Protokoll:
17208

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 208

  • date_rangeDatum: 22. November 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:03 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/208 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 208. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013) (Drucksachen 17/10200, 17/10202) . . . . . b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2012 bis 2016 (Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826) I.14 Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Drucksachen 17/10809, 17/10823) . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . . Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . I.15 Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Drucksachen 17/10811, 17/10823) . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25361 A 25361 D 25361 D 25361 D 25362 A 25364 B 25367 A 25368 D 25370 D 25372 B 25374 B 25376 A 25378 B 25379 D 25381 D 25382 A 25382 C 25383 D 25384 D 25386 C 25388 D 25389 B 25390 B 25392 B 25392 C 25394 D 25392 C 25398 B 25400 A 25401 B 25402 D 25404 C 25405 D 25407 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt VI: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungs- gremien (GlTeilhG) (Drucksache 17/11270) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Impulse für einen wirksamen und umfassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten (Drucksache 17/11554) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die UN-Klimakonferenz in Doha – Globalen Klimaschutz wirksam voran- treiben (Drucksache 17/11514) . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für das Berichtsjahr 2010 (Drucksache 17/8342) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unter- nehmen (Korruptionsregister-Gesetz) (Drucksache 17/11415) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den am 12. September und am 4. Oktober 2001 ausgerufenen NATO- Bündnisfall beenden (Drucksache 17/11555) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt VII: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2004 zur Kon- trolle und Behandlung von Ballastwas- ser und Sedimenten von Schiffen (Bal- lastwasser-Gesetz) (Drucksachen 17/11052, 17/11433) . . . . . b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 494, 495, 496, 497 und 498 zu Peti- tionen (Drucksachen 17/11358, 17/11359, 17/11360, 17/11361, 17/11362) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Wertschöpfung im ländlichen Raum absichern – Erzeugung und Einsatz reiner Pflanzenöle in der Land- und Forst- wirtschaft ausbauen (Drucksache 17/11552) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) I.16 Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Se- nioren, Frauen und Jugend (Drucksachen 17/10816, 17/10823) . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 25408 A 25409 A 25411 A 25412 B 25413 B 25414 B 25415 D 25415 D 25416 A 25416 A 25416 B 25416 B 25417 A 25417 B 25417 D 25418 A 25418 A 25419 C 25421 C 25423 A 25424 A 25425 C 25427 C 25429 A 25430 A 25431 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 III Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg von Polheim (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt II: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über den Umfang der Personen- sorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (Drucksache 17/11295) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Katja Dörner, Diana Golze und weiteren Abge- ordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Umfang der Perso- nensorge und die Rechte des männli- chen Kindes bei einer Beschneidung (Drucksache 17/11430) . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) I.17 Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und Forschung (Drucksachen 17/10823, 17/10824) . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Helge Braun (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Tagesordnungspunkt III: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der betreu- ungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztli- che Zwangsmaßnahme (Drucksache 17/11513) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25433 D 25435 A 25435 D 25437 C 25438 C 25439 C 25441 B 25441 B 25441 D 25443 B 25444 A 25446 A 25447 B 25448 A 25449 A 25449 C 25450 D 25451 B 25452 D 25453 D 25454 C 25455 A 25455 D 25457 B 25458 A 25459 B 25461 A 25461 B 25462 B 25463 B 25463 D 25465 D 25468 A 25469 A 25470 B 25472 C 25473 A 25473 B 25475 B 25477 B 25478 B 25480 B 25480 D 25481 D 25484 A 25484 B 25485 A 25486 B 25487 C 25488 C 25489 C IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Neuabdruck des Redebeitrags des Abgeord- neten Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) zum Tagesordnungspunkt I.11: Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung (207. Sit- zung, Tagesordnungspunkt I.11) . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über die Ausschuss- überweisung der Stellungnahme der Bundes- regierung zu den Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ der Länder Berlin, Branden- burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für das Berichtsjahr 2010 (Tagesordnungspunkt VI d) 25491 A 25491 C 25493 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 25361 (A) (C) (D)(B) 208. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 25491 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Neuabdruck des Redebeitrags des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) zum Tagesordnungspunkt: Einzelplan 14 – Bun- desministerium der Verteidigung (207. Sitzung, Tagesordnungspunkt I.11) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum Ende dieser Debatte noch zwei Be- merkungen machen, die eine zu einem haushaltspoliti- schen Fachthema und die andere zur Debattenpolitik des Verteidigungsministers. Als Fachthema kann man sich ein Thema aussuchen; ich habe mich für die Beschaffung der Hubschrauber für unsere Bundeswehr entschieden. Seit 1990 planen wir die Einführung des Hubschraubers NH-90. Dabei haben wir die unterschiedlichsten Phasen der Nichtbeschaffung dieses Hubschraubers unter verschiedensten Regierun- gen erlebt. Auch Sozialdemokraten waren beteiligt, aber die drei Verteidigungsminister der letzten sieben Jahre gehörten einer anderen Fraktion an. Wir warten immer noch auf die ersten einsatzfähigen Hubschrauber. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ich bin schon mit einem geflogen!) – Wunderbar. Also einen hält er aus. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Und was für einen!) Jetzt ist nach Jahren der Verschiebung, Veränderung, Streckung beschlossen worden, nicht mehr 122, sondern nur noch 80 Hubschrauber anzuschaffen. Ich habe ein- mal nachgefragt, wie jetzt der Sachstand ist. Die Ant- wort des Staatssekretärs Beemelmans: Es wird weiterhin intensiv an einer für beide Seiten akzeptablen Lösung gearbeitet. – Auch das kommt nicht voran. Eigentlich kommt da gar nichts voran. Wir sind im Übrigen der Meinung: Wir brauchen eher mehr als weniger Hubschrauber, also keine Reduzie- rung. Wir brauchen Hubschrauber, um die regionalen Bündnisse, die wir stärken wollen, besser unterstützen zu können. Hier soll nicht systematisch reduziert wer- den, wie das bei dem Rest der Bundeswehr gemacht wird, sondern es müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Für die Anschaffung des Kampfhubschraubers Tiger gilt Ähnliches. Deren Zahl soll von 80 auf 40 reduziert werden. Die Antwort ist die gleiche. Auch da gibt es noch keine Lösung. Wir sind allerdings damit einver- standen, dass hier die Anzahl reduziert wird. Wir brau- chen nicht mehr ganz so viele Kampfhubschrauber wie zu der Zeit der Bedrohung durch Panzer. Noch eines zu den Einsätzen in Afghanistan, die jetzt geplant werden. Es macht Freude, die Antworten des Staatssekretärs Beemelmans zu lesen. Frage: Wie oft ist der Einsatz in Afghanistan verschoben worden? Ant- wort: Für den UH-Tiger wurden die Planungen zweimal verschoben. Für den NH-90 ist der Einsatz insgesamt Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 22.11.2012 Bernschneider, Florian FDP 22.11.2012 Dr. Danckert, Peter SPD 22.11.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 22.11.2012 Glos, Michael CDU/CSU 22.11.2012 Granold, Ute CDU/CSU 22.11.2012 Groth, Annette DIE LINKE 22.11.2012 Hinsken, Ernst CDU/CSU 22.11.2012 Jung (Konstanz), Andreas CDU/CSU 22.11.2012 Kammer, Hans-Werner CDU/CSU 22.11.2012 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.11.2012 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 22.11.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.11.2012 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 22.11.2012 Merkel (Berlin), Petra SPD 22.11.2012 Nink, Manfred SPD 22.11.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 22.11.2012 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.11.2012 Schaaf, Anton SPD 22.11.2012 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 22.11.2012 Spatz, Joachim FDP 22.11.2012 Dr. Wadephul, Johann David CDU/CSU 22.11.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 22.11.2012 Anlagen 25492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 (A) (C) (D)(B) dreimal verschoben worden. – Auch die jüngere Ge- schichte ist, was die Hubschrauber angeht, also keine Er- folgsgeschichte. Sie müssen sich da besonders anstren- gen. Sie sind nicht der Erste, der sich anstrengen muss, aber vielleicht erreichen Sie wirklich ein Ergebnis hin- sichtlich des Einsatzes in Afghanistan im nächsten Jahr. Der MH-90 ist der Ersatz für „Sea King“ und „Sea Lynx“, ein Marinehubschrauber, welchen Musters auch immer. Die erste Auslieferung war einmal für 1999 ge- plant, dann für 2011, dann für 2015. Im Moment gibt es noch kein neues Datum, weil es keinen Vertrag gibt. Bis heute gibt es keinen Beschaffungsvertrag für einen neuen Marinehubschrauber. So können Sie mit den An- forderungen unserer – zugegeben – kleinsten, aber nicht unwichtigsten Teilstreitkaft nicht umgehen. Ich habe Ihnen einmal ein wunderschönes Foto mit- gebracht, das in einer regionalen Tageszeitung zu sehen war. Darauf sehen Sie fünf „Sea-King“-Hubschrauber, nicht flugfähig, auf einem Ponton, der auch nicht von selbst fährt, gezogen von einem Schlepper durch den Nord-Ostsee-Kanal bei der Verlegung von Kiel nach Nord- holz. Das soll nicht die Zukunft der Marine oder der Hubschrauberei werden. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das stimmt!) Aber es ist ein Sinnbild dafür, dass hier etwas nicht funk- tioniert. Reformieren Sie das Beschaffungswesen so, dass die Maschinen zulaufen. Dies ist alles schon lange geplant und muss jetzt kommen. (Inge Höger [DIE LINKE]: Braucht es aber nicht!) Bezüglich des leichten Unterstützungshubschraubers haben wir im Verteidigungsausschuss relativ einhellig beschlossen: Wir wollen ihn haben. Dafür ist im Vertei- digungshaushalt für nächstes Jahr Geld eingestellt. Jetzt bin ich gespannt, ob Sie das hinbekommen. Der Be- schluss ist da, das Geld ist da, jetzt müssen Sie ihn nächstes Jahr beschaffen. Versuchen Sie das einmal! Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Debat- tenpolitik. Wir haben in der Frankfurter Rundschau in einem Aufsatz vom Verteidigungsminister gelesen, dass er sich Gedanken darüber macht, wie die Debatte zu Auslandseinsätzen in Deutschland befeuert werden kann. Er schreibt zu den Auslandseinsätzen: Welche Überzeugungen leiten uns Deutsche dabei? Welche Ansprüche stellen wir dabei an uns selbst? Diskussionen? Fehlanzeige! Nun gibt es eine Diskussion, die der Verteidigungs- minister selbst angestoßen hat: Das ist die über Vetera- nen. Da bin ich nicht so ganz sicher, dass das die Diskus- sion ist, die wir in Deutschland am dringendsten zu führen haben. Es soll auch eine Studie des Sozialwissen- schaftlichen Instituts der Bundeswehr geben, die besagt: Das ist in Deutschland nicht von zentralem Interesse. Ich glaube, auch die Soldaten, die aus einem Einsatz zurück- gekehrt sind, interessiert nicht, ob man sie als Veteranen bezeichnet. Das ist für einen 34-jährigen Industriemeis- ter, der als Hauptfeldwebel in Afghanistan im Einsatz war, sicherlich nicht der richtige Begriff, um sich damit identifizieren zu können. Sie können diese Debatte gerne zu einem guten Ende bringen, aber es ist nicht die wich- tigste Debatte, die wir zu führen haben. Wir sollten vielmehr eine andere Debatte führen – ich bin auch dankbar dafür, dass das schon zweimal ange- klungen ist –, aber wir müssten sie separat führen. Sie betrifft das, was Frau Bundeskanzlerin bei der Bundes- wehrtagung in Strausberg auf den Punkt gebracht hat – ich zitiere –: Um aber unsere sicherheitspolitischen Ziele erfolg- reich verfolgen zu können, sind wir als EU oder als NATO-Partner auch darauf angewiesen, dass in Zu- kunft auch andere Länder – insbesondere die, die wirtschaftspolitisch an Bedeutung gewinnen – Ver- antwortung übernehmen. Das sage ich ganz beson- ders im Hinblick auf Schwellenländer. Sie fügt dann hinzu: Oftmals reicht es aber nicht, neue Partner nur zu er- mutigen. Vielmehr geht es auch um Ertüchtigung. Ertüchtigung setzt bereits bei guter Regierungsfüh- rung an. Sie kann ebenso Ausbildung wie auch Un- terstützung bei der Ausrüstung bedeuten. Das sind bedeutungsschwere Ankündigungen. Es ist sozusagen eine Art Paradigmenwechsel in der Sicher- heitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Da geht es nicht mehr um Bündnisse, sondern um einzelne Länder in anderen Regionen, in denen wir nicht selbst sicher- heitspolitische Verantwortung übernehmen wollen. Das ist vielleicht keine Erfindung dieser Regierung, sondern wir haben schon bei dem von Rot-Grün beschlossenen Einsatz in Osttimor festgestellt, dass es nicht immer sinnvoll ist, dass Deutschland sich überall auf der Welt militärisch engagiert. Sicherlich sollten wir Partner haben, aber wir müssen auch die Debatte führen, welche Partner wir haben wol- len und welche Unterstützung wir ihnen geben wollen. Ausrüstungsunterstützung ist sicherlich nicht das Erste, was einem dazu einfällt. Vielleicht fangen wir besser mit politischer Unterstützung an und kommen dann zur Aus- bildungsunterstützung, Herr Minister. Jetzt haben Sie noch die Chance, bei der Bundeswehrreform nachzu- steuern und die Schulkapazitäten der Bundeswehr nicht ganz so stark zu reduzieren. Statt sie nur auf den eigenen Bedarf zu reduzieren, sollten Sie eher zusätzliche Kapa- zitäten für internationale Lehrgänge schaffen. Wenn Sie diese Politik machen wollen, brauchen Sie Ausbildungskapazitäten – vielleicht auch in Mali, aber zunächst einmal bei uns in Deutschland. Das kann man systematisch tun, wenn man eine solche Politik verfol- gen will. Rüstungsexporte in Länder, die für uns bisher nicht infrage gekommen sind, fallen uns nicht an erster Stelle ein. Natürlich ist Indien für uns ein Partner in diesem Bereich. Das ist richtig. Ob das auch für Indonesien gilt, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 208. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. November 2012 25493 (A) (C) (D)(B) wäre diskussionswürdig. Saudi-Arabien ist es ganz si- cher nicht, Herr Minister. Diese Diskussion müssen wir führen. Vielen Dank. Anlage 3 Erklärung der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über die Ausschussüberweisung der Stel- lungnahme der Bundesregierung zu den Fort- schrittsberichten „Aufbau Ost“ der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom- mern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für das Berichtsjahr 2010 (Tagesordnungs- punkt VI d) Hiermit erkläre ich im Namen meiner Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen, dass die Stellungnahme der Bundes- regierung zu den Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ auf Drucksache 17/8342 entgegen unserem anderslautenden Votum an den Haushaltsausschuss zur federführenden Beratung überwiesen werden soll. 208. Sitzung Inhaltsverzeichnis Epl 09 Wirtschaft und Technologie Epl 11 Arbeit und Soziales TOP VI, ZP1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP VII, ZP2 Abschließende Beratungenohne Aussprache Epl 17 Familie, Senioren, Frauen und Jugend TOP II Beschneidung Epl 30 Bildung und Forschung TOPIII Ärztliche Zwangsmaßnahmen im Betreuungsrecht Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720800000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.

Es ist heute nur darauf hinzuweisen, dass es eine in-
terfraktionelle Vereinbarung gibt, die verbundene Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP VI

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Ingrid
Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines
Registers über unzuverlässige Unternehmen

(Korruptionsregister-Gesetz)


– Drucksache 17/11415 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den am 12. September und am 4. Oktober
2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall been-
den

– Drucksache 17/11555 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

ZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP VII

Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Wertschöpfung im ländlichen Raum absi-
chern – Erzeugung und Einsatz reiner Pflan-
zenöle in der Land- und Forstwirtschaft aus-
bauen

– Drucksache 17/11552 –

Wie in solchen Fällen üblich, soll dabei von der Frist
für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, ab-
gewichen werden.

Gibt es dazu schon zu diesem frühen Zeitpunkt des
Tages größeren Widerstand? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist das damit so vereinbart.

Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013)


– Drucksachen 17/10200, 17/10202 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016

– Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Ich rufe Tagesordnungspunkt I.14 auf:

Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-
nologie





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


– Drucksachen 17/10809, 17/10823 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Klaus Brandner
Dr. Florian Toncar
Roland Claus
Priska Hinz (Herborn)


Zu diesem Einzeletat liegt ein Änderungsantrag der
SPD-Fraktion vor.

Interfraktionell ist eine Aussprache von zwei Stunden
vorgesehen. – Auch dies findet offenkundig große Zu-
stimmung. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Klaus Brandner für die SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1720800100

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine

lieben Kolleginnen und Kollegen!


(Rainer Brüderle [FDP]: Guten Morgen, Herr Brandner!)


– Es ist immer sehr schön, zu hören, dass man freundlich
dabei ist.

Bevor ich zum Haushalt komme, möchte ich es nicht
versäumen, mich zuallererst wirklich aufrichtig bei den
Berichterstattern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern des Haushaltsreferats im Wirtschaftsministerium
und auch bei Ihnen, Herr Minister, für die offene und
faire Zusammenarbeit zu bedanken. Sie war, wie immer,
durch Vertrauen geprägt, auch wenn es inhaltlich durch-
aus Unterschiede gibt. Die Zusammenarbeit auf dieser
Ebene war in der Tat sehr ordentlich; ich finde, so muss
es auch sein.

Heute gilt es, Resümee zu ziehen. Der Bundesminis-
ter hat Deutschland noch im letzten Jahr in der Haus-
haltsdebatte als die „Wachstumslokomotive in Europa“
gelobt.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Er hat recht behalten! – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Stimmt doch!)


So schwach, wie diese Lokomotive inzwischen auf der
Strecke ist, müssen selbst Sie von den Koalitionsfraktio-
nen sagen: Da fehlt es ein bisschen an Kohle und Befeue-
rung. – Von Wachstumslokomotive kann ja nun wahrlich
keine Rede mehr sein.

Beim Wirtschaftswachstum treten wir auf der Stelle.
Die Konjunkturprognosen der EU sprechen von einem
rückläufigen Bruttoinlandsprodukt, und auch die stei-
gende Arbeitslosenquote ist signifikant.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo ist denn die Arbeitslosenquote gestiegen? – KlausPeter Willsch [CDU/CSU]: Von welchem Land wird da gesprochen?)


Auch die Eckdaten des Sachverständigenrates zeichnen
für Deutschland ein schlechtes Bild, sowohl beim Brut-
toinlandsprodukt als auch – man höre! – bei den Kon-
sumausgaben, die rückläufig sind. Bei einem Rückgang
der Investitionen, insbesondere auch der Ausrüstungsin-
vestitionen, und einem sehr deutlichen Rückgang der
Exporte


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Redest du jetzt von rot-grüner Regierungszeit?)


verzeichnen wir zudem steigende Arbeitslosenzahlen.
Das muss uns alarmieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja Wahnsinn! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was haben Sie denn heute Morgen in Ihren Kaffee getan?)


– Sie mögen das ja verhöhnen, Herr Lindner, aber uns ist
schon aufgefallen, dass die Arbeitslosenzahlen vor dem
Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung steigen.
Wenn Sie mit Ihrer Lächerlichkeit, die Sie hier preisge-
ben, deutlich machen wollen, dass Sie die Lage nicht als
ernst bezeichnen, dann tut es mir leid; denn dann sind
Sie nicht auf der Höhe der Zeit, Herr Lindner.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ich glaube, Ihre Lage ist ernst!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
keiner kann darüber hinwegtäuschen, dass die Unterneh-
men weniger Expansionspläne haben. Viele Unterneh-
men denken über Jobabbau nach. In dieser Ausgangssi-
tuation legen Sie einen wenig ambitionierten Haushalt
vor, der keine besonderen Impulse für ein dauerhaftes,
nachhaltiges Wachstum setzt. Der Haushalt ist kraftlos
und nicht ambitioniert. Zusätzliche Wachstumsimpulse
sucht man in der Tat vergebens.

Herr Bundesminister, ich finde, diese Entwicklung
war absehbar. Es war absehbar, dass die Folgen der Fi-
nanzkrise vor Deutschland nicht haltmachen würden.
Natürlich hat diese Krise auch Auswirkungen auf unsere
wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Situation.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie meinen Nordrhein-Westfalen!)


Ihre Aufgabe wäre gewesen, hierfür Vorsorge zu treffen,
auch in dem Wissen, dass Reformen, die man heute an-
geht, erst nach einem Jahr oder sogar noch später greifen
werden. Jetzt geht die Reise rückwärts. Und was tun Sie?
Ein aktiver Gestaltungswille ist jedenfalls im Haushalt
des Wirtschaftsministeriums nicht erkennbar.

Auch im letzten Jahr haben Sie willkürlich und zag-
haft überall ein bisschen verändert. Man konnte den Ein-
druck gewinnen, hier bewegt sich etwas. Aber es war
eben überall nur ein bisschen: ein bisschen hier gekürzt,
ein bisschen da zugegeben. Eine erkennbare Linie war
nicht gegeben. Schon gar nicht haben Sie die Spielräume





Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)


genutzt, um ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum
zu aktivieren.

Als Beispiel sei nur die Steinkohlebeihilfe zu nennen.
Wegen der anhaltend guten Weltmarktpreise ist es mög-
lich, die Mittel dafür im Haushalt 2013 sogar um 52 Mil-
lionen Euro zu kürzen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Diese 52 Millionen Euro fallen Ihnen quasi in den
Schoß.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mindestens!)


Doch auch von diesen 52 Millionen Euro nutzen Sie nur
einen geringen Teil, um zum Beispiel die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-
tur“ aufzustocken. Hier wäre es ein Leichtes gewesen, un-
serem Antrag zu folgen und die benötigten Mittel
zumindest wieder wie auf Vorjahresniveau zur Verfügung
zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schließlich, so sei deutlich angemerkt, ist die GRW ein
Wachstumstreiber.

Bei den Haushaltsberatungen vor zwei Wochen haben
Sie noch verkündet, dass für die schwarz-gelbe Koali-
tion der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundeslän-
dern nach wie vor hohe Priorität habe. Die Realität ist
aber eine andere. Wo Mut und Entschlossenheit gefragt
sind, wo Sie Gas geben müssten, da kommen Sie nur im
Kriechgang voran. Schaut man sich die Zahlen für die
GRW aus den letzten Jahren an, so stellt man fest, dass
hier kontinuierlich gekürzt wurde.

Dass wir uns überhaupt noch auf dem heutigen Ni-
veau befinden, ist insbesondere dem Engagement der
SPD und, wie ich meine, auch dem Abgeordneten Luther
zu verdanken, der sich immer wieder für eine ausrei-
chende Finanzausstattung im Bereich der GRW ausge-
sprochen hat.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Mir kommen gleich die Tränen!)


Ja, der Ansatz für das Zentrale Innovationsprogramm
Mittelstand wird um 11 Millionen Euro erhöht. Das be-
grüßen wir natürlich. Dennoch kann eine Erhöhung beim
ZIM kein Ersatz für eine Kürzung bei der GRW sein. Im
Übrigen muss deutlich sein, dass man zwei sinnvolle
Förderprogramme nicht gegeneinander ausspielen darf,
sondern dass sie sich sinnvoll ergänzen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, Wachstumsimpulse ver-
misse ich auch bei der Energiewende. Der Koalitions-
vertrag von 2009 sieht noch ein neues Energiekonzept
vor. Wir alle wissen, dass das zwischenzeitlich bei Ihnen
mehrmals hin und her gegangen ist. Am Anfang setzten
Sie auf Atomstrom. Jetzt setzen Sie auf den schnellen

Ausstieg. Das ist gut so. Aber die Hausaufgaben dazu
haben Sie nicht gut gemacht.

Sie sagen, Sie wollen eine szenarienbezogene Leitli-
nie für eine saubere, zuverlässige und bezahlbare Ener-
gieversorgung entwickeln. Was ist eigentlich davon üb-
rig geblieben?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die Zeit läuft weg!)


Sie wollen eine Erhöhung der Energieeffizienz. Was ist
davon übrig geblieben?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Höhere Strompreise!)


Das hört sich zwar schön an, aber erreicht haben Sie in
diesem Bereich nach drei Jahren nicht viel.

Die Energiewende – das wissen wir – ist eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe. Das Ziel muss sein, bezahl-
bare Energie zur Verfügung zu stellen und Versorgungs-
sicherheit herzustellen. Aber dazu fehlt Ihnen ein
Masterplan. Es fehlt eine vernünftige Koordinierung der
Energiekonzepte zwischen Bund und Ländern.

Während Bayern beispielsweise auf Autarkie setzt
und am liebsten den Strom, der dort verbraucht wird,
vollständig selbst herstellen möchte, möchte Schleswig-
Holstein selbstverständlich den Strom, den es in den Off-
shorewindparks erzeugt, an die ganze Bundesrepublik
verteilen. Das passt nicht zusammen. Hier muss ein
schlüssiges Gesamtkonzept her. Das schreit geradezu
nach Koordinierung, zu der Sie bisher keine ausreichen-
den Beiträge geleistet haben.

Weiterhin stellt sich die Frage, wie es vereinbar ist,
dass Sie erneuerbare Energien ausbauen und die Effi-
zienz erhöhen wollen, aber gleichzeitig die Mittel für
Energieforschung um annähernd 5 Prozent und die Mit-
tel für Energieeffizienz um 2 Prozent kürzen. Auch im
weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen haben Sie
nicht die Kraft besessen, dem Einhalt zu gebieten, diesen
falschen Weg zu verlassen und deutlich zu machen, dass
Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
durch finanzielle Unterlegung tatsächlich umsetzen kön-
nen. Ich finde, das ist ein fatales Signal.


(Beifall bei der SPD)


Noch können Sie auf eine zentrale Voraussetzung für
das Gelingen der Energiewende – die Akzeptanz und die
Unterstützung durch die Mehrheit der Bevölkerung – zu-
rückgreifen. Diese Chance nutzen Sie aber nicht. Die
Akzeptanz beim Netzausbau schwindet. Wegen fehlen-
der Koordinierung blühen die Einzelinteressen. Wir erle-
ben überall in unseren Wahlkreisen, dass da, wo Netz-
ausbau stattfinden soll, der Ruf nach gallischen Dörfern,
nach Selbstversorgung, nach Autarkie zu hören ist. Oft
wird auf den kompletten Erdkabelausbau gesetzt. Der
Zickzackkurs, den Sie eingeschlagen haben, hat dazu ge-
führt, dass die Akzeptanz für die Energiewende immer
weiter schwindet. Das haben Sie, Herr Minister, alleine
zu verantworten.


(Joachim Poß [SPD]: Allein nicht! Die anderen auch! Unsere Regierung!)






Klaus Brandner


(A) (C)



(D)(B)


Da hilft es auch nicht, wenn Sie sagen, dass Sie dafür
Sorge tragen wollen, dass neue Trassen anstatt in zehn in
vier Jahren gebaut werden können, und dass Sie das da-
durch erreichen wollen, dass über Klagen gegen den
Netzausbau sofort höchstrichterlich entschieden werden
soll und dass Sie Umweltauflagen zeitweise außer Kraft
setzen wollen. Das ist gerade kein Paradebeispiel für or-
dentliche Bürgerbeteiligung. Dabei können Sie nicht auf
unsere Unterstützung zählen.


(Beifall bei der SPD)


Sie werden natürlich sagen: Ihr habt die EEG-Umlage
eingeführt. – Das ist ein richtiger Schritt gewesen. Wir
haben das mit Augenmaß gemacht. Ihre ausufernden
Ausnahmeregelungen für Unternehmen führen dazu,
dass die privaten Verbraucher am Ende derart belastet
werden, dass auch aus diesem Grund die Akzeptanz für
die Energiewende schwindet. Einzig erfreulich in diesem
Zusammenhang ist der Aufwuchs an Personal bei der
Bundesnetzagentur. Diese Erhöhung ist wichtig. Damit
ist ein Beitrag geleistet, dass die Aufgaben dort zukünf-
tig schneller und kompetenter erledigt werden können,
damit die Energiewende doch noch gelingt.

Ein anderes Beispiel dafür, dass Wachstumschancen
vergeben werden, ist die Förderung der Existenzgrün-
dung. In der Tat gibt es gerade durch Existenzgründun-
gen gute Möglichkeiten, dringende Wachstumsimpulse
zu setzen. Doch indem Sie die Aufhebung des Gewinn-
ausschüttungsverbots der KfW beschließen, sorgen Sie
dafür, dass erstens die Eigenkapitaldecke der KfW
schwindet und zweitens die Möglichkeiten für das För-
dergeschäft erheblich eingeschränkt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720800200

Herr Kollege, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1720800300

Damit sorgen Sie dafür, dass ein weiterer wichtiger

Beitrag für Wachstumsimpulse durch Ihre Politik der an-
geblichen Haushaltskonsolidierung unterlaufen wird.
Die Wachstumslokomotive, die wir jetzt dringend brau-
chen, wird dadurch nicht gestärkt, sondern geschwächt.
Sie haben im Haushalt zu wenig Wachstumsimpulse ge-
setzt und zu wenig Zukunftsvorsorge getroffen. Deshalb
können wir den Haushalt in dieser Form nicht mittragen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720800400

Das Wort erhält nun der Bundesminister für Wirt-

schaft und Technologie, Philipp Rösler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich

ebenfalls bei den Berichterstattern für die vertrauens-
volle und gute Zusammenarbeit bedanken.

Trotzdem wundere ich mich ein bisschen, sehr geehr-
ter Herr Abgeordneter Brandner, über das eben Gesagte.
Schauen Sie sich die Zahlen doch einmal ganz in Ruhe
und objektiv an – Sie sind doch auch Haushälter –: die
niedrigste Arbeitslosigkeit seit mehr als 20 Jahren,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Damit haben Sie nichts zu tun!)


die höchste Beschäftigung überhaupt in der Geschichte
unseres Landes,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Damit haben Sie nichts zu tun!)


1 Million Arbeitsplätze mehr als zu Ihrer Regierungs-
zeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Zu welchen Bedingungen? Reden Sie doch mal darüber!)


Deutschland geht es gut. Den Menschen geht es gut.
Diese Regierungskoalition steht dafür, dass genau dies
auch in Zukunft so bleibt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Sie regieren die Zahlen!)


Natürlich wissen wir alle, Herr Brandner: Die Zeiten
werden schwieriger,


(Klaus Brandner [SPD]: Sie haben keine Vorsorge getroffen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zickzack!)


zurückgehende Wachstumsdynamik in allen Regionen
der Welt, auch in Europa und in der Euro-Zone. Des-
wegen ist es unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, die
Wachstumskräfte zu stärken und gleichzeitig die Euro-
Zone weiter zu stabilisieren.


(Klaus Brandner [SPD]: Zu höheren Strompreisen!)


Genau das werden wir erreichen. Dabei sind wir gemein-
sam auf gutem Wege.

Alle europäischen Staaten arbeiten daran, ihre
Haushalte in den Griff zu bekommen, anders als die
Opposition im Deutschen Bundestag. Gleichzeitig wird
versucht, durch strukturelle Reformen auf dem Arbeits-
markt,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welche haben Sie denn in Deutschland durchgesetzt?)


in den sozialen Sicherungssystemen, in der Verwaltung
und bei der Privatisierung die Schwierigkeiten zu lösen
und durch eigenes Wachstum aus den selber gemachten
Schulden wieder herauszukommen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihr habt keine eigenen Reformen durchgeführt!)


Ihr Weg der Konjunkturpakete, noch dazu durch
Schulden finanziert, ist falsch; er ist eine Sackgasse.





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)



(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch kein Mensch beantragt! Das ist doch absurd! – Klaus Brandner [SPD]: Davon war bis gestern nirgendwo die Rede!)


Das zeigt, dass es gut ist, dass Sie keine Verantwortung
tragen, weder in Deutschland noch für Europa.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die beste Basis für mehr Wachstum sind natürlich
solide Haushalte. Das gilt zuallererst auch für den Bun-
deshaushalt.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Warum machen Sie es dann nicht? – Klaus Brandner [SPD]: Warum holen Sie von der KfW 1 Milliarde ab?)


Was haben die Grünen auf ihrem Bundesparteitag be-
schlossen? Ein neues Motto: „Grün statt Sparen“. Ich
finde das angesichts einer weltweiten Krise aufgrund zu
hoher Staatsschulden nicht witzig oder lustig.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo?)


Es ist zynisch, meine Damen und Herren, wenn man
sieht, wie sehr Sie die Gefahr, die von Staatsschulden
ausgeht, unterschätzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch mal was von Ponys! Damit kennen Sie sich aus!)


Sie sind die parteigewordene Verschuldung in
Deutschland.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie geht es eigentlich dem Frosch?)


Deswegen will ich Ihnen eines sagen: Ihre Schulden füh-
ren am Ende immer genau zu dem, was Sie danach in
einem zweiten Schritt fordern, nämlich neue Steuern und
Abgaben, weil Sie irgendwie die Schulden, die Sie
gemacht haben, wieder decken müssen. Das führt zu
weiteren Belastungen. Das beste Beispiel ist doch Ihre
merkwürdige Idee einer Vermögensabgabe bzw. in der
Folge eine Vermögensteuer.


(Klaus Brandner [SPD]: Er redet wie ein Praktikant! – Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Wie sieht denn die Vermögensteuer aus in Deutschland und Europa?)


Man kann immer über Ertragsteuern diskutieren – zu-
gegebenermaßen nicht mit uns. Aber über eine Sub-
stanzsteuer sollten wir alle gemeinsam nicht reden. Denn
sie trifft gerade den unternehmerischen Mittelstand in
Deutschland und die gesellschaftliche Mitte gleicherma-
ßen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was tun Sie denn für die Wettbewerbsfähigkeit in
Deutschland? Nichts. Die Regierungsfraktionen haben
gehandelt,


(Lachen der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


als es zum Beispiel darum ging, ein Hauptproblem
gerade für den Mittelstand zu lösen. Sprechen Sie mit
mittelständischen Unternehmerinnen und Unterneh-
mern!


(Klaus Brandner [SPD]: Wir tun das! – Johanna Voß [DIE LINKE]: Die sagen, dass diese Regierung nichts für sie getan hat!)


Sie werden Ihnen sagen: Wir brauchen zuallererst
Spezialisten, Techniker und natürlich auch Akademiker;
wir brauchen Fachkräfte.


(Klaus Brandner [SPD]: Was machen Sie dafür? Das ist doch die Frage!)


Wir arbeiten gemeinsam daran durch Hebung des in-
ländischen Fachkräftepotenzials. Aber gleichzeitig
kämpfen wir auch für die qualifizierte Zuwanderung in
den ersten Arbeitsmarkt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann sagen Sie das der CSU!)


All das, was wir auf den Weg gebracht haben – unser
Willkommensportal, aber auch die gezielte Suche nach
Zuwanderern aus einzelnen Staaten, ob Indonesien, In-
dien oder Vietnam; da kommen übrigens hervorragende
Fachkräfte her –, leisten wir gemeinsam,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 168 haben Sie hingekriegt!)


auch mit dem vorliegenden Haushalt für 2013. Denn wir
wissen: Eine der Hauptwachstumsbremsen ist der Fach-
kräftemangel in Deutschland.

Diese Regierungskoalition handelt. Wir sorgen dafür,
dass es auch künftig Fachkräfte geben kann, die zu uns
kommen und willkommen sind, weil sie einen Beitrag
dazu leisten, für unser Wachstum in Deutschland, für
Wohlstand und Beschäftigung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Brandner, Sie haben die Energiepolitik ange-
sprochen. Ich habe, um auf den großartigen Parteitag zu-
rückzukommen,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einen Superparteitag hätten Sie auch gerne mal! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kriegen Sie nicht hin!)


bei den Grünen gelesen, dass dort ein Antrag verabschie-
det wurde: Wo erneuerbare Energien wachsen, weicht
die Kohle. Das klingt ein bisschen wie ein Kirchenlied.
Das ist der Einfluss von Frau Göring-Eckardt.

Bei der Energiepolitik hilft aber nicht beten, sondern
wir müssen handeln.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie handeln nicht! Sie sind derjenige, der überhaupt nicht handelt!)






Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)


Wir müssen bei den Hauptkostentreibern bei den Strom-
preisen in Deutschland ansetzen. Wir brauchen eine
grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung der
erneuerbaren Energien.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie müssen die Ausnahmen reduzieren!)


Anders werden wir die Strompreise nicht in den Griff
bekommen. Dazu haben wir uns gemeinsam entschlos-
sen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Geradezu absurd ist Ihr Vorwurf, wir würden nichts
im Bereich der Energieeffizienz machen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau!)


Mit der Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit
stellen wir 1,5 Milliarden Euro zur Förderung der Ener-
gieeffizienz zur Verfügung. Ein Regierungsentwurf dazu
liegt im Vermittlungsausschuss.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollen die Länder bezahlen!)


Und wer blockiert diesen Entwurf aus rein ideologischen
Gründen? Das sind die Kollegen von der Opposition. Es
ist doch unglaubwürdig, wenn hier jetzt Maßnahmen zur
Energieeffizienz gefordert werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn es darauf ankommt, dann können sich die Men-
schen eben nicht auf Rote und Grüne, schon gar nicht
auf die Linken, verlassen, auch nicht bei dem Thema
Energieeffizienz.


(Klaus Brandner [SPD]: Aber Sie sprechen hier als Minister!)


Wenn wir schon beim Thema Vermittlungsausschuss
sind: Wer Wachstumskräfte stärken will, der stärkt dieje-
nigen, die Wachstum für unser Land möglich machen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach Gott!)


Das sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Deswegen haben wir einen Gesetzentwurf zur Bekämp-
fung der kalten Progression auf den Weg gebracht. Wir
wollen, dass gerade die Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen etwas von ihrer geleisteten Arbeit haben.
Auch diesen Gesetzentwurf blockieren Sie im Bundes-
rat. Ich frage mich: Was ist eigentlich aus der sozial-
demokratischen Partei geworden, wenn sie aus parteitak-
tischen und ideologischen Gründen eine Politik gegen
die kleinen Leute in unserem Lande macht?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das hat doch Tradition bei denen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Kümmern Sie sich doch mal um die FDP! Als Erstes fliegen Sie in Niedersachsen raus!)


– Ich weiß, dass Ihnen das wehtut, Herr Kollege Heil,
aber das ist nun einmal die Wahrheit. Sie haben längst

vergessen, wer eigentlich in Deutschland die Leistung
tatsächlich erbringt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nicht! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist doch schon lange keine Partei der Arbeiter mehr! Das ist eine Partei der Oberlehrer, der Soziologen und der Politologen!)


Deswegen werden wir alles dafür tun, um unseren
Unternehmen neue Märkte zu erschließen. Ein gutes
Beispiel ist die künftige Verschmelzung der Industrie
– eine bekannte Stärke der deutschen Wirtschaft – mit
modernen Kommunikationstechnologien.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat das mit Ihnen zu tun?)


Wir nennen das Industrie 4.0, wenn Industrie und Tele-
kommunikation miteinander verschmelzen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


– Ich weiß, Sie haben ganz aktuell einige Probleme mit
Telekommunikation und IT-Beratern. – Aber das ist die
Chance für die deutsche Industrie. Gerade hier setzen
wir Akzente, auch mit dem vorliegenden Etat.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn?)


Es geht darum, junge, kreative Menschen und Unter-
nehmen zu fördern. Wir wollen die Gründungskultur in
Deutschland stärken.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind doch Sprechblasen!)


Deswegen haben wir erstmals die Möglichkeit geschaf-
fen, auf Risikokapital zurückzugreifen. Im nächsten Jahr
stellen wir 30 Millionen Euro zur Verfügung, in der
Folge 120 Millionen Euro, also 150 Millionen Euro zur
Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Gerade wenn es darum geht, in dem hochinnovativen
Bereich der IT-Technologie neue Unternehmen zu för-
dern, ist das sehr wichtig.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist denn die steuerliche Forschungsförderung, von der Sie immer gesprochen haben?)


Das ist ein ganz konkretes Beispiel für die Stärkung des
Mittelstandes in Deutschland und für die Stärkung der
neuen Industrien.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Fachkräftesicherung, Bezahlbarkeit von Energie,
neue Chancen durch neue Märkte, durch Neugründun-
gen, durch Innovation – all das zeigt, dass wir es natür-
lich schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit auch in schwie-
rigen Zeiten weiter zu stärken. In Kombination mit
solidem Haushalten ist das der beste Weg, um für
Wachstum auch in dem schwierigen Jahr 2013 zu sor-
gen. Ihre Rezepte werden am Ende nicht funktionieren:
nur neue Schulden, auch zulasten nachfolgender Genera-
tionen, und Steuern und Abgaben zulasten aller Genera-
tionen in unserem Lande.





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)


Daran zeigt sich der entscheidende Unterschied zwi-
schen der Opposition, die es auch ewig bleiben wird,


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie schon mal was von Demokratie gehört? – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Ewigkeitsgarantie des Herrn Rösler!)


und der Regierungskoalition. Sie denken nur an das
Umverteilen, aber diese Koalition kämpft für diejenigen,
die den Wohlstand, den wir erleben dürfen, alltäglich er-
arbeiten. Wir denken an das Erwirtschaften. Es würde
Ihnen gut anstehen, wenn Sie das Gleiche täten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720800500

Roland Claus ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720800600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Bundesminister Rösler, damit sich dieser
Irrtum nicht bei Ihnen festsetzt und Sie die Opposition
im Deutschen Bundestag und die Kirchen gleich mit
nicht weiter diskriminieren,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das tun Sie schon selber!)


sage ich Ihnen hier eindeutig: Opposition ist Verantwor-
tung und nicht Verantwortungslosigkeit. Das haben Sie
bis vor kurzem auch noch so gesehen. Daran muss man
Sie erinnern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es angebracht
ist, sich mit Schadenfreude über die Umfragewerte ande-
rer Parteien zurückzuhalten. Dem will ich auch gerne
nachkommen. Aber es geht hier nicht um den Parteivor-
sitzenden Philipp Rösler, sondern um den Bundeswirt-
schaftsminister. Was Sie für Ihren Nebenjob versprochen
haben, Herr Minister, muss doch auch für das Minister-
amt gelten: Sie wollten liefern. Mit Ihrem Etat und mit
der Rede, die wir soeben gehört haben, sind Sie aber
– das muss ich Ihnen so deutlich sagen – in einen einzi-
gen Lieferstreik getreten, und das nehmen wir natürlich
nicht hin.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das würde Ihnen keine Opposition dieser Welt durchge-
hen lassen und schon gar nicht die demokratische Linke
im Deutschen Bundestag.

Sie sagen: Es ist alles gut am Arbeitsmarkt. Aber Fakt
ist: Leiharbeit und Niedriglohn haben ein ungeheures

Ausmaß angenommen. Dieses Ausmaß ist im Osten
– daran will ich erinnern – doppelt so hoch wie im Bun-
desdurchschnitt. Junge Leute beginnen ihr Arbeitsleben
in aller Regel mit Zukunftsungewissheit. Sie erhalten
beispielsweise im Gastronomiegewerbe Arbeitsverträge
mit einer Laufzeit von zehn Monaten und sollen dann die
restlichen zwei Monate bei der Bundesagentur für Arbeit
quasi überwintern. Gestern haben wir Ihre neue Losung
gehört, wir hätten es hier mit der erfolgreichsten Bun-
desregierung seit der Wiedervereinigung zu tun.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist richtig! Sie müssen einfach die Fakten zur Kenntnis nehmen!)


Das Bundespresseamt hatte die Losung der Woche for-
muliert – das ist von Ihnen, nicht von mir –: Der
Aufschwung ist bei den Menschen angekommen. – Ich
erlebe immer wieder, dass Menschen, die in schlecht
bezahlten Jobs arbeiten, diese Losungen und diese
Schönrederei als einen Zynismus und als eine Verhöh-
nung ihres Lebens empfinden.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihr Haushaltsplan ist während der Beratungen leider
nicht besser geworden. Aber wir haben redlich versucht,
ihn zu korrigieren. Bei aller selbstkritischen Analyse, die
ich unserem Antrag gegenüber noch einmal an den Tag
gelegt habe, musste ich feststellen: Es waren allesamt
gute Vorschläge. Ich will Ihnen nur vier Beispiele
nennen:

Erstens. Wir wollten uns dafür einsetzen, dass es eine
bessere Ausstattung des Bundeskartellamtes gibt. Das ist
eine Behörde, bei der interessanterweise jeder Euro, den
man ihr zukommen lässt, 7 Euro hervorbringt. Eine bes-
sere Ausstattung ist auch deshalb erforderlich, weil das
Kartellamt bekanntlich dafür zuständig ist, den Wett-
bewerb zu überwachen. Die Leute interessiert es
momentan wirklich sehr, ob es an den Zapfsäulen und an
den Stromzählern mit rechten Dingen zugeht.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre also gut gewesen, unserem Antrag zu folgen.
Ich bin mir ziemlich sicher: An diesem Vorschlag kom-
men Sie nicht vorbei. Irgendwann werden Sie das Ganze
selber machen, und Sie werden sehen: Opposition wirkt;
Opposition ist alles andere als Verantwortungslosigkeit.
Mir wird zuweilen mit Blick auf das Kartellamt vorge-
halten: Man darf das mit der Kontrolle nicht übertreiben.
Ich gehe einmal davon aus, dass auch der Freiheits-
begriff der Liberalen nicht die Freiheit zu Gesetzesver-
letzungen meint.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, im Be-
reich von Luft- und Raumfahrt Subventionen abzu-
bauen. Dieser Bereich wird gigantisch subventioniert.
Sie protegieren hier staatsnahe Monopolisten, und das
mit einem FDP-Minister. Dass Ihnen das noch ein Sozia-
list sagen muss, das ist ja nun wirklich ein dicker Hund.
Mit diesen Subventionen fördern Sie auch die Rüstungs-





Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)


produktion. Wir sagen Ihnen: Wer Rüstungsgüter produ-
ziert, verdient natürlich auch am Gebrauch dieser Güter.
Klarer gesagt: Rüstungsproduktion verdient am Krieg.
Das wollen wir nicht. Sie haben zwar auch unsere
Anträge, die sich darauf bezogen, abgelehnt, aber Sie
werden damit wieder zu tun haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Die Wirtschaft im Osten verdient mehr
Unterstützung. Die Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ – sie
ist hier schon angesprochen worden – betrifft zu sechs
Siebteln den Osten. Deshalb unterstützen wir auch die
Anträge, die Mittel für diese Aufgabe wieder auf das bis-
herige Niveau anzuheben.

Ich muss Ihnen noch eine Vorhaltung machen. Sie ha-
ben vollmundig verkündet, bis zum Jahre 2019 500 Mil-
lionen Euro mehr für die Forschung in Ostdeutschland
einzubringen. Das hat natürlich auch mit Ihrem Etat zu
tun, Herr Minister Rösler. Wir haben einmal nachge-
schaut, was genau passiert ist. Ich wiederhole: 500 Mil-
lionen Euro zusätzlich waren versprochen. Was haben
Sie gemacht? Sie haben alles, was bisher schon vorhan-
den ist, neu sortiert, haben neue Überschriften formu-
liert. Sie haben es gerade einmal geschafft, im Etat für
2013 zusätzlich 10 Millionen Euro – versprochen waren
500 Millionen Euro – einzustellen. Das kann man Ihnen
nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viertens. Wir haben angesichts komplizierter wirt-
schaftlicher Entwicklungen, die bevorstehen, vorge-
schlagen, wenigstens die Kriseninstrumente auf Stand-
by zu stellen, also sicherzustellen, dass man das Arbeits-
losengeld I schnell abrufen könnte, dass man den Inves-
titions- und Tilgungsfonds und Konjunkturprogramme,
so wie Sie es eben getan haben, nicht diskriminiert, son-
dern gewissermaßen vorhält. Auch diese Vorschläge ha-
ben Sie abgelehnt.

Meine Damen und Herren, die Linke will eine Wirt-
schaftspolitik, die Mittelstand und Existenzgründern
Chancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft,
von der Beschäftigte sorgenfrei leben können, und die so
zu mehr Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleicher-
maßen beiträgt. Kleiner geht es nicht.

Die Linke hat mindestens vier Alleinstellungsmerk-
male, vielleicht auch Erfahrungsvorsprünge in Sachen
vernünftiger Wirtschaftspolitik.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das habt ihr ja bewiesen!)


Erstens. Die Linke weiß genau, wie es nicht geht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Es möge sich melden, wer mit mir in den Wettbewerb
treten will.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Die Linke will als Einzige die Übermacht
der Finanzmärkte über die Realwirtschaft stoppen.


(Beifall bei der LINKEN)


In dieser Woche haben wir bei den sogenannten Schat-
tenbanken von einem Umsatz von über 50 Billionen
Euro gehört. Da geht es nicht mehr um Regulieren, son-
dern um Abschalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Die Linke kann als einzige von sich sagen:
Wir können auch Osten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na ja!)


Die Linke ist die Einzige, die nicht von der Finanzbran-
che und der Großindustrie Parteispenden einsteckt. Die
wollen wir auch gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr habt schon genug zur Seite gebracht nach der Wende!)


Ihr Plan A von einer vernünftigen Wirtschaftsentwick-
lung hat versagt. Es muss ein Plan B her.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Auch der Nachbau des Westens im Osten
funktioniert nicht. Deshalb brauchen wir einen neuen so-
zialökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesell-
schaft, bei dem Soziales und Ökologisches in der Tat zu-
sammengehen. Das geht zu machen. Das geht immer
auch anders, aber das geht nur mit links.


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Brüderle [FDP]: Wenn das der Erich wüsste!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720800700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Michael Luther das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1720800800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als die Debatte heute durch den Kollegen
Brandner eröffnet wurde, habe ich mich kurz orientiert,
ob wir tatsächlich im Deutschen Bundestag sind. Der
Adler zeigt mir, dass ich doch richtig bin. Dann ist Herr
Brandner gedanklich woanders, vielleicht vor dem fran-
zösischen Parlament oder dem spanischen Parlament.
Wenn er davon redet, dass die Arbeitslosigkeit in
Deutschland steigt, dann erinnere ich ihn daran, dass die
rot-grüne Regierungszeit mit 5 Millionen Arbeitslosen
geendet hat. Wir haben diese Zahl jetzt fast um die
Hälfte reduziert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen!)


Sie ist im Monatsvergleich von September bis Oktober
wiederum, wenn auch nur leicht, zurückgegangen. Ich
weiß nicht, von wem Sie geredet haben, aus welchem
Land Sie berichtet haben. Wir sind hier in Deutschland.





Dr. Michael Luther


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen hat Herr Brandner schon Strukturreformen durchgesetzt!)


Sie haben bezweifelt, dass Deutschland die Wachstums-
lokomotive in Europa ist. Vielleicht schauen Sie tatsäch-
lich einmal in andere Länder. Ich will Ihnen das an ei-
nem Beispiel versuchen zu erklären. Schauen Sie sich
die Goethe-Institute in Südeuropa an:


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie kürzen ja gerade da!)


in Spanien, in Portugal, in Griechenland. Sie können
sich kaum vor Leuten retten, die Deutsch lernen wollen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deshalb kürzen Sie bei den Goethe-Instituten! Gute Idee!)


Warum? Weil sie eine Chance für sich sehen, in
Deutschland Arbeit zu finden. Das heißt also, die Men-
schen außerhalb von Deutschland schätzen die Situation
hier ganz anders ein. Deswegen stellt sich für mich die
Frage, über welches Land Sie in Ihrer Rede gesprochen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich will klar sagen: Wir
stehen gut da in Europa. Wir bieten Chancen für die
Menschen in unserem Land. Sie haben Arbeit. Sie be-
kommen Arbeit. Die Beschäftigungsquote ist so hoch
wie noch nie. Die Arbeitslosgenquote ist so niedrig wie
seit langem nicht mehr. Das sind Fakten, an denen man
einfach nicht vorbeikommen kann. Dafür gab es auch
Gründe. Wir haben in Deutschland zeitig genug einen
Reformkurs eingeleitet, im Übrigen mit der SPD. Sie hat
sich allerdings heute von den richtigen Erkenntnissen
und den Fakten, die damals eingeleitet wurden, mittler-
weile verabschiedet. Das ist das Wichtige und das We-
sentliche. Die schwarz-gelbe Koalition hat in dieser Le-
gislaturperiode mit ihrer soliden Konsolidierungspolitik
ganz konsequent diesen Weg fortgesetzt. Das Ergebnis
sehen wir heute: Deutschland steht so gut da, wie seit
langem nicht mehr.

Meine Damen und Herren, darauf dürfen wir uns aber
nicht ausruhen, sondern wir müssen nach vorn schauen.
Wie geht es weiter? Wir leben in einer globalen Welt,
und eine globale Welt verändert sich. Dabei denke ich
zum Beispiel an China, an Brasilien und an andere Län-
der. Diese werden in einer globalen Welt immer stärker.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es in Zukunft an-
dere Wettbewerbsbedingungen gibt, und das machen
wir. Das machen wir auch ganz konkret mit unserem
Haushalt. Ich will mit ein paar Beispielen zeigen, wie
wir diesen Prozess durch Haushaltspolitik unterstützen.

Dabei denke ich an den Bereich Innovation, Mobilität
und Technologie sowie den Bereich der Spitzentechno-
logie. So erhält zum Beispiel die Luft- und Raumfahrt
im nächsten Jahr 35 Millionen Euro mehr. Die Opposi-
tion hat in den Haushaltsberatungen bisher immer eine
Absenkung dieser Mittel verlangt. Ich glaube, Sie haben
nicht begriffen, dass es hierbei um Hightechförderung
geht. Das ist keine sinnlose Spielerei, vielmehr sind die

Erkenntnisse der Hightechforschung, die wir heute ge-
winnen, die Basis für die Wirtschaft von morgen.

Ich denke auch an den Mittelstand, das Rückgrat un-
serer Gesellschaft. Wir unterstützen die Forschungs-
infrastruktur des Mittelstands mit 200 Millionen Euro.
Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, kurz
ZIM genannt, wird im nächsten Jahr über ein Volumen
von über einer halben Milliarde Euro verfügen. Das ist
mehr als am Anfang der Legislaturperiode.

Ich denke aber auch an den Außenhandel. Als größte
europäische Volkswirtschaft können wir auf eine über-
zeugende Außenwirtschaftsförderung nicht verzichten.
Aus vielen Gesprächen mit Mittelständlern weiß ich,
dass wir gerade auf diesem Gebiet gut aufgestellt sind.
Das Engagement auf internationalen Fach- und Indus-
triemessen braucht keinen Vergleich zu scheuen. Als
Haushälter tragen wir auch gerne dafür Sorge. Auch das
neu gebündelte Programm „Erschließung von Auslands-
märkten“ mit einem Volumen von 80 Millionen Euro
leistet einen Beitrag zu diesem Erfolg.

Da ich gerade beim Außenhandel bin, will ich an die-
ser Stelle einen kleinen Einschub machen. In diesem
Jahr fand die Weltausstellung in Südkorea statt. Der
deutsche Pavillon hat zum zweiten Mal in Folge nach
der Expo in Schanghai den ersten Preis gewonnen. Da-
mit hat der deutsche Pavillon gezeigt, was Deutschland
ist, nämlich ein Land, das in der Lage ist, Zukunftsfra-
gen zu beantworten, und ein Land, das innovativ ist. An
dieser Stelle möchte ich mich noch einmal recht herzlich
bei der Mannschaft des BMWi bedanken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat der Wirtschaftsminister aber nicht so viel zu tun!)


Ich will noch ein Wort zur Energiewende sagen. Die
Energiewende ist und bleibt unsere gemeinsame wich-
tige Herausforderung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch etwas!)


Die Bundesregierung hat beschlossen, dass wir weg vom
Atomstrom wollen. Mittelfristig bedeutet das auch, dass
wir weg wollen von fossilen Energieträgern und hin zu
erneuerbaren Energien. Ein Anfang ist gemacht. Ich sage
aber ganz bewusst: nur ein Anfang.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Energiewende schläft gerade!)


Ich weiß nicht, ob jedem hier im Haus und insbesondere
jedem bei der Opposition wirklich klar ist, was es bedeu-
tet, die Energiewende zum Erfolg zu führen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihnen ist das nicht klar! Das ist das Problem!)


Ich will eines unterstreichen, was der Minister auch
schon gesagt hat. Das EEG hat bislang seine gute Wir-
kung gezeigt. Es muss aber geändert werden; denn es ist
eine grenzenlose Angebotsförderung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Rösler will es abschaffen!)






Dr. Michael Luther


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb muss das EEG geändert werden hin zu einer
nachfragegerechten Förderung; denn sonst wird uns die
Energiewende nicht gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mit dem Haushalt konnten und mussten wir die Vo-
raussetzungen schaffen, dass der Netzausbau gelingt. In
diesem Zusammenhang gibt es das Netzausbaubeschleu-
nigungsgesetz. Deshalb haben wir bei den Behörden, die
für die Umsetzung verantwortlich sind, dem Bundeskar-
tellamt und der Bundesnetzagentur, die entsprechenden
auch personellen Voraussetzungen geschaffen, damit sie
ihre Aufgaben administrativ bewältigen können.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch Bezug
nehmen auf ein besonderes Thema, und zwar auf das
Thema Wismut. Ich bin mit dieser Situation bestens ver-
traut. Seit 1990 bin ich im Parlament; etwa 1991 war ich
im Wirtschaftsausschuss zuständiger Berichterstatter für
dieses Thema. Es begleitet mich also seit 20 Jahren. Wir
befinden uns jetzt in der finalen Phase. Es ist gelungen,
mit diesem Haushalt die finanziellen Voraussetzungen
zu schaffen und den bis 1990 aktiven Wismut-Bergbau
mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, sodass
die Sanierung zu Ende gebracht werden kann.

Darüber hinaus kann man sagen, dass das sogenannte
Folgeabkommen zur Sanierung der Wismut-Altstand-
orte, das sich etwas schwierig gestaltet hat, auch auf ei-
nem guten Weg ist. Wir haben im Haushalt auf jeden
Fall die Voraussetzungen geschaffen und für 2013 und
die folgenden Jahre die Barmittel und die entsprechen-
den Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Das Geld
steht bereit. Sobald die Länder die letzten rechtlichen
Voraussetzungen geschaffen haben, kann das Geld dann
abfließen.

Ich will mich an dieser Stelle noch einmal herzlich
beim Deutschen Bundestag für die hervorragenden soli-
darischen Leistungen bedanken, die bei diesem schwie-
rigen Thema mittlerweile zu einem guten Erfolg geführt
haben.

Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-
nalen Wirtschaftsstruktur“ ist ebenfalls angesprochen
worden. Es ist schon richtig erwähnt worden, dass wir
bei den Haushaltsberatungen in der Bereinigungssitzung
dafür gesorgt haben, dass die GRW-Mittel gegenüber
dem Regierungsentwurf aufgestockt worden sind, und
zwar um den Betrag, den wir Anfang der Legislaturpe-
riode vereinbart hatten, nämlich 14 Millionen Euro in
den Barmitteln und entsprechend in den Verpflichtungs-
ermächtigungen.

Man kann sich natürlich mehr wünschen, aber man
kann nicht auf der einen Seite von Haushaltskonsolidie-
rung reden und dann auf der anderen Seite keine Maß-
nahmen treffen. Wir haben, glaube ich, einen guten Mit-
telweg gefunden, indem wir sagen: Wir erhöhen um den
Betrag, der notwendig ist – um die besagten 14 Millio-
nen Euro – und leisten gleichzeitig einen Beitrag zur
Haushaltskonsolidierung. Im Übrigen reduzieren wir
den Einzelplan 09 insgesamt um 60 Millionen Euro, um
damit auch einen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Brandner, eines muss ich an dieser Stelle noch
einmal sagen – das habe ich bereits in der ersten Lesung
gesagt –: Die SPD hat in der Zeit rot-grüner Regierungs-
verantwortung die GRW halbiert. Ja, halbiert. In der Op-
position ist es einfach, zu erzählen, wie schön das Leben
ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Die Situation ist doch gut! Das wissen Sie doch!)


Wenn es jedoch drauf ankommt, dann müssen Sie zei-
gen, was Sie können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch zwei Bemerkungen machen. Auch ich will
mich recht herzlich beim Wirtschaftsminister und bei
seinen Mitarbeitern für die gute Vorbereitung des Haus-
haltes bedanken. Ich möchte mich auch bei meinen Mit-
berichterstatterkollegen für die kollegiale Zusammen-
arbeit bedanken. An dieser Stelle möchte ich mich auch
einmal bei unseren Mitarbeitern bedanken, die, glaube
ich, in den letzten Wochen und Monaten viel zu leiden
hatten und immer unsere Zuarbeit machen mussten.

Der Etat des Wirtschaftsministeriums ist solide und
gut beraten. Aus diesem Grunde kann ich die Annahme
empfehlen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720800900

Das Wort erhält nun die Kollegin Priska Hinz vom

Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Rösler, ich habe mich bei Ihrer Rede ge-
fragt, auf welchem Weg Sie eigentlich sind, und bin zu
dem Schluss gekommen: Sie sind mit Ihrer Wirtschafts-
politik auf dem Weg ins Nirwana.


(Zurufe von der CDU/CSU: Was?)


Die Euro-Krise geht ins vierte Jahr. Aufgrund der einsei-
tigen Sparpolitik, die die Regierung in Europa durchge-
drückt hat und an der der Wirtschaftsminister ja nicht
unschuldig ist, gibt es inzwischen in vielen EU-Mit-
gliedstaaten eine Rezession, darauf folgend eine Kon-
junktureintrübung auch in Deutschland.

Man fragt sich: Mit welchem Politikansatz stemmt
sich ein Wirtschaftsminister in Deutschland gegen die-
sen Trend? Welche wirtschaftlichen Anreize werden im
positiven Sinne gegeben? Welche Rahmenbedingungen
werden denn für uns und die EU verändert? Da kann ich
nur sagen: große Fehlanzeige, was das Handeln dieses
Wirtschaftsministers und dieser Koalition angeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sie können ja morgens auch mal was Nettes sagen!)






Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)


– Uns ist keine einzige Initiative von diesem Wirt-
schaftsminister in Erinnerung, die irgendwie zu etwas
Positivem geführt hat. Da paart sich aus meiner Sicht
Unvermögen mit Unwillen.

Zum Thema Energiewende. Wir hören da nur, dass
das EEG geschleift werden muss. Von der Steigerung der
Energieeffizienz und ihren positiven Konsequenzen hat
der Wirtschaftsminister anscheinend noch nie etwas ge-
hört. Er hat auf die Frage der steuerlichen Förderung der
Gebäudesanierung angespielt.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja! Jetzt wird es mal interessant!)


Da kann man doch nur sagen: Es ist ein Unding, zuerst
immer nach Steuersenkungen zu rufen, den Ländern die
Kassen zu leeren


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


und hinterher zu glauben, die Länder könnten bei der
steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung die
Hauptbürde tragen. Das funktioniert so nicht, meine Da-
men und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Wirtschaftsminister hat der Einrichtung eines
Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“, EKF, zu-
gestimmt. Damit ist er die Hauptverantwortlichkeit für
das Energiethema sozusagen los. Denn bei diesem Topf
herrscht so ein Gemauschel: Keiner weiß so recht, was
daraus eigentlich finanziert wird. Das Ende vom Lied ist,
dass nicht einmal die Energieforschungsmittel erhöht
werden.

Zum Thema „Nationale Plattform Elektromobilität“.
Da ist auch kein positives Signal zu vermelden. Sie er-
reichen doch gar nicht die Zielzahlen, die Sie in den
Raum gestellt haben. Das ist keine positive Politik für
die Wirtschaft in diesem Lande, meine Damen und Her-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Thema Mittelstand und Mittelstandsförderung.
Außer einer eigenwilligen Interpretation des Ministers,
was eigentlich „Mittelstand“ bedeutet, haben wir in den
Beratungen nicht viel gehört. Mittelstand sei, wenn sich
ein Eigentümer mit seinem Unternehmen verbunden
fühle, das ist die Aussage des Wirtschaftsministers. Kein
Wunder, dass viele Förderprogramme so ausgestaltet
sind, dass der Anteil der KMUs an den geförderten Un-
ternehmen unter 5 Prozent liegt. Man muss die Pro-
gramme doch so ausrichten, dass sie den Mittelstand er-
reichen, dass sie kleine und mittlere Unternehmen in der
Transformation unterstützen. Wir haben mit unseren An-
trägen gezeigt, wie man ökologische Modernisierung
buchstabieren muss und sie in einem Haushalt ausfinan-
zieren kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wo bleibt eigentlich der
Wirtschaftsminister, wenn es um die KfW geht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da sitzt er in einer Koalitionsrunde, die beschließt, dass
die KfW künftig


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Geplündert wird!)


Gewinnausschüttung betreiben und den Haushalt sanie-
ren soll. Aber die KfW ist eine Förderbank für die Wirt-
schaft, für die kleinen und mittleren Unternehmen, für
die ökologische Modernisierung. Und da hebt der Wirt-
schaftsminister die Hand, wenn beschlossen wird, dass
die KfW geplündert werden soll? So sieht Wirtschafts-
politik bei Ihnen aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich weiß gar nicht, woher Sie es nehmen, zu behaup-
ten, dass Sie auf einem guten Wege sind, zum Beispiel
bei den Fachkräften. Die Bluecard – die Einführung war
Ihre wunderbare Initiative für die Gewinnung von Fach-
kräften aus dem Ausland – wurde bislang 139-mal ver-
geben.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Seit gut acht Wochen ist das in Kraft!)


139 Bluecards wurden vergeben, und 112 der Menschen,
die sie bekommen haben, waren bereits in Deutschland.
Das ist die positive Bilanz dieses Wirtschaftsministers,
was Fachkräftegewinnung angeht. Man glaubt es einfach
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das war bei Schröder aber nicht viel anders mit seiner Greencard! Komm, komm, komm! Holen wir mal die Zahlen raus!)


Man fragt sich, warum Fachkräfte jetzt primär in Indo-
nesien, Indien und Vietnam angeworben werden sollen.
Wenn man nach Portugal und Spanien reist, erlebt man,
dass dort händeringend darum gebeten wird, gemeinsam
mit ihnen die Sprachbarrieren zu senken, um gut ausge-
bildeten, hochqualifizierten Menschen die Möglichkeit
zu geben, in Krisenzeiten Mobilität zu beweisen und
hierherzukommen, zumindest temporär, bis der Auf-
schwung in diesen Ländern wieder ankommt. Das wäre
gelebte europäische Solidarität und eine Möglichkeit,
hier den Bedarf an Fachkräften zu decken. Aber davon
versteht der Wirtschaftsminister auch nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Beim Thema Euro-Krise und Griechenland hat er sich
völlig vergaloppiert. Während der Wirtschaftsminister
von einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ge-
schwafelt hat, ist er mit einer Unternehmerdelegation
dorthin gereist. Aber wenn man Unsicherheiten verbrei-
tet, dann bringt man natürlich keinen deutschen Unter-
nehmer dazu, zu investieren. Die Troika hat deutlich ge-
macht – wörtlich –:





Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)


Die breite Diskussion über einen „Grexit“ auf den
Märkten und sogar unter den Gläubigern hat Grie-
chenland sehr geschadet.

Das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen,
Herr Minister Rösler. Noch am 26. August haben Sie
wörtlich gesagt:

Die Forderung der Griechen, ein halbes oder gar
zwei Jahre nachzugeben, kann schon deswegen
nicht funktionieren, weil es nicht nur eine Frage der
Zeit ist. … Sondern jeder muss wissen: Zeit bedeu-
tet immer auch Geld.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er recht!)


Damals haben Sie das also noch abgelehnt. Als Fazit
kann man nur ziehen: Wenn Sie in Bezug auf den Euro
und die Wirtschaftspolitik in Deutschland immer so
falsch liegen, dann gehören Sie in die Opposition.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außerparlamentarisch!)


Wenn Sie, falls überhaupt, in der Opposition sitzen, wer-
den Sie erleben, dass die Wählerinnen und Wähler klü-
ger sind, als Sie uns heute in Ihrer Rede Glauben machen
wollten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Zunächst haben die klugen Wähler Sie in die Opposition geschickt! Da werden Sie auch bleiben!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720801000

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Martin Lindner

nun das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1720801100

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren!

Nach drei Jahren Regierungszeit ist es Zeit, eine Zwi-
schenbilanz zu ziehen, und die macht man in einer Haus-
haltsdebatte üblicherweise mit Zahlen.

Die erste schwarz-gelbe Zahl, die ich hier in den
Raum stelle, ist 41,6 Millionen. Im August 2012 waren
insgesamt 41,6 Millionen Menschen mit Wohnort in
Deutschland erwerbstätig und damit 423 000 mehr als
im Vorjahr. Noch nie hatten mehr Menschen Arbeit in
Deutschland als heute. Das ist gut so.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


500 Industriearbeitsplätze entstehen jeden Tag, auch
2012. 6,5 Prozent beträgt die Arbeitslosenquote. Unter
Schwarz-Gelb hat die deutsche Wirtschaft 1,6 Millionen
zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
geschaffen. Das ist eine Erfolgsstory, wie sie im Moment
kaum in einem anderen Land der Erde geschrieben wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das hat eine Ursache. Herr Heil, es ist doch kindisch,
zu behaupten, das alles habe mit Schwarz-Gelb nichts zu
tun.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist die Tatsache!)


Schröder war 1998 noch gar nicht im Amt und hat den
Aufschwung Ende 1998 bereits damit erklärt, dass dies
im Vorgriff auf seine Kanzlerschaft geschehen sei.


(Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU])


Nun billigen Sie uns nach über drei Jahren an der Regie-
rung unsere Erfolge nicht zu. Damit machen Sie sich lä-
cherlich. An der Wahrheit geht das vorbei. Das ist ganz
klar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die nächste Zahl: 12 Milliarden. Die Wettbewerbsfä-
higkeit eines Landes beginnt im Klassenzimmer, sagte
Henry Ford. Das haben wir verinnerlicht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das inhaliert!)


Wir haben bis 2013 12 Milliarden Euro mehr in Bildung
und Forschung investiert, so viel wie keine andere Re-
gierung vorher. Auch das ist eine Ursache für die Ar-
beitsmarktzahlen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nächste Zahl: 1 Billion. Die deutschen Exporte sind
im Jahr 2011 weiter gewachsen und haben mit über
1 Billion Euro erstmals die magische Billionengrenze
geknackt. Das Einzige, was Ihnen, vor allem von der
Ultralinken, dazu einfällt, ist, herumzumäkeln, dass dies
auf Rüstungsexporten beruhe. So etwas Lächerliches!
Die haben nur einen marginalen Anteil daran. Es ist eine
Exportleistung der deutschen Industrie. Mit der Einfüh-
rung der Erleichterungen in der Novelle zum deutschen
Außenwirtschaftsgesetz werden wir an dieser Erfolgs-
story weiterschreiben. Wir kümmern uns darum, dass
der deutsche Export weiter stark bleibt. Sie können rum-
mäkeln und rumkritteln, wie Sie wollen. Die deutsche
Industrie kann sich auf uns verlassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Aber der geht zurück, Herr Lindner!)


Auf Sie kann man sich nicht verlassen. Sie haben den
deutschen Industriearbeiter doch schon längst aufgege-
ben.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben doch nur noch Assistenten, Referenten, Polito-
logen und Soziologen in Ihrer Anhängerschaft. Man
muss klar sehen: Der deutsche Industriearbeiter kann
sich auf alle verlassen, nur nicht auf die SPD.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vor allen Dingen auf die FDP! Da lachen wir uns tot!)






Dr. Martin Lindner (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)


1 307 Weltmarktführer gehören dem deutschen Mit-
telstand an. Zum Vergleich: Deutschland hat damit mehr
Weltmarktführer als die USA, Japan, Österreich, die
Schweiz, Italien, Frankreich, China und Großbritannien
zusammen. Auch für diese Unternehmen tun wir etwas:
Mit der Stärkung der GWB-Novelle haben wir dafür ge-
sorgt, dass in Deutschland weiterhin ein fairer Wettbe-
werb stattfindet. Wir haben dafür gesorgt, dass gerade
kleine und mittlere Betriebe beim Markteintritt faire
Möglichkeiten vorfinden, sodass auch sie sich entwi-
ckeln können und nicht nur die Großindustrie. Auch dies
ist eine Erfolgsstory von Schwarz und Gelb.


(Beifall bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Nur die Bürger sehen das anders! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vielleicht nicht so viel Cannabis rauchen!)


17,3 Milliarden Euro. Schwarz-Gelb investierte im
Jahr 2011 ganze 17,3 Milliarden Euro in den Kampf ge-
gen den Klimawandel. Im internationalen Vergleich war
das das größte Budget. Damit ist Deutschland Umwelt-
meister.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo wird das investiert?)


Das ist der Unterschied, meine lieben grünen Freunde,
zwischen uns und Ihnen: Sie schwätzen, wir handeln.


(Beifall bei der FDP – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unglaublich!)


Das Einzige, was Sie können, ist, dreiste Klientelpolitik
zu betreiben, die ihresgleichen sucht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sagt die FDP!)


Sie schämen sich nicht, in Debatten, in denen es darum
geht, die üppigen Pfründe, die üppigen Subventionen,
die es auch für die Solarwirtschaft gibt, in vernünftige
Bahnen zu lenken, Ihre ganze Garde von Eurosolar-Lob-
byisten auftreten zu lassen.


(Volker Kauder [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Das sind Ihre Spender!)


Sie kümmern sich um Ihre Lobby, wir kümmern uns ums
Land, das ist der Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


18,9 Prozent. Schwarz-Gelb hat die Senkung des Ren-
tenbeitragssatzes um weitere 0,7 Prozent auf 18,9 Prozent
beschlossen und damit gegen die Forderung der rot-grü-
nen Opposition geltendes Recht durchgesetzt.


(Klaus Brandner [SPD]: Lassen Sie uns über Nebeneinkünfte reden! Offen auf den Tisch!)


So werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleicherma-
ßen entlastet, und auch die Rentner profitieren. Gleich-
zeitig haben wir einen Puffer in zweistelliger Milliarden-

höhe in der Rentenkasse geschaffen. Auch dies ist in der
jüngeren Geschichte dieses Landes beispiellos.

515 800. In Deutschland gibt es so viele Studien-
anfänger wie noch nie. 515 800 Neueinschreibungen
konnten die deutschen Hochschulen im Jahr 2011 ver-
zeichnen. Das ist eine Steigerung gegenüber rot-grünen
Zeiten um 45 Prozent, trotz oder vielleicht auch gerade
wegen Studiengebühren; auch das sage ich an dieser
Stelle einmal.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo gibt es die denn noch? Die gibt es nur noch in Niedersachen und Bayern! Sonst sind sie überall abgeschafft!)


Die Studiengebühren haben die Studienanfängerquote
nicht verringert, sondern gestärkt. Die Universitäten sind
besser ausgestattet. Deswegen ist es richtig – auch das
sage ich an dieser Stelle –, dass unsere bayerischen
Freunde dafür kämpfen, dass sie erhalten bleibt.


(Beifall bei der FDP)


50 Prozent. Schwarz-Gelb hat die Neuverschuldung
trotz – trotz! – der Erleichterungen für die Menschen um
50 Prozent im Vergleich zu den Plänen Ihres großen
Kanzlerkandidaten reduziert. Unser nächstes Ziel – auch
dies werden wir erreichen – ist ein ausgeglichener Haus-
halt.

Wir haben weitere Stärkungsmaßnahmen für die Bür-
ger beschlossen, die aber von Ihnen blockiert werden.
Wir sehen für die Bürger Entlastungen in Höhe von
6,1 Milliarden Euro vor. Dabei geht es nicht um üppige
Steuersenkungen. Dabei geht es darum, dass die Men-
schen, die täglich für diese Erfolgszahlen arbeiten, ein
Stück mehr davon haben.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es ist schrecklich, wenn Sie rot werden, das stimmt!)


Das gönnen Sie ihnen nicht. Sie gönnen ihnen die Bei-
tragssenkungen bei der Rentenversicherung nicht. Sie
gönnen ihnen auch die Abschaffung der Praxisgebühr
nicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was? Die Praxisgebühr hat Herr Seehofer erfunden!)


Sie gönnen ihnen die steuerlichen Entlastungen nicht.
Sie blockieren alles. Sie blockieren auch die steuerlichen
Ermäßigungen für den Bereich der energetischen Haus-
sanierung.

Frau Hinz, Sie haben hier erklärt, dass das auf Kosten
der Länder geht. Das kann doch nicht ernsthaft Ihre Auf-
fassung sein. Wir haben die Länder allein im Jahr 2013
um 10,5 Milliarden Euro entlastet. 2014 entlasten wir sie
um weitere 12 Milliarden Euro. In den Jahren 2010 bis
2016 entlasten wir die Länder um 62 Milliarden Euro.
Angesichts dessen ist es ein dreister Akt, sich hier hinzu-
stellen und die Tatsache, dass Sie den Menschen die
steuerlichen Entlastungen nicht gönnen, damit zu be-
gründen, dass die Länder davon – angeblich – nichts ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)






Dr. Martin Lindner (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)


Sie können nicht wirtschaften. Das zeigt sich in den Län-
dern, in denen Sie Verantwortung tragen. Das ist aber
eine völlig andere Geschichte. Das hat nichts damit zu
tun, dass die Länder kein Geld haben. Sie sind unfähig,
hauszuhalten. Das zeigen Sie überall dort, wo Sie Regie-
rungsverantwortung tragen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie blockieren das Steuerabkommen mit der Schweiz.
Diese Information läuft gerade wieder über den Ticker.
Sie blockieren alles, was Geld in die Kasse bringt. Sie
ergehen sich stattdessen in Fantasien über noch mehr
Steuern, die Sie einnehmen wollen. Schauen Sie sich
doch Frankreich an! Das Aufkommen aus der dort erho-
benen Milliardär- bzw. Millionärsteuer beträgt gerade
einmal 230 Millionen Euro pro Jahr. Gleichzeitig wird
die Industrie aus dem Land getrieben; das ist doch keine
sinnvolle Politik. Das ist aber Ihre Blaupause für unser
Land. Dies werden wir verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Diese Bundesregierung ist – da hat die Bundeskanzle-
rin recht – die beste Regierung seit der Wiedervereini-
gung.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Bundesregierung wird auch im nächsten Jahr be-
stätigt werden. Wir werden weiterhin regieren, Sie wer-
den weiterhin schwätzen. Dafür werden wir sorgen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720801200

Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Tiefensee

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1720801300

Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Minister, ich möchte meine Redezeit in dieser Haus-
haltsdebatte nutzen, um mich mit Ihren Argumenten aus-
einanderzusetzen. Kurz eine Vorbemerkung: Herr Minis-
ter, mich stört massiv die Chuzpe, mit der Sie sich hier
hinstellen und die Erfolge, die es in Deutschland – auch
im Vergleich zu anderen europäischen Staaten – gibt, für
sich reklamieren. Warum die Entwicklung in Deutsch-
land irgendetwas mit Ihrer Wirtschaftspolitik zu tun ha-
ben soll – Sie tun so, als ob das der Fall wäre –, er-
schließt sich mir nicht. Das nehmen wir so nicht hin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erster Punkt. Sie stellen sich hier hin und sagen, wir
hätten eine niedrige Arbeitslosenquote und eine hohe
Beschäftigungsrate zu verzeichnen. Das ist richtig. Aber
by the way, der Bericht aus Ihrem Wirtschaftsministe-
rium zeigt, dass wir von August bis Dezember eine Sta-

gnation beim Aufwuchs der Beschäftigungsverhältnisse
und eine leicht ansteigende Arbeitslosenquote zu ver-
zeichnen haben.


(Dr. Philipp Rösler, Bundesminister: Wie war es denn bei Ihnen?)


Unabhängig davon nehme ich es nicht hin, dass Sie
das Konjunkturpaket für Verkehr und Bau, das wir wäh-
rend der Zeit der schwarz-roten Koalition in meinem
Haus zwischen Weihnachten 2008 und Neujahr 2009
konzipiert haben, auf diese Weise desavouieren. Sie re-
klamieren die Erfolge dieses Konjunkturpakets für sich
und ruhen sich auf ihnen aus. Dieses Konjunkturpaket
war die Grundlage dafür, dass der Mittelstand in den
Jahren 2009, 2010 und 2011, also mitten in der Krise,
überhaupt noch Aufträge bekommen hat.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie das nun desavouieren, dann kann ich nur fest-
stellen, dass Sie weder dieses Instrument noch die Ursa-
chen für den damaligen Aufschwung verstanden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zweiter Punkt. Sie stellen sich nun hier hin und reden
davon, dass das industrielle Rückgrat Deutschlands
wichtig sei und eine Erfolgsbasis darstelle. Herr Minister
und Herr Lindner, ich habe bei Ihren Reden ganz genau
zugehört und frage Sie nun: Welche Maßnahme können
Sie hier am Pult verkünden, die dazu geführt hat, dass in
den letzten zwei, drei Jahren die industrielle Basis ge-
stärkt worden ist? Nennen Sie mir ein einziges Beispiel,
und tun Sie nicht so, als ob das Ihr Erfolg wäre!


(Beifall bei der SPD)


Der entscheidende Punkt ist, Herr Minister: Wenn
man sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruht
– wir wollen uns damit nicht zu lange aufhalten –, dann
vergisst man, das zu tun, was notwendig ist, um Vor-
sorge für die kommenden Jahren zu treffen. Wir haben
– die Frau Bundeskanzlerin hat es gestern leicht ange-
deutet – schwierige Jahre vor uns. Sie haben die Wachs-
tumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt von 1,6 auf
1,0 Prozent senken müssen. Die Sachverständigen gehen
sogar von nur 0,8 Prozent aus. Die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt und der Beschäftigungsquote habe ich be-
reits angedeutet. Das europäische Umfeld ist höchst kri-
tisch. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie gegensteuern
und konkrete Maßnahmen ergreifen und nicht einfach
nur Zahlen vortragen, Herr Lindner, die wir auch den
statistischen Jahrbüchern entnehmen können.

Was tun Sie? Sie kürzen die Mittel für die GRW, also
die Förderung für strukturschwache Gebiete. Prima! Ge-
nau diese Förderung ist für die industrielle Basis und den
Mittelstand nicht zuletzt im Osten wichtig. Wenn Sie
also im Rahmen des Haushalts wirklich fördern und ein
Signal setzen wollen, sollten Sie die GRW-Mittel auf das
alte Niveau aufstocken. Noch besser wäre es, wenn Sie
die fehlende Investitionslage durch eine Erhöhung der
GRW-Mittel kompensierten. Das tun Sie nicht. Wir kön-
nen Ihnen das so nicht durchgehen lassen.





Wolfgang Tiefensee


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Müsst ihr aber!)


Wenn ich, sehr verehrter Herr Minister, Ihre Koali-
tionsvereinbarung richtig in Erinnerung habe, dann muss
ich feststellen, dass darin etwas zur steuerlichen For-
schungsförderung steht. Sinngemäß heißt es: Wir streben
an, mit der steuerlichen Forschungsförderung For-
schungsimpulse für die kleinen und mittleren Unterneh-
men auszulösen. – Was haben Sie geliefert? Wo ist die
steuerliche Forschungsförderung, die wir dringend brau-
chen und die ja in Ihrer Koalitionsvereinbarung steht?
Wie erklären Sie das dem Mittelstand? Wie sollen Inno-
vationen im Mittelstand entstehen, wenn Sie dort nicht
vorankommen?

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir brauchen
die KfW, um mittelständische Unternehmen zu fördern.
Was tun Sie stattdessen? Sie plündern das Geld und ste-
cken es in die Schuldentilgung und damit in die allge-
meine Haushaltssanierung. Damit minimieren Sie das,
was an Investitionshebel für Mittelstand und Industrie
nötig ist; denn Sie wissen, jeder eingesetzte Euro gene-
riert einen Effekt von mindestens 6 bis 8 Euro. Wir kön-
nen nicht hinnehmen und akzeptieren, dass Sie die KfW
in dieser Weise plündern. Das ist der völlig falsche Weg.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Aber Sie müssen es hinnehmen!)


Ich komme zur energetischen Gebäudesanierung. Das
ist ein wunderschönes Beispiel für Ihre Politik. Ich
möchte dazu coram publico – vor allen Dingen für un-
sere Zuschauer – Folgendes sagen: An einem Verhand-
lungstisch sitzen auf beiden Seiten Verhandlungspartner.
Auf der einen Seite sitzen ein Finanzminister und ein
Wirtschaftsminister, dem nichts anderes einfällt, als die
energetische Gebäudesanierung auf dem Wege steuerli-
cher Förderung voranzubringen. Daher müssen Sie doch
verstehen, dass die andere Seite sagt: Moment mal! Das
kommt doch gar nicht bei denen an, bei denen es ankom-
men soll. – Warum ergreifen Sie nicht die gleichen In-
strumente, die einzusetzen wir seit 2005 geübt haben,
nämlich über die KfW Gelder auszureichen bzw. verbil-
ligte Kredite an die entsprechenden Hausbanken zu ge-
ben, damit aus 1 Euro wieder 8 Euro werden und der
Mittelstand endlich zu seinen Aufträgen kommt?


(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])


Bewegen Sie sich an der anderen Seite des Tisches, da-
mit wir uns aufeinander zubewegen können! Erzählen
Sie nicht das Märchen, dass die Länder sich dagegen
sperren! Wir müssen die Förderung richtig machen, dann
werden die Länder auch zustimmen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wen vertreten wir eigentlich?)


Ich komme zur Vermögensabgabe. Sie kritisieren die
Vermögensabgabe und wissen doch ganz genau, dass in
unserem Lande in den letzten fünf, sechs Jahren das Ver-
mögen – Sie wissen, dass es sich aus Geldvermögen, Im-
mobilien und Wertpapieren zusammensetzt – von 4 Bil-
lionen Euro auf 10 Billionen Euro angestiegen ist.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist gut! Das ist Industrievermögen!)


Diese 10 Billionen Euro befinden sich zu 40 Prozent bei
den oberen 10 Prozent.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Beim Steinbrück!)


Wieso ist es nicht vernünftig, diejenigen, die starke
Schultern haben, heranzuziehen, damit wir zum Beispiel
bei der Infrastruktur vorankommen? Wir stehen dafür,
dass die starken Schultern in der Wirtschaftspolitik, der
Sozialpolitik, der Bildungspolitik sowie auch bei ökolo-
gischen Fragen herangezogen und nicht die kleinen
Leute belastet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zur Energiepolitik. Da fehlt ein Master-
plan. Ich habe auch heute wieder nicht gehört, dass von
diesem Pult aus etwas dazu gesagt wurde, wie wir die
Länder untereinander, die Länder mit dem Bund und die
Länder mit den Kommunen koordinieren wollen. Die
Frau Bundeskanzlerin hat gestern von einer Art Koordi-
nationsgremium gesprochen, das es geben wird. Es ist
gut, dass wir das nach eineinhalb Jahren endlich bekom-
men. Da wird sich aber bis zum September 2013 vermut-
lich nichts tun. Wieso belasten Sie die Bürger – insbe-
sondere die Privathaushalte und auch die von Ihnen so
viel gelobten und angeblich von Ihnen unterstützten Mit-
telständler –, indem Sie bei den Offshorewindparks die
Haftungsregelung so ausgestalten, dass über 1 Milliarde
Euro von den privaten Stromkunden zu tragen ist, anstatt
im Energiewirtschaftsgesetz dafür Sorge zu tragen, dass
die Haftung anderweitig getragen wird? Das ist ein Teil
der Infrastruktur.

Sehen wir uns einen anderen Teil der Infrastruktur an.
Ich schaue da meinen Nachfolger im Amt an. Wir müs-
sen bei der Infrastruktur etwas tun. Auch das ist Mittel-
standsförderung. Genauso wie Sie die KfW plündern,
plündert der Finanzminister die Deutsche Bahn AG. Sie
zahlt 525 Millionen Euro Zwangsdividende pro Jahr in
den Jahren 2012, 2013 und 2014. 25 Millionen Euro von
diesen 525 Millionen Euro gehen wieder in die Infra-
struktur. 500 Millionen Euro werden zur Haushaltssanie-
rung verwandt. Sie fehlen dann, um die Infrastruktur
über der Erde voranzubringen. Das soll Wirtschaftspoli-
tik sein? Ich kann darin überhaupt keine Wirtschaftspoli-
tik erkennen, sondern nur ein weiteres Durchwurschteln.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sehr verehrter Herr Minister, ich kann nur sagen: Ru-
hen Sie sich nicht auf dem aus, was andere für Sie vorbe-
reitet haben. Legen Sie sich nicht in das gemachte Nest.
Schlafen Sie nicht in einem Bett, das andere Ihnen auf-
geschüttelt haben. Fangen Sie endlich an, zu arbeiten,
und ergreifen Sie konkrete Maßnahmen, die dazu führen,
dass Deutschland weiter so gut dasteht wie bisher. Der
aktuelle Erfolg ist nicht Ihr Erfolg. Wir erwarten, dass
Sie in den nächsten Monaten zumindest ein kleines
Stückchen zum weiteren Erfolg beitragen. Das wäre Ihre
Aufgabe.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720801400

Nun hat das Wort der Kollege Michael Fuchs für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1720801500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
Herr Kollege Tiefensee, Sie müssten es eigentlich besser
wissen. Sie waren so lange im Amt, dass man davon aus-
gehen kann, dass Sie es besser wissen. Diese Regierung
schafft weit mehr Investitionsmöglichkeiten, als Sie je-
mals fertiggebracht haben.


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Erzählen Sie mal, wie!)


Sie wissen auch, dass wir beispielsweise in den Etat des
Bundesverkehrsministers zusätzlich 750 Millionen Euro
eingestellt haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Spatenstiche in Bayern!)


Das haben die Fraktionen beschlossen. Damit werden
wir zum Beispiel im Straßenbau neue Akzente setzen.
Das ist notwendig, das ist gut, und das werden wir so
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Linke Tasche, rechte Tasche!)


Deutschland geht es gut. Daher kann ich dieses Ge-
jammer der Opposition nicht mehr hören. Es gibt jetzt
halb so viele Arbeitslose als zu Ihrer Regierungszeit un-
ter Gerhard Schröder; die hohe Arbeitslosigkeit hatten
Sie mit zu verantworten.


(Klaus Brandner [SPD]: Quatsch!)


Wir haben vor allen Dingen eines: Wir haben eine
ganz stark reduzierte Jugendarbeitslosigkeit. Das ist für
mich eine der großen Erfolgsstorys dieses Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schauen Sie sich doch die Zahlen an. In etlichen Regio-
nen in Deutschland gibt es de facto keine Jugendarbeits-
losigkeit. Ich kann die Zahlen für meinen eigenen Wahl-
kreis nennen. Wir haben 300 offene Stellen und noch
150 zu vermittelnde Jugendliche, die aber, wie die Agen-
tur sagt, multiple Einstellungshemmnisse haben. Mit an-
deren Worten: Sie haben schlechte Deutschkenntnisse,
sie können nicht richtig rechnen, nicht richtig schreiben
und nicht richtig lesen. Das muss geändert werden. Die-
sen Jugendlichen muss geholfen werden. Dafür müssen
Programme aufgelegt werden. Da sind wir dran; das ist
richtig.

Für mich ist eine der zentralen Aufgaben der Politik,
jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Das haben
wir geschafft. Darauf können wir stolz sein. Alle haben
dabei mitgeholfen. Ich bin froh, dass es gelungen ist,
dass wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz
Europa haben.

Wir haben außerdem die Möglichkeit, jungen Men-
schen aus anderen Ländern zu helfen. Ich habe in meinem
Wahlkreis mit der Handwerkskammer ein Programm auf-
gelegt, mit dem wir junge Spanier aus Valencia zu uns
holen. Wir geben ihnen zuerst in Spanien Deutschunter-
richt, anschließend werden sie in Deutschland ihre Lehre
machen. Ich finde, das ist ein ganz hervorragendes Pro-
gramm. Ich bin der Handwerkskammer dankbar, dass sie
solche Programme auflegt. Das ist Zukunft und gelebte
europäische Solidarität. Darüber können wir froh sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Allerdings ist nicht alles gut. Ein Punkt macht mir er-
hebliche Sorgen. Das sind die Energiepreise.


(Klaus Brandner [SPD]: Ja!)


Sie entwickeln sich überall, und zwar weltweit, zu einem
extrem wichtigen Standortfaktor. Bei uns hängen Wohl-
stand und Beschäftigung in weit größerem Umfang von
der Leistung und Wettbewerbsfähigkeit des verarbeiten-
den Gewerbes ab als in vergleichbaren Ländern; denn
wir sind nach wie vor ein gutes Industrieland. Wir sind
ein Land mit Wertschöpfungsketten vom Grundstoff bis
zum Hightechendprodukt. Genau das ist der Grund, wa-
rum gerade wir bei den Strompreisen für die Industrie
besonders aufpassen müssen.

Wir haben hier vor zwei, drei Tagen ein Gespräch mit
italienischen Senatoren geführt. Sie sagten mir: Eure
Probleme würden wir gerne haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben Deutschland gut ge-
führt. Das hat dazu geführt, dass die Italiener uns heute
beneiden und uns sagen, dass sie dankbar wären, wenn
sie unsere Probleme hätten und nicht ihre.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Ich glaube, dass wir gerade bei den Strompreisen sehr
aufpassen müssen. Ich ärgere mich darüber, Herr Kol-
lege Heil, dass hier ständig behauptet wird, die EEG-
Umlage sei aufgrund der Freistellungen der energie-
intensiven Industrie so hoch.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na! Na!)


Selbst wenn wir alle Ausnahmen strichen, wäre die Um-
lage 2013 immer noch rund 0,7 Cent höher als in diesem
Jahr. Interessanterweise ist dieses Befreiungsgesetz un-
ter Rot-Grün entstanden. Wer hat denn den Blödsinn ge-
macht und zum Beispiel die Verkehrsunternehmen be-
freit, obwohl sie nicht im internationalen Wettbewerb
stehen? Ich weiß nicht, inwiefern die S-Bahn in Rostock
im internationalen Wettbewerb steht. Das war Herr
Trittin, das war Rot-Grün. Das ist aber Unfug, und den
müssen wir ändern. Der Bundesumweltminister ist da-
bei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es waren Ihre ideologischen Vorstellungen, aufgrund
derer Sie Straßenbahnen und ähnliche Verkehrsträger
von der EEG-Umlage ausgenommen haben.





Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)



(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt ja ein Straßenbahngesetz!)


Das ist Quatsch. Sie gehören in das Gesetz zur Befreiung
von der EEG-Umlage nicht hinein. Wir müssen dafür
sorgen, dass sie den Strom genauso bezahlen wie alle
anderen auch.

Es kommt ein weiterer Punkt hinzu. In etlichen Län-
dern hat man mittlerweile erkannt, dass es im Boden
Energiereserven gibt, die bis jetzt nicht genutzt werden,
und zwar Schieferöl und Schiefergas. Die Amerikaner
werden in kürzester Zeit unabhängig von Energieimpor-
ten sein. Im Gegenteil, Amerika wird sogar zum Ener-
gieexporteur. Die Amerikaner sind zurzeit dabei, ihre
LNG-Terminals, die Liquefied-Natural-Gas-Terminals,
die bis jetzt auf Import eingestellt sind, auf Export um-
zubauen. Das wird uns, meine Damen und Herren,
Schwierigkeiten bereiten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Und die Regierung tut nichts!)


Machen wir uns nichts vor: In Amerika wird es mit
ziemlich großer Sicherheit die niedrigsten Energiepreise
auf der Welt geben. Auf diese Art wollen die Amerika-
ner ihr Land reindustrialisieren.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)


Das wird für uns zu einer neuen Wettbewerbsszenerie
führen, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)


Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiepreise in
Deutschland wettbewerbsfähig genug sind, damit die
Industrie in Deutschland nicht verloren geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann tut doch mal was dafür! – Klaus Brandner [SPD]: Und deshalb kürzen Sie in dem Haushalt die Mittel für Energieeffizienzförderung usw.? Das sind genau die Maßnahmen, die Wettbewerbsfähigkeit bringen!)


Die geschätzten Schiefergasreserven, die wir in
Deutschland haben, sollen für bis zu 23 Jahre ausrei-
chen. Nebenbei: Das steht im Gegensatz zu dem, was der
Club of Rome in der Vergangenheit schon alles behaup-
tet hat, zum Beispiel, dass es nach 1990 keine fossilen
Energien mehr geben wird.


(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


Daran kann man wunderbar erkennen, dass all diese
Prognosen in die völlig „richtige“ Richtung gehen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja!)


Mir macht es Sorge, wenn in anderen Ländern die
Energiepreise nach unten gedrückt werden. Die Ameri-
kaner wollen die Kilowattstunde für unter 2 US-Dollar-
cent anbieten. Dann dürfte es für unsere besonders ener-
gieträchtigen Unternehmen nicht gerade einfach werden.
Die Firma SGL Carbon zum Beispiel ist bereits abge-

wandert. Die Produktion ist in die USA verlegt worden.
Die Firma hat ihren Sitz zwar nach wie vor in Wies-
baden; aber die Produktion wird nicht mehr in Deutsch-
land stattfinden, weil das Unternehmen zu deutschen
Strompreisen nicht mehr wettbewerbsfähig arbeiten
kann. Vor diesem Hintergrund wird es für uns aller-
höchste Zeit, dass wir uns darüber Gedanken machen,
wie wir verhindern, dass Wertschöpfungsketten in
Deutschland durchbrochen werden. Wenn das nämlich
erst einmal passiert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dann werden wir sehen, dass ganze Industriezweige ab-
wandern. Dann wandern nämlich andere Unternehmen
hinterher.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Was SGL Carbon angeht, muss man sagen: Was die-
ses Unternehmen macht, ist absolut Hightech. Es produ-
ziert Kohlenstofffasern, die zusammen mit Aluminium
völlig neue Werkstoffe bilden. Ein A380 würde nicht
fliegen, wenn es diese Werkstoffe nicht gäbe; er wäre
nämlich schlicht zu schwer, wenn er konventionell her-
gestellt würde. Wir müssen darauf achten, dass solche
Industriezweige nicht abwandern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutschland ist nach wie vor eine Technologienation,
und die wollen wir auch bleiben.

Als ich am letzten Samstag ein paar Stunden Zeit
hatte, habe ich mir Teile des Parteitags der Grünen ange-
sehen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Veranstaltung!)


Ich habe gedacht, ich bin auf einem fremden Stern; denn
die Forderungen, die da aufgestellt wurden, sind bemer-
kenswert. Allein Ihre Forderung, den Hartz-IV-Satz um
50 Euro pro Monat anzuheben, kostet – die Bundesagen-
tur für Arbeit hat das gerade ausgerechnet – 7,5 Milliar-
den Euro.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat aber nicht den Mindestlohneffekt mit eingerechnet!)


Außerdem haben Sie beschlossen, den Grundsatz des
Forderns, den Sie selbst in die Hartz-IV-Gesetze einge-
baut haben, abzuschaffen. Sie wollen die Herrschaften,
die Hartz IV beziehen, von jeglichen Nachfragen der
Bundesagentur freistellen. Ja, sagen Sie mal: Haben Sie
denn aus Ihrer eigenen Historie überhaupt nichts
gelernt?


(Claudia Bögel [FDP]: Nein! Gar nichts!)


Es kann doch nicht wahr sein, dass alles, was Sie 2004/
2005 vernünftigerweise eingeführt haben, jetzt nicht
mehr gelten soll. Die Vaterschaft für Hartz IV haben Sie
komplett abgelegt. Machen Sie sich aber keine Sorgen:
Wir werden sie für Sie übernehmen. Wir achten darauf,
dass es hier weitergeht; denn nur so werden wir Deutsch-
land über die Runden bringen.


(Widerspruch bei der LINKEN)






Dr. Michael Fuchs


(A) (C)



(D)(B)


Ich finde es unverschämt, dass Sie den Menschen die
Möglichkeiten, die wir ihnen jetzt bieten können, vor-
enthalten wollen. Wir haben endlich die Chance, den
Rentenversicherungsbeitragssatz zu senken.


(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/ CSU])


Nach dem Gesetz müssen wir das tun. Also tun wir das
auch. Wir ändern doch nicht das Gesetz, nur damit das
Geld in der Kasse bleibt. Sie haben das nicht fertig-
gebracht. Eichel musste sogar Kassenkredite aufnehmen,
um die Rente überhaupt auszahlen zu können. Wir
hingegen sind in der Lage, den Rentenversicherungs-
beitragssatz zu senken; darauf sind wir stolz.


(Beifall der Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/ CSU] und Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Wir sind auch in der Lage, quasi den Krankenversi-
cherungsbeitragssatz zu senken, und zwar aufgrund des
Wegfalls der Praxisgebühr; auch das ist etwas Positives.


(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/ CSU] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und für die BA 1,6 Milliarden weniger!)


Allein diese beiden Maßnahmen entlasten die Bürgerin-
nen und Bürger zum 1. Januar um fast 10 Milliarden
Euro. Das ist das beste Konjunkturprogramm.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir meinen: Das Geld ist in den Taschen der Bürger
besser aufgehoben als in den Taschen des Staates.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720801600

Das Wort erteile ich nun dem Kollegen Michael

Schlecht für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720801700

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die

Kanzlerin und ihr Herausforderer wie auch andere strei-
ten sich hier über das Copyright einer vermeintlich bes-
seren wirtschaftlichen Entwicklung. Das Entscheidende
haben sie aber noch nicht gemerkt: dass die Wirtschafts-
politik, die hier betrieben worden ist, gescheitert ist. Der
nächste Abschwung droht. Im nächsten Jahr will jedes
vierte Unternehmen Arbeitsplätze abbauen. Ergreifen
Sie Gegenmaßnahmen? Fehlanzeige. Das ist das eigent-
liche Thema, mit dem wir uns hier beschäftigen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Ausgangspunkt dieser gescheiterten Wirtschafts-
entwicklung ist die von Ihnen, Herr Fuchs, so hoch ge-
lobte Agenda 2010. Sie hat viele Missstände herbeige-
führt. Der Ausgangspunkt der Agenda 2010 war die
Kampfformel: Wir müssen die deutsche Wettbewerbsfä-
higkeit stärken. – Eingedenk dieses Leitsatzes haben da-
mals SPD und Grüne in Tateinheit mit Union und FDP
– Herr Fuchs hat diese Tateinheit gerade noch einmal

erwähnt – die Löhne in Deutschland nach unten ge-
drückt, die Arbeitszeitflexibilität dramatisch nach oben
getrieben und darüber hinaus – das ist der eigentliche
Skandal – Millionen von Menschen in prekäre, in miese,
in schlechte Jobs hineingetrieben. Das geben Sie heute
als großes Beschäftigungswunder aus. Was hier veran-
staltet wird, ist zynisch hoch drei.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Reallöhne sind in Deutschland seit 2000 um
5 Prozent gesunken. Gleichzeitig sind die Profite um
30 Prozent gestiegen. Wenn Sie meinen, Sie hätten eine
erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben, dann heißt das,
dass Sie meinen, dass es sinnvoll sei, den Menschen we-
niger Geld zu geben, aber die Profite nach oben zu trei-
ben. Das ist Klientelpolitik von den anderen vier Frak-
tionen in diesem Hause. Wir unterstützen das nicht, wir
wollen etwas anderes.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist wie mit dem Geisterfahrer, dem zehn Autos entgegenkommen und der trotzdem meint, die anderen fahren alle falsch!)


Sie loben, dass das Exportvolumen deutlich ansteigt.
Mit der Strangulierung der deutschen Binnennachfrage,
mit der Strangulierung der Löhne und der öffentlichen
Ausgaben in Deutschland haben Sie dafür gesorgt, dass
das Importvolumen längst nicht in dem Tempo gestiegen
ist, wie es notwendig gewesen wäre. Im Resultat haben
wir seit 2000 eine enorme Spreizung zwischen Exporten
und Importen. Dies hat zu einem Außenhandelsüber-
schuss von mittlerweile 1,5 Billionen Euro geführt.

Finanziert worden ist dieser Außenhandelsüberschuss
immer durch die Verschuldung anderer Länder, vor allen
Dingen der Euro-Länder. Sie wundern sich, dass wir eine
Euro-Krise haben, und beschreiben immer die Verschul-
dungskrise in Europa. Der Ausgangspunkt für diese Ver-
schuldungskrise liegt jedoch hier in Deutschland: in der
Politik der Agenda 2010. Das muss umgekehrt werden.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie schämen sich wohl gar nicht!)


Alle reden seit Jahren von der Euro-Krise und
darüber, was man machen kann, um die Verschuldung
abzubauen. Doch auch im Jahre 2012 hat Deutschland
einen Außenhandelsüberschuss von rund 150 Milliar-
den Euro.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist doch gut so! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Das heißt im Klartext: Ihre Wirtschaftspolitik hat dafür
gesorgt, dass sich das Ausland, vor allen Dingen die
Länder der Euro-Zone, bei uns um weitere 150 Milliar-
den Euro verschuldet hat.

Das hat Methode: Man sieht nicht das Loch im Eimer,
man kippt einfach immer mehr Wasser in den Eimer und
hofft, dass er irgendwann wieder voll wird. Das ist natür-
lich ein vollkommen untaugliches Unterfangen; denn





Michael Schlecht


(A) (C)



(D)(B)


das Loch muss gestopft werden – durch eine andere
Wirtschaftspolitik in diesem Lande.

Zentral ist, dass wir im Hinblick auf die binnenwirt-
schaftliche Entwicklung wieder zu einer ganz anderen
Orientierung kommen. Wenn wir eine andere binnen-
wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland haben wol-
len, dann müssen wir zuallererst dafür sorgen, dass die
Löhne in Deutschland wieder deutlich ansteigen. Es
muss Schluss mit dem Lohndumping sein. Dafür müssen
wir auch die Rahmenbedingungen für die Gewerkschaf-
ten verbessern, damit sie wieder vernünftige Lohnerhö-
hungen aushandeln können. Das muss das oberste Ziel
sein.

Dazu gehört natürlich vor allem, dass eine entschei-
dende Bremse für die Kampffähigkeit und Durchset-
zungsfähigkeit der deutschen Gewerkschaften gelockert
wird, nämlich das Sanktionsregime von Hartz IV, das
Sie, Herr Fuchs, eben noch so gelobt haben. Das Sank-
tionsregime von Hartz IV muss beendet werden, weil
heutzutage Millionen von Menschen Angst vor Hartz IV
und davor haben, in Arbeitslosigkeit zu rutschen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Angst vor Arbeit wohl!)


Dies hat eine ungeheuer negative Wirkung auf zig Mil-
lionen Menschen, die heute noch arbeiten und die durch
Sie in menschenunwürdige Verhältnisse getrieben wer-
den. Das ist Zynismus und eine zynische Politik, die alle
Parteien außer der Linken hier im Parlament betreiben
und betrieben haben. Das muss beendet werden; wir
kämpfen dafür. Vor allen Dingen das Sanktionsregime
von Hartz IV muss weg.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Freibier und Käsekuchen für alle, genau!)


Wenn Sie die Zeichen der Zeit erkennen würden,
dann würden Sie wissen, dass es in Anbetracht der be-
drohten weiteren wirtschaftlichen Entwicklung sehr
viele Gegenmaßnahmen, auch Sofortmaßnahmen, gäbe,
die man ergreifen könnte.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)


– Ich meine zum Beispiel die sofortige Wiedereinfüh-
rung des Kurzarbeitergeldes.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Des Sozialismus!)


– Es ist auch keine schlechte Idee, den Sozialismus ein-
zuführen. Ich danke Ihnen für das Stichwort.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Sie jetzt aber mit solchen intellektuell an-
spruchsvollen Themen gar nicht weiter belasten, Herr
Lindner. Das ist, glaube ich, eine Nummer zu groß für
Sie.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist gut, dass Sie das nicht wollen!)


Ich bleibe erst einmal bei ganz einfachen Dingen: Wir
brauchen die Wiedereinführung des Kurzarbeitergeldes,
damit die notwendigen Maßnahmen sofort bereitstehen,
wenn im nächsten Jahr die konjunkturellen Gefahren
deutlich zunehmen und Arbeitsplätze verlustig gehen
könnten. Über diese Maßnahme hinaus gibt es natürlich
die Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen für die
Löhne wieder zu verändern, sodass es zu Lohnsteigerun-
gen kommt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von Tarifautonomie gehört?)


Daneben besteht die dringende Notwendigkeit, endlich
auch den Kurs der öffentlichen Ausgaben zu ändern. Wir
brauchen einen sozial-ökologischen Umbau und wieder
viel mehr Ausgaben für Erziehung und Bildung. Hier
liegt vieles im Argen.

In meinem Bundesland hat die grün-rote Landesregie-
rung, die mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet ist, als
eine ihrer ersten Aktionen 6 000 Lehrerstellen gestri-
chen. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass die
Finanzausstattung der öffentlichen Hände zu schlecht ist.
Wir müssen deshalb eine Millionärssteuer einführen,
damit wir mehr für Bildung tun und den sozial-ökologi-
schen Umbau voranbringen können.

Diese entscheidenden Punkte sind momentan notwen-
dig. Sie werden bei dieser Regierung aber vollkommen
ausgeblendet. Wir treten dafür ein! Sozial-ökologischer
Umbau und höhere Löhne: Das sind die entscheidenden
Punkte, die wir nach vorne treiben müssen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720801800

Ich mache nur der Übersichtlichkeit halber darauf

aufmerksam, dass ein konkreter Antrag zur Einführung
des Sozialismus dem Präsidium im Rahmen der Haus-
haltsberatungen nicht vorliegt. Darüber werden wir
heute also auch nicht abstimmen können.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bekommen wir in der nächsten Woche von der Regierung!)


Das Wort hat nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1720801900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Bei manchem, was man heute Morgen gehört
hat – Einführung des Sozialismus –, kann einem in der
Tat angst und bange werden.

Was sind die Tatsachen? Kollege Lindner hat sie vor-
hin anhand der Zahlen und Fakten bereits hervorragend
dargestellt. Wir konsolidieren. Deutschland geht in Rich-





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)


tung Reduktion der Staatsverschuldung. Der Anteil der
Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt wird zurückge-
hen, weil das Wachstum höher als die Verschuldung ist
und weil wir in diesem und auch im letzten Jahr gesamt-
wirtschaftlich bereits mehr oder weniger die schwarze
Null geschrieben haben. Wenn Sie sich den Rest Europas
anschauen, dann sehen Sie, dass es dort ganz anders aus-
sieht. Insofern stimmt die Richtung hier eindeutig. Wir
machen den Einstieg in den Schuldenabbau.

Was passiert aber in den Ländern, wo Sie, meine
Kolleginnen und Kollegen von Grün und Rot, Verant-
wortung tragen? Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen ist
die Schuldenweltmeisterin. Dort, wo Sie die Regierung
übernommen haben, gibt es nichts als neue Schulden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hinterlassen von Schwarz-Gelb! – Zuruf des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Krischer und Herr Lindner, jetzt komme ich zu
Ihnen. Schauen wir einmal nach Baden-Württemberg:
Dort kann man lernen, was Grün statt Sparen heißt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Kennen Sie den Mappus noch? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mappus!)


Das kann man dort besichtigen. Die Vorgängerregierung
hat zweimal einen Haushalt ohne Neuverschuldung vor-
gelegt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Landesvermögen verprasst! EnBW!)


Die Vorgängerregierung hat dafür gesorgt, dass wir
– wie auch Bayern – die Schulden hätten abbauen kön-
nen. Und was macht die grün-rote Landesregierung in
Baden-Württemberg? Zweimal war der Haushalt ausge-
glichen; auch im letzten Jahr war er ausgeglichen. Jetzt
sagen Sie: Wir übernehmen einen Haushalt, der ausge-
glichen ist, und deshalb müssen wir uns die nächsten
acht Jahre verschulden und können die Neuverschuldung
erst 2020 auf null bringen. – Das ist Grün statt Sparen,
und zwar dort, wo Sie Verantwortung tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Reden Sie also bitte nicht von Konsolidierung und
Schuldenabbau; denn das glaubt Ihnen sowieso kein
Mensch.

Zu Forschung und Entwicklung. In Deutschland
wurde in der Tat noch nie so viel wie jetzt für Forschung,
Entwicklung und Bildung ausgegeben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und es gab noch nie so viele Schulden!)


Herr Tiefensee, Sie haben vorhin gefragt, wo die in-
dustrielle Basis gestärkt wird. Das kann ich Ihnen sagen.
Sie wissen es eigentlich; wahrscheinlich war das eine
rhetorische Frage. In dieser Legislaturperiode haben wir
beispielsweise die Mittel für das ZIM-Programm – das
ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand – mit
500 Millionen Euro verstetigt. Das kommt direkt an und

stärkt die industrielle Basis, weil es die mittelständi-
schen Unternehmen in die Lage versetzt, ihre Ideen so-
wie ihre Forschung und Entwicklungen unbürokratisch
auf die Piste zu bringen. Das stärkt die industrielle Basis
in diesem Land.

Seit 2005, als wir die Regierung übernommen haben,
haben wir den Forschungsetat des Bundes um über
50 Prozent auf fast 14 Milliarden Euro im nächsten Jahr
erhöht. Das stärkt die industrielle Basis.

Nach dem, was wir bereits getan haben, hören wir
aber nicht auf, sondern wir machen in diesem Haushalt
neue wichtige Schritte voran. Wir stärken beispielsweise
die Gründungen und das Wagniskapital. In diesem Haus-
halt wird ein Investitionszuschuss für Wagniskapital,
insbesondere zur Verbesserung der Finanzsituation jun-
ger innovativer Unternehmen, neu eingeführt. In den
kommenden vier Jahren werden rund 150 Millionen
Euro dafür zur Verfügung gestellt. Das ist Säen zur rech-
ten Zeit, damit wir auch in Zukunft Wachstum und Ar-
beitsplätze ernten können.

Jetzt möchte ich die Gelegenheit nutzen – dazu ist
heute schon sehr viel gesagt worden –, noch das eine
oder andere zum Thema Arbeitsmarkt zu sagen. Wenn
man Sie hört, Herr Claus, Herr Schlecht – und wie Sie
alle heißen –, dann kann einem wirklich angst und bange
werden. Da meint man, wir wären hier in einem Land
des Prekariats und die Leute würden am Straßenrand sit-
zen und verhungern. Diesen Eindruck kann man wirk-
lich gewinnen.

Aber das Gegenteil ist der Fall – der Kollege Lindner
hat das angesprochen –: 41,6 Millionen Menschen sind
in Lohn und Brot und nicht in Not.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Not und Lohn! Das ist gut!)


Vor allem sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
sind entstanden, keine Teilzeitbeschäftigungen und
keine nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben wirklich keine Ahnung! Noch nie von Altersarmut gehört?)


Das ist doch die Wahrheit. Die Menschen, die in Lohn
und Brot sind, zahlen in diesem und im nächsten Jahr so
viele Steuern wie noch nie. Wir haben die höchsten Steu-
ereinnahmen in der Geschichte, rund 260 Milliarden
Euro, und die Kassen der Sozialversicherung sind voll.
Das ist beschäftigungsorientierte Lohnpolitik, wie wir
sie uns vorstellen.

Das führt dazu, dass wir nicht nur die höchste Be-
schäftigung haben, sondern dass auch die Arbeitslosig-
keit zurückgeht. Sie geht insbesondere auch dort zurück,
wo sie problematisch ist. Kollege Fuchs hat die Jugend
angesprochen. Ich möchte die Langzeitarbeitslosen an-
sprechen. Es ist gelungen, die Zahl der Langzeitarbeits-
losen von 1,7 Millionen auf 1 Million zu reduzieren. Das
ist noch immer 1 Million zu viel – nicht dass wir uns
falsch verstehen –, aber die Richtung stimmt. Das sind
700 000 Langzeitarbeitslose weniger, als es in der Ver-
gangenheit waren.





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was schlagen Sie vor? Die Grünen haben gerade be-
schlossen, den Regelsatz für Hartz IV von 374 auf
420 Euro anzuheben. Was bedeutet dies? Das bedeutet
einen Anstieg der Neuverschuldung um 15 Prozent im
nächsten Jahr. Das wäre die Wirkung Ihres Vorschlags,
wenn wir ihn umsetzen würden.

Was wollen Sie noch? Sie wollen die Sanktionen für
Hartz-IV-Empfänger abschaffen, nicht nur die Grünen,
sondern auch die Linken und die ganz Linken.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Linke sowieso!)


Das ist aber nicht nur populistisch. Nein, das ist auch
sachlich falsch. Ich sage es einmal ganz pointiert: Es
wäre asozial, sie abzuschaffen.


(Beifall der Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU] und Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP])


Warum wäre das asozial? Die Zahl der Bezieher von
Grundsicherung beträgt heute statt 5 Millionen 4,3 Mil-
lionen Menschen, also 700 000 weniger, als das noch
2008 der Fall war. Die Betreuungsintensität hat zuge-
nommen. Das ist genau das, was wir in den letzten Jah-
ren gepredigt haben. Die Arbeitsuchenden werden nicht
verwaltet, sondern sie werden wirklich betreut und akti-
viert. Es werden Eingliederungsvereinbarungen ge-
schlossen. Weiterbildung wird angeboten, und diese
Angebote werden wahrgenommen. Die Zahl der Joban-
gebote für Arbeitsuchende nimmt zu. Das heißt, es gibt
Auswahlmöglichkeiten. Es gibt ein wirkliches Kümmern
– Fordern und Fördern – um die Arbeitslosen. Sie wer-
den durch die Fallmanager gefordert.

Was würde es bedeuten, wenn wir jetzt die Sanktio-
nen abschafften? Was ist der Grund für diese Sanktio-
nen? Sie sind im Wesentlichen auf Meldeversäumnisse
zurückzuführen. Das kann man auch andersherum inter-
pretieren. Wenn ich wirklich eine Arbeit suche, dann bin
ich bereit, zu arbeiten, und dann melde ich mich auch.
Bei einigen ist es aber vielleicht so: Ich will gar keine
Arbeit und suche auch gar keine Arbeit. Deshalb melde
ich mich nicht oder versäume es, mich zu melden. – Es
ist vorhin schon angesprochen worden: Vielleicht hat der
eine oder andere Angst vor der Arbeit, die ihm angebo-
ten wird.

Genau deshalb ist das asozial. Die Mehrheit der Men-
schen sucht nämlich Arbeit. Diese Menschen werden
dann in einen Topf mit denen geworfen, die keine Arbeit
wollen. Deshalb wäre es grundfalsch, dieses Verfahren
jetzt zu ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das wäre ein Schlag ins Gesicht derer, die ernsthaft nach
Arbeit suchen. Es ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen,
die dafür sorgen, dass die Gelder für die Hartz-IV-Emp-
fänger zur Verfügung gestellt werden. Hartz-IV-Leistun-
gen sind nämlich für diejenigen gedacht, die ihre Ar-
beitsleistung zur Verfügung stellen und sich nicht nur
alimentieren lassen. Insofern wäre das das völlig falsche
Signal. Das werden wir nicht mitmachen.

Sie reden immer von der Stärkung des Binnenkon-
sums und des Binnenmarktes. Wir haben durch unsere
beschäftigungsorientierte Lohnpolitik eine Lohnsteige-
rung von 3,7 Prozent der Bruttolöhne in diesem Jahr und
von 3,2 Prozent im nächsten Jahr erreicht. Wir wollen,
dass diese Bruttolöhne beim Arbeitnehmer und beim
Rentner auch ankommen. Was machen Sie? Sie blockie-
ren im Bundesrat das Gesetz zur Abschaffung der kalten
Progression und zur Erhöhung des Grundfreibetrages.
Damit verhindern Sie, dass diese Lohnsteigerungen
beim Arbeitnehmer und Verbesserungen beim Leis-
tungsempfänger ankommen. Damit machen Sie das Ge-
genteil dessen, was Sie hier immer im Munde führen.

Ich möchte am Ende ganz kurz auf das Thema Ver-
mögensteuer eingehen. Die Kapitalflucht ist hier schon
angesprochen worden, auch die Erhöhung des Spitzen-
steuersatzes, was die Grünen fordern.


(Klaus Barthel [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur Wirtschaftspolitik!)


Was heißt das? Sie tun im Rahmen einer Neidkampagne
so – das Stichwort „Millionäre“ ist schon gefallen; es
wird auch immer von Jachten gesprochen –, als ginge es
darum, diese Menschen zu treffen. In Wahrheit würden
Sie mit den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen
aber das Herz der deutschen Wirtschaft treffen, den Mit-
telstand. 80 Prozent der Personengesellschaften wären
von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Ein-
führung der Vermögensteuer betroffen. Das heißt, Ihre
Steuerpläne sind ein Angriff auf den deutschen Mittel-
stand, auf den Träger von Wachstum und Beschäftigung.
Das werden wir so nicht mitmachen.

Angesichts dessen, was Grün und Rot hier planen, hat
der Satz von Heine: „Denk ich an Deutschland in der
Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ eine ganz
neue und andere Bedeutung.


(Zurufe von der SPD: Ah!)


Wir werden dafür sorgen, dass die Deutschen auch wei-
terhin ruhig schlafen können und dass es mit Wachstum,
Konsolidierung und Beschäftigung in diesem Land wei-
ter vorangeht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720802000

Zu einer kurzen Intervention erhält der Kollege

Michael Schlecht das Wort.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Muss das denn sein?)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720802100

Herr Pfeiffer, ich will Sie nur darauf hinweisen, dass

Sie von einer vollkommen falschen Faktenlage zur Be-
schäftigung und vor allen Dingen zu der mittlerweile
einsetzenden Prekarisierung ausgehen.

Wir haben in Deutschland in den Jahren 2000 bis
2011 in der Tat einen Aufwuchs von 4,1 Millionen Ar-
beitsplätzen erlebt. Aber diese 4,1 Millionen Arbeits-





Michael Schlecht


(A) (C)



(D)(B)


plätze sind praktisch samt und sonders sogenannte Bad
Jobs. Das sind Jobs von Leiharbeitern bis hin zu Solo-
selbstständigen. Sie haben in der gleichen Zeit, als wir
einen Aufwuchs von etwas mehr als 4 Millionen Ar-
beitsplätzen hatten, die, wie gesagt, deutlich minderer
Qualität sind, um das noch höflich zu formulieren,
2,3 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet, sodass un-
ter dem Strich ein Plus von 1,8 Millionen an zusätzli-
chen Arbeitsplätzen übrigbleibt. Das sind aber schlechte
Arbeitsplätze: Leiharbeit, Soloselbstständige, Werkver-
träge und dergleichen mehr. Das sind häufig Jobs, von
denen man nicht leben und nicht sterben kann. Die guten
Jobs – ich wiederhole die Zahl: 2,3 Millionen Vollzeit-
arbeitsplätze – sind vernichtet worden. – Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1720802200

Herr Schlecht, durch ständiges Wiederholen werden

falsche Zahlen auch nicht richtig. Sie haben sich gerade
schon selber korrigiert. Auf der einen Seite sagen Sie,
dass sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wegge-
fallen sind. Auf der anderen Seite konstatieren Sie, dass
es einen Zuwachs von fast 2 Millionen Arbeitsplätzen
gibt.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Vielleicht hören Sie einfach mal zu! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!)


In der Tat: Wir haben 2 Millionen sozialversicherungs-
pflichtige Arbeitsplätze mehr als vorher. Das ist das Er-
gebnis der Politik.

Differenzieren wir doch einmal: Die Beschäftigungs-
quote hat zugenommen. Sie umfasst aber alle Beschäf-
tigten. Es gibt viele Menschen,


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Die für 3,50 Euro arbeiten wollen?)


die beispielsweise noch in der Familienphase sind oder
ein gewisses Alter haben. Die Alterserwerbstätigkeit
zum Beispiel ist dramatisch – im positiven Sinne – aus-
geweitet worden. Wie Sie wissen, haben im Jahr 2000 in
Deutschland gerade einmal 38 Prozent der Menschen im
Alter zwischen 55 und 64 Jahre gearbeitet. Heute sind es
60 Prozent. Das sind 22 Prozentpunkte mehr. Das heißt,
wir schöpfen das Arbeitskräftepotenzial besser und mehr
aus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber zu welchen Bedingungen?)


Zu diesem Ausschöpfen gehört natürlich auch die
Teilzeit. Es gibt Menschen, die nur teilzeitbeschäftigt
sein wollen. Deshalb ist die Zahl dieser Arbeitsplätze
ausgeweitet worden. Insofern vergleichen Sie Äpfel mit
Birnen.

Sie haben die richtige Zahl genannt. Insofern haben
Sie sich schon selber entsprechend korrigiert. Es gibt
nicht 27 Millionen, sondern 29 Millionen sozialversi-

cherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze. Das sind die
Zahlen und Fakten.

Nur wenn wir diese Beschäftigungsquote weiter erhö-
hen und auf über 70 Prozent ausweiten – das sind auch
die europäischen Ziele; manche skandinavischen Länder
haben bereits 75 Prozent erreicht –, haben wir die
Chance, bis 2025 dem Defizit, das sich aus der Demo-
grafie ergibt und das schon angesprochen wurde, zu be-
gegnen. Das ist nicht mehr lange hin; diese Zeit werden
hoffentlich alle von uns noch erleben. In zwölf Jahren
fehlen in diesem Land 6 Millionen Fachkräfte. Deshalb
müssen wir alle mobilisieren: die Menschen, die noch in
der Familienphase sind, die Älteren und auch die Müh-
seligen und Beladenen.

Ich habe es vorhin angesprochen: Wir können es uns
nicht mehr leisten,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Herr Präsident, können wir den mal stoppen?)


dass jemand zurückbleibt und alimentiert werden muss.
Es müssen vielmehr alle aktiviert werden, damit wir den
Herausforderungen im Hinblick auf die Fachkräfte auch
in Zukunft entsprechend begegnen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720802300

Das Wort erhält nun der Kollege Oliver Krischer,

Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720802400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kein Redner der Koalition hat es ausgelassen, den grü-
nen Parteitag zu erwähnen. Das muss eine beeindru-
ckende Veranstaltung gewesen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Erschütternd! Eine erschütternde Veranstaltung!)


Damit haben wir das Hauptziel schon erreicht. Unsere
Botschaften sind bei Ihnen in der richtigen Art und
Weise angekommen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das war nur entlarvend! Steuererhöhungen!)


Herr Pfeiffer, im Deutschen Bundestag im Zusam-
menhang mit Menschen in unserem Land, die nicht auf
der Sonnenseite des Lebens stehen, den Begriff „aso-
zial“ zu gebrauchen, finde ich skandalös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das hat er nicht! So ein Schwätzer! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das hat er nicht getan!)


Dafür müsste es eine Entschuldigung geben.

Sie hätten sich beinahe versprochen. Sie hätten fast
„Not und Brot“ gesagt. Genau das trifft es nämlich.
Wenn etwas asozial in unserem Land ist, dann ist es die
Tatsache, dass Menschen Vollzeit arbeiten und von dem
Geld, das sie dafür bekommen, nicht leben können und





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


aufstocken müssen. Das gehört durch einen gesetzlichen
Mindestlohn abgestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, auch wenn man es nicht
glauben mag und wahrscheinlich der Großteil der deut-
schen Öffentlichkeit das noch nicht mitbekommen hat:
Herr Rösler und das Wirtschaftsministerium sind in
Deutschland für die Energiewende zuständig. Bei einem
Blick in den Wirtschaftsetat, den Einzelplan 09, finden
sich viele schöne Dinge wie Luft- und Raumfahrt und
maritime Wirtschaft. Aber eines finden Sie dort über-
haupt nicht: Die Energiewende findet in diesem Etat
nicht statt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Skandal. Wenn sein Kabinettskollege
Altmaier sagt, dass das das größte industriepolitische
Projekt in diesem Land ist, dann hat dieser Minister ver-
sagt, weil es im Etat nicht vorkommt.


(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Das müssen Sie jetzt mal näher erklären!)


Herr Lämmel, das wird nirgendwo deutlicher als bei
der Energieeffizienz. Wir kommen bei der Energieeffi-
zienz nicht voran. Und was macht diese Bundesregie-
rung? Sie verkündet, Deutschland solle Energieeffizienz-
weltmeister werden. Gleichzeitig blockiert Deutschland
in Brüssel alles, was mit dem Thema Energieeffizienz zu
tun hat.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie blockieren im Bundesrat!)


Nun hat Brüssel endlich eine Richtlinie verabschiedet.
Das Einzige, was das Wirtschaftsministerium tut, ist, da-
ran zu arbeiten, wie man diese Richtlinie wieder umge-
hen kann. Das ist ein Skandal.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Skandal ist das nicht! Nicht alles ist ein Skandal!)


Ich sage: Wir brauchen einen Energieeffizienzfonds, der
uns beim Thema Energieeffizienz endlich voranbringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Netzausbau. Dafür ist – man glaubt
es nicht – Herr Rösler zuständig. Aber was haben wir
von Herrn Rösler zum Thema Netzausbau in den letzten
Jahren gehört? Das Einzige, was in der breiten Öffent-
lichkeit wirklich angekommen ist, war, dass er gegen
Naturschutzverbände gepöbelt hat, um Stammtische zu
bedienen, und behauptet hat, Naturschutz würde den
Netzausbau verhindern. Aber hier in diesem Hause
musste Herr Hintze – er sitzt dort hinten – zugestehen,
dass die Bundesregierung all das, was der Minister for-
dert, nämlich die Änderung der Naturschutzgesetzge-
bung, nicht machen wird. Nur Sprechblasen, nur Stamm-
tischparolen – das ist das, was wir von Herrn Rösler zum
Thema Netzausbau hören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kommen wir zu dem Thema Offshore. Es ist seit Jah-
ren allen, die sich damit auseinandersetzen, klar, dass
wir bei der Netzanbindung der Offshorewindparks auf
ein riesiges Problem zusteuern. Was macht dieser Minis-
ter? Er macht jahrelang überhaupt nichts. Er lässt das
Problem auflaufen, und jetzt sind Schäden von mindes-
tens 1 Milliarde Euro entstanden, für die Schadens-
ersatzzahlungen geleistet werden müssen. Man verstän-
digt sich darauf, dass wieder die Verbraucher zahlen
sollen. Wieder sind es die Privatverbraucher, die alleine
zahlen, die Industrie ist komplett von der Zahlung ausge-
nommen. Das ist ein Skandal. Das können Sie so nicht
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720802500

Herr Kollege Krischer, darf der Kollege Pfeiffer Ih-

nen eine Zwischenfrage stellen?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720802600

Gerne.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1720802700

Ich wollte keine Zwischenfrage stellen, sondern eine

Kurzintervention machen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720802800

Ja, aber der Zweck unserer Tagesordnung besteht

nicht darin, dass sich die Redner anschließend jeweils
noch einmal durch Kurzinterventionen zusätzliche Rede-
zeit verschaffen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er ist angegriffen worden!)


– Ist ja in Ordnung. Das kann durch eine Zwischenfrage
geklärt werden.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1720802900

Dann versuche ich, das, was ich sagen wollte, in eine

Frage zu kleiden.

Kollege Krischer, gehe ich recht in der Annahme,
dass wir hier keine falschen Behauptungen oder Feststel-
lungen machen wollen? Sind Sie mit mir der Meinung,
dass ich in meiner Rede vorhin keinen Menschen als
asozial bezeichnet habe, sondern dass ich es als asozial,
als unsozial bezeichnet habe, dass Sie die Regelung, die
Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger vorsieht, wenn sie
die Meldepflicht verletzen, zurücknehmen wollen? Denn
damit erreichen wir das Gegenteil von dem, was wir
wollen. Ich glaube, ich habe ausführlich beschrieben,
was ich damit meinte.

Insofern will ich klarstellen, dass ich hier niemanden
als asozial bezeichnet habe, sondern das, was Sie vor-
schlagen, als asozial und als unsozial kritisiert habe.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Und damit hat er recht!)







(A) (C)



(D)(B)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720803000

Herr Pfeiffer, ich wäre mit dem Benutzen des Begriffs

„asozial“ vorsichtig, gerade in diesem Raum und gerade
im Zusammenhang mit Menschen, die wirklich nicht auf
der Sonnenseite der Gesellschaft stehen.


(Klaus Breil [FDP]: Jetzt weicht er aus!)


In diesen Zusammenhang haben Sie das gestellt.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein, in den Zusammenhang mit eurem schwachsinnigen Programm hat er es gestellt!)


Bei mir ist es so angekommen, und das ist nicht in Ord-
nung. Sie sollten mit Ihrer Wortwahl vorsichtiger sein.
Das sollten Sie einfach üben.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Sie sollten lernen, ein Vokabular zu benutzen, das Ihrem
Anspruch von Bürgerlichkeit entspricht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf hohem moralischen Ross hocken und andere attackieren, das sind die Grünen! Das ist die neue Bürgerlichkeit von Ihnen! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Pfui Teufel!)


– Dass sich jemand von Ihnen hier hinstellt und solche
Worte benutzt, finde ich nicht in Ordnung. Da sollten Sie
sich an die eigene Nase fassen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Miserabel ist das, was Sie machen!)


Ich will zu einem Punkt kommen, den wir nächste
Woche hier im Plenum beraten werden. Eben war viel
von Sozialismus und Planwirtschaft die Rede. Der Wirt-
schaftsminister dieser Bundesregierung plant etwas, was
nichts anderes als Sozialismus und Planwirtschaft ist: ein
– man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen –
„Kraftwerkszwangsbetriebsgesetz“. Kraftwerksbetreiber
in Deutschland sollen zur Aufrechterhaltung des Be-
triebs ihres Kraftwerks verpflichtet werden, wenn die
Bundesnetzagentur bzw. die Bundesregierung das will.
Meine Damen und Herren, was anderes als Sozialismus
und Planwirtschaft kann es sein, wenn man ein solches
Gesetz macht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das kann nicht sein. Wir schlagen etwas anderes vor.
Wir brauchen marktwirtschaftliche Instrumente in der
Energiewirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Schaffung von Kapazitätsmärkten endlich vorankommt.

Ich könnte mir eigentlich vorstellen: Wenn man ein
solches Gesetz macht, dann müsste das bei den Linken
zu Verzückungen führen. Es müsste sie verzücken, dass
der Staat anordnen kann, dass ein Kraftwerk weiter be-
trieben wird. Diese Regierung toppt es ja noch. Ich habe
vor drei oder vier Tagen in einer Tickermeldung gelesen,
dass man jetzt sogar den Neubau von Kraftwerken an-
ordnen will. Das werde in der Bundesregierung überlegt.
Hier vorne sitzt die Kollegin Gesine Lötzsch. Sie befin-
det sich auf der Suche nach dem Kommunismus. Sie
wird bei Herrn Rösler fündig; denn genau das, was für

die Energiewirtschaft geplant wird, ist Sozialismus, wie
ihn die Linke offensichtlich anstrebt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ich denke, Kommunismus!)


Vor diesem Hintergrund möchte ich zu einem weite-
ren energiepolitischen Punkt kommen. Dieser Minister
will das EEG quasi abschaffen; auch das ist heute schon
ein paarmal angesprochen worden. Er will es nicht refor-
mieren, sondern er will ein Quotenmodell einführen. Ge-
rade zu dem Zeitpunkt, wo in Großbritannien das Quo-
tenmodell gescheitert ist und die konservative britische
Regierung es abschaffen will, will dieser Wirtschafts-
minister es in Deutschland einführen.

Diese Woche habe ich auf der ersten Seite der Aache-
ner Nachrichten gelesen, dass das von Herrn Rösler ver-
wendete Wort „Anschlussverwendung“ noch im Rennen
ist als mögliches Unwort des Jahres 2012. Meine Damen
und Herren, „Unwort des Jahres“, das passt zu diesem
Wirtschaftsminister.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mannomann! „Primitiv“ ist noch vornehm!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720803100

Nächster Redner ist der Kollege Georg Nüßlein für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1720803200

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich

wollte eigentlich mit ein paar Worten zum Haushalt an-
fangen. Ich muss aber zunächst auf das eingehen, was
Sie, Herr Krischer, hier gerade abgeliefert haben. Es ist
nämlich ein Skandal – um eines Ihrer Worte zu gebrau-
chen –, was Sie hier tun. Sie haben es sich einfach ge-
macht: Sie verunglimpfen das, was der Kollege vorher
gesagt hat. Ich unterstelle Ihnen einmal, dass Sie es intel-
lektuell durchaus begriffen haben. Aber Sie schaffen
sich eine Basis, um leichter dagegen anargumentieren zu
können, und das ist, mit Verlaub, extrem unanständig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kollege Pfeiffer hat ganz deutlich formuliert, dass er
nicht Menschen, sondern das, was Sie als Regelungen
vorschlagen, gemeint hat. Er hat nicht einmal gesagt, er
habe Sie gemeint. Auch das könnte man vielleicht noch
glauben; das wäre in diesem Zusammenhang ja nicht
ganz abwegig. Er hat klar gesagt, er habe Regelungen
gemeint, zu denen Sie sagen: Derjenige, der in Zukunft
Hartz IV bekommt, soll sich dem Arbeitsmarkt nicht
mehr zwingend zur Verfügung stellen. – Sie wollen ei-
nen falschen Weg einschlagen. Das wird man im Deut-
schen Bundestag doch wohl noch sagen dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Georg Nüßlein GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! Ist auch noch inhaltlich falsch, was Sie da behaupten!)





(A) (C)


(D)(B)


Wenn Sie wenigstens nicht so weitergemacht hätten.
Sie behaupten falsche Dinge, nur weil es gerade in Ihre
Argumentation passt. Sie sagen: Offensive Energiepoli-
tik findet mit diesem Etat nicht statt. – Das ist falsch.
Das Ganze wird allerdings von einem Jahrzehnte wäh-
renden Subventionstatbestand überlagert, nämlich der
Steinkohlethematik. Sie hätten sagen können: Lassen Sie
uns alle miteinander aufpassen, dass uns dergleichen mit
den erneuerbaren Energien nicht noch einmal passiert.
Das wäre einmal ein richtiges Wort von Ihnen gewesen.
Wir sollten uns Probleme dieses Ausmaßes nicht noch
einmal einhandeln.

Sie behaupten, offensive Energiepolitik fände nicht
statt, wohl wissend, dass sich die Finanzierung der Ener-
giewende über mehrere Etats verteilt. Beispielsweise
sind die Mittel für die Umsetzung des EEG insbesondere
im Einzelplan des Umweltministeriums veranschlagt.
Das alles wissen Sie, und trotzdem stellen Sie die Dinge
hier in einen falschen Zusammenhang. Ich halte das für
ausgesprochen unredlich. Ich würde mir wünschen, dass
Sie das in Zukunft unterlassen. Ich hatte mehrfach genau
dieses Problem mit Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen. Es ging sogar so weit, dass ich einmal jemanden
abmahnen musste, weil sie explizit das Gleiche gemacht
hat, nämlich etwas Falsches behauptet und dann dagegen
argumentiert hat. Das sollte man im Umgang miteinan-
der nicht tun. Das sagt jemand, der durchaus etwas
hemdsärmelig ist. Es ist nicht so, dass ich nichts ertragen
kann. Aber es wäre schön, bei der Wahrheit zu bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie noch über die Wirtschaftspolitik?)


Lassen Sie mich, weil es schon angemahnt wurde,
jetzt über das Thema reden. Der Etat des BMWi beträgt
6,1 Milliarden Euro. Überschlägig sind es 2 Prozent des
Gesamthaushaltes. Er ist klein, aber oho. Das mag vor-
kommen. Aber, meine Damen und Herren, die Schwer-
punkte sind spannend.

Die Innovationsförderung ist mit 2,3 Milliarden Euro
einer der Schwerpunkte im Haushaltsansatz des BMWi.
Darunter fällt das Zentrale Innovationsprogramm Mittel-
stand, kurz: ZIM, das auf 510 Millionen Euro aufge-
stockt werden soll.

Ich habe mir erlaubt, die IHK Schwaben zu bitten,
dieses Programm zu evaluieren. Dies ist ganz spannend.
Ich kann Ihnen nur empfehlen, vor Ort zu schauen, was
wir damit organisieren und provozieren. 40 Prozent der
200 Unternehmen, die an dieser Umfrage, die die IHK
organisiert hat, teilgenommen haben, hätten ihr Innova-
tionsprojekt ohne das ZIM nicht bewerkstelligt. 37 Pro-
zent verfügen nun durch das ZIM über Kontakte zu an-
deren Unternehmen des Kammergebietes, welche zuvor
nicht bestanden. Fast jedes fünfte Unternehmen hat auf
Grundlage des ZIM Kontakte zu Universitäten, zu Hoch-
schulen und zu diversen Forschungseinrichtungen ge-
knüpft. 95 Prozent der neu entstandenen Jobs sollen über
den Programmlauf hinaus beibehalten werden. Und

96 Prozent der Unternehmen haben angegeben, sie wür-
den sich wieder an einem solchen Innovationsprojekt be-
teiligen. Das ist beeindruckend. Es hat mich nicht nur
gefreut, dass die Umfrage gemacht wurde, sondern auch,
dass sich die Wirkung dieses Programmes bestätigt hat.
Das zeigt, dass wir einerseits zu Recht auf Innovation
und andererseits zu Recht auf den Mittelstand setzen.

Dem Mittelstand ist ein spezielles Kapitel im Haus-
halt gewidmet unter dem Motto „Gründen, Wachsen, In-
vestieren“. Es wird mit 874 Millionen Euro dotiert. Ich
möchte noch einmal sagen, weil wir heute schon viel
über die Konjunktur gehört haben: Wir alle wissen – je-
denfalls unsere Seite; bei Ihnen bin ich mir nicht immer
sicher –, dass wir die robuste konjunkturelle Lage dieses
Landes dem deutschen Mittelstand und den produktiven
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verdanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben viele negative Dinge zur konjunkturellen
Lage gehört. Dies ist offenbar dem Wahlkampf geschul-
det. Wir übersehen überhaupt nicht, dass das europäi-
sche Umfeld natürlich Auswirkungen darauf hat, was
sich in Deutschland abspielt, Herr Schlecht. Spannend
fand ich Ihre Abgrenzung nach Good and Bad Jobs. Ich
verstehe nicht, wie Sie diese Abgrenzung machen. So
wie Sie es beschreiben, kann es nicht sein. Selbst wenn
es so wäre, hätten wir keine Überschusse in den Sozial-
kassen. Das wäre doch nicht so, wenn dies alles Jobs wä-
ren, die prekär bzw. jenseits der Sozialversicherungs-
pflicht sind. Das glaube ich nicht. Das ist angesichts der
Zahlen unrealistisch. Deshalb bitte ich auch Sie, keine
Unwahrheiten zu verbreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich spielt das europäische Umfeld eine Rolle.
Man kann sich die Frage stellen: Wie geht man damit
um? Die Linke hat angedeutet, die deutschen Exporte
seien daran schuld. Ich weiß nicht, was Sie tun wollen.
Wollen Sie dafür Sorge tragen, dass wir weniger expor-
tieren?


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Mehr importieren!)


Bei einer exportorientierten Nation bedeutet das im Um-
kehrschluss den Abbau von Jobs. Das halte ich für aus-
gesprochen schlecht, Herr Schlecht.

Im Übrigen finde ich, dass die Themen, die hier sonst
angesprochen werden – Euro-Bonds, Bankenunion, die
grüne Altschuldentilgung –, sicher kein Beitrag dazu
sind, mit der Schuldenkrise richtig umzugehen. Diese
Vorschläge senken die Zinsen in den Schuldnerländern.
Damit verursachen wir falsche Marktsignale. Ferner ge-
hen sie zulasten unserer Bonität. Sie erhöhen unsere Zin-
sen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Schwie-
rigkeiten das in unseren Haushalten auslösen würde.

In den Haushaltsdebatten habe ich vielfach gehört,
wie wenig ambitioniert dieser Haushalt in toto sei. Ich
möchte einmal festhalten: Die Aufstockung des Stamm-
kapitals des ESM um 8,7 Milliarden Euro belastet unse-
ren Haushalt. Die SPD hat – wenn ich es richtig zusam-
mengerechnet habe – 6,3 Milliarden Euro Mehrausgaben





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


beantragt. Dabei haben Sie vorgeschlagen, was man
denn alles noch zusätzlich machen könnte.

Bei den Grünen habe ich nur die Vorschläge zum Um-
welt- und dem Entwicklungshilfeetat zusammengezählt.
Dabei bin ich auf 3,4 Milliarden Euro gekommen, die
Sie gern mehr hätten.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles gegenfinanziert!)


Also, Haushaltskonsolidierung heißt bei Ihnen jeden-
falls nicht sparen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Jetzt komme ich zum Parteitag der Grünen und zu
dem, was gelegentlich von der SPD vorgeschlagen wird.
Sie haben ganz deutlich gesagt, was Sie machen wollen:
Sie wollen Steuern erhöhen; Sie wollen Substanzsteuern
erheben.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Subventionen kürzen!)


Sie wollen genau die Dinge, die hier mehrfach andisku-
tiert wurden. Das ist Ihre Vorstellung von Sparen. Mich
ärgert in diesem Zusammenhang, dass Sie es auch noch
fertigbringen, die Leute zu täuschen.

Ich habe vor kurzem mit einer netten Ärztin gespro-
chen. Diese hat mir erklärt, dass sie alles toll findet: Die
Millionäre werden zur Kasse gebeten. Ich habe ihr da-
raufhin gesagt: Überlege einmal, was du verdienst und
was du am Ende bezahlen wirst. – Sie hat mir das erst
dann geglaubt, als ich ihr vorgerechnet habe, ab wann
Ihr erhöhter Spitzensteuersatz greifen wird. Dann ist ihr
klar geworden, dass sie mit dabei ist.

Tun Sie also doch hier nicht so, als ob es am Schluss
die Millionäre treffen würde. Das stimmt doch nicht. Die
Mittelschicht wird es sein. Sie sind wieder auf dem Weg,
eine Kuh auf einer Wiese melken zu wollen, auf der es
keinen Zaun gibt. Nur die wenigen Kühe, die angepflockt
sind, die Mittelständler, die Mittelschicht, werden Sie am
Schluss damit erwischen, wenn Sie denn gewählt wer-
den. Ich glaube nicht, dass man mit einem solchen Vor-
schlag, mit einem solchen Programm gewählt wird. Ich
glaube, dass es gut ist, dass wir auf dieser Seite des Hau-
ses dafür sorgen, dass der konjunkturelle Aufschwung in
Deutschland anhält. Die Voraussetzung hierfür ist, dass
wir im nächsten Jahr eine entsprechende Mehrheit be-
kommen, und diese werden wir bekommen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720803300

Vielen Dank, Kollege Dr. Georg Nüßlein. – Nächster

Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser
Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus
Heil.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1720803400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich muss ganz offen sagen: Ich bin
mir mit Blick auf die Menschen, die uns vor den Fern-
sehschirmen und auf der Tribüne zuschauen, nicht ganz
sicher, ob die unterkomplexe Art und Weise, in der die
politischen Ränder eine wirtschaftspolitische Debatte
führen, wirklich immer eine Werbung für unsere Demo-
kratie ist.


(Beifall bei der SPD)


Was meine ich? Was haben wir heute gehört? Auf der
einen Seite haben wir das eine Extrem gehört: Alles
wunderbar, rosarote Brille, regierungsamtlich. Auf der
anderen Seite hat die Linkspartei gesagt: Die Welt geht
unter.

Ein realistischer Blick auf unsere wirtschaftspoliti-
sche Situation würde uns auf Folgendes bringen: Ja, es
ist richtig: Wir stehen nach wie vor stärker da als andere
Volkswirtschaften in Europa, die vergleichbar sind. Das
hat Ursachen, über die man diskutieren kann.

Es stellt sich die Frage, wer das gemacht hat. Sie sa-
gen: Wir haben es gemacht. – Wir sagen: Wir haben es
gemacht. – Ich glaube, das interessiert die Leute gar
nicht mehr; denn Tatsache ist: Es ist vor allem das Ver-
dienst von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern und von tüchtigen Unternehmen in diesem Land,
die dafür gesorgt haben, dass wir so gut dastehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das haben wir heute schon mal gehört!)


Tatsache ist, dass wir eine starke industrielle Wert-
schöpfungsbasis haben. Es ist vollkommen richtig, Herr
Fuchs, was Sie da beschrieben haben. Auf der anderen
Seite gibt es aktuell in diesem Land aber auch Fehlent-
wicklungen. Es ist sozialversicherungspflichtige, gute
Arbeit entstanden. Es ist aber auch prekäre Arbeit ent-
standen, die man zurückdrängen muss. Es ist nicht in
Ordnung, wenn Menschen 3 oder 4 Euro pro Stunde ver-
dienen. Es gibt einen Missbrauch von Zeit- und Leihar-
beit.

Meine Bitte an die beiden extremen Ränder hier im
Hause ist,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: „Extreme Ränder“? Wo lebst du denn? – Patrick Döring [FDP]: Unfassbar!)


weder mit einer rosaroten Brille noch mit Untergangs-
szenarien unser Land zu beschreiben, sondern mit einem
realistischen Blick festzustellen, dass wir nach drei Jah-
ren guter konjunktureller Entwicklung im kommenden
Jahr in schwieriges Fahrwasser geraten.

Herr Rösler, was Sie sich zurechnen lassen müssen,
ist Folgendes: Sie haben sich in den letzten drei Jahren
auf einer guten Konjunktur ausgeruht sowie auf Ent-
scheidungen von Vorgängerregierungen, auf den Leis-
tungen von anderen. Sie mahnen jetzt immer Strukturre-
formen in anderen Ländern an. Das ist gar keine Frage;
das muss in vielen Ländern sein. Aber sagen Sie mal:





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Welche einzige Strukturreform haben Sie eigentlich in
Ihrer Amtszeit zu verantworten? Mir fällt keine ein.

Sie müssen sich als Bundesminister für Wirtschaft be-
rechtigte Fragen stellen lassen. Diese sind vorhin ange-
sprochen worden. Ich will diese nur noch einmal unter-
streichen. Dabei geht es um die Frage, welche Initiativen
Sie ergriffen haben, um dem Mittelstand in Deutschland
wirksam zu helfen. Wo sind Ihre Initiativen für eine
durchgreifende Entlastung des Mittelstands von über-
flüssiger Bürokratie?

Wo ist Ihre versprochene steuerliche Forschungsför-
derung, um Innovationen zu unterstützen? Worin besteht
eigentlich Ihre Initiative gegen den Fachkräftemangel?
Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Bluecard! 138 Men-
schen sind darüber ins Land gekommen. Ist das wirklich
die Antwort auf die sich auftuende Spaltung des Arbeits-
marktes? Immer mehr Unternehmen suchen händerin-
gend qualifizierte Fachkräfte, und auf der anderen Seite
sind Menschen in unserem Land nach wie vor abgehängt
in prekärer Beschäftigung oder stehen ganz draußen.

Meine Damen und Herren, zum Thema „Fachkräftesi-
cherung“ muss man eines sagen: Wenn die Fachkräfte in
der Regierung fehlen, ist es kein Wunder, dass das Fach-
kräftekonzept dieser Regierung fehlt.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Dem SPD-Kanzlerkandidaten fehlen ja zunehmend die Fachkräfte!)


– Herr Kauder, Sie können in Ihrer berühmten Art he-
rumblöken, wie Sie wollen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: An Ihre Frechheiten komme ich gar nicht ran!)


Sie werden nicht verhindern können, dass dieser Wirt-
schaftsminister sich einer weiteren Frage stellen muss,
nämlich der Frage, ob er seiner Verantwortung im Be-
reich der Energieversorgung gerecht wird. Mit dieser
Frage möchte ich mich etwas intensiver auseinanderset-
zen.


(Holger Krestel [FDP]: Was haben Sie gemacht, bevor Sie nach vorne gegangen sind?)


Sie halten sehr viele Reden dazu. Dabei muss ich Fol-
gendes feststellen: Die Energiewende in diesem Land
droht aufgrund Ihrer Untätigkeit zu stocken oder gegen
die Wand gefahren zu werden.


(Beifall bei der SPD)


Sie beklagen die Erhöhung der EEG-Umlage in die-
sem Herbst. Ja, seit wann ist die denn explodiert? Seit
dem Jahr 2010, unter schwarz-gelber Regierungsverant-
wortung, und das deshalb, weil Sie keine Vorstellung ha-
ben, wie diese Energiewende gemanagt wird und wie
eine Umsetzung erfolgen muss.

Lassen Sie uns darüber unterhalten, wie man die
Energiewende angesichts dieser kurzen Zeiträume be-
werkstelligen könnte. Es handelt sich ja um eine dop-
pelte Energiewende, mit sehr ehrgeizigen Klimaschutz-
zielen und dem Ausstieg aus der Atomkraft. Versuchen

Sie nicht immer, den anderen die Schuld zuzuschieben,
sondern werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht!

Wir werden Vorschläge machen und durchsetzen, die
klar besagen: Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Ener-
gien. Wir brauchen ein Marktdesign, um Stück für Stück
über das EEG die Erneuerbaren marktfähig zu machen
und in die Direktvermarktung zu überführen. Wir müs-
sen dafür sorgen, dass auch im konventionellen Bereich
gesicherte Kapazitäten vorhanden sind, um die Versor-
gungssicherheit in diesem Land zu gewährleisten.

Sie haben nichts gemacht seit Fukushima. Sie sind ei-
nen Zickzackkurs gefahren. Sie haben Planungs- und In-
vestitionssicherheit kaputt gemacht. Mit Blick auf Nie-
dersachsen – unsere gemeinsame Heimat, Herr Rösler –
will ich Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Sie haben
im Bereich Offshore große Ankündigungen gemacht,
sind untätig geblieben, und heute erleben wir die kata-
strophalen Folgen.

Sagt Ihnen das Unternehmen SIAG Nordseewerke in
Emden etwas?


(Patrick Döring [FDP]: Mehr als Ihnen!)


Da verschwinden gerade Tausende von Arbeitsplätzen
im Bereich der erneuerbaren Energien, in der Offshore-
anbindung, weil Sie nicht dafür gesorgt haben, dass die
Voraussetzungen für Planungs- und Investitionssicher-
heit geschaffen werden konnten.

Große und kleine Unternehmen, sowohl die großen
EVU als auch die Stadtwerke, ziehen sich von den Off-
shoreinvestitionen zurück, weil Sie keine Planungs- und
Investitionssicherheit geschaffen haben. Sie haben keine
Antwort darauf gegeben, wie der Netzausbau vorankom-
men soll. Damals, als wir gesagt haben: „Wir brauchen
eine deutsche Netz AG, um privates Kapital öffentlich
abgestützt zum Netzausbau zu mobilisieren“, haben Sie
sich geweigert. Heute haben wir den Salat, weil das zu-
ständige Unternehmen – übrigens ein holländisches
Staatsunternehmen – nicht investitionsstark ist.

Meine Damen und Herren, dieser Minister ist ein
Energiewendeversager. Das ist ein Standortrisiko für
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen sich zurechnen lassen, dass Sie Verantwor-
tung dafür tragen, dass nicht nur die Versorgungssicher-
heit für dieses Industrieland mittlerweile zu einem Pro-
blem geworden ist, sondern auch die Bezahlbarkeit der
Energie sowohl für die Unternehmen als auch für die
Verbraucher.

Lassen Sie mich einen Satz sagen zu den Ausnahmen
für energieintensive Unternehmen. Es bleibt dabei: Aus-
nahmen für energieintensive Betriebe, die im internatio-
nalen Wettbewerb stehen, für Betriebe in den Grund-
stoffindustrien, sind hochgradig richtig; denn diese
Unternehmen würden sonst ihre Standorte verlagern,
weil es in anderen Ländern bestimmte Regime nicht gibt
und die Energiekosten niedriger sind. Für die energiein-
tensiven Unternehmen, die alle Effizienzmaßnahmen





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


ausgeschöpft haben, die im internationalen Wettbewerb
stehen, sind diese Ausnahmen richtig.

Aber falsch ist Ihre Ausweitung auf Unternehmen, die
überhaupt nicht im Wettbewerb stehen. Sie diskreditieren
die notwendigen Ausnahmen für energieintensive Be-
triebe, indem Sie diese Ausnahmen ohne Sinn und Ver-
stand ausgeweitet haben. Das Ergebnis ist, dass die Ver-
braucher, aber auch andere Unternehmen für die Folgen
zu zahlen haben, nämlich durch eine erhöhte EEG-Um-
lage. Das ist die Wahrheit. Wir müssen diese Ausnahmen
zurückführen auf die Unternehmen, die sie tatsächlich
brauchen.


(Beifall bei der SPD)


Sie bekommen es nicht einmal hin, ein vernünftiges
Management dieser Energiewende zu organisieren. Da
verhakeln sich Ressorts. Früher war es Herr Röttgen ge-
gen Herrn Rösler, heute ist es Herr Altmaier gegen Herrn
Rösler. Ramsauer sitzt noch irgendwo herum, Schavan
wäre auch zuständig. Ich sage ja nicht, dass es nicht auch
zu anderen Regierungszeiten Ressortauseinandersetzun-
gen gegeben hätte. Das ist ganz natürlich, weil man ja
unterschiedliche Zuständigkeiten hat. Nur: In rot-grüner
Zeit gab es damals am Ende des Tages beispielsweise
immer eine Koordinierung durch das Kanzleramt. Als
sich Werner Müller und Jürgen Trittin nicht immer einig
waren, hat Frank-Walter Steinmeier dafür gesorgt, dass
wir zu Lösungen gekommen sind. Wo ist eigentlich Herr
Pofalla im Bereich der Energiewende, meine Damen und
Herren? Wenn Sie es nicht schaffen, auf Bundesebene
einig zu sein, dann ist es kein Wunder, dass Sie die Ko-
ordinierung mit den Ländern nicht hinbekommen.

Sie haben keinen Masterplan.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Say it in German, please!)


Sie haben keine Antworten auf die Frage, wie wir die
Energiewende hinbekommen. Sie sind verantwortlich
für steigende Strom- und Energiekosten in diesem Land.
Sie haben Planungs- und Investitionssicherheit kaputt
gemacht. Deshalb sage ich: Wir müssen 2013 mit dem
aufräumen, was Sie hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD)


Das ist für mich der entscheidende Punkt: Sie haben
sich drei Jahre lang auf einer guten Konjunktur ausge-
ruht. Sie haben keine Zukunftsvorsorge betrieben, weder
in der Energiepolitik noch in Bezug auf die demografi-
sche Entwicklung. Wie Sie es nach drei Jahren guter
konjunktureller Entwicklung schaffen, ein Loch von
1,6 Milliarden Euro in die Arbeitslosenversicherung zu
reißen, das müssen Sie uns eigentlich einmal erklären.
Sie haben die Sozialversicherungskassen ausbluten las-
sen. Sie plündern die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Diese Regierung hat keine Zukunftsvorsorge für die
schwierigen Zeiten getroffen, vor denen wir jetzt stehen,
weil die Euro-Krise wie ein Bumerang auch nach
Deutschland zurückkommt. Hoffentlich wird es nicht so
schlimm wie 2008/2009, als wir gegengesteuert haben,
hoffentlich nicht! Aber es gibt erhebliche Risiken.

Ich kann Ihnen nur sagen: Ergreifen Sie Maßnahmen,
um Schlimmeres von unserem Land abzuwenden! Än-
dern Sie zum Beispiel die Regelungen zur Kurzarbeit.
Frau von der Leyen hat sich da offen gezeigt; Sie blo-
ckieren, hoffentlich nicht so lange, bis es zu spät ist. Das
Instrument der Kurzarbeit hat uns schon einmal gehol-
fen, durch die Krise zu kommen. Sorgen Sie dafür, dass
die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihren Job als Förder-
bank machen kann! Sie wird in vielen Bereichen ge-
braucht. Plündern Sie nicht ihre Kassen!

Meine Damen und Herren, wir werden 2013, nach ei-
nem Regierungswechsel, im Bereich der Wirtschafts-
politik die Dinge anpacken müssen, die Sie drei Jahre
liegen gelassen haben. Deutschland ist ein starkes Land
– wir sind nach wie vor stark –; aber wir dürfen uns nicht
auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Wir ste-
hen in einer stärkeren internationalen Konkurrenz. Wir
haben den demografischen Wandel zu bewerkstelligen.
Es gibt einen Fortschritt in Wissenschaft und Forschung,
bei dem wir mithalten müssen, zum Beispiel mithilfe
steuerlicher Forschungsförderung, damit auch der Mit-
telstand profitiert. Schließlich haben wir die Energie-
wende in diesem Land zu schultern. Das sind die Zu-
kunftsaufgaben, denen wir uns stellen werden.

Herr Rösler, es ist gut, dass es Restlaufzeiten gibt,
nicht nur für Atomkraftwerke, sondern auch für Ihre
Amtszeit. Ich bin mir sicher: Die Laufzeiten werden von
den Wählerinnen und Wählern nicht verlängert werden,
weder bei der niedersächsischen Landtagswahl noch bei
der Bundestagswahl. Um dafür zu sorgen, dass Deutsch-
land ein starkes, auch ein soziales Land bleibt, brauchen
wir diesen Regierungswechsel, gerade im Bereich der
Wirtschaftspolitik. Sie haben die schlechteste Bundesre-
gierung seit 1949 zu verantworten.


(Klaus Breil [FDP]: Die größten Erfolge!)


Das gilt auch für die Wirtschaftspolitik.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720803500

Das Wort zu einer Kurzintervention hat unser Kollege

Dr. Martin Lindner.


Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1720803600

Man überlegt sich in einem solchen Moment, ob es

sich überhaupt lohnt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen nicht!)


Aber ich muss Ihre Äußerungen natürlich förmlich zu-
rückweisen. Die Tatsache, dass Sie eine Partei wie die
FDP, die von 1949 bis heute mehr als doppelt so lang in
Regierungsverantwortung stand wie die SPD,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war Ihr Wahlergebnis in Berlin?)


als „extremen Rand“ bezeichnen, und Ihre Ausfälligkei-
ten und Pöbeleien gegenüber dem Vorsitzenden der
Unionsfraktion zeigen doch, wo Sie gerade stehen, in





Dr. Martin Lindner (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)


welch orientierungslosem Zustand Sie sich gerade befin-
den.

Eine Partei, die vormals eine Industriepartei in der
linken Mitte war und sich heute selber ein Programm
wie das Ihrige gibt, das irgendwo zwischen Hollande
und der Linkspartei mäandert, und auf der anderen Seite
einen Kanzlerkandidaten kreiert


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt wird’s niveauvoll!)


– anders kann man es gar nicht bezeichnen; richtig ge-
wählt ist er ja nicht –, der selber für die Rente mit 67, für
das Betreuungsgeld, für die Flexibilisierungselemente
am Arbeitsmarkt stand und überhaupt nicht zu Ihrem ko-
mischen Programm zwischen Hollande und Linkspartei
passt, eine solche Partei – Herr Heil, das haben Sie uns
gerade wirklich eindrucksvoll vorgeführt – braucht noch
vier bis acht Jahre, um sich zu regenerieren, um sich zu
finden, um einen Diskurs zu führen, ob man Deutschland
aus der Mitte oder eben vom Rand regieren will. Treten
Sie hier wieder an und bemühen Sie sich um die Wähler-
schaft, wenn dieser Prozess abgeschlossen ist und Sie je-
manden gefunden haben, der zu Ihrem Programm passt,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)


damit es Hand in Hand geht! Bis dahin wünsche ich Ih-
nen, Herr Heil, einen wirklich erfolgreichen Selbstfin-
dungsprozess.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was gab’s heute Morgen zum Frühstück? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was haben Sie geraucht?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720803700

Das Wort zur Antwort hat unser Kollege Hubertus

Heil.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1720803800

Ich widerstehe der Versuchung, über Cannabis zu re-

den, Herr Lindner; das ist Ihr privates Vergnügen.

Ich will Ihnen erklären, warum ich von Rändern ge-
sprochen habe. Das meine ich nicht im Sinne von Extre-
mismen in allen möglichen Politikfeldern, sondern im
Bereich der Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftsradikale
Vorstellung, die Sie liberal nennen, nach dem Motto
„Der Markt kann alles viel besser; wenn jeder sich um
sich selbst kümmert, dann ist an alle gedacht“, das ist
nicht meine Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft.


(Beifall bei der SPD)


Sie müssen begreifen, dass Ihre Vorstellung von
Entstaatlichung in allen Lebensbereichen nicht mehr
zeitgemäß ist. Das sehen wir an den Finanzmärkten, wo
Regulierung gefragt ist. Das gilt für viele andere Berei-
che auch.

Unsere Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft ist
klar: So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.

Das unterscheidet uns von radikalen Entstaatlichern, wie
Sie es sind. Ich habe zwei Parteien beschrieben, die in
wirtschaftspolitischer Hinsicht – das sieht man auch an
der Sitzordnung in diesem Hause – an den Rändern
sitzen.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist unmöglich! Unmöglich!)


Wir wollen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale
Gerechtigkeit keine Gegensätze sind; wir wissen: Das
sind wechselseitige Bedingungen. Wir wollen uns darum
kümmern, und zwar gemeinsam mit Bündnis 90/Die
Grünen, mit denen wir viele Gemeinsamkeiten haben,
wenngleich es vereinzelt Unterschiede gibt.


(Patrick Döring [FDP]: Das ist eines Sozialdemokraten unwürdig!)


Eines lasse ich mir von Ihnen nicht nachsagen, Herr
Lindner. Mit Blick auf meinen Wahlkreis und mit dem,
was ich politisch zu verantworten habe, können Sie alles
dumm finden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen wir nicht dumm finden! Das ist so!)


Offensichtlich sind Sie der Meinung, der politische Geg-
ner hat immer unrecht. Dass Sie jemand sind, der sich
für die Industriearbeiterschaft in diesem Land einsetzt,
das halte ich für ein schräges Gerücht. Wir haben durch
die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung dafür
gesorgt, dass dieses Land nach wie vor eine Industrie-
nation geblieben ist. Als Sie Leitbildern wie Irland hin-
terhergelaufen sind, die rein auf Finanzwirtschaft und
nicht mehr auf produzierendes Gewerbe gesetzt haben,
als Sie uns als kranken Mann Europas darstellen wollten,


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie waren der kranke Mann!)


weil wir auf die Wertschöpfungsketten, angefangen bei
den Grundstoffindustrien, gesetzt hatten, als Sie gesagt
haben: „Die Zukunft liegt allein bei Dienstleistung“
– und gemeint war Finanzdienstleistung –, in dieser Zeit
haben wir dieser Mode widerstanden. Das unterscheidet
uns, Herr Lindner.

In meiner Heimat in Niedersachsen, in der es Stahl-
industrie, Volkswagen und Grundstoffindustrien gibt,
bleibt die Wirtschaft nicht stehen. Sie wird sich weiter
wandeln und sich den anstehenden Herausforderungen
stellen,


(Patrick Döring [FDP]: Da regiert seit fast zehn Jahren Schwarz-Gelb!)


und das mit einer gesunden industriellen Basis.

Welchen Bezug Sie zum Thema Industriepolitik ha-
ben, erschließt sich mir überhaupt nicht. Das haben wir
in den Verhandlungen darüber, was in Europa notwendig
ist, gemerkt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: „Kurz“-Intervention!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Sie halten allein eine Politik des Kürzens für richtig. Sie
halten überhaupt nichts von Wachstumsimpulsen.


(Patrick Döring [FDP]: Ihre Beziehung zum realen Leben hat noch nie etwas mit Wirtschaft zu tun gehabt!)


Insofern sage ich Ihnen ganz deutlich, Herr Lindner:
Machen Sie sich um meine Partei nicht so wahnsinnig
viel Gedanken. Wir kümmern uns schon um uns selbst.
Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, warum die
Wählerinnen und Wähler der Meinung sind, dass Sie
nicht nur nicht mehr in die Regierung gehören, sondern
in vielen Ländern auch nicht mehr in die Parlamente.
Setzen Sie sich besser mit sich selbst auseinander.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es reicht jetzt!)


Ich sage es noch einmal: Ich halte Sie politisch, was
demokratische Fragen betrifft, nicht für einen Extremis-
ten. Sie sind ein liberaler Geist.


(Patrick Döring [FDP]: Immerhin!)


Aber ich stelle fest: Wirtschaftspolitisch sind Sie nicht
nur am Rand des Mainstreams, wirtschaftspolitisch be-
findet sich die FDP am Rand der Gesellschaft.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720803900

Kollege Hubertus Heil, bitte Ihren letzten Satz.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1720804000

Ich finde, Sie sind eine zu vernachlässigende Größe.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720804100

Vielen Dank.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nix Dank!)


Letzter Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege
Andreas Lämmel für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte
schön, Kollege Andreas Lämmel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1720804200

Sehr geehrter Herr Heil, man kann überall lesen, dass

Sie in das Schattenkabinett aufgerückt sind als zukünfti-
ger Wirtschaftsminister. Ich kann nur sagen: Im Schatten
ist es kalt und auch dunkel; das scheint Ihr Gesichtsfeld
ziemlich einzutrüben.


(Holger Krestel [FDP]: Das Nachtschattengewächs!)


Wir sind sicher, dass Sie in diesem Schatten bleiben
werden. Das ist auch gut für Deutschland; denn Sie als
Wirtschaftsminister, das wäre ein Abstieg für unser
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Vielleicht sollten Sie mit Herrn Steinbrück noch
einmal reden. Sie würden sich besser für Agitation und
Propaganda eignen.


(Claudia Bögel [FDP]: Ja, genau! Sehr richtig!)


Wie man das macht, darüber können Sie mit Ihren linken
Freunden sprechen. Dort wären Sie wirklich sehr gut
verortet.

In wenigen Minuten wird die Mehrheit des Plenums
den Haushalt für das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie verabschieden.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das letzte Mal!)


Sie würden gut daran tun, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, wenn Sie diesem Haushalt
zustimmen würden.

Ich habe die Debatte intensiv verfolgt. Ich habe wirk-
lich versucht, Argumente zu finden, die gegen den vor-
liegenden Haushaltsentwurf sprechen.


(Zuruf von der SPD: Ihre Rede!)


Ich habe keine gefunden. Ich werde gleich auf zwei
Themen eingehen, die Sie immer wieder angesprochen
haben. Ansonsten haben Sie über die Welt und die Ener-
giewende gefaselt. Die Grünen haben gesagt, dass sie
sich im Haushalt des Bundeswirtschaftsministerium
nicht wiederfindet. Die Milliarden, die über das EEG
ausgegeben werden, laufen nicht über den Haushalt des
Bundeswirtschaftsministers. Das hätten Sie in den letz-
ten Jahren eigentlich lernen können.

Sie fordern immer wieder, dass wir Vorsorge treffen
für eine Zeit, in der es wirtschaftlich schwieriger ist. Das
ist unbestritten. Ich glaube, das haben alle Redner hier so
dargestellt.


(Klaus Brandner [SPD]: Nein! Im Gegenteil, Sie sind doch jetzt der Erste, der das zugibt!)


Herr Brandner, mit diesem Haushalt sorgen wir für die
Zeit einer wirtschaftlichen Abschwächung vor. Vor allen
Dingen treffen wir eine Vorsorge für den deutschen
Mittelstand.


(Klaus Brandner [SPD]: Wo denn?)


Dabei geht es um die Ideen, die Projekte und die Pro-
dukte der Zukunft. Schauen Sie sich das einmal genau
an: 70 Prozent der gesamten Haushaltsmittel des BMWi,
wenn man die Mittel für die Steinkohle abzieht, fließen
in die Bereiche Investitionsanreize und Innovationsan-
reize. Zeigen Sie mir einen anderen Haushalt, in dem
dieser Anteil so enorm hoch ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist doch gar nicht die Frage! Das ist doch gar nicht kritisiert worden! Im Gegenteil!)


Herr Brandner, Ihnen ist sicherlich noch nicht aufge-
fallen, dass der Haushalt des BMWi völlig neu struktu-
riert ist. Er ist ziemlich klar strukturiert, sodass auch
jemand, der nicht in der Politik tätig ist, die Chance hat,
durch den Haushaltsplan durchzusteigen. Sie können





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


ganz schnell erkennen, dass 36 oder 38 Prozent, also fast
40 Prozent, des gesamten Geldes für Innovationen,
Technologien und neue Mobilität ausgegeben werden.
Verschiedene Redner, vor allen Dingen mein Kollege
Nüßlein, Herr Fuchs und auch Herr Pfeiffer, haben schon
darauf hingewiesen, dass dieses Geld benötigt wird, um
neue Ideen umzusetzen, um neue Produkte zu schaffen,
die der deutschen Wirtschaft morgen und übermorgen
helfen werden, ihren Weltrang zu behalten.


(Klaus Brandner [SPD]: Bei Ihrer Übersicht hätten Sie merken müssen, dass das keine Steigerung ist! Im Gegenteil! Ein selektiver Leser!)


Herr Dr. Nüßlein hat die Umfrage zum ZIM-Projekt
angesprochen. Es fehlen nur noch zwei Aussagen dazu,
die aber sehr wichtig sind: Erstens. Das ZIM ist das erste
wirklich kompakte Förderprogramm. Früher war das
eine sehr zersplitterte Landschaft. Im ZIM wurden ver-
schiedene Programme zusammengefasst. Zweitens. Alle
Unternehmen, die man auf dieses Programm anspricht,
sagen ganz klar: Das ist das unbürokratischste Förder-
programm im Bereich Forschung und Technologie, das
es in Deutschland je gegeben hat. Das ist der große
Erfolgsfaktor dieses Programms.

Jetzt komme ich zu Ihren Argumenten. Die SPD hat
das Thema GRW angesprochen. Kollege Tiefensee, das,
was Sie diesbezüglich hier von sich gegeben haben, war
ein bisschen lächerlich.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Mehr kann er nicht!)


Ich kann mich erinnern, dass Sie Aufbau-Ost-Minister
waren. Damals gab es auch noch den Herrn Stolpe. Ich
kann mich daran erinnern, dass damals – ich bin mir
nicht mehr ganz sicher, ob das in der Amtszeit des Kolle-
gen Tiefensee oder in der Amtszeit von Herrn Stolpe
war;


(Klaus Brandner [SPD]: Kürzen Sie jetzt, oder stocken Sie da auf?)


das ist auch egal; jedenfalls war es ein SPD-Minister –
über Nacht die Mittel für die GRW halbiert wurden.
Damals haben Sie nichts getan,


(Claudia Bögel [FDP]: Gar nichts!)


um die GRW-Mittel wieder auf eine angemessene Höhe
zu bringen. Trotzdem stellen Sie sich heute hier hin und
sagen: Die SPD hat mit ihrem Antrag dafür gesorgt, dass
die GRW-Mittel aufgestockt wurden.


(Klaus Brandner [SPD]: Natürlich! Das können Sie doch zugeben!)


Das ist lächerlich, Herr Brandner. Wir haben die Mittel
aufgestockt, weil wir die Verantwortung für die GRW
haben.


(Klaus Brandner [SPD]: Nein! Sie haben doch nichts dafür getan! Sie machen jetzt Propaganda! Das ist eine billige Propaganda jetzt!)


Sie müssen bei Ihren Argumenten redlich bleiben. Sie
dürfen die Jahre, in denen Rot-Grün regiert hat, nicht
einfach ausblenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu der GRW stehen wir.


(Klaus Brandner [SPD]: Dann stocken Sie doch auf! Sie kürzen doch! Lämmel kürzt!)


Auch das BMWi steht zu der GRW. Gefahr droht im
Moment eher aus Brüssel; denn die Strukturfonds, über
die zurzeit in Brüssel verhandelt wird, sind ja letztend-
lich eine Ergänzung der GRW-Mittel auf Bundes- und
Landesebene. Wir müssen aufpassen, dass auch auf
europäischer Ebene eine angemessene Ausstattung der
Strukturfonds erhalten bleibt.

Frau Hinz, Sie haben – das war der größte Schlager –
die steuerlichen Anreize für die energetische Gebäudesa-
nierung angesprochen. Sie haben gesagt: Wir stimmen
doch nicht zu, wenn Sie die Kassen der Länder plündern
wollen. – Das ist wirklich grenzwertig und einfach
lächerlich. Herr Tiefensee hat ähnlich argumentiert. Die
Koalition entlastet die Bürger in Deutschland um
10 Milliarden Euro pro Jahr. Nun stellen Sie sich einmal
vor, wir hätten die steuerliche Förderung der CO2-
Gebäudesanierung und die Bürger würden 5 Milliar-
den Euro in die Sanierung ihrer Häuser und Wohnungen
stecken. Was würde das für die Einnahmesituation der
Länder bedeuten? Dann gäbe es wieder Arbeit für das
Handwerk. Das Handwerk ist ein ganz entscheidender
Teil der deutschen Wirtschaft. Lohn- und Einkommen-
steuern sowie Gewerbesteuern würden generiert. Das
Argument, wir würden die Kassen der Länder aus-
räumen, ist einfach lächerlich. Geben Sie doch die
Blockade auf!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt überhaupt kein vernünftiges Argument gegen die
steuerlichen Anreize zur energetischen Gebäudesanie-
rung. Sie wollen das nur ideologisch und parteipolitisch
ausnutzen.

Nun auch noch zu Herrn Schlecht. Herr Schlecht, Sie
sind ja Sozialismustheoretiker und haben das in Gewerk-
schaftsseminaren gelernt. Fragen Sie doch einmal Ihre
Parteikollegen, die mehr Erfahrung haben und es ge-
schafft haben, die ehemals siebtgrößte sogenannte
Volkswirtschaft der Welt gegen die Wand zu fahren. Ihre
Kollegen hatten damals die gleichen Ideen. Der einzige
Unterschied ist, dass Sie das in schwäbischem Dialekt
aussprechen, während Ihre Kollegen das zum Beispiel in
brandenburgischem Dialekt ausdrücken. Aber die Ideen
sind die gleichen.

Angesichts der von Ihnen abgelieferten Darstellung
des Arbeitsmarktes frage ich Sie: Warum sind denn die
Sozialkassen in Deutschland so hervorragend gefüllt?
Doch nicht deswegen, weil es keine ausreichende
Anzahl an sozialversicherungspflichtigen Jobs in
Deutschland gibt, sondern deswegen, weil die christlich-
liberale Koalition dafür gesorgt hat, dass die Menschen
in sozialversicherungspflichtige Jobs kommen. Das hat
eine unmittelbare positive Wirkung auf die Sozialkassen





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


und damit auf das Gesamtsystem. Damit ist die Theorie,
die Sie hier verbreitet haben, eigentlich hinfällig.

Zur Bluecard. Sie dürfen nicht verschweigen, dass die
Regelung zur Bluecard gerade einmal acht Wochen in
Kraft ist. Liebe Kollegen von der SPD, denken Sie nur
an die Greencard-Initiative von Gerhard Schröder! Wir
sollten hier keinen Popanz aufbauen. Es ist schwierig, in
Deutschland ausländische Arbeitskräfte anzuwerben.
Der Grund dafür ist, dass Sie jahrelang blockiert haben.
Wir müssen die Arbeitsmarktregelungen erst so weit
lockern, dass es für ausländische Fachkräfte überhaupt
attraktiv wird, in Deutschland tätig zu sein.

Wir finden, dass der Haushalt des BMWi sehr aus-
gewogen ist. Wir setzen damit auf Innovationen und In-
vestitionen und setzen damit ganz klar den Fokus auf die
Zukunft. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Ihre Stimme
heute für diesen Haushalt abzugeben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720804300

Vielen Dank, Kollege Andreas Lämmel. – Liebe Kol-

leginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09
– Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie –
in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsan-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11543 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Das sind die Fraktion der SPD und
die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die
Grünen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage-
gen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltun-
gen? – Keine. Der Einzelplan 09 ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Einzelplan 11 – Punkt I.15 – auf:

Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales

– Drucksachen 17/10811, 17/10823 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Zum Einzelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der Sozialdemokraten, ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Sie
sind alle damit einverstanden und haben sich auf die
Debatte vorbereitet. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer
Aussprache ist unsere Kollegin Bettina Hagedorn für die
Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Frau Kolle-
gin Bettina Hagedorn.


(Beifall bei der SPD)



Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1720804400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Zu Beginn der Debatte möchte ich mich als Hauptbe-
richterstatterin für den Etat des Arbeits- und Sozial-
ministeriums im Haushaltsausschuss – sicher auch im
Namen meiner Kolleginnen und Kollegen – bei den en-
gagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeits-
und Sozialministeriums, der Bundesagentur für Arbeit,
der Rentenversicherungsträger, des Bundesrechnungsho-
fes und vor allen Dingen unseres Haushaltsausschuss-
sekretariats bedanken. Wir haben in den letzten Wochen
intensive Beratungen gehabt und viele Berichte angefor-
dert. Die Antworten waren umfassend, sie kamen zügig.
Damit wurde unsere parlamentarische Arbeit sehr er-
leichtert. Es ist in diesem Haus gute Sitte, dass man den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Anfang einer si-
cherlich kontroversen Debatte dafür ein Dankeschön
ausspricht.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieser versöhnliche Einstieg, Frau Ministerin, ist lei-
der schon alles, was ich an Positivem über Ihren Etat be-
richten kann. Die Schwerpunktsetzungen stellen – Frau
Ministerin, man muss es so deutlich sagen – Ihren per-
sönlichen Offenbarungseid dar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schon in den letzten Tagen war zu Recht davon die
Rede, dass der schöngerechnete Wahlkampfetat, den Sie
hier vorlegen, letzten Endes einem Bankraub gleich-
kommt, und zwar in erster Linie einem Raub an den so-
zialen Sicherungssystemen und damit an der zukünftigen
Absicherung der Menschen in diesem Lande. Das ist ein
Skandal, unangemessen, unverantwortlich, und das ist
Ihnen, Frau Ministerin, persönlich anzulasten; denn der
größte Teil von den sage und schreibe über 70 Milliarden
Euro, die mit diesem Haushalt und diesem Finanzplan
den sozialen Sicherungssystemen von 2013 bis 2016 ent-
nommen werden, spielt sich in Ihrem Etat – und zwar bei
der Bundesagentur für Arbeit, bei den Jobcentern und
bei der Rente – ab.


(Katja Mast [SPD]: Da kann man nicht klatschen!)


– Nein, da kann man nicht klatschen, das ist wahr. Man
muss es aber deutlich aussprechen; denn am Anfang je-
der Debatte gehört erst einmal die Wahrheit auf den
Tisch.


(Patrick Döring [FDP]: Am Anfang?)


Mit Ausgaben von knapp 120 Milliarden Euro


(Zuruf)






Bettina Hagedorn


(A) (C)



(D)(B)


– wenn Sie die Zahlen nicht nachvollziehen können,
können Sie mir eine Zwischenfrage stellen; ich erläutere
Ihnen die gerne – umfasst dieser Etat knapp 40 Prozent
des gesamten Bundeshaushaltes. Diese Tatsache bemü-
hen Sie von der schwarz-gelben Koalition immer wieder
– allerdings völlig zu Unrecht – als angebliches Indiz da-
für, dass der Sozialbereich bei Ihnen einen hohen Stel-
lenwert hat. Mit dieser Aussage betreiben Sie aber vor-
sätzliche Volksverdummung;


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


denn Sie verschweigen, dass dieser Etat das dritte Mal in
Folge der große Steinbruch von Schwarz-Gelb ist. Es
gab allein in Ihrem Etat, Frau von der Leyen, seit 2010
ein Minus von 24 Milliarden Euro. Das ist die bittere
Wahrheit und Zeugnis eines beispiellosen sozialpoliti-
schen Kahlschlags in der Verantwortung dieser schwarz-
gelben Koalition.


(Beifall bei der SPD)


Sicherlich: Aufgrund drei Jahre brummender Kon-
junktur, sprudelnder Steuerquellen und klingelnder Bei-
tragskassen mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und
glücklicherweise hoher Beschäftigungsquote bilden sich
in diesem Etat erfreulicherweise milliardenschwere kon-
junkturelle Einsparungen ab, über die wir uns alle ge-
meinsam freuen. Diese Einsparungen aber, Frau Minis-
terin, die Ihnen anstrengungslos in den Schoß fallen,
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie seit 2010
darüber hinaus mit Ihrem damals so genannten Spar-
paket einen brachialen Kahlschlag – auf dem Rücken der
Arbeitsuchenden und ihrer Familien vollzogen – haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zusätzlich haben Sie die Bundesagentur für Arbeit
ausgequetscht wie eine Zitrone, sodass es dort ab 2014
praktisch keine nennenswerte Rücklage geben wird, die
den Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der Vergangen-
heit bei sich eintrübender Konjunktur – Stichwort
„Kurzarbeitergeld“ – Perspektive und Chance gab und
Belegschaften in der Krise vor Arbeitslosigkeit bewahrt
hat. Mit dem Haushalt 2013 legen Sie null Vorsorge für
eine sich abzeichnende Krise vor. Damit werden Sie Ih-
rer Verantwortung für die Menschen in diesem Land
nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Das ist Quatsch!)


– Wenn Sie sagen, das sei gar nicht wahr, antworte ich
Ihnen: Wir wollten in der Großen Koalition – dies war
das gemeinsame Ziel –, dass die Bundesagentur für Ar-
beit mit abgesenkten Beitragssätzen – wir haben sie von
6,5 auf 3 Prozentpunkte gesenkt – trotzdem langfristig
auskömmlich finanziert ist. Dafür haben wir ihr die Ein-
nahmen aus einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuer ge-
geben, was mindestens 8 bis 9 Milliarden Euro pro Jahr
ausmacht.

Mit diesem Haushalt ist der Mehrwertsteuerpunkt
komplett aus der Finanzierung verschwunden. Sie wol-

len die Öffentlichkeit glauben machen, dass die Bundes-
agentur für Arbeit mit einem Beitragssatz von 3 Prozent-
punkten dennoch stabil finanziert ist. Das ist mitnichten
der Fall, und Sie wissen das ganz genau. Sie haben die
Rücklage geplündert. Sie umfasst jetzt gerade einmal
2 Milliarden Euro. Schon im nächsten Jahr muss die
Bundesagentur für Arbeit wieder auf die Rücklage zu-
rückgreifen. Das heißt, sie löst sich in Luft auf, falls sich
die Krise verstärkt. Dies hoffen wir zwar nicht; wir tra-
gen aber die politische Verantwortung, dafür Vorsorge zu
treffen.


(Beifall bei der SPD)


Sie tun also das Gegenteil dessen, was wir in der Gro-
ßen Koalition gemacht haben, und wir sind damals gut
damit gefahren. Weil wir der BA 2008 eine Rücklage
von 18 Milliarden Euro zugestanden hatten, war sie in
der Lage, mit uns die Konjunkturpakete aufzulegen und
die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu verlängern.
Unsere Maßnahmen waren gut und richtig. Sie profitie-
ren seit drei Jahren von den Auswirkungen dieser Maß-
nahmen. Aber statt Ihre Schlüsse daraus zu ziehen, ma-
chen Sie genau das Gegenteil. Sie versündigen sich so an
der Zukunft.


(Beifall bei der SPD)


Sie behaupten, die Tatsache, dass dieser Haushalt
40 Prozent des Gesamtetats ausmacht, zeige, wie sozial
der Haushalt ist. Dazu muss man sagen: Sie machen den
Leuten etwas vor; denn schon 85 Milliarden Euro in Ih-
rem Etat sind durch den Rentenzuschuss und die Grund-
sicherung gesetzlich gebunden. Bis 2016 werden diese
Leistungen auf 93,5 Milliarden Euro anwachsen. Das
heißt: 8,5 Milliarden Euro mehr in nur vier Jahren. Es ist
normal, dass eine älter werdende Gesellschaft etwas kos-
tet und sich dies in Ihrem Etat abbildet. Das ist aber eben
kein Ausweis von sozialer Gerechtigkeit; denn bei dem
Einzelnen kommen nicht mehr Leistungen an.

Wenn wir sehen, wie Ihre Zukunftsaufgaben wachsen
und Ihr Etat sinkt, dann ist klar, dass Kahlschlag stattfin-
det. Wo findet er statt? Ausnahmslos bei der aktiven Ar-
beitsmarktpolitik.


(Beifall bei der SPD)


Viele können sich nicht vorstellen, dass der große Kahl-
schlag noch bevorsteht. Sie dachten vielleicht, dass sie
ihn schon hinter sich haben.

Sie sehen im Finanzplan bis 2016, von 2013 an ge-
rechnet, bei den Jobcentern Kürzungen in Höhe von
18,5 Milliarden Euro vor und bei der Bundesagentur für
Arbeit zusätzliche Kürzungen in Höhe von 36 Milliarden
Euro. Das sind gewaltige Summen. Herr Weise hat ge-
sagt, dass er schon gar nicht mehr weiß, wo er noch kür-
zen soll. Zunächst einmal wird die Bundesagentur bis zu
15 000 Mitarbeiter in den Jobcentern und bei der BA in
den nächsten Jahren abbauen müssen. Dort sind diese
Botschaften längst angekommen. Nicht nur die Budgets
der Fallmanager sind leer. Diejenigen, die befristete Ver-
träge haben, wissen schon heute, dass sie in ein paar Jah-
ren auf der anderen Seite des Tisches sitzen werden. Sie
planen diese Kürzungen, Frau von der Leyen, obwohl wir





Bettina Hagedorn


(A) (C)



(D)(B)


alle, die wir uns mit Arbeits- und Sozialpolitik beschäfti-
gen, wissen, dass man zwar einerseits Geld im Budget
braucht, um Maßnahmen zu finanzieren, dass man ande-
rerseits aber vor allen Dingen engagierte Mitarbeiter
braucht. Um zum Beispiel die 900 000 Menschen, die
langzeitarbeitslos sind, die keinen Schulabschluss und
keine Berufsausbildung haben, wieder in Lohn und Brot
zu bringen, braucht man Geld. Ihnen ist mit einem Be-
werbungstraining nicht gedient. Sie brauchen qualifi-
zierte Maßnahmen; aber sie brauchen auch eine enge
und intensive Begleitung durch eine motivierte Mitarbei-
terschaft. An dieser Stelle, Frau von der Leyen, wird im
Haushalt die Axt angelegt.


(Beifall bei der SPD)


Ich komme zum Thema Rente. Zum Thema Rente ha-
ben Sie, Frau von der Leyen, hier vor einem Jahr gesagt,
dass Sie einen Rentendialog machen werden. Super. Was
ist das gewesen? Eine Showveranstaltung. Sie haben
sich wieder medienwirksam verkauft.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie immer!)


Es gab wieder einmal viele bunte Broschüren, Inter-
views und Talkrunden, obwohl das Ergebnis – jedenfalls
für Sie – von Anfang an feststand. Eine echte Partizipa-
tion war das ja nicht. Das Ergebnis sollte Ihre werbe-
wirksam intonierte Zuschussrente sein.

Die Zuschussrente war ein echter Rohrkrepierer, aber
nicht etwa, weil die Opposition gesagt hätte: „Die Zu-
schussrente ist ein Fake“, sondern weil das alle gesagt
haben. Das haben nicht nur die Gewerkschaften, die Ar-
beitgeber oder die Wohlfahrtsverbände gesagt, sondern
alle. Dann fand ein Koalitionsgipfel statt, vier Tage vor
der Bereinigungssitzung. Dabei kam etwas Neues he-
raus: Über Nacht wurde aus der Zuschussrente die Le-
bensleistungsrente.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was für ein Hohn! – Katja Mast [SPD]: Lächerlich!)


„Etikettenschwindel“ ist dafür noch eine zurückhaltende
Bezeichnung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz genau wissen Sie ja selbst noch nicht – das gilt
auch für Ihre Koalition –, wie Sie sie eigentlich ausge-
stalten wollen. Aber eines kann man den Menschen
schon sagen: Um sie zu bekommen, müssen sie auf je-
den Fall 40 Jahre gearbeitet haben; ob es sich dabei al-
lerdings um Versicherungsjahre oder Beitragsjahre han-
delt, weiß man noch nicht genau. Außerdem müssen sie
private Vorsorge betrieben haben, auch das 40 Jahre
lang. Oder nur 30 Jahre? Wie lange eigentlich? Was
heißt übrigens: „nur“ 30 Jahre? Wer von den Menschen,
die heute in Rente gehen wollen, hat schon 30 Jahre zu-
sätzlich privat vorgesorgt? So viele sind das nicht. Aber
es sollen auch gar nicht viele sein. Denn das Ganze ist ja
ein Billigmodell; dafür sorgt schon die FDP.

Sie sagen also: Wer 40 Jahre gearbeitet und jahrzehn-
telang privat vorgesorgt hat, der soll für diese Lebens-

leistung – man höre und staune – 10 bis 15 Euro im Mo-
nat mehr bekommen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine Verhöhnung der Menschen! – Katja Mast [SPD]: Das ist lächerlich!)


Wissen Sie, was das ist, Frau von der Leyen? Das ist
eine Verhöhnung der Menschen und ihrer Arbeit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, dass Sie sich als Arbeits- und Sozial-
ministerin damit überhaupt an die Öffentlichkeit wagen
und auch noch erwarten, dass dieses Ergebnis einen
Schulterklopfer wert ist, ist vor allen Dingen deshalb bit-
ter, weil Sie den ganzen Sommer über das Thema Alters-
armut gesprochen haben. An dieser Stelle will ich mich
bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Thema in die
Öffentlichkeit getragen haben.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Aber eine Ministerin sollte ein Problem nicht nur anspre-
chen, sondern auch Lösungsvorschläge machen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So ist es!)


Das, was Sie getan haben, hat mit der Bekämpfung von
Altersarmut jedenfalls überhaupt nichts zu tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720804500

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die

Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Axel Fischer.
Bitte schön, Kollege Axel Fischer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kollegin Hagedorn, es ist schon bezeichnend,
wenn in einer Debatte zum Thema „Arbeit und Soziales“
einer Sozialpolitikerin der SPD kein Wort zur guten
Arbeitsmarktlage und zur guten Konjunkturlage in
Deutschland über die Lippen kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Trotz dieser Regierung!)


– Trotz der Regierung?


(Elke Ferner [SPD]: Na sicher! Trotz Union und FDP! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ach! Die von der SPD können ja nicht mal sagen, wie sie ihre ganzen Vorschläge gegenfinanzieren wollen!)


Das ist ja wieder das übliche Spiel. Sind die Arbeits-
marktdaten gut, wenn die Union mit der FDP regiert, sa-
gen Sie: trotz der Regierung. – Sind die Arbeitsmarkt-
daten gut, wenn Sie mit den Grünen regieren, sagen Sie:
wegen Ihrer Regierung.





Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)



(A) (C)



(D)(B)



(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist das!)


– Genau, Herr Heil, so ist das; das ist Ihre Position. Sie
passt zu dem, was vorhin gesagt wurde: Sie betreiben
Propaganda durch und durch. Das hat mit der Realität
aber nichts zu tun. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir
ordentlich gearbeitet haben. Ich werde Ihnen das jetzt an
Beispielen darlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Bundeshaushalt 2013, den wir debattieren, ist
nach überwundener Wirtschafts- und Finanzkrise ein
weiterer Schritt auf dem erfolgreichen Konsolidierungs-
pfad der christlich-liberalen Koalition. Wir haben die
vorgesehene Neuverschuldung gegenüber dem Regie-
rungsentwurf um knapp 10 Prozent auf 17,1 Milliarden
Euro verringert. Für 2014 sehen wir damit einem struk-
turell ausgeglichenen Bundeshaushalt entgegen. Das ist
eine Leistung, die man anerkennen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Auf dem Rücken der Sozialkassen!)


Im Bereich des Einzelplans 11 sollen die Ausgaben
für 2013 gegenüber dem Regierungsentwurf um rund
500 Millionen Euro auf 119,2 Milliarden Euro anstei-
gen. Das sind über 7 Milliarden Euro weniger, als für
2012 eingeplant waren. Damit beweisen wir, dass man
auch mit weniger Geld für den Einzelplan 11 eine bes-
sere Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik machen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Ha, ha!)


Außerdem, Frau Hagedorn, entlasten wir die Kommunen
bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-
rung um weitere 555 Millionen Euro. Das gibt den Kom-
munen die Luft zum Atmen, die sie so dringend brau-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir entlasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch
die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung
auf 18,9 Prozent und stärken so die Binnenkonjunktur.
Wir kümmern uns um die Menschen, die mit ihrer Arbeit
unsere Gemeinschaft tragen. In diesem Zusammenhang
möchte ich nochmals an die Solidarleistung der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer erinnern, die mit der
Kürzung des Bundeszuschusses zur allgemeinen Renten-
versicherung in Höhe von 1 Milliarde Euro im Jahr 2013
einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts
leisten.

Trotz abnehmender Konjunkturdynamik haben wir
eine anhaltend gute wirtschaftliche Entwicklung, vor al-
lem im Vergleich zu anderen europäischen Staaten.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Die Konjunkturentwicklung ist eine ganz andere!)


Dank unseres mutigen Vorgehens, insbesondere dank
des Wachstumspaktes und einer zeitgemäßen Moderni-

sierung unseres Arbeitsmarktes in den vergangenen Jah-
ren, haben wir die krisenhaften Untiefen des Jahres 2009
hinter uns gelassen. Zentrale Faktoren unserer erfolgrei-
chen Politik sind neben der schrittweisen Umsetzung der
Ergebnisse der Gemeindefinanzkommission die Entlas-
tung bei den Sozialausgaben durch den Bund, vor allem
aber eine auf Wachstum ausgerichtete Politik dieser er-
folgreichen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit der Neuorganisation der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende im Jahr 2010 haben wir eine neue Phase
der Zusammenarbeit von kommunalen Trägern und
Bundesagentur für Arbeit eröffnet. Ziel war eine mög-
lichst effiziente und nachhaltige Hilfestellung für Hilfs-
bedürftige. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf unter 3 Mil-
lionen gesunken. Wir bringen Menschen in Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie? Sie persönlich?)


Im Jahr 2012 haben wir bei der aktiven Arbeitsmarkt-
politik mit 8 Milliarden Euro den Stand von 2006 wieder
erreicht. Damals lag die Zahl der Arbeitslosen jedoch bei
4,5 Millionen Menschen, das heißt, um mehr als 1,5 Mil-
lionen höher als heute. Das bedeutet: Für jeden Arbeits-
losen stehen heute über 50 Prozent mehr Mittel zur
Verfügung als damals. Um diese Mittel möglichst erfolg-
reich für die Wiedereingliederung in den ersten Arbeits-
markt einsetzen zu können, stecken wir erheblich mehr
Geld in die Erforschung der Wirkungen der einzelnen ar-
beitsmarktpolitischen Instrumente. Die Evaluation der
Arbeitsmarktpolitik liefert laufend Ergebnisse, die von
Einzelfall zu Einzelfall helfen, die jeweils beste Maß-
nahme zu finden. Ziel ist es, mit den Mitteln, die zur
Verfügung gestellt werden, jedem Arbeitslosen die opti-
male Hilfe zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu geben.

An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, ganz besonders aber dem Vorstandsvorsit-
zenden der Bundesagentur für Arbeit, Herrn Weise, für
die engagierte Arbeit danken. Nicht zuletzt durch seinen
Einsatz ist die Entflechtung der Finanzen zwischen Bun-
desagentur für Arbeit und Bund möglich geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aus heutiger Sicht erscheint die Finanzausstattung der
Bundesagentur für die Erfüllung ihrer laufenden Aufga-
ben wie zum Aufbau einer Rücklage für Krisenzeiten
auskömmlich und langfristig tragfähig.

Dieser Tage haben die Grünen auf ihrem Parteitag die
Abschaffung der Sanktionsmöglichkeiten bei Hartz IV
und damit ein bedingungsloses Grundeinkommen gefor-
dert. Alle Menschen im Land sollen ein Anrecht auf ei-
nen auskömmlichen Lebensunterhalt von Staats wegen
haben. Das Ziel ist sozusagen: Deutschland, Land der
Sozialrentner.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sieht das Bundesverfassungsgericht anders!)






Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)



(A) (C)



(D)(B)


Das erinnert mich ein wenig an meine Jugendzeit, als die
Jusos in der Nach-Schmidt-Ära das „Recht auf Faulheit“
proklamierten.

Meine Damen und Herren, Solidarität ist keine Ein-
bahnstraße. Es gibt nicht nur ein Holrecht für Bedürftige,
es gibt auch eine Bringschuld jedes Einzelnen gegenüber
der Gesellschaft wie gegenüber der Gemeinschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hartz-IV-Empfänger sind arbeitsfähig, und unser Sozial-
system ist subsidiär aufgebaut, insbesondere auf Hilfe
zur Selbsthilfe. Gerade deshalb nehmen wir mit dem
Haushalt 2013 diejenigen Menschen stärker in den
Blick, die in unserer Wirtschaft für geringe Löhne teil-
weise große Anstrengungen auf sich nehmen. Sie ernäh-
ren sich selbst ohne Staatshilfe und leisten auch noch ei-
nen Beitrag dazu, dass andere arbeitsfähige Menschen
ohne eigenes Zutun auch ihr Auskommen haben. Wir
müssen diese gesetzestreuen, fleißigen Menschen mehr
als bisher in den Blick nehmen; denn es gibt eine zuneh-
mende Verärgerung über dreiste Beispiele des Miss-
brauchs staatlicher Leistungen.

Wir haben in den vergangenen Jahren den gesamten
Hartz-IV-Prozess optimiert. Das System Hartz IV gibt
jetzt endlich auch Langzeitarbeitslosen einen stärkeren
Anreiz und mehr Möglichkeiten, sich aus der Abhängig-
keit von staatlichen Transfers zu befreien.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hartz IV ist Armut per Gesetz!)


Wir wollen und können nicht hinnehmen, dass sich zu
viele Menschen dauerhaft darauf einrichten, Arbeitslo-
sengeld II mit Minijob oder gar Schwarzarbeit zu kom-
binieren. Eines muss klar sein: Hartz IV ist kein garan-
tiertes Grundeinkommen. Es ist eine Unterstützung für
Menschen, die Arbeit suchen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Oder die zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen!)


Deshalb ist es nur richtig, dass die Sanktionsmöglichkei-
ten von der Bundesagentur für Arbeit ausgeschöpft und
Leistungen gekürzt werden, wenn zumutbare Arbeit
mutwillig abgelehnt wird oder vereinbarte Termine nicht
eingehalten werden. Unser Ziel lautet: Beschäftigung im
ersten Arbeitsmarkt und nicht Durchfüttern mit So-
zialtransfers.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn wir dauerhaft Akzeptanz für unseren Staat si-
chern wollen, dann müssen wir auch und gerade diejeni-
gen in den Blick nehmen, die mit ihrer Arbeit unseren
Staat, insbesondere auch unseren Sozialstaat, tragen. Ob
Facharbeiter oder Angestellte, Selbstständige oder Frei-
berufler,


(Katja Mast [SPD]: Prekär Beschäftigte!)


sie alle finanzieren mit ihren Steuern und Sozialabgaben
unseren Staat. Auch und gerade diese vielen gesetzes-
treuen Bürger, deren Verzicht unseren Staat am Leben
hält, haben ein Recht auf die Berücksichtigung ihrer Be-

lange durch die Politik; denn unser jetziger Aufschwung
und unser Konsumniveau sind Ergebnisse ihrer Leis-
tung. Bei aller Freude an der Umverteilung und bei aller
Hilfsbereitschaft darf Leistungsgerechtigkeit nicht zum
Fremdwort werden.

Meine Damen und Herren, mit der beispiellosen
finanziellen Entlastung der Kommunen haben wir die
einstige rot-grüne Politik korrigiert,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine unterirdische Rede!)


und kommunale Aufgaben und Finanzausstattung sind
wieder im Gleichgewicht. 3,9 Milliarden Euro erstatten
wir den Kommunen für die laufenden Nettoausgaben für
die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-
rung. Durch die beschlossene dauerhafte Übernahme der
Nettoausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist aber kein Erfolg von Schwarz-Gelb!)


entlastet der Bund die Kommunen allein bis 2016 vo-
raussichtlich um 20 Milliarden Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung
im Alter steht für einen Paradigmenwechsel in der Bun-
despolitik. Wir belasten die Kommunen nicht mit immer
neuen Aufgaben und Ausgaben, sondern wir stärken die
Städte, Gemeinden und Landkreise. Das ist die größte
Kommunalentlastung in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Auf Initiative der SPD!)


Der vorgelegte Haushalt ist ein zukunftsgerichteter
Haushalt, der die Schwerpunkte für den Bereich der Ar-
beit und für die Fortentwicklung unseres Sozialstaats
ausgewogen abdeckt. Ich danke an dieser Stelle ganz
besonders unserer Hauptberichterstatterin Bettina
Hagedorn sowie den Kolleginnen Winterstein, Hinz und
Lötzsch und der Bundesregierung, namentlich Ministe-
rin Dr. von der Leyen und Staatssekretär Fuchtel, für die
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ihnen allen danke ich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720804600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in

unserer Aussprache ist unsere Kollegin Frau Dr. Gesine
Lötzsch für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720804700

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! „Sozial ist, was
Arbeit schafft“ – dieser Satz ist Programm für Kanzlerin
Merkel. Immer mehr Menschen spüren aber am eigenen
Leib, wie zynisch er sein kann. Über 1 Million Men-
schen in unserem Land müssen aufstocken. Das heißt,
sie können von ihrem geringen Lohn nicht leben und
müssen beim Jobcenter betteln.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Betteln muss bei uns niemand! Es gibt gesetzliche Leistungen!)


Bei 350 000 vollzeitbeschäftigten Menschen reicht der
Lohn nicht für das tägliche Überleben. Das ist nicht so-
zial. Das verletzt die Würde jedes Einzelnen und steht
im Widerspruch zum Grundgesetz.


(Beifall bei der LINKEN)


Allein im Jahr 2010 wurden 4 Milliarden Euro an Steu-
ergeldern ausgegeben, um diese Hungerlöhne anzuheben.
Arbeitgeber von über 1 Million Menschen weigern sich,
gerechte Löhne zu zahlen, und die Bundesregierung un-
terstützt Lohndrücker und bestraft Unternehmen, die
ehrliche Löhne zahlen. Dagegen gibt es ein wirksames
Mittel, nämlich den gesetzlichen Mindestlohn. Den müs-
sen wir hier im Bundestag endlich beschließen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Linke fordern einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn in Höhe von 10 Euro die Stunde. Bisher hat
Frau von der Leyen viel über Mindestlöhne gesprochen;
aber real subventioniert sie weiter Hungerlöhne. Das,
Frau von der Leyen, ist nicht Ihre Aufgabe.


(Beifall bei der LINKEN)


Über 1 Million Menschen wurden von Juli 2011 bis
August 2012 vom Jobcenter mit Sanktionen abgestraft;
das spielte in dieser Debatte schon eine Rolle. Das ist ein
neuer Negativrekord. Aber zwei Drittel dieser Sanktio-
nen beruhten auf Meldeversäumnissen. Das sind also
keine Missbrauchsfälle, wie hier immer suggeriert wird.
Die Missbrauchsfälle betragen laut dieser Statistik nur
3,2 Prozent. Es geht also nicht um Arbeitsverweigerung;
diese Menschen haben nur einen Termin nicht wahrge-
nommen. – Ich mache einen Vorschlag an alle, Herr Prä-
sident: Es wäre doch nur gerecht, wenn auch das Gehalt
der Minister bei Meldeversäumnissen gesenkt würde.
Wer zum Beispiel einen Bericht an den Bundestag nicht
rechtzeitig vorlegt, dem wird das Gehalt um 20 Prozent
gekürzt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre eine sehr wirksame Maßnahme, um die Auto-
rität des Bundestages wieder zu stärken. Vielleicht be-
sprechen Sie das einmal im Ältestenrat.

Die Bundesagentur für Arbeit besteht auf diesen
Sanktionen. Die Begründung lautet – ich zitiere –, es
solle „keine Hängematte auf Kosten des kleinen Arbeit-
nehmers geben“. Ich frage Sie: Warum dürfen Arbeitge-

ber auf Kosten von Arbeitnehmern Hungerlöhne zahlen?
Und warum liegt die Ministerin in der Hängematte und
schaut diesem Lohndumping zu? Das muss endlich ein
Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Der aktuelle Konjunkturbericht der Deutschen Bank
ist mit folgendem Satz überschrieben: „Euro-Krise
bringt Wirtschaft im Winterhalbjahr zum Stillstand“.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren von der Ko-
alition, Ihre Freunde von der Deutschen Bank sagen das,
nicht nur die Linke. Da sollte man doch endlich Vorsorge
treffen. Sie fordern jeden Tag die Menschen auf, für das
Alter und Probleme vorzusorgen. Doch diese Regierung
ist unfähig, Vorsorge auch nur für das nächste halbe Jahr
zu treffen. Das ist doch ein Armutszeugnis.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen dringend einen Schutzschirm für Ar-
beitnehmer, Rentner, Arbeitslose und Familien. Erinnern
wir uns: In der Krise 2008 wurde die Regelung zur Kurz-
arbeit vereinfacht. Das brauchen wir jetzt wieder. Schüt-
zen Sie die heutigen und zukünftigen Rentnerinnen und
Rentner vor Altersarmut! Schon heute arbeiten immer
mehr über 70-Jährige, weil die Rente nicht zum Überle-
ben reicht. Sollen sie etwa bis zum Tod malochen?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wissen Sie, manchen Leuten macht Arbeit Spaß!)


Das können wir nicht hinnehmen. Wir brauchen endlich
eine solidarische Mindestrente.


(Beifall bei der LINKEN)


Doch was machen Sie in Ihrem Haushalt? Sie nehmen
der Bundesagentur für Arbeit Geld weg; Frau Hagedorn
ist schon darauf eingegangen. Sie schwächen im Ange-
sicht der Krise die solidarische Arbeitslosenversiche-
rung. Damit öffnen Sie das Tor für mehr und nicht für
weniger Altersarmut, und das ist absolut verantwor-
tungslos.


(Beifall bei der LINKEN)


Erinnern wir uns: Die Mehrwertsteuererhöhung aus dem
Jahr 2005 war eine Wahllüge der Großen Koalition aus
CDU/CSU und SPD. Um sie den Menschen einigerma-
ßen schmackhaft zu machen, wurde versprochen, die
Einnahmen aus einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuer
in die Arbeitslosenversicherung zu geben. Doch jetzt
fließen diese Steuergelder nicht mehr in die Arbeitslo-
senversicherung, sondern versickern irgendwo im Haus-
halt. Das, meine Damen und Herren, ist eindeutig eine
Zweckentfremdung von Steuermitteln. Das dürfen wir
nicht hinnehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert: Es muss weiter ein Zuschuss an die
Bundesagentur für Arbeit gezahlt werden. Alles andere
ist grob fahrlässig.

Zum Schluss möchte ich auf etwas hinweisen, das au-
genscheinlich in Vergessenheit geraten soll. Das größte
Kürzungspaket in der Geschichte der Bundesregierung
wurde im Jahr 2010 beschlossen. Alle Sozialkürzungen





Dr. Gesine Lötzsch


(A) (C)



(D)(B)


wurden eins zu eins umgesetzt: Sie haben das Elterngeld
für Arbeitslosengeld-II-Empfänger abgeschafft.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Angerechnet haben wir das!)


Sie haben den Heizkostenzuschlag gestrichen. Sie haben
den befristeten Zuschlag auf das Arbeitslosengeld II und
den Zuschuss an die Rentenversicherung gestrichen. Al-
les das haben Sie umgesetzt. Die vorgesehene Beteili-
gung der Unternehmen, insbesondere der Finanzindus-
trie, ist teilweise oder ganz ausgefallen. Das zeigt, dass
für diese Regierung soziale Gerechtigkeit nichts anderes
als ein Fremdwort ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Fazit: Kein Mitglied dieses Hauses, das sich ehrlich
für soziale Gerechtigkeit einsetzt und seinen Wählerin-
nen und Wählern zu Hause in die Augen schauen können
will, kann diesem Haushalt zustimmen. Wir Linke leh-
nen ihn ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720804800

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin für

die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Frau
Dr. Claudia Winterstein. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Winterstein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Claudia Winterstein (FDP):
Rede ID: ID1720804900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich muss zu Beginn erst einmal etwas richtig-
stellen. Bettina Hagedorn, das waren eben lauter reißeri-
sche Schlagwörter: sozialpolitischer Kahlschlag, Bank-
raub, Skandal.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das entspricht der Wahrheit!)


Alles Unsinn!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie reden hier von einem Griff in die Sozialkassen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!)


Sie unterstellen also, es würden Beitragsgelder zweck-
entfremdet. Das trifft nicht zu.

Bei der Rentenversicherung werden die Beiträge ge-
senkt. Das nützt den Arbeitnehmern wie auch den Ar-
beitgebern.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Auch den Rentnern!)


Nach wie vor fließen über 80 Milliarden Euro aus Steuer-
mitteln als Zuschuss in die Rentenversicherung. Wenn
aber die Kassen übervoll sind wie zurzeit, dann ist es nur
recht und billig, diesen Zuschuss aus Steuermitteln etwas

zurückzuführen. Das tun wir hier bei der Rentenversiche-
rung, und zwar lediglich in einer Höhe von 750 Millionen
Euro.


(Bettina Hagedorn [SPD]: 4 Milliarden auf vier Jahre! Bis 2016 4 Milliarden!)


Das sind die Fakten. Nehmen Sie sie bitte zur Kenntnis!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zurück zum Haushalt. Nach all dem Lamentieren
der Opposition möchte ich erst einmal festhalten: Wir
haben wirklich ausgesprochen erfolgreiche Haushalts-
planberatungen hinter uns. Die Gesamtausgaben 2013
liegen niedriger als zu Beginn der Legislaturperiode.
Das ist Ausgabendisziplin. Die Neuverschuldung für
2013 ist auf dem niedrigsten Stand dieser Legislaturpe-
riode. Sie liegt nicht bei 86,1 Milliarden Euro, wie zu-
letzt bei Peer Steinbrück für das Jahr 2010 vorgesehen,
sondern bei 17,1 Milliarden Euro. Das ist Konsolidie-
rung, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Volumen des Einzelplans 11 wurde im Laufe der
Beratungen gegenüber dem Entwurf um etwa eine halbe
Milliarde Euro erhöht. Die Ursache dafür ist eine zusätz-
liche Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung
im Alter in Höhe von 555 Millionen Euro. Insgesamt
werden die Kommunen im kommenden Jahr allein in
diesem Bereich um 3,2 Milliarden Euro entlastet. Auch
das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Einzelplan 11 liegt mit seinen Gesamtausgaben
jetzt bei 119,2 Milliarden Euro. Das sind 6,9 Milliarden
Euro weniger als im Haushaltsplan 2012,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Da sind die auch noch stolz drauf!)


hat aber überhaupt nichts mit Kahlschlag zu tun. Zu ver-
danken ist das vor allem der guten Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt. Das ist gut für die Menschen, und das ist
natürlich auch gut für den Bundeshaushalt.

Nehmen Sie doch einfach einmal die positiven Zahlen
zur Kenntnis, Frau Hagedorn! Wir haben mit 41,8 Mil-
lionen so viele Erwerbstätige wie noch nie.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Darüber freuen wir uns! – Gegenruf des Abg. Axel Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das hätten Sie sagen können!)


Wir haben mit 29,1 Millionen so viele sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigte wie noch nie. Wir haben mit
2,7 Millionen Arbeitslosen den niedrigsten Stand seit
20 Jahren.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Sie mussten doch gerade die Arbeitslosenzahl nach oben korrigieren!)






Dr. Claudia Winterstein


(A) (C)



(D)(B)


Zugleich haben wir so wenig Hartz-IV-Empfänger wie
noch nie. Die aktuellen Zahlen zeigen also: Der Arbeits-
markt ist nach wie vor in einer robusten Verfassung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen sorgen wir mit der Senkung des Renten-
beitragssatzes von 19,6 auf 18,9 Prozent und damit der
Senkung der Lohnnebenkosten gerade für einen weiteren
positiven Impuls für den Arbeitsmarkt. Sie, meine Da-
men und Herren von der Opposition, schlagen vor, mehr
Geld für Arbeitsmarktprogramme auszugeben – und das
gleich in Milliardenhöhe.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Die Milliarden, die Sie vorher herausgekürzt haben!)


Die SPD will 1,6 Milliarden Euro ausgeben, die Linke
2,7 Milliarden Euro und die Grünen 330 Millionen Euro.
Wir dagegen setzen unser Sparpaket konsequent um und
führen die Mittel auf circa 8 Milliarden Euro zurück,
also auf das Niveau von 2006.

Das ist für die Betroffenen keine Kürzung; denn heute
gibt es – das ist sehr erfreulich – deutlich weniger Ar-
beitslose im SGB-II-Bezug, nämlich 1,9 Millionen Men-
schen, als im Jahr 2006, da waren es nämlich 2,8 Millio-
nen Menschen. Wenn wir für diesen Personenkreis nun
aber die gleiche Summe an Fördermitteln zur Verfügung
stellen wie 2006, dann ist das logischerweise ein deutli-
cher Pro-Kopf-Anstieg. Das müsste uns Haushältern
doch klar sein. Das Lamento der Opposition ist hier also
völlig unverständlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Bereich der Rentenversicherung haben wir zwei
Elemente, die sich auf den Bundeshaushalt auswirken:
Zum einen senken wir den Bundeszuschuss an die Ren-
tenversicherung für die Jahre 2013 bis 2015 vorüberge-
hend ab. Das ist ein gezielter Konsolidierungsbeitrag
von 750 Millionen Euro – das wurde schon gesagt – in
2013. Wenn die Kassen überquellend voll sind, dann ist
es zulässig, diesen Zuschuss aus den Steuermitteln ent-
sprechend zurückzufahren. Zum anderen wirkt sich posi-
tiv aus, dass der Rentenversicherungsbeitragssatz sinkt;
denn damit haben wir auch beim Bundeszuschuss eine
Einsparung.

Frau Hagedorn, dass Sie sich gegen die Entlastung
der Beitragszahler wenden und das als Griff in die So-
zialkassen diskreditieren, kann wirklich keiner verste-
hen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unglaublich!)


Wenn wir den Beitragssatz jetzt nämlich nicht gesenkt
hätten, käme es bei der Rentenversicherung bis 2020 zu
einer Rücklage von 82 Milliarden Euro. Dieses Geld
wollen Sie den Beitragszahlern vorenthalten? Nein,
meine Damen und Herren, das Geld ist bei den Beitrags-
zahlern besser aufgehoben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Sie mussten doch gerade die Wirtschaftsprognose nach unten korrigieren!)


Bei der Bundesagentur für Arbeit liegen nach der
Herbstprognose jetzt neue Haushaltszahlen vor. Das Jahr
2012 wird die BA voraussichtlich mit einem Überschuss
von 2,2 Milliarden Euro abschließen. Das ist ein gutes
Ergebnis, das auch die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt
zeigt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau!)


Im kommenden Jahr wird nun auch endlich eine alte
Forderung der FDP umgesetzt. Sie haben es schon ange-
sprochen. Wir entflechten die Finanzbeziehungen zwi-
schen Bundeshaushalt und Bundesagentur. Ab 2013 er-
hält die Bundesagentur vom Bund keine laufenden
Zahlungen mehr – das ist der Mehrwertsteuerpunkt –;


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Sie kommt gleich im nächsten Jahr mit dem Geld nicht aus!)


im Gegenzug muss die BA auch nichts mehr an den
Bund zahlen. Das ist der Eingliederungsbeitrag.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter dem Strich bleiben 2 Milliarden weniger!)


Sie haben recht: Im nächsten Jahr entsteht ein Defizit
von 1,14 Milliarden Euro. Das weiß ich sehr wohl. Das
ändert sich aber sofort in den Jahren darauf. Insofern
werden wir bis zum Jahr 2017 wieder eine Rücklage von
6,2 Milliarden Euro zu verzeichnen haben. Auch das
müssen Sie zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Da haben Sie ein zu hohes Wirtschaftswachstum unterstellt! Das ist doch völlig unsolide!)


Die Vorschläge von SPD und Grünen hingegen laufen
fast ausschließlich auf Steuererhöhungen hinaus. Damit
wollen Sie Mehrausgaben finanzieren. 6 Milliarden Euro
Mehrausgaben haben die Grünen in den Haushaltsbera-
tungen gefordert; 7 Milliarden Euro Mehrausgaben sind
es bei der SPD. Das kann sich Deutschland nicht leisten.

Diese Regierung geht einen soliden Weg. Wir schaf-
fen es bereits 2013, die Schuldenbremse einzuhalten,
und damit drei Jahre früher als notwendig.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Unsere Nettokreditaufnahme ist am Ende die Hälfte wie bei Ihnen!)


Unser Ziel ist ein strukturell ausgeglichener Haushalt im
Jahr 2014.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Strukturell!)


Mit diesem Haushalt sind wir auf einem sehr guten Weg.

Danke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805000

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in

unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Brigitte Pothmer. Bitte
schön, Frau Kollegin Brigitte Pothmer.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720805100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Frau Ministerin von der Leyen, Sie sind in diesem
Monat seit drei Jahren Arbeits- und Sozialministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Und das ist gut so! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das stimmt nicht! Sie ist erst im Januar Ministerin geworden!)


Ich hätte Ihnen, quasi von Niedersächsin zu Niedersäch-
sin, gerne einen großen Blumenstrauß überreicht. Ich
habe mir dann aber Ihre Bilanz noch einmal genau ange-
guckt und beschlossen, den Strauß doch lieber selber zu
behalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Dabei fehlt es Ihnen wahrlich nicht an Talent, zumin-
dest was die Präsenz in den Medien angeht. Der Mangel
zeigt sich woanders: Der Mangel zeigt sich bei der Em-
pathie für die Schwächsten in dieser Gesellschaft. Es
fehlt dieser Regierung ein Gerechtigkeits-Gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht nur das!)


Soziales rangiert bei Schwarz-Gelb auf der Res-
terampe. Das kann man anhand dieses Haushaltsent-
wurfs deutlich nachempfinden. Kein Etat wurde in Ihrer
Zeit so geschröpft wie der Etat des Sozial- und Arbeits-
ministeriums. Gemeinsam mit Herrn Schäuble haben
Sie, Frau von der Leyen, die Axt an die Arbeitsförderung
gelegt.


(Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!)


In Ihrer Amtszeit wurden die Mittel hierfür um
40 Prozent reduziert. Die Arbeitslosigkeit ist aber im
SGB-II-Bereich nur um 10 Prozent und die Langzeitar-
beitslosigkeit ist nur um 1 Prozent zurückgegangen.
Nein, Frau Ministerin, die Langzeitarbeitslosen sind die
großen Verlierer Ihrer Arbeitsmarktpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für sie waren Schwarz-Gelb drei verlorene Jahre.

Aber auch die prekäre Beschäftigung hat sich in Ihrer
Amtszeit deutlich ausgeweitet. Fast 8 Millionen Niedrig-
löhner, fast 5 Millionen Minijobberinnen, Hunderttau-
sende Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter – für diese
Menschen gilt: Armut trotz Arbeit im Hier und Jetzt und
Altersarmut für die Zukunft. Diesen Menschen, die ein
Leben lang fleißig gearbeitet haben – um das einmal mit
Ihren Worten zu sagen, Frau von der Leyen –, treten Sie
mit einem regelrechten Betrugsmanöver entgegen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!)


Sie versprechen diesen Menschen eine Lebensleistungs-
rente. Sie versprechen sie denen, denen Sie den gesetzli-
chen Mindestlohn verweigern,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie versprechen sie denen, denen Sie Equal Pay vorent-
halten, und Sie versprechen sie denen, die Sie selber
durch die Ausweitung von Minijobs ins berufliche Ab-
seits gedrängt haben.


(Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sehr gut!)


All diesen fleißigen Leuten versprechen Sie nach 40 Jah-
ren Arbeit, am Ende ihrer prekären Erwerbsbiografie,
10 Euro zusätzlich zur Grundsicherung im Alter. Meine
Damen und Herren, das ist zynisch; das ist mehr als zy-
nisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Sie wissen genauso gut wie ich: Entscheidend ist, was
vor der Rente kommt. Wir brauchen einen gesetzlichen
Mindestlohn, wir brauchen Equal Pay, wir brauchen eine
Reform der Minijobs, und wir brauchen endlich gleichen
Lohn für gleichwertige Arbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Das wäre im Übrigen auch ein Instrument zur Ar-
mutsbekämpfung. Der Armuts- und Reichtumsbericht
hat in aller Deutlichkeit gezeigt, in welchem Ausmaß die
soziale Spaltung in dieser Gesellschaft zugenommen hat.
Es ist nicht nur eine Spaltung entlang der Einkommens-
grenzen – das auch –, sondern es geht um eine völlig
neue Qualität von Armut, um eine Armut, die sich gera-
dezu vererbt.

Sie, Frau von der Leyen, nehmen für sich in An-
spruch, dass Sie mit dem Bildungs- und Teilhabepaket
dieser kulturellen Armut begegnen wollen. Ich will an
dieser Stelle gar nicht darüber reden, dass das Bildungs-
und Teilhabepaket ein bürokratisches Monster ist, das
bei den meisten Kindern nicht ankommt.


(Pascal Kober [FDP]: Das haben Sie doch gemacht!)


Ich rede vom Inhalt dieses Bildungs- und Teilhabepa-
kets. Ich rede zum Beispiel vom Nachhilfeunterricht.

Ich war letzte Woche in meinem Wahlkreis unterwegs
und habe eine Kinderbetreuungseinrichtung besucht, die
in einem sozialen Brennpunkt liegt. Die Mitarbeiterin-
nen dieser Einrichtung engagieren sich in hohem Um-
fang dafür, mit Nachhilfeunterricht den Kindern neue
Chancen zu eröffnen. Wissen Sie, Frau von der Leyen,
was das Drama ist? Wenn diese Kinder sich mühselig
von einer Fünf auf eine Vier hochgearbeitet haben, dann
wird ihnen der Nachhilfeunterricht gestrichen. So beloh-





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)


nen Sie die Anstrengung dieser Kinder: Dann ist diese
Unterstützung weg.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Leistung muss sich wieder lohnen!)


Mit diesem Bildungs- und Teilhabepaket verhindern Sie
vielleicht das Sitzenbleiben; den sozialen Aufstieg er-
möglichen Sie damit mit Sicherheit nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Frau von der Leyen, zu Ihrem Jubiläum wird es keine
Lobeshymnen geben. Auch die Medien reagieren inzwi-
schen ziemlich sparsam. Als Staatsschauspielerin wur-
den Sie neulich im Spiegel beschrieben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau!)


Drei Rollen wurden Ihnen zugeordnet: die Powerfrau,
die Supermutti und die Barmherzige. Alle drei Rollen
hatten Sie gut einstudiert, aber das ist alles nur Theater.
Ihr Krippenprogramm kam nicht in Gang, Ihre Bildungs-
gutscheine sind ein bürokratisches Monster, und Ihre Zu-
schussrente ist ein falsches Versprechen. Sie dürfen sich
wirklich nicht beschweren, dass dafür keine roten Rosen
regnen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805200

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in

unserer Aussprache ist Frau Bundesministerin
Dr. Ursula von der Leyen. Bitte schön, Frau Bundes-
ministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Dann fangen wir einmal an mit der
Bilanz, die Sie, Frau Pothmer, gerade eingefordert
haben. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann:


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben in Deutschland so viel Beschäftigung wie
noch nie. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit seit
der Wiedervereinigung. Wir haben die niedrigste
Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dafür werden wir
international hoch anerkannt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das sind nachhaltige Entwicklungen.

Wir haben seit 2005 einen Rekord bei den Erwerbs-
tätigen. Wir haben einen Rekord bei der sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigung. Übrigens, der Anteil der
erwerbstätigen über 55-Jährigen ist auf 60 Prozent ge-
stiegen, der Anteil der erwerbstätigen über 60-Jährigen
ist auf 44 Prozent gestiegen. Wir haben damit in Europa

Platz zwei hinter Schweden. Das ist eine Erfolgs-
geschichte, die ihresgleichen sucht, Frau Pothmer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen
halbiert. Wir haben die Zahl der Langzeitarbeitslosen ge-
senkt,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 Prozent!)


und zwar um 40 Prozent seit 2007.

Meine Damen und Herren, das sind die Fakten in dem
Land, in dem Angela Merkel seit sieben Jahren Kanzle-
rin ist. Darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben übrigens auch in der Grundsicherung nach-
haltige, langfristige Erfolgszahlen. Die Hilfequote ist
heute so niedrig wie noch nie seit Einführung von
Hartz IV; das muss man der Opposition einmal sagen.
Wir haben die Hilfequote gesenkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben rund 450 000 Bedarfsgemeinschaften in
Hartz IV weniger als 2007. Wir haben rund eine Viertel-
million Kinder weniger in Hartz IV, und das ist etwas,
worüber wir uns freuen, meine Damen und Herren. Das
ist der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben 900 000 Menschen aus der Grundsicherung
herausgeholt und ihnen den Sprung auf den ersten Ar-
beitsmarkt ermöglicht.

Das zeigt, dass wir es mit Fordern und Fördern ernst
meinen, dass wir den Menschen wirklich eine Chance
auf dem ersten Arbeitsmarkt geben, dass wir mehr
Arbeitsangebote machen können. Wir haben inzwischen
einen besseren Betreuungsschlüssel in den Jobcentern.
Die Arbeitsmarktdaten sind der beste Beweis dafür, dass
unsere Politik stimmig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es sind die Reformen der letzten Jahre, die sich als
richtig erwiesen haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, unsere!)


Es sind die Arbeitsmarktreformen vom Anfang des letz-
ten Jahrzehnts, von denen Sie sich gerade förmlich im
Schweinsgalopp verabschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Auf gar keinen Fall! Wovon reden Sie überhaupt? Wir haben die gemacht! Wir sind auch stolz drauf!)


– Ich werde Ihnen das gleich noch zeigen. – Es ist im
Übrigen die Jobcenterreform, die Sie nicht geschafft
haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hallo? Wer hat es denn gegen die Wand gefahren? Jetzt reicht es aber hier!)






Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben diese Reform zum Abschluss gebracht. Heute
stehen die Jobcenter deshalb hervorragend da.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist der Gipfel! Sie haben alles blockiert!)


Wir haben die Zeitarbeit als flexibles Instrument
erhalten, aber wir haben sie reguliert. Das war nötig,
Stichworte „Drehtürklausel“ und „Mindestlohn“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten!)


Das heißt, wir haben die schlechten Anteile des rot-grü-
nen Gesetzes korrigiert. Das war nötig.

Wir haben in der Tat das SGB II reformiert und das
Bildungspaket eingeführt. Ich freue mich, dass Sie mehr
davon fordern, Frau Pothmer. Es ist der richtige Weg,
den wir gegangen sind. Wir haben den Übergang von
Schule in den Beruf neu geordnet. Es spricht Bände, dass
sich Europa in diesen Tagen genau nach diesen Erfolgs-
rezepten ausrichtet, aber die Opposition sich davon ver-
abschiedet und eine Rolle rückwärts macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir stehen zu diesem Erfolgspfad. Wir stehen zu den
Arbeitsmarktreformen, und wir stehen auch zu der
schrittweisen Einführung von Arbeit bis 67.

Wir haben uns einmal angeschaut, was Sie auf den
letzten Parteitagen bzw. die SPD in ihrem Rentenpapier
beschlossen haben.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Was haben Sie eigentlich auf dem Leipziger Parteitag zur unteren Lohngrenze beschlossen? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was haben Sie denn so beschlossen? Reden Sie doch nicht über andere! Reden Sie über sich selbst!)


– Der Parteitag kommt noch! – Die Grünen haben auf ih-
rem Parteitag beschlossen, den Regelsatz auf 420 Euro
zu erhöhen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das betrifft Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, steuerlichen
Grundfreibetrag. Meine Damen und Herren, die Grünen
haben beschlossen: auf einen Schlag 8 Milliarden Euro
Kosten mehr


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


und auf einen Schlag 1,5 Millionen Menschen in
Hartz IV mehr.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Jawohl!)


Das müssen Sie nicht nur denen erklären, die Sie jetzt
neuerdings zu Bedürftigen machen,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie eigentlich besser!)


sondern auch den Menschen, die jeden Tag aufstehen
und fleißig dafür arbeiten, dass dieses Geld dann auch in
der Kasse klingelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lenken Sie nicht vom Thema ab!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805300

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischen-

frage?

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Gerne.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805400

Kollege Markus Kurth, bitte.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Frau von der Leyen, reden Sie mal über Ihre eigene Politik, nicht immer über andere!)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Das haben wir gerade gemacht. Unsere Bilanz haben
wir gerade dargestellt. Soll ich sie Ihnen noch einmal
darstellen?


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805500

Jetzt stellt der Kollege Markus Kurth seine Zwischen-

frage.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720805600

Danke, Herr Präsident. – Frau von der Leyen, sind Sie

bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Bundesverfas-
sungsgericht in seinem Urteil im Februar 2010 klar ge-
sagt hat, dass das soziokulturelle Existenzminimum dem
Grunde nach unverfügbar ist, und dass es klare Kriterien
festgelegt hat, nach denen ein Regelsatz zu berechnen
ist?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Tun wir ja!)


Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie in Ihren Berech-
nungen weder die verdeckte Armut ausgeschlossen
haben noch zum Beispiel Mittel, die für die Pflege
zwischenmenschlicher Beziehungen notwendig sind, in
den Regelsatz einbezogen haben? Sind Sie bereit, nach-
zuvollziehen, dass man, wenn man diese Bestandteile
einberechnet, auf diese rund 420 Euro kommt?

Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir auf
unserem Bundesparteitag ein Steuerkonzept beschlos-
sen haben, in dem die Erhöhung des Grundfreibetrages,
die den geringen Einkommen zugutekommt, durch eine
Erhöhung des Spitzensteuersatzes gegenfinanziert ist?

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohns nach den Angaben Ihres eige-
nen Hauses im Bereich der Transferzahlungen direkt zu
einer Entlastung von 1,5 Milliarden Euro führt


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und die machen nichts!)






Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


und das dann sowohl verfassungsrechtlich und men-
schenrechtlich geboten als auch zusätzlich gut gegenfi-
nanziert ist?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805700

Das war also eine Frage. Bitte schön, Frau Ministerin.

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Das war ein ausführliches Statement. – Da Sie das
Bundesverfassungsgericht bemüht haben, bitte ich Sie,
Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:

Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz explizit auf un-
ser gutes Gesetz Bezug genommen und damit indirekt
bestätigt, dass diese Rechnungen richtig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!)


Zweitens. Kommen wir zum Rentenpapier der SPD.
Wir stellen fest, dass die SPD in ihrem Rentenpapier die
Rentenpolitik von Schröder und Müntefering rückabge-
wickelt hat.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat nichts zur Rente gefragt! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie doch einmal über Ihre Rentenpolitik!)


– Es war die Frage von Herrn Kurth nach dem Bundes-
verfassungsgerichtsurteil und danach, ob wir zur Kennt-
nis nehmen, dass seine Ausführungen richtig seien.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt reden Sie über Müntefering!)


Nein. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Regel-
sätzen, nach denen Sie gefragt haben,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hatten wir aber schon!)


richtig sind, so wie wir sie berechnet haben. Ich kann
aber gerne, Herr Präsident, diesen Satz noch dreimal
wiederholen, falls Herr Kurth es nicht versteht. – Danke.

Jetzt zu den Rentenplänen der SPD. Ich merke, wenn
Sie versuchen, immer wieder auf Herrn Kurth abzulen-
ken, dann, weil Sie Angst davor haben, dass wir Ihnen
jetzt sagen, was in Ihren Papieren steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Nein! Nein! – Weiterer Zuruf von der SPD: Vor Ihnen Angst?)


In Ihren Papieren steht nämlich – ich finde das ganz
spannend –: Erstens. Alles, was Schröder und
Müntefering in der Rentenpolitik gemacht haben, wird
wieder rückabgewickelt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt nicht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht! Das ist glatt gelogen!)


Der Gedanke von Generationengerechtigkeit – nicht
drin! Beitragszahler werden massiv belastet. Ich zähle es
Ihnen einmal auf: Erwerbsminderungsrente, Teilrente,
abschlagsfreier Zugang, Aussetzung der Rente mit 67,
Anhebung des Sicherungsniveaus, Solidarrente. Kosten-
punkt 2030: 90 Milliarden Euro.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Ihre Rechnung! – Elke Ferner [SPD]: Noch nicht mal rechnen können Sie!)


Wie verträgt sich das eigentlich mit der Beinfreiheit des
Kandidaten, meine Damen und Herren? Diese Frage
stellen wir uns gemeinsam.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für uns bleibt nach wie vor nicht das Ziel, mehr Men-
schen in Hartz IV zu bringen, nicht das Ziel, die junge
Generation mehr zu belasten, wie es offensichtlich Ihre
Ziele sind.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Was leisten Sie denn? Was ist Ihr Beitrag?)


Unsere Ziele bleiben, die Langzeitarbeitslosigkeit ab-
zubauen und Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu
bringen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Minijobs!)


Deshalb stehen 8 Milliarden Euro für Eingliederung und
Verwaltung bereit. Das sind pro Arbeitslosen genauso
viel Mittel wie vor der Wirtschafts- und Finanzkrise in
2008 und deutlich mehr, als es 2006 der Fall war. Wir
setzen die Akzente auf Bildung, auf Ausbildung und
Weiterbildung. Der Eingliederungstitel der Bundesagen-
tur für Arbeit bleibt nicht nur stabil. Er wächst. 2013 ste-
hen 800 Millionen Euro mehr zur Verfügung, als das vo-
raussichtliche Ist für 2012 – also das, was tatsächlich
gebraucht wird – beträgt.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht für Qualifizierungen!)


Frau Hagedorn, Sie haben die Bundesagentur für Ar-
beit als Zitrone bezeichnet.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Weil Sie sie ausquetschen!)


Nein, die Bundesagentur für Arbeit ist keine Zitrone,
und die Unkenrufe aus dem Frühjahr,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das sind keine Unkenrufe! Das ist Ihr Sparpaket!)


als Sie uns sagten, welche Defizite entstehen würden,
haben sich nicht bestätigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die BA braucht keine Zuschüsse. Sie hat 2,1 Milliarden
Euro Überschuss. Das ist der richtige Weg. Sie geht so-
gar selbst davon aus, dass wir 2017 wieder 6 Milliarden
Euro Rücklage in der BA aufgebaut haben.

Ich möchte noch einmal zur Rente Stellung nehmen,
was unsere eigenen Pläne angeht. Das Rentensystem ist
gut aufgestellt. Wir sind der Meinung, dass wir mit der
gesetzlichen und der privaten oder betrieblichen Absi-





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)


cherung das Risiko auf zwei Beine verteilt haben, aber
auch die Chancen auf zwei Beine verteilt haben. Dafür
werden wir weltweit gelobt. Wenn das Rentenniveau
zum Schutz der jungen Erwerbstätigen sinkt, dann ist
unsere Antwort nicht, dass wir das gesamte Niveau wie-
der erhöhen nach dem Motto: Vor allem die hohen und
mittleren Renten bekommen etwas, aber – nach uns die
Sintflut! – die Jungen können das bezahlen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau das machen Sie doch!)


Wir wollen gezielt für die Geringverdiener etwas tun.
Wer jahrzehntelang in den Generationenvertrag einge-
zahlt hat, ihn durch Beiträge oder Kindererziehung
sichert, und wer privat oder betrieblich vorsorgt – wir
halten beide Formen der Vorsorge für richtig –, muss im
Alter eine Rente aus dem Rentensystem erhalten.


(Bettina Hagedorn [SPD]: 10 Euro! Super! 10 Euro im Monat!)


Deshalb führen wir die Lebensleistungsrente ein, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und was kommt dabei raus?)


Wir werden die Höhe der Entgeltpunkte festlegen.
Das ist im Rentensystem üblich. Die Niedrigrenten wer-
den durch Steuermittel aufgewertet.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Im Gegensatz zu Ihrer komischen Zuschussrente!)


Dabei wird die private und betriebliche Vorsorge nicht
verrechnet. Wir wollen nicht, dass Bezieher von Niedrig-
renten umsonst in die private oder die betriebliche
Vorsorge eingezahlt haben,


(Elke Ferner [SPD]: Darum haben Sie die Minijobgrenze angehoben!)


sondern wir wollen einen Anreiz für sie schaffen, sozial-
versicherungspflichtig zu arbeiten. Außerdem wollen
wir einen Anreiz für sie schaffen, private und betriebli-
che Vorsorge zu betreiben.

Nach unserer Vorstellung muss nach wie vor gelten:
Es muss einen Unterschied machen, ob man sich an-
strengt oder nicht.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das sind 10 Euro im Monat! Super!)


Das gilt für den Arbeitsmarkt genauso wie für die Rente,
meine Damen und Herren. Deshalb ist dieser Haushalt
gut aufgestellt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720805800

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Nächster

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil. Bitte
schön, Kollege Hubertus Heil.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1720805900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Ministerin von der Leyen, bei
Ihrer Rede habe ich mich erinnert an ein großartiges
Buch von George Orwell aus dem Jahr 1948. Das Buch
heißt: Big Brother is watching you.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das heißt: 1984!)


– 1984. Entschuldigung. Das Buch heißt: 1984. Danke
für die Hilfe! Literarisch bewanderte Kollegen!


(Zuruf von der FDP: Das andere war bei RTL!)


– Hören Sie kurz zu!

1984 ist ein wunderbares Buch. In diesem Buch gibt
es eine Regierung, die eine Sprache erfindet, die immer
das Gegenteil dessen zum Ausdruck bringt, was gemeint
ist. Diese Sprache heißt „Neusprech“.

Übertragen wir das einmal auf Ihre Rede und gehen
die einzelnen Begriffe durch, die Sie in den Raum ge-
worfen haben. Sie sind eine Meisterin darin, Begriffe zu
erfinden. Sie haben einen ganzen Sommer lang den
Begriff der Bildungschipkarte in Interviews verbreitet.
Damit haben Sie die Erwartungshaltung geweckt – ich
stelle es einmal überspitzt dar –, dass Kinder von Hartz-
IV-Empfängern demnächst alle Reitunterricht und
Geigenunterricht bekommen. Herausgekommen ist ein
Bildungspaket, das wir zwar verbessern konnten, das
aber in der Abwicklung ein bürokratisches Problem ist.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ein Monster!)


Auch da: viel Wortgeklingel, wenig Substanz.

Wir haben erlebt, dass Sie beim Thema Mindestlohn
mit dem Begriff der Lohnuntergrenze operieren.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)


Herausgekommen ist dabei nichts.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Nichts!)


Meine Damen und Herren, Frau von der Leyen ist
eine Anscheinserweckerin. Sie tut so, als ob. Aber Tatsa-
che ist: Diese Regierung hat es nicht hinbekommen, Sie
persönlich haben es nicht hinbekommen, das zu tun, was
notwendig ist, nämlich einen gesetzlichen Mindestlohn
in Deutschland durchzusetzen, damit Menschen, die hart
arbeiten, von ihrer Arbeit leben können. Schweigen Sie
lieber von Ihrer Lohnuntergrenze und handeln Sie!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei den Themen „Frauenquote“ und „Gleichstellung“
sind Sie bei Appellen offensichtlich auf der richtigen
Seite. Durchgesetzt haben Sie aber nichts. Auch wieder
nur Wortgeklingel! Ihre Kollegin Frau Schröder hat dann
einen neuen schönen Klingelbegriff erfunden, die soge-
nannte Flexi-Quote.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh Gott, oh Gott!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Das setzt sich fort mit dem Wortgeklingel „ Zuschuss-
rente“, die Sie jetzt umgetauft haben in „Lebensleis-
tungsrente“. An dieser Stelle hört der Spaß auf, Frau
Ministerin. Wer Menschen, die hart arbeiten, so ver-
höhnt, wie Sie das mit diesem Unsinn tun, der sollte bei
diesem Thema schweigen. Eine Bundesministerin für
Arbeit und Soziales, die sich über Altersarmut und über
Ängste von Menschen vor Altersarmut verbreitet, aber
bei den Themen „Erwerbsarmut“ und „Kampf gegen
prekäre Arbeit“ schweigt, hat ihren Job verfehlt, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Ich sage Ihnen das, weil Frau Pothmer vollkommen
recht hat: Altersarmut ist das Ergebnis von Erwerbsar-
mut, von Langzeitarbeitslosigkeit, von prekärer Arbeit
und von schlechter Entlohnung. Die Frage, ob wir im
Jahr 2025 oder 2030 die Altersarmut abwenden können,
die die Menschen heute fürchten, hängt mit der Frage
zusammen, welche Ordnung wir am Arbeitsmarkt
haben, ob wir dafür sorgen, dass Menschen in sozialver-
sicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse hineinkommen
und dass sie von ihrer Arbeit leben können, dass das
Arbeitsvolumen von Frauen durch eine bessere Verein-
barkeit von Familie und Beruf steigt und sie nicht in
Teilzeitfallen gefangen sind. Es kommt darauf an, dass
wir den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit nicht mit
einem Wortgeklingel abtun, wie Sie es vorhin getan
haben, sondern durch den Grundsatz „gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ abwenden, dass wir gegen den Miss-
brauch von Werkverträgen angehen und dass wir den
Unsinn der Minijobs nicht ausweiten, sondern den Miss-
brauch von Minijobs in diesem Land zurückdrängen,
meine Damen und Herren. Das sind die Aufgaben.


(Beifall bei der SPD)


Frau von der Leyen, die Sprache bei George Orwell
heißt „Neusprech“. Sie sind eine Meisterin des „Neu-
sprechs“. Sie erfinden neue Begriffe. Ihre Aufgabe ist es
aber nicht, als stellvertretende Parteivorsitzende der
CDU das Spiel – wie nennen Sie das in Ihrer Partei? –
der asymmetrischen Demobilisierung anderer Parteien
durch Wortgeklingel zu spielen. Es ist nicht Ihre
Aufgabe, lediglich Begriffe zu besetzen, sondern Ihre
Aufgabe ist es, als Ministerin für Arbeit und Soziales die
Verhältnisse der Menschen in diesem Land substanziell
zu verbessern.

Was haben Sie aber in den vergangenen drei Jahren in
Ihrem Amt getan, nachdem Sie dieses ziemlich plötzlich
von Herrn Jung geerbt haben? Drei Jahre lang gab es
eine gute konjunkturelle Entwicklung, auf der Sie sich
ausgeruht haben!


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Von wegen!)


Sie haben aber als Arbeitsministerin keine Vorsorge für
konjunkturell schlechtere Zeiten getroffen. Nach drei
Jahren guter konjunktureller Entwicklung in der Ab-
schlussbilanz des kommenden Jahres, wenn Sie das Amt
verlassen werden, Frau von der Leyen, ein Loch von
1,6 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit zu

hinterlassen – das hinzubekommen, ist schon eine richtig
dolle Leistung!


(Beifall bei der SPD)


Zu vielen Themen haben Sie hier nichts gesagt, zum
Beispiel zur Frage: Welche Vorsorgemaßnahmen treffen
wir eigentlich am Arbeitsmarkt, wenn sich die Konjunk-
tur durch die Krise in Europa verschlechtert? Wir haben
Ihnen vorgeschlagen, nachdem Sie die Fristen für Kurz-
arbeit verkürzt haben, die früheren Regelungen wieder
einzuführen, ins Gesetz zu schreiben bzw. per Rechts-
verordnung in Kraft zu setzen. Das haben Sie beim letz-
ten Mal noch abgelehnt. Inzwischen habe ich erlebt, dass
Sie eine solche Überlegung im Stil von Copy and Paste
in einem Interview wieder als prüfenswert ausgegeben
haben.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Aber leider kein Geld dafür!)


Ihr Minister Rösler findet das ganz blöd. Inzwischen
geht Zeit ins Land, die dringend für Vorsorge am Ar-
beitsmarkt genutzt werden müsste.

Frau von der Leyen, ich kann es Ihnen nicht ersparen:
Sie sind eine Ministerin, für die Interviews wichtiger
sind als Initiativen,


(Widerspruch des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])


eine Ministerin, die auf Show setzt und nicht auf
Substanz,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


eine Ministerin, die mithilfe des großen Apparats für Öf-
fentlichkeitsarbeit im Bundesministerium für Arbeit und
Soziales eine wunderbare Fassade entwickelt hat. Sie
sind sehr begabt, sich in den Medien, in Talkshows
selbst zu inszenieren. In diesem Land brauchen wir je-
doch eine Politik, die sich am Arbeitsmarkt orientiert,
und eine vernünftige Sozialpolitik, in der nicht die
Selbstinszenierung der Ministerin im Vordergrund steht,
sondern die Lebenslagen von Menschen. Der soziale
Aufstieg in diesem Land, der soziale Zusammenhalt sind
viel zu wichtig, als dass man diesen Bereich weiterhin
Staatsschauspielern überlassen darf.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720806000

Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in unserer

Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1720806100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Hubertus Heil! Ich gehöre nun auch schon einige
Jahre diesem Hause an, und mich besorgt wirklich, dass
wir in letzter Zeit bei den Debatten hier den Trend erle-





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


ben, dass kein Vergleich zu billig ist und überdies die
Hemmschwellen fallen.


(Zurufe von der SPD)


Man kann die Regierung sicherlich hart attackieren.
Das kann man tun. Ich finde es aber unerträglich, wenn
diese Bundesregierung oder ein Mitglied dieser Bundes-
regierung in Bezug zu George Orwells 1984 gesetzt
wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir sind keine Regierung im Sinne von „Big Brother“
oder „Big Sister“, sondern wir sind eine Regierung, die
sehr darauf achtet, dass die Unverletzlichkeit der Privat-
sphäre der Menschen in diesem Lande gewährleistet ist.
Das will ich zu Beginn erst einmal feststellen.


(Zurufe der Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] und Stefan Rebmann [SPD])


Weiterhin haben Sie sich nach unserer Sprache erkun-
digt. Wir sprechen eine klare Sprache.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Eine klare Sprache?)


Ich will es Ihnen für die FDP-Bundestagsfraktion sehr
deutlich sagen: Für uns ist Haushaltskonsolidierung ein
hohes Ziel,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Auf dem Rücken der Sozialgesetzgebung!)


und das insbesondere vor dem Hintergrund der Erfah-
rungen, die wir derzeit in Europa mit der Schuldenkrise
machen müssen. Wir arbeiten wirklich hart an dieser
Aufgabe, Frau Hagedorn. Wir betreiben nicht eine „an-
gebliche Haushaltskonsolidierung“, wie der Kollege
Brandner uns heute Morgen vorzuwerfen meinte, son-
dern eine Haushaltskonsolidierung mit echten Zahlen.

Ich will Ihnen noch einmal in Erinnerung führen: Als
wir den Haushalt übernommen haben – Sie haben die
Zahlen doch selbst genannt –,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja, habe ich selbst gesagt!)


2010, da gab es im Einzelplan 11, Arbeit und Soziales,
ein Soll von 143,2 Milliarden Euro.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)


Dieses Soll ist jetzt bis 2012 auf 119,2 Milliarden Euro
zurückgeführt worden.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Habe ich vorgetragen!)


Und dennoch – das will ich Ihnen ganz deutlich sagen –
machen wir mit weniger Geld die bessere Sozialpolitik,
als Sie es damals gemacht haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Konjunkturelle Einsparungen gehabt!)


Die Zahlen sind doch heute schon genannt worden.
Man kann sie gar nicht oft genug nennen: ein absoluter
Hochstand bei der Erwerbstätigkeit: 41,8 Millionen,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja, konjunkturelle Ausgaben!)


Niedrigstand bei der Arbeitslosigkeit: 2,7 Millionen, und
vor allen Dingen ein Rekordniedrigstand bei der Jugend-
arbeitslosigkeit, im Grunde ein Europarekord: Wir sind
mit diesem Niedrigstand Europameister. Das sind wir
übrigens aufgrund eines Systems, nämlich der dualen
Ausbildung, um das uns ganz Europa beneidet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/ CSU]: Sehr richtig! – Zurufe der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])


Diese duale Ausbildung, Frau Kollegin Hagedorn, wird
übrigens zum ganz überwiegenden Teil von dem Mittel-
stand in unserem Lande geschultert.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist richtig, aber die haben Sie doch nicht eingeführt!)


70 Prozent der Ausbildung in Deutschland findet im
Mittelstand statt,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt!)


aber 75 Prozent der mittelständischen Unternehmen in
Deutschland werden in der Rechtsform der Personenge-
sellschaft geführt. Das sind genau diejenigen, die Sie mit
Ihrer Anhebung des Höchststeuersatzes treffen wollen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: So ein Quatsch!)


Sie greifen tief in den Mittelstand in Deutschland ein


(Bettina Hagedorn [SPD]: Absoluter Humbug!)


und zerstören so die Bereitschaft, zu investieren und Ar-
beitsplätze zu schaffen. Das werfen wir Ihnen in aller
Deutlichkeit vor.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir sind der Meinung, dass es jetzt unsere Aufgabe
ist, diesen Erfolg eines Hochstandes bei der Beschäfti-
gung in Deutschland, auch bei der sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigung, fortzuführen.

Ich will übrigens mit einem Vorurteil aufräumen. Es
wird immer gesagt, es gäbe für junge Menschen in unse-
rem Lande keine Chancen mehr. 2005 gab es in der
Gruppe der 15- bis 25-Jährigen 1,18 Millionen Normal-
arbeitsverhältnisse – so will ich es einmal nennen –, also
unbefristete, sozialversicherungspflichtige Arbeitsver-
hältnisse in Vollzeit. 2011 waren es 1,24 Millionen –
eine Steigerung um 5 Prozent. Das zeigt deutlich: Die
Entwicklung ist nicht so, wie Sie sie gerne darstellen.
Vielmehr findet der Hauptzuwachs bei der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigung über alle Altersklas-
sen hinweg im Bereich der Vollzeitbeschäftigung statt,
und andere Beschäftigungsformen entwickeln sich not-
wendigerweise entsprechend mit.

Ich will Ihnen ein Weiteres sehr deutlich sagen. Wenn
die SPD, was wir alle nicht hoffen und auch nicht erwar-
ten, in Deutschland wieder an der Regierung wäre, wäre
es mit dem Jobwunder, das ich eben beschrieben habe,
sehr schnell wieder vorbei. Denn Sie sind nicht bereit,





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


zur Kenntnis zu nehmen, Frau Hagedorn, dass auch Be-
schäftigte in den Beschäftigungsformen, die Ihnen nicht
genehm sind, aber aus unserer Sicht notwendigerweise
zum gesamten Repertoire der Beschäftigungsformen da-
zugehören, in die öffentlichen Kassen einzahlen. Man
kann darüber streiten, ob Teilzeitarbeit sinnvoll ist oder
nicht. Es gab einmal Zeiten, in denen manche die Teil-
zeitarbeit als Errungenschaft gefeiert haben, weil Frauen
dadurch Familie und Beruf besser vereinbaren konnten.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Männer auch!)


Jedenfalls zahlen auch Teilzeitbeschäftigte in die Sozial-
kassen ein und tragen dazu bei, dass die Steuerkassen in
unserem Land aktuell so überbordend gefüllt sind.

Man kann darüber streiten, ob befristete Beschäfti-
gung ein erstrebenswerter Zustand ist. Tatsache ist, dass
auch diese Beschäftigungsverhältnisse durch Steuern
und Beiträge zur derzeitigen komfortablen Situation in
Deutschland beitragen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das bestreitet doch niemand!)


Das gilt auch für die Zeitarbeit.

Ich will Ihnen hier Ihr ganzes Problem deutlich ma-
chen. Es waren SPD und Grüne, die die Zeitarbeit in
Deutschland sehr stark dereguliert haben, mit dem Ef-
fekt, dass wir dann fast 900 000 Beschäftigte in diesem
Bereich hatten. Als dann die ersten Probleme aufkamen
– Schlecker und anderes –, da waren Sie diejenigen, die
das sofort wieder dichtmachen wollten und sagten: Wir
wollen das nicht länger haben. – Wir, Karl Schiewerling
und ich, haben gesagt: Wir müssen da mit Augenmaß he-
rangehen, wir regulieren das; der Drehtüreffekt muss
vermieden werden.

Als dann die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes
für Menschen aus Osteuropa kam, sagten Sie: Die Ost-
europäer werden Deutschland überrennen, und dann
wird das hier alles ganz schlimm. – Der 1. Mai 2011
kam, und es ist nichts passiert. Wir haben ein halbes Jahr
später einen Mindestlohn eingeführt. Aber schon damals
war klar, dass in der Zeitarbeit nicht der Mindestlohn das
Problem ist, sondern die Frage des Equal Pay. Wir haben
diesen Begriff übrigens als erste Fraktion in diesem
Haus in die Diskussion eingeführt.


(Widerspruch der Abg. Bettina Hagedorn [SPD] und Katja Mast [SPD])


Dann waren Sie sofort wieder dabei, zu sagen: Zeitarbeit
nur, wenn es vom ersten Tag an Equal Pay gibt.


(Abg. Katja Mast [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Die Kollegin möchte eine Zwischenfrage stellen, Herr
Präsident.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720806200

Vielen Dank. – Der Redner hat es schneller gesehen.

Bitte schön, Frau Kollegin.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1720806300

Herr Kolb, ich habe eine ganz kurze Frage an Sie: Ab

welchem Tag nach der Einstellung wollen Sie Leih-
arbeitnehmern gleiches Geld für gleiche Arbeit garantie-
ren? Ich habe gehört: nach neun Monaten.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1720806400

Frau Kollegin Mast, ich habe eine etwas längere Ant-

wort auf Ihre Frage.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720806500

Aber Sie denken daran, dass Ihre Redezeit ohnehin

abgelaufen war?


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1720806600

Ja, ich denke daran. Ich versuche, die Antwort ein

bisschen zu kürzen.


(Katja Mast [SPD]: Neun Monate!)


Ich glaube, Equal Pay ist wichtig, um die Akzeptanz
von Zeitarbeit in Deutschland auf Dauer zu garantieren
bzw. herzustellen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Neun Monate oder nicht neun Monate? – Weitere Zurufe von der SPD: Neun Monate!)


Sie wollen Equal Pay vom ersten Tage an; wir wollen
das nicht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ab wann? – Bettina Hagedorn [SPD]: Ab wann? – Katja Mast [SPD]: Ab wann?)


Wir haben übrigens immer gesagt: Das ist eine Frage,
über die man die Tarifpartner in unserem Land entschei-
den lassen kann. Wir haben den Tarifpartnern die ent-
sprechende Zeit eingeräumt.

Sie müssen jetzt feststellen, dass in Branche für Branche
Lösungen mit Augenmaß gefunden werden, unter Zu-
stimmung der IG Metall, der IG Chemie, der EVG und
anderer.


(Katja Mast [SPD]: Neun Monate?)


Die Frist von neun Monaten, die Sie jetzt immer anspre-
chen, ist übrigens genau die Schwelle, auf die sich die
Tarifpartner jetzt Branche für Branche verständigen;


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!)


ab diesem Zeitpunkt erreichen die Branchenzuschläge
sozusagen ihren Höchststand.

Das ist der beste Weg. Sie von der SPD wollen immer
staatlich regulierend eingreifen. Warum soll man das
tun? Die Tarifpartner regeln das sehr viel besser selbst;


(Zurufe von der SPD)


sie werden das in den genannten Bereichen und auch in
anderen Branchen weiterhin tun. Es besteht hier für den
Gesetzgeber überhaupt keine Notwendigkeit, zu han-
deln.

Seien Sie ganz entspannt. Diese Regierung trägt mit
großer Sorgfalt dazu bei, dass sich die Beschäftigung in





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


Deutschland positiv entwickelt und dass Sozialbeiträge
und Steuereinnahmen sprudeln. Dafür werden wir auch
in Zukunft sorgen. Für einen Aktionismus nach rot-grü-
ner Art stehen wir nicht zur Verfügung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720806700

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist

für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Sabine
Zimmermann. Bitte schön, Kollegin Sabine Zimmermann.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720806800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kollegin Pothmer, lieber Kollege Heil,
Sie haben gerade den Niedriglohnsektor gegeißelt, be-
rechtigterweise.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha, Sie setzen sich nicht mit der Regierung auseinander!)


Sie erinnern sich aber schon noch daran, dass Sie mit
Hartz IV die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen ha-
ben? Das werden Ihnen die Bürgerinnen und Bürger
nicht vergessen, und das sollten Sie nicht vergessen.


(Beifall bei der LINKEN)


Des einen Freud ist des anderen Leid, so ein engli-
sches Sprichwort. Während sich die Regierungskoalition
darüber freut, dass es ihr gelungen ist, auch in diesem
Haushalt wieder drastische Einsparungen im Bereich der
Arbeitsmarktpolitik zu erzielen,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


verschlechtern sich die Chancen erwerbsloser Men-
schen, einen ordentlichen Job zu bekommen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Frau Zimmermann, das glauben Sie doch selber nicht!)


Die Betonung liegt auf „ordentlich“. Das ist einfach so.
Angesichts der Kürzungen der vergangenen Jahre
könnte man wirklich sagen, dass es wahrlich eine Leis-
tung von Ihnen ist, immer noch in dieser Größenordnung
zu sparen. Die Linke sagt Ihnen ganz deutlich: Diese
Kahlschlagpolitik ist unanständig und arbeitsmarktpoli-
tisch unsinnig.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem Wegfall der Beteiligung des Bundes an der
Arbeitsförderung zementieren Sie die chronische Unter-
finanzierung der Bundesagentur für Arbeit. Ich weiß
nicht, ob es bei Ihnen schon angekommen ist, dass wir
auf eine Krise zusteuern bzw. schon längst drin sind.
Selbst die BA weist darauf hin, dass sie im Falle einer
Krise keine nennenswerten Rücklagen mehr hat.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


Das ist doch eine klare Botschaft, aber Sie, die Bundes-
regierung, ignorieren das beharrlich.

Frau Ministerin von der Leyen, wir fordern Sie auf:
Hören Sie auf, die Bundesagentur für Arbeit und die er-
werbslosen Menschen wie eine Zitrone auszupressen.


(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: So ein Unsinn! Die braucht überhaupt keinen Zuschuss!)


Sie sollten sich ein Herz fassen und sagen: So kann es
nicht weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Bereich Hartz IV standen 2010 noch 6,6 Milliar-
den Euro für Eingliederung in Arbeit zur Verfügung, im
nächsten Jahr sollen es nur noch 3,9 Milliarden sein. In
der beruflichen Weiterbildung hatten wir in den letzten
zwei Jahren einen Rückgang an Teilnehmerinnen und
Teilnehmern von 30 Prozent zu verzeichnen. Das ist Ihre
Politik: 1 Milliarde mehr für Panzer, aber bei der Quali-
fizierung sparen. Das tragen wir nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition: Was sollen denn die Arbeitsvermittler
vor Ort in Zukunft noch anbieten, wenn ihnen kaum
noch Mittel zur Verfügung stehen? Somit wird den Be-
schäftigten der Bundesagentur für Arbeit der Schwarze
Peter zugeschoben. Das finden wir nicht richtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit nicht genug: 17 000 Stellen sollen bei der BA
abgebaut werden. In vielen Jobcentern sind schon der-
zeit die Beschäftigten völlig überlastet. Gehen Sie ein-
mal in ein Jobcenter oder in eine Arbeitsagentur, und las-
sen Sie sich erzählen, wie der Stand dort ist. Die
Betreuungsschlüssel sind schöngerechnet. Mit guter Ver-
mittlung, Chancen eröffnen und Fördern hat das alles
aus meiner Sicht überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Fakt ist: Die Langzeiterwerbslosigkeit ist in den letz-
ten zwei Jahren von 33,5 auf 37 Prozent gestiegen. Fast
die Hälfte aller Arbeitslosen verfügt nicht über eine ab-
geschlossene Berufsausbildung. Da ist doch Qualifizie-
rung das A und O. Hier streichen Sie.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo bitte sind denn die bahnbrechenden Erfolge am
Arbeitsmarkt, die Sie, Herr Schiewerling, Herr Vogel
– mein netter Kollege Vogel ist gerade nicht da –, immer
so hochhalten


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir haben nur nette Kollegen!)


Deutschland hat einen überdurchschnittlich hohen Anteil
an Langzeitarbeitslosen. Diejenigen, die in Arbeit sind,
sind überwiegend in prekärer Beschäftigung wie Leihar-
beit und Minijobs gelandet, und davon kann man nicht
leben.

Wir fordern Sie zu einem grundlegenden Kurswech-
sel in der Arbeitsmarktpolitik auf; denn Sie haben Lang-
zeitarbeitslose, ältere Erwerbslose und Menschen mit





Sabine Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)


Behinderungen abgeschrieben, und das ist aus unserer
Sicht ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen brau-
chen wir mehr Geld für Förderleistungen. Die Krise ist
auf dem deutschen Arbeitsmarkt angekommen, doch die
Bundesregierung verschließt davor die Augen.

Wir brauchen eine solide Finanzierung und Ausstat-
tung der Jobcenter und Arbeitsagenturen. Deshalb for-
dern wir, dass sich der Bund an den Kosten für Arbeits-
förderung beteiligt und die Leistungen für Eingliederung
in Arbeit auf dem Niveau von 2010 stabilisiert.

Ich komme zum Schluss.


(Beifall des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ CSU])


Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
beherzigen Sie einfach unsere Vorschläge! Dann klappt
es auch mit guter Arbeit. Dann können Sie wirklich in-
brünstig das Jobwunder Deutschland hier präsentieren.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720806900

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in un-

serer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU un-
ser Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege Karl
Schiewerling.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1720807000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel von

Arbeitsmarktpolitik ist es, gute Rahmenbedingungen zu
schaffen, damit Menschen wieder in Beschäftigung
kommen. Ziel von Arbeitsmarktpolitik ist es nicht, Ar-
beitsplätze zu schaffen. Das ist Aufgabe der Wirtschaft.
Das geschieht in den Unternehmen.

Wir haben die Rahmenbedingungen zu setzen und
den Menschen zu helfen, damit der Sprung in Beschäfti-
gung gelingt.


(Zuruf des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Und wir haben denen, die möglicherweise von Arbeits-
losigkeit bedroht sind, durch Weiterbildung und Qualifi-
zierung zu helfen, damit sie in Beschäftigung bleiben.
Und denjenigen, die arbeitslos sind, haben wir die nötige
Unterstützung zu geben, damit sie wieder in Beschäfti-
gung kommen. Weil genau das in den letzten Jahren ge-
lungen ist, wird und kann im Haushalt der Bundesar-
beitsministerin gekürzt werden. Ein hoher Etat eines
Ministeriums sagt noch nichts darüber aus, ob das ei-
gentliche sozialpolitische Ziel erreicht worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben unser Ziel erreicht: Wir haben 42 Millionen
erwerbstätige Menschen – das ist Rekord –; 29 Millionen

Menschen üben eine sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung aus. Vorhin hat die Bundesarbeitsministerin
zu Recht auf diese Entwicklung hingewiesen und unsere
Leistungen herausgestellt: weniger als 3 Millionen Ar-
beitslose – darum beneiden uns andere Länder –; ein
Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit um 16 Prozent im
Vergleich zu 2009 – wir haben die niedrigste Quote in
Europa –; die Beschäftigungsquote bei den über 55-Jäh-
rigen ist gestiegen; die Quote der Langzeitarbeitslosen ist
seit 2007 um 40 Prozent gesunken.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und ein dickes Loch im Haushalt der BA!)


Ich will Ihnen sagen: Wir sind stolz auf diese Ent-
wicklung. Ich gestehe gerne zu, dass die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen dazu geführt haben; aber die Ar-
beitsmarktpolitik hat eben geholfen, damit diese Schritte
bewältigt werden konnten. Übrigens hat auch das, was
damals im Rahmen der Agenda 2010 beschlossen
wurde, mit dazu beigetragen, dass wir diesen erfolgrei-
chen Weg gehen konnten. Deswegen verteidigen wir die
richtigen Schritte, die damals gegangen worden sind,
und setzen uns weiter dafür ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Meine Damen und Herren, wir haben die Instrumente
reformiert. Deswegen haben wir eine Organisationsre-
form bei den Jobcentern durchgeführt. Wir haben im Be-
reich der Zeitarbeit, in dem die Dinge aus dem Ruder ge-
laufen sind, Regulierungen vorgenommen; Herr Kollege
Kolb hat darauf hingewiesen. Wir haben im Bereich der
Zeitarbeit einen Mindestlohn. Wir haben es geschafft,
dass sich die Tarifpartner mit den Zeitarbeitsfirmen auf
ein vernünftiges System verständigt haben, sodass sie
sich jetzt nach und nach an das Ziel Equal Pay heranar-
beiten, aber nicht aufgrund von staatlichen Vorgaben,
sondern weil es die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer
verstanden haben, entsprechende Lösungen zu finden.
Das alles zu begleiten, ist unsere Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!)


Wir haben auch Überschüsse im Bereich der Sozial-
versicherungen. Das ist natürlich ein Zeichen für die Pro-
sperität und den Aufwuchs im Bereich der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. In den
letzten zwei Jahren sind übrigens über 900 000 Men-
schen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-
verhältnisse eingetreten, während die Zahl der Minijob-
ber, die immer wieder beklagt wird, in diesem Zeitraum
nicht nennenswert angestiegen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! – Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist also wichtig, die Zusammenhänge richtig dar-
zustellen, und man darf nicht so tun, als gäbe es in
Deutschland eine blanke Verelendung und eine Versan-
dung des gesamten gesellschaftlichen Klimas. Meine





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)


Damen und Herren, das stimmt mit der Wirklichkeit
nicht überein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, ob
wir die Rahmenbedingungen richtig setzen. Ich habe
nicht verstanden – das muss ich ehrlich sagen –, dass auf
dem Parteitag der Grünen gefordert wurde, den Hartz-IV-
Satz auf 420 Euro zu erhöhen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt keine neue Forderung! – Gegenruf des Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das macht es auch nicht besser!)


– Frau Kollegin Hinz, Sie haben gleich Gelegenheit, sich
entsprechend zu äußern. – Das Bundesverfassungsge-
richt hat Kriterien benannt und uns die Aufgabe erteilt,
die Leistungen transparent darzustellen. Das Bundesar-
beitsministerium hat sorgsam gerechnet. Klagen gegen
Leistungsbescheide sind bei vielen Landessozialgerich-
ten eingegangen. Von allen Sozialgerichten – mit Aus-
nahme von einem – sind die Klagen zurückgewiesen
worden. Wenn Sie wirklich davon überzeugt wären, dass
das, was wir getan haben, verfassungswidrig ist, dann
wäre schon längst eine Klage beim Bundesverfassungs-
gericht anhängig. Weil aber die obersten Sozialgerichte
bestätigt haben, dass das nicht der Fall ist, rate ich Ihnen
dringend, mit Äußerungen wie „Das ist nicht verfas-
sungskonform“ sehr vorsichtig zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, in der jetzigen Situation
müssen wir uns nicht nur mit – Gott sei Dank – sinkender
oder stagnierender Arbeitslosigkeit befassen, sondern
auch über Fachkräftemangel reden. Deshalb ist es gut,
dass zum Beispiel im Haushalt der Bundesarbeitsminis-
terin – leider von der Öffentlichkeit kaum bemerkt – Mit-
tel zur Verfügung gestellt werden, um jungen Leuten aus
Osteuropa die Möglichkeit zu geben, in Deutschland eine
Ausbildung zu machen oder hier beruflich tätig zu wer-
den. Das Bundesarbeitsministerium schafft die Voraus-
setzungen für die nötige Mobilität. Ich halte diesen Hin-
weis auch im europäischen Kontext für einen wichtigen
Punkt.

Wir stehen vor der großen Herausforderung, das hohe
Beschäftigungsniveau in Deutschland auf Dauer zu hal-
ten und mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Es ist
viel geschafft worden. Schauen Sie auf den Haushalt der
Bundesarbeitsministerin.

Das Bildungs- und Teilhabepaket – oft geschmäht –
entwickelt seine positive Wirkung für Kinder, deren El-
tern im Hartz-IV-Bezug sind bzw. auf Wohngeld ange-
wiesen sind.

Das Programm „Gesünder Leben und Arbeiten“ zielt
darauf ab, dass die Zukunft Deutschlands davon ab-
hängt, wie in den Betrieben miteinander umgegangen

wird und welche Rahmenbedingungen gesetzt werden.
Hier hilft die Bundesregierung, neue Wege zu gehen.

Das Instrument der Bürgerarbeit entfaltet ebenfalls
seine Wirkung.

Es gibt Hilfe für junge Menschen, spezielle Angebote
und Unterstützung für Alleinerziehende sowie Hilfen für
Ältere und Langzeitarbeitslose.

Ich freue mich – das liegt mir sehr am Herzen –, dass
die Bundesregierung im Rahmen des Nationalen Ak-
tionsplans für Menschen mit Behinderungen – übrigens
in guter Zusammenarbeit mit den behindertenpolitischen
Sprechern aller Fraktionen und dem Behindertenbeauf-
tragten der Bundesregierung – weiterhin alles dafür tut,
dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit ha-
ben, in unsere Gesellschaft inkludiert zu werden. Inklu-
sion ist das große Thema. Ich danke ausdrücklich allen,
die sich hier bemühen und Akzente setzen. Ich freue
mich, dass ein Kongress zu Inklusion und Arbeitswelt
stattgefunden hat. Damit hat der Bundestag ein wichti-
ges Zeichen gesetzt. Ich danke allen behindertenpoliti-
schen Sprechern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Meiner Kollegin Maria Michalk, die die Federführung
hatte, gebührt ein herzliches Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, es geht natürlich auch um
die Zukunft der gesetzlichen Rente. Wir drücken uns
hier nicht. Aber ich will Ihnen ehrlich sagen: Wenn wir
genügend Geld hätten, wenn wir eben 50 Milliarden
oder sogar 90 Milliarden Euro in die Hand nehmen
könnten, dann hinge der Himmel voller Geigen, und wir
könnten die Welt bunt malen. Das können wir aber nicht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach, Herr Schiewerling! Das muss man doch wollen! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere die Kolleginnen und Kollegen von der SPD
daran, dass Gerhard Schröder, als er den Nachhaltig-
keitsfaktor, der nichts anderes als der zuvor von ihm ab-
geschaffte Demografiefaktor ist, einführen musste, am
10. September 2003 – übrigens um 9.40 Uhr, wie mir ein
Sachkundiger mitgeteilt hat – gesagt hat: „Wir haben uns
geirrt.“ Ich rate Ihnen dringend, bei Ihren rentenpoliti-
schen Vorstellungen nicht die finanziellen Gesichts-
punkte außer Acht zu lassen. Sonst werden Sie eines Ta-
ges wieder hier stehen und sagen müssen: „Wir haben
uns geirrt.“ Ich halte es aus Gründen der Ehrlichkeit für
notwendig, darauf hinzuweisen, dass wir uns in der Ren-
tenpolitik manches wünschen, aber unter finanziellen
Gesichtspunkten leider nicht alles umsetzen können.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie schicken Millionen in die Altersarmut! Das machen Sie damit!)


Dennoch müssen die alten Menschen und die zukünfti-
gen Generationen darauf vertrauen können, dass wir sie





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)


nicht im Stich lassen, sie fördern und in ihrer Lebens-
situation unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, es kommt darauf an, dass
wir die Grundprinzipien der christlichen Gesellschafts-
lehre beachten: Personalität, Solidarität und Subsidiari-
tät. Davon lassen wir uns in unserem politischen Han-
deln leiten.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Schiewerling, das Vorenthalten von gerechtem Lohn ist eine der himmelschreiendsten Sünden!)


Das hat bisher zum Erfolg geführt. Ich freue mich, dass
wir auch im kommenden Jahr erfolgreich Arbeitsmarkt-
politik in Deutschland betreiben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720807100

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in

unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Priska Hinz. Bitte schön,
Frau Kollegin Priska Hinz.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koali-
tion redet bei diesem Einzelplan im Wesentlichen aus-
drücklich von Konsolidierung. Damit haben Sie auch
völlig recht. Das Einzige, womit Sie sich bei diesem
Einzelplan rühmen können, ist, dass dies der einzige Etat
ist, der seit Jahren gekürzt wird. Er ist der einzige, der
dafür herhalten muss, dass der Haushalt insgesamt kon-
solidiert wird, und zwar auf Kosten der Arbeitslosen so-
wie der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.

Ich wundere mich allerdings, dass Sie angesichts Ih-
rer angeblich ach so erfolgreichen Sozialpolitik kein
Wort darüber verlieren, dass die soziale Schere in diesem
Land weiter auseinandergeht, dass es immer noch keinen
Mindestlohn gibt, dass es kein Konzept für eine armuts-
feste Rente von Erwerbstätigen gibt, dass es keine Quali-
fizierung Langzeiterwerbsloser gibt und dass es keine
auskömmliche Existenzsicherung von Arbeitslosen gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, es ist richtig: Die Konjunkturdaten
sind noch einigermaßen gut. Die Konjunktur trübt sich
aber ein. Wenn Sie sagen, dass auch die BA gut aufge-
stellt ist und einen Puffer von 2,5 Milliarden Euro hat,
müssen Sie aber, bitte schön, nicht nur dazusagen, dass
der Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr 2 Milliar-
den Euro entnommen werden, sondern auch, dass der
Präsident der Bundesagentur für Arbeit deutlich gemacht
hat, dass die BA ab nächstem Jahr ins Defizit geht, weil
nämlich die Prognose der Arbeitslosenzahlen erwarten
lässt, dass es schwieriger wird. Wenn die BA nächstes
Jahr ins Defizit läuft, kann sie ihren Puffer für Krisenzei-
ten – gemäß der Planung sollte er 2016 9,5 Milliarden
Euro betragen – nicht aufbauen. Wenn nun die Zeiten

schwieriger werden und wir wieder Kurzarbeitergeld
brauchen, muss aus dem Bundeshaushalt zugeschossen
werden, da Sie keine Vorsorge für diese Zeiten treiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Frau Ministerin und liebe Kollegen von der Koalition,
dass Sie behaupten, unser Beschluss, das Arbeitslosen-
geld II auf 420 Euro pro Monat aufzustocken, würde
über 7 Milliarden Euro kosten, verblüfft mich etwas. Zu-
nächst einmal bin ich verblüfft, dass Sie eine falsche
Grundlage der BA zur Grundlage Ihrer Ausführungen
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte von Ihnen zumindest erwartet, dass Sie so viel
Redlichkeit an den Tag legen, das auch deutlich zu ma-
chen. Im Übrigen scheinen Sie alle sich nicht mit dem
auseinandergesetzt zu haben, was wir für den Haushalt
2013 beantragt haben. Da haben wir die Aufstockung
auf 420 Euro beantragt, und wir haben die Aufstockung
des Grundfreibetrages beantragt. Wir haben auch deut-
lich gemacht, dass wir, wenn ein Mindestlohn von
8,50 Euro eingeführt wird – und dieser muss kommen –,
nicht davon ausgehen, dass der Empfängerkreis ausge-
weitet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit haben wir unsere Haushaltsanträge gegenfinan-
ziert.

Man höre und staune: Nach unseren Planungen liegt
die Nettokreditaufnahme im Endeffekt trotzdem noch
um 4,6 Milliarden Euro niedriger als die der Koalition,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bettina Hagedorn [SPD]: Unsere auch! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil Sie Luftnummern hineinschreiben!)


weil wir nämlich auch an ökologisch schädliche Subven-
tionen und andere Tatbestände herangehen. Wir sind
nicht der Meinung, dass man zuallererst in der Sozial-
politik kürzen muss, sondern wir sind der Meinung:
Existenzsicherung tut not; wir sind der Meinung, Garan-
tierente tut not; wir sind der Meinung, dass Qualifizie-
rung nottut, deswegen auch ein sozialer Arbeitsmarkt
ausfinanziert werden muss; und wir sind der Meinung,
dass eine Existenzsicherung in Höhe von 420 Euro – fra-
gen Sie einmal die Sozialverbände, auch die Diakonie;
die liegen weit darüber – verfassungsgerecht ist. Deswe-
gen streben wir das auch an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Was verfassungsgerecht ist, bestimmt das Verfassungsgericht! Nicht Sie!)


Frau Ministerin, Sie sind wirklich gut darin, Begriff-
lichkeiten zu bilden. Ich finde aber besonders interes-
sant, dass Sie sich der von Ihnen als bildungspolitische
Katastrophe bezeichneten Maßnahme jetzt gar nicht
mehr entgegenstemmen – es geht um das Betreuungs-
geld –, sondern in Ihrem Haushalt tatsächlich auch noch
Vorsorge dafür treffen. Beim Betreuungsgeld handelt es





Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)


sich nun um eine Leistung, die zuallererst von alleiner-
ziehenden Frauen oder alleinerziehenden Männern in
Anspruch genommen werden muss. Diese Frauen und
Männer müssen zum Jobcenter gehen und diese Leistung
beantragen. Das verursacht Verwaltungskosten in Mil-
lionenhöhe, aber hilft keiner Frau und keinem Mann, ei-
nen Kinderbetreuungsplatz zu finden, um erwerbstätig
sein zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: In den rot-grün regierten Kommunen nicht!)


Damit bewahrheitet sich bei Ihrer Politik wieder der
Spruch: Wer arm ist, wird arm bleiben. Wir wollen die
Spirale durchbrechen. Deswegen sagen wir: Weg mit
dem Betreuungsgeld, und her mit den Kinderbetreuungs-
plätzen! Das wäre echte Bildungspolitik.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720807200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Reden allein hilft nicht, Frau Ministerin, man muss
auch etwas tun, wenn man solche Begriffe in die Welt
setzt.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720807300

Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1720807400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich will mich zuerst bei meinem Kollegen
Karl Schiewerling bedanken; denn er hat die Ehre der
Koalition gerettet. Er hat zwei wichtige Themen ange-
sprochen, die weder von der Ministerin noch von irgend-
einem anderen Redner heute angesprochen worden sind.
Er hat über Behindertenpolitik und Inklusion gespro-
chen, und er hat über den drohenden Fachkräftemangel
in dieser Gesellschaft gesprochen. Dafür ein herzliches
Dankeschön.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die beiden Themen wollen Sie bestimmt auch ansprechen!)


Ich möchte mich mit den Argumenten, die genannt
wurden, befassen. Gestern in der Generaldebatte hat die
Kanzlerin hier gesagt: Wir sind die Koalition, die die
Bildungsausgaben in dieser Republik erhöht hat.


(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: So ist es!)


Das stimmt, zumindest wenn ich mir nur den Haushalt
des Bildungsministeriums anschaue. Ich habe die Zahlen
einmal herausgesucht. Von 2011 bis 2016 gibt es im
Bildungshaushalt ein Plus von 1,9 Milliarden Euro. Das
ist eine gute Leistung; das ist ordentlich. Im Bund ist
aber die echte Bildungspolitik die Arbeitsmarktpolitik;


(Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!)


denn dort wird gefördert und gefordert. Dort kürzen Sie
im gleichen Zeitraum um 36,5 Milliarden Euro. Ergo
kürzen Sie die Mittel für Bildung von 2011 bis 2016 um
38,4 Milliarden Euro. Sie sind die größte Bildungsklau-
regierung, die diese Republik jemals hatte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Kürzungen nehmen Sie in einer Situation vor, in
der Fachkräftemangel droht. In einigen Bereichen, zum
Beispiel bei Erzieherinnen und Erziehern und in der
Altenpflege, besteht er sogar schon.

Deshalb hat die Opposition Ihnen diese Anträge zum
Haushalt vorgelegt. Unsere Anträge setzen auf vorsor-
gende Arbeitsmarktpolitik, auf Arbeitsmarktpolitik, die
heute agiert und nicht erst reagiert, wenn das Kind in den
Brunnen gefallen ist, auf Arbeitsmarktpolitik, die
vorsieht, dass wir mehr Geld für Bildung in der Bundes-
republik Deutschland ausgeben. Deshalb haben wir Sie
mit unserem Antrag konfrontiert, den Sie übrigens abge-
lehnt haben. Wir hatten beantragt, den Eingliederungs-
titel nur im Jahr 2013 – um diesen Haushalt geht es in
dieser Debatte – um 1,6 Milliarden Euro zu erhöhen, und
zwar solide gegenfinanziert, unter anderem durch die
Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Min-
destlohns.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)


Daran lassen wir uns gerne messen, wenn wir an der
Regierung sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wunschdenken!)


Mit diesem Geld können wir an den Arbeitsmarktre-
formen der SPD festhalten. Denn nicht wir sind diejeni-
gen, die das Prinzip des Förderns und Forderns aufgeben
wollen, sondern Sie schaffen es durch Ihre Arbeits-
marktpolitik ab.


(Beifall bei der SPD)


Ich will auf die Punkte, die wir fordern, eingehen;
denn Politik wird immer im Konkreten nachvollziehbar.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ein guter Satz!)


Erstens. Wir haben einen Antrag gestellt, in dem wir
fordern, dass ein Programm der zweiten Chance aufge-
legt wird. Es gibt in Deutschland 1,5 Millionen junge
Menschen zwischen 20 und 29, die keine Berufsausbil-
dung haben. Sie stehen teilweise im Erwerbsleben. Diese
Menschen müssen wir dringend zu Fachkräften qualifi-
zieren. Deshalb sagen wir: In einer guten Arbeitsmarkt-
situation müssen wir Geld in die Hand nehmen, um
diesen jungen Leuten eine zweite Chance auf Ausbil-
dung zu geben.


(Beifall bei der SPD)


Zweitens. Es gibt auch viele Menschen über 30 Jahre
– sie sollen ja alle länger arbeiten –, die keine Ausbil-
dung haben oder die eine Ausbildung haben, die vom
Arbeitsmarkt heute nicht mehr nachgefragt wird. Auch





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)


diese Menschen wollen wir für den beruflichen Aufstieg
qualifizieren. Das wäre ebenfalls möglich, wenn man
den Eingliederungstitel, wie wir fordern, um 1,6 Milliar-
den Euro erhöhen würde.

Drittens. Eine Gruppe wurde von Ihnen heute noch
gar nicht erwähnt – es handelt sich um eine am Arbeits-
markt benachteiligte Gruppe –: Menschen mit Migra-
tionshintergrund. Für Menschen mit Migrationshinter-
grund braucht man manchmal besondere Antworten bei
der Arbeitsvermittlung und der Qualifizierung; dabei
geht es unter anderem um den Spracherwerb. Auf diese
Gruppe reagieren Sie in Ihrer Arbeitsmarktpolitik gar
nicht. Wir sagen: Wir brauchen die Initiative MigraPlus.
Wir wollen nicht die Isolation von Menschen mit Migra-
tionshintergrund, sondern ihre Integration in diese
Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD)


Viertens. Perspektivisch wollen wir die Arbeitslosen-
versicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterent-
wickeln. Wir wollen vorsorgende Arbeitsmarktpolitik.
Vorsorge heißt, dass wir nicht erst dann reagieren, wenn
jemand arbeitslos geworden ist, sondern dass wir agie-
ren, und zwar schon dann, wenn jemand noch in der
Erwerbstätigkeit ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das habt ihr von uns geklaut!)


In unserem Antrag fordern wir, dafür die notwendigen
Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der SPD)


Noch einmal: Zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik
bedeutet für Sie „keine Chance“, für uns Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten „zweite Chance“. Bei
Ihnen heißt es Stillstand, bei uns Aufstieg. Sie wollen
Isolation, wir Integration. Von Ihnen hört man warme
Worte, wir handeln. Sie wollen reagieren, wir agieren
und schauen mit Zuversicht in die Zukunft. Wir brau-
chen nämlich qualifizierte Fachkräfte in der Bundes-
republik Deutschland.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720807500

Das Wort hat nun Max Straubinger für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Jetzt kommt das scharfe Schwert aus Niederbayern! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Los! Ein bisschen Schwung jetzt!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1720807600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die

Frau Kollegin Hagedorn hat ihre Rede ja mit den Worten
begonnen: Man muss die Wahrheit sagen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)


Diesen Weg hat sie allerdings ziemlich schnell verlassen.
Daher ist es wichtig, zum Schluss noch einmal kurz über
die Wahrheit zu reden.

Die sozialen Grundlagen, die wir in Deutschland
haben, sind dank der Arbeit der Ministerin und der
Bundesregierung hervorragend. Wir können auf einige
Erfolge verweisen: Wir haben die seit über 21 Jahren
niedrigste Arbeitslosenquote und die niedrigste Jugend-
arbeitslosenquote in Europa zu verzeichnen. Bei sämtli-
chen Arbeitslosenzahlen ist ein starker Rückgang zu be-
obachten, besonders bei den Langzeitarbeitslosen. Frau
Kollegin Zimmermann, Sie haben eben versucht, durch
einen Zahlendreher darzulegen, dass die Langzeitar-
beitslosigkeit gestiegen sei. Sie ist aber nicht gestiegen.


(Zuruf der Abg. Sabine Zimmermann [DIE LINKE])


Vielmehr ist die Vermittlung von Kurzzeitarbeitslosen
wesentlich schneller vorangegangen als die Vermittlung
von Langzeitarbeitslosen. Deshalb ist möglicherweise
noch ein etwas höherer Anteil von Langzeitarbeitslosen
zu verzeichnen. Aber auch die Langzeitarbeitslosigkeit
ist effektiv zurückgegangen. Das ist ein Erfolg der Poli-
tik, die wir betrieben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es befinden sich wesentlich mehr Ältere im Erwerbs-
leben. Wir haben die höchste Erwerbstätigenquote zu
verzeichnen, die es in dieser Republik jemals gab. Dies,
werte Kolleginnen und Kollegen, zeigt sich auch daran,
dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die auf so-
ziale Hilfe angewiesen sind, mittlerweile den niedrigsten
Stand erreicht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das lässt sich an Zahlen belegen. 2006 waren
10,1 Prozent der Menschen in Deutschland auf soziale
Hilfe angewiesen. Im Jahre 2011 waren es – das sind die
jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes – nur
noch 8,9 Prozent. Bei den Hartz-IV-Empfängern war in
diesem Zeitraum ein Rückgang um 16 Prozent zu ver-
zeichnen. Trotzdem, werte Kolleginnen und Kollegen,
wurde nicht daran gespart, Geld für Soziales auszuge-
ben. Im Gegenteil: Die Sozialausgaben sind vom letzten
Jahr bis heuer um 4,5 Prozent gestiegen; sie betragen
über 27 Milliarden Euro.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dies zeigt sehr deutlich: Diese Bundesregierung und die
sie tragenden Fraktionen kommen ihrer sozialen Verant-
wortung nach und unterstützen die Menschen in unserem
Land.

Die Arbeitsmarktpolitik baut auf dem Prinzip „For-
dern und Fördern“ auf. Die Frau Bundesministerin ist
auf die Arbeitsmarktreformen, die Bündnis 90/Die Grü-
nen vornehmen wollen, eingegangen, insbesondere unter
finanziellen Gesichtspunkten und unter dem Gesichts-





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


punkt, dass wesentlich mehr Menschen der Sozialhilfe
anheimfielen.

Damit verbunden fordern die Grünen, dass die Sank-
tionsmöglichkeiten eingeschränkt werden


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! „Eingeschränkt“ ist richtig!)


bzw. abgeschafft werden.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das
ist letztendlich die Unterstützung von Faulenzertum und
Drückebergerei.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wollen wir nicht in unserem Land. Es gab jüngst
Kritik daran, dass über 1 Million Sanktionierungen statt-
gefunden haben, über 60 Prozent davon nur deshalb,
weil Termine nicht eingehalten worden sind. Ich sage
Ihnen: Die arbeitenden Menschen haben ein Anrecht
darauf, dass, wenn jemandem Arbeit zugewiesen werden
kann, wenn Arbeit vermittelt werden kann, diese Arbeit
auch angenommen wird – ob der Zumutbarkeit von
Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720807700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Heil?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1720807800

Gerne.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1720807900

Lieber Kollege Straubinger, Sie wissen, dass ich Sie

persönlich sehr schätze.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1720808000

Ich Sie auch.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1720808100

Danke.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wattebäuschchen! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wollt ihr euch küssen?)


– Nein; aber das darf parteiübergreifend einmal möglich
sein.

Ich habe eine ganz herzliche Bitte an Sie. Ich möchte
nicht, dass Gift in der Debatte bleibt. Mein Job ist nicht,
die Grünen zu verteidigen. Aber ich habe zur Kenntnis
genommen, dass die Grünen nicht die Abschaffung von
Sanktionen fordern, sondern lediglich über den Umfang

andere Vorstellungen haben. Das ist schon ein kleiner
Unterschied.

Herr Straubinger, bitte nehmen Sie eines mit: Nie-
mand bei Bündnis 90/Die Grünen oder bei der SPD will
das Prinzip „Fordern und Fördern“ infrage stellen. Wir
finden es richtig, dass man Anstrengungen an dieser
Stelle verlangt. Meine Bitte ist allerdings, in der Argu-
mentationsführung im aufziehenden Wahlkampf nicht
auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen eine Stim-
mung zu befördern, in der arbeitende Menschen und
Langzeitarbeitslose gegeneinander ausgespielt werden.
Das finde ich nicht in Ordnung. Die Mehrheit der Men-
schen – auch der arbeitslosen – will Arbeit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Straubinger, das ist nur eine Bitte; denn ich traue
Ihnen nicht zu, ein solches Gift zu versprühen, wie wir
es bei Herrn Westerwelles „spätrömischer Dekadenz“
schon einmal erlebt haben.


(Pascal Kober [FDP]: Falsch zitiert!)


Ich weiß, dass wir von verschiedenen Standpunkten aus-
gehen. Meine Bitte ist einfach, von dieser Form des
Argumentierens abzusehen. Sie vergiftet nur die De-
batte. Das ist kein Meinungsstreit um eine vernünftige
Lösung. „Faulenzer befördern“ will hier keiner, glaube
ich. Wir reden über die Ausgestaltung des Prinzips „För-
dern und Fordern“.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1720808200

Herr Kollege Heil, ich muss Sie fragen: Sind Sie der

Meinung, dass die jetzigen Sanktionsmöglichkeiten
falsch sind?


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausdrücklich!)


Ich bin überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter der Arbeitsagenturen mit den Instrumentarien
sehr verantwortungsvoll umgehen. Das alles kann ja
gerichtlich überprüft werden.


(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Ich bin überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter der Bundesagentur für Arbeit eine hervorragende
Arbeit leisten. Deshalb gibt es keine Kritik an den Sank-
tionsmöglichkeiten, die gegeben sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die wurden von der SPD eingeführt!)


– Die Sanktionsmöglichkeiten wurden unter Rot-Grün
eingeführt, sagt der Kollege Kolb zu Recht. Das kann
also nicht so schlecht gewesen sein.

Dass die Grünen die Sanktionsmöglichkeiten ein-
schränken wollen, zeigt sehr deutlich, dass sie das
Fordern nicht mehr wollen, dass sie sozusagen nur noch
das Fördern wollen. Das ist meines Erachtens ein fal-
scher Weg.





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)



(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


– Das ist ein falscher Weg, Frau Müller-Gemmeke.

Ein Letztes noch: Wir diskutieren aktuell über die
Rente und über mögliche Altersarmut. Bezeichnender-
weise wird die SPD dieses Wochenende ein Programm
beschließen, das dem Motto folgt: Wünsch dir was,
Weihnachten steht bevor. – Damit hat sich die SPD bei
der Rentenpolitik schon einmal fürchterlich verrannt: als
sie – noch unter einem anderen Vorsitzenden – 1998 im
Bundestagswahlkampf gegen den demografischen Fak-
tor polemisierte.

Darüber hinaus musste sie später feststellen, dass zur
Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels
hier entsprechende Grundlagen geschaffen werden müs-
sen.

Ich bin schon erstaunt über die gesamten Beschlüsse,
die hier vorbereitet werden. Die Frau Bundesministerin
hat ja bereits aufgezeigt, welche Kosten das verursachen
wird.

Ich bin auch ganz gespannt darauf, wie der zukünftige
Kanzlerkandidat der SPD – wir wissen das ja noch nicht
abschließend; bis dahin ist ja noch eine Wegstrecke zu
bewältigen – diese Beschlüsse mit sich vereinen kann.
Ich erinnere nur daran, was er in seinem Buch Unterm
Strich niedergeschrieben hat – Herr Präsident, mit Ihrer
Zustimmung darf ich daraus zitieren –:

Die ungebrochene Tendenz, Lasten in der Sozial-
versicherung in die Zukunft zu verschieben und
dort anzuhäufen, um heute notwendigen Korrektu-
ren zu entfliehen, die natürlich auf konfliktträchtige
Zumutungen hinauslaufen, wird die Tragfähigkeit
der öffentlichen Finanzen immer weiter anspannen.
… Zusammen mit der ausgewiesenen Staatsschuld
ergibt dies eine Nachhaltigkeitslücke von etwa
7,8 Billionen Euro, die voll auf die Knochen nach-
folgender Generationen schlägt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, das hat
Ihr zukünftiger Kanzlerkandidat niedergelegt. Es zeigt
sehr deutlich: Das, was Sie im Rentenkonzept beschlie-
ßen werden, wird letztendlich die kommende Generation
zu bezahlen haben, und das ist verantwortungslos.

In diesem Sinne wollen wir hier eine sachgerechte
Rentenpolitik diskutieren und dann auch verabschie-
den – im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und vor al-
len Dingen auch im Sinne einer guten Altersversorgung
für die Menschen in unserem Land.

Es wäre gut, Sie würden diesem Haushalt Ihre Zu-
stimmung geben, weil Sie damit etwas Gutes für
Deutschland tun würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720808300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales –
in der Ausschussfassung.

Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor. Wir begin-
nen mit der Abstimmung über zwei Änderungsanträge
der Fraktion der SPD:

Änderungsantrag auf Drucksache 17/11544. Wer
stimmt dafür? –


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die Minderheit! – Katja Mast [SPD]: Hammelsprung!)


Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthal-
tung der Grünen abgelehnt.

Änderungsantrag auf Drucksache 17/11545. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Mehrheits-
verhältnis wie zuvor abgelehnt.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ärgerlich! Jetzt haben wir die Chance für eine Mehrheit!)


Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/11546. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der Linken mit den Stimmen aller anderen
Fraktionen abgelehnt.

Wir kommen schließlich zu dem Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/11547. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen
die Stimmen von Linken und Grünen abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-
plan 11 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktio-
nen angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte VI a bis d so-
wie Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:

VI a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleich-
berechtigter Teilhabe von Frauen und Män-
nern in Führungsgremien (GlTeilhG)


– Drucksache 17/11270 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Impulse für einen wirksamen und um-
fassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten

– Drucksache 17/11554 –





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas
Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Michael
Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die UN-Klimakonferenz in Doha – Globalen
Klimaschutz wirksam vorantreiben

– Drucksache 17/11514 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Stellungnahme der Bundesregierung zu den
Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ der Län-
der Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vor-
pommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thü-
ringen für das Berichtsjahr 2010

– Drucksache 17/8342 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Federführung strittig

ZP 1a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Ingrid
Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung
eines Registers über unzuverlässige Unterneh-
men (Korruptionsregister-Gesetz)


– Drucksache 17/11415 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck


(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den am 12. September und am 4. Oktober
2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall been-
den

– Drucksache 17/11555 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei
denen die Federführung strittig ist.

Tagesordnungspunkt VI d. Interfraktionell wird Über-
weisung der Stellungnahme der Bundesregierung zu den
Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ auf Drucksache
17/8342 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch
strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wün-
schen Federführung beim Haushaltsausschuss. Die Frak-
tionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen wün-
schen Federführung beim Innenausschuss.1)

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen ab-
stimmen, also Federführung beim Innenausschuss. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungs-
vorschlag ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
fraktionen und der Linken gegen die Stimmen von SPD
und Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP – Federführung
beim Haushaltsausschuss – abstimmen. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Zusatzpunkt 1 a. Es wird vorgeschlagen, den Entwurf
eines Korruptionsregistergesetzes der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11415 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. Auch hier ist die Federführung strittig. Die Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, Bünd-
nis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Rechts-
ausschuss.

Ich lasse zuerst über den Vorschlag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim Rechts-
ausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die
Stimmen von Linken und Grünen abgelehnt.

Wir kommen nun zum Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Federführung

1) Anlage 3





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


beim Wirtschaftsausschuss. Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit dem glei-
chen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen.

Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen.
Tagesordnungspunkte VI a bis c sowie Zusatzpunkt 1 b.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-
weisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk-
ten VII a bis f sowie Zusatzpunkt 2. Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt VII a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Internationalen Übereinkommen von
2004 zur Kontrolle und Behandlung von Bal-

(Ballastwasser-Gesetz)


– Drucksache 17/11052 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/11433 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11433, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/11052 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ein-
stimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist ebenso einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt VII b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 494 zu Petitionen

– Drucksache 17/11358 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 494 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt VII c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 495 zu Petitionen

– Drucksache 17/11359 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 495 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Ablehnung der Linken angenommen.

Tagesordnungspunkt VII d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 496 zu Petitionen
– Drucksache 17/11360 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 496 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von
Linken und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt VII e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 497 zu Petitionen

– Drucksache 17/11361 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 497 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen
von SPD und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt VII f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 498 zu Petitionen

– Drucksache 17/11362 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 498 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 2:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Wertschöpfung im ländlichen Raum absi-
chern – Erzeugung und Einsatz reiner Pflan-
zenöle in der Land- und Forstwirtschaft aus-
bauen
– Drucksache 17/11552 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die
Haushaltsberatungen fort.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe Tagesordnungspunkt I.16 auf:

Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend

– Drucksachen 17/10816, 17/10823 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Rolf Schwanitz
Dr. Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Sven-Christian Kindler

Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
der SPD sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen Änderungsan-
trag der Fraktion der SPD werden wir später namentlich
abstimmen. Des Weiteren haben die Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen je einen Entschlie-
ßungsantrag eingebracht, über die wir am Freitag nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Caren Marks
für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1720808400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob eine
Bundesregierung einen gesellschaftspolitischen Kom-
pass hat oder nicht, offenbart kaum ein anderer Etat so
deutlich wie der des Bundesfamilienministeriums. Hier
zeigt sich wirklich, welche Vorstellungen die Regierung
von Familien-, von Kinder- und Jugend-, von Gleichstel-
lungs- und Seniorenpolitik hat. Wenn man so will, ist der
Etat Ihres Hauses, Frau Schröder, der Lackmustest dafür,
ob eine Bundesregierung Antworten auf drängende ge-
sellschaftliche Fragen unserer Zeit hat.

Wie können Eltern Beruf und Familie unter einen Hut
bringen? Wie können Frauen und Männer gleichberech-
tigt leben und ihre Potenziale wirklich entfalten? Wie
kann ein junger Mensch es schaffen, in der Gesellschaft
Fuß zu fassen und sich auch zu engagieren? Wie können
ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt leben?
Das alles sind wichtige gesellschaftliche Fragen, auf die
auch der Bundeshaushalt Antwort geben muss – wenn
diese Bundesregierung all diese gesellschaftspolitischen
Herausforderungen und Fragen denn ernst nehmen
würde.

Das Betreuungsgeld, das Sie, meine Damen und Her-
ren von Schwarz-Gelb, in der letzten Sitzungswoche be-
schlossen haben, ist jedenfalls keine vernünftige Antwort
auf die drängende Vereinbarkeitsfrage, die Zigtausende
Familien und insbesondere Alleinerziehende tagtäglich
beschäftigt.


(Beifall bei der SPD)


Ganz im Gegenteil: Das kleine Handgeld für Fami-
lien, das statt der Inanspruchnahme einer öffentlich ge-
förderten Kita gezahlt werden soll, ist ein familien- und
gleichstellungspolitischer Rückschritt. Es konterkariert
den seitens des Staates vorangetriebenen Ausbau der
frühkindlichen Bildung. Das sieht eine große Mehrheit
in unserem Land so. Das Betreuungsgeld verschlingt
mittelfristig Milliarden im Bundeshaushalt. Das ist ein-
fach absurd. Deshalb wollen und werden wir es zügig
wieder abschaffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wolkenkuckucksheim!)


Meine Kolleginnen und Kollegen, auch beim Thema
Jugendpolitik vermissen wir von der SPD ernsthafte
Antworten. Von der großspurig angekündigten eigen-
ständigen Jugendpolitik, Frau Ministerin, ist im Haushalt
nichts, aber auch wirklich gar nichts spürbar. Der Kin-
der- und Jugendplan fristet – so kann man das wirklich
sagen – ein Schattendasein. Die Jugendverbände brau-
chen definitiv mehr Geld, als eingeplant ist. Beispiels-
weise fehlen Mittel, um die Tariferhöhung für ihre Be-
schäftigten nachzuvollziehen. Dieses Problem hat unsere
Fraktion schon mehrfach angesprochen. Sie haben das in
den Haushaltsberatungen wieder einmal einfach igno-
riert und zur Seite geschoben.

Nicht nur ich befürchte, dass sich ab 2013 die Lage
für den Kinder- und Jugendplan dramatisch zuspitzen
wird.

Die derzeit noch vorhandenen Mittel aus dem Euro-
päischen Sozialfonds brechen in den kommenden Jahren
weg. Das ist jetzt schon ganz deutlich abzusehen. Wenn
Sie als Bundesregierung nicht schnell gegensteuern,
dann ist die wichtige Infrastruktur für junge Menschen in
unserem Land gefährdet. Das ist definitiv nicht hin-
nehmbar.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das waren die Grünen, die damals angefangen haben, nur noch Projekte zu fördern! Das war nicht die CDU/CSU!)


Ich komme zur Gleichstellungspolitik.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Fertig!)


– Völlig richtig. Wenn ich mich bei der Gleichstellungs-
politik auf den Tatendrang der Ministerin beziehe, bin
ich eigentlich fertig. – In der Gleichstellungspolitik be-
wegt diese Ministerin rein gar nichts.


(Beifall bei der SPD)


Auch hier fallen ESF-Mittel weg, mit fatalen Auswir-
kungen. Ob es um drängende Probleme der Entgeltun-
gleichheit zwischen Frauen und Männern oder um die
Einführung einer Quote geht, damit Frauen endlich ver-
mehrt in Führungspositionen ankommen, still ruht der
See oder auch die Ministerin.





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


Es gibt zwar Veranstaltungen des Ministeriums unter
dem Titel „Frauen verdienen mehr“, in denen faire Ein-
kommensperspektiven für Frauen gefordert werden.
Doch es lebe die Doppelzüngigkeit, ganz besonders bei
Ihnen, Frau Ministerin,


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das sagt die Richtige!)


zur gleichen Zeit stimmen Sie nämlich am Kabinettstisch
der Ausweitung der Minijobs zu: prekäre Beschäftigung
und Minijobs – eine Frauendomäne und gleichzeitig eine
Sackgasse für die Frauen – und eine Ministerin der blu-
migen Worte und gleichzeitig der Tatenlosigkeit.


(Beifall bei der SPD)


Aber in der Debatte um die Notwendigkeit zur Ein-
führung einer Quote entrüsten Sie sich dann ganz plötz-
lich über die Aktivitäten aus der EU und wollen sich ge-
gen unnötige Vorgaben aus Brüssel wehren. Hört! Hört!
Welch plötzlicher Tatendrang, Frau Ministerin, wenn es
darum geht, wichtige Dinge zu verhindern. Das ist also
leider wieder einmal ein Tatendrang an der falschen
Stelle.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, falls
Sie heute vorhaben, sich auf die eigenen Schultern zu
klopfen, weil für den Kitaausbau zusätzliche Bundesmit-
tel in Höhe von über einer halben Milliarde Euro bereit-
gestellt werden, sage ich Ihnen schon jetzt: Dieses
Finanzpaket geht mitnichten auf das Konto der Bundes-
familienministerin, sondern vor allem auf das der SPD-
geführten Länder.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU)


– Ja, die Wahrheit tut weh. – Wir haben in den vergange-
nen Jahren in Anträgen und auch in Haushaltsberatungen
immer wieder zusätzliche Hilfen für den Krippenausbau
gefordert, mit den Grünen und den Linken oftmals an
unserer Seite. Aber die Familienministerin hat sich stets
weggeduckt. Erst im Juni dieses Jahres, in den Verhand-
lungen zwischen Bund und Ländern zur Umsetzung des
Fiskalvertrages, konnten Kurt Beck und Olaf Scholz er-
reichen, dass der Bund endlich mehr Investitionen in den
Krippenausbau bereitstellt. Das ist die Wahrheit, Frau
Ministerin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im nächsten Schritt wollen wir mehr in die Qualität
der frühkindlichen Bildung und in den Ausbau von Kitas
zu Familienzentren investieren. Daher hat die SPD-Frak-
tion einen Antrag auf Erhöhung von über 300 Millionen
Euro vorgelegt. Unsere Forderung ist im Übrigen sauber
gegenfinanziert. Wir schlagen den Abbau von Subven-
tionen wie zum Beispiel Steuergeschenken für Hoteliers
vor.

Mit unserem Finanzierungskonzept wollen wir jähr-
lich 2 Milliarden Euro mehr in Bildung und Ausbildung

investieren. Wir machen auch Vorschläge, wie die
Finanzsituation der Kommunen verbessert werden kann.
Zur Sicherung der kommunalen Infrastruktur für Fami-
lien, Kinder und ältere Menschen ist es wichtig, die
Kommunen zu unterstützen. Hier haben Sie, Schwarz-
Gelb, mit einer verantwortungslosen Steuersenkungs-
und Klientelpolitik großen Schaden in den Kommunen
angerichtet.

Unser Fundament ist ein solides Fundament für eine
zukunftsfähige Familien-, Gleichstellungs-, Kinder-, Ju-
gend- und Seniorenpolitik. Die Haushaltspolitik der Re-
gierungskoalition hingegen ist nicht nur unsolide; sie ist
auch nicht zukunftsfähig und schon gar nicht sozial ge-
recht.

Es ist definitiv Zeit für eine Ablösung von Schwarz-
Gelb, zumindest in der Politik. Zukünftige Erfolge für
diese Farbkombination sehe ich definitiv nur im Fußball.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720808500

Das Wort hat nun Andreas Mattfeldt für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1720808600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wir blicken in diesem Jahr auf sehr
konstruktive Beratungen des Bundeshaushaltes 2013 zu-
rück. Ich möchte mich vor allem bei Ministerin Schröder
und allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die
konstruktive Zusammenarbeit bedanken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir Koalitionäre haben immer das Ziel der Schulden-
bremse in den Beratungen im Blick gehabt; dies kann ich
leider von der Opposition nicht behaupten. Ich habe oft
den Eindruck, dass dieser Seite des Hauses der Umgang
mit hart erarbeiteten Steuergeldern mehr am Herzen liegt
als Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falscher Eindruck!)


Ihre Anträge nur in der Bereinigungssitzung auf im-
mense Mehrausgaben in Höhe von fast 9 Milliarden
Euro allein im Familienetat sprechen eine deutliche
Sprache.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem denn?)


Deshalb ist es gut, dass es unserer christlich-liberalen Ko-
alition in den Haushaltsberatungen gelungen ist, die Net-
tokreditaufnahme im Gesamthaushalt um 1,7 Milliarden
Euro zu senken. Damit werden wir drei Jahre früher als
geplant die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)


einhalten. Das ist gerade für die junge Generation in un-
serem Land von besonderer Bedeutung und deshalb Fa-
milien- und Jugendpolitik pur.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir setzen damit die erfolgreiche Politik der wachs-
tumsfreundlichen Konsolidierung fort, und wir schaffen
die Grundlage dafür, dass Deutschland Wachstumsloko-
motive und Stabilitätsanker in Europa bleibt. Deutsch-
land zeigt, dass die richtige Mischung aus Haushaltskon-
solidierung und Wachstumspolitik, gepaart mit einer
ausgewogenen Entlastung der Bürger, der erfolgreiche
Weg für die Zukunft kommender Generationen ist. Ge-
rade das ist für das Familienressort von besonderer Be-
deutung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben den Familienetat an einigen Stellen ange-
hoben, an anderen Stellen ein wenig gesenkt, sodass wir
jetzt bei einem Volumen von 7,127 Milliarden Euro sind.
Das sind immerhin 567 Millionen Euro mehr als noch
im Entwurf für den Haushalt 2010. Beispielhaft möchte
ich den größten Ausgabeposten des Familienetats anfüh-
ren: Das ist das Elterngeld. Hierfür sah der Ansatz 2010
noch 4,48 Milliarden Euro vor. Für 2013 haben wir
4,9 Milliarden Euro bereitgestellt. Mit diesem höheren
Ansatz tragen wir nicht nur dem Umstand Rechnung,
dass erfreulicherweise die Löhne derzeit steigen und die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Aufschwung
partizipieren, sondern auch dem Umstand, dass das Kon-
strukt der Vätermonate stetig Erfolg zeigt.

Ich bin dankbar, dass sich immer mehr Männer dafür
entscheiden, einen oder mehrere Monate Auszeit zu neh-
men, um ihre Kinder in den ersten Lebensmonaten inten-
siv zu begleiten. Deshalb sage ich hier auch ganz offen:
Die Verkürzung der Elternzeit – darüber wird zurzeit dis-
kutiert – steht für mich nicht zur Disposition. Es ist nicht
hinnehmbar, dass Frauen ausschließlich als arbeits-
marktpolitische Manövriermasse betrachtet werden. Das
geht zu weit, und das erschreckt mich zutiefst.

Wir haben die Gelder für einige sinnvolle Projekte er-
höht. Beispielhaft möchte ich hier die Zuwendung für
das Deutsch-Französische Jugendwerk nennen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gibt es kein deutsch-griechisches Jugendwerk?)


Wir haben den Titel um 1 Million Euro angehoben, um
zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages ein Zeichen zu
setzen. Seit 50 Jahren wurden die Mittel nicht erhöht.
Ich bin sicher, dass unsere Entscheidung dazu beitragen
wird, dass auch unsere französischen Freunde in sehr
schwierigen Zeiten ihren Beitrag zum Deutsch-Französi-
schen Jugendwerk in gleicher Höhe aufstocken werden.
Somit kann das Jugendwerk im Jubiläumsjahr mit über
2 Millionen Euro mehr an Mitteln rechnen.

Wir haben aber auch die Gelder für einige Einrichtun-
gen in den vergangenen Jahren reduziert. Bemerkens-
wert dabei war, wie einige Einrichtungen versucht ha-
ben, uns über Medien unter Druck zu setzen. Noch

bemerkenswerter war, dass andere noch nicht einmal be-
merkt haben, dass sie weniger Geld erhalten. Als Be-
richterstatter für den Familienetat habe ich mir in den
vergangenen Jahren zahlreiche Einrichtungen und Insti-
tute, die Geld aus unserem Einzelplan bekommen, ange-
sehen. Ich darf sagen: Ich bin auf engagierte Menschen
gestoßen, die wertvolle und gute Arbeit leisten, ich habe
aber gleichzeitig durch Besuche vor Ort auch erschre-
ckende Erkenntnisse gewonnen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Das ging von der Beschreibung der eigenen Arbeit als
„Wir machen Netzwerke für Netzwerker“ bis hin zum
Bekenntnis, gerne weiterhin mit Organisationen zusam-
menarbeiten zu wollen, die ganz offen diesen Staat be-
kämpfen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkret bitte mal!)


Um Letzteres zu unterbinden,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkret, bitte!)


hat Kristina Schröder gemeinsam mit dem Innenminister
völlig zu Recht die Demokratieerklärung eingeführt, die
Einrichtungen zu unterzeichnen haben, die Gelder aus
ihrem Haushalt erhalten.

Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, Herr Kindler, diese Demokratieerklärung ist
für Sie eine Zumutung. Aber, mit Verlaub, es muss doch
dem Geldgeber erlaubt sein, ein Bekenntnis zum Grund-
gesetz unseres Landes zu verlangen. Diejenigen, die
eben nicht auf dem Boden unserer Verfassung stehen,
können doch nicht ernsthaft meinen, dass sie hierfür
auch noch Unterstützung vom Staat bekommen. Das
geht für mich eindeutig zu weit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


In keiner Weise hinnehmbar ist für mich die stets wie-
derkehrende Unterstellung der Opposition, die Ministe-
rin setze sich nicht genügend gegen den Extremismus
ein. Ich habe häufig den Eindruck, Sie leiden unter kol-
lektivem Gedächtnisverlust. Es war nämlich Ministerin
Schröder, die erst kürzlich den Extremismustitel um
5 Millionen Euro angehoben hat. Wir hatten allein im
vergangenen Jahr dadurch, dass wir die Verwaltung von
Extremismustiteln selbst übernommen und nicht teuren
Fremdfirmen überlassen haben, zusätzliche Mittel in
Höhe von 2 Millionen Euro für Maßnahmen zur Extre-
mismusbekämpfung zur Verfügung.

Zu Ihren Vorwürfen, wir verhinderten eine kontinu-
ierliche Arbeit der Institutionen, die sich gegen Extre-
mismus einsetzen, weil wir keine ausreichenden Ver-
pflichtungsermächtigungen ausgebracht hätten, kann ich
nur sagen, dass Sie doch ganz genau wissen, dass erheb-
liche Ausgabereste von fast 4 Millionen Euro in diesem
Jahr und aufgelaufene Reste im kommenden Jahr zur
Verfügung stehen. Hiermit und mit der vorläufigen
Haushaltsführung stehen genügend finanzielle Mittel zur





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Verfügung, die auch in 2014 genutzt werden können.
Dadurch ist eine kontinuierliche Finanzierung gesichert.
Ich betone, dass niemand in dieser Koalition auch nur
ein Wort darüber verloren hat, diesen Ansatz zu kürzen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe
fast den Verdacht, das mag bei Ihnen anders sein.

Wenn wir der Logik Ihres Antrags folgten, dann
müssten wir in unzähligen Haushaltsstellen Verpflich-
tungsermächtigungen einbringen, überall dort, wo genau
das Gleiche gilt. Dies macht man unter Demokraten be-
wusst nicht.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Programm läuft aus!)


Eine Ausbringung von Verpflichtungsermächtigungen in
der von Ihnen geforderten Höhe im letzten Haushalt vor
einer Bundestagswahl bindet nachfolgende Regierungen
in einer nie dagewesenen Weise. Wenn wir im Gesamt-
haushalt boshaft wären, könnten wir überall, wo uns
Dinge wichtig sind, VEs einbringen, um damit für nach-
folgende Regierungen unsere Prioritäten schon heute zu
zementieren.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch keine Priorität, oder wie?)


Meine Damen und Herren, ich finde es bedauerlich,
dass Sie in jedem Jahr ein derart emotionales Thema wie
die Bekämpfung des Rechtsextremismus zur ideologi-
schen Agitation benutzen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist für uns – ich sage das auch vor meinem ganz per-
sönlichen familiären Hintergrund – inakzeptabel. Dieses
Problem ist viel zu ernst, als dass man Extremismus der-
art missbrauchen dürfte. Deshalb kann ich nur an Sie ap-
pellieren: Orientieren Sie sich bitte an Fakten und nicht
an populistischen Aussagen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Caren Marks [SPD]: Schön wär’s, wenn Sie es mal machen würden!)


Wir als Demokraten sollten hier Seite an Seite stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Bei den Haushaltsberatungen hat sich mir aber ein
ganz anderer Verdacht aufgedrängt. Es ist schon interes-
sant, dass allein zum Etat des Familienministeriums ins-
gesamt sieben gemeinsame Anträge von SPD, Grünen
und Linksfraktion eingebracht wurden. Auch wenn vor
allem Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, eigentlich nicht müde werden, immer wieder zu
betonen, Sie möchten mit der Linksfraktion nicht regie-
ren, verhärtet sich durch derartige Fakten doch einfach
der Verdacht, dass Sie bereits von einer gemeinsamen
Koalition träumen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
träumen ist erlaubt. Ich sage Ihnen aber: Es ist immer
hart, in der Realität aufzuwachen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das merkt man bei Schwarz-Gelb!)


Ich bin fest davon überzeugt, die Bürger dieses Lan-
des wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen einer
Koalition der Konsolidierung, des Wachstums und der
sinkenden Arbeitslosenzahlen, auch zugunsten einer gu-
ten Familienpolitik und Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, die Sie für eine massive Verschul-
dung und ausufernde Ausgaben stehen. Lassen wir ruhig
im kommenden Jahr die Wähler entscheiden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, Wähler entscheiden lassen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720808700

Das Wort hat Steffen Bockhahn für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Steffen Bockhahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720808800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Wenn man kurz vor der eigenen Rede
eine Rede hört, von der einem so schlecht wird, dann ist
das Wettbewerbsverzerrung.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Mattfeldt, Sie haben sehr wohl recht da-
mit, dass wir als Demokratinnen und Demokraten im
Kampf gegen den Rechtsextremismus an einem Strang
ziehen sollen und gemeinsame Sache machen sollten.
Das Problem ist nur, dass diejenigen, die immer wieder
den Keil in die Front der Demokraten treiben, Sie sind,
indem Sie sich gemeinsamen Aktionen verweigern.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das kann ich Ihnen an Beispielen belegen. Sie mei-
nen, dass noch nie so viel gegen Extremismus getan
worden sei wie jetzt unter dieser Koalition. Ich sage Ih-
nen: Es ist richtig, dass noch nie so viel Geld in den Etat
eingestellt worden ist. Ich muss Ihnen allerdings auch
sagen, dass noch nie so oft versucht wurde, das Geld
wieder einzusparen bzw. in Richtungen zu drängen, wo
man es gar nicht mehr loswerden kann. Anders gesagt:
Vor einem Jahr gab es noch Bestrebungen Ihrer Fraktion,
diesen Teil des Haushaltes zu kürzen. Es gab dann das
Auffliegen des NSU. Das wiederum hat dazu geführt,
dass die Kürzungen nicht durchgeführt worden sind. Das
sind die Fakten. Das muss Ihnen nicht passen, aber das
sind die Fakten.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Ja, so war es! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist doch in Ordnung!)






Steffen Bockhahn


(A) (C)



(D)(B)


Insofern tun Sie nicht so, als ob Sie die Vorkämpferin-
nen und Vorkämpfer im Kampf gegen den Rechtsextre-
mismus wären. Das sind Sie nicht. Das erkennt man
allein daran, dass während Ihrer Regierungszeit die Titel
für die verschiedenen vermeintlichen Phänomene des
Extremismus in einen Haushaltstitel zusammengefasst
wurden und nicht mehr getrennt werden und Sie meinen,
dass das alles die gleiche Soße sei. Das ist eine unzuläs-
sige Verharmlosung des Rechtsextremismus.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie auf Fakten bestehen, dann sage ich Ihnen:
Seit 1990 sind 180 Menschen durch Nazis ermordet wor-
den. Das sind die Fakten. Das müssen Sie bitte zur
Kenntnis nehmen. Das macht deutlich, wie notwendig
die Arbeit gegen Rechtsextremismus ist. Bei Ihnen ist da
leider viel zu wenig.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gleiche Engagement, mit dem Sie erklärt haben,
dass es in diesem Bereich keine Verpflichtungsermächti-
gung geben darf, wünsche ich mir auch in Bezug auf an-
dere Punkte, beispielsweise bei der Frage, wie es mit den
Bildungszentren, den ehemaligen Zivildienstschulen,
weitergehen soll. Kurz zur Genese: Am 15. Dezember
2010, also vor fast zwei Jahren, hat das Kabinett
beschlossen, den Wehrdienst und damit auch den Zivil-
dienst auszusetzen. Das ist am 28. April 2011 zum
Gesetz geworden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war
klar, dass man sich Gedanken über die Zukunft der Bil-
dungszentren machen muss. Am 29. September 2011 hat
der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dem
Ministerium den Auftrag erteilt, ein Konzept für die Zu-
kunft der Bildungszentren vorzulegen. Die haben sich
beeilt und schon am 22. Juni dieses Jahres ein Papier
vorgelegt, das den Namen Konzept leider nicht verdient.
Das hat auch der Bundesrechnungshof so gesehen.
Freundlich formuliert habe ich mir aufgeschrieben: Er
hat dieses Konzept nicht gelobt. Mehr Zurückhaltung
geht nicht. Dann haben auch Sie festgestellt, dass das,
was vorgelegt wurde, nicht haltbar ist. Dann sind Sie
ganz schlau geworden und haben zur Bereinigungssit-
zung am 8. November den Antrag eingebracht, dass ein
Jahr lang, bis zum 30. November 2013, extern evaluiert
werden soll. Was lernen wir daraus?

Erstens. Sie brauchen drei Jahre, um sich auf eine
vergleichsweise kleine Aufgabe einzustellen. Das ist ein
solches Armutszeugnis für die Handlungsfähigkeit
dieser Regierung. Das kann man gar nicht besser
beschreiben.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Sie vertrauen offensichtlich den eigenen In-
stitutionen nicht so weit, dass sie das selbst evaluieren
können; denn sie müssen auch dort externe Evaluationen
in Anspruch nehmen. Das ist ziemlich traurig. Das
Schlimmste dabei ist, dass das alles auf dem Rücken
derer passiert, die in den Bildungszentren arbeiten und
für die völlig unklar ist, ob sie sich um einen neuen Job

kümmern müssen oder ob sie mit einer gesicherten
beruflichen Perspektive rechnen können. Das ist nicht
anständig. Das ist leider Ihre Form der Politik.

Ein Punkt ist noch offen: das Betreuungsgeld. Zu die-
sem sensationellen Wahnsinn ist schon alles gesagt
worden. Ich finde es aber beachtenswert, dass Sie es
schaffen, selbst bei einer solch sinnfreien bildungs- und
integrationsfeindlichen Maßnahme die soziale Spaltung
in diesem Land noch weiter voranzutreiben. Das muss
man erst einmal schaffen. Darauf kann man stolz sein,
sollte man aber nicht. Warum sage ich das? Betreuungs-
geld bekommt nämlich nur der, der schon etwas hat, der
offensichtlich auch genug hat. Wenn man ALG-II-
Empfängerin ist, wenn man Elterngeld bezieht, wenn
man Asylbewerberin ist, dann bekommt man nichts. Sie
bekommen es nur dann, wenn die Partnerin zu Hause
bleibt, weil der Partner – selten die Partnerin – ein gutes
Einkommen hat. Das heißt, es werden diejenigen ani-
miert, zu Hause zu bleiben, die zweifelsfrei keine Sorge
haben, Kitagebühren zu entrichten. An dieser Stelle tut
sich der Verdacht auf, dass wir nicht über ein Betreu-
ungsgeld reden, sondern über eine Kitafernhalteprämie,
und das ist, meine Damen und Herren, ein echtes
Problem.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb kann ich Sie nur dringend dazu ermahnen,
sich das genau zu überlegen.

Ich wünsche mir, dass wir in der Opposition gemein-
sam dazu kommen, gegen dieses Gesetz zu klagen, und
es damit den Betroffenen ersparen, selbst vor Gericht
ziehen zu müssen. Ich kann Sie wirklich nur dazu einla-
den, zu einem Konsens zu kommen.

Die SPD hat zwar versprochen – ich kann es mir nicht
verkneifen, das zu sagen –, das im Falle eines Wahlsie-
ges rückgängig zu machen. Allerdings haben Sie im Jahr
2005 auch versprochen, dass es keine Mehrwertsteuer-
erhöhung geben soll. Das muss man leider auch dazu
sagen.

Meine Damen und Herren, wenn wir über den Etat
des Familienministeriums reden, darf man auch einmal
an seine Familie denken. Ich denke heute an meine
Mutti: Mutti, du bist immer die Allerbeste gewesen und
wirst es auch immer bleiben. Herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag!


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kalb [CDU/CSU]: Für deine Mutti klatschen
sogar wir!)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720808900

Das Wort hat nun Miriam Gruß von der FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1720809000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Marks, ich kann Ihnen über-
haupt nicht zustimmen. Ich finde, Sie haben hier von
A bis Z eine Fehlanalyse vorgetragen. Die Kanzlerin hat
gestern gesagt, dass wir die erfolgreichste Koalition seit
der Wiedervereinigung sind. Das kann ich nur noch ein-
mal bestätigen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Autosuggestion!)


Das gilt auch für die Familienpolitik. Ich möchte die
nächsten Minuten nutzen, um Ihnen das aufzuzeigen.

Die Rahmenbedingungen sind grandios. Wir haben
die geringste Jugendarbeitslosenquote Europas. Damit
haben wir im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben,
eben doch gute Bedingungen für die jungen Menschen.
Mein Kollege Jörg von Polheim wird auf die Jugendpoli-
tik und auf das Thema Extremismus noch genauer ein-
gehen.

Ich will mit den Kindern beginnen. Kinder brauchen
Schutz und Chancen. Ich freue mich, dass wir im nächs-
ten Jahr mit dem Programm Familienhebammen starten
können. Hierfür haben wir 45 Millionen Euro in den
Haushalt eingestellt. Das ist oft vorgestellt und verspro-
chen worden. Wir haben das erste deutsche Kinder-
schutzgesetz eingeführt. Ich denke, das ist ein erster
Erfolg.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist ein Meilenstein!)


– Ein Meilenstein.

Ebenso ein Meilenstein ist es, dass wir die Vorbehalte
gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückgenom-
men haben. In dieser Woche haben wir den Jahrestag der
UN-Kinderrechtskonvention begehen können. Ich freue
mich, dass wir das dritte Land sind, das dieses Zusatz-
protokoll ratifiziert hat. Damit sind wir weltweit eines
der Länder, das dieses Protokoll am schnellsten rati-
fiziert hat. Vor über 20 Jahren, als die UN-Kinderrechts-
konvention geschaffen wurde, waren wir nur der
108. Staat, der unterzeichnet hat. Auch daran erkennt
man den Bewusstseinswandel, was uns als christlich-
liberale Koalition Kinderrechte bedeuten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Klagemöglichkeit gegen Kinderlärm
abgeschafft. Außerdem haben wir die „Offensive Frühe
Chancen“ auf den Weg gebracht. Damit profitieren
360 000 Kinder von einer frühen Sprachförderung.

Auch für die Familien haben wir viel geleistet. Wir
haben die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege verbes-
sert. Wir freuen uns gemeinsam, dass die Vätermonate
beim Elterngeld so angenommen werden, wie es heute
das statistische Bundesamt erneut gemeldet hat.

Darüber hinaus haben wir die Finanzierung der künst-
lichen Befruchtung verbessert. Auch das ist etwas, bei
dem Rot-Grün die Zuschüsse zurückgeführt hat. Wir
werden die Zuschüsse wieder aufstocken und die Länder
unterstützen wie beispielsweise Sachsen und Sachsen-
Anhalt, die eigene Programme aufgelegt haben. Wenn
Sie dabei nicht mitmachen, müssen Sie das den verzwei-
felten Paaren erklären, die uns wöchentlich Briefe
schreiben, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen als
Kinder. Wir tun etwas dafür. Auch das ist ein Beleg
dafür, dass wir es ernst meinen mit der Familienfreund-
lichkeit in Deutschland.

Lassen Sie mich noch etwas zum Ausbau der U-3-
Betreuung sagen. Wir sind die Koalition, die hierfür am
meisten Geld ausgibt. Keine Bundesregierung vor uns
hat jemals so viel Geld für den Ausbau von Kinder-
betreuungsplätzen ausgegeben, für eine Aufgabe, für die
wir nicht originär zuständig sind. Deshalb lasse ich Ihr
Argument nicht gelten, wir hätten hierbei versagt. Im
Gegenteil, wir schreiten voran. Sagen Sie endlich einmal
Ihren Ländern, dass sie dabei endlich hinterherkommen
sollen. Ich nenne nur das Beispiel Bayern. Wir sind
ziemlich weit hinten gestartet und sind jetzt ganz weit
vorne. Das müssen uns Ihre Länder erst einmal nach-
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Zur spezifischen Unterstützung von Frauen und
Männern kann ich nur sagen, dass Sie das immer wieder
gefordert haben. Wir aber haben beispielsweise das
Frauenhilfetelefon gesetzlich eingeführt, mit dem es im
nächsten März losgeht. Auch das ist eine spezifische
Förderung. Sie können sich aufregen, so viel Sie wollen.
Wir halten das aber für richtig. Unsere Politik kommt
aber auch dem anderen Geschlecht zugute. Deshalb
haben wir eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik
auf den Weg gebracht und die Rechte unverheirateter
Väter gestärkt, meine Damen und Herren. Wir werden
uns auch einer Regelung zur anonymen vertraulichen
Geburt widmen. Ich freue mich, dass wir hier weit vor-
angeschritten sind. Von daher kann sich unsere Bilanz
durchaus sehen lassen.

Ich freue mich auch, wenn im nächsten Jahr die
Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen
vorgelegt wird; denn wir müssen nach wie vor konstatie-
ren: Wir geben eine Menge Geld aus, wir haben eine
geringe Geburtenrate. Daher brauchen wir eine familien-
politische Gesamtstrategie. Hier schreiten wir voran. Die
Argumente von der Opposition kann ich nicht gelten
lassen. Unsere Arbeit ist erfolgreich, auch in der Fami-
lienpolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Und das Betreuungsgeld? – Caren Marks [SPD]: Sie haben vergessen, das Betreuungsgeld zu loben!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720809100

Das Wort hat nun Sven Christian Kindler Bündnis 90/

Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor kur-
zem war ich in Hannover bei einer Gedenk- und Mahn-
aktion der Türkischen Gemeinde in Niedersachsen zum
ersten Jahrestag der Aufdeckung der Naziterrorzelle
NSU. In den Reden dort, in den Gesprächen mit den
Menschen konnte ich immer wieder feststellen: Es gibt
bei unseren deutsch-türkischen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern ein großes Misstrauen, eine große Skepsis
gegenüber dem Staat angesichts des katastrophalen Ver-
sagens der Sicherheitsorgane, auch angesichts eines
strukturellen Rassismus in den Medien sowie bei den
Sicherheitsorganen. Ich sage nur: „Soko Bosporus“ oder
„Döner-Morde“, zu Recht das Unwort des Jahres 2011.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Frage lautet: Was ist eigentlich in diesem Jahr
passiert? Was hat die Bundesregierung, was hat die
Ministerin Schröder in diesem Jahr gemacht? Noch vor
einem Jahr haben wir genau hier im Deutschen Bundes-
tag einstimmig einen gemeinsamen Entschließungs-
antrag aller Fraktionen beschlossen; das war eine Pre-
miere. Ich zitiere aus diesem Antrag, da heißt es:

Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Grup-
pen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagie-
ren.

Was haben Sie gemacht? Diese Regierung hat nichts
gemacht. Nichts ist passiert. Sie haben nur Lippen-
bekenntnisse im Kampf gegen Nazis und gegen Rassis-
mus übrig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu den Fakten. Die Frage ist nämlich, Kollege
Mattfeldt: Haben Sie geprüft, welche Hindernisse es für
demokratische Gruppen gibt, die sich gegen Nazis und
gegen Rassismus engagieren? Nein, das haben Sie nicht
geprüft. Sie halten weiter an der Extremismusklausel
fest, obwohl das Verwaltungsgericht Dresden entschie-
den hat, dass diese Klausel mit der Verfassung nicht
vereinbar ist. Sie haben die Klausel zwar inhaltlich leicht
verändert; trotzdem halten Sie im Grundsatz am Miss-
trauen gegenüber der Zivilgesellschaft fest. Das ist
schwarz-gelbe Politik. Diese Politik zeugt von Miss-
trauen gegenüber der Zivilgesellschaft. Darum muss die
Extremismusklausel endlich weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Was ist mit den Kofinanzierungsanforderungen, die
für einige Programme ein großes Problem darstellen?
Diese Anforderungen haben Sie auch nicht herunterge-
setzt. Oder haben Sie sich Gedanken darüber gemacht,
wie man diese Programme langfristig finanzieren kann?
Das haben Sie nicht gemacht. Wir haben mehrfach

darauf hingewiesen: Man braucht dafür Verpflichtungs-
ermächtigungen im Haushalt. Das Problem besteht näm-
lich darin, dass die Programme planmäßig Ende 2013
auslaufen und dass man sie nicht nur aus Ausgaberesten
finanzieren kann. Es handelt sich nicht um eine dauer-
hafte Ausgabe, sondern um ein Programm, bei dem im-
mer wieder Modellprojekte aufgelegt werden. Dadurch
besteht immer wieder eine Form von Unsicherheit für
die Initiativen. Deshalb brauchen wir hier die Verpflich-
tungsermächtigungen.

Kollege Mattfeldt, ich kann ja nichts dafür, wenn Sie
das Thema „Kampf gegen Nazis und Rassismus“ nicht
kapiert haben. Wir machen dann natürlich gemeinsame
Anträge mit der SPD und der Linkspartei. Das ist in die-
sem Fall notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie halten lieber an Ihrem ideologischen Extremis-
musansatz fest, bei dem alles gleichgesetzt wird. Das ist
gefährlich, falsch und unwissenschaftlich. Was wir jetzt
eigentlich bräuchten, wäre ein langfristiges Programm
mit mehr Geld für demokratische Kultur, für den Einsatz
von Menschenrechten und gegen gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit sowie gegen Rechtsextremismus.
Die Zivilgesellschaft braucht endlich wieder Vertrauen
in diesem Land; sie braucht keine schwarz-gelben Stör-
aktionen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich will noch auf einen zweiten Punkt eingehen. Wir
haben in diesem Plenum schon häufig über den Irrsinn
des Betreuungsgeldes diskutiert. Gestern ist auch Kanz-
lerin Merkel in der Generalaussprache kurz darauf
eingegangen. Sie wollte allerdings nicht weiter darüber
reden. Das kann ich verstehen, das ist ihr ziemlich pein-
lich. Das wäre es mir auch, wenn ich es beschlossen
hätte.

Das Problem ist nur, dass die Koalition immer be-
hauptet, es gehe um Wahlfreiheit. Darum geht es im
Kern aber nicht. Wir haben so lange keine Wahlfreiheit,
solange Eltern ihre Kinder nicht in die Krippe ihrer Wahl
schicken können, nämlich wohnortnah und bedarfs-
gerecht. Leider haben wir bislang keine Wahlfreiheit
erreicht. Deswegen ist das Betreuungsgeld ein bildungs-
politischer Irrsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Kristina Schröder konnte sich übrigens drei Jahre
lang nicht gegen Wolfgang Schäuble und gegen das Fi-
nanzministerium durchsetzen. Es gab drei Jahre lang
kein zusätzliches Geld für den Krippenausbau. Das zu
ändern, war ein Verhandlungserfolg der rot-grünen Län-
der und, Frau Marks, des grün-roten Landes; denn Herr
Kretschmann hat eine Menge dazu beigetragen. Das war
ein wichtiger Erfolg der Länder, hat aber nichts mit die-
ser Bundesregierung zu tun.





Sven-Christian Kindler


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen aber auch: Wir müssen noch mehr für
echte Wahlfreiheit tun, weil es Kommunen und insbe-
sondere Städte mit einem besonders hohen Bedarf gibt;
wir müssen ihnen helfen. Wir müssen mehr für qualitativ
gute Kitaplätze und den Ausbau der Ganztagsbetreuung
tun.

Wir haben dazu Änderungsanträge eingebracht. Wir
wollen ein Sonderprogramm für Kommunen, die einen
hohen Bedarf haben, und ein Sonderprogramm für den
Ausbau der Ganztagsbetreuung schaffen. Dafür wollen
wir in den nächsten zwei Jahren 1 Milliarde Euro mehr
einsetzen.

Kollege Mattfeldt, wir sehen auch eine sinnvolle
Gegenfinanzierung vor: Wir wollen nicht mehr Schulden
machen, sondern das Betreuungsgeld streichen und das
Ehegattensplitting abschmelzen, weil diese beiden
Maßnahmen Frauen Anreize geben, eben nicht am Ar-
beitsmarkt aktiv zu werden. Auf diese Weise gelingt uns
eine sinnvolle Gegenfinanzierung des Kitaausbaus. Bei
diesem Haushalt zeigt sich die Alternative ganz klar: Sie
verteilen mit dem Betreuungsgeld ein Wahlgeschenk
zugunsten der CSU in Bayern; wir wollen einen schnel-
len Kitaausbau, um echte Wahlfreiheit für Familien zu
schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte kurz auf einen weiteren Punkt eingehen,
der sich auf den Bundeshaushalt insgesamt bezieht. Wir
diskutieren in dieser Haushaltswoche auch über die
Frage: Wie kann ein Haushalt eigentlich geschlechter-
politisch sensibel aufgestellt werden? Ich habe die Bun-
desregierung gefragt, was sie eigentlich tut, um ge-
schlechterpolitische Maßnahmen zu analysieren und zu
evaluieren, was sie im Bereich des Gender Budgeting
tut, um die Vorgaben des Grundgesetzes wirklich umzu-
setzen und für eine tatsächliche Gleichberechtigung von
Männern und Frauen zu sorgen. Die Antwort der Bun-
desregierung auf meine Anfrage war: nichts, nada. Die
Bundesregierung macht in dem Bereich also gar nichts.
Das ist schon ziemlich peinlich; denn die Europäische
Union sieht so etwas in ihren Programmen vor. Aber das
ist nicht der erste Fall, in dem sich Kristina Schröder ge-
gen Europa, gegen Brüssel wendet. Es ist ein Armuts-
zeugnis, dass die Ministerin für Frauen in Brüssel gegen
die Frauenquote kämpft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Frauenpolitisch waren es leider drei verlorene Jahre
unter Kristina Schröder. Deswegen ist es gut, dass es der
letzte Haushalt von Kristina Schröder und von Schwarz-
Gelb ist.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720809200

Das Wort hat nun die Ministerin Kristina Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Men-
schen in der Familie Verantwortung füreinander über-
nehmen. Der erneute Mittelaufwuchs im Einzelplan 17
auf knapp 6,9 Milliarden Euro im Haushalt 2013 stärkt
die Verantwortungsgemeinschaft Familie.

Ich danke den Kolleginnen und Kollegen im Haus-
haltsausschuss und im Familienausschuss für die kon-
struktiven Beratungen, insbesondere den Berichterstat-
tern im Haushaltsausschuss, Herrn Bockhahn, Herrn
Mattfeldt, Herrn Dr. Toncar, Herrn Schwanitz und Herrn
Kindler.

Der größte Posten im Einzelplan 17 bleibt das Eltern-
geld, und das aus guten Gründen. Das Elterngeld ermög-
licht etwas, was sich nahezu alle Familien in Deutsch-
land wünschen, nämlich nach der Geburt eines Kindes
eine Auszeit aus dem Beruf nehmen zu können. Heute
früh hat das Statistische Bundesamt neue Zahlen zur
Väterbeteiligung veröffentlicht: Sie liegt jetzt bei stolzen
27,3 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Ein Viertel!)


Die 4,9 Milliarden Euro, die wir 2013 für das Elterngeld
ausgeben, sind also nicht nur in familienpolitischer,
sondern auch in gleichstellungspolitischer Hinsicht gut
angelegtes Geld. Eltern haben damit mehr Wahlfreiheit.

Zur Wahlfreiheit tragen auch das Betreuungsgeld und
der Kitaausbau bei. Mit dem Betreuungsgeld, für das im
Jahr 2013 55 Millionen Euro vorgesehen sind, unter-
stützen wir Eltern,


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Nur manche!)


die die Betreuung ihrer ein- oder zweijährigen Kinder
selbst organisieren wollen. Genauso unterstützen wir mit
Milliardeninvestitionen in den Kitaausbau diejenigen
Eltern, die für ihr Kind Betreuung wollen oder brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])


Die Eltern verlassen sich auf unsere Zusagen.


(Caren Marks [SPD]: Auf Ihre Zusagen verlässt sich gar keiner!)


Auch deswegen wird in der christlich-liberalen Koalition
nicht am Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gerüttelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Wir, der Bund, unterstützen die Länder bei der Mam-
mutaufgabe des Kitaausbaus, wo wir nur können. Die
zusätzlich von uns zur Verfügung gestellten 580 Millio-





Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) (C)



(D)(B)


nen Euro können von den Kommunen rückwirkend zum
1. Juli eingesetzt werden. Sie ermöglichen Ländern und
Kommunen die Einrichtung von 30 000 zusätzlichen Be-
treuungsplätzen.

Ich freue mich, dass wir uns mit den Ländern darauf
geeinigt haben, dass sie in Zukunft deutlich häufiger
über den Ausbaufortschritt berichten. Wichtig war auch,
dass wir in Bezug auf die neuen Gelder die parallele
Gemeinschaftsfinanzierung festgeschrieben haben. Zur
Erinnerung: Bisher hatten wir die sogenannte serielle
Gemeinschaftsfinanzierung. Die serielle Gemeinschafts-
finanzierung war ein vornehmer Ausdruck für das Prin-
zip „Erst zahlt der Bund, dann zahlen die Länder“. Was
als Tempomacher gedacht war, wurde von einigen
Ländern allerdings missverstanden. Sie haben serielle
Gemeinschaftsfinanzierung übersetzt mit „Erst einmal
alle Bundesgelder verbraten, und dann schauen wir
mal“.

Frau Marks, Sie hatten vorhin Rheinland-Pfalz und
Kurt Beck erwähnt. Die rheinland-pfälzischen Kommu-
nen haben gestern öffentlich die Verweigerungshaltung
ihres Landes kritisiert. Ich möchte den Geschäftsführer
des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz zitie-
ren: „Vom Land kam bisher nicht einmal 1 Cent.“


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Skandal! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit Herrn McAllister? – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: So geht es also bei Rot-Grün zu? – Gegenruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frag doch mal nach, was bei McAllister los ist in Niedersachsen! Frag mal, Andreas! Da ist es genauso schlimm!)


Deshalb rate ich Ländern wie Rheinland-Pfalz dringend,
einen Blick in die schriftlich fixierten Abmachungen von
vor fünf Jahren zu werfen. Dort heißt es wörtlich:

Die Länder werden ebenfalls finanzielle Vorausset-
zungen dafür schaffen, dass die vereinbarten Ziele
erreicht werden.

Im Klartext heißt das: Der Bund hilft den Ländern beim
Ausbau. Es heißt aber nicht: Die Länder dürfen zu-
schauen, wie der Bund für sie die Arbeit macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei allem Engagement für den Kitaausbau sollten wir
nicht vergessen, dass die Bedürfnisse von Eltern unter-
schiedlich sind. Der Anteil der Eltern, die ihre Kinder im
Alter von einem oder zwei Jahren in einer Kita betreuen
lassen wollen, liegt bei knapp 40 Prozent. Wir wollen,
dass die Eltern selbst entscheiden, was gut für ihre
Kinder und was gut für ihr Familienleben ist, und wir
wollen, dass diese Entscheidungen respektiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sehe es deshalb mit Sorge, dass sich in der Fami-
lienpolitik zunehmend eine Allianz aus Volkswirten und
Volkserziehern gebildet hat, der es nur darum geht, dass

möglichst alle Mütter und Väter schnellstmöglich nach
der Geburt eines Kindes wieder Vollzeit arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Wäre schön gewesen, wenn Sie länger zu Hause geblieben wären!)


BDA-Präsident Hundt hat das mit seinem Vorschlag, die
Elternzeit zu verkürzen, ganz deutlich gemacht. Mir
macht diese Haltung Sorge, weil sie die Bedürfnisse von
Eltern und Kindern komplett ignoriert oder sie nur als
Sand im Getriebe der ökonomischen Effizienz wahr-
nimmt,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


den man loswerden muss, damit Mütter und Väter dem
Arbeitsmarkt als Humankapital zur Verfügung stehen.
Familien sind aber nicht der Steinbruch der Wirtschaft
zur Fachkräftesicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bis zu Peer Steinbrück scheint sich das leider noch
nicht herumgesprochen zu haben; denn Herr Steinbrück
hat kürzlich allen Ernstes erklärt, das Betreuungsgeld
gefährde das Recht der Frau auf berufliche Selbstbestim-
mung.


(Caren Marks [SPD]: So ist es! Guter Mann!)


Da frage ich mich: Was hat Herr Steinbrück eigentlich
für ein Frauenbild?


(Caren Marks [SPD]: Sie wissen höchstens, wie man „Frau“ schreibt!)


Glaubt er ernsthaft, nur weil man uns Frauen 100 Euro
hinhält, würden wir sofort sämtliche Ambitionen und
Wünsche vergessen und töricht in irgendwelche Fallen
tappen? Wenn das das Bild ist, das Herr Steinbrück von
Frauen in Deutschland hat, dann zeigt das: Er hat
wirklich ein Problem mit Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Betreuungsgeld ist eine Falle?)


Herr Hundt und Herr Steinbrück sind Brüder im
Geiste. Beide denken, sie wüssten besser, was gut für
Familien ist. Beide haben nicht verstanden, worum es in
der Familienpolitik geht. Es geht um die Frage, wie sich
Eltern ein gutes und erfülltes Familienleben vorstellen.
Sie dabei zu unterstützen, das ist Aufgabe von Familien-
politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eine Verkürzung der Elternzeit wird es mit mir daher
nicht geben. Die Wirtschaft hat es selbst in der Hand, für
familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu sorgen: Sie
kann Betriebskitas schaffen – diesbezüglich startet im
nächsten Monat ein neues Programm –; sie kann die
Arbeitszeiten familienfreundlicher gestalten; sie kann
sich von der unseligen Präsenzkultur – bester Mitarbeiter
ist, wer am längsten hinterm Schreibtisch sitzt – verab-
schieden. Die Wirtschaft kann selbst genug dafür tun,





Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) (C)



(D)(B)


damit Mütter und Väter gerne an den Arbeitsplatz zu-
rückkehren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zum Schluss komme ich auf einen Punkt zu sprechen,
den Sie, Herr Kindler, angesprochen haben, nämlich auf
die Präventionsprogramme gegen Extremismus. Ich
habe im Haushaltsausschuss klar und deutlich gesagt,
dass die bestehenden Programme zur Prävention von
Extremismus auf jeden Fall weiterlaufen werden. Ich
habe immer wieder betont – das ist der politische Wille
von uns allen –, dass wir 24 Millionen Euro für die
Bekämpfung des Rechtsextremismus und 5 Millio-
nen Euro für die Bekämpfung des Linksextremismus
und des Islamismus – so viel zu Ihrem Vorwurf der
Gleichmacherei – zur Verfügung stellen und dass es un-
ser aller Wille ist, dass diese Mittel auch für das Jahr
2014 bereitstehen. Deswegen kann ich nur sagen: Dieses
Versprechen steht. Hören Sie auf, die Menschen, die sich
gegen Extremismus engagieren, zu verunsichern! Ihr
Engagement ist viel zu wertvoll, um im Wahlkampf als
Spielball zu dienen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mit dem Einzelplan 17 – es ist ein vergleichsweise
kleiner Etat – geben wir Antworten auf eine Vielfalt von
gesellschaftlichen Herausforderungen. Wir haben unsere
knappen Mittel gut investiert: in die Unterstützung des
familiären Zusammenhalts, insbesondere durch das
Elterngeld; in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
insbesondere durch den Kitaausbau; in die frühkindliche
Bildung, insbesondere durch die „Offensive Frühe Chan-
cen“; in einen besseren Kinderschutz, insbesondere
durch das neue Kinderschutzgesetz; in die Stärkung des
bürgerschaftlichen Engagements – ich nenne den Bun-
desfreiwilligendienst und die Jugendfreiwilligendienste –;
in den Zusammenhalt zwischen Alt und Jung durch die
Fortführung des Programms für die Mehrgenerationen-
häuser; in Unterstützung für Frauen in Notlagen, insbe-
sondere durch das neue Hilfetelefon „Gewalt gegen
Frauen“.

Das ist eine breite Vielfalt an gesellschaftspolitischen
Maßnahmen,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


die für faire Chancen sorgen, die die Übernahme von
Verantwortung unterstützen, die den gesellschaftlichen
Zusammenhalt stärken und die den Menschen dabei die
Freiheit lassen, so zu leben, wie sie selbst leben wollen.
Das ist moderne Familienpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür machen Sie aber verdammt wenig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720809300

Das Wort hat nun Rolf Schwanitz für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1720809400

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir

sprechen in der heutigen Debatte über den Haushalt
2013. Damit haben wir zum ersten Mal die gesamte
Legislaturperiode im Blick. Mein Fazit, was Ihre Arbeit,
Frau Ministerin, angeht, ist völlig klar: Das sind vier
verlorene Jahre.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus dem reichhaltigen Angebot an Fehlleistungen,
die bei Ihnen zu beobachten sind, will ich drei heraus-
greifen:

Ich fange mit dem Thema Kitaausbau an. Wir haben
schon am Anfang dieser Legislaturperiode gesagt, dass
dies das wichtigste Thema für Ihr Ressort ist. Sie haben
dieses Thema ungefähr zweieinhalb Jahre lang grund-
sätzlich ignoriert. Sie haben so getan, als sei das über-
haupt nicht Ihre Angelegenheit.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Die Länder!)


Sie haben sich auf das schon existierende Programm ge-
setzt, und das war es dann.

Vor einem Jahr haben die Sozialdemokraten Ihnen im
Rahmen der Haushaltsdebatte einen Vorschlag unterbrei-
tet: Wir brauchen aufgrund des Rechtsanspruchs ein Er-
gänzungsprogramm mit einem Volumen von 300 Millio-
nen Euro. Das haben Sie abgelehnt.


(Zuruf von der SPD: Pfui!)


Dann hat man sich für das Verstärkungsprogramm ent-
schieden. Aufgrund der Initiative des Bundesrates und
nicht aufgrund Ihrer Tätigkeit ist es zum Verstärkungs-
programm gekommen. Weil dieses Programm ein halbes
Jahr vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs natürlich zu
spät kommt, wenden Sie nun mehr Kraft für die
Beschimpfung der Länder als die Sache selbst auf. Das
ist eine glatte Fehlleistung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie reden nur dummes Zeug! Die Gelder sind überhaupt nicht abgerufen worden!)


Die zweite Fehlleistung – auch wenn Sie es nicht
mehr hören wollen – ist das zentrale Versagen beim
Thema Betreuungsgeld. Als Familienministerin wäre es
eigentlich Ihre Aufgabe gewesen, sich gegen diese Ver-
gangenheitspolitik zu stellen. Das hätte man aufgrund
Ihres Amtes erwarten können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Von einer modernen Ministerin!)


Stattdessen haben Sie Vorschläge zur Umsetzung ge-
macht. Nirgendwo sonst ist der konservative Eifer von
Frau Schröder so klar erkennbar geworden wie beim
Thema Betreuungsgeld.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Rolf Schwanitz


(A) (C)



(D)(B)


Ich glaube, dass das ramponierte Image der Ministe-
rin in der Öffentlichkeit damit zu tun hat; denn für inner-
parteiliche Auseinandersetzungen braucht man Stärke
und Kraft. Aber Frau Schröder ist schon längst der
Rückhalt von Kanzlerin Merkel viel wichtiger als die In-
teressenlagen des eigenen Ressorts. Das ist die Situation.


(Beifall bei der SPD)


Frau Schröder, Sie haben sich als koalitionstreu er-
wiesen, und die CSU-Landesgruppe wird Ihnen sicher-
lich anerkennend auf die Schulter klopfen, keine Frage.
Aber Ihre Aufgabe, Anwältin für Familien und Kinder
zu sein, haben Sie nicht wahrgenommen. Sie sind an die-
ser Stelle eine komplette Fehlbesetzung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem Änderungs-
antrag machen, über den in der letzten Sitzungswoche
hier im Plenum entschieden wurde. Dieser Änderungs-
antrag hat die politische Lage noch einmal verändert.
Das Ganze steht schlicht und einfach unter der Über-
schrift „Tarnen und Täuschen“.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Warum? Das Ganze diente nur einem einzigen Zweck,
nämlich die milliardenschweren Finanzlasten aus dem
Bundeshaushalt 2014 in den Bundeshaushalt 2015 zu
verschieben. Das ist der Vorgang, der hier letzte Woche
passiert ist. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass
Sie noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr einen
Entwurf für den Bundeshaushalt 2014 vorlegen müssen.
Das ist nichts anderes als der Versuch, vor der Bundes-
tagswahl die finanziellen Belastungen und die Kürzun-
gen, die Sie im Sozialbereich zur Gegenfinanzierung
vornehmen müssen, aus dem Blickfeld der Wählerinnen
und Wähler verschwinden zu lassen. Aber das ist be-
merkt worden. Wir werden Ihnen das nicht durchgehen
lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Gipfel Ihres Amtsversagens ist aber – das ist die
dritte Fehlleistung –, wie Sie sich in den letzten drei Jah-
ren beim Thema Rechtsextremismus verhalten haben.
Ich wollte an dieser Stelle die Koalition eigentlich dafür
loben, dass es doch noch gelungen ist, einen fraktions-
übergreifenden Konsens herzustellen. Aber das kann ich
mir seit gestern leider schenken.

Was hat Frau Schröder als Erstes gemacht? Als Erstes
hat sie die Mittel für die Programme gegen Linksextre-
mismus und Islamismus, ihre beiden Spezialthemen, in
die Ansätze für Präventionsprogramme gegen Rechts-
extremismus eingestellt. Dann hat sie unwissenschaftli-
ches und fehlerhaftes Material für die deutschen Schu-
len, die sich mit Linksextremismus befassen sollten,
erarbeiten lassen. Das waren die ersten Aktionen von
Frau Schröder.

Sie hat dann als Zweites eine Verfassungstreueerklä-
rung aufgelegt und damit quasi kollektiv alle Initiativen
vor Ort unter Extremismusverdacht gestellt.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist verwerflich!)


Sie hat damit gespalten und Vorbehalte aufgegriffen, die
sie wahrscheinlich selber hat. Im letzten Jahr – Kollege
Bockhahn, das haben Sie zu Recht in Erinnerung geru-
fen – gab es den Versuch, die Mittel für diesen Bereich
um 2 Millionen Euro zu kürzen. Was heißt „Versuch“?
Das sah der Entwurf von Frau Schröder vor. Die Koali-
tion hat hier im Plenum – ein außergewöhnlicher Vor-
gang – gerade noch einmal diese Kürzung um 2 Millio-
nen Euro verhindern können.

Nun, Frau Schröder, verweigern Sie den bruchlosen
Übergang der Projektförderung in das Jahr 2014 nach
dem Auslaufen des Programmes 2013. Ich finde es übri-
gens schamlos, zu sagen, wir instrumentalisierten das.
Monatelang haben wir mit Ihnen verhandelt und auf die
Notwendigkeit von Verpflichtungsermächtigungen hin-
gewiesen, damit nach Auslaufen des Programms die
Projekte weiterlaufen können. Das ist übrigens auch in-
tern von Ihnen nie infrage gestellt worden. Es hat nur nie
einen Konsens, was Handeln betrifft, gegeben.

Deswegen sage ich: Was hier droht, ist in seiner Di-
mension eigentlich noch gar nicht richtig zu erfassen.
Dieses Programm mit 29 Millionen Euro ist das wich-
tigste Förderprogramm des Bundes, das wir an der Stelle
haben. Aufgrund der bestehenden Unterdeckung kann
der Übergang nach 2014 nicht vollständig erfolgen. An-
gesichts der bereits laufenden Projekte können in 2014
also nahezu keine Neubewilligungen vorgenommen
werden. Es wird monatelang dauern – ich schätze, ein
halbes Jahr –, bis der Haushalt 2014 in Kraft ist und das
neue Förderprogramm anlaufen kann. Ich finde das un-
verantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Schröder, Sie werden Ende 2013 hoffentlich
nicht mehr im Amt sein. Ihre Verantwortlichkeit zieht
sich aber bedauerlicherweise in das Jahr 2014 hinein.
Dieser Verantwortlichkeit sind Sie in keiner Weise ge-
recht geworden.

Es waren vier verlorene Jahre, meine Damen und
Herren. Unsere ausgestreckte Hand ist nicht angenom-
men, sondern arrogant zurückgewiesen worden. Die De-
mokraten sollten an dieser wichtigen Stelle zusammen-
stehen und nicht nur reden, sondern gemeinsam handeln.
Das ist nicht gelungen. Dafür trägt die Koalition Verant-
wortung. Frau Schröder hat die Zusammenarbeit von
Anfang an nie gewollt. Ich sage deswegen: Nirgendwo
hat es ein so sichtbares Versagen der Merkel-Regierung
gegeben wie in Ihrem Amt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Starrsinn, nichts als Starrsinn!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720809500

Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1720809600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

wird Sie nicht überraschen, dass sich die Wahrnehmung
der Politik der letzten vier Jahre, die ich hatte, deutlich
von dem unterscheidet, was der Kollege Schwanitz ge-
rade vorgetragen hat.

Wir befinden uns nicht in der leichtesten Phase, um
Politik zu machen bzw. sie finanziell zu gestalten. Nach
einer schweren Wirtschaftskrise haben wir einen Haus-
halt übernommen, der nicht mehr in der Balance war. Er
wies ein hohes Defizit auf. Nach den Vorschlägen der
Vorgängerregierung sollte ungefähr jeder vierte Euro
über neue Schulden finanziert werden. Für nur 3 von
4 Euro waren Einnahmen eingeplant. Das war die Aus-
gangslage, und das musste korrigiert werden. Wir sind
da mit diesem Haushalt auch schon ein ganzes Stück vo-
rangekommen.

Ich würde davor warnen, den Bürgern oder unseren
Zuhörern irgendwie vorzugaukeln, dass es in den letzten
vier Jahren einfach gewesen sei, teure Projekte oder
teure Ideen umzusetzen. Das war es nicht, sondern das
musste mit Augenmaß geschehen. Uns ist das auch ge-
lungen.

Wir haben gleichwohl vor allem im Bildungsbereich
Schwerpunkte setzen können, ohne die Schulden nach
oben zu treiben. Auch der Haushalt dieses Einzelplans
hat davon profitiert. Über die Qualifizierungsoffensive
wurde Personal für Kindertagesstätten geschult und in
den Kommunen auch eingestellt, um eine Sprachförde-
rung für Kinder, die diese brauchen, durchzuführen.
Diese Förderung wird ausgesprochen gut angenommen.
Es ist ein Beispiel dafür, dass wir gerade auch in diesem
Haushalt den Bildungsbereich verstärkt haben.

Ich darf daran erinnern, dass wir im Jahr 2010 unter
anderem die Familien durch Erhöhung des Kindergeldes
und des Kinderfreibetrages mit 5,5 Milliarden Euro ge-
fördert haben. Sie sind also trotz Haushaltskonsolidie-
rung in finanzieller Hinsicht die großen Gewinner der
letzten vier Jahre gewesen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich komme zum wichtigen Thema Kitaausbau. Das
haben wir uns von Anfang an immer zu eigen gemacht.
Der Kollege Schwanitz hat jetzt kritisiert, man hätte sich
auf ein schon existierendes Programm draufgesetzt. Da-
ran merkt man, Kollege Schwanitz, dass Sie mehr oder
weniger nach irgendetwas suchen, was Sie beanstanden
können. Sie hätten doch sagen können: 2007 wurde ein
Krippengipfel durchgeführt, an dem der Bund, die Län-
der und die Kommunen – eigentlich alle staatlichen Ebe-
nen – teilgenommen haben, und man hat sich darauf ver-
ständigt, wie man zwischen 2008 und 2013 die
Kindertagesstätten ausbauen bzw. die entsprechenden
Plätze schaffen könnte. Das Programm von damals war

bis 2013 angelegt. Niemand musste sich also auf dieses
Programm draufsetzen, sondern man musste sich nur
einfach an die Vereinbarungen halten, die getroffen wur-
den. Dass dies ausgerechnet von Ihnen kritisiert wird,
zeigt, glaube ich, sehr deutlich, dass es Ihnen hier gar
nicht um die Sache geht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie haben Ihre Aussage, dass man sich auf das beste-
hende Programm sozusagen draufgesetzt hat, noch mit
dem Nachsatz ergänzt, dass es das dann war. Aber auch
das ist falsch. Denn wir sind nicht nur die Qualifizierung
von Personal für Sprachförderung angegangen – das
habe ich gerade schon erklärt; das ist während der letzten
Jahre dazugekommen –, sondern wir haben darüber hi-
naus 580 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung ge-
stellt. Ich frage mich übrigens, wo da die Länder waren.
Die Länder, die ja von Anfang an dabei waren, sollten
eigentlich ein Drittel zahlen. Sie haben sich aber von ih-
rer Beteiligung verabschiedet, und der Bund macht den
Rest jetzt allein. Das muss man einmal hervorheben. Wir
haben da mehr getan, als ursprünglich geplant war.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle sollten die Entlastungen für die Kommunen
nicht unterschätzen. Die Kommunen sind natürlich zur-
zeit ganz stark dadurch finanziell beansprucht, dass sie
viele Betreuungsplätze schaffen müssen. Diese kosten
viel Geld. Deswegen haben sie zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass es schwer ist, alles gleichzeitig zu finanzie-
ren. Wir haben die Kommunen in noch nie dagewesener
Weise entlastet. Sie werden insgesamt über 4 Milliarden
Euro pro Jahr mehr zur Verfügung haben. Dieses Geld
kann natürlich dafür eingesetzt werden – damit fällt es
den Kommunen zumindest leichter –, Kitaplätze zu
schaffen und sich um Familien zu kümmern.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Von Kommunalfinanzen haben Sie wirklich keine Ahnung!)


– Kollege Bockhahn, ich weiß nicht, ob Sie hier das Mo-
nopol auf Ahnung von irgendetwas beanspruchen soll-
ten. Nach Ihrer Rede hier heute wäre ich da an Ihrer
Stelle eher zurückhaltend.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass es den Kommunen etwas bringt,
wenn sie zusätzliches Geld bekommen oder sie an ande-
rer Stelle entlastet werden.

Ich möchte noch einen Punkt herausstellen, der oft als
Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Es geht um das
Thema Bundesfreiwilligendienst. Durch die Aussetzung
der Wehrpflicht musste innerhalb kürzester Zeit etwas
Neues aufgebaut werden. Man musste schauen, wie man
die Zivildienstleistenden ersetzt. Ich muss sagen: Ge-
messen an der Größe dieser Aufgabe, Frau Ministerin,
ist es ausgezeichnet gelungen. Es gab fast keine Brüche.
Der Bundesfreiwilligendienst ist sehr gut angenommen
worden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Dr. Florian Toncar


(A) (C)



(D)(B)


Das war nicht selbstverständlich. Viele – hier und
auch außerhalb dieses Hauses – hatten vorher Zweifel,
ob es wirklich so gut laufen wird, wie es letzten Endes
gelaufen ist. Man muss festhalten: Hier ist etwas gut ge-
macht worden. Mein Herz als Liberaler schlägt höher,
wenn ich feststellen kann: Es gibt Menschen, die bereit
sind, sich freiwillig für eine gute Sache zu engagieren.
Das ist ein tolles Zeichen der Stärke der Gesellschaft in
Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720809700

Das Wort hat nun Jörn Wunderlich für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720809800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Toncar, wenn sich jemand zurückhalten sollte, dann
Sie. Sie sagen hier, man müsse sich an Verabredungen
halten. Angesichts der Tatsache, welche Verabredungen
laut Koalitionsvertrag existieren und an welche man sich
nicht gehalten hat, könnte ich ein Fass aufmachen.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Darum brauchen Sie sich keinen Kopf zu machen!)


In der ersten Lesung zum Haushalt hat unsere Minis-
terin gesagt – ich zitiere –:

Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten können
sich Familien in Deutschland auf Union und FDP
verlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Genau!)


Ich sage: Die sind schon verlassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich die Aktivitäten unserer Ministerin zur Be-
kämpfung von Extremismus sehe, bin ich im Grunde
froh, dass man so wenig von ihr sieht und hört. Ich per-
sönlich nenne das Schadensminimierung.


(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD)


Der zitierte Aufwuchs im Einzelplan 17, der ja so
hoch gelobt wird, soll vor allem Familien und Kindern
zugutekommen. Frau Ministerin, das ist die Zielgruppe
im Einzelplan 17.


(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD)


Dass man Sie daran erinnern muss, finde ich erstaunlich.
Einer der größten Posten bei diesem Aufwuchs ist dum-
merweise das Betreuungsgeld.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wie lange sind Sie schon im Ausschuss?)


– Frau Fischbach, zu Ihnen komme ich noch.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Thema „Faire Chancen für Frauen und Männer“
– ich nenne jetzt einzelne Punkte – kann ich nur fragen:
Wo bleiben die entsprechenden Maßnahmen? Nichts.
Quotierung ist für Frau Schröder ja ein Bäh-Wort, so-
lange nicht „Flexi“ davor steht. Mit ihrer Flexi-Quote
würde es in den Dax-Unternehmen eine Steigerung der
Quote bis zum Jahr 2014 um 0,8 Prozent geben. Super!
Frau Reding will auf EU-Ebene 40 Prozent erreichen.
Wir wollen doch immer EU-konform sein. Was sagt
Frau Schröder dazu? Nichts.

Equal Pay Day. Alle trafen sich am Brandenburger
Tor und haben geschrien, dass ungleiche Bezahlung eine
Unverschämtheit ist. Auch die Frauen von der CDU wa-
ren dort. Frau Fischbach hat auf der Bühne ins Mikrofon
getönt: Es ist eine Sauerei, dass die Frauen weniger ver-
dienen.


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


Was passiert? Nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für die Antidiskriminierungsstelle gibt es nach unse-
rer Auffassung nicht ausreichend Mittel. Nun sind die
Kürzungen Gott sei Dank zurückgenommen worden.
Aber jeder, der sich einmal den Aufgabenbereich der
Antidiskriminierungsstelle angeschaut hat – die Bericht-
erstatter und die Ausschussmitglieder können sich hier
nicht auf Nichtwissen berufen –, weiß, dass die Mittel
bei weitem nicht ausreichen und eigentlich 1,5 Millionen
Euro zusätzlich notwendig sind.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Unterhaltsvorschussgesetz ist hier schon mehr-
fach debattiert worden. Es gab Versprechungen, den Un-
terhaltsvorschuss auszubauen. Aber was ist passiert?
Nichts.

Das Elterngeld sollte ausgebaut werden. Im Haushalt
heißt es, dass es aufgestockt worden ist. Ja, aber das
geschah aufgrund von Sachzwängen. Das liegt nämlich
daran, dass die Gehälter gestiegen sind und ein paar
Väter statt eines Monats zwei Monate Elternzeit in
Anspruch genommen haben. Für eine Anspruchsverlän-
gerung auf 24 Monate und die Anhebung des Mindestel-
terngeldes wären 4 Milliarden Euro notwendig gewesen.
Was ist passiert? Nichts.

Das Hilfetelefon sollte Anfang 2013 freigeschaltet
werden. 6 Millionen Euro waren dafür veranschlagt.
Jetzt sind dafür nur noch 5 Millionen Euro vorgesehen.
Es ist preiswerter geworden, soll dafür aber auch erst
später freigeschaltet werden. Noch in der ersten Lesung
des Haushalts hat Frau Schröder gesagt:

Wer eine ungefähre Vorstellung davon hat, was ge-
waltbetroffene Frauen physisch und psychisch
durchmachen, der weiß auch, wie wichtig dieses
Hilfetelefon ist.





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Aber dann wurde ständig verschoben, verschoben, ver-
schoben.

Zur Familienpflegezeit brauche ich nichts zu sagen.
Hier kommt es auf den Goodwill der Arbeitgeber an. In
der Form, in der der Gesetzentwurf jetzt vorliegt, könnte
man auch auf ihn verzichten.

Zum Betreuungsgeld ist schon genug gesagt worden;
das muss man nicht aufwärmen. Es ist eine Katastrophe.

Über die Mittel für den Kitaausbau ist, wie gesagt, im
Rahmen des Fiskalpakts mit den Ländern verhandelt
worden. Frau Schröder hat immer betont: Der Bund hat
geleistet, was er leisten konnte. – Wir haben von Anfang
an gesagt: „Das reicht nicht aus“, und eine Aufstockung
des Sondervermögens um 4 Milliarden Euro gefordert.
Was ist passiert? Nichts.

Nun zu der so viel gepriesenen Initiative „Offensive
Frühe Chancen“. Da macht Frau Schröder einmal etwas
Gutes – die 4 000 Stellen für die frühe Sprachförderung
im Kindergarten sind ja bewilligt –, und dann haut das
Betreuungsgeld voll rein. Gerade die Zielgruppen, die
damit erreicht werden sollten, bleiben der Kita jetzt fern.
Super! Das ist „verantwortungsvolle“ Politik aus Sicht
unserer Ministerin.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Seit der 16. Legislaturperiode wird evaluiert und
evaluiert und evaluiert. Ich sage Ihnen: Wir Fachpoliti-
ker, die wir hier sitzen, haben doch keine Erkenntnispro-
bleme. Die Regierung hat Umsetzungsprobleme. Kon-
struktive, zielführende, gute Vorschläge der Opposition
werden rigoros abgelehnt. Außer heißer Luft und Lange-
weile – ab und zu hören wir, wie vorhin beim Wort
„Verbrechen“, auch einmal einen kleinen Versprecher –
verströmte Frau Schröder eigentlich nichts. Wenn ich es
mir genau überlege, muss ich sagen: Das ist auch gut so.
Ich hoffe nur, dass in Bälde wieder jemand Verantwor-
tung hat, der weiß, was zu tun ist.

Bestimmt fragt noch jemand: Was ist denn mit der
Finanzierung? Ja, die Finanzierung ist wichtig. Wir
haben in unserem Antrag Finanzierungsvorschläge ge-
macht. Durch die Vorschläge der Linken könnte man
Mehreinnahmen in Höhe von 68 Milliarden Euro erzie-
len. Allein durch die Einführung des Mindestlohns
könnten wir steuerliche Mehreinnahmen bzw. Minder-
ausgaben in Höhe von 12 Milliarden Euro verzeichnen.
Auf den Einzelplan 17 bezogen bedeutet das: Wenn wir
lediglich die Bundeswehrgroßprojekte Fregatte 125


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Baden-Württemberg! Sehr gut!)


und Eurofighter nicht fortsetzen würden, könnten wir
durch die Umsetzung unserer Forderungen den Einzel-
plan 17 komplett, also in Gänze, finanzieren und darüber
hinaus 3 000 – ich wiederhole: 3 000 – zusätzliche
Kindertagesstätten bauen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sönke Rix [SPD] – Markus Grübel [CDU/ CSU]: Und die Wirtschaft würde zusammenbrechen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720809900

Das Wort hat nun Dorothee Bär für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1720810000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen
Kindler und Wunderlich, Sie sollten einmal in sich
gehen. Sie meinen wohl, gegenüber der Ministerin per-
sönlich werden zu müssen, weil sie keine Argumente
mehr haben.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wovon reden Sie denn da?)


Sie beide sollten sich einmal fragen, ob Sie sich auch so
benehmen würden, wenn der Familienminister ein Mann
wäre.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau so! Da hätte ich keine Probleme!)


Ich fand es sehr chauvinistisch, wie Sie beide die Minis-
terin angegangen sind. Das ist nicht redlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber Sie müssen sich vor Ihrem eigenen Spiegelbild
dafür verantworten, ob es in Ordnung ist, so mit ihr
umzugehen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Muss ich sie jetzt verhätscheln?)


Ich habe vorhin gegoogelt und mich erkundigt: Wo ist
Steinbrück? Diese Frage richte ich nun an die SPD-
Fraktion. Er hat sich ja in der letzten Sitzungswoche hier
hingestellt, als sei er plötzlich Deutschlands Familien-
politiker.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Oh ja! Ein Frauenversteher!)


Wo ist er denn heute, da es um den Einzelplan des Bun-
desfamilienministeriums geht?


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP] – Markus Grübel [CDU/CSU]: Er sucht wahrscheinlich gerade einen neuen Mitarbeiter! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wo ist denn die Kanzlerin?)


Herr Steinbrück meint, jetzt der große Frauenversteher
zu sein. Er besucht Frauensalons,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Und das sogar kostenlos!)


wo er nicht gut ankommt, und er hat hier eine Rede zum
Betreuungsgeld gehalten, die nicht gut ankam.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wo ist denn die Kanzlerin? Die schämt sich offensichtlich für die Politik, die Sie hier vertreten!)






Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)


In seiner viel beachteten Rede hat er gesagt – wörtliches
Zitat des Kollegen Steinbrück –: „Das Erwerbspersonen-
potenzial geht deutlich nach unten.“ Das ist natürlich
entlarvend. Ich habe nachgeschaut, ob das Wort
„Kinder“ in Steinbrücks Rede überhaupt einmal vorge-
kommen ist.


(Petra Crone [SPD]: Zur Sache!)


Ergebnis: Das Wort „Kinder“ ist immer nur dann vorge-
kommen, wenn er gemeint hat, dass Kinder nicht der
Grund dafür sein dürfen, dass das Erwerbspersonen-
potenzial in Deutschland nicht ausgeschöpft werden
kann. Das finde ich schon beeindruckend.

Als die Ministerin vorhin davon gesprochen hat, dass
Mütter und Väter von manchen nur als ökonomische
Manövriermasse betrachtet würden, und in diesem
Zusammenhang auf Dieter Hundt verwiesen hat, hat sich
bei keiner der drei Oppositionsfraktionen auch nur eine
Hand gerührt. Das zeigt ganz deutlich, dass Sie das ge-
nauso sehen, dass Sie nie vom Kind her denken, sondern
immer nur von der Ökonomie her. Hier hat sich leider,
wie man bei Frau Marks und Herrn Schwanitz gehört
hat, nichts geändert. Da agiert immer noch die alte
Fraktion mit ihren Ansichten von „Gedöns“ und „Luft-
hoheit“. Das finde ich sehr schade.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im Haushalt des Bundesfamilienministeriums ist
– man kann es nicht oft genug sagen – ein Aufwuchs zu
verzeichnen. Wir sind diejenigen, die es wirklich
geschafft haben, dass Eltern in diesem Lande etwas
zugetraut wird, dass es Eigenverantwortung gibt in der
Familienpolitik, dass es Wahlfreiheit gibt.

Es tut mir wirklich leid, Herr Kindler, ich dachte, Sie
würden verstehen, was Wahlfreiheit bedeutet. Wahlfrei-
heit bedeutet nicht, dass eine 100-prozentige Abdeckung
da sein müsste. Das wäre Wahnsinn, das wäre weit über
Bedarf.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um 100 Prozent, aber vielleicht um mehr als 50 Prozent da, wo es notwendig ist!)


Es geht vielmehr darum, den Eltern zuzutrauen, dass sie
am besten wissen, was gut für ihre Kinder ist.

Wir lösen ein Versprechen ein, das der Bevölkerung
bereits 2007 gegeben wurde.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anstatt Betreuungsgeld Kitas!)


Zu einer redlichen Politik gehört es, zu sagen: 2007 ver-
sprochen, 2012 nicht gebrochen. Zum 1. August 2013
können die Eltern in diesem Land wirklich wählen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist doch absurd!)


Sie können wählen, und sie haben einen Rechtsanspruch.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlen über 200 000 Plätze, Frau Bär!)


Es ist unserer christlich-liberalen Koalition zu verdan-
ken, dass an diesem Rechtsanspruch nicht gerüttelt wird,
dass dieser Rechtsanspruch aufrechterhalten bleibt. Bis
zum Starttermin werden genügend Plätze zur Verfügung
stehen.

Schauen Sie sich einmal an, wer die Länder regiert, in
denen der Ausbau nicht vorankommt!


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niedersachsen! Gehen Sie darauf ein, was Herr McAllister macht!)


Fassen Sie sich an die eigene Nase! Es ist Wahnsinn, wie
Sie hier behaupten können, dass Sie etwas tun, während
die Länder, die rot-grün oder grün-rot oder wie auch im-
mer regiert werden, ihre Hausaufgaben nicht machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Bund hat, obwohl er primär nicht zuständig ist,
viel für den Ausbau getan. Wir haben für die Schaffung
von mindestens 30 000 zusätzlichen Plätzen noch einmal
580,5 Millionen Euro zugesagt. Bis 2013 stellt der Bund
für den Ausbau insgesamt 4,6 Milliarden Euro zur
Verfügung. Ab 2014 beteiligt er sich an den laufenden
Betriebskosten mit 845 Millionen Euro jährlich.


(Zurufe von der SPD)


– Das ist schon spannend: Wenn irgendetwas gut ist,
dann heißt es: Da waren wir mit in der Regierung. Wenn
Ihnen dagegen etwas nicht passt, dann wollen Sie davon
nichts wissen. Auf der linken Seite des Hauses ist eine
Teilamnesie zu beobachten, die schon beeindruckend ist.
Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Den größten Posten im Etat des Bundesfamilienmi-
nisteriums bildet das Elterngeld. Das Elterngeld bleibt –
da können noch so viele Arbeitgeberpräsidenten meinen,
daran rütteln zu müssen. Ich freue mich, dass wir bei der
Zahl der Väter, die Elternzeit nehmen, einen neuen
Höchststand verzeichnen. Wir erleichtern jungen Paaren
damit das Ja zu Kindern. Es ist ein unschätzbarer
Gewinn, dass immer mehr Väter aussteigen, um sich an
der Betreuung der Kinder partnerschaftlich zu beteili-
gen.

Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, bei
dem wir eine wirklich nachhaltige Politik betrieben
haben und auch Haushaltsmittel bereitgestellt haben:
Das ist die Bundesinitiative Familienhebammen, für die
im Jahr 2012 im Zusammenhang mit dem Bundeskinder-
schutzgesetz extra ein neuer Titel geschaffen wurde.
Familienhebammen stärken als Teil der Frühen Hilfen
nachhaltig den Kinderschutz. Hierfür stellt der Bund
2013 45 Millionen Euro, 2014 und 2015 jeweils 51 Mil-
lionen Euro zur Verfügung.





Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Seitens der Länder gab es an dieser Stelle Kostenein-
wände. Nach den Vorstellungen der Länder sollten nor-
male Hebammen die Betreuung weiterführen. Das sehen
wir anders. Kinderschutz gibt es nicht umsonst. Er ist
uns diese zweistelligen Millionenbeträge wert.

Wir haben – das ist gelobt worden, aber von Herrn
Wunderlich mit dem anderen Teil seines Körpers gleich
wieder eingerissen worden –


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ha! Das Niveau steigt und steigt, Frau Bär!)


eine ganz wichtige Maßnahme – „Schwerpunkt-Kitas
Sprache und Integration“ – auf den Weg gebracht. Der
Bund fördert dabei in 4 000 Einrichtungen besonders
Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien mit und
ohne Migrationshintergrund, die einen hohen Sprachför-
derbedarf haben.

An diesen ganzen Positionen sehen Sie, dass inner-
halb der letzten drei Jahre in der Familienpolitik der
christlich-liberalen Koalition ein Erfolgsmodell das
nächste jagt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist ja Körperverletzung!)


– Dass Ihnen das wehtut, ist doch völlig klar. An Ihrer
Stelle würde es mich natürlich auch nerven, wenn ich
wüsste, dass ich die nächsten Jahre und Jahrzehnte in der
Opposition bleiben muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich tut es weh, dass wir eine gute Politik für Fami-
lien machen


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wann denn?)


und die Eltern, wie eingangs erwähnt, primär selbst Ver-
antwortung tragen lassen.

Damit komme ich zu einem weiteren Erfolgsmodell.
Sie sehen: Wir können gar nicht genug davon aufzählen.
Meine Redezeit reicht gar nicht aus, um alle Erfolgs-
modelle zu erwähnen.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Oje!)


Wir haben den Bundesfreiwilligendienst eingeführt.
Ich bin Florian Toncar dankbar dafür, dass er ihn schon
angesprochen hat. Dieser Bundesfreiwilligendienst war
von Ihnen schon totgesagt, bevor er begonnen hat.


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Herr Wunderlich hat gefragt: Warum hören Sie nicht
öfter auf die Opposition? Genau deswegen nicht, weil

Sie nicht wissen, wie es richtig funktioniert! Junge
Menschen in diesem Land verschreiben sich freiwillig
der guten Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Moment einmal! Sie müssen sich die Altersstatistiken angucken!)


Im Moment engagieren sich 37 000 Freiwillige im
Bundesfreiwilligendienst. In einigen Regionen würden
sich gerne noch viel mehr junge Leute engagieren. Uns
wird beim Bundesfreiwilligendienst also wirklich die
Bude eingerannt.

Ganz besonders wichtig ist mir auch, dass wir mit den
über 27-Jährigen eine ganz neue Zielgruppe erschlossen
haben. Diese stellen einen Anteil von knapp 40 Prozent
der Freiwilligen. Rund 21 Prozent sind älter als 50 Jahre.
Auch das ist wirklich positiv. Ich kann dazu nur sagen:
Jawohl, hier ist gelebtes Engagement, gelebte Freiwillig-
keit und gelebtes Bürgerengagement, das gar nicht hoch
genug bewertet werden kann.

Sie sehen also: Wir haben in allen Bereichen schon
jetzt unsere Hausaufgaben gemacht, obwohl die Legis-
laturperiode noch ein Jahr läuft. Wir werden unsere
Familienpolitik selbstverständlich mit dem gleichen
Engagement und der gleichen Leidenschaft weiter-
führen.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Daran sieht man schon, wie verbissen sie ist!)


Meine Mutter hat heute nicht Geburtstag, aber der
Staatssekretär hatte gestern Geburtstag. Deswegen an
dieser Stelle: Hermann Kues, meine Rede widme ich dir.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von Abgeordneten der SPD und der LINKEN: Oh!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720810100

Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720810200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin Bär, Gleichberechtigung und Gleichstel-
lung bedeuten natürlich auch, dass eine Debatte auf Au-
genhöhe geführt wird, und zur Debatte auf Augenhöhe
gehört auch, Kritik auf Augenhöhe äußern zu dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Aber nicht persönliche Beleidigungen!)


Wenn man sich den Einzelplan 17 anschaut, dann er-
kennt man: Die Kollegen hier haben komplett recht. Die
Ministerin hat wenig gesät, und deshalb ist die Ernte
auch so dürftig. Das darf man hier auch einmal so sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)






Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)


Schauen Sie sich doch einfach einmal den Bereich
Kitaausbau an. Warum kritisieren wir das so? Lange Zeit
wurde hier nichts getan. Ich weiß von wirklich unzähli-
gen Anträgen, Entwürfen und Debattenbeiträgen von
allen Fraktionen, in denen gesagt wurde: Sie kann da
nicht nur zuschauen. Der Rechtsanspruch kommt. Wir
müssen das ernst nehmen. – Bewegt hat sich aber nichts.
Erst als Druck von den Eltern mit ihren Klagedrohun-
gen, von den Kommunen, die gesagt haben: „Das kommt
auf uns zu“, und von den Ländern, die gesagt haben: „Da
muss etwas getan werden“, aufkam, gab es hier Bewe-
gung – und auch das nur im kleinsten Stil.

Wir haben noch immer keine Antwort darauf, was wir
eigentlich machen, wenn uns 220 000 Kitaplätze fehlen,
und darauf, woher die Erzieherinnen und die Erzieher
kommen sollen und wo wir sie ausbilden. Wir haben
überhaupt noch keine Antwort darauf,


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Ihr habt keine Antwort!)


wie wir sie für ihre Arbeit mit unseren Kindern jemals
besser bezahlen können. Noch weniger Debatten gibt es
darüber – zumindest kenne ich aus Ihren Reihen,
geschweige denn vom Ministerium, keine einzige De-
batte darüber –, wie es eigentlich um die Qualität in den
Tagesstätten bestellt ist.

Wo sind Ihre Antworten, wenn es um Bildung geht?
Sie tun nichts und sitzen die Dinge aus. Das muss man
hier auch einmal sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Zuhören!)


Schauen Sie sich zum Beispiel Nordrhein-Westfalen
an. Ihre Partei, die CDU, hat doch immer wieder
gebremst. Jetzt stehen Sie da und sagen: Wir waren er-
folgreich mit unserer Bremse. – Deshalb sind Sie hinten-
dran. So funktioniert das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Entweder wir haben ein Ziel für die Kinder, dann müs-
sen wir handeln, oder aber Sie lassen es sein. Das zeigen
Sie uns auch mit Ihrer Debatte über die Betreuung. Aber
dann sagen Sie doch einmal ehrlich, was Sie eigentlich
wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen noch etwas sagen, Frau Ministerin, da
Sie das Betreuungsgeld als eine Falle für Frauen be-
zeichnen. Herrgott, warum haben Sie es dann vertreten?
Warum verteidigen Sie es noch immer? Dann können
Sie sich doch davon verabschieden. Das ist übrigens
Politik – für den Fall, dass es Ihnen noch niemand erklärt
hat. Politik hat auch dann Stellung zu beziehen, wenn es
etwas schwieriger wird, und dann muss man das auch
durchhalten. Ich habe noch nie erlebt, dass Sie einmal
Stellung bezogen und das dann auch durchgehalten ha-
ben. Das wünschte ich mir von einer Familienministerin
für alle Familien in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Vorhin wurde gesagt, bei Hartz IV machten Sie jetzt
Bildungssparen. Ich bitte Sie: Warum schaffen Sie nicht
einfach gute Bildungseinrichtungen für Kinder, statt auf
Bildungssparen zu setzen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie verlangen von Menschen, die von Hartz IV leben,
dass sie auch noch Geld zurücklegen sollen, das sie aber
nicht haben. Woher sollen sie es denn nehmen? Wie
nachhaltig ist das denn? Am Ende gewinnt immer die
Bank. Das werden Sie erreichen, aber die Kinder bleiben
auf der Strecke. Das können Sie drehen und wenden, wie
Sie wollen. Das funktioniert nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gestern
noch etwas Furchtbares gehört. Ich habe einen Anruf
von einer Journalistin erhalten, die aus der Pressekonfe-
renz der Ministerin gekommen ist. Dabei ging es um
sexuellen Missbrauch. Sie sagte: Wissen Sie was, Frau
Deligöz, ich bin verzweifelt. Ich sehe in diesen Ministe-
rien die organisierte Nichtverantwortlichkeit. Alle ma-
chen Pressekonferenzen, aber niemand hat eine Antwort.
Was ist denn eigentlich mit der Lage der Opfer und der
Opferentschädigung? Es geht hin und her. Keiner ver-
handelt, keiner macht etwas, keiner tut etwas. Alle reden
darüber, alle feiern sich. Aber niemand nimmt etwas in
die Hand und bringt etwas voran. Die Opfer bleiben bei
der ganzen Geschichte auf der Strecke. – Die organi-
sierte Nichtverantwortung prägt die Zeit, in der Sie
Ministerin waren, Frau Ministerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie werden als die Ministerin in die Geschichte einge-
hen, die nie da war, weder im Parlament noch in den
Debatten noch wenn es darum ging, Lösungen für die
Probleme der Familien zu finden. Das prägte die Zeit, als
Sie Ministerin waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das war schwach!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720810300

Das Wort hat nun Jörg von Polheim für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Jörg von Polheim (FDP):
Rede ID: ID1720810400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegin, zum Thema Bildungssparen
kann ich nur sagen: Sie haben effektiv nicht verstanden,
was da gemacht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist auch nicht zu verstehen!)


– Doch, es ist sehr gut zu verstehen. Man muss nur lesen.

Wir beraten heute den Einzelplan 17. Hierzu ist schon
einiges gesagt worden. Ich muss erst einmal mein Er-
staunen ausdrücken angesichts der Vorschläge der Oppo-
sition, vor allem des Änderungsantrags der SPD-Frak-
tion. War es nicht Ihr Kanzlerkandidat, der dieser
schwarz-gelben Koalition in der Generalaussprache
mangelnden Sparwillen vorgeworfen hat? Weil Sie uns
ja immer vorwerfen, wir würden nicht genug für die
Menschen tun, also nach Ihren Vorstellungen nicht ge-
nug Geld ausgeben, wobei Sie im nächsten Atemzug
schon wieder kritisieren, dass wir nicht genug sparen
würden, habe ich mir einmal die Frage gestellt: Was ma-
chen Sie eigentlich, wenn Sie regieren?


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das passiert ja nicht!)


Zwei Beispiele: Grün-Rot in Baden-Württemberg ist
mit vollmundigen Versprechungen gestartet. Im Bil-
dungsbereich sollte es Millioneninvestitionen geben.
Was ist davon geblieben? Sie haben die Verschuldung
des Landes nach oben geschraubt und streichen im
nächsten Jahr 11 600 Lehrerstellen. Das ist wohl die
neue grün-rote Bildungspolitik – gut zu wissen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Oder schauen wir uns einmal die Jugendpolitik in
Hamburg an: Die SPD-Regierung reduziert den Ansatz
für die Jugendsozialarbeit um 3,5 Millionen Euro – auch
hochinteressant.


(Miriam Gruß [FDP]: So schaut es aus! Ganz genau!)


Im Gegensatz zur SPD haben wir keine neuen Ausga-
ben auf Pump finanziert. 2013 gibt der Bund weniger
Geld aus als zu Beginn dieser Legislaturperiode. Damit
sind wir die erste Regierung, die das in der Geschichte
dieses Landes überhaupt hinbekommt. Darauf können
wir stolz sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit schaffen wir die Perspektiven für einen strukturell
ausgeglichenen Haushalt 2014 und für mehr Generatio-
nengerechtigkeit. Das ist ein wichtiger Erfolg; denn nur
so erhalten wir auch in Zukunft Handlungsspielräume
für junge Menschen.

Trotzdem haben wir andere Aufgabenfelder nicht au-
ßer Acht gelassen. Zum Beispiel haben wir mit der Frei-
willigendienstreform das bürgerschaftliche Engagement
in unserem Land in historischem Maße vorangebracht.

Oder nehmen wir die Extremismusprävention. Es ist
schon abenteuerlich, wenn sich Politiker der Opposition
öffentlich hinstellen und behaupten, diese Koalition un-
ternähme nicht genug gegen den politischen Extremis-
mus. Wir haben die Mittel hierfür von 24 Millionen auf
29 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt. Damit gibt der
Bund heute fast dreimal so viel aus wie im Jahr 2005 un-
ter Rot-Grün.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das heißt nicht, dass es genug ist!)


Wir haben durch die Verlagerung von Verwaltungs-
aufgaben auf das Bundesamt für Familie und zivilgesell-
schaftliche Aufgaben zusätzlich 2 Millionen Euro für die
Programme ermöglicht. Wir haben mit dem neuen Pro-
gramm „Demokratie stärken“ die Perspektive erweitert
und auch den religiösen Extremismus ins Visier genom-
men. Angesichts mehrerer Übergriffe auf jüdische Mit-
menschen in den letzten Monaten war das eine voraus-
schauende Entscheidung.

Abschließend möchte ich auf etwas eingehen, was
mich während der ersten Beratung des Haushaltes im
September wirklich gestört hat. Es ist in Ordnung, wenn
man sich in der Sache hart und klar auseinandersetzt.
Aber unsachliche Vorwürfe, mit deren Hilfe die Realität
absichtlich verzerrt dargestellt wird, gehören nicht dazu.


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Der Vorwurf, Union und FDP hätten die Jugendpolitik
vernachlässigt, ist genauso unsachlich wie falsch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie ignorieren damit wissentlich und absichtlich eine
Menge Erfolge dieser Koalition, sei es die Stärkung des
Partizipationsgedankens im Kinder- und Jugendplan, die
Förderung der U-18-Wahl oder die von uns erreichte
Fortsetzung des Programms „Schulverweigerung – Die
2. Chance“. Das alles haben wir mit unserem Antrag zur
eigenständigen Jugendpolitik beschlossen.

Wenn all das für Sie, liebe Damen und Herren der Op-
position, nicht erwähnenswert ist, dann stellen Sie das
öffentlich klar. Sagen Sie doch, dass Sie die Mittel für
diese Programme kürzen wollen. Dann schenken Sie den
Menschen wenigstens reinen Wein ein. Aber hören Sie
mit der Schwarzmalerei auf. Diese dient nicht den Men-
schen, sie dient nur Ihren eigenen Zwecken, dem Wahl-
kampf. Aber da machen wir nicht mit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720810500

Das Wort hat nun Sönke Rix für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1720810600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zunächst einmal zu der Frage, ob man in solchen





Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)


Debatten etwas schärfer angreifen darf. Anscheinend hat
das, was wir gesagt haben, gesessen, Frau Bär; denn Kri-
tik, die ankommt und vielleicht auch einmal wehtut, ist
vielleicht berechtigte Kritik. Wenn die Ministerin für
diesen Haushalt nicht die Verantwortung übernehmen
und sich vor Kritik wegducken will, dann tut sie mir
wirklich sehr leid.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben heute schon öfter gehört: Das ist die beste
Regierung seit 1990 oder sogar aller Zeiten.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Fakten sind Fakten!)


Gerade eben haben wir sogar gehört, das sei die erste
Regierung seit langem, die keine neuen Schulden auf-
nehme. – Das stimmt nicht: 17 Milliarden Euro neue
Schulden werden gemacht. Aber gut, man kann auch
einmal mit Unwahrheiten hantieren, um sich zur besten
Regierung aller Zeiten zu machen. Damit sollten Sie
aber vorsichtig sein, das werden die Wähler nicht hono-
rieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein Erfolgsmodell jagt also das nächste. Da haben wir
zum Beispiel die eigenständige Jugendpolitik. Da wurde
uns gerade – mein Vorredner hat es gesagt – klarge-
macht: Natürlich ist man in der Jugendpolitik sehr aktiv.
Die Ministerin hat dazu sehr wenig oder fast gar nichts
gesagt. Aber gut, wir nehmen einmal an, dass auch die
Ministerin weiß, dass sie für die Jugend zuständig ist.

Gerade wurde die Förderung der U-18-Wahlen er-
wähnt. Es ist interessant: Das sehen Sie also als gutes
Projekt an, das halten Sie für eine gute Maßnahme. Dann
ziehen Sie doch einmal die richtigen Schlüsse aus die-
sem Projekt, und führen Sie als Wahlalter 16 Jahre ein.
Damit würden Sie eine konkrete Maßnahme umsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das nächste Erfolgsmodell soll angeblich das Betreu-
ungsgeld sein, auch wenn dazu von der FDP auffälliger-
weise nicht intensiv Stellung bezogen worden ist. Na ja,
man muss nicht jedes Erfolgsmodell mittragen. Aber Sie
werden sich vorwerfen lassen müssen: Sie haben es mit-
getragen. Sie haben mitgestimmt. Die Mehrheit Ihrer
Fraktion war dafür. Sie haben dazu beigetragen, dass es
jetzt tatsächlich kommen wird.

Diesen Vorwurf müssen Sie sich immer wieder anhö-
ren, auch wenn Sie sich lieber wegducken und zu dem
Thema am liebsten nichts sagen würden. Es ist etwas an-
deres, ob ein Gesetzentwurf noch geprüft wird oder ob
man mit den eigenen Stimmen dazu beiträgt, dass dieser
Entwurf als Gesetz in Kraft tritt. Das haben Sie zu ver-
antworten.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt wird immer darauf hingewiesen, es sei ein
schlechtes Argument, dass der BDA-Präsident dies als
schlecht für den Arbeitsmarkt bezeichnet hat. Mir ist es
neu, dass Schwarz-Gelb selten auf den BDA-Präsidenten
hört. Aber es gibt eine Vielzahl von Argumenten, die da-
gegensprechen, und ein Argument ist das, was der BDA-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1720810700
Es ist für den Arbeitsmarkt kontra-
produktiv. Das ist eines von vielen Argumenten, aber
nicht einmal dem hören Sie zu.


(Beifall bei der SPD – Dorothee Bär [CDU/ CSU]: Sie verwechseln Elternund Betreuungsgeld!)


Andere Argumente wie die damit einhergehende Inte-
grationsfeindlichkeit und Bildungsfeindlichkeit muss ich
nicht noch einmal erwähnen.

Aber es wird auch immer wieder von wirklicher und
wahrer Wahlfreiheit gesprochen; Frau Bär hat das heute
auch wieder getan. Kein Mensch hat gesagt, wir brau-
chen für 100 Prozent der Kinder Plätze. Für jedes Kind
ein Platz würde schließlich in der Konsequenz bedeuten:
Wir wollen auch, dass unbedingt jedes Kind in eine Kita
geht.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Wir sagen: Das entscheiden die Eltern selbst. Wir müs-
sen aber den Eltern die Möglichkeit geben, dass genü-
gend Plätze zur Verfügung stehen, damit sie wirklich die
Wahlfreiheit haben. Das erreichen Sie aber nicht, wenn
Sie so etwas Kontraproduktives einführen wie das Be-
treuungsgeld. Das ist das Gegenteil von Wahlfreiheit,
Frau Bär.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Kanzlerin hat in ihrer Rede zum Haushalt ganz
beiläufig erwähnt, dass man den Wehrdienst abgeschafft
hat – auch wenn das wahrscheinlich eher eine Zufalls-
entscheidung der schwarz-gelben Regierung war – und
dass man den Bundesfreiwilligendienst eingeführt hat,
der, so die Kanzlerin wortwörtlich, „seinesgleichen“
sucht. Natürlich sucht er seinesgleichen, aber man hätte
ihn gar nicht einführen müssen;


(Rolf Schwanitz [SPD]: Ja!)


denn es gab erfolgreiche Modelle von Freiwilligendiens-
ten durch den Jugendfreiwilligendienst. Das hätten Sie
sich sparen können. Hätten Sie stattdessen Geld in er-
folgreiche Projekte wie FSJ und FÖJ gesteckt, dann wä-
ren wir alle zufrieden, und die Kanzlerin hätte wahr-
scheinlich gar nicht sagen müssen, dass es ein Modell
gibt, das seinesgleichen sucht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Miriam Gruß [FDP]: Das gibt es doch noch!)


Denn was Sie mit dem neuen Modell geschaffen ha-
ben, sind Doppelstrukturen und Konkurrenz unter den
Modellen. Sie haben es geschafft, dass man innerhalb ei-
ner Einrichtung für Freiwilligentätigkeiten unterschied-
lich bezahlt wird bzw. unterschiedliches Taschengeld
bekommt und dass es verschiedene rechtliche Rahmen-





Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)


bedingungen gibt. Das hätten Sie sich sparen können.
Das hätten Sie nicht machen müssen, hätten Sie einfach
FSJ und FÖJ gestärkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend zur
Debatte um die sogenannten Extremismusprogramme.
Wir haben tatsächlich einstimmig einen überparteilichen
Antrag beschlossen, in dem wir gesagt haben: Wir wol-
len die demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen
Rechtsextremismus engagieren. Ich habe dann zuerst ge-
dacht: Wunderbar! Wir haben einen einstimmigen Be-
schluss des Parlaments; jetzt wird die Regierung ja wohl
handeln.

Der Innenminister hat in seinen Bereichen gehandelt,
indem er mehr Geld für die Bekämpfung von Rechts-
extremismus ausgibt, und er wird andere Strukturen
schaffen. Ich habe mich darauf gefreut, dass sich wahr-
scheinlich auch die Jugendministerin dazu äußern wird
und entsprechend handeln wird. Aber was ist passiert?
Nichts. Gar nichts ist passiert. Es ist keine Erhöhung er-
folgt. Es werden keine Grenzen abgebaut. An dieser
Stelle ist überhaupt nichts passiert. Dafür sollten Sie sich
angesichts dieses einstimmigen Beschlusses des Parla-
ments schämen, Frau Ministerin.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben nach wie vor die Extremismusklausel. Wir
haben nach wie vor Ungerechtigkeiten, was die Kofinan-
zierung anbelangt. Wir haben nach wie vor eine Vermi-
schung verschiedener angeblicher Extremismusformen,
und wir haben nach wie vor keine kontinuierliche Finan-
zierung, obwohl wir es eigentlich alle gemeinsam wol-
len. Oder behaupten wir nur, dass wir es alle gemeinsam
wollen?

Jetzt hätten wir die Möglichkeit, in der namentlichen
Abstimmung zumindest ein kleines Signal an die Ver-
bände, Organisationen und Projekte zu senden, die sich
gegen Rechtsextremismus engagieren. Es wäre ein klei-
nes Signal, indem wir ihnen sagen: Ihr müsst euch bis
zum nächsten Haushaltsjahr keine Sorgen machen; wir
schaffen eine Verpflichtungsermächtigung. Ihr bekommt
weiter euer Geld für die guten Projekte gegen Rechts-
extremismus. – Aber dafür sind Sie sich wohl zu schade.
Warum machen Sie nicht mit, liebe Kolleginnen und
Kollegen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wir haben das schon ein paarmal erklärt! Sie müssen auch mal zuhören!)


Sie haben heute die Möglichkeit, dieses kleine Zei-
chen zu setzen, statt nur dann ein paar Worte zu sagen,
wenn man tatsächlich einmal aktuell darauf angespro-
chen wird. Wenn Sie dieses Zeichen jetzt nicht setzen,
dann werden wir spätestens nach der nächsten Wahl da-
für sorgen, eine kontinuierliche Finanzierung hinzube-
kommen, so wie wir auch versuchen werden, Ihre Fehler
auszubügeln. Das wird eine harte Arbeit, aber ich
glaube, wir werden es auf jeden Fall besser machen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720810800

Das Wort hat nun Erwin Rüddel für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1720810900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ein-

zelplan 17 macht deutlich, dass die christlich-liberale
Koalition auch vor dem Hintergrund von Schulden-
bremse und Haushaltskonsolidierung nachhaltig in die
Zukunft unserer Gesellschaft investiert. Familien und
Kinder, Frauen und Senioren können sich auf diese Ko-
alition verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir fördern den gesellschaftlichen Wandel mit zukunfts-
weisenden Projekten, von denen ich in der Kürze der
Zeit nur einige wichtige anführen kann.

Dazu gehört das Elterngeld, mit dem Mütter und Vä-
ter dabei unterstützt werden, Familie und Beruf partner-
schaftlich zu gestalten. Dass sich immer mehr Väter
– wir haben es heute lesen können – in den ersten Mona-
ten um ihre Kinder kümmern, begrüßen wir ausdrück-
lich. Übrigens fördern wir damit auch den frühen Wie-
dereinstieg von Müttern in den Beruf.


(Caren Marks [SPD]: Ich denke, das wollen Sie gar nicht!)


Ich betone das deshalb, weil die Opposition in diesem
Haus mit Vorliebe das Phantom des Heimchens am Herd
beschwört. Das Gegenteil ist richtig: Wir sorgen mit dem
Elterngeld dafür, dass die Kindererziehung keineswegs
den Abschied vom Beruf bedeutet; vielmehr haben
Frauen die Chance, frühzeitig wieder in den Beruf einzu-
steigen und sich eine eigene Altersversorgung aufzu-
bauen.

Zu unseren herausragenden familienpolitischen Leis-
tungen gehören die Zuwendungen für die Kitas, die weit
über die ursprünglichen Zusagen des Bundes hinausge-
hen: 4,6 Milliarden Euro für den Kitaausbau und ab
2014 über 800 Millionen Euro jährlich für die Betriebs-
kosten. Das sind enorme Summen. Ich wünsche mir nur,
dass endlich das Gejammere und die falschen Schuldzu-
weisungen einiger Bundesländer aufhören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber das Thema Kitaausbau ist nur die Spitze des
Eisberges. Beim Engagement für die Familienhebam-
men, für die Sprachförderung benachteiligter Kinder und
für ungewollt kinderlose Paare stehen wir vor derselben
Sachlage. Der Bund hat die Initiative ergriffen und den
Löwenanteil der Kosten übernommen. Das gilt für die
Familienhebammen – Stichwort „Frühe Hilfen“ –, das
gilt für die Sprachförderung in 4 000 Kitas – Stichwort





Erwin Rüddel


(A) (C)



(D)(B)


„Frühe Chancen“ –, das gilt für die Bereitschaft des
Bundes, die Zuschüsse für Leistungen bei ungewollter
Kinderlosigkeit aufzustocken.

Dagegen haben wir von manchen Landesregierungen
höchst fadenscheinige Argumente zu hören bekommen.
In besonderer Weise hat sich hier Frau Dreyer aus Mainz
hervorgetan. Wenn es allein nach ihr gegangen wäre,
würde auch die Erfüllung des Kinderwunsches weiter
entscheidend von den individuellen Vermögens- und
Einkommenssituationen der betroffenen Paare abhängig
sein. Was daran sozial sein soll, weiß ich nicht. Aber
jetzt zahlen ja die Kassen. Auch so kann man sich aus
der Verantwortung stehlen und aus der Affäre ziehen.

Wir sind der Frau Ministerin Schröder besonders für
das Projekt „Frühe Chancen“ dankbar, geht es doch da-
rum, in einem schwierigen Umfeld möglichst schnell die
deutsche Sprache zu lernen. So bringen wir die Integra-
tion voran und schaffen die Voraussetzungen für gute
Bildung und gute berufliche Chancen.

Beleg für die erfolgreiche Arbeit der Ministerin ist in
besonderer Weise auch der Bundesfreiwilligendienst.
Die Opposition hat dieses Projekt zu Unrecht in Zweifel
gezogen und ist beeindruckend widerlegt worden; denn
der Bundesfreiwilligendienst ist ein Erfolgsmodell, das
alle Erwartungen übertrifft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben ebenfalls dank einer Initiative der Ministe-
rin die Familienpflegezeit, mit der wir die Vereinbarkeit
von Pflege und Beruf erleichtern. Mit dem Gesetz wer-
den wir sicherlich nicht alle Probleme lösen, aber es ist
ein sehr wichtiger Schritt auf dem Weg, das große
Thema der bedarfsgerechten Pflege in einer rasch altern-
den Gesellschaft zu bewältigen.

Ein weiteres Erfolgsmodell sind die Mehrgeneratio-
nenhäuser. Sie stehen exemplarisch für die Förderung ei-
nes bürgerschaftlichen Engagements, das alle Generatio-
nen zusammenführt.

Kurz vor dem Abschluss steht ein wichtiges frauen-
politisches Projekt, nämlich das bundesweite Hilfetele-
fon. Wir verbinden damit, auch mit Blick auf die Inte-
gration, ein konkretes Ziel; denn das Hilfetelefon wird
gerade Frauen, die der deutschen Sprache vielleicht nur
unvollkommen mächtig sind, Rat und Hilfe in ihrer Mut-
tersprache bieten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Nicht vergessen sollten wir die Finanzierung der bei-
den Entschädigungsfonds für die Heimkinder West und
Ost in Höhe von 15 Milliarden Euro.

Nicht vergessen sollten wir außerdem, dass wir die
Kinderrechte gestärkt haben.


(Beifall der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


Abschließend noch ein Wort zum Betreuungsgeld;
denn für die Opposition scheint es ja kaum ein wichtige-

res Thema zu geben. Wir wollen Wahlfreiheit und Viel-
falt. Deshalb bieten wir die unterschiedlichsten Instru-
mente in der Familienförderung und alternative Anreize
zur privaten Altersvorsorge und zum Bildungssparen an.
Wir halten nichts davon, die Lebensentwürfe von Fami-
lien polemisch oder gar diffamierend gegeneinander aus-
zuspielen.


(Caren Marks [SPD]: Machen Sie aber!)


Wir betrachten es als Beleidigung für alle Mütter und
Väter, wenn so getan wird, als bestünde die größte Ge-
fahr für ein Kleinkind in Deutschland ausgerechnet da-
rin, von den eigenen Eltern betreut zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Das hat nie jemand behauptet! – Rolf Schwanitz [SPD]: Das war ein „Gerüddel“!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Än-
derungsanträge vor.

Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/11548, zu dem namentliche
Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. –
Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)

Wir setzen die Abstimmungen über weitere Ände-
rungsanträge fort.

Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der SPD auf
Drucksache 17/11549. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsan-
trag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende
Fraktion, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dage-
gen haben CDU/CSU und FDP gestimmt.

Wir kommen zu zwei Änderungsanträgen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.

Wir stimmen zunächst über den Antrag auf Drucksa-
che 17/11550 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die SPD-Frak-
tion hat sich enthalten. CDU/CSU und FDP haben ihn
abgelehnt.

Änderungsantrag auf Drucksache 17/11551. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei Zustim-

1) Ergebnis Seite 25439 C





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


mung durch die Oppositionsfraktionen. Die Koalitions-
fraktionen haben dagegen gestimmt.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung.


(Unterbrechung von 15.12 bis 15.16 Uhr)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811100

Die Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 567. Mit
Ja haben gestimmt 261, mit Nein haben gestimmt 306.
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon

ja: 261
nein: 306

Ja

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker

Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix

René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Heidrun Dittrich

Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth

Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)


Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Dr. Martin Neumann


(Lausitz)


Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Einzelplan 17 angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben
dagegen gestimmt.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte II a und II b
auf:

II a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Umfang der Personensorge bei einer Beschnei-
dung des männlichen Kindes

– Drucksache 17/11295 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Katja Dörner,
Diana Golze und weiteren Abgeordneten einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Umfang der Personensorge und die Rechte des
männlichen Kindes bei einer Beschneidung

– Drucksache 17/11430 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)


Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Da-
gegen erhebt sich kein Widerspruch.


(Unruhe)


Ich eröffne die Aussprache, wenn im Saal Ruhe
herrscht. Ich bitte diejenigen, die anderweitige Gesprä-
che führen, diese entweder zu unterbrechen oder woan-
dershin zu verlegen.

Ich gebe das Wort der Bundesministerin der Justiz,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.


(Beifall bei der FDP)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es gibt auf der Welt kein Land, das die reli-
giöse Beschneidung von Jungen generell unter Strafe
stellt. Dass sich Eltern straffrei für eine medizinisch
fachgerechte Beschneidung ihres Sohnes entscheiden
können, wurde bis vor kurzem auch in der Bundesrepu-
blik Deutschland über Jahrzehnte hinweg nicht ernsthaft
bezweifelt.





Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


(A) (C)



(D)(B)


Im Mai dieses Jahres bewertete das Landgericht Köln
einen einzigen Fall anders. Erstmalig seit dem Bestehen
der Bundesrepublik hat damit ein deutsches Gericht die
insbesondere von Juden und Muslimen praktizierte
Beschneidung von Jungen rechtlich infrage gestellt. Das
Kölner Urteil hat über den Einzelfall hinaus zwar keine
Bindungswirkung. Dennoch führte es zu großer Verunsi-
cherung – –


(Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811200

Frau Bundesministerin. – Ich bitte sehr um Ruhe. Wir

führen hier eine wirklich ernsthafte Debatte. Ich finde,
wenn Gespräche jenseits dessen, was hier diskutiert
wird, geführt werden sollen, dann können sie woanders
stattfinden, aber nicht hier im Saal. – So.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:

Das Kölner Urteil hat über den Einzelfall hinaus zwar
keinerlei Bindungswirkung. Dennoch führte es zu großer
Verunsicherung bei Ärzten. Es wurden Strafanzeigen
gestellt. Juden und Muslime sehen sich in ihrer Reli-
gionsausübung gefährdet. Mit dem heute zu beratenden
Gesetz wollen und müssen wir zu der Normalität zurück-
kehren, die weltweit und bis zum Mai dieses Jahres auch
in Deutschland als selbstverständlich galt. Eltern dürfen
einer fachgerechten Beschneidung ihres nicht einwilli-
gungsfähigen Sohnes zustimmen, ohne den Staatsanwalt
fürchten zu müssen.

Das ist die weit überwiegende Auffassung dieses
Hauses, wie der fraktionsübergreifende Beschluss vom
19. Juli 2012 gezeigt hat. Dies entspricht auch der
Vorgabe unseres Grundgesetzes. Das Grundgesetz legt in
Art. 6 die Pflege und Erziehung der Kinder in die Hände
der Eltern. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass
Eltern – ich zitiere –

grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss nach ei-
genen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie
ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen.
Ziel, Inhalt und Methoden der elterlichen Erzie-
hung liegen im Verantwortungsbereich der Eltern.

Nicht der Staat, sondern die Eltern entscheiden also zu-
allererst, was für ihre Kinder das Richtige ist. Der Staat
muss sich zurücknehmen. Er hat eine Reservefunktion
und ist auf ein Wächteramt beschränkt.

Grenzen des elterlichen Sorgerechtes können sich aus
dem Recht des Kindes auf Persönlichkeitsentfaltung
ergeben, wie zum Beispiel im Fall der Verwahrlosung,
wo der Staat einzuschreiten hat. Genauso gilt das für das
Recht des Kindes auf Achtung seiner körperlichen
Unversehrtheit. Deshalb ist zum Beispiel eine Genital-
verstümmelung von Mädchen wegen der dauerhaften
und schwerwiegenden physischen und psychischen
Belastung ein auch mit der Personensorge nicht zu recht-
fertigender Eingriff. Dies hat auch der Bundesgerichts-
hof festgestellt.


(Beifall im ganzen Hause)


Die männliche Beschneidung kann damit nicht
gleichgesetzt werden. Deshalb umfasst die Personen-
sorge auch die Zirkumzision, wenn sie die Regeln ärztli-
cher Kunst, wie zum Beispiel Sterilität oder maximale
Schmerzlinderung, einhält. Eltern können eine Be-
schneidung ihres Sohnes aus unterschiedlichen – nicht
nur religiösen – Gründen für geboten halten. Solange das
Kindeswohl damit nicht verletzt ist, hat der Staat kein
Recht, in diese Auffassung der Eltern korrigierend ein-
zugreifen.


(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Die Personensorge umfasst auch das Recht der Eltern,
zu entscheiden, welcher Religionsgemeinschaft ihre
Kinder angehören sollen. Denn das Recht der Eltern um-
fasst zusammen mit der von Art. 4 Grundgesetz ge-
schützten Religionsfreiheit auch die Kindeserziehung in
religiöser und weltanschaulicher Sicht. Das Bundesver-
fassungsgericht betont, dass – ich zitiere –

die Eltern ihren Kindern diejenigen Überzeugungen
in Glaubens- und Weltanschauungsfragen vermit-
teln können, die sie für richtig halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass jüdisches und
muslimisches Leben in Deutschland möglich sein muss,
darin sind wir uns bestimmt einig.


(Beifall im ganzen Hause)


Wie die Religion ausgeübt wird, ist nicht der Gestaltung
des Gesetzgebers unterworfen. Die weltanschauliche
Neutralität des Staates ist im Sinne einer kooperativen
Zuordnung zu verstehen, nicht negativ ausgrenzend. Ein
moderner, pluralistischer Staat braucht auch die Glau-
bens- und Religionsgemeinschaften als bedeutsame ge-
sellschaftliche Akteure.

Zur Glaubensfreiheit gehört … nicht nur die Frei-
heit, einen Glauben zu haben, sondern auch die
Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen
zu leben und zu handeln.

Der Schutz umfasst – so das Bundesverfassungsgericht –
die Teilnahme an religiösen Handlungen,

die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Aus-
druck findet.

Nach dem Selbstverständnis des Judentums ist die
Beschneidung des männlichen Kindes am achten Tag
nach der Geburt zentraler Bestandteil der jüdischen
Identität. Im Islam gilt die Beschneidung bei Sunniten
und Schiiten als islamische Pflicht bzw. empfohlene
Tradition und gehört zu den Glaubensüberzeugungen der
Muslime, auch bei den Aleviten.

Die vorgesehene Regelung im Personensorgerecht der
Eltern im Bürgerlichen Gesetzbuch enthält jetzt die
Voraussetzungen, die die Zirkumzision rechtfertigen: die
Vornahme nach den Regeln der ärztlichen Kunst und
natürlich nach umfangreicher Aufklärung der Eltern.
Auch haben die Eltern wie bei allen Erziehungsentschei-
dungen vorhandenen Kindeswillen in ihre Entscheidung
miteinzubeziehen. Wenn im Einzelfall das Kindeswohl
gefährdet würde, ist selbstverständlich von der Be-
schneidung abzusehen. Dies wird auch in die vorgese-
hene Vorschrift ausdrücklich aufgenommen.





Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


(A) (C)



(D)(B)


Der Gesetzentwurf enthält auch eine besondere Rege-
lung für von einer Religionsgemeinschaft vorgesehene
Personen, die auch die erforderlichen Kenntnisse und
eine Ausbildung für die Vornahme dieses Eingriffes
haben müssen.

Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis
eines äußerst intensiven Austausches mit Vertretern der
Religionsgemeinschaften, mit Medizinern, mit Rechts-
wissenschaftlern, mit vielen zivilgesellschaftlichen
Gruppen und Experten in den letzten Wochen und
Monaten. Auch wenn es Stimmen gibt, die dem Gesetz-
entwurf kritisch gegenüberstehen, appelliere ich aus-
drücklich an uns alle, mit großem Respekt und gegensei-
tiger Toleranz dieses wichtige Thema zügig zu beraten.
Wir brauchen Rechtssicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung bringt mit diesem Gesetzent-
wurf auch zum Ausdruck, dass jüdisches und muslimi-
sches Leben in Deutschland ausdrücklich erwünscht ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811300

Der Kollege Burkhard Lischka hat das Wort für die

SPD-Fraktion.


Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1720811400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will

nicht verhehlen: Die Debatte, die seit der Entscheidung
des Kölner Landgerichts zu religiös motivierten Be-
schneidungen geführt wird, löst bei mir teilweise sehr
zwiespältige Gefühle aus. Ich weiß: In dieser Debatte
kann kein noch so guter Gesetzentwurf rundum zufrie-
denstellende Antworten geben, auch der heute vorlie-
gende nicht. Es geht hier nämlich weniger um rein
formaljuristische Fragen und Abwägungen; es geht hier
um einen echten Wertekonflikt, einen Wertekonflikt, der
zum Teil sehr grundsätzliche Fragen aufwirft, die sehr
weit über das Thema Beschneidung hinausgehen.

Da ist zum einen das Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit, das insbesondere auch für die Schützenswer-
testen in unserer Gesellschaft, nämlich die Kinder, gilt.
Dieser Schutz ist für unsere Rechtsordnung, für unsere
Verfassung genauso elementar wie mancher Glaubensin-
halt für eine Religion.

Auf der anderen Seite wirft diese Debatte aber auch
die Frage auf, wie viel Toleranz und Freiräume wir uns
in einer Gesellschaft, die weltoffen und plural sein will,
gegenseitig zugestehen, wie viel Respekt die Mehrheit
dieser Gesellschaft einer Minderheit entgegenbringt.
„Respekt“ ist übrigens ein gutes Stichwort. Denn diesen
Respekt habe ich bei der Debatte außerhalb dieses Hau-
ses in den letzten Monaten leider manches Mal vermisst.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Die teilweise doch sehr aggressive Argumentation so-
wohl aufseiten der Befürworter als auch aufseiten der
Gegner einer gesetzlichen Regelung hat mich manches
Mal irritiert. Nein, egal welchen Standpunkt man in die-
ser Debatte einnimmt: Es ist weder gerechtfertigt, dem
jeweils anderen Antisemitismus und Islamophobie in
seiner Argumentation zu unterstellen, noch der anderen
Seite vorzuwerfen, sie betreibe hier einen Ausverkauf
der Kinderrechte zugunsten barbarischer Riten. Wir soll-
ten es aushalten, uns gegenseitig zuzuhören bei diesem
Wertekonflikt. Eine Demokratie ist der beste Ort, einen
solchen Konflikt sachlich und mit dem gebotenen Res-
pekt zu diskutieren.


(Beifall im ganzen Hause)


Aber am Ende all dieser Diskussionen muss eine Ent-
scheidung stehen, wohl wissend, dass jeder Versuch,
diese Werte mithilfe eines einzigen Paragrafen in ein
Gleichgewicht zu bringen, unperfekt bleiben muss.

Ich räume ein: Ja, die Beschneidung ist mir persönlich
fremd, sehr fremd sogar. Sie entspricht nicht meinen
Vorstellungen, wie ich mit meinem Sohn umgehen
möchte. Aber will ich damit meinen jüdischen und mus-
limischen Mitbürgern, will ich Eltern mit einem anderen
Glauben absprechen, dass auch sie ihre Kinder lieben,
nur weil sie eine Beschneidung vornehmen, die für ihren
Glauben identitätsstiftend ist? Nein, ich glaube, weder
unsere muslimischen noch unsere jüdischen Mitbürger
brauchen Nachhilfeunterricht in Sachen Kinderliebe und
Menschenrechte.


(Beifall im ganzen Hause)


Diesen Eindruck sollten wir in unserer Debatte hier un-
bedingt vermeiden; denn das würde viel, unendlich viel
Porzellan zerschlagen.

Wir brauchen eine gesetzliche Regelung – das ist zu-
mindest meine Überzeugung –, weil die Alternative
wäre, alle Eltern, alle Ärzte und Rabbiner, die eine Be-
schneidung vornehmen, mit Freiheitsstrafen und Geld-
strafen zu belegen, gläubige Juden und Muslime zu
Rechtsbrechern und Straftätern zu erklären. Nein, es ist
eben nicht Aufgabe des Strafrechts, dass eine Mehrheits-
gesellschaft einer Minderheit erklärt, ihr Glaube sei un-
zureichend oder sogar mittelalterlich. Das Strafrecht ist
auch kein Instrument zur religiösen und kulturellen Be-
lehrung und Bekehrung.

Im Übrigen ist auch für mich undenkbar, dass wir
ausgerechnet in Deutschland als erstem Land weltweit
einen elementaren Teil jüdischen Glaubens unter Strafe
stellen und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger mit
strafrechtlichen Mitteln nur deshalb verfolgen, weil sie
eine Praxis ausüben, die für sie seit Jahrtausenden identi-
tätsstiftend ist. Wir haben aufgrund unserer Geschichte
die dauerhafte Verpflichtung, gerade mit jüdischen Be-
langen in unserem Land besonders sensibel umzugehen.
Es wäre eine unentschuldbare Geschichtsvergessenheit,
wenn wir diese Sensibilität in Zukunft nicht mehr auf-
bringen würden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)


Das alles enthebt uns aber nicht der Verpflichtung,
Regelungen zu finden, um Kinder vor unnötigen
Schmerzen und unsachgemäßen Eingriffen zu schützen.
Klar ist deshalb für mich, dass ein Eingriff medizinisch
fachgerecht durchgeführt werden muss, dass über Art,
Umfang und Folgen des Eingriffs eine medizinische
Aufklärung erfolgt, dass unnötige Schmerzen durch eine
lokale Betäubung vermieden werden und dass älteren
Jungen ein Vetorecht hinsichtlich einer Beschneidung
eingeräumt wird.

Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist eine gute
Diskussionsgrundlage. Lassen Sie uns gemeinsam in den
kommenden Tagen darüber beraten, ob und gegebenen-
falls wie dieser noch verbessert und präzisiert werden
kann. Lassen Sie uns das ruhig, sachlich und vor allen
Dingen mit dem gebotenen Respekt tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811500

Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1720811600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Am Anfang meines heutigen Redebeitrages
steht der Dank an das Bundesministerium der Justiz, an
die Ministerin. Der Deutsche Bundestag hat auf Antrag
der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD in diesem
Sommer mit einer sehr großen Mehrheit die Bundesre-
gierung aufgefordert – ich zitiere das auszugsweise –,
„unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschütz-
ten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Un-
versehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der El-
tern auf Erziehung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Be-
schneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen
grundsätzlich zulässig ist“. Dieser Bitte bzw. Aufforde-
rung des Bundestages ist die Bundesregierung vollum-
fänglich nachgekommen. Von daher bedanke ich mich
für diesen wirklich gut ausgearbeiteten, hervorragend
abgewogenen Entwurf. Ganz herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ähnlich wie mein Vorredner habe auch ich sehr gro-
ßes Verständnis, wenn die Praxis der Beschneidung in
Deutschland von vielen als sehr fremd, ja, archaisch
wahrgenommen wird. Trotz dieses Gefühls, das viele bei
diesem Thema überkommt – das ist festzuhalten –, müs-
sen wir einigen Wahrheiten ins Auge sehen: Wir dürfen
die Augen nicht davor verschließen, dass dies eine seit
zumindest 6 000 Jahren geübte Praxis in mehreren Tei-
len der Welt ist, dass 30 Prozent der männlichen Weltbe-
völkerung beschnitten sind, dass die Beschneidung der
Jahr für Jahr weltweit am häufigsten vorgenommene chi-
rurgische Eingriff ist, dass es kein Land auf der Welt
gibt, in dem die Beschneidung von Jungen grundsätzlich

verboten ist, und dass es zwei große Weltreligionen gibt
– Moslems und Juden –, die die Beschneidung als ein
wichtiges, zum Teil sogar als ein die Mitgliedschaft be-
gründendes Ritual ansehen. Die Angehörigen dieser Re-
ligionen leben auch in unserem Land, und sie gehören zu
uns.

Ich will allerdings auch Folgendes sagen: Ich nehme
gerne all die Kolleginnen und Kollegen, die sich bisher
nicht zu einer Unterstützung dieses Gesetzentwurfs ha-
ben durchringen können, vor dem Vorwurf in Schutz,
dass sie vorhätten, das Leben von Moslems und Juden in
Deutschland unmöglich zu machen. Ich glaube, das ist
das Anliegen von niemandem.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Fakt ist aber auch, dass dieses Leben sehr stark er-
schwert würde, wenn wir die Beschneidung von Jungen
nicht rechtsklar regeln und für zulässig erklären würden.
Genau das wollen diejenigen, die diesen Gesetzentwurf
unterstützen, nicht. Meine Fraktion will das nicht. Des-
halb werbe ich auch heute bei jedem Einzelnen in die-
sem Haus um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will auch klarstellen: Dieser Gesetzentwurf ist
keine Befürwortung inhaltlicher Art oder gar eine Wer-
bung für die Praxis der Beschneidung. Schon im
19. Jahrhundert gab es in Deutschland, etwa im Reform-
judentum, kontroverse Debatten darüber, ob man die Be-
schneidung durch symbolische Handlungen ersetzen
kann. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn diese Dis-
kussion in den Religionsgemeinschaften und auch in der
Gesellschaft als solche weiter ernst und offen geführt
würde. Aber sie darf eben nicht unter dem Damokles-
schwert einer Strafandrohung geführt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Sache geht es bei diesem Gesetzentwurf um
eine Grundrechtsabwägung zwischen dem Elternrecht
und der Religionsfreiheit der Eltern einerseits und dem
Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Unversehrtheit und
Religionsfreiheit des Kindes andererseits. In einem Ver-
fassungsstaat kann ein Konflikt zwischen Grundrechten
aber nicht durch eine K.-o.-Entscheidung gelöst werden
– einer muss dem anderen weichen –, sondern eben nur
durch eine Abwägung, wenn man so will, durch eine
praktische Konkordanz. Die Religionsfreiheit darf auch
aus Sicht des Kindes nicht primär als eine Freiheit von
Religion verstanden werden, sondern eben auch als eine
Freiheit zur Religion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich ist auch und gerade bei der Frage der Kna-
benbeschneidung das Kindeswohl der entscheidende
Maßstab. Dieses Kindeswohl kann aber nicht isoliert
von der Vorstellung der Eltern definiert werden. Art. 6





Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)


Abs. 2 unseres Grundgesetzes legt sehr klar offen – ich
zitiere –:

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli-
che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-
liegende Pflicht.

Ich glaube, diese Lektüre rückt die Perspektive auch für
die Politik zurecht. Hier geht es um ein natürliches
Recht. Das heißt, dass der Staat die Kinder nicht den El-
tern anvertraut bzw. sie ihnen zeitweise zur Erziehung
überantwortet, um sie nach seinen, nach staatlichen
Maßstäben zu erziehen. Kinder gehören vielmehr von
Natur aus zu ihren Eltern. Die Eltern wiederum haben
eine korrespondierende Pflicht zu Pflege und Erziehung.
Daher ist es für mich gar nicht anders vorstellbar, als
dass die Eltern im Rahmen ihrer primären Erziehungs-
verantwortung einen Vertrauensvorschuss genießen, so-
lange die Grenzen der Kindeswohlgefährdung nicht er-
reicht sind.

Natürlich gibt es klare Grenzen für die elterliche
Sorge. Es gibt wichtige Beispiele im Familienrecht. Ent-
scheidungen beispielsweise, die die ganze Lebensfüh-
rung eines Kindes unwiderruflich determinieren, können
natürlich nicht getroffen werden. Ein ganz extremes Bei-
spiel ist § 1631 c, das Verbot der Sterilisation. Aber eine
Sterilisation beispielsweise ist in keiner Weise vergleich-
bar mit einer Beschneidung; denn eine Beschneidung be-
deutet ebenso wenig wie die christliche Taufe eine le-
benslange Festlegung auf eine Religion oder auf eine
soziale Gruppe. Zudem gibt es im Strafrecht die Grenzen
der Sittenwidrigkeit bei der Einwilligung. Auch diese
Grenze wird hier nicht erreicht; denn die Beschneidung,
die seit Jahrtausenden in verschiedenen Religionen gän-
gige Praxis ist und in nahezu allen Staaten anerkannt ist,
kann man in Deutschland kaum mit dem Verdikt der Sit-
tenwidrigkeit versehen.

Wichtig ist ebenfalls, dass die Regelung im Familien-
recht und nicht im Strafrecht verankert werden soll. Es
geht eben um mehr als um den bloßen Ausschluss von
Strafbarkeit. Während im Strafrecht nur verbotenes Tun
definiert wird, umschreibt das Familienrecht positiv die
Reichweite der elterlichen Sorge. Hierhin gehört die Re-
gelung auch.

In allen Punkten des Regelungsinhalts ist klar ersicht-
lich, dass exakte Grenzen gesetzt werden. Die Beschnei-
dung wird aus der elterlichen Sorge heraus legitimiert.
Aber sie ist an sehr klare Voraussetzungen geknüpft,
nämlich zuerst an eine fachgerechte Durchführung nach
den Regeln der ärztlichen Kunst, wie es im Gesetzent-
wurf heißt. Diese ärztliche Kunst beinhaltet eine Aufklä-
rung der Eltern über den Eingriff und seine Risiken, eine
effektive Schmerzbehandlung, eine schonende Durch-
führung und eine dem Einzelfall angemessene Betäu-
bung. Die Eltern dürfen selbstverständlich nur für Kin-
der entscheiden, die selbst noch nicht einsichts- und
urteilsfähig sind. Kann ein Junge seinen Willen bereits
selbst bilden, entscheidet er. Auch unterhalb der
Schwelle einer wirklichen Urteilsfähigkeit im Rechts-
sinne muss ein irgendwie zum Ausdruck gebrachter ent-
gegenstehender Wille des Kindes ernst genommen wer-
den. Der Eingriff muss in der Regel durch einen Arzt

und darf nur ausnahmsweise von fachkundigen Personen
ohne Medizinstudium, die eine besondere fachliche Aus-
bildung, eine dem Arzt vergleichbare Befähigung haben,
unter strengen Bedingungen vorgenommen werden.

Das alles geht aus dem Gesetzestext und der Begrün-
dung klar hervor. Wenn man den Gesetzestext und die
Begründung aufmerksam liest, dann wird einem klar,
dass sich die Kernforderungen aller bisher vorliegenden
Änderungsanträge hier in wesentlichen Punkten wider-
spiegeln. Damit können meines Erachtens manche Be-
fürchtungen und Bedenken zumindest im Kern als erle-
digt angesehen werden. Wichtig ist, dass der
Gesetzentwurf keine Beschränkung der Beschneidung
auf religiöse Gründe vorsieht. Auch andere Gründe sind
achtenswert. Ich möchte nicht, dass unser Staat in die
Lage kommt, eine Art Glaubenskontrolle bei diesem
Eingriff vornehmen zu müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi Lassen Sie mich einen letzten wichtigen Aspekt nennen, der für uns hier im Haus selbstverständlich ist, der aber nach außen, in die Öffentlichkeit, noch einmal klar kommuniziert werden sollte. Dieser Gesetzentwurf enthält auch eine klare Abgrenzung von der barbarischen Praxis der Genitalverstümmelung bei Mädchen. Viele Mädchen sterben dabei oder werden lebensgefährlich verletzt. Dieser barbarische Eingriff bei Mädchen ist eben nicht Ausdruck der Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft, sondern Ausdruck einer Erniedrigung von Frauen. Deshalb lehnen wir ihn hier im Deutschen Bundestag strikt ab. Die Genitalverstümmelung ist und bleibt deshalb in Deutschland eine schwere Straftat. Ich persönlich bin der Auffassung, dass wir über die Grenzen Deutschlands hinaus noch viel konsequenter dagegen vorgehen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE])


(Beifall im ganzen Hause)


Dieser Eingriff ist mit der Beschneidung von Jungen in
keiner Weise vergleichbar.

Vor uns liegt ein ausgewogener Gesetzentwurf, der
die Beschneidung von Jungen unter klaren und strengen
Voraussetzungen zulässt. Bei einer Praxis, die weltweit
akzeptiert ist, muss man schon sehr gute Gründe haben,
um sie ausgerechnet in Deutschland von der elterlichen
Sorge auszunehmen und im Ergebnis unter Strafe zu
stellen. Ich sehe solche guten Gründe nicht und werbe
sehr für die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811700

Raju Sharma hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720811800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt,

wie bei vielen Fraktionen hier, auch in unserer Fraktion
unterschiedliche Auffassungen zum Thema Beschnei-
dung. In einer Sache sind wir uns einig – ich habe die
Debattenbeiträge so verstanden, dass das eigentlich für
das ganze Haus gilt –, nämlich darin, dass wir das jüdi-
sche und muslimische Leben in Deutschland schätzen
und achten. Wir betrachten es als eine kulturelle Berei-
cherung unserer Gesellschaft. Daran führt kein Weg
vorbei.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich kann hinzufügen, dass ich kein Jude, kein Moslem
und auch kein Christ bin; aber ich bin dankbar für jeden
Menschen in Deutschland, der den Menschen nicht als
Mittelpunkt des Universums betrachtet.

Gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden in Schles-
wig-Holstein habe ich dafür gekämpft, dass die Synago-
gen in Kiel, Flensburg und Lübeck vor Übergriffen von
Rechtsextremen bzw. Nazis geschützt und gesichert wer-
den. Ich habe in Schleswig-Holstein zwischen den
Moscheevereinen und den Anwohnern vermitteln dür-
fen, als es darum ging, wie laut der Muezzin zum Gebet
rufen darf. Ich durfte an den Freitagsgebeten in den
Moscheen teilnehmen. An hohen jüdischen Festen durfte
ich teilnehmen und habe die Gastfreundschaft in Syna-
gogen genossen. Die Gastfreundschaft meiner Gastgeber
ging so weit, dass sie Wert darauf gelegt haben, dass ich
nicht nur koscheres, sondern auch vegetarisches Essen
bekam. Ich weiß um die Toleranz und die Gastfreund-
lichkeit von Juden und Muslimen, und ich weiß sie sehr
zu schätzen.

Als in diesem Sommer das Kölner Urteil kam, haben
mich meine Freunde gefragt: Willst nicht auch du eine
Solidaritätsadresse abgeben bzw. eine Erklärung, damit
wir uns gegen dieses Urteil verwahren können? Ich bin
in mich gegangen, habe das Urteil studiert und mich mit
Ärzten – Kinderärzten, Chirurgen, Anästhesisten und
Urologen – beraten. Danach musste ich schweren
Herzens sagen: Nein, ich kann euch da leider nicht
unterstützen, weil ich finde, dass das Urteil abgewogen,
nachvollziehbar und in der Sache richtig ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Staat hat nicht die Aufgabe, die Religionsausübung
zu gestalten und Vorgaben zu machen. Er hat aber die
Aufgabe, Interessen abzuwägen und einen Rahmen vor-
zugeben, in dem sich alle in dieser Gesellschaft bewegen
müssen. Wenn wir anfangen, Sonderrechte für diese oder
für jene Religionsgemeinschaft zu schaffen, sind wir auf
einer schiefen Bahn. Dann gibt es auch keine Unteil-
barkeit von Menschenrechten bzw. von allen Rechten.

Das aber ist genau das, was wir brauchen. Religionsfrei-
heit ist wie jede Freiheit in einem demokratischen Staat
nie grenzenlos. Sie findet ihre Schranken dort, wo die
Rechte bzw. die schutzwürdigen Interessen anderer be-
einträchtigt werden. Genau das ist hier der Fall. Das
Landgericht Köln hat dies auch richtig festgestellt.

Wir hätten eine ruhige, ausgewogene und sachliche
Debatte gebraucht mit einer Offenheit, wie sie zum Bei-
spiel der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in
Deutschland, Stephan Kramer, an den Tag gelegt hat, als
er sehr offen, ohne die Position seiner Religionsgemein-
schaft aufzugeben, gesagt hat: Wir haben so vieles über
Bord geworfen, was in der Thora steht. Wir können und
müssen auch über diese Frage reden. – Vor allem die
Religionsgemeinschaften müssen darüber reden; aber
auch der Staat muss seiner Aufgabe gerecht werden.

Was hat der Staat gemacht? Ich hätte von der Bundes-
kanzlerin, die ansonsten nicht für Hyperaktivität bekannt
ist, erwartet, dass sie hier mit ruhiger Hand versucht, zu
mäßigen, auszugleichen und die unterschiedlichen Inte-
ressen darzulegen. Das hat sie nicht getan. Frau Merkel
hat hier davor gewarnt, dass wir zu einer Komikernation
werden. Dazu sage ich: Die Komikernation Deutschland
hat vor 20 Jahren auch die UN-Kinderrechtskonvention
unterzeichnet. Die Ratifizierungsurkunde zu dieser Kin-
derrechtskonvention trägt die Unterschrift unserer Bun-
deskanzlerin. Da frage ich mich natürlich auch – ich
hätte gerne Frau Merkel gefragt, wenn sie denn hier ge-
wesen wäre –, was ihre Unterschrift eigentlich wert ist.
Hat das alles keine Bedeutung?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die UN-Kinderrechtskonvention wird wie viele
Gesetze, die wir hier im Bundestag beschlossen haben
– allerdings nicht mehr einstimmig; oft war die CDU/
CSU dagegen –, von dem Gedanken getragen, dass die
Kinder nicht nur reine Erziehungsobjekte ihrer Eltern,
sondern Träger eigener Rechte und zu schützen sind. Ich
möchte es mit den Worten des libanesischen Dichters
und Philosophen Khalil Gibran sagen: Unsere Kinder
gehören uns nicht. Sie sind die Söhne und Töchter der
Sehnsucht des Lebens nach sich selber.

Diesen Gedanken haben wir mittlerweile in vielen
Rechtsordnungen verankert, auch im BGB. Die Kinder-
rechte wurden im Laufe der Jahre gestärkt.

Ich hätte mir gewünscht, die Bundesregierung wäre
bei ihrem Gesetzentwurf nach ruhiger Abwägung zu der
Auffassung gekommen, dass wir auch die Kinderrechte
schützen müssen. Das hat sie aber nicht gemacht. Sie
haben die Regelung zwar richtigerweise im Recht
der Personensorge verankert – dort muss es geregelt
werden –, aber überhastet und leichtfertig. Sie haben
nicht ein Recht geschaffen, mit dem wir alle leben kön-
nen und mit dem auch Kinderrechte geschützt werden.
Sie haben übrigens auch nicht die Betroffenen gehört. Es
wäre das Mindeste gewesen, diejenigen, die heute unter
den Folgen einer Beschneidung leiden, in die sie als Kin-





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


der nicht einwilligen konnten oder durften, anzuhören.
Das haben Sie nicht zugelassen.

Uns liegt ein alternativer Gesetzentwurf vor. Ich
danke den Verantwortlichen aus der Kinderschutzkom-
mission und den kinderschutzpolitischen Sprecherinnen
der Grünen, der Linken und der SPD, dass sie diesen Ge-
setzentwurf eingebracht haben. Er ermöglicht es uns,
nicht nur Nein zum Gesetzentwurf der Bundesregierung
zu sagen; er bietet auch eine Alternative, zu der wir Ja
sagen können, weil hier sorgfältig abgewogen wird: die
Religionsfreiheit auf der einen Seite und die Kinder-
rechte auf der anderen Seite. In diesem Gesetzentwurf
steht: Es ist keine Beschneidung zulässig bei einem Kind
unter 14 Jahren. Der Betroffene muss selbst einwilligen.
Die Beschneidung muss von einem Facharzt oder einer
Fachärztin vorgenommen werden, und das Kindeswohl
muss betrachtet werden. – Diese Abwägung brauchen
wir, wenn wir zu einem sachgerechten Gesetzentwurf
kommen wollen. Ich bin dankbar, dass es diesen Gesetz-
entwurf gibt, und werbe nachhaltig dafür, dass wir uns
diesem Gesetzentwurf anschließen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720811900

Jerzy Montag hat das Wort für Bündnis 90/Die Grü-

nen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720812000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Wollt ihr uns Juden noch?“ Mit diesem verzweifelten
Zwischenruf hat die Grande Dame des deutschen Juden-
tums, Charlotte Knobloch, auf die Beschneidungsdebatte
in Deutschland reagiert. Ihre bitteren Worte zeigen, wie
tief und essenziell diese Debatte und manchmal auch der
in der Öffentlichkeit angeschlagene Tonfall die religiö-
sen Minderheiten der Juden und der Muslime bewegen.
Wir Abgeordnete sind diejenigen, die den Menschen mit
Grenzen vorschreiben, was richtig und was falsch ist,
was sie dürfen und was nicht. Wir entscheiden, was
erlaubt ist und was verboten ist in Deutschland. Deshalb
müssen wir uns der Konsequenzen bewusst sein, die
aus unserem Handeln, aus unseren Entscheidungen
erwachsen.

An die Kolleginnen Marlene Rupprecht und Katja
Dörner sowie die Unterstützer ihres Gesetzentwurfs ge-
richtet, sage ich: Sie wollen festlegen, dass eine Einwilli-
gung von Eltern zur Beschneidung ihres Sohnes vor dem
14. Lebensjahr die den Eltern zustehende Personensorge
nicht umfasst. Dies macht – Sie müssen sich dieser Kon-
sequenz bewusst sein – alle diese Beschneidungen zu
Körperverletzungen, die verfolgt und bestraft werden.
Dies macht alle diese Eltern und auch die Ärzte und
Beschneider zu Straftätern. Egal, wie man zur Beschnei-
dung steht – mir ist sie auch fremd; auch ich lehne sie
ab –: Ich will über die betroffenen Eltern kein sozialethi-
sches Unwerturteil fällen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will weder gegen die Eltern noch gegen die Ärzte mit
dem Mittel des Strafrechts vorgehen.

Nach Deutschland sind über Jahrzehnte hinweg
Muslime eingewandert. Nach langen Jahren des Gastar-
beiterstatus sehen wir alle die Notwendigkeit der Inte-
gration dieser circa 4 Millionen Menschen in unsere
Gesellschaft. Ich habe in dieser Integrationsdebatte von
der CSU bis zu den Linken noch nie von jemandem die
Aussage vernommen: Ihr seid in Deutschland willkom-
men, ihr könnt und sollt in Deutschland leben, wir
wollen euch als einen Teil von uns; aber ihr müsst euren
Ritus der Beschneidung ablegen. Wenn ihr das nicht tut,
wird der Staat euch deswegen verfolgen.

Erinnern wir uns an die Worte, die wir bei jeder pas-
senden Gelegenheit an Jüdinnen und Juden in Deutsch-
land richten. Es ist ein Geschenk, für das wir uns zu be-
danken haben, dass Juden wieder in Deutschland leben
wollen. Neue Synagogen werden eingeweiht, Rabbiner
werden in Deutschland wieder ausgebildet, jüdische
Kindergärten und Schulen entstehen, und jedes Mal er-
klären wir ihnen: Ihr seid willkommen. – Jetzt plötzlich
soll es heißen: Schön, dass ihr da seid. Schön, dass ihr
Kinder habt. Aber Hände weg von euren Söhnen!


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau!)


Sonst schicken wir euch die Kripo, die Staatsanwalt-
schaft und das Jugendamt ins Haus. – Das will ich nicht,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Keine muslimische Mutter, kein muslimischer Vater
– für die Juden gilt das genauso – will die eigenen Söhne
beschneiden lassen, weil ihnen dies Schmerzen zufügt.
Weder ist ihnen das Wohl ihrer Kinder egal, noch wollen
sie entgegen dem Wohl der Kinder handeln. Ganz im
Gegenteil: In ihrer Vorstellung, die wir nicht teilen müs-
sen, wollen sie das Beste für ihre Söhne. Das hat die
Mehrheitsgesellschaft in Deutschland jahrzehntelang ak-
zeptiert. Jetzt plötzlich soll, jedenfalls nach dem Gesetz-
entwurf der Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil
richtig sein. Ich sage noch einmal in vollem Ernst: Die
Verfolgung, die Bestrafung, das Jugendamt im Hause,
das alles erwächst als Konsequenz aus dem Gesetzent-
wurf, der die Beschneidung männlicher Kinder als eine
Kindeswohlverletzung durch die eigenen Eltern zu einer
Straftat werden lässt.

Ich persönlich unterstütze den Gesetzentwurf der
Bundesregierung, den ich für richtig halte und zu dem
ich lediglich zwei für mich wirklich wichtige Ände-
rungsvorschläge habe. Mir ist es zu wenig, Herr Kollege
Krings, dass in der Begründung steht, dass der kindliche
Wille von den Eltern zu bedenken, aber nicht immer zu
befolgen ist. Ich möchte gerne, dass das kindliche Veto
ein Ausschlussgrund für eine Beschneidung des Kindes
ist. Ich möchte auch gerne, dass die Ausnahmevor-





Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)


schrift, die wir für Nichtärzte installieren, auf das wirk-
lich notwendige Mindestmaß, nämlich auf 14 Tage und
nicht auf sechs Monate, verkürzt wird. Ich hoffe, dass
wir in den Debatten, die wir in den nächsten Tagen füh-
ren werden, zu einer guten Lösung kommen werden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720812100

Stephan Thomae hat das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stephan Thomae (FDP):
Rede ID: ID1720812200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte

Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist
ein tolerantes Land. Von Zeit zu Zeit muss diese
Toleranz Bewährungsproben bestehen. Das heutige
Thema ist eine solche Prüfung, weil hier Grundrechte
miteinander konkurrieren. Deshalb verdient diese
Debatte Ernst, Sachlichkeit und Respekt vor anderen
Meinungen als der eigenen.

Bei Grundrechtskollisionen müssen immer Grund-
rechte untereinander zum Ausgleich, in eine praktische
Konkordanz gebracht werden. Das eine Grundrecht
muss oft ein wenig zurücktreten, damit das andere noch
wirken kann. Heute geht es um das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit des Kindes aus Art. 2 Grund-
gesetz, um das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6
Grundgesetz und um das Recht der Eltern und des Kin-
des auf freie Religionsausübung aus Art. 4 Grundgesetz.

Aus vielen Zuschriften, die uns alle in den letzten
Wochen und Monaten erreicht haben, spricht echte
Sorge um das Kindeswohl. Aus manchen spricht aber
auch eine Religionsfeindlichkeit, die sich manchmal
hinter einer vorgetäuschten Sorge um Kinder und einer
vorgetäuschten Aufgeklärtheit nur verbirgt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Gewiss, für denjenigen, der für sich selbst vom Grund-
recht auf Religionsfreiheit keinen Gebrauch macht, weil
er nicht religiös ist, hat dieses Recht verständlicherweise
keinen hohen Rang. Er kann die Bedeutung, die dieses
Grundrecht für andere Menschen hat, nur schwer nach-
vollziehen. Objektiv hat dieses Recht aber für viele
Menschen eine hohe Bedeutung.

In vielen Zuschriften sind wir aufgefordert worden,
den demokratischen Mehrheitswillen der Bevölkerung
nicht zu missachten und das Recht des Kindes auf kör-
perliche Unversehrtheit über das Recht auf freie Reli-
gionsausübung zu stellen. In dieser Logik stecken zwei
Punkte, denen ich nicht zu folgen vermag:

Erster Punkt. Es geht diesmal nicht um demokratische
Mehrheitsentscheidungen; denn das Recht auf freie Reli-
gionsausübung schützt gerade auch Minderheiten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insbesondere ist das Grundrecht auf freie Religions-
ausübung kein Grundrecht zweiter Klasse; denn – damit
komme ich zum zweiten Punkt – unser Grundgesetz
kennt keine Rangfolge von Grundrechten. Die Grund-
rechtsdogmatik verlangt von uns, kollidierende Grund-
rechte in einen solchen Ausgleich zu bringen, dass jedes
Recht seine Wirkung behalten und entfalten kann.

Es geht bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
nicht darum, etwas bisher Verbotenes künftig zu erlau-
ben, sondern es geht darum, etwas Sozialadäquates und
in der Vergangenheit von unserer Rechtsordnung bisher
immer Akzeptiertes gesetzlich zu untermauern. Zugleich
behält der Regierungsentwurf das Kindeswohl im Auge,
weil – erstmals – ausdrücklich verlangt wird, dass der
Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu erfol-
gen hat – wozu eine Schmerzbehandlung, eine Aufklä-
rung und anderes gehören – und dass der Eingriff ab ei-
nem gewissen Alter nur noch von einem Arzt
vorgenommen werden darf. Derartiges gab es bislang
nicht. Damit gelingt es dem Regierungsentwurf, die kol-
lidierenden Grundrechte in einen bestmöglichen Aus-
gleich zu bringen.

In vielen der Zuschriften, die wir erhalten haben, ist
versucht worden, die Beschneidung zu ironisieren oder
sie rhetorisch ad absurdum zu führen, indem sie mit ein-
deutig nicht mehr sozialadäquaten Praktiken wie etwa
der Genitalverstümmelung von Mädchen in eins gesetzt
wurde. Es geht bei der Beschneidung aber nicht um ganz
und gar abstruse oder menschenverachtende Praktiken,
die einen Menschen erniedrigen oder bestrafen sollen
oder bei denen ihm ein Leid oder ein Schaden zugefügt
werden soll, sondern es geht um kulturelle und religiöse
Riten, mit denen Kinder Mitglieder einer anerkannten
Glaubensgemeinschaft werden. Das ist ein Unterschied.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
abschließend unmittelbar ein Wort an Menschen jüdi-
schen und moslemischen Glaubens in Deutschland rich-
ten: Viele von Ihnen haben auf die öffentliche Diskus-
sion in unserem Land mit Unverständnis und
nachvollziehbarer Empfindlichkeit reagiert. Ich kann
nachvollziehen, was Sie in dieser Diskussion bewegt ha-
ben muss. Einige von Ihnen haben an uns die Frage ge-
richtet: Will man uns überhaupt noch in Deutschland?
Ich möchte Ihnen stellvertretend antworten: Ja; Sie sind
in Deutschland nicht nur geduldet, Sie sind in Deutsch-
land erwünscht.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dafür ist der Regierungsentwurf ein Beleg, und er ist
eine gute Beratungsgrundlage. Ich freue mich auf die
Beratung dieses Entwurfes.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720812300

Marlene Rupprecht hat jetzt das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720812400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Sehr verehrte Gäste, die Sie heute von der Tribüne
aus hören, worüber wir debattieren! Ich kann Ihnen eines
versichern: Auch die, die den Alternativentwurf einge-
bracht haben, haben ihn mit großer Ernsthaftigkeit er-
stellt. Vorne auf dem Entwurf stehen die Namen derjeni-
gen aus drei Fraktionen, die seit Jahren für die Belange
von Kindern zuständig sind.

Wir haben es uns nicht leicht gemacht, sondern haben
abgewogen. Wir haben die Kinderrechte und das Kin-
deswohl in den Mittelpunkt gestellt;


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Das tun wir auch!)


denn jedes Kind hat ein Recht auf körperliche und seeli-
sche Unversehrtheit. Das war uns wichtig.

Darauf zu achten, dass Kinder ihre Rechte bekom-
men, ist die vornehme Pflicht und die große Verantwor-
tung der Eltern. Diese Verantwortung will ihnen niemand
hier in diesem Hause – das unterstelle ich gar nicht – neh-
men.

Es heißt dann weiter: „Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft.“ Das ist Art. 6 des Grundgeset-
zes. Sie wissen, dass ich das Grundgesetz immer bei mir
habe, weil ich nicht alle Artikel auswendig kenne. Die-
sen kenne ich aber; den habe ich mit der Muttermilch
aufgesogen. Das gilt genauso für die UN-Kinderrechts-
konvention.

Eltern haben das Recht, ihre Kinder zu erziehen, auch
religiös. Goethe sagte einmal: Eltern müssen ihren Kin-
dern Wurzeln und Flügel mitgeben, damit sie leben kön-
nen. – „Wurzeln mitgeben“ heißt, sie kulturell und reli-
giös oder auch nicht religiös zu verankern, jedenfalls mit
Werten auszustatten. Dieses Recht der Eltern endet aber
dann, wenn es mit dem Grundrecht des Kindes auf Un-
versehrtheit kollidiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720812500

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Lösekrug-Möller zulassen?


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720812600

Ja, gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720812700

Bitte schön.


Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1720812800

Vielen Dank. – Liebe Kollegin Rupprecht, ich weiß,

Sie sind Mitglied in der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarats, und hier ist mehrfach angesprochen
worden, dass wir uns zu Recht sehr sorgfältig auf eine
Gesetzgebung vorbereiten. Ich denke, dass Sie das
Thema Kinderschutz auch im Europarat vertreten.

Deshalb möchte ich einfach wissen – das ist wichtig
für unsere Beratung –, wie es in anderen europäischen
Staaten aussieht. Wird dort eine ähnliche Auseinander-
setzung geführt wie hier, und gibt es dort Lösungsvor-
schläge, die möglicherweise denen entsprechen, die wir
hier im Hause haben? Das könnte ja in der gemeinsamen
Beratung helfen.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720812900

Vielen Dank. – Ja, dort gibt es ähnliche Diskussionen.

Im April dieses Jahres bin ich von der Parlamentarischen
Versammlung des Europarats einstimmig als Generalbe-
richterstatterin für die Belange von Kindern eingesetzt
worden. Ich habe den Auftrag, auf die Kinderrechte hin-
zuweisen und darauf hinzuarbeiten, dass sie in den
47 Mitgliedstaaten gewahrt und umgesetzt werden.

Am Montag hatten wir eine Sitzung des Sozialaus-
schusses. Dort ging es um einen großen Bericht über
körperliche Unversehrtheit, für den ich als Berichterstat-
terin benannt wurde. Die Beschneidung ist dabei ein
Thema, aber es geht noch viel weiter. Dort geht es auch
um Intersexualität, Schönheitsoperationen und um die
Frage, was Eltern an ihren Kindern vornehmen lassen
dürfen.

Das ist europa- und weltweit ein Thema, und zwar
nicht erst seit dem Urteil in Deutschland. Dieses Urteil
hat das Thema vielleicht nur noch mehr an die Öffent-
lichkeit gespült. Viele Organisationen beschäftigen sich
schon seit Jahren damit – übrigens auch in Deutschland.
Die Kinderärzte haben schon vor Jahren Stellungnahmen
darüber verlangt, wie sie mit der Thematik umgehen sol-
len, und sie von Strafrechtlern und Verfassungsrechtlern
auch bekommen. Ich denke, das ist kein neues Thema.
Es kam nicht erst durch das Urteil auf, sondern wurde
dadurch nur mehr an die Oberfläche gespült.

Das vielleicht noch zur Ergänzung: Für uns im Parla-
ment ist das Thema neu. Es hätte uns gut angestanden,
uns viel Zeit zu lassen, um zu lernen und mit all den
Gruppen zu reden, die es betrifft,


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil Veränderungen wehtun. Sie sind schmerzhaft, und
man muss sich auf den Weg machen. Dazu braucht man
Zeit. Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier so souverän
sind, uns diese Zeit zuzugestehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Gesetzentwurf, den wir als Alternative vorle-
gen, stellt klar, dass die Einwilligungs- und Einsichtsfä-





Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)


higkeit des Kindes Voraussetzung für einen solch massi-
ven und vor allem irreversiblen Eingriff in den Körper
des Kindes ohne medizinische Notwendigkeit sein muss.
Da aber der Gesetzgeber nicht jedes Kind individuell da-
rauf prüfen kann, ab wann es einwilligungs- und ein-
sichtsfähig ist, generalisiert er und setzt Altersgrenzen
fest.

Die Altersgrenze von 14 Jahren spielt ja auch schon
bei der Religionsmündigkeit, der Teilgeschäftsfähigkeit
usw. eine Rolle. Wir gehen davon aus, dass man mit
14 Jahren schon sehr genau weiß, ob man in seinen
Körper eingreifen lassen will oder nicht. Deshalb haben
wir das Alter von 14 Jahren festgelegt.

Die Beschneidung des männlichen Kindes hat weit-
reichende Folgen. Deshalb darf der Eingriff nur nach
heutigem medizinischem Standard erfolgen. So ist unser
Gesetzentwurf ausgelegt. Das heißt, er darf nur von Me-
dizinern durchgeführt werden, die in der Kinderchirurgie
oder Urologie ausgebildet sind.

Wie kommen wir zu dieser Auffassung? Ich glaube,
hier unterscheiden wir uns gravierend. Die Regierung
geht in ihrem Entwurf davon aus, dass dies ein minima-
ler Eingriff in den Körper des Kindes ist und dass des-
halb die Eltern aufgrund ihrer elterlichen Sorge darüber
entscheiden dürfen. Wir sagen: Es ist ein sehr massiver
Eingriff. Auch er unterliegt der Sorge. Wir wollen dies
den Eltern nicht nehmen. Aber er ist so gravierend, dass
er weitreichende, in ein Erwachsenenleben hineinrei-
chende Folgen hat. Deshalb muss das Kind mit einbezo-
gen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben aus 30 Jahren medizinischer Entwicklung
Erfahrungen gesammelt. Denken Sie einmal zurück:
1987 hat man neugeborene Kinder ohne Narkose ope-
riert, weil man glaubte, sie hätten kein Schmerzempfin-
den. Das sind Erkenntnisse, die wir doch nicht ignorie-
ren dürfen, wenn wir hier Entscheidungen treffen. Wir
wissen heute, dass sich Schmerzen im Gehirn niederle-
gen, dass sie ein Leben lang dort verankert sind. Das
wollen wir nicht außer Acht lassen. Manches muss ein-
fach neu gelernt werden.

Im Rechtsbereich ist es ähnlich. Erinnern wir uns ein-
mal daran, dass im Jahr 2000 die gewaltfreie Erziehung
im BGB niedergelegt wurde. Hier im Haus ist der Unter-
gang des Abendlandes beschworen worden, als wir dies
durchsetzten.

1989 ist die UN-Kinderrechtskonvention verabschie-
det worden – wir haben sie ratifiziert, und 2010 sind
auch die Vorbehalte zurückgenommen worden –, in der
die Rechte der Kinder verankert sind.

1968 hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt
und eindeutig festgestellt: Kinder sind Grundrechtsträger
und damit Rechtssubjekte. Auch das dürfen wir doch
nicht ignorieren.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das tut auch niemand!)


Ich bedauere es wirklich, dass wir durch den Antrag
vom Sommer so massiv unter Zeitdruck geraten sind.
Wir haben uns bei der Verankerung der gewaltfreien Er-
ziehung im BGB Zeit gelassen, um mit den Menschen zu
reden und sie nicht zu kriminalisieren. Jerzy Montag, wir
beide sind in der Parlamentarischen Versammlung des
Europarats. Wir haben dort Kämpfe für Menschenrechte
gefochten, auch für Kinderrechte. Das, was gerade ge-
laufen ist, war nicht ganz fair. Wir wollen niemanden
kriminalisieren, weder Eltern noch Ärzte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aber das passiert doch!)


Wir wollen, dass Eltern die Entscheidung treffen kön-
nen. Aber wir wollen, dass sie aufgeklärt sind, bevor sie
ihr Kind beschneiden lassen, damit sie wissen, welche
Folgen dies für ihr Kind hat.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720813000

Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Montag

zulassen?


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720813100

Ja.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720813200

Bitte.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720813300

Liebe Marlene, ich danke dir dafür, dass du darauf

aufmerksam machst, dass wir beide in der Parlamentari-
schen Versammlung des Europarats sind und dass wir
dort Schulter an Schulter gegen so manche stehen, die
von Menschenrechten wenig verstehen und sie oft mit
Füßen treten.

Ich habe dir persönlich und auch allen anderen Kolle-
ginnen und Kollegen, die diesen Gesetzentwurf von
euch unterschrieben haben, nicht vorgeworfen, dass ihr
Leute kriminalisieren wollt, dass ihr die Eltern und die
Ärzte kriminalisieren wollt. Ich habe lediglich darauf
aufmerksam gemacht, dass das die logische Konsequenz
eures Gesetzes ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe an euch appelliert, dass ihr euch diese Konse-
quenz vor Augen haltet.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720813400

Ja.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720813500

Ihr formuliert kein Strafrecht.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720813600

Nein.






(A) (C)



(D)(B)



Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720813700

Ihr formuliert ausschließlich eine Tatsache. Ihr sagt:

Die Eltern dürfen zu einer solchen Beschneidung keine
Einwilligung erteilen. Das heißt aber – das ist die logi-
sche Folge; das kann gar nicht anders sein –: Wenn euer
Vorschlag Gesetz wird, begehen Eltern, die die Be-
schneidung durchführen lassen, obwohl ihr Kind noch
nicht 14 Jahre alt ist, eine Straftat und sehen sich der
Strafverfolgung ausgesetzt, im Übrigen auch einer Nach-
schau durch das Jugendamt im präventiven Bereich.

Ich habe lediglich – dazu stehe ich – auf die Konse-
quenzen und Folgen eures Vorschlags aufmerksam ge-
macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720813800

Frau Rupprecht, die Antwort auf diese Zwischenfrage

wäre mit dem Ende Ihrer Redezeit verbunden.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720813900

Ja. – Wir wollen nicht, dass Eltern vor den Kadi ge-

stellt werden. Wir alle wären bereit gewesen, ein zwei-
jähriges Moratorium mitzutragen, in dem wir Straffrei-
heit zusichern. Dann wären alle, die unterschrieben
haben, dabei gewesen.

Wir werden aber jetzt gezwungen, uns zu entschei-
den. Da haben wir abgewogen zwischen dem Leid der
Eltern, zwischen Tradition und Religion, die sie vertre-
ten, und dem Recht und dem Leid des Kindes, beschnit-
ten zu werden. Es ist nun einmal ein körperliches Leid,
wenn ich die Erkenntnisse der modernen Medizin, Psy-
chologie und Hirnforschung ernst nehme.

Deshalb kann ich da nicht mitmachen. Wir leben im
Jahrhundert des Kindes. Deshalb brauchen wir die Auf-
nahme von Kinderrechten in die Verfassung, wo eindeu-
tig ablesbar ist, dass Kinder gleichrangig auch mit all
den Menschen sind, die nicht nur 5 Pfund, sondern
50 Pfund oder 100 Pfund wiegen. Es kommt nicht aufs
Körpergewicht oder Alter an. Auch ein kleines Kind ist
ein Mensch mit gleichen Rechten – von Geburt an. Für
dieses Recht kämpfen wir, die wir hier unterzeichnet
haben.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814000

Die Bundesministerin Kristina Schröder hat das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die religiöse Beschneidung von Jungen im Judentum
und im Islam musste sich nach dem Urteil des Landge-

richts Köln in Deutschland erstmals einem breiten
öffentlichen Diskurs stellen. Eine weit zurückreichende,
historische, kulturelle und religiöse Tradition, die bisher
ganz selbstverständlich praktiziert wurde, musste sich
die Frage gefallen lassen, ob sie im Widerspruch zu ei-
nem fundamentalen Grundrecht steht: dem Recht des
Kindes auf körperliche Unversehrtheit.

Umgekehrt musste sich unsere säkulare Gesellschaft
die Frage gläubiger Eltern gefallen lassen, welche
Bedeutung die ebenfalls grundgesetzlich verbriefte
Religionsfreiheit und das Elternrecht haben, wenn die
Ausübung eines Jahrtausende alten religiösen Brauchs
unter Strafe gestellt wird.

Nicht zuletzt steht die Frage im Raum, ob wir es wirk-
lich verantworten wollen, dass gläubige Menschen uns
sagen, dass ohne das Recht auf Beschneidung für sie jü-
disches und muslimisches Leben in Deutschland nicht
mehr möglich ist.

Diesen Konflikt zwischen unterschiedlichen Grund-
rechten können und wollen wir zum einen juristisch
klären, indem wir – das ist der Auftrag heute – einen
staatlichen Rahmen schaffen, in dem Beschneidungen
von Jungen möglich sind. Damit können wir Rechtsfrie-
den schaffen. Diesem Auftrag kommen Bundesregierung
und Parlament mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
nach, und zwar, wie ich denke, in guter und ausgewoge-
ner Weise.

Das ist aber nur ein Teil der Aufgabe, vor der wir ste-
hen. Der andere Teil ist die gesellschaftspolitische
Debatte, eine Debatte, die über die Frage der Beschnei-
dung weit hinausweist. Es geht um eine Verhältnisbe-
stimmung, um das Verhältnis zwischen den Rechten des
Kindes und dem Recht der Eltern und ebenso zwischen
Religionsfreiheit und anderen grundgesetzlich garantier-
ten Rechten.

Mir persönlich – das gebe ich offen zu – ist diese
schwierige Abwägung nicht leicht gefallen. Als Kinder-
und Jugendministerin, aber auch als Mutter eines kleinen
Kindes, tue ich mich schwer damit, zu akzeptieren, dass
männliche Säuglinge oder kleine Jungen als Zeichen der
Zugehörigkeit zu einer Religion einen keinesfalls harm-
losen Eingriff über sich ergehen lassen müssen. Umge-
kehrt möchte ich natürlich wie wir alle, dass Juden und
Muslime in Deutschland weiterhin ihren Glauben leben
können.

Deshalb finde ich es wichtig, dass wir heute auch für
gegenseitiges Verständnis in dieser manchmal sehr emo-
tional geführten Debatte über religiöse Beschneidung
werben. Niemand sollte den Befürwortern religiöser
Beschneidung unterstellen, das Kindeswohl gering zu
schätzen. Umgekehrt sollte niemand das Argument des
Kindeswohls abtun als Ausdruck eines religionsfeindli-
chen Zeitgeistes. Vor allem sollten wir nicht zulassen,
dass diese Debatte genutzt wird, um antisemitische und
islamfeindliche Ressentiments zu pflegen.

Wenn Sie die Debatte hierüber im Internet verfolgt
haben – Sie alle haben sicherlich auch Briefe bekom-
men –, dann ist für Sie offenkundig: Es gab in dieser
Debatte glasklaren Antisemitismus, und es gab antimus-





Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) (C)



(D)(B)


limische Ressentiments. – Das ist beschämend. Deshalb
bin ich sehr froh, dass wir hier in diesem Haus die
Debatte anders geführt haben und anders führen und
dass wir uns vollkommen einig sind: Juden und Muslime
gehören zu unserem Land. Sie sind Teil unserer Gesell-
schaft. Wer glaubt, diese Debatte nutzen zu können, um
gegen Juden und Muslime zu hetzen, stellt sich damit
selbst ins Abseits und wird auf Widerspruch und Wider-
stand der breiten Mehrheit in unserer Gesellschaft
stoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig ist mir aber auch: Diejenigen, die wirklich
gewichtige Argumente gegen das Recht auf Beschnei-
dung anführen und deren Argumentation nichts, aber
auch gar nichts mit Antisemitismus oder mit antimusli-
mischen Ressentiments zu tun hat, müssen gegen
Vorwürfe in Schutz genommen werden. Hinterfragen,
Kritik und Diskussion sind demokratische Errungen-
schaften, und auch religiöse Traditionen dürfen kritisch
hinterfragt werden.

Es gibt auch viele Juden und Muslime, die die
Beschneidung selbst kritisch hinterfragen. Stephan
Kramer zum Beispiel, Generalsekretär des Zentralrates
der Juden in Deutschland, hat dazu kürzlich in einem In-
terview sehr differenziert Stellung bezogen. Er sagte, an
die jüdische Gemeinde gerichtet:

Wir müssen begründen, wie wir rechtfertigen, dass
die körperliche Züchtigung eines Kindes – zu
Recht – verboten ist, aber ihm ein Stück von der
Vorhaut abzuschneiden soll in Ordnung sein.

Auch innerhalb der Religionsgemeinschaften gibt es
also ein Bewusstsein dafür, dass Religion offen sein
muss für Verständigung und für Veränderung.

Verständigung setzt Verständnis voraus. Verständnis
haben sollten wir dafür, dass viele jüdische und muslimi-
sche Gläubige das Urteil des Landgerichts Köln als exis-
tenzielle Bedrohung empfinden. Ich bin dankbar für die
Gespräche, die ich unter anderem mit dem Generalsekre-
tär des Zentralrats der Juden oder auch mit dem Oberra-
biner Israels darüber geführt habe. Es war für mich
wichtig, nachvollziehen zu können, warum Beschnei-
dung religiös konstitutiv ist und warum erst die Be-
schneidung Zugehörigkeit verwirklicht. Denn wir sind
doch verpflichtet, die Bedeutung und damit das Motiv
religiöser Beschneidungen zu verstehen, um uns ein
sachgerechtes Urteil bilden zu können.

Für Juden besiegelt die rituelle Beschneidung am ach-
ten Tag nach der Geburt körperlich sichtbar den Bund
mit Gott. Es ist die traditionelle Form, jüdisch zu wer-
den. Deshalb betrachten die meisten Juden es als eine
moralische Verpflichtung, ihre Söhne beschneiden zu
lassen. Es gehört zu ihrer Vorstellung von einem guten
Leben. Für sie verwirklicht sich gerade darin auch das
Kindeswohl. Das verdient, auch wenn man anderer
Auffassung ist, zumindest Respekt in der Auseinander-
setzung.

Unsere Aufgabe, meine Damen und Herren, ist des-
wegen nicht mehr und nicht weniger, als uns zu verstän-
digen und damit in diesem Konflikt eine Kluft zu über-
brücken, die nicht verschwinden wird.

Es gehört zu den Merkmalen einer pluralistischen Ge-
sellschaft, dass es weltanschauliche Unterschiede gibt,
die sich nicht auflösen lassen. Dazu gehört zweifellos
die Frage, ob die religiöse Beschneidung des männlichen
Kindes notwendig ist oder nicht. Das ist eine Frage, die
wir nicht politisch entscheiden können, sondern die die
Religionsgemeinschaften für sich klären müssen.

Unsere politische Aufgabe besteht darin, uns darüber
zu verständigen, unter welchen Rahmenbedingungen
eine säkulare Gesellschaft Beschneidungen dulden kann.
Das leistet der vorliegende Gesetzentwurf. Er trägt zur
Verständigung bei. Er sagt zum einen klar Ja zu jüdi-
schem und muslimischem Leben in Deutschland. Er sagt
zum anderen aber auch: Zum Wohle des Kindes müssen
bei einer religiösen Beschneidung bestimmte Bedingun-
gen erfüllt sein; sie wurden eben bereits vorgetragen.

Ich halte den Gesetzentwurf der Bundesregierung für
ausgewogen und angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814100

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Christine Buchholz.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720814200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

spreche hier für den Teil meiner Fraktion, der im Grund-
satz den Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützt.
Ich sage „im Grundsatz“, weil ich vor dem Kölner Urteil
nicht der Meinung war, dass ein Gesetz zur Regelung der
religiös motivierten Beschneidung in Deutschland nötig
ist. Aber das Kölner Urteil war ein Schock für die über-
große Mehrheit der Juden und Muslime in Deutschland.
Es hat eine Situation geschaffen, in der ein Ritus, der für
die Mehrheit der Juden und Muslime zentrale Bedeutung
hat, kriminalisiert wird und bereits beschnittene Jungen
und Männer als andersartig und nicht zur Gesellschaft
dazugehörig stigmatisiert werden.

Ich glaube, vor zehn Jahren wäre ein solches Urteil
nicht möglich gewesen. Ich kann es mir nicht anders er-
klären: Es steht im Zusammenhang mit steigendem
antimuslimischen Rassismus und einer in diesem Land
immer noch weitverbreiteten antisemitischen Haltung.
Vor wenigen Wochen haben wir hier den Antisemitis-
musbericht diskutiert. Daher war es absolut richtig, dass
die Regierung die Initiative ergriffen hat, eine Lösung zu
suchen, die den Kindern und Eltern hilft, die niemanden
an den Pranger stellt und keine weiteren Ressentiments
schürt.

In der teilweise sehr emotional geführten öffentlichen
Debatte wird die Beschneidung mit der Verstümmelung
weiblicher Genitalien gleichgesetzt oder in einem Atem-





Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)


zug mit Körperverletzung, Gewalt und Misshandlung
genannt. Damit wird Vorurteilen Vorschub geleistet. Das
ist nicht die Intention vieler Befürworter der Einschrän-
kung des Rechts auf Beschneidung, aber es ist leider die
Wirkung. Damit müssen sie sich auseinandersetzen.

Ich halte es auch für in der Sache nicht gerechtfertigt;
denn auch medizinische Fachmeinungen haben immer
einen Bezug zu der Gesellschaft, in der sie entstehen,
und sind keine universellen Urteile. Im Gesetzentwurf
der familienpolitischen Sprecherinnen der Oppositions-
fraktionen selbst wird auf die „weltweit unterschiedli-
chen Fachmeinungen und -empfehlungen“ in Bezug auf
die Beschneidung hingewiesen. Sie könne, so ist zu le-
sen, durchaus „Ausdruck von im Interesse des Kindes
gelebter Elternverantwortung“ sein. Es heißt: Aus der
Sicht von deutschen Ärzten ist eine medizinisch nicht
notwendige Beschneidung nicht ratsam.

Meine Damen und Herren, ich halte es für unzulässig,
den Juden und Muslimen in Deutschland die christlich
geprägte Sichtweise eines Teils der medizinischen Zunft
zum Maßstab zu machen. Das ist nicht mein Verständnis
einer lebendigen, toleranten, multikulturellen und multi-
religiösen Gesellschaft.

Es wurde hier von der Kinderrechtskonvention ge-
sprochen. Ich möchte auf den Art. 14 hinweisen, der die
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit beinhaltet
und in dem ganz klar formuliert ist, dass Gedanken-, Ge-
wissens- und Religionsfreiheit auch Teil dieser Konven-
tion sind und dass das Kind bei der Ausübung dieses
Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden
Weise zu leiten ist. Daher denke ich, dass die Beschnei-
dung nicht im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention
steht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Manche setzen das Bekenntnis zur Religionsfreiheit
mit Freiheit von Religiosität gleich. Ich als Nichtjuristin
möchte den Blick auf die Rolle zweier Juristen richten,
die gewissermaßen Stichwortgeber des Kölner Urteils
sind, auf den Strafrechtler Holm Putzke, der zufrieden
erklärt, mit dem Kölner Urteil sei nun mittel- und lang-
fristig das Ende der religiösen Beschneidung eingeleitet,
und auf seinen Doktorvater, Rolf Dietrich Herzberg, der
erklärt, schließlich habe man ja auch die Praxis der Kast-
ration im Morgen- wie im Abendland überwunden.

Wer die theologische Bedeutung der Beschneidung,
die im Judentum das Schließen des Bundes mit Gott ist,
mit der historischen Praxis der Kastration gleichsetzt, ist
nicht nur ignorant gegenüber den Gläubigen; er haut in
die Kerbe des alten christlichen antijüdischen Klischees,
das in dem geistigen Bund mit Gott eine Erhebung über
die angeblich barbarische Praxis des Judentums sieht.
Das dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Änderung der Religionspraxis muss von innen,
aus den Religionsgemeinschaften selbst, kommen. Es ist
doch auffällig, dass es zwar viele Berichte von Einzel-
nen gibt, die ihre Beschneidung als traumatisch erlebt
haben – und keiner in diesem Raum spricht ihnen diese
Erfahrung ab –, aber es gibt keine innerjüdische oder
innermuslimische Initiative von Betroffenen gegen die
Beschneidung.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das ist falsch!)


Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Ich möchte in diesem Sinne mit den Worten des
Schriftstellers Navid Kermani schließen:

Darum müssen Minderheiten in dem Augenblick
nervös werden, in dem sie vom Recht nicht mehr
gegen die Urteile und Vorurteile der Mehrheit
geschützt werden. Das ist jetzt Deutschlands
Minarettverbot – allerdings mit viel weitreichende-
ren praktischen und symbolischen Folgen, falls das
Urteil Bestand haben sollte.

Deswegen unterstützen ich und einige meiner Kolle-
ginnen und Kollegen aus meiner Fraktion den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814300

Katja Dörner hat das Wort für Bündnis 90/Die Grü-

nen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Das Thema „Beschneidung von Jun-
gen“ kann man nur sehr sensibel diskutieren. Bis zu dem
vorangegangenen Beitrag wollte ich mich eigentlich da-
für bedanken, dass wir heute eine so sensible, respekt-
volle Diskussion führen. An die Adresse aller anderen
Rednerinnen und Redner möchte ich diesen Dank auch
weiterhin richten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Bundestag hat
die Bundesregierung im Juli beauftragt, einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, wonach „unter Berücksichtigung der
grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindes-
wohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religions-
freiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung“ die Be-
schneidung von Jungen grundsätzlich zulässig sein soll.
Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf aus unserer
Sicht nicht gerecht. Er wird dem Anspruch nicht gerecht,
weil die Rechte des Jungen, sein Recht auf körperliche
Unversehrtheit, unzureichend berücksichtigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Das ist der Grund, weshalb ich gemeinsam mit rund
65 Kolleginnen und Kollegen von Grünen, SPD und





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


Linken einen alternativen Gesetzentwurf zur Beratung
eingebracht habe. Wir sind der Ansicht, dass die körper-
liche Unversehrtheit des Kindes, hier die körperliche
Unversehrtheit des Jungen, nicht zur Disposition gestellt
werden darf – nicht aus religiösen Gründen und auch
nicht aus anderen Erwägungen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, eine Beschnei-
dung ist keine Bagatelle. Sie ist schmerzhaft, gerade
auch im Heilungsprozess, und sie ist risikobehaftet. Hie-
rauf weisen insbesondere die deutschen Kinder- und Ju-
gendärzte eindringlich hin. Deren Dachverband unter-
stützt unseren Gesetzentwurf auch ausdrücklich.

Jenseits der Frage der Komplikationen führt die Be-
schneidung zur Entfernung eines Körperteils, das durch-
aus wichtige Funktionen hat. Sie kann negative Folgen
für die Psyche und auch die Sexualität haben, und sie ist
– das versteht sich von selbst – nicht rückgängig zu ma-
chen. Das ist, wie ich finde, in diesem Zusammenhang
ein ausgesprochen relevanter Punkt. Ein solcher Eingriff
darf nicht ohne die Zustimmung des Jungen selbst erfol-
gen. Der Junge muss das Recht haben, über einen sol-
chen nicht rückgängig zu machenden Eingriff in seinen
Körper selbst zu entscheiden. Unser Gesetzentwurf for-
dert deshalb ein, dass eine Beschneidung nur durchge-
führt werden kann, wenn auch der mindestens 14-jährige
Junge diesem Eingriff zustimmt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist richtig: Da-
mit greifen wir in Elternrechte ein. Das macht der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung übrigens auch, indem
er für die Zulässigkeit bestimmte Bedingungen formu-
liert. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass er auch
diejenigen, die eine Beschneidung durchführen, unter
Strafe stellt, wenn sie sich nicht an diese Bedingungen
halten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist überall so!)


Wir haben uns in Deutschland nach vielen Jahren Dis-
kussion entschieden, das Recht auf gewaltfreie Erzie-
hung gesetzlich zu verankern. In Deutschland ist nicht
einmal eine kleine Backpfeife erlaubt, und es ist auch
absolut richtig so, dass das so ist. Jetzt soll die Einwilli-
gung der Eltern in eine medizinisch nicht notwendige, ri-
sikobehaftete Operation, die zudem unwiderbringlich ei-
nen Körperteil entfernt, in Ordnung sein. Ich finde, das
steht einfach in keinem Verhältnis zueinander.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Ich will noch einen anderen Aspekt ansprechen, der
auch schon thematisiert worden ist und den viele in die-

ser Debatte nicht so gerne hören. Selbstverständlich ist
die Beschneidung von Jungen nicht mit der barbarischen
weiblichen Genitalverstümmelung zu vergleichen, die
uns in den Kopf kommt, wenn wir an Genitalverstüm-
melung denken.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814500

Frau Dörner, möchten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Beck zulassen?


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814600

Selbstverständlich.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Liebe Kollegin, ich möchte eine Frage stellen, von
der ich weiß, dass sie eher vermieden wird und dass man
sich, wenn man sie stellt, auf einem sehr schmalen Grat
bewegt. Sie ist wohl deshalb bisher nicht auf die Tages-
ordnung gesetzt worden, weil sie an sehr schwierige De-
batten erinnert, die wir hier geführt haben, bevor es zu
einem gesellschaftlichen Kompromiss kam. Ich meine
die Erlaubnis bzw. das Verbot bei gleichzeitiger Nicht-
strafverfolgung der Abtreibung. Ich habe an den Debat-
ten Ihrer Gruppe nicht teilgenommen, möchte Sie aber
bitten, mir zu erklären, ob Sie diese Überlegungen mit
einbezogen und eine entsprechende Abwägung vorge-
nommen haben. Es geht ja immer um die Abwägung von
Rechtsgütern. Bei der Straffreistellung der Abtreibung
haben wir die Abwägung der Rechtsgüter damals so vor-
genommen, dass es erlaubt ist, wenn sich Frauen in ent-
sprechenden Zwiespaltsituationen befinden, dass zu-
gunsten der Frau und zugleich gegen das Leben des
heranwachsenden Embryos entschieden wird.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814700

Wir haben bei der Vorbereitung des Gruppenantrages

sehr wohl auch diese Variante diskutiert. Ich wünsche
mir, dass sie beispielsweise bei den Beratungen im
Rechtsausschuss und in der Anhörung eine Rolle spielt.
Wir sind aber bei der Abwägung zwischen Unversehrt-
heit des Körpers des Kindes versus Elternrecht bzw. Re-
ligionsfreiheit zu dem Ergebnis gekommen, den Gesetz-
entwurf so vorzulegen, wie wir ihn hier eingebracht
haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Ich komme noch einmal zu dem Thema zurück, das
ich gerade angesprochen habe, nämlich zur Frage der
weiblichen Genitalverstümmelung. Namhafte Verfas-
sungsrechtler, einige NGOs und eben auch Terre des
Femmes als eine in diesem Punkt besonders prominente
NGO weisen auf Parallelen zu bestimmten Formen der
weiblichen Genitalverstümmelung hin. Ich mache mir
einfach Sorgen hinsichtlich dieser Fragestellung. Des-
halb ist an dieser Stelle aus meiner Sicht eine klare Re-
gelung angesagt, damit wir keine Türen aufmachen, die
niemand von uns öffnen möchte.





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es uns
mit der Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter
nicht leicht gemacht. Selbstverständlich nehme ich die
Haltung der jüdischen Gemeinden und der Vertreter und
Vertreterinnen der Muslime sehr ernst. Ich habe insge-
samt große Bauchschmerzen. Ich hätte mir gewünscht,
dass der Deutsche Bundestag an dieser Stelle keine Ent-
scheidung fällen muss. Aber Fakt ist, wir müssen uns
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung verhalten. Hier
ist für mich klar, dass das Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht der Jungen
vor Tradition und Religion gehen müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720814800

Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1720814900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Beschneidung hat eine in die Jahrtausende
zurückgehende Tradition in der Menschheit. Die Weltge-
sundheitsorganisation schätzt, wie Herr Krings schon ge-
sagt hat, dass weltweit 30 Prozent der Männer beschnit-
ten sind, und sie empfiehlt die Beschneidung im Kampf
gegen HIV.

Diskussionen über Beschneidung haben in unserem
Land keine Rolle gespielt. Sie war eigentlich unbestrit-
ten bis zum Urteil von Köln. Durch dieses Urteil von
Köln ist tatsächlich eine Unsicherheit entstanden. Des-
wegen muss durch ein Gesetz diese Unsicherheit besei-
tigt werden. Die Bundesregierung hat ein Gesetz vorge-
legt, das von der Begründung her kaum besser gemacht
werden kann. Ich habe noch nie einen Gesetzentwurf ge-
sehen, der auf die verschiedenen Argumentationen so
intensiv und so begründet eingegangen ist wie der vor-
liegende Gesetzentwurf. Dafür ist, denke ich, ein Danke-
schön angebracht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gesetz-
entwurf beschränkt sich die Bundesregierung allein auf
das Sorgerecht und schaut nicht auf die hinter einer Be-
schneidung stehende Motivation. Für mich ist allein die
Frage entscheidend: Ist die Beschneidung erfasst vom
Sorgerecht oder widerspricht sie dem Sorgerecht? Ein
richtig verstandenes Sorgerecht, verehrte Frau Rupprecht,
bindet natürlich die Rechte des Kindes mit ein. Eine
richtig verstandene Wahrnehmung des Sorgerechts
nimmt immer Rücksicht auf das Wohl des Kindes. An-

sonsten würde eine solche Maßnahme, die das Wohl des
Kindes nicht berücksichtigt, dem Kindessorgerecht ent-
schieden widersprechen, das aus der Verfassung kommt
und im BGB festgelegt ist.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Abs. 2! Gewaltfreie Erziehung!)


Ich glaube aber nicht, dass die Kinderrechte nicht be-
rücksichtigt werden, wenn wir die Beschneidung zulas-
sen, wie Sie es sagen, Frau Rupprecht. Sicherlich liegt
eine Zeit hinter uns, in der die Rechte der Kinder nicht
so gewahrt worden sind, wie das heute der Fall ist. Aus
dem römischen Recht wissen wir, dass das Kind der Ge-
walt des Vaters unterworfen war. Außerdem stand der
Begriff der elterlichen Gewalt bis in unsere Zeit hinein
im Gesetzbuch. Es ist also schon ein Kampf notwendig
gewesen, an dem auch Sie mitgewirkt haben, liebe Frau
Rupprecht, bis die Rechte der Kinder anerkannt worden
sind. Inzwischen sind sie aber anerkannt. Wir wissen
auch, dass sich diese Rechte auf unser Grundgesetz
gründen können.

Deswegen glaube ich nicht, dass insoweit noch eine
Diskussion erforderlich ist. Die Frage ist nur, ob diese
Rechte verletzt werden, wenn sich die Eltern dazu ent-
scheiden, das Kind beschneiden zu lassen. Da gehen die
Meinungen auseinander.

Sie sagen, diese Rechte würden allein schon deshalb
verletzt, weil dem Kind Gewalt angetan werde. Das ist
aber so nicht zu sehen. Sie beziehen sich dabei auf
§ 1631 Abs. 2 BGB, in dem es heißt, dass eine Bestra-
fung des Kindes nicht mit gewaltsamen Mitteln durchge-
führt werden darf. Dies ist aber nicht so bei der Be-
schneidung. Die Beschneidung ist keine Bestrafung und
hat deshalb mit dieser Vorstellung, die Sie erwähnt ha-
ben und die auch Frau Dörner erwähnt hat, nichts zu tun.
Bei der Beschneidung geht es um etwas ganz anderes.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720815000

Herr Geis, möchten Sie die Zwischenfrage von Frau

Rupprecht zulassen?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1720815100

Bitte sehr.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720815200

Bitte.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720815300

Herr Kollege Geis, ich möchte Sie darauf aufmerk-

sam machen, dass ich nicht von einer Bestrafung gespro-
chen habe. Vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass
in § 1631 Abs. 2 BGB das Recht auf gewaltfreie Erzie-
hung verankert ist. Damit ist zum Beispiel das Eltern-
recht beschnitten. Wir können mit den Kindern also
nicht alles machen. Ich habe keineswegs Beschneidung
als Bestrafung gewertet. Das möchte ich ganz weit von
mir weisen. Das habe ich niemals in den Mund genom-
men. Die Beschneidung sehe ich nicht als Gewaltanwen-
dung an.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)


Der einzige Unterschied besteht darin – das möchte
ich hier feststellen –, dass wir von einem massiven kör-
perlichen Eingriff ausgehen. Medizinisch kann ich be-
gründen, warum massiv eingegriffen wird. Sie gehen da-
von aus, dass der Eingriff harmlos ist und daher im
Rahmen der elterlichen Sorge durchgeführt werden
kann. Wir stimmen dem zu, dass das in den Bereich der
elterlichen Sorge fällt. Ein solcher Eingriff ist aber so
massiv, dass man den Willen des Kindes sowie die Ein-
sichtsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit des Kindes
beachten muss.

Das habe ich hier zum Ausdruck gebracht. Darauf
lege ich sehr großen Wert. Es kommt ganz leicht ein fal-
scher Zungenschlag hinein, was ich Ihnen nicht unter-
stelle. Ich möchte aber, dass das klargestellt ist.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1720815400

Ich akzeptiere das. Mit dem, was Sie sagen, bringen

Sie aber indirekt zum Ausdruck, dass die Beschneidung
ein gegen das Kind gerichteter Akt der Gewalt ist. Wenn
Sie das so sehen, dann – –


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Nein! Das habe ich nicht gesagt!)


– Sie haben gesagt, dass sei keine Bestrafung, aber ein
Akt der Gewalt. Sonst hätten Sie § 1631 Abs. 2 BGB gar
nicht heranziehen können. Lassen wir das aber einmal
auf sich beruhen. Ich akzeptiere jedenfalls Ihre Erklä-
rung. Wir können das auf sich beruhen lassen.

Liebe Frau Rupprecht, Sie sagten eben noch einmal,
es handele sich um einen schwerwiegenden Eingriff.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Ja!)


Dem widerspricht der Entwurf ganz entschieden. Der
Entwurf sagt, dass es sich nicht um einen schwerwiegen-
den Eingriff handelt. Wir wissen, dass dies in anderen
Ländern genauso gesehen wird. Auch viele Mediziner
werten dies nicht als einen schwerwiegenden Eingriff.

Wenn es ein schwerwiegender Eingriff wäre, was ich
verneine, muss man sich aber doch die Frage stellen:
Entspricht dieser Eingriff dem Wohl des Kindes? Das ist
die ganz entscheidende Frage. Die ganz entscheidende
Frage ist, ob das Wohl des Kindes gewahrt ist, wenn sich
die Eltern für die Beschneidung entscheiden. Ich glaube,
das ist der Fall. Hier kommt man allerdings nicht allein
mit dem Sorgerecht aus, sondern muss auch nach dem
Motiv der Beschneidung fragen. Deswegen wird ja im-
mer in diese Debatte wieder eingebracht, dass entschei-
dend ist, aus welchen Motiven heraus die Beschneidung
geschieht.

Im jüdischen Glauben und auch im muslimischen
Glauben geschieht sie aus dem Motiv heraus, dass ge-
rade dadurch das Wohl des Kindes gewahrt bleibt, wenn
es in die Religionsgemeinschaft aufgenommen wird.
Das ist zumindest im jüdischen Glauben der Fall. Wir
wissen aus der Thora und aus dem Buch Genesis, dass es
über Abraham einen Bund gibt zwischen Gott und den
Menschen. Und da sagt eben Gott: Damit dieser Bund
nach außen hin klar sichtbar ist, sollen die Kinder be-
schnitten werden. Das ist so im Buch Genesis zu finden.

Deswegen – das sagt auch der Zentralrat der Juden – ist
die Beschneidung konstitutiv für den jüdischen Glauben.
Wenn dem jedoch so ist, dann muss man den Eltern das
Recht einräumen, eine solche Beschneidung vornehmen
zu lassen, und zwar im Interesse des Kindes. Die Eltern
wollen ja das Wohl des Kindes. Für sie besteht das Wohl
des Kindes eben darin, dass es im richtigen Glauben er-
zogen wird und diesen Glauben auch lebt.

Ähnliches gilt für die Muslime. Auch die Muslime
wollen durch die Beschneidung sicherstellen und dafür
Sorge tragen, dass ihre Kinder im muslimischen Glau-
ben erzogen werden.

Die Beschneidung geschieht nach der Vorstellung be-
sagter Eltern ganz und gar zum Wohle des Kindes. Das,
glaube ich, berücksichtigen Sie zu wenig. Bei den Eltern
herrscht ganz klar der Gedanke vor: Ich handele zum
Wohl des Kindes, wenn ich es aus religiösen Gründen
beschneiden lasse. Diese Denkweise ist den Menschen
in einem säkularisierten Staat fremd und tut ihnen weh.

Zu den Prinzipien eines säkularisierten Staates gehört
es aber vor allen Dingen auch, die Religionsfreiheit zu
achten. Die Religionsfreiheit ist wie alle anderen Frei-
heitsrechte konstitutiv für unser Staatsverständnis. Des-
wegen ist es auch richtig, dass die Religionsfreiheit hier
eine wichtige Rolle spielt; Herr Thomae hat das vorhin
sehr schön dargelegt. Art. 6 Grundgesetz regelt das
Recht der Eltern auf Sorge für die Kinder sowie die ih-
nen obliegende Pflicht. In diesen Diskussionszusam-
menhang gehört aber auch Art. 4 Grundgesetz, das
Recht auf Religionsfreiheit. Eine Abwägung dieser
Rechte – Recht auf Religionsfreiheit sowie Recht der El-
tern auf Sorge für ihre Kinder – führt dazu, dass wir sa-
gen können: Es entspricht unserer Rechtsordnung, wenn
wir zulassen, dass Kinder beschnitten werden.

Es ist natürlich wichtig, dass die Kinder in einer
Weise beschnitten werden, die wir de lege artis nennen.
Der Eingriff sollte von Medizinern vorgenommen wer-
den. Gemäß § 1631 d Abs. 2 des Gesetzentwurfs dürfen
auch Personen Beschneidungen durchführen – soge-
nannte Beschneider –, wenn sie dafür besonders ausge-
bildet sind. Auch diese Personen müssen aber nach den
Regeln der ärztlichen Kunst handeln. Diese Bedingung,
liebe Frau Dörner, ist nicht so auszulegen, dass wir eine
Beschneidung gar nicht zulassen dürften. Es handelt sich
nur um eine Bedingung, wie die Beschneidung durchzu-
führen ist. Eine solche Bedingung darf man durchaus
stellen. Wir müssen sie auch stellen, in diesem Fall im
Interesse des Wohles des Kindes.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal sagen:
Das „Wohl des Kindes“ kann sich nicht allein auf den
Aspekt der körperlichen Unversehrtheit beziehen, son-
dern darunter ist auch die Erziehung des Kindes zu ver-
stehen und seine religiöse Ausrichtung. Auch das gehört
zum Wohl des Kindes.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Bestreitet niemand!)


Wir dürfen beides nicht trennen, sonst würden wir der
Sache nicht gerecht werden.





Norbert Geis


(A) (C)



(D)(B)


Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720815500

Für die SPD-Fraktion hat Wolfgang Thierse das Wort.


(Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720815600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben es in unserer Debatte – das ist jetzt schon oft
gesagt worden – über das Erlaubtbleiben der Beschnei-
dung mit einer Güterabwägung zwischen verschiedenen
Grund- und Menschenrechten zu tun: dem Recht des
Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit,
dem elterlichen Sorgerecht und der Religionsfreiheit.

Letztere ist als Gedanken-, Gewissens- und Welt-
anschauungsfreiheit ein umfassendes Menschenrecht
und in einer pluralistischen Gesellschaft besonders an-
strengend; wir erleben es gerade. Deswegen will ich
mich diesem Aspekt in aller notwendigen Kürze wid-
men.

Jürgen Habermas hat in einer kritischen Kommentie-
rung des Kölner Urteils betont:

In der Rolle von demokratischen „Mitgesetzge-
bern“ gewähren sich alle Staatsbürger gegenseitig
den grundrechtlichen Schutz, unter dem sie als Ge-
sellschaftsbürger ihre kulturelle und weltanschauli-
che Identität wahren und öffentlich zum Ausdruck
bringen können … Das universalistische Anliegen
der … Aufklärung erfüllt sich erst in der fairen An-
erkennung der partikularistischen Selbstbehaup-
tungsansprüche religiöser und kultureller Minder-
heiten.

Darum geht es beim heutigen Thema.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Gemeinschaft kann nicht funktionieren ohne den
Respekt vor den Unterschieden. Dieser Respekt ist auch
vom Staat zu verlangen. Wollen wir uns daran gewöh-
nen, dass der Staat darüber entscheidet, was zum Kern
der Identität einer Religionsgemeinschaft gehört, gehö-
ren darf, und was nicht, ein veralteter Ritus zum Beispiel
nicht? Nein, das zu entscheiden, ist Sache der inneren
Auseinandersetzung in der Religionsgemeinschaft selbst
und in der Zivilgesellschaft. Der weltanschaulich neu-
trale Staat darf die Änderung traditionaler Einstellungen
jedenfalls nicht strafrechtlich erzwingen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Schließlich ist der Staat des Grundgesetzes kein Staat ei-
ner säkularistischen Weltanschauung.

Den lebensgeschichtlich prägenden Einfluss auf die
religiöse, die weltanschauliche Entwicklung des Kindes
weist unser Grundgesetz ausschließlich den Eltern zu.

Das nicht zu berücksichtigen, widerspräche auch und ge-
rade der UN-Kinderrechtskonvention, liebe Marlene
Rupprecht. Dort ist nämlich vom untrennbaren Zusam-
menhang von Kindeswohl und Elternrechten und -pflich-
ten die Rede, ebenso vom Kinderrecht auf auch religiöse
Erziehung und auf Zugehörigkeit zu einer kulturellen
und religiösen Gemeinschaft.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Nimmt niemand!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, kulturelle Eigenar-
ten oder religiöse Motive und Praktiken sind allerdings
nicht einfach sakrosankt. Auch sie müssen abgewogen,
die Gründe gewichtet, die Schwere des Eingriffs berück-
sichtigt werden. Ich sage es auch: Die Vorhautbeschnei-
dung bei Jungen ist eben keine Verstümmelung, wie es
die Klitorisbeschneidung von Mädchen ist. Der Staat,
der Gesetzgeber hat sich bei der Wahrnehmung seiner
Schutzpflicht gegenüber dem Schutzrecht des Kindes
gerade im Respekt vor der Religionsfreiheit von Kind
und Eltern sowohl eines Übermaßes wie auch eines Un-
termaßes an Regelungen zu enthalten. Das scheint mir
durch den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf
gewahrt. Die im Änderungsantrag von Lischka und
Lambrecht formulierten Ergänzungen sollten aber ernst-
haft erwogen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Entscheidung
in der Sache wird nicht zuletzt von der Antwort auf die
Frage abhängen: Sollen wir uns daran gewöhnen, dass
das Kindeswohl, also das Menschenwohl, allein in mate-
riellen Dimensionen bestimmt wird, sodass darüber am
Schluss allein Ärzte befinden, und geistige, geistliche
und kulturelle Dimensionen ausgeschlossen zu sein ha-
ben? – Der Nutzen der Beschneidung müsse messbar
und rational begründbar sein, so Holm Putzke, der geis-
tige Vater des Kölner Urteils; deshalb sei sie nicht zu er-
lauben. „Metaphysische Behauptungen“ seien in der
Rechtsordnung nicht zu berücksichtigen, so Rolf
Dietrich Herzberg. Heiner Bielefeldt nennt das „inquisi-
torischen Rationalismus“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer dem folgt, der reduziert das volle Freiheitsrecht der
Religion auf negative Religionsfreiheit und propagiert
faktisch Säkularismus als staatlich verordnete Welt-
anschauung. Bei der Diskussion um Beschneidung geht
es eben auch um eine mögliche Beschneidung der Reli-
gionsfreiheit


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


und – das füge ich hinzu – eben nicht um ein Sonder-
recht für Juden und Muslime, wie es ein Professor
Merkel behauptet hat.

Ein Verbot oder eine radikale Beschränkung der Be-
schneidung jüdischer und muslimischer Kinder aber
würde faktisch bedeuten, dass jüdisches und islamisches





Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Leben in Deutschland auf Dauer legal nicht mehr mög-
lich sein würde. Ich sage ganz deutlich: Das will ich
nicht,


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


und zwar nicht nur aus historischen Gründen, die ge-
wichtig genug sind, auch nicht, weil Deutschland das
erste Land wäre, das diesen Weg ginge, sondern um der
Freiheit der jüdischen und muslimischen Bürgerinnen
und Bürgern und aller religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisse in unserem Land willen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Wir waren uns doch gelegentlich einig: Wenn Freiheit
auch die der Andersdenkenden ist, so darf diese nicht
nur von denen definiert werden, die sich selbst zu den
Aufgeklärt-Säkularen zählen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720815700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Maria

Flachsbarth das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1720815800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Verehrte Gäste! In fast allen Reden wurde be-
tont: Es geht uns um das Kindeswohl. Genau um das
Wohl ihres Kindes willen entscheiden sich Eltern, die
dem jüdischen oder muslimischen Glauben angehören,
ihren Sohn beschneiden zu lassen. Wie alle anderen El-
tern verfolgen auch diese Eltern in allem, was sie tun,
vor allem ein Ziel: Sie möchten das Beste für ihr Kind.
Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: Das El-
ternrecht

beruht auf dem Grundgedanken, daß in aller Regel
Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt
als irgendeiner anderen Person oder Institution.

Diese Tatsache sollten wir bei unserer Debatte nicht aus
den Augen verlieren.

Wir sollten auch mit der notwendigen Sensibilität da-
rüber diskutieren, was wir Gott sei Dank heute Nachmit-
tag getan haben. Wir sprechen nämlich über einen reli-
giösen Ritus, der für einige Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land eine zentrale Bedeutung für ihr Leben hat.
Auch ich warne vor dem Zungenschlag, den ich in der
öffentlichen Debatte – noch einmal ausdrücklich: heute
Nachmittag hier nicht – und auch in Zuschriften, die ich
bekommen habe, wahrgenommen habe. Es gibt nämlich
Stimmen, die ausklammern oder vielleicht sogar be-
wusst infrage stellen, dass selbstverständlich das Kin-
deswohl das Motiv ist, das die Eltern dazu veranlasst, ihr
Kind beschneiden zu lassen.

Ich möchte betonen, dass sich dieses Wohl des Kindes
eben nicht nur in seiner körperlichen Unversehrtheit er-
schöpft. Das Wohl des Kindes zu fördern, heißt, seine
ganzheitliche Entwicklung zu fördern. Gerade die reli-

giöse Sozialisation ist ein zentrales Element des Kindes-
wohls. Eltern, die selbst religiös sind, möchten doch
auch ihrem Kind Räume erschließen, in denen es Gott
begegnen kann, Räume, in denen es Antworten finden
kann auf Fragen, die in seinem Leben unausweichlich
sind: Fragen nach dem Sinn, nach Leben, nach Tod und
nach Liebe. Sie möchten ihm ethische und religiöse
Orientierung geben, ja, eine geistige Heimat geben, und
ihr Kind auch dem besonderen Schutz Gottes unterstel-
len. Das ist die Motivation, die Eltern dabei leitet, auch
jene Riten vollziehen zu lassen, die ihre Religion als un-
verzichtbar für die Annahme und Zugehörigkeit in einer
Glaubensgemeinschaft sieht. In meinem Glauben gehört
die Taufe dazu, für Menschen jüdischen und muslimi-
schen Glaubens die Beschneidung ihres Sohnes.

Eltern lassen ihren Sohn beschneiden, weil sie ihm
die Möglichkeit einer religiösen Heimat geben wollen.
Ich sage bewusst „Möglichkeit“; denn natürlich gilt das
Menschenrecht, seine Religion frei wählen zu dürfen
und damit auch zu wechseln oder sich gegebenenfalls
völlig von der Religion abzuwenden, auch für Jungen,
die im Knabenalter beschnitten wurden. Alle Jugendli-
chen haben das Recht, sich mit Erreichen der Religions-
mündigkeit, also mit 14 Jahren, gegen eine Religion zu
entscheiden, die ihre Eltern ihnen im Kindesalter ange-
boten haben. Ich kenne keine Religion, die die Auf-
nahme eines Mitglieds ablehnt, weil jemand beschnitten
ist. Wir wissen zum Beispiel aus den USA, wo sehr viele
Jungen aus Gründen gesundheitlicher Prävention be-
schnitten sind, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass auch
Christen beschnitten sind.

Den Vorschlag, die Beschneidung eines Jungen bis
zum 14. Lebensjahr zu verbieten, lehne ich ab. Als
Christin und auch als Mutter kann ich sehr gut nachvoll-
ziehen, dass Eltern ihrem Kind so früh als irgend mög-
lich eine religiöse Heimat, und zwar die volle und nicht
eine vorläufige oder möglicherweise symbolische Auf-
nahme in ihre Religionsgemeinschaft wünschen.

Ich respektiere, wenn mir Juden darlegen, dass für sie
das Gebot der Thora, ihre Söhne am 8. Lebenstag zu be-
schneiden, um in den Bund mit Gott und in die Gemein-
schaft der Juden aufgenommen zu werden, bindend ist.
Genauso respektiere ich, wenn muslimische Familien
nach dem Beispiel des Propheten Mohammed die Be-
schneidung ihres Sohnes vornehmen lassen und feiern
möchten.

Ich sage deshalb auch: Wir haben als Staat einfach
nicht das Recht, diese Glaubensinhalte infrage zu stellen.
Das ist eine Frage des Respekts vor der Trennung von
Kirche und Staat in unserem Land; das hat der Kollege
Thierse eben sehr zutreffend ausgeführt.

Doch natürlich legitimiert die religiöse Erziehung
keineswegs alles. Ihr sind Grenzen gesetzt, die sich am
Maßstab des Kindeswohls orientieren müssen. Deshalb
nennt der Gesetzentwurf ausdrücklich die Voraussetzun-
gen, unter denen Eltern in die medizinisch nicht erfor-
derliche Beschneidung ihres Kindes einwilligen dürfen:
Sie wird nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchge-
führt. Das umfasst eine umfassende Aufklärung der El-





Dr. Maria Flachsbarth


(A) (C)



(D)(B)


tern über die Risiken, die fachliche Qualifikation und
eine angemessene Schmerztherapie.

Urologen bestätigen uns, dass die Komplikationsrate
bei Beschneidungen, egal welcher Indikation, insgesamt
bei unter 1 Prozent liegt. Die Kritik an der Ausnahmere-
gelung für die beauftragten Personen der Religionsge-
meinschaften, die in den ersten Monaten nach der Ge-
burt die Beschneidung vornehmen dürfen, teile ich nicht.
Gerade Beschneidungen in Israel, wo sie besonders häu-
fig durch Mohalim, also jüdische, durch medizinische
und religiöse Ausbildung beauftragte Personen, durch-
geführt werden, weisen nach Studien eine besonders ge-
ringe Komplikationsrate auf. Eine potenzielle Gefähr-
dung der kindlichen Gesundheit würden wir dagegen
zumindest billigend in Kauf nehmen, würde ein Verbot
der Beschneidung durchgesetzt. Dann nämlich wären re-
ligiöse Familien wirklich gezwungen, die Beschneidung
ihrer Söhne unter gegebenenfalls schlechteren Bedin-
gungen in einem anderen Land oder gar in der Illegalität
vornehmen zu lassen.

Die Beschneidung von Jungen wurde und wird in
Deutschland seit Jahrhunderten durchgeführt, in der
Bundesrepublik seit Beginn ihrer Geschichte, und sie
stand vor dem Kölner Urteil niemals zur Disposition. Es
gibt weltweit kein Land, das die Beschneidung nichtein-
willigungsfähiger Jungen völlig verbietet. Der Verzicht
auf Beschneidung durch jüdische Eltern stand dagegen
historisch immer im Zusammenhang mit antisemitischer
Repression.

Ich finde es abstrus, dass man nun gerade in Deutsch-
land auf den Gedanken kommt, jüdische Söhne vor ihren
Müttern und Vätern zu schützen. Es ist ein großes und
unverdientes Geschenk für uns, dass sich nach dem
Grauen der Schoah wieder jüdisches Leben in all seinen
Glaubensrichtungen in Deutschland entfaltet. Mit einer
breiten Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf könnten
wir einmal mehr beweisen, dass dies nicht nur so daher-
gesagt ist, sondern es uns mit dieser Aussage ernst ist.
Wir freuen uns über lebendige jüdische Gemeinden in
Deutschland genauso wie über die muslimischen Ge-
meinden.

Lassen Sie uns dieses Gesetz deshalb nach parlamen-
tarischer Diskussion und Expertenanhörung mit breiter
Mehrheit verabschieden, als Zeichen der Verbundenheit,
der Toleranz und des Respekts vor den jüdischen und
muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in unserem
Land.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720815900

Das Wort hat nun Kerstin Griese für die SPD-Frak-

tion.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1720816000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zum Ende dieser Debatte will ich mich erst
einmal dafür bedanken, dass wir diese Debatte in einer

sehr ernsthaften und sehr respektvollen Art und Weise
geführt haben. Es ist gut, dass wir jetzt nach einigen auf-
geheizten Diskussionen in diesem Hause so respektvoll
darüber sprechen. Vielen Dank dafür!


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich möchte noch einmal auf den Auslöser unserer De-
batte zurückkommen, auf das Urteil der kleinen Straf-
kammer des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, das
interessanterweise zunächst öffentlich gar nicht zur
Kenntnis genommen worden ist, sondern erst sechs Wo-
chen später, als die Financial Times Deutschland da-
rüber berichtet hat. Dann setzte eine, glaube ich, bei-
spiellose Entwicklung ein, die viele Juden und Muslime
in unserem Land sehr verunsichert hat.

Seit über 50 Jahren leben Muslime in Deutschland.
Bis zu diesem Urteil hat niemand ihren Ritus, ihre Söhne
beschneiden zu lassen, wenn diese im Grundschulalter
oder jünger sind, infrage gestellt. Auch das jüdische Ri-
tual, männliche Säuglinge am achten Tag nach der Ge-
burt zu beschneiden, stand bisher nicht zur Disposition.
Aber in diesem Sommer war die Empörung groß.

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir zuerst einmal
unseren jüdischen und muslimischen Bürgerinnen und
Bürgern zugehört hätten, dass wir sie gefragt hätten: Wa-
rum macht ihr das? Welche Bedeutung hat das für euch?
Gibt es vielleicht eine Veränderung, eine Diskussion in-
nerhalb der Religionsgemeinschaften darüber, wie sich
diese Praxis ändern, entwickeln kann?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch gemacht!)


Wenn man zuerst zuhört, dann kann man anschließend
auf Augenhöhe miteinander darüber sprechen, welche
Regeln der Staat dafür setzen soll und wie sich die Praxis
in Zukunft vielleicht verändern kann.

Ich weiß – das habe ich in vielen Gesprächen erfahren –,
wie verletzt Juden und Muslime von dieser Debatte sind,
in der ihnen – nicht heute hier, wohl aber sehr häufig an
anderer Stelle, wie wir alle in den Zeitungen und im In-
ternet lesen konnten – unterstellt wird, sie quälten ihre
Kinder und missachteten Kinderrechte. Ich halte eine
solche pauschale Herabwürdigung von Menschen für
unerträglich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und der LINKEN)


Für mich und sicherlich auch für viele andere in die-
sem Parlament gilt: Juden und Muslime gehören zu
Deutschland. Sie leben hier. Sie sind hier willkommen.
Sie sind Bestandteil unserer Gesellschaft, und zwar mit
ihrer Religion.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Das gilt für mich nicht nur aufgrund unserer historischen
Verantwortung, sondern auch und gerade für die Zukunft
einer multireligiösen Gesellschaft.

Mir ist besonders wichtig, dass wir die Kinderrechte
und die Religionsfreiheit nicht gegeneinander ausspie-
len; denn sie sind kein Gegensatz. Wir können und wol-





Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)


len beides vereinbaren. Deshalb habe ich besonders da-
rauf geachtet, was der UN-Kinderrechtsausschuss zu
diesem Thema gesagt hat. Ich habe mit dem langjährigen
deutschen Vertreter im UN-Kinderrechtsausschuss ge-
sprochen. Laut Art. 14 der UN-Kinderrechtskonvention
– sie wurde schon zitiert – haben Kinder das Recht, dass
Eltern sie bei der Ausübung des Rechts auf Religions-
freiheit leiten, also das Recht auf religiöse Erziehung.
Der UN-Kinderrechtsausschuss kritisiert zwar, dass die
Beschneidung von Jungen in afrikanischen Ländern teil-
weise unter hygienisch nicht einwandfreien Bedingun-
gen stattfindet. Aber die Beschneidung von Jungen wird
vom UN-Kinderrechtsausschuss nicht grundsätzlich in-
frage gestellt. Mir ist wichtig, das noch einmal zu beto-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines der großen
Missverständnisse in der aktuellen Debatte ist die An-
nahme, dass man Religion von Kindern so lange fernhal-
ten müsse, bis sie sich im Alter von 14 Jahren – quasi
vollkommen aus dem Nichts heraus – für die eine oder
andere Religion entscheiden könnten. Selbstverständlich
gilt ab 14 Jahren die Religionsfreiheit. Jugendliche
könnten sich dann entscheiden, aus einer Religionsge-
meinschaft auszutreten oder in eine Religionsgemein-
schaft einzutreten. Aber das kann man doch nur, wenn
man die Chance hatte, in einer Religion aufzuwachsen
und sie kennenzulernen und zu erleben. Selbstverständ-
lich kann man dann mit 14 Jahren aus der Religionsge-
meinschaft austreten. Viele Schüler wählen den Religi-
onsunterricht ab, egal ob sie beschnitten oder getauft
sind.

Die Praxis, dass jüdische und muslimische Söhne be-
schnitten werden, ist nicht ein Akt der Misshandlung,
sondern ein Akt des Aufwachsens in ihrer Religion und
Kultur. Heribert Prantl hat das in der Süddeutschen Zei-
tung treffend beschrieben – ich zitiere –: „Sie macht das
Kind zum Subjekt des Glaubens, bedeutet den Eintritt in
die Gemeinschaft.“ Man mag das für sich selbst nicht
glauben oder annehmen – das muss auch niemand –,
aber es geht darum, dass wir akzeptieren, was das für Ju-
den und Muslime bedeutet. Deshalb ist es mir wichtig,
noch einmal daran zu erinnern – darauf haben schon
viele hingewiesen –, dass die Beschneidung am achten
Tag für Juden konstitutiv ist, wenn nicht der Gesund-
heitszustand dagegenspricht. Wir haben in vielen Ge-
sprächen erfahren, wie wichtig die Gesundheit gerade im
Judentum ist. Die Beschneidung findet durch jüdische
Mohalim in der Synagoge statt, die eine medizinische
und theologische Ausbildung haben. Einige sind auch
ausgebildete Ärzte. Schon jetzt ist es so, dass zuvor ein
Kinderarzt das Kind begutachtet und dass schmerzstil-
lende Mittel eingesetzt werden. Wichtig ist auch zu wis-
sen, dass die Beschneidung von allen jüdischen Richtun-
gen unterstützt und durchgeführt wird.

Bei den Muslimen findet die Beschneidung meistens
in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis unter Be-
täubung oder Narkose statt. Wir haben in den letzten
Wochen mit vielen aus den Bereichen der Medizin und
der Rechtswissenschaft sowie mit jüdischen und musli-

mischen Vertretern gesprochen. Dafür bedanke ich mich
ganz ausdrücklich; denn das war sehr hilfreich. Beson-
ders hilfreich waren die Vorschläge des Ethikrats, der
vier Punkte definiert hat, unter denen die Beschneidung
von Jungen in Deutschland geregelt werden soll und die
meines Erachtens im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung zum Großteil umgesetzt worden sind. Ich plädiere
dafür, über die Änderungsanträge sehr ernsthaft zu bera-
ten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unsere Debatte
im Bundestag ist wichtig: Es geht jetzt in der Gesetzge-
bung um die Frage, ob wir, wie es das Kölner Urteil na-
helegt, die Beschneidung von Jungen verbieten wollen
oder nicht. Eigentlich wäre ein solches Gesetz unnötig,
wenn nicht ein einzelnes Gericht ein solches Verbot er-
lassen wollte. Ein solches Verbot lehne ich ab. Wir brau-
chen jetzt ein Gesetz, mit dem wir – das ist sicherlich ein
guter Schritt – auch Standards für die Beschneidung von
Jungen regeln. Ich bin sehr dafür, dass wir im Gesetz
klare Standards setzen, und zwar bei der medizinischen
Ausbildung der Mohalim, bei der fachgerechten Durch-
führung, bei der qualifizierten Schmerzbehandlung und
bei der umfassenden Aufklärung sowie bei der Anerken-
nung des Vetorechts des Kindes. Das Kindeswohl muss
in unseren Beratungen im Vordergrund stehen; das ist
mir besonders wichtig. Ich hoffe und wünsche, dass wir
eine Regelung finden, die das Kindeswohl berücksich-
tigt sowie Juden und Muslime auch in Zukunft bei uns
willkommen heißt.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720816100

Ich schließe die Aussprache.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 17/11295 soll an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie mit diesem
Überweisungsvorschlag einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11430 soll
ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse überwiesen werden, die Federführung ist jedoch
strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
wünschen Federführung beim Rechtsausschuss, die Ab-
geordneten Rupprecht, Dörner, Golze und weitere wün-
schen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Abgeordneten Rupprecht, Dörner, Golze und weitere –
also Federführung beim Familienausschuss – abstim-
men. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist damit mehrheitlich abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP – Federführung
beim Rechtsausschuss – abstimmen. Wer stimmt für die-
sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mehr-





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


heitlich angenommen. Damit liegt die Federführung
beim Rechtsausschuss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen nun die
Haushaltsberatungen fort.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:

Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung

– Drucksachen 17/10823, 17/10824 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Heinz-Peter Haustein
Michael Leutert
Dr. Tobias Lindner

Die Fraktion Die Linke hat einen Entschließungsan-
trag eingebracht, über den wir morgen nach der Schluss-
abstimmung abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen René
Röspel das Wort.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1720816200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Debatte, die wir gerade geführt haben, be-
dürfte es eigentlich, dass man sie noch ein bisschen re-
flektiert. Es fällt mir gar nicht leicht, nach diesem
schwierigen ethischen Thema wieder auf die Haushalts-
politik umzuschalten. Ich will aber trotzdem versuchen,
jetzt den Angriff zu starten.

Es überkommt einen doch ein bisschen Wehmut,
wenn man hier steht; denn das wird für viele Jahre der
letzte Etatentwurf einer schwach-gelben Regierung im
Bildungsbereich sein.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: War das polemisch? – Gegenruf des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nein, das war daneben! Das war nicht polemisch!)


Dabei fing das damals gar nicht so schlecht an. Ich erin-
nere mich, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel vor eini-
gen Jahren fast wie das Ungeheuer von Loch Ness in der
Bildungspolitik auftauchte:


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das hört sich aber jetzt ganz schlecht an!)


Sie verkündete die Bildungsrepublik Deutschland und
tauchte dann wieder ab. Das war übrigens ein Plagiat;
denn der Begriff „Bildungsrepublik Deutschland“ wurde
viele Jahre vorher vom Wissenschaftsminister der SPD
Jürgen Zöllner geprägt.


(Heiner Kamp [FDP]: Wer hat’s gemacht? – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Eben! – Bei Loch Ness überlegen einige, ob es dieses
Ungeheuer wirklich gibt. Bei der Bildungsrepublik
Deutschland ist die Meinung relativ einhellig: Sie ist
nicht gekommen.

Es ist jetzt Zeit, Bilanz zu ziehen und zu fragen: Was
haben denn die Menschen von diesen vier Jahren
schwach-gelber Regierungszeit im Bildungsbereich ge-
habt? Woran werden sie sich erinnern? Was wird blei-
ben? Wir werden sicherlich gleich auch ein paar buch-
halterische Reden hören, wie viel Geld ausgegeben
worden ist. Wir finden es ausdrücklich gut, dass diese
Regierung den Kurs fortgesetzt hat, den die rot-grüne
Regierung 1998 begonnen hat,


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Um Gottes willen!)


nämlich Bildung und Forschung endlich wieder einen
neuen Stellenwert zu geben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Nachdem der Etat jahrelang abgewirtschaftet worden
war, hat Rot-Grün ihn wieder nach oben gefahren.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben das in der Großen Koalition fortgesetzt. – Das
war mein Lob an Sie. Wir finden es ausdrücklich gut,
dass Sie das – nämlich Geld für Bildung und Forschung
auszugeben – in Ihrer Regierungszeit fortgesetzt haben.

Wir sind überzeugt, dass es von Ihnen sehr klug war,
einen Großteil dieses Geldes – 75 oder 80 Prozent; das
kann man nicht genau beziffern – in Projekte zu investie-
ren, die nicht diese Regierung auf den Weg gebracht hat,
sondern eben die Vorgängerregierung. Das waren im
Wesentlichen Projekte, welche die Sozialdemokratie auf
den Weg gebracht hat.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Die Vorgängerregierung war auch gut! Dagegen kann man nichts sagen!)


– Herr Schirmbeck, es ist, wie es ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Den Pakt für Forschung und Innovation hat nämlich
nicht die CDU/CSU ins Leben gerufen, sondern das war
die SPD-Bildungs- und Forschungsministerin Edelgard
Bulmahn.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das war auch wieder knapp daneben!)


Es war ein wichtiges Versprechen gegenüber Wissen-
schaftlern und Forschern, ihnen jedes Jahr einen konti-
nuierlichen Zuwachs an Geldmitteln für ihre Arbeit zur
Verfügung zu stellen. Wir sind froh und dankbar, dass
Sie das aufgenommen und sogar noch von 3 auf 5 Pro-
zent pro Jahr erhöht haben.

Das zweite für diese Republik und für die Menschen
so wichtige Projekt war die Exzellenzinitiative – auch





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


dies war eine SPD-Initiative –, die viel Bewegung und
Dynamik in die deutsche Forschungs- und Hochschul-
landschaft gebracht hat. Von dem dritten Projekt, dem
Hochschulpakt, der mithilfe der SPD-regierten Länder
geschlossen wurde, wird gleich noch die Rede sein.

Diese Projekte waren und sind wichtig. Es war gut,
dass Sie viel Geld hineingesteckt haben. Aber wenn man
sich den Haushalt genau ansieht, erkennt man, dass Sie
die Mittel zwar 2013 noch einmal ein bisschen erhöhen
– das ist das Wahljahr –, aber dann nicht das Verspre-
chen halten, das wir alle gemeinsam den Wissenschaft-
lern gegeben haben, nämlich 2014 und 2015 erneut für
einen Zuwachs zu sorgen.


(Zuruf des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ CSU])


Die mittelfristige Finanzplanung – Herr Schirmbeck,
lesen Sie es nach – weist keine Zuwächse mehr auf.
Vielmehr werden die Ausgaben für Bildung und For-
schung eingefroren. Das ist keine nachhaltige Politik.
Unser Versprechen werden Sie 2014 und 2015 brechen –
bzw. Sie würden es brechen, wenn Sie noch an der Re-
gierung wären,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Das Erste war gut! Sie unterstellen, dass wir dann regieren!)


worüber die Menschen nächstes Jahr entscheiden wer-
den. Jedenfalls braucht man kein großer Prophet zu sein,
um zu behaupten, dass diese Koalition nicht mehr an der
Regierung sein wird. – Herr Braun möchte eine Zwi-
schenfrage stellen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720816300

Bitte schön.


Dr. Helge Braun (CDU):
Rede ID: ID1720816400

Herr Kollege Röspel, Sie haben gerade darauf hinge-

wiesen, dass es die SPD war, die die Exzellenzinitiative
auf den Weg gebracht hat. Dann haben Sie darauf hin-
gewiesen, dass Sie sich Sorgen um die Zukunft machen,
weil die CDU/CSU-geführte Regierung keine ausrei-
chenden Mittel in die mittelfristige Finanzplanung
einstellt. Können Sie bestätigen, dass der damalige
Finanzminister, der 2005 Steinbrück hieß, für die Exzel-
lenzinitiative in der mittelfristigen Finanzplanung nicht
einen einzigen Euro vorgesehen hatte?


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1720816500

Es war in der Großen Koalition nicht immer einfach

mit Ihnen als Partner.


(Lachen bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir werden in unserem Wahlprogramm entsprechende
Maßnahmen aufführen. Auch für diesen Haushalt hatten

wir Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu beitragen, dass
man diese Programme weiterhin finanzieren kann. Wir
wollen zum Beispiel höhere Steuereinnahmen über einen
höheren Spitzensteuersatz und die Wiedereinführung der
Vermögensteuer erreichen. Ich bin sehr gespannt, wie
Sie diese Maßnahmen, wenn Sie sie denn fortsetzen
möchten, finanzieren wollen. Dazu findet sich bei Ihnen
überhaupt nichts. Sind Sie bereit, Steuern zu erhöhen?
Wo wollen Sie einsparen, um die Exzellenzinitiative und
den Pakt für Forschung und Innovation weiterzuführen?
Nichts, aber auch gar nichts findet man bei Ihnen dazu.
Ich bin gespannt, zu hören – das können die nachfolgen-
den Redner gleich erklären –, wie Sie das finanzieren
wollen.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Machen wir noch!)


Ich denke, dass Sie nichts dazu sagen werden.


(Beifall bei der SPD)


An den Stellen, an denen Sie Verantwortung tragen
oder überlegt haben, selbst Maßnahmen auf den Weg zu
bringen, kann man wirklich nicht von Erfolgen sprechen.
Wir haben Sie mehrfach aufgefordert, im Bereich der
Validierungsforschung etwas zu tun. Dabei geht es um
die Überlegung, wie man gute wissenschaftliche Ergeb-
nisse aus den Hochschulen sozusagen kommerziell in
Technologie umsetzen kann. Da haben Sie lange nicht
reagiert. Dann hat das Bundesministerium die Förder-
maßnahme VIP aufgelegt; das ist alles andere als Vali-
dierungsforschung. Das ist nichts anderes als fortge-
setzte Projektförderung. Das überzeugt nicht wirklich.

Über das Deutschlandstipendium – eine Ihrer großen
Hoffnungen – wird gleich noch etwas gesagt werden.
Dafür reicht meine Redezeit nicht.

Sie haben das Vorhaben, steuerliche Forschungsför-
derung zu machen, also jene Unternehmen steuerlich zu
entlasten, die in Forschung und Entwicklung investieren,
in den letzten Jahren wie eine Monstranz vor sich herge-
tragen. Dieses Vorhaben haben Sie nicht umgesetzt.

Ein letztes Beispiel: Im Rahmen des Programms
„Zwanzig20“ wollen Sie in Ostdeutschland 500 Millio-
nen Euro zu Forschungszwecken investieren. Auch dies
ist im Haushalt nicht finanziell unterlegt. Das wird eine
Luftnummer sein.

In anderen Bereichen, in denen tatsächlich mehr
Investitionen stattfinden müssen – dies wird von Exper-
tenkommissionen außerhalb der Regierung und des Par-
laments gefordert –, kürzen Sie den Etat. Im Bereich der
Mikrosystemtechnik kürzen Sie den Etat auf den Stand
von 2009. Im Bereich der Produktionssysteme fahren
Sie die Mittel herunter auf den Stand von 2009. Im Be-
reich der Dienstleistungs- und Arbeitsforschung wird es
eine Kürzung der Mittel geben. Im Bereich der neuen
Werkstoffe und der Nanotechnologie wird der Etat auf
den Stand von 2009 abgeschmolzen. Dies alles sind Be-
reiche, die dazu beitragen, dass die mittelständische In-
dustrie, dass Unternehmen neue Werkstoffe zur Verfü-
gung gestellt bekommen; darauf sind sie angewiesen.
Überall dort kürzen Sie. Sie kürzen sogar bei der Ener-





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


gieeffizienz und Energietechnologie. Auch die Mittel
dieses für die Energiewende wichtigen Bereichs reduzie-
ren Sie auf den Stand von 2009. Wenn man die Men-
schen fragt, was für sie Bildungsrepublik bedeutet, dann
hört man: Sie machen sich zum Beispiel Sorgen, ob es
gelingt, mehr Kindergartenplätze zur Verfügung zu stel-
len; sie wollen für ihre Kinder nämlich eine U-3-Betreu-
ung. Aber: völlige Fehlanzeige bei dieser Regierung! Da
passiert gar nichts. Sie bieten den Ländern nicht einmal
in vernünftigem Maße Hilfe an.

Bei der Ganztagsschulbetreuung – viele Jahre von Ih-
nen bekämpft – passiert nichts, obwohl die Eltern und
die Oberbürgermeister wissen, wie wichtig sie ist und
wie wichtig auch eine Förderung des Bundes wäre.

Vom Kooperationsverbot und von der Möglichkeit
des Bundes, den Kommunen, die kein Geld mehr haben,
eine Hilfestellung zu geben, weil die Eltern dringend auf
Unterstützung angewiesen sind, wird noch die Rede
sein.

Das Fazit zum Thema Bildungsrepublik, die von Ih-
nen ausgerufen wurde, ist schlecht. Sie schleppen sich
bis zum Wahltag. Für die Zeit danach haben Sie keine
Visionen, Sie machen keine Angebote und stellen keine
Überlegungen an, wie Ihre Vorhaben finanziert werden
können. Eigentlich müsste man Ihnen wünschen, dass
Sie eine weitere Legislaturperiode dranhängen müssen,


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Da haben Sie ausnahmsweise mal recht! Das sollte man uns und den Menschen wirklich wünschen!)


damit Sie die Suppe, die Sie der nächsten Regierung ein-
gebrockt haben, selbst auslöffeln müssen. Aber das darf
nicht sein; denn Deutschland hat eine bessere Zeit ver-
dient. Dementsprechend werden sich die Menschen im
Herbst 2013 auch entscheiden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Herr Röspel, das können Sie aber eigentlich besser!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720816600

Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1720816700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-

nete! Ich glaube, Herr Röspel, Sie haben sehr deutlich
gemacht, was uns unterscheidet:


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh ja! Das ist wohl wahr!)


Sie meinen, Bildung und Forschung finanzieren zu
können, indem Sie den Menschen in Deutschland in die
Tasche greifen.


(René Röspel [SPD]: Wie machen Sie es denn?)


Wir haben in den letzten Jahren eine andere Politik ge-
macht. Wir haben durch Wachstum Steuermehreinnah-
men generiert: beim Bund in Höhe von 30 Milliar-
den Euro und bei den Ländern in Höhe von
30 Milliarden Euro in den letzten vier Jahren. Insgesamt
konnten Bund und Länder aufgrund des Wirtschafts-
wachstums also Steuermehreinnahmen von 60 Milliar-
den Euro verzeichnen.


(René Röspel [SPD]: Das ist aber nicht Ihr Verdienst!)


Gleichzeitig haben wir, beginnend mit den entspre-
chenden Maßnahmen unter Schwarz-Rot bis hin zum
Wachstumsbeschleunigungsgesetz, die Bürgerinnen und
Bürger entlastet, und zwar, bezogen auf die volle Jahres-
wirkung, in Höhe von 38 Milliarden Euro. Meine sehr
verehrten Damen und Herren, das verstehen wir unter
Politik: den Menschen Freiräume lassen, den Menschen
Chancen geben und aus Freiräumen und Chancen politi-
sche Vorhaben finanzieren. Das ist soziale Marktwirt-
schaft. Das ist die Politik der christlich-liberalen Koali-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720816800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Röspel?


(Ewa Klamt [CDU/CSU]: Was? Der hat doch gerade erst geredet! – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Vorhin hat er inhaltlich ja nichts gesagt! Das will er jetzt wohl nachholen!)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1720816900

Sehr gerne.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1720817000

Herr Rehberg, Sie haben gerade gesagt, dass Sie die

Finanzierung Ihrer Vorhaben vom Wachstum abhängig
machen und dass Sie auf Wachstum hoffen. Nach den
Daten, die uns vorliegen – ich weiß nicht, ob Sie andere
haben –, wird sich das Wachstum in Deutschland, für das
Sie wahrscheinlich genauso wenig können wie wir – da
muss man ehrlich sein –,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


in Zukunft leider nicht so positiv entwickeln; schließlich
ist Deutschland auch in die Weltwirtschaft eingebunden.
Wie wollen Sie die Aufwüchse der nächsten Jahre also
konkret finanzieren, wenn Wachstum und damit zusätz-
liche Einnahmen ausbleiben?


Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1720817100

Sehen Sie, Herr Röspel, auch das unterscheidet uns:

Unsere Politik ist wachstumsorientiert; das haben die
letzten Jahre gezeigt.


(Lachen des Abg. Klaus Hagemann [SPD])


Deutschland ist deutlich stärker aus der Krise heraus-
gekommen, als es in sie hineingegangen ist. Sie verfol-





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


gen nur einen Ansatz: den Menschen in die Tasche zu
greifen.


(Lachen des Abg. Klaus Hagemann [SPD])


Sie sollten einmal an Ihre eigene Regierungszeit zurück-
denken.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Antworten Sie doch auf die Frage!)


Unter der Regierung Schröder haben Sie den Spitzen-
steuersatz, der unter Helmut Kohl bei 53 Prozent lag, auf
42 Prozent und den Eingangssteuersatz von 24 auf letzt-
endlich 15 Prozent gesenkt.


(René Röspel [SPD]: Das ist doch nicht „in die Tasche greifen“!)


Sie haben den Arbeitsmarkt flexibilisiert und die ent-
sprechenden Rahmenbedingungen gesetzt. Aber jetzt
schlagen Sie sich in die Büsche und wollen eine ganz an-
dere Politik machen.

Herr Röspel, wenn Ihnen das an dieser Stelle noch
nicht reicht, schlage ich vor: Schauen Sie sich doch ein-
mal die Situation in Frankreich an. Innerhalb weniger
Wochen ist die Politik des französischen Sozialisten
Hollande völlig in sich zusammengebrochen.


(Klaus Hagemann [SPD]: Na klar! In drei Monaten! – René Röspel [SPD]: Ich habe Sie gefragt, wie Sie Ihre Politik finanzieren wollen!)


Nun blickt er nach Deutschland, um zu sehen, wie man
erfolgreiche Politik macht, Herr Röspel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie sagen, dass Bildung und Forschung für Rot-
Grün einen hohen Stellenwert hatten, muss ich Ihnen wi-
dersprechen. Die Zahlen belegen etwas ganz anderes.
Sie haben in sieben Jahren Rot-Grün durchschnittlich
7 Milliarden Euro pro Jahr für Bildung und Forschung
ausgegeben.


(René Röspel [SPD]: Ein Haus aufzubauen, dauert lange!)


Wir haben in den Jahren der Merkel-Regierung unter der
Bildungs- und Forschungsministerin Schavan 10,5 Mil-
liarden Euro pro Jahr für Bildung und Forschung ausge-
geben. Das sind 50 Prozent mehr als zu Ihrer Regie-
rungszeit. Ich werde Ihnen beweisen: Dieses Geld für
den Bereich Bildung und Forschung ist gut angelegtes
Geld.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
Wort gehalten: Wir haben für diese Legislaturperiode bei
Bildung und Forschung einen Zuwachs von 12 Milliar-
den Euro versprochen. Es sind letztendlich 13,3 Milliar-
den Euro geworden.

Die Zahlen sind beeindruckend. Nehmen wir zum
Beispiel die Zahl der Studienanfänger: Heute nimmt
jeder Zweite eines Jahrgangs ein Erstsemesterstudium
auf. Dies finanzieren wir über den Hochschulpakt.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Eben nicht!)


Wir haben die Mittel für Bildung um 800 Millionen Euro
aufgestockt. Der Hochschulpakt II umfasst insgesamt
3,5 Milliarden Euro. Die Zahl der Hochschulabsolventen
ist in den letzten 15 Jahren von 14 Prozent auf 30 Pro-
zent eines Jahrgangs gestiegen. Im Bereich der Ingeni-
eurwissenschaften ist die Zahl der Studienanfänger im
letzten Jahr um 24 Prozent gewachsen.


(René Röspel [SPD]: Das ist doch nicht Ihr Verdienst! – Ulla Burchardt [SPD]: Die Zahl der Abbrecher übrigens auch!)


Wenn Sie an diesen Zahlen nicht erkennen, dass das gut
angelegtes, gut investiertes Geld ist, dann leben Sie in ei-
nem anderen Land, Herr Röspel, oder Sie können Zahlen
nicht lesen oder leiden an der einen oder anderen Stelle
an Gedächtnisschwund.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-
land ist ein weltoffenes Land. Wir haben die Zahl der
Studenten mit ausländischem Pass in den letzten 15 Jah-
ren vervierfacht, von 10 000 auf fast 38 000.


(Klaus Hagemann [SPD]: Das war nicht die Union allein!)


Es hat sich gelohnt, die Mittel für den DAAD oder die
Alexander-von-Humboldt-Stiftung aufzustocken, nicht
nur im Einzelplan 30, sondern auch in den Einzelplänen
des Auswärtigen Amtes und des Entwicklungshilfemi-
nisteriums.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Hagemann [SPD]: Nachdem sie vorher runtergefahren wurden!)


– Herr Kollege Hagemann, jede Position im Bildungsbe-
reich, im Schavan-Ministerium, hat in den letzten acht
Jahren einen Aufwuchs erfahren.


(Klaus Hagemann [SPD]: Nein, beim DAAD sind die Mittel runtergefahren worden!)


Wir stellen uns den Herausforderungen der Zukunft.
Auch da, Herr Röspel, sind die Zahlen mehr als beein-
druckend. Im Bereich der beruflichen Bildung haben wir
von 2012 auf 2013 einen Zuwachs von fast 30 Millionen
Euro. Seit 2005 haben wir einen Aufwuchs um 162 Pro-
zent. Das kommt positiv zum Tragen.

Bei den Altbewerbern haben wir von Rot-Grün eine
besonders schwierige Situation übernommen. In den
letzten drei Jahren haben wir die Zahl der Altbewerber
um 90 000 reduzieren können. Das ist deswegen ein
schwieriges Unterfangen, weil diejenigen Altbewerber
zuerst wieder in eine berufliche Ausbildung kommen,
die die beste Qualifikation haben. Selbstverständlich
wird es dann immer schwieriger, die Zahl der Altbewer-
ber weiter abzubauen. Wir sind auf diese Herausforde-
rung eingegangen; wir haben reagiert.

Wir Haushälter sind flexibel – ich bedanke mich an
dieser Stelle insbesondere bei meinem Kollegen Peter
Haustein –: Wir haben die Mittel für die Initiative „Bil-
dungsketten“ um 10 Millionen Euro aufgestockt, weil
die Antragslage entsprechend war.





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben die Förderung der überbetrieblichen Aus-
bildungsstätten verstetigt: auf dem Niveau von 40 Mil-
lionen Euro; das ist das Niveau der Konjunkturpakete.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
geht hier nichts ohne die Länder. Es ist erschreckend,
wenn man im Zusammenhang mit dem Fachkräftebünd-
nis lesen muss – ich zitiere –:

„Es ist mehr als ein Ärgernis“, so Schlüter,

– Herr Schlüter ist der stellvertretende Vorsitzende des
DGB Bezirk Nord; dieser Bezirk umfasst die Länder
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern –

wenn sich offenbar Bildungsminister … Brodkorb

(SPD) und Sozialministerin … Schwesig (SPD)

nicht einigen könnten, wer dafür zuständig ist.

Man muss doch von den Ländern erwarten können, dass
sie dort, wo der Bund aktiv ist, sich einbringen, statt
danebenzustehen und zuzuschauen, ohne die Probleme
zu lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schauen wir uns die Bilanz im Bereich der Forschung
an. Wir sind kurz davor, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen.
Besonders beeindruckend ist, dass die öffentlichen In-
vestitionen, die Mittel des Bundes, private Investitionen
in erheblicher Größenordnung nach sich gezogen haben.
Wir haben auch deswegen eine so positive wirtschaftli-
che Entwicklung, weil gerade im Bereich der Forschung
in den letzten acht Jahren eine Menge getan worden ist.

Herr Röspel, Sie stellen sich hier kleinkariert und
kleinlich hin und sagen, dieses und jenes sei von der
SPD gekommen.


(René Röspel [SPD]: Ist doch so!)


– Natürlich. – Im Gegensatz zu Ihnen stehen wir aber
dazu, dass wir vier Jahre lang mit Ihnen regiert haben,
und ich werde nichts schlechtreden, was wir in dieser
Zeit positiv mit Ihnen gemeinsam gestaltet haben. Aber
so zu tun, als ob wir in den letzten vier Jahren keine Er-
folge gehabt hätten, insbesondere im Forschungsbereich,
ist das komplette Gegenteil der Realität. Herr Röspel,
das Geld, das wir angelegt haben, ist gut angelegtes
Geld.


(René Röspel [SPD]: Schade, dass Sie nicht so weitergemacht haben, wie wir angefangen haben!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
zu den neuen Bundesländern machen. Dieses Thema
wird ja garantiert auch von den Linken wieder angespro-
chen.

Erstens. Die neuen Bundesländer sind bei der Einwer-
bung von öffentlichen Drittmitteln vorne. Die Nummer
eins ist Mecklenburg-Vorpommern, Nummer zwei ist
Thüringen, Nummer drei ist Berlin, Nummer vier ist
Sachsen, und Nummer fünf ist Brandenburg. Das heißt,
diese Länder haben in den letzten zehn Jahren den

durchschnittlich höchsten Zuwachs an öffentlichen Mit-
teln gehabt.

Zweitens. Ich glaube, auch diese Zahl muss in diesem
Hause einmal genannt werden: Vom Gesamtetat des For-
schungsministeriums sind in den verschiedenen Rubri-
ken im Ist 2011 1,83 Milliarden Euro in die neuen Bun-
desländer geflossen.

Deswegen glaube ich, dass sich gerade diese Bundes-
regierung ihrer Verantwortung gegenüber den neuen
Bundesländern bewusst ist und ihr auch gerecht gewor-
den ist. Ich denke ganz einfach, wer heute einmal an
Universitäten und an Fachhochschulen im Osten
Deutschlands geht, wer den baulichen Zustand und die
Qualität von Lehre und Forschung betrachtet und wer
auch sieht, wie weit vorne diese Universitäten und Fach-
hochschulen in den Rankings der Studenten sind, der
weiß, dass wir hier etwas mehr als Positives und sehr
Gutes vorzuweisen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Röspel, bin ich ganz
einfach der Auffassung: Diesem Land, gerade im Be-
reich der Bildung und Forschung, tun nur weitere vier
Jahre CDU/CSU-FDP-Regierung gut.


(Lachen des Abg. René Röspel [SPD])


Unter Ihnen – das haben Ihre sieben Jahre unter
Schröder gezeigt – wurde die Forschung nicht gerade gut
behandelt.


(Lachen des Abg. René Röspel [SPD])


Bei der Bildung haben Sie viele Sprechblasen im Mund
geführt. Heute, das muss ich Ihnen sagen, sind Sie völlig
außer Rand und Band. Sie fordern 20 Milliarden Euro
zusätzlich für Bildung und Forschung, davon 10 Milliar-
den Euro vom Bund und 10 Milliarden Euro von den
Ländern.


(René Röspel [SPD]: Über fünf Jahre und finanziert!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Viel Vergnügen in Wolken-
kuckucksheim.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720817200

Das Wort hat nun Nicole Gohlke für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720817300

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dieser

Bildungshaushalt markiert aus meiner Sicht keinen Auf-
bruch, sondern er ist pure bildungspolitische Stagnation.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regierung findet für sich selbst natürlich viele lo-
bende Worte und behauptet, man bewege sich auf die
ganz oft und auch schon sehr lange beschworene Bil-





Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)


dungsrepublik zu. Aber ich muss Ihnen sagen: Sie sind
ja dermaßen leicht zufriedenzustellen. Ihnen reicht es ja
offenbar schon aus, dass der Bildungshaushalt nicht, wie
andere Haushaltsposten, auch noch abgeschmolzen wird.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie unterschätzen uns!)


Die Frage ist aber nicht, ob die Regierung zufriedenge-
stellt ist, sondern die Frage ist, ob die Menschen zufrie-
den sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Für die jungen Menschen, für die
Schülerinnen und Schüler, für die Studierenden und für
die Auszubildenden, ist es eine Katastrophe, wie Sie die
Augen vor deren Problemen verschließen.


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wir leben in einem tollen Land!)


Ich bin mir aber sicher, dass die Studierenden und die
Schülerinnen und Schüler Sie schon noch darauf auf-
merksam machen werden. Offenbar brauchen Sie immer
erst eine Protestbewegung, bevor Sie politisch etwas da-
zulernen. In meinem Bundesland Bayern kommt ja sogar
die CSU infolge der Bildungsproteste und im Angesicht
der politischen Niederlage zu ganz ungeahnten Einsich-
ten und will jetzt auf einmal die Studiengebühren ab-
schaffen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Linke sagt Nein zu diesem Haushalt, und ich sage
Ihnen auch, warum:

Erstens. Er verwaltet den Mangel, er bietet aber we-
der dem Bildungs- noch dem Wissenschaftssystem eine
Zukunft.

Zweitens. Die finanziellen Aufstockungen kommen
nicht da an, wo sie am dringendsten gebraucht werden,
sondern Sie schieben das Geld wieder in Elite- und
Standortprojekte.

Drittens. Damit verfestigt diese Regierung auch im
Bereich Bildung die soziale Spaltung in der Gesell-
schaft, und das ist vor allem eine gesellschaftspolitische
Katastrophe.


(Beifall bei der LINKEN)


Was ist der Stand der Dinge? In den letzten Monaten
gab es gleich mehrere Untersuchungen, die wieder ein-
mal belegt haben, wie sehr die soziale Herkunft den Bil-
dungserfolg in der Bundesrepublik bestimmt. Da die
Bundesregierung diese Ergebnisse offenbar nicht mehr
präsent zu haben scheint, zitiere ich noch einmal daraus.
Die Studie „Aufstiegsangst“ der Vodafone-Stiftung bei-
spielsweise sagt, die Chance von Kindern aus akademi-
schen Elternhäusern, ein Studium aufzunehmen, sei
sechsmal höher als bei Kindern aus sogenannten bil-
dungsfernen Schichten.

Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ sagt,
dass nur 20 Prozent der jungen Erwachsenen in der Bun-

desrepublik ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern
erreichen. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 37 Prozent.
22 Prozent der jungen Erwachsenen schließen ihre Aus-
bildung sogar mit einem niedrigeren Bildungsabschluss
als ihre Eltern ab. Damit ist Deutschland eines von drei
Ländern, in denen die Bildungsmobilität nach unten stär-
ker ausgeprägt ist als nach oben.

Die DGB-Studie „Generation abgehängt“ sagt, dass
2,2 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren
keinen Berufsabschluss, dementsprechend schlechte
Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben und kaum ih-
ren Lebensunterhalt verdienen können. Das sind Fakten
und nicht etwa linke Ideologie.

Alle Studien zeigen ausnahmslos: In der Bundesrepu-
blik werden Bildungschancen vererbt. Es ist in der Bil-
dung wie in einer Art Kastensystem: bildungsnah bleibt
bildungsnah, und bildungsfern bleibt bildungsfern. Da-
ran soll sich nach dem Willen von Schwarz-Gelb offen-
sichtlich auch nichts ändern. Reden Sie doch nicht von
der Bildungsrepublik, wenn Sie noch nicht einmal auf
die Idee kommen, dass ein Bildungshaushalt in einer sol-
chen Situation viel mehr leisten müsste, als ein paar Lö-
cher zu stopfen und ein bisschen nachzubessern. So viel
Ignoranz muss man in einer solchen Situation erst ein-
mal aufbringen.


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen wir uns einmal konkret an, was die Regierung
tut und was sie unterlässt. Statt Nachqualifizierungspro-
gramme für junge Menschen ohne Berufsabschluss aufzu-
legen, bleibt die Regierung beim Förderdschungel ver-
schiedener Projekte. Niemand findet sich darin zurecht.
Das Geld kommt nicht da an, wo es eigentlich sollte.
Statt mit Bundesgeld endlich umfassend in eine bessere
schulische Bildung zu investieren, die eine individuelle
Lernförderung ermöglichen würde, blockieren Sie die
umfassende Abschaffung des Kooperationsverbotes und
verweigern, dass der Bund mit seinem Geld den Ländern
in der Bildung helfen kann.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Und Sie sind das Christkind!)


Statt die Forschung in der Breite auf solide Füße zu
stellen und statt endlich umfassende Forschungspro-
gramme für die neuen Bundesländer und für Fachhoch-
schulen auf den Weg zu bringen, setzen Sie weiter auf
eine Politik der Eliteförderung. Sie kümmern sich nur
um Ihre Leuchttürme und wollen nicht wahrhaben, dass
die längst in der Wüste stehen.

Statt ein Programm für die Juniorprofessur aufzulegen
und statt endlich die Tarifsperre für den Wissenschaftsbe-
reich aufzuheben, betreiben Sie Projektfinanzierung und
Deregulierung, heißt also miserable Beschäftigungsbe-
dingungen beim wissenschaftlichen Personal.

Zu all diesen Punkten sagt die Linke Nein.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Hochschulbereich haben wir die gleiche Misere:
Statt den Hochschulpakt endlich bedarfsgerecht aufzusto-
cken, statt die tatsächlichen Bedürfnisse der jungen Ge-





Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)


neration zum Maßstab für die Finanzierung zu nehmen,
bleiben Sie bei Ihren selbst berechneten Fantasiezahlen.
Jetzt musste sogar schon die Kultusministerkonferenz
ihre Prognosen nach oben korrigieren und hat berechnet,
dass bis zum Jahr 2020 mindestens 750 000 Studien-
plätze fehlen werden. Aber selbst diese Zahl, selbst diese
Fakten ignorieren Sie. Für 2012 geht die Bundesregie-
rung von einer Studienanfängerzahl von 434 000 aus.
Die KMK geht aber von 490 000 aus. Das heißt also, es
fehlen schon jetzt mindestens 56 000 Studienplätze. Die
vorgesehene Anhebung der Mittel für den Hochschul-
pakt wird also bei weitem nicht ausreichen, um den Be-
darf zu decken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Warten Sie einmal ab!)


Während der Bedarf noch nicht einmal gedeckt ist,
planen Sie aber schon, das Geld für den Hochschulpakt
direkt nach der Bundestagswahl ab 2014 wieder abzu-
senken, weil ja dann – so argumentieren Sie, und so hof-
fen Sie wahrscheinlich auch – das Studierendenhoch
„überstanden“ ist. Fakt ist aber: Wir haben es eben nicht
mit einer kurzfristigen Spitze zu tun, nicht nur mit ein-
maligen doppelten Abiturjahrgängen und den Effekten
des Aussetzens der Wehrpflicht, sondern mit einer ge-
stiegenen Studierneigung. Das heißt, immer mehr junge
Menschen wollen studieren.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Unsere Leistung!)


75 Prozent der Bachelorabsolventinnen und -absolven-
ten wollen nach dem Bachelor einen Master machen.
Darüber sollten wir uns freuen. Es könnten noch viel
mehr sein, wenn nicht jedes Jahr Tausende von den
Hochschulen abgelehnt würden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Folgen Ihrer Politik sind deutlich sichtbar: Im
Studienjahr 2011 fehlten fast 100 000 Studienplätze. Ak-
tuell rechnete man allein in Kassel mit 31 000 Bewer-
bungen auf 3 500 Plätze. In Leipzig – auch das sind Fak-
ten – kamen im Fach Psychologie auf 72 Studienplätze
knapp 4 000 Bewerberinnen und Bewerber. In Baden-
Württemberg werden wahrscheinlich ab 2013 mindes-
tens 7 000 Masterplätze fehlen.

Eine Studienberechtigung reicht schon lange nicht
mehr aus, um studieren zu dürfen. Die Studierwilligen
müssen ein absurdes und völlig intransparentes Geflecht
von Zulassungsbeschränkungen, Numerus clausus, Aus-
wahlverfahren, Extratests, Motivationsschreiben über
sich ergehen lassen. Von einem Recht auf Bildung und
Ausbildung keine Spur.

Die Hochschulen platzen aus den Nähten. Vielleicht
müssen Sie einmal vor Ort gehen und es sich anschauen,
wenn Sie es nicht glauben wollen. Die Wohnheime und
Mensen sind völlig überlastet. Die Studierenden müssen
teilweise bis Weihnachten warten, bis sie ihr erstes
BAföG erhalten. Aber Schwarz-Gelb fehlt natürlich jede
Form von Fantasie, sich vorzustellen, wie es ist, über
drei Monate ohne jede Finanzierung zu leben.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wollen stattdessen die Mittel für das BAföG im
kommenden Jahr um 15 Prozent kürzen, obwohl das
BAföG derzeit viel zu wenige erreicht und obwohl der
durchschnittliche BAföG-Satz derzeit bei nur 436 Euro
liegt und obwohl im Übrigen allein ein Zimmer in Mün-
chen schon 350 Euro kostet. Statt das BAföG zum In-
strument des sozialen Ausgleichs zu machen, statt die
Altersgrenzen abzuschaffen, auf Vollzuschuss umzustel-
len und endlich auch Schülerinnen und Schüler zu för-
dern, erhöhen Sie die Mittel für Ihre Schnapsidee vom
Deutschlandstipendium,


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was?)


bei dem in diesem Jahr wahrscheinlich 16 Millionen
Euro verfallen werden, weil sich nicht genügend Firmen
oder Sponsoren finden, die dieses Programm kofinanzie-
ren wollen. Das ist doch absurd und geht völlig an den
Bedürfnissen der Menschen vorbei.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt höre ich Sie natürlich schon wieder sagen, dass
Sie uns Linken eine Wünsch-dir-was-Politik vorwerfen.
Aber in Ihren eigenen Studien finden sich sehr wertvolle
Hinweise, wie man eine gute Bildung für alle finanzie-
ren kann. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
regierung heißt es zum Beispiel: Die vermögensstärksten
10 Prozent der Haushalte vereinen 53 Prozent des ge-
samten Nettovermögens auf sich; der unteren Hälfte der
Haushalte bleibt gerade einmal 1 Prozent. – Die Süd-
deutsche Zeitung hat angesichts dieser Zahlen getitelt:
„Reiche trotz Finanzkrise immer reicher“.

Während das Nettovermögen des Staates in den ver-
gangenen 20 Jahren um über 800 Milliarden Euro zu-
rückgegangen ist, hat sich das Nettovermögen der priva-
ten Haushalte von knapp 4,6 Billionen auf 10 Billionen
Euro mehr als verdoppelt. Auch hier finden sich in Ihren
eigenen Berichten und Untersuchungen deutliche Zah-
len: Eigentlich liegt der Zusammenhang auf der Hand.
Wir haben ein Einnahme- und kein Ausgabenproblem.
Wir müssen nicht sparen: Wir müssen umverteilen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Steuerpolitik dieser Regierung und ihrer Vorgän-
ger belastet aber seit Jahren die unteren Einkommens-
schichten und entlastet die oberen Schichten, die mittler-
weile gar nicht mehr wissen, wohin sie mit all dem Geld
sollen. Wir brauchen endlich eine Umverteilung von
oben nach unten und nicht umgekehrt.

Da wird auch nicht die von den Grünen auf ihrem
Parteitag jetzt beschlossene einmalige Vermögensabgabe
reichen; denn wenn wir die Schieflage in dieser Gesell-
schaft ändern wollen, dann müssen wir das eben nicht
einmalig, sondern dann müssen wir das langfristig und
dauerhaft tun. Wir brauchen neben einer Vermögensab-
gabe eine Millionärsteuer, eine Anhebung des Spitzen-
steuersatzes auf 53 Prozent und eine höhere Erbschaft-
steuer. Die Linke will endlich Schluss damit machen,
dass soziale und Bildungschancen wie im Feudalismus
vererbt werden.


(Beifall bei der LINKEN)






Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)


Der Regierung ist so ein Denken freilich fremd. Sie
verweigert Chancengleichheit. Sie verweigert aktiven
Ausgleich. Die FDP hält wie in Bayern an einer Politik
fest, bei der man sich den Bildungszugang und die Bil-
dungschancen käuflich erwerben kann, wie im Falle von
Studiengebühren. Aber die Bürgerinnen und Bürger wol-
len nicht für das, was Ihnen rechtmäßig zusteht, zahlen.
Sie wollen nicht, dass der Geldbeutel und der soziale
Status der Eltern darüber bestimmen, welchen Bildungs-
weg die Kinder nehmen. Damit haben sie recht; denn
Bildung ist ein Menschenrecht. Für dessen Gewährleis-
tung hätte diese Regierung eigentlich zu sorgen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720817400

Das Wort hat nun Heinz-Peter Haustein für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Heinz-Peter Haustein (FDP):
Rede ID: ID1720817500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Da-

men und Herren! Deutschland ist ein tolles Land: flei-
ßige Menschen, gut ausgebildete Handwerker, kompe-
tente Ingenieure und Ärzte, einfach ein schönes Land.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist es! – Klaus Hagemann [SPD]: Die Arbeiter fehlen!)


Es ist auch deshalb ein schönes Land, weil in diesem
Land unter dieser Regierung von CDU/CSU und FDP
der Schwerpunkt auf Bildung und Forschung gelegt
wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich bin Berichterstatter für den Einzelplan 30 des
Ministeriums für Bildung und Forschung der verehrten
Frau Annette Schavan. Herzlichen Dank für die sehr
gute Zusammenarbeit! Dank geht auch an Herrn Lee,
den Haushälter, an Herrn Helge Braun, an Thomas
Rachel. Es war ein richtig gutes Miteinander, so wie das
in unserer Koalition zwischen FDP und Union immer ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Große Liebe!)


Als Haushälter ist man für Zahlen zuständig. Ich be-
danke mich beim Hauptberichterstatter, Herrn Klaus
Hagemann, bei Herrn Michael Leutert, bei Tobias
Lindner und natürlich ganz besonders bei meinem guten
Freund Herrn Eckhardt Rehberg aus Rostock. Gemein-
sam haben wir das Zahlenwerk fundiert aufgestellt.

Zahlen sind Fakten, und diese Fakten werde ich euch
– vor allem euch von Rot-Grün – gerne vortragen. Wir
haben in diesem Jahr den Haushalt um rund 800 Millio-
nen Euro auf 13,74 Milliarden Euro aufgestockt. Diese
Zahl müsst ihr erst einmal erreichen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


und das in einer Zeit, in der eine Wirtschafts- und Fi-
nanzkrise weltweit ihr Unwesen treibt und Sparen ange-
sagt ist. Das tun wir auch. Wir setzen bei Bildung und

Forschung Prioritäten und stocken dort auf. Denn wir
wissen: Der einzige Rohstoff, den wir im Land haben, ist
unsere Bildung und der Grips zwischen unseren Ohren.
In diesen Bereich wird investiert, und das ist Investition
in die Zukunft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ein paar Zahlen seien genannt, liebe Freunde. Wir ha-
ben in Kap. 3002 3,25 Milliarden Euro. Ich nenne ein
paar Details, um den Aufwuchs zu zeigen. Die Zu-
schüsse an das Begabtenförderungswerk steigen um
12 Prozent auf 198 Millionen Euro. Bei der Modernisie-
rung und Stärkung der beruflichen Bildung gibt es ein
Plus von 15 Prozent auf 214 Millionen Euro und bei der
Stärkung des Lernens im Lebenslauf ein Plus von
26 Prozent auf 168,5 Millionen Euro.

Wir haben die Mittel für den Hochschulpakt um wei-
tere 49 Prozent auf 2,17 Milliarden Euro aufgestockt,
und wir haben die Mittel für den Qualitätspakt Lehre um
15 Prozent auf 200 Millionen Euro erhöht. Im Bereich
Klimaforschung und Lebensraum Erde, Energie haben
wir die Mittel um 135 Prozent auf 86 Millionen Euro er-
höht.

Diese Zahlen nimmt man so hin. Dabei lohnt sich ein
Vergleich. Diese Regierung hat vor drei Jahren mit
10,2 Milliarden Euro im Bereich Bildung und Forschung
begonnen und hat das dann im Haushalt um genau
3,6 Milliarden Euro aufgestockt. Das sind 900 Millionen
Euro pro Jahr. Schwarz-Gelb hat also etwas Gutes getan.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Sehen wir das im Vergleich zu Rot-Grün: Ihr hattet
sieben Jahre Zeit zum Regieren.


(René Röspel [SPD]: Dann müssen Sie auch fünf Jahre zurückgehen, wie es bei Kohl und Rüttgers aussah!)


Es wurde gesagt, ihr hättet viel für Bildung und For-
schung getan. Deshalb nenne ich einfach Zahlen; denn
Zahlen sind Fakten. Ihr habt den Haushalt in sieben Jah-
ren von 6,7 Milliarden Euro auf 7,6 Milliarden Euro,
also um genau 911 Millionen Euro, erhöht. Schämt
euch!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sind die Fakten. Dies ist eine Bildungsregierung,
und wir machen eine Bildungsrepublik. Ihr aber habt die
Bildung und die Forschung verschlafen. Das sind die
Fakten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss in diesem Sinne ein herzliches Glück-
auf aus dem Erzgebirge!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720817600

Das Wort hat nun Tobias Lindner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etatberatungen
und vor allem Beratungen über den Bildungsetat in die-
ser durchaus lebhaften Stimmung bei einem der letzten
Tagesordnungspunkte am heutigen Tag haben auch im-
mer etwas von Schule und erst recht von Zeugnisver-
gabe. Wie es bei Zeugnisvergaben so ist: Da gibt es Lob
und Tadel.

Ich möchte heute Abend durchaus mit einem Lob be-
ginnen. Der Einzelplan 30 wächst im Jahr 2013 erneut,
um 800 Millionen Euro. Das ist eine gute Nachricht,
Frau Ministerin. Für diese Nachricht verdient die Bun-
desregierung erst einmal ein Lob. So ehrlich sind wir
gerne. Keine Angst: Es wird das einzige Lob in meinem
Beitrag bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Das war schon mal ein guter Einstand!)


Der Feststellung, die Sie, geschätzter Herr Kollege
Haustein, getroffen haben, nämlich dass Deutschland ein
schönes Land ist, würde ich durchaus beipflichten. Dass
die Koalition sich immer einig ist und bei Ihnen alles im-
mer in Eintracht stattfindet, da hätte ich durchaus meine
Zweifel. Über zwei weitere Punkte sind wir uns aber si-
cher einig: Bildung ist die wichtigste Voraussetzung für
gesellschaftliche Teilhabe. Mit Bildung beginnt alles,
mit Bildung kann man vieles richtig machen, und was
man bei Bildung falsch macht, muss man später an vie-
len anderen Stellen teuer und teurer korrigieren. Ge-
nauso ist richtig – da hätten wir uns durchaus mehr von
Ihnen gewünscht –: Der wichtigste Rohstoff der Indus-
trienation Deutschland sind Wissen und Forschung. Ge-
rade deshalb sind Mittel in dem Etat für Bildung und
Forschung so wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zu den Tadeln. Geld allein macht nicht
glücklich, und mehr Geld allein bedeutet noch lange
nicht eine bessere Bildungs- und Forschungspolitik;
denn es kommt entscheidend darauf an, wo man dieses
Geld einsetzt und dass man die Prioritäten auf die richti-
gen Projekte setzt. Mit bildungspolitischen Irrläufern
wie dem Betreuungsgeld und mit der Förderung von
Kerntechnik und Genforschung setzt diese Bundesregie-
rung die falschen Schwerpunkte, obwohl sie mehr Geld
ausgibt. Das muss ein Ende haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will ein Wort – das ist schon angesprochen wor-
den – zur mittelfristigen Finanzplanung sagen. Es ist gut,
dass dieser Etat anwächst, und es mag nicht unbedingt
ein Zufall sein, dass im nächsten Jahr eine Bundestags-
wahl stattfinden wird. Aber wenn man sich die mittel-
fristige Finanzplanung in vielen Bereichen anschaut,

dann setzt man doch einige Fragezeichen hinsichtlich
dessen, was nach dem Jahr 2013 kommen wird. Man
könnte auch sagen: Man fragt sich ernsthaft, ob der Etat
2013 nicht nur Kosmetik ist. Nachhaltige, langfristige
Finanzierung im Bereich Bildung und Forschung sieht
anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe über falsche Prioritäten gesprochen. Ich
möchte wegen der Kürze der Zeit das, was ich meine, an
vier Beispielen kurz ausführen. Der erste Punkt ist das
nationale Stipendienprogramm. Obwohl sich die Anzahl
der vergebenen Stipendien erhöht hat


(Patrick Meinhardt [FDP]: Verdoppelt!)


– verdoppelt, das will ich durchaus konzedieren –, liegen
wir immer noch bei nur 11 000 Stipendien angesichts
von 2,3 Millionen Studierenden in diesem Land. Bil-
dungsgerechtigkeit sieht anders aus. Mit anderen Wor-
ten: Das Deutschlandstipendium ist ein Ladenhüter. Das
würden Sie noch nicht einmal am Grabbeltisch jetzt in
der Weihnachtszeit loswerden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir, Bündnis 90/Die Grünen, möchten diese Mittel
verwenden, um mehr Geld für das BAföG bereitzustel-
len. Wir möchten höhere Frei- und Förderbeträge. Ich
füge hinzu: Wir möchten auch lebenslanges Lernen ernst
nehmen. Wir müssen schauen, dass wir den Einstieg in
ein Erwachsenen-BAföG hinbekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


Mein zweiter Punkt betrifft den Hochschulpakt. Es ist
begrüßenswert, dass die Studierendenzahlen in Deutsch-
land steigen. Wir und viele Experten glauben, dass die
Studierendenzahlen auf einem hohen Niveau verharren
werden, dass wir es nicht mit einem Gipfel bei den Stu-
dierendenzahlen zu tun haben, sondern mit einem Hoch-
plateau. Dieser Erkenntnis, Frau Ministerin, wird der
Hochschulpakt nicht gerecht. Hier bedürfte es gerade
vom Bund eines Signals – ich will durchaus zugestehen:
auch von den Ländern –, und hier müsste man einen stär-
keren Schwerpunkt setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dritter Punkt. Ich will zum Thema Lernfähigkeit und
zu einem vermeintlich großen Erfolg der Großen Koali-
tion kommen, dem Kooperationsverbot. Ich bin froh
über die Lernfähigkeit der Sozialdemokraten. Ich
glaube, wir sind uns einig, dass das Kooperationsverbot
fallen muss. Es darf aber nicht nur im Bereich Forschung
fallen, es darf nicht nur punktuell fallen, sondern es muss
in der gesamten Bandbreite des lebenslangen Lernens
fallen. Wenn wir über mehr inklusive Bildung reden
wollen, über mehr Ganztagsschulen, dann muss auch an
dieser Stelle das Kooperationsverbot fallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Dr. Tobias Lindner


(A) (C)



(D)(B)


Meinen vierten und letzten Punkt könnte ich über-
schreiben mit: Anwendung von gelernten Fähigkeiten,
Merkfähigkeit oder Teamfähigkeit. Meine Fraktion hat
im Haushaltsausschuss einen Antrag zu Open Source
eingebracht. Darin geht es darum, dass wir dann, wenn
wir staatliche Fördergelder für die Forschung bereitstel-
len, wollen, dass die Ergebnisse in einer Datenbank ge-
sammelt werden und öffentlich zugänglich sind und
nicht ausschließlich in teuren Fachjournalen publiziert
werden. Das Problem ist: Wir haben diesen Antrag fast
wortwörtlich abgeschrieben. Ich will hier gern gestehen,
dass er durchaus ein Plagiat sein mag. Wir haben in die-
sem Antrag eine Forderung aus der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“ übernommen.
Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann hat die Koalition
diese Forderung dort mitgetragen. Im Haushaltsaus-
schuss konnten Sie sich anscheinend nicht mehr daran
erinnern. Ich bedauere sehr, dass Sie diesen Antrag ab-
gelehnt haben.

Ich komme zum Schluss. Sie wollen mit dem Etatent-
wurf 2013 ein letztes Mal Rekordausgaben präsentieren.
Mehr Geld allein macht nicht glücklich. Sie setzen die
falschen Schwerpunkte. So wird das nichts mit der Bil-
dungsrepublik, Frau Ministerin. Angesichts dieser Leis-
tung ist Ihre Versetzung im nächsten Jahr akut gefährdet.
Wir Grüne haben aufgezeigt, wo wir es besser gemacht
hätten. Dem sind Sie nicht gefolgt, und deshalb lehnen
wir Ihren Etatentwurf ab.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720817700

Das Wort hat nun Bundesministerin Annette Schavan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der größte Anteil der Wert-
schöpfung in Deutschland basiert auf Forschung. Es ist
die erste Leitlinie für Forschungs- und Innovationspoli-
tik in Deutschland, Sorge dafür zu tragen, dass diese
Politik konzeptionell so angelegt ist, dass dieser Anteil
stark ist, sich weiterentwickeln kann und dass damit
auch in Zukunft Grundlagen für wirtschaftliches Wachs-
tum vorhanden sind.

Die Zukunftschancen der jungen Generation zu si-
chern, gehört zu den vornehmsten Aufgaben einer Ge-
sellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die zweite Leitlinie für unsere Bildungs- und For-
schungspolitik ist, beim Thema Zukunftschancen stark
zu sein und Sorge dafür zu tragen, dass junge Menschen
in Deutschland gute Chancen bekommen.

Wissenschaftssysteme überall in der Welt werden im-
mer stärker auf Internationalisierung ausgerichtet. Eine
Wissenschaftsnation, die etwas auf sich hält, trägt Sorge

dafür, dass der eigene Wissenschaftsstandort für die an-
deren starken Wissenschaftsstandorte attraktiv ist. Die
dritte Leitlinie unserer Bildungs- und Forschungspolitik
ist, dafür zu sorgen, dass Deutschland ein starker, rele-
vanter Forschungsstandort ist, an den Forscher und For-
scherinnen aus aller Welt kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese drei Leitlinien – die Basis für künftige Wert-
schöpfung, die Signale an die junge Generation und die
Internationalisierung, um attraktiv zu sein – haben diese
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen in
dieser Legislaturperiode verfolgt. Davon zeugt dieser
Haushalt. Davon zeugen insgesamt vier Haushalte. Das
sagt Ihnen jeder in der Szene. Das wissen Sie auch;
manchmal sind Sie sogar dabei, wenn das gesagt wird.
Das wird überall in der Welt gesagt. Das führt bei uns
überhaupt nicht dazu, dass wir uns irgendwie selbstge-
recht zurücklehnen. Die Arbeit ist viel zu spannend, als
dass wir, die Union oder die FDP, sagen würden: Wir ha-
ben jetzt alles getan, was man tun muss. – Vielmehr wis-
sen wir längst, was die nächsten Schritte sind. Wir disku-
tieren darüber. Sie allerdings lamentieren, unentwegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann das ja verstehen. Es ist gar nicht schlimm.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das ist schon schlimm! Das ist unerträglich!)


Das kann man in der Opposition. Das fällt kaum auf. Es
stört auch keinen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es stört überhaupt nicht. Aber ich finde das schon be-
dauerlich. Wir stehen jetzt zehn Monate vor einer Bun-
destagswahl, und die SPD ist vollkommen im Wahl-
kampfmodus, bei allem. Sie haben einfach umgeschaltet.
Statt jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass in solch schwie-
rigen Zeiten, wie wir sie haben – in Europa, aber auch
global; ich denke nur an das Thema „Zukunftschancen
der jungen Generation“ – –


(Zuruf von der SPD)


– Immer wenn Sie mir geholfen haben, habe ich das
auch gesagt. Das war gar kein Problem. Aber was ich
heute hier gehört habe, ist für eine kreative bildungs-
oder wissenschaftspolitische Diskussion nicht gerade ge-
eignet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich nehme das alles jetzt so zur Kenntnis. In der
GWK, der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, gibt
es auf der A-Seite kluge Minister und Ministerinnen, die
mir unter vier Augen sagen: Wir würden das gerne
machen. Sie haben ja recht. Es ist wichtig, dass wir den
Art. 91 b Grundgesetz ändern. Es ist wichtig, dass wir
die Lehrerausbildung wechselseitig anerkennen und mit
der Qualitätsoffensive beginnen können. Es ist wichtig,
dass das, was vorgeschlagen wurde, durchgeführt wer-
den kann. Aber wir befinden uns in einem Prozess, aus





Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) (C)



(D)(B)


dem wir nicht ausbrechen dürfen. Wir müssen dies alles
erst einmal ablehnen.


(René Röspel [SPD]: Was erzählen Sie denn hier? – Klaus Hagemann [SPD]: Nennen Sie doch einmal Ross und Reiter!)


Das ist nicht gut für das Land und nicht klug in der poli-
tischen Auseinandersetzung. Das merken die Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Was schlagen Sie denn vor, um den Ländern mehr Möglichkeiten zu geben?)


Also, Sie sind im Wahlkampfmodus, spielen Verwei-
gerung auf ganzer Linie. Ich nehme das zur Kenntnis.
Wir werden die offenen Punkte überall ansprechen.

Ich komme jetzt zum Art. 91 b Grundgesetz. Das län-
deroffene Gespräch hat stattgefunden. Es sind vier Prüf-
aufträge vergeben worden: zwei für die Länder, zwei für
den Bund. In der letzten Woche habe ich im Vorfeld der
GWK auf die Frage, wie es mit der Prüfung auf der
Ebene der Länder aussieht, nur die Antwort bekommen:
Wir waren bei den beiden Prüfaufträgen nicht sicher,
was wir da prüfen sollten. Es braucht alles noch Zeit. –
Auf meine Frage, auf was sich die Länder, auf was sich
die A-Seite und die B-Seite einigen könnten, gab es die
Antwort: Sie wissen ganz genau, dass es keine Einigung
auf der Ebene der 16 Länder gibt. Die einzig mögliche
Einigung ist, dass der Bund Steuerpunkte abgibt und
sich ansonsten heraushält. – Das kommt nicht infrage,
weil das nichts mit Kooperation zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Was bieten Sie denn an? Sie reden über die Anforderungen an die Länder! Was hat denn die Bundesprüfung ergeben?)


– Wir haben ein Angebot gemacht. Das betrifft die Än-
derung des Art. 91 b.


(René Röspel [SPD]: Heißt das, für alle Hochschulen?)


– Natürlich heißt das: für alle Hochschulen.


(René Röspel [SPD]: Ach!)


Seit wann sind bei Bundesprogrammen Hochschulen
von vornherein ausgeschlossen?


(René Röspel [SPD]: Da steht doch „Exzellenz“ drin!)


– Das sagen Sie. Das ist Ihr schwaches, von Ihnen im-
mer wieder wiederholtes Argument. Sie können noch so
oft in Deutschland über Exzellenz wettern. Der Standort
Deutschland braucht Exzellenz, sonst wird er irrelevant
in der Welt. Sie wissen außerdem, dass Zentren für
islamische Studien, Gesundheitsforschungszentren und
vieles andere überhaupt nichts mit Exklusivität zu tun
haben, sondern dringend notwendige Impulse in unse-
rem Wissenschaftssystem setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Etikett, dass ich nur eine Vorliebe für die Elite habe,
habe ich schon so lange, dass es mich immer weniger
stört.

Wenn Sie sich den Haushalt anschauen – damit
komme ich zum zweiten großen Projekt –, dann wissen
Sie, dass er nicht mit Eliteprojekten bestückt ist. Die
Position Hochschulpakt enthält zum Beispiel für das
Jahr 2013 Mittel in Höhe von 1,8 Milliarden Euro –
1,8 Milliarden Euro in einem einzigen Jahr zur Schaf-
fung von Studienplätzen. Es sind, dieses Jahr ein-
bezogen, in den vergangenen Jahren 500 000 neue Studi-
enplätze an Hochschulen und insbesondere an Fach-
hochschulen entstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720817800

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Nein, ich werde keine Zwischenfragen zulassen.

Nie war die Lust aufs Studieren so groß wie heute.
Niemals zuvor hat eine Bundesregierung mit Unterstüt-
zung der sie tragenden Fraktionen so viel Geld in die
Breite der Hochschulen, in die Grundfinanzierung der
Hochschulen gegeben wie diese Bundesregierung. Nur,
das Problem der Hochschulen ist doch nicht der Bund.
Das Problem der Hochschulen ist, dass nahezu kein
Land nachweisen kann, wie es die Kofinanzierung auf-
bringen will.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Richtig! Das ist das Problem! – René Röspel [SPD]: Wer senkt denn die Steuern?)


Wenn Sie den Hochschulen und den Studierenden in
Deutschland etwas Gutes tun wollen, dann machen Sie
Ihren Landesregierungen klar, dass sie die Gelder für die
Hochschulen nicht kürzen dürfen, sondern erhöhen müs-
sen, und zwar in dem Maße, wie es der Bund macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Sie entziehen den Landesregierungen das Geld und fordern dann noch etwas!)


Tatsache ist – da brauchen Sie sich gar nicht so zu
echauffieren –, dass wir ein eindeutiges Verfahren zwi-
schen Bund und Ländern vereinbart haben. Ende des
Monats gibt es die Schnellmeldung. Dann wissen wir,
wie viele junge Leute tatsächlich im Wintersemester ihr
Studium begonnen haben. Dann werden sich die Staats-
sekretäre treffen und ausrechnen, was das mit Blick auf
bislang Geplantes bedeutet und ob eventuell zugelegt
werden muss.

Auch an dieser Stelle gibt es keinen graduellen, son-
dern einen fundamentalen Unterschied: Immer dann,
wenn Schnellmeldungen ergeben haben, dass die Zahlen





Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) (C)



(D)(B)


größer sind als prognostiziert, hat der Bund bei den
Mitteln zugelegt, und zwar jedes Jahr. Allein im Haus-
haltsjahr 2013 gibt es gegenüber der ursprünglichen
Planung ein Plus von 660 Millionen Euro. Der Bund hat
jedes Jahr zugelegt,


(Klaus Hagemann [SPD]: Das ist doch gut!)


die Länder aber nicht, und das ist schlecht, Herr
Hagemann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Machen Sie doch Steuervorschläge! – Gegenruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ach, hören Sie doch auf, Herr Röspel!)


Wenn die Länder bei den Mitteln nie zulegen, dann führt
das halt zu schwierigen Situationen an den Hochschulen.


(Zuruf von der SPD: Stimmt doch überhaupt nicht!)


Verweigerung führt zu gar nichts.

Wir hätten in Deutschland eine Supersituation, wenn
jeder in dem Bereich, in dem er Verantwortung trägt,
dafür sorgt, dass das, was vereinbart wurde, auch einge-
halten wird. Es gibt viele Länder, in denen Sie Verant-
wortung tragen. Deutschland könnte ein Bildungspara-
dies sein, wenn die Länder in diesem Bereich so viel wie
der Bund tun würden. Kümmern Sie sich also darum!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Dann geben Sie ihnen das Geld!)


Über die Zukunftschancen der jungen Generation
haben wir in der letzten Debatte gesprochen. Sie wissen,
dass wir in Deutschland die niedrigste Jugendarbeits-
losigkeit haben. Sie wissen, dass andere Länder unsere
duale Ausbildung übernehmen wollen. Sie wissen um
die Reduzierung im Übergangssystem. Alle Zahlen sind
bekannt.

Jetzt zur Zukunft. Meine Partei wird in 14 Tagen ei-
nen Bundesparteitag abhalten.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das interessiert uns nicht!)


– Was ich jetzt sagen will, könnte Sie schon interessie-
ren, Frau Ziegler. Hören Sie mir doch einfach bis zum
Ende des Satzes zu. – Dieser Bundesparteitag wird einen
Beschluss fassen, in dem es heißt: Auch in Zukunft plus
5 Prozent für die Forschungsorganisationen in Deutsch-
land.


(René Röspel [SPD]: Auf Pump finanziert, oder wie?)


Von Ihnen höre ich dazu überhaupt nichts. Die einen
sagen: maximal 3 Prozent. Andere sagen wiederum: Das
ist alles sowieso viel zu anstrengend.


(René Röspel [SPD]: Sie haben keine Antwort!)


– Lieber Herr Röspel, es zählen die Fakten, und es zählt
die Akzeptanz. Politik besteht immer aus Sachgerechtig-
keit und Akzeptanz.


(René Röspel [SPD]: Und Buchhaltung!)


Über beides können wir uns nicht beklagen.

Wir haben eine Aufbruchsstimmung am Wissen-
schaftsstandort Deutschland. Es zeigt sich eine deutliche
Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Genera-
tion. Das ist ein wunderbares Fundament, um genau in
dieser Konstellation in Deutschland weiter Politik zu
machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720817900

Das Wort zu einer Kurzintervention hat Kollegin

Agnes Alpers.


Agnes Alpers (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720818000

Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Schavan, Sie

haben verschiedene Punkte angesprochen. Sie haben un-
ter anderem gesagt, die Opposition leiste keine konstruk-
tiven Beiträge und weigere sich, inhaltlich auf Art. 91 b
einzugehen. Ich glaube, alle Oppositionsparteien hier im
Bundestag haben ihren Beitrag dazu geleistet, das Ko-
operationsverbot aufzuheben und in eine Diskussion
über ein Kooperationsgebot einzusteigen.

Ein wesentlicher Vorschlag in diesem Zusammenhang
ist – Stichwort Art. 104 b Grundgesetz –, nicht nur ein
Kooperationsgebot für Hochschulen, sondern für die ge-
samte Bildung zu schaffen. Ich finde es bedauerlich,
dass Sie auf diese konstruktiven Beiträge der Opposition
mit keinem Wort eingegangen sind. Im Übrigen halte ich
Ihre Ausrichtung auf die Bildung in diesem Diskussions-
prozess insgesamt für bedenklich. Da wir heute bei den
Haushaltsberatungen sind, bitte ich Sie, ein Angebot zu
machen. Welche Chancen, Perspektiven sehen Sie und
welche konstruktiven Vorschläge können Sie vorlegen,
um das Kooperationsgebot auf Art. 104 b Grundgesetz
auszuweiten? Sie argumentieren, wie so häufig, folgen-
dermaßen: Wir bieten Zukunftschancen für alle. – Sie
haben vorhin gesagt, dass Sie auf Ihrem nächsten Bun-
desparteitag beschließen wollen, im Haushalt 5 Prozent
mehr für Hochschulen draufzulegen. Das waren Ihre
Worte. Meine Frage ist: Was wollen Sie denn für die
1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren, die
ohne Ausbildung sind, drauflegen? Wo ist da Ihr
Schwerpunkt?


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die Kollegin hat sich doch für die Studenten eingesetzt!)


Werden Sie dazu auf Ihrem Bundesparteitag Lösungs-
wege aufzeigen und konkrete Vorschläge machen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720818100

Frau Ministerin, wollen Sie reagieren?






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Ich reagiere kurz.

Erstens. Meine Angaben zum Bundesparteitag bezie-
hen sich auf die jährliche Steigerung um 5 Prozent für
sämtliche Forschungsorganisationen. Das ist ein zentra-
ler Punkt.

Zweitens. Der Hochschulpakt zwischen Bund und
Ländern – das Angebot ist längst erfolgt – gilt bis 2020.
Die dritte Phase wird dann entsprechend den Prognosen
ausverhandelt.

Drittens. Zur Frage, welches Angebot ich im Blick
auf Art. 104 b mache: Wir reden hier nicht über mögli-
che Finanzhilfen in Notlagen, sondern wir reden über
Kooperation.


(Agnes Alpers [DIE LINKE]: Gute Bildung für alle, Frau Schavan!)


Eine Kooperation zwischen Bund und Ländern lässt sich
jedoch über Art. 104 b nicht regeln.

Darum war mein Angebot und damit auch das Ange-
bot der Bundesregierung an die Bundesländer: Erstens
gehen wir den Schritt, bei dem offenkundig bei den
16 Ländern und dem Bund Konsens besteht; das betrifft
die Wissenschaft. Zweitens schaffen wir analog zum
Wissenschaftsrat einen Bildungsrat mit zwei Kammern,
der zunächst den Auftrag erhält, Möglichkeiten für eine
Kooperation im Bildungsbereich auszuloten. Ich bin
dazu bereit, aber man muss darüber diskutieren.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Handeln Sie oder diskutieren Sie?)


Der Bildungsrat wird seitens der Länder jedoch abge-
lehnt. Es wird immer gesagt, es gehe alles nicht schnell
genug. Aber es würde schneller gehen, wenn man sich
nicht einfach nur verweigern würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720818200

Das Wort hat nun Klaus Hagemann für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1720818300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Frau
Ministerin, Sie haben recht: Es herrscht eine Aufbruch-
stimmung bei Bildung und Forschung in unserem Lande.
Die Zahlen stimmen, zumindest im Hinblick auf die
wachsende Zahl der Studierenden. Dieser Erfolg ist aber
nicht in den letzten drei Jahren vom Himmel gefallen,
darüber sind wir uns sicherlich einig.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat auch niemand gesagt!)


Das ist vielmehr ein Resultat der Arbeit von vielen Jah-
ren, von unterschiedlichen Koalitionen, die das Ganze
durchgesetzt haben. Ich schaue jetzt zu meinem Kolle-

gen Klaus-Peter Willsch. In der Großen Koalition haben
wir vieles von dem durchgesetzt, was heute Anwendung
findet. Ich frage mich nur: Was gehört davon eigentlich
zu den klassischen Projekten von Schwarz-Gelb? Da
bleibt nicht sehr viel übrig.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte noch einmal auf die Geschichtsklitterung,
die hier vorgenommen worden ist, zurückkommen. Wie
war denn die Situation, als Rot-Grün 1998/99 die Ver-
antwortung übernommen hat? Wie viel Geld wurde da
ausgegeben für Bildung und Forschung? Es waren
7,2 Milliarden Euro. Als Rot-Grün abgelöst wurde, war
der Bildungshaushalt – hier muss man das Ganztags-
schulprogramm hinzurechnen – auf fast 10 Milliarden
Euro gesteigert worden.


(Beifall bei der SPD)


Es war eine tolle Leistung – da können die Grünen jetzt
ruhig mitklatschen –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dass wir das geschafft haben, nachdem Herr Rüttgers
weg war vom Fenster und wir endlich eine progressive
Bildungs- und Forschungspolitik machen konnten.


(Zuruf von der FDP: Bildungspolitisches Ammenmärchen!)


Lieber Kollege Eckhardt Rehberg, ich möchte noch
zu einem anderen Punkt Stellung nehmen. Sie haben
vorhin gesagt, die jetzige schwarz-gelbe Koalition lebe
davon, dass wir ein so gutes Wachstum haben. Ja, wir
haben ein gutes Wachstum, wir hatten noch nie so viele
Steuereinnahmen wie jetzt, nämlich 600 Milliarden
Euro. Das ist richtig. Wir hatten aber auch noch nie so
viele Schulden wie jetzt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Da die Mehreinnahmen aus dem Wachstum für die
Finanzierung Ihres Haushalts nicht reichten, ist die
Verschuldung enorm gestiegen. Als Gerhard Schröder
abgetreten ist, hatten wir eine Verschuldung von
68,5 Prozent, jetzt liegt die Verschuldung bei knapp
82 Prozent, nämlich bei 81,7 Prozent. Diese Koalition
hat in den letzten drei Jahren für ein Mehr an Schulden
in Höhe von 115 Milliarden Euro gesorgt. Auch das
sollte man sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Warum hat sich das Wachstum so gut entwickelt?
Weil wir 2009 ein Konjunkturprogramm aufgelegt haben
und weil wir die Regelungen für das Kurzarbeitergeld
verbessert haben, um die Krise zu überwinden.


(Beifall bei der SPD)


Bitte sagen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren
von der Koalition, dass Sie sozusagen noch heute davon
leben. Das sollten Sie wirklich herausstellen.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wie war das denn im Dreißigjährigen Krieg?)






Klaus Hagemann


(A) (C)



(D)(B)


Es wurde erwähnt, dass der Pakt für Forschung und
Innovation eingeführt wurde. Herr Kollege Braun, Sie
sitzen jetzt nicht mehr bei Ihrer Fraktion, sondern auf der
Regierungsbank. Sie haben gesagt, Steinbrück, der da-
malige Finanzminister, habe für die Exzellenzinitiative
keine Mittel in die mittelfristige Finanzplanung einge-
stellt.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Stimmt ja!)


Die Ministerin hieß damals aber Annette Schavan, lieber
Herr Braun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie hat nicht durchgesetzt, dass die Gelder in die mittel-
fristige Finanzplanung aufgenommen werden. Auch das
sollten Sie sagen, Herr Braun.

Ich komme nun auf die schwarz-gelben Projekte zu
sprechen. Lieber Kollege Haustein, wir beide schätzen
uns sehr; das möchte ich hier unterstreichen. Nichtsdes-
totrotz möchte ich das Deutschlandstipendium nennen,
das die Süddeutsche Zeitung in ihrem gestrigen Kom-
mentar als „teuren Flop“ bezeichnet hat. Dem ist nichts
hinzuzufügen.

Ein weiteres Projekt von Schwarz-Gelb, das im Ko-
alitionsvertrag steht – Frau Flach hat es immer wie eine
Monstranz vor sich hergetragen –, nämlich die steuerli-
che Forschungsförderung, wurde klammheimlich beer-
digt; man hört nichts mehr, man sieht nichts mehr. Die
Wirtschaft ist ganz schön sauer.

Das Bildungssparen ist schon einmal von Frau
Schavan versenkt worden. Jetzt ist es wiederbelebt wor-
den. Ich kann Herrn Meinhardt leider nicht für seine
Rede in der Debatte über das Betreuungsgeld loben.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Die war sehr gut!)


Aber die FAZ hat Sie für Ihre Rede gelobt. Es wurde in
dem Artikel allerdings herausgestellt, dass diese Rede
Ihnen bei der Kandidatenkür nicht geholfen habe, ver-
ehrter Herr Kollege Meinhardt.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Klaus, das war eben unterste Schublade! Schäbig war das!)


– Ich habe zitiert, was in der FAZ steht. – Nur achten Sie
bitte darauf, dass Sie nicht hinter die Fichte geführt wer-
den, Herr Meinhardt. Ich habe nämlich gestern eine
Frage zum Bildungssparen gestellt. In der Antwort
wurde zum Fördervolumen, zu Fördervoraussetzungen
und zu Einkommensgrenzen nichts gesagt.

Man muss generell sagen: Bei Forschung und Bil-
dung ist in den Haushalten viel Geld obendrauf gekom-
men. Das unterstützen wir; darüber freuen wir uns sehr;
aber bei der Umsetzung hapert es doch immer wieder.
Ich muss hier eigentlich nicht die immer gleichen Bei-
spiele nennen, die zeigen, was nicht umgesetzt worden
ist. Ich will nur das Beispiel „Qualitätspakt Lehre“ er-
wähnen: Da sind die Mittel zwar zu 97 Prozent belegt.
Aber es hapert noch daran, dass das Geld auch wirklich
in die Universitätskassen und Hochschulkassen fließt: Es

sind erst 44,3 Prozent der Mittel dorthin ausgezahlt wor-
den.

Meine Damen und Herren, ich greife noch einmal das
Deutschlandstipendium auf. 20 Millionen Euro Bil-
dungsmittel wurden nicht abgerufen und fließen an den
Finanzminister zurück. Der Kommentator der Süddeut-
schen Zeitung schreibt,


(Patrick Meinhardt [FDP]: Haben Sie auch eine eigene Meinung?)


dass sich ein Staat zwar das Stipendiensystem für die
Besten leisten könne. Dann sagt er aber richtigerweise:

Seine Kernaufgabe

– also die Kernaufgabe des Staates –

muss es aber sein, nicht nur die Besten zu fördern,
sondern auch diejenigen, die sich Bildung erst er-
kämpfen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für den Aufstieg durch Bildung – das sei dazu gesagt
– wurde beim BAföG nichts getan; nicht einmal einen
Inflationsausgleich hat es gegeben.


(Patrick Meinhardt [FDP]: Das sagen gerade Sie!)


Der Baransatz ist verringert worden.

Mich hat am meisten geschockt, lieber Kollege
Rehberg, was ihr in der Bereinigungssitzung nachts um
halb eins oder halb zwei noch vorgelegt habt:


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Es war 3.06 Uhr!)


Erstens wurde die globale Minderausgabe um 30 Millio-
nen Euro heraufgesetzt. Das heißt, dass 30 Millionen
Euro zusätzlich einzusparen sind. Darüber hinaus wurde
beim Meister-BAföG – auch das möchte ich erwähnen –
eine Streichung von 11,5 Millionen Euro vorgenommen.
Meine Damen und Herren, das sind Mittel, die gerade
bei der Finanzierung eines Aufstiegsstudiums fehlen.
Das ist heftig zu kritisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie mich beim Stichwort „Schlecht und
schleppend umgesetzt“ den Fall der acatech, der Deut-
schen Akademie der Technikwissenschaften, anspre-
chen, der im Rechnungshofbericht erwähnt wird. Frau
Ministerin, hier kam es in Ihrem Haus zu Kontrollversa-
gen und Aufsichtsversagen. Sonst hätte der Rechnungs-
hof in seinen Bericht nicht geschrieben,


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Als SPD-Politiker müssen Sie nicht mit dem Rechnungshof anfangen!)


dass hier Mittel für Partys im China Club – ich wusste
gar nicht, was das ist – zur Verfügung gestellt worden
sind. Sowohl die Vergabe von Aufträgen als auch die





Klaus Hagemann


(A) (C)



(D)(B)


Abrechnung von Reisekosten werden kritisiert. Ich bin
froh und dankbar, dass der Berichterstatter im Rech-
nungsprüfungsausschuss, Kollege Fischer, für nächste
Woche zu einem Berichterstattergespräch eingeladen
hat, um diese Fragen zu klären. Denn so kann man das
nicht stehen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben gesagt, wir würden nur lamentieren, Frau
Ministerin.


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Wohl wahr!)


Nein, wir sind ganz guter Stimmung.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie lamentieren nicht nur, Sie verspritzen Gift!)


Frau Ministerin, Sie wollen auf Ihrem Bundesparteitag
entsprechende Beschlüsse fassen. Wir haben bereits kon-
krete Anträge in den Bundestag eingebracht. Jedes Jahr
sollen 2 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben
werden. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht: ange-
fangen bei der Bildung der Kleinsten, über Ganztags-
schulprogramm, Berufsbildung, Studium bis hin zur
Weiterbildung. Was haben Sie mit den von uns unter-
breiteten Vorschlägen gemacht? Sie haben sie einfach
mit der Mehrheit der Koalition weggewischt. Das ist
doch kein Aufbruch! Wir hingegen haben konkrete Vor-
schläge vorgelegt. Das zeigt: Wir lamentieren nicht, son-
dern wir tun zukunftsorientiert etwas für die Bildungs-
republik. Das möchte ich noch einmal unterstreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum wollen Sie in Art. 91 b GG nicht auch die Un-
terstützung für die Schulen aufnehmen? Wir hatten ein
gutes Ganztagsschulprogramm. Warum soll das jetzt nur
über Winkelzüge möglich sein? Wir sollten die Schul-
sozialarbeit unterstützen. Sie sehen: Unsere Forderung
geht etwas weiter als das, was Sie vorgetragen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720818400

Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1720818500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

2008 haben Bund und Länder das ehrgeizige Ziel verein-
bart, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015
auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben:
7 Prozent für Bildung und 3 Prozent für Forschung. Das
war ein ehrgeiziges Ziel. Wie wir heute gehört haben,
sind gerade SPD und Grüne schnell dabei, wenn es da-
rum geht, sich ambitionierte Ziele zu stecken. Für meine
Fraktion, für unsere Koalition kann ich sagen: Wir ste-

cken uns nicht nur Ziele, sondern wir setzen diese Ziele
auch tatsächlich um.


(René Röspel [SPD]: Das ist die LissabonStrategie!)


Im Moment liegen der Anteil für Bildung bei 7 Pro-
zent und der Anteil für Forschung bei 2,8 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes.


(Klaus Hagemann [SPD]: Das stimmt nicht ganz!)


– Herr Hagemann, die Zielmarke von 10 Prozent wird
erreicht, weil die Schwerpunktsetzung unserer Politik
auf Bildung und Forschung gerichtet ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Ziel werden wir daher eher erreichen, als Sie sich
das hätten träumen lassen.

Unser Haushalt für Bildung und Forschung 2013 ist
ein Zeichen für unsere erfolgreiche Politik. Ich nenne
diese Zielmarke, weil es hier manchmal zu Verwechs-
lungen kommt. Mit Ausgaben für Bildung und For-
schung sind nicht nur öffentliche Gelder, sondern auch
private Investitionen gemeint. Das ist ganz wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Aha! – Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist gut so!)


Da wir gerade von privaten Investitionen sprechen:
Sie sind eben wieder auf dem Thema Deutschlandstipen-
dium herumgeritten. Bevor wir damals überhaupt losge-
legt haben, hatten Sie es schon für tot erklärt. Gerade
eben haben Sie es wieder getan. Selbst jetzt, wo das
Deutschlandstipendium von den Studierenden an den
Universitäten und auch von der Gesellschaft immer bes-
ser angenommen wird


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Verdoppelt! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall!)


und sich die Zahl der Stipendien verdoppelt hat, tun Sie
so, als wäre nichts geschehen.

Das Deutschlandstipendium ist ein Erfolg, und es
wird auch ein Erfolg bleiben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist vor allem deswegen ein Erfolg, weil es zu mehr
privaten Investitionen in Bildung führt; denn beim
Deutschlandstipendium – das muss man begreifen – geht
es nicht nur um Zahlen, sondern wir leiten damit einen
Kulturwandel hin zu einer völlig neuen, modernen und
auch international geprägten Stipendienkultur ein.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU])


Am Ende werden wir deutlich über dem geplanten 10-Pro-
zent-Ziel liegen.

Noch eine Bemerkung zur acatech, lieber Kollege
Hagemann. Sie haben die Zahlen genannt. Wir werden





Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


darüber reden. Aber klar ist auch: Das fällt zum großen
Teil in die Zeit, in der Sie Verantwortung getragen ha-
ben.


(Zuruf von der FDP: Genau! Wir haben keine Mehrheit gehabt!)


Lassen Sie mich zum Einzelplan 30 Folgendes sagen:
Wir werden uns an diesem Haushalt messen lassen. Das
sage ich mit Stolz. Denn es zeigt, dass diese Koalition
erfolgreich ist.

Wir haben in den letzten drei Jahren im Bereich Bil-
dungs- und Wissenschaftspolitik einen unendlich großen
Fußabdruck hinterlassen. Die Zielsetzungen, die wir an-
gehen, sind eindeutig zukunftsfähig, und zwar nicht nur
in qualitativer oder quantitativer Hinsicht. Wir haben
auch etwas tatsächlich Neues auf den Weg gebracht.
Herr Hagemann, Sie hatten gerade bemängelt, dass wir
nichts Neues auf den Weg gebracht hätten.

Ich will an dieser Stelle einmal unseren Haushalt,
auch hinsichtlich der Struktur, mit dem Haushalt von
2005 vergleichen, dem letzten Haushalt, den Rot-Grün
zu verantworten hatte – daran müssen Sie sich messen
lassen –: Ich glaube, dass dieser Haushalt eine klare
Handschrift trägt. Eine solche Handschrift hatte der
Haushalt 2005 eben nicht.


(Klaus Hagemann [SPD]: Belegen Sie das mal!)


Ich erinnere beispielsweise an die voneinander getrennten
Förderbereiche Biotechnologie, Biomedizin, Gesundheit
und Medizin – alles stand für sich. Auch im Bereich der
Nanoelektronik haben Sie die Förderschwerpunkte vonei-
nander getrennt: Nanomaterialien, optische Technologien
und andere. Ich könnte diese Liste unendlich fortführen.
Der Haushalt 2005 war das Abbild einer orientierungslo-
sen Politik. Das war eine Zusammenstellung von Einzel-
punkten, ohne Struktur und ohne klare Zielrichtung.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)


Was haben wir jetzt gemacht? Wir haben die For-
schungsförderung auf wesentliche Programme konzen-
triert. Wir haben die Forschungsbereiche auf eine Mis-
sion ausgerichtet: für die Gesellschaft, für die Wirtschaft
und für die Menschen.


(Klaus Hagemann [SPD]: Vorher nicht? – Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])


Wir haben zum Beispiel das vorher nur in Ansätzen exis-
tente Rahmenprogramm Biotechnologie weiterentwi-
ckelt. Heute haben wir – das kann man nachlesen, Herr
Röspel – mit der Nationalen Forschungsstrategie Bio-
Ökonomie 2030 ein substanzielles Programm.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir haben Ihre vergleichsweise magere Förderung
der biomedizinischen Forschung in einem völlig neuen,
von uns gestalteten Rahmenprogramm Gesundheitsfor-
schung weiterentwickelt. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt. Das 2010 aufgelegte Rahmenprogramm Gesund-
heitsforschung übersteigt mit seinem Fördervolumen

von 5,5 Milliarden Euro eindeutig das, was Sie 2005 ge-
macht haben.


(René Röspel [SPD]: Was ist daran neu?)


Mit der Gründung von fünf Gesundheitszentren im Rah-
men dieses Programms haben wir die Gesundheitsfor-
schung deutlich – ich sage: deutlich – optimiert,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Das können Sie überhaupt nicht belegen!)


hin zu einer besseren medizinischen Behandlung der
Volkskrankheiten und hin zu einer gesteigerten Lebens-
qualität.

Wir haben in dieser Legislaturperiode – daran haben
auch Sie einen Anteil – die Hightech-Strategie 2020 zum
Erfolg geführt.


(Klaus Hagemann [SPD]: Die ist in der Großen Koalition beschlossen worden!)


– Ich sagte es ja: Daran waren Sie beteiligt; das ist völlig
klar. – Aber wir haben aus der Hightech-Strategie ein
Gesamtkonzept gemacht; denn man muss den komple-
xen Zusammenhang zwischen Forschung, Innovation
und Technologie sehen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Was heißt das?)


Die christlich-liberale Koalition hat die Hightech-Strate-
gie auf fünf zentrale, globale Herausforderungen zuge-
schnitten.


(René Röspel [SPD]: Sagen Sie die einmal, ohne abzulesen!)


Es war die christlich-liberale Koalition, die den Schwer-
punkt der Hightech-Strategie auf die Förderung der klei-
nen und mittleren Unternehmen gelenkt hat. Dafür,
meine Damen und Herren von der Opposition, dürfen
Sie uns ruhig loben.

Ich könnte die Liste beliebig fortführen. Ich denke nur
an die Bündelung im Bereich der Nanotechnologie, den
sogenannten Aktionsplan Nanotechnologie 2015, oder
an das Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Si-
cherheit“ oder an das Programm zum demografischen
Wandel mit dem Thema „Das Alter hat Zukunft“. Die
Erfolge dieser Koalition sind sichtbar. Sie sind allerdings
für diese Erfolge blind.

Am Ende wird man immer zum gleichen Ergebnis
kommen: Unter Ihnen wäre das Haushaltsvolumen bei
7,6 Milliarden Euro geblieben und immer noch eine
Sammlung von vielen Einzelmaßnahmen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Klaus Hagemann [SPD]: Woher wollen Sie das wissen?)


Wir haben den Haushalt über die Forschungsprogramme
hinaus maßgeblich neu geprägt, unter anderem durch das
Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Wir haben der Forschung
per Gesetz mehr Freiraum gegeben.





Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)



(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Sie haben die Forschung erfunden! – Heiterkeit bei der SPD)


Wir haben vor allen Dingen – das ist wichtig – den
Wissenschaftlern mehr Vertrauen entgegengebracht und
ihnen mehr Verantwortung übertragen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


damit die Forschungseinrichtungen nicht nur mehr Geld
haben, sondern dieses auch besser einsetzen können;
denn wir wissen, dass es in der Wissenschaft vor allem
darauf ankommt, dass das Geld zielorientiert ausgege-
ben wird.

Wir wollen mit der Änderung des Art. 91 b des
Grundgesetzes die rechtliche Grundlage dafür schaffen,
dass sich der Bund in Kooperation mit den Ländern an
der Finanzierung der Hochschulen beteiligt, damit das
Geld zielgerichtet ausgegeben werden kann. Bislang ha-
ben die Länder im Bundesrat – das richte ich gerade an
die Adresse von SPD und Grünen – eine solche Ände-
rung abgelehnt. Machen Sie doch diesen Schritt! Er ist
wichtig, auch für unsere Hochschulen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Mit dieser Haltung konterkarieren Sie jede Kritik, die
Sie heute zur Hochschulpolitik und zum Haushalt geäu-
ßert haben. Wenn es Ihnen tatsächlich um die Wissen-
schaft und den sinnvollen Einsatz von Finanzmitteln
geht, dann bewegen Sie doch endlich Ihre Kollegen in
den Ländern zum Umdenken. Anderenfalls – das ist
meine Schlussbemerkung – disqualifizieren Sie sich für
die Übernahme von Verantwortung in der Wissen-
schaftspolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720818600

Das Wort hat nun Arfst Wagner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.

Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
kann mein Manuskript in die Tonne treten, weil Sie mich
in der Diskussion so angeregt haben, dass ich darauf gar
nicht zurückgreifen möchte. Ich komme von der Nord-
seeküste; da geht es meistens stürmisch zu. Ich wünsche
mir aber in der Bildungsdebatte ein wenig von der Sensi-
bilität, die wir in der vorangegangenen Debatte über die
Beschneidung erlebt haben.

Wir müssen uns immer bewusst machen, wer eigent-
lich unsere Auftraggeber und Auftraggeberinnen in der
Bildung sind. Wenn ich Schülerinnen und Schülern diese
Frage stelle, dann antworten sie unsicher: Das Kultusmi-
nisterium? Darauf frage ich: Habt ihr noch eine andere
Antwort? Dann kommt vielleicht von einem bescheide-
nen Mädchen aus der letzten Reihe die Antwort: Meine
Mutter? Dann sage ich: Geht es nicht ein bisschen ge-
nauer? Aber sie kommen in der Regel nicht auf die rich-
tige Antwort, sodass ich als Lehrer meistens sagen muss:
Jetzt bin ich enttäuscht von euch. Das seid doch ihr.

Bei der Gewichtung der bisherigen Debatte habe ich
als Pädagoge – ich war bis vor einem halben Jahr Lehrer –
bemerkt, dass viele Kolleginnen und Kollegen den
Schwerpunkt des Bildungsbegriffes am Ende des Bil-
dungsprozesses sehen. Er liegt eher bei der Forschung
oder bei dem Thema, mit dem ich jetzt im Ausschuss be-
sonders befasst bin, nämlich bei der Qualifikation und
insbesondere bei der Berufsqualifikation. Wir müssen
uns aber klarmachen, dass der Bildungsbegriff viel wei-
ter gefasst ist und dass dabei nicht nur eine Rolle spielt,
wie wir junge Menschen auf den Beruf vorbereiten – das
ist sicherlich wichtig, und auch ich werde das wichtig
nehmen, weil es meine Aufgabe ist –, sondern dass Bil-
dung ein umfassendes Menschenbild erfordert.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen sowie die
Frage, ob wir den Menschen von seiner Qualifikation
her so vorbereiten, dass er in seinem Beruf funktionieren
kann, sind wichtig. Nicht die Ausrichtung auf den Ar-
beitsmarkt, sondern die Bildung zum ganzen Menschen
ist zuallererst wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das erfordert natürlich eine Umstrukturierung der
Bildung. Darüber sollten wir alle in den nächsten Jahren
sehr viel nachdenken. Wir sollten vielleicht parteiüber-
greifend einen Bildungsprozess anstoßen, der die Bil-
dungsrepublik Deutschland wahr werden lässt. Auch in
der Debatte über Europa müssen wir die kulturelle Bil-
dung der Kinder und Jugendlichen sowie der Erwachse-
nen noch viel stärker ins Auge fassen. Europa ist bisher
in den bundesdeutschen Schulen so gut wie gar nicht an-
gekommen. Das muss geändert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und der FDP)


Es geht nicht nur um berufliche Qualifikation, son-
dern auch darum, dass junge Menschen in die Lage ver-
setzt werden, ihre Emotionen auszudrücken und eine
Sprache für die Dinge zu finden, die sie bewegen, ob sie
gut träumen oder eine gute Verdauung haben, ob sie viel-
leicht von Wut erfüllt sind und von unterdrückten Be-
gierden bestimmt werden. Das sind Themen, die in der
Bildung eine genauso wichtige Rolle spielen. Wie wir
alle wissen, ist die heutige Welt komplex. Wenn ich so
etwas sage, spreche ich nicht gegen eine vernünftige
Vorbereitung auf einen Beruf.

Wir müssen auch in der Migration Wege finden, of-
fensichtliche Ungereimtheiten in der internationalen
Verknüpfung der Qualifikationen zu begradigen. Wenn
zum Beispiel die Qualifikation eines russischen Kran-
kenpflegers in Deutschland nur deshalb nicht anerkannt
wird, weil er zwei Jahre zu lange studiert hat, ist das völ-
lig absurd. Er hat fünf Jahre gelernt – hier sind nur drei
Jahre erforderlich –, und dann wird das nicht anerkannt.

Eine Vergleichbarkeit funktioniert leider nicht einmal
in unserem Bachelor-/Master-System länderübergrei-





Arfst Wagner (Schleswig)



(A) (C)



(D)(B)


fend. Auch da müssen wir schauen, dass das System eva-
luiert wird und dass wir erst einmal innerhalb Deutsch-
lands die Begradigung der Ausbildung innerhalb der
Bachelor-/Master-Studiengänge hinbekommen. Das
müssen wir unbedingt vorantreiben; denn wenn wir es
nicht schaffen, die Menschen von der inneren Mobilität
her auf die äußere geforderte Mobilität vorzubereiten,
verlieren wir erst einmal menschliches Kreativpotenzial.
Wir verlieren aber auch für die Volkswirtschaft Fähig-
keiten; denn jeder Mensch, bei dem es nicht gelingt, des-
sen Kreativpotenzial entsprechend zu fördern, belastet
letztlich sogar die Volkswirtschaft. Es ist einfach zu
teuer, nicht entsprechend in die Bildung zu investieren,
um diese Dinge auch im Hinblick auf den erweiterten
Bildungsbegriff in Angriff zu nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720818700

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich komme zum Ende. Vielleicht habe ich aber einen
kleinen Sonderbonus von zehn Sekunden. – Das als
Schluss: Ich habe gestern eine Mail von einem Studenten
bekommen, der sein Studium selber finanziert. Er wird
jetzt 30. Die Krankenversicherung fällt weg, und das
BAföG fällt weg, weil er innerhalb des Bachelor-/Mas-
ter-Systems studiert. Er fragt mich: Soll ich lieber ar-
beitslos werden? Das ist für den Staat viel teurer, als
wenn er mir ein anständiges BAföG bezahlt, ich in ei-
nem Jahr 50 000 Euro verdiene und dann anständig
Steuern zahlen kann. Insofern: Bitte, BAföG-Erhöhung
sofort! – Das möchte ich zum Schluss sagen. Das
nächste Mal mehr.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720818800

Lieber Kollege Wagner, Sie haben einen Bonus von

100 Sekunden bekommen, weil das heute Ihre erste
Rede war. Gratulation und alles Gute für die weitere Ar-
beit!


(Beifall)


Jetzt hat Michael Kretschmer für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1720818900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist schon so: Die Zahlen, die wir im Rahmen
des Haushalts zu besprechen haben, sind beeindruckend.

Viel spannender aber sind die Geschichten hinter den
Zahlen bzw. hinter dem Geld. Das sind Geschichten, die
lauten beispielsweise wie folgt: Als ich in den Deutschen
Bundestag kam, hatte eine rot-grüne Regierung hier Ver-
antwortung. Da wurden die Haushalte für die außeruni-

versitären Forschungseinrichtungen überrollt. In den Ge-
sichtern der Präsidenten und der Institutsleiter konnte
man lesen, dass sie nicht wussten, wie es weitergeht;
denn wenn man einen Haushalt bei steigenden Kosten
überrollt, heißt das eben nicht, dass alles wie bisher wei-
terläuft, sondern es gibt einen Abbruch. Das haben wir
– durch 3 Prozent und jetzt 5 Prozent kontinuierlichen
Aufwuchs – beendet. Das war eine ganz wichtige Maß-
nahme.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Hagemann [SPD]: Aber das hat RotGrün auf den Weg gebracht!)


Wir haben eine Veränderung des Personalrechts er-
lebt. Sie beinhaltete eine Befristung, die dafür gesorgt
hat, dass viele, die sich engagiert haben und in den Insti-
tuten wichtige Funktionen hatten, auf einmal vor dem
Ende ihrer Karriere standen.

Wir haben das Arbeitsrecht für die Wissenschaft ver-
ändert und damit viele Karrierechancen verbessert. Wir
haben durch mehr Geld und starke Aufwüchse Karriere-
chancen für junge Leute eröffnet. Durch Planbarkeit ha-
ben wir bei den Familien dieser jungen Wissenschaftler
viel Sicherheit erreicht.

In der Krise haben wir in Bildung, Forschung und
Wissenschaft investiert. Damit haben wir den Grund-
stein dafür gelegt, dass die deutsche Wirtschaft heute
besser dasteht, dass wir mehr Steuereinnahmen haben
und dass die Lebenschancen der Menschen in der Bun-
desrepublik Deutschland um ein Vielfaches besser sind
als in allen anderen europäischen Ländern. Das, was sich
hinter diesen Zahlen verbirgt, ist ein großartiger Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben, als ich vor zehn Jahren in den Deutschen
Bundestag kam, eine Diskussion darüber geführt, dass
die wirklich besten Wissenschaftler nicht nach Deutsch-
land, sondern nach Amerika gegangen sind. Heute haben
wir die Situation, dass die Topleute aus Stanford, aus
Oxford und aus Harvard an Institute und Hochschulen in
Deutschland möchten, weil sie hier mehr Chancen se-
hen; denn hier wird noch investiert und nicht gekürzt.
Das ist das Ergebnis unserer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Bei Rüttgers gegangen und bei Bulmahn wiedergekommen!)


Ich finde es sehr traurig, dass die Vertreter zweier gro-
ßer Parteien, die früher in der Wissenschaft ein Standing
hatten, SPD und Grüne,


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, dass Sie uns als große Partei bezeichnen!)


und auch der eine oder andere von den Linken, der in der
Wissenschaftspolitik schon ordentlich Staub gewischt
hat, heute hier Reden gehalten haben, die derart ärmlich
waren, wie es gar nicht schlimmer sein konnte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Michael Kretschmer


(A) (C)



(D)(B)


Sie haben auch durch Ihr Verhalten in der Frage der
Grundgesetzänderung und durch die bereits angespro-
chene Blockade in der Gemeinsamen Wissenschaftskon-
ferenz und der Kultusministerkonferenz so viel Ansehen
verloren,


(Widerspruch bei der SPD)


dass es auch für uns als Unionspolitiker traurig ist, dies
zu beobachten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Waren Sie dabei?)


Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir können, wir
wollen und wir werden nicht einfach Geld an die Länder
geben; denn, Kollege Hagemann, das Land, aus dem Sie
kommen, hat mit dem Nürburgring


(Zurufe von der SPD: Oh!)


das beste Beispiel dafür geliefert, warum man das nicht
tun darf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Über andere Länder liest man in der Zeitung, dass sie
ihre Mittel für den Hochschulpakt kürzen, weil der Bund
ja das Geld gibt. Sie stehlen sich damit aus der Verant-
wortung. So kann es nicht funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben hier als Bundespolitiker, als Forschungs-
politiker und Wissenschaftspolitiker eine Verantwor-
tung für das Gesamtsystem. Das Wissenschaftssystem in
einem föderalen Land besteht nun einmal aus zwei kom-
munizierenden Röhren. Das heißt, wenn wir mehr Geld
hineingeben und andere mehr herausnehmen, dann ist
am Ende nicht mehr, sondern im Zweifel sogar weniger
da. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen darauf
bestehen, dass unser Geld ordentlich eingesetzt wird und
dass wir Kontrolle darüber haben, was damit passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])


Wir tun schon heute viel. Der Bundesrechnungshof
hat es in seinem letzten Bericht dargestellt: 20 Prozent
unseres Einzelplans umfassen Ausgaben an die Länder.
12 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen für
Bildung und Wissenschaft an die Länder. Das ist eine ge-
waltige Leistung.


(Klaus Hagemann [SPD]: Das ist doch gut! Wo liegt das Problem?)


Dies zeigt auch, dass Kooperation möglich ist. Wer mehr
möchte, muss bereit sein, der Änderung von Art. 91 b
des Grundgesetzes zuzustimmen. Ich kann Ihnen nur ei-
nes sagen: Mit jedem Tag, den Sie diese notwendige
Maßnahme im Bundesrat blockieren, verlieren Sie Anse-
hen bei den Wissenschaftlern, bei den Studenten, bei al-
len Menschen, die dies beobachten. Ich kann Ihnen nur
sagen: Hören Sie auf mit diesem Spiel! Sie schaden sich
in einem unglaublichen Maße.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Damit schaden Sie auch dem Wissenschaftsstandort
Deutschland.

Wir haben eine ganze Menge vor. Wir haben nach
dem Auslaufen der Exzellenzinitiative die Notwendig-
keit, etwas zu tun, und wir sind auch bereit, in Zukunft
entsprechend Verantwortung zu übernehmen.


(René Röspel [SPD]: Was?)


Aber dies tun wir nur unter der klaren Voraussetzung,
dass wir die Kontrolle haben. Deswegen ist diese Grund-
gesetzänderung so wichtig. Wir lassen uns – auch das
will ich sagen – nicht aufhalten und blockieren.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie blockieren!)


Es gibt eine ganze Reihe möglicher Kooperationen. Die
Beispiele KIT sowie Max-Delbrück-Centrum und
Charité sind in dieser Debatte schon genannt worden.


(René Röspel [SPD]: Also brauchen Sie die 91-b-Lösung nicht?)


Wir werden weitere Kooperationen zwischen außeruni-
versitärer Wissenschaft und Hochschulen finden. Damit
zeigen wir einmal mehr, wie wichtig und wie ernst
Union und FDP dieses Thema ist. Mit jeder weiteren
Kooperation wird deutlicher werden, dass die Grundge-
setzänderung richtig und sinnvoll ist.


(René Röspel [SPD]: Aber Sie machen es auch ohne Grundgesetzänderung!)


Es ist natürlich wesentlich komplizierter, den Weg
über Fraunhofer-, Max-Planck-, Leibniz- oder
Helmholtz-Institute zu gehen, als direkt zu sagen: Dieser
exzellente Bereich einer Hochschule, diese Graduierten-
schule an einer Universität soll von uns unterstützt wer-
den. Sie kommen mit jedem Tag mehr unter Druck. Ich
kann Ihnen nur noch einmal sagen: Hören Sie auf mit
diesem Spiel! Sie haben das nicht nötig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie sind unter Druck!)


Der Haushalt setzt Akzente für die neuen Bundeslän-
der.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Richtig!)


Ich bin stolz darauf. Wir haben nach der Wiedervereini-
gung eine schwierige Situation gehabt, zum Beispiel
durch Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Auch heute
gibt es noch in weiten Teilen Probleme. Es gibt einen
großen Unterschied zwischen Ost und West.

Dieses Ministerium ist ein wirkliches Aufbau-Ost-
Ministerium. In den letzten 10, 15 Jahren hat es kontinu-
ierlich investiert.


(Klaus Hagemann [SPD]: Es waren 15 Jahre! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, genau! In den letzten 15 Jahren!)


Mit dem neu aufgelegten Programm „Zwanzig20 –
Partnerschaft für Innovation“ wird jetzt noch einmal ein
deutlicher Akzent gesetzt. Ich bin sehr dankbar dafür,





Michael Kretschmer


(A) (C)



(D)(B)


Frau Bundesministerin, dass auch Sie persönlich hier
einen Schwerpunkt gesetzt haben. Die Resonanz bei
Wissenschaftlern, bei Politikern in den neuen Bundes-
ländern und bei der Wirtschaft zeigt, dass dieses Signal
ankommt. Ich erhoffe mir davon einen Schub für mehr
Arbeitsplätze und mehr Chancen. Gut, dass wir die Kraft
dazu aufbringen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zum Thema Stipendien und zum Stipendienpro-
gramm ist schon einiges gesagt worden. Ich will, da Sie
die Süddeutsche Zeitung zitiert haben, nur darauf hin-
weisen: Selbst der Spiegel kommt zu der Erkenntnis,
dass es nichts Unredlicheres gibt, als das Stipendienpro-
gramm mit dem BAföG zu vergleichen: erstens, weil die
Größendimensionen – 2 bis 3 Milliarden Euro beim
BAföG, wenige Millionen Euro beim Stipendienpro-
gramm – überhaupt nicht zusammenpassen; zweitens,
weil wir das BAföG in einem noch nie dagewesenen
Umfang erhöht haben;


(Lachen bei der SPD – René Röspel [SPD]: Ja, genau! Erfunden haben Sie es wohl auch noch! Und Willy Brandt war in der CDU!)


drittens, weil es in der Sache richtig ist, dafür zu sorgen,
dass dieses Land, das keine Stipendienkultur kennt, jetzt
endlich einen Schritt vorankommt. Sie sollten darüber
nicht klagen, sondern sich selbst einbringen. Nehmen
Sie ein bisschen Geld in die Hand, und vergeben Sie ein
Stipendium! Die Leute werden Ihnen dankbar dafür sein.


(Klaus Hagemann [SPD]: Dafür brauche ich Ihren Rat nicht, Herr Kretschmer!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720819000

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1720819100

Herr Präsident, ich bin am Schluss.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was für ein Riesenstaatsmann da drüben!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720819200

Das Wort hat nun Swen Schulz für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1720819300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe diese
Debatte mit einem lachenden und einem weinenden
Auge verfolgt: mit einem lachenden Auge, weil der
Haushalt für Bildung und Forschung in der Tat erhebli-
che Steigerungen erfährt – das ist gut, und das unterstüt-
zen wir –, mit einem weinenden Auge, weil die Vertrete-
rinnen und Vertreter der Koalition, so mein Eindruck,
auf einem verdammt hohen Ross sitzen.


(Beifall bei der SPD)


Da wird sogar dreiste Geschichtsklitterung betrieben,
um darstellen zu können, wie großartig gerade die
Koalition gewesen sei.

Ich will daran erinnern, dass Rot-Grün den Haushalt
für Bildung und Forschung nach der Kohl-Ära erst aus
dem Keller holen musste. Das BAföG, Kollege
Kretschmer, war eine Ruine. Wir mussten es unter Rot-
Grün erst wieder aufbauen.


(Beifall bei der SPD)


Ich will auf die Diskussion über die Eigenheimzulage
zu sprechen kommen. Ich erinnere mich noch sehr gut
daran: Rot-Grün hatte vorgeschlagen, die Eigenheimzu-
lage zu streichen und die frei werdenden Mittel für Bil-
dung und Forschung zu verwenden. CDU, CSU und
FDP haben das im Bundesrat blockiert und verhindert.
Erst in der Großen Koalition hat es die SPD geschafft,
CDU und CSU davon zu überzeugen, dass es der rich-
tige Weg ist, in die Köpfe statt in Beton zu investieren.


(Beifall bei der SPD)


Diesen Weg sind wir gegangen. Durch die Streichung
der Eigenheimzulage haben wir, jährlich steigernd, dafür
gesorgt, dass heute pro Jahr über 6 Milliarden Euro mehr
für Bildung und Forschung zur Verfügung stehen.


(René Röspel [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Wir haben das Pferd gesattelt, auf dem ihr reitet!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720819400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kalb?


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1720819500

Ja, gerne.


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1720819600

Herr Kollege, sind Sie sich wirklich sicher, dass die

Eigenheimzulage gestrichen worden ist?


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1720819700

Ja, natürlich bin ich mir sicher. Dabei haben Sie mit-

gemacht. Ich kann Ihnen das gerne im Protokoll zeigen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Könnte es sein, dass Sie den Etat nicht gut genug kennen?)


– Ist das jetzt ein Zwiegespräch? – Auf diese Art und
Weise sind 6 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und
Forschung mobilisiert worden. Wenn ich mir die Steige-
rung der Haushaltsmittel von 2005 bis jetzt ansehe – auf
den Haushaltsplan 2013 sind Sie ja so stolz –, stelle ich
fest: Genau diese zusätzlichen 6 Milliarden Euro veran-
schlagen Sie jetzt. Wissen Sie, wie man das beim
Fußball nennt? Das ist ein Abstaubertor.


(Beifall bei der SPD – René Röspel [SPD]: Ja, genau! Immer die anderen laufen lassen!)


Ich finde, Sie sollten sich, anstatt hier großkotzig auf-
zutreten, lieber für Ihre damalige Blockade, als es um die
Streichung der Eigenheimzulage ging, entschuldigen





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)


und sich bei der SPD bedanken, dass wir den Weg dafür
bereitet haben, dass Sie überhaupt einen solchen Haus-
halt vorlegen können.


(Beifall bei der SPD)


Das ist von Ihnen aber nicht zu erwarten, weil Sie, wie
gesagt, auf einem sehr hohen Ross sitzen.

Ich will jetzt einen Blick in die Zukunft werfen. Die
Zukunft sieht tatsächlich nicht besonders gut aus. Das
Ross Bildung und Forschung ist von dieser Koalition auf
Diät, auf Magerkost gesetzt worden. Um das zu sehen,
reicht ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung: Die
Bundesregierung plant, dass die Ausgaben für Bildung
und Forschung wieder sinken – natürlich erst nach dem
Bundestagswahljahr 2013 –, und zwar bis 2016 um über
0,5 Milliarden Euro. Wenn wir Frau Schavan und ihre
Staatssekretäre fragen, wie sie sich das vorstellen, be-
kommt man die Antwort: Na ja, machen Sie sich mal
keine Sorgen! Es wird nichts so heiß gegessen, wie es
gekocht wird. Das mit der mittelfristigen Finanzplanung
muss man alles nicht so ernst nehmen.

Ihre Chefin, Frau Schavan, die Bundeskanzlerin
Merkel, sieht das vollkommen anders. Gestern in der
Haushaltsdebatte hat sie stolz und klar gesagt, wie wich-
tig die mittelfristige Finanzplanung ist – ich zitiere –:

2016 – das können Sie der mittelfristigen Finanz-
planung entnehmen – wollen wir die Neuverschul-
dung auf null geführt haben.

Gegen dieses Ziel haben wir nichts – aber doch nicht
auf Kosten der Zukunft, nicht auf Kosten von Bildung
und Forschung!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Auswirkungen der bevorstehenden Kürzungen
spüren wir schon jetzt schmerzhaft, weil Frau Schavan
gar nicht die Möglichkeit, das Mandat, die Erlaubnis hat,
irgendwelche Finanzierungszusagen zu geben. Wie ist es
zum Beispiel mit dem BAföG? Seit Januar liegt der
BAföG-Bericht vor. Wo ist der Vorschlag der Regie-
rungskoalition, das BAföG anzuheben? Fehlanzeige.
Auch beim Hochschulpakt gibt es dringenden Hand-
lungsbedarf. Die Entscheidung ist von Frau Schavan auf
April 2013 verschoben worden. Mal schauen, was Ihnen
bis dahin noch so einfällt.

Frau Schavan, Sie haben in Ihrer Rede wieder darauf
verwiesen, mit den Ländern sei es schwierig


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist es ja auch!)


und die Verantwortung liege schließlich bei den Län-
dern. Das alles sind Nebelkerzen, Sie spielen auf Zeit.
Die Wahrheit ist: Die mittelfristige Finanzplanung gibt
definitiv nichts anderes her.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Schavan, damit keine Missverständnisse entste-
hen: Ich will Ihnen das nicht persönlich vorwerfen. Die
Verantwortung für diese Blockade in der Bildungspolitik

liegt bei der Bundeskanzlerin; ihr können wir das sehr
wohl vorwerfen. Was Frau Merkel unter der Bildungs-
republik Deutschland versteht, hat sie gestern in der
Haushaltsrede sehr deutlich gesagt: Sie will nicht nur bei
der Bildung kürzen, sie verteidigt auch das irrsinnige
Betreuungsgeld. Man kann es nicht häufig genug sagen:
Das Betreuungsgeld ist erstens bildungsfeindlich, und
zweitens fehlt das Geld, das für das Betreuungsgeld
ausgegeben wird, an anderer Stelle, nämlich bei der
Bildung. Dort wird es dringend benötigt.


(Beifall bei der SPD – René Röspel [SPD]: Und es ist auf Pump finanziert!)


Ein weiterer wichtiger Punkt: Bundeskanzlerin
Merkel hat einer Streichung des Kooperationsverbotes in
der Bildung eine klare Absage erteilt. Übersetzt bedeutet
das: Frau Merkel will nichts für die Schulen tun.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist auch nicht unsere Aufgabe!)


Wir wollen ein zweites Ganztagsschulprogramm. Das
erste hat Rot-Grün auf den Weg gebracht. Es hat eine
Menge bewirkt. Jetzt wollen wir einen weiteren Schritt
machen: Wir wollen einen Rechtsanspruch auf einen
guten Ganztagsschulplatz, und zwar überall in Deutsch-
land, schaffen. Dafür müssen wir das Grundgesetz
ändern. Frau Merkel lehnt das ab.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir wollen gleiche Chancen und optimale Förderung für
alle Schüler, egal wo sie herkommen, egal aus welcher
Familie sie stammen, egal wie viel Geld in ihrem Eltern-
haus vorhanden ist. Das ist der richtige Weg.

Ihr hohes Ross, Frau Schavan, entpuppt sich bei nähe-
rer Betrachtung als ein lahmer, schwindsüchtiger Gaul,
mit dem Sie bei der Bundestagswahl 2013 noch über die
Ziellinie zu kommen versuchen. Das reicht nicht aus.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720819800

Als letztem Redner in der Debatte erteile ich Kolle-

gen Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1720819900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Frau Ministerin Schavan, Sie haben die Redebeiträge
insbesondere von Frau Gohlke – die jetzt mit Telefonie-
ren beschäftigt ist – und von Herrn Röspel als Lamentie-
ren bezeichnet. Ich möchte die Kritik noch ein Stück
schärfer formulieren: Hier wurde der Bildungsstandort
Deutschland diskreditiert. Damit schadet die Opposition
unserer gemeinsamen Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Schon wieder vaterlandslose Gesellen!)






Albert Rupprecht (Weiden)



(A) (C)



(D)(B)


Dass in der Haushaltsdebatte hingelangt wird und die
kritischen Punkte auch zugespitzt werden, ist normal.
Ein Zerrbild zu zeichnen, schadet jedoch unserer ge-
meinsamen Sache.

Was ist die Realität? Die Realität ist, dass noch nie in
der Geschichte Deutschlands die Bürgerinnen und Bür-
ger unseres Landes einen derart hohen Ausbildungs-
stand, ein derart hohes Ausbildungsniveau hatten wie im
Jahr 2012.


(Zuruf von der SPD: Und das ist Ihr Verdienst?)


Schauen Sie sich die Zahlen an: 86 Prozent der Deut-
schen haben entweder eine abgeschlossene Berufs-
ausbildung, die Hochschulreife oder einen Hochschul-
abschluss. Das ist im internationalen Vergleich
herausragend. Das gab es in Deutschland in dieser
Dimension historisch noch nie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Darüber hinaus hat es auch in den letzten Jahren, ins-
besondere in Erinnerung an den PISA-Bericht 2000, sehr
wohl substanzielle Verbesserungen gegeben. Ich erin-
nere daran: Die Bundeskanzlerin hat gemeinsam mit den
Ministerpräsidenten – auch mit Ihren Ministerpräsiden-
ten – 2008 die Bildungsrepublik Deutschland ausgeru-
fen. Dabei hat man gemeinsam sieben Bereiche benannt,
in denen man sich Ziele gesetzt hat.

Vier Jahre später haben die KMK und die GWK über-
einstimmend und gemeinsam – auch mit den SPD-
geführten Ländern – einen Zwischenbericht abgegeben.
In diesem steht – ich zitiere –, dass die damals beschlos-
senen Maßnahmen beachtliche Erfolge zeigen. Das und
nicht dieses Zerrbild, das Sie eingangs beschrieben
haben, ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Ja, dank unserer guten Ministerpräsidenten! In Niedersachsen wird der nächste sein!)


Ich meine das in aller Ernsthaftigkeit. Wir könnten
die einzelnen kritischen Punkte hier in der Tat herausar-
beiten, aber dieses pauschale, platte Abdisqualifizieren
des Bildungslandes Deutschland ist in der Tat schädlich.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer macht denn das? – Klaus Hagemann [SPD]: Man muss auch Kritik vertragen können!)


Ich nenne jetzt exemplarisch nur einige wenige
Erfolge und zitiere diese laut Bericht:

Die Quote der Hochschulabsolventen lag 1995 bei
14 Prozent. 2010 waren es 30 Prozent. Das ist eine
Verdoppelung. Das ist doch ein Riesenerfolg!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Ja, aber durch Rot-Grün!)


– Entschuldigung, diese Bemerkung zu Rot und Grün
hier ist mir doch, ehrlich gesagt, wirklich zu doof. Wir
reden über unser gemeinsames Bildungsland Deutsch-
land und über einen Bildungsgipfel der Ministerpräsi-
denten über alle Parteigrenzen hinweg.


(René Röspel [SPD]: Ja, dann erzählen Sie nicht so einen Blödsinn hier: dass wir das schlechtreden und Sie das gutreden!)


Die duale Ausbildung ist nach wie vor ein Erfolgsmo-
dell. Wir haben die Jugendarbeitslosigkeit in Deutsch-
land in den letzten Jahren halbiert. Auch das ist ein Rie-
senerfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Im europäischen Vergleich haben wir in einer Zeit, in der
50 Prozent der jungen Menschen in Spanien keine
Arbeit haben,


(Klaus Hagemann [SPD]: Was tut ihr dagegen?)


die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit.


(René Röspel [SPD]: Das ist doch gut!)


Das sind tolle Erfolge.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Quote der Schulabgänger ohne Ab-
schluss um 25 Prozent gesenkt.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Schöngerechnet!)


– Nein, entschuldigen Sie, Kollegin Schieder, das sind
die Zahlen aus dem gemeinsamen Bericht der KMK und
der GWK; das sind nicht meine Zahlen.

Es ist heute allgemein anerkannt, dass die frühkind-
liche Bildung der Schlüssel ist. Auch bei der frühkind-
lichen Bildung haben wir, mit Verlaub gesagt, Erfolge.
96 Prozent der Vierjährigen besuchen eine Vorschule
oder einen Kindergarten.

Zu den Kitaplätzen: Entschuldigung, ist es nicht auch
ein Erfolg, dass wir in drei Jahren einen Zuwachs an
Kitaplätzen um 63 Prozent erreicht haben? Das ist sehr
wohl ein Erfolg!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Das finden wir alle gut! Dafür haben wir alle gekämpft!)


Wer anderes behauptet, ist schlichtweg ein Ignorant.


(René Röspel [SPD]: Das behauptet von uns keiner!)


Dass der Kanzlerkandidat der SPD, Steinbrück, bei
der Generaldebatte hier vorne steht und behauptet, diese
Bundesregierung hätte für Bildung nichts getan, zeigt,
dass auch dieser Kandidat ein Ignorant ist. Er hat näm-
lich null Komma null Ahnung von der Bildungspolitik in
diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Das ist das Zitat? Das soll er gesagt haben? Im Leben nicht!)


– Herr Röspel, er hat gesagt, wir hätten nichts getan.

Noch einmal zu den Superlativen: Seit wir in der
Verantwortung sind – Sie haben das im Haushaltsaus-
schuss mitbeschlossen –, haben wir 13 Milliarden Euro





Albert Rupprecht (Weiden)



(A) (C)



(D)(B)


mehr für Bildung und Forschung ausgegeben. Das ist ein
Zuwachs gegenüber 2005, als Steinbrück noch an der
Regierung beteiligt war, um 82 Prozent. Das ist nichts
getan? Entschuldigung!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. Klaus Hagemann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720820000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1720820100

Nein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Weil Sie das Zitat nicht liefern können, bauen Sie Potemkinsche Dörfer!)


Wir tun sehr wohl etwas; das ist unsere klare Prioritä-
tensetzung. Ich glaube, wir sind übereinstimmend der
Meinung, dass sie notwendig ist. Das aber kleinzureden
und zu diskreditieren, ist schlichtweg falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Ach ja, lass ihn reden!)


Sehr geehrte Damen und Herren, nichtsdestotrotz
haben wir ohne Zweifel große Aufgaben vor uns, aber
die muss man konkret benennen


(Klaus Hagemann [SPD]: Die haben wir benannt!)


und auch lösen. Man darf nicht das Kind mit dem Bade
ausschütten.

Um nur zwei Themen zu nennen:

In der Tat kommt in den großen Städten jedes zweite
Kind aus einer Familie mit Migrationshintergrund.


(René Röspel [SPD]: Was? – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist nicht das Problem! Da verwechseln Sie etwas!)


Natürlich ist Teilhabe ohne Sprachkompetenz nicht
möglich. Deswegen haben wir in dieser Regierung – und
auch schon in der Großen Koalition – ein Bündel an
Maßnahmen beschlossen. Wir können bei weitem nicht
abschließend sagen, dass wir zufrieden sind, aber wir
haben vieles aufs Gleis gesetzt,


(René Röspel [SPD]: Was denn?)


sodass wir heute mit Fug und Recht sagen können, dass
kein Kind mehr in Deutschland existiert, lebt und auf-
wächst, um dessen Sprachkompetenz wir uns nicht küm-
mern. Es gibt mehrere Etappen, bei denen geprüft wird,
wo die Kinder stehen. Es gibt Förderprogramme ohne
Ende, mit denen sie in der Sprachkompetenz unterstützt
werden. Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Familienstrukturen werden in der Tat brüchiger.
Jede dritte Ehe wird geschieden. Die Politik, selbst die
beste Bildungspolitik, kann niemals die Familie erset-

zen. Deswegen ist es in erster Linie notwendig und
wichtig, dass wir das in der Verfassung verankerte Gebot
des Schutzes von Familie und Ehe hochhalten,


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Oh!)


statt dies zu relativieren oder gar zu diskreditieren, Frau
Gohlke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – René Röspel [SPD]: Sie erzählen immer, was andere angeblich behauptet haben!)


Was wir politisch machen können, ist nicht, die Fami-
lie zu ersetzen, aber wir können die Eltern unterstützen.
Ich glaube – schauen Sie einmal in den Haushalt! –, man
kann mit Fug und Recht behaupten und auch mit Stolz
sagen, dass wir viele Milliarden in Programme investie-
ren – ob das lokale Bildungsbünde sind, ob das Bildungs-
ketten sind, ob das das Bildungspaket für Hartz-IV-Kinder
ist und vieles andere mehr. Ich gestehe durchaus zu, dass
diese Pakete nicht immer der Weisheit letzter Schluss
sind und dass man sie, beispielsweise das Bildungspaket
für Hartz-IV-Kinder, nach einer bestimmten Zeit auf den
Prüfstand stellen und genau hinschauen muss, was gut
gelaufen, was aber auch schlecht gelaufen ist. Aber die
Grundrichtung, die Intention als solche stimmt.

Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund der fortge-
schrittenen Zeit komme ich zum letzten Thema. Das
kann man drehen und wenden, wie man will – es ist und
bleibt ein Thema.


(René Röspel [SPD]: Ja, welches denn?)


Eines der Kernprobleme der Bildungspolitik ist in der
Tat, dass die Bildungspolitik in den Bundesländern sehr
unterschiedlich ist. Wenn wir einmal eine der jüngsten
Studien anschauen, beispielsweise die IQB-Studie, in der
Viertklässler in vielen Bereichen betrachtet worden sind,
dann stellen wir fest, dass Bayern in allen Bereichen, die
untersucht worden sind, an erster Stelle ist. Zur selben
Zeit erleben wir, dass in Brandenburg 11 000 Lehrer auf
die Straße gehen, weil sie gegen Platzeck und, wie sie es
formulieren, gegen das unterfinanzierte Bildungssystem
streiken wollen.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das passiert ja in Bayern nie, oder?)


Wen wundert das? Denn Brandenburg ist im bundeswei-
ten Vergleich der Ausgaben für Bildung in den Etats
schlichtweg Schlusslicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720820200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1720820300

Ich komme zum Schluss. – Das ist die bildungspoliti-

sche Realität in Deutschland.

Wir haben mit diesem Haushalt in der Tat nicht nur
geredet, sondern erstklassig gehandelt. Was wir vorle-





Albert Rupprecht (Weiden)



(A) (C)



(D)(B)


gen, ist ein Rekordhaushalt für Forschung und Bildung,
der nicht nur national herausragend ist, sondern auch in-
ternational anerkannt und respektiert wird.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720820400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30
– Bundesministerium für Bildung und Forschung – in
der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 30 ist mit
den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen
Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme

– Drucksache 17/11513 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1720820500

Durch die neue Rechtsprechung des Bundesge-

richtshofs vom Sommer dieses Jahres ist eine Zwangs-
behandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Un-
terbringung nicht mehr zulässig. Die hier entstandene
Lücke soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ge-
schlossen werden, um schwerwiegende gesundheitli-
che Schäden von Betroffenen abzuwenden und eine
ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleis-
ten.

Hierzu schaffen wir eine hinreichend bestimmte
Rechtsgrundlage, damit der Betreuer in eine notwen-
dige ärztliche Behandlung des Betreuten einwilligen
kann, die von diesem selbst abgelehnt wird. Dabei geht
es um Fälle, in denen der Betreute aufgrund einer psy-
chischen Krankheit oder einer seelischen oder geisti-
gen Behinderung die Notwendigkeit einer ärztlichen
Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Ein-
sicht handeln kann.

Die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche
Zwangsbehandlung wird unter enge Voraussetzungen
gestellt, die den größtmöglichen Schutz des Betroffe-
nen garantieren. Dazu zählt, dass die ärztliche Maß-
nahme zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um ei-
nen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden
abzuwenden. Außerdem wird die Einwilligung des Be-
treuers einer Genehmigung durch das zuständige Be-
treuungsgericht unterworfen.

Schließlich ist zu beachten, dass es um Betreute
geht, die bereits mit richterlicher Genehmigung in ei-
ner geschlossenen Einrichtung untergebracht sind,
was seinerseits nur zulässig ist, wenn dies aufgrund ei-
ner psychischen Krankheit oder einer seelischen oder
geistigen Behinderung zum Wohl des Betreuten erfor-
derlich ist. Diese Betreuten befinden sich also schon in
staatlich verantworteter Obhut, weshalb ihnen eine
notwendige ärztliche Behandlung nicht generell ver-
sagt werden darf, sondern grundsätzlich ermöglicht
werden muss.

Wir behandeln dieses Vorhaben in einem regulären
Gesetzgebungsverfahren, auch wenn aus den bereits
genannten Gründen eine Eilbedürftigkeit zur Regelung
der Materie besteht. Aber trotz des vorhandenen Zeit-
drucks befassen wir uns in aller Ausführlichkeit mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf. Bereits am vergan-
genen Montag haben wir sechs Sachverständige ange-
hört. Dieses erweiterte Berichterstattergespräch fand
zwar nicht öffentlich statt, stand aber in der Sache ei-
ner öffentlichen Anhörung in nichts nach. Dabei waren
nicht nur die Berichterstatter des Rechtsausschusses,
sondern auch Mitglieder des Gesundheitsausschusses
mit einbezogen.

Die Sachverständigen haben aus Sicht von Wissen-
schaft und Praxis deutlich gemacht, dass die vorgeschla-
genen Regelungen zielführend sind und die Vorgaben
von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof
angemessen berücksichtigen. Auch in Bezug auf die
Wahrung der Verhältnismäßigkeit zogen die Sachver-
ständigen eine durchweg positive Bilanz. Es wurde be-
tont, dass die Zwangsbehandlung erst der letzte Schritt
sein dürfe, wie dies im Gesetzentwurf ausdrücklich
vorgesehen ist. Vorrangig müsse darauf hingewirkt
werden, das Einverständnis des Betroffenen einzuho-
len. Flankierend hierzu wurde angeregt, die Informa-
tionspflichten gegenüber dem Betroffenen über die
vorzunehmende ärztliche Behandlung zu definieren.
Auch wurde diskutiert, ob zur Begutachtung der Ein-
sichtsfähigkeit des Betroffenen grundsätzlich ein exter-
ner Sachverständiger herangezogen werden sollte.

Diese und weitere Punkte werden wir im weiteren
Verfahren erörtern. Wir sind uns zudem einig, dass wir
zur abschließenden Lesung eine Plenardebatte führen
wollen, um unsere Überlegungen im öffentlichen Dis-
kurs darzulegen.

Die Frage der Zulässigkeit einer ärztlichen
Zwangsbehandlung stellt sich freilich auch jenseits ei-
ner betreuungsrechtlichen Unterbringung. Von Ärzten
und Juristen sowie aus mehreren Bundesländern ver-
nehmen wir, dass zusätzlich Bedarf nach der Möglich-
keit einer ärztlichen Zwangsbehandlung außerhalb der
betreuungsrechtlichen Unterbringung besteht. Darun-
ter fällt nicht nur eine ambulante, sondern auch eine
stationäre Zwangsbehandlung, soweit keine Unter-
bringung in einer geschlossenen Einrichtung erfolgt
ist. Diesem Anliegen müssen wir uns stellen. Aller-
dings besteht für eine solche weiter gehende Regelung





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


jedenfalls nicht eine durch die geänderte höchstrich-
terliche Rechtsprechung begründete Eilbedürftigkeit.

Für die betreuungsrechtliche Unterbringung aber
müssen wir jetzt zügig entscheiden. Aufgrund des eng
begrenzten Anwendungsbereichs sowie der klar defi-
nierten und einer richterlichen Überprüfung unterzo-
genen Verhältnismäßigkeitsvorgaben schaffen wir
keine neuen Eingriffsmöglichkeiten, sondern lediglich
eine eindeutige Rechtsgrundlage, damit die bisher ge-
übte und bewährte Praxis rechtssicher fortgeführt
werden kann.


Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1720820600

Der 38-jährige Sachbearbeiter Robert R. hatte

nachts Möbel aus seiner Wohnung im dritten Stock ei-
nes Wohnhauses geworfen und dabei laute Musik
gehört, mitten in einem Wohnviertel von Köln. Auf Ver-
anlassung der Nachbarschaft wurde er in die Landes-
klinik eingeliefert, lehnte jedoch die Behandlung mit
Medikamenten vehement ab. Aufgrund seines desola-
ten gesundheitlichen Zustandes erwirkte seine Ehefrau
die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung. Der Be-
treuer wiederum erteilte seine Einwilligung in die me-
dikamentöse Behandlung.

Diese Vorgehensweise war bislang die gängige Pra-
xis der Betreuer und der Kliniken, wenn betreute Men-
schen gegen ihren eigenen Willen medizinisch behan-
delt werden sollten.

Nachdem zwei Gerichtsurteile des Bundesgerichts-
hofes im Juni 2012 die Selbstbestimmungsrechte be-
treuter Personen völlig zu Recht erheblich gestärkt
haben, sind aktuell Zwangsbehandlungen psychisch
Erkrankter, die unter Betreuung stehen, nicht mehr zu-
lässig. Der Bundesgerichtshof stützt seine Entschei-
dungen auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts aus dem Jahr 2011. Es fehlt für
die Zwangsbehandlung betreuter Menschen an einer
entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrund-
lage.

Weder die gegenwärtige Fassung des § 1906 BGB
noch die übrigen betreuungsrechtlichen Vorschriften
enthalten hinreichende Bestimmungen zur Frage der
Zwangsbehandlung. Denn es finden sich dort nur Aus-
führungen zur Unterbringung. Insofern ist es nun die
Aufgabe des Gesetzgebers, die Zwangsbehandlung im
Lichte der Verhältnismäßigkeit zu regeln. Es ist auch
festzustellen, dass die Zwangsbehandlung nur das
letzte Mittel darstellen darf; eine weniger in Grund-
rechte eingreifende Behandlung muss also aussichts-
los sein.

Wie wir wissen, sind die Anforderungen an den
Grad der Bestimmtheit eines Gesetzes umso strenger,
je intensiver der Grundrechtseingriff ist. Die medizini-
sche Behandlung eines Menschen gegen seinen natür-
lichen Willen greift in das Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit ein. Dieses Grundrecht schützt die kör-
perliche Integrität und damit auch das diesbezügliche
Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Ge-

halt gehört der Schutz gegen jegliche staatliche
Zwangsbehandlung. Der Betroffene wird durch eine
medizinische Zwangsbehandlung genötigt, eine Maß-
nahme zu dulden, die den Straftatbestand der Körper-
verletzung erfüllt.

Ein von anderen Menschen gezielt vorgenommener
Eingriff in die körperliche Integrität wird als umso be-
drohlicher erlebt werden, je mehr der Betroffene sich
dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert
sieht. Insofern besteht aus der Sicht des Betroffenen
auch ein erheblicher Unterschied, ob es sich um den
Einsatz von Heilmitteln der Allgemeinmedizin, bei-
spielsweise ein Mittel gegen eine Zuckererkrankung,
handelt oder um den Einsatz von Psychopharmaka
bzw. Neuroleptika. Nach der Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts stellt die Gabe von Neurolep-
tika gegen den natürlichen Willen des Patienten einen
besonders schweren Grundrechtseingriff auch im Hin-
blick auf die Wirkungen der Medikamente dar. Dies
gilt schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende
Möglichkeit schwerer, irreversibler und lebensbedroh-
licher Nebenwirkungen.

Weiter stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung aus dem Jahr 2011 fest: „Psychophar-
maka sind auf die Veränderung seelischer Abläufe ge-
richtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Wil-
len des Betroffenen berührt daher, auch unabhängig
davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt
wird, in besonderem Maße den Kern der Persönlich-
keit.“

Andererseits gehört zum Wohl des Betreuten auch
die Erhaltung seiner Gesundheit. Wenn der Betreute
aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht erken-
nen kann, welche Behandlung wichtig für ihn ist, dann
muss der Betreuer die Möglichkeit haben, rechtsstaat-
lich gültig seine Einwilligung in ärztlich gebotene
Maßnahmen zu geben. Auch die UN-Behinderten-
rechtskonvention verbietet ärztliche Maßnahmen nicht
bei vorhandener krankheitsbedingter Unfähigkeit, sich
selbst zu bestimmen. Hier gilt es daher, sämtliche Inte-
ressen, Pflichten und Rechte sorgfältig gegeneinander
abzuwägen.

Bei der nun zu treffenden Neuregelung sind auf-
grund der großen Grundrechtsrelevanz besonders
strenge Anforderungen im Hinblick auf die Einhaltung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten:

Das Behandlungsziel muss selbstverständlich Er-
folg versprechen. Die Dauer des Eingriffs ist zu be-
grenzen. Die Zwangsmedikation darf nicht fortgeführt
werden, um die Betreuung des Patienten zu erleich-
tern. Und selbstverständlich darf die Zwangsbehand-
lung nur als letztes Mittel eingesetzt werden, zu dem
keine Alternative gegeben ist. Zusätzlich muss, notfalls
auch aufwendig, zunächst versucht werden, den Be-
troffenen selbst zu überzeugen. Auch die Auswahl der
konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und
Dauer – einschließlich der Auswahl und Dosierung
einzusetzender Medikamente und begleitender Kon-

Zu Protokoll gegebene Reden





Sonja Steffen


(A) (C)



(D)(B)


trollen – ist zu bestimmen. Und die Zwangsbehandlung
darf schließlich nicht außer Verhältnis zu dem erhoff-
ten Nutzen stehen.

Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums
greift viele Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofes auf. Und mit der Einfü-
gung weiterer Änderungsvorschläge könnte das Recht
der Betroffenen noch weiter gestärkt werden. Wichtig
ist uns vor allem, dass eine externe Begutachtung des
Betroffenen erfolgt und dass eine Regelung zur fach-
ärztlichen Qualifikation des Sachverständigen getrof-
fen wird.

Besonders wichtig ist uns jedoch, dass die Rechte
der Betroffenen, auch bei der Erstellung des Gesetzes,
ausreichend berücksichtigt werden. Ich erinnere an
dieser Stelle ausdrücklich noch einmal an die UN-Be-
hindertenrechtskonvention. Sie legt besonderen Wert
auf Teilhabe und Einbeziehung der Betroffenen in an-
stehende Entscheidungen. Es ist daher ganz wichtig,
dass die Betroffenen selbst vor dem Erlass des Geset-
zes gehört werden.

Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass diese zwar
in ihrem Umfang eher kleine, aber für die Betroffenen
mit großen Auswirkungen verbundene Regelung nicht,
wie ursprünglich vorgesehen, als „Omnibusgesetz“
zustande kommen soll, sondern den ganz normalen
Gang des Gesetzgebungsverfahrens gehen wird. Hier
sollen die Experten und auch die Betroffenen in den
Gesetzgebungsprozess mit einbezogen werden, damit
wir mit einer breiten Mehrheit zu einer guten gesetzge-
berischen Lösung finden.


Stephan Thomae (FDP):
Rede ID: ID1720820700

Unsere Verfassung garantiert jedem Bürger ein

Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Dies ergibt sich
aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Nun gibt es
auch Menschen, die aufgrund einer psychischen Er-
krankung oder geistigen oder seelischen Behinderung
nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst-
ständig zu besorgen. Für sie kann nach den Vorschrif-
ten des BGB (§§ 1896 ff.) ein Betreuer bestellt werden.

Aber selbst wenn ein Mensch unter Betreuung lebt,
ist sein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben nicht ein-
geschränkt. Dies spiegelt sich in den Grundsätzen des
Betreuungsrechts wider. Danach muss der Betreuer die
Angelegenheiten des Betreuten so besorgen, wie es
dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten ge-
hört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähig-
keiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und
Vorstellungen zu gestalten (§ 1901 Abs. BGB).

Art. 2 Abs. 2 GG garantiert das Recht auf körperli-
che Unversehrtheit. Daraus ergibt sich für den Staat
eine Schutzpflicht gegenüber demjenigen, der nicht in
der Lage ist, sich selbst vor körperlichen Schäden zu
schützen. Dies gilt nicht für Menschen, die sich freiwil-
lig dazu entschließen, auf medizinische Maßnahmen zu
verzichten, obwohl diese medizinisch indiziert wären.
Auch dies ist Ausdruck des freien Willens.

Problematisch wird es dort, wo das Krankheitsbild
der Betroffenen dafür sorgt, dass sie die Notwendigkeit
medizinischer Behandlungen nicht erkennen oder aber
nicht in der Lage sind, entsprechend einer solchen Er-
kenntnis zu handeln. Hier muss es einen Rechtsrahmen
geben, mit dem der Staat seinem Schutzauftrag gegen-
über dem Einzelnen gerecht werden kann. Eine medizi-
nische Behandlung gegen den natürlichen Willen des
Betroffenen stellt einen Eingriff in seine Rechte dar,
folglich bedarf es hierfür einer Rechtsgrundlage.
Diese wurde bis zum 20. Juni 2012 in § 1906 BGB ge-
sehen. Dann hat jedoch der BGH seine bisherige stän-
dige Rechtsprechung geändert und entschieden, dass
§ 1906 BGB nicht mehr als Rechtsgrundlage ausreiche

(Az. XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12). Durch diese

Norm sei lediglich die Einwilligung des Betreuers in
die Unterbringung eines Betreuten, nicht aber in
Zwangsmaßnahmen gedeckt.

Die neue Rechtsprechung des BGH hat zur Folge,
dass Betreute zwar untergebracht, aber nicht mehr ge-
gen ihren natürlichen Willen medizinisch behandelt
werden können. Sie dürfen aber festgehalten und müs-
sen dann fixiert werden.

An dem nun eingeleiteten Verfahren wird oft die ver-
meintlich unnötige Eile kritisiert. Dabei muss man sich
jedoch vor Augen halten, dass es jeden Tag mehr Fälle
werden, in denen Menschen nicht mehr medizinisch
behandelt, sondern nur noch verwahrt werden können.
Dies ist sowohl für die Betroffenen selber als auch für
deren Angehörige ein unhaltbarer Zustand. Es ist nur
sehr schwer zu ertragen, wenn ein Angehöriger er-
kennbar medizinischer Hilfe bedarf, er diese aber
nicht erhalten kann, weil dafür eine gesetzliche Grund-
lage fehlt. Auch für die Ärzte und Pfleger in den Ein-
richtungen bedeutet die aktuelle Situation eine erheb-
liche Belastung. Es gibt sogar schon Fälle, in denen
Pflegekräfte entsprechender Einrichtungen um Verset-
zung auf andere Stationen gebeten haben, weil sie sich
der beschriebenen Situation physisch und psychisch
nicht mehr gewachsen sehen.

Der enge Zeitplan für die erforderlichen Änderun-
gen hat einen ganz konkreten Hintergrund: Nur mit
ihm ist es möglich, den Bundesrat noch in diesem Jahr
einzubinden. Würden die Beratungen länger dauern,
könnte das neue Gesetz frühestens im März 2013 in
Kraft treten. Dies bedeutete aber weitere zwei Monate,
in denen den Menschen nicht angemessen geholfen
werden könnte. Eine beschleunigte Befassung bedeutet
auch nicht, dass diese weniger intensiv ausfällt. Das
Bundesministerium der Justiz und der Deutsche Bun-
destag haben Gespräche mit Experten und Betroffenen
geführt, die Berichterstatter der im Deutschen Bundes-
tag vertretenen Fraktionen stehen im engen Austausch
miteinander. Zum Wohle aller bedürfen wir vor diesem
Hintergrund zügig einer gesetzlichen Regelung.

An dieser Stelle setzt unser Gesetzentwurf an. Der
neue § 1906 BGB schafft eine Grundlage dafür, dass
der Betreuer unter sehr engen Voraussetzungen in
ärztliche Maßnahmen einwilligen kann, auch wenn

Zu Protokoll gegebene Reden





Stephan Thomae


(A) (C)



(D)(B)


diese dem natürlichen Willen des Betreuten widerspre-
chen. Dabei handelt es sich um folgende Voraussetzun-
gen, die kumulativ vorliegen müssen:

Erstens. Der Betreute kann aufgrund einer psychi-
schen Erkrankung oder einer geistigen oder seelischen
Behinderung die Notwendigkeit der medizinischen
Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Ein-
sicht handeln.

Zweitens. Die ärztliche Zwangsmaßnahme ist im
Rahmen der Unterbringung zum Wohle des Betreuten
erforderlich, um einen drohenden erheblichen gesund-
heitlichen Schaden abzuwenden.

Drittens. Der erhebliche gesundheitliche Schaden
darf nicht durch eine andere zumutbare gesundheitli-
che Maßnahme abgewendet werden können, und

Viertens. Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen
Zwangsmaßnahme muss die zu erwartenden Beein-
trächtigungen deutlich überwiegen.

Nur wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind,
darf der Betreuer in die Maßnahme einwilligen. Da-
durch wird deutlich, dass die Maßnahme nur dann ge-
gen den natürlichen Willen des Betreuten vorgenom-
men werden kann, wenn dies erforderlich ist, um dem
Schutzauftrag des Staates gegenüber dem Einzelnen
gerecht werden zu können. Die im Zuge der Debatte
um dieses Gesetzgebungsverfahren geäußerte Kritik,
es solle über die Köpfe der Betroffenen hinweg in wo-
möglich auch noch grundlose Maßnahmen eingewil-
ligt werden, geht also fehl. Im Gegenteil: Der Gesetz-
entwurf legt größten Wert darauf, dass dem Willen des
Betreuten, soweit es möglich ist, Folge geleistet wird.
So muss der Betreuer den Betreuten informieren und
versuchen, eine auf Vertrauen basierende Einwilligung
herbeizuführen, bevor er eine Zwangsmaßnahme nach
§ 1906 BGB durchführen lässt. Der Betreuer muss den
Betreuten dabei auf eine Art und Weise informieren,
die den Fähigkeiten des Betreuten gerecht wird. Zudem
bedürfen medizinische Maßnahmen nach § 1906 BGB
immer einer Genehmigung durch ein Gericht.

Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom
Juni 2012 nicht entschieden, dass medizinische Maß-
nahmen gegen den Willen des Betreuten per se ausge-
schlossen seien. Er hat lediglich festgestellt, dass es
hierfür an einer Rechtsgrundlage mangelt, die den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht
wird. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in sei-
nem Urteil vom 23. März 2011 (Az. 2 BvR 882/09) ent-
schieden, dass eine medizinische Maßnahme gegen
den Willen einer im Maßregelvollzug untergebrachten
Person gerechtfertigt sein kann. Hierfür bedürfe es
aber klarer gesetzlicher Grundlagen.

Diese schaffen wir nun mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf. Sie berücksichtigen die Belange der Be-
troffenen und erlauben es der Praxis, die notwendigen
Maßnahmen vorzunehmen, um Schaden von den Be-
treuten abzuwenden. Ich bitte Sie daher, den Gesetz-
entwurf zu unterstützen.


Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720820800

Uns liegt ein Gesetzentwurf der Regierungskoali-

tion zur Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht vor.
Dass wir diesen Entwurf nicht in einer normalen Sit-
zungswoche im Plenum debattieren, sondern in einer
Haushaltswoche zu Protokoll geben, ist nur ein Aspekt
in diesem parlamentarischen Verfahren, der zeigt, wie
wenig Interesse die Koalition an den Betroffenen hat,
für die sie diesen Antrag angeblich schreibt, und wie
wenig sie das Parlament achtet.

Zunächst sollte dieser Gesetzentwurf an ein laufen-
des Gesetzesverfahren als Änderungsantrag ange-
hängt werden, damit dieses Thema noch weniger im
Parlament und Plenum diskutiert werden kann. Dieser
Änderungsantrag erreichte die Mitglieder des Rechts-
ausschusses als Anhang an eine E-Mail, ohne dass in
dem E-Mail-Text etwas davon erwähnt war. Er sollte
ohne Anhörung und ohne Einführung ins Parlament
als völlig sachfremder Anhang des Entwurfs „eines
Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkom-
mens vom 23. November 2007 über die internationale
Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kin-
dern und anderen Familienangehörigen sowie zur
Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des inter-
nationalen Unterhaltsverfahrensrechts“, eventuell gar
ohne Debatte Ende November verabschiedet werden.
Gegen dieses Verfahren wehrt sich meine Fraktion hef-
tig.

Nun hat die Koalition einen gesonderten Gesetzent-
wurf vorgelegt, um wenigstens formal die Beteiligung
des Parlamentes herzustellen. Im Endeffekt wird hier
aber nur hau ruck durch ruck zuck ersetzt. Die Beteili-
gung des Parlamentes bleibt ebenso wie die Beteili-
gung der Betroffenen und Fachverbände eine Farce,
wenn ein Gesetz am 22. November zu Protokoll einge-
bracht wird und bereits am 29. November verabschie-
det werden soll. Ich habe bei der Parlamentsdokumen-
tation nachgefragt. In den letzten drei Wahlperioden
hat es genau zwei Gesetzesinitiativen gegeben, die
schneller durch das Parlament gepeitscht wurden: ers-
tens das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpa-
kets zur Stabilisierung des Finanzmarktes, zweitens
das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum
Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion
erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Re-
publik. Deren höchst fragliche Geschwindigkeit wurde
mit einem Systemzusammenbruch begründet.

Eine solche Geschwindigkeit ist in diesem Fall aber
schon mit nichts zu begründen. Seit den Urteilen des
Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsge-
richts ist Zeit ins Land gegangen, ohne dass der Not-
stand ausgebrochen ist. Im Gegenteil. In einem Brief
an den Bundestag teilt der Chefarzt der Kliniken des
Landkreises Heidenheim mit, dass sich „durch die ak-
tuelle Situation, nach der es in Baden-Württemberg
keine rechtliche Grundlage für die Zwangsbehandlung
mehr gibt, in der Behandlung neue Möglichkeiten zur
vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patienten
und Behandlungsteam ergeben“. Also die mangelnde

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Martina Bunge


(A) (C)



(D)(B)


rechtliche Grundlage hat zur vertrauensvolleren Zu-
sammenarbeit geführt, und er möchte „deshalb nahele-
gen, zu prüfen, ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage
zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätz-
lich verzichtet werden kann“. Ähnliche Aussagen fin-
den sich auch in der Stellungnahme von Professor Dr.
Lipp der Universität Göttingen. Also von Eilbedarf
kann gar nicht die Rede sein. Man muss hier das Ge-
fühl bekommen, dieses Thema soll unter der Decke ge-
halten werden. Vermutlich muss sich die Koalition
etwas anderes einfallen lassen, weil derzeit keine Fuß-
balleuropameisterschaft stattfindet, bei der Deutsch-
land gegen Italien spielt.

Wir diskutieren zu Recht über Organspende und
Transplantation, Beschneidungen von Jungen, über
den Maßregelvollzug oder über PID ausgiebig im Par-
lament, weil es um ethische Fragen geht, weil es um
grundlegende Rechte, wie die körperliche Unversehrt-
heit oder Freiheitsrechte, geht. Das betrifft genauso
die Zwangsbehandlung, aber dieses Thema soll in ei-
nem Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht
werden. Psychisch kranke Menschen, die sich gegen
Zwangsmaßnahmen wehren, die einen gleichwertigen
Anspruch auf die Wahrung ihrer Grundrechte haben,
werden so zu Menschen zweiter Klasse.

Die Linke hat eine Kleine Anfrage zu Zwangsbe-
handlungen und Zwangseinweisungen gestellt, mit er-
schreckenden Ergebnissen. In Bayern wurden 2011
nach dem hier diskutierten Betreuungsrecht elfmal
mehr Menschen zwangseingewiesen als in Thüringen.
Im Westen Deutschlands wurden zweieinhalbmal so
häufig Menschen zwangseingewiesen wie im Osten. Zu
Zwangsbehandlungen und ihrem Nutzen liegen der
Bundesregierung keine Erkenntnisse vor, aber es gibt
keinen Grund, anzunehmen, dass hier die Abweichun-
gen zwischen den Bundesländern geringer sind. Wir
müssen davon ausgehen, dass ein großer Teil von Pa-
tientinnen und Patienten, die in einem Bundesland
zwangsbehandelt wurden, dies in anderen Teilen
Deutschlands erspart geblieben wäre. Wenn wir ge-
sundheitliche Unterschiede als Ursache dieser Unter-
schiede ausschließen, weil es für mich keinen Grund
gibt, dass in Westdeutschland mehr als doppelt so viele
Menschen psychisch krank sein sollen als im Osten,
müssen andere Gründe eine Rolle spielen. Das ist in-
tensiv zu hinterfragen.

In diesem Zusammenhang möchte ich an den Sozio-
logen Michel Foucault erinnern, der Verrücktheit, Psy-
chose, und psychische Normalität nicht als objektive
Diagnosen, sondern als subjektive Urteile ansieht.
Laut Foucault dient die Abgrenzung zwischen Norma-
lität und Verrücktheit auch zur gesellschaftlichen Kon-
trolle. Die klinische Psychiatrie könne so als normstif-
tende Machtinstanz dienen.

Wir dürfen massive Einschränkungen der Freiheits-
rechte, der Selbstbestimmung nicht auf offensichtlich
unsichere Kriterien und mangelnde Belege der Wirk-
samkeit der Behandlungen stützen und so anderen Mo-
tiven die Tür öffnen. Das ist genau die Debatte, die

geführt werden muss, mit Betroffenen, mit Fachver-
bänden und in der Öffentlichkeit. Wir dürfen auch
nicht vergessen, dass Deutschland wegen der Ge-
schichte der Psychiatrie in der NS-Zeit eine besondere
Verantwortung trägt und mit gutem Beispiel vorange-
hen sollte. Dieses Gesetzesverfahren wird dem in kei-
ner Weise gerecht.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundesgerichtshof hat bereits im Juni 2012
festgestellt, dass es für die ärztliche Behandlung von
Menschen, die unter Betreuung stehen und selbst in die
Behandlung nicht einwilligen können, keine gesetz-
liche Grundlage gibt. Hierauf hat die Bundesregierung
erst verspätet reagiert. Dies führte nun zu einem
verkürzten parlamentarischen Verfahren, um eine län-
gere Phase der Rechtsunsicherheit für die Praxis zu
vermeiden.

Wir sind froh, dass wir auf unseren Druck hin nun
doch noch dieses Gesetz hier im Parlament eigenstän-
dig diskutieren können. Es war absolut nicht angemes-
sen, einen so schweren Grundrechtseingriff versteckt
in einem vollständig anderen Gesetz durch das Parla-
ment zu peitschen.

Eine Zwangsbehandlung darf nur letztes Mittel
sein, um Schaden abzuwenden. Die höchstrichterli-
chen Urteile haben letztlich auch darauf reagiert, dass
im psychiatrischen Alltag der Willen eines Patienten
zu oft übergangen wird, obwohl es auch mildere Mittel
gegeben hätte. Die höchstrichterliche Rechtsprechung
hat ausdrücklich betont, dass ein solch schwerer Ein-
griff in Grundrechte nur erfolgen darf, wenn weniger
eingreifende Maßnahmen aussichtslos sind. Außerdem
muss der behandelnde Arzt versuchen, die auf
Vertrauen und Einsicht gegründete Zustimmung des
Patienten zu erreichen. Genau hieran mangelt es im
psychiatrischen Alltag häufig. In den Einrichtungen
fehlen oft das Konzept, die Zeit oder schlicht das
Personal, mit der Folge einer zwangsweisen Medika-
tion. Wir stehen deshalb in der Pflicht, zu erwirken,
dass auf Zwangsbehandlungen so weit wie möglich
verzichtet wird.

Dennoch haben wir es mit einem Dilemma zu tun.
Vollständig werden wir auf eine Zwangsbehandlung
nicht verzichten können, als Ultima Ratio ist sie in
manchen medizinischen und psychiatrischen Konstel-
lationen zum Schutz eines Patienten nicht zu vermei-
den.

Minister Bahr muss dafür sorgen, dass die Patien-
tenautonomie und Patientenorientierung in psychiatri-
schen Krankenhäusern strukturell, finanziell und
personell gestärkt wird. Dazu zählen bei Bedarf
zusätzliche Sitzwachen und Rückzugsräume in einer
reizarmen Umgebung, die sich auch in dem Entgeltsys-
tem niederschlagen müssen. Wichtig sind Nachsorge-
angebote unter Einbeziehung von Psychiatrieerfahre-
nen und Angehörigen psychisch Kranker, die darauf

Zu Protokoll gegebene Reden





Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)


ausgerichtet sind, das Auftreten einer psychischen
Krise frühzeitig zu erkennen.

Ergänzend brauchen wir dringend einen Ausbau
von neuen Formen der akuten Krisenhilfe, um Patien-
ten, die eine medikamentös gestützte Behandlung
ablehnen, Alternativen bieten zu können. Umso kurz-
sichtiger ist die Rechtsverordnung für das neue Psych-
iatrie-Entgeltsystem, denn dieses entzieht die für die
Schwerstkranken notwendigen Mittel.

Im Rahmen des Patientenrechtegesetzes setzen wir
uns für eine gesetzliche Verankerung der Behand-
lungsvereinbarungen ein. Damit sollen die Kranken-
häuser verpflichtet werden, ihren Patientinnen und
Patienten mit wiederkehrenden Krankheitsepisoden
eine Behandlungsvereinbarung anzubieten, in der die
Patienten für die Zeiten der Einwilligungsunfähigkeit
Art und Umfang der Behandlungsmaßnahme mit dem
Behandelnden festlegen können.

Wir erwarten noch Nachbesserungen in den ange-
sprochenen Bereichen. Das schnelle Verfahren zur
Beratung dieses wichtigen Gesetzentwurfs zum sensi-

blen Thema der Zwangsbehandlung erhöht unserer
Meinung nach zudem die Verpflichtung des Gesetz-
gebers, die Auswirkungen der jetzigen Regelungen ge-
nau zu beobachten und gegebenenfalls schnell auf
Fehlentwicklungen zu reagieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720820900

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/11513 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 23. November 2012,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
freundlichen Abend.