bekommt. Da kann ich nur sagen: Augen auf bei der
Wahl des Koalitionspartners!


(Beifall bei der LINKEN)


Kolleginnen und Kollegen, das BAföG ist unbestrit-
ten die zentrale Säule der Studienfinanzierung. Deswe-
gen hat die Linke einen Antrag für eine umfassende und
zügige Reform des BAföG eingebracht. Lassen Sie uns
das unsoziale Stipendienprogramm, das Deutschlandsti-
pendium, das es in diesen Koalitionsvertrag geschafft
hat, endlich zu den Akten legen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ein sehr gutes Programm!)







(A) (C)



(D)(B)

Nicole Gohlke

Von diesem Deutschlandstipendium profitieren bislang
nicht einmal 0,6 Prozent der Studierenden.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie können sich doch auch mal beteiligen!)


Es wird ja mittlerweile auch vom Bundesrechnungshof
kritisiert, weil gerade einmal 60 Prozent der Gelder tat-
sächlich bei den Studierenden ankommen, während der
Rest für Werbung, PR und Verwaltung rausgeschmissen
wird.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


Die Linke fordert stattdessen eine Erhöhung der
BAföG-Sätze und Freibeträge um mindestens 10 Pro-
zent. Das würde endlich den gestiegenen Lebenshal-
tungskosten der Studierenden Rechnung tragen, und es
würde den Kreis der BAföG-Empfängerinnen und -Emp-
fänger ausweiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass das BAföG wieder in einen Vollzu-
schuss umgewandelt wird, damit sich junge Menschen
nicht durch das Studium verschulden müssen. Das
BAföG muss endlich an die veränderten Studienbedin-
gungen im Bologna-System angepasst werden. Master-
studiengänge müssen uneingeschränkt gefördert werden
können, und die Altersgrenzen müssen abgeschafft wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Kolleginnen und Kollegen, die Studierenden, die üb-
rigens heute hier von einer Delegation des studentischen
Dachverbandes fzs, deren Mitglieder ich an dieser Stelle
ganz herzlich grüßen möchte, vertreten werden, erwarten
von Ihnen ein schnelles Handeln, das ihre Situation sub-
stanziell verbessert. Muten Sie den Studierenden nicht
eine weitere Hängepartie mit ewigen Verhandlungen


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Mir kommen gleich die Tränen!)


zwischen Bund und Ländern oder jetzt zwischen den
Koalitionspartnern Union und SPD zu! Sie haben hier
die Chance, schnell und unbürokratisch unserem Antrag
zuzustimmen. Damit könnten Sie jetzt nachholen, was
Sie in den Koalitionsverhandlungen so sträflich ver-
säumt haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801507800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner

hat Dr. Stefan Kaufmann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1801507900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der
Linken, Frau Gohlke, enthält enttäuschenderweise nichts
Neues.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das zeigt nur, wie lange Sie schon nichts machen!)


Ich bin davon ausgegangen, dass Sie als nunmehr größte
Oppositionspartei im Bundestag die Politik der Bundes-
regierung etwas seriöser und konstruktiver begleiten.
Aber weit gefehlt. Es wird nur gefordert: Erhöhung der
Fördersätze, massive Ausweitung des Berechtigtenkrei-
ses


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch! Dann müssen wir es nicht noch einmal einbringen!)


bis hin zur Forderung nach einem rückzahlungsfreien
Vollzuschuss für alle BAföG-Empfänger. Und wer soll
das Ganze bezahlen, Frau Gohlke? Natürlich der Bund.
Sie fordern alles, und der Bund soll zahlen. So einfach
kann man sich Oppositionsarbeit natürlich auch machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wie sagte schon Konrad Adenauer? Alles, was die
Sozialisten von Geld verstehen, ist die Tatsache, dass sie
es von anderen haben wollen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Anhand von drei Punkten möchte ich heute einen
konstruktiven Aufschlag machen:

Erstens. Die Bundesregierung hat – es wurde schon
angesprochen – am 29. Januar dieses Jahres den aktuel-
len BAföG-Bericht beschlossen. Noch nie gab Deutsch-
land so viel Geld für BAföG aus. Um rund eine halbe
Milliarde Euro ist die Fördersumme im Berichtszeitraum
2010 bis 2012 auf insgesamt 3,34 Milliarden Euro ange-
stiegen. Auch das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
Frau Kollegin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern können die Weiterentwicklungen unter der
CDU/CSU-geführten Bundesregierung in der Vergan-
genheit ja nicht so gering gewesen sein. Ich erinnere nur
an die 2008 mit der SPD gemeinsam beschlossene große
BAföG-Reform. Im Zuge dieser Reform haben wir die
Bedarfssätze um 10 Prozent und die Freibeträge um
8 Prozent angehoben. Außerdem haben wir im Jahre
2010 die 23. BAföG-Novelle verabschiedet – mit einer
weiteren Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent und
der Freibeträge um 3 Prozent. Wir haben die Alters-
grenze für das Masterstudium auf 35 Jahre angehoben;


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


auch das sollten Sie, Frau Gohlke, bitte zur Kenntnis
nehmen. Wir haben die Auslandsförderung ausgeweitet.
Wir haben den Höchstsatz auf 670 Euro pro Monat ange-
hoben und vieles mehr.

Nun kann man natürlich immer sagen, das sei nicht
genug. Aber kleinzureden brauchen wir diese BaföG-
Reformen auch nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Stefan Kaufmann

Noch einmal zurück zum aktuellen BAföG-Bericht,
der ganz klar feststellt: Die Entwicklung der Bedarfs-
sätze ist immer noch oberhalb des Preisindexes, und die
Freibeträge sind stärker gestiegen als die Preise und die
Einkommen. Auch das mögen Sie bitte zur Kenntnis
nehmen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)


Doch kann es aus meiner Sicht nicht immer nur da-
rum gehen, dass wir die Sätze und Freibeträge anheben.
Wir müssen zu strukturellen Weiterentwicklungen beim
BAföG kommen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Welchen?)


Ich denke dabei beispielsweise an eine bessere Verein-
barkeit des BAföG mit dem zweistufigen Studiensystem
aus Bachelor und Master.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Steht doch alles drin!)


Darin sind wir uns vielleicht sogar einig. Auch über eine
bessere Absicherung von Studierenden mit Kindern
müssen wir diskutieren.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Steht auch drin!)


Zudem sind Verbesserungen bei der BAföG-Vorauszah-
lung notwendig.

Der zweite Punkt. Die Bundesregierung will eine
BAföG-Reform. Man kann weder der aktuellen noch der
Vorgängerregierung vorwerfen, hier nichts getan zu ha-
ben. Bereits nach Vorlage des letzten BAföG-Berichtes
2012 hat die Bundesregierung den Ländern Gespräche
über mögliche Anpassungen und auch über eine inhaltli-
che Fortentwicklung des BAföG angeboten. In vielen
Gesprächen und Treffen auf Ministerebene bis hin zur
Abteilungsleiterebene verständigte man sich zwar auf in-
haltliche Änderungen; eine Novelle scheiterte aber an
der fehlenden Finanzierungszusage der Länder.

Auch die Anfang 2013 eingesetzte Staatssekretärsar-
beitsgruppe konnte hier keine Einigung erzielen, was
ebenfalls an der fehlenden Bereitschaft der Länder, den
gesetzlich vorgeschriebenen Finanzierungsanteil zu leis-
ten, lag. Bekanntlich hat diese Finanzierungsverweige-
rung der Länder auch dazu geführt, dass im Koalitions-
vertrag keine konkrete Zusage einer BAföG-Reform
festgeschrieben werden konnte, obwohl wir diese doch
alle hier als Bildungspolitiker wollen.

Ich komme zu meinem dritten Punkt: der Verantwor-
tung der Länder. Dass jetzt nicht nur die Linkspartei,
sondern auch andere Mitglieder dieses Hauses die Bun-
desländer in ihrer Verweigerungshaltung unterstützen,
bedauere ich sehr. Ich bitte Sie alle, liebe Kolleginnen
und Kollegen, als Bildungspolitiker darüber noch einmal
nachzudenken. Wo sind wir denn hier eigentlich? Ich
denke da zum Beispiel an die Aussage des grünen Minis-
terpräsidenten Kretschmann, der sagte, dass der Bund
den Ländern das Geld einfach überlassen solle, es ihm
aber – ich zitiere – „so fern wie der Mond“ liege, zu ak-
zeptieren, dass der Bund über diese Gelder auch nur mit-
entscheiden kann.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Wie kann man denn als gewählter Bundestagsabgeord-
neter eine solche Haltung unterstützen? Das kann ich
wirklich nicht verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viele Länder haben die politische Entscheidung ge-
troffen, dass sie für Studierende kein Geld übrighaben;
als Beispiel wurde Sachsen-Anhalt genannt. Das geht
nicht. Ich habe mir einmal die Finanzen der Länder an-
geschaut. Nach dem aktuellen Monatsbericht des Bun-
desfinanzministeriums haben die Länderhaushalte im
Jahr 2013 mit einem nahezu ausgeglichenen Ergebnis
abgeschlossen, und zwar mit einem Finanzierungsdefizit
von 0,5 Milliarden Euro. Der Bund hingegen hat 22 Mil-
liarden Euro Schulden gemacht. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, auch für uns im Bund gilt die Schulden-
bremse. Das wird immer wieder gern vergessen. Wie
wollen wir denn je einen ausgeglichenen Haushalt errei-
chen, wenn wir hier bedingungslos dem Verlangen der
Länder nach mehr Geld nachgehen?

Beim BAföG ist es besonders wichtig, dass Bund und
Länder gemeinsam in der finanziellen Verantwortung
bleiben. Das hat sich seit der Entstehung des BAföG in
der Hochzeit der sozialliberalen Koalition von Willy
Brandt auch bewährt. Daran sollten wir nicht rütteln.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist wichtig, dass die Länder dabei bleiben. Bitte den-
ken sie auch darüber noch einmal nach.

Abschließend möchte ich meine Punkte zusammen-
fassen. Erstens. Das BAföG ist die tragende Säule der
Studienfinanzierung. Es ist erfolgreich, aber es gibt Re-
formbedarf. Zweitens. Die Bundesregierung ist beim
BAföG engagiert und versucht mit Nachdruck, Verbes-
serungen für die Studierenden zu erreichen. Drittens. Die
Bundesländer müssen sich ihrer finanziellen Verantwor-
tung für die Studierenden in Deutschland stellen und ih-
ren Beitrag leisten, zumindest aber die vereinbarten
35 Prozent beim BAföG zahlen.

Zusammenfassend: Wenn die Länder zu ihrer finan-
ziellen Verantwortung stehen, dann können wir uns hier
im Bundestag schnell über Weiterentwicklungen beim
BAföG verständigen. Das muss unser parteiübergreifen-
des, gemeinsames Ziel sein. Die Studierenden haben das
verdient. Wir als Gesetzgeber werden auch daran gemes-
sen, ob wir gerade bei diesem wichtigen Zukunftsthema
vorankommen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemein-
sam konstruktiv daran arbeiten!

Danke sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801508000

Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring.






(A) (C)



(D)(B)


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801508100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ach, Herr Kaufmann, ich bin nach Ihrer Rede eigentlich
nicht viel schlauer. Mir ist noch immer nicht klar, was
die Bundesregierung bzw. die 80-Prozent-Mehrheit des
Deutschen Bundestages in Bezug auf das BAföG will.
Sie haben viel in die Vergangenheit geblickt, aber nicht
nach vorn. Das ist gerade zu Beginn einer Legislatur
echt schlecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Freude über mehr Geförderte und Höchststände
bei den BAföG-Ausgaben von Bund und Ländern kann
dem wachsenden Reformdruck beim Bundesausbil-
dungsförderungsgesetz nicht vernebeln. Stark gestiegene
Studierendenzahlen führen logischerweise zu höheren
BAföG-Ausgaben. Aber schauen wir doch etwas tiefer
in den neuen BAföG-Bericht: Die Förderbeträge sind im
letzten Jahr gesunken. Es sinkt die Gefördertenquote. Es
sinkt der Anteil der Studierenden, die eine maximale
Förderung erhalten. Nicht einmal ein Fünftel der Studie-
renden bezieht BAföG-Leistungen, aber fast zwei Drittel
müssen neben dem Studium jobben. All das sind Warn-
zeichen. Das BAföG verliert an Attraktivität. Anstatt am
unsinnigen Deutschlandstipendium festzuhalten, brau-
chen wir endlich eine mutige BAföG-Reform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das BAföG als Bildungsgerechtigkeitsgesetz und So-
zialleistung mit Rechtsanspruch braucht eine Frischzel-
lenkur. Wir als Grüne wollen den Empfängerkreis ver-
größern und das Mittelschichtsloch verkleinern. Wir
wollen das BAföG familienfreundlicher machen und auf
vielfältigere Studierendenschaften ausrichten. Wir wol-
len auch, dass die Ausbildungsfinanzierung durch ein
Weiterbildungs-BAföG fit gemacht wird für das lebens-
lange Lernen. Perspektivisch wollen wir das BAföG
zum Zwei-Säulen-Modell erweitern; denn für mehr Bil-
dungsaufstieg und Teilhabe braucht es eine beherzte Er-
neuerung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt über solch konkrete Inhalte einer BAföG-No-
velle zu reden, streiten Union und SPD darüber, ob der
Bund künftig einen größeren Finanzierungsanteil beim
BAföG schultert. Doch was bringt ein anderer Finanzie-
rungsschlüssel den Studierenden? Diese Frage muss die
SPD beantworten. Den Schlüssel für die Finanzminister
der Länder zu ändern, macht keinen Sinn. Für uns ist
entscheidend, was bei Schülern und Studierenden an-
kommt.

Das BAföG kostet Geld, aber es zahlt sich aus: sozial-,
bildungs- und wirtschaftspolitisch; denn es ist für viele
junge Menschen gerade aus einkommensärmeren Arbei-
terfamilien die zentrale Geldquelle, um überhaupt stu-
dieren zu können. Bei unserem Bildungskastensystem
können wir uns Stillstand beim BAföG nicht erlauben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das BAföG ist ein Bundesgesetz. Deswegen sind
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen an der Reihe,
endlich einen konkreten Gesetzentwurf auf den Tisch zu
legen. Nur über einen ganz konkreten Gesetzentwurf
können wir dann im Bundestag beraten und mit den Län-
dern und in den Ländern debattieren. Die Koalitionskon-
troverse zwischen CDU, CSU und SPD um die Finanzie-
rung des BAföG ist eine Regierungsselbstblockade
zulasten der Studierenden in unserem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Wahlkampf haben Union und SPD eine zügige Re-
form des BAföG versprochen. Im Koalitionsvertrag fin-
det sich dazu kein einziges Wort. Trotzdem verkündet
Ministerin Wanka, die übrigens der Debatte heute leider
nicht beiwohnt, wacker: Das BAföG wird erhöht. – Pas-
siert ist danach aber nichts.

Ähnlich verlief es beim BAföG-Bericht. Im ersten
Entwurf sollte es noch eine „substanzielle Erhöhung“
und „strukturelle Weiterentwicklung“ des BAföG geben.
Am Morgen der Kabinettsbefassung war das Wort „sub-
stanziell“ verschwunden. Zwei Stunden später war von
einer BAföG-„Erhöhung“ überhaupt keine Rede mehr.
Von wegen schnelle BAföG-Reform! Nichts von den In-
terviewankündigungen der Ministerin ist bisher einge-
löst. Nichts ist angegangen worden.

Diese Niederlage am Kabinettstisch haben Sie – das er-
kennt man, wenn man Zeitung liest und zuhört – Finanz-
minister Schäuble und Vizekanzler Gabriel zu verdan-
ken. Aber es kommt noch besser: Wenige Tage nach
seinem Nein am Kabinettstisch fordert Gabriel in seiner
Rolle als SPD-Chef lautstark eine zügige BAföG-Erhö-
hung. Sorry, liebe SPD, aber das ist an Doppelzüngigkeit
nicht zu überbieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie müssen sich fragen lassen: Warum sind 250 Millio-
nen Euro für eine BAföG-Novelle neuerdings eine Provo-
kation für die Länder? Vor einem halben Jahr hat die SPD
im Wahlkampf landauf, landab versprochen, pro Jahr zu-
sätzlich 10 Milliarden Euro für Bildung auszugeben. Ein
Vierzigstel davon für eine BAföG-Novelle zu investieren,
muss dank sprudelnder Steuereinnahmen möglich sein.
Keinesfalls darf das BAföG Ihrem 160-Milliarden-Ren-
tenpaket zum Opfer fallen. Die Studierenden brauchen
eine Perspektive.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese Perspektive wird seit vier Jahren vermisst. Seit
vier Jahren warten Schüler und Studierende auf eine bes-
sere Ausbildungs- und Studienfinanzierung. Die Förder-
systematik und die Lebensrealität der Studierenden driften
immer weiter auseinander. Alle, die aus Altersgründen
aufgrund ihres Bildungsweges oder ihres Aufenthaltssta-
tus nicht gefördert werden, sind ein unverantwortlicher
Verlust für eine echte Bildungsrepublik. Also nehmen
Sie die Analyse des BAföG-Berichtes endlich ernst! Be-
enden Sie die Selbstblockade! Legen Sie eine BAföG-






(A) (C)



(D)(B)

Kai Gehring

Reform vor! Noch 2014 muss es ein höheres und besse-
res BAföG geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801508200

Als nächster Redner spricht der Kollege Oliver

Kaczmarek.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1801508300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man einmal in den BAföG-Bericht schaut, dann sieht
man, dass sich darin die besondere Bedeutung des
BAföG auch 43 Jahre nach seiner Einführung dokumen-
tiert. 3,4 Milliarden Euro geben Bund und Länder ge-
meinsam für das BAföG aus. 440 000 Studierende wer-
den gefördert. Ich gebe zu, Frau Gohlke, dass die Quote
der Geförderten stagniert. Indem Sie aber so tun, als ob
alle Studierenden BAföG-berechtigt seien, rechnen Sie
die Quote der Geförderten herunter und schmälern damit
den Erfolg des BAföG. Ich finde es nicht ehrlich, wie
Sie an der Stelle argumentieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Über die Hälfte aller Studierenden aus einem bil-
dungsfernen Haushalt, die es überhaupt an eine Hoch-
schule geschafft haben, erhalten BAföG. Das zeigt: Mit
keinem anderen Finanzierungsinstrument sind wir in
ähnlicher Weise in der Lage, soziale Verantwortung für
die Studienfinanzierung zu übernehmen. Das BAföG ist
deshalb – im Gegensatz zu allen anderen Finanzierungs-
modellen, die wir hier auch kontrovers diskutiert haben –
ein Erfolgsmodell der Studienfinanzierung, und das
muss auch in den nächsten Jahren so bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist aber auch völlig klar: Das BAföG muss mit der
Zeit gehen. Das heißt, es muss das Leben der Studieren-
den und die veränderten Studienbedingungen aufnehmen
und ihnen, so gut es geht, gerecht werden. Unbestritten
ist dies bei den gestuften Studiengängen am deutlichsten
sichtbar; das ist hier in der Debatte schon gesagt worden.
Über die einzelnen Maßnahmen müssen wir dann disku-
tieren.

Das BAföG muss aber auch die Veränderungen im
Leben der Studierenden und deren Eltern aufgreifen.
Studierende kommen heute auf unterschiedlichen Wegen
in die Hochschule, sind teilweise älter, studieren mit Fa-
milie, machen Teilzeitstudiengänge. All diese Dinge
müssen wir berücksichtigen.

Ich will eine Anmerkung zu den Teilzeitstudiengän-
gen machen. Es ist uns ein besonderes Anliegen, Studie-
rende zu fördern, die sich in einem Teilzeitstudium, ei-
nem dualen Studium oder einem berufsbegleitenden
Studium befinden, weil drei Viertel dieser Studierenden
Erststudierende sind, also diejenigen, die als Erste aus
ihrer Familie überhaupt eine Hochschule besuchen. Des-
wegen geht es hier um eine besondere Gerechtigkeits-
frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Auch die Familiensituation muss berücksichtigt wer-
den. Familien mit ein oder zwei Kindern und einem
Facharbeitergehalt sind heute nicht in der Lage, ohne
BAföG ein Studium zu finanzieren.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)


Deswegen ist die Freibetragsregelung aus unserer Sicht
eine wichtige Regelung, weil sie den Kreis der Geförder-
ten erweitert und auf der anderen Seite dazu beiträgt,
dass mehr von dem, was an BAföG ausgezahlt werden
kann, bei den Studierenden ankommt.

Uns allen ist aber auch klar: Chancengleichheit und
Bildungsgerechtigkeit kosten Geld. Aber das ist gut an-
gelegtes Geld. Denn der Staat ermöglicht mit dieser För-
derung, dass Studierende aus allen sozialen Schichten
bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erlangen. Da-
durch bekommt der Staat die bereitgestellten Mittel über
erhöhte Einnahmen aus Steuern und Sozialversiche-
rungsbeiträgen zurück. Insofern ist das BAföG eine vo-
rausschauende und nachhaltige Investition.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es macht aber keinen Sinn, meine Damen und Her-
ren, jetzt hier einen fiktiven Wunschzettel zum politi-
schen Programm zu erheben.


(Zuruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Da möchte ich eine Anmerkung zum Antrag der Linken
machen. Ich werde jetzt nicht alles in Grund und Boden
reden; denn viele der Forderungen, die Sie erheben, sind
fraktionsübergreifend diskutiert worden. Aber Sie blei-
ben an vielen Stellen unklar. Sie verzichten auf jede
Aussage zur Finanzierung. Das finde ich, offen gesagt,
unehrlich. Sie suggerieren den Studierenden: Schreibt
auf, was ihr braucht; wir machen das, und um die Finan-
zierung kümmern wir uns später. – Das finde ich unehr-
lich. Ich unterstelle, dass das nicht dem entspricht, was
Studierende tatsächlich erwarten können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was aus Sicht der Studierenden wirklich Sinn macht, ist
eine BAföG-Novelle, die substanziell ist und tatsächlich
umgesetzt wird, also nicht auf der Ebene des politischen
Wunschdenkens verharrt.


(Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Eine kurze Anmerkung zu einem Punkt des Antrags,
den ich richtig finde; das möchte ich betonen. Sie haben
die Förderung von Studierenden mit Behinderung ange-
sprochen. Ich finde das richtig. Ich glaube nur, dass wir
das weniger in der BAföG-Debatte berücksichtigen soll-
ten als bei der Reform der Eingliederungshilfe, die sich
die Große Koalition auf die Fahnen geschrieben hat,






(A) (C)



(D)(B)

Oliver Kaczmarek

weil es hierbei um bedarfsgerechte Assistenzen usw.
geht. An der Stelle bin ich mit Ihnen einer Meinung; ich
glaube nur, dass wir das an anderer Stelle diskutieren
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801508400

Herr Kollege Kaczmarek, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Gohlke?


Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1801508500

Gerne.


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801508600

Danke für die Möglichkeit zur Zwischenfrage. – Ich

habe mich jetzt natürlich angesprochen gefühlt, weil Sie
sagten, wir stellten Forderungen auf und suggerierten,
dass man sie einfach so umsetzen könne. Sie haben ja
selber gerade zugestanden, dass viele unserer Forderun-
gen zum Beispiel in Ihrem Wahlprogramm standen oder
in der letzten Legislaturperiode auch von Ihnen, von der
SPD, aufgestellt wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben in Ihrem Wahlprogramm ziemlich deutlich ge-
macht, wie Sie diese Sachen finanzieren wollen, zum
Beispiel über Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit
wie Erhöhung der Einkommensteuer und Einführung ei-
ner Millionärsteuer.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben aber davon Abstand genommen. Deswegen
frage ich: Wer suggeriert hier was? Haben Sie nicht viel-
leicht vor der Wahl falsche Wahlziele suggeriert, weil sie
bei den Studierenden oder in der Bevölkerung ganz gut
ankommen, und sind jetzt nicht mehr bereit, dazu zu ste-
hen?


(Beifall bei der LINKEN)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1801508700

Nein, das muss ich zurückweisen. Die Ursache dafür,

dass wir das nicht umsetzen können, sind nicht falsche
Versprechungen, sondern es ist ein schlechtes Wahler-
gebnis. Wir bilden eine Koalitionsregierung und haben
uns darauf geeinigt, dass wir ohne finanzielle Mehraus-
gaben und Steuererhöhungen versuchen, die Vorhaben
umzusetzen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] 160 Milliarden für die Rente!)


Sie werden sehen, dass wir finanzielle Spielräume für
die BAföG-Novelle eröffnen. Das ist kein Wunschden-
ken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Anmerkung zum Schluss. Natürlich ist das
BAföG eine Aufgabe von Bund und Ländern, die beide
gemeinsam wahrnehmen. Wer eins und eins zusammen-
zählen kann, weiß doch, dass die Länder einer BAföG-
Novelle dann zustimmen werden, wenn sie ihrer Mei-
nung nach auch zustimmungsfähig ist. Das ist keine
Hexerei, sondern das ist das kleine politische Einmal-
eins.

Es ist auch eine Binsenweisheit, dass wir frühzeitig
über eine mit den Bundesländern gemeinsam getragene
Novelle sprechen müssen. Partnerschaft in Bezug auf
BAföG muss in diesem Sinne heißen, dass keiner der
beiden Partner den anderen in finanzielle Bedrängnis
bringt und die finanziellen Forderungen überzieht. Wir
müssen eine faire finanzielle Lösung zwischen Bund und
Ländern finden. Das ist selbstverständlich und auch ein
Gebot der politischen Rationalität. Wir sollten das un-
aufgeregt angehen. Ich bin zuversichtlich, dass Bund
und Länder das gemeinsam hinbekommen.


(Beifall bei der SPD)


Die gute Botschaft dieser Debatte ist: Das BAföG
wird modernisiert und verbessert werden. Die zweite
gute Nachricht ist: Das wird von niemandem mehr in-
frage gestellt.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Im Gegenteil: Diejenigen, die noch vor einigen Jahren
das BAföG als alten Karren oder als Auslaufmodell be-
zeichnet haben,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gabriel! Schäuble!)


sind einem dramatischen Irrtum unterlegen und befinden
sich derzeit Gott sei Dank auf dem Weg der Besserung.
Heute geht es darum, das BAföG noch besser und zeit-
gemäßer zu machen. Wir sollten uns damit nicht allzu
viel Zeit lassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801508800

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katrin

Albsteiger das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1801508900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Das BAföG ist eine
Erfolgsgeschichte. Das BAföG ist ein systemrelevanter
Teil unserer Gesellschaft. Das BAföG ist gelebte Verant-
wortung gegenüber der jungen Generation.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihr Antrag hingegen ist genau das Gegenteil davon. Er
ist ein Schnellschuss, frei nach dem Motto „Wir fordern
jetzt einfach mal das Maximum“, also die schöne heile
Welt. Es geht Ihnen nur um den Effekt und nicht darum,
ein nachhaltiges Konzept vorzulegen. Wir hingegen ha-
ben immer betont, dass Bildungspolitik auch generatio-
nengerecht sein muss.

Die Ausgangslage ist gut. Die Bundesregierung gibt
so viel Geld für Bildung und Forschung aus wie nie zu-






(A) (C)



(D)(B)

Katrin Albsteiger

vor. Schon in den Jahren 2010 bis 2013 haben wir in die-
sem Bereich 13 Milliarden Euro mehr investiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gleichzeitig haben wir uns auf den Weg gemacht, die
Haushalte zu konsolidieren. Das ist in Bezug auf Gene-
rationengerechtigkeit ein ganz wichtiger Punkt. Genau
diesen Weg wollen wir jetzt konsequent weitergehen, in-
dem wir weitere 9 Milliarden Euro in den Bereich Bil-
dung und Forschung investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das darf ich an dieser Stelle auch einmal sagen: In Zei-
ten solch großer Rentenpakete ist das ein richtiges und
wichtiges Signal an die junge Generation.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu wenig!)


Wir als CDU/CSU-Fraktion haben innerhalb des Bud-
gets vor, die BAföG-Bedarfssätze und auch die Freibe-
träge zu erhöhen. Aber das muss man erst einmal anstän-
dig durchrechnen. Hier darf es keinen Schnellschuss
geben.

Sie haben sich immerhin die Mühe gemacht, einen
hübschen Forderungskatalog aufzustellen. Dort finden
sich Forderungen wieder wie die nach einer Erhöhung
der Bedarfssätze um mindestens 10 Prozent, dem rück-
zahlungsfreien Vollzuschuss oder der elternabhängigen
Förderung. Das ist keine Initiative, sondern „Wünsch dir
was“ und sonst gar nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Am Ende packen Sie ihre linke Agenda wie die For-
derung nach Erhöhung der Einkommen-, Vermögen- und
Erbschaftsteuer in Ihren BAföG-Antrag. Ich frage mich
ernsthaft: Was hat das darin verloren? Absolut gar
nichts!


(Zurufe der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE] und Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, statt pauschal das
Maximum zu fordern, wollen wir es anständig durch-
rechnen. Die junge Generation hat auf lange Sicht über-
haupt nichts davon, wenn man einfach imposante Pakete
schnürt, das Umsetzungskonzept aber offen bleibt. Es
wäre ja geradezu absurd und völlig abwegig – das muss
man sich einmal vorstellen –, wenn wir jetzt das Geld,
das Sie im Rahmen Ihrer großen Reform ins BAföG ste-
cken wollen, durch Steuererhöhungen und Aufnahme
neuer Schulden finanzieren würden, und das im selben
Umfang.

Oder eine andere Idee: Wäre es vielleicht toll, wenn
wir das Geld einfach aus anderen wichtigen und richti-
gen Bildungs- und Forschungsinitiativen nehmen wür-
den? Das ist das Prinzip „rechte Tasche – linke Tasche“.
Das bringt uns überhaupt gar nichts. Das ist nicht gene-
rationengerecht und aus dem Grund auch nicht mit uns
zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Andere Instrumente wie beispielsweise das Deutsch-
landstipendium erklären Sie unerklärlicherweise für ge-
scheitert.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es!)


Dabei ist auch das eine Erfolgsgeschichte: 14 000 Sti-
pendiaten wurden Ende 2012 gefördert. Das sind immer-
hin 9 000 mehr als im Jahr davor. Zusammen mit dem
Ausbau der Begabtenförderungswerke haben wir es seit
2005 geschafft, die Anzahl der Stipendien fast zu ver-
dreifachen. Wir haben die Anzahl der Stipendien von
16 400 auf 48 000 erhöht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine tolle Sache!)


Deutschland muss zugegebenermaßen – auch das will
ich sagen – im Bereich der Stipendien noch einiges tun.
Da gibt es noch ein bisschen aufzuholen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Dabei setzen wir aber nicht, wie Sie es so gerne tun, al-
lein auf den Staat, sondern auch auf private Träger, auf
Förderer aus der Wirtschaft. Auch das ist wichtig. Die-
sen Weg wollen wir als CDU/CSU-Fraktion konstruktiv
begleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD])


Noch ein Wort zum Bürokratieabbau: Ein Ansatz-
punkt für die BAföG-Reform muss sein, die kompli-
zierte Antragstellung praxisnäher und stärker am Stu-
denten orientiert zu gestalten. Das ist wichtig, damit der
Vergabeprozess beschleunigt werden kann und das Geld
schneller dort ankommt, wo es wirklich gebraucht wird,
nämlich bei den Studenten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD])


Zusammengefasst heißt das: Wir brauchen keinen
Schnellschuss, sondern ein solides Konzept. Wir wollen
bei der Weiterentwicklung des BAföG den Anforderun-
gen der Studenten Rechnung tragen; dafür setzen wir uns
ein. Wir wollen daneben die Auswirkungen des Bolo-
gna-Prozesses im Blick behalten. Das alles muss basie-
ren auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Das sind wir der
jungen Generation schuldig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801509000

Dies war die erste Rede der Kollegin. Herzlichen

Glückwunsch!


(Beifall)


Jetzt hat die Kollegin Saskia Esken das Wort.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1801509100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bun-
desausbildungsförderungsgesetz, das BAföG, steht für
ein zentrales gesellschaftliches Versprechen. Es steht für
den Aufstieg durch Bildung und Leistung. Es steht für
Eltern, die sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder
wünschen, und es steht für die Unterstützung junger
Menschen, die sich weiterentwickeln möchten.

Das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung und
Leistung ist das Kernthema der Sozialdemokraten seit
mehr als 150 Jahren. So kann es nicht verwundern, dass
eine SPD-geführte Regierung das BAföG erfunden und
eingeführt hat. Alle bedeutenden Reformen und Weiter-
entwicklungen des BAföG wurden von Regierungen auf
den Weg gebracht, an denen die SPD beteiligt war.


(Beifall bei der SPD)


Wir können deshalb versichern: Auch bei der jetzigen
Regierung können sich die jungen Menschen und ihre
Eltern auf die SPD verlassen. Wir werden gemeinsam
mit dem Koalitionspartner dafür sorgen, dass gestiegene
Lebenshaltungskosten und Einkommen ebenso berück-
sichtigt werden wie der Wandel von Lebens- und Stu-
dienbedingungen.

Über die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform
sind wir uns nicht nur in der Regierungskoalition durch-
aus einig. Ich bin deshalb zuversichtlich, liebe Kollegen
von der Linken, dass wir für die Ausgestaltung und die
Finanzierung einer BAföG-Reform mit Substanz einen
gemeinsamen Weg finden werden.

Auch wenn die Zahl der Studienanfänger und mit ihr
die Zahl der BAföG-Empfänger immer weiter ansteigt
und wir damit die Erfolgsgeschichte des BAföG erzäh-
len können, müssen wir feststellen: Bei der Frage der
Bildungsgerechtigkeit liegt immer noch ein weiter Weg
vor uns. Eines zeigt uns die Bildungsberichterstattung,
zum Beispiel der Ländervergleich des IQB oder auch der
letzte PISA-Bericht, bei allen positiven Entwicklungen
immer wieder deutlich auf: Weiterhin ist in Deutschland
die soziale Herkunft sehr bestimmend für den Bildungs-
erfolg und damit auch für den Hochschulzugang.

Es überrascht deshalb nicht, dass auch weiterhin
hauptsächlich der Nachwuchs von Akademikern den
Weg an die Hochschulen findet. Drei Viertel der Kinder,
bei denen ein Elternteil oder beide Elternteile einen
Hochschulabschluss haben, nehmen später selbst ein
Studium auf. Bei Facharbeiterfamilien beträgt dieser An-
teil nur 25 Prozent. Soziale Gerechtigkeit und Chancen-
gleichheit dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen.
Diese hehren Ziele müssen mit Leben gefüllt werden.
Das BAföG bildet hierfür eine wichtige Basis.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU])


Alle Eltern – hier in diesem Hause und darüber hi-
naus – wünschen sich eine gute Zukunft für ihre Kinder.
Dieser Wunsch bezieht sich nicht nur auf das persönliche
Leben, sondern auch auf den Erfolg am Arbeitsmarkt. Da-
bei wird die Qualität der Bildung und Ausbildung als Vo-
raussetzung für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt ange-
sehen. Die vergleichsweise geringen Zahlen arbeitsloser
Fachkräfte und Akademiker zeigen ja auch, dass das
nicht ganz falsch ist.

Deshalb ist der Wunsch nach der bestmöglichen Bil-
dung und Ausbildung in diesem Zusammenhang zentral.
Ob „bestmöglich“ dann eher mit einem Hochschulstu-
dium oder einer Facharbeiterausbildung zu verwirkli-
chen ist, ist eine Frage der persönlichen Neigung und
Sichtweise. In der Sorge aber, ob diese bestmögliche Bil-
dung und Ausbildung der Kinder auch finanziell leistbar
ist, stellt das BAföG gerade für die Eltern eine große
Entlastung dar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ver-
sprechen des Aufstiegs durch Bildung und Leistung war
und ist für uns Sozialdemokraten – darauf will ich gerne
noch einmal zurückkommen – die Grundlage für das
BAföG als soziales Leistungsgesetz. Hierauf wird die
SPD auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk legen
und dies in die Regierungsarbeit mit einfließen lassen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801509200

Auch Ihnen, liebe Kollegin Esken, ganz herzlichen

Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede!


(Beifall)


Als nächste Rednerin hat die Kollegin Cemile
Giousouf das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1801509300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Liebe Besucher! Hätte die
Linksfraktion einen Blick in den 20. BAföG-Bericht und
in die Presse geworfen, hätte sie sich diesen Antrag
sparen können. Ich bin der Auffassung: Auch Ihre
Wählerinnen und Wähler verdienen es, dass wir in die-
sem Hohen Haus substanziell über Studienfinanzierung
debattieren statt über Scheinanträge. Der hier vorlie-
gende Antrag verzerrt die Realitäten und impliziert, die
Regierung würde die Studierenden und Schüler dieses
Landes im Stich lassen. Er bietet auch keine einzige rea-
listische Finanzierungsgrundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Konkret fordern Sie, Frau Gohlke, fordert die Linke,
den Darlehensanteil des BAföG zu streichen. Stattdessen
soll ein Vollzuschuss ausgezahlt werden. Als ehemalige
BAföG-Empfängerin möchte ich einem Steuerzahler
nicht vermitteln müssen, warum ein in der Regel gut ver-
dienender Akademiker seine Ausbildung in voller Höhe
staatlich bezuschusst bekommen soll. Die heutige Rege-
lung, dass die Hälfte der BAföG-Zahlung als zinsloses
Darlehen ausgezahlt wird, ist fair. Schüler und Auszubil-






(A) (C)



(D)(B)

Cemile Giousouf

dende bekommen diese Leistung ohnehin als darlehens-
freien Vollzuschuss.

Weiterhin fordern Sie in Ihrem Antrag, die Bedarfs-
sätze drastisch zu erhöhen und die Altersgrenzen abzu-
schaffen. Im Jahr 2008 wurde das BAföG um 10 Prozent
und im Jahr 2010 das Höchstalter auf 35 Jahre erhöht.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Aber Sie wollen das BAföG zu einer statischen Rund-
umversorgung degradieren: nach dem Prinzip Gieß-
kanne ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihre Maximalforderungen aus dem linken Wünsch-dir-
was-Katalog wollen Sie durch neue Schulden und hö-
here Steuern finanzieren. Mit Verlaub: Das kann wirk-
lich kein Mensch ernst nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Forderung, das Deutschlandstipendium abzu-
schaffen, gehört inzwischen offenbar zu einer Art An-
tragsfolklore der Opposition.


(Heiterkeit des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU])


Um es noch einmal klarzustellen: Das Stipendium ist
keine Alternative zum BAföG. Etwa ein Viertel der Sti-
pendiaten erhielten dieses zusätzlich zu ihrem BAföG.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn man die freiwerdenden Mittel aus dem Deutsch-
landstipendium den BAföG-Empfängern auszahlen
würde, käme man auf eine Summe von 1,50 Euro. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass das eine ernsthafte Forde-
rung von Ihnen sein kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist die
Bildungsrepublik in Europa. Wir haben die niedrigste
Jugendarbeitslosigkeit, und unser Ziel ist es, jedes Kind
nach seinen Begabungen zu fördern. Unsere Bilanz ist so
gut wie seit Jahren nicht mehr. Auch das können Sie
nicht schlechtreden, auch wenn Sie sich noch so viel
Mühe geben; die Ergebnisse des BAföG-Berichts bestä-
tigen das. Bund und Länder haben 2012 insgesamt
3,3 Milliarden Euro und damit 18 Prozent mehr für
BAföG ausgegeben als noch 2010. Die Zahl der Geför-
derten betrug 2012 im Jahresdurchschnitt 630 000. Das
waren 45 000 Studierende und Schüler mehr als noch
vor drei Jahren. Die Förderbeiträge für Studierende und
für Schüler sind angestiegen: Schüler bekommen heute
50 Euro mehr im Monat. Wir konnten 54 000 Studieren-
den eine Ausbildung im Ausland ermöglichen; so etwas
ist sonst – da gebe ich der Kollegin aus der SPD recht –
privilegierten Familien vorbehalten. 67 000 Geförderte
haben eine ausländische Staatsangehörigkeit. Das ist ein
Zeichen dafür, dass unser Bildungssystem und unser
Fördersystem durchlässiger geworden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Neben dem BAföG wurden im Jahr 2012 175 Millio-
nen Euro in die Förderung von besonders begabten Stu-
dierenden investiert. Was für die Kollegen der Linkspar-
tei eine Elitenförderung darstellt, ist eine Anerkennung
von gesellschaftlichem Engagement, das nicht weniger
zählt als gute Noten; denn ein Land, das seine besten
Köpfe nicht fördert, ist nicht zukunftsfähig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Drei-Säulen-Modell unserer Studienfinanzierung
– BAföG, Begabtenförderung und Studiendarlehen – hat
sich bewährt. Immer mehr junge Menschen können un-
abhängig von sozialen und nationalen Hürden in unse-
rem Land erfolgreich ihre Ausbildung machen. Ich bin
aber überzeugt, dass wir die Studienfinanzierung noch
verbessern können: indem wir, wie meine Kolleginnen
und Kollegen schon gesagt haben, die Übergänge zwi-
schen den Abschlüssen erleichtern, indem wir junge El-
tern, die in Teilzeit studieren, unterstützen und indem
wir die BAföG-Anträge flächendeckend online zugäng-
lich machen.

Das BAföG, liebe Kollegen von der Linksfraktion,
wird weiterentwickelt; unsere Bildungsministerin, Frau
Wanka, hat das klar und deutlich gesagt. Der Bund hat
die Arme weit geöffnet.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist nur konsequent, dass Bund und Länder auf diesem
Gebiet weiter zusammenarbeiten, wie sie es seit über
40 Jahren tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wird bei der Lastenverteilung bleiben, dass der Bund
65 Prozent und die Länder 35 Prozent tragen. Wir sehen
da auch ein wenig unsere Fürsorgepflicht gegenüber den
Ländern. Wir wollen, dass auch die Länder sagen kön-
nen: Liebe Studierende, wir unterstützen euch und tra-
gen Verantwortung für eure Ausbildung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und wenn sie nicht gestorben sind …!)


Ich würde mir wünschen, dass Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, auf Ihre Parteikollegen
einwirken; denn während Sie hier mit fadenscheinigen
Anträgen fordern, dass das BAföG verbessert wird, fal-
len unter der rot-roten Landesregierung in Brandenburg
jährlich 450 000 Unterrichtsstunden aus.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Das wäre doch einmal ein Punkt, wo sich Einsatz richtig
lohnen würde.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1801509400

Auch Ihnen, Kollegin Giousouf, herzlichen Glück-

wunsch zu Ihrer ersten Rede!


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die De-
batte beendet. Ich schließe die Aussprache.






(A) (C)



(B)

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/479 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und gute
Arbeit.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 19. Februar 2014, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.