Protokoll:
17202

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 202

  • date_rangeDatum: 26. Oktober 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:37 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/202 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 202. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 43: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht mitei- nander verheirateter Eltern (Drucksache 17/11048) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,  Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Füh- rungsgremien (GlTeilhG) (Drucksache 17/11139) . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 45: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Drittes Finanzmarktstabi- lisierungsgesetz – 3. FMStG) (Drucksache 17/11138) . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär  BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24539 A 24539 B 24540 C 24542 A 24543 D 24545 A 24545 D 24547 A 24548 C 24551 A 24552 B 24553 D 24555 A 24556 A 24556 A 24557 D 24559 D 24561 B 24563 A 24564 C 24567 A 24568 C 24569 D 24571 A 24572 A 24573 D 24574 A 24576 A 24576 B 24576 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 46: a) Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Alleinerziehende besser unterstützen (Drucksache 17/11032) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller- Ohm, Anette Kramme, Anton Schaaf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Strategien für eine bes- sere Förderung von Alleinerziehenden in der Grundsicherung (Drucksache 17/11038) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen (Drucksache 17/11142) . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 47: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Klaus Ernst, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen (Drucksachen 17/243, 17/2070 Buchstabe b) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahres- steuergesetzes 2013 (201. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 15 a) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24577 C 24579 A 24580 C 24581 D 24582 D 24584 B 24585 C 24586 B 24586 C 24586 C 24586 D 24588 A 24589 B 24590 C 24591 A 24592 B 24593 C 24594 B 24595 C 24596 C 24596 D 24598 A 24599 C 24600 B 24601 A 24602 A 24603 C 24605 A 24606 A 24606 C 24606 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 24539 (A) (C) (D)(B) 202. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 24605 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 26.10.2012 van Aken, Jan DIE LINKE 26.10.2012 Altmaier, Peter CDU/CSU 26.10.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 26.10.2012 Barthel, Klaus SPD 26.10.2012 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 26.10.2012 Becker, Dirk SPD 26.10.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 26.10.2012 Brehmer, Heike CDU/CSU 26.10.2012 Burgbacher, Ernst FDP 26.10.2012 von Cramon-Taubadel, Viola BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012** Dörflinger, Thomas CDU/CSU 26.10.2012 Ferlemann, Enak CDU/CSU 26.10.2012 Freitag, Dagmar SPD 26.10.2012 Frieser, Michael CDU/CSU 26.10.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 26.10.2012 Gabriel, Sigmar SPD 26.10.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 26.10.2012 Golze, Diana DIE LINKE 26.10.2012 Gruß, Miriam FDP 26.10.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 26.10.2012 Höger, Inge DIE LINKE 26.10.2012 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Hoff, Elke FDP 26.10.2012 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 26.10.2012 Klimke, Jürgen CDU/CSU 26.10.2012** Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Krellmann, Jutta DIE LINKE 26.10.2012 Lanfermann, Heinz FDP 26.10.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 26.10.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Nink, Manfred SPD 26.10.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 26.10.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 26.10.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 26.10.2012 Schreiner, Ottmar SPD 26.10.2012 Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 26.10.2012 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 26.10.2012* Stracke, Stephan CDU/CSU 26.10.2012 Thönnes, Franz SPD 26.10.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 26.10.2012 Vogler, Kathrin DIE LINKE 26.10.2012 Dr. Volk, Daniel FDP 26.10.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 26.10.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 26.10.2012 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 26.10.2012**  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 24606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an der 127. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN zu der zweiten Beratung des Gesetz- entwurfs der Bundesregierung; Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (201. Sitzung, Tages- ordnungspunkt 15 a) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Denn die eigentli- che Absicht, die die Antragsteller mit dem Antrag zu TOP 15 und der geforderten namentlichen Abstimmung verfolgen, ist offensichtlich. Nicht der Abbau von Ungleichbehandlungen ist letzt- endlich tatsächlicher Anlass des Antrages, vielmehr geht es den Antragsstellern um den kurzfristigen politischen und medialen Erfolg zulasten einer Lösung in der Sache. Das ist nicht meine Art, Politik zu gestalten. Da es mir bei diesem wichtigen Thema ausschließlich um die Interessen der von der Regelung betroffenen Per- sonen geht, werde ich mich diesem parteitaktisch moti- viertem Manöver nicht aussetzen und weiterhin die in- haltliche Lösung dieses Sachverhaltes vorantreiben. Dass bei der steuerlichen Gleichstellung von eingetra- genen Lebenspartnerschaften Handlungsbedarf besteht, ist nach meinem Dafürhalten offenkundig. Die Tatsache, dass in eingetragenen Lebenspartnerschaften auf Dauer angelegte und auf gegenseitiges Vertrauen und Zunei- gung begründete Beziehungen gelebt werden, verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Im Bereich des Unter- halts- oder Scheidungsrechts etwa wurden den Le- benspartnern die gleichen finanziellen und rechtlichen Pflichten wie Ehepartnern auferlegt, ohne ihnen aller- dings auch die gleichen Rechte zu gewähren. Die Herstellung einer solchen Gleichberechtigung, insbe- sondere durch die Änderung entsprechender steuerrecht- licher Vorschriften, ist mir daher ein großes Anliegen. Die bisher von der christlich-liberalen Koalition be- schlossenen Änderungen im Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuerrecht sind Beleg für den Willen und die Bereitschaft dieser Koalition, Ungleichbehandlungen eingetragener Lebenspartnerschaften abzubauen. Der in Rede stehende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen hingegen setzt auf pure Effekthascherei, diese Art der politischen Auseinandersetzung lehne ich ab. Ich werde mich deshalb auch künftig bei den internen Beratungen der CDU/CSU-Fraktion dafür einsetzen, dieses wichtige Thema aus den Reihen der Koalition ak- tiv in den parlamentarischen Abstimmungsprozess ein- zubringen. Olaf Gutting (CDU/CSU): Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Denn die eigentliche Absicht, die die Antragsteller mit dem Antrag zu TOP 15 und der geforderten namentlichen Abstimmung verfolgen, ist of- fensichtlich. Nicht der Abbau von Ungleichbehandlungen ist letzt- endlich tatsächlicher Anlass des Antrages, vielmehr geht es den Antragsstellern um den kurzfristigen politischen und medialen Erfolg zulasten einer Lösung in der Sache. Das ist nicht meine Art, Politik zu gestalten. Da es mir bei diesem wichtigen Thema ausschließlich um die Interessen der von der Regelung betroffenen Per- sonen geht, werde ich mich diesem parteitaktisch moti- viertem Manöver nicht aussetzen und weiterhin die in- haltliche Lösung dieses Sachverhaltes vorantreiben. Dass bei der steuerlichen Gleichstellung von eingetra- genen Lebenspartnerschaften Handlungsbedarf besteht, ist nach meinem Dafürhalten offenkundig. Die Tatsache, dass in eingetragenen Lebenspartnerschaften auf Dauer angelegte und auf gegenseitiges Vertrauen und Zunei- gung begründete Beziehungen gelebt werden, verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Im Bereich des Unter- halts- oder Scheidungsrechts etwa wurden den Le- benspartnern die gleichen finanziellen und rechtlichen Pflichten wie Ehepartnern auferlegt, ohne ihnen aller- dings auch die gleichen Rechte zu gewähren. Die Herstellung einer solchen Gleichberechtigung, insbe- sondere durch die Änderung entsprechender steuerrecht- licher Vorschriften, ist mir daher ein großes Anliegen. Die bisher von der christlich-liberalen Koalition be- schlossenen Änderungen im Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuerrecht sind Beleg für den Willen und die Bereitschaft dieser Koalition, Ungleichbehandlungen eingetragener Lebenspartnerschaften abzubauen. Ich werde mich deshalb auch künftig bei den internen Beratungen der CDU/CSU-Fraktion dafür einsetzen, dieses wichtige Thema aus den Reihen der Koalition ak- tiv in den parlamentarischen Abstimmungsprozess ein- zubringen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass sie den An- trag Kranke entlasten – Praxisgebühr abschaffen auf Drucksache 17/11140 zurückzieht. Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.10.2012 Ziegler, Dagmar SPD 26.10.2012  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Oktober 2012 24607 (A) (C) (D)(B) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Teilhabe und Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit einem verlässlichen So- zialen Arbeitsmarkt schaffen auf Drucksache 17/1205 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Auswirkungen der Einführung des Luftverkehrsteuergesetzes auf den Luftverkehrssektor und die Entwicklung der Steuereinnahmen aus der Luftverkehrsteuer – Drucksachen 17/10225, 17/10707 Nr. 1.3 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2012 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 14 Titel 712 01 – Baumaßnah- men von mehr als 1 Mio. Euro im Einzelfall – bis zur Höhe von 13,5255 Mio. Euro – Drucksachen 17/10336, 17/10707 Nr. 1.7 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.1  EuB-BReg 39/2012 Drucksache 17/10710 Nr. A.3 EuB-BReg 48/2012 Drucksache 17/10710 Nr. A.10 Ratsdokument 12616/12 Rechtsausschuss Drucksache 17/8515 Nr. A.21 Ratsdokument 18645/11 Finanzausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.31 Ratsdokument 12771/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/6985 Nr. A.21  Ratsdokument 12483/11 Drucksache 17/7918 Nr. A.11  Ratsdokument 16301/11 Drucksache 17/8227 Nr. A.22  Ratsdokument 16844/11 Drucksache 17/8227 Nr. A.23 Ratsdokument 16845/11 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/10710 Nr. A.47  EP P7_TA-PROV(2012)0209 Drucksache 17/10710 Nr. A.48  Ratsdokument 10746/12 Drucksache 17/10898 Nr. A.9 Ratsdokument 13211/12 Drucksache 17/10898 Nr. A.10 Ratsdokument 13264/12 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/10208 Nr. A.19 Ratsdokument 10166/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.20 Ratsdokument 10907/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.52 Ratsdokument 12756/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.56 Ratsdokument 12969/12 Drucksache 17/10898 Nr. A.12 Ratsdokument 13301/12 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/9797 Nr. A.8  EP P7_TA-PROV(2012)0147 Drucksache 17/10208 Nr. A.22  Ratsdokument 10923/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.23  Ratsdokument 10926/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.58  Ratsdokument 12013/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.61 Ratsdokument 13052/12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/10710 Nr. A.71  EP P7_TA-PROV(2012)0235 Drucksache 17/10710 Nr. A.72  Ratsdokument 11490/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.73 Ratsdokument 11491/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.74 Ratsdokument 11938/12  Drucksache 17/10710 Nr. A.75 Ratsdokument 12216/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.78  Ratsdokument 12400/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.79  Ratsdokument 12968/12  Drucksache 17/10710 Nr. A.80  Ratsdokument 13107/12  Drucksache 17/10898 Nr. A.13 Ratsdokument 13220/12 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/6407 Nr. A.31  Ratsdokument 11205/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.32  Ratsdokument 11237/11  Drucksache 17/6985 Nr. A.74  Ratsdokument 12141/11 Drucksache 17/7091 Nr. A.10  Ratsdokument 13478/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.29  Ratsdokument 15247/11  Drucksache 17/8426 Nr. A.58 Ratsdokument 17273/11 202. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 43 Elterliche Sorge nicht verheirateter Eltern TOP 44 Frauen in Führungsgremien TOP 45 Finanzmarktstabilisierungsgesetz TOP 46 Unterstützung Alleinerziehender TOP 47 Finanzierung von Frauenhäusern Anlagen
Gesamtes Protokol
Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der elterlichen Sorge nicht miteinander ver-
heirateter Eltern

– Drucksache 17/11048 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Es soll hierzu eineinhalb Stunden debattiert werden. –
Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für
die Bundesregierung der Bundesministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Die Formen des Zusammenlebens der Menschen
in unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren
und Jahrzehnten deutlich verändert. Seit Jahren gibt es
eine ansteigende Zahl von Kindern, deren Eltern nicht
miteinander verheiratet sind. 15 Prozent betrug der An-
teil 1995 und 33 Prozent im Jahr 2010.

An diese Entwicklung muss auch unser Familienrecht
angepasst werden, was die Stellung der nicht verheirate-
ten Eltern, von Mutter und Vater, im Interesse des Kin-
deswohls angeht. Bisher galt: Mütter haben mit Geburt
das alleinige Sorgerecht für ihr nicht eheliches Kind. Vä-
ter konnten die Zustimmung der Mutter nicht einklagen,
bis das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäi-
sche Gerichtshof für Menschenrechte diese Schlechter-
stellung der nicht verheirateten Väter ausdrücklich bean-
standet haben.

Genau da setzt der Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung an. Er orientiert sich an dem Leitbild der gemeinsa-
men Sorge auch der nicht verheirateten Eltern für ihr
Kind. Wir legen zugrunde, dass es das Beste ist, wenn
sich beide Elternteile, auch wenn sie nicht verheiratet
sind, um ihr Kind oder ihre Kinder kümmern – es sei
denn, das Kindeswohl steht dem ausdrücklich entgegen.
Der Gesetzentwurf will diese Interessen, die im Raum
sind – der Mutter nach der Geburt, des Vaters und natür-
lich des Kindes –, in Einklang bringen.

Damit eines ganz klar ist: Wenn Eltern, die nicht mit-
einander verheiratet sind, sich einigen, dann brauchen
wir eigentlich überhaupt keine gesetzlichen Regelungen.
Da, wo man sich verständigt – möglichst früh und viel-
leicht schon vor der Geburt statt erst nach der Geburt –,
hat der Gesetzgeber keine Vorgaben zu machen. Deshalb
befasst sich der Gesetzentwurf mit den Lebensgestaltun-
gen und Lebenssituationen – diese sind in unserer Ge-
sellschaft sehr vielfältig –, in denen es nicht zu einer Ei-
nigung der beiden Elternteile, von Mutter und Vater,
kommt.

Wir regeln Folgendes: Es bleibt beim Grundsatz, wie
er bis heute gilt: Die Mutter hat mit der Geburt die allei-
nige Sorge. Natürlich gibt es andere Modelle in der Dis-
kussion und auch in der Beratung dieses Gesetzentwur-
fes. Bei der Erstellung des Gesetzentwurfes haben wir
die verschiedenen Modelle in den Blick genommen. Die
gemeinsame Sorge von Geburt an für die nicht verheira-
teten Eltern ist ein Modell, dem auch wir als FDP einiges
abgewinnen konnten. Aber natürlich gibt es auch Argu-
mente dagegen. Denn was ist, wenn eine Beziehung der
Eltern nicht besteht oder wenn sie nur ganz lose war und
in einem oder mehreren kurzen Treffen bestand, sodass
es keine enge Verknüpfung gibt? Soll da immer von Ge-
burt an die gemeinsame Sorge bestehen? Das sind die
Argumente, die wir abgewogen haben.

Wir haben uns in der Koalition entschieden, zu sagen:
Mit Geburt hat die Mutter die alleinige Sorge. Aber der
Vater, der in seinen Rechten durch die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts gestärkt worden ist, kann
natürlich beantragen, die gemeinsame Sorge mit der
Mutter auszuüben. Er kann auch sagen, dass es aus sei-





Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


(A) (C)



(D)(B)


nem Blickwinkel am besten ist, wenn er derjenige ist,
der die alleinige Sorge für das gemeinsame Kind hat.
Die Gründe kann er in einer Erklärung niederlegen und
einen entsprechenden Antrag stellen.

Natürlich hat dann die Mutter die Gelegenheit – das
ist doch selbstverständlich und unverzichtbar –, zu sa-
gen, wie sie zu diesem Antrag auf gemeinsame Sorge
steht. Wenn es Gründe gibt, dass es aufgrund des Kin-
deswohles angemessener wäre, das Sorgerecht für das
Kind allein bei der Mutter zu belassen, dann kann die
Mutter diese nicht nur vortragen, sondern dann sollte sie
diese unbedingt vortragen. Dann müssen die unter-
schiedlichen Vorstellungen und Interessen – immer ge-
messen am Wohl des Kindes – in einem Verfahren beim
Familiengericht geklärt werden. Das Familiengericht
wird auf der Grundlage der bestehenden Regelungen zu
einer Entscheidung unter Berücksichtigung der unter-
schiedlichen Interessen kommen.

Darüber hinaus ist es den Elternteilen freigestellt,
zum Jugendamt zu gehen. Das Jugendamt kann natürlich
beraten sowie Anregungen und Hilfestellungen geben.
Wir sehen aber nicht vor, dass das in jedem Fall zwin-
gend zu erfolgen hat. Ich glaube, wir müssen den Eltern-
teilen nicht vorschreiben, dass sie sich in jeder Situation
immer und zuallererst an das Jugendamt wenden müs-
sen. Es ist aber gut, wenn sie diese Anlaufstelle und die
dort vorhandene Kompetenz und vorhandenen Erfahrun-
gen meinen, für sich in Anspruch nehmen zu wollen.
Das ist ihnen, wie gesagt, freigestellt.

Auch in Debatten im Deutschen Bundestag zu ande-
ren rechtspolitischen Anträgen ging es um die Frage,
warum mit diesem Gesetzentwurf ein zügigeres Verfah-
ren vorgesehen werden soll, ein vereinfachtes und ein
beschleunigtes Verfahren zur Entscheidung über die
Frage, ob das Sorgerecht beiden Elternteilen und damit
auch dem Vater übertragen wird.

Mir ist es wichtig, deutlich zu machen, dass dieses
Verfahren nur für eine ganz bestimmte Situation gilt,
wenn nämlich die Mutter bezüglich des Antrags des Va-
ters keine Gründe vorträgt, warum dieser Antrag auf ge-
meinsame Sorge sich gegen das Kindeswohl richtet, sie
sich in der Sache also überhaupt nicht einlässt. Dazu sa-
gen wir: Wenn dem Gericht nicht sowieso schon andere
Gründe vorliegen, die selbstverständlich zu berücksich-
tigen sind, dann hat es in einem schriftlichen Verfahren,
in dem man natürlich wiederum alle Gründe vorbringen
kann, zu entscheiden. Wenn sich in diesem schriftlichen
Verfahren herausstellt, dass die Situation doch eine an-
dere ist, als sie sich im Antrag des Vaters darstellt, dann
– das ist ausdrücklich in der Begründung des Gesetzent-
wurfs und in den Verweisen dargelegt – kann natürlich
unter Einhaltung einer bestimmten Frist in einer Anhö-
rung alles erörtert werden, was wichtig ist.

Ich glaube, damit tragen wir den Vorgaben des Bun-
desverfassungsgerichts Rechnung, die Rechte der Väter
im Falle nicht verheirateter Eltern eindeutig zu stärken.
Wir belassen es bei der alleinigen Sorge der Mutter mit
der Geburt. Im Verfahren muss dann aber den Rechten
der Väter Rechnung getragen werden. Wir verbinden die

unterschiedlichen Interessenlagen in einer angemesse-
nen Weise miteinander. Dem Vater wird mit dem Ver-
fahren für den Fall eine Möglichkeit eröffnet, seine
Situation darzulegen, dass sich die Mutter nicht mit der
Nennung von Gründen, die gegen eine gemeinsame
Sorge sprechen, einbringt.

Ich freue mich auf spannende und angeregte Beratun-
gen im Rechtsausschuss und in den anderen Ausschüs-
sen. Das ist ein wichtiges Thema, das viele Menschen in
unserer Gesellschaft berührt. Deshalb ist der heutige Tag
ein guter Tag, an dem wir erstmals nach der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts über gesetzliche
Regelungen beraten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200100

Der Kollege Burkhard Lischka hat jetzt das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1720200200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Bundesjustizministerin, es ist in der Tat ein wichtiges
Thema. Das Thema, über das wir heute Morgen debattie-
ren, brennt vielen Hunderttausend Vätern, Müttern und
auch Kindern auf den Nägeln. Sie haben es gesagt: In
Deutschland wird inzwischen jedes dritte Kind nicht
ehelich geboren. In den ostdeutschen Bundesländern
sind es sogar über 60 Prozent der Kinder. Das Ganze ist
also überhaupt kein Randthema.

In diesen Zahlen spiegelt sich gesellschaftlicher Wan-
del wider, der in den letzten Jahren und Jahrzehnten
stattgefunden hat. Vor etwa 40 Jahren hatten wir in
Deutschland eine komplett andere Rechtslage. Nicht
eheliche Kinder waren sogenannte Niemandskinder. Sie
waren mit ihrem Vater nicht einmal verwandt. Sie waren
von der Erbfolge ausgeschlossen. Sie hatten nicht einmal
einen Anspruch auf einen Pflichtteil. Sie hatten keinen
eigenen Unterhaltsanspruch. Auf der anderen Seite hatte
der Vater keinen durchsetzbaren Anspruch auf Umgang
mit dem Kind, geschweige denn die Möglichkeit, über-
haupt eine gemeinsame Sorge zu bekommen. Das alles
hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert.
Das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Denn Kinder haben ein Recht auf liebevollen Umgang
mit beiden Elternteilen, egal ob sie einen Trauschein ha-
ben oder nicht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor
etwa drei Jahren und das Bundesverfassungsgericht vor
zweieinhalb Jahren hatten uns die Aufgabe gegeben, die-
ses Sorgerecht weiterzuentwickeln. Gesetzliches Leit-
bild soll die gemeinsame Sorge sein. Es soll nicht mehr
prinzipiell an dem Veto eines Elternteils scheitern. Auch
das ist gut so.





Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)


Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit ge-
lassen, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Ursprüng-
lich war ein solcher Gesetzentwurf für das Jahr 2010
angekündigt. Da ist nichts passiert. Dann kam die An-
kündigung für 2011. Auch da ist nichts passiert. Jetzt ha-
ben wir Ende 2012. Obwohl sich die Bundesregierung
zweieinhalb Jahre Zeit gelassen hat: Der ganz große
Wurf – das sage ich vorweg – ist es nicht geworden. Ich
will nicht verkennen, dass eine gesetzliche Neuregelung
vor allen Dingen mit drei Schwierigkeiten zu kämpfen
hat.

Erste Schwierigkeit. Die Debatte über die Ausgestal-
tung der elterlichen Sorge – das wissen wir alle – wird
sehr emotional, sehr leidenschaftlich und teilweise auch
sehr verbissen geführt. Es gibt im Wesentlichen zwei Lö-
sungsmodelle, die seit Jahren diskutiert werden. Das
eine ist die sogenannte Antragslösung, bei der der Vater
vor Gericht gehen muss, um eine gemeinsame Sorge zu
bekommen. Das andere ist die Widerspruchslösung, die
beiden Eltern zunächst einmal das Sorgerecht zuweist.
Wenn dies dann aber nicht sachgerecht ist, weil sich bei-
spielsweise der Vater schon vor der Geburt aus dem
Staub gemacht hat, dann muss die Mutter zum Gericht
gehen, um daran etwas zu ändern. Diese beiden Lö-
sungsmodelle stehen sich sehr unversöhnlich gegenüber.
Der eine zeigt auf den anderen und fragt: Warum muss
bei deinem Modell der Vater zum Gericht laufen? Dieser
wiederum fragt zurück: Warum muss das bei deinem
Modell die Mutter tun?

Ich glaube, dass eine gesetzliche Neuregelung im
Sinne der Kinder Brücken bauen muss. Die Kinder lei-
den am meisten darunter, wenn sich ihre Eltern über das
Sorgerecht streiten, was zu der misslichen Situation füh-
ren kann, dass ein Elternteil den anderen verklagt. Eine
gesetzliche Regelung muss die Gemeinsamkeiten der El-
tern fördern und nicht den Streit. Das ist in diesem Ge-
setzentwurf noch nicht richtig gelungen.


(Beifall bei der SPD)


Zweite Schwierigkeit. Hinter dem Thema Sorgerecht für
nicht verheiratete Eltern – Sie haben das angesprochen –
verbergen sich ganz unterschiedliche Fallgruppen: ange-
fangen bei den Eltern, die auch ohne Trauschein ein Le-
ben lang zusammenbleiben und sich gemeinsam rührend
um ihre Kinder kümmern bis hin zu den flüchtigen Be-
kanntschaften, bei denen der Vater schon lange vor der
Geburt verschwunden ist. Eine gesetzliche Neuregelung
muss das Kunststück fertigbringen, all diesen Fallgrup-
pen gerecht zu werden. Das ist kein leichtes Unterfan-
gen.

Schließlich die dritte Schwierigkeit. Jede noch so gut
gemeinte gesetzliche Regelung auf dem Papier ist darauf
angewiesen, dass die Eltern sie vor Ort im Alltag verant-
wortungsbewusst und einvernehmlich umsetzen. Wenn
die Eltern das nicht tun, wenn sie beispielsweise ihre
Konflikte auf dem Rücken der Kinder austragen, dann
läuft jede noch so gute Regelung vollkommen ins Leere.
Deshalb muss es doch das Ziel einer gesetzlichen Rege-
lung sein, die Eltern zu unterstützen und da, wo Kon-

flikte vorhanden sind, diese Konflikte mit den Eltern zu
bereden und sie nicht alleine zu lassen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Den Eltern muss gesagt werden: Ihr habt ein gemeinsa-
mes Kind. Seid für euer Kind da. Es braucht Vater und
Mutter. Lasst uns einmal gemeinsam schauen, wie wir
hier zu einer vernünftigen Lösung kommen.

Aber was bewirkt dieser Gesetzentwurf, zumindest in
Teilen? Ich sage es ganz offen: Die Eltern werden im Re-
gen stehen gelassen. Sie haben es bereits angesprochen:
In einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren
soll beispielsweise ein Familienrichter über das Sorge-
recht in Konfliktfällen entscheiden. Der Pferdefuß dabei
ist: Er soll das tun, ohne jemals Vater oder Mutter gese-
hen, geschweige denn mit ihnen gesprochen zu haben.
Auch das Jugendamt ist außen vor. Der Richter entschei-
det nur nach Aktenlage. Die Eltern sind außen vor. Sie
werden zu Zaungästen des gesamten Verfahrens. Das ist
doch ein Unding.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So löst man keine bestehenden Konflikte, sondern man
verschärft sie nur. Da Sie so mit Hunderttausenden von
Vätern und Müttern umspringen, sprechen Sie in diesem
Zusammenhang in Zukunft bitte nicht mehr von starken
Familien und starken Eltern.


(Beifall bei der SPD)


Auch die Familienrichter stöhnen schon und fragen:
Wie sollen wir in diesem vereinfachten Verfahren ei-
gentlich entscheiden? Wie sollen wir in Zukunft solche
schwerwiegenden Entscheidungen über die Ausübung
des Sorgerechts über die Köpfe der Betroffenen – der
Väter, der Mütter, der Kinder – hinweg treffen können?
Meine Damen und Herren, hier geht es um das Wohl vie-
ler nicht ehelicher Kinder in unserem Land. Über das
Kindeswohl entscheidet man nicht nach Aktenlage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Kindeswohl eignet sich nicht für schwarz-gelbe Ex-
perimente. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf in
den kommenden Wochen sehr kritisch begleiten.

Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben vor einem
knappen Jahr unsere Lösungsvorschläge auf den Tisch
gelegt. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam schauen: Was
sind die besten Lösungen für die betroffenen Väter, für
die Mütter, aber vor allen Dingen auch für die betroffe-
nen Kinder?

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200300

Für die CDU/CSU-Fraktion ergreift jetzt die Kollegin

Andrea Voßhoff das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1720200400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ja, heute liegt der Gesetzentwurf der christlich-liberalen
Koalition zur Reform der elterlichen Sorge nicht mitei-
nander verheirateter Eltern endlich vor. Wir haben dieses
Thema in diesem Hause schon oft genug diskutiert, zu-
letzt noch bei der Haushaltsberatung.

Ich glaube, wir sind uns, auch wenn wir später hin-
sichtlich der Ausgestaltung sicherlich noch streiten wer-
den, dem Grunde nach sicherlich einig: Das Sorgerecht
ist im Bereich des Familienrechts immer eine besondere
Herausforderung für den Gesetzgeber. Es muss nämlich
höchst unterschiedlichen Lebens- und Beziehungssitua-
tionen, in die Kinder heutzutage hineingeboren werden,
gerecht werden. Auch aus diesem Grund haben wir in
der Koalition die Vorlage des heutigen Entwurfs sehr
ausführlich, sehr intensiv und sehr zeitaufwendig bera-
ten, und zwar, wie ich finde, mit einem guten Ergebnis.

Wir haben – dies ist schon betont worden – eine Viel-
zahl unterschiedlicher Regelungsmodelle miteinander
diskutiert. Herr Lischka, Sie und auch die Ministerin ha-
ben es erwähnt: Ob Widerspruchslösung oder Sorgerecht
ab Geburt – es müssen sehr divergierende Interessen
austariert werden. Sie haben unsere Überlegungen und
auch die Erarbeitung des heutigen Entwurfs als Opposi-
tion begleitet, im Wesentlichen sachlich. Ich glaube, das
gebietet das Thema auch. Es eignet sich nicht für partei-
politische Präsentation und Darstellung. Vielmehr soll-
ten wir im Interesse der Kinder, der Eltern und der Fami-
lie eine sachgerechte Diskussion darüber führen. Ich
freue mich darüber, dass das bisher weitgehend gelungen
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Könnte man diesem Gesetzentwurf eine Überschrift
geben, die das Leitmotiv treffend zum Ausdruck bringt,
so müsste die Überschrift dieses Gesetzentwurfes eigent-
lich lauten: „Mutter und Vater sind gut fürs Kind“. Wir
implantieren die gemeinsame elterliche Sorge als Leit-
bild ins Sorgerecht, und zwar in den Fällen, in denen die
Eltern nicht miteinander verheiratet sind und über das
Sorgerecht keine Einigung finden können.

Wir alle wissen: Nach bisherigem Recht – das ist
heute schon gesagt worden – erhielten Eltern, die nicht
miteinander verheiratet waren, das gemeinsame Sorge-
recht nur, wenn sie heirateten oder sich übereinstimmend
für die gemeinsame elterliche Sorge entschieden haben.

Wir wissen auch: Neben dem EGMR hat auch das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus
dem Jahr 2010 festgestellt, dass der Gesetzgeber da-
durch unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters
eines nicht ehelichen Kindes eingreift, dass er ihn gene-
rell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt,
wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur ge-
meinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Allein-
sorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Mög-
lichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab
des Kindeswohls eingeräumt wird. Der Gesetzgeber war
daher gefordert, diesen nach der bestehenden Rechtslage
möglichen unverhältnismäßigen Eingriff in das Eltern-

recht des Vaters zu korrigieren. Das tun wir heute mit
diesem Gesetzentwurf.

Es ist bereits gesagt worden: Die gesellschaftliche
Entwicklung auch der Familien ist seit der letzten großen
Kindschaftsrechtsreform nicht stehen geblieben. Der
Prozentsatz der nicht ehelich geborenen Kinder hat, ge-
messen an der Gesamtzahl der Geburten, stetig zuge-
nommen. Die Zahlen sind bereits genannt worden: Heut-
zutage wird etwa jedes dritte Kind nicht ehelich geboren,
in den neuen Bundesländern liegt die Zahl der nicht ehe-
lich geborenen Kinder sogar bei über 61 Prozent.

Der weit überwiegende Teil dieser Kinder lebt dabei
durchaus in stabilen Verhältnissen. Viele Eltern sehen
zwar – was ich bedaure – keinen Grund für eine Heirat,
wollen sich aber – und das ist sehr zu begrüßen – ge-
meinsam um ihr Kind kümmern und geben entspre-
chende Sorgerechtserklärungen ab. Die Statistik besagt,
dass dies in über 50 Prozent der Fälle geschieht. Das ist
gut so. Wir alle würden uns sicherlich darüber freuen,
wenn dieser Prozentsatz steigen würde.

Ebenso ist erfreulich, dass immer mehr nicht verhei-
ratete Väter eine echte Vaterrolle übernehmen und des-
halb mitsorgeberechtigt sein wollen. Es muss daher un-
ser Ziel sein, möglichst viele Eltern dazu zu bewegen,
sich aus freien Stücken dafür zu entscheiden, die elterli-
che Sorge gemeinsam tragen zu wollen. Darin sind wir
uns vielleicht auch noch einig: Eine bewusste und frei-
willige Entscheidung der Eltern ist um ein Vielfaches
besser als ein gesetzlicher Automatismus oder ein Ge-
richtsurteil, durch welches das Sorgerecht zwangsweise
geregelt wird. Das ist für uns als Union auch vom christ-
lichen Menschenbild her eine wichtige Zielvorgabe. Es
ist immer besser, wenn der Staat etwas nicht regeln
muss, weil die Familie es selbst regeln kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine
gesetzliche Neuregelung aber eindeutig für die Fälle, in
denen die Eltern sich eben nicht einvernehmlich über die
Sorge verständigen können. Ich sagte es bereits: Nach
der bisherigen Gesetzeslage hatte es die Mutter in der
Hand, darüber zu entscheiden, ob auch der Vater an der
elterlichen Sorge beteiligt werden sollte oder nicht. Der
Gesetzgeber hatte seinerzeit bei der Kindschaftsrechtsre-
form gute Gründe, dies so zu regeln. Wir erinnern uns:
Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner
Entscheidung aus dem Jahr 2003 anerkannt, indem es
sagte, der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, dass eine
Verweigerungshaltung der Mutter von schwerwiegenden
Gründen mit Blick auf die Wahrung des Kindeswohls
getragen ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Wertung in
seiner Entscheidung von 2010 jedoch geändert: Es
könne nicht angenommen werden, dass die Zustim-
mungsverweigerung in aller Regel auf Gründen beruht,
die mit der Wahrung des Kindeswohls zusammenhän-
gen. – Wir wissen auch aus einem vom Bundesministe-
rium der Justiz in Auftrag gegebenen Forschungsvorha-
ben, dass in vielen Fällen eine gemeinsame Sorge aus
Gründen verweigert wird, die vielleicht verständlich
sind, aber nicht unbedingt einen Bezug zum Kindeswohl
haben.





Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)


Wir alle kennen auch die vielen Zuschriften von Vä-
terinitiativen, die seit Jahren um eine Beteiligung an der
elterlichen Sorge kämpfen. Mit der Entscheidung des
EGMR und des Bundesverfassungsgerichts haben sie ih-
rem Anliegen nicht nur Gehör verschafft; durch die Ent-
scheidung der genannten Gerichte ist der Gesetzgeber
nunmehr gezwungen, eine Reform des Sorgerechts vor-
zunehmen.

Wir haben Ihnen diesen Gesetzentwurf heute in erster
Lesung vorgestellt. Ich glaube, wir haben einen ausge-
wogenen und die Interessen aller Beteiligten durchaus
berücksichtigenden Entwurf vorgelegt. Er soll den nicht
mit der Kindesmutter verheirateten Vätern im Lichte der
zwischenzeitlich eingetretenen gesellschaftlichen Ent-
wicklungen auch bei fehlender Zustimmung der Mutter
den Zugang zur elterlichen Sorge ermöglichen. Wir ha-
ben uns dabei von drei zentralen Gesichtspunkten leiten
lassen:

Erstens. Für uns gilt der Grundsatz – ich sagte es –:
Jedes Kind braucht Vater und Mutter. Das ist ein Leitmo-
tiv, das für uns von der Union auch im Zusammenhang
mit diesem Gesetzentwurf von besonderer Bedeutung
ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer frü-
heren Entscheidung festgestellt,

dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich
den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu
beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht,
dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das
Kind Verantwortung zu tragen.

Das bedeutet, dass Väter am Sorgerecht beteiligt werden
müssen, ohne dass dies ausschließlich vom Willen der
Mutter abhängen darf. Die gemeinsame elterliche Sorge
soll, wenn möglich, der Regelfall sein, weil es nach un-
serer Überzeugung das Beste fürs Kind ist.

Ich komme damit zum zweiten Punkt. Wir wollen,
dass in den Fällen, in denen sich die Eltern uneinig sind
und um die Sorge streiten, ein Familiengericht einge-
schaltet wird. Es gibt verschiedene Entwurfsmodelle aus
den Oppositionsfraktionen, die zum Teil vorsehen
– beim Modell der Grünen ist das der Fall –, dass das Ju-
gendamt entscheidet. Das halten wir für falsch. Wir wol-
len, dass das Familiengericht eingeschaltet wird und
prüft, ob das Kindeswohl Schaden nehmen würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Drittens. Wir wollen, dass für die Beteiligten mög-
lichst früh Klarheit geschaffen wird, wie sich die sorge-
rechtliche Verantwortung verteilt.

Jetzt komme ich zur Ausgestaltung. Ich will es nicht
in aller epischen Breite darstellen; das werden die nach-
folgenden Redner sicherlich noch im Detail tun. Herr
Kollege Lischka, ich weiß – auch uns erreichen Zu-
schriften –: Das vereinfachte Verfahren wird kritisch be-
trachtet. Ich finde es nur nicht angemessen, wenn Sie
hier sagen, dass wir die Eltern „im Regen stehen lassen“
oder als „Zaungäste“ betrachten. Sie vergessen bei dieser
Argumentation immer, dass die Mutter aufgefordert
wird, Stellung zu nehmen, innerhalb von sechs Wochen
nach der Geburt – schriftlich, mündlich. Der Normalfall

wird doch sein, Herr Kollege Lischka, dass die Mutter
von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht, wenn sie
Gründe nennen kann – Sie muss sie künftig vortragen –,
die das Kindeswohl betreffen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Aber auch juristisch verwertbar muss es sein!)


Deshalb ist es falsch, die Behauptung aufzustellen, wir
würden die Eltern „im Regen stehen lassen“ oder als
„Zaungäste“ betrachten. Nur in dem Fall, dass sich die
Mutter gar nicht äußert und das Gericht keine Erkennt-
nisse hat, kommt das beschleunigte Verfahren zum Zuge.

Warum soll es das? Weil es auch im Interesse der Be-
teiligten, der Eltern und des Kindes, ist – das gehört zum
dritten Punkt, den ich vorhin genannt habe –, dass diese
Entscheidung schnell gefällt wird, wenn es keine Gründe
dafür gibt, das Verfahren mit Anhörung aller Beteiligten
einschließlich Jugendamt in extenso durchzuführen. Ich
kenne und höre die kritischen Anmerkungen, die es dazu
gibt. Wir werden eine Anhörung haben und uns mit den
Argumenten sehr wohl noch einmal auseinandersetzen.
Die Vorschläge aus der Opposition in dieser Frage be-
deuten für die Eltern, insbesondere für den Vater,
enorme Hürden.


(Burkhard Lischka [SPD]: Sonst muss er nicht mal einen Antrag stellen!)


Der Vater hätte sozusagen mit sämtlichen Behörden zu
tun, vom Standesamt über das Jugendamt bis hin zum
Gericht. Das sind enorme Hürden für den Vater, der das
Sorgerecht möchte; es ist letztendlich auch für die Mut-
ter belastend, die sich mit ihm darüber nicht einigen
kann.

Meine Damen und Herren, ich finde, es ist aller Mü-
hen wert, dass wir uns in der Anhörung sehr intensiv mit
diesem Entwurf befassen. Er ist ein gelungener Kompro-
miss zwischen den unterschiedlichen Interessen. Die
Überschrift des Gesetzes hätte eigentlich lauten müssen
– ich sagte es eingangs –: „Mutter und Vater sind gut
fürs Kind“. Ich finde, dieser Gesetzentwurf leistet einen
guten Beitrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200500

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Jörn Wunderlich

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720200600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Ich bin Vater, aber habe kein Recht, für mein
Kind zu sorgen.“ So oder so ähnlich lautete die Be-
schwerde, die Anlass für eine Entscheidung des Europäi-
schen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr
2009 und für eine Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts vom 21. Juli 2010 war, um die bis dahin gel-
tende Regelung der elterlichen Sorge nicht verheirateter
Eltern neu zu regeln.





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Die Rechtslage bis dato war: Mutter wurde man durch
Geburt des Kindes, sorgeberechtigter Vater durch eine
gemeinsame Sorgerechtserklärung oder durch Heirat der
Kindesmutter. Der ledige Vater hatte keinerlei Möglich-
keiten, das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen
der Kindesmutter zu erlangen. Zur gesamten familien-
rechtlichen Historie hat der geschätzte Kollege Lischka
schon ausführlich gesprochen.

Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes lautet wie folgt:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli-
che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-
liegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft.

Was sagt dieser Art. 6 aus? Inwieweit bezieht sich das
Bundesverfassungsgericht darauf? Ich zitiere aus der
Entscheidung vom 21. Juli 2010, in der es heißt:

Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gebietet es
auch nicht, Väter nichtehelicher Kinder generell
mit wirksamer Anerkennung ihrer Vaterschaft …
kraft Gesetzes das Sorgerecht für ihr Kind gemein-
sam mit der Mutter zuzuerkennen.

Allerdings heißt es in den Gründen drei Absätze wei-
ter:

Dies hindert den Gesetzgeber allerdings nicht da-
ran, angesichts des Umstandes, dass immerhin für
die Hälfte der nichtehelichen Kinder eine gemein-
same Sorgetragung der Eltern begründet wird, den
Vater eines nichtehelichen Kindes mit der rechtli-
chen Anerkennung der Vaterschaft zugleich kraft
Gesetzes in die Sorgetragung für das Kind mit ein-
zubeziehen …

Das heißt, wir als Gesetzgeber sind nicht gehindert, es
gleichwohl so zu regeln, auch wenn es gegenwärtig nicht
geboten ist.

Nun gibt es verschiedene Lösungsansätze: die ge-
meinsame Sorge per Gesetz; die Widerspruchslösung,
das heißt, man kann Widerspruch gegen die gemeinsame
Sorge einlegen; die Antragslösung, das heißt, gemein-
same Sorge nur auf Antrag des Vaters. Für jede Lösungs-
variante kann jeder zum Teil extreme Beispiele anfüh-
ren, sowohl positive als auch negative. Welche ist die
beste? Welche kommt den Interessen des Kindes am
nächsten? Welche benachteiligt keinen Elternteil?

Jetzt liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung
vor. Das ist so eine Art modifiziertes Antragsmodell; wir
haben schon gehört: ein Kompromissvorschlag, über den
lange beraten worden ist, wobei ich das Ergebnis als
nicht unbedingt sehr gelungen betrachte.


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Na, wenn Sie sagen „gelungen“, dann reicht uns das!)


– Danke, Frau Voßhoff, ich finde es toll, dass Sie so viel
Wert auf mein Urteil legen. Das freut mich.


(Burkhard Lischka [SPD]: Herr Wunderlich ist höflich! Er hat das ein bisschen umschrieben!)


– Das auch.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Scheint ein gutes Wochenende zu werden!)


Es ist und bleibt allerdings problematisch – das ist
schon dargelegt worden –, dass im Falle der Nichteinig-
keit der Eltern Familiengerichte unter gewissen Voraus-
setzungen im Schnellverfahren ohne Anhörung der Be-
teiligten über die elterliche Sorge entscheiden können.
Das FamFG soll dahin gehend geändert werden, dass
ohne Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Ju-
gendamtes entschieden werden kann, wenn keine
Gründe vorgetragen werden oder ersichtlich sind, die
dem Kindeswohl entgegenstehen. Nun ist richtig: Justi-
tia soll ohne Ansehen der Person entscheiden. Aber von
„ohne Anhören“ habe ich nichts gelesen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Kindeswohlfragen nach Aktenlage zu entscheiden, halte
ich aus meiner Sicht als Familienrichter für völlig neben
der Sache. Wir haben im Familienrecht bereits ein be-
schleunigtes Verfahren; das hat sich bewährt. Warum
bleiben wir nicht dabei?

Es gibt noch die Anträge der anderen Fraktionen. Die
Mehrheit meiner Fraktion hat sich für Folgendes ausge-
sprochen: Soweit sich die Eltern einig sind, sollte sich
der Staat in Familien nicht einmischen. Familien als
kleinste soziale Gemeinschaft dieses Staates sollten
möglichst wenig von staatlichen Eingriffen tangiert sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn der Vater die Vaterschaft anerkennt und zusätzlich
erklärt, dass er die gemeinsame Sorge mit der Mutter tra-
gen will, dann soll diese gemeinsame Sorge auch be-
gründet sein.

Ich habe es eingangs gesagt: Sorgeberechtigt wird
man, wenn man die Kindesmutter ehelicht, oder man ist
per se, wenn man verheiratet ist und ein Kind in dieser
Ehe geboren wird, sorgeberechtigter Vater, unabhängig
davon, ob man der biologische Vater ist oder nicht; man
ist sorgeberechtigter Vater lediglich aus der Tatsache des
Ehelebens heraus. Bezogen auf das Kind ist eine solche
Vaterschaftsanerkennung mit der Erklärung „Ich will
mich um dieses von mir anerkannte Kind sorgen“ ein
deutliches Mehr als der Trauschein mit der Mutter.

Den Sorgewillen und die Sorgeerklärung des Vaters
darf man nicht vom Willen der Kindesmutter abhängig
machen. Wenn beide dann letztlich sorgeberechtigt sind,
dann ist das Kind rechtlich einem ehelichen Kind gleich-
gestellt; beide Elternteile haben Anfechtungsmöglich-
keiten nach § 1671 BGB.

Aber egal, für welches Modell man sich am Ende ent-
scheidet: In jedem Fall sollten eine Mediation und eine
Beratung der Eltern vorgeschaltet sein, im Interesse der
Kinder und im Interesse der Eltern. Eine Gerichtsent-
scheidung sollte nur Ultima Ratio sein.

Insofern freue ich mich auf die Beratungen im Aus-
schuss und auf die Berichterstattergespräche, danke
schon einmal für das Lob und hoffe, dass wir dann im
Ergebnis wirklich zur besten Lösung für unsere Kinder
und auch für die Eltern kommen.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200700

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Hönlinger für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unser Grundgesetz und die Europäische Menschen-
rechtskonvention verbriefen die Grundüberzeugung, dass
Recht diskriminierungsfrei gestaltet werden muss. Das ist
ein hoher, aber in einem Rechtsstaat notwendiger An-
spruch. Diskriminierungsfrei muss auch die Rechtsstel-
lung von Müttern und Vätern gegenüber ihren Kindern
sein. Alle Kinder müssen vom Recht gleichbehandelt
werden, unabhängig davon, ob ihre Eltern verheiratet,
verpartnert oder keines von beidem sind; denn für Kinder
ist es egal, ob ihre Eltern in einer rechtlich formalisierten
Beziehung leben oder nicht. Wichtig ist, dass die Bezie-
hung des Kindes zu seinen Eltern und die Beziehung der
Eltern zu ihrem Kind in Ordnung ist.

Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte in Straßburg entschieden, dass die
bisherige deutsche Regelung zum Sorgerecht unverhei-
ratete Väter unangemessen benachteiligt, und zwar ge-
genüber Müttern und verheirateten Vätern. Dieser
Rechtsauffassung hat sich im Juli 2010 auch das Bun-
desverfassungsgericht angeschlossen.

Auf dieser Grundlage haben wir Grünen im Oktober
2010 unseren Antrag zum Sorgerecht vorgelegt. In den
vergangenen zwei Jahren haben wir hier im Bundestag
wiederholt über eine Neuregelung des Sorgerechts de-
battiert. Alle diese Initiativen kamen zustande, weil die
Oppositionsfraktionen sie beantragt haben. Deshalb
freue ich mich umso mehr, dass Sie sich innerhalb der
Regierung nun endlich auf eine Neuregelung des Sorge-
rechts für nicht miteinander verheiratete Eltern verstän-
digen konnten. Darauf haben nicht nur wir Grünen, da-
rauf haben auch sehr viele unverheiratete Väter sehr
lange gewartet. Dieser Entwurf war längst überfällig,
meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf anschaue, stelle
ich mit großer Freude viele Parallelen zu unserem Grü-
nen-Antrag von 2010 fest. Das zeigt zwei Dinge: Ers-
tens. Gutes setzt sich durch. Zweitens. Bei manchen dau-
ert es halt länger.

Wichtig ist uns Grünen, dass beide Elternteile mög-
lichst frühzeitig Verantwortung für ihr gemeinsames
Kind übernehmen. Das schafft eine wechselseitige Ver-
bindlichkeit sowohl im Eltern-Kind- als auch im Eltern-
verhältnis. Wir möchten den Vätern, die nicht mit der
Mutter ihres Kindes verheiratet sind, über ein Antrags-
modell Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht ermögli-
chen; denn das Antragserfordernis trägt dazu bei, dass
die Väter, die Interesse an ihrem Kind haben – davon ist
im Regelfall auszugehen –, auch die elterliche Mitver-
antwortung erhalten können.

Allerdings sprechen wir uns im Gegensatz zur Bun-
desregierung dafür aus, dass der Vater den Antrag beim

Jugendamt stellen kann und nicht beim Familiengericht
stellen muss; auch die Mutter soll einem Sorgerechtsan-
trag des Vaters niedrigschwellig widersprechen können.
Meine Damen und Herren, auch hierfür sollten wir prak-
tikable Lösungen suchen. Der Weg zum Jugendamt ist
für die meisten Menschen niedrigschwelliger als der
Weg zum Gericht. Er beinhaltet weniger Konfliktpoten-
zial, ist kostengünstiger und schneller. Erst dann, wenn
die Mutter dem Antrag des Vaters widerspricht und der
Vater weiterhin Mitinhaber der elterlichen Sorge sein
will, soll der Weg zum Gericht beschritten werden kön-
nen. Der Vater muss dann eine Entscheidung des Fami-
liengerichts herbeiführen. Das Familiengericht wiede-
rum überträgt den Eltern die gemeinsame Sorge, wenn
dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Vor diesem Hintergrund sollten Sie in Ihren Gesetz-
entwurf noch folgende Verbesserungen aufnehmen: Der
Weg über das Gericht sollte so spät wie möglich erfol-
gen. Die Widerspruchsfrist für die Mutter sollte auf acht
Wochen nach der Geburt des Kindes verlängert werden;
diese Frist ist in Ihrem Gesetzentwurf mit sechs Wochen
zu kurz bemessen. Außerdem sollten Regelungen für
den Konfliktfall wie Beratungs- und Mediationsange-
bote implementiert werden. An diesem Gesetzgebungs-
verfahren werden wir Grünen uns konstruktiv beteiligen.
Weitere Schritte müssen aber folgen.

Unser Rechtssystem ist insbesondere im Bereich des
Familienrechts noch lange nicht frei von Diskriminie-
rungen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun. Leider zeigt
die jetzige CDU/CSU-FDP-Regierung wenig Elan und
setzt gesellschaftliche Realitäten nur sehr verzögert um.
Nach den Bundestagswahlen im kommenden Jahr wird
auch die Rechts- und Justizpolitik bei einer neuen Regie-
rung mit anderen Prioritäten einen Modernisierungs-
schub erhalten.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Will die Opposition stärker werden?)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720200900

Stephan Thomae hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Stephan Thomae (FDP):
Rede ID: ID1720201000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Kinder haben ein
Recht auf beide Eltern. Kinder haben einen Anspruch
darauf, dass beide Elternteile für sie sorgen. Die Eltern
sollen die gemeinsame Verantwortung für das Kind
übernehmen. Deswegen muss das Gesetz den Rahmen
so ziehen, dass die gemeinsame Verantwortung der El-
tern für das Kind der Normalfall ist und immer mehr
wird. Deswegen ist unsere Aufgabe, Hindernisse zu be-
seitigen; Herr Kollege Lischka hat es so genannt: Brü-
cken zu bauen.





Stephan Thomae


(A) (C)



(D)(B)


Der Regierungsentwurf, den wir heute in erster Le-
sung beraten, beseitigt zwei entscheidende Hindernisse.
Erstens senkt er die Zugangsschwelle für die Väter. Bis-
lang müssen nach geltender Rechtslage die Väter darle-
gen, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl ent-
spricht. Die Väter sind also darlegungs- und eventuell
auch beweispflichtig. Künftig wird es nach dem Regie-
rungsentwurf so sein, dass das Familiengericht, wenn
der Fall zu ihm kommt, die gemeinsame Sorge schon
dann zuspricht, wenn dies dem Kindeswohl nicht wider-
spricht. Das ist also eine Umkehr der Darlegungs- und
Beweislast. Deswegen werden Väter künftig leichter zur
gemeinsamen Sorge zusammen mit der Mutter für das
gemeinsame Kind kommen können. Das ist das erste
Hindernis, das wir abbauen, die erste Brücke, die wir
bauen.

Das zweite Hindernis ist, dass die Einwendungen ge-
gen die gemeinsame Sorge künftig auf das Kindeswohl
Bezug nehmen müssen. Es müssen kindeswohlrelevante
Einwände vorgebracht werden. Es genügt also nicht,
sich nur auf Kommunikationsprobleme zwischen den El-
tern zu berufen. Das soll nicht mehr ausreichend sein;
denn Kinder dürfen erwarten, dass ihre Eltern Kommu-
nikationsprobleme, wenn sie denn bestehen, eben aus-
räumen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU])


Insofern formen wir das Gesetz nach dem Kindeswohl.

Nun gibt es Kritik an dem Verfahren, wie es hier von
Rednern der Opposition auch schon vorgetragen worden
ist. Diese Kritik betrifft den neuen § 155 a FamFG. Dazu
ist zum einen Kritik am vereinfachten Verfahren vorge-
tragen worden. Es ist schon gesagt worden: Falls nun die
Mutter gar keine Stellungnahme gegen den Antrag des
Vaters auf die gemeinsame Sorge abgibt oder aber in ih-
rer Stellungnahme keine kindeswohlrelevanten Gründe
vorträgt, dann kann das Gericht zunächst einmal einfach
im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung der Eltern
und ohne Anhörung des Jugendamtes zu einer Entschei-
dung kommen. Das ist das, was Sie, Herr Kollege
Wunderlich, kritisiert haben.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das kritisieren wir alle!)


Ihre Kritik und auch die Kritik von Ihnen, Herr Kol-
lege Lischka, hat zum Ziel, dass das Jugendamt immer
beteiligt sein soll. Aber es ist doch ganz normal, dass das
Jugendamt immer nur dann eingeschaltet und beteiligt
wird, wenn es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt,
dass das Kindeswohl in Gefahr ist. Nach Ihrer Vorstel-
lung ist offenbar – so muss ich das verstehen – das Kin-
deswohl immer schon dann in Gefahr, wenn das Jugend-
amt nicht beteiligt ist und wenn die Eltern nicht
miteinander verheiratet sind.


(Burkhard Lischka [SPD]: Sie wissen doch gar nicht, ob die Mutter dazu in der Lage ist, etwas zu formulieren, das gerichtlich verwertbar ist!)


In meinen Augen ist es aber keine sehr moderne, keine
sehr zeitgemäße Vorstellung, zu sagen: Immer dann,

wenn Eltern nicht verheiratet sind, ist das Kindeswohl in
Gefahr.


(Beifall bei der FDP)

Was ist denn das für eine rückständige Vorstellung? Das
ist eine Vorstellung, die ich nicht zu teilen vermag.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist autistisch, was Sie machen! Ein klarer Fall von Autismus!)


Im Übrigen gilt: Wenn das Jugendamt oder andere
Beteiligte irgendwelche Anhaltspunkte dafür haben, dass
das Kindeswohl in Gefahr ist, steht es ihnen frei, dies
dem Gericht bekannt werden zu lassen. Damit sind wir
bei dem neuen § 155 a Abs. 4 FamFG, sozusagen bei der
Notbremse: Wenn dem Gericht irgendwelche entgegen-
stehenden Gründe bekannt werden, dann kann es einen
mündlichen Termin anberaumen und dann sind wir im
ganz normalen mündlichen Verfahren. Die Vorstellung,
dass man bei allen nicht ehelichen Kindern immer die
Behörde zur Kontrolle ins Kinderzimmer schicken muss,
die halten wir für antimodern.


(Beifall bei der FDP)

Der zweite Kritikpunkt, den Sie, Frau Kollegin

Hönlinger, gerade angesprochen haben, bezieht sich auf
die Sechswochenfrist, die Sie verlängert wissen wollen.
Üblich sind in gerichtlichen Verfahren Zweiwochenfris-
ten und Vierwochenfristen. Wir sagen schon: Diese Frist
darf nicht innerhalb der ersten sechs Wochen nach Ge-
burt des Kindes ablaufen. Wir erhöhen also die Schutz-
frist für die Mutter, weil wir das für angemessen halten,
auch wenn der Antrag schon kurz nach der Geburt zuge-
stellt wird.


(Burkhard Lischka [SPD]: Schweigen hat bei Ihnen Rechtsfolgen! Das ist der Unterschied! Das gibt es nirgendwo!)


Die Mutter braucht aber nicht schon im Wochenbett sei-
tenlange Schriftsätze zu verfassen, sondern sie muss zu-
nächst einmal nur auf den Antrag des Vaters reagieren.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ich habe in sechs Wochen gar nicht meine Post zu Hause!)


Sie braucht dem Gericht nur in einfachen Worten zu sa-
gen, dass die gemeinsame Sorge dem Kind schadet, und
schon kommt man in das normale Verfahren hinein.
Diese Schwelle ist denkbar niedrig.


(Beifall der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU] und Bernhard Kaster [CDU/ CSU])


Deswegen meine ich, dass die Kritik am Verfahren
dramatisiert ist. Uns allen ist das Kindeswohl wichtig.
Für uns alle gilt der Grundsatz, dass sich beide Eltern-
teile um das Kind sorgen sollen. Wir meinen aber: Der
Vater muss das Sorgerecht leichter zusammen mit der
Mutter erhalten können. Die Mütter haben auch nach un-
serem Entwurf immer noch genügend Möglichkeiten,
ihre Einwände vorzutragen.

Dies ist ein gelungener Entwurf. Ich freue mich schon
auf die Beratungen in den Ausschüssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720201100

Jetzt hat Sonja Steffen das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1720201200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis vor eini-
ger Zeit hat unser Familienrecht zwischen verheirateten
und nicht miteinander verheirateten Eltern beim Sorge-
recht einen großen Unterschied gemacht. Sehr wichtig
ist in diesem Zusammenhang, dass diese Regelung die
nicht ehelichen Kinder gegenüber den ehelichen Kindern
diskriminierte; die Kollegin Hönlinger hat das vorhin
schon ausgeführt. Das Kind hat grundsätzlich ein Recht
darauf, dass beide Eltern an der Sorge teilhaben dürfen.
Wir haben es eben schon gehört: Mutter und Vater sind
gut für das Kind. Das ist richtig so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichts-
hofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungs-
gerichts ist im Bundestag, bei den Betroffenen, bei
Verbänden, Familiengerichten, Rechtsanwälten und Ju-
gendämtern viel über das Sorgerecht gesprochen wor-
den. Gegenwärtig verfahren die Familiengerichte so
– das ist eine Übergangslösung –, dass die gemeinsame
Sorge für nicht eheliche Väter dann beschlossen wird,
wenn dies dem Kindeswohl entspricht.

Meine Damen und Herren, wahrscheinlich haben die
meisten von Ihnen Kinder und erinnern sich noch gerne
an die Zeit nach der Geburt. Gleich nach der Geburt war-
tet eine turbulente Zeit auf Mama und Papa. Sie müssen
sich von der Entbindung erholen – die Mütter sind oft
geschwächt, krank; sie müssen also erst einmal ihre Ge-
sundheit wiederherstellen –, gleichzeitig rund um die
Uhr für das Neugeborene sorgen und sich in ihre neue
Familienrolle einfinden. In einer guten Beziehung wer-
den sich die Eltern schon vorher für eine gemeinsame
Sorgeerklärung entschieden und diese vielleicht auch
schon abgegeben haben. Spätestens jedoch nach der Ge-
burt des Kindes werden sie diese Erklärung abgeben.

Es gibt aber auch die Fälle, in denen die Eltern nie
eine Beziehung hatten oder sich bereits vor der Geburt
getrennt haben. Manchmal ist es so, dass der Vater gar
keine gemeinsame Sorgeverantwortung übernehmen
will. Deshalb halten wir die Lösung „automatisch ge-
meinsame Sorge bei Anerkennung der Vaterschaft“ für
problematisch; deshalb lehnen wir sie ab.

Im Regierungsentwurf ist dieses automatische Sorge-
recht nicht vorgesehen, aber auch er geht nach unserer
Auffassung an einer lebensnahen Lösung derzeit völlig
vorbei.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn von den Müttern soll verlangt werden, dass sie in-
nerhalb von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes
dem Antrag des Vaters auf gemeinsame elterliche Sorge
widersprechen, wenn sie diese nicht wollen. Tun sie dies
nicht, so soll das Familiengericht ohne weitere Prüfung,

ohne Anhörung des Jugendamtes und der Eltern ent-
scheiden dürfen.

Im Klartext heißt das Folgendes: Die junge Mutter,
die noch voll und ganz mit ihrem Säugling beschäftigt
ist, muss sich innerhalb einer unglaublich kurzen Frist
von sechs Wochen mit der schwierigen Frage des ge-
meinsamen Sorgerechts beschäftigen. Diese Frage ist
wirklich nicht leicht zu beantworten; denn das gemein-
same Sorgerecht bindet die Eltern sehr eng und sehr
lange, und zwar auch in den Fällen, in denen die Eltern
auf der Erwachsenenebene überhaupt nicht miteinander
sprechen können. Hier sind eine umfangreiche Beratung
durch Jugendämter und eine sorgfältige Abwägung er-
forderlich.

Die Kindesmütter sind in der Regel nicht juristisch
geschult. Sie werden sich daher in den meisten Fällen ei-
nen Termin beim Anwalt holen müssen, und zwar nach
erfolgter Erkundigung darüber, zu wem man am besten
geht. Dort wird die Mutter eine überzeugende Begrün-
dung für die Ablehnung des gemeinsamen Sorgerechts
vorbringen müssen. Diese muss der Anwalt dann mit ih-
rer Hilfe zu Papier bringen. Jeder Familienrechtler und
insbesondere jeder Anwalt weiß, wie – im wahrsten
Sinne des Wortes – sorgeintensiv Sorgerechtsverfahren
sind. Hier geht es nämlich nicht nur um Geld oder sons-
tige materielle Dinge, sondern es geht auch um Lebens-
modelle, Enttäuschungen, Versagensängste und Verlust-
ängste.

Nicht ohne Grund räumt übrigens das Mutterschutz-
gesetz der jungen Mutter eine achtwöchige Arbeitspause
nach der Geburt ein, damit sie sich voll und ganz auf ihr
Baby konzentrieren kann. Nun wollen Sie, meine Kolle-
ginnen und Kollegen, der Frau innerhalb dieser Zeit
diese ganzen Behörden-, Anwalts- und Gerichtsgänge
zumuten. Möglicherweise hält sie sich auch gar nicht zu
Hause auf. Sie ist immerhin alleinerziehende Mutter und
verbringt vielleicht die ersten Wochen – dies tun übri-
gens viele – bei ihrer Familie, damit sie dort Hilfe erhält.
Die Frist ist tatsächlich viel zu kurz gedacht. Ich be-
haupte einmal: Jede Mutter mit ihren ganz eigenen Er-
fahrungen nach einer Geburt würde Ihren Gesetzentwurf
in der gegenwärtigen Fassung bei einer Befragung rund-
weg ablehnen.


(Beifall bei der SPD)


Herr Wunderlich, ich gebe Ihnen da völlig recht.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Danke schön!)


Es bedarf dieses Schnellverfahrens gar nicht. Denn seit
der letzten Familienrechtsreform 2008 besteht in Kind-
schaftssachen schon ein beschleunigtes Verfahren inklu-
sive der notwendigen mündlichen Verhandlung. Dieses
Verfahren hat sich nach der Aussage aller Beteiligten be-
währt. In der mündlichen Verhandlung kommen nicht
nur die Eltern, sondern auch die Jugendämter und gege-
benenfalls der Verfahrensbeistand, der Anwalt des Kin-
des, zu Wort. Gerade Jugendamt und Verfahrensbeistand
haben einen besonderen Fokus auf das Kindeswohl.

Es ist daher nicht zu verstehen, dass Sie dem Gericht
zukünftig die alleinige Entscheidungsverantwortung





Sonja Steffen


(A) (C)



(D)(B)


übertragen wollen, ohne mündliche Verhandlung, ohne
Anhörung der betroffenen Eltern und ohne Anhörung
der Jugendämter. Das geht nach unserer Auffassung am
Interesse des Kindeswohls völlig vorbei.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn Regelungen zum Sorgerecht – darüber sind wir
uns, glaube ich, alle einig – sind allein aus der Sicht des
Kindes und unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu
treffen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen anderen As-
pekt anführen, der mir sehr wichtig erscheint. Nach der
schon erwähnten vom BMJ in Auftrag gegebenen Studie
können viele Eltern mit dem Begriff des Sorgerechts oft-
mals wenig anfangen. Viele meinen, es gehe um das
Recht, über die Belange des Kindes zu entscheiden. Da-
rum geht es jedoch nicht. Es geht tatsächlich darum, dass
die gemeinsame elterliche Sorgeverantwortung über-
nommen wird, dass man sich also gemeinsam um das
Kind kümmern will.

Viele nicht miteinander verheiratete Paare haben in
der Vergangenheit die gemeinsame Sorge schlichtweg
nicht erklärt, weil sie nicht informiert waren und oftmals
gar nicht wussten, dass diese gemeinsame Sorge nicht
automatisch besteht. Da setzt unser Vorschlag an. Der
erste Gang junger Eltern nach der Geburt ist der Gang
zum Standesamt. Hier sollen sie über die Möglichkeit ei-
ner gemeinsamen Sorgeerklärung beraten werden. Sie
sollen informiert werden, und sie sollen hier schon zu ei-
ner Äußerung über die gemeinsame Sorge aufgefordert
werden. Das heißt, sie werden an dieser Stelle informiert
und für dieses Thema sensibilisiert. Sie können auch
schon auf dem Standesamt die gemeinsame Erklärung
über das Sorgerecht abgeben. Wenn sie sich an dieser
Stelle nicht über das gemeinsame Sorgerecht entschei-
den, dann soll das Jugendamt zwischen den Eltern ver-
mitteln. In dem Fall, dass man zu keiner gemeinsamen
Lösung kommt, kann das Jugendamt einen Antrag auf
Entscheidung beim Familiengericht stellen. Das kommt
allen Beteiligten zugute, auch den Vätern. Es werden
keine Hürden aufgebaut, es werden Hürden abgebaut.
Der Vater, der sich ebenfalls in einer schwierigen Situa-
tion befindet, wird entlastet.

Unser Vorschlag ist gut durchdacht, praktikabel und
ausgewogen. Vor allem – das ist ganz entscheidend – ist
er in allererster Linie am Kindeswohl orientiert. Ich
hoffe daher, dass wir im Verlauf des Gesetzgebungsver-
fahrens konstruktiv zusammenarbeiten und dass mög-
lichst viele unserer wirklich guten Ideen zum Sorgerecht
Eingang in das Gesetz finden werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720201300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort die

Kollegin Ute Granold.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP])



Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1720201400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Ministerin! Kinder brauchen Mutter und Vater; hie-
rüber sind wir uns in diesem Haus einig, denke ich.

Aber nach den bisherigen Beiträgen und gerade bei
dem letzten Debattenbeitrag, Frau Kollegin, ist aufgefal-
len, dass die Väter ein Stück weit zu kurz kommen. Das
hat die Union aufgegriffen. Die Bundesregierung hat zu-
sammen mit der Koalition einen Entwurf vorgelegt, der
genau dem entspricht, was an Bedarf da ist.

Wir haben gehört: Heute wird jedes dritte Kind nicht
ehelich geboren. In den letzten 15 Jahren ist dieser An-
teil um über 100 Prozent gestiegen, und er wird weiter
steigen. 2010 wurden 43 Prozent der Kinder nicht ehe-
lich geboren, und die Zahl nicht ehelicher Lebensge-
meinschaften nimmt zu. Das ist – das haben wir alle er-
kannt – gesellschaftliche Realität.

Wir haben bereits in der letzten Wahlperiode darauf
reagiert, indem wir die Reform des Unterhaltsrechts auf
den Weg gebracht haben. Sie ist sehr gut gelungen und
sehr praktikabel. Wir haben nicht eheliche und eheliche
Kinder bei der Unterhaltsberechtigung im Rang gleich-
gestellt. Wir haben auch die betreuenden Elternteile
gleichgestellt und nicht zwischen ehelichen und nicht
ehelichen Kindern unterschieden. Alle Kinder sind
gleich.

Jetzt müssen wir das Sorgerecht überarbeiten. Das
Bundesverfassungsgericht hatte noch 2003 die Rechts-
lage, die bislang gegolten hatte, für verfassungskonform
erklärt. Das bedeutete, die Mutter eines nicht ehelichen
Kindes hatte die Alleinsorge. Eine gemeinsame Sorge
erforderte eine Erklärung beim Jugendamt. Verweigerte
die Mutter diese Erklärung, hatte der Vater keine Mög-
lichkeit, gemeinsam mit ihr das Sorgerecht zu bekom-
men.

Wie mehrfach erwähnt, hat der Europäische Gerichts-
hof für Menschenrechte im Jahr 2009 – gefolgt vom
Bundesverfassungsgericht 2010 – entschieden, dass die
Rechtslage, die ich gerade erläutert habe, nicht verfas-
sungskonform sowie unverhältnismäßig ist und überar-
beitet werden muss. Vor diesem Hintergrund haben wir
nach langen Beratungen einen Entwurf für eine Neure-
gelung vorgelegt. Bis zur Änderung der Gesetzeslage
haben Väter nach der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts die Möglichkeit, direkt das Gericht anzu-
rufen und eine Regelung herbeizuführen.

Wenn man sich mit der Rechtsprechung in den da-
rauffolgenden Jahren befasst, sieht man, dass quer durch
die Republik erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen
getroffen wurden, die sehr unterschiedlich sind. Die
Hürden für den Vater, zu einer gemeinsamen Sorge zu
kommen, sind relativ hoch, weil er die Darlegungs- und
Beweislast trägt. Es gibt also eine große Rechtsunsicher-
heit.





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


Die Entscheidungen der Justiz haben sich in unserer
Debatte, in der wir uns um eine gesetzliche Neuregelung
bemüht haben, widergespiegelt. Wir haben für die Neu-
regelung Zeit gebraucht; das ist nicht von der Hand zu
weisen. Das Thema eignet sich aber nicht für Hektik,
hier braucht es gründliches Arbeiten. Dem sind wir
nachgekommen: Wir haben uns bei unseren Beratungen
unzählige Male getroffen und die Argumente der Oppo-
sition – teilweise lagen Entwürfe vor –


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gute Entwürfe!)


in unsere Beratungen einbezogen. Beim Abwägen haben
wir immer den Maßstab angelegt: Das Kind braucht für
eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater, egal ob
ehelich oder nicht ehelich geboren. Mit diesem Maßstab
und mit dem Ziel, den Vätern einen effektiven und nied-
rigschwelligen Zugang zur gemeinsamen Sorge zu ge-
ben, haben wir uns für die nun vorliegende Regelung
entschieden.

Schon heute erklären 50 Prozent der nicht miteinan-
der verheirateten Eltern beim Jugendamt die gemein-
same Sorge, 50 Prozent aber eben nicht, und genau um
diese geht es bei der gesetzlichen Neuregelung. Das For-
schungsprojekt, das vom Justizministerium auf den Weg
gebracht wurde, zeigt, dass in vielen Fällen die gemein-
same Sorge aus Gründen verweigert wird, die keinen
Bezug zum Kindeswohl haben. Aus der Lebenssituation
heraus hatten die Mütter Argumente dafür vorgetragen,
warum sie keine gemeinsame Sorge wollten. Wir haben
diese Fälle zu regeln. Es gibt verschiedene Lösungsmo-
delle. Da ist ein breites Spannungsfeld: von gemeinsa-
mer elterlicher Sorge ab Geburt kraft Gesetzes bis hin
zur Widerspruchslösung. Wir haben uns für die Lösung
entschieden, bei der die gemeinsame Sorge durch ge-
richtliche Entscheidung erfolgt, wenn der Vater einen
Antrag stellt. Der Maßstab ist, wie bereits mehrfach ge-
sagt, allein das Kindeswohl.

Unser Vorschlag ist ein Kompromissvorschlag, der al-
len Interessen, denken wir, gerecht wird. Wir haben eine
Regelung im materiellen Recht, im BGB, und auch eine
im Verfahrensrecht getroffen; dies wurde bereits mehr-
fach angesprochen. Unser Wille ist es, dass der Vater
frühestmöglich die Chance hat, eine gemeinsame Sorge
zu erreichen, und zwar durch die Sorgerechtserklärung
oder aber durch den Weg zum Gericht. Dabei ist eine so-
genannte negative Kindeswohlprüfung vorzunehmen.
Das heißt, Grundsatz ist: Die gemeinsame elterliche
Sorge entspricht dem Wohl des Kindes. Wenn dem nicht
so ist, dann muss ein Vortrag dazu erfolgen.

Gerade in der frühkindlichen Phase, in der viele Ent-
scheidungen getroffen werden, benötigt das Kind auch
den Vater für eine gedeihliche Entwicklung. Deshalb
sind Modelle, die lange Fristen vorsehen, um dem Vater
die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge zu geben, für
uns nicht akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man denke nur daran, dass eine Operation vorzuneh-
men ist, die zwar keine Eilsache ist, die aber vorgenom-
men werden muss, oder dass eine Regelung über die Re-

ligion getroffen werden sollte. Das sind schwerwiegende
Entscheidungen für das Kind, die, wenn es keinen Grund
gibt, den Vater auszuschließen, von beiden Elternteilen
getroffen werden sollten.

Wir sollten bei der Diskussion auch daran denken,
dass es möglich ist, Teilbereiche der elterlichen Sorge zu
übertragen, wie die Gesundheitssorge, das Aufenthalts-
bestimmungsrecht, die Vermögenssorge und auch die
Religion. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, für jeden
einzelnen Fall eine Entscheidung zu treffen, die aus-
schließlich am Kindeswohl orientiert ist.

Es bleibt mit der Neuregelung dabei – das wurde be-
reits mehrfach gesagt; deshalb möchte ich es abkürzen –,
dass mit der Geburt des Kindes zunächst die alleinige
Sorge bei der Mutter liegt. Der Vater hat aber die Mög-
lichkeit, entweder beim Jugendamt einen Sorgerechtsan-
trag zu stellen oder aber direkt bei Gericht eine gerichtli-
che Regelung herbeizuführen.

Hier müssen wir – ich habe es schon einmal gesagt –
den Weg für den Vater niedrigschwellig machen. Er hat
lediglich die Gründe anzugeben, weshalb er eine ge-
meinsame Sorge begehrt, wobei wir, was das Verfahren
angeht, der Meinung sind, dass ein Schweigen der Mut-
ter im gerichtlichen Verfahren – wir haben das lange dis-
kutiert – nicht automatisch als gemeinsame Sorge wir-
ken sollte; vielmehr sagen wir, das Schweigen der
Mutter reicht nicht aus, weil sie nach der Geburt in einer
besonderen Situation ist. Es muss dann eine gerichtliche
Entscheidung herbeigeführt werden, und das in einem
sogenannten vereinfachten beschleunigten Verfahren.

Wir haben ja vor einiger Zeit hier in diesem Hause
das Familienverfahrensgesetz beschlossen, ein sehr gu-
tes Verfahrensgesetz. Darin gibt es das Gebot des Vor-
rangs der Beschleunigung in Kindschaftssachen. Das
heißt, wenn ein Antrag bei Gericht eingeht, muss binnen
Monatsfrist terminiert werden – terminiert, aber nicht
entschieden. Diese Verfahren können sich auch hinzie-
hen, wenn Sachverständige angehört werden usw. usf.

Im Hinblick darauf, dass das Kind auch ein Recht auf
seinen Vater hat, ist es schon angemessen, zu sagen, dass
in den Fällen, in denen die Mutter schweigt und keine
Gründe vorgetragen wurden oder dem Gericht bekannt
sind, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen, auf
Antrag des Vaters die gemeinsame Sorge dann im ver-
einfachten Verfahren auf beide Elternteile übertragen
wird.

Wenn auch nur ein Anhaltspunkt dafür besteht, dass
das Kindeswohl in Gefahr sein könnte, wird das Gericht
– ich denke, so viel Vertrauen haben wir in unsere Jus-
tiz – natürlich nicht das vereinfachte Verfahren auf den
Weg bringen, sondern das ganz normale Verfahren nach
§ 155 FamFG einleiten. Das ist auch angemessen. Inso-
fern denken wir, dass man mit dieser Verfahrensregelung
wirklich beiden Elternteilen gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Insofern bin ich auch etwas unglücklich und ent-
täuscht über diese Onlinekampagne, die teilweise ja
auch gesteuert ist – man muss sich nur ansehen, wer un-
terschrieben hat – und in der es heißt:





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


Es kann doch nicht sein, dass über das Kindeswohl,
um das es zuallererst geht, gerade in Streitfällen
ausschließlich nach Aktenlage entschieden wird.

Das ist überhaupt nicht der Fall. In Streitfällen wird
das ganz normale Verfahren nach § 155 FamFG auf den
Weg gebracht. Nur da, wo kein Streit herrscht, wo ein-
fach keine Äußerung der Mutter vorliegt und auch keine
Gründe ersichtlich sind, die der gemeinsamen elterlichen
Sorge entgegenstehen, wird das vereinfachte Verfahren
auf den Weg gebracht. Ich denke, da sollten wir ein
Stück weit auch bei den Tatsachen bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Gut, dass das einmal gesagt wird!)


Ich empfehle jedem, einfach noch einmal einen Blick
in unseren Gesetzentwurf, insbesondere in die Begrün-
dung zu werfen, in der es genau heißt, dass dann, wenn
dem Gründe entgegenstehen, das normale Verfahren auf
den Weg gebracht wird. Nur dann, wenn das nicht der
Fall ist, bedarf es keiner gerichtlichen Entscheidung mit
allen Verfahrensbeteiligten; dann kann nach Aktenlage,
nach den Erkenntnissen des Gerichts entschieden wer-
den.

Wir werden in der Anhörung, die ansteht, sicherlich
noch einmal darüber sprechen, ob vielleicht das Jugend-
amt doch eingebunden werden sollte oder nicht. Das
kann man ja besprechen und mit den Sachverständigen
diskutieren. Aber es sollte ein niedrigschwelliges zügi-
ges Verfahren sein, das dazu führt, dass der Vater die
Mitsorge hat.

Lassen mich noch in einigen wenigen Sätzen auf die
Vorschläge der Opposition eingehen. Hier ist zu honorie-
ren, dass wir uns – alle Fraktionen in diesem Haus –
wirklich miteinander um Regelungen zum Wohl des
Kindes bemüht haben. Das war in Teilen der SPD-Frak-
tion zum Beispiel auch nicht immer so ganz einfach, wie
man gehört hat, da die Interessen der Familienpolitiker
und der Rechtspolitiker ein Stück weit nicht konform
sind.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das hat bei uns gut geklappt!)


Wir haben das auch bei uns in der Koalition sehr aus-
führlich besprochen.

Bei dem Vorschlag der SPD stört uns die Tatsache,
dass Sie ein sehr langes Verfahren vorschlagen: Regis-
trierung beim Standesamt, Aufklärung beim Standesbe-
amten, Abwarten der Äußerungen des Jugendamtes und
Stellen eines Antrags durch das Jugendamt auf gerichtli-
che Entscheidung über die elterliche Sorge.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mein Gott, das dauert ja ewig! – Burkhard Lischka [SPD]: Für die letzten Konfliktfälle!)


Das halten wir für einen sehr langwierigen bürokrati-
schen Weg.

Ich muss sagen: Wenn zunächst einmal eine Entschei-
dung des Jugendamtes ansteht, dann hat das Jugendamt
wirklich sehr viel Macht in Bezug auf die Entscheidung

über die gemeinsame elterliche Sorge. Für den Vater, der
einen Antrag bei Gericht stellen will, weil er mit der Ent-
scheidung des Jugendamtes nicht einverstanden ist, ist
das eine sehr hohe Hürde, weil die Entscheidung des Ju-
gendamtes doch schon ein Stück weit präjudiziert. Diese
Hürde sehen wir auch vor der Maßgabe, was uns das
Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer gesetzli-
chen Neuregelung mit auf den Weg gegeben hat. Dieser
Weg ist für uns also nicht praktikabel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP])


Lassen Sie mich auch noch einige Sätze zu dem sa-
gen, was Sie, Frau Kollegin Hönlinger, als das Modell
der Grünen hier vorgestellt haben.

Die Mutter soll nach unserem Vorschlag bis sechs
Wochen nach der Geburt eine Entscheidung darüber tref-
fen, ob sie die gemeinsame Sorge befürwortet oder nicht.
Sie sagen: Sechs Wochen sind zu kurz. Sicherlich ist es
eine besondere Situation, wenn ein Kind auf die Welt
kommt – ich habe auch zwei Kinder –, aber wenn man
sich die sonstigen Gerichtsfristen von zwei und vier Wo-
chen ansieht, dann erkennt man, dass die Frist von sechs
Wochen aus Rücksicht darauf gewählt wurde, dass die
Mutter gerade ein Kind geboren hat.

Ich möchte aber auch noch zu bedenken geben, dass
das Kind nicht vom Himmel fällt. Es gibt ja noch die
Schwangerschaft, eine Zeit, in der man weiß, dass ein
Kind auf die Welt kommt. Ich denke, in dieser Zeit
macht man sich schon Gedanken darüber, wie es mit der
Beziehung und dem Sorgerecht für die Kinder aussieht.
Insofern meine ich schon: Nach Abwägung der Interes-
sen und nach Abwägung zwischen dem Schutz der Mut-
ter und dem Recht des Vaters auf Mitsorge, sind die
sechs Wochen angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ihr Entwurf enthält eine Karenzzeit von sechs Wo-
chen vor und acht Wochen nach der Geburt. Diese Frist
soll dann noch einmal um acht Wochen verlängert wer-
den. In dieser Zeit ist der Vater ausgeschlossen. Das hal-
ten wir für nicht praktikabel – immer unter dem Ge-
sichtspunkt, dass wir beide Elternteile frühestmöglich in
die elterliche Sorge möglichst ohne Spannungen einbin-
den wollen. Alles, was außerhalb des Gerichts praktiziert
wird, findet natürlich unsere Zustimmung. Wenn das
aber nicht geht, dann muss es möglich sein, in einem Ge-
richtsverfahren zügig und sorgfältig zu einer Entschei-
dung zu kommen, damit auch der Vater die Möglichkeit
hat, an der gemeinsamen elterlichen Sorge teilzuhaben.

Ich denke, dass wir den Gesetzentwurf, der heute in
erster Lesung in diesem Haus beraten wird, in der Anhö-
rung, die ja schon für Ende November terminiert ist,
noch einmal ein Stück weit intensiver beraten können
und dann hoffentlich zu einer Lösung kommen, die, wie
das auch bei anderen Verfahren in Familiensachen der
Fall ist, vom ganzen Hause getragen werden kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720201500

Ich erteile Barbara Höll für die Fraktion Die Linke

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720201600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Granold, wenn wir hier über das Sorgerecht debat-
tieren, dann geht es nicht an, dass Sie die vielen Millio-
nen Alleinerziehenden in der Bundesrepublik de facto
diskriminieren:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was? Das hat doch gar keiner gemacht!)


Ein Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mut-
ter und Vater.

Es ist gut, wenn Mutter und Vater Verantwortung
übernehmen, aber Millionen Kinder wachsen derzeit bei
dem alleinerziehenden Vater oder der alleinerziehenden
Mutter auf bzw. sind dort gut und gedeihlich aufgewach-
sen. Diese haben sicher oftmals mit Schwierigkeiten zu
kämpfen, aber sie haben auch ihre jeweiligen sozialen
Netze gebildet. Das war eine gedeihliche Entwicklung.
Das darf man hier also nicht einfach diskriminieren. Es
ist nicht defizitär.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht angehen
kann, dass die Übernahme des Sorgerechts durch den
Vater am Veto der Mutter scheitert. Hier herrscht eine
wirkliche Einigkeit im Hause.

Unterschiede gibt es hinsichtlich der Frage, wie trotz
der Konfliktsituation, dass Mutter und Vater sich nicht
einigen, tatsächlich eine gemeinsame Verantwortungs-
übernahme organisiert werden kann. Klar ist: Es ist eine
Schwierigkeit – vielleicht die Hauptschwierigkeit – für
alleinerziehende Väter und Mütter, dass sie bei aller Be-
ratung, die man sich suchen kann, letztendliche Ent-
scheidungen stets allein treffen müssen.

Trotzdem finde ich es richtig, dass der jetzt vorlie-
gende Gesetzentwurf vorsieht, dass das Sorgerecht nach
der Geburt grundsätzlich erst einmal der Mutter zuzu-
ordnen ist, wenn die Aufteilung unklar ist, wenn also
keine Einigkeit zwischen den Eltern erzielt wird; denn
die Mutter ist ab Geburt nun einmal eine zuverlässige
und sichere Bezugs- und Entscheidungsperson. Das
braucht das Kind.

Der vorliegende Entwurf enthält aus meiner Sicht die
ebenfalls richtige Regelung, dass der Vater aktiv werden
muss, wenn er die elterliche Verantwortung für das Kind
übernehmen will; denn schließlich setzt die gemeinsame
Sorge bei beiden Elternteilen die tatsächliche Bereit-
schaft voraus, nicht nur Rechte herleiten zu wollen, son-
dern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu überneh-
men, also Verantwortung zu tragen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Ent-
scheidung im Juni 2010 festgelegt, dass zum Inkrafttre-
ten einer gesetzlichen Neuregelung das geltende Recht
mit Maßgaben so umzuändern ist, dass das Familienge-

richt den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche
Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam
überträgt, soweit zu erwarten ist, dass das dem Kindes-
wohl entspricht.

Hier sind Sie eindeutig von dem Urteil des Bundes-
verfassungsgerichtes abgewichen. Sie als Gesetzgeber
schlagen jetzt vor, dass eine negative Kindeswohlprü-
fung ausreichend ist, das heißt also: wenn es dem Kin-
deswohl nicht widerspricht. Das, finde ich, ist ein großer
Unterschied. Es ist mir bisher auch in den Beiträgen
nicht klar geworden, warum Sie das als Vereinfachung
empfinden. Kinder sind das höchste Gut, das wir haben.
Wir müssen alles dafür tun, um Bedingungen für eine
gute Entwicklung des Kindes zu schaffen, dass die Si-
tuation also dem Kindeswohl entspricht. Eine Negativ-
definition ist einfach zu wenig.

Das schriftliche Schnellverfahren, welches Sie jetzt
einführen wollen, hat bereits zu sehr viel Bewegung ge-
führt. Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht einfach
nur einige Abgeordnete der Meinung sind, dass eine Ent-
scheidung des Gerichtes ohne Beratung, einfach auf-
grund der Aktenlage, nicht im Interesse der Kinder ist.
Ich möchte auf die Massenpetition verweisen, die vom
Aktionsbündnis der Katholischen Frauengemeinschaft,
des Sozialdienstes katholischer Frauen, der Arbeitsge-
meinschaft für allein erziehende Mütter und Väter im
Diakonischen Werk der EKD, des Deutschen Juristin-
nenbundes, der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für
Familienfragen, des Familienbundes der Katholiken ge-
meinsam getragen wird. Breit über gesellschaftliche
Schichten hinweg gibt es äußerst große Bedenken gegen
dieses Schnellverfahren, weil wir über Situationen re-
den, in denen Menschen erst einmal nicht miteinander
klarkommen.

Bedenken Sie bitte Folgendes: Schwangerschaft und
Entbindung sind natürliche Vorgänge. Die Mutter ist
nach der Entbindung nicht krank. Aber sie hat damit zu
tun, ihr Leben neu zu organisieren. In sechs Wochen jus-
tiziabel nachzuweisen, warum die gemeinsame Sorge
dem Kindeswohl widerspricht, ist einfach für viele eine
Überforderung. Ich weiß nicht, ob wir hier im Haus alle
in der Lage sind, sofort einen justiziablen Schriftsatz
aufzusetzen. Ich denke, da wären wir überfordert.

Was ist denn das Kindeswohl? Ich finde, das ist wirk-
lich problematisch: Wir reden hier über das Sorgerecht.
Die daraus erwachsenden Pflichten sind aber im Weite-
ren nicht definiert.


(Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch im Entwurf!)


Es gibt das Recht auf Unterhalt, der gezahlt werden
muss. Gut. Aber es ist nirgends einklagbar, dass zum
Beispiel ein Vater den Umgang wahrnimmt, dass er tat-
sächlich zu einer verlässlichen Bezugsperson für sein
Kind wird. Das kann auch eine alleinerziehende Mutter
derzeit nicht einklagen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie das Gesetz nicht gelesen?)






Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb ist es richtig, hier die Vorschläge aufzuneh-
men, nach denen es in solchen Konfliktsituationen abso-
lut notwendig ist, dass erst einmal eine Aufklärung er-
folgt: Was ist einerseits mit der Übernahme des
Sorgerechts verbunden? Wie kann man das andererseits
gestalten? Das ist hier noch nicht erwähnt worden. Was
heißt das denn ganz praktisch? Sie wollen für das Kind ein
Sparbuch anlegen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift
des zweiten Sorgeberechtigten. Die 17-jährige Tochter
will den Führerschein vor Vollendung des 18. Lebensjah-
res machen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des an-
deren Sorgeberechtigten. Das Kind soll auf Klassenfahrt
gehen. Dafür brauchen Sie die zweite Unterschrift.


(Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das Problem?)


Bei Situationen des täglichen Lebens muss man sich
doch einig sein und wissen: Ich übernehme diese Sorge.
Das heißt aber auch: Ich muss im Zweifelsfall zur Verfü-
gung stehen, um zum Beispiel eine Unterschrift zu leis-
ten. Der andere verhält sich noch nicht einmal unbedingt
böswillig, aber er muss einfach da sein.

Ein gemeinsames Sorgerecht soll im besten Fall so
sein, dass man auch dann, wenn man als Elternteile viel-
leicht nichts mehr miteinander zu tun hat, gemeinsam
berät und gemeinsam entscheidet: Was ist für die Ent-
wicklung des Kindes richtig? Diese Entscheidung sollte
man in dem Bewusstsein treffen, dass es durchaus Pro-
bleme geben kann, zum Beispiel bei der Schulwahl.
Auch wenn es in meiner Fraktion, was die Ansätze be-
trifft, unterschiedliche Auffassungen gibt, ob es eine au-
tomatische Übertragung des Sorgerechts bei Vater-
schaftsanerkennung geben sollte oder nicht –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720201700

Frau Kollegin.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720201800

– mein letzter Satz –, sind für uns tatsächlich Bera-

tung, Mediation, die unbedingt notwendige Einschaltung
des Jugendamtes und die Anhörung der Eltern entschei-
dend.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720201900

Die Kollegin Katja Dörner hat jetzt das Wort für

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ich möchte vorab sagen, dass ich einige
Beiträge in der Debatte heute Morgen schon als einiger-
maßen verwunderlich und verwirrend empfunden habe.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na, na! Was heißt denn hier „verwunderlich“?)


Wie passt beispielsweise der Beitrag von Frau Dr. Höll
zu dem uns vorliegenden Antrag der Linken,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! Das habe ich auch nicht verstanden!)


in dem ein automatisches gemeinsames Sorgerecht der
nicht miteinander verheirateten Eltern gefordert wird?
Wie kann man denn gleichzeitig kritisieren, dass, so wie
es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, am
Ende eines Verfahrens per Aktenlage entschieden wird
– wohlgemerkt am Ende eines Verfahrens –, wenn man
selber ein solches Verfahren per se für überflüssig und
unsinnig hält? Wie diese etwas wirren Positionen zusam-
menpassen, sollten Sie noch einmal erklären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich finde grund-
sätzlich, dass dieses Thema und der Gesetzentwurf der
Bundesregierung, der uns heute vorliegt, kein Anlass
sind, in den typischen Opposition-versus-Regierung-
Modus zu verfallen. Wir haben es schon gehört: Wir
brauchen keine Regelung für nicht miteinander verheira-
tete Paare, die sich gut verstehen oder sich zumindest so
gut verstehen, dass sie bereit sind, von sich aus die ge-
meinsame Sorge zu beantragen; es ist ja auf unkompli-
zierte Weise möglich, eine gemeinsame Sorgeerklärung
abzugeben. Wir brauchen eine Regelung für die Fälle, in
denen die Mütter kein gemeinsames Sorgerecht wollen;
hierfür kann es bekanntlich vielfältige Gründe geben.
Das bedeutet, dass wir in erster Linie eine Regelung für
nicht miteinander verheiratete Eltern brauchen, bei de-
nen durchaus gravierende Konflikte vorliegen können.

Ich bin der Meinung, dass in einem Entwurf eines Ge-
setzes zum gemeinsamen Sorgerecht nicht miteinander
verheirateter Eltern widerstreitende und gegenläufige
Interessen gut unter einen Hut gebracht werden müssen.
Das ist mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
durchaus gut gelungen. Meine Kollegin Ingrid
Hönlinger hat bereits einige Anmerkungen dazu ge-
macht, wie man den Regierungsentwurf weiterqualifi-
zieren könnte. Ich hoffe, dass wir darüber ins Gespräch
kommen. Ich finde allerdings, dass er eine gute Grund-
lage für die Diskussion darstellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Da darf auch vonseiten der Regierungsfraktionen ge-
klatscht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern
bietet sich nicht als Zankapfel zwischen den Fraktionen
an – das ist heute Morgen schon sehr deutlich geworden –,
weil die Diskussionen in den verschiedenen Fraktionen
und Parteien sehr ähnlich verlaufen. Überall gibt es Kol-
leginnen und Kollegen, denen die Regelung, die vorge-
schlagen worden ist, nicht weit genug geht,


(Markus Grübel [CDU/CSU]: So ist es!)


die in Richtung eines automatischen gemeinsamen Sor-
gerechts mit der Vaterschaftsanerkennung denken. Hier-
für spricht das Recht des Kindes auf beide Elternteile,
hierfür sprechen die guten Erfahrungen, die wir mit dem





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


gemeinsamen Sorgerecht geschiedener Eltern gemacht
haben, und hierfür spricht auch die grundsätzliche Erwä-
gung, dass es keinen Grund geben sollte, Ehepaare und
nicht miteinander verheiratete Eltern per se unterschied-
lich zu behandeln.

Andere stellen die häufig schwierige Situation der
Mutter bzw. der werdenden Mutter in den Vordergrund.
Sie weisen hin auf ausbleibende Unterhaltszahlungen
und auf Väter, die ihr Sorgerecht nur nutzen, um den
Müttern den Alltag mit ihren Kindern schwer zu ma-
chen.

Ich finde, beide Argumentationen haben etwas für
sich und sind nachvollziehbar. Deshalb ist das im Ge-
setzentwurf vorgesehene niedrigschwellige Antragsver-
fahren, insbesondere verbunden mit dem Prüfmaßstab
der negativen Kindeswohlprüfung, der deutlich macht,
dass der Gesetzgeber vom gemeinsamen Sorgerecht als
Regelfall ausgeht, wie ich finde, ein vernünftiger Vor-
schlag. Wie gesagt, wir werden den Gesetzentwurf im
parlamentarischen Verfahren durchaus wohlwollend be-
gleiten.


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Das ist doch schön!)


Ich will mit einem Augenzwinkern sagen: Wir wollen
hier zwar keine Plagiatsaffäre anzetteln. Da die Regie-
rung aber 95 Prozent der Eckpunkte, die wir schon vor
zwei Jahren vorgelegt haben, aufgegriffen hat, wäre ein
kleiner Hinweis auf das Copyright in den Reden der Kol-
leginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen an
dieser Stelle durchaus fair und angebracht gewesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sönke Rix [SPD]: Fußnoten liest man heutzutage nicht mehr vor!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte kurz die
Gelegenheit nutzen, über den Tellerrand zu gucken.
Denn mit der Neuregelung des Sorgerechts sollten wir
noch lange nicht am Ende der Fahnenstange sein, was
die Modernisierung unseres Familienrechts angeht. Es
wäre beispielsweise wichtig, die Regelung der Stief-
kindadoption bei lesbischen Paaren zu überwinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Bis jetzt war es gut!)


Sie kann nur ein Behelfskonstrukt sein. Denn sie ist
nicht im Sinne der Kinder, weil das Adoptionsverfahren
rund zwei Jahre dauern kann und die Kinder in dieser
Zeit nur eine unterhaltspflichtige sorgeberechtigte Mut-
ter haben. Wir sind der Meinung, dass die Stiefkindadop-
tion durch eine Regelung analog der gesetzlichen Fiktion
ersetzt werden sollte.

Gestern habe ich der Presse entnommen, dass das Jus-
tizministerium der Niederlande prüft, drei oder mehr
Mütter oder Väter als Eltern desselben Kindes anzuer-
kennen. Damit sollen die Rechte von Familien mit ho-
mosexuellen Eltern gestärkt werden. Solche Nachrichten

würde ich mir auch aus unserem Justizministerium wün-
schen.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wir aber nicht!)


Mehrelternkonstellationen, ob Regenbogenfamilien
oder Patchworkfamilien, nehmen bekanntlich zu. Sie
sind gesellschaftliche Realität. Damit alle Kinder in un-
serem Land unabhängig von der Familienform, in der sie
aufwachsen, den gleichen Schutz und die gleiche Förde-
rung und Unterstützung erfahren, bleibt noch viel zu tun.
Wir haben Ideen dazu. Bei den Regierungsfraktionen
sieht es in diesem Bereich eher mau aus.


(Christian Ahrendt [FDP]: Gott sei Dank!)


Auch wenn wir den heutigen Gesetzentwurf durchaus
positiv begleiten, erkennt man doch deutlich, wer wie
die Koalition der gesellschaftlichen Entwicklung hinter-
hertapert und vom Verfassungsgericht zum Jagen getra-
gen werden muss, und wer wie wir gesellschaftspolitisch
nach vorne denkt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202100

Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1720202200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich schließe mich dem Lob der Frau Dörner an.
Es ist in der Tat ein gelungener Gesetzentwurf. Das heißt
nicht, dass wir nicht – auch nach der Anhörung – in den
parlamentarischen Beratungen da und dort andere Ge-
wichte setzen sollten. Es sind viele Aspekte genannt
worden, die Anlass dazu geben, über den einen oder an-
deren Punkt im parlamentarischen Verfahren nachzuden-
ken.

Mit dem Gesetzentwurf bleibt es dabei, dass eine der
wichtigsten Aufgaben der Eltern die Sorge für das Kind
ist. Diese zuwendende Sorge ist Voraussetzung für eine
gute Entwicklung des heranwachsenden Kindes.

Es bleibt auch dabei, dass das rechtliche Fundament
der Ehe zunächst einmal die Voraussetzung dafür ist,
dass von vornherein ab Geburt beiden Elternteilen die el-
terliche Sorge zugesprochen wird. Ich halte das für
wichtig, weil ich meine, dass eine solche Voraussetzung
– entschiedene, auch von beiden Seiten rechtlich ent-
schiedene Grundlagen – für eine so wichtige Stelle, die
das Sorgerecht innerhalb unserer Rechtsordnung haben
muss, notwendig ist. Ich halte es für wichtig, dass die
rechtliche Grundlage Ehe erhalten bleibt.

Natürlich weiß jeder von uns, dass sich die Realität
geändert hat. Es gibt viele alleinerziehende Eltern, meist
Mütter, und damit viele Kinder, deren Eltern eben nicht
zusammenleben und diese rechtliche Grundlage fehlt.


(Zuruf von der SPD: Das sind auch Familien!)






Norbert Geis


(A) (C)



(D)(B)


Hier muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass
auch der Vater zu seinem Sorgerecht kommt.

Zunächst war es so – das haben wir 1997 im Kind-
schaftsrechtsreformgesetz so entschieden –, dass in ei-
nem solchen Fall, wenn ein Kind geboren wird und die
Mutter nur eine kurzfristige Bekanntschaft mit dem Va-
ter hatte oder die Mutter mit dem Vater zwar zusammen-
lebt, sich aber nicht zu einer rechtlichen Bindung in
Form der Ehe entschließen kann, die Mutter das allei-
nige Sorgerecht hat. Das haben wir noch 1997 so ent-
schieden.

Der Grundgedanke dabei war – ich kann mich noch
gut an die Debatten erinnern –, dass der Vater nicht das
Recht haben soll, sich, wenn die Mutter das nicht will, in
das Leben der Mutter und damit auch in das Leben des
Kindes, das bei der Mutter wohnt, einzumischen. Dies
haben aber das Verfassungsgericht und auch der Euro-
päische Gerichtshof für Menschenrechte nicht für richtig
gehalten. Deswegen ist eine Neuregelung notwendig,
und dieser Neuregelung stellt sich der Gesetzentwurf.

Zunächst einmal bleibt es dabei, dass es möglich sein
kann, dass beide Elternteile gemeinsam das Sorgerecht
beanspruchen. Sie gehen dann zum Jugendamt und sa-
gen: Auch wenn wir getrennt leben, wollen wir trotzdem
gemeinsam das Sorgerecht ausüben. – Diese Möglich-
keit wird mit diesem Gesetzentwurf eröffnet. Ich finde,
das ist richtig so; denn diese gemeinsame Erklärung
schafft die beste Grundlage für eine vernünftige Rege-
lung des Sorgerechts im praktischen Leben. Das wollen
wir nach wie vor unterstreichen.

Es gibt aber natürlich auch den Fall, dass sich die
Mutter dagegen wehrt. Die Frau will nichts mit dem
Mann zu tun haben. Sie wehrt sich ganz entschieden da-
gegen, dass dem Vater auch das Sorgerecht zugespro-
chen wird. Diesen Fall haben wir auch, und diesen Fall
müssen wir regeln.

Für einen solchen Fall sieht der Entwurf vor, dass der
Vater dann einen Antrag stellen muss. Wenn sich die
Mutter dagegen wehrt, muss dieser Antrag gerichtlich
entschieden werden. Deshalb muss man sich überlegen,
welches der Maßstab dieser gerichtlichen Entscheidung
ist. Das geht aus dem Gesetzentwurf auch hervor: Der
Maßstab ist immer das Wohl des Kindes.

Dabei bleibt aber zu überlegen, ob der Maßstab des
Wohls des Kindes nur das negativ festgestellte Kindes-
wohl sein kann, wie es hier heißt. Wenn die Mutter wi-
derspricht, wird dem Vater dennoch das Sorgerecht zu-
gesprochen, wenn es dem Kindeswohl nicht
widerspricht. Das ist die negative Feststellung des Kin-
deswohls.

Man muss sich überlegen – das sollte man auch im
Laufe des Verfahrens und nach der Anhörung tun –, ob
nicht auch die positive Feststellung des Kindeswohls an-
gezeigt ist. Jedenfalls ist dies ein Gedanke, der mit über-
legt werden muss. Es ist ja immer so, dass, wenn sich die
Mutter emotional ganz entschieden gegen den Sorge-
rechtsanspruch des Vaters, den dieser kraft des Grundge-
setzes hat, wehrt, unmittelbar auch immer das Wohl des

Kindes mit betroffen ist. Man muss sich diese Spannung
einmal vorstellen.

Her
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1720202300
Dem Vater wird das Sorgerecht zugesprochen, aber
das muss dem Kindeswohl förderlich sein. – Das ist also
die positive Feststellung.

Ich meine, dass dies ein Gedanke ist, der berücksich-
tigt werden sollte, wenn man wirklich das Kindeswohl
zum Maßstab nimmt. Ich weiß, dass das Widerspruch
auslöst, weil zunächst einmal der Gedanke war, dem Va-
ter genauso wie dem verheirateten Vater von vornherein
das Sorgerecht zuzusprechen. Das widerspricht natürlich
dieser Überlegung. Meiner Auffassung nach muss aber
zumindest einmal darüber nachgedacht werden, ob nicht
die positive Feststellung des Kindeswohls in einem sol-
chen Fall – dabei geht es um Gerichtsverfahren, dabei
werden Gutachten eingeholt, dabei wird dieses und jenes
gemacht, und es kommt zu einem riesigen Verfahren –
angezeigt ist, um zu einer anderen Lösung zu kommen.
Wir werden darüber nachdenken, Herr Staatssekretär, so-
bald die Anhörung stattgefunden hat.

Eine weitere Frage bezieht sich auf das Schnellver-
fahren. Ich will das einmal so abqualifizierend sagen,
obwohl das wirklich abqualifizierend ist. Frau Granold
hat mit Recht gesagt, dass das Kind nicht vom Himmel
herunterfällt, sondern dem ist eine neunmonatige
Schwangerschaft vorausgegangen. Im Übrigen weiß die
Mutter, wer der Vater ist, und der Vater weiß in der Re-
gel auch, dass er der Vater ist. Wenn man sich vorher
nicht zusammensetzen und überlegen kann, wie das Sor-
gerecht geregelt werden soll, wenn dann die Mutter nach
der Geburt nicht auf die Zustellung des Antrags durch
das Gericht antwortet, kann man natürlich sehr schnell
dazu kommen, zu sagen: Wenn die Mutter nicht antwor-
tet, dann muss eben nach Aktenlage – ich nenne das
Wort einmal, Herr Lischka – entschieden werden.

Ich glaube aber, dass ihre Argumentation durchaus
Gewicht hat. Ich glaube, dass es notwendig ist, in einem
solchen Verfahren das Jugendamt zumindest anzuhören.
Es wäre auch besser, wenn in einem solchen Verfahren
die Mutter aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und wenn der Vater aufgefordert wird, vor Gericht zu er-
scheinen. Nach meiner bescheidenen Meinung ist das so;
denn ich komme aus der Praxis – ich habe immer noch
die Praxis als Rechtsanwalt – und habe solche Verfahren
bereits durchgeführt. Es ist besser, wenn die Parteien vor
Gericht eine Klärung herbeiführen bzw. das Gericht eine
solche Klärung herbeiführt. Ich meine, man sollte über-
legen, ob die Sechswochenfrist ausreicht.


(Beifall bei der SPD)


– Ich bekomme von der falschen Seite Beifall. – Man
kann vielleicht eine längere Frist ansetzen. Irgendwann
muss natürlich entschieden werden. Es geht nicht, dass
sich die Mutter überhaupt nicht meldet. Wir sollten uns
in der Anhörung ganz in Ruhe anhören, was die Sach-





Norbert Geis


(A) (C)



(D)(B)


verständigen dazu sagen, ob sechs Wochen reichen oder
ob es zwölf Wochen sein sollen, wie es vom Bayerischen
Staatsministerium der Justiz – das will ich nicht ver-
schweigen; es ist ein gutes Staatsministerium – vorge-
schlagen wird. Dann werden wir entscheiden.

Diese Debatte zeigt, dass dies ein Kapitel in unserer
Rechtspolitik ist, das am besten gemeinsam zu regeln ist.
Ich habe heute auch kein polemisches Wort gehört, mit
Ausnahme vielleicht des letzten Redebeitrages.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schlimm war es doch nicht!)


– Entschuldigung, es war nicht so schlimm. Ich nehme
es gleich wieder zurück.

Ich glaube, dass wir nach der Anhörung im Rechts-
ausschuss, der in der Lage ist, Themen ruhig aufzugrei-
fen und Argumente sachlich abzuwägen, im parlamenta-
rischen Verfahren zu einer gemeinsamen Regelung
kommen. Ich wünsche mir das sehr.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202400

Der Kollege Sönke Rix hat das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1720202500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Situation unverheirateter Eltern ist – denn
wir haben das Gesetz noch lange nicht beschlossen –
nicht zumutbar. Die Situation unverheirateter Eltern ist,
wenn es um die Frage des Sorgerechts geht – wir alle
kennen Briefe von Betroffenen und Schilderungen aus
unseren Wahlkreisen –, unbefriedigend. Diese Situation
war schon vor den Gerichtsurteilen so. Seit den Ge-
richtsurteilen hat sich die Situation nicht stark verändert.
Daher ist es sehr bedauerlich, dass erst jetzt ein Gesetz-
entwurf vorliegt.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben den Konflikten leider zu lange Raum gege-
ben.

Die Gemeinsamkeiten, die wir an dieser Stelle festge-
stellt haben, sind darin begründet, dass uns die Gerichte
einen eindeutigen Auftrag gegeben haben, in welche
Richtung wir das Sorgerecht ändern sollen. Wir sollen
gesetzlich festlegen, dass der Vater nach der Geburt des
Kindes von Anfang an die gleichen Rechte bekommt wie
die Mutter. Nun ist es so, dass immer dann ein Konflikt
entsteht, wenn entschieden werden muss. An welcher
Stelle wird es entschieden? Wie läuft dieses Verfahren
ganz genau ab? Wenn Unterschiede vorhanden sind und
wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen den El-
tern kommt, dann unterscheiden sich die Vorlagen, die
wir hier im Hause beraten. Bei unserem Vorschlag spielt
das Standesamt eine zentrale Rolle. Wir sagen: Es muss
eine Stelle geben, die die Eltern über die Bedeutung des
Sorgerechts aufklärt.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Dann ist es zu spät mit der Aufklärung!)


– Aufgeklärt in Sachen des Sorgerechtes. Vorher müssen
sie schon längst aufgeklärt sein; das hoffe ich zumindest.

An dieser Stelle muss klargestellt werden, wie die Si-
tuation ist. Wenn es dann zum Konflikt kommt, dann soll
sich nach unserer Auffassung das Jugendamt vermittelnd
einschalten. Ein schnelles Verfahren, wie es der Gesetz-
entwurf der Bundesregierung vorsieht, halten wir für
nicht richtig. Ein schnelles Verfahren würde bedeuten,
dass Eltern und Jugendämter nicht ausreichend zu Wort
kämen und das Kindeswohl zu wenig berücksichtigt
würde. Ein schnelles Verfahren bedeutet nicht unbedingt
immer eine Entscheidung zugunsten der Kinder. Aber
eine solche Entscheidung wollen wir herbeiführen.


(Beifall bei der SPD)


Lieber Kollege Geis, Sie haben mehrfach darauf auf-
merksam gemacht, welche Gemeinsamkeiten vorhan-
den sind. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal einem
Ihrer Redebeiträge applaudieren würde.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Gut!)


Das wird sich spätestens bei der nächsten Debatte über
das Betreuungsgeld wahrscheinlich wieder ändern. Sie
haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Gesetz-
gebungsverfahren noch einmal über Kurzfristigkeit der
Sechswochenfrist sprechen und darauf hören sollten, wie
die Sachverständigen die Praxis bewerten. Ich finde es
sehr gut, dass Sie das an dieser Stelle gesagt haben. Ich
würde mich freuen, wenn Sie die Sachverständigenmei-
nung auch beim Betreuungsgeld so ernst nehmen wür-
den wie in dieser Frage. Es gibt schließlich Sachverstän-
dige und Experten, die hier Kritik geübt haben. Deshalb
hätten wir uns gewünscht, dies nicht erst im Verfahren
ändern zu müssen. Wenn aber eine gewisse Bereitschaft
besteht, darüber zu reden, dann sind wir Ihnen an dieser
Stelle natürlich dankbar.

Auch müssen wir klarstellen, dass die Situation von
unverheirateten Eltern aktuell nicht zufriedenstellend ist,
wenn es um die Frage des Sorgerechts geht. Das hat
auch etwas damit zu tun, dass sich das Bild, das wir nor-
malerweise von Familie haben, gewandelt hat. Ich
glaube noch immer, dass Herr Geis und ich in diesem
Zusammenhang unterschiedliche Bilder haben. Aber wir
haben eben erkannt, dass Väter und Mütter, also Männer
und Frauen, in der Kindererziehung gleichberechtigt
sein müssen. Deshalb ist es gut, dass wir an dieser Stelle
jetzt etwas verändern und vom alten, konservativen Bild
Abstand nehmen.

Ich hoffe, dass sich im Gesetzgebungsverfahren auf
Ihrer Seite das eine oder andere noch ändert und dass wir
noch mehr zugunsten des Kindes erreichen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202600

Damit schließe ich die Aussprache.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11048 an die Ausschüsse vor-
geschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es
andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 44 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin
Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur För-
derung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen
und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG)

– Drucksache 17/11139 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache eine Zeit von eineinhalb Stunden vorgese-
hen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Renate
Künast für Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt

kein wirklich gutes Argument gegen eine Frauenquote,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


solange die Chefetagen zum Gutteil noch frauenfreie Zo-
nen sind. Es hat sich nämlich nichts geändert. Nichts hat
sich in 63 Jahren Grundgesetz geändert. Nichts hat sich
seit der letzten Änderung des Grundgesetzes geändert.
Nichts hat sich seit der freiwilligen Selbstverpflichtung
geändert. Deshalb will ich, ehrlich gesagt, keine Gegen-
argumente mehr hören, die ein gewisses Niveau nicht
überschreiten.

Man hört zum Beispiel, bei der Personalauswahl gehe
es um Qualifikation und nicht um Geschlecht. Meine
Herren, wenn es nach Qualifikation ginge, dann wären
die Vorstände voller Frauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Marco Buschmann [FDP]: Sie wollten doch ein bestimmtes Niveau nicht unterschreiten, Frau Künast!)


Frauen haben die besseren Schulabschlüsse und die bes-
seren Universitätsabschlüsse. Aber sie sind eben nicht
durch die Glasdecke gestoßen; denn Männer finden of-
fensichtlich immer Männer. Das ist doch komisch, oder?
Frauen sind zuhauf im mittleren Management vertreten,
stoßen aber nicht durch die Glasdecke. Wahr ist, dass mit
einer sogenannten Frauenquote eine 100-prozentige
Männerquote verhindert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will auch nicht mehr hören, dass eine Frauenquote
Männer benachteiligt. Das finde ich ein bisschen unlau-
ter. Solange es faktisch Männerquoten von 100, 90 oder
80 Prozent gibt, erhebt kein Mann seine Stimme. Wenn
der Männeranteil aber auf 80 oder 60 Prozent sinkt, dann
meinen Sie plötzlich nach 2 000 Jahren Männerdomi-
nanz, jetzt seien die Männer benachteiligt. Dass auch
noch unsere Frauenministerin solche Argumente bringt,
spottet eigentlich jeder Beschreibung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist sie denn?)


– Wo ist sie? Fragen Sie mich, oder wen fragen Sie? Es
ist ja wohl typisch, dass Frau Schröder an dieser Stelle
nicht anwesend ist.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja nur die „Dame“ Kues da!)


Ich glaube nicht, dass es mehr als zwei, drei Frauen in
der Bundesrepublik Deutschland gibt, die sich von die-
ser Ministerin irgendeine Verbesserung der Situation der
Frauen erwarten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Fakt ist: Die Geduld der Frauen ist zu Ende. Wir wol-
len nicht länger warten. Wir wissen, dass Deutschland
hinterherhängt. Unter dieser Bundesregierung ist
Deutschland im internationalen Gleichstellungsranking
vom elften auf den dreizehnten Platz abgerutscht, weil es
erstens immer noch große Lohnunterschiede gibt und
weil zweitens den Frauen in Deutschland nicht der Zu-
gang zu Karriere und besser bezahlten Jobs eröffnet
wird. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Wir haben das
Schröder/von-der-Leyen-Theater unter tatkräftiger An-
führung von Angela Merkel satt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die eine ist dagegen, die andere ist dafür, und Frau
Merkel lässt es zu, dass sich die Zeitungen ausführlich
damit beschäftigen. Wir haben als Abgeordnete dieses
Hauses den aktuellen Gleichstellungsauftrag des Grund-
gesetzes zu erfüllen. Dieser besagt: Wir müssen so lange
aktiv Maßnahmen ergreifen, bis die Gleichstellung er-
reicht ist. Deshalb bringen wir heute unseren Gesetzent-
wurf in den Deutschen Bundestag ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn ich ehrlich bin, ist das auch der Versuch, das
Versagen der Europäischen Kommission in dieser Wo-
che bei der Regelung der Frauenquote ein wenig wettzu-
machen. Dass die Europäische Kommission das Thema
auf einen späteren Termin vertagt hat, ist ein Affront ge-





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


gen die Frauen in Europa und eine Blamage für die
Gleichstellungspolitik der Europäischen Kommission.
Deutschland hat die Aufgabe, einen gewissen Druck
auszuüben.

Wir Grünen haben alles versucht. Wir haben in dieser
Legislaturperiode einen eigenständigen Gesetzentwurf
eingebracht. Er ist von Ihnen abgelehnt worden. Darauf-
hin haben wir uns entschieden, sozusagen auf Knien zu
den Frauen der anderen Fraktionen zu rutschen und für
die Abfassung einer Berliner Erklärung zu werben. Wir
haben uns auf den Kompromiss eingelassen, dass in den
Führungsgremien, zum Beispiel in den Aufsichtsräten,
der Frauenanteil nicht mindestens 40 Prozent, sondern
mindestens 30 Prozent betragen soll. Wir haben es ge-
schafft, dass die Frauen dieses Hauses eine Berliner Er-
klärung unterschrieben haben. Diese Erklärung wurde
des Weiteren unterschrieben von vielen anderen Frauen
in der Republik, aus der Wissenschaft, aus der Wirt-
schaft und aus den Medien. Selbst Friede Springer, die
mit ihrem Konzern bislang sicherlich nicht die Speer-
spitze der Frauengleichstellungsbewegung bildete, hat
diese Erklärung unterschrieben. Nun wollen wir auch
eine Abstimmung im Deutschen Bundestag mit einem
entsprechenden Ergebnis herbeiführen. Es ist meine
Bitte an die Frauen der Union, sich jetzt nicht kleinkrie-
gen zu lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Die Frauen in diesem Land warten auf uns.

Ich glaube, wir haben als Fraktion durchaus eine Leis-
tung erbracht. Wir Grüne fordern: mindestens 40 Pro-
zent Frauen, und das in einem viel kürzeren Zeitraum.
Nachdem nun der Bundesrat unter Führung von Frau
Kramp-Karrenbauer und Herrn Haseloff, also zweier
CDU-Ministerpräsidenten, Frau Merkel die Gefolg-
schaft versagt und einen Kompromiss angenommen hat,
haben wir beschlossen, uns auf diesen Kompromiss ein-
zulassen, der auf den Vorschlag von Hamburg zurück-
geht und der einen Anteil von nur 20 Prozent Frauen
vorsieht.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: 18 haben wir schon!)


Wir lassen uns auf diesen Kompromiss ein. Das ist an
dieser Stelle unser Angebot an Sie. Ich sage Ihnen: Die
Zeit drängt. Was ich nicht sehen und lesen möchte, Herr
Grosse-Brömer, ist, dass Sie sich im nächsten CDU-
oder CSU-Wahlprogramm – dem Seehofer trauen wir ja
alles zu – in Formulierungen ergehen wie etwa „Frauen
müssen gleichberechtigt sein“.

Das Jahr 2013 ist sozusagen ein Superwahljahr für
Aufsichtsräte. Mehr als 80 Aufsichtsratssitze in den
DAX-30-Unternehmen werden im Jahr 2013 besetzt. Ich
möchte, dass dieses Haus vorher dafür Sorge trägt, dass
mindestens 20 Prozent Frauen in die Aufsichtsräte ge-
wählt werden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Entscheidung hierüber ist in diesem Jahr zu treffen.

Mein letzter Punkt. Wir strecken mit unserem Kom-
promissangebot die Hand aus. Anders als Herr Fuchs
heute in einem Interview bin ich jedoch der Meinung:
Was beim Thema „Patientenverfügung“ oder beim
Thema „Beschneidung“ möglich ist – die Annahme, dass
es sich hierbei um eine Gewissensfrage handelt, bei der es
keine Fraktionsdisziplin gibt –, das muss dann bitte schön
auch bei den Themen „Frauenquote“ und „Gleichstellung
von Frauen“ möglich sein. Rita Pawelski hat im Septem-
ber dieses Jahres gesagt: Die Hamburger Hürde liegt mit
20 Prozent nun wirklich sehr niedrig. Weniger zu fordern,
das geht nicht. Es kann keine Kollegen, also Männer, ge-
ben, die jetzt noch Nein sagen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202800

Frau Kollegin!


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720202900

An dieser Stelle kann ich nur sagen: Wir bitten um

Ihre Stimmen. Die Frauen dieses Landes bitten um Ihre
Stimmen, damit sie endlich gleiche Chancen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für die dürfen Sie noch nicht sprechen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720203000

Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1720203100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben
heute erneut Gelegenheit, uns mit dem wichtigen Thema
einer Frauenquote zu befassen. Frau Künast, ich habe ei-
nes in Ihrer Rede ein wenig vermisst: Sie haben über die
Aufgabe, den Anteil von Frauen in Führungspositionen
der Wirtschaft auszubauen, überhaupt nichts gesagt. Sie
haben über die Aufsichtsräte, aber nicht über die Vor-
stände gesprochen, erst recht nicht über die nachgeord-
neten Führungsebenen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es gerne auf Vorstände erweitern!)


Der perspektivisch verengte Ansatz, nur den Aufsichts-
rat herauszupicken, wird der Unternehmenswirklichkeit
und den Interessenlagen der Frauen in unserem Land
nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerne! Bravo! Frauen in die Vorstände! Da mache ich sofort mit!)


Sie haben im Jahr 2001 zunächst einmal eine Selbst-
verpflichtung der Unternehmen auf den Weg gebracht.
In der Tat hat man nach dem großen Showeffekt des Jah-





Dr. Stephan Harbarth


(A) (C)



(D)(B)


res 2001, also in der Zeit, in der auch Sie der Bundesre-
gierung angehört haben, nicht mehr darauf geachtet, ob
diese Selbstverpflichtung eingehalten wird. Das ist das
Ergebnis Ihrer Regierungspolitik. Das Ergebnis unserer
Regierungspolitik ist, dass sich in dieser Frage noch nie
so viele Veränderungen ergeben haben wie in den letzten
zwei oder drei Jahren. Das ist der Unterschied.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, über den Ausgangspunkt sind wir über
alle Fraktionsgrenzen hinweg einer Auffassung. Wir
sind der Auffassung, dass der Anteil der Frauen in Vor-
ständen, in Aufsichtsräten und in den nachgeordneten
Managementebenen bei weitem zu gering ist. Wer sich
die Unternehmenswirklichkeit vor Augen führt, der stellt
aber auch fest, dass in der jüngeren Vergangenheit mehr
in Bewegung gekommen ist als jemals zuvor. Es gibt seit
einem Jahr eine Selbstverpflichtung der Dax-30-Unter-
nehmen; sie haben sich durchgängig für die kommenden
Jahre Ziele gesetzt, die schon deshalb ambitioniert sind,
weil die Belegschaftsanteile der Frauen teilweise gering
sind.

Ich nenne nur zwei Beispiele. ThyssenKrupp mit ei-
nem Frauenanteil von 13 Prozent hat sich das Ziel ge-
setzt, den Frauenanteil auf 15 Prozent auszubauen. VW
mit einem Frauenanteil an der Belegschaft von 16 Pro-
zent hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil auf
30 Prozent zu erhöhen. Das zeigt: Im Augenblick ist viel
in Bewegung. Deshalb denke ich, dass man die augen-
blicklichen Entwicklungen nicht mit staatlichen Vorga-
ben abwürgen sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Marco Buschmann [FDP])


Es geht im Kern um die Fragen: Wie erreichen wir,
dass mehr Frauen in den Führungsebenen der deutschen
Wirtschaft sitzen? Setzen wir auf starre Quotenvorga-
ben, oder setzen wir im Sinne des Stufenplans und der
Flexiquote auf für die Unternehmen maßgeschneiderte,
passgenaue Lösungen? – Zur Wirklichkeit gehört eben
auch – das müssen Sie zur Kenntnis nehmen –, dass der
Frauenanteil an den Belegschaften unterschiedlich hoch
ist. Man stellt fest, dass der Frauenanteil in der Dienst-
leistungssparte über 50 Prozent liegt.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei Schlecker erst!)


In vielen anderen Sparten liegt der Frauenanteil teilweise
unter 20 Prozent. Da müssen Sie den Menschen doch
einmal erklären, warum eigentlich ein Unternehmen mit
einem Frauenanteil an der Belegschaft von 60 oder
70 Prozent auf den Führungsebenen die gleichen Frau-
enquoten erfüllen soll wie ein Unternehmen mit 10 oder
20 Prozent Frauenanteil.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sehr gut! Richtig!)


Wir haben zu konstatieren: Ihr Gesetzentwurf ist ver-
engt, weil er sich – ganz anders als die Überlegungen
etwa zur Flexiquote – überhaupt nicht mit der Frage be-
fasst: Was tun wir auf den nachgeordneten Unterneh-

mensebenen? Wenn man bei den Dax-30-Unternehmen
eine Frauenquote von 20 Prozent einführen würde, dann
würde man feststellen, dass sich in der Summe die Zahl
der Frauen, die zusätzlich in den Aufsichtsräten säßen,
nur geringfügig erhöhte, weil der Anteil schon heute bei
nahezu 20 Prozent liegt. Wenn man bei den Dax-30-Un-
ternehmen eine Frauenquote von 40 Prozent zugrunde
legte, dann würde man ungefähr 100 zusätzliche Frauen
in den Aufsichtsräten dieser Dax-Unternehmen benöti-
gen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es können ja 60 Prozent sein! 40 Prozent Frauen oder mehr!)


Wenn man unterstellt, dass manche der 100 Frauen meh-
rere Aufsichtsratsmandate wahrnehmen, dann läge die
Zahl der Frauen, für die man etwas täte, unter 100. Wenn
Sie aber die Managementverpflichtungen der deutschen
Wirtschaft übernähmen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat die CDU Sie denn ausgegraben?)


würden Sie etwas für über 5 000 Frauen tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das zeigt, dass Ihr Modell wenig weiterhilft.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind mehr Frauen als Männer! Dann können wir auch mehr Posten haben!)


Sie sprechen von der gläsernen Decke. Sie machen die
gläserne Decke aber nicht durchlässig. Sie setzen auf die
gläserne Decke quasi ein paar Frauen obendrauf und be-
haupten, damit sei Durchlässigkeit erreicht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Redebeitrag kann man gut verteilen!)


Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf eine Mogelpackung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ihren auf Aufsichtsräte begrenzten Ansatz könnten
wir nachvollziehen, wenn wir eine Chance sähen, dass
mehr Frauen in Aufsichtsräten zu einem höheren Frau-
enanteil auf nachgeordneten Führungsebenen führen. Sie
führen häufig Norwegen als Beispiel an. Schauen Sie
sich die Untersuchungen des Osloer Instituts für Unter-
nehmensvielfalt an. Natürlich ist der Anteil von Frauen
in Aufsichtsräten in Norwegen angewachsen. Aber das
hat nicht dazu geführt, dass auch der Anteil von Frauen
auf nachgeordneten Führungsebenen angestiegen ist.
Das zeigt, dass Ihre perspektivische Verengung falsch
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir konstatieren, dass der Anwendungsbereich, den
Sie vorsehen, in vielerlei Hinsicht zu weit gefasst ist. Sie
führen gerne die Situation in den Dax-30-Unternehmen
an. Der Anwendungsbereich in Ihrem Gesetzentwurf ist





Dr. Stephan Harbarth


(A) (C)



(D)(B)


aber viel weiter gefasst. Es geht um die Einführung von
Frauenquoten in über 2 000 Unternehmen. Sie sprechen
medienwirksam immer von den Dax-30-Unternehmen.
Aber Ihre Vorgaben betreffen auch die mittelständischen
Betriebe, die, offen gestanden, andere Sorgen haben, als
sich jeden Morgen zu überlegen: Was können wir gegen
Frauen tun?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die suchen ja die Frauen! – Christel Humme [SPD]: Nehmen Sie den Fachkräftemangel! Den Fachkräftemangel beseitigen!)


Die Realität ist doch, dass es in Familienbetrieben als
normal angesehen wird, dass die Tochter anstelle des
Sohns die Geschäftsführung übernimmt. Es ist deshalb
nicht nachvollziehbar, warum Sie einen derart weiten
Anwendungsbereich vorschlagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie wollen, dass die Frauenquote für alle börsennotier-
ten Unternehmen gelten soll. Börsennotierte Unterneh-
men sind aber nicht nur die Dax-30-Unternehmen. Wir
haben in Deutschland – je nach Sichtweise – 700 bzw.
1 500 börsennotierte Unternehmen. Viele dieser Unter-
nehmen haben 100, 150 oder 200 Mitarbeiter.


(Zuruf von der SPD: Ja, was ist mit den Mitarbeiterinnen?)


Erklären Sie doch einmal, warum die Börsennotierung
als Anknüpfungspunkt für die Einführung der Frauen-
quote taugen soll. Das ist mitnichten so. Eine Börsenzu-
lassung ist sehr wohl ein tauglicher Anknüpfungspunkt
für eine Reihe schärferer Vorschriften, etwa im Bereich
der Bilanzierung. Aber warum ein börsennotiertes Un-
ternehmen, das 100 Mitarbeiter beschäftigt, allein auf-
grund seiner Börsennotierung eine Frauenquote einfüh-
ren soll, während das nicht börsennotierte Unternehmen
mit 300 Mitarbeitern keine einführen soll, ist doch in
keinen Kopf zu bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, in den grünen Kopf schon!)


Auch für den Bereich der mitbestimmten Unterneh-
men möchten Sie die Quote gelten lassen. In Deutsch-
land gibt es über 2 000 Unternehmen, die mitbestimmt
sind. Einige fallen unter das Mitbestimmungsgesetz,
weil sie über 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen. Sehr
viele Unternehmen, ungefähr 1 500, fallen unter das
Drittelbeteiligungsgesetz, weil sie mehr als 500 Arbeit-
nehmer beschäftigen. Ich bitte Sie: Führen Sie sich die
Realität vor Augen! Wie läuft das bei einem mittelstän-
dischen Betrieb mit 500 Mitarbeitern in der Praxis ab?
Die Familie, die das Unternehmen führt, überlegt, wer
das Unternehmen in der nächsten Generation überneh-
men kann; dann wird pragmatisch entschieden. Solche
Unternehmer haben jeden Tag ganz andere Sorgen. Sie
kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Produktion,
die Erhöhung der Marktanteile und die Sicherung von
Arbeitsplätzen. Ich glaube nicht, dass sie sich von Ihnen
und Ihrer Frauenquote gängeln lassen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Gängeln?)


Wir müssen vermehrt darüber sprechen, wie wir es
gewährleisten können, den Frauenanteil in vielen Aus-
bildungszweigen zu erhöhen. Wenn wir wollen, dass in
einigen Jahren der Anteil an Managerinnen etwa im
deutschen Maschinenbau anwächst, dann wird es nicht
ausreichen, nur auf die Aufsichtsräte zu schauen und ir-
gendeinen Antrag für das Schaufenster zu produzieren.
Es wird darauf ankommen, mehr Schülerinnen davon zu
überzeugen, etwa Ingenieurwissenschaften zu studieren.
Wenn wir uns die heutigen Zahlen anschauen, dann stel-
len wir fest, dass wir dort leider noch nicht so weit sind,
wie wir es eigentlich sein sollten. Deshalb appelliere ich
nachdrücklich an Sie, uns in den Beratungen darüber
auszutauschen, welche wirklich wirksame Maßnahmen
wir ergreifen können, um den Anteil an Frauen in den
Führungsgremien zu erhöhen. Wir sollten uns mit der
Thematik in ihrer Gesamtheit und nicht isoliert, nur mit
dem Blick auf den Aufsichtsrat, befassen. Wir sollten
insbesondere die Fragen in den Blick nehmen, was wir
auf den nachgeordneten Managementebenen tun kön-
nen, was wir in puncto Vereinbarkeit von Familie und
Beruf tun können und was wir hinsichtlich der Steige-
rung des Anteils von Studentinnen in vielen wichtigen
Ausbildungsfeldern tun können.


(Christel Humme [SPD]: Sie stellen immer nur Fragen, ohne Lösungen anzubieten!)


Für uns ist das, was Sie machen, zu kurz gegriffen.


(Christel Humme [SPD]: Sie machen nichts!)


Sie wollen, dass sich im Aufsichtsrat als Schaufenster
der Unternehmen etwas ändert. Aber tatsächlich bleibt
alles beim Alten. Das lehnen wir ab, und deshalb werden
wir Ihrem Gesetzentwurf auch in den weiteren Beratun-
gen nicht zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es haben ja nicht alle geklatscht bei Ihnen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720203200

Jetzt hat Ingo Egloff das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1720203300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Harbarth, es war wirklich ein star-
kes Stück, was Sie hier vorgetragen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Jawohl!)


Sie stellen sich hierhin und sagen, es greife zu kurz, in
Aufsichtsräten Frauenquoten einzuführen. Wir haben
eine andere Vorlage in die Ausschüsse eingebracht, die
auch die Vorstände berücksichtigt. Sie können dieser zu-
stimmen.





Ingo Egloff


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden Sie daran messen; denn das, was Sie hier
vorgetragen haben, ist einfach verlogen gewesen, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Komm, jetzt mal abrüsten hier!)


Der hier vorliegende Gesetzentwurf, der ursprünglich
auf die Hamburger SPD-Senatsfraktion zurückgeht, bie-
tet Ihnen eine weitere Chance, meine Damen und Herren
von der Koalition, sich endlich zu besinnen und mit da-
für zu sorgen, dass die Ungerechtigkeit bei der Beset-
zung von wirtschaftlichen Führungsgremien aufhört. Sie
sollten sich ein Beispiel an einigen Ihrer Landesregie-
rungen nehmen, die im Bundesrat dieser Regelung zuge-
stimmt haben. Der Entwurf ist moderat. Er sieht zu
Beginn eine Quote von 20 Prozent vor, die dann schritt-
weise auf 40 Prozent angehoben wird, und er lässt be-
gründete Ausnahmen zu. Sie hätten sich das genau an-
schauen sollen, bevor Sie hier auf diese Art und Weise
argumentierten.

Natürlich hat sich meine Fraktion auch etwas anderes
vorstellen können. Deswegen haben wir den Gesetzent-
wurf hier eingebracht. Da haben Sie die Chance, sich
noch einmal zu beweisen. Sie sagen, die Aufsichtsräte
allein reichten nicht aus. Wir sind gerne bereit, auch die
Vorstände einzubeziehen. Das ist überhaupt kein Pro-
blem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das können wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfah-
rens gerne tun.

Ich habe schon in der letzten Debatte darauf hinge-
wiesen, dass es nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit
ist, an dieser Stelle für geschlechtergerechte Verhältnisse
zu sorgen. Vielmehr ist es ein Akt wirtschaftlicher Klug-
heit. Wenn Frauen bereits im Jahre 2008 zu 67 Prozent
über einen Hochschulabschluss verfügten, die Männer
jedoch nur zu 62 Prozent, und dass die Frauen darüber
hinaus die besseren Examina haben, dann müssten die
Unternehmen doch mit dem Klammerbeutel gepudert
sein, diese Potenziale im Bereich der Führungskräfte
nicht zu nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Insofern ist es ein Akt wirtschaftlicher Vernunft, auch
angesichts des Fachkräftemangels, der auf uns zukommt.

Ihrer Argumentation, Herr Kollege, dass es zu wenige
Absolventinnen im technischen Bereich gibt, halte ich
Folgendes entgegen: In den Naturwissenschaften sind es
40 Prozent, in den Ingenieurwissenschaften sind es
22,6 Prozent. Aber schauen Sie sich doch die Vorstände
der Dax-Unternehmen an. Zu ungefähr 60 Prozent sitzen
dort Juristen und Volkswirte. Das, was Sie hier vortra-
gen, ist doch ein vorgeschobenes Argument.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Stephan Harbarth [CDU/ CSU]: Machen Sie es doch für über 2 000 mittelständische Unternehmen! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Gucken Sie mal weiter, über die Dax-Unternehmen hinaus!)


Alle wissenschaftlichen Untersuchungen belegen,
dass Unternehmen, in denen Frauen gleichberechtigt in
Führungspositionen tätig sind, aufgrund höherer Profita-
bilität und höheren Wachstums erfolgreicher sind und
bessere Kapitalmarkterfolge erzielen. Das haben so un-
verdächtige Firmen bzw. Organisationen wie McKinsey
und die OECD festgestellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da aber in einem Bereich wie der Wirtschaft, von dem
man ja gemeinhin annimmt, dass dort immer rational ge-
prägte Entscheidungen getroffen werden, die Führungs-
ebenen anscheinend nicht bereit sind, diese Tatsachen zu
berücksichtigen, muss man sie zu ihrem Glück zwingen.
Die 2001 vereinbarte freiwillige Selbstverpflichtung,
mehr Frauen in Aufsichtsgremien und in andere Füh-
rungspositionen zu bringen, hat jedenfalls nicht zum Er-
folg geführt.

Zum Thema Verfassungsmäßigkeit. Es sind in der
Vergangenheit auch immer wieder einmal Zweifel ange-
meldet worden, dass hier möglicherweise ein Verstoß
gegen Art. 14 vorliegt, das geschützte Recht der Anteils-
eigner, die innere Organisation der Unternehmen selbst
zu regeln. Aber das, was wir hier beschließen wollen, ist
eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz zulässige
Inhalts- und Schrankenbildung. Da gilt nämlich genau
das Gleiche wie bei der Mitbestimmungsregelung. Dazu
hat das Verfassungsgericht eindeutig festgestellt, dass sie
verfassungsgemäß ist. Hier geht es nur darum, die Auf-
sichtsgremien anders zu besetzen.


(Beifall bei der SPD)


Die Mindestquote verfolgt den Zweck, die Unterre-
präsentation von Frauen in Aufsichtsräten zu beseitigen.
Dieser Zweck – darauf hat die Kollegin Künast hinge-
wiesen – ist durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz ge-
boten, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördert
und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwir-
ken muss. Das ist 1994 in die Verfassung hineingeschrie-
ben worden, und das gilt nicht nur für den Bereich der
öffentlichen Verwaltung, sondern auch für den privat-
rechtlichen Sektor. Wir sind verpflichtet, hier die Gleich-
berechtigung durchzusetzen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Halten wir also fest: Mit diesem Gesetz verfolgen wir
einen Verfassungsauftrag. Wir versuchen, ihn in die Rea-
lität umzusetzen. Nehmen wir uns ein Beispiel an ande-
ren europäischen Ländern wie Norwegen, Island, Frank-
reich oder Spanien. Die Entwicklung dort zeigt, dass die





Ingo Egloff


(A) (C)



(D)(B)


Umsetzung einer solchen Regelung ohne Probleme mög-
lich ist.

Wir sollten hier gemeinsam diese für die deutsche
Wirtschaft bedeutsame und positive Regelung treffen.
Ich finde, dass insbesondere die Kolleginnen aus den
Koalitionsfraktionen jetzt ihren Worten Taten folgen las-
sen müssen, sonst nimmt ihnen niemand mehr ab, dass
sie es wirklich wollen.


(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])


Wenn das aus Ihrer Sicht zu kurz greift, was wir hier
vorgelegt haben, dann machen Sie einen Vorschlag, wie
wir beispielsweise die Vorstände mit einbeziehen kön-
nen. Wir sind an Ihrer Seite, wenn Sie einen solchen Vor-
schlag machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stephan Harbarth [CDU/ CSU]: Reden wir doch mal über die Mitarbeiter!)


Seien Sie gewiss, meine Damen und Herren von der
Koalition, wenn Sie hier mit fadenscheinigen Argumen-
ten wieder verhindern, dass ein solches Gesetz beschlos-
sen wird: Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung
herauslassen. Wir werden das dann eben nach der Bun-
destagswahl im Interesse der Wirtschaft, im Interesse der
Gesellschaft und im Interesse der Gleichberechtigung re-
geln.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720203400

Das Wort hat nun Marco Buschmann für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1720203500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die gleichen Karrierechancen für Männer und
Frauen sind ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anlie-
gen. Daher bin ich ein Stück weit entsetzt darüber, auf
welch niedrigem Niveau hier insbesondere SPD und
Grüne die Sache debattieren.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man hat den Eindruck, Sie wollen gar nichts gegen die
gläserne Decke tun, sondern reine Schaufensterpolitik
betreiben. Wenn der Kollege Harbarth hier als Lügner
bezeichnet wird oder die Kollegin Künast sagt, sie wolle
uns gar nicht mehr zuhören: Wofür dann überhaupt noch
eine Debatte?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wo habe ich das denn gesagt? – Ingo Egloff [SPD]: Sie müssen einmal zuhören, Herr Kollege!)


– Sie haben gesagt, Sie wollen nichts mehr hören, Sie
wollen keine Argumente mehr hören.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will keine schlechten Argumente mehr hören! Sie müssen mal zuhören! – Zurufe von der SPD)


Wer eine parlamentarische Debatte auf ein solches Ni-
veau zieht, dem geht es nicht um Maßnahmen gegen die
gläserne Decke, sondern um rein symbolische Schau-
fensterpolitik für den Bundestagswahlkampf und den
grünen Kandidatenwahlkampf.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Was den parlamentarischen Stil angeht, möchte ich
hier mit gutem Beispiel vorangehen


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das wäre einmal ein Ansatz!)


und Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie einen
konkreten Gesetzentwurf vorgelegt haben – dies ver-
dient Respekt, weil es immer große Mühe erfordert –,
auch wenn er bürokratisch ist, auch wenn er sich auf
Kosten Dritter einigt, nämlich der kleinen und mittleren
Unternehmen, und auch, wenn er im Ergebnis untauglich
ist. Sie wissen das; diese Argumente haben wir Ihnen
hier schon vorgetragen.


(Ingo Egloff [SPD]: Aber sie werden nicht richtiger dadurch! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie werden nicht richtiger!)


Erstens. Wir haben empirische Studien, die belegen,
dass eine rein symbolische Frauenquote für die Auf-
sichtsräte in den Führungsebenen darunter nichts be-
wirkt. Catherine Hakim, eine exzellente Soziologin der
London School of Economics, hat die Entwicklung in
Norwegen untersucht und belegt, dass der Anteil an
Frauen in der zweiten und dritten Führungsebene sogar
noch niedriger als in Deutschland ist. Das kann doch
nicht das richtige Vorbild sein. Ihre Quote ist untauglich,
wenn es darum geht, die Karrierechancen insgesamt für
eine relevante Zahl von Frauen zu erweitern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Dafür in die Rechte der Hauptversammlung und in die
Rechte der Aktionäre einzugreifen, ist schlichtweg un-
verhältnismäßig.

Zweitens. Tun Sie bitte nicht so, als ob wir nichts be-
wirkt hätten.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie haben nichts bewirkt!)


Ich sage es noch einmal: Ihre alte Selbstverpflichtung
hat nichts gebracht; das ist völlig richtig. Die Änderung
des Corporate Governance Kodex hat aber dazu geführt,





Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)


dass sich der Anteil von Frauen in der Gruppe der Neu-
besetzungen gegenüber der Gruppe der Amtsinhaber
mittlerweile vervielfacht hat.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Vier mal null ist auch null!)


Wir können einen Faktor Vier konstatieren. Das ist mehr
als nichts. Das ist mehr als das, was Sie bewirkt haben.
Deshalb sollten Sie aufhören, uns an Ihren untauglichen
Maßnahmen von 2001 zu messen. Messen Sie uns bitte
an den zwar noch kleinen, aber deutlich messbaren Er-
folgen. Wir haben in einem Jahr mehr bewirkt als Sie in
vielen Jahren. Tun Sie nicht so, als gäbe es nichts zu
konstatieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Drittens. Der Kollege Egloff hat dem Kollegen
Harbarth vorhin eine Umkehrung der Argumente vorge-
worfen. Das finde ich, Frau Künast, sehr bemerkenswert.
Bislang haben Sie uns immer gesagt: Ihr müsst die
Quote einführen, weil uns die Europäische Kommission
dazu zwingen wird.


(Caren Marks [SPD]: Weil wir es wollen!)


Jetzt haben unsere sachlichen Argumente offenbar Ge-
hör bei der Kommission gefunden.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kommission hat jetzt gesagt: „Das ist kein vernünf-
tiges Mittel“, und sich dagegen entschieden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben vertagt! Sie haben sich nicht entschieden!)


Und jetzt sagen Sie: Jetzt müssen wir Deutsche die
Kommission vor uns hertreiben. Also, wenn hier Argu-
mente verdreht werden, dann gilt das insbesondere für
Sie.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Abgesehen von diesen grundsätzlichen Argumenten
gegen eine solche Zwangsquote ist Ihr konkreter Gesetz-
gebungsvorschlag mit sehr vielen Problemen verbunden.

Ich konstatiere – dafür bedanke ich mich auch –, dass
Sie unsere Kritik, was die kleinen Gremien angeht, auf-
genommen haben. Das zeigt, dass die sachliche Kritik,
die wir hier vorgetragen haben, nicht ganz falsch war.
Sonst wären Sie ja nicht darauf eingegangen.

Ich kritisiere aber, dass Sie damit ein bürokratisches
Monstrum schaffen. Sie wollen demnächst nämlich jede
der 16 000 deutschen Aktiengesellschaften verpflichten,
sich Bescheide beim Bundesamt für Justiz einzuholen.
Künftig soll jede AG sich einmal pro Jahr, weil man das
für die Körperschaftsteuererklärung brauchen soll, einen
Bescheid über die geschlechtergerechte Besetzung des
Aufsichtsrats besorgen. 16 000 Unternehmen sollen
dazu verpflichtet werden. Das sind 16 000 Anträge, die
im Verlauf des ersten Halbjahres eines jeden Jahres im

Bundesamt für Justiz bearbeitet werden müssen. Wenn
man das herunterbricht und nur eine Stunde Zeit für die
Bearbeitung eines solchen Antrages ansetzt, stellt man
fest, dass man in den 100 Arbeitstagen, die bis zum
31. Mai eines Jahres anfallen – das ist die Frist, die Sie
setzen –, 160 Bescheide pro Tag bearbeiten müsste. Bei
60 Minuten für einen Bescheid und bei acht Arbeitsstun-
den pro Tag wären das 20 neue Planstellen, die man im
Bundesamt für Justiz allein für die Realisierung dieses
einen Details Ihres Gesetzentwurfs vorsehen müsste.

Meine Damen und Herren, seien Sie ehrlich! Sie
schreiben in der Einleitung Ihres Gesetzentwurfs, die
Bürokratiekosten und der Bürokratieaufwand für die
Umsetzung Ihres Vorschlages seien gering und zu ver-
nachlässigen. Das ist schlichtweg die Unwahrheit. Allein
die Umsetzung dieses Details würde dazu führen, dass
sich im Bundesamt für Justiz 20 Leute mit nichts ande-
rem mehr beschäftigen könnten oder 20 neue Planstellen
geschaffen werden müssten.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unglaublich! – Dr. Stephan Harbarth [CDU/ CSU]: Unglaublich! Das ist das Verständnis der SPD von Bürokratieabbau!)


Im Übrigen wäre es auch rechtspolitisch ein falsches
Signal, wenn man private Unternehmen wieder unter
staatliche Aufsicht stellen würde, was ihre internen Gre-
mienbesetzungen angeht. Als Rechtshistoriker fühlt man
sich ein wenig an die Ideen des Reichs-Aktienamtes er-
innert. Wir sind weg davon! Überall im Gesellschafts-
recht gehen wir weg von der staatlichen Aufsicht, was
die internen Verhältnisse angeht. Sie wollen jetzt den
umgekehrten Weg gehen, zurück zum Beginn des letzten
Jahrhunderts, in dem diese Ideen noch modern waren.
Heute sind sie gänzlich unmodern.

Zum Schluss will ich noch eines sagen: Jetzt konze-
diere ich einmal, es gebe diese Fortschrittsverweigerer,
es gebe jene, die sich hartnäckig verweigern und obstru-
ieren.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben den Schuss nicht gehört!)


Gegen diese Fortschrittsverweigerer hilft Ihr Entwurf
nicht, weil Sie ausschließlich Aktiengesellschaften in
den Fokus nehmen. Auch bei der grenzüberschreitenden
Verschmelzung nehmen Sie ausschließlich Aktiengesell-
schaften in den Blick. Dann machen die Unternehmen
eben einen Formwechsel. Das ist auch in Norwegen
geschehen. Dort haben die Unternehmen – Familienbe-
triebe, kleine Betriebe und vor allem die Maschinenbau-
unternehmen –, die Probleme hatten, weibliche In-
genieure in der erforderlichen Anzahl und mit der
notwendigen Berufserfahrung zu finden, schlichtweg die
Rechtsform gewechselt.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fordere eine Frauenquote in der FDP! Das würde Ihnen nicht schaden!)


Das wird dann bei Verschmelzungen auch passieren.
Selbst wenn wir unterstellen, dass Ihre Auffassung rich-
tig ist, dass es renitente Fortschrittsverweigerer gibt, so





Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)


bleibt festzuhalten: Ihr Gesetzentwurf macht das Scheu-
nentor für Umgehungstransaktionen ganz weit auf.

Wir halten im Ergebnis fest: Ihr Vorschlag wird in der
gesellschaftlichen Breite nichts bringen. Er ist kein Bei-
trag gegen die gläserne Decke, sondern nur Schaufens-
terpolitik. Umgehungsmöglichkeiten stehen sperrangel-
weit offen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast 3 Prozent! FDP!)


Man kann aus guten Gründen, gerade wenn man für ef-
fektive Frauenförderung ist, gerade wenn man für glei-
che Karrierechancen für Männer und Frauen in diesem
Land ist, in diesem Vorschlag kein taugliches Instrument
erkennen. Deshalb werden wir ihn ablehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720203600

Das Wort hat nun Frau Cornelia Möhring für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720203700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Buschmann, das müssen Sie uns zugestehen: Ange-
sichts der vielen guten Argumente für die Quote, die wir
hier in gefühlten 150 Debatten schon ausgetauscht ha-
ben, werden Sie sicherlich verstehen, dass wir an Ihrer
Lernfähigkeit langsam erhebliche Zweifel haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Quote bedeutet deutlich mehr als eine Verbesse-
rung von Karrierechancen für Frauen. Die Quote ist ein
Instrument für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
und Männern an den Entscheidungen und den Ressour-
cen in unserer Gesellschaft. Die Linke steht dazu und
sagt es immer wieder: Wir sind für eine geschlechterge-
rechte Gesellschaft, und wir sind auch für eine ge-
schlechtergerechte Besetzung von Vorständen und Auf-
sichtsratsgremien. Wenn es nach uns ginge, würde sich
dies auch in Zahlen ausdrücken. Der Hälfte der Bevölke-
rung steht auch die Hälfte zu.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schlicht nicht
hinnehmbar, dass Frauen mit einem Anteil von lediglich
15,6 Prozent in Aufsichtsräten und von nur 4,2 Prozent
in Vorständen vertreten sind.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum haben Sie keine gleichberechtigte Doppelspitze? Warum ist Gysi allein? Wo ist er denn?)


– Herr Kauder, auf Ihre Zwischenrufe gehe ich gerne an
anderer Stelle ein. Jetzt kümmere ich mich um das We-
sentliche.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gesetzentwurf, den wir heute behandeln, weckt
in mir trotzdem, ehrlich gesagt, zwiespältige Gefühle,
weil er, wie ich finde, Ausdruck eines aussichtslosen
taktischen Spielchens ist. Sie glauben doch nicht allen
Ernstes, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und von den Grünen, dass CDU/CSU und FDP sich da-
rauf einlassen? Die zeigen heute wieder deutlich, dass
sie so blockiert sind, dass sie schlicht keine geschlech-
tergerechte Gesellschaft wollen.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich muss aber auch deutlich sagen: Ich hatte schon bei
der Einbringung der Bundesratsinitiative zur Festschrei-
bung einer verbindlichen Quote zwiespältige Gefühle.
Einerseits verstehe ich es natürlich: Angesichts der Un-
beweglichkeit dieser Regierungskoalition in der Frage
der gesetzlichen Quote wäre es natürlich erfreulich,
wenn wir auch mit den Stimmen von CDU-regierten
Ländern tatsächlich erstmals eine verbindliche Quote
festschreiben könnten. Andererseits – das finde ich be-
dauerlich – waren Grüne und SPD in ihren Forderungen
schon einmal erheblich weiter,


(Beifall bei der LINKEN)


sowohl in ihren eigenen parlamentarischen Initiativen
als auch im Rahmen des überparteilichen Bündnisses der
Berliner Erklärung.

In diesem Bündnis haben wir gemeinsam mit Kolle-
ginnen und Kollegen aus allen Fraktionen – auch mit ei-
nigen aus den Koalitionsfraktionen – als ersten Schritt
gefordert, dass alle börsennotierten, mitbestimmungs-
pflichtigen und öffentlichen Unternehmen verpflichtet
werden, in ihren Aufsichtsräten bis zum Jahr 2018 – ich
betone das; denn 2013 finden die entscheidenden Wah-
len statt – eine Mindestquotierung von 30 Prozent zu er-
reichen und diesen Anteil dann zügig weiterzuentwi-
ckeln. Weil wir alle wissen, dass Freiwilligkeit zu
keinem Erfolg führt, haben wir spürbare Sanktionen vor-
gesehen: So sollten, wenn die Zusammensetzung eines
Aufsichtsrates dieser Regelung widerspricht, die Be-
schlüsse unwirksam werden.

Jetzt, wo sogar der Entwurf eines entsprechenden
fraktionsübergreifenden Gruppengesetzes auf dem Tisch
liegt, verlassen ausgerechnet SPD und Grüne den Kon-
sens dieses Bündnisses und legen den vorliegenden Ge-
setzentwurf vor, einen Gesetzentwurf, der deutlich hinter
den bisherigen Eckpunkten der Berliner Erklärung zu-
rückbleibt. In welchen Punkten gibt es Abweichungen?
Diese möchte ich hier nennen, weil ich darauf aufmerk-
sam machen möchte, dass wir entsprechende Ände-
rungsanträge einbringen werden.

Erstens. Für Unternehmen gibt es in diesem Gesetz-
entwurf viel zu viele Ausnahmen.

Zweitens. Erst ab 2018 soll die erste Stufe mit 20 Pro-
zent Frauen in Aufsichtsräten erreicht werden.

Drittens. Sie haben ein paar butterweiche Sanktionen
eingebaut, nämlich die Namensnennung von Unterneh-
men, die gegen das Gesetz verstoßen, und die Streichung
der steuerlichen Absetzbarkeit von Aufsichtsratsvergü-
tungen. Ich sehe schon, wie alle Angst bekommen.





Cornelia Möhring


(A) (C)



(D)(B)



(Heiterkeit der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Warum weichen also SPD und Grüne von den ge-
meinsam ausgehandelten und breit getragenen Forderun-
gen der Berliner Erklärung kampflos ab? Weil Ihnen der
Spatz in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach?
Oder aus wahltaktischen Gründen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil mir der Spatz in der Hand lieber ist als gar keine Taube!)


Sollte Ihnen damit tatsächlich die Meisterleistung gelin-
gen, die Regierungskoalition auf den Weg einer gesetz-
lichen Quote zu bringen, werde ich die Erste sein, die
sagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein
Glanzstück.

Sie werden wahrscheinlich erwidern, dass die Ein-
bringung des Bundesratsentwurfs durch die Bundes-
regierung dauern würde, bis wir hier alle Moos ansetzen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden hier kein Moos ansetzen!)


Das glaube ich auch. In den letzten 22 Jahren hat näm-
lich keine Bundesregierung – im Übrigen auch nicht die
rot-grüne – etwas Substanzielles geleistet, um den
Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes im Hinblick
auf die Vertretung von Frauen in Führungspositionen
umzusetzen. An dieser Tatsache kommen Sie nicht vor-
bei. Das hätten wir alles auf Grundlage der Berliner Er-
klärung diskutieren können.

Ich sehe, meine Zeit hier geht langsam dem Ende zu,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


deswegen abschließend noch zwei Bemerkungen:

Für die Linke bleibt es dabei: Wir wollen, dass es in
diesem Land geschlechtergerecht zugeht. Wir halten uns
an die im Bündnis „Berliner Erklärung“ getroffenen Ver-
einbarungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wissen: Es gibt genug qualifizierte Frauen, um
schon 2013 Gremien wie Aufsichtsräte anders zu beset-
zen. Deshalb werden wir entsprechende Änderungsan-
träge in die weiteren Beratungen einbringen.

Ich vermute, dass sich CDU/CSU und FDP diesen
Änderungsanträgen wie Ihrem Gesetzentwurf, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nicht an-
schließen werden. Deswegen will ich Sie schon jetzt er-
muntern, sich dann unseren Änderungsanträgen anzu-
schließen, damit wir konstruktiv vorankommen.


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir! Die kommen aber auch nicht durch!)


In diesem Sinne wünsche ich uns weitere konstruktive
Debatten und endlich einen Schritt in Richtung mehr Ge-
schlechtergerechtigkeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720203800

Das Wort hat nun Elisabeth Winkelmeier-Becker für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1720203900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
dieser Woche die Situation der Frauen unter verschiede-
nen Aspekten in den Blick genommen: Minijobs standen
auf der Tagesordnung; über den Unterhaltsvorschuss
wurde debattiert; um die Finanzierung von Frauenhäu-
sern geht es heute noch. Aktuelle Themen sind darüber
hinaus die Berücksichtigung von Erziehungszeiten bei
der Rente, Altersarmut und, vor allem, die allgemeine
Entgeltungleichheit.

Für all das gibt es Pro und Kontra, auch unter Frauen
werden diese Themen differenziert diskutiert. Häufig
kann man erkennen, dass die persönliche Lebenserfah-
rung oder auch das Alter zu unterschiedlichen Einschät-
zungen führen. Mir geht es in diesem Zusammenhang
darum, zu zeigen, dass das alles Facetten desselben The-
mas sind. Bei all diesen Punkten spielt es eine Rolle,
dass alle Frauen eine andere Lebenssituation haben, die
sich in einem je anderen Zugang zu eigener sozialer Si-
cherheit, zu eigener beruflicher Karriere und eigenem
Einkommen äußert.

Es gibt Ursachen, die auf freiwillige Entscheidungen
zurückgehen – die Berufswahl zum Beispiel; auch wenn
man daran sicherlich einiges ändern könnte –, aber auch
Ursachen, die in den Strukturen liegen: traditionelle Un-
terschiede in der Beteiligung an der Arbeit in der Fami-
lie; Erwartungshaltungen, die sich auswirken; andere
Prioritäten. Es gibt auch strukturelle Ursachen, die kaum
zu beeinflussen sind. Gerade beim Thema Quote haben
wir es mit Strukturen zu tun, die sich individuell nicht
beeinflussen lassen. All diese Dinge greifen ineinander,
und all diese Dinge haben ihre Auswirkungen darauf,
dass Frauen in höheren Positionen so stark unterreprä-
sentiert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Weshalb sage ich das? Ich will zeigen, dass „Frauen
in Führungspositionen“ kein Luxusthema ist, das eine
zwei- bzw. maximal dreistellige Zahl von Frauen be-
trifft. Vielmehr handelt es sich um die Ausprägung einer
allgemeinen Problematik. Das betrifft Kassiererinnen bei
Edeka ganz genauso wie Alleinerziehende oder Frauen,
die über Jahre in einem Minijob festhängen und ihren ur-
sprünglichen Beruf nicht weiter betreiben können, oder
Wissenschaftlerinnen, die keine angemessene Professur
bekommen. All das sind Ausprägungen desselben The-
mas, dass sich unterschiedliche Lebenserwartungen, un-
terschiedliche Traditionen in der gleichen Weise auswir-
ken.

Es gibt noch einen Grund, weshalb „Frauen in Füh-
rungspositionen“ kein Thema ist, das nur einige wenige
Frauen in einer privilegierten Situation betrifft. Wie
viele Frauen wir sichtbar in Führungspositionen haben,





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


wird nämlich weit über diese Funktionen hinauswirken,
weil Frauen in Führungspositionen Vorbilder schaffen,
die in die Struktur der Unternehmen hineinwirken und
ein Umdenken bewirken, nicht nur in den Unternehmen,
sondern in der gesamten Gesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Deutschland wird man nie wieder infrage stellen,
ob eine Frau auch Kanzlerin sein kann. Damit ist zu-
gleich auch die Frage beantwortet, ob eine Frau Abtei-
lungsleiterin einer Behörde sein, ob sie Filialleiterin ei-
ner Bank sein kann, ob sie Leiterin eines Supermarktes
sein kann.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Frau kann alles, nur nicht SPD-Kanzlerkandidatin werden!)


Genauso wird zum Beispiel in den USA nie wieder die
Frage gestellt werden, ob ein Schwarzer Präsident sein
kann. Das sind Fragen, die dadurch beantwortet worden
sind, dass diese besonders herausgehobene Position ein-
mal von einer entsprechenden Person wahrgenommen
worden ist. Deshalb ist es auch ein Beitrag zur Lösung
des ganzen Problems an allen Stellen in der beruflichen
und in der gesellschaftlichen Hierarchie. Wenn wir mehr
Frauen in Führungspositionen haben, wird das auch
Auswirkungen auf die unteren Hierarchieebenen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist der Einwand, den wir häufig hören:
„Kümmert euch doch nicht um so ein Luxusproblem,
sondern kümmert euch darum, wie die Frauen über die
Runden kommen, die in ganz anderen Lebenssituationen
sind“, nicht berechtigt. Wir dürfen das eine nicht gegen
das andere stellen, sondern alle Themen gehören zusam-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute ist das Thema die Quote, über das wir uns
schon oft ausgetauscht haben, wenn jetzt allerdings auch
schon ein paar Monate nicht mehr. Von daher noch ein-
mal die wichtigsten Punkte für Sie alle, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen.

Brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen? –
Ja, klar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das ist mittlerweile Allgemeingut. Da kriegen wir
Applaus aus dem ganzen Haus.


(Zuruf von der SPD: Von wegen!)


Der Grund ist doch auch klar: Wer nach guten Leuten
nur in der Hälfte der Bevölkerung sucht, der schöpft das
Potenzial an Intelligenz, Kreativität, Qualifikationen und
Ideen nicht aus. Deshalb ist es schon aus der egoisti-
schen Sicht der Unternehmen wichtig, nach Talenten un-
ter den Frauen Ausschau zu halten.

Ein weiterer Aspekt ist folgender: Gemischte Teams
haben die besseren Ergebnisse. Wo unterschiedliche Le-
benserfahrungen zusammenkommen, da wird an alle As-
pekte gedacht, und die Entscheidung ist am Ende besser.
Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen.

Ich will auch auf den Aspekt der Chancengleichheit
hinweisen. Wo Frauen die gleichen Qualifikationen ha-
ben – gerade in den entscheidenden Ausbildungsgängen,
Jura, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, haben sie
längst gleich gute Qualifikationen –, da müssen ihnen
auch die gleichen Chancen gegeben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur, brauchen wir dazu eine gesetzliche Quote?


(Christel Humme [SPD]: Ja!)


Ja! Denn von allein wird sich wenig ändern. Das zeigt
uns doch die Erfahrung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade die Sinus-Studie des Frauenministeriums hat ge-
zeigt: Es bestehen stark verfestigte Strukturen und Ri-
tuale, die sich selbst reproduzieren, die sich perpetuieren
und das Nachrücken von Frauen behindern.

Wir können zwar Fortschritte erkennen; die gibt es im
Moment. Aber die vollziehen sich vor dem Hintergrund
unserer momentanen Debatte, wodurch das Thema alle
paar Monate auf der Tagesordnung steht und den Unter-
nehmen auch signalisiert wird, dass sich etwas tut. Im
Vorgriff darauf oder auch, um eine gesetzliche Regelung
zu verhindern, strengen sie sich jetzt besonders an.

Aber 70 Prozent und mehr der Entscheidungsträger in
den Unternehmen selber – das zeigt die empirische Stu-
die des Frauenministeriums von Carsten Wippermann –
glauben nicht, dass das bereits ein selbsttragender Effekt
ist und dass sich ohne verbindliche Vorgaben etwas tun
wird. Die wissen, wovon sie sprechen.

Wir sehen also, die abstrakte Erkenntnis „Wir brau-
chen mehr Frauen in Führungspositionen“ endet da, wo
es die eigene Situation, die eigene Position im Aufsichts-
rat, im Vorstand betrifft. Im eigenen Umfeld soll doch
bitte alles so bleiben, wie es ist. Wir fangen einmal ganz
unten an und schauen in 30 Jahren weiter.


(Christel Humme [SPD]: 60! 120!)


Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Sie
kann durchaus vernünftige Ausnahmen vorsehen. Wenn
ein Familienunternehmen von den Mehrheitseignern
selbst geführt wird, da kann eine Ausnahme in Ordnung
sein, weil man natürlich die Positionen in der Familie
weitergibt. Wer mit fünf Söhnen oder – wie meine Eltern
– mit fünf Töchtern gesegnet ist, der wird auch darunter
seine Nachfolger suchen. Wo es trotz ernsthafter Suche
keine geeignete Kandidatin gibt, da kann es auch Aus-
nahmen geben; das ist in Ordnung.

Eines steht aber fest: Wir brauchen eine gesetzliche
Regelung. „Gesetzlich“ bedeutet „verbindlich“. Es reicht





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


nicht, wenn „Gesetz“ draufsteht, dieses aber nur freiwil-
lige Regelungen enthält.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es hat auch nichts mit den Grenzen vielleicht sinnvol-
ler Flexibilität zu tun, wenn der Adressat der Regelung
selber entscheidet, welche Vorgaben er sich gibt, ohne
dass ihm irgendwelche Kriterien vorgegeben werden.
Flexibilität gibt es in gesetzlichen Regelungen an vielen
Stellen: Nicht jeder zahlt die gleichen Steuern, das Tem-
polimit ist an unterschiedlichen Stellen, je nach Straßen-
lage, unterschiedlich. Dass sich aber der Adressat der
Regelung, die sein Verhalten ausrichten soll, selber ohne
besondere objektive Kriterien aussucht, zu was er sich
verpflichten will: Das hat noch nie funktioniert. Auf die
Idee kommt man an anderen Stellen nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sollten wir es nicht allein der Bestenauslese überlas-
sen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Funktioniert ja nicht!)


Das ist auch ein häufig gehörtes Argument. Es wäre ja
schön, wenn es die Bestenauslese gäbe. Dass alle bishe-
rigen Aufsichtsräte und Vorstände durch einen harten
Prozess knallharter Bestenauslese gegangen seien, glau-
ben allenfalls sie selber.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein Mythos. So hat es uns auch die neue Perso-
nalchefin der Telekom, Frau Professor Schick, diese Wo-
che noch einmal erklärt. Gleiches haben wir vorher von
Herrn Sattelberger gehört. Gleiches bestätigt auch die
Wippermann-Studie des Frauenministeriums. Hier kom-
men eben andere Strukturen zum Tragen: die Loyalitä-
ten, die Rituale, die Closed-Shop-Situation. Es ist teil-
weise schon bitter, von wem man sich erklären lassen
muss, dass es doch nur die Besten sind, die sich durch-
setzen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sollten wir uns mehr um andere Rahmenbedingungen
kümmern? Natürlich müssen wir uns auch um andere
Rahmenbedingungen kümmern. Wir tun das auch. Die
Betreuungssituation und die Ermunterung an Frauen,
sich mehr für MINT-Berufe zu entscheiden, ist wichtig.
All das alleine reicht aber auch nicht. Schauen wir nach
Frankreich. Dort ist zum Beispiel die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf seit vielen Jahren deutlich einfacher.
Trotzdem hat es auch dort erst der Quote bedurft, um
Frauen stärker in Führungspositionen zu platzieren. Wir
müssen also beides tun. Lasst uns doch nicht immer nur
das Entweder-oder bedenken, sondern wir müssen in

cumulo alles zusammentun, um an den wirklichen Ver-
hältnissen in Führungspositionen etwas zu verändern.

Ich freue mich, dass ich hier sehr viel Bereitschaft er-
lebt habe, konstruktiv daran mitzuwirken, zu Regelun-
gen zu kommen, die auch wirklich funktionieren. Hier
wurden einige Dinge kritisiert. Das kann man sich be-
stimmt noch einmal im Einzelnen anschauen. Im De-
zember haben wir ja eine Anhörung dazu. Wir müssen
dann aber auch zu konstruktiven Vorschlägen dafür
kommen, wie das klappen kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Antrag hat natürlich auch eine taktische Seite. Es
gibt noch einen anderen Antrag der SPD im Verfahren.
Sie müssen jetzt schon einmal sagen, was denn nun gel-
ten soll. Geht es auch um Vorstände? Ja oder nein? Wel-
che Sanktionen sollen es denn nun sein?


(Burkhard Lischka [SPD]: Wir wollen Ihnen doch nur helfen, Frau Winkelmeier-Becker! – Thomas Oppermann [SPD]: Brücken bauen!)


– Nein, das zeigt leider – das ist dann doch ein Stück
weit Kritik –, dass es Ihnen auch sehr viel um Taktik
geht.


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein, Brücken bauen! – Thomas Oppermann [SPD]: Zu Herrn Kauder wollen wir auch eine Brücke bauen! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sollten sich einmal um eine Kanzlerkandidatin bemühen!)


Ich finde das auch schade vor dem Hintergrund, dass
ein Antrag aus dem Bundesrat kommt, ohne ein eindeu-
tiges ausschließliches Parteisiegel zu tragen. Er kommt
aus Hamburg, das ist klar, aber er wird von der Minister-
präsidentin des Saarlandes und vom Ministerpräsidenten
aus Sachsen-Anhalt unterstützt. Ich weiß nicht, wer das
schon mitbekommen hat: Mittlerweile hat sich auch un-
sere Landtagsfraktion des Landtages Baden-Württem-
berg diesen Antrag zu eigen gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingo Egloff [SPD]: Ja, Herr Kauder!)


Sie wissen, dass es nicht ohne Bedeutung ist, dass Sie
diesem Antrag Ihr parteipolitisches Siegel jetzt noch ein-
mal zusätzlich aufgedrückt haben. Wir brauchen darüber
heute aber noch nicht zu entscheiden. Ich hoffe, dass wir
auch aufgrund dieses Antrages in eine weiterhin konst-
ruktive Beratung eintreten werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720204000

Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1720204100

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Frau Winkelmeier-Becker, ich gratuliere Ihnen zu dieser
mutigen Rede.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre mutige Rede zeigt aber auch, dass ich Ihnen eine
Quote in Ihrer Partei gewünscht hätte. Dann hätten Sie in
Ihrer Fraktion mehr Unterstützung, und wir wären si-
cherlich gemeinsam schneller zu einem Konsens gekom-
men.

„Willkommen in der Macho-AG.“ In Sachen weibli-
ches Topmanagement sei Deutschland ein Entwick-
lungsland. – Das war vor einigen Jahren die Feststellung
in der Zeitschrift Wirtschaftswoche. Die Süddeutsche
Zeitung schrieb, das deutsche Topmanagement sei so
frauenfreundlich wie Saudi-Arabien.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


In der Tat, 2006 gab es in den Vorständen der
200 größten Unternehmen nur 1 Prozent Frauen, und in
den Aufsichtsräten waren sie mit 8 Prozent vertreten.
Herr Harbarth, Sie behaupten, es habe sich in den letzten
Jahren sehr viel getan. Schauen wir doch einmal genau
hin, was sich in der Macho-AG geändert hat.

Der Anteil der Frauen in Vorständen ist von 1 Prozent
auf sage und schreibe 3 Prozent gestiegen und der in
Aufsichtsräten von 8 auf 12 Prozent. Das ist den Arbeit-
nehmerinnen auf der Arbeitnehmerbank zu verdanken.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Sie selbst sagen doch, dass 24 Prozent aller Neubesetzungen heute weiblich sind! Das sagen Sie doch in Ihrem Antrag! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja nur Angst, dass Sie Posten und Karriere verlieren!)


Dieses Schneckentempo, Herr Harbarth, wollen wir
nicht mehr haben; denn dann würden wir 120 Jahre war-
ten, bis wir einen Anteil von 40 Prozent in den Vorstän-
den erreicht hätten, und 60 Jahre, bis wir einen Anteil
von 40 Prozent in den Aufsichtsräten hätten. Es ist
höchste Zeit für eine verbindliche Quote.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei gibt es doch schon in der Gesellschaft – Frau
Winkelmeier-Becker hat es aufgezeigt – einen breit an-
gelegten Konsens von Männern und Frauen über alle
politischen Lager und gesellschaftlichen Schichten hin-
weg. Das haben die Nürnberger Resolution von 2009,
die Berliner Erklärung von 2011, die Initiative der Jour-
nalistinnen „Pro Quote“, der aktuelle Vorstoß der Medi-
zinerinnen „Pro Quote in der Medizin“ und schließlich
der Bundesratsbeschluss zusammen mit der CDU am
21. September 2012 deutlich gemacht. Der Druck im
Kessel wird doch immer größer. Es ist Zeit, dass sich
auch parteiübergreifend im Bundestag etwas bewegt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die feste Quote von 40 Prozent ist das Ziel der SPD. Wir
wollen nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.
Wir wollen Taten sehen und in der Gleichstellung einen
Schritt vorwärtskommen.

Erst diese Woche hat Deutschland vom World Econo-
mic Forum wieder einmal den Spiegel vorgehalten be-
kommen: Deutschland ist im Gleichstellungsranking von
Platz 11 im letzten Jahr auf Platz 13 abgerutscht.


(Caren Marks [SPD]: Kein Wunder mit der Ministerin!)


Vor fünf Jahren, 2007, waren wir als eine der größten
Volkswirtschaften auf Platz 6. Mittlerweile haben uns
alle skandinavischen Länder, Island, Irland, die Nieder-
lande und die Schweiz überholt. Die Gründe für diese
schlechte Note sind im Wesentlichen zwei Dinge: ers-
tens die geringe Beteiligung der Frauen in Führungsposi-
tionen und zweitens die unglaublich große Lohnlücke
von 22 Prozent.

Ich glaube, mit dieser Regierung drohen wir weiter
abzurutschen. Warum? In der Quotenfrage ist sie zer-
stritten. Zum Thema „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
gibt es noch nicht einmal im Ansatz einen Vorschlag.
Das ist schwarz-gelbe Realität. Es reicht nicht, am Equal
Pay Day Klagelieder anzustimmen oder über mangelnde
Frauenbeteiligung zu jammern. Es reicht nicht, sich vor
konkreten Entscheidungen zu drücken, weil Sie immer
noch dem Irrglauben verfallen sind, Sie schadeten damit
der Wirtschaft, Herr Buschmann und Herr Harbarth.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Mit gemischten Teams
– auch Frau Winkelmeier-Becker hat das betont –, mit
Frauen in der Führung sind Unternehmen eindeutig er-
folgreicher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bedauere, dass die Kommissarin Reding mit ih-
rem Vorstoß zur Einführung einer festen Quote bis jetzt
gescheitert ist. Mal sehen, was im November kommt. Es
gab Vorbehalte, auch von der deutschen Regierung. Vor
allem von der FDP wird bezweifelt, ob Europa so weit-
reichende Einflüsse auf das Wirtschaftsgeschehen haben
darf.


(Marco Buschmann [FDP]: Das nennen wir Subsidiarität!)


Ich frage Sie von der FDP: Darf es möglich sein, dass
die Gleichstellung vor den Toren der Betriebe halt-
macht? Ich sage: Sicher nicht! Welchen Wert hätte sonst
Art. 3 des Grundgesetzes – das wurde vorhin schon von
Herrn Egloff zitiert –, in dem der Staat aufgefordert
wird, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen
durchzusetzen? Ich wünsche Frau Reding viel Kraft.
Hoffentlich bleibt sie bei der verbindlichen Quote und
verwässert ihren Gesetzentwurf nicht nach dem Konzept
wirkungsloser Schröder’scher Flexiquote. Dann sollte
sie es besser bleiben lassen.





Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Harbarth, Sie haben völlig recht: Die feste Quote
alleine wird in Deutschland keine Gleichstellung garan-
tieren. Sie wird ein Baustein sein müssen, ein Baustein
in einem umfassenden gleichstellungspolitischen Kon-
zept. Sie wäre allerdings – das wäre sie mit Sicherheit –
ein Signal dafür, wie ernst es uns mit der Gleichstellung
von Frauen und Männern ist.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die SPD-Bundes-
tagsfraktion hat ein umfassendes gleichstellungspoliti-
sches Konzept.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Das gilt aber nicht bei der Auswahl von Kanzlerkandidaten!)


Wir wollen eine 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte und
Vorstände; der entsprechende Gesetzentwurf liegt dem
Bundestag zurzeit zur Beratung vor. Frau Möhring, da-
rüber werden wir sicherlich noch diskutieren. Wir wol-
len gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit. Wir wollen
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dafür
wollen wir das Elterngeld weiterentwickeln und die
Ganztagsbetreuung ausbauen, aber sicherlich kein Be-
treuungsgeld. Wir wollen das Ehegattensplittung refor-
mieren und Minijobs in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse umwandeln. Sie sehen: Die
SPD hat mehr in ihrem Konzept als nur die Quote. Es
geht um ein konsequentes gleichstellungspolitisches
Konzept und nicht, wie Sie behaupten, nur um die Quote
und um sonst nichts.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage Ihnen auch: Bedauerlicherweise ist die Re-
gierung – mit einer Frau als Bundeskanzlerin, mit einer
Frau als Arbeitsministerin und mit einer vermeintlichen
Frauenministerin – von solch einem Konzept meiner An-
sicht nach meilenweit entfernt – und mit Herrn Kauder
auch.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nächstes Jahr fin-
den viele Aufsichtsratswahlen statt. Lassen Sie uns im
Parlament ein Zeichen setzen und gemeinsam eine ge-
setzliche Quotenregelung auf den Weg bringen! Dafür
gibt es ab heute eine reale Chance. Das ist ein Angebot
an Sie, Herr Kauder, dem auch Sie zustimmen können.
Wer die verbindliche gesetzliche Quote nicht vernünftig
regeln will, der nimmt die Frauen nicht ernst. Gleichstel-
lungspolitisch wird man so auch in anderen Bereichen
scheitern.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720204200

Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1720204300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
haben in den letzten Monaten hier im Plenum schon sehr
häufig über die Frage diskutiert, wie wir den Anteil
weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der
deutschen Wirtschaft steigern können. Wir sind uns ei-
nig: Dieser Anteil ist noch viel zu gering und passt nicht
zum Ausbildungsstand der Frauen, da der Anteil der
Hochschulabsolventinnen über dem Anteil männlicher
Akademiker liegt. Wir brauchen mehr Frauen in Füh-
rungspositionen, und zwar nicht nur in Vorständen und
Aufsichtsräten, sondern überall dort, wo Entscheidungen
gefällt werden.

Allerdings halten wir Liberale – da sage ich Ihnen
nichts Neues – eine Zwangsquote für den denkbar
schlechtesten Weg. Der Staat hat sich aus unternehmeri-
schen Entscheidungen herauszuhalten. Wie wir gerade
am Beispiel der EU-Kommission erleben durften, stehen
wir damit keineswegs alleine da. Ich bin nicht über-
rascht, dass Frau Reding am Dienstagabend mit ihrer
EU-Quoten-Forderung für Aufsichtsräte gescheitert ist.
Es ist bezeichnend, dass es ausgerechnet drei Kommis-
sarinnen waren, die das Projekt Zwangsquote verhindert
haben.

Aus der Kommission ist zu hören, dass der Begriff
„Quote“ im neuen Vorschlag von Frau Reding gar nicht
mehr auftauchen darf. Das finde ich sehr interessant. Es
geht laut einem FAZ-Bericht eher darum, Unternehmen
zu bewegen, den geringen Frauenanteil in Führungsposi-
tionen auszubauen, und zwar durch ein – ich zitiere –
„faires, transparentes Verfahren“. Das entspricht genau
dem, was wir als FDP-Fraktion seit langem fordern.


(Beifall bei der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen, aus diesem Grund wird die FDP-
Fraktion Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass ich
Ihrem Gesetzentwurf, was die relativ langen Übergangs-
fristen betrifft, durchaus etwas Positives abgewinnen
kann. Dazu, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf auf mehr
als einer Seite das Grundgesetz auslegen, muss ich Ihnen
allerdings sagen: Hier habe ich eine ganz andere Auffas-
sung. Da können Sie, Frau Künast – sie hört leider nicht
zu –, wie beim letzten Mal auch heute gerne wieder mit
dem Grundgesetz wedeln und Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz
vortragen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem GG wedelt man nicht!)


Für mich zählt die unmissverständliche Aussage in
Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz, in dem es heißt:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Sie können es sich aussuchen! Da steht ja sozusagen jeder drin!)


seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, sei-
ner religiösen oder politischen Anschauungen be-
nachteiligt oder bevorzugt werden.





Nicole Bracht-Bendt


(A) (C)



(D)(B)


Wenn das Thema Quote für Aufsichtsräte wieder ein-
mal auf der Tagesordnung steht, wird automatisch das
Beispiel Norwegen als vorbildlich herausgestellt. Das
war auch heute schon der Fall. Aber auch in Norwegen
hat die Quote nicht das bewirkt, was sie sollte, nämlich
dass die Zahl der Frauen in Aufsichtsräten insgesamt
steigt.


(Zuruf von der SPD: Doch!)


In Wirklichkeit ist es doch so, dass eine Elite von rund
70 Topmanagerinnen 300 Aufsichtsratsmandate auf sich
vereint.

Warum Sie im Bundestag nicht schon zu rot-grünen
Zeiten eine Quote gefordert haben, sondern ausgerech-
net zu einem Zeitpunkt, an dem sich etwas bewegt, einen
Gesetzentwurf dazu vorlegen, erschließt sich mir nicht.
Laut einer neuen Untersuchung wurden rund 40 Prozent
aller neu zu besetzenden Führungspositionen im vergan-
genen Jahr an Frauen vergeben. Das ist immer noch
nicht der große Wurf – das gestehe ich ein –, aber es ist
ein klarer Trend. Wir brauchen keine gesetzlichen Quo-
tenregelungen. Das sage nicht nur ich, sondern das ist
die Meinung der meisten Menschen, auch der überwie-
genden Zahl der Frauen.

Wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz. Diese lässt
sich nicht per Gesetz verordnen. Ich bin sicher, dass wir
hier auf einem guten Weg sind.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP-Fraktion hat im vergangenen Jahr ein Posi-
tionspapier für mehr Frauen in Führungspositionen
vorgelegt, und zwar unter dem Motto „Rahmenbedin-
gungen für mehr Teilhabe verbessern“. Einige Stich-
worte hieraus sind:

Erstens. Grundlagen für mehr Frauen in Führungs-
positionen schaffen. Dazu gehört der Führungskräf-
tenachwuchs. Hier müssen unbedingt die Bedingungen
verbessert werden. Nicht die oberste Hürde ist die
schwerste, sondern die darunter: Auf der zweiten Ebene
müssen mehr Frauen im operativen Geschäft gefördert
werden.


(Christel Humme [SPD]: Da könnte man auch eine Quote einführen!)


Zweitens. Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Das ist
erklärtermaßen ein häufig genannter Wunsch von Müt-
tern und Vätern, auch von solchen in Führungspositio-
nen.

Drittens. Verbindliche Berichtspflichten und transpa-
rente Selbstverpflichtungen. Das sind sozusagen Quoten,
die sich die Unternehmen selbst geben. Wenn das auf
freiwilliger Basis geschieht, sind auch wir Liberalen für
eine Quote.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Weil sie nichts ändert!)


Meine Damen und Herren, beim Thema gleichberech-
tigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgre-
mien konzentrieren wir uns meiner Meinung nach viel
zu sehr auf die börsennotierten DAX-Unternehmen. In

den mittelständischen Unternehmen sind Frauen sowohl
als Unternehmerinnen als auch in leitender Position
längst keine Exoten mehr. Weit über 20 Prozent beträgt
der Anteil von Chefinnen und leitenden Mitarbeiterin-
nen.

Warum funktioniert das im Mittelstand viel besser?
Diese Frage sollten wir uns häufiger stellen.


(Zuruf von der FDP: Ja!)


Wenn es nach den Erfahrungen von Personalberatern
geht, stehen die Zeichen gut, dass auch große Unterneh-
men nachziehen. Bei allen Führungspositionen, für die
Bewerber gesucht werden, heißt es: Es sind explizit
Kandidatinnen erwünscht.

Ich gebe zu: Dieser Wandel ist zum Teil vermutlich
auf die öffentliche Debatte über eine staatliche Frauen-
quote zurückzuführen. Das ist auch gut so. Dann hätte
dieser unerträgliche Streit aus meiner Sicht wenigstens
etwas Gutes bewirkt.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie können froh sein, dass Sie uns haben!)


Ich möchte zum Schluss noch auf eines hinweisen,
das mir in jeder Quotendiskussion extrem missfällt. Ge-
setzlich verordnete Quoten sind auf Ergebnisgleichheit
ausgerichtete Vorgaben, also nichts anderes als Planwirt-
schaft.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Dieser unsägliche Kollektivismus steht in krassem Wi-
derspruch zu unserer freiheitlichen Gesellschaftsord-
nung.


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die FDP-Fraktion bleibt dabei: Wir wollen keine
Quote für die Aufsichtsräte.


(Beifall bei der FDP)


Wir sind sicher, dass wir es auch ohne eine Quote hinbe-
kommen und dass die Zeiten, in denen dezentes Grau
das Bild der Aufsichtsräte und Vorstände prägt, auch
ohne eine Zwangsquote ein Ende haben.


(Ingo Egloff [SPD]: Das zeigt einmal mehr, dass Sie gesellschaftspolitisch überflüssig sind!)


Danke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720204400

Das Wort hat nun Yvonne Ploetz für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720204500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

denke, in der Debatte wurde eines klar: Wir sind uns alle





Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)


einig, dass Frauen ein strukturelles Karriere-Handicap
haben und dass wir dringend etwas dagegen tun müssen.

Umso unerträglicher ist es für mich, dass es bei die-
sem Gezerre um die Frauenquote immer noch kein Ende
gibt. Umso unerträglicher ist für mich auch, dass die
Quote auf EU-Ebene diese Woche wieder ausgebremst
wurde.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland hat sich nur zu einer sehr mutigen Enthal-
tung durchgerungen, und das, obwohl wir gerade jetzt
ein sehr couragiertes Signal in Richtung Quote dringend
gebraucht hätten.

2013 ist das Superwahljahr der Aufsichtsräte. Viele
Posten werden neu besetzt. Ich frage mich ernsthaft:
Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen,
männliche Machtzirkel zu knacken?


(Beifall bei der LINKEN)


Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen, die
Türen für Frauen in Spitzenjobs zu öffnen? Wann, wenn
nicht jetzt, wollen Sie mit sozialer Gerechtigkeit und
Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt beginnen?


(Beifall bei der LINKEN)


Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie Frauen die Möglich-
keit eröffnen, andere Frauen nachzuziehen und zu för-
dern? Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit begin-
nen, in den Unternehmen die Weichen in Richtung
Gleichberechtigung zu stellen?

Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dazu. Um all
das geht es, wenn wir über die Quote reden. Es geht aber
nicht etwa darum, dass das eventuell der Wirtschaft
dient.

Dennoch möchte ich heute einen Satz dazu verlieren.
Seit der letzten Woche wissen wir, dass die Quote unter
anderem auch volkswirtschaftliche Vorteile mit sich
bringt. 100 Milliarden Euro mehr in der Staatskasse ist
schon etwas, über das man reden sollte. Ich finde, dass
man auch darüber nachdenken sollte, die Krise als frau-
enpolitische Chance zu nutzen.

Das ist dank der schwarz-gelben Blockade reine Zu-
kunftsmusik. Ich beschäftige mich gerade mit etwas
ganz anderem, nämlich mit den vorläufigen Ergebnissen
des 4. Armuts- und Reichtumsberichts. Diese belegen
nämlich, dass die ungleichen Chancen von Frauen und
Männern auf dem Arbeitsmarkt mit dafür verantwortlich
sind, dass auf der einen Seite privater Reichtum rasant
zunimmt und auf der anderen Seite das öffentliche Ver-
mögen rasant abnimmt.

Ein Forschungsprojekt der Internationalen Arbeits-
organisation, ILO, bestätigte, dass die Entgeltungleich-
heit und der hohe Anteil von Frauen in Minijobs mit ver-
antwortlich dafür sind, dass die Schere zwischen Arm
und Reich in Deutschland immer weiter auseinander-
geht. Sie befeuern das aktuell auch noch, indem Sie die
Minijobs ausweiten, und zwar ohne Rücksicht auf Ver-
luste aufseiten der Frauen, die bewiesenermaßen heute

Armutslöhne und morgen Armutsrenten beziehen. Ich
denke, beides ist völlig unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich muss Ihnen von der Union recht geben, wenn Sie
sagen, dass die Forderung nach mehr Frauen in Auf-
sichtsräten nicht weit genug geht. Das sehe ich genauso.
Darüber sollten Sie aber auch einmal mit Ihrer Frauen-
ministerin reden, die seit Beginn ihrer Amtszeit als frau-
enpolitische Mottenkugel unterwegs ist und alles zur
Seite schiebt, was mit Frauenpolitik zu tun hat.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämt!)


Unterm Strich bleibt stehen: Die Armutsfalle Mini-
jobs, Niedriglöhne und Lohnunterschiede zwischen
Mann und Frau müssen zurückgedrängt werden. Altba-
ckene Unternehmenskulturen müssen verändert werden.
Wir brauchen ein Entgeltgleichheits- und ein Wahlar-
beitszeitengesetz. Wir brauchen eine Mindestquotierung
von 50 Prozent für Aufsichtsrats- und auch für Vor-
standsposten; das sehe ich als vordringlich an. Wir brau-
chen aber auch eine Individualbesteuerung anstatt eines
Ehegattensplittings. Wir brauchen Kitaplätze statt Be-
treuungsgeld.

Außerdem brauchen wir endlich eine Aufwertung der
sogenannten Care-Tätigkeiten, also der Sorgearbeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Pflege und Erziehung bleiben seit jeher sehr versteckt in
familiären Kreisen und werden von Frauen – meistens
unentgeltlich – erledigt. Wenn diese Tätigkeit dann doch
beruflich ausgeübt wird, zum Beispiel als Kranken-
schwester, als Hebamme, als Sozialarbeiterin oder als
Altenpflegerin, dann leben diese Frauen oftmals existen-
ziell am Rande der Gesellschaft.

Ich verlange heute nicht mehr und nicht weniger, als
dass wir gemeinsam eine Care-Revolution vorantreiben.
Die Arbeit am Menschen darf niemals weniger wert sein
als die Arbeit beispielsweise mit Geld.

Anstatt sich den zahlreichen Aufgaben zu stellen, fuhr
Frau Schröder zum Beispiel in der letzten Woche zur
Konferenz „Männerpolitik“.


(Zuruf von der FDP: Ja, und?)


Ich finde, es war sehr peinlich, dass ihr dort vom öster-
reichischen Arbeitsminister Hundstorfer gesagt wurde,
dass er sehr wohl eine feste Quote bevorzuge. Ich zitiere
ihn: Dies sei ein Anstoß zur Veränderung. Damit erntete
er begeisterten Applaus. Das ist ein wichtiges Signal, das
wir brauchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die selbstverpflichtende Flexiquote hat bis heute kei-
nen Beifall bekommen. Ich glaube, das ist ein ebenso
wichtiges Signal.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720204600

Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720204700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer! Nur um das klarzustellen: Wir debattie-
ren heute den Gesetzentwurf des Bundesrates, der am
21. September mit den Stimmen der Grünen, der SPD,
der Linken und der CDU angenommen wurde und somit
die Mehrheit im Bundesrat gefunden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Länder stimmen da ab! Das hat nichts mit den Parteien zu tun!)


Liebe Kollegin Möhring, natürlich geht uns das nicht
weit genug. In unserem Gesetzentwurf fordern wir eine
Quote von 40 Prozent. Wir werden auch sehr wohlwol-
lend Ihre Änderungsvorschläge unterstützen. Wir wer-
den auch den Gesetzentwurf der SPD unterstützen. Wir
wollen viel mehr.

Aber wir dürfen in diesem Haus doch nicht zulassen,
dass das Signal, das uns der Bundesrat hierher entsandt
hat, sang- und klanglos untergeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn wir uns auf diese Regierung verlassen hätten, dann
wären wir doch in dieser Frage verlassen. Das zeigen
uns die Reden, die hier gehalten werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weil wir uns auf diese Spielchen nicht einlassen wollen,
bringen wir jetzt den heute vorliegenden Gesetzentwurf
ein.

Im Bundesrat haben mutige CDU-Ministerpräsiden-
ten – Frau Kramp-Karrenbauer und Herr Haseloff – ge-
sagt: Unsere Überzeugung, unser politisches Mandat ist
uns wichtiger als jede Parteiräson. Das müssen wir aner-
kennen; denn hier geht es um die Sache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich weiß sehr genau, dass wir in den Reihen des Bun-
destages eine politische Mehrheit hätten. Mindestens
40 Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktio-
nen würden hier sofort mit Ja stimmen, wenn sie es denn
dürften. Geben Sie endlich an dieser Stelle den Zwang
auf! Geben Sie die Abstimmung zu diesem Punkt frei!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich sage meinen Kolleginnen auch: Ja, ich höre zwar
Ihre Reden, ich höre Ihren Ruf. Aber es liegt auch in der
Verantwortung jedes Mandatsträgers, frei nach seinem
Gewissen zu entscheiden. Dazu sind wir gezwungen.
Wenn Sie von unserem Vorhaben überzeugt sind, dann

stimmen Sie einfach mit Ja. Das ist relativ einfach. Ich
kann es Ihnen gerne vormachen.

Liebe Kolleginnen von der Koalition, Sie haben in
dieser Woche eine Anhörung gehabt. Sie haben vier
Leute eingeladen. Drei haben Ihnen eindrücklich ge-
zeigt, Sie müssen an dieser Stelle für eine feste Quote
stimmen. Wir haben Expertisen ohne Ende. Wir haben
Zahlen, wir haben Argumente. Selbst das Auswärtige
Amt gibt inzwischen interne Papiere heraus und sagt:
Wenn wir nicht mehr Frauen in die Führungsetagen be-
kommen, wird dies in Deutschland zu einem Wettbe-
werbsnachteil führen. Wir werden die Aufträge verlie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch zu-
mindest Ihrem eigenen Haus. Die sagen es doch.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die FDP gewandt: Das ist doch Ihr Minister!)


Schon im Jahre 2001 haben wir über eine Selbstver-
pflichtung gesprochen. Es waren meine Fraktion und die
Fraktion der SPD, die damals die Selbstverpflichtung in
diesem Land durchgesetzt haben. Es hat uns nichts ge-
bracht. Wir haben dazugelernt. Warum sind nicht auch
Sie in der Lage, dazuzulernen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es geht nicht um einen Selbstzweck. Es geht darum,
dass wir die bestqualifizierte Frauengeneration aller Zei-
ten haben, dass Frauen nicht mehr stille Teilhaber in der
Gesellschaft sein wollen, wenn es um Verantwortung in
diesem Land geht.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Es geht darum, dass nur 16 Prozent – ich möchte diese
Zahl betonen – der Aufsichtsratsmandate nach Qualifi-
kation besetzt werden. Alle anderen werden nach Netz-
werken besetzt. In diesen Netzwerken heißt es für
Frauen: Ihr müsst von draußen zugucken. – Das lassen
wir uns nicht mehr gefallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Es geht auch darum, dieses Land moderner zu machen.

Die französischen Ministerinnen und Minister haben
einen Brief geschrieben. Sie haben gesagt: Wir brauchen
die Quote; denn wenn wir es bei der derzeitigen Ge-
schwindigkeit belassen, dann ist der Fortschritt langsa-
mer als eine Schnecke. Ich wünschte mir an dieser Stelle
in diesem Land etwas mehr französischen Mut – von
dieser Regierung, von diesem Parlament. Lassen Sie uns
mutig sein. Modernisierung lässt sich nicht aufhalten.
Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Fortschritt geht nur
mit Frauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720204800

Das Wort hat nun Carsten Linnemann für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1720204900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich gebe
zu: Ich rede zum ersten Mal in diesem Hause zu diesem
Thema. Es ist sehr viel Emotionalität und Schärfe im
Spiel. Das wundert mich, weil wir alle das gleiche Ziel
haben: Mehr Frauen in Führungspositionen.


(Ingo Egloff [SPD]: Wir bezweifeln, dass Sie das Ziel haben!)


Es gibt unterschiedliche Wege. Diese Debatte führen
wir auch in unserer Fraktion. Ich persönlich bin gegen
eine starre Quote. Es gibt Kollegen, die dafür sind. Es
gibt diese Debatte.


(Thomas Oppermann [SPD]: Es gibt kurze und lange Wege!)


– Herr Oppermann, der Unterschied zwischen Ihnen und
uns ist, dass Sie diesen Gesetzentwurf einbringen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das stimmt!)


Sie halten Vorträge, sind im Lande unterwegs und reden
über die Frauenquote. Ihre Fraktion hat zwar den Ge-
setzentwurf eingebracht. Ihr Fraktionsvorsitzender aber
ist noch nicht einmal hier im Parlament, wenn darüber
entschieden wird. Unser Fraktionsvorsitzender, Volker
Kauder, sitzt hier. Sie sehen, wie ernst wir dieses Thema
nehmen und wie ernst Sie es nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: Das ist ja so billig wie irgendetwas! – Weitere Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Herr Oppermann, wir verstehen uns doch beim Fußball
gut, dann verstehen wir uns auch hier.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Steinmeier sucht nach einer Kanzlerkandidatin!)


Zunächst einmal zu den Argumenten. Wir müssen
über die Ursachen sprechen, übrigens auch über die
Wirklichkeit. Wenn man sich das hier anhört, muss man
den Eindruck gewinnen, dass wir in Deutschland flä-
chendeckend ein Problem haben. Diesen Eindruck muss
man gewinnen, wenn man Sie hört.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist ja auch wahr!)


– Nein. – Sie erwecken den Eindruck, dass das, was in
Dax-Unternehmen abgeht, die Lebenswirklichkeit in
diesem Land ist, und das ist falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingo Egloff [SPD]: In welchem Unternehmen haben Sie denn schon mal gearbeitet?)


Sie reden – das muss man sich einmal vorstellen –
über 1 800 Unternehmen. Wir haben in Deutschland
3,6 Millionen Unternehmen. Das heißt, Sie reden über
0,05 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Aber Sie
reden überhaupt nicht über die 99 Prozent Mittelstand in
Deutschland.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Oberlehrer!)


Kümmern Sie sich doch auch einmal um den Mittel-
stand, nicht nur um die großen Unternehmen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, bloß nicht! Das wäre ja furchtbar!)


Im Mittelstand ist nämlich die Zahl der Frauen in Füh-
rungspositionen signifikant höher als in den Großunter-
nehmen. Im Durchschnitt liegt die Quote bei 30, teil-
weise sogar 35 Prozent.

Die zweite Wirklichkeit: Ich höre von Ihnen nichts
zur Demografie, die erst jetzt voll durchschlägt. Die
Menschen der Babyboomergeneration – das sind die
Leute, die zwischen 1950 und 1965 geboren wurden; das
waren 1,3 Millionen in der Spitze; heute ist es nur noch
die Hälfte – gehen ab 2015 in Rente. Das heißt, der Ef-
fekt kommt ab 2015 bis 2030 mit voller Wucht.


(Christel Humme [SPD]: Das wächst sich aus, oder wie? Das glaube ich allerdings nicht!)


Die BA hat ausgerechnet, dass das Erwerbspersonen-
potenzial bis zum Jahr 2025 um 6,5 Millionen sinken
wird. Das heißt, wir brauchen die Frauen; das ist Reali-
tät.


(Lachen bei der SPD und der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Na dann mal los! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben gar nichts verstanden! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Das ist keine Prognose, das ist Demografie. Sie können
nichts daran ändern.

Ich möchte Sie gerne einmal in fünf oder zehn Jahren
hier erleben, wenn Sie über die Frauenquote reden. Er-
innern Sie sich noch? Sie haben im Jahr 2004 hier geses-
sen und wollten auch eine Quote einführen – Sie haben
dies sogar beschlossen –, nämlich eine Ausbildungs-
quote. Das hieß damals Ausbildungsplatzabgabe. Dem-
nach müssten die Unternehmen im Rahmen einer Quote
beachten, wie viele Auszubildende sie einstellen. Wenn
sie diese nicht beachten, gibt es eine Sanktion. Davon
sprechen Sie heute nicht mehr, weil heute das Gegenteil
richtig ist. Heute werden nämlich händeringend Leute
gesucht.


(Ingo Egloff [SPD]: Was hat das hier mit der Quote zu tun?)


Herr Oppermann, Sie haben das damals verabschie-
det. Herr Clement ist seinerzeit hinausgerannt und hat es
nicht mit verabschiedet. Gott sei Dank hat es dann der
Bundesrat kassiert. Das ist die Lebenswirklichkeit in
Deutschland.





Dr. Carsten Linnemann


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Sagen Sie noch etwas zur Quote?)


– Nein.


(Lachen bei der SPD und der LINKEN)


Sie selbst haben doch damals den Ausbildungspakt
auf den Weg gebracht, den wir konstruktiv begleitet ha-
ben. Das war ein freiwilliger und erfolgreicher Ansatz.
Deswegen ist der Weg, den Frau Schröder geht, richtig.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist der Weg denn?)


Sie wollen – das müssen Sie sich einmal vorstellen –
eine Behörde mit 20 Planstellen besetzen. Sie wollen
Bürokatie, Sie wollen Sanktionen usw. Aber damit kom-
men Sie nicht weiter. Mit staatlichem Dirigismus hat in
diesem Land noch nie etwas funktioniert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Selbst bei der EU-Kommission ist das angekommen.
Sie hat sich die Argumente angehört. Die Quote wurde
abgelehnt – meinetwegen: verschoben –, weil die Reali-
tät auch bei der Kommission angekommen ist.

Ich nenne Ihnen nur einmal zwei, drei Zahlen, was
sich in Deutschland bereits geändert hat: Im vergange-
nen Jahr sind in Deutschland 40 Prozent der neu zu be-
setzenden Aufsichtsratsposten in Dax-Unternehmen an
Frauen gegangen. Da gibt es einen Geisteswandel. 2011
haben fast alle 30 Dax-Unternehmen freiwillige Zielquo-
ten vereinbart, einige sogar höher als die von Ihnen anvi-
sierte Quote: Telekom 30 Prozent, Allianz 30 Prozent,
Adidas 35 Prozent, Commerzbank 30 Prozent, schon ab
2015.


(Christel Humme [SPD]: Wir haben das Ziel 40! Das ist bei Ihnen nur noch nicht angekommen! – Mechthild Rawert [SPD]: Wie viele von der Anteilseignerseite?)


Natürlich gibt es auch Unternehmen, die gar keine
Frauen in Führungspositionen haben; das gebe ich zu. Es
gibt die einen, die sagen, das liege daran, dass es ver-
krustete männliche Strukturen gibt. Ja, die muss man
aufbrechen. Es gibt die anderen, die sagen: Die Frauen
sind die Menschen, die die Kinder bekommen. Auch das
ist richtig. Daran will ich nichts ändern; das ist Biologie.
Insofern müssen wir etwas an den Rahmenbedingungen
ändern; da sind wir doch einer Meinung.

Flexibilität ist richtig. Warum brauchen wir beispiels-
weise in Großunternehmen oder sonst wo nach 17 Uhr
noch Besprechungen? Warum kann man das nicht eher
machen?


(Burkhard Lischka [SPD]: Da haben wir ja den Frauenversteher heute hier!)


– Den Frauenversteher bekommen Sie jetzt zum Schluss.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


– Ich meine das ernst, das ist mir in der Sache wichtig.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin der festen Überzeugung, dass Frauen – übri-
gens nicht nur demografisch betrachtet – Eigenschaften
besitzen, die wir Männer gar nicht haben.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gehen Sie einmal in eine Sitzung, in der nur Männer
sind. Das ist eine Katastrophe, weil jeder nur auf sich fi-
xiert ist. Die Frau hat eher den Teamgedanken. Das gilt
auch beim Kundenkontakt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch! Stimmen Sie doch dem Antrag zu, damit endlich mehr Frauen drin sind!)


– Frau Künast, mit einer starren Quote schaffen Sie das
nicht; da bin ich mir sicher. Ich möchte gerne sehen, wie
Sie in fünf oder zehn Jahren über starre Quoten spre-
chen.

In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720205000

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1720205100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Carsten Linnemann – –


(Zurufe von der CDU/CSU: Der sitzt hier!)


– Ja, ich habe ihn schon gesehen. Wir spielen ja auch zu-
sammen Fußball.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Oh, Männerdomäne!)


Lieber Carsten Linnemann, das war jetzt wirklich
eine tolle kabarettistische Leistung, die wir sicherlich
heute Abend in der heute-show sehen können.

Zur Frage, wo unser Fraktionsvorsitzender sei: Da-
rüber können wir hier natürlich ausführlich diskutieren.
Wir können hier aber auch darüber diskutieren, wie oft
denn Ihre Ministerinnen bei ganz wichtigen Themen ge-
fehlt haben, unter anderem bei einer Diskussion zum ge-
setzlichen Mindestlohn. Wir haben mehrfach versucht,
die Ministerin herbeizuzitieren. Sie war jedoch nicht da.
Insofern können wir diese Diskussion gerne miteinander
führen.


(Beifall bei der SPD)


Wir führen heute sowieso eine recht seltsame Diskus-
sion.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720205200

Herr Kollege Rebmann, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Hinsken? – Ja oder Nein?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch ein Beitrag für die heute-show! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1720205300

Ja, mache ich.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1720205400

Verehrter Herr Kollege Rebmann, können Sie mir er-

klären, warum bei dieser wichtigen frauenpolitischen
Debatte – es geht immerhin um Frauen in Führungsgre-
mien – nur sechs Kolleginnen der SPD anwesend sind –
das sind etwa 12 Prozent aller Frauen in der SPD-Frak-
tion –, während weit über 25 Prozent der Frauen der
CDU/CSU-Fraktion anwesend sind?


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hebt sich insofern positiv ab, als es zeigt, dass man
daran interessiert ist, einen Dialog zu führen, und dass
man um ein vernünftiges Ergebnis besorgt ist.


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1720205500

Lieber Herr Kollege, gehen Sie einmal davon aus,

dass unsere Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Frak-
tion ihre Arbeit in diesem Deutschen Bundestag so ver-
richten, wie es sich gehört, und dass sie derzeit ihrer Tä-
tigkeit nachgehen. Sie allerdings haben dafür Sorge zu
tragen, dass genügend Mitglieder Ihrer Fraktion anwe-
send sind, um den Gesetzentwurf, über den wir gleich
abstimmen werden, ablehnen zu können. In Ihren eige-
nen Reihen sind nämlich genügend Fürsprecherinnen
und Fürsprecher für unseren Gesetzentwurf.


(Beifall bei der SPD)


Um eine Abstimmungsniederlage zu verhindern, ist Ihre
Fraktion hier so zahlreich vertreten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen mehr Qualität!)


– Ach, Herr Kauder, jetzt lassen Sie es doch gut sein.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Qualität!)


– Genau. Dann dreht es sich noch um Qualität.

Noch einmal: Wir führen heute doch wirklich eine
seltsame Debatte. Praktisch jeder hier in diesem Haus
hat erklärt: Wir brauchen mehr Frauen in Führungsgre-
mien, wir müssen etwas tun. – Das war auch in den letz-
ten Debatten immer so. Wenn wir uns die Debatten der
letzten Jahre noch einmal vor Augen führen, dann stellen
wir fest: Immer wieder bestand quer durch dieses Haus
Übereinstimmung darüber, dass man etwas tun müsse.

Ich frage mich dann schon allen Ernstes: Wenn in die-
sem Hause ein derart breiter Konsens besteht, warum ist
dann noch nichts geschehen? Sind das alles nur Lippen-

bekenntnisse? Warum sind wir noch nicht vom Reden
zum Handeln gekommen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir hätten diese Debatte schon längst abschließen und
ein entsprechendes Gesetz vorlegen können.

Ich weiß, jetzt kommen – das haben wir schon ge-
hört – die üblichen Einwände aus den Reihen der Koali-
tion. Es heißt, dieser Antrag, der auf die Initiative Ham-
burgs zurückgeht und – auch das ist schon gesagt
worden – von der CDU im Saarland, in Berlin, in Sach-
sen-Anhalt und, wie wir gerade eben erfahren haben, of-
fensichtlich auch von der CDU-Landtagsfraktion in Ba-
den-Württemberg mitgetragen wird


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


– das ist aber gesagt worden – und der offensichtlich
auch in Ihren Reihen eine ganze Reihe von Fürspreche-
rinnen und Fürsprechern findet, sei nicht umsetzbar, er
sei ein bürokratisches Monster und überdies nicht ziel-
führend. Außerdem sei das alles im Grunde eine Gänge-
lung der Wirtschaft, es sei staatliche Bevormundung,
und überhaupt sei eine freiwillige Lösung die bessere
Alternative. Idealerweise wird diese freiwillige Lösung
mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Wirtschaft
und einer unverbindlichen Sanktionierung kombiniert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die Wahrheit ist doch: Mit solchen
Ideen täuscht man Aktivitäten vor, ohne wirklich etwas
tun zu müssen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese Regierung rührt keinen Finger, wenn es um
Gleichstellungsthemen geht.

Sie wissen ganz genau, dass 70 Prozent der Menschen
im Niedriglohnsektor in Deutschland Frauen sind, und
dennoch bleibt diese Regierung bei ihrem Nein zum flä-
chendeckenden Mindestlohn. Sie wissen ganz genau,
dass Frauen bei gleicher Arbeit 23 Prozent weniger be-
kommen als Männer, in Führungspositionen sogar
30 Prozent weniger als Männer; aber auch da kommt
nichts aus Ihren Reihen. Nein, Sie setzen mit Ihrem Be-
treuungsgeld sogar noch einen drauf. Sie ignorieren da-
bei alle, die Ihnen sagen: Das Betreuungsgeld ist gegen
Frauen gerichtet, beschäftigungsfeindlich, falsch und für
die deutsche Wirtschaft alles andere als sinnvoll.

Meine Damen und Herren, in Vorstandsetagen haben
wir ein Verhältnis von 3 Frauen zu 97 Männern. Unter
10 Aufsichtsräten befindet sich nur eine einzige Frau.


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Skandal!)


Ein Drittel der 160 DAX-Unternehmen hat keine Frau
im Führungsgremium. Wenn es stimmt, dass Frauen
– bedauerlicherweise im Gegensatz zu uns Männern –
mit beiden Hirnhälften denken können und damit die Fä-
higkeit besitzen, Wissen und emotionale Intelligenz zu
kombinieren,





Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)



(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


dann bedeutet das: Ein Drittel der Dax-Unternehmen
verzichtet auf zusätzliche Fähigkeiten und zusätzliches
Wissen. Das bedeutet auch: In diesen Dax-Unternehmen
wird faktisch zu 100 Prozent mit nur einer Gehirnhälfte
Geschäftspolitik betrieben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und trotzdem kommt von der rechten Seite des Hauses
der Hinweis: Die Wirtschaft hat andere Probleme; das
regelt die Wirtschaft schon selbst; das machen die auf
freiwilliger Basis.

Unser Grundgesetz ist da schon wesentlich weiter. Es
wurde heute schon mehrfach auf Art. 3 GG hingewiesen.
Ich sage: Wir sind von seiner tatsächlichen Durchset-
zung, von der Beseitigung bestehender Nachteile weiter
entfernt, als wir denken und es uns lieb sein kann. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie schon nicht auf die
Opposition und auch nicht auf die Frauen in Ihren eige-
nen Reihen hören, dann nehmen Sie zumindest das
Grundgesetz zur Hand und schauen einmal hinein.

Die Begründung, Sie seien gegen staatliche Zwänge
und deshalb auch gegen eine Quotenregelung, nehme ich
Ihnen nicht ab. Ihnen liegen dieselben Daten und Fakten
vor wie auch uns.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Was hat das jetzt mit dem Grundgesetz zu tun?)


Wir haben doch die bestqualifizierten Frauen aller Zei-
ten. Sie wissen doch, dass Frauen im Durchschnitt die
besseren Abschlüsse machen. Frauen sind in vielen Be-
reichen meist besser qualifiziert als Männer. Frauen stel-
len mehr als die Hälfte der Bevölkerung, und trotzdem
sind sie in den Führungsetagen kaum aufzufinden. Das
kann nicht daran liegen, dass die Frauen nicht wollen;
vielmehr lasst ihr sie einfach nicht. Deshalb brauchen
wir jetzt endlich eine gesetzliche Lösung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer eine gesetzliche Lösung ablehnt, kann das nur aus
einem Grund tun: Er hat gar kein Interesse daran, dieses
Problem tatsächlich anzugehen. Sie verteilen Beruhi-
gungspillen und wollen keine wirkliche Verbesserung für
Frauen. Allen Kollegen hier im Haus, die wirklich für
Verbesserungen stehen, sage ich: Gleichstellungspolitik
ist nicht nur Sache der Frauen. Das geht uns Männer ge-
nauso an. Deshalb gilt es, heute hier in diesem Hause
Farbe zu bekennen.

Ich hätte gerne gesehen, dass sich mehr Männer aus
den Reihen der Koalition wie Herr Klimke für eine ge-
setzliche Quote ausgesprochen hätten und sich mehr
Frauen so mutig zu Wort gemeldet hätten wie Frau
Pawelski oder wie Frau Winkelmeier-Becker eben ge-
rade; sie hat es schon im Dezember und im März bei der
Debatte hier in diesem Haus getan. Meinen hohen Res-

pekt, Frau Winkelmeier-Becker, vor Ihrer Position und
vor Ihrem Mut, sich hierhinzustellen und gegen Ihre ei-
gene Fraktion zu reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht haben die Männer in der Koalition aber auch
nur Angst davor, dass Frauen wie Sie den Männern ir-
gendwelche Posten streitig machen oder etwas wegneh-
men.


(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Wir haben eine Kanzlerin, Sie nicht!)


So oder so: Blockieren und Ausweichen als Aktivitäten
zu verstehen, ändert nichts an – –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind auf dem Niveau eines geistigen Tieffliegers! Mannomann!)


– Wie bitte? Sie reden hier von „geistiger Tiefflieger“?
Oder habe ich das jetzt gerade falsch verstanden, Herr
Kauder?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wissen Sie, wenn Sie so argumentieren, dann diskreditieren Sie sich selber! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Ich diskreditiere mich selber? Ich diskreditiere mich
nicht selber, Herr Kauder. Ich sage Ihnen: Sie diskredi-
tieren sich selber mit Ihren Äußerungen, mit Ihrer Ver-
weigerungshaltung. Ich rate Ihnen: Stimmen Sie unse-
rem Gesetzentwurf zu.

Natürlich müssen wir noch vieles machen; wir haben
auch noch eine andere Vorlage. Ich sage Ihnen: Wenn
Sie nicht zustimmen, wenn Sie den Frauen weiterhin die
kalte Schulter zeigen, dann gehören Sie abgewählt.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)


Die nächsten Wahlen stehen vor der Tür.

Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Buschmann [FDP]: Das macht er nur im Wahlkampf!)


Noch einen Satz. Herr Kauder – –


(Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] meldet sich zu einer Kurzintervention – Marco Buschmann [FDP]: Herr Kauder, keine Kurzintervention! Verlängern Sie nicht seine Redezeit!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720205600

Sie müssen Schluss machen, Herr Kollege.


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1720205700

Gut.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720205800

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-

lege Kauder.


(Zurufe von der SPD: Oh!)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1720205900

Ich wollte nur darauf hinweisen: Wenn man hier mit

einem solchen Anspruch antritt, wie Sie ihn gerade for-
muliert haben, dann muss man sich auch an der Realität
messen lassen, die Grüne und SPD in Baden-Württem-
berg geschaffen haben.


(Zuruf von der FDP: Genau so ist das!)


Dort sind gerade einmal 4 von 27 neu geschaffenen B-3-
Stellen – nicht alte, sondern neu geschaffene – an Frauen
gegangen.


(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


27 neu geschaffene B-3-Stellen, 4 Frauen! Ich sage Ih-
nen: Nehmen Sie den Mund nicht so voll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720206000

Kollege Rebmann, wollen Sie darauf erwidern? –

Nein.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 17/11139 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die
Federführung beim Rechtsausschuss liegen soll. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 45 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Umsetzung eines Maß-
nahmenpakets zur Stabilisierung des Finanz-

(Drittes Finanzmarktstabilisierungsgesetz – 3. FMStG)

– Drucksache 17/11138 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Steffen Kampeter das Wort.

S
Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1720206100


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich denke noch ein bisschen darüber nach, wer von

den drei Troikanern bei der SPD für die Frauenförderung
zuständig war.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber das war Thema der letzten Debatte.

Wir beschäftigen uns mit dem Finanzmarktstabilisie-
rungsgesetz. Es gilt, ein auf den Finanzmärkten verloren
gegangenes wichtiges und knappes Gut zurückzugewin-
nen: das Gut Vertrauen. Gerade das Kreditwesen ist von
Vertrauensbeziehungen geprägt. Die Wortbedeutung
macht dies deutlich.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wie das Verhältnis zu den Frauen! Da geht es auch um Vertrauen!)


Ich will meine Rede dazu nutzen, um deutlich zu ma-
chen, dass die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, aber ins-
besondere auch der Finanzminister, Wolfgang Schäuble,
nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers
und den Festlegungen des Gipfels von Pittsburgh auf na-
tionaler und internationaler Ebene dafür gesorgt haben,
dass sich der Finanzkapitalismus immer stärker am Leit-
bild der sozialen Marktwirtschaft orientiert. Das halte ich
angesichts der Größe der Herausforderung für eine res-
pektable Bilanz.

Ich will auf einige Punkte hinweisen, die zur Einord-
nung des heute hier vorgelegten Gesetzentwurfes wich-
tig und notwendig sind. Es ist uns gelungen, mehr Ver-
antwortung im Finanzwesen zu mobilisieren, indem wir
Schritt für Schritt dort, wo es geboten ist, mehr haftendes
Eigenkapital vorgesehen haben. Schon Walter Eucken
hat festgestellt: Nur wer haftet, handelt verantwortlich.
In diesem Eucken’schen Sinne bauen wir das Finanzsys-
tem um.

Neben der abstrakten, auf Kapital basierenden Verant-
wortung wollen wir, dass denjenigen, die im Kreditwe-
sen tätig sind, eine stärkere persönliche Verantwortung
zukommt. Beispielsweise haben wir erstmals durchge-
setzt, dass in Europa Hedgefonds-Manager in den Markt
nicht einfach eintreten können, sondern dass sie dafür
eine Zulassung brauchen. Gegen den teilweise nachvoll-
ziehbaren Widerstand der deutschen Anlageberater
konnten wir in diesem Bereich unsere Forderung nach
höherer persönlicher Qualifikation durchsetzen.

Wir konzentrieren uns in unseren Aktivitäten nicht
nur auf die Anbieter von Finanzdienstleistungen; da-
rüber hinaus haben wir durch den verstärkten Schutz der
Menschen, die in Deutschland bei einer Bank Geld anle-
gen, erhebliche Verbesserungen erreicht.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass wir die Regulie-
rung des Handels mit Finanzmarktprodukten erheblich
verbessert, intensiviert und in wesentlichen Bereichen
auch verschärft haben. Den Handel mit bestimmten Pro-
dukten, deren Sinnhaftigkeit keiner mehr zu begründen
wusste, haben wir – wie die Leerverkäufe – einge-
schränkt und letztendlich verboten.

Wir haben in diesen Tagen eine Initiative gestartet,
um den sogenannten Hochfrequenzhandel stärker zu re-
gulieren. Der graue Kapitalmarkt ist ebenfalls Gegen-





Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter


(A) (C)



(D)(B)


stand unserer Regulierungsbemühungen. Wir wollen
weg vom regellosen Kapitalismus, und wir wollen für
die Finanzindustrie die Prinzipien der sozialen Markt-
wirtschaft durchsetzen. Das ist das Anliegen der christ-
lich-liberalen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dazu gehört im Übrigen auch eine verbesserte Aufsicht.
National bekommt sie mehr Kompetenzen. International
ist sie stärker als zuvor verzahnt.

Aber all diese Aktivitäten können Unfälle nicht ver-
hindern, wie auch gute Brandschutzvorschriften einen
Brand nicht immer verhindern werden. Wir brauchen da-
her auch so etwas wie Feuerwehrmaßnahmen. Zwei da-
von haben wir im nationalen Regelungsrahmen veran-
kert: zum einen das sogenannte Restrukturierungsrecht
und zum anderen den Soffin, eine abgestufte, maßge-
schneiderte Möglichkeit der Reaktion auf die Unbill von
Banken- und Finanzmarktkrisen. Der Entwurf des Drit-
ten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, den wir heute
beraten, zielt auf eine Verlängerung dieser Maßnahmen
ab.

Auch wenn all die Schritte, die ich beschrieben habe,
richtig und zielführend waren, glaube ich, dass wir auf
die Finanzmarktfeuerwehr, den Soffin, noch nicht ver-
zichten können. Diese Feuerwehr muss so lange in Be-
trieb bleiben, bis wir auch diese Dinge in Europa – wahr-
scheinlich mit Beginn des Jahres 2015 – gemeinsam
angehen werden. Insofern lautet unser Vorschlag, die
Dauer der Möglichkeit, beim Soffin Mittel zu beantra-
gen, bis zum Ende des Jahres 2014 zu verlängern, um
auch vor dem Hintergrund der europäischen Einigungs-
bemühungen voranzuschreiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die stärkere Inan-
spruchnahme des Finanzmarktsektors. Unser Vorschlag
dazu lautet, dass wir die Finanzindustrie durch die Ver-
zahnung der beiden parallel laufenden Bereiche – Ban-
ken, Restrukturierung – stärker in die Pflicht nehmen.
Die Finanzindustrie stärker in die Pflicht zu nehmen,
heißt auf der anderen Seite, den Steuerzahler stärker zu
entlasten und das Risiko bei den Eigentümern dieser Un-
ternehmen und damit dort zu belassen, wo es eigentlich
hingehört. Denn der Eigentümer eines Finanzinstituts ist
der vorrangige Ansprechpartner, wenn sein Institut in
Schwierigkeiten ist und zusätzliches Kapital braucht. Ei-
gentümerverantwortung ist Trumpf. Auch das ist ein
Markenzeichen in diesem Bereich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Otto Fricke [FDP]: Das gilt auch für Sparkassen!)


In diesem Kontext ist auch unser dritter Vorschlag zu
sehen: ein klarer Vorrang des Restrukturierungsrechts.
Eine Bank, die kein Geschäftsmodell hat, soll durch eine
Maßnahme des Soffin nicht künstlich am Leben erhalten
werden; vielmehr soll es möglich sein, die Instrumente
des Restrukturierungsrechts, das ja europaweit vorbild-
lich ist und als Blaupause für weitere Bereiche in diesem
Kontext genommen wird, einzusetzen. Somit würde der
Vorrang der Restrukturierung im Grundsatz klargestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bestreben
der Bundesregierung war es, in diesem Verbund einen
neuen Bauplan für die Finanzindustrie im Hinblick auf
soziale Marktwirtschaft vorzulegen, aber gleichzeitig
nicht zu ignorieren, dass man trotz guter präventiver
Vorschriften auch eine Finanzmarktfeuerwehr braucht,
die dann, wenn ein Unfall passiert, eingreifen kann. Von
diesen beiden Momenten, soziale Marktwirtschaft und
Finanzmarktfeuerwehr, ist dieser Gesetzentwurf getra-
gen.

Die Bundesregierung bedankt sich bei den Koali-
tionsfraktionen, dass sie diese Initiative aufgegriffen ha-
ben. Wir glauben, dass Deutschland damit ein Stück weit
stabiler wird und dass die Menschen, die ihr Geld bei
Sparkassen, Volksbanken und anderen Finanzinstitutio-
nen anlegen, auch ein Stück mehr Vertrauen in dieses
Kreditwesen haben können. Das ist das Kernanliegen
des Gesetzentwurfs.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720206200

Das Wort hat nun Carsten Schneider für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1720206300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese dritte Fortschreibung des Finanzmarktstabilisie-
rungsgesetzes ist sicherlich nicht einzig und allein die
vertrauensbildende Maßnahme, auf die Kollege
Kampeter eben hingewiesen hat; denn zwingend not-
wendig wäre neben dieser Verlängerung – vor einem
Jahr waren Sie ja noch der Auffassung, Sie bräuchten
das nur noch für ein Jahr –, dass wir eine stärkere Regu-
lierung auf den Finanzmärkten dahin gehend zustande
bringen, dass große Banken den Staat künftig nicht mehr
erpressen können, indem sie gefährliche Geschäfte ma-
chen, ihre Gewinne privatisieren und im Verlustfall den
Steuerzahler haften lassen. Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Kampeter, darauf gibt dieser Gesetzent-
wurf aber keine Antwort. Ihre Maßnahmen zur Abwick-
lung von Banken sind eine Fortsetzung oder ein Aufgrei-
fen eines Gesetzentwurfs von Peer Steinbrück und
Brigitte Zypries, der Restrukturierungs- und Abwick-
lungsmöglichkeiten enthielt, die Sie nun in einen Ge-
setzentwurf gegossen haben. Das ist in Ordnung. Nicht
in Ordnung ist, dass dann, wenn eine Bank einmal abge-
wickelt werden sollte, was in einem Markt möglich sein
muss, dafür der Steuerzahler haftet, nicht aber der Ban-
kensektor selbst.


(Beifall des Abg. Bernd Scheelen [SPD])


An diesem Punkt bleiben Sie einfach deutlich zurück,
und dies auf zwei Ebenen: Die erste ist die europäische
Ebene, und die zweite ist die nationale Ebene. Zur natio-
nalen Ebene kann man ganz klar sagen: Ihnen ist es nicht
gelungen, den Bankensektor in Deutschland neu zu
strukturieren.


(Beifall bei der SPD)






Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)


Herr Kampeter, nehmen wir einmal als Beispiel die Lan-
desbanken. Sie selbst haben zu einem großen Gipfel ein-
geladen – ich glaube, das war im Jahre 2010 –, bei dem
es darum ging, wie denn der Landesbankensektor – der
grundsätzlich ein Problem ist – neu strukturiert werden
soll. Ergebnis: Fehlanzeige. Dies wird Ihnen auch von
der Europäischen Kommission bestätigt. Es ist in der Tat
richtig, dass es hier eine Lücke, gibt. Sie haben sich
nicht darum gekümmert.


(Otto Fricke [FDP]: Gerade bei den Landesbanken!)


Der zweite Fehler betrifft die ganz zentrale Frage, wer
hier eigentlich dafür zahlt. Sie korrigieren sich hier in
diesem Gesetzentwurf erstmals. Wenn eine Bank abge-
wickelt wird, soll die Verluste also der Bankenhaftungs-
fonds tragen. In diesen Fonds kommt pro Jahr aber nur
eine halbe Milliarde Euro hinein, weil Sie die Banken
schonen. Ich nehme die Deutsche Bank als Beispiel: Da-
für, dass sie so groß und systemrelevant ist, hat sie in der
Refinanzierung gegenüber Sparkassen und Kleinbanken
einen Zinsvorteil von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ich
finde, diese 2,5 Milliarden Euro müsste man abschöpfen.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Was?)


– Dies müssten Sie korrigieren, ja.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Soll die auch noch notleidend werden?)


– Lesen Sie die Studie des Internationalen Währungs-
fonds von Frau Weder di Mauro, einem ehemaligen Mit-
glied im Sachverständigenrat, in der sie ganz klar sagt:
Weil die Deutsche Bank so groß ist, dass sie nicht pleite-
gehen kann, der Staat sie nicht pleitegehen lassen darf,
was natürlich auch alle anderen Partner wissen, be-
kommt sie so günstige Zinsen, um sich zu refinanzieren. –
Ihr Wettbewerbsvorteil macht in Summe 2,5 Milliarden
Euro aus. Dafür sind wir Garantiegeber. Wir bekommen
nur nichts. Ich finde, da müssten Sie handeln, damit un-
sere Leistung auch bezahlt wird.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Gilt das auch für die Sparkassen?)


Hier in Deutschland schöpfen Sie mit diesem Restruktu-
rierungsgesetz die Vorteile, die der Bankensektor hat,
tatsächlich nicht ab, sondern lassen mehr oder weniger
die Steuerzahler haften.

Der zweite Punkt betrifft die europäische Dimension.
Auf der europäischen Ebene ist zwingend notwendig,
dass wir zu dem von Herrn Draghi am Mittwoch vor
dem Haushalts- und Finanzausschuss skizzierten Kon-
zept einer stärkeren Bankenunion, eines gemeinsam
strukturierten Bankenmarktes mit klaren Regeln kom-
men. Nun hat Ihre Bundeskanzlerin auf dem EU-Gipfel
am 29. Juni 2012 zugesagt, eine Bankenaufsicht einzu-
führen; das ist so weit in Ordnung. Aber dass die von
denjenigen Ländern, die in der Vergangenheit Schindlu-
der mit ihren Banken getrieben haben, deren Bankenauf-
sicht schlecht war, die sich nicht gekümmert haben und
die zu große Banken hatten – für deren Risiken müssen
jetzt andere einstehen; ich denke hier an Irland und Spa-

nien – verursachten Kosten vom Euro-Rettungsfonds,
das heißt, vom deutschen Steuerzahler und von anderen
europäischen Steuerzahlern, getragen werden müssen,
ohne dass die Banken einen Cent dafür bezahlen, ist
nicht akzeptabel.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben vorhin das Thema Vertrauen angesprochen.
Wir haben jetzt durch die Maßnahmen der EZB ein biss-
chen Ruhe. Es ist eine Scheinruhe; ich glaube nicht, dass
sie lange anhält. Zwingend notwendig ist, dass wir auf
europäischer Ebene zu einem klaren Rechtsrahmen im
Bankensektor kommen. Jetzt zögern Sie das aber immer
weiter hinaus. Sie tun das nicht, weil Sie die Bankenauf-
sicht nicht wollten, sondern deswegen, weil Sie vor der
Bundestagswahl keine Entscheidung wollen, dass euro-
päische Banken durch deutsches Steuergeld rekapitali-
siert werden. Das haben Sie aber zugesagt. Ich finde,
dazu müssen Sie auch stehen. Das müssen Sie jetzt auch
durchführen, zumindest hinsichtlich der Bankenaufsicht.
Das sollten Sie nicht auf die lange Bank schieben; denn
das würde letztendlich zu einem Verlust an Vertrauen
und höheren Gemeinkosten führen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


Eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Die Bankenret-
tung in Deutschland war nicht umsonst. Für die Hypo
Real Estate, für Teile der WestLB und für andere Berei-
che fallen Kosten an. Wir haben schon 2008, bei der ers-
ten Lesung – Kollege Kampeter, das wissen Sie ganz ge-
nau –, vorgeschlagen, dass die Banken dafür haften. Die
CDU/CSU hat dies damals verhindert. Sie sind jetzt zu
einer anderen Einsicht gelangt. Das ist gut. Nur: Ihre
Nichteinsicht vor vier Jahren hat dazu geführt, dass jetzt
die Steuerzahler und nicht die Banken einen zweistelli-
gen Milliardenbetrag finanzieren müssen; das ist nicht in
Ordnung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


Der Haushaltsausschuss hat beschlossen, nochmals
Experten zu diesem Thema anzuhören, zumindest
schriftlich. Wir werden konstruktiv an diesem Gesetz-
entwurf mitarbeiten. Die zentralen Fragen sind unseres
Erachtens noch nicht beantwortet. Erstens: Wie kann
verhindert werden, dass eine Bank einen Staat erpressen
kann? Zweitens: Wie kann dafür gesorgt werden, dass
die Kosten einer Bankenpleite, auch rückwirkend, nicht
vom Steuerzahler, sondern vom Bankensektor selbst ge-
tragen werden?

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720206400

Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1720206500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich gedanklich in das Jahr 2008 zurückver-
setzt, als hier das Erste Finanzmarktstabilisierungsgesetz
beschlossen worden ist, wenn man sich noch einmal vor
Augen führt, wie die Stimmung hier damals war, wie
groß auch die Unsicherheit darüber war, wie es weiterge-
hen werde, dann muss man insgesamt feststellen, dass
die Einrichtung des Sonderfonds Finanzmarktstabilisie-
rung, des sogenannten Soffin, eine Erfolgsgeschichte ge-
wesen ist. Der Markt in Deutschland konnte stabil gehal-
ten werden. Teilweise gab es auch eine Konsolidierung.
Bestimmte Schwächen wurden abgestellt.

Wichtige Teile werden abgewickelt: Große Teile der
Hypo Real Estate werden abgewickelt, verschwinden
vom Markt; ein großer Teil der WestLB wird abgewi-
ckelt, verschwindet vom Markt; die Commerzbank baut
einen ganz großen Teil der Problemposten ab. Der Soffin
hat eine solche Konsolidierung möglich gemacht. Das
war die Voraussetzung dafür, dass sich die Wirtschaft er-
holen konnte. Dass wir heute so ausgezeichnet dastehen,
dass Deutschland in Europa ein Anker der Stabilität ist,
das hat auch damit zu tun.

Die Mitarbeiter der Behörde, die dafür zuständig ist
– die Finanzmarktstabilisierungsanstalt in Frankfurt –,
leisten im täglichen Geschäft eine ganz ausgezeichnete
Arbeit. Dafür sollten wir ihnen einmal einen Dank aus-
sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Konzept, das 2008 beschlossen worden ist, hatte
natürlich auch Schwächen. Zum Teil kam es auch zu
Fehlern. Banken hatten das Gefühl, dass sie sich darauf
verlassen können, dass schon jemand kommt und ihnen
hilft, dass der Staat bzw. der Steuerzahler mit Steuergel-
dern einspringt, selbst dann, wenn sie Fehler gemacht
haben. Entsprechend teuer war die Lösung an einigen
Stellen für den Steuerzahler. Insbesondere bei der Hypo
Real Estate hat der Staat eine ganze Menge Geld verlo-
ren. Das war ein teures Unterfangen.

Das hatte auch mit politischen Fehleinschätzungen zu
tun. Ich glaube, dass der Steuerzahler sowohl bei der
Hypo Real Estate als auch bei der Commerzbank eher zu
viel Geld gezahlt hat. Das ist bemerkenswert, weil der
Finanzminister, der das zu verantworten hatte, Peer
Steinbrück hieß.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das Parlament hat damit gar nichts zu tun und die Mehrheitsverhältnisse der Großen Koalition auch nicht? Die spielen keine Rolle? Ich erinnere mich an die Debatte im Haushaltsausschuss!)


– Doch, er hat das damals gemacht, Kollege Binding.
Die Hypo Real Estate wurde übernommen, als Herr
Steinbrück Finanzminister war. Wenn Sie mir eine Zwi-
schenfrage stellen würden, könnte ich Ihnen ausführlich
erklären, welche Fehler er dabei gemacht hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Wer hat es gemacht? Steinbrück hat es gemacht!)


Wenn Sie das wissen wollen, fragen Sie mich. Ich bin
gerne bereit, ins Detail zu gehen.

Ich finde, das ist bemerkenswert, nicht weil ich der
Meinung bin, dass in einem so komplexen Umfeld kein
Fehler passieren kann, sondern weil Herr Steinbrück im-
mer wieder den Eindruck erweckt, er sei der Einzige in
Deutschland, der etwas von Finanzen versteht. Ich finde,
diese Beispiele zeigen, dass man diese Vorstellung ge-
trost ad acta legen kann. Es sind einige Fehler gemacht
worden.

Wir haben in dieser Koalition die Schwächen, von de-
nen ich gerade gesprochen habe, benannt und abgestellt.
Wir haben 2010 das sogenannte Restrukturierungsgesetz
verabschiedet. Das ist ein besonderes Insolvenzrecht für
den Bankensektor. Dabei haben wir die Punkte, die vor-
her falsch gelaufen sind, aufgegriffen. Seitdem steht
nicht mehr die Frage im Vordergrund, wie der Steuerzah-
ler eine Bank retten kann, die so schwere Fehler gemacht
hat, dass sie eigentlich vom Markt verschwinden müsste.
Der Steuerzahler geht, seitdem das Restrukturierungsge-
setz in Deutschland gilt – das ist jetzt seit fast zwei Jah-
ren der Fall –, eben nicht mehr her und rettet Banken,
egal wie das Geschäftsmodell aussieht. Jetzt sind wir in
der Lage, sie abzuwickeln, sie vom Markt zu nehmen,
wenn sie kein entsprechendes Geschäftsmodell haben.
Damit können Banken den Staat nicht mehr unter Druck
setzen. Das ist ein ganz entscheidender Vorteil. Diesen
wichtigen Schritt haben wir vor zwei Jahren gemacht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich sage: Die Drohung, dass sich Banken nicht mehr
darauf verlassen können, dass der Staat, dass die Steuer-
zahler helfen, wirkt. Als das in Kraft war, haben Rating-
agenturen sofort das Rating der Banken herabgestuft,
was dazu führte, dass die Banken mehr Zinsen für das
Geld, das sie aufnahmen, zahlen mussten; denn es ist
wahrscheinlicher geworden, dass sie pleitegehen konn-
ten. Die Ratingagenturen haben das also sofort umge-
setzt, und die Banken haben das sofort zu spüren bekom-
men.

Auch beim Fall WestLB, über den im letzten Jahr dis-
kutiert wurde – es musste darüber verhandelt werden,
wie es weitergeht –, war es, glaube ich, gut, dass wir als
Bund sagen konnten: Wenn ihr euch als Eigentümer
nicht einigt, wenn ihr nicht zurande kommt, wenn ihr
schon wieder darauf hofft, dass am Ende Steuergeld
fließt, und wenn sich nichts ändert, dann werden wir mit
diesem Restrukturierungsgesetz die Probleme anders lö-
sen. Einigt euch also! – Ich glaube, auch das hat gehol-
fen.

Das Gesetz führt dazu, dass die Grundsätze der sozia-
len Marktwirtschaft wieder zum Tragen kommen, dass
die Haftung von Eigentümern wieder durchgesetzt wer-
den kann und dass die Bürger sehen, dass es hier wieder
gerecht zugeht und nicht derjenige, der Fehler macht,
auch noch dadurch belohnt wird, dass er Steuergeld be-
kommt.





Florian Toncar


(A) (C)



(D)(B)


Weil dieses Konzept so gut ist, hat es auch in Europa
eine Diskussion darüber gegeben. Der Binnenmarkt-
kommissar möchte das, was wir in Deutschland im Jahr
2010 als Erste umgesetzt haben, jetzt auch in Europa
einführen. Man muss einmal darauf hinweisen: Wenn
wir über die Frage reden, wie es mit dem Finanzmarkt
und mit unserer Währung in Europa weitergeht, wird
manchmal gesagt, Deutschland sage zu allem Nein. Ich
finde, dies ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass wir nur
zu den falschen Vorschlägen Nein sagen, andererseits
aber eigene Ansätze, eigene Vorschläge einbringen. Mit
unserer Antwort auf die Frage, wie man mit Banken um-
geht, die pleite sind, leisten wir einen Beitrag dazu, dass
es auch in Europa in Richtung soziale Marktwirtschaft
geht, dass ihre Grundsätze wieder gelten und dass wie-
der ein bisschen mehr Gerechtigkeit in diesem Bereich
herrscht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bis dieses europäische Regelwerk gilt, gibt es aller-
dings immer noch eine hohe Unsicherheit in der Banken-
branche und auch in der Wirtschaft insgesamt, zum ei-
nen wegen der Risiken im Euro-Raum, zum anderen
natürlich auch wegen der Frage, wie profitabel einzelne
Geschäftsmodelle von Banken sind. Das hängt auch ein
Stück weit davon ab, welche Regeln in den nächsten
Jahren noch verabschiedet werden.

Deswegen wollen wir als Vorsorgemaßnahme die
Gültigkeit der Instrumentarien des Soffin um knapp zwei
Jahre verlängern. Ich glaube, das ist auch ein psycholo-
gisches Signal in Richtung Markt: Wir werden hier
nichts anbrennen lassen, wir werden den Markt weiter-
hin stabil halten, und wir verfügen auch über die not-
wendigen Instrumente.

Weil wir allerdings auch sagen, dass die Haftung der
Eigentümer Vorrang hat, gestalten wir die Regeln beim
Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung so, dass erst die
Eigentümer zahlen müssen, dass erst privates Kapital
mobilisiert werden muss und dass Banken, deren Ge-
schäftsmodelle nicht tragfähig sind, abgewickelt werden
können. Wir zeigen damit, dass die Restrukturierung, die
Konsolidierung des Bankensektors Vorrang hat vor der
Rettung der Banken mit Steuergeld.

Ich glaube, dass das eine ganz sinnvolle Mischung ist.
Wir haben damit einen guten Instrumentenkasten, und
wir werden auf dieser Grundlage die Konsolidierung im
Bankensektor voranbringen. Es wird noch weitere Ver-
änderungen geben müssen, zum Beispiel bei den Ge-
schäftsmodellen und sicherlich auch bei den Marktantei-
len. Der Sektor wird sich in den nächsten Jahren noch
ein bisschen sortieren müssen. Wir werden den Prozess
aufmerksam begleiten.

Finanziert werden soll das in Zukunft nicht wie bisher
über Steuergelder, sondern über die Bankenabgabe.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie hoch ist die? – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wie hoch ist sie? Wie hoch sind die Lasten?)


Die Branche selber zahlt eine Abgabe dafür, dass dieser
Fonds einspringen kann. Ich glaube, dass auch das deut-
lich macht, dass wir es ernst meinen. Wir wollen den
Steuerzahler aus der Haftung entlassen. Falsche Ge-
schäftsmodelle werden nicht mehr vom Steuerzahler am
Leben erhalten, sondern verschwinden vom Markt.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720206600

Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720206700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worüber

reden wir hier?


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das fragt man sich!)


Das muss nach diesem kapitalismuskritischen Auftritt
von Staatssekretär Kampeter einmal klargestellt werden.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Unglaublich! – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Wir reden nicht über Athen, sondern über die Fortset-
zung der Rettung und die Stabilisierung deutscher Ban-
ken durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau! Darum geht es!)


Wir erinnern uns: Nach der Lehman-Pleite 2008 ka-
men Banken und internationale Finanzmärkte in Not.
Bankenvorstandschefs und die Aufsicht rufen ihre Re-
gierungschefs und Finanzminister an. Kurz darauf treten
Angela Merkel und Peer Steinbrück vor die Medien und
sagen den legendären Satz: Die Ersparnisse sind sicher.

2008 haben wir im Bundestag binnen einer Woche ei-
nen gigantischen Rettungsschirm mit Garantien und Ka-
pitalbeteiligungen in einem Umfang von fast 500 Mil-
liarden Euro beschlossen. Das muss hier gesagt werden,
weil die Rettung deutscher Banken in den Medien kaum
noch ein Thema ist.

Angesichts der Hysterie, die gegenüber Griechenland
und anderen südeuropäischen Staaten verbreitet wird,
und angesichts der Hetze, die zum Teil betrieben wird,
ist es wichtig, heute auch anzusprechen: Wir wenden
– nominell und mit den Instrumenten, die dafür zur Ver-
fügung stehen – einen etwa dreimal so großen Betrag
wie für die Stabilisierung des Euro für die Rettung deut-
scher Banken auf. Auch das gehört zur Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN – Florian Toncar [FDP]: Aber heute nicht mehr! – Otto Fricke [FDP]: Da sind wir heute woanders, oder?)


Die Stabilisierung des Euro dominiert die öffentliche
Debatte. Wir reden hier aber auch über inzwischen ver-
staatlichte Banken: über die Hypo Real Estate in Mün-





Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)


chen, die WestLB, die teilverstaatlichte Commerzbank
und andere mehr.

Ich sage der Koalition: Solange Sie als Ursache der
Krise das ausmachen, was Sie in der Begründung Ihres
Gesetzentwurfes geschrieben haben – dass der Kern der
Krise eine anhaltende Staatsschuldenkrise sei –, haben
Sie den wahren Kern des Problems nicht erkannt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben es mit einer Krise der Banken und der inter-
nationalen Finanzmärkte zu tun.

Was schlägt die Koalition vor? Sie behauptet zwar, es
sei alles gut, was sie gemacht habe; dennoch soll der
Soffin – Staatsgarantien und Kapitalhilfen – zwei Jahre
länger wirken, also Soffin forever. Ich denke, darin ist
eine Menge Vorsorge für das Wahljahr.

Statt des Bundeshaushalts soll für Neuanträge am
Ende nun der Restrukturierungsfonds haften; seine Mit-
tel kommen aus der Bankenabgabe. Dann muss man
aber weiterlesen. In dem Gesetzentwurf steht auch
– dazu hat mein Vorredner nichts gesagt –, dass der Re-
strukturierungsfonds nur so lange haften soll, wie der
vorhandene Bestand reicht. Was ist daran zu kritisieren?
Sie feiern die Bankenrettung als Erfolg, spannen aber
dennoch den Rettungsschirm wieder auf. Das passt nicht
zusammen.


(Beifall bei der LINKEN)


Solange Frau Merkel davon spricht, dass sie – davon
hat sie mehrfach gesprochen – eine finanzmarktkon-
forme Politik betreiben will, muss ich sagen: Das ist der
falsche Weg.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Politik muss wieder die Dominanz über diese
Märkte erlangen.

Sie sagen: Wir holen uns das Geld der Steuerzahler
vom Bankenfonds zurück. Ich sage Ihnen, Herr Staats-
sekretär – das richtet sich an die Adresse der Koalition –:
Das ist organisierter Selbstbetrug.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


In dem Fonds ist im Moment nichts drin. Er enthält etwa
5 Prozent dessen, was schon als realer Verlust eingetre-
ten ist. Das Risiko der faulen Papiere, die in die Bad
Banks ausgelagert sind, bleibt beim Steuerzahler.

Ich will daran erinnern, dass es noch vor dem Auf-
spannen dieses Schirms ein Finanzminister Peer
Steinbrück war, der vor diesem Bundestag immer und
immer wieder erklärt hat, dass auch die IKB Deutsche
Industriebank eine systemrelevante Bank sei. Diese
Bank gehört inzwischen dem Hedgefonds Lone Star.
Das war übrigens in einer Zeit, als Peer Steinbrück die
Finanztransaktionsteuer noch eine linke Spinnerei ge-
nannt hat. Daran muss man ihn gelegentlich erinnern;
denn im Moment erweckt er den Eindruck, als wäre er
der Vater der Idee einer Finanztransaktionsteuer.


(Beifall bei der LINKEN)


Alternativen sind machbar, meine Damen und Herren.
Was schlägt die Linke vor? Wir sind ja in der Pflicht, et-
was vorzuschlagen, weil wir als einzige Fraktion dem
Rettungsschirm nicht zugestimmt haben. Die Verursa-
cher müssen endlich zur Verantwortung gezogen wer-
den, und hohe Vermögen gehören höher besteuert als
bisher. Wir brauchen eine radikale Eindämmung der
Finanzmärkte. Ich will Schattenbanken verdammt noch
mal nicht regulieren, ich will sie schließen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke schlägt vor, eine europäische Bank für öf-
fentliche Anleihen, wenn man so will eine KfW Europe,
zu gründen. Wir brauchen endlich eine gemeinsam abge-
stimmte europäische Wirtschafts-, Finanz- und auch So-
zialpolitik. Daran können deutsche Banken und deren
Großanleger gern mitwirken.


(Beifall bei der LINKEN)


Den Gesetzentwurf der Koalition lehnen wir ab. Er
folgt der Logik von Frau Merkel, dass Banken gerettet,
Rentnerinnen und Rentner, Geringverdienende und Ar-
beitsuchende aber betrogen werden.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Oh!)


Das muss anders werden, und das kann anders werden.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720206800

Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist in der bisherigen Debatte schon deutlich geworden,
dass es bei diesem Gesetzentwurf um eine weitere Not-
maßnahme geht. Ich finde es wichtig, sich noch einmal
klarzumachen: Warum brauchen wir das jetzt eigentlich?
Die Begründung der Bundesregierung ist: Wir sind auf
europäischer Ebene noch nicht so weit. – Das klingt erst
einmal plausibel; denn europäische Politik braucht ihre
Zeit, wie auch hier Gesetzgebung und Diskussion ihre
Zeit brauchen.

Trotzdem ist die Geschichte leider für die Bundes-
regierung nicht ganz so vorteilhaft. Die Europäische
Kommission hat bereits im Oktober 2009, also vor drei
Jahren, eine sehr gute Mitteilung mit dem Titel „Ein EU-
Rahmen für das grenzübergreifende Krisenmanagement
auf dem Banksektor“ vorgelegt, in der eigentlich alles
steht, was man hätte tun müssen. Dann kommt ein Drei-
vierteljahr später, im Juli 2010, im Europäischen Parla-
ment ein Vorschlag für einen europäischen Restrukturie-
rungsfonds – damals Europäischer Stabilitätsfonds
genannt – auf den Tisch, der aus Bankenabgaben zu
finanzieren gewesen wäre.

Kommission und Parlament haben also schon vor
über zwei Jahren die Grundlagen dafür gelegt, dass man
in Europa Banken grenzüberschreitend retten und abwi-
ckeln kann, finanziert über Bankabgaben. Warum ist das





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


immer noch nicht vorangekommen? Weil der Rat – und
in diesem Rat auch diese Bundesregierung – das blo-
ckiert hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sauerei!)


Genau deswegen ist die Verlängerung in Deutschland
nötig; denn die Bundesregierung hat die notwendigen
Vorbereitungsmaßnahmen auf europäischer Ebene aus-
gebremst. Deswegen ist die Begründung, wir seien in
Europa noch nicht so weit, nichts anderes als das Einge-
ständnis, dass die Verweigerung europäischer Lösungen
in der Krise, durch die sich diese Bundesregierung im-
mer wieder auszeichnet, für Deutschland selbst teuer
wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da muss man dann bitte einmal ehrlich sein: Wenn
jetzt die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin darauf
drängt, es sollte jetzt beschleunigt werden, dann geht das
eigentlich an die eigene Adresse.

Sie haben sich auch bei der Verabschiedung des Re-
strukturierungsgesetzes in Deutschland leider etwas vor-
gemacht. Damals schon sprachen die Sachverständigen
– ich zitiere aus dem Jahresgutachten 2010/2011 des
Sachverständigenrates der Bundesregierung – von einer
Problematik nationaler Vorgehen mit unterschiedlichen
Insolvenzverfahren. Ich zitiere:

Lassen sich die vorgesehenen deutschen Regelun-
gen nämlich nicht auf Derivatverträge anwenden,
die unter ausländischem Recht geschrieben wurden,
so würden letztlich dieselben negativen Finanzsys-
temwirkungen entstehen, die das spezielle Insol-
venzverfahren gerade vermeiden will.

Auch das wurde vor über zwei Jahren geschrieben.
Die Bundesregierung hat eben nicht die Konsequenz da-
raus gezogen, schon 2010 aktiv für eine europäische re-
strukturierungsrechtliche Grundlage und einen europäi-
schen Restrukturierungsfonds zu werben, sondern sie hat
es immer wieder mit dem Verweis auf die Finanzauftei-
lung und darauf blockiert, dass es doch teurer für
Deutschland wäre. Heute haben wir den Beweis, dass
diese Strategie ein Fehler war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will noch zu zwei Punkten, was den konkreten In-
halt angeht, etwas sagen. Der eine ist ein kurzer Punkt.
Es gibt eine Stärkung des Bundestages. Es gibt nämlich
einen Vorbehalt des Bundestages in der Weise, dass bei
der Auflösung des Finanzmarktstabilisierungsfonds zu-
künftig wir hier entscheiden. Das ist jetzt allerdings
nicht etwas, was freiwillig geschieht, sondern das ist auf
ein Diktum des Bundesverfassungsgerichts vom Februar
dieses Jahres zurückzuführen. Wir sind natürlich zufrie-
den, dass es hier eine Stärkung des Bundestages gibt.
Aber es ist schon erschreckend, dass dieses Parlament
immer wieder erst den Hinweis aus Karlsruhe braucht,
bevor es sich selber die nötigen Rechte einräumt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein weiterer Punkt – man könnte andere nennen, aber
ich will darauf einen Schwerpunkt legen – ist die Frage
der Transparenz bei der Bankenrettung. Wissen Sie, ich
finde eigentlich: Bei den Kosten, um die es da geht
– Milliarden –, besteht die Notwendigkeit, wirklich
Transparenz zu schaffen. Warum steht eigentlich die
Summe, die aufgelaufen ist, warum stehen die Progno-
sen, welche weiteren Lasten aus der Bankenrettung in
Deutschland zu erwarten sind, nicht klar auf der Home-
page der Finanzmarktfonds? Warum muss ich mir das da
und dort zusammensuchen, und warum unterliegt immer
alles Mögliche der Geheimhaltung? Wir sitzen jeden
Freitag einer Sitzungswoche in dem Finanzmarktgre-
mium, und wir müssen doch einmal sagen: Einen ganz
großen Teil dessen, was wir dort diskutieren, könnte man
auch öffentlich machen. Wir haben hier einen viel zu
großen Bereich der Geheimhaltung. Wir Grünen sind bei
der Bankenrettung für mehr Transparenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE])


Ich will das an einem Punkt kurz deutlich machen:
Auf meine Initiative hin ist wenigstens eine rudimentäre
Teilfassung des Jahresabschlusses des Soffin öffentlich
gemacht worden. Entscheidende Informationen fehlen
aber noch immer.

Es ist doch nicht einzusehen, dass ein börsennotiertes
Unternehmen seinen Jahresabschluss und das Testat des
Wirtschaftsprüfers veröffentlichen muss und damit um-
fassende Transparenz geschaffen wird, während wir
dort, wo die Steuerzahler betroffen sind, keine entspre-
chende Transparenz haben.

Wir werden das noch einmal in die Beratungen ein-
bringen; denn wenn die Bürger zur Kasse gebeten wer-
den, haben sie auch einen Anspruch auf die relevanten
Informationen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720206900

Das Wort hat nun Georg Schirmbeck für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1720207000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Lieber Carsten Schneider, ich habe eben gehört: Die
CDU/CSU und die FDP sind das Problem. Wenn sie weg
wären, wäre alles klar und die Welt heile.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vieles wäre einfacher! – Bernd Scheelen [SPD]: Und besser!)


Dazu muss ich sagen: Wir leben in einem demokrati-
schen Staat. 70 Prozent der Leute glauben, dass die
Merkel das gar nicht so schlecht macht, um nicht zu sa-





Georg Schirmbeck


(A) (C)



(D)(B)


gen, dass sie es gut macht, und wir als Koalition unter-
stützen sie. Das ist der Auftrag, den wir aus der Bevölke-
rung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das Entscheidende macht die Europäische Zentralbank!)


Sie müssen sich jetzt nicht selber schlechter machen,
als Sie sind, aber es waren doch nicht Steinbrück und
Zypries – Frau Zypries mag als Justizministerin ihre
Aufgabe ja sogar gut wahrgenommen haben –, sondern
in der Tat, wie das eben schon gesagt wurde, die Bundes-
kanzlerin und der Finanzminister, die durch ihre legen-
däre Fernsehansprache versucht haben, wieder Vertrauen
zu schaffen und Ruhe in die Bevölkerung zu bringen. Es
ist uns dann in Wochenfrist ohne kleinkarierte Ge-
schäftsordnungsanträge und dem, was es sonst immer
gibt, gelungen, hier im Deutschen Bundestag Beschlüsse
zu fassen. Danach gab es wieder eine gewisse Stabilisie-
rung. Was wäre denn gewesen, wenn wir das in dieser
Wochenfrist nicht hinbekommen hätten? Darauf können
wir doch gemeinsam stolz sein!

Es wird hier immer so getan, als seien die einen die
Guten und die anderen die Bösen. Wir müssen aber fra-
gen, warum es die eine oder andere Entwicklung gege-
ben hat. Haben Sie schon einmal den Namen Neuber ge-
hört? Es gab einmal eine WestLB in Nordrhein-
Westfalen, und es gab da auch einen Ministerpräsidenten
Rau und einen Ministerpräsidenten Steinbrück. Regiert
hat aber eigentlich ein Mann namens Neuber. Weil das
viele gar nicht mehr wissen: Er war TUI- und RWE-Auf-
sichtsratsboss.

Warum ist es denn zu dieser Entwicklung gekommen?
Wer hat denn das große Rad gedreht und drittrangige
Werte irgendwo in der Welt gekauft? Jetzt heißt es: Die
Eigentümer sollen eintreten. – Die Überlegung, dass die
Eigentümer in erster Linie haften sollen, ist ja richtig.
Aber wer waren denn die Eigentümer?


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Würden Sie einmal zum Gesetzentwurf reden?)


Das waren das Land Nordrhein-Westfalen und die Spar-
kassen in Nordrhein-Westfalen. Wer musste nach Düs-
seldorf fahren und die entsprechenden Gespräche über
die Abwicklung führen? Das war der hier anwesende
Staatssekretär Kampeter. Wer musste das Geld zur Ver-
fügung stellen? Das waren wir! Wir, der Haushaltsaus-
schuss, mussten es aus der Bundeskasse nehmen. Das ist
doch die Wahrheit!


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es geht jetzt um den Gesetzentwurf! Reden Sie doch dazu!)


So viel zu den Eigentümern. Da, wo Sie Verantwortung
getragen haben, hätten Sie die Verantwortung wahrneh-
men können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Vorbereitung hätte ich von Ihnen erwartet! Sie hätten sich ein kleines bisschen auf den Gesetzentwurf vorbereiten müssen!)


Sie kritisieren die Fristverlängerung für den staatli-
chen Bankenrettungsfonds Soffin, sie kritisieren Sof-
fin III. Stellen Sie in der abschließenden Beratung doch
den Antrag, dass wir Soffin III nicht machen sollen.
Vielleicht bekommen Sie eine Mehrheit. Aber schauen
Sie sich einmal im Land um. Wer schützt die Sozialde-
mokraten eigentlich vor sich selber?


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich kenne Ministerpräsidenten, die Ihnen dann aufs
Dach steigen und fragen würden: Seid ihr verrückt ge-
worden? – Das ist doch die Wahrheit!


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mannomann! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man, man, peinlich!)


Ich höre, dass wir die Schulden in Europa vergemein-
schaften sollen. Das sei die Lösung des Problems. Wenn
wir dem, was Sie hier sagen, nachgeben würden


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ich habe doch das Gegenteil gesagt!)


– Sie sprechen doch in jeder Rede über Euro-Bonds
usw.; das ist doch Ihre tägliche Aussage –, dann müsste
ich mich fragen, welche Reformen in Europa überhaupt
noch in Angriff genommen würden. Wenn der Druck
vom Kessel genommen wird: Bewegt sich dann noch ir-
gendwo etwas?


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hätte einmal in den Entwurf des Gesetzes geschaut, bevor ich gesprochen hätte!)


Die Wahrheit ist, dass es zu dieser Politik keine Alter-
native gibt. In geschlossenen Räumen bestätigen Sie das
auch, aber wenn die Türen auf und die Fernsehkameras
da sind, dann erzählen Sie auf einmal tolle Dinge. Die
aber sind wirkungslos, führen in die falsche Richtung
und bewirken das Gegenteil dessen, was wir brauchen.
Was wir in der Vergangenheit gemeinsam falsch ge-
macht haben, nicht nur wir Politiker, sondern die ganze
Gesellschaft, ist: Wir haben nicht nachhaltig gelebt. Das
zeigt sich in den kommunalen Haushalten, aber in wei-
ten Teilen auch im privaten Bereich.

Wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Die Merkel
soll mir mein Geld wiedergeben und für die Zinsen auf-
kommen, die mir entgangen sind“, dann kann ich nur
sagen: Wenn man bei einer Geldanlage für sein Geld we-
sentlich mehr Zinsen als bei der Sparkasse bekommt
– das weiß schon jeder Grundschüler –, dann ist diese
Geldanlage riskanter. Dann kann man auch nicht sagen:
Das ist jahrelang gut gegangen. – Irgendwann ist die
Blase so groß geworden, dass sie geplatzt ist. Diejeni-
gen, die in der Vergangenheit viel an den Zinsen verdient
haben, haben dafür zahlen müssen. Das ist zum Schluss





Georg Schirmbeck


(A) (C)



(D)(B)


der Bürger und in vielen Fällen auch der ganz einfache
Bürger.

Ich gehöre zu denen, die sich für die deutsche Forst-
wirtschaft interessieren. Hans Carl von Carlowitz hat vor
299 Jahren seine Gedanken zur Nachhaltigkeit aufge-
schrieben. Das sollten Sie einmal nachlesen. Was da
steht, gilt nämlich nicht nur für die Forstwirtschaft, son-
dern das gilt auch für die Finanzwirtschaft.

Jetzt kann man natürlich immer einen Prügelknaben
finden, auf den man einschlagen kann, in diesem Fall die
Deutsche Bank. Seien wir doch zufrieden – darauf kön-
nen wir an der einen oder anderen Stelle vielleicht stolz
sein –, dass die Deutsche Bank unsere Hilfe noch nicht
gebraucht hat.


(Beifall des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU])


Sollen wir denen, die ihren Karren noch halbwegs am
Laufen halten, einfach in den Rücken fallen und ihnen
sagen, was sie machen sollen?

Ich sage Ihnen eines voraus: Mit diesem Thema wer-
den wir uns in den nächsten 20 Jahren noch zu beschäfti-
gen haben; denn dieses Problem ist nicht in einem Jahr,
nicht in kurzer Zeit zu beheben. Ehrlicherweise muss
man auch sagen, dass es lange Zeit gut gelaufen ist und
es gedauert hat, bis die Blase geplatzt ist.

Sie haben ja wirklich ganz billige Argumente ange-
führt. Wenn es nach Ihnen geht, sollen wir das Gegenteil
von dem machen, was ökonomisch und finanzpolitisch
richtig ist. Dadurch lösen wir diese Aufgabe nicht. Zu
dem, was die Bundeskanzlerin in Europa und auch hier
mit unserer Unterstützung beschließen lässt, gibt es
keine Alternative.

Deshalb sage ich nur: Wir haben wieder Vertrauen zu-
rückgewonnen. Dieses Vertrauen sollten wir hier nicht
zerreden. Ich glaube, wir können auf die gemeinsame
Arbeit in den vergangenen Jahren stolz sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720207100

Das Wort hat nun Carsten Sieling für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das kann man ja jetzt nicht mehr toppen!)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1720207200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

erlaube mir, die Damen und Herren, die zuhören oder
zuschauen, eingangs darauf aufmerksam zu machen,
dass der aktuelle Tagesordnungspunkt heißt: Fortschrei-
bung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes. Ich möchte
gerade vor dem Hintergrund der letzten Rede daran erin-
nern: Darüber reden wir. Es geht hier um einen Rahmen
von bis zu 500 Milliarden Euro. Wir haben eine gewich-
tige Entscheidung zu treffen. Da verbietet sich in diesem
Haus jedes Geklimper und Getöse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will in diesem Zusammenhang – zu Ihnen werde
ich gleich noch etwas sagen, Herr Staatssekretär – etwas
zur Einordnung sagen: Dies ist das Dritte Finanzmarkt-
stabilisierungsgesetz. Es ist ein Dokument der Kontinui-
tät der Politik dieser Kanzlerin Angela Merkel. Es ist
deshalb ein Dokument der Kontinuität, weil sich in allen
drei Gesetzen eine Regel nicht verändert hat: Für die
Folgen der Finanzmarktkrise 2008/2009 haftet im Kern
der Staat, und es zahlt der Steuerzahler. Hieran ändert
sich auch mit diesem Gesetzentwurf nichts.


(Beifall bei der SPD)


Er ist die Fortsetzung einer Notmaßnahme, die im
Grundsatz nichts korrigiert. Aber die Rednerinnen und
Redner der Koalition, auch der Staatssekretär, haben na-
türlich versucht, hier den Eindruck zu vermitteln, alles
würde sich verändern, weil jetzt erstmalig über das groß-
artige Konstrukt der deutschen Bankenabgabe, die au-
ßerordentlich hoch sein soll, der Bankensektor selber he-
rangezogen würde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will den Blick
auf diesen zentralen Punkt lenken und sagen: Das ist
eine Mogelpackung, die Sie uns an dieser Stelle vorle-
gen.

Erstens. Ausweislich des Gesetzentwurfs wird der
Restrukturierungsfonds erst für Maßnahmen ab 2013 he-
rangezogen. Die großen Kosten von 2008/2009, das, was
im Soffin schon an Mitteln gebunden ist, werden nicht
vom Finanz- und Bankensektor getragen.


(Zuruf des Abg. Florian Toncar [FDP])


Hier gilt weiterhin, dass der Steuerzahler haftet; das ist
der Kern.

Kollege Toncar, da Sie gerade einen Zwischenruf ge-
macht haben, will ich Ihnen sagen: Natürlich war das
beim ersten Mal eine Rettungsmaßnahme, die schnell er-
griffen werden musste. Aber die Korrektur in Richtung
Haftung des Sektors, der Finanzinstitute und der Speku-
lanten hätte man schon beim zweiten Stabilisierungsge-
setz vornehmen können. Das haben Sie aber versäumt.
Das war damals nämlich Ihr Gesetz.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie jetzt sagen: „Mittlerweile ist doch alles
strukturiert; schauen wir uns nur einmal die HRE an“,
dann muss ich Ihnen entgegnen: Das ist die größte Ge-
fahr, die in Sachen Bad Bank eventuell noch auf uns zu-
kommt. Wir wissen noch lange nicht, wie wir das finan-
zieren sollen. Dieses Risiko verbleibt beim Steuerzahler.

Zweiter Punkt. Ab 2013 wird für alle Maßnahmen auf
die Bankenabgabe und den Restrukturierungsfonds zu-
rückgegriffen. Aber was bedeutet das? Mehrere meiner
Vorredner haben bereits darauf hingewiesen: Bisher flos-
sen jährlich etwa 500 Millionen Euro in diesen Fonds.
Ich möchte gerne wissen, was man mit diesen Mitteln
finanzieren will, wenn es ernst wird.





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)


Carsten Schneider hat deutlich gemacht: Die Deut-
sche Bank hat aufgrund der Staatshaftung einen Vorteil
im Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Das ist nichts ande-
res als Fallobst, das die Bank aufgrund der Staatshaftung
einfach ernten kann. Das sind Windfall Profits, nichts
anderes. Hier würde man erwarten, dass eine stärkere
Heranziehung stattfindet. Das ist eine Frage der Gerech-
tigkeit und solider Politik.


(Beifall bei der SPD)


Man fragt sich auch: Was passiert eigentlich, wenn
ein großes Geldinstitut – ich will gar nicht unbedingt die
Deutsche Bank nennen; es kann auch ein anderes großes
Institut sein – in Probleme gerät? Dann werden die
500 Millionen Euro nicht ausreichen.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Für die Sparkassen vielleicht!)


Insofern ist das, was Sie uns hier bieten, ein Potem-
kin’sches Dorf. Das ist eine Fassade, aber nichts, was zu
einer wirklichen Stabilisierung beiträgt.


(Beifall bei der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wenn Bremer über Finanzen reden, dann wird mir ganz anders!)


An dieser Stelle will ich sagen: Herr Staatssekretär,
das, was Sie vorgetragen haben, ist, jedenfalls für mich,
die eigentliche Überraschung dieser Debatte; das höre
ich von christdemokratischen Politikern nämlich selten.
Ich höre selten, dass christdemokratische Politiker in ih-
ren Reden vom Finanzkapitalismus sprechen


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Oh ja! Das kann er!)


und sagen: Wir werden die zügellosen Entwicklungen
stoppen und den Kapitalismus bändigen.


(Bernd Scheelen [SPD]: So ein Klassenfeind!)


Da ist man fast geneigt, „Bravo!“ zu rufen – wenn man
sich nicht an den guten alten Spruch erinnern würde: Die
größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Wer hat das Ganze denn durch die eigene Politik mit
ausgelöst, liebe Kolleginnen und Kollegen?


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Hans Eichel, Schröder, Fischer!)


Sie müssen geeignete Maßnahmen zur Finanzmarktregu-
lierung ergreifen, und die Bankenabgabe so regeln, dass
sie ihren Sinn erfüllt. Um das Risiko zu bündeln, müssen
die Geschäftsbereiche der großen Banken getrennt wer-
den. Was die Bankenrettung betrifft, brauchen wir einen
Too-big-to-fail-Bereich. Darum müssen wir einen
Schritt in Richtung Trennbankensystem machen.

Der letzte Punkt. Bei der Finanzmarktregulierung
müssen endlich auch die Schattenbanken in den Blick
genommen werden. Ich wäre froh, wenn Sie beim G-20-
Gipfel Ende November dieses Jahres ein ordentliches
Ergebnis mit nach Hause bringen würden. Damit würden
Sie einen größeren Beitrag zur Finanzmarktstabilisie-
rung leisten als mit Ihrem heute vorliegenden Gesetzent-
wurf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720207300

Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1720207400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Sieling, in einem
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1720207500
Es war diese Bundesregierung, ins-
besondere Finanzminister Dr. Schäuble und Staatssekre-
tär Kampeter, die die entscheidenden Maßnahmen zur
Regulierung der bis dahin hemmungslos agierenden Fi-
nanzmärkte eingeleitet hat. Ich erinnere an das Verbot
von Leerverkäufen, die Einführung einer Bankenabgabe,
die Einschränkung des Hochfrequenzhandels und viele
andere Maßnahmen, die auf europäischer und internatio-
naler Ebene ergriffen worden sind. In Ihrer Regierungs-
zeit hingegen herrschte der Glaube: Wenn man dem Bei-
spiel Londons und seiner unregulierten Märkte
bedingungslos folgt, wird alles gut.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Ihr wolltet das!)


– Nein, nein, nein.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Da gibt es Anträge von euch! Es steht dein Name auf den Anträgen!)


Die Zulassung von Hedgefonds ist erst unter der Regie-
rung Schröder erfolgt.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist das! Was wahr ist, muss auch wahr bleiben!)


Ich will auf den eigentlichen Gegenstand unserer heu-
tigen Beratungen zurückkommen. Einige meiner Vorred-
ner haben es bereits angesprochen: Diejenigen, die dem
Parlament schon damals angehört haben, werden sich
sehr genau daran erinnern, wie sehr uns dieses Thema
umgetrieben hat. Es war eine unheimlich schwierige
Entscheidung, die in sehr kurzer Zeit getroffen werden
musste. Wir konnten uns damals nicht sicher sein, dass
all das, was wir beschließen, richtig ist und gut geht. Wir
haben seinerzeit auch ein hohes Risiko auf uns genom-
men, und wir sind von viel Kritik begleitet worden.

Heute können wir sagen, dass das Finanzmarktstabili-
sierungsgesetz ein Erfolgsmodell geworden ist und sich
als absolut richtig erwiesen hat. Alle, die in den zustän-
digen Gremien vertreten sind, wissen auch, dass die Pro-
bleme, die wir früher als sehr viel größer einschätzen
mussten, sich Gott sei Dank als sehr viel geringer dar-
stellen. Was die gesamte Finanzmarktstabilisierung kos-
ten wird, kann man erst nach Ablauf der Tätigkeit des
Soffin, also des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung,
feststellen.

Deswegen haben wir aus guten Gründen im Februar
dieses Jahres das zweite Finanzmarktstabilisierungsge-





Bartholomäus Kalb


(A) (C)



(D)(B)


setz aufgelegt, um auch die Stoßwellen aus dem europäi-
schen Raum, die wir befürchten mussten, mit abfedern
zu können. Der Kollege Claus, glaube ich, hat gesagt,
die Schirme würden neu aufgespannt. Nein, wir sind zu
der Überzeugung gekommen, dass wir diesen Schirm,
der sich als absolut erfolgreich erwiesen hat, jetzt nicht
zumachen sollten, sondern ihn im Hinblick auf weitere
Entwicklungen zumindest bis zum Ende des Jahres 2014
offenhalten sollten. Dann können wir davon ausgehen,
dass auch die Entwicklungen und Initiativen auf europäi-
scher Ebene – der Kollege Dr. Schick ist darauf einge-
gangen – weiter vorankommen.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass mit diesen Maß-
nahmen, die wir jetzt weiter ermöglichen, auch ein Si-
gnal an den Bankensektor und die Finanzmärkte insge-
samt ausgeht und dass damit von uns unterstrichen wird:
Uns liegt in besonderer Weise daran, dass der Banken-
sektor und der Finanzmarkt insgesamt stabil bleiben
können. Das liegt im Interesse der Sparer, der Kredit-
kunden und der Wirtschaft insgesamt und damit insbe-
sondere im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung
und der Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sollten auch dafür Sorge tragen – auch das ist von
meinen Vorrednern, dem Kollegen Toncar und dem
Herrn Staatssekretär, schon gesagt worden –, dass die
Stabilisierungsmaßnahmen noch besser miteinander ver-
zahnt werden und dass, wo immer möglich, auch die
Verantwortung der Beteiligten und der Eigentümer ge-
stärkt wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf mit
d
Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1720207600
Das Gesetz, das wir jetzt auf den
Weg bringen, dient dazu, das Vertrauen zu stärken. Ver-
trauen ist das wichtigste Kapital für uns Politiker, aber
auch für die Banken und den Finanzsektor insgesamt.
Das wollen wir mit dem Gesetzentwurf erreichen, und
das werden wir mit dem Gesetzentwurf erreichen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720207700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11138 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 46 a bis 46 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Alleinerziehende besser unterstützen

– Drucksache 17/11032 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Anette Kramme, Anton Schaaf, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Neue Strategien für eine bessere Förderung
von Alleinerziehenden in der Grundsicherung

– Drucksache 17/11038 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvor-
schuss ausbauen

– Drucksache 17/11142 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Caren Marks für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1720207800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Keine andere Familienform hat in Deutschland in
den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen wie die
Einelternfamilie. Wir reden hier von 1,6 Millionen Al-
leinerziehenden und insgesamt 2,2 Millionen Kindern
und Jugendlichen.

Alleinerziehende sind zu 90 Prozent Frauen. Alleiner-
ziehende leisten täglich Enormes zur Bewältigung ihres
Alltags. Das verdient zu Beginn dieser Debatte zunächst
einmal Anerkennung und ganz viel Respekt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und es verdient, dass Alleinerziehende in besonderer
Weise von Staat und Gesellschaft unterstützt werden.

Wir brauchen auch hier in Deutschland gesellschaftli-
che Rahmenbedingungen, die die Lebenssituation der
Alleinerziehenden und ihrer Kinder verbessern und
wirkliche Chancengleichheit ermöglichen. Davon sind
wir auch deshalb noch ein gutes Stück entfernt, weil





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


diese schwarz-gelbe Bundesregierung – es sind leider
nicht viele Mitglieder der Bundesregierung bei dieser
Debatte anwesend – zwar viel redet – auch bei diesem
Thema am liebsten durcheinander –, aber leider nicht
handelt. Diese schwarz-gelben Regierungsjahre sind
auch für Alleinerziehende verlorene Jahre.


(Beifall bei der SPD)


So ist – auch das ist eine Tatsache – mehr als ein Drittel
aller Einelternfamilien arm. Daher haben auch Transfer-
leistungen für Alleinerziehende eine wichtige Bedeu-
tung. Diesen Aspekt wird meine Kollegin Gabriele
Hiller-Ohm nachher noch näher beleuchten.

Meine Kolleginnen und Kollegen, Alleinerziehende
müssen stärker in den Blick der Arbeitsmarkt-, der Bil-
dungs-, der Sozial- und der Familienpolitik rücken und
dürfen hier nicht singulär schubladenmäßig betrachtet
werden.

Die SPD-Bundestagsfraktion will Alleinerziehende
besser unterstützen und Antworten auf neue gesell-
schaftliche Herausforderungen geben. Dabei ist ein
Maßnahmenbündel notwendig, das sich an den Wün-
schen, den Bedürfnissen und auch an den zeitlichen Res-
sourcen von Alleinerziehenden orientiert. Vorschläge
hierzu finden Sie in unseren beiden Anträgen. Auf vier
Handlungsfeldern – Betreuung und Infrastruktur, Ar-
beitsvermittlung und gute Arbeit, Bildung und Qualifi-
zierung sowie gezielte finanzielle Unterstützung – ma-
chen wir Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen der
Regierungskoalition, ganz konkrete Vorschläge, wie
man Alleinerziehende wirklich besser unterstützen kann.

Gute, verlässliche und auch zeitlich flexible Bil-
dungs- und Betreuungsangebote in Kitas, aber auch in
Schulen sind eine ganz wichtige Grundvoraussetzung
dafür, dass Alleinerziehende erwerbstätig sein können.
Nur so kommen sie aus der Armutsfalle heraus.


(Beifall bei der SPD)


Das geplante Betreuungsgeld hingegen steht einer eigen-
ständigen Existenzsicherung von Alleinerziehenden ent-
gegen. Das ist nur einer von vielen Gründen, die dafür
sprechen, dieses unsinnige Vorhaben endlich zu beerdi-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Kolleginnen und Kollegen, für eine gelingende
Vereinbarkeit von Familie und Beruf benötigen Alleiner-
ziehende neben einer verlässlichen Infrastruktur neue
gesetzlich verankerte Arbeitszeitmodelle, die auch eine
verbesserte Durchsetzbarkeit des Rechts auf Teilzeit ent-
halten. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Dazu zählen
auch geschlechtergerechte Arbeitszeitmodelle wie die
sogenannte große Teilzeit mit einer wöchentlichen Ar-
beitszeit von 30 Stunden; denn nach wie vor haben Al-
leinerziehende bisher nur eingeschränkte Möglichkeiten,
einer existenzsichernden Arbeit nachzugehen und damit
auch eine eigenständige Alterssicherung zu betreiben.
Daher würden vor allem Alleinerziehende von einem
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn profitieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was Alleinerziehende allerdings nicht brauchen, ist
die von Schwarz-Gelb gestern beschlossene Ausweitung
der Minijobs. Minijobs und prekäre Beschäftigungsver-
hältnisse reichen heute für die Familien nicht zum Leben
und führen insbesondere Frauen direkt in die Altersar-
mut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenso notwendig ist es, die in unserem Land beste-
hende Lohnungerechtigkeit zwischen Männern und
Frauen endlich zu beenden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Zeit wird’s!)


Die vorhandene Lohnlücke von 23 Prozent muss endlich
geschlossen werden. Richtig, Herr Kollege: Zeit wird’s.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil es Zeit wird, diese Lohnlücke endlich zu schließen,
appellieren wir an Schwarz-Gelb: Sie brauchen nur dem
Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zuzustim-
men, dann wird dieses Problem gelöst.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!)


Einen besonderen Blick müssen wir auch auf junge
Alleinerziehende ohne Schul- und Berufsabschluss rich-
ten. Diese benötigen einen Rechtsanspruch auf Teilzeit-
ausbildung und auf das Nachholen eines Schulabschlus-
ses. Es sollte für junge Eltern und insbesondere für
Alleinerziehende möglich sein, in Teilzeit zu studieren.
Wir brauchen auch dringend eine Anpassung des BAföG
an die Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden.

Es ist auch wichtig, ehe- und familienbezogene Leis-
tungen auf den Prüfstand zu stellen, auch im Hinblick
auf Alleinerziehende. Der Unterhaltsvorschuss ist sinn-
voll weiterzuentwickeln. Das gestern von der Regierung
eingebrachte Unterhaltsvorschussentbürokratisierungs-
gesetz geht genau in die falsche Richtung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend, meine Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich Ihnen sagen: Dies war nur ein Ausschnitt
unseres umfassenden Konzepts für eine bessere Unter-
stützung von Alleinerziehenden. Wir, die SPD-Bundes-
tagsfraktion, haben den Anspruch, Alleinerziehende um-
fassend zu unterstützen. Vorschläge sind gemacht. Es ist
an der Zeit, dass diese Bundesregierung und auch die Fa-
milienministerin endlich aufwachen und handeln. Die
Alleinerziehenden mit ihren Kindern haben es verdient.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720207900

Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kollegen der Opposition, Ihre Anträge
und auch die Debatte heute sind der untaugliche Ver-
such, Alleinerziehenden zu suggerieren, dass man nur
SPD und Linke wählen müsse, und dann sei alles gut.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das stimmt! Sie haben keine Alternative!)


Dieser Versuch ist leicht zu durchschauen, und dem wird
keiner auf den Leim gehen.

Alleinerziehende brauchen erstens einen fairen Um-
gang auf Augenhöhe und zweitens Hilfe, die dort an-
kommt, wo sie benötigt wird. Was meine ich mit fairem
Umgang auf Augenhöhe? Damit meine ich, dass man
Alleinerziehende nicht immer als hilflose Opfer darstel-
len sollte. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich be-
streite nicht, dass es schwierig ist, in weitestgehend eige-
ner Verantwortung ein Kind oder mehrere Kinder
großzuziehen. Dazu kommen die Belastungen durch die
Trennung oder vielleicht durch den Tod des Partners, das
Einstellen auf eine neue Lebenssituation, Ängste und
Befürchtungen. Das ist nicht einfach.

Viele Alleinerziehende leben auch in schwierigen fi-
nanziellen Situationen. Oft sind es die Frauen – nämlich
in neun von zehn Fällen –, die sich anschließend um die
Kinder kümmern. Wenn vorher der Mann der Haupt-
erwerber war, ist es für die betroffene Frau besonders
schwierig, mit der Situation umzugehen.

Die Probleme und Schwierigkeiten, die es gibt, kön-
nen nicht als Rechtfertigung dienen, dass Alleinerzie-
hende allzu oft in den Medien, aber auch in der politi-
schen Diskussion als bemitleidenswerte Menschen, die
einsam und verlassen sind, dargestellt werden. Das wird
der Lebenssituation und vor allem der Selbstwahrneh-
mung der Mehrheit der Alleinerziehenden nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Haben Sie unseren Antrag nicht gelesen?)


Wie ist die Selbstwahrnehmung? Interessante Ergeb-
nisse dazu liefert eine Studie im Auftrag des Bundesfa-
milienministeriums aus diesem Jahr. Man kann sehr gut
erkennen, dass die Eigenwahrnehmung und die Lebens-
wirklichkeit viel facettenreicher sind, als wir es anneh-
men. Die Unterschiede zwischen dem, was die offizielle
Definition von Alleinerziehenden bedeutet, und dem,
was die Betroffenen selbst unter alleinerziehend verste-
hen, sind sehr groß.

Nach der amtlichen Statistik oder auch nach der poli-
tischen Definition ist man dann alleinerziehend, wenn
man ein Kind unter 18 Jahren erzieht und in einem
Haushalt ohne Ehe- oder Lebenspartner lebt. Die Haus-
haltssituation ist also maßgeblich bei der Definition von

Alleinerziehenden. Spricht man aber mit Alleinerziehen-
den selbst, dann kommt man zu ganz anderen Schlüssen.
Sie sehen weniger die Haushaltssituation als maßgebli-
chen Anknüpfungspunkt, sondern die Frage, wie die
Verantwortung verteilt ist oder ob sie allein für die Erzie-
hung ihres Kindes verantwortlich sind. So kann es zum
Beispiel sein, dass man sich als alleinerziehend ansieht,
obwohl man schon mit einem neuen Partner zusammen-
lebt. Umgekehrt kann es sein, dass man sich nicht als al-
leinerziehend ansieht, obwohl man mit keinem Partner
zusammenlebt. Das ist dann der Fall, wenn es funktio-
nierende Netzwerke, Freunde, Familie und ein Umfeld
gibt, das Unterstützung leistet. Dann fühlen sich die Be-
troffenen nämlich gerade nicht als alleinerziehend. Des-
wegen ist der Eindruck von der hilflosen Einsamkeit, der
sich immer aufdrängt, wenn man über Alleinerziehende
spricht, falsch und trifft auf die meisten nicht zu.

Kollegin Marks, ich habe mich darüber gefreut, dass
Sie am Anfang Ihrer Rede von Einerzieherfamilien ge-
sprochen haben.


(Caren Marks [SPD]: Einelternfamilien!)


– Einelternfamilien. Ich denke, da gibt es keinen großen
Unterschied. – Genauso unterschiedlich und facetten-
reich wie die Selbstwahrnehmung und die Lebenssitua-
tion ist auch die finanzielle Situation. Auch hier störe ich
mich daran, dass Sie von der SPD immer suggerieren,
dass erst einmal die SPD kommen müsse, damit Allein-
erziehende endlich anständig finanziell unterstützt wer-
den. Damit verkennen Sie erstens, dass nicht alle Allein-
erziehenden in prekären Situationen sind. Sie verkennen
zweitens, dass es für Alleinerziehende mit geringem
oder auch ohne eigenes Einkommen bereits ganz viele
Unterstützungsleistungen gibt. Vieles, was Sie mit Ihrem
Antrag fordern, gibt es bereits. Was Sie alles fordern,
hört sich zwar gut an und ist auch sehr umfangreich, aber
die Realität ist doch eine andere.

Sie verschweigen viele Dinge, etwa dass es das El-
terngeld für Alleinerziehende 14 Monate gibt statt
12 Monate. Sie verschweigen auch, dass wir gerade in
dieser Legislaturperiode den Unterhaltsvorschuss erhöht
haben. Auch das Bildungs- und Teilhabepaket haben Sie
verschwiegen, das gerade Familien mit geringem Ein-
kommen zugutekommt. Sie haben nicht nur komplett
verschwiegen, dass es bereits Unterstützungsnetzwerke
für Alleinerziehende gibt, sondern Sie fordern sie in Ih-
rem Antrag sogar noch. In meinem Wahlkreis gibt es
eine solche Initiative, ein Netzwerk für Alleinerzie-
hende. Genau das brauchen Alleinerziehende, nämlich
dass man bei der Koordination von Beruf und Familie
und bei der Gestaltung des Alltags hilft. Das leisten
diese Netzwerke. Dort wird eine hervorragende Arbeit
gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Alleinerziehende brauchen in erster Linie Rahmenbe-
dingungen, die es ihnen ermöglichen, ein möglichst un-
abhängiges und selbstständiges Leben zu führen. Dazu
gehört in erster Linie ein auskömmliches Einkommen,
also ein Job.


(Caren Marks [SPD]: Minijobs!)






Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


Eine Arbeitsstelle ist die beste Antwort auf Risiken, die
mit der alleinigen Erziehung eines Kindes auf das El-
ternteil zukommen.

Gerade wenn es um Arbeitsmöglichkeiten für Allein-
erziehende geht, ist ein Punkt besonders wichtig, der ein
Schwerpunkt der Familienpolitik in dieser Legislaturpe-
riode war, und zwar der Ausbau der Kinderbetreuung.
Insbesondere für Alleinerziehende ist es ungemein wich-
tig, dass sie ihr Kind gut betreut wissen, wenn sie einer
Arbeit nachgehen, und dass es flexible Öffnungszeiten
der Kitas gibt. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir
von Bundesseite zusätzlich 580 Millionen Euro in die
Hand nehmen, um zusätzlich 30 000 neue Kitaplätze zu
fördern. Sie wissen, das ist eigentlich Aufgabe der Län-
der und Kommunen. Wir haben bereits über 4 Milliarden
Euro investiert.


(Caren Marks [SPD]: Sie nicht! Das war die Große Koalition!)


Wie gesagt: Wir werden jetzt noch einmal 580 Millionen
Euro investieren. Da nimmt der Bund seine Verantwor-
tung wahr, und das ist gerade im Sinne der Alleinerzie-
henden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Um Alleinerziehenden wirklich zu helfen, müssen
keine großartigen Anträge geschrieben werden. Was Sie
direkt machen können, ist: Sprechen Sie mit den Regie-
rungen in den Ländern, in denen Ihre Parteifreunde Re-
gierungsverantwortung haben, damit der Ausbau der Ki-
tas und der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen
dort vorankommt. Damit können Sie Alleinerziehenden
ganz konkret helfen. Das empfehle ich Ihnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720208000

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720208100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte heute den Schwerpunkt meiner Rede auf den
Antrag der Linken legen, da die Zeit nicht reicht, um auf
alle Forderungspunkte der SPD einzugehen.

Der Unterhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation
von Alleinerziehenden und ihren Kindern verbessern,
wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unter-
haltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nach-
kommen kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit
unmittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute
und unterstützt alleinerziehende Elternteile vorüberge-
hend. – So heißt es sinngemäß in der Begründung des
von der Regierung eingebrachten Unterhaltsvorschuss-
entbürokratisierungsgesetzes, welches wir gestern hier
im Bundestag behandelt haben.

Die Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschuss-
gesetz ist eine besondere Hilfe für alleinerziehende El-
ternteile und ihre Kinder. Sie hilft den Alleinerziehenden,
wenn sie wegen des Ausfalls der Unterhaltszahlungen des
anderen Elternteils nicht selbst für die Betreuung und Er-
ziehung des Kindes sorgen können, sondern auch für den
ausfallenden Barunterhalt aufkommen müssen.

Alleinerziehende Elternteile und ihre Kinder sind in
dieser Lebenssituation besonders zu unterstützen.
… Deshalb … wird eine Erhöhung der Altersgrenze
um zwei Jahre geprüft.

Auch das ist ein Zitat, und zwar aus einer Antwort der
Bundesregierung vom 29. März 2010 – also fast drei
Jahre alt – auf eine Kleine Anfrage der Linken. Des Wei-
teren wird dort ausgeführt:

Eine Anhebung der Altersgrenze für UVG-Leistun-
gen auf die Vollendung des 18. Lebensjahrs … ent-
spräche nicht dem Sinn und Zweck … dieser Vor-
schrift. Die Unterhaltsleistung nach dem UVG hilft,
wenn die Kinder aufgrund ihres Alters eine beson-
ders intensive Fürsorge und persönliche Betreuung
durch den alleinerziehenden Elternteil brauchen.

Da erstaunt es schon, dass nach der Düsseldorfer Ta-
belle der Unterhalt für die Altersstufe von 0 bis 5 Jahren
am geringsten ist, dann für die Altersstufe von 6 bis
11 Jahren steigt und in der Altersklasse von 12 bis
17 Jahren nochmals um circa 20 Prozent erhöht wird.
Das heißt doch im Klartext, dass laut diesen Empfehlun-
gen die Bedarfe von Kindern steigen, unabhängig vom
Fürsorge- und Betreuungsbedarf. Frau Schröder – es ist
heute wieder einmal bezeichnend, wie sehr sie sich für
die Sache interessiert; Herr Kues, ich weiß, dass Sie sich
dafür interessieren, aber Ihre Ministerin wie immer nicht –
dreht sich halt die Welt, wie sie ihr gefällt.

Schon im Koalitionsvertrag steht unter der Über-
schrift „Unterhaltsvorschuss“ geschrieben:

Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahin
gehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbü-
rokratisiert und bis zur Vollendung des 14. Lebens-
jahres eines Kindes gewährt wird.


(Caren Marks [SPD]: So viel zur Theorie!)


Ich betone: „Wir werden“, nicht: wir wollen. Aus diesem
„Wir werden“ wurde dann ein Prüfauftrag, wie wir 2010
ja gehört haben. Warum wird das Versprechen nicht ein-
gelöst? Die FDP schreit hier immer: „Vertragstreue! Ver-
tragstreue! Koalitionsvertrag!“ Die wissen schon nicht
einmal mehr, wie der Einband aussieht.

Dieses Versprechen einzulösen, wäre ein Leichtes.
Stattdessen soll den Alleinerziehenden ein Monatsbei-
trag vom Unterhaltsvorschuss im Rahmen der Entbüro-
kratisierung abgezogen werden. Fünf Minuten Zeiter-
sparnis, wie es im Gesetzentwurf heißt – und dafür
verlieren Alleinerziehende einen Monatsbeitrag Unter-
halt. Das ist ein „Sieg“ auf ganzer Linie, wie auch immer
die Koalition dies bezeichnen mag. Und dafür klopfen
Sie sich gegenseitig auf die Schultern. Das ist schwarz-
gelbe Familienpolitik, wie sie im Buche steht.





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Das geschieht ja nicht das erste Mal. Das Ganze – das
regt mich als Lutheraner maßlos auf –


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wird von dieser Regierung selbst immer als „christlich-
liberal“ bezeichnet.


(Caren Marks [SPD]: Weder das eine noch das andere!)


Ich weiß nicht, wie oft diese Bezeichnung hier im Laufe
einer Woche fällt. Nach meinem Dafürhalten grenzt das
schon an Blasphemie.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Politik ist nicht christlich. Erklären Sie doch ein-
mal einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleiner-
ziehenden Vater, warum das Jugendamt ab dem 13. Le-
bensjahr den Barunterhalt einstellt. Braucht das Kind
kein Essen mehr? Braucht es keine Bücher, keine Klei-
dung, keine Teilhabe mehr? Erklären Sie das doch ein-
mal. Das versteht keiner.

Der Unterhaltsvorschuss ist zwingend auszubauen.
Das habe ich schon mehrfach gesagt. Das erste Mal habe
ich es 2006 gesagt – die Vorsitzende des Familienaus-
schusses wird sich vielleicht noch daran erinnern kön-
nen –, da waren Sie ja noch in der Opposition. Seit sechs
Jahren fordere ich also den Ausbau des Unterhaltsvor-
schusses.

Die maximale Bezugsdauer von sechs Jahren ist mit
nichts zu rechtfertigen, ebenso wenig die Altersober-
grenze von zwölf Jahren. Fragen Sie vor Ort doch ein-
mal die Familienrichter, die Rechtspfleger, die Anwälte,
die Jugendämter, die Jugendamtsmitarbeiter und vor al-
lem die Betroffenen. Wann kommt diese Regierung end-
lich in der Realität an?


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächstes Jahr!)


Kürzungen zulasten der Familien sind jedenfalls keine
Familienpolitik, wie sie die Familien brauchen, und
keine Familienpolitik, die von der Linken unterstützt
wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den Anträgen der SPD lässt sich konstatieren, dass
in dem Maßnahmepaket mit seinen umfangreichen For-
derungen viele gute Vorschläge enthalten sind, wie auch
in den bereits gestellten Anträgen der Linken und der
Grünen. Wir werden in den Beratungen – so hoffe ich
wirklich – fraktionsübergreifend zu einem guten Ergeb-
nis kommen, was den Familien in Gänze und insbeson-
dere den Alleinerziehenden endlich wirklich hilft.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720208200

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1720208300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das

Thema Alleinerziehende beschäftigt uns zum Ende die-
ser Sitzungswoche. Ich denke, es wäre gut, wir würden
es mehr in den Fokus stellen; denn es geht hier mittler-
weile um eine große Bevölkerungsgruppe.


(Caren Marks [SPD]: Es ist doch nicht mal die Familienministerin da!)


Insofern freue ich mich, die ich selber Kinder alleine
großgezogen habe, dass wir uns damit zumindest einmal
auseinandersetzen. Ich glaube, dieses wichtige Thema,
das die Veränderung unserer Gesellschaft betrifft, wird
in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren auf der
Tagesordnung stehen.

Die klassische Familienvorstellung von Vater, Mutter
und Kindern ist immer seltener Realität. Scheidungen
sind an der Tagesordnung. Familien brechen auseinan-
der, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind
oder nicht. Heute Morgen haben wir den Gesetzentwurf
zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander ver-
heirateter Eltern beraten. Da ist die Regierungskoalition
gut auf dem Weg. Wir kümmern uns durchaus um die Si-
tuation von Alleinerziehenden, gerade auch um die Si-
tuation der Kinder. Ich möchte das hier doch betonen,
weil es ein bisschen unterzugehen scheint: Heute Mor-
gen ist eine wirklich zentrale Reform im Familienrecht
auf den Weg gebracht worden. Väter sind in Zukunft
– das ist absehbar –, auch wenn sie nicht verheiratete
Väter sind, sorgeberechtigt und auch sorgeverpflichtet.

Ich glaube, da kommen wir zu einem Punkt, der beim
Thema Alleinerziehende zentral ist: In dem Wort „Al-
leinerziehende“ steckt etwas drin, was wir uns vielleicht
zu wenig bewusst machen, nämlich dass die Erziehung
in einem solchen Fall die Aufgabe von nur einem Eltern-
teil ist. Dazu gehören die tägliche Sorge, das Kümmern
und das Organisieren des Alltags ohne die Hilfe eines
Partners.

In der Regel sind es Frauen, die alleinerziehend sind,
auch wenn es zunehmend – das ist absolut zu begrüßen –
alleinerziehende Väter gibt. Die Situation ist häufig fi-
nanziell schwierig, weil die Väter oftmals keinen Unter-
halt zahlen. Das ist meiner Ansicht nach kein Kavaliers-
delikt. Das ist, wenn man es genau nimmt, sogar strafbar.


(Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP])


Aber in der Realität wird es hingenommen. Man stopft
die Löcher dann zum Beispiel mit dem Unterhaltsvor-
schuss. Das ist aber nur die zweitbeste Lösung. Die beste
Lösung wäre, die Väter würden sich kümmern.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Bernhard Schulte-Drüggelte [CDU/CSU])


Gerade in dieser Hinsicht – zumindest an dieser Stelle
gibt es Einvernehmen mit den Bundesländern – wollen





Sibylle Laurischk


(A) (C)



(D)(B)


wir den Unterhaltsvorschuss verbessern: Wir wollen die
Vorgehensweisen und die Verfahren entbürokratisieren.
Ich bin weiterhin hoffnungsvoll, dass wir eine Aufsto-
ckung des Unterhaltsvorschusses erreichen können; das
ist ein erklärtes Ziel. Aber man muss da Geduld haben.
Wir sind noch nicht am Ende der Diskussion; wir haben
die Gesetzesberatungen noch vor uns.

Alleinerziehende brauchen meiner Ansicht nach ganz
dringend bessere Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit. Da
ist nicht nur ein Ausbau der Kinderbetreuung notwendig
– das ist sicherlich ein zentrales Thema –; Alleinerzie-
hende brauchen auch bessere Ausbildungsmöglichkeiten
in der Wirtschaft. Es ist beispielsweise möglich, Halb-
tagsausbildungen anzubieten. Alleinerziehende brauchen
auch bessere Umschulungsmöglichkeiten. Gerade wenn
sie jung ein Kind bekommen haben und eventuell eine
Ausbildung oder ein Studium abbrechen mussten, ist die
wirtschaftliche Situation oftmals schwierig. Ich glaube,
auch in dieser Hinsicht ist noch einiges zu tun.

Ich freue mich auf die kommenden Debatten im Aus-
schuss.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720208400

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Katja Dörner das Wort.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720208500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Große Töne spucken, nichts dahinter:
So lässt sich die Politik der Bundesregierung auch mit
Blick auf Alleinerziehende charakterisieren; leider ist es
so. Im Koalitionsvertrag wurde so einiges angekündigt.
Aber in der an sich schon ziemlich mickrigen kinder-
und familienpolitischen Bilanz von Schwarz-Gelb fällt
auf, dass gerade die Umsetzung der Maßnahmen, die
sich auf die Lebenssituation der Alleinerziehenden un-
mittelbar positiv ausgewirkt hätten, nicht angegangen
wird.

Beispiel Unterhaltsvorschuss – das ist eben schon ge-
nannt worden –: Angekündigt wurde, den Unterhaltsvor-
schuss auszuweiten und bis zum 14. Lebensjahr eines
Kindes zu gewähren. Das ist eine wichtige und sinnvolle
Maßnahme. Es gab sogar schon einen Gesetzentwurf.
Die Umsetzung hat dann aber nicht stattgefunden; denn
plötzlich war kein Geld mehr da. Ich wage mal, zu sa-
gen: Das Geld wird jetzt wohl für das Betreuungsgeld
gebraucht. Das ist völlig unsinnig und absolut inakzep-
tabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Beispiel „Abzug von der Steuerschuld“. Selbstver-
ständlich wäre es im Interesse der Alleinerziehenden,
den bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrag in einen
Abzug von der Steuerschuld umzugestalten. Von dieser
Ankündigung im Koalitionsvertrag will aufseiten der
Regierungsfraktionen niemand mehr etwas wissen.

Für Alleinerziehende wichtige Maßnahmen werden
nicht umgesetzt. Dafür hat die Regierung flott an Stellen
gespart, die Alleinerziehende ganz besonders treffen,
beispielsweise durch die Anrechnung des Sockelbetra-
ges beim Elterngeld auf die Leistungen nach dem
ALG II. Klar ist: Unterstützung können Alleinerzie-
hende von dieser Regierung nicht erwarten.

Das wundert auch nicht, wenn man sich anschaut,
welches Bild Abgeordnete der Koalitionsfraktionen von
Alleinerziehenden haben.


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


„Alleinerziehende bevorzugt“ heißt eine Kolumne von
Norbert Geis,


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!)


die er im Februar 2010 in der Jungen Freiheit veröffent-
licht hat. Leider ist der Kollege, der seine exponierte
Meinung hier im Deutschen Bundestag immer wieder
sehr gerne darlegt, jetzt nicht hier.


(Florian Toncar [FDP]: Er ist auch nicht repräsentativ!)


In seiner Kolumne kritisiert er, der Staat gebe den Al-
leinerziehenden den Anreiz – Zitat –: „weder eine regu-
läre Arbeit anzunehmen noch eine neue Partnerschaft
einzugehen“. Er rechnet ganz genau aus, was eine Al-
leinerziehende den Staat kostet und kommt zu dem
Schluss – Zitat –: „Da fällt es schwer, dem Sinn und
Zweck der staatlichen Hilfe noch Vertrauen zu schen-
ken.“

Alleinerziehende werden aus Sicht von Herrn Geis
also so gepampert, dass sie sich begeistert in ihrem Le-
ben als Hartz-IV-Beziehende einrichten. Ich finde, das
ist eine Unverschämtheit


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Diskriminierung!)


angesichts der vielen Alleinerziehenden, die unter
schwierigsten Bedingungen den Lebensunterhalt für sich
und ihre Kinder verdienen, die mangels Kinderbetreu-
ung nicht berufstätig sein können oder in Teilzeit oder
gar in Minijobs arbeiten müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Beschämend ist das!)


Fakt ist, dass knapp zwei Drittel der Alleinerziehen-
den ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestrei-
ten. Über die Hälfte der Alleinerziehenden arbeitet Voll-
zeit. Damit liegt die Erwerbsquote deutlich höher als die
verheirateter Frauen. Trotzdem ist das Armutsrisiko von
Alleinerziehenden – zu 90 Prozent sind es bekanntlich
Frauen – besonders hoch. Fakt ist auch, dass das durch-
schnittliche Pro-Kopf-Einkommen in einem Haushalt
mit Kindern unter drei Jahren bei etwa 1 230 Euro liegt;
eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind unter drei
Jahren kommt gerade einmal auf rund 750 Euro, also
rund ein Drittel weniger. Das besagt der UNICEF-
Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland.





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


Alleinerziehende sind häufig gesundheitlich beson-
ders belastet. Der Anteil alleinerziehender Mütter, die
von ihren Krankenkassen zu Mutter-Kind-Kuren ge-
schickt werden, liegt mit 34 Prozent deutlich über der In-
anspruchnahme solcher Kuren durch Mütter, die in einer
Partnerschaft leben. Auch das muss uns doch deutlich
machen, dass Alleinerziehende bessere Rahmenbedin-
gungen brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diffamierung von Alleinerziehenden ist also völlig
fehl am Platz. Es ist absolut notwendig, Alleinerzie-
hende besser zu unterstützen. Hierzu gehört nicht nur die
Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, es gehört der be-
darfsgerechte Kitaausbau dazu mit Öffnungszeiten, die
sich am Bedarf der Eltern orientieren. Wir brauchen ge-
setzliche Regelungen, die Eltern mehr Mitsprache bei
Umfang und Einteilung ihrer Arbeitszeiten ermöglichen,
auch hiervon würden insbesondere Alleinerziehende
profitieren.

Wir brauchen eine Kinder- und Familienförderung,
die endlich mit dem unbegreiflichen Zustand Schluss
macht, dass die Familien, die sowieso ein hohes Ein-
kommen haben, über die Freibeträge besonders von der
staatlichen Förderung profitieren, während Familien im
ALG-II-Bezug in die Röhre gucken. Wir Grüne finden:
Eine Kindergrundsicherung wäre ein wichtiger und rich-
tiger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, von dieser Bundes-
regierung ist leider bei alldem nichts zu erwarten. Es ist
absolut bitter, dass Alleinerziehende bei Ihnen, bei
Schwarz-Gelb, keine Lobby haben. Wenn wir 2013 hier
eine andere Regierungsmehrheit bilden, dann wird das
ein Ende haben. Das können wir versprechen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Oh, dann wird es den Familien aber gut gehen!)


– Genau.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720208600

Der Kollege Frank Heinrich hat für die Unionsfrak-

tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1720208700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ich halte es für ein Gerücht, dass die
Alleinerziehenden bei uns keine Lobby haben. Ich sage
das nur, um diesen Vorwurf einmal kurz aufzunehmen.

Wir hören hier immer wieder und stimmen an dieser
Stelle auch überein, dass Politik immer mit dem Be-
trachten der Wirklichkeit beginnt. Ich bin froh über die

ersten beiden Rednerinnen, weil sowohl von Ihnen, Frau
Marks, als auch von meiner Kollegin Schön herausgear-
beitet worden ist, dass es Respekt ist, den wir denjenigen
entgegenbringen, die aus unterschiedlichen Gründen al-
leinerziehend sein müssen.

Zwei Drittel aller Alleinerziehenden in Deutschland
sind erwerbstätig. Das hat mich sehr überrascht, als ich
mich damit noch einmal neu auseinandergesetzt habe.
Ja, Sie haben recht: Eine der Ursachen für Ihren Antrag
ist, dass fehlende oder nicht ausreichende Erwerbstätig-
keit einer der Gründe ist, warum die Hilfequote in die-
sem Bereich so hoch ist, ganz ohne Frage. Das ist die
eine Seite. Auf der anderen Seite sind relativ viele Al-
leinerziehende tatsächlich beschäftigt, wovor ich den
Hut ziehe. Da liegt ein Berg von Arbeit vor uns. Sie ha-
ben angeboten, in den Ausschüssen dann auch wirklich
konstruktiv zusammenzuarbeiten, und da sind wir ganz
Ohr.

Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt – aus Ar-
beitslosigkeit und SGB-II-Bezug in diesem Fall – hat
sich allerdings in den letzten Jahren verbessert. Ja, das
hat auch mit der konjunkturellen Entwicklung zu tun, die
wiederum allerdings mit den politischen Rahmenbedin-
gungen zu tun hat: Schwarz-Gelb in den letzten drei Jah-
ren, vorher in der Großen Koalition.

Seit 2008 geht die Zahl der Bedarfsgemeinschaften
von Alleinerziehenden in diesem Bereich tatsächlich zu-
rück. Ich hatte hier die Worte „allmählich zurück“ ste-
hen. Ja, das ist auch kritisch zu verstehen; diese Zahl ist
immer noch viel zu hoch. Aber es wird ja schon eine
ganze Menge gemacht. Zur Darstellung der Realität ge-
hört auch – eine entsprechende Bemerkung fiel vorhin
schon einmal –, dass Sie eine Menge von den Dingen,
die tatsächlich bereits unterwegs sind und schon passie-
ren, in Ihrem Antrag verschweigen. Vieles von dem, was
Sie in Ihren Anträgen an Aufträgen beschreiben, gibt es
schon.

So hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les in die Zielvereinbarung aufgenommen, dass die Inte-
grationsquote Alleinerziehender einen besonderen Stel-
lenwert hat. Das heißt, da ist erkannt worden, dass da ein
Mangel ist, dass da ein Problemfeld besteht, und dies hat
eine hohe Priorität bekommen. Neu ist, dass sich die
Bundesagentur in der Zielvereinbarung für dieses Jahr
auf die Steigerung der Integrationsquote dieser Perso-
nengruppe verpflichtet hat. Ja, es ist nachdenkenswert,
dass das fortgeschrieben wird.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)


Zu nennen ist, dass seit 2010/11 die „Erschließung
von Beschäftigungschancen für Alleinerziehende“ ein
geschäftspolitischer Schwerpunkt der Bundesagentur ist.
Das steht auch in Ihrem Antrag, Sie gehen darauf ein;
das verschweigen Sie nicht.

Ihr Antrag besagt außerdem, dass die Förderung von
Alleinerziehenden aus Mitteln des SGB II auch ihrem
Anteil an den Arbeitslosen im SGB II entspricht; also





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)


keine explizite Benachteiligung der Personengruppe,
keine Unterrepräsentierung.

Ferner wurden seit 1. Januar letzten Jahres Beauf-
tragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt gesetzlich
eingeführt, die zum einen bei Gleichstellungsfragen un-
terstützen und beraten sollen, zum anderen aber auch zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wobei der beson-
dere Fokus auf der Situation von Alleinerziehenden
liegt. Diese Beauftragten sind bei der Erarbeitung von
örtlichen Arbeitsmarkt- und Integrationsprogrammen
beteiligt bzw. sollen beteiligt werden. Das ist ihr Auf-
trag. Ich denke, sie sorgen bei der Ausübung dieser Auf-
gabe auch dafür, dass die Gleichstellung in den Köpfen
der Mitarbeiter der Jobcenter tatsächlich präsent ist.

Das ist die erste Forderung Ihres Antrags; das ist et-
was, was eingeführt und jetzt schon mehr als anderthalb
Jahre unterwegs ist. Dann kann man prüfen, ob das in
den einzelnen Ämtern tatsächlich passiert. Aber es ist
bereits beauftragt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Bundesministerium flankiert verstärkte Aktivie-
rungs- und Integrationsbemühungen insbesondere durch
zwei ESF-finanzierte Bundesprogramme. In dem Pro-
gramm „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ gibt es
77 Projekte, die angeschoben wurden, um ganz beson-
ders Erwerbs- und Verdienstchancen zu erhöhen und so-
mit dieser Personengruppe danach ein Leben unabhän-
gig von staatlichen Leistungen zu ermöglichen.

Dazu zählt auch das Netzwerk, das vorhin von einem
Kollegen genannt wurde. Die „Netzwerke wirksamer
Hilfen für Alleinerziehende“ gibt es seit April letzten
Jahres; die Laufzeit reicht bis Mitte nächsten Jahres. Das
Programm umfasst Mittel in Höhe von 25 Millionen
Euro. Dieses Förderprogramm zielt darauf, effektive
Verknüpfungen von Unterstützungsangeboten und die
dauerhafte Verbesserung der Kooperationsstrukturen vor
Ort zu ermöglichen


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)


mit dem Ziel, herauszufinden, mit welchen Projekten in
welchen Netzwerken am besten gearbeitet wird, um sol-
che Ansätze dann in die Regelorganisation insbesondere
der Jobcenter zu überführen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720208800

Kollege Heinrich, gestatten Sie eine Frage?


Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1720208900

Einen kleinen Moment! Ich möchte zuvor gern noch

mit diesem Punkt zu Ende kommen.

Die Arbeitgeberansprache nimmt 2012 und 2013 eine
zentrale Rolle unter dem Dach der Fachkräfteoffensive
ein. Die Teilkampagne „Beschäftigungschancen für Al-
leinerziehende erschließen“ ist dafür ein Beispiel und
wird dort besonders genannt. Das Ziel ist eine möglichst
hohe Quote der Vermittlung von Alleinerziehenden in
Arbeits- und Ausbildungsstellen. Meine Erfahrung in

Chemnitz ist – ich habe die beiden letztgenannten Pro-
jekte bei mir vor Ort besucht –, dass diese Projekte tat-
sächlich Fuß fassen und wahrgenommen werden.

Die Zwischenfrage könnte jetzt gestellt werden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720209000

Dann ist jetzt eine Frage oder eine Bemerkung nach

unserer Geschäftsordnung möglich.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720209100


Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben ja
sehr richtig erklärt, dass die Armut bei alleinerziehenden
Elternteilen – natürlich zu 80 Prozent Frauen – am bes-
ten durch die Integration in den ersten Arbeitsmarkt be-
seitigt werden könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass
Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass als Vorausset-
zung dazu die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ge-
schaffen werden muss. Sie erinnern sich sicher – es ist ja
nicht lange her – an die gestrige Diskussion um das un-
sägliche Betreuungsgeld – Geld, das ja nicht dazu da
sein soll, Kindergartenplätze auszubauen. Dieser Ausbau
scheitert daran, dass die Kommunen kein Geld haben,
Erzieherinnen zu bezahlen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Frage! – Gegenruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Geschäftsordnung!)


und dass die Kommunen nicht genügend Erzieherinnen
ausbilden können, weil dafür die finanziellen Möglich-
keiten nicht vorhanden sind.

Können Sie mir zustimmen, dass die Netzwerke zur
Betreuung der Alleinerziehenden oder auch die Mittel,
die man für das Betreuungsgeld ausgibt, sicherlich bes-
ser in der Ausbildung von Erzieherinnen aufgehoben
wären, um die Voraussetzung zu schaffen, dass Allein-
erziehende sich auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt
bewerben können?


Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1720209200

Danke, Frau Kollegin. – Ich kann Ihnen in der Folge-

rung dessen, was Sie in dieser Frage implizieren, nicht
folgen, dass nämlich das Betreuungsgeld und die Ausbil-
dung von Erzieherinnen gegeneinander ausgespielt wer-
den. Die Frage allerdings, ob die Förderung und die Aus-
bildung von zum Beispiel Erzieherinnen tatsächlich eine
höhere Priorität haben soll, kann ich klar mit Ja beant-
worten. Das ist aber nicht nur ein Regelungsbedarf in der
Bundespolitik, sondern da sind tatsächlich die Netz-
werkstrukturen vor Ort und damit auch die Kommunen
und die Bundesländer mit verantwortlich. Aber dass sich
dies gegen das Betreuungsgeld ausspielen ließe, diese
Verbindung sehe ich nicht; ich würde sie auch klar ver-
neinen.

Ich komme nun zu den Forderungen Ihres Antrags. In
der siebten und achten Forderung geht es um die Flexibi-
lisierung der Kinderbetreuung und den Zusammenhang
von Kinderbetreuung und Arbeitsplatz. Sie stellen in Ih-
rem Antrag einen zwingenden Zusammenhang her. Ei-
nen solchen Zusammenhang gibt es tatsächlich an vielen





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)


Stellen; aber man kann auch genau das Gegenteil bele-
gen. In einer Stadt, die nicht weit von meiner Stadt
Chemnitz entfernt ist, in Gera, ist man zwar bei der Kita-
ausstattung ganz vorne in der Statistik – das bezieht sich
auch auf Ihre Frage von eben –, aber es gibt trotzdem
eine überdurchschnittliche Anzahl arbeitsloser Allein-
erziehender. Dies ist also nicht direkt miteinander ver-
knüpft. Hier spielen also sehr viel mehr Faktoren als nur
diese beiden mit.

Für definitiv richtig halte ich die Forderung nach ei-
ner Flexibilisierung der Kinderbetreuung, die allerdings
nicht nur eine politische Angelegenheit ist, sondern die
die gesellschaftlichen Kräfte eher als uns hier im Bun-
destag betrifft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Pascal Kober [FDP])


Ja, ich unterstütze, dass es nachdenkenswert ist, die
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auch mehr im Be-
reich Teilzeit anzuwenden, aber ich sage Nein, wenn Sie
das von Ihnen immer wieder genannte Allheilmittel „ge-
setzlicher Mindestlohn“ in Ihrer neunten Forderung
ansprechen. Es ist aber nicht ein generelles Nein; Sie
kennen unsere Haltung dazu: branchenspezifisch und
ausgehandelt im freien Spiel der Kräfte bei der Entwick-
lung von Tarifen. Da sind wir ja unterwegs. Flächen-
deckende Mindestlöhne bewirken vielmehr, dass Ge-
ringqualifizierte mit ihren Familien dauerhaft vom
Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.

Zum Schluss ein grundsätzlicher Gedanke, um viel-
leicht in moralischer Hinsicht den Faden aufzunehmen:
Das Klima in Gesellschaft und Beruf ist leider immer
noch nicht überall so positiv, was den Umgang mit Kin-
dern angeht, wie das in Ihrem Antrag unterstellt wird.
Das spüren nicht nur Alleinerziehende. Selten finden vor
allem Frauen durchgehend Unterstützung bei Arbeitge-
bern und Arbeitskollegen. Mein Plädoyer: Nicht nur der
Gesetzgeber muss das Problem stärker in den Fokus neh-
men und handeln, sondern alle gesellschaftlichen Kräfte,
die da sind: Familien, Betriebe, Gewerkschaften, Kir-
chen, Vereine und am Schluss auch wir als Politik. Des-
halb gehen wir auch mit Ihren Gedanken und Vorschlä-
gen in die Debatte in den Ausschüssen und hoffen auf
eine konstruktive Auseinandersetzung, die Sie, Frau
Marks, angekündigt haben.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720209300

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1720209400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich immer
weniger Frauen in unserer Gesellschaft für Kinder ent-
scheiden. Das Risiko, in Armut zu fallen, ist für Mütter
enorm hoch. Ganz besonders betroffen sind Frauen in

Einelternfamilien. Bei ihnen ist das Risiko fünfmal hö-
her als bei Frauen, die einen Partner haben.

Schauen wir uns einmal an, wie viele alleinerziehende
Frauen sehr schnell in Langzeitarbeitslosigkeit, also in
den Hartz-IV-Bezug, fallen: Von den alleinerziehenden
Frauen mit einem Kind sind es vier von zehn. Haben sie
mehrere Kinder, dann sind es schon acht von zehn. Diese
Zahlen müssen uns alarmieren. Das ist eine gesellschaft-
liche Ungerechtigkeit, die wir unbedingt bekämpfen
müssen. Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Heinrich und Frau Kollegin Schön, die-
ser Antrag ist auch dringend nötig. Wenn alles so toll, so
gut und in Ordnung wäre, wie Sie es beschrieben haben,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat niemand gemacht!)


dann hätten wir diese katastrophalen Zahlen nicht. Wir
brauchen Maßnahmen, damit sich in unserer Gesell-
schaft etwas ändert, damit Alleinerziehende eine starke
Lobby in unserem Land haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wie sieht die Wirklichkeit für alleinerziehende
Frauen in unserer Gesellschaft aus? Sie üben häufig eine
prekäre Beschäftigung aus, wenn sie überhaupt Arbeit
haben. Sie verdienen weniger, sind öfter befristet be-
schäftigt und arbeiten, obwohl die Quote der vollzeitbe-
schäftigten Mütter unter den Alleinerziehenden beson-
ders hoch ist, häufiger unfreiwillig Teilzeit als Mütter
aus Paarhaushalten.

Nun müssen wir schauen: Was tun die Bundesagentur
für Arbeit und die Jobcenter, um diese Situation zu ver-
bessern? Fakt ist: Jahrelang wurde dort für Alleinerzie-
hende auf Sparflamme gekocht. Sie mussten zugunsten
Arbeitsloser und Arbeitsuchender, die leichter zu vermit-
teln sind, hinten anstehen. Das belegt eine Studie, die
das Bundesministerium für Arbeit auf unsere Initiative
hin in Auftrag gegeben hatte. Unser damaliger Arbeits-
minister Olaf Scholz hat diese Benachteiligung aufge-
griffen und zum Thema gemacht.

2010 klingelte es dann auch bei der Ministerin von
der Leyen. Die Förderung von Alleinerziehenden ist seit
2010 einer von sechs Geschäftsschwerpunkten der Bun-
desagentur für Arbeit. Das ist ein guter Schritt in die
richtige Richtung. Immer mehr Alleinerziehende sitzen
nun in Maßnahmen der BA und der Jobcenter. Eine neue
Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung der BA sagt, dies erhöhe die ansonsten sehr nied-
rige Chance auf sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung enorm. Das ist ein hoffnungsvolles Ergebnis.

Tatsache ist aber auch: Noch immer werden anteils-
mäßig zu wenig Alleinerziehende überhaupt gefördert.
Leider belegt die Studie auch: Die Chance, aus Hartz IV
heraus innerhalb der nächsten anderthalb Jahre eine be-
darfsdeckende sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung zu finden, liegt bei Müttern aktuell bei unter 8 Pro-
zent. Das muss man sich einmal vorstellen.





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


Es bedarf also noch sehr großer Anstrengungen, um
Frauen gerechte Chancen einzuräumen. Solche Anstren-
gungen müssen dann aber auch unternommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit dies gelingt, müssen BA und Jobcenter die
richtigen Instrumente und vor allem das nötige Geld für
Maßnahmen bekommen. Was aber machen Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Na?)


Was macht Ihre Arbeitsministerin? Sie dampfen die
dringend benötigten Gelder für eine erfolgreiche Ar-
beitsvermittlung rigoros zusammen. Sie weiten die Mi-
nijobs aus und rauben damit gerade Alleinerziehenden
Möglichkeiten, in reguläre Beschäftigung zu kommen.
Sie führen ein Betreuungsgeld ein, das Alleinerziehende
in ihren beruflichen Perspektiven massiv benachteiligen
wird. Diesen Ungerechtigkeiten muss ein Riegel vorge-
schoben werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, nehmen Sie die Wirklichkeit von Alleinerziehen-
den endlich wahr und richten Sie die Arbeitsmarktpolitik
darauf aus! Denn hier liegt einiges im Argen. Nur zwei
Beispiele dazu: Geforderte Arbeits- und Wegzeiten sind
für arbeitslose Alleinerziehende oft viel zu lang. Gehen
Alleinerziehende eine neue Partnerschaft ein und grün-
den einen gemeinsamen Haushalt, ist der neue Partner
sogar für die Kinder sofort einstandsverpflichtet. Paare
ohne Kinder haben ein Jahr Zeit, sich zu beschnuppern.
Das ist eine hanebüchene Ungleichbehandlung mit fata-
ler Konsequenz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Alleinerziehende im Leistungsbezug bleiben meist al-
leinerziehend. Das dürfen wir nicht länger zulassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern deshalb in unserem Antrag: Gleichstel-
lungspolitik im SGB II endlich gesetzlich verankern!
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und das Nachholen
von Schulabschlüssen in Teilzeit anbieten! Fördermaß-
nahmen auch für Mütter in Elternzeit! Flexible Kinder-
betreuung sicherstellen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verstößt gegen
Grundwerte unserer Demokratie, dass Frauen benachtei-
ligt und vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, nur
weil sie ihre Kinder allein betreuen und großziehen müs-
sen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720209500

Kollegin Hiller-Ohm, das Minus vor der Zeitangabe

zeigt Ihnen, dass Ihre Redezeit bereits entsprechend
überschritten ist.


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1720209600

Ich komme zum Schluss. – Wir können uns so etwas

auch überhaupt nicht leisten, wenn wir wollen, dass un-
ser Land wettbewerbsfähig bleibt. Wir brauchen Fach-
kräfte. Wir brauchen diese tollen, hochmotivierten
Frauen. Setzen Sie sich endlich für Alleinerziehende ein!
Diese brauchen eine starke Lobby.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720209700

Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1720209800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Wunderlich, Sie haben sich hier in der Debatte als
bekennender Lutheraner gezeigt. Das finde ich gut.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, das mache ich ständig!)


Dann wissen Sie aber auch, dass die Heilige Schrift da-
vor warnt, dass Propheten auftreten werden, die falsche
Wunder und Zeichen versprechen.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die sehe ich hier überall sitzen! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/ CSU]: Es war nicht von Schreihälsen die Rede, sondern von Propheten, Herr Kollege!)


Herr Wunderlich, wenn ich mir Ihre Politik und die
Anträge, die Sie Woche für Woche in den Deutschen
Bundestag einbringen, anschaue, dann muss ich sagen:
Sie versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken,
als könne Politik Manna vom Himmel regnen lassen. Als
Lutheraner sollten Sie aber wissen, dass das den Men-
schen und der Politik nicht möglich und Gott selbst vor-
behalten ist.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein!)


Deshalb sollten Sie sich hier lieber mit realistischer Poli-
tik auseinandersetzen und den Menschen nicht Sand in
die Augen streuen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt ist aber gut, Herr Kober! Sie versprechen den Menschen den Himmel, weil Sie sagen: Selig sind die Armen! Bergpredigt! Wir können gern eine theologische Diskussion machen!)


Lieber Herr Wunderlich, zu dieser realistischen Poli-
tik gehört es auch, dass die Integration von Menschen in
den Arbeitsmarkt eine schwierige Aufgabe ist. Aber
kaum eine Regierung – vor allen Dingen nicht in den
letzten Jahrzehnten – war bei der Aufgabe, Menschen in
den Arbeitsmarkt zu integrieren, so erfolgreich wie diese





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


Regierungskoalition. Das betrifft ausdrücklich auch Al-
leinerziehende im SGB-II-Bezug. Frank Heinrich hat
schon darauf hingewiesen. In den Jahren dieser Regie-
rungskoalition ist es gelungen, über 200 000 Alleinerzie-
henden in die Erwerbstätigkeit zu verhelfen.

Das ist für jeden Einzelnen, für jede Einzelne ein Rie-
senerfolg. Darüber sollten wir uns zunächst einmal ge-
meinsam freuen. Dass dieser Schritt vielen noch nicht
gelungen ist und darüber hinaus weiterer Unterstüt-
zungsbedarf besteht, will hier niemand bestreiten. Aber
wir können keine Wunder versprechen, sondern wir
müssen realistisch Politik machen.

Zu dieser realistischen Politik gehört, dass sich die
Regierungskoalition – Frank Heinrich hat schon darauf
hingewiesen – mit einzelnen und klugen Programmen
dieser Aufgabe stellt. „Gute Arbeit für Alleinerzie-
hende“ ist ein solches Programm, das wir mit insgesamt
60 Millionen Euro fördern. Frank Heinrich hat auf die
25 Millionen Euro hingewiesen, mit denen das Pro-
gramm „Netzwerke wirksamer Hilfen für Alleinerzie-
hende“ unterlegt ist.

Am Ende – das wissen wir alle – ist das Hauptprob-
lem für Alleinerziehende, dass es an Kinderbetreuung
fehlt.


(Heidrun Dittrich [DIE LINKE]: Genau!)


An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen, muss man auch ein-
mal darauf hinweisen, dass der Bund hier in den vergan-
genen Jahren in Vorleistung getreten ist.


(Caren Marks [SPD]: Dafür hat die SPD gesorgt!)


Er hat seine Aufgaben erfüllt, wenn es um den Ausbau
von Kinderbetreuung geht. Viele Bundesländer – auch
SPD-regierte Länder – rufen die zur Verfügung gestell-
ten Mittel jedoch nicht in dem Maße ab, wie es möglich
wäre. Trotzdem steht diese Regierungskoalition auch
weiterhin zum Ausbau von Kinderbetreuung. Wir wer-
den den Ausbau von Kinderbetreuung ab dem Jahr 2014
mit 845 Millionen Euro weiter fördern.


(Caren Marks [SPD]: Das hat die SPD in der Großen Koalition durchgesetzt! Alles andere wäre Vertragsbruch!)


Das sind Riesenleistungen, die diese Gesellschaft er-
bringt. Ich glaube, dass die Alleinerziehenden in dieser
Regierungskoalition einen guten Anwalt haben.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh! Das grenzt an Selbstanzeige! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Heiterkeit bei der Opposition!)


Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720209900

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/11032, 17/11038 und 17/11142 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Klaus
Ernst, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauen-
häusern sicherstellen

– Drucksachen 17/243, 17/2070 Buchstabe b –

Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker 
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Nicole Bracht-Bendt 
Cornelia Möhring 
Monika Lazar

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Kollegin Winkelmeier-Becker für
die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1720210000

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Mit meiner zweiten Rede kann ich anschließen an
die erste Rede, die ich heute gehalten habe. Auch hier
geht es wieder um den besonderen Blickwinkel auf die
Situation von Frauen, diesmal von Frauen in einer be-
sonderen Lage, nämlich in einer Gefahren- und Notsi-
tuation, in der sie schnell Hilfe brauchen, weil sie zu
Hause einen massiven und gewaltträchtigen Konflikt ha-
ben, in der Regel mit dem Partner.

Die Aspekte, die wir vorhin in der Debatte angespro-
chen haben, spielen auch hier eine Rolle: Die eigene so-
ziale Sicherheit, der eigene Status, die eigene Sicherheit
– auch die Selbstsicherheit – der Frauen sind häufig,
auch in der Entstehungsgeschichte eines solchen Kon-
flikts, mit von Bedeutung. Auch in der Situation der
Hilfsbedürftigkeit macht es einen Unterschied, ob man
auf eine eigene Absicherung zurückgreifen kann oder
nicht.

Bei den Themen, die wir schon behandelt haben, kann
man, wenn man so will, den einen oder anderen Stand-
punkt kontrovers diskutieren. Bei dem Thema „Gewalt
gegen Frauen“ gibt es ganz klar den gemeinsamen





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


Standpunkt, dass das ein No-Go ist und wir da ein wirk-
sames Hilfesystem entgegensetzen müssen.

Dieses Hilfesystem ist in Deutschland sehr vielfältig
gewachsen in der Zuständigkeit der Länder und Kom-
munen. Da wird bereits jetzt sehr fachkundige, enga-
gierte und auch wirkungsvolle Hilfe geleistet.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterfinanziert!)


Trotzdem ist klar – das ist der Befund –, dass der Bedarf
an niedrigschwelliger und erreichbarer Hilfe noch nicht
gedeckt ist.

Wir haben deshalb in dieser Legislaturperiode zwei
Dinge auf den Weg gebracht, um das System gezielt zu
verbessern. Zum einen haben wir für Frauen in Notsitua-
tionen eine Helpline organisiert, ein Telefonangebot, das
rund um die Uhr, 24 Stunden, niedrigschwellig und
schnell zu erreichen ist.

Am anderen Ende dieser Helpline sitzen qualifizierte,
gut ausgebildete Beraterinnen mit mehrsprachigem An-
gebot – denn es richtet sich ja auch an Frauen mit unter-
schiedlichem Sprachhintergrund –, die dann beraten
können, was in der jeweiligen Situation schnell an Hilfe
verfügbar und erreichbar ist. Das ist ein ganz wichtiges
Hilfsangebot, um die verschiedenen Dinge zu koordinie-
ren und die Frau wirklich dorthin zu lotsen, wo ihr ge-
holfen werden kann. Voraussetzung ist natürlich, dass es
ein Angebot gibt.

Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob das An-
gebot reicht. Das ist der zweite Punkt, den wir im Koali-
tionsvertrag festgeschrieben hatten, nämlich zunächst
einmal eine gesicherte Faktenbasis über das zu schaffen,
was denn in Deutschland in den verschiedenen Regionen
bisher schon besteht und wo Defizite sind.

Wir haben über 350 Frauenhäuser plus weitere
Schutzwohnungen, die zusammen 6 000 Plätze bieten.
Insgesamt werden diese 6 000 Plätze pro Jahr von etwa
15 000 bis 17 000 Frauen und ihren Kindern, zusammen
etwa 34 000 Personen, in Anspruch genommen. Dazu
kommen 750 Fachberatungsstellen mit verschiedenen
Arbeitsschwerpunkten, Migration, sexueller Missbrauch
usw. Da sind verschiedene Themen von besonderer Be-
deutung.

Dieser Bericht konstatiert allerdings auch Zugangs-
schwierigkeiten. 9 000 Frauen werden bei der Einrich-
tung, bei der sie zunächst anklopfen, abgewiesen und
müssen weitervermittelt werden, wenn es denn über-
haupt gelingt, etwas Angemessenes für sie zu finden.

Klar ist also, dass weiterer Bedarf besteht, dass Defi-
zite ausgemerzt werden müssen. Da stellen sich – wie
immer – zwei Fragen. Das eine ist die Frage: Was soll
passieren, und wie wird es finanziert? Die zweite Frage
ist: Wer ist zuständig, wer soll es machen?

Die Linken schlagen in ihrem Antrag vor, das alles
auf der Bundesebene zu machen und ein Bundesgesetz
zur Regelung der Finanzierung der Frauenhäuser zu
schaffen. Wir haben aber – ich sagte es eingangs – eine

historisch gewachsene Situation, was die Kommunen
und die Länder angeht. Diese haben sich auf der gemein-
samen Frauenministerkonferenz im Jahre 2010 auch fes-
ten Willens gezeigt, diese Aufgabe weiter wahrzuneh-
men. Wir haben konstatiert, dass sie diese Aufgabe sehr
ernst nehmen. Sie haben sich auch den Bericht angese-
hen und werden jetzt schauen, was für sie daraus für
Schlüsse zu ziehen sind. Daher dürfte es auch unter ver-
fassungsrechtlichen Gesichtspunkten sehr schwierig
sein, zu sagen: Nein, Länder, ihr macht das alles nicht
gut genug. Der Bund ist zuständig.

Ich sehe auch nicht, dass sich die Hoffnung, die Sie
damit verbinden, erfüllt, nämlich dass der Bund so etwas
per se alles besser machen würde. Wenn der Bund die
Länder aus dieser Aufgabe entlässt, heißt das ja zunächst
auch, dass die Länder das Geld, das sie da bisher hinein-
stecken, nicht mehr für diese Aufgabe zur Verfügung
stellen würden. Es müsste also der Bund all das substitu-
ieren, was die Länder jetzt tun, und er müsste dann, da-
mit sich vielleicht die Erwartung erfüllt, dass es besser
wird, noch etwas obendrauf legen. Es ist zunächst sehr
zweifelhaft, ob das passiert.

Ich sehe, wie gesagt, auch nicht per se einen Vorteil
darin, die Zuständigkeitsebene zu ändern. Die Länder
sind durchaus in der Lage, da, wo es sinnvoll und not-
wendig ist, zu kooperieren. Das haben sie gerade bei ih-
rem Plan gezeigt, die Abiturprüfungen über die Länder
hinweg in eigener Zuständigkeit besser zu koordinieren,
weil da durchaus ein Bedarf gesehen wird. Das können
sie auch bei anderen Aufgaben machen, sodass sich
nicht unbedingt die Notwendigkeit ergibt, den Bund in
die Aufgabe eintreten zu lassen und damit die Länder
aus der Aufgabe herauszudrängen.

Das heißt nicht, dass der Bund sich damit automatisch
aus dem ganzen Thema verabschiedet. Der Bund hat
durchaus eigene Möglichkeiten, die Situation der betrof-
fenen Frauen zu verbessern. Viele beziehen Leistungen
nach SGB II oder SGB XII. Genau in diesem Rege-
lungsbereich sind Probleme ausgemacht, zum Beispiel
wenn es um die Situation von Studentinnen, von Mi-
grantinnen geht oder wenn es auch nur darum geht, die
Bewilligungszeiten zu verkürzen, damit die Frau nicht
schon wieder aus dem Frauenhaus weg ist, bevor der be-
willigende Bescheid kommt.

Ich würde vorschlagen, wir machen da, wo wir mit
Sicherheit zuständig sind, unsere Hausaufgaben und ent-
lassen die Länder nicht aus der Pflicht, sondern sorgen
dafür, dass auch sie weiterhin für die gemeinsame Auf-
gabe zuständig sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720210100

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Marlene

Rupprecht das Wort.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1720210200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe 20 Jahre lang ein Frauenhaus geführt. Nur ganz
nebenbei: ehrenamtlich, ohne Einkünfte.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eigentlich habe ich gedacht, wir könnten uns heute
dem widmen, was die Frauenhäuser derzeit wirklich be-
lastet. Ich habe noch einmal nachgeguckt. Als wir beim
letzten Mal darüber beraten haben, habe ich in meiner
Rede gesagt: Hinsichtlich der Finanzierung sind wir
noch immer am Anfang, wenn es darum geht, die Exis-
tenz der Frauenhäuser abzusichern.

Ich kann wirklich nur sagen: Es ist unerträglich, dass
wir so lang dafür brauchen! Wir schaffen es, in Sommer-
pausen Sondersitzungen durchzuführen und aus dem
Stand über Nacht etwas zu machen, aber wir schaffen
das nicht, wenn es um die Daseinsvorsorge von überwie-
gend Frauen und Kindern geht, die von Gewalt betroffen
sind. Dahinter steckt doch System. Sonst würden wir et-
was tun. So sehe ich das zumindest.

Es gehört ganz eindeutig zur Daseinsvorsorge nach
dem Grundgesetz, dass wir all das vorhalten, was Men-
schen brauchen, um menschenwürdig am Leben teilha-
ben zu können, und zwar ohne bedroht oder von Gewalt
betroffen zu sein. Wenn wir das so annehmen, dann
muss man im zweiten Schritt sagen: Die Daseinsvor-
sorge – hier gebe ich Ihnen recht, Frau Winkelmeier-
Becker – ist überwiegend Aufgabe der Kommune. Das
gehört ganz selbstverständlich dazu. Jeder würde sich
wehren, wenn die Kommune das nicht machen würde.

Zu ihren Aufgabengebieten gehören: Straßen, Wasser,
Abwasser, Müllabfuhr und Licht. All das gehört dazu. Es
sind übrigens fast alles männliche Gewerke, die hier ver-
geben werden. Deshalb wird das gemacht. Kein Mann
würde auf die Idee kommen, ehrenamtlich Gräben aus-
zuheben, damit man endlich einen Abfluss bekommt.
Niemand käme auf diese Idee.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frauen sagen aber: Wir können es nicht mehr mit an-
sehen, dass Frauen und deren Kinder von Gewalt betrof-
fen sind, also tun wir etwas dagegen. Wir opfern unsere
Freizeit und schauen, dass wir sie rund um die Uhr ver-
sorgen, das heißt, sieben Tage die Woche 24 Stunden
lang einen Dienst vorhalten.

Das tun alle bei uns. Ich musste einmal meinem Vor-
stand berichten, dass alle Mitarbeiterinnen bis auf eine,
die Urlaub hatte, krank sind. Wir standen also ohne Mit-
arbeiterinnen dar. Wissen Sie, was die Rechtsanwältin-
nen, Bankerinnen und Stadträtinnen, die alle einmal im
Vorstand waren, getan haben? Sie haben in ihre Tasche
gegriffen, den Kalender herausgeholt, ihn aufgeschlagen
und gesagt: Da könnte ich in der Firma eine Stunde
freinehmen; da komme ich. Am nächsten Tag nehme ich
halt einen halben Tag Urlaub und komme. – Das hätte
ich gerne in einem Männergremium erleben mögen. Die

hätten gesagt: Ja, gut, dann müssen wir überlegen, ob
wir jemanden einstellen. Wer macht es denn? Bilden wir
vielleicht eine Arbeitsgruppe.

Ich erzähle das bewusst deshalb, weil wir hier so zö-
gerlich verfahren, wenn es um die Finanzierung geht.

Ich bin der Ansicht, dass wir uns endlich daransetzen
müssen. Der Bund hat die ganz wichtige Aufgabe, zu sa-
gen: Es darf nicht wie ein Flickenteppich aussehen und
vom Engagement einzelner Beteiligter abhängen, ob ein
Haus gesichert ist oder nicht. Deshalb hat der Bund die
Verpflichtung, die Rahmenvereinbarungen mit denen zu
treffen, die mit zuständig sind; da gebe ich Ihnen recht.
Wir dürfen die Länder nicht außen vor lassen – aber
auch die Kommunen nicht. Sie müssen sehen: Es ist ihre
Aufgabe, dass sie in ihrem Gebiet etwas vorhalten.

Den Rahmen müssen wir aber setzen. Wir müssen uns
darauf verständigen, nicht über Tagessätze zu finanzie-
ren. Wenn Telefonberatung und Nachsorge angeboten
werden: Wo wollen Sie das denn im Einzelnen abrech-
nen? Soll ich die Frau fragen, wo ihr Konto ist, von dem
ich abbuchen kann? Das kann ich doch nicht. Das alles
muss mit vorgehalten werden.

Deshalb muss es eine bundeseinheitliche institutio-
nelle Förderung geben, die so ausgestaltet werden muss,
dass nicht die ganze Arbeitskraft damit gebunden wird,
das Geld abzusichern. Das ist der erste wichtige Punkt,
den wir angehen müssen.

Der zweite Punkt. Wir müssen damit beginnen, hier
zu sagen, was wir Frauen gemacht haben und was noch
gemacht werden muss. Wir haben ein relativ vielfältiges
Angebot. Ein gutes Beispiel dafür ist die Hotline für
Frauen. Das wird uns auch im Europarat bestätigt.
Gleichzeitig heißt es dort: Ihr müsst viele Frauen abwei-
sen, weil nicht genügend Plätze da sind. – Im Raum
Köln/Bonn mussten weit über 2 000 Frauen im Jahr ab-
gewiesen werden, weil kein Platz mehr vorhanden war.
Diese Frauen kommen nirgendwo anders unter. Das
heißt, sie gehen entweder in eine Notschlafstelle, oder
sie müssen bei Verwandten auf der Luftmatratze auf dem
Boden schlafen, wenn sie der Gewalt entfliehen wollen.

Das kann es nicht sein. Also müssen wir auch da se-
hen: Wie viele Plätze brauchen wir für wie viele Frauen
in den einzelnen Kommunen in unserer Republik? Dass
das der Bund nicht macht, weiß ich. Aber er muss die
Rahmenbedingungen setzen und dafür sorgen, dass alle
an einem Tisch zusammenkommen – wir finden auf an-
deren Gebieten immer einen Weg, alle zusammenzubrin-
gen – und darüber reden, wie wir diese Lücke schließen.

In dem Bericht über die Situation von Frauenhäusern
sind im Wesentlichen all diese Punkte enthalten. Es wird
nicht kooperiert, die Frauenhäuser sind nicht miteinan-
der vernetzt. Wir haben riesige Probleme, wenn Frauen
aus Sachsen nach Bayern gehen oder Frauen aus Bayern
nach Rheinland-Pfalz reisen, weil für die Aufnahme die-
ser Frauen kein Ausgleich vorgesehen ist. Das heißt, es
ist den Häusern überlassen, wie sie das finanzieren.

Weiterhin haben wir inzwischen einen hohen Migran-
tinnenanteil aus den EU-Staaten. Diese dürfen einreisen





Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)


– das ist im EU-Gebiet natürlich erlaubt –, aber sie ha-
ben keinen Rechtsanspruch auf irgendeine Sozialleis-
tung. Ein konkreter Fall aus dem von mir geleiteten
Frauenhaus: Eine Migrantin wird nach Deutschland ge-
holt, wo ihr die Heirat versprochen wird. Sie wird zur
Prostitution gezwungen und so misshandelt, dass sie die
Polizei bei mir abliefert. Soll ich ihr dann sagen: „Damit
Sie hier unterkommen und für Ihre Unterkunft zahlen
können, gehen Sie weiter der Prostitution nach“? Überall
lässt man sie abtropfen. Wie schizophren müssen die
Menschen sein, die sich eine solche Regelung überle-
gen? Das, finde ich, ist unwürdig für ein Land, das sonst
bei der Suche nach Lösungen immer phantasievoll ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb kann ich eigentlich den Linken-Antrag, so,
wie er ist, begrüßen, auch wenn er mir nicht weit genug
geht. Ich hätte noch viel mehr aufgenommen; das findet
sich in unserem Antrag. Wenn wir eine umfassende Re-
form machen – diese müssen wir machen –, dann müs-
sen wir wirklich alles bedenken, dann müssen die Fach-
männer und Fachfrauen am Tisch zusammenkommen
und sagen: So sieht es aus.

Das Gutachten liegt jetzt vor. Das wird noch Gegen-
stand einer Anhörung werden. Deswegen bedauere ich
es, dass heute die Linken ihren Antrag nicht zurückgezo-
gen haben. Die Grünen und wir haben unseren Antrag
zurückgezogen, weil wir gesagt haben: Wir machen An-
fang Dezember eine gemeinsame Anhörung zum Bericht
und zum Rechtsgutachten. Dann bündeln wir unsere
Kräfte. Stattdessen beraten wir heute und machen eine
Schlussabstimmung. Ich bedauere, dass ein einzelner
Antrag herausgenommen worden ist. Aber so ist es jetzt.

Ich kann Ihnen sagen: Die Inhalte teile ich. Sie sind
mir nicht weitgehend genug. Ich hätte weitere Forderun-
gen aufgestellt. Aber wenn nicht wenigstens wir Frauen
und die vernünftigen Männer, die wir auch haben, zu-
sammenstehen, um eine Lösung zu finden, dann, würde
ich sagen, bekommen wir das auch in 50 Jahren nicht
hin, wenn ich schon längst am Krückstock gehe. Ich will
dann nicht sagen müssen: Haben wir das immer noch
nicht gelöst?

Ich bitte darum, diese Sache noch in dieser Legisla-
turperiode zu Ende zu bringen, damit an dieser Front
endlich Ruhe ist und damit die, die in diesen Häusern be-
schäftigt sind, ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen und
wir Öffentlichkeitsarbeit machen können: gegen Gewalt
in der Familie und im sozialen Nahraum. Das wünsche
i
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1720210300
Packen wir es an!

Danke.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720210400

Die Kollegin Sibylle Laurischk hat für die FDP-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1720210500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das

Thema Frauenhausfinanzierung beschäftigt uns heute.
Wir haben einen Bericht vorgelegt bekommen, der, wie
gerade schon gesagt wurde, noch in einer Anhörung be-
raten werden wird. Insofern wird mit dem vorliegenden
Antrag eigentlich der zweite vor dem ersten Schritt ge-
macht. Dennoch will ich nicht verkennen: Das Problem
der Finanzierung von Frauenhäusern beschäftigt uns
ernsthaft, und zwar nicht erst in dieser Legislaturperiode.
Wir hatten schon in der letzten Legislaturperiode eine
Anhörung zu diesem Thema. Damals war die Mehrheit
der Gutachter der Auffassung: Die Finanzierung von
Frauenhäusern ist ausschließlich Aufgabe der Länder. –
Deswegen gibt es einen Flickenteppich von Finanzie-
rungsmodellen. Da die Länder zuständig sind, sind die
Aufstellung der Finanzierung der Frauenhäuser und die
Situation in den Frauenhäusern je nach Finanzkraft des
Landes unterschiedlich.

Das Thema, um das es geht, ist überall – bundesweit
und weit über Deutschlands Grenzen hinaus – das glei-
che, nämlich die Situation von Frauen in Not bzw. von
Frauen mit Kindern, die von Gewalt bedroht sind. Wer
schon einmal ehrenamtlich für ein Frauenhaus gearbeitet
hat, der weiß, wie die Situation dort ist. Oftmals werden
Frauen unter schwerster Traumatisierung stehend dort-
hin gebracht. Mittlerweile wird es auch und gerade von
der Polizei immer wieder als große Hilfe betrachtet, dass
Opfern von Gewalt in der akuten Situation in einem
Frauenhaus Hilfe und Schutz gewährt werden kann.
Schutz ist das, was ein Frauenhaus bietet: Schutz vor
weiteren Übergriffen, die Möglichkeit zum Aussteigen
aus einer permanenten Gewaltsituation, Schutz vor stän-
digen Schlägen, vor Alkoholexzessen oder was auch im-
mer. Diese Situationen bekommen auch die Kinder mit,
die oftmals mindestens genauso traumatisiert sind wie
ihre Mütter.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Oh ja!)


An dieser Debatte hat mich erstaunt, dass bisher nie-
mand darauf hingewiesen hat, dass es mittlerweile das
Gewaltschutzgesetz gibt; in Baden-Württemberg bei-
spielsweise ist es seinerzeit sehr stark auf Betreiben der
FDP auf den Weg gebracht worden. Das Gewaltschutz-
gesetz sorgt dafür, dass zumindest bei häuslicher Gewalt
derjenige, der gewalttätig ist, also in vielen Fällen – den
leider viel zu vielen Fällen – der Vater, Ehemann oder
Partner der Frau, gehen muss. Derjenige, der gewalttätig
ist, muss also gehen. Mittlerweile gibt es eine recht klare
Rechtsprechung, die zumindest dies sicherstellt.

Die Situation in den Frauenhäusern hat sich verscho-
ben. Mittlerweile sind die große Anzahl der Betroffenen
Migrantinnen, also Frauen, die nicht so schnell Rechtsrat
einholen oder die Möglichkeiten des Gewaltschutzgeset-
zes in Anspruch nehmen können. Gerade für diese
Frauen wäre es allerdings umso dringlicher – gerade
weil sie in vielen Fällen keine familiäre Rückendeckung





Sibylle Laurischk


(A) (C)



(D)(B)


haben und weil sie Verständigungsschwierigkeiten ha-
ben –, diese ganz unmittelbare Schutzsituation in An-
spruch nehmen zu können. Das müssen wir ernst neh-
men; denn strukturell dürfen wir Gewalt, egal in
welchem Zusammenhang, nicht dulden.

Ich denke, es ist dringend notwendig, ernsthaft über
den Frauenhausbericht zu diskutieren. Wir werden das
im Rahmen einer entsprechenden Anhörung im Aus-
schuss sicherlich tun, und zwar, wie ich hoffe, konsen-
sual. Dieses Thema ist meiner Ansicht nach nämlich
nicht geeignet, parteipolitische Profilierungsversuche zu
unternehmen, sondern es ist wirklich ernst zu nehmen.

Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich
mir eine möglichst einheitliche Finanzierung von Frau-
enhäusern wünsche. Nur: Die Tendenz der Länder, sich
von ihren Aufgaben, sofern sie Geld kosten, zu ver-
abschieden und zu sagen: „Das kann doch der Bund ma-
chen“, wie es beispielsweise beim Betreuungsgeld ge-
schieht, lehne ich ab. Auch da wird versucht, eine
Aufgabe der Länder, die in manchen Bundesländern nor-
miert ist, dem Bund zuzuschieben. Insofern hängen die
Dinge miteinander zusammen, und wir müssen die Si-
tuation auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht klären.

Die derzeitige Bewertung ist auch im vorliegenden
Gutachten nicht so eindeutig, dass man sagen kann: Der
Bund ist zuständig. – Ich glaube, dass hier noch einiger
Klärungsbedarf besteht. Die noch offenen Fragen sind
meiner Ansicht nach in einer vorgezogenen Debatte
nicht sauber und abschließend zu beantworten. Damit
sollten wir uns bei der weiteren Facharbeit im Ausschuss
befassen. Ich freue mich auf eine engagierte und hoffent-
lich zum Konsens führende Debatte.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720210600

Die Kollegin Yvonne Ploetz spricht nun für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720210700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Ich habe heute Nacht richtig gut geschlafen!“: Wenn
ein zehnjähriger Junge, der mit seiner Mutter in ein
Frauenhaus geflohen ist, so etwas sagt, dann ist das
keine Selbstverständlichkeit. Ein Kind, das mit ansehen
muss, wie die Mutter zu Hause verprügelt und gedemü-
tigt wird, kann nachts nicht mehr richtig schlafen. In sol-
chen Notsituationen sind Frauenhäuser oftmals die ein-
zige Schutzeinrichtung, in die Frau und Kind fliehen
können. Oftmals passiert das in Nacht-und-Nebel-Aktio-
nen. Die Frauen werden dann von einer Frauenhausmit-
arbeiterin aufgenommen, beraten und beschützt. Sie hat
einen großen Anteil daran, dass ein zehnjähriger Junge
wieder schlafen kann.

Ich glaube, man kommt unweigerlich zu dem Schluss
– das geht sicherlich uns allen so –, dass Frauenhäuser
absolut notwendig sind und es ein Desaster ist, wenn an

allen Ecken und Enden Geld fehlt. Schutz können sie
aber nur dann bieten, wenn die Plätze ausreichen. 2011
– wir haben es schon gehört – mussten 9 000 Frauen ab-
gewiesen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns kurz
vor, wir wären die Mitarbeiterin eines Frauenhauses und
müssten eine misshandelte Frau abweisen. Das ist die
reinste Katastrophe, sowohl für die Frauenhausmitarbei-
terin als auch für die schutzsuchende Frau. Deshalb
streiten wir heute wieder dafür, dass jeder Frau zeitnah
24 Stunden täglich Schutz gewährt werden kann und
muss, und zwar in allen Lebenslagen.

Das heißt, Frauen und Kinder mit Behinderungen
brauchen barrierefreien Zugang. Schwangere Frauen
brauchen Zugang zu Ärzten und Hebammen. Frauen und
Kinder, die kaum Deutsch sprechen, müssen Übersetze-
rinnen zur Seite gestellt bekommen, damit sie sich ver-
ständlich machen können. Überall fehlen Therapeuten
und Therapeutinnen für traumatisierte Kinder. Auch sie
müssen sich in vielen verschiedenen Sprachen verständ-
lich machen können.

Ich glaube, wir sind uns einig: Wenn hier Hilfe hilf-
reich sein will, dann muss sie differenzieren. Das kostet
aber Geld, das wir zur Verfügung stellen müssen.

In nicht wenigen Fällen – auch das haben wir schon
gehört – wird die Finanzierung eines Frauenhausplatzes
über sogenannte Tagessätze direkt an die Frauen weiter-
gegeben. Viele Länder und Kommunen finanzieren ihr
Frauenhaus auf diese Weise. Das bedeutet, dass zum
Beispiel eine Frau, die erwerbslos und auf staatliche
Hilfe angewiesen ist, Gelder aus dem SGB II oder
SGB XII beantragen muss, die eigentlich für eine Wie-
dereingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung ste-
hen.

Ich glaube, das ist ein unhaltbarer Zustand. Mir liegen
auch Briefe vor, in denen mir zum Beispiel Ursula von
der Leyen recht gibt.

Was machen Frauen, die keinen Cent in der Tasche
haben und keine staatliche Unterstützung bekommen?
Studentinnen, Auszubildende, Schülerinnen, Frauen mit
ungeklärtem Aufenthaltsstatus oder auch Frauen, die
aufgrund der häuslichen Situation nicht an ihr Geld he-
rankommen, können sich den Schutz nicht leisten. Ich
will aber noch einmal daran erinnern: Wir haben den
grundgesetzlichen Auftrag, uns für den Schutz von Leib
und Leben einzusetzen. Ich glaube, wir sind uns darin ei-
nig: Darum müssen wir uns zusammen kümmern.

Es ist höchste Zeit für eine ausreichende bundesein-
heitliche Finanzierung der Frauenhäuser. Jeder Frau in
Not muss geholfen werden. Das kann aber nur passieren,
wenn die Frauenhäuser nicht selbst um ihre Existenz
kämpfen müssen. Es ist schließlich schon vorgekom-
men, dass Frauenhäuser ihre Türen schließen mussten.
Das wird in Zeiten der Schuldenbremse keine Seltenheit
bleiben. Hier haben wir eine Aufgabe.

Ich komme noch kurz zum Bericht zur Lage der Frau-
enhäuser. Darin ist noch ein anderer Aspekt enthalten,
nämlich die Arbeitssituation von Frauenhausmitarbeite-





Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)


rinnen. Der Lagebericht beschreibt die Situation als
„Selbstausbeutung“. Ich glaube, das haben wir heute
schon beispielhaft erlebt. Hier muss jeder und jede hell-
hörig werden und bitte aufhören, auf die Zuständigkeit
von Ländern und Kommunen zu pochen. Ich denke, wir
sollten uns auch als Bund darum kümmern, und zwar
nicht für mich oder die Linke, sondern für die Kinder
und Frauen, die Schutz brauchen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720210800

Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720210900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zu Beginn dieser Wahlperiode haben alle Oppositions-
fraktionen Anträge zur Finanzierung der Frauenhäuser
im Parlament eingebracht. Von der Bundesregierung war
zu hören, dass sie erst einmal die Ergebnisse des Be-
richts abwarten will.

Der Bericht liegt nun endlich vor – zwei Jahre verspä-
tet. Der Zeit des Wartens ist jetzt leider die Zeit des
Schweigens gefolgt. Von der Ministerin hat man seitdem
nichts gehört. Es kann nicht sein, dass da bis jetzt nichts
passiert ist.

Aber ich habe den Eindruck, das ist nicht der einzige
Bericht, der in den Regalen der Ministerin verstaubt. Mit
dem Bundesgleichstellungsbericht scheint es sehr ähn-
lich zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich zitiere aus dem Bericht der Bundesregierung:

Das Unterstützungsangebot ist mehrheitlich unterfi-
nanziert. Das Volumen an Personal/Arbeitszeit
reicht oft nicht aus, um spezifische Aufgabenberei-
che in gewünschter Qualität umzusetzen.

An anderer Stelle heißt es:

Die Finanzierung der Einrichtungen ist uneinheit-
lich, abhängig von der Politik auf Landesebene und
in den Städten und Landkreisen.

Weiter liest man:

Nicht nur unterscheidet sich die Politik der Bundes-
länder, auch kommunal existieren unterschiedliche
Praxen nebeneinander.

Ich glaube, wir haben alle schon von diesen Proble-
men gehört.

Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauen-
häuser bringt es in ihrer Stellungnahme zu diesem Be-
richt auf den Punkt:

Dieser Zustand ist kein vorübergehender, sondern
ein seit Jahrzehnten chronischer.

In der Schlussfolgerung der Bundesregierung wird je-
doch keine grundsätzliche Neuregelung angedacht. Da-
bei ist die Situation eigentlich in fast allen Bundeslän-
dern dramatisch.

Aus meinem Heimatland Sachsen weiß ich, dass die
Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern bis an ihre Gren-
zen gehen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Fälle wer-
den immer schwieriger. Immer mehr Frauen kommen
mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen in die
Einrichtungen.

Doch die Finanzierung ihrer Arbeit ist immer nur sehr
begrenzt gesichert; denn dies gehört zu den freiwilligen
Aufgaben der Kommunen.

Bei Ausstattung und Personal für die Frauenschutz-
häuser und -wohnungen rangiert Sachsen bundesweit
weit hinten. Hier darf der Bund nicht wegsehen, sondern
muss auch seine Unterstützung zusichern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Hilfetelefongesetz wurde vorhin schon angespro-
chen. Dies ist ein richtiger Schritt. Im Übrigen haben wir
dieses Gesetz im Bundestag einstimmig verabschiedet.
Allerdings weisen die in diesem Zusammenhang vorge-
legten Informationen immer noch Lücken auf. In meinen
Reden habe ich häufig darauf hingewiesen, dass es nicht
sein kann, dass wir das Hilfetelefon zwar haben, wenn
sich die Frauen dann aber an die Einrichtungen wenden
wollen, stehen sie quasi vor verschlossenen Türen oder
werden abgewiesen, wie wir es vorhin schon gehört ha-
ben.

Im Zentrum unserer Überlegungen muss die Unter-
stützung und der Schutz von Gewaltbetroffenen stehen.
Sowohl bei der Ausgestaltung als auch bei der Finanzie-
rung des Unterstützungsnetzwerkes sehen wir immer
noch sehr deutliche Mängel. Unser Ziel muss sein, jeder
Frau, egal ob sie in der Stadt oder im ländlichen Raum
lebt, einen zeitnahen und niedrigschwelligen Zugang zu
Hilfe zu ermöglichen, dies aber nicht erst dann, wenn es
bereits zu spät ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern wenden
vielerorts aufgrund der unsicheren Finanzierung viel
Zeit auf, um Projektanträge zu schreiben und Dokumen-
tationen zu erstellen, statt die Zeit für die wichtige Ar-
beit mit den Frauen aufzuwenden.

Besorgniserregend ist auch, dass die personellen Res-
sourcen für den Kinderbereich in den Frauenhäusern viel
zu gering sind, was auch in dem Bericht sehr deutlich
angesprochen wird.

Wir Grünen werden bei der Beratung unseres Vor-
schlags unsere Landtagsfraktionen und auch die Gutach-
ten einbeziehen, die es über den Bundesbericht hinaus
gibt. Dies ist beispielsweise das Gutachten des Bundes-
verbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe so-
wie das Gutachten des Bündnisses der Wohlfahrtsver-
bände. Ich hoffe, dass die Anhörung im Dezember im
Bundestag noch weitere Möglichkeiten aufzeigen wird.
Kollegin Rupprecht hat es schon angesprochen. SPD





Monika Lazar


(A) (C)



(D)(B)


und Grüne lassen ihren Antrag noch im Verfahren, weil
wir es durchaus richtig finden, erst das gesamte Verfah-
ren abzuwarten.

Ich glaube, wir sind uns hier alle einig: Wir wollen et-
was erreichen. Wir sollten die verbleibenden Monate in
dieser Wahlperiode nutzen, für von Gewalt betroffene
Frauen eine Lösung zu finden, die diese Bezeichnung
auch wirklich verdient.

In diesem Sinne appelliere ich sehr herzlich an Sie, an
die Frauen zu denken, die das betrifft. Helfen wir ihnen
endlich ausreichend.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720211000

Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es war hier in Berlin, als 1976 die Geschichte
der Frauenhäuser für von Gewalt betroffene Frauen be-
gann. Damals wurden die ersten Frauenhäuser gegrün-
det, damals noch als Modellprojekte. Ein Jahr später
wurden die ersten Beratungsstellen für vergewaltigte
Frauen eingerichtet. Es folgten Hilfseinrichtungen für
Mädchen. Heute verfügt Deutschland über ein doch
recht dichtes Netz an Hilfsangeboten und Unterstüt-
zungseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen.
Insgesamt gibt es im Bundesgebiet 353 Frauenhäuser,
davon die meisten in Städten und Ballungszentren.
Langfristiger Schutz wird Frauen auch gewährt durch
etwa 40 Wohnungen, die teilweise an Frauenhäuser oder
Beratungseinrichtungen angegliedert sind. Insgesamt
stehen damit über 6 000 Plätze zur Verfügung. Jährlich
suchen etwa 15 000 bis 17 000 Frauen und ihre Kinder
in diesen Frauenhäusern und Wohnungen Zuflucht.
Insgesamt sind es etwa 30 000 bis 34 000 Personen,
30 000 bis 34 000 Frauen und Kinder, die unter Gewalt
in ihrer eigenen Familie, Gewalt oft vonseiten des eige-
nen Partners, leiden, Frauen und Kinder, denen Schlim-
mes widerfahren ist. Frau Rupprecht hat das vorhin sehr
eindringlich geschildert. Für über 30 000 Menschen sind
die Frauenhäuser der einzig sichere Platz.

Das Schlimme ist: Diese Zahlen spiegeln längst nicht
das tatsächliche Ausmaß der Gewalt gegen Frauen wi-
der. Das tatsächliche Ausmaß ist wesentlich höher; denn
nach wie vor gibt es eine Hemmschwelle, solche Schutz-
einrichtungen aufzusuchen. Es erfordert sehr viel Mut,
diese Hemmschwelle zu überwinden. Gerade Frauen aus
religiös-konservativen und von Männern dominierten
Kulturkreisen fällt es besonders schwer, diesen Schritt
zu tun. Daher ist es wichtig, dass wir uns nicht nur heute,
sondern generell mit dem Thema Frauenhäuser im Bun-
destag beschäftigen. Die Kollegen haben es schon ange-
sprochen: Wir wollen im Dezember mit den Betroffenen,

mit den Verantwortlichen der Frauenhäuser sprechen
und eine Anhörung durchführen. Danach wollen wir ent-
scheiden, was zu tun ist. Obwohl Sie, liebe Kollegen von
der Linken, das wissen, legen Sie schon heute einen An-
trag vor. Ich finde, das ist eine Missachtung der Ge-
sprächspartner. Ich schließe mich hier der Kritik der
Kollegen an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Kollegin Winkelmeier-Becker hat beschrieben, wie
vielfältig die Thematik und Problematik ist und dass es
keine einfachen Lösungen gibt. Frau Kollegin Ploetz,
Sie haben wortwörtlich gesagt: Wir brauchen einfach
mehr Geld.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Mehr Geld brauchen wir auf alle Fälle!)


So einfach ist es nicht. Es gibt rechtliche Bedenken, dass
der Bund sich für alle Frauenhäuser zuständig erklärt
und deren Finanzierung übernimmt. Deshalb müssen wir
uns ausführlich im Ausschuss damit beschäftigen und
Lösungen finden, die tragfähig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn wir über Gewalt gegen Frauen und über Frau-
enhäuser diskutieren, dann müssen wir den Bogen etwas
weiter spannen. Dann müssen wir auch über andere
Hilfsangebote reden. Dann müssen wir generell darüber
reden, wie die gesellschaftliche Diskussion geführt wird.
Wir müssen uns fragen, warum in den Medien der Fokus
immer noch allzu oft auf den Tätern liegt und nicht mehr
auf den Opfern. Wir müssen uns fragen, wie wir als Ge-
sellschaft mit diesem Thema umgehen und ob wir es
nicht immer noch zu sehr tabuisieren. Ich bin froh, dass
sich in den letzten Jahren vieles getan hat, nicht zuletzt
in den Sicherheitsinstitutionen. Die Kompetenz der Poli-
zei und insbesondere der Bundespolizei sowie der Justiz
beim Thema häusliche Gewalt hat sich durch umfas-
sende Schulungsmaßnahmen erhöht. In meinem Heimat-
land, dem Saarland, gehört das Thema häusliche Gewalt
zur polizeilichen Grundausbildung. Das sind wichtige
Fortschritte. Damit hilft man Frauen.

Wir haben das Hilfstelefon auf den Weg gebracht; das
ist schon mehrfach gesagt worden. Trotz knapper Kassen
haben wir mehrere Millionen Euro bereitgestellt, um
dieses neue Angebot zu ermöglichen. Hier können Hilfe-
suchende kostenlos rund um die Uhr und in mehreren
Sprache Hilfe bekommen. Keine Frau muss Bedenken
haben, dass sie wegen dieses Hilfegesuchs zusätzliche
Repressionen erleidet; denn es ist anonym und vertrau-
lich. Auch das ist ein wichtiger Schritt.

Frau Lazar, Sie haben gesagt, ein Manko des Hilfe-
telefons sei, dass nicht ausreichend Plätze zur Verfügung
stehen würden. Das Telefon soll gerade klären, wo
Plätze zur Verfügung stehen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist klar! Aber die Strukturen müssen vorhanden sein!)


Wir schließen damit eine Lücke im Hilfsangebot.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


In dieser Legislaturperiode haben wir – das ist beim
Thema Gewalt gegen Frauen ebenfalls ein sehr wichtiger
Punkt – die Zwangsheirat zu einem eigenständigen
Straftatbestand im Strafgesetzbuch gemacht. Hier wird
erstmals die Nötigung zur Einigung erfasst. Die Antrags-
frist zur Aufhebung der Ehe wird verlängert. Die betrof-
fenen Frauen können nun leichter die Ehe wieder auflö-
sen. Auch das ist eine sehr wichtige Maßnahme, die die
schwarz-gelbe Koalition in den letzten drei Jahren be-
schlossen hat.

All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur ei-
nige Punkte, an denen wir versuchen, die wichtige Ar-
beit der Frauenhäuser durch Hilfsangebote zu unterstüt-
zen, zu ergänzen und zu begleiten. Ich freue mich auf die
Anhörung der Expertinnen und Experten im Ausschuss
und wünsche mir eine gute Diskussion.

Zum Schluss möchte ich mich bei allen bedanken, die
sich ehrenamtlich oder hauptberuflich für Frauen, aber
auch für Männer – es muss einmal gesagt werden, dass
auch Männer unter häuslicher Gewalt leiden – in den
Hilfs- und Beratungsstellen, in den Frauenhäusern sowie
im gesellschaftlichen wie persönlichen Umfeld einset-
zen. Herzlichen Dank für dieses Engagement!

Ich denke, damit können wir ins Wochenende starten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720211100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Bundeseinheitliche Finanzierung
von Frauenhäusern sicherstellen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2070, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/243 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge-
gen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 7. November 2012, 13 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute, auch für das bevorste-
hende Wochenende.