Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen ei-
nen guten Morgen und uns einen erfolgreichen Tag.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung um die Beratung eines Antrags zu erwei-
tern, nämlich um die Beratung des Antrags der FDP-
Fraktion „Keine deutsche Beteiligung an MEADS“ auf
der Drucksache 15/5336. Dafür soll der Tagesordnungs-
punkt 23 in Verbindung mit Zusatzpunkt 12 abgesetzt
werden.
Außerdem sollen die Anträge betreffend die Nutzung
der Kyritz-Ruppiner Heide auf den Drucksachen 15/4792,
15/4956 und 15/5047 nachträglich dem Ausschuss für
Wirtschaft und Arbeit sowie dem Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zur Mit-
beratung überwiesen werden.
Darf ich Ihr Einverständnis mit den gerade vorgetra-
genen Veränderungen feststellen? – Das sieht so aus.
Dann bedanke ich mich dafür herzlich. Es fängt gut an.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 17 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Frie-
densmission der Vereinten Nationen in Sudan
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Redet
UNMIS auf
Grundlage der Resolution 1590 des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
24. März 2005
– Drucksachen 15/5265, 15/5343 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Dr. Andreas Schockenhoff
Fritz Kuhn
Dr. Werner Hoyer
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/5367 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
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16222 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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Die Umsetzung des Friedensabkommens wird in ho-hem Maße davon abhängen, wie die Unterstützung derinternationalen Gemeinschaft gelingt. Von der Präsenzeiner internationalen Friedenstruppe erhoffen wir unsinsbesondere eine positive Wirkung auf die im Sudanbestehenden anderen Konflikte.Wir diskutieren heute über die Entsendung deutscherSoldatinnen und Soldaten in den Südsudan, nicht aber– das unterstreiche ich ausdrücklich – nach Darfur. Al-lerdings vergessen wir auch die Menschen in Darfur, dieunter einer schrecklichen Situation, einer schrecklichenBedrohung und schrecklicher Gewalt leiden müssen,heute Morgen nicht.
Von einem erfolgreichen Friedensprozess im Süd-sudan kann eine positive Wirkung auf den Konflikt inDarfur ausgehen. Ich erinnere daran, dass die Bundesre-gierung ihr Engagement im Sudan angesichts der drama-tischen Situation in Darfur erheblich ausgeweitet hat undsich immer wieder für eine Beendigung des Darfurkon-flikts und anderer schwelender Konflikte einsetzt.
Insbesondere hat sie die in Darfur tätige Überwachungs-mission der Afrikanischen Union, AMIS, finanziell,politisch und materiell sowie im Dezember 2004 durcheinen von der Bundeswehr durchgeführten Transportgambischer Soldaten nach Darfur unterstützt.Auch die Aufgabe von UNMIS ist es, Beratungs- undUnterstützungsleistungen für AMIS zu erbringen, umdie Koordinierung zwischen beiden Missionen zu er-leichtern. Der Generalsekretär der Vereinten Nationenwird mit der Resolution aufgefordert, bis zum 23. Aprildieses Jahres zu berichten, auf welche Weise dies ge-schehen kann. Operative Einsätze von UNMIS in Darfursind nicht vorgesehen. Ich halte es für ausgesprochenklug, dass diese Verbindung durch die Resolution derVereinten Nationen und den Antrag der Bundesregierunghergestellt wird. Das macht einerseits deutlich, dass wirden Friedensvertrag für den Südsudan unterstützen undzum Erfolg führen wollen, und andererseits, dass wir imRahmen von AMIS die Anstrengungen der Afrikani-schen Union unterstützen, im Darfurkonflikt selbst Ver-antwortung zu übernehmen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem heuti-en Beschluss senden wir bis zu 75 Soldatinnen und Sol-aten, vor allem als Militärbeobachter, in den Einsatz imudan. Das tun wir in der Hoffnung, dadurch einen Bei-rag zu leisten, den Friedensvertrag abzusichern und mit-uhelfen, dass für die Menschen im Sudan nach0 Jahren des Bürgerkriegs eine erfahrbare friedlichentwicklung möglich wird. Wir wissen, dass diese Ent-cheidung trotz aller Unterstützung auf dem Prinzipoffnung beruht und nicht ohne Risiko ist.Ich schließe mit dem herzlichen Wunsch, dass alle zuntsendenden Soldatinnen und Soldaten ihre Arbeit soeisten können, wie es notwendig ist, und dass sie vor al-em wohlbehalten und gesund wieder zu uns zurückkeh-en.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
chockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Mit dem Friedensabkommen von Nairobi vom. Januar dieses Jahres wurde der älteste und einer derlutigsten Bürgerkriege in Afrika beendet. Der Vertragwischen der sudanesischen Regierung und der südsuda-esischen SPLM/A, der Befreiungsarmee, sieht
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Dr. Andreas Schockenhoffverschiedene Stufen vor: Wir haben jetzt einen Waffen-stillstand; der Friedensprozess kann damit erst beginnen.In der ersten Phase, die bis Juli geht, sollen die Truppenentflochten werden; die Milizen werden entwaffnet undteilweise in reguläre Armeeverbände überführt. Wir ha-ben bis jetzt sehr wenig Überblick darüber, wie weit dasgeschehen ist. Es ist aber Voraussetzung, dass dies biszum Juli durchgeführt wird, damit in der sechsjährigenÜbergangsphase, die Anfang Juli beginnen soll, eine Re-gierung der nationalen Einheit gebildet werden kann.Die SPLM/A-Vertreter gehen in die Zentralregierung inKhartoum. Nach drei Jahren, also nach der Hälfte derÜbergangszeit, sind Wahlen vorgesehen. Es ist erforder-lich, sofort mit der Vorbereitung dieser Wahlen zu begin-nen; denn es wäre ein verheerendes Signal, wenn unterden Augen einer UN-Mission im Sudan in drei JahrenWahlen stattfänden, deren Legitimität ähnlich zweifel-haft wäre, wie wir es zuletzt in Simbabwe und leiderauch in anderen afrikanischen Staaten erlebt haben.2011, am Ende der Übergangsfrist – Frau KolleginWimmer hat es gesagt –, soll im Süden darüber abge-stimmt werden, ob er im Sudan verbleibt oder einen ei-genen Staat bildet.Die Vertragspartner des Nairobier Abkommens habenheute völlig unterschiedliche politische Vorstellungendarüber, was nach 2011 geschehen soll. Der Chef derRebellenorganisation, John Garang, wird Mitglied derRegierung in Khartoum. Er wird voraussichtlich auchbei den Wahlen in drei Jahren antreten und könnte sichvorstellen, Staatspräsident eines integren Gesamtsudanszu werden. Seine Stellvertreter und die übrige Führungs-schicht der SPLM/A erklären aber bis zum heutigenTage, dass es das ausschließliche Ziel dieser Übergangs-frist sein kann, am Ende einen unabhängigen Staat zuhaben. Deswegen wird es ganz erheblich darauf ankom-men, wie dieser Prozess in den nächsten Jahren gestaltetwird. Es ist ein Präzedenzfall für Gesamtafrika. In demFriedensabkommen steht nämlich, dass in dieser Über-gangszeit die Rebellen im Süden dort die Verantwortungfür die Verwaltung übernehmen. Es kommt jetzt daraufan, dass diese Zeit genutzt wird, die Lebensbedingungender Menschen zu verbessern.Das Friedensabkommen ist unter dem Druck der in-ternationalen Gemeinschaft zustande gekommen. Jetztmuss die internationale Gemeinschaft auch helfen,dass sich die Standards wesentlich verbessern, dass einefunktionierende Verwaltung aufgebaut wird, dass einefunktionierende Justiz entsteht, dass die Infrastrukturverbessert wird, dass die Lebensmittelversorgung derBevölkerung ohne permanente Nothilfe gewährleistetwerden kann. Bei der Geberkonferenz, die kürzlich inOslo stattgefunden hat, hat sich die internationale Ge-meinschaft auf die Instrumente der hergebrachtenFinanzhilfe beschränkt. Das wird nicht ausreichen, umden politischen Prozess in den nächsten Jahren erfolg-reich zu begleiten.
Da die neue Regierung für das gesamte Land zustän-dig ist, ist es logischerweise konsequent, dass sich auchdas Mandat der Vereinten Nationen, mit dem die Umset-zanwdrsrSSeVSEuwlhPbagsmseTSanKmFaScdeumEdrpgkpWsmd
Wir haben ein humanitäres Interesse daran, dass derriedensprozess im Sudan friedlich verläuft. Wir habenber auch ein Sicherheitsinteresse. Der Sudan liegt ameeweg zwischen Europa und dem südlichen und östli-hen Asien, also an einer strategisch ganz entscheiden-en Verkehrsverbindung. Wenn dort ein zerfallener Staatntstünde – ähnlich wie in Somalia –, dann hätte das aufnsere Versorgungssicherheit, angesichts des Terroris-usproblems aber auch auf die Gesamtsicherheit deruropäer erhebliche Auswirkungen. Wir wünschen unseshalb, dass es im Sudan künftig nicht nur eine bilate-ale Entwicklungszusammenarbeit zwischen den euro-äischen Staaten und der neuen Regierung im Sudanibt, sondern dass auch die Europäische Union dort stär-er sichtbar wird. Der jetzt entstehende europäische di-lomatische Dienst muss gerade in den Regionen derelt, in denen es gesamteuropäische Interessen gibt,tärker operativ tätig und sichtbar werden.
Angesichts der Laufzeit des Friedensvertrages ist dortit einem sehr langen Einsatz zu rechnen. Wir stimmener Mandatierung des Einsatzes auf zunächst sechs
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Dr. Andreas SchockenhoffMonate zu und unterstützen die Bundesregierung auchbei der politischen Begleitung dieser militärischen Mis-sion.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Staatsministerin im Auswärti-
gen Amt, Kerstin Müller.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenheute über das Mandat zur Entsendung von Bundes-wehrsoldaten im Rahmen der Mission der Vereinten Na-tionen UNMIS zu entscheiden.Durch UNMIS soll die Einhaltung des am 9. Januardieses Jahres in Nairobi beschlossenen Friedensvertra-ges zwischen Nord- und Südsudan überwacht werden.Dieser Friedensvertrag ist in der Tat ein historischerSchritt. Durch ihn wird einer der längsten und blutigstenBürgerkriege Afrikas beendet. Ich bin im Februar imSüdsudan gewesen. Man kann nur sagen, dass die Men-schen dort nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges wirklichbei null anfangen. Es fehlt an allem: Infrastruktur, Schu-len und Gesundheitsversorgung. Die Menschen hoffen,dass es gelingt, den Frieden zu sichern. Sie erwartennach einem so langen Krieg, den sie durchlitten haben,die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.Wir haben ein Interesse und eine Verantwortung, die-sen Frieden zu stabilisieren. Dazu ist eben nicht nur derWiederaufbau nötig, sondern auch die Überwachungdes Friedensvertrages durch die Vereinten Nationen.Eine Sicherung des Friedens im Südsudan ist nicht nurwegen der Menschen im Süden wichtig, die einen derschlimmsten Bürgerkriege durchlitten haben, sondern sieist auch im Hinblick auf die anderen Krisen im Sudanentscheidend, vor allem in Darfur.Ich will das einmal erläutern: Dieses umfassendeFriedensabkommen, das viele Bereiche regelt, ist wirk-lich eine gute Grundlage für eine politische Lösung auchanderer Krisen im Sudan, vor allen Dingen in Darfur.Wenn es also gelingt, diesen Frieden zu sichern, wirddies mit Sicherheit eine Signalwirkung auf die anderenKrisen im Sudan haben. Das heißt, die Mission der Ver-einten Nationen spielt damit für die Zukunft dieses Lan-des insgesamt eine wichtige Rolle.Trotz dieses wichtigen Schritts wird es einen Friedenim gesamten Sudan erst dann geben, wenn auch die an-deren Krisen gelöst sind, allen voran die in Darfur. Dortwird immer noch gemordet und vertrieben, Frauen undMädchen werden vergewaltigt. Die Bundesregierungsetzt sich seit langem auf allen Ebenen der internationa-len Politik für ein Ende der Gewalt in Darfur ein.
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ch versichere Ihnen noch einmal: Die Bundesregierungird weiterhin alles dafür tun, damit der internationaleruck auf die Konfliktparteien nicht nachlässt.Die UN-Mission UNMIS soll, wie gesagt, das Nai-obi-Friedensabkommen zwischen Nord- und Südsudanberwachen und ist daher eine klassische Beobachter-ission. Die VN-Beobachter werden durch eine Schutz-uppe mit Zwangsbefugnissen geschützt. Darüber hinausoll die Schutztruppe den Schutz des UN-Personals, deror Ort tätigen Hilfsorganisationen sowie der direkt vonewalt bedrohten Zivilbevölkerung sicherstellen. Dieilitärische Komponente von UNMIS umfasst circa0 000 Soldaten, einschließlich 750 Militärbeobachtern.aneben sollen auch zivile Anteile, einschließlich00 Polizisten, beim Aufbau demokratischer und rechts-taatlicher Strukturen zum Einsatz kommen.Der Kabinettsbeschluss vom 13. April dieses Jahresieht eine Entsendung von bis zu 75 deutschen Soldatenn die UN-Mission vor. Die deutschen Soldaten sind imesentlichen für die Wahrnehmung von Militärbeobach-eraufgaben und die Verwendung in UNMIS-Stäben undHauptquartieren vorgesehen. Das operative Einsatzge-iet umfasst den Süden des Sudans, die Hauptstadthartoum sowie die Region um Kassala im Osten. Dasandat ist zunächst bis zum 24. September 2005 befris-et.Ich will sehr deutlich sagen – wir haben das in denusschüssen ausführlich diskutiert –: UNMIS hat keineperativen Befugnisse in Darfur, da diese Region nichtestandteil des Nord-Süd-Friedensabkommens ist. Miter Beobachtung der Lage in Darfur wurde die Afri-anische Union durch die Resolution 1556 des Si-herheitsrates beauftragt. Im Einzelfall können VN-xperten von UNMIS zum Zwecke von Beratungs- underbindungsaufgaben bei der Darfur-Mission der AUingesetzt werden. Das kann auch deutsche Soldaten be-reffen. Deshalb hat die Bundesregierung in den Aus-chüssen zugesichert: Sollten deutsche Soldaten außer-alb des Schwerpunktgebietes des UNMIS-Einsatzesätig werden, so wird die Bundesregierung die Obleutees Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschusses diesesauses vorab unterrichten. Sie wird einem solchen Ein-atz nicht zustimmen, wenn es im Kreise der Obleutend der Vorsitzenden dieser Ausschüsse erhebliche Be-enken gibt.
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Staatsministerin Kerstin MüllerDie internationale Gemeinschaft muss jetzt mithelfen,die durch das Friedensabkommen errungenen Fort-schritte abzusichern. Die Präsenz von UNMIS als neu-tralem Stabilitätsfaktor ist dabei ein unverzichtbares Ele-ment. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Antrag derBundesregierung zur Entsendung deutscher Soldaten imRahmen von UNMIS die breite Unterstützung diesesHauses finden würde und wir damit unseren Beitrag zudiesem historischen Prozess leisten könnten.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Heinrich für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Nach über 20-jähriger kriegerischer Auseinan-dersetzung mit über 2 Millionen Todesopfern undebenso vielen Flüchtlingen wurde am 9. Januar 2005 einFriedensvertrag zwischen den Rebellen im Süden desSudans und der Regierung in Khartoum unterzeichnet.In unserer heutigen Debatte geht es darum, die Vo-raussetzungen zu schaffen, diesen Friedensvertrag zu si-chern, unterstützen und umsetzen zu helfen. Die Resolu-tion 1590 des UN-Sicherheitsrats vom 24. März diesesJahres ist die Grundlage dafür. Dabei wird der Entflech-tung der sudanesischen Regierungstruppen und dersüdsudanesischen Befreiungsbewegung eine besondereBedeutung zukommen. Aber vor allem soll die vollstän-dige Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegrationehemaliger Kämpfer erreicht werden, weil dies die Vo-raussetzung dafür ist, dass es überhaupt zu der Einhaltungdes Friedensvertrags kommt. Ebenso wird der Aufbaueiner Zivilpolizei eine der Aufgaben der UNMIS sein.Die Mission soll insgesamt 10 000 Soldaten umfas-sen. Dabei handelt es sich um einen kombinierten Ein-satz mit einem Mandat nach Kapitel 6 und Kapitel 7 mitintegrierten Kommandostrukturen aus Beobachter- undSchutztruppe. In diese Truppe sollen bis zu 75 deutscheSoldaten als Beobachter integriert werden. Leider um-fasst das Mandat auch die Möglichkeit – verschiedeneRedner sind schon darauf eingegangen –, UNMIS-Sol-daten als Beobachter in die Krisenregion Darfur in denWesten des Sudans zu entsenden, die derzeit unter dervon der Afrikanischen Union geleiteten Mission AMISsteht. Genau dies kritisieren wir. Dies haben wir auch inden Ausschüssen kritisiert. Dass es zu dieser Protokoll-erklärung gekommen ist, Frau Staatsministerin Müller,ist ganz sicherlich diesem Parlament zu verdanken.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass die Bundesregierungkeinen Spielraum hat, das Mandat des UN-Sicherheitsra-tes unterschiedlich auszulegen. Aus diesem Grund warfür uns, für die FDP-Fraktion, die Protokollnotiz dieGdztmmeeüddtlsUEbAgdlvsnGnDDdkdsu
Die AMIS-Mission ist die erste derartige Operation,ie die AU eigenständig mit 3 000 afrikanischen Solda-en durchführt. Wir sollten der AU die Verantwortungassen. Sie muss diese Mission auch in Zukunft selbst-tändig durchführen.Wir in Deutschland und wir in der Europäischennion sollten aber bereit sein, auf ausdrücklichesrsuchen der AU Hilfe in logistischer, beratender undeobachtender Funktion zu gewähren und so unserennteil beizutragen.
Ich habe bereits früher immer wieder die Bemühun-en der AU unterstützt,
ie Probleme Afrikas eigenständig aufzugreifen und zuösen, und die Meinung vertreten, dass nur dann Hilfeon außen gewährt werden sollte, wenn direkte logisti-che oder beratende Unterstützung benötigt wird,
ach dem Motto: Afrika den Afrikanern. An diesenrundsatz müssen wir uns hier ganz klar halten.
Deshalb möchte ich noch einmal ausdrücklich beto-en, dass ein Kampfeinsatz deutscher Soldaten inarfur nicht infrage kommt.
ies gilt sowohl für den vorliegenden Beschluss 1590es Sicherheitsrates als auch für einen eventuellen zu-ünftigen Beschluss, der im Sicherheitsrat gefasst wer-en könnte. Auch dann sind wir gegen einen Kampfein-atz deutscher Soldaten. Das möchte ich hier ganz klarnd deutlich unterstreichen.Herzlichen Dank.
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Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister
der Verteidigung, Peter Struck, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Erlauben Sie mir, zunächst zu einem völlig an-deren Thema etwas zu sagen. Ich war gestern auf einemder beiden größten Schiffe der Bundeswehr, dem Ein-satzgruppenversorger „Berlin“, der auf der Fahrt inseinen Heimathafen Wilhelmshaven ist und heute um10 Uhr dort anlegen wird. Dieses Schiff war fünf Mo-nate im Einsatz, davon zwei am Horn von Afrika unddrei vor Banda Aceh. Ich denke, dass ich auch in IhremNamen gesprochen habe, als ich gestern den Soldatenauf dem Schiff für ihren Einsatz gedankt habe, den siefür die Bevölkerung in Indonesien geleistet hat. Wir kön-nen stolz sein auf das, was unsere Soldatinnen und Sol-daten leisten.
Herr Kollege Heinrich, Sie haben eben davon gespro-chen, ich hätte Kampfeinsätze in Afrika geplant. Ichwüsste nicht, wo ich das gesagt hätte. Das ist ja auch Un-sinn; darüber reden wir überhaupt nicht. Wir reden jetztüber den UN-Sicherheitsratsbeschluss und den Kabi-nettsbeschluss. Das Kabinett hat beschlossen, bis zu75 Soldaten für diese Beobachtermission zur Verfü-gung zu stellen. Wir gehen davon aus, dass es im We-sentlichen bis zu 50 sein werden. Aber mit Blick aufWechsel müssen wir natürlich eine gewisse Flexibilitäthaben; deshalb liegt die Obergrenze bei 75.Diese Soldaten können bei Bedarf auch als Einzel-experten für Beratungs- und Verbindungsaufgaben, HerrHeinrich, im Rahmen der Darfur-Mission der Afrika-nischen Union eingesetzt werden. Wir werden das auchtun. Eine derartige Unterstützung ist natürlich auch imMandat der Vereinten Nationen vorgesehen. Sollte dieserEinsatz deutscher Soldaten erforderlich werden, dasheißt, sollten wir in die Region Darfur, zum Beispielnach al-Faschir, gehen, um Verbindungsaufgaben mit zuerfüllen, dann werden wir das nicht tun, bevor wir nichtdie Obleute des Verteidigungsausschusses und des Aus-wärtigen Ausschusses informiert haben oder wenn esvon Ihrer Seite erhebliche Bedenken gibt. Ich werde dasnicht gegen Ihren Willen tun; das will ich hier deutlichfesthalten.
Meine Damen und Herren, das UNMIS-Operations-konzept entspricht guten Erfahrungen aus anderen Ein-sätzen der Vereinten Nationen. Die Militärbeobachtersind unbewaffnet. Das war auch im Verteidigungsaus-schuss gerade ein Thema. Ihr Schutz wird durch die miteinem robusten Mandat versehenen Kräfte der Schutz-tgHlsrLrbApTDAgpAdakaZzwMAgfswswiivwDndsieas
Das Bundestagsmandat zur Unterstützung vonMIS – bei uns stand es bisher konkret für Lufttrans-ortunterstützung für Truppenverlegung afrikanischerruppen nach Darfur – endet am 2. Juni. Wir haben imezember 2004 196 gambische Soldaten transportiert.ndere Staaten der EU haben ebenfalls Transportleistun-en erbracht. Gegenwärtig gibt es keine weiteren Trans-ortersuche. Durch einen Ausbau von AMIS durch diefrikanische Union kann sich das jedoch deutlich än-ern. Die Situation in Darfur – Kollegin Wimmer hat dasusgeführt – gibt Anlass zur Sorge. Die Truppe der Afri-anischen Union bedarf afrikanischer Verstärkung. Wirppellieren an alle afrikanischen Staaten, das angestrebteiel, über 3 000 Soldaten in Darfur zu stationieren, auchu erreichen.
Wir hoffen, dass sich die Situation im Sommer ändernird, dass es also mehr Transportersuche geben wird. Imai werde ich daher eine Verlängerung des Mandats fürMIS, also Lufttransportunterstützung, vorschlagen. Ichlaube, wir sind uns einig, dass wir nicht wegsehen dür-en, wenn auf diesem ohnehin benachteiligten und ge-chundenen Kontinent Menschen verfolgt und ermordeterden.
Das Mandat, das der Bundestag heute beschließenoll, wird für uns, für meine Bundeswehr nicht einfacherden. Mit sechseinhalb Jahren ist ein langer Zeitraumns Auge gefasst worden. Außerdem ist die Entwicklungm Sudan überhaupt nicht vorhersehbar. Der Friedens-ertrag kann sich als brüchig erweisen. Dem müssenir im Rahmen der Vereinten Nationen entgegenwirken.ie internationale Gemeinschaft muss jetzt die Chanceutzen, die dieser Friedensvertrag bietet. Ich appelliereeshalb an viele andere europäische Länder, sich nochtärker an UNMIS zu beteiligen, als das bisher geplantst.
Mit bis zu 75 Militärbeobachtern stellen wir von allenuropäischen Staaten das größte Kontingent. Andere,uch große Nationen jenseits des Atlantiks beteiligenich an diesem Mandat überhaupt nicht. Es ist erforder-
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Bundesminister Dr. Peter Strucklich, dass andere Länder ihre Bereitschaft erklären, indem Maße zu helfen, wie wir es tun. Dieses Land, dieserKontinent hat das verdient.
Zum Schluss bedanke ich mich bei allen Fraktionendes Deutschen Bundestages für die übereinstimmendeGenehmigung dieses Mandats. Die Soldatinnen und Sol-daten, die wir schicken werden – im Wesentlichen wer-den es wohl Soldaten sein –, haben einen Anspruch da-rauf, zu wissen, dass der Deutsche Bundestag dieseAufgabe unterstützt. Ich will noch einmal das sagen, wasich zu jedem Auslandseinsatz sagen muss: Niemandweiß, ob alle gesund nach Hause kommen. Wir habeneine große Verantwortung, wenn wir einen solchen Be-schluss fassen. Deshalb herzlichen Dank an Sie alle, dassSie diesen Beschluss mittragen.
Nächster Redner ist der Kollege Helmut Rauber,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Minister Struck, der Beifall von unsererSeite hat gezeigt, dass auch wir uns bei den Soldaten be-danken, die nicht nur im Indischen Ozean, sondern in al-len Krisenherden der Welt wesentlich auch zu unsererSicherheit beitragen.
In den letzten Tagen hörte ich oft die Frage: Was sol-len unsere Soldaten denn im Sudan? Anders ausge-drückt: Was geht uns Afrika an, ein Kontinent, auf demlaut einer Studie der Boston University nur 14 der53 Länder als demokratisch einzustufen sind, der in Bür-gerkrieg und Elend zu versinken droht und wo Korrup-tion und die organisierte Kriminalität blühen.Das Schicksal Afrikas ist in weiten Teilen auch unserSchicksal. Zonen der Instabilität und der Ordnungslosig-keit sind der Nährboden für den internationalen Terro-rismus und die Gewalt an sich. In Afrika entspringendeMigrationsströme reichen bis tief nach Europa. Deshalblautet nicht von ungefähr der Kerngedanke der neuenNATO-Strategie, Konflikte auf Distanz zu halten.Genau um dies geht es auch bei dieser UN-Mission,aber es geht um mehr. Nur ein wirtschaftlich stärkeresAfrika schafft attraktive Absatzmöglichkeiten für un-sere Güter und Dienstleistungen. Nur stabile, auf demo-kratischen Grundsätzen beruhende Regierungen erlau-ben uns eine vernünftige und auch faire Nutzung derRohstoffe. Im Sudan geht es auch um das Öl, mit alleninnerstaatlichen und außerstaatlichen Implikationen.Auch der für uns so überlebensnotwendige Schutz derÖtJeshnMfDwzssgsrlhMf4DkMnsttd7glfsszdrgnSeddigFh
Trotz all dieser Gründe hat der Westen in den letztenahren weggeschaut, wenn sich grausame Völkermordereigneten. Der Sudan – das haben mehrere Vorrednerchon betont – ist kein neuer Konfliktherd. Seit 1983errscht in diesem Land ein Bürgerkrieg, der 2 Millio-en Menschen das Leben kostete und 4 Millionenenschen zu Flüchtlingen machte. Ausgehandelte Waf-enstillstandsabkommen wurden immer wieder alsurchbruch gefeiert und ebenso oft, wie sie geschlossenurden, auch gebrochen. Die Trennungslinie verläuftwischen dem christlichen Süden und dem muslimi-chen Norden bzw. – was Darfur anbelangt – zwischenchwarzafrikanischen und arabischen Bevölkerungs-ruppen.Als der Bürgerkrieg in Somalia 1993 18 amerikani-che Soldaten das Leben kostete, hat der damalige ame-ikanische Präsident Bill Clinton der UNO geraten, zuernen, Nein zu sagen. Es war diese Kultur der Zurück-altung der Weltgemeinschaft, die Millionen vonenschen Tod und Elend brachte.
Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachen-orschung hat für das letzte Jahr, also für 2004,2 Kriege und bewaffnete Konflikte aufgelistet. Wir alseutsche können weder den Weltpolizisten spielen nochönnen wir den Hunger in der Welt, der 850 Millionenenschen quält, alleine besiegen. Wir dürfen aber auchicht wegschauen. Bei AMIS und auch bei dieser Mis-ion leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe. Wir brauchen un-er dem Dach der UNO regionale Sicherungssysteme un-er jeweils regionaler Beteiligung.Wir stellen – das ist auch schon gesagt worden – beiieser Mission keine Kampfsoldaten, sondern bis zu5 Beobachtungssoldaten, die in erster Linie die Auf-abe haben, die Konfliktparteien zu trennen. Die Haupt-ast, wie auch bei der vorangegangenen und parallel lau-enden UN-Mission AMIS, trägt nicht der Westen,ondern – trotz aller Unzulänglichkeiten – Afrika. Esind keine Hurra-Gefühle, mit denen wir diesem Einsatzustimmen.Die CDU/CSU hatte sich mit insgesamt 10 Fragen anie Bundesregierung gewandt, wobei der Schutz unse-er Soldaten und die mögliche medizinische Versor-ung in Notfällen im Vordergrund standen. Es gibt kei-en Einsatz, der ungefährlich ist. Der Einsatz aller UN-oldaten – das können wir bedauern oder auch nicht –rfolgt unbewaffnet. Deshalb müssen wir auf den Schutzer UNMIS vertrauen.Dass unsere Soldaten von militärischen Kräften bei-er ehemaliger Konfliktparteien begleitet werden, erhöhthre Sicherheit, wiewohl die Bundesregierung selbst ein-esteht, dass unsere Beobachter durchaus zwischen dieronten rivalisierender Gruppen geraten können. Wir ge-en aber davon aus – darauf vertrauen wir –, dass
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Helmut Raubersowohl die militärische wie auch die politische Führungalles tun, die Risiken zu minimieren und notfalls – wenndie Gefahr eskaliert – unsere Soldaten bzw. Beobachterabzuziehen.Zur Sicherheit zählt auch ein System von flächende-ckenden Sanitätseinrichtungen und flächendeckendenRegelungen zur Verwundetenevakuierung. Zudem kön-nen unsere Beobachter auf minengeschützte Fahrzeugezurückgreifen. Unter Berücksichtigung all dieser As-pekte halten wir diesen Einsatz nicht für ungefährlich,aber unter dem Schutzaspekt für vertretbar.Ich komme zu meiner Ausgangsfrage zurück: Wasgeht uns Afrika an? Bei Völkermorden mit all ihrenschrecklichen Begleiterscheinungen wegzuschauenheißt, Partei für die Willkür des Starken zulasten derHilflosen zu ergreifen. Dies ist weder eine christlichenoch eine humanistische Grundhaltung. Weil wir nichtwegschauen, sondern vermutlich 50 Militärbeobachterin den Sudan senden – wir hoffen, dass sie alle heil zu-rückkehren –, stimmen wir dem vorliegenden Antrag zu.
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Der Friedensver-
trag vom 9. Januar 2005 zwischen der sudanesischen
Regierung und der südsudanesischen Volksbefreiungs-
bewegung ist ein kleiner Schritt zum Frieden. Nach jahr-
zehntelangem Bürgerkrieg, der 2 Millionen Menschen
das Leben gekostet und 4 Millionen zu Binnenvertriebe-
nen bzw. Flüchtlingen gemacht hat, scheint ein Friede in
Sicht.
Die UNO hat die Bundesregierung gebeten, sich an
der UN-Mission im Sudan durch die Entsendung von
Stabspersonal und Militärbeobachtern zu beteiligen. Die
Bundesregierung will nach Kap. VI der UN-Charta bis
zu 75 deutsche Soldaten im Rahmen der Mission
UNMIS als Beobachter in den Sudan entsenden. Kern-
aufgabe von UNMIS ist es, für zunächst sechs Monate
die Implementierung der Friedensvereinbarung von
Nairobi zu überwachen und das Programm zur Entwaff-
nung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger
Kämpfer sowie UN-Programme in dieser Region zu un-
terstützen.
Wir als PDS haben uns schon im Jahre 2000 auf unse-
rem Parteitag in Münster dafür ausgesprochen, fried-
liche Missionen der UNO nach Kap. VI zu unterstüt-
zen.
Wir haben uns immer gegen UN-mandatierte Militärin-
terventionen unter Berufung auf Kap. VII der UN-
Charta ausgesprochen. Die Menschen im Sudan sehnen
sich nach Frieden und wünschen sich nichts dringlicher
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ie Bundesregierung macht es uns unmöglich, diese
ission zu kontrollieren.
ie Regierung erklärt zum Beispiel, dass sie, wenn Sol-
aten außerhalb des Schwerpunktgebietes des UNMIS-
insatzes tätig werden sollen, vorab die Obleute des
uswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsaus-
chusses unterrichten will. Das klingt nach Geheimnis-
rämerei. Die PDS wäre nach diesem Verfahren von je-
er Kontrolle ausgeschlossen. Das können wir nicht
kzeptieren. Die PDS wird sich aus den genannten Grün-
en der Stimme enthalten.
Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist für
ie CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Egon Jüttner.
anach stimmen wir namentlich ab. Ich bitte bis dahin
och um ein bisschen Konzentration.
Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-en! Jahrzehntelang hat die Bevölkerung des Sudan unterem längsten und wohl blutigsten Bürgerkrieg Afrikaselitten. Noch vor einigen Monaten kam es zu Massen-ertreibungen und Massentötungen im Westen desudan. Noch immer gibt es Morde und Vergewaltigun-en. Die Überwachungsmission der Afrikanischennion hat dennoch zu einer leichten Beruhigung der Si-uation geführt. Deutschland hat mit der Durchführungon Truppentransporten einen wichtigen Beitrag dazueleistet. Dafür danken wir den Soldaten der Bundes-ehr.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16229
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Dr. Egon JüttnerEin Lichtblick für die Menschen im Sudan ist der am9. Januar dieses Jahres unterzeichnete Friedensvertragzwischen der sudanesischen Regierung und der südsuda-nesischen Volksbefreiungsbewegung. Vertreter der Men-schenrechts- und Hilfsorganisation „Hoffnungszeichen“,die erst kürzlich im Südsudan waren, berichten, wie jetztdie Menschen im Süden des Sudan aufatmen und hoffen,dass sich durch das Friedensabkommen ihre Lebenslageverbessert.22 Jahre Bürgerkrieg haben tiefe Spuren hinterlas-sen. Schulen und Krankenhäuser sind zerstört, sofern sieüberhaupt vorhanden waren. Es gibt kaum staatlicheStrukturen und nahezu keine Infrastruktur. Gerade jetzt,zu Beginn der Regenzeit, werden befahrbare Pisten zuunpassierbaren Schlammrinnen. Es gibt kein Eisenbahn-netz und kein Gesundheitssystem, das diesen Namenverdient. Blutiger Durchfall ist die Haupttodesursachebei Kleinkindern. Frisches Trinkwasser ist Mangelware.Es gibt keine systematische Schulbildung. Nach Anga-ben des katholischen Bischofs der Diözese Rumbek,Caesar Mazzolari, liegt im Südsudan die Analphabeten-rate der Frauen bei 97 Prozent, die der Männer bei84 Prozent. Mit Recht haben bereits im vergangenenJahr sudanesische Bischöfe bei ihrem Besuch in BerlinBundestag und Bundesregierung aufgefordert, dringendzu helfen.Die Menschenrechtslage im Sudan ist weiterhin de-solat. Im Norden weigert sich Präsident Baschir, Men-schenrechtsverletzer an den Internationalen Strafge-richtshof auszuliefern. Im Südsudan agieren sichstreitende, von Khartoum mit Waffen versorgte Milizen,die zum Zwecke persönlicher Bereicherung die Bewe-gungsfreiheit der Zivilbevölkerung einschränken. Sie er-pressen Wegezölle und erheben unrechtmäßig Steuern.Sie gefährden die Sicherheitslage der Zivilbevölkerungebenso wie deren Nahrungsmittelselbstversorgung.Ich fordere deshalb die sudanesische Regierung inKhartoum auf, nicht erst Anfang 2006, wie im Friedens-abkommen vorgesehen, sondern schon jetzt die ihr un-terstehenden Milizen zu entwaffnen und in die regulärensudanesischen Streitkräfte zu integrieren. Es kann nichtsein, dass Schusswaffen zur lukrativen Einnahmequellewerden.
Die Menschen im Sudan wollen und brauchen Frie-den. Sie schöpfen erst wieder Hoffnung, wenn sie sicht-bar und greifbar erleben und erfahren, wie sich ihre Le-bensbedingungen verbessern. Deshalb muss gleichzeitigdie humanitäre Lage der Flüchtlinge und der Binnen-flüchtlinge sowohl im Norden als auch im Süden desLandes verbessert werden. Im Süden muss mit dem Auf-bau und Wiederaufbau infrastruktureller und administra-tiver Bereiche begonnen werden. Auch die Defizite beider Basisgesundheitsversorgung und im Bildungssektormüssen abgebaut werden. Deshalb begrüßen wir die anBedingungen geknüpften Zusagen, die kürzlich bei derGeberkonferenz in Oslo gegeben wurden.ddzNNgDkeMvNADteDrdsalbdSludmEsWW1)2)
Auf keinen Fall darf die internationale Gemeinschaftie Versuche der sudanesischen Regierung tolerieren,ie Stabilisierung und den Wiederaufbau des Südsudansu verzögern oder gar zu hintertreiben.
icht nachvollziehbar ist, dass die Regierungspartei imorden die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationeneforderte Ahndung der Menschenrechtsverbrechen inarfur als einen Angriff auf den Islam bezeichnet.
Wir begrüßen, dass gestern die UN-Menschenrechts-ommission beschlossen hat, einen Sonderbericht-rstatter für den Sudan einzusetzen, und die schwerenenschenrechtsverletzungen in Darfur, im Westsudanerurteilt hat. Wir begrüßen die Mission der Vereintenationen und wir stimmen zu, dass zur Erfüllung diesesuftrags bis zu 75 deutsche Soldaten eingesetzt werden.ie Menschen im Sudan brauchen die Hilfe der interna-ionalen Gemeinschaft.Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-mpfehlung des Auswärtigen Ausschusses aufrucksache 15/5343 zu dem Antrag der Bundesregie-ung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Frie-ensmission der Vereinten Nationen in Sudan. Der Aus-chuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/5265nzunehmen. Hierzu ist namentliche Abstimmung ver-angt.Ich bitte um ein Signal, ob alle Plätze an den Urnenesetzt sind. – Das sieht so aus. Dann eröffne ich hiermitie namentliche Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seinetimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht-ich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmungnd bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, miter Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-ung wird später bekannt gegeben.1)Ich darf noch darauf hinweisen, dass dem Präsidiumrklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge-chäftsordnung der Kollegen Jürgen Koppelin undolfgang Börnsen sowie der Kollegin Verenaohlleben vorliegen.2)Wir setzen die Beratungen fort.Seite 16233 DAnlage 2
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertIch rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Friedrich Merz,Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der CDU/CSUEin modernes Steuerrecht für Deutschland –Konzept 21– Drucksachen 15/2745, 15/5176 –Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele FrechenPeter RzepkaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, diedie Debatte über diesen Tagesordnungspunkt nicht mit-verfolgen können oder wollen, ihre dringenden Staatsge-spräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen, damitwir für die an der Debatte beteiligten Kolleginnen undKollegen die nötige Aufmerksamkeit sicherstellen kön-nen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir führen diese Debatte über die steuerpoliti-schen Grundsätze in unserem Land im Einsteinjahr. Ichdarf mit einem Zitat von Albert Einstein beginnen:Um eine Einkommensteuererklärung abzugeben,muss man Philosoph sein;
es ist zu schwierig für einen Mathematiker.
Ich bin Mathematiker. Auch wenn wir einige Jahrzehntespäter leben, kann ich feststellen: Der Schwierigkeits-grad des Steuerrechts ist leider nicht geringer geworden.Deshalb geht es vielen Menschen in unserem Land wieAlbert Einstein: Sie plagen sich wegen Aufwand undSchwierigkeit mir ihrer Steuererklärung herum.
Die Steuerzahler sind die Hauptbetroffenen. Sie sindkaum noch in der Lage, ihre Einkommensteuererklärungin angemessener Zeit selbst anzufertigen. Sie verstehenkaum noch den Sinn der sich zum Teil widersprechendenVorschriften. Durch den Vollzug wird die Komplexitätweiter gesteigert. Es gibt eine Vielzahl von Aufzeich-nwbeskVweKFWkdgeutiVfAdtepFmdmknBvtizEdfdfisSpeD
Ein weiterer Punkt ist die Umsatzsteuer. Wir habenie Wirtschaft und die am Wirtschaftskreislauf Tätigenit umsatzsteuerlichen Pflichten gesegnet, deren Wir-ung zweifelhaft ist und die die Finanzverwaltung garicht alle kontrollieren kann. Durch Regulierung undürokratie bringen wir den Standort Deutschland nichtoran.
Oder nehmen wir Ihren Vorschlag einer Steueramnes-e: Sie sollte Menschen dazu bewegen, in die Legalitäturückzukehren, und Ihrer Erwartung nach 5 Milliardenuro einspielen. Im Ergebnis hat sie nur etwa 20 Prozentavon eingebracht. Das heißt, diese Maßnahme war er-olglos. Aber es wurden erhebliche Zweifel geschaffen,ass der Gesetzgeber tatsächlich dem Legalitätsprinzipolgt und dass der Ehrliche am Ende nicht der Dummet. Wir müssen darüber nachdenken, ob eine solcheteuerpolitik sinnvoll ist.Ein letztes Beispiel: die neu konzipierte Entfernungs-auschale. An diese Pauschale haben Sie im Jahr 2001inen Verwaltungserlass geknüpft, der siebeneinhalbIN-A5-Seiten umfasst. Ich frage mich schon, ob ein
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Dr. Michael Meisternormaler Mensch solch umfangreiche Verwaltungsan-weisungen zu einer einzelnen Bestimmung überhauptzur Kenntnis nehmen und verstehen kann. Ich glaube,das geht in die falsche Richtung. Deshalb müssen wirdringend eine Umkehr zu einem einfacheren und dannauch als gerechter empfundenen Steuersystem finden.Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, habendas Steuerrecht in Deutschland komplizierter, unüber-schaubarer, unsystematischer und ungerechter gemacht.
Die Menschen in unserem Land verstehen Ihre Gesetzenicht mehr. Sie akzeptieren Ihre Gesetze nicht mehr.Deshalb ist auch das Vertrauen in Ihre Steuerpolitik ver-loren gegangen. Ständig wird von Ihnen als Gesetzgeber– wir erleben das aktuell wieder bei der Frage derFonds – in Dispositionen, die bereits getroffen sind, imNachgang eingegriffen. Das muss ein Ende haben.Deutschland braucht eine Politik, die verlässlich ist undVertrauen schafft. Vertrauen ist die Basis von Investi-tionen, von Leistungsbereitschaft, von Wachstum undneuen Arbeitsplätzen.Vertrauen können wir nur gewinnen, wenn wir in derSteuerpolitik wieder einem klaren Fahrplan folgen. DerWeg, den Sie eingeschlagen haben – der Weg der ständi-gen Reparaturen, des kleinen Karos ohne konzeptionel-len Entwurf –, führt in die Irre. Man muss einen Neube-ginn machen. Wir müssen uns entscheiden, endlicheinmal mit den Reparaturen am alten Auto, das schrott-reif ist, aufzuhören, dieses alte, schrottreife Auto auf denAbstellplatz zu bringen und uns einen Neuwagen zu be-schaffen. Wir brauchen in der Steuerpolitik in Deutsch-land einen neuen Start.
Das ist unser Ansatz, das ist unser Vorschlag.
– Lieber Herr Kollege Poß, wir sind uns darüber einig,dass wir den Menschen zu einfacheren Steuererklärun-gen verhelfen wollen; aber wir sind uns leider nicht überden Weg, auf dem das geschehen soll, einig.Wir sind der Meinung, einfachere Steuererklärungenwerden wir nur erreichen, wenn wir auch die zugrundeliegenden Gesetze vereinfachen. Es ist ein absoluter Irr-glaube, dem Sie anhängen, wenn Sie behaupten, mankönne mit einfacheren Steuererklärungen arbeiten, so-lange die Gesetze kompliziert sind. Nein, wir müssentiefer gehen: Wir müssen das Recht deutlich vereinfa-chen. Herr Poß, Ihnen fehlen der Mut und die Kraftdazu, die Grundlagen zu reformieren.
Wir wollen die Einkunftsarten zusammenlegen. Dasist kein Selbstzweck; denn an die Frage der Einteilung insieben Einkunftsarten knüpft sich eine Menge vonRechtsstreitigkeiten. Ich möchte das an einem Beispieldeutlich machen: Nehmen Sie einen EDV-Berater unddksateüggBtenRrIguHdrMfmsGedFmli–staRdliDDvDDhSTsr
Lieber Herr Poß, es geht hier nicht um unsystemati-che Einzelmaßnahmen, sondern es geht darum, dass wirtsächlich die Basis finden, mit einem einfacherenecht etwas für die Familienförderung zu tun. Wir sageneshalb: im Bereich der Kinderbetreuung Abzugsmög-chkeiten in vollem Umfang zulassen!
as ist ein riesiger Schritt voran für die Familien ineutschland. Das schlägt die Union Ihnen hier und heuteor. Stimmen Sie doch einfach zu, anstatt zu schreien!ann tun wir gemeinsam etwas für die Familien ineutschland. Das wäre doch einmal eine Leistung ameutigen Vormittag.
Aktuell führen wir eine Diskussion über die Frage derenkung des Körperschaftsteuersatzes. Ich halte dieatsache, dass wir diese Frage der Senkung des Körper-chaftsteuersatzes mit dem Begriff „Unternehmensteuer-eform“ etikettieren, für hochgradig anspruchsvoll. Die
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Dr. Michael MeisterVeränderung eines Steuertarifs ist noch keine Reform.An dieser Stelle springen wir zu kurz. Wir müssen unsdringend fragen: Wie kommen wir auch im Bereich derUnternehmensteuer zu einem einfacheren Recht?
Sie brauchen die Kraft und den Mut, Frau Scheel, um zusagen: Wir wollen die Gewerbesteuer in die Einkom-men- und Körperschaftsteuer integrieren und damit aufSubstanzbesteuerung verzichten.
Nur so können wir Investitionen begünstigen und Büro-kratie abbauen. Der Unsinn, dass wir die Einnahmen ausder einen Steuer mit denen einer anderen Steuer, nämlichder Einkommensteuer, verrechnen, muss ein Ende ha-ben. Das, was wir da treiben, ist doch hochgradig unsin-nig. Solange Sie nicht die Einsicht haben, von diesemUnsinn Abstand zu nehmen, werden wir es auch nichtschaffen, zu einem einfachen Steuerrecht in Deutschlandzu kommen. Von diesen Vorschlägen findet sich bei Ih-nen nichts.Ich hoffe, dass die Pressemeldungen vom heutigenVormittag zutreffen, wonach die Bundesregierung aufden unanständigen Griff in die kommunalen Kassendurch eine Anhebung der Gewerbesteuerumlage ver-zichtet. Herr Bundesfinanzminister, ich würde mich sehrfreuen, wenn Sie dies heute früh klarstellten, und indiese Richtung an Sie appellieren. Es kann nicht sein,dass den Kommunen virtuelle Einnahmen zugerechnetwerden, obwohl ihnen real etwas entzogen wird. Daswäre unanständig. Ich würde mich freuen, wenn wir dasin der Debatte heute Morgen abräumen könnten und dieDebatte darüber dann beendet wäre.
Wenn wir über die Unternehmensteuerreform disku-tieren, dann müssen wir uns endlich auch einmal fragen:Wie gehen wir mit dem Europarecht um? Wir könnendoch nicht immer defensiv bleiben und warten, was derEuropäische Gerichtshof in Luxemburg entscheidet, umdann kleinere Nachbesserungsmaßnahmen vorzuneh-men.
Wir brauchen endlich Anstrengungen unter Federfüh-rung unserer Bundesregierung, um zu einer gemeinsa-men Bemessungsgrundlage in Europa zu kommen unddamit eine strategische, offensive Antwort auf die He-rausforderungen des europäischen Binnenmarktes zufinden. An dieser Stelle haben Sie uns als Partner.
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Herr Poß, es ist doch aber wichtig, dass wir nicht nurinseitig die Kapitalgesellschaften im Blick haben.
Ich weiß nicht, ob Sie sich einmal mit Ihrem Fraktions-orsitzenden abgesprochen haben, der scheint – nachem, was ich den letzten Tagen gehört habe – eine ganzndere Auffassung zu vertreten. Der eine spricht voneuschrecken, der andere will die Heuschrecken füttern.as irritiert mich etwas und ich kann es nicht ganz zu-rdnen.Aber ich will einmal sagen: Unsere Forderung ist,ass wir zu einer Gleichbehandlung der Personen- undapitalgesellschaften kommen. Deshalb fordern wir innserem Reformentwurf die Rechtsformneutralität desteuerrechts. Zur aktuellen Frage sagen wir: Wenn wirine Entlastung der Kapitalgesellschaften durchführen,ann muss es eine entsprechende Leistung für die Perso-engesellschaften geben.
Wir wollen auch eine entsprechende Regelung imrbschaftsteuerrecht. Wir sagen: Wenn Familienunter-ehmen ihr Unternehmen in der nächsten Generationeiterführen, dann soll die Erbschaftsteuerschuld zu-ächst einmal gestundet werden. Im Falle der Fortfüh-ung des Unternehmens, des Erhalts der Arbeitsplätzend der Weiterführung der wirtschaftlichen Aktivitätenoll die Erbschaftsteuerschuld abgearbeitet werden kön-en und letztendlich nach zehn Jahren ganz entfallen.
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Dr. Michael Meister
(Joachim Poß [SPD]: Kein Satz ist wahrhaf-
schäftigungsverhältnissen geführt? Wir verlieren jedenWerktag 1 500 davon. – Deshalb sage ich: Was Sie bis-her als Reform bezeichnen, war nicht das, was wir brau-chen. Wir brauchen einen Neuanfang mit Struktur undklarem Fahrplan.
Eine letzte Bemerkung, und zwar zur Gegenfinanzie-rung, weil Herr Poß diesen Punkt mit Sicherheit anspre-chen wird. Solange Sie nur mit Einzelmaßnahmen arbei-ten, Herr Poß, wobei keine Verzahnung der Steuerpolitikmit Arbeitsmarkt, Bildung, Innovation, Entbürokratisie-rung und Sozialsystemen stattfindet und wobei auch in-nerhalb des Steuersystems nur Einzelmaßnahmen be-trachtet werden, bekommen Sie keine wirtschaftlicheDynamik am Standort und müssen seriös und voll ge-genfinanzieren. Wenn Sie aber einmal einen großen Ent-wurf präsentieren würden, der psychologische Wirkungentfaltet und dafür sorgt, dass im Lande Aufbruchstim-mung und Hoffnung generiert werden, dann würden sichuTdEsASnhhmEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 565;davonja: 552nein: 3enthalten: 10JaSPDDr. Lale AkgünIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigGerd Friedrich BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnMUDHMDDKMPEDSHMMGPK
Bevor wir die Debatte fortsetzen, kommen wir zumagesordnungspunkt 17 zurück. Ich gebe Ihnen das vonen Schriftführerinnen und Schriftführern ermitteltergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-chlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zumntrag der Bundesregierung zur Beteiligung deutschertreitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Natio-en in Sudan bekannt. Abgegebene Stimmen 565. Mit Jaaben gestimmt 552, mit Nein haben gestimmt 3, Ent-altungen gab es 10. Die Beschlussempfehlung und da-it der Antrag der Bundesregierung sind angenommen.arco Bülowlla Burchardtr. Michael Bürschans Martin Buryarion Caspers-Merkr. Peter Danckertr. Herta Däubler-Gmelinarl Dillerartin Dörmanneter Dreßenlvira Drobinski-Weißetlef Dzembritzkiiegmund Ehrmannans Eichelartina Eickhoffarga Elserernot Erleretra Ernstbergerarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich
Iris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausHaben sie zu mehr sozialversicherungspflichtigen Be- tig!)Wenn wir dies gemeinsam vesind wir dazu bereit. Herr PHand. Machen wir das gemeisächlich etwas für den StandoBeschäftigung und für mehr Wa
einer Rede noch kurz miteinander setzen. Zum ei-Was ist das Ergebnis des-form verkauft haben? Sie gesamten Reformen amrledigt. Aber haben Ihre Arbeitslosen geführt?desagentur für Arbeit ge-nternehmensinsolvenzenknapp 40 000 Unterneh-WauSusbigshGwachstumskräfte entwickeln unuf einen gewissen SelbstfinanzDeshalb werbe ich dafür, dasnsere Parteivorsitzenden Angtoiber im Kanzleramt angebomfassenden Reformentwurf mchiedenen Feldern, um den Sesser zu positionieren, und nsolierten Einzelmaßnahmen deeben, hier werde etwas getanie am Ende aufwachen und feolfen.Wir brauchen mehr. Ihnen fe
ssen Sie mehr Mut! Ent-en Sie sich nach vorn
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann
Nina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGisela HilbrechtGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerBrunhilde IrberRenate JägerKlaus-Werner JonasJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h.c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerLars KlingbeilHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerDr. Heinz KöhlerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningDr. Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange
Christine LehderWaltraud LehnDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter LohmannGabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksHMUPUAUMCGFDVDDHHJJDFDKGDCWRRDKMGOMTAAGBDSHOHUSDWHCWOKFWOGBRSDDREilde Mattheisarkus Meckellrike Mehletra-Evelyne Merkellrike Mertenngelika Mertensrsula Moggichael Müller
hristian Müller
esine Multhauptranz Münteferingr. Rolf Mützenicholker Neumann
ietmar Nietanr. Erika Oberolger Orteleinz Paulaohannes Pflugoachim Poßr. Wilhelm Priesmeierlorian Pronoldr. Sascha Raabearin Rehbock-Zureicherold Reichenbachr. Carola Reimannhristel Riemann-Hanewinckelalter Riestereinhold Robbeené Röspelr. Ernst Dieter Rossmannarin Roth
ichael Roth
erhard Rübenkönigrtwin Rundearlene Rupprecht
homas Sauernton Schaafxel Schäfer
udrun Schaich-Walchernd Scheelenr. Hermann Scheeriegfried Schefflerorst Schildtto Schilyorst Schmidbauer
lla Schmidt
ilvia Schmidt
agmar Schmidt
ilhelm Schmidt
einz Schmitt
arsten Schneideralter Schölerlaf Scholzarsten Schönfeldritz Schösserilfried Schreckttmar Schreinererhard Schröderrigitte Schulte
einhard Schultz
wen Schulz
r. Angelica Schwall-Dürenr. Martin Schwanholzolf Schwanitzrika SimmDWDJDLRCRDJJDWFHRSJUDHHAPRGGDDHLIDJHDBEBDVWHUMDCUIPADNDGEVDODCRr. Sigrid Skarpelis-Sperkolfgang Spanierr. Margrit Spielmannörg-Otto Spillerr. Ditmar Staffeltudwig Stieglerolf Stöckelhristoph Strässerita Streb-Hesser. Peter Struckoachim Stünkerörg Taussr. Gerald Thalheimolfgang Thierseranz Thönnesans-Jürgen Uhlüdiger Veitimone Violkaörg Vogelsängerte Vogt
r. Marlies Volkmerans Georg Wagneredi Wegenerndreas Weigeletra Weis
einhard Weisunter Weißgerberert Weisskirchen
r. Ernst Ulrich vonWeizsäckerr. Rainer Wendildegard Westerydia Westrichnge Wettig-Danielmeierr. Margrit Wetzelürgen Wieczorek
eidemarie Wieczorek-Zeulr. Dieter Wiefelspützrigitte Wimmer
ngelbert Wistubaarbara Wittigr. Wolfgang Wodargerena Wohllebenaltraud Wolff
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eronika Bellmannr. Christoph Bergnertto Bernhardtr. Rolf Bietmannlemens Binningerenate BlankPADJWWDKDHMGVHCGLHATMMRAGIlAEInHDADKDEJDHDNREGMRDJPDUMMMKOHGKHUSM
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerJoachim HörsterHubert HüppeDr. Peter JahrDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiBernhard Kaster
Gerlinde KaupaEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerKristina Köhler
Manfred KolbeNorbert KönigshofenHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumGünter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerPatricia LipsDr. Michael LutherDorothee MantelStephan Mayer
Dr. Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelLaurenz Meyer
Doris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Bernward Müller
Hildegard MüllerBernd Neumann
Henry NitzscheMichaela NollCGDFEMRDUDSDBRRDTHDHPCKHKDHFDKDAPADHDNGACADDBUKMMHBTJJCGAMLMAEDAVAGMPlaudia Nolteünter Nooker. Georg Nüßleinranz Obermeierduard Oswaldelanie Oßwaldita Pawelskir. Peter Pazioreklrich Petzoldr. Joachim Pfeifferibylle Pfeifferr. Friedbert Pflügereatrix Philipponald Pofallauprecht Polenzaniela Raabhomas Rachelans Raidelr. Peter Ramsauerelmut Raubereter Rauenhrista Reichard
atherina Reicheans-Peter Repniklaus Riegertr. Heinz Riesenhuberannelore Roedelranz-Xaver Romerr. Klaus Roseurt J. Rossmanithr. Norbert Röttgenlbert Rupprecht
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r. Wolfgang Schäubleartmut Schauerter. Andreas Scheuerorbert Schindlereorg Schirmbeckngela Schmidhristian Schmidt
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DPr. Karl AddicksDRAEHJUORDHDDUBDHSHInSMDGHEDGDDCDJDDFMNFJKJECMHSFHMDGDFDP
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Ich will in der Sache entsprechend reagieren.
Sie haben allerdings nur ein paar Grundsätze gesagtund über das Konzept 21 zum Steuerrecht, das der De-batte heute zugrunde liegt, so gut wie kein Wort verlo-ren.
Das hat auch seinen Sinn, glaube ich, verehrter HerrMeister; denn das Konzept 21 ist der Verschnitt ausmerzschem intellektuellem Radikalismus – übrigens mitgewaltigen Kollateralschäden –
und bayerischem Pragmatismus von Herrn Faltlhauser.Heraus kommt dabei Flickschusterei.
Insofern darf man über dieses Konzept nicht allzu deut-lich reden.Vereinfachung, Herr Meister, ist eine wunderbareSache – welcher Finanzminister wäre nicht dafür? –,schon um Gestaltungsmöglichkeiten auszuschließen,schon um den Vollzug wesentlich einfacher zu machen;alles richtig. Aber wenn Vereinfachung mit einer we-sentlich verschärften Ungerechtigkeit bei der Steuerbe-lastung bezahlt wird – deswegen der Hinweis auf dieKollateralschäden –, was wir bei all den Grundsatzkon-zepten feststellen mussten, was auch die Finanzministerder Länder einvernehmlich festgestellt haben, dann istsie nicht in Ordnung. Also: Man muss das zusammen be-trachten.
Wenn Vereinfachung sozusagen mit Unfinanzierbar-keit bezahlt wird, weil weitere riesige Einnahmeausfälleentstehen, dann ist das ebenfalls ein nicht hinnehmbarerKollateralschaden und dann taugt das ganze Konzeptnichts.Die Wahrheit ist – darüber müssen wir uns klar sein;das haben einige der Radikalreformer vielleicht überse-hen –: Wir machen Umbau unter Betriebsbedingungen.Man kann im Elfenbeinturm ein völlig neues KonzeptegDDatebteSWvDejeJSjecdhSnsuLFanZDJaEVz
Ich weiß, wovon ich rede.
enn ich den Versuch unternommen habe, Steuersub-entionen abzubauen, habe ich Ihre Reaktionen gesehen.er wesentliche Grund für die Komplizierung des Steu-rrechts liegt in den vielen Ausnahmetatbeständen fürde kleine Gruppe.
ede Lobby setzt sich durch, wenn man versucht, dieseubventionen abzubauen. Ich sage ganz allgemein: Dieweilige Opposition stellt sich immer vor die entspre-hende Lobby und sagt: Da machen wir nicht mit. Wennie Opposition dann noch eine Mehrheit im Bundesratat, verhindert sie jede konsequente Vereinfachung desteuerrechts; das ist leider wahr.Herr Dr. Meister, diese Erfahrung ist wohl allgemei-er Natur: Jeder Finanzminister hat den Versuch, Steuer-ubventionen abzubauen, mit seiner jeweiligen Mehrheitnternommen. Dann hat man festgestellt, wie stark dieobby ist.
ür die Opposition – das will ich gar nicht einfachbtun – ist es eine besondere Versuchung, der Lobbyachzugeben.
urzeit geschieht das ganz massiv.
ieses Vorhaben blockieren Sie jetzt schon seit vielenahren über den Bundesrat.Ihr Konzept, Herr Dr. Meister, kann in der Tat nichtkzeptiert werden.
s stellt gegenüber all den Vorschlägen, die Sie in derergangenheit auf den Tisch gelegt haben, eine Kompli-ierung dar und ist noch immer ungerecht. Die Absen-
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Bundesminister Hans Eichelkung des Eingangssteuersatzes auf 12 Prozent und desSpitzensteuersatzes auf 36 Prozent macht die ganze so-ziale Schieflage deutlich. Sie selbst sagen, Ihr Konzeptführe – das bestätige ich – zu einem Einnahmeausfall inHöhe von 10 Milliarden Euro,
in den ersten beiden Jahren sogar zu einem Einnah-meausfall von 15 bis 16 Milliarden Euro.
Hinzu kommt Ihr Kindergeld-Versprechen, das weitere17,5 Milliarden Euro kostet.
Wir haben es hier also mit einem Konzept zu tun, dasnachhaltig 27,5 Milliarden Euro kostet. Meine Damenund Herren, Ihre Vorschläge sind nicht von dieser Welt.
Dass in Ihrem Gesamtkonzept eine Finanzierungs-lücke in Höhe von 100 Milliarden Euro besteht, hat Ih-nen Horst Seehofer vorgerechnet. Mit anderen Worten:Ihr Konzept, das hier auf dem Tisch liegt, ist nicht wirk-lichkeitstauglich. Deswegen haben Sie Ihre Vorschlägeauch nicht im Einzelnen angesprochen.Um es wirklichkeitstauglich zu gestalten, muss manzu allererst fragen: Wie sieht der Finanzrahmen aus?Denn die Finanzminister haben festgestellt: Wenn einKonzept nicht finanzierbar ist, ist es nicht tauglich. Washeißt das? Ich sage, damit das klar ist, ganz freimütig: Eskann nicht so weitergehen, dass wir den Bundeshaushaltnur dadurch verfassungsgemäß gestalten können, dasswir in großem Umfang Privatisierungserlöse einsetzen.Das wollte ich nicht tun.
Ich wollte sie zum Abbau alter Schulden, nicht aber zurFinanzierung laufender Ausgaben verwenden.Inzwischen gibt es fünf Länder in Deutschland, die,anders als der Bund, bereits in der Vorlage verfassungs-widrige Haushalte haben.
– Auf Bayern komme ich noch zu sprechen, HerrMichelbach. – Im reichen Land Hessen,
in Niedersachsen und im Saarland wurden verfassungs-widrige Haushalte vorgelegt; es müsste Ihnen übrigensauffallen, dass in all diesen Länder Ministerpräsidentenvon der CDU regieren.
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aden-Württemberg ist haarscharf an der Verfassungs-idrigkeit vorbeigeschrammt. Dort werden die Zinsein-ahmen bis zum Jahr 2017 für die stille Einlage in derandesbank auf die Jahre 2005 und 2006 vorgezogen,odass man gerade noch einen verfassungsgemäßenaushalt vorlegen kann.
ayern behauptet, nächstes Jahr einen Haushalt ohneredite vorzulegen. Die Wahrheit ist, dass dies durch dieerwendung von Privatisierungserlösen und Entnahmenus alten Rücklagen, die aus alten Kreditermächtigungenebildet worden sind, realisiert wird. Das ist allerdingsicht gemeint, wenn in der bayerischen Verfassung voninem ausgeglichenen Haushalt die Rede ist.Das ist die Lage, in der wir uns in Deutschland gegen-ärtig befinden.
Seien Sie ganz vorsichtig, Herr Meister; denn hier un-erliegen auch Sie einem Irrtum. In meinen Gesprächenit den CDU-Finanzministern hört sich das schon ganznders an.Unsere Steuerquote ist die zweitniedrigste innerhalber Europäischen Union. Sie liegt ungefähr 3 Prozentnter dem langjährigen Mittel der Bundesrepublikeutschland. Unsere Abgabenquote liegt auf der Höheer Abgabenquote Großbritanniens und unterhalb desurchschnitts der Mitgliedstaaten der Europäischennion. In der gegenwärtigen Situation können wir wederen Abbau der Finanzhilfen und die Einschränkungenm konsumtiven Bereich, die wir massiv vorgenommenaben, noch den Abbau von Steuervergünstigungen fürinzelne Gruppen, die dadurch etwas verlieren, durchllgemeine Steuersenkungen gegenfinanzieren, weil dieinanzlage der öffentlichen Haushalte das nicht zulässt.Das ist die Wirklichkeit, Herr Dr. Meister.
ie macht alles zur Makulatur, was Sie bisher program-atisch an Versprechungen in diesem Bereich gemachtaben. Deswegen sind Ihre Vorschläge nicht wirklich-eitstauglich. Ich kann Ihnen diesen Vorwurf nicht er-paren. Denn gleichzeitig stellen Sie, insbesondere Herrtoiber, sich wieder hin und fordern den Abbau vonchulden und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien.eide Forderungen sind natürlich richtig. Doch7,5 Milliarden Euro von den 26 Milliarden Euro anteuervergünstigungen, die ich seit 2002 zum Abbau
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Bundesminister Hans Eichelvorgeschlagen habe, sind im Blockadegestrüpp des Bun-desrates hängen geblieben. Im vorigen Jahr – das kannman den Statistiken entnehmen – hätten wir, wenn Sienicht blockiert hätten oder wenn wir dieses Volumendurch andere Maßnahmen mit gleicher fiskalischer Wir-kung ersetzt hätten, die 3-Prozent-Grenze bereits einge-halten und wir hätten uns manche Debatte sparen kön-nen. Also, meine Damen und Herren: Was hiergenehmigt ist und im Bundesrat hängen bleibt, liegt inIhrer Verantwortung und nicht in unserer; das muss klarzugewiesen werden.
Vorgeschlagen habe ich ja jede Menge. Das Problemist – darauf komme ich gleich noch zurück –, wie Sie aufso etwas reagieren.
Das wird so nicht weitergehen. Herr Dr. Meister, dasProblem mit dem von Ihnen vorgelegten Konzept ist– Sie wissen es selbst; der Sachverständigenrates hat dasrichtig gesagt; ich zitiere nur den einen Satz aus seinemGutachten –:Alles in allem sind die von CDU/CSU und FDPvorgelegten Konzepte in der derzeitigen Fassungals Grundlage einer Unternehmenssteuerreformnicht geeignet.
Das ist die zentrale Botschaft.Eine Einkommensteuerreform haben wir gemacht,mit ganz massiven Einschnitten. Auch eine Unterneh-mensteuerreform haben wir eingeleitet. Deren ersteStufe war das Halbeinkünfteverfahren. Dazu kann ichnur sagen: Ein Glück, dass wir das gemacht haben!
Denn wenn das Manninen-Urteil des Europäischen Ge-richtshofs jetzt noch auf uns durchschlagen würde, dannmüssten wir bluten ohne Ende.
Bin ich froh, dass ich auf Herrn Merz nicht gehört habe,als wir die Unternehmensteuerreform im Jahr 2000durchgebracht haben! Und Sie müssen auch froh darübersein.Wir haben für die Personengesellschaften, wie für alleprivaten Haushalte, die Einkommensteuer massiv ge-senkt: Eingangssteuersatz von 25,9 auf 15 Prozent, Spit-zensteuersatz von 53 auf 42 Prozent und – ganz zentral;was die Personengesellschaften immer gefordert haben,was der Mittelstand immer gefordert hat – die Gewerbe-steuer als Kostenfaktor durch die Anrechnung de factobeseitigt.DwWuwbruejas–DmedWgwmeArmdgüwkbsunleUjesmIcAa
arauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen,enn ich auf die Vereinbarung des Jobgipfels eingehe.ir haben zudem die Körperschaftsteuersätze gesenktnd auf ein zu dem Zeitpunkt – das ist inzwischen schonieder eine Kleinigkeit anders – international vergleich-ares Niveau gebracht.Deswegen, meine Damen und Herren: Wer jetzt einichtiges Konzept will, der muss darauf aufsetzen
nd dann den Zusammenhang mit der Unternehmensteu-rreform herstellen. Denn der Sachverständigenrat hat zu Recht betont, dass wir nur bei der Einkommen-teuer viel gemacht haben. Für weitere Vereinfachungen wenn ich sie denn durch den Bundesrat bekäme, Herrr. Meister – bin ich jederzeit sofort offen, allerdingsit dem Hinweis: Es darf keine soziale Schieflage dabeintstehen und es muss finanzierbar sein. Wann immeriese beiden Bedingungen erfüllt sind, gehe ich deneg – wenn wir ihn denn gemeinsam gehen können.Im Zentrum steht jetzt – das sagt der Sachverständi-enrat zu Recht –, um unsere internationale Wettbe-erbsfähigkeit zu wahren, die Fortsetzung der Unterneh-ensteuerreform. Dafür gibt es bei der Bundesregierunginen ganz klaren Fahrplan:
m Anfang muss eine rechtsformneutrale und finanzie-ungsneutrale Unternehmensbesteuerung stehen. Dauss man ein bisschen genauer hinsehen, was Sie inem Zusammenhang vorschlagen. Der Sachverständi-enrat kritisiert ja zu Recht: Die Aussagen kommen aberber einige allgemeine Aussagen kaum hinaus. Gesagtird lediglich, dass der Dualismus von progressiver Ein-ommensteuer und Körperschaftsteuer grundsätzlicheibehalten wird und beide Seiten mit dem Ziel der Be-teuerungs-, Rechtsform- und Finanzierungsneutralitätnter Berücksichtigung der europäischen und internatio-alen Entwicklung aufeinander abgestimmt werden sol-n. Dies lässt eigentlich alle Fragen offen.
nd das ist auch so, meine Damen und Herren! Sie sindtzt, auch mit dem Optionsmodell, genau bei dem Vor-chlag angekommen, den ich vor fünfeinhalb Jahren ge-acht habe und den Sie damals abgelehnt haben.
n Wirklichkeit werden wir uns etwas anderes klar ma-hen müssen: Das reicht gar nicht mehr. Wir sind mit derrt, wie wir in Deutschland die Unternehmen besteuern,uf europäischer Ebene ein Ausnahmefall.
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Bundesminister Hans EichelDas heißt: Wir werden die Rechtsformneutralität nurdann erreichen, wenn wir alle Unternehmen unter dasgleiche Steuerregime stellen, nämlich das Körperschaft-steuerregime. Das ist die europäische Übung und da-rüber werden wir reden müssen.Über den Punkt, den Sie damals noch heftig attackierthaben, werden wir Einigkeit erzielen müssen, wenn wirbei der Unternehmensbesteuerung wirklich vorankom-men wollen. Das wirft eine Reihe von Fragen auf, auchhinsichtlich der Gewerbesteuer. Ich will in RichtungFDP ausdrücklich sagen: Unser Modell sieht nicht einekommunale Selbstverwaltung vor, die allein von Zuwei-sungen abhängig ist. Wir wollen eine kommunale Selbst-verwaltung mit eigenem Steuerrecht und eigenem He-besatzrecht. Das wird man sich bei dieser Gelegenheitwieder sehr genau ansehen müssen.
Wir haben Untersuchungen dazu eingeleitet, ob wirden Weg von der Rechtsformneutralität hin zu einer glei-chen Besteuerung aller Arten von Kapitalerträgen gehenund das von den Arbeitseinkommen trennen sollten. Dasist die Dual Income Tax; das ist der Vorschlag desSachverständigenrates. Ich will dies heute nur als Frageformulieren, weil ich bei der Beurteilung, ob wir diesenWeg gehen sollten, vorsichtig bin. Wir haben Untersu-chungen dazu begonnen. Diese Lösung finden wir inSkandinavien. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen beur-teilen. Das ist ein kompliziertes Thema. Ich will nur da-rauf hinweisen, dass es ein Pro und ein Kontra gibt. DasKontra ist die Frage, ob das alles als gerecht empfundenwird. Ich sage: Da es die Schweden können, hätte ich da-mit keine sehr großen Probleme.
Das Pro könnte darin liegen, dass es uns im europäi-schen Wettbewerb unter Umständen hilft. Die syntheti-sche Einkommensteuer ist mit einem großen Problemverbunden. Am Ende hat man nämlich sehr niedrigeSpitzensteuersätze mit hohen Einnahmeausfällen undUngerechtigkeiten, was niemand im Ernst wollen kann.Ich glaube, das würde auch der deutschen Tradition derBesteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wie dies imGrundgesetz steht, widersprechen. Nicht, dass Sie michfalsch verstehen: Ich sage nicht, dass das verfassungs-widrig wäre, aber es würde nicht unserem Verständnisentsprechen. Darüber werden wir reden müssen. AlleVorbereitungen, die notwendig sind, um die Debatte sau-ber führen zu können, werden vom Sachverständigenratso getroffen, dass wir Ende des Jahres alle Argumente– Pro und Kontra – auf dem Tisch haben.Zum Zeitablauf. Eine solche große neue Stufe derUnternehmensteuerreform ist bei der notwendigenSorgfalt nicht in dieser Legislaturperiode zu erreichen.Die Finanzminister der Länder haben einstimmig gesagt,dass man bei den jetzt gegebenen Grundlagen in dieserWahlperiode keine neue große Steuerreform machenkann. Der Sachverständigenrat sagt zu Recht, dass einesorgfältigere Erarbeitung nötig ist, um das tun zu kön-nadsbDstfgaIoEDssmrmsSmshmddumwdVsbvSwtznUsDgGrsgAirrmuo
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Ich komme als Beispiel auf das schöne Thema Erb-schaftsteuer zu sprechen. Wir sind uns doch einig, HerrMeister. Aber das, was mir an Unterlagen übergebenworden ist, ist ein Arbeitsentwurf, der nicht einmal dasbayerische Kabinett passiert hat. Daher frage ich: Ist dasnun die Position der B-Länder? Was ist eigentlich mitder Gegenfinanzierung?
Dazu steht da nämlich nichts. Für die Einbringung mussich doch wenigstens wissen, ob die Bayerische Staatsre-gierung dahinter steht oder ob das nur ein Referentenent-wurf ist. Wird das von den B-Ländern unterstützt? Wasist mit der Gegenfinanzierung? Diese Fragen müssen ge-klärt werden.
Was mich auch gewaltig ärgert – das ist nicht in Ord-nung –, ist, dass von Unseriosität die Rede war. Es be-stand Einvernehmen darüber, dass wir wenigstens auftechnischer Ebene zusammenarbeiten. Das ist gesche-hen. Das Fazit war, dass aufgrund von Berechnungen derbdsmdgiRmsraabzmsuw–sMhswmnsVmeBwawwSdhnsSWsDDSdi
it jeder Steuerrechtsänderung wird zugleich eine Ver-altensänderung der Steuerbürger bewirkt, die einge-chätzt werden muss. Wenn wir hier vernünftig vorgehenollen, werden wir also miteinander reden müssen. Ichuss dafür aber wissen: Wer ist der Verhandlungspart-er? Wie ist seine Position?
Ich habe vorgeschlagen, jetzt in das Verfahren einzu-teigen, damit wir vor dem Sommer fertig werden. Einermittlungsverfahren sollten wir daher vermeiden. Voneiner Seite wird jede Art von Gespräch akzeptiert, seis in der Arbeitsgruppe, die jedenfalls aus Sicht desundeskanzler und des Vizekanzlers damals vereinbartar – offenbar sieht das Ihre Seite anders –, sei es jederndere Weg im Rahmen des Verfahrens. Dann könnenir zu einer Lösung kommen.Ich habe – das ist mir sehr schwer gefallen – die Ge-erbesteuerumlage herausgenommen. Das hat meineeite dieses Hauses nicht gewollt und das hat Ihre Seiteieses Hauses nicht gewollt. Ich will Sie aber auf einesinweisen: Das Tableau zeigt, dass die einzigen Gewin-er der harten Steuerrechtsänderung die Kommunenind. Nun will ich Ihnen sagen, worüber ich mich ärgere.chauen Sie sich einmal an, was in Deutschland passiert.ir haben in diesem Hause Entscheidungen zur Verbes-erung der kommunalen Finanzausstattung getroffen.as haben wir gewollt.
as stand auch im Zusammenhang mit Hartz IV.chauen Sie sich einmal an, was gegenwärtig in deneutschen Ländern passiert. Baden-Württemberg – dasst nur der gröbste Fall – kürzt vor diesem Hintergrund
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Bundesminister Hans Eichelden kommunalen Finanzausgleich mit der Begründung,den Kommunen gehe es so gut und dem Land gehe es soschlecht. Deshalb hole sich das Land das Geld wiederzurück. Das sollten wir alle uns als Bundestagsabgeord-nete nicht gefallen lassen.
Da Sie, verehrter Herr Dr. Meister, so unpolemischgesprochen haben, habe ich das auch gemacht.
– Dann können Sie nicht zuhören. – Das ändert abernichts daran, dass es noch Meinungsdifferenzen gibt.
Wir sollten vielleicht den Versuch unternehmen, uns zueinigen. Dann muss ich allerdings wissen, wer verhan-delt. Ich muss auch Ihre Position kennen. Es geht nicht,nur Nein zu sagen. Sie, die Sie die Mehrheit im Bundes-rat haben, müssen auch sagen, was Sie stattdessen wol-len. Das ist der Weg nach vorne, den wir gehen müssen.
Wie gut, dass einzelne Meinungsverschiedenheiten
bleiben, sonst brauchten wir die Debatten nicht.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlass derDebatte ist heute das „Konzept 21“ der CDU/CSU-Frak-tion und nicht die Auswirkungen des Jobgipfels, auf dieich aber anschließend eingehen will. Die FDP-Fraktionhatte vor über einem Jahr, im Januar, dem DeutschenBundestag einen Gesetzentwurf für eine neue Einkom-mensteuer vorgelegt, weil wir eine grundsätzliche Steu-erreform noch in dieser Legislaturperiode ermöglichenwollten.
Leider haben die Regierungsfraktionen dieses Angebotnicht angenommen. Bei aller Unterschiedlichkeit in Ein-zelheiten hätte man sehr wohl zu einem gemeinsamenKonzept kommen können und hätte dann nicht wie-derum zwei bis drei Jahre verloren. Ich bedauere außer-ordentlich, dass es diese Bereitschaft nicht gegeben hat.
Das Konzept war sehr weitreichend, zumal wenn Siebedenken, dass sich das Einkommensteuergesetz heutein der Beck’schen Textsammlung auf über 303 Seiten er-streckt, während unser neues Einkommensteuergesetznur 25 Seiten umfasst. Das zeigt ganz deutlich, wie starkmuBavuüDtrbmDdZfrwevdzsSsnztenHwBEeWlmsNNdSUrvbuDI–o
as ist auch kein Wunder, wenn sogar die Finanzverwal-ung sie nicht mehr anwenden kann, wenn die Steuerbe-ater nicht mehr fähig sind, alle Vorschriften richtig zueurteilen, und wenn selbst die Finanzgerichte nichtehr in der Lage sind, ein endgültiges Urteil zu fällen.ieses Steuerrecht ist obsolet und es muss beseitigt wer-en. Wir stimmen mit der CDU/CSU-Fraktion in derielsetzung völlig überein, dass wir ein drastisch verein-achtes Steuerrecht brauchen.Nun haben wir – das muss man hier erklären – unse-en Entwurf im Finanzausschuss zurückgezogen, weilir Änderungsbedarf hatten; denn wir wollten ihn mitinem Entwurf zu einer Reform der Unternehmensteuererbinden. Der internationale Wettbewerb genauso wieie Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofswingen uns dazu, eine Reform der Unternehmensbe-teuerung durchzuführen. Deswegen wollten wir diechnittstellen zwischen Einkommensteuer und Körper-chaftsteuer neu formulieren. Die Zeit dafür wurde unsicht zugestanden. Deshalb haben wir unseren Entwurfum Einkommensteuergesetz zurückgezogen. Wir bera-en jetzt auf unserem Bundesparteitag ein Konzept fürine Unternehmensteuerreform. Wir werden dies in ei-em Gesetzestext formulieren, eine Abstimmung undarmonisierung vornehmen und dann einen Gesamtent-urf für eine Reform der direkten Steuern im Deutschenundestag noch in dieser Legislaturperiode – ich hoffe,nde dieses Jahres – vorlegen.
Das sage ich nur, um Ihnen zu zeigen, dass wir esrnst meinen, und zwar nicht parteipolitisch einseitig.ir sehen die objektive Notwendigkeit einer grundsätz-ichen Reform der Steuern. Dabei sind der Tarif und da-it der Streit um den Tarif in Wirklichkeit das Unwe-entlichste. Das Entscheidende ist die systematischeeugestaltung des Steuerrechts.
ur so werden wir, zumindest im europäischen Raum,ie Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Es ist eineelbstverständlichkeit, dass wir bei der Reform dernternehmensteuern darauf achten müssen, dass der eu-opäische Binnenmarkt endlich auch im Steuerrechtollzogen wird. Dadurch sind wir gezwungen, die Wett-ewerbssituation in Europa zu berücksichtigen und dienterschiedlichen Steuerhöhen so umzugestalten, dasseutschland die Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangt.ch habe das in einer Grafik abgetragen, auf der Sieauch wenn es für Sie jetzt schwer sichtbar ist – an derberen schwarzen Linie erkennen können, dass
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Dr. Hermann Otto SolmsDeutschland die Unternehmen, egal welcher Rechts-form, am weitaus höchsten besteuert.
Die Argumentation mit der Steuerquote oder derdurchschnittlichen Besteuerung, Herr Eichel, die immerwieder vorgetragen und immer wieder widerlegt wird,führt an der Realität doch völlig vorbei. Ein Investor, derüberlegt, ob er in Österreich oder in Deutschland inves-tieren soll, der fragt doch nicht nach der Höhe der Steu-erquote, sondern nur danach, wie hoch er besteuert wird,wenn er Gewinne erzielt, und ob er seine Verluste mitden Gewinnen verrechnen kann. Wenn er in Deutschlandvon der Mindeststeuer erfährt – die, ohne Mitwirkungder FDP, leider von beiden Seiten des Hauses eingeführtworden ist –, sagt er: Nein, einen solchen Unsinn macheich nicht mit; wenn ich nicht einmal meine Verluste derAnlaufphase sofort mit den dann entstehenden Gewin-nen verrechnen kann, dann werde ich in Deutschlandnicht investieren.
Wenn die Besteuerung – egal ob sie bei 42 Prozenteinschließlich Soli oder bei 39,5 Prozent durch Körper-schaftsteuer plus Gewerbesteuer liegt – deutlich höherist als in den anderen Ländern – ich nehme als Maßstabwieder Österreich mit 25 Prozent –, dann sagen die Un-ternehmer: Es macht keinen Sinn, dort zu arbeiten undzu investieren. Deswegen müssen wir die Steuerbelas-tung für die Unternehmen auf ein in Europa wettbe-werbsfähiges Niveau bringen. Das heißt, wir müssen aufunter 30 Prozent – wohin auch immer, aber auf jedenFall unter 30 Prozent – kommen. Das bedeutet, wir brau-chen eine direkte Absenkung.
Herr Eichel, wenn jetzt, wie beim Jobgipfel verein-bart, ein Schritt in die richtige Richtung gemacht wird– Senkung der Körperschaftsteuer um 6 Prozent –, dannunterstützen wir das als FDP. Das heißt allerdings, dassSie eine adäquate Entlastung zwingend auch für die Per-sonengesellschaften und Einzelkaufleute brauchen.
Es macht überhaupt keinen Sinn, dass Herr Münteferinggegen die großen Unternehmen polemisiert und gleich-zeitig nur die großen Unternehmen entlastet werden.Was ist das für ein Widerspruch?
Die Masse der mittelständischen Unternehmen, die jahier die große Zahl der Arbeitsplätze sichert und anbie-tet, wird hingegen schlechter behandelt. Das kann nichtErgebnis eines solchen Schrittes sein.Wir sind für die Absenkung der Körperschaftsteuerum 6 Prozentpunkte. Wir sind auch für den Reforman-satz bei der Erbschaftsteuer, den wir in unserem Pro-gramm seit zehn Jahren haben und den auch die CDU/CSU in ihrem „Konzept 21“ hat. Wir sind ebenfalls da-fwsSbgnsrWuSecsducEsnolazgFgpdaVbBbglhze
Dass die Verlustzuweisungsfonds schlechter gestelltzw. deren Vorteile beseitigt werden, wird von unsrundsätzlich unterstützt. Wir wollen das Konzept dannatürlich im Detail sehen; das muss man sich genau an-chauen. Aber eine Verschärfung der Mindestbesteue-ung wird von uns grundsätzlich abgelehnt, weil das eineg in die falsche Richtung ist.
Im Übrigen haben wir im Bereich der Subventionennd der finanziellen Zuwendungen einen riesigenpielraum zur Entlastung. Unsere Haushälter haben jain „Sparbuch“ mit über 400 Einzelvorschlägen entwi-kelt und im Haushaltsausschuss vorgelegt; es sieht Ein-parungen mit einem Gesamtvolumen von 12,5 Milliar-en Euro vor. Ich trage Ihnen das hier noch einmal vor,m Ihnen und auch der Öffentlichkeit deutlich zu ma-hen: Sparen ist möglich.
s muss gemacht werden; wir müssen mehr sparen. In-ofern unterstützen wir den Bundesfinanzminister in sei-er Sorge um den Haushalt. Wir wollen einen stabilitäts-rientierten Haushalt. Wir wollen unseren Beitrag dazueisten. Wenn die Regierungsseite von den im Haushalts-usschuss beratenen über 400 Anträgen aber keinen ein-igen für unterstützenswert hält, dann scheint schon dierundsätzliche Bereitschaft zu fehlen, eine vernünftigeinanzpolitik gestalten zu wollen.
Herr Bundesminister Eichel, die Steuerreform istrundsätzlich unverzichtbar. Das hat auch der Bundes-räsident in seiner vorzüglichen Rede vor den Vertreterner Arbeitgeberverbände gesagt. Wir brauchen sie. Siellein wird Deutschland nicht nach vorn bringen. Dieerbindung mit anderen Reformen, solchen auf dem Ar-eitsmarkt, bei den sozialen Sicherungssystemen und imildungsbereich, ist notwendig. Sie ist aber unverzicht-ar. Wir müssen uns gemeinsam an diese riesige Auf-abe machen, weil einer allein sie gar nicht lösen kann.Sich aber immer wieder mit dem Argument der feh-enden Gegenfinanzierung – Sie behaupten, die Haus-alte könnten das nicht tragen – um das Thema herum-umogeln, das geht so nicht weiter. Deswegen fand ichs interessant, dass Sie in Ihren Vorschlägen beim
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Dr. Hermann Otto SolmsJobgipfel von einem Selbstfinanzierungseffekt gespro-chen haben.
– In den Zeitungen ist das aber so dargestellt worden. Ichhabe schon gedacht, allmählich komme die SPD zur Ver-nunft.Steuern sind natürlich ein dynamisches Element inden wirtschaftlichen Zusammenhängen. Eine Selbstfi-nanzierung kann nach und nach entstehen, wenn maneine gute Steuerreform macht. Das haben Sie immerwieder verneint. Es ist aber so. Die ganze ökonomischeWissenschaft bestätigt das. Damit wären wir auf einemrichtigen Weg.Schritte in die richtige Richtung werden von uns un-terstützt. Das heißt aber nicht, dass wir uns um die Ge-samtreform herummogeln können. Wir brauchen zwin-gend eine grundsätzliche Reform der Steuern undFinanzen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Nur kein Neid, Herr Michelbach. – Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Startschuss warder Bierdeckel. Ich weiß noch, wie – jetzt hätte ich bei-nahe Herrn Solms genannt; er war bei den Vereinfachun-gen auch dabei – Herr Merz im Zusammenhang mit demBierdeckel in den Zeitungen gefeiert wurde.
Wenn man sich nun den Entwurf anschaut, über den wirheute reden, stellt man fest: Der Bierdeckel ist weg undHerr Merz ist auch weg.
Mit einem riesigen Theaterdonner wurde uns ein ein-faches und transparentes Steuerkonzept angekündigt,das, wie gesagt, auf einen Bierdeckel passt.
Wir wurden mit einem völlig unausgegorenen, unge-rechten und nicht finanzierten Antrag der CDU/CSU-Fraktion konfrontiert, der am Ende 27,5 Milliarden Euroneue Schulden bedeuten würde.
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Mir wäre es natürlich recht, wenn wir heute darüberiskutieren könnten, was auf dem Jobgipfel vereinbarturde. Wir haben vorgeschlagen – das wurde auf demobgipfel vereinbart –, die Körperschaftsteuersätze von5 auf 19 Prozent zu senken. Die bessere Gewerbesteu-ranrechnung bedeutet, dass in Zukunft alle klein- undittelständischen Unternehmen, die Personenunterneh-en sind, bis zu einem Hebesatz von 380
eal nicht mehr mit Gewerbesteuer belastet werden. Au-erdem soll der Betriebsübergang im Mittelstand er-eichtert werden. Das ist die getroffene Vereinbarung.Es wäre gut und wichtig, wenn wir für den Standorteutschland ein klares Signal geben könnten. Wir müs-en schnell Klarheit schaffen, damit die Unternehmenlanungssicherheit haben. Sie müssen wissen, dass derositive Effekt für Wachstum und Beschäftigung und dieamit verbundenen Arbeitsplätze kommt. Diese Verein-arung darf nicht – das ist das derzeitige Problem – imarteipolitischen Gezerre versanden.
Die Union hat, unverdrossen wie sie in dieser Fragest, gesagt, dass die Steuersätze gesenkt werden müssten,ass aber für die Finanzierungsvorschläge der Finanz-inister zuständig sei.
enn uns das nicht gefalle, solle er auf andere Vor-chläge ausweichen. An der Diskussion um die Finan-ierung würden Sie sich nicht beteiligen. – So geht esicht!
enn man gemeinsame Absprachen vereinbart, dann hatan sich gefälligst daran zu halten. Man kann nicht aufer einen Seite die positiven Punkte für sich reklamierennd sich auf der anderen Seite – wenn es um die schwie-igen Finanzierungsfragen geht – in die Büsche schla-en. Das ist nicht in Ordnung und dient letztendlichicht unserem Land.Frau Merkel hat eine Gegenfinanzierung eingefordert.ir können aber nur feststellen, dass es bisher keineninzigen Finanzierungsvorschlag seitens der Union gibt.estern konnte man unter anderem in der „Welt“ lesen,ass Herr Michael Meister gesagt hat: Wir werden keineorschläge machen.
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16244 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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Christine ScheelIch sage noch einmal: Wer andere Finanzierungsvor-schläge kritisiert, der muss, wenn er seriös sein will,auch eigene Vorschläge vorlegen.
Ich kann Sie nur auffordern, sich nicht länger einer in-haltlichen Auseinandersetzung zu verschließen. Denn esist notwendig, dass das Geplänkel aufhört, dass kon-struktiv an einer Einigung gearbeitet wird und dass wiruns unserer gemeinsamen Verantwortung für den Stand-ort Deutschland bewusst sind.
Nun zu Ihrem Antrag. Sie fordern dort ein einfache-res, gerechteres und leistungsfreundlicheres Steuerrecht.
Das können wir alles unterschreiben, Frau Wülfing.Dem kann ich ebenfalls zustimmen.
Sie sagen aber leider nicht, wie Sie zu diesem neuenSteuerrecht kommen wollen. Das ist genau das Grund-problem Ihres Antrages.Sie stellen Eckpunkte auf – so gehen Sie immer vor –,die völlig unklar sind. Dann sagen Sie, die rot-grüne Re-gierung bzw. die sie tragenden Fraktionen sollten dieseUnklarheiten beseitigen, und fordern uns auf, wir solltenunsere Hausaufgaben machen.
Das heißt, Sie überlassen uns die Aufgabe, Ihre nebulö-sen Eckpunkte zu konkretisieren und Ihre Vorschläge inein Gesetz zu gießen. Aber sobald von uns ein Vorschlagkommt, springen Sie wieder ins Gebüsch.
Es ist kein Wunder, dass Sie nur ein Eckpunktepapier inForm eines Antrags und eben keinen Gesetzentwurf vor-gelegt haben. Damit beweisen Sie nicht ihre Regierungs-fähigkeit.
Das „Konzept 21“ soll Zukunftsfähigkeit suggerieren.Ich habe schon gesagt, dass es sehr unklar ist. Ich machedas an ein paar Beispielen fest.Alle Welt redet über die Reform der Unternehmens-besteuerung, nur fast die gesamte Union nicht.
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ieses ist völliger Unsinn und ökonomisch nicht haltbar.as kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein.
Es geht ferner um das Thema EU-Recht-konformeesteuerung, das mit der aktuellen Rechtsprechung desuropäischen Gerichtshofs natürlich zunehmend in denokus der Steuerpolitik kommt. Der Minister hat daraufingewiesen, dass wir Gott sei Dank nicht dem nachge-ommen sind, was Sie damals gefordert haben, als wirnsere Entscheidung für das Halbeinkünfteverfahren ge-offen haben. Da haben Sie nicht mitgemacht. Hättenir diese Entscheidung damals nicht getroffen, dann hät-n wir heute aufgrund der EuGH-Urteile Steuerausfälle zweistelliger Milliardenhöhe in der Bundesrepublikeutschland.
a sehen Sie, zu welchem Schaden Ihre Positionen fürieses Land führen und welche Probleme Sie uns durchhre milliardenschweren Risiken vor die Füße gekipptätten, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Bundes-aushalt, sondern auch im Hinblick auf die Länder undtztendlich auch die Kommunen.
Auch ist klar zu sagen, dass Ihre Vorschläge zu einermensen Lücke in Höhe von 27,5 Milliarden Euro füh-en. Ihr Konzept ist unfinanzierbar. Sie widersprechenich selbst, wenn Sie einerseits immer wieder sagen, wirollten die Maastricht-Kriterien einhalten,
ann aber andererseits Vorschläge machen, die zu mehrchulden in Höhe von 27,5 Milliarden Euro führen. Dast unsolide. Dazu kann man nur sagen: Seien Sie froh,
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Christine Scheeldass Sie nicht in die Situation kommen, dieses Konzeptwirklich umsetzen zu müssen!Ich fasse zusammen: Der Antrag der Union lässt mehrFragen offen, als er beantwortet: Unternehmensbesteue-rung – Fehlmeldung! EU-Rechtskonformität – keineVorschläge! Aufkommensneutralität: nicht erreicht! Gottsei Dank können wir den Vorschlag, den Sie gemacht ha-ben, heute ablehnen.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Rzepka, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Nach sechs Jahren rot-grüner Bundesregierungbefindet sich die deutsche Volkswirtschaft in einerschweren strukturellen Wachstums- und Beschäftigungs-krise. Zunehmende Armut und zunehmende Arbeitslo-sigkeit in Deutschland sind das Resultat einer Politik,der es nicht gelingt, die Rahmenbedingungen unsererdem verstärkten internationalen Wettbewerb ausgesetz-ten Volkswirtschaft zu verbessern.
Die Menschen in unserem Land erkennen diesen Zu-sammenhang. Das Vertrauen in die rot-grüne Politiksinkt. Im Regierungslager breitet sich Panik aus: Kapita-lismuskritik, klassenkämpferisches Getöse, Boykottauf-rufe gegen deutsche Unternehmen aus der Parteizentraleder SPD und Vorschläge zur Senkung der Unternehmen-steuern aus dem Kanzleramt. Während sich der Bundes-kanzler über eine mangelnde Investitionsbereitschaft be-klagt, redet die stellvertretende SPD-VorsitzendeArbeitsplätze kaputt. Ein schlüssiges Konzept sieht an-ders aus.
Deutschland braucht eine tief greifende Modernisie-rung der sozialen Marktwirtschaft, die den Regeln desMarktes wieder neue Geltung verschafft: Staatshaushaltesanieren, den Arbeitsmarkt deregulieren, Sozialsystemean die veränderte Entwicklung anpassen, die Staatsquoteund die Steuern senken sowie die Bürokratie abbauen.Viele unserer europäischen Nachbarn – übrigens auchSozialdemokraten – sind diesen Weg gegangen und ha-ben neue Beschäftigung und soziale Sicherheit bewirkt.Nur große Teile der deutschen Sozialdemokratie habenoffenbar immer noch nicht die wohlstandsförderndeKktrmtustiwmdzAaMhhe4evjeulisRrEd-fetesVtenrgfgUeSsnzwb
Die Unionsfraktion schlägt mit dem vorliegenden An-ag eine grundlegende Reform der Steuerstruktur vor,it der das Steuersystem einfacher, gerechter und leis-ngsfreundlicher werden soll. Die Steuersätze sollen ge-enkt werden. Im Gegenzug müssen allerdings Subven-onen und Steuervergünstigungen weitgehend abgebauterden.Das gegenwärtig nicht mehr reformfähige Einkom-ensteuergesetz ist aufzuheben und durch ein vollstän-ig neu formuliertes Einkommensteuergesetz zu erset-en. Die bestehenden Steuerbefreiungen, Freibeträge,bzugsbeträge und Ermäßigungen werden weitgehendufgehoben. Jede Person – auch die Kinder; Kollegeeister hat schon darauf hingewiesen – erhält einen ein-eitlichen Grundfreibetrag von 8 000 Euro. Die darüberinausgehenden Einkünfte werden einem Stufentarif mitinem Eingangssteuersatz von 12 Prozent und einem ab5 000 Euro Jahreseinkommen greifenden Spitzensteu-rsatz von 39 Prozent unterworfen. Tarifhöhe und Tarif-erlauf werden zur Vermeidung einer kalten Progressiondes zweite Jahr inflationsbereinigt.Der Dualismus von progressiver Einkommensteuernd proportionaler Körperschaftsteuer wird grundsätz-ch beibehalten. Einkommensteuer- und Körperschaft-teuerrecht werden mit dem grundsätzlichen Ziel derechtsform- und der Finanzierungsneutralität unter Be-ücksichtigung der europäischen und der internationalenntwicklung aufeinander abgestimmt.Steuererklärung und Steuerveranlagung werden durchen Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung undübermittlung sowie den Ausbau des Quellenabzugsver-ahrens radikal vereinfacht. Die Gewerbesteuer wird innger Abstimmung mit den Kommunen durch eine Be-iligung an der Einkommen-, Körperschaft- und Um-atzsteuer ersetzt.Schließlich fordern wir die förmliche Aufhebung desermögensteuergesetzes und die Erleichterung der Un-ernehmensnachfolge bei der Erbschaftsteuer, die ganzntfallen soll, wenn der Betrieb mindestens zehn Jahreach Übergabe fortgeführt wird. Die schnell realisierba-en Teile des neu zu formulierenden Einkommensteuer-esetzes sollen im Rahmen eines steuerpolitischen So-ortprogramms vorweggenommen werden.Wir sind zudem bereit, zusammen mit der Bundesre-ierung in einem ersten Schritt eine Reduzierung dernternehmensteuerbelastung auf unter 35 Prozentinschließlich der Gewerbesteuer umzusetzen. Von einerteuersenkung dürfen allerdings nicht nur die Kapitalge-ellschaften profitieren. Auch die vielen Personenunter-ehmen insbesondere im mittelständischen Bereich sindur Stärkung ihrer Eigenkapitalbasis und ihrer Wettbe-erbsfähigkeit auf Entlastungen angewiesen.Einen ersten Erfolg haben wir mit unserem Antragereits erreicht: Auch die Bundesregierung hat nunmehr
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Peter RzepkaHandlungsbedarf bei der Unternehmensbesteuerung er-kannt und Vorschläge dazu vorgelegt. Bei der Prüfungder Vorschläge werden wir uns von den Zielen der Steu-ervereinfachung und der Verlässlichkeit steuerpoli-tischen Handelns leiten lassen. Außerdem wollen wirkeine neuen Staatsschulden zulassen.
Herr Finanzminister Eichel, in diesem Punkt war IhrKonzept von Anfang an unseriös; denn Sie gehen dabeivon 3,3 Milliarden Euro aus, die aus der Senkung desKörperschaftsteuersatzes durch die Verlagerung von Ge-winnen nach Deutschland zusätzliche Steuereinnahmenin unserem Lande generieren. Wir halten diese Größen-ordnung für völlig inakzeptabel.Heute haben Sie uns mitgeteilt, dass Sie – das ist si-cherlich auch richtig – die Gewerbesteuerumlage nichterhöhen wollen. Damit fällt eine weitere Gegenfinanzie-rungsmaßnahme weg.
– Für den Bund ist das mit Sicherheit eine Gegenfinan-zierungsmaßnahme.Insofern sind Sie mit dem Torso Ihres Konzepts heuteletzten Endes auf dem Rückzug. Wir werden sehen, wieSie die Finanzierungslücken auffangen wollen.Frau Kollegin Scheel, auch Sie haben in der Öffent-lichkeit mit Ihrer Fraktion die Gegenfinanzierung durchden Bundesfinanzminister kritisiert, wenn ich das richtigverstanden habe. Aber wir hätten heute erwartet, dassSie im Bundestag vorschlagen, wie aus Ihrer Sicht dieGegenfinanzierung aussehen soll.
Sie machen in der Öffentlichkeit bzw. in der Presse Vor-schläge, von denen wir alle wissen, dass sie mit dem Eu-roparecht nicht vereinbar und deshalb nicht umsetzbarsind. Aber in der Diskussion im Plenum des Bundestagsstellen Sie sich diesen Fragen offensichtlich nicht. DennIhnen ist bewusst, dass Sie bisher keine umsetzbarenVorschläge zur Gegenfinanzierung vorgelegt haben.
Der als Steuerchaos bezeichnete Zustand des Steuer-rechts ist für alle von ihm Betroffenen unerträglichgeworden. Er ist Ursache für Politik- und Demokratie-verdrossenheit; zudem behindert er das Wirtschafts-wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen, weil esan Vertrauen und Rechtssicherheit fehlt. Vertrauen undRechtssicherheit sind aber Grundlagen für Investitionenund Konsum.Die Bundesregierung hat das Vertrauen in die Bestän-digkeit staatlichen Handelns schwer erschüttert. Alleinin den letzten zwei Jahren hat es 23 Gesetzesänderungenim steuerlichen Bereich gegeben, die zusätzliche Kom-plizierungen mit sich gebracht und zum Teil kurz vorherewslAltuiEHnrbBtmVfsbdudKEnfdiBGFWTdMdd
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Frechen, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir beraten heute über einen Antrag, der vor wenigenagen Geburtstag hatte. Ein Jahr lang sind die Kollegener CDU/CSU-Fraktion durch das Land gezogen, um dieenschen glauben zu machen, dass ihr Steuerkonzeptie große Reform und die große Weisheit ist. Der Vateres Gedankens ist Ihr ehemaliger Finanzexperte
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Gabriele FrechenFriedrich Merz. Das Ganze hieß ursprünglich „Steuerer-klärung auf dem Bierdeckel“. Nun wissen auch die Kol-legen von CDU und CSU, dass ein Bierdeckel eigentlichan den Stammtisch und nicht in den Deutschen Bundes-tag gehört. So haben sie den Bierdeckel zu einem Kon-zept weiterverarbeitet. Viel geholfen hat es aber nicht.
Die Anhörung hat ganz deutlich gezeigt, dass erheblicheMängel in Ihrem Konzept versteckt sind. Der „Spiegel“titelt – nicht zu Unrecht – „Bierdeckels Tod“.Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten. Gemeinsam istuns die Erkenntnis, dass das Steuerrecht vereinfachtwerden muss. Wir müssen Ausnahmetatbestände strei-chen sowie Steuerschlupflöcher und Gesetzeslückenschließen. So viel zur Theorie. Doch leider hört bei derUmsetzung die Gemeinsamkeit weitestgehend auf. Icherinnere nur an das Steuervergünstigungsabbaugesetz,die Abschaffung der Eigenheimzulage und – zuletzt – andas EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz. Möglichkeitenhatten Sie genug. Aber Sie haben keine genutzt. Immerwenn es konkret wird, tauchen Sie ab.
Gleichzeitig legen Sie ein Konzept vor, das den An-spruch erhebt, einfach und gerecht zu sein. Geht dasdenn überhaupt? Kann ein Steuergesetz einfach undgleichzeitig gerecht sein? Ich sage: Objektiv geht dasnicht. Jede Vereinfachung ignoriert Lebenssachverhalte.Jede Pauschalierung führt zum Verlust von Gerechtig-keit. Deshalb müssen wir uns immer fragen, wie vielVereinfachung wir uns erlauben können, damit unserGerechtigkeitsanspruch nicht pervertiert wird. Subjektiv– darin stimme ich Ihnen zu – ist es durchaus möglich,dass eine Vereinfachung zu einem Gefühl von Gerech-tigkeit beiträgt. Die Komplexität der Materie und dievielen Ausnahmen, die oft nur diejenigen nutzen kön-nen, die sich professioneller Hilfe bedienen, führen zueiner gefühlten Ungerechtigkeit. Steuerpflichtige wissennicht, ob sie alle Möglichkeiten in Anspruch genommenhaben, und kommen – meistens zu Unrecht, manchmalaber auch zu Recht – zu dem Ergebnis, dass die Materiesie aufgrund ihrer Kompliziertheit benachteiligt. Wirstimmen überein, dass es Einzelfallgerechtigkeit imSteuerrecht nicht geben kann.Durch das von Ihnen vorgelegte Konzept wird aberdie soziale Balance in erhebliche Schieflage gebracht.Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie alles ab-schaffen und niemandem sagen, was eigentlich abge-schafft wird?
– Frau Wülfing, Sie werden ja gleich noch reden. WennSie etwas zu sagen haben, dann sollten Sie das von die-sem Rednerpult aus tun.Die Steuerfreiheit bei den Sonn- und Feiertagszu-schlägen wollen Sie ja ganz besonders gern streichen.Und was ist, wenn sie gestrichen wird? Es gibt nur zweiMBwaehlewWSHMSpBsPEfzdgindHfeCnnssrrsSetuIrdekk
Herr Dr. Meister, Sie haben von Familie gesprochen.aben Sie den Familien auch gesagt, dass künftig dasutterschaftsgeld besteuert werden soll? Sie sehen dietreichung dieser Ausnahme vor. Haben Sie den Kum-els in Nordrhein-Westfalen gesagt, dass für Sie dieergmannsprämie und die Abfindungen Subventionenind, die gestrichen werden müssen? Haben Sie denendlern aus der Pfalz, aus dem Sauerland und aus derifel, die jeden Tag in die Ballungszentren zur Arbeitahren, gesagt, dass jede Entfernung über 50 Kilometerum Privatvergnügen degradiert werden soll? Haben Sieen Studenten gesagt, dass sie künftig nicht nur Studien-ebühren bezahlen sollen? Übrigens, das lehnen die SPD Nordrhein-Westfalen und auch unser Ministerpräsi-ent Peer Steinbrück zu Recht strikt ab.
aben Sie den Studenten auch gesagt, dass die Steuer-reiheit von Stipendien abgeschafft werden soll, da sieine Subvention darstellt? Ist das Ihre Vorstellung vonhancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit? Meineicht!
In Ihrem Konzept regen Sie an, die neuen Medien zuutzen. Darauf hat gerade auch Herr Rzepka hingewie-en. Das ist eine Bombenidee; sie kommt nur reichlichpät. Vielleicht würde Ihnen ein Besuch in einem nord-hein-westfälischen Finanzamt einmal gut tun: Dort, imoten NRW, könnten Sie sehen, dass nicht nur Elster,ondern auch die vereinfachte Steuererklärung vomPD-Landesfinanzminister Jochen Dieckmann bereitsrfolgreich umgesetzt werden.
Alle 16 Länderfinanzminister kommen in der Bewer-ng des Konzeptes einstimmig zu dem Ergebnis, dasshr Modell nicht finanzierbar ist. Wir streiten uns in un-egelmäßigen Abständen über das 3-Prozent-Kriterium,as Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen. Wie passtin Haushaltsloch von 10 Milliarden Euro in diese Dis-ussion? Rechnet man noch das Kopfgeld in der Kran-enversicherung und andere utopische Wahlversprechen
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Gabriele Frechenhinzu, bedeutet das laut Herrn Seehofer ein 100-Milliar-den-Euro-Haushaltsloch.Von einer Gegenfinanzierung gibt es weit und breitkeine Spur.
Von uns verlangen Sie, dass die Änderungen in der Kör-perschaftsteuer bis auf den letzten Cent gegenfinanziertwerden. Das mag daran liegen, dass Sie an uns deutlichhöhere Ansprüche als an sich selbst stellen. Es kann aberauch daran liegen, dass Sie wieder einmal überhauptnicht wissen, wo Sie stehen.
Michael Glos hat in der „Financial Times Deutsch-land“ gesagt:Wir müssen bei der Senkung der Unternehmens-steuern zumindest zu einer Teil-Gegenfinanzierungkommen.Man müsse das Finanzierungskonzept aber „nicht bis zurletzten Mark“ ausrechnen. Hingegen sagt VolkerKauder:Wir unterstützen eine Unternehmenssteuerreform,aber nur bei hundertprozentiger Gegenfinanzierung.Was wollen Sie denn eigentlich?
Allein für die Kommunen würde Ihr Modell einenRückgang der Einnahmen um 1,5 Milliarden Euro be-deuten. Sie haben schon einmal probiert, die Kommunenzum Anhängsel des Bundes zu machen. Damals hat Ih-nen die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth gesagt:Was bei der Reform der Gewerbesteuer auf einem gutemWeg war, haben die Länder zu Fall gebracht. Ergänzendfüge ich hinzu: Es waren nicht die SPD-geführten Län-der, die es zu Fall gebracht haben.Beim Thema Erbschaftsteuer ist bei Ihnen ebenfallsein klarer Ja-aber-vielleicht-doch-nicht-Kurs zu erken-nen. Der bayerische Finanzminister schlägt Änderungenbei der Erbschaftsteuer zur Erleichterung der Unterneh-mensnachfolge vor. Diese kopieren Sie dann eins zu einsin Ihr Konzept. Als es an die Umsetzung ging, war im„Handelsblatt“ zu lesen:Auch die aus Bayern stammende Erbschaftssteuer-änderung trifft auf Widerstand in einigenCDU-Ländern.Ist das Taktik oder Unvermögen?Eigentlich sollte diese Lesung bereits in der letztenWoche stattfinden. Sie wurde verschoben, um die Ergeb-nisse aus der Finanzministerkonferenz zur Unterneh-mensbesteuerung abzuwarten. Aber einmal ganz imErnst: Was hat Ihr Konzept mit Unternehmensbesteue-rung zu tun? Doch überhaupt nichts!IPeesSlabsnaecg–SIcZSRvSdSsf–g
n der Anhörung wurde ganz deutlich, dass gerade dieserunkt fehlt. Die FDP war schlauer. Sie hat ihren Gesetz-ntwurf zurückgezogen und gesagt: Wir machen es nochinmal, wenn wir mit der Unternehmensteuer so weitind. – Sie aber hatten gehofft, Ihren Antrag bis zumankt-Nimmerleins-Tag in der Schublade verschwindenssen zu können oder ihn einfach in der aktuellen De-atte mit zu verbraten, ohne dass noch einer darüberpricht. Den Gefallen tue ich Ihnen nicht.Bei Ihnen passen schlüssiges Handeln und Redenicht zusammen. Sie ziehen über die Dörfer und tun so,ls ob Sie den Stein der Weisen gefunden hätten. Wenns dann darum geht, sich der Diskussion zu stellen, tau-hen Sie ab und suchen Nebenkriegsschauplätze. Daseht nicht.
Herr von Stetten, ich habe noch ein schönes Zitat fürie aus einem Kommentar des Deutschlandfunks:Oder Angela Merkel und Edmund Stoiber hatteneinfach nicht damit gerechnet, vom Bundeskanzlerbeim Wort genommen zu werden. Sollte das derFall sein, muss freilich der Eindruck entstehen, dassda ein alter Fahrensmann gleich zwei Leichtmatro-sen vorführte. Und damit dürften die Probleme fürdie Union im Allgemeinen und Angela Merkel imBesonderen erst beginnen.
ch sage: zu Recht. Denn die Menschen wollen verlässli-he Politikerinnen und Politiker, die auch in schwereneiten meinen, was sie sagen, und sagen, was sie tun.
ie wollen keine Leichtmatrosen und sie wollen keineückwärtsroller, auch nicht in NRW.
Das einzige Konzept, das Sie haben, ist, Konzepteon anderen einzufordern. Das ist eindeutig zu wenig.ie sind nämlich in die Opposition gewählt und nicht inen vorzeitigen Ruhestand versetzt worden.
ie wollen im Wartehäuschen die auf dem Jobgipfel be-chlossenen Änderungen bis zum 22. Mai aussitzen. Dasunktioniert nicht. Das werden wir Ihnen vorhalten.
Ja, nehmen wir die heute veröffentlichte: 1 Prozent Zu-ewinn bei den Grünen, 1 Prozent Rückgang bei der
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Gabriele FrechenCDU. Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. – Sie be-kommen Ihre Quittung am 22. Mai in Nordrhein-Westfa-len. Rückwärtsroller und Leichtmatrosen wollen dieMenschen da nicht haben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hans Michelbach, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Die politische Lage ist doch eindeutig.
Die rot-grüne Bundesregierung hat das Vertrauen derBürger und der Wirtschaft durch mangelnde Stetigkeitund Berechenbarkeit, durch permanente Nadelstiche ein-fach verspielt. Sie hat vor allem durch eine Steuerpolitikder Irrungen und Wirrungen jedes Vertrauen, insbeson-dere beim Mittelstand, verspielt.
Meine Damen und Herren, wir müssen doch eineneue Vertrauensbasis für den Standort Deutschland her-stellen.
Es ist eine Tatsache, dass Rot-Grün ökonomisch ge-scheitert ist und nicht mehr die Kraft hat, eine Erfolgversprechende Gesamtkonzeption für Wachstum undBeschäftigung einzubringen. Insbesondere in der Steuer-politik, Herr Eichel, ist Ihr Stückwerk wirklich offen-sichtlich. Sie haben keine ordnungspolitische Linie. Siehaben kein Gesamtkonzept für eine zielführende Steuer-systematik.
Es ist doch eine Tatsache: Die deutsche Steuersystema-tik ist immer noch leistungsfeindlich, intransparent undvor allem durch einen undurchdringlichen Paragra-phendschungel belastet. Sie haben in fünf Jahren40 Steuergesetze gemacht und damit das deutsche Steuer-recht immer mehr verwüstet, Herr Bundesfinanzminister.
Sie haben insbesondere bei jeder Tarifsenkung Gegen-finanzierungsmaßnahmen durchgeführt, die einer Sub-stanzbesteuerung gleichkamen. Damit haben Sie letztenEndes kontraproduktiv gehandelt. Ihre Maßnahmen ha-ben somit eher zu Be- statt zu Entlastungen geführt.Meine Damen und Herren, das alles macht deutlich,dass Steuerchaos, Steuerwirrwarr und Reformstillstandaufgebrochen werden müssen und wir klare ordnungs-pbtDSdKgwzgARsgBGdwswgvDtD2SnjBpe–dgvggS
Wir geben mit dem Konzept 21 eine Antwort. Dasonzept 21, das wir heute zur Schlussabstimmung brin-en, ist ein modernes Steuerrecht für Deutschland, einirklicher Befreiungsschlag und eine zielführende Kon-eption für mehr Wachstum und Beschäftigung. Darumeht es. Es ist in Deutschland notwendig, Vorfahrt fürrbeit zu erreichen.
Im Vordergrund des Konzepts 21 stehen ganzheitlicheeformen für die Einkommen-, Gewerbe- und Erb-chaftsteuer. Damit wird das Steuerrecht einfacher underechter und Leistung lohnt sich wieder mehr. Unserenetrieben wird mit dem Erlass der Erbschaftsteuer eineenerationenbrücke ermöglicht. Die Steuersätze werdeneutlich gesenkt, damit Investitionen wieder angereizterden. Diese Ziele müssen für einen neuen Auf-chwung in Deutschland vorrangig erreicht werden.Den Einwand, Herr Eichel, der hier immer wiederiederholt wurde, Deutschland könne sich keine Steuer-esamtreform leisten, lasse ich nicht gelten. Wenn Sieon Rot-Grün so weitermachen, dann können wir uns ineutschland bald gar nichts mehr leisten. Das ist die Si-uation. Wir brauchen hier einen gewissen Freiraum.
ieser Freiraum ist beim Konzept 21 eingeplant. Nicht7 Milliarden Euro, wie Sie sagen, sondern es sind alsofortmaßnahme 10 Milliarden Euro vorgesehen, die fi-anziert werden müssen.
Aber man kann doch nicht so vorgehen, dass man sichetzt wie Frau Frechen jede einzelne Verbreiterung deremessungsgrundlage vornimmt; das hat Verhetzungs-otenzial. Dann kommen wir nie zu einer richtigen Steu-rvereinfachung. Das ist die Situation.
Ja, Sie lachen, Herr Eichel. Es ist doch das Paradoxeer SPD: Links die Konzerne mit Herrn Münteferingeißeln, rechts die Konzerne mit Steuernachlässen be-orteilen. Das ist Ihre Politik. Das muss man deutlich sa-en.
Sie selbst haben doch in Ihrem Vorschlag beim Job-ipfel eine Selbstfinanzierung genannt. Bei uns wollenie das nicht sehen. Das ist quasi so etwas wie eine
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Hans MichelbachSelbstanzeige, die Sie hier vornehmen. Die Vorschläge,die Sie machen, sind in jedem Falle unsolide.Die Sache mit dem Bierdeckel hat natürlich einenVorlauf: die Petersberger Beschlüsse. Ich darf noch ein-mal deutlich daran erinnern. Wenn Sie sie nicht blockierthätten, Herr Eichel, dann hätten wir schon jetzt eine bes-sere Steuersystematik, eine Vereinfachung und eine er-heblich bessere Situation.
Höchste Priorität im Konzept 21 hat für uns hinsicht-lich des Arbeitsmarktes die Generationenbrücke mit derErbschaftsteuerreform für die Betriebe, weil damit Ar-beitsplätze gesichert werden. Die Erbschaftsteuer fürBetriebsvermögen muss bei Fortführung des Unterneh-mens durch die Erben stufenweise reduziert und nachzehn Jahren vollständig erlassen werden. Dieses Degres-sionsmodell ist der richtige Weg für die Sicherung vonArbeitsplätzen.Wir haben aber auch für die Unternehmensbesteue-rung grundsätzliche Forderungen genannt; Sie müssendas nur sehen. Wir haben fünf Punkte, die die Notwen-digkeit und die Konzeption einer Unternehmensbesteu-erung wesentlich ergänzen, zum Konzept 21 entwickelnlassen. Diese beinhalten den Grundsatz, dass Sie die Ge-werbesteuer anpacken müssen. Wenn Sie die Gewerbe-steuer nicht anpacken, dann erreichen Sie in Deutsch-land nie eine Steuervereinfachung und nie eine richtigeUnternehmensbesteuerung. Davor drücken Sie sich,Herr Eichel. Sie müssen bei der Gewerbesteuer handelnund eine kommunale Finanzreform anpacken.
Ich sage abschließend noch einmal deutlich: Wir ste-hen zu den auf dem Jobgipfel beschlossenen Steuerver-besserungen. Wir von der CDU/CSU wollen die Sen-kung der Körperschaftsteuer von 25 auf 19 Prozent. Wirwollen insbesondere das Erbschaftsteuerbetriebserhal-tungsmodell, das hier beschlossen wurde. Wir brauchenin Deutschland jetzt diese ersten, kurzfristigen Maßnah-men. Das ist notwendig.Ich darf Sie bitten, nicht wieder Gegenfinanzierungenvorzuschlagen, die unseriös sind, die wirklichkeitsfremdsind und die letzten Endes zu einer Verschärfung derVerlustverrechnung durch eine Mindestbesteuerung füh-ren und damit Liquidität für Investitionen vernichten.Das ist die Situation, die es nicht geben darf, weil dieBetriebe dann eher belastet als entlastet werden. Das istdie Situation, die wir nicht gebrauchen können.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin.
Ich möchte abschließend Folgendes sagen: Die Union
bleibt in der Steuerpolitik für die Bürger reformbereit.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrichelbach, ich fand in Ihrer Rede eine Stelle wirklichntlarvend, nämlich die, an der Sie auf die Rede vonrau Frechen eingegangen sind und gesagt haben: Manann sich das doch jetzt nicht alles im Detail anschauen;a käme man gar nicht weiter. Natürlich muss man sichie Konsequenzen eines solchen Vorschlags anschauen.ie Konsequenzen für Einzelfälle, für einzelne Lebens-ituationen, etwa von Studentinnen und Studenten, hatrau Frechen deutlich beschrieben. Aber die Konse-uenzen, die es für die Kommunen hätte, wenn wir einuschlagsmodell beschließen und die Gewerbesteuerbschaffen würden, sind noch nicht beschrieben worden.So wie Sie nicht müde werden, immer wieder zu sa-en, man müsse die Gewerbesteuer abschaffen
nd durch einen Zuschlag ersetzen, werden wir nichtüde werden, zu sagen: Schauen Sie sich die Ergebnisseer Kommission zur Gemeindefinanzreform an! Da iston allen deutlich gesagt worden, dass die Verteilungs-irkungen – auf der einen Seite die Verteilung zwischentadt und Land und auf der anderen Seite die Verteilungwischen Bürgerschaft und Wirtschaft – derart negativind,
ass das Modell nicht gewollt wird, schon gar nicht übri-ens von Ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch unter Ihneniele gibt, die sagen müssten: Durch ein Zuschlagsmo-ell schaffen wir keine gute Situation für die Kommu-en. Wir halten Ihren Vorschlag jedenfalls für erkennbarommunalfeindlich und weisen ihn zurück.
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Kerstin AndreaeDie Aufgaben, die die Kommunen haben, sind sehrvielfältig. In Deutschland gibt es ein System ausgereifterkommunaler Selbstverwaltung. Das ist gut. Das wollenwir. Das werden wir auch stärken. Aber richtig ist auch,dass diese kommunale Selbstverwaltung ausreichend fi-nanziert werden muss, und zwar nicht am Gängelband,nicht nur über Zuschüsse, sondern durch eine auf die ei-gene Wirtschaftskraft bezogene Steuer mit Hebesatz-recht.Eines noch, weil das Ganze unter der ÜberschriftSteuervereinfachung steht: Sie wissen genau, dass ge-rade dieses Modell mit dem Zuschlagsrecht eine ganzschlechte Bewertung bekommen hat, was die Vereinfa-chung angeht, weil sie nicht administrierbar ist. Wasmacht man bei einem Handwerksbetrieb mit 30 Ange-stellten, die in unterschiedlichen Kommunen wohnenund für die es unterschiedliche Zuschläge geben müsste?Wer soll das machen? Das ist ein hoher bürokratischerAufwand.
Das hat mit Vereinfachung überhaupt nichts zu tun.
Die Finanzministerkonferenz – das ist schon zwei-oder dreimal angesprochen worden – hat Ihnen insStammbuch geschrieben, dass dieses Modell gar nicht fi-nanzierbar ist. Da hat man sich alle Folgen, die Vorteileund die Nachteile, angeschaut und festgestellt, dass esnicht finanzierbar ist. Wir haben auch Anhörungendurchgeführt. Wir haben sehr darauf gedrängt – das weißich noch gut –, dass die Anhörung zu diesen Steuermo-dellen am gleichen Tag stattfindet wie die Anhörung zuden Maastricht-Kriterien und zu der Debatte über denStabilitäts- und Wachstumspakt. An dem Tag ist deutlichgeworden: Man kann nicht am Vormittag erklären, es seitotal wichtig und auf alle Fälle das allein Entscheidende,dass die 3-Prozent-Grenze eingehalten werde – das wol-len wir im Übrigen auch; wir werden immer wieder da-für kämpfen, diese Defizitgrenze einzuhalten –,
und am Nachmittag über Steuermodelle diskutieren, dieeben mal so mindestens 10 Milliarden Euro – nachSchätzungen sind es sogar bis zu 27 oder 30 MilliardenEuro – kosten.
Das passt nicht zusammen.
Noch ein anderer Punkt. Natürlich machen wir mit,wenn Steuervereinfachungen durchgeführt werden, dieauch im Bundesrat verabschiedet werden. Auch ich seheein – der Bundesfinanzminister hat es vorhin gesagt –,dass hier Handlungsbedarf besteht. Ich teile die Ein-schätzung, dass heutzutage viele Leute das Wochenende,amlrroSwznASDaFKtwEwhBDgLtMsvn
Das Wort hat die Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Wir soll-en uns in dieser Debatte wieder einmal darüber klarerden, in welcher Situation sich Deutschland befindet.
s geht hier nicht um Klein-Klein, sondern darum, dassir in einer schweren strukturellen Krise stecken. Wiraben die höchste Arbeitslosigkeit seit Gründung derundesrepublik Deutschland.
ie Anzahl der versicherungspflichtigen Beschäfti-ungsverhältnisse ist gering und geht sehr stark zurück.eider nimmt auch die Anzahl der produzierenden Be-riebe immer weiter ab.
anche Leute sprechen bereits von einer Deindustriali-ierung Deutschlands.Vor diesem Hintergrund ist diese Debatte, wie sieom Finanzminister und von Rot-Grün geführt wird,icht gerade zielführend.
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Elke Wülfing
Das, was man von Herrn Eichel gehört hat, ist kräftigstzu kritisieren.
Er findet, dass all das, was er unternommen hat, in Ord-nung ist; nur, die Opposition legt leider keine Gesetzent-würfe vor.
Ich frage mich immer: Wer regiert eigentlich? Wenn Sienicht regieren wollen, dann lassen Sie es!
Ich finde, dass viele Bereiche, nicht nur der Steuerbe-reich, reformbedürftig sind. Was wir brauchen, ist eineAbkopplung der sozialen Sicherungssysteme vom Ar-beitsplatz. Was wir brauchen, ist die Senkung der Staats-quote. Was wir brauchen, ist ein neues Arbeitsrecht. Waswir brauchen, ist weniger Bürokratie. Und was wir auchbrauchen, ist ein einfacheres Steuerrecht.
Dabei müssen wir das Ziel verfolgen, die Steuersätze zusenken und die Bemessungsgrundlage zu verbreitern.Das steht nicht nur in unserem Steuerkonzept. Ver-mutlich haben Sie alle die hervorragende Rede unseresBundespräsidenten Köhler gelesen, der sehr deutlich ge-sagt hat:Um Wachstum und Beschäftigung nachhaltig zustärken, brauchen wir auch eine umfassende Steuer-reform. … Unser Staat hat europaweit … die höchs-ten Unternehmensteuersätze. Zugleich erzieltDeutschland mit diesen Unternehmensteuersätzenim Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt europa-weit mit die niedrigsten Steuereinnahmen.Wo er Recht hat, hat er Recht. Das war eine guteRede. Wir sollten uns am Bundespräsidenten orientierenund ihm folgen.Wir wissen – Herr Eichel, das wissen auch Sie und IhrHerr Bundeskanzler –, dass es in Deutschland nicht nurKörperschaften gibt. Ich meine die bösen Kapitalisten,von denen Herr Müntefering gesprochen hat und derenSteuersätze Sie jetzt erneut senken; irgendwie passt IhrePolitik nicht zusammen.Sie wissen ganz genau, dass 86 Prozent der Unterneh-men in Deutschland Personengesellschaften und Einzel-unternehmer sind, die Einkommensteuer zahlen.Schauen Sie sich unser Steuerkonzept doch bitte darauf-hin einmal an! Wer schafft denn die Arbeitsplätze inDeutschland? Das ist doch der Mittelstand, wie HerrMichelbach es eben beschrieben hat und wie ich es jetztafbputlDtmdhbddwsTd–rnSdhgnIGosmwgSwGdwWbwdDbzs
nd die Verlustverrechung für alle wieder verschlech-ern, was vor allem den Mittelstand trifft. Ich will zu al-em anderen nicht viel sagen, aber dazu sage ich Ihnen:ie Verlustverrechnung für den Mittelstand verschlech-ern, das werden wir auf gar keinen Fall mitmachen.
Man sollte vielleicht noch einmal betrachten, was Sieit der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage vorhatten;as ist ja schon eine tolle Sache. Sie denken – nein: Sieoffen; es ist ja viel Hoffnung bei Ihrem Konzept undei dem, was Sie in den Jobgipfel eingebracht haben –,ass sich trotz der Senkung des Körperschaftsteuersatzesadurch, dass Gewinne, die jetzt im Ausland versteuerterden, möglicherweise im Inland bleiben, das Körper-chaftsteueraufkommen erhöht. Auch wir haben zumeil diese Hoffnung. Aber selbst wenn das eintritt, habenie Kommunen davon überhaupt nichts.
Nein.Ich habe eben die Verschlechterung der Verlustver-echnung angesprochen. Damit bekommen die Kommu-en zwar eine bessere Grundlage bei der Gewerbesteuer.ie rechnen sogar mit 1 Milliarde Mehreinnahmen füren Bund; es könnte also sein, dass da ein bisschen mehrereinkommt. Aber das wollen Sie den Kommunenleich wieder wegnehmen. Beim Jobgipfel haben Sieoch das eine oder andere angekündigt, zum Beispiel einnvestitionsprogramm für die Kommunen. Also erst dieewerbesteuerumlage abschöpfen, um sie dann vonben wieder herunterregnen lassen – und auf das Danke-chön warten. Danke schön sagen wir dazu nicht; wirachen das nicht mit.Ich bin sehr froh, dass Sie eben gesagt haben, Sieollten darüber noch einmal nachdenken. Aber ichlaube erst, dass Sie daran etwas ändern wollen, wennie tatsächlich einen Gesetzentwurf vorlegen; daraufarten wir immer noch. Nicht die Opposition macht dieesetze, sondern die Regierung ist es, die regiert. Wennie Regierung wirklich eine Vorlage auf den Tisch legt,erden wir das betrachten und beurteilen.Aber ich glaube nicht, dass diese Maßnahme einenachstumsimpuls bringen wird. Denn was wir wirklichrauchen, ist selbstverständlich ein Gesamtkonzept so-ohl für den Sozialversicherungsbereich als auch füren Einkommensteuer- und Unternehmensteuerbereich.as ist das Einzige, was wirklich den Wachstumsimpulsringen würde, den wir unbedingt brauchen. Denn wieu Anfang gesagt: Deutschland befindet sich in einertrukturellen Krise; Strukturen müssen aufgebrochen
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Elke Wülfingwerden. Ich hoffe, dass das jeder in diesem Hause ein-sieht, nicht nur die FDP und die CDU/CSU.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Bernd Scheelen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Frau Wülfing, der einfache Dreisatz reicht eigent-lich aus, um nachzurechnen, dass, wenn die Unterneh-men mehr im Inland versteuern, auch die Gemeindenetwas davon haben. Das sollen sie auch; das finden wirgut.
Mit uns wird es eine Erhöhung der Umlage nicht geben,um das ganz deutlich zu sagen.
Herr Michelbach und andere Kollegen pflegen ein bis-schen die Legende vom Petersberg: Sie behaupten, hättenwir Ihren Petersberger Beschlüssen damals mit unsererBundesratsmehrheit zugestimmt, ginge es Deutschlandbesser. Dazu will ich ein deutliches Wort sagen: Genaudas Gegenteil wäre der Fall. Wir haben damals verhin-dert, dass Sie eine Steuersenkung für die Bezieher höhe-rer Einkommen durch eine Steuererhöhung für die Bezie-her unterer Einkommen finanzieren. Wir sind nach wievor stolz darauf, das verhindert zu haben.
Der Antrag der Union trägt den Titel „Ein modernesSteuerrecht für Deutschland“ – Bindestrich; die Span-nung steigt –, „Konzept 21“. Ich muss sagen, Ihre Wort-kosmetiker haben da ganze Arbeit geleistet, sie warenwirklich gut. Da ist ein Spannungsbogen drin. Wennman sich allerdings die 16 Seiten, die Sie uns vorgelegthaben, anschaut, dann findet man eine zentrale Aussagedarin.
Die zentrale Aussage lautet: Die Bundesregierung wirdaufgefordert, ein Konzept vorzulegen. Ihre Vorstellungeines Konzepts ist, dass die Bundesregierung ein Kon-zept vorlegen soll. Das ist toll, ganz große Klasse.
Sie geben der Bundesregierung ganz generös ein paaro genannte Gedanken, wie Sie das nennen, mit auf deneg. Ich will mich nur mit einem beschäftigen. Unternderem sagen Sie: Das Steuerrecht muss einfach underecht sein. Das klingt super.
it „einfach“ und „gerecht“ kann man Bier- bzw.tammtischreden halten. Was ist aber die Wahrheit? Dieahrheit ist, dass das gar nicht geht, weil das die Qua-ratur des Kreises wäre. Einfach und gerecht geht nicht.s geht entweder einfach oder gerecht oder kompliziertnd gerecht. Das eine geht nur ohne das andere. Einfachnd gerecht funktioniert nicht.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, die Kopf-auschale.
rau Wülfing, Ihr vermeintliches Highlight in der Ge-undheitspolitik ist die Kopfpauschale. Sie ist einfach;enn jeder zahlt 169 Euro – super.
as ist zwar ganz einfach, aber völlig ungerecht, da derhefarzt dasselbe wie die Sekretärin zahlt und auch dieentner 169 Euro zahlen. Finden Sie das gerecht?
Sie haben erkannt, dass das so natürlich nicht geht.eshalb fangen Sie an, über das Steuersystem mühsaminen sozialen Ausgleich herzustellen, der dazu führt,ass 80 Prozent derjenigen, die das zu zahlen haben,emnächst Anträge auf einen sozialen Ausgleich stellenüssen. Das, was Sie vorschlagen, ist wirklich sehr ein-ach. Sie bestätigen damit: Einfach und gerecht funktio-iert nicht.
ir brauchen Änderungen im bestehenden Steuerrecht,m Vereinfachungen zu erreichen. Dies muss aber im-er unter Berücksichtigung der Gerechtigkeit gesche-en.
Zur Gewerbesteuer will ich einen Satz sagen.
uch das wird in Ihrem vermeintlichen Konzept ange-prochen. Allerdings gehen Sie dort noch ein Stück wei-er. Sie geben zu, dass Sie überhaupt kein Konzept ha-en; denn in Ihren gemeinsamen Grundsätzen von CDUnd CSU schreiben Sie, dass Sie den kommunalen
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Bernd ScheelenGebietskörperschaften anbieten, gemeinsam einen Er-satz für die überholte Gewerbesteuer zu erarbeiten. Woist denn das Konzept? Wann haben Sie das erarbeitet?Sie haben unter Helmut Kohl 16 Jahre lang Zeit gehabt,das zu tun, aber Sie haben das nicht getan.
Nun sind Sie seit fast sieben Jahren in der Opposition, indenen Sie auch Zeit gehabt hätten, gemeinsam mit denkommunalen Spitzenverbänden etwas zu erarbeiten.Auch das haben Sie nicht getan. Sie haben Ihre Hausauf-gaben in dieser Frage nicht gemacht.
Ganz im Gegenteil: Dadurch, dass Sie mit Ihrer Bundes-ratsmehrheit das Ergebnis der Kommission, das auf demTisch lag und das die Kommunen – es hatte die Zustim-mung aller 14 000 Gemeinden – und die kommunalenSpitzenverbände wollten, blockiert haben, haben Sieverhindert, dass eine anständige Gemeindefinanzreformin Kraft tritt. Den Kommunen, den Städten und denKreisen in Deutschland ginge es deutlich besser, wennSie diese Gemeindefinanzreform im Bundesrat nichtblockiert hätten.
Herr Rzepka, Sie haben vorhin gesagt, in der Anhö-rung hätten Ihnen viele Experten zugestimmt.
Ich erinnere mich, dass die Anhörung speziell in diesemPunkt ein Desaster für Sie war.
Ich brauche Ihnen nur kurz aus der Stellungnahme derkommunalen Spitzenverbände zu Ihrem Vorschlag vor-zulesen, der so ähnlich wie der BDI-Vorschlag – „Wegmit der Gewerbesteuer“; stattdessen soll es Zuschläge zuanderen Steuerarten geben – lautet. Die kommunalenSpitzenverbände sagen, ohne eine bessere Alternativestehen sie fest zur Gewerbesteuer. Gleichzeitig sagen sie,dass Ihre Vorschläge eben keine Alternative sind. Es gibtzurzeit kein Konzept, durch das die Gewerbesteuer in ir-gendeiner Form ersetzt werden könnte. Deswegen sindwir froh und stolz darauf, dass wir die Gewerbesteuer
vor Ihrem Zugriff haben retten können.Sie haben gemerkt, dass die Gewerbesteuereinnah-men im letzten und in diesem Jahr deutlich gestiegensind. Das ist der Erfolg des Kompromisses, den wir mitIhnen eingehen mussten. Wir haben noch wesentlichmehr gewollt, aber wir sind schon froh, dass sich die Ge-werbesteuereinnahmen im Moment gut entwickeln. Wirhoffen, dass die Kommunen die Aussicht darauf haben,auch mit Ihrer Zustimmung endlich ein anständiges Re-formkonzept zu erhalten.Isfz„zDBgdF
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-ehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/5176u dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem TitelEin modernes Steuerrecht für Deutschland – Kon-ept 21“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufrucksache 15/2745 abzulehnen. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-en? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmener Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und derDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Stärkung der gesundheitlichen Präven-tion– Drucksache 15/4833 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Stärkung der gesundheitlichen Prävention– Drucksache 15/5214 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Gesundheit und Soziale Siche-rung
– Drucksachen 15/5363, 15/5372 –Berichterstattung:Abgeordneter Detlef Parr
– Drucksache 15/5368 –Berichterstattung:Abgeordnete Waltraud LehnDr. Michael LutherAnna LührmannOtto Frickeb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Gesundheit und So-ziale Sicherung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,Dr. Dieter Thomae, Dr. Heinrich L. Kolb, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerPrävention und Gesundheitsförderung alsindividuelle und gesamtgesellschaftlicheAufgabe– zu dem Antrag der Abgeordneten AnnetteWidmann-Mauz, Verena Butalikakis, MonikaBrüning, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUPrävention als gesamtgesellschaftliche Auf-gabe umfassend, innovativ und unbürokra-tisch gestalten– Drucksachen 15/4671, 15/4830, 15/5363,15/5372 –Berichterstattung:Abgeordneter Detlef ParrNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla-mentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.M
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Prävention und Gesundheitsförderung werden mit demvorliegenden Gesetzentwurf in unserer Gesellschaft festverankert.
Über das Ziel herrscht Einigkeit. Doch wie so oft, wennes ums Geld geht und wenn es konkret wird, enden danndie Gemeinsamkeiten.In den Beratungen und Anhörungen zum Gesetzent-wurf der Bundesregierung und der Fraktionen wurde im-mer wieder kritisiert, die geplante Stiftung Präventionund Gesundheitsförderung sei zu bürokratisch.
Dieser Vorwurf – Herr Kollege Parr, wie könnte es an-ders sein: wenn man genau hinschaut und sich sachkun-dig macht, kommt man zu einem anderen Ergebnis – istfalsch.
Die Stiftung wird nur einen kleinen Arbeitsstab, einenhauptamtlichen Geschäftsführer und einen ehrenamtli-chen Vorstand haben. Ihre Arbeit soll ausdrücklich aufden vorhandenen Strukturen in den Ländern aufbauen.Sie agiert mit klaren Vorgaben. Von einem Übermaß anBürokratie also keine Spur.Der zweite Kritikpunkt war, der Entwurf sei nichtverfassungsgemäß. Dieser Vorwurf, auch wenn er stän-dig wiederholt wird, wird dadurch nicht richtiger. Hierhat ein Gutachten der beiden Verfassungsressorts – da-rüber bin ich sehr froh – für Sicherheit gesorgt. Klar ist,dass die Zweckbindung der Beiträge der Versichertenvollständig gewahrt wird. Die Sozialversicherungen ha-ben in der Stiftung eine strukturelle Mehrheit und kön-naibmnirsfBrchjhhagmnWdnShiuDpsGvwErgKtwbsüSazkc
Ich denke, dass mit diesem Gesetz eine sinnvollechnittstelle geschaffen wird. In diesem Gesetz – es er-öht die Urteilskraft, wenn man sich sachkundig macht –st das erste Mal die Aufgabenbeschreibung der BZgAnd ihre Abgrenzung von der neuen Stiftung gelungen.amit wird es zu Synergieeffekten kommen und Dop-elarbeit wird vermieden. Das war überfällig. Das findetich in dem Gesetz wieder.
Es ist aber notwendig, zu sagen: Wir geben nicht nureld aus, sondern wir wollen mit diesem Gesetz die Prä-ention als eigenständige vierte Säule im Gesundheits-esen verankern. Deshalb verändern wir die Strukturen.s wird zum Beispiel in Zukunft eine eigene Evaluie-ung und Berichterstattung beim Robert Koch-Instituteben. Die Bundesministerien haben sich auf der letztenabinettssitzung zu einer gemeinsamen Präventionsstra-egie der Bundesregierung verständigt, in der dargelegturde, welches Ministerium in Zukunft welche Aufga-en erfüllt. Das heißt, Prävention wird zu einem Quer-chnittsthema, das alle Ministerien umfasst. Dies istberfällig.
Wir zeigen auch deshalb Flagge, um gegenüber denozialversicherungen deutlich zu machen, dass es nichtllein ihre Aufgabe ist und wir uns nicht aus der Finan-ierung zurückziehen. Wir bekennen uns im Gegenteillar zur Aufgabe der Prävention. Aber die Sozialversi-herungen müssen dies auch tun. Ich habe wenig
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkVerständnis für die Diskussion, die in der Öffentlichkeitstattfindet. Wenn man sich überlegt, dass die gesetz-lichen Krankenversicherungen 140 Milliarden Euro fürdie Bereiche kurative Medizin, Rehabilitation, Pflegeund alles, was damit verbunden ist, ausgeben und jetztdiskutiert wird, ob die geforderten 180 Millionen Euroeigentlich zu viel seien, dann muss man zu dem Schlusskommen, dass die Debatte in eine völlig falsche Rich-tung geht.Es ist überfällig, dass wir umsteuern und dass dieMittel für die Prävention ausgeschöpft werden. Wenndie Kassen das alleine getan hätten und es Synergien ge-geben hätte, wäre es gut gewesen. Aber wir wissen dochalle, dass die Mittel in der Vergangenheit nicht ausge-schöpft wurden. Wir wissen auch, dass dort, wo die Prä-vention besonders wichtig wäre, nämlich in den sozialenBrennpunkten, bei Kindern und Jugendlichen, bei älte-ren Arbeitnehmern und älteren Menschen allgemein, dieIndividualprävention gar nicht ankam. Sie wurde viel-mehr überwiegend von Frauen zwischen 35 und 50 Jah-ren aus der Mittelschicht genutzt. Es ist gut so, dass diemitmachen, aber das kann es doch nicht alleine sein. DiePrävention muss dort angeboten werden, wo die Men-schen die Prävention wirklich brauchen.
Ich glaube, dass wir aus diesem Grunde die Verant-wortung der Sozialversicherungsträger einfordern müs-sen. Ich glaube auch, dass es richtig ist, mit einem erstenwichtigen Schritt zu beginnen. Es ist aber wie immer inder Bundesrepublik Deutschland: Alle sind sich über dasZiel einig, aber dann kommt die ganze Reihe der Be-denkenträger, der Verhinderer und der Blockierer. Jedersagt, warum es so nicht geht, warum es jetzt nicht geht,dass die Mittel zu hoch sind und dass das Ganze organi-satorisch in eine falsche Richtung geht.
Ich will an der Stelle ausdrücklich sagen, dass diejeni-gen, die sich jetzt zu Wort melden, einbezogen waren,und zwar sowohl die Sozialversicherungsträger als auchdie Länder. Es wäre sehr schön, wenn man bei dem ein-mal Verabredeten bliebe, auch wenn das im Momentnicht in die politische Strategie passt. Ich hoffe sehr, dasssich die Fachminister in dem Punkte durchsetzen undnicht die Ministerpräsidenten, die im Moment nur eineBlockadepolitik gegen diese Bundesregierung betreiben
und die Zustimmung zu den wirklich wichtigen Maßnah-men verweigern. Deswegen müssen wir die Einhaltungdes Verabredeten deutlich einfordern.
Für uns besteht der entscheidende Gewinn der Stif-tung darin, dass wir endlich grundlegende Präventions-ziele für die Bundesrepublik Deutschland haben werden.Wir werden Dachkampagnen haben und wir werdenQualitätsstandards entwickeln. Es soll nicht nur etwasgemacht werden, sondern auch überprüft werden, ob dieZdneslüDiSÖtdmBnstsdigAC„OFhsüKEEdgnhbFKGGEviv
Das Wort hat die Kollegin Verena Butalikakis, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dem Krümelmonster in der ‚Sesamstraße‘ wird einebstdiät verordnet.“ So lautete die Ankündigung imernsehen vor ungefähr drei Tagen, die ich zufälligörte. „Na endlich!“, dachte ich in Erinnerung an die an-trengenden Erklärungsversuche meinen Kindern gegen-ber, dass wirklich nur das Krümelmonster so vieleekse in sich hineinstopfen darf.Hintergrund dieser Meldung war dann tatsächlich dierklärung, dass das Krümelmonster durch das vielessen – oder Fressen – von Obst in dieser Bildungssen-ung für kleine Kinder ein Vorbildverhalten füresunde Ernährung bieten soll. Richtig, kann man daur sagen. Ich glaube, wir sind uns über die Fraktioneninweg einig: je früher Gesundheitserziehung, destoesser. Wenn das Kind dann nicht nur in der beliebtenernsehsendung, sondern auch in der Familie und in derita erfährt, wie man sich richtig ernährt, wenn daselernte in der Schule verstärkt wird, dann ist derrundstein für ein gesundheitsbewusstes Verhalten imrwachsenenalter gelegt und Prävention kann in Eigen-erantwortung wahrgenommen werden. Das Verhaltenst gelernt worden – die Wunschzielvorstellung von Prä-ention.)
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Verena ButalikakisBei den Erwachsenen sieht das Lernen heute aller-dings anders aus. Die Aussage „Krankheiten vorzubeu-gen und zu verhindern ist besser, als Krankheiten zu hei-len“ erhält in Umfragen hundertprozentige Zustimmung.Auf die Frage: „Was ist wichtig für die Gesundheit?“stehen laut einer Umfrage von Allensbach die Antworten„Bewegung, Sport“, „Ernährung“ und „Vorsorgeunter-suchungen“ weit oben in der Rangfolge.Doch obwohl der Präventionsgedanke in den letztenanderthalb Jahrzehnten erfreulicherweise mehr Raumgewonnen hat und auch das Angebot an Präventions-maßnahmen unterschiedlichster Art stark angewachsenist, die Diskrepanz zwischen dem Kennen und Benen-nen von Schlagworten, dem Wissen, auf der einen Seiteist und dem Handeln für die eigene Gesundheit auf deranderen Seite nach wie vor zu groß. Nur 25 Prozent derBefragten in der oben genannten Untersuchung erklären,dass sie gesundheitsbewusst leben und ihre Ernährungund Lebensweise darauf ausrichten, gesund und fit zubleiben.Das ist der Sachstand zum Thema Prävention. Wir ha-ben ein Umsetzungsproblem. Dabei sind sich Wissen-schaftler und Gesundheitspolitiker aller Parteien seit vie-len Jahren einig: Für eine wirkliche Stärkung muss einneuer Ansatz umgesetzt werden. Prävention wird dievierte Säule des Gesundheitswesens; wir haben es ge-rade gehört: ein Paradigmenwechsel. Prävention wirdeine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Präventionbraucht eine gesicherte Finanzierungsgrundlage.Inhaltlich gehören dazu: eine Begrifflichkeit für Prä-vention, eine abgestimmte Strukturgebung, gemeinsamePräventionsziele und Kontrollen für die Zielerreichung.Außerdem brauchen wir für diesen neuen Ansatz einegesetzliche Grundlage.Die Vorteile einer gestärkten Prävention auf einer gu-ten, neuen gesetzlichen Grundlage liegen angesichts derdemographischen Entwicklung und absehbarer Kosten-steigerungen auf der Hand. Wenn mehr Menschen sichbewusst gesundheitsbewusst verhalten, wird die Lebens-qualität des Einzelnen gesteigert und längerfristig erge-ben sich Einsparungen in den sozialen Sicherungssyste-men.Ich gehe davon aus, dass über die von mir umrisseneZielbeschreibung Einigkeit im Haus herrscht. Ich willsie für die CDU/CSU-Fraktion noch einmal ausdrücklichbestätigen. Was wir noch brauchen, ist ein Gesetz, dasdiese Anforderungen auch umsetzt. Im Rahmen desGesundheitskompromisses 2003 wurde die Vorlage ei-nes Präventionsgesetzes, die dann ein Jahr zu spät kam,verabredet. Dieser Gesetzentwurf erfüllt den – zugege-benermaßen sehr hohen – Anspruch nicht. Ich sage aus-drücklich: leider nicht.Die CDU/CSU-Fraktion hatte deshalb parallel zu demGesetzentwurf einen Antrag eingebracht, der im Einzel-nen den notwendigen Änderungsbedarf belegte und einegrundlegende Überarbeitung einforderte. Ich will kurzdie Einzelpunkte nennen:Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe mussauch eine gemeinsame Finanzierung haben.
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eim Einsatz von Beitragsmitteln der Versicherten istie Verfügungs- und Entscheidungshoheit des jeweiligenozialversicherungsträgers unabdingbar.Prävention als neue, vierte Säule im Gesundheits-esen umfasst für uns nicht nur die Primär-, sondernuch die Sekundär- und Tertiärprävention. Notwendigind transparente Organisationsstrukturen, die gerin-en bürokratischen Aufwand und geringe Verwaltungs-osten garantieren.Bei der ersten Lesung im Bundestag im Februar die-es Jahres wurden unsere Einwände und Forderungenon Ihnen, Frau Ministerin – Sie sind anwesend, habenber nicht geredet, was uns etwas verwundert hat; viel-eicht empfinden Sie nach dem ganzen Gesetzgebungs-erfahren keine große Liebe mehr für dieses Gesetz –,eiseite gewischt mit den Worten: „Machen Sie mit, an-tatt mies zu machen.“ Voll des Lobes für den eigenenesetzentwurf gipfelten Ihre Aussagen dann in folgen-en Worten:Angesichts der zahlreichen Partner, die an den Be-ratungen beteiligt waren, die CDU/CSU-Fraktion war es nicht –ist der vorliegende Gesetzentwurf das, was wir mo-mentan mit Zustimmung aller – der Sozialversiche-rungsträger, aber auch der Länder – auf den Wegbringen können.Wollen wir diese Aussage, am besten anhand von Zi-aten, einmal überprüfen.Mit der Zustimmung der Sozialversicherungsträger?n der Anhörung am 9. März stellte sich die Sachlage et-as anders dar. Für den Verband der Deutschen Renten-ersicherungsträger stellte Dr. Reimann unter anderemest – ich zitiere –:An diesen beiden Punkten – Finanzierung und Zu-ständigkeiten – sehen wir erheblichen Nachbesse-rungsbedarf an dem vorliegenden Gesetz.Für die gesetzliche Krankenversicherung äußerte sicherr Stuppardt von der IKK wie folgt:Wir haben… bezogen auf diesen Gesetzentwurf eine umfas-sende Stellungnahme in Richtung Klarstellungs-und Ergänzungsbedarf abgegeben … Es kann aucheiniges in diesem Gesetz gestrichen werden, weil esletztendlich verfassungsrechtlich nicht trägt. Dafürhaben wir das Gutachten in Auftrag gegeben. Wirbrauchen eine gründliche Überarbeitung …
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Verena ButalikakisDer Bundesrat tagte am 18. März. Mit der Zustim-mung der Länder? Ich zitiere aus der Bundesratsdrucksa-che 97/05:Der Gesetzentwurf weist Überregulierungen auf,die nicht mit dem Ziel des Bürokratieabbaus über-einstimmen.Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Gesetz-entwurf einer Überarbeitung bedarf, um im Sinneder vorgenannten Ausführungen einfachere undtransparentere Organisationsstrukturen auf Bundes-ebene zu schaffen, die den bürokratischen Aufwandverringern.Frau Ministerin, ich stelle fest, der vorliegende Ge-setzentwurf hat weder die Zustimmung der Sozialversi-cherungen noch die der Länder.
Das heißt, Ihre Aussage in der ersten Lesung warschlichtweg falsch.Darüber hinaus haben in der Anhörung alle 39 Sach-verständigen weiteren Änderungsbedarf sehr deutlichgemacht. Hauptkritikpunkte waren die Finanzierung, dieOrganisationsstrukturen und der hohe Bürokratieauf-wand. Das sind genau die Kritikpunkte, die wir von derCDU/CSU-Fraktion auch vorgetragen haben. AllesMiesmacher? Nein, wahrscheinlich zeigt das nur, dassTeile dieses Gesetzes einfach „mies“ sind.
Welche Schlussfolgerungen hat die rot-grüne Regie-rungskoalition aus all den Änderungsanforderungen undÜberarbeitungswünschen gezogen? – Gar keine! Wiesagte der Kollege Lohmann im Ausschuss, als er dieneuen Änderungsanträge der Regierungskoalition vor-stellte? – „Das sind alles redaktionelle Änderungen.“ So-mit steht das Gesetz heute inhaltlich unverändert zur Ab-stimmung.
Auch das vorliegende Gutachten zu verfassungsrecht-lichen Fragen, von der gesetzlichen Krankenversiche-rung in Auftrag gegeben, ist mit einer Kurzstellung-nahme aus dem Bundesministerium des Innern fürentkräftet erklärt worden.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktionwird den Gesetzentwurf ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lassen
Sie uns anfangen, und weil ich genau weiß, dass gleich
– wie in der ersten Lesung – die Sätze folgen werden:
Wir müssen den ersten Schritt in die richtige Richtung
machen, möchte ich zum Abschluss kurz etwas bemer-
ken: Zur Stärkung von Prävention kennen wir nicht nur
die Richtung, wir kennen das Ziel. Ich habe das eingangs
ausgeführt. Wir sind uns einig über die grundlegenden
Punkte – über die Wissenschaftler und Gesundheitspoli-
tiker sich seit vielen Jahren einig sind. Und wir haben
auch gar nicht mehr die Zeit, nur einen kleinen ersten
Schritt zu tun. Wir brauchen einen großen Schritt, um
das angestrebte Ziel zu erreichen. Dieses große Ziel ist
das richtige Gesetz, und das fehlt leider.
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Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/
ie Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigent-ich sind sich alle einig.
igentlich finden alle, dass Prävention gut und wichtigst. Eigentlich finden alle, dass wir für die Präventionine rechtliche Grundlage brauchen. Eigentlich findenlle – Sie, Frau Butalikakis, haben sich vorhin das Mottousdrücklich zu Eigen gemacht –, dass Vorbeugen besserst als Heilen. Eigentlich wissen alle, dass in der Präven-ion eine der größten Wirtschaftlichkeitsreserven unseresesundheitswesens schlummert. Das könnte ja genü-end Gemeinsamkeit sein, um ein Gesetz gemeinsamuf den Weg zu bringen.
ber auch bei diesem Gesetz ist es so: Wenn es konkretird, fliegen plötzlich die Fetzen.Woran liegt das eigentlich? Wenn es wirklich unter-chiedliche fachliche Perspektiven wären, dann könntean darüber diskutieren. Aber ich fürchte, es liegt vorllem an den unterschiedlichen Interessen der beteiligtenkteure, die allzu oft mit dem konkreten Gesetzespro-ekt gar nichts zu tun haben. In der aktuellen Diskussionber das Präventionsgesetz reden zu viele pro domo,erfolgen ihre eigenen Interessen und lediglich ihre urei-ensten Anliegen.
Wie ist die Situation? Die Krankenkassen rufen denystembruch aus, weil von den rund 130 Milliardenuro, die sie im Jahr in medizinische Leistungen inves-eren, künftig rund 100 Millionen Euro – das ist weni-er als 1 Promille – in eine Bundespräventionsstiftungnd in Präventionsmaßnahmen in Kindergärten, Schulennd Nachbarschaften fließen sollen. Durch diese Auf-ge fühlen sie sich in ihrer Selbstverwaltungsautonomieeschnitten und unerträglich bevormundet.Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bun-esärztekammer monieren, dass die Ärzteschaft in demesetz nicht hinreichend berücksichtigt werde
nd übersehen dabei, lieber Kollege Parr,
ass Primärprävention keine alleinige Domäne der Ärz-schaft ist. Hier geht es um die Zusammenarbeit
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Birgitt Benderverschiedener Berufsgruppen. Im Zentrum stehen abervor allem die Bürgerinnen und Bürger.Es sind die Länder – genauer die unionsdominierteMehrheit im Bundesrat –, deren Verhalten man sich ganzbesonders genau anschauen muss. Ich bin der Meinung,sie haben einen Preis verdient. Ich werde noch sagen,welchen.Die Länder haben zunächst in monatelangen Ver-handlungen diesen Gesetzentwurf mit der Bundesregie-rung ausgearbeitet. Jetzt sind sie dagegen. DieselbenLänder hatten vor Beginn der Verhandlungen noch denAufbau von 16 Landespräventionsstiftungen gefordert.Jetzt plötzlich monieren sie den Aufbau einer einzigenStiftung und bezeichnen ihn als unerträglichen Ausdruckdes allerschlimmsten Bürokratismus. Das hat offensicht-lich nichts mit der Sache zu tun. Ich würde sagen, dieBundesländer haben den Präventionspreis in Blech ver-dient.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist wichtig. Es wärewünschenswert, dass wir ihn gemeinsam verabschieden;denn damit schaffen wir das Fundament einer modernenund bedarfsgerechten Präventionspolitik. Er beendet dieZersplitterung, die bisher die Organisations- und Finan-zierungsstrukturen der Prävention kennzeichnet. Diedrei Hauptträger der Prävention, die Krankenkassen, dieUnfallkassen und die Rentenkassen, bestehen aus meh-reren Hundert Einzelorganisationen. Wir wissen alle,dass heute jede der vielen Krankenkassen, Berufsgenos-senschaften und Rentenversicherungsanstalten für sichentscheidet, welche Finanzmittel sie an welchem Ort inwelches Präventionsprojekt steckt. Es gibt eben keineGemeinsamkeit. Damit wird Wirksamkeit verschenkt.Deswegen brauchen wir stabile und transparenteFinanzierungsstrukturen sowie einen trägerübergrei-fenden Ansatz. Das leistet dieser Gesetzentwurf; denndurch ihn werden die Sozialversicherungsträger, derBund und die Länder verpflichtet, eng miteinander zu-sammenzuarbeiten, und die notwendigen Kooperations-strukturen geschaffen. Vor allem gibt der Gesetzentwurf– auch das ist wichtig – den Präventionsanstrengungeneine Richtung, weil nationale Ziele festgelegt werdenund sich alle Anstrengungen an diesen Zielen zu orien-tieren haben.
Nicht zu vergessen: Die soziale Lage ist der entschei-dende Risikofaktor für ein Mehr an Gesundheit oder einMehr an Krankheit. Menschen am unteren Ende der Ein-kommensleiter haben ein doppelt so hohes Risiko zu er-kranken und eine um sieben Jahre kürzere Lebenserwar-tung als Menschen an ihrem obersten Ende. Kurz gesagt:Armut macht krank.Wir haben deswegen bereits bei der Gesundheitsre-form 2000 den Krankenkassen die Verpflichtung aufer-legt, bei präventiven Anstrengungen auch etwas zumAbbau der sozialen Ungleichheit zu tun. Mit dem Prä-vSmKbaPPvfBwsEhEBtKtdKgHdhkzlsahiAvdsaasdFtvrdg
s gibt Dinge, die fehlen, und es gibt Dinge, die manätte besser machen können.
s fehlt, Frau Kollegin Butalikakis, die Aufnahme derundesagentur für Arbeit in den Kreis der Präventions-räger. Ich bedauere das sehr; aber wir müssen zurenntnis nehmen, dass dies am Widerstand des Verwal-ungsrats der BA gescheitert ist. Sie wissen ja, wer dortie handelnden Personen sind.Auch ärgern wir uns darüber, dass zwar die privaterankenversicherung von den Präventionsanstrengun-en der Sozialversicherungsträger und der öffentlichenand profitiert, sich aber selber geweigert hat, sich aner vorgesehenen Stiftung zu beteiligen. Wir müssen se-en, dass es verfassungsrechtliche Grenzen gibt. Wirönnen die PKV leider nicht dazu verpflichten, hier mit-umachen, und werden insofern mit dieser Lücke vor-äufig leben müssen.Auch die gesetzlichen Vorkehrungen, die verhindernollen, dass die Länder ihre Präventionsanstrengungenuf Kosten der Sozialversicherungsträger zurückfahren,ätten wir gerne durchaus etwas strikter gefasst; das willch deutlich sagen.
ber, Frau Kollegin Butalikakis, auch hier stoßen wir anerfassungsrechtliche Grenzen dessen, was der Bunden Ländern vorschreiben darf. Dieses Phänomen – ichage nur: Föderalismusdiskussion – dürfte Ihnen durch-us nicht unbekannt sein. Ich nehme an, Sie wollen dasuch gar nicht ändern.Aber trotz aller Einwände, die ich im Rahmen der Ge-amtbewertung dieses Gesetzentwurfs genannt habe, fin-en wir: Er schafft eine verlässliche und transparenteinanzierung. Er schafft dringend notwendige Koopera-ionsstrukturen zwischen den Trägern. Er sorgt mit Prä-entionszielen, Qualitätssicherung und regelmäßiger Be-ichterstattung für eine neue Qualität der Prävention. Miter vorgesehenen Stiftung wird der Prävention ein Ortegeben, von dem aus sich das alles entfalten kann. Das
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Birgitt Benderheißt, der vorliegende Entwurf leistet alles Notwendige.Jetzt bräuchten wir nur noch Akteure,
die mehr im Auge haben als ihre eigenen Interessen.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unüber-hörbar kritische Stimmen bei der Anhörung, mahnendeZuschriften der Krankenkassen, juristische Äußerungenzur Verfassungswidrigkeit, die Ablehnung des Gesetz-entwurfs durch den Bundesrat, der Diskussionsverlaufim Fachausschuss mit Bedenken aus den eigenenReihen – all das hält die Bundesregierung und Rot-Grünin diesem Hause nicht davon ab, heute ihren Entwurfeines Präventionsgesetzes durchzupeitschen. „Augen zuund durch“ ist aber ein schlechtes Motto auf dem Weg zueinem richtigen Ziel.
Wir alle wollen die Prävention in den Köpfen mög-lichst vieler Menschen verankern. Wir wollen beste-hende Programme verbessern und neue entwickeln, umdie Gesundheit zu fördern und chronischen Krankheitenvorzubeugen. Das alles wollen wir so effizient wie mög-lich gestalten.Das Thema müsste eigentlich ein Selbstläufer sein. Esvereint eine große Zahl von Befürwortern. Ich kennekeinen, der sich nicht verbal zur Prävention bekennt. Esist deshalb nicht nachvollziehbar, wie die rot-grüne Bun-desregierung den heute abschließend zu beratenden Ge-setzentwurf so ins Abseits manövrieren kann.Schon der Verlauf der Vorbereitungen war merk-würdig. Nach der Gesundheitsreform geschah zunächstaußer großen Ankündigungen monatelang nichts. Danneinigte sich eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe auf Eck-punkte, die schon erahnen ließen, in welche Richtung eingroß angelegtes Präventionsgesetz gehen würde, näm-lich in Richtung Bürokratie, Überreglementierung undvor allen Dingen Geldverteilung. Schließlich war schonder Kompromiss mit den Ländern mit Blick auf die Ent-lastung knapper Kassen mit anderer Leute Geld erkauftworden. Gut, dass der Bundesrat – bis jetzt zumindest –nicht käuflich ist!Die Vorlage des Gesetzentwurfs zog sich dann mona-telang hin, weil die Ressortabstimmung alles andere alsreibungslos verlief und es nicht versäumt wurde, der Öf-fentlichkeit deutlich zu machen, dass sich der eine oderandere gerne von dem Entwurf distanziert hätte. Ich bingespannt, wie Ministerin Künast in diesem Zusammen-hang überzeugt werden kann.gGSFbvBtkuFwtt2tdghdoMzdtbzsfEdkndvdB
Wir stehen bei diesem wichtigen Thema vor einemcherbenhaufen. Auch wenn das Gesetz – in welcherorm auch immer – tatsächlich in Kraft treten sollte,leibe ich bei meiner Aussage: Der geringe Output, deron dem Präventionsgesetz für die Bürgerinnen undürger zu erwarten ist, rechtfertigt nicht den hohen Mit-eleinsatz. Das ist staatlich verordnete Unwirtschaftlich-eit.
Was sind die Gründe dafür? Erstens leidet die Stiftungnter Bürokratie und Gigantomanie – auch wenn uns dierau Staatssekretärin etwas anderes glauben machenill –; dieser Manie ist mancher ministerielle Schreib-ischtäter verfallen. Viele Eigeninitiativen von Präven-ionsträgern werden dieser Krankheit zum Opfer fallen.Zweitens haben schon viele Kassen die gesamten,56 Euro pro Versicherten in Präventionsprojekte inves-iert. Wenn ihnen jetzt, wie geplant, Geld entzogen wird,rohen bestehende Präventionsangebote nicht mehr fort-eführt zu werden.Drittens werden die Länder – Frau Kollegin Benderat schon darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf iniesem Punkt eine Schwachstelle aufweist – über kurzder lang die bisher aus dem Haushalt aufgewandtenittel durch Mittel aus den Sozialversicherungen erset-en. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat dies iner Anhörung für den Bereich Gewalt- und Suchtpräven-ion in Schulen und Kindergärten sehr gut herausgear-eitet. Sie befürchtet zu Recht, dass sich die Kommunenulasten der Sozialversicherungen zurückziehen werden.Was dem Gesetzentwurf fehlt – sofern ein solches Ge-etz überhaupt notwendig ist –, sind klare Zielvorgabenür erfolgreiche und notwendige Präventionsaktivitäten.s fehlt eine klare Abgrenzung, inwieweit Prävention inie Eigenverantwortung der Menschen gestellt werdenann und wann unterstützende Maßnahmen durch Dritteotwendig werden.Des Weiteren fehlt eine klare Zuweisung von Zustän-igkeiten und Kompetenzen in allen Bereichen der Prä-ention – nicht nur der Primär-, sondern auch der Sekun-är- und Tertiärprävention. Deswegen, Frau Kolleginender, hat die FDP kein Verständnis dafür, dass zum
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Detlef ParrBeispiel die Ärzteschaft mit ihren Kompetenzen und ih-rer zentralen Rolle als direkter Ansprechpartner für diePatienten so gut wie keine gestaltende Rolle spielt.Es fehlt auch die Zielvorgabe, wann Prävention einegesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und wann sie vonden Sozialversicherungen zu übernehmen ist. Zudemfehlen die Beschreibung von konkreten Handlungsfel-dern und die Ausformung von Leistungsansprüchen.Last, but not least fehlt ein klares Bekenntnis dazu, ge-gen die Impfmüdigkeit vorzugehen, die in unserer Ge-sellschaft ein Problem darstellt.Wir führen diese Diskussion nicht zur Stunde null.Wir wissen heute schon viel über Prävention und derenChancen für unsere Gesellschaft. Wir wissen um denHandlungsbedarf und die strukturellen Defizite sowieum die Notwendigkeit einer klareren Zielführung, einerbesseren Evaluierung und einer Bündelung aller Kräfte.Es wäre schön gewesen, wenn ein Gesetz dies und einenkonkreten Weg für die Realisierung aufgezeigt hätte.Nun werden der mühsame Aufbau einer Stiftung und derBeginn ihrer komplizierten Arbeit abgewartet. So wirdweiter wertvolle Zeit vertan.Nehmen wir den Kinder- und Jugendbereich alsBeispiel. Ob falsche Ernährung, mangelnde Bewegung,Sucht und Drogen, unsere Kinder und Jugendlichen sindheute einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt. Präven-tive Maßnahmen in den so genannten LebensweltenSchule, Sportvereine und Wohnumfeld sind zentraleZielbereiche, die heute schon als Handlungsfelder kon-kret benennbar sind. Warum tut man es nicht? Warumwird hier nicht schneller gehandelt?Schulen brauchen Rahmenbedingungen, um sich inihrer Gesamtheit präventiv auszurichten, ja Präventionvielleicht sogar zum besonderen Schulprofil zu machen,was die Infrastruktur anbelangt: die verwendeten Mate-rialien, die Bewegungsmöglichkeiten, die Verantwor-tung für gesunde Ernährung und für die Früherkennunggesundheitlicher Störungen, die Lehrer als Vorbilder, dieinhaltliche Ausgestaltung des Schulunterrichts und dieEinbeziehung der Eltern. Doch wir befinden uns weiter-hin in der Situation, dass beim Schulsport – statt ihn zustärken – gekürzt wird, die Zahl der Nichtschwimmerunter den Kindern bedenklich hoch ist und die Qualitätdes Sportunterrichts im Elementarbereich zu wünschenübrig lässt. Ein Gesetz – das gilt erst recht für den vorlie-genden Entwurf – wird daran nichts ändern. Vielmehrmüssen auf der Landesebene und vor allem auf der kom-munalen Ebene in Zusammenarbeit mit den Krankenkas-sen und anderen Institutionen aus eigener Kraft neue An-stöße zu gesundheitsbewusster Lebensführung gegebenwerden.Dazu trägt dieser Gesetzentwurf viel zu wenig bei.Deshalb lehnen wir ihn ab.
Das Wort hat die Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-
Fraktion.
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Ich war dabei, als der von Ihnen angesprocheneesundheitskompromiss beschlossen wurde. Ich hatteie Ehre, diesen Bereich ein Stück weit mitzugestaltennd zu betreuen. Ich weiß daher, dass große Überein-timmung darüber bestand, ein Präventionsgesetz aufen Weg zu bringen. Das hat sich aber im Laufe der Zeiterändert. Meine Hypothese ist, dass das mehr mit anste-enden Wahlen und Blockaden zu tun hat als mit einernderung der sachlichen Inhalte. Die Gesundheits- undozialminister und -ministerinnen der Länder haben einolches Gesetz unterstützt. Das wissen alle Gutinfor-ierten, die hier sitzen.Ich möchte noch einen Blick zurückwerfen. Zwischen997 und 2000 hatten die Krankenkassen keine Mög-ichkeit mehr, eigenständige Maßnahmen der Primärprä-ention und der betrieblichen Gesundheitsförderungurchzuführen. Wie ich schon sagte, haben wir nachmtsantritt diese falsche Weichenstellung korrigiert unden Krankenkassen die Möglichkeit gegeben, auf die-em Gebiet aktiv zu werden.
Außerdem haben wir die Selbsthilfeförderung ge-etzlich verankert. Das ist erstmals geschehen. Sie habenecht: Bei der Umsetzung ist vieles nicht optimal gelau-en. Aber es war richtig, die Weichen in Richtung mehreteiligung – das ist ein wichtiges Glied in der Versor-ungskette – und in Richtung Stärkung der Prävention
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Helga Kühn-Mengelzu stellen. Diese Politik wird mit der Verabschiedungdieses Gesetzes fortgesetzt.Es ist richtig: Heute findet hier ein Perspektivwech-sel statt. Wir rücken mit diesem Gesetz die Gesundheitund weniger die Krankheiten unserer Bürger und Bürge-rinnen ins Blickfeld. Wir sorgen mit diesem Gesetz da-für, dass die Menschen zukünftig mehr für den Erhaltund für die Verbesserung ihrer Gesundheit tun können.Sie erhalten Unterstützung im unmittelbaren Lebensum-feld. Die Qualität der Gesundheitsförderung und der Prä-ventionsangebote wird gestärkt. Es ist ganz wichtig, dasses Wirksamkeitsnachweise gibt. Die Pflicht, solcheNachweise zu erbringen, verankern wir in immer mehrGesetzen. Die Art und Weise, wie behandelt, und das,was gefördert wird, müssen einer Evaluation unterzogenwerden.Dieses Gesetz verpflichtet zu einer Gesundheitsbe-richterstattung. Das ist wichtig; denn eine Gesund-heitsberichterstattung gibt darüber Auskunft, um welcheZielgruppen wir uns zu kümmern haben. Außerdem trägtsie zur Bewertbarkeit von Vorgängen bei. Auch dies istganz wichtig.Durch die Möglichkeit von Zustiftungen an die neuzu gründende Bundesstiftung erleichtern wir es privatenKooperationspartnern, sich an Prävention und Gesund-heitsförderung aktiv zu beteiligen. Das ist ebenfalls einganz wichtiger Gesichtspunkt.Wir tun vor allem etwas für die Menschen. Sie sind inIhren Reden vergleichsweise wenig erwähnt worden. Siehaben von den Sozialsystemen und von Strukturmängelngesprochen. Worauf es aber vor allem ankommt, ist, dasswir die Menschen erreichen. Deswegen werden in die-sem Gesetz die Lebenswelten, der Settingansatz, dieArbeit in Kindergärten, in Schulen, im Stadtteil und amArbeitsplatz betont. Das ist ein bedeutsamer Baustein indiesem neuen Präventionsprogramm.Vor diesem Hintergrund kann man nur sagen, dass dieVorteile dieses Gesetzes auf der Hand liegen: Wir habendie Menschen im Blick; wir holen sie dort ab, wo sie le-ben. Wir kümmern uns mit diesem Gesetz zum erstenMal verstärkt um diejenigen, die am unteren Ende derGesundheitsskala leben. Das untere Fünftel macht unsnämlich große Sorgen. Wie schon gesagt wurde, werdendiese Menschen von den häufig mittelschichtorientiertenPräventionsprogrammen nicht erreicht. Der in diesemGesetz enthaltene Settingansatz, also der lebensweltori-entierte Ansatz, gibt die Gelegenheit, an diesem Punktanzuknüpfen.Die Menschen am unteren Ende der Gesundheitsskalaleben nach dem statistischen Durchschnitt fünf bis siebenJahre kürzer als andere; diese Zahl ist schon seit den80er-Jahren, also schon lange, bekannt. Mit diesem Ge-setz tragen wir dieser Erkenntnis Rechnung. Das gilt imÜbrigen auch für unser Gesundheitsmodernisierungs-gesetz, das viele entsprechende Bausteine wie die Patien-tenbeteiligung und die Verbesserung von Qualität – den-ken Sie nur an die strukturierten Behandlungsprogrammeund an die Leitlinienarbeit – enthält.gssseJsebkwgzruwrhPlddddPkCgmf–ghb
Vieles von dem, was wir heute machen, ist seit lan-em bekannt. Diese Regierung hat Prävention und Ge-undheitsförderung kontinuierlich gestärkt. Wie ichchon erwähnt habe, hat die Ministerin mit dem Deut-chen Forum Prävention und Gesundheitsförderungine wichtige Plattform für Erkenntnisse geschaffen.etzt geht es an die Umsetzung dieses Gesetzes. Dassich durch die von uns heute getätigten Investitionen ininigen Jahren der allgemeine Gesundheitszustand ver-essert haben wird, müssen wir als Chance sehen. Ichann nur auf das verweisen, was die Ministerin immerieder sagt: Das ist eine Antwort auf die mit der demo-raphischen Entwicklung verbundenen Fragen.
Die Stärken dieses Gesetzes sind, dass Präventions-iele auf die unmittelbare Umgebung der Menschen he-untergebrochen werden, dass geschlechtsspezifischend lebenslagenspezifische Aspekte ausdrücklich betonterden und dass nicht nur die Träger der Sozialversiche-ungssysteme im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ste-en, sondern dass auch wichtige andere Partner undartnerinnen bei der Umsetzung des Gesetzes helfen sol-en: Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfeorganisationen under öffentliche Gesundheitsdienst.Geben Sie vor diesem Hintergrund mit Ihrer Stimmeiesem Gesetz eine Chance, mit Leben gefüllt zu wer-en. Durch die Inanspruchnahme der Kenntnisse derer,ie bereits auf diesem Feld arbeiten, kann es gelingen,rävention und Gesundheitsförderung stärker zu veran-ern.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Bei der Debatte heute Morgen habe ich fast Mitleidit den Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitions-raktionen bekommen.
Wirklich. – Jegliche Kritik an der Ministerin, die vor-etragen wird, wird als Majestätsbeleidigung aufgefasst.Es ist erstaunlich, mit welcher Unschuldsmiene Sieeute Morgen den Ländern wirklich unmoralische Ange-ote gemacht haben.
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Annette Widmann-MauzSie haben so getan, als ob Sie kein Wässerchen trübenkönnten. In Wirklichkeit haben Sie jedoch mit demGeldbeutel gelockt und den Ländern einen Vertrag zulas-ten Dritter aufzwingen wollen.
Gott sei Dank ist von den Ländern bemerkt worden, dassein gutes Ziel noch nicht jedes Mittel heiligt. Gut ge-meint ist eben, wie immer bei Ihnen, nicht gut gemacht.Eine zukunftsweisende Idee ist ein weiteres Mal von die-ser Regierung miserabel umgesetzt worden.
Wir haben ja gemeinsam eine Anhörung durchge-führt. Ich habe schon viele Anhörungen in meiner Parla-mentszeit hinter mich gebracht, aber ich habe noch nieerlebt, dass ein Gesetzentwurf so vernichtend von denExpertinnen und Experten, von den Sachverständigen,beurteilt wurde.
Ob die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Renten-versicherungsträger, die Arbeitgeberverbände, die Ge-werkschaften, ja sogar die Sozialverbände – sie alle ha-ben ihn einhellig abgelehnt. Selbst Kollegen aus derSPD-Fraktion mussten im Ausschuss schon ihre grund-sätzlichen und ausdrücklichen Bedenken zu Protokollgeben, nur damit sie sich noch einigermaßen im Spiegelanschauen konnten. Ich sage Ihnen ganz bewusst: Selbstaus der politischen Leitung des Bundesministeriums fürGesundheit und Soziale Sicherung hört man solche Sätzewie: Das Beste, was zu diesem Gesetzentwurf zu sagenist, ist, einfach nichts zu sagen.
Meine Damen, meine Herren, warum ist das so? Die-ses Gesetz hat schwerste Konstruktionsfehler. Eine ge-samtgesellschaftliche Aufgabe – das ist Prävention un-bestrittenermaßen – kann eben nicht nur von einem Teilder Gesellschaft finanziert werden. Wieder einmal ma-chen Sie einen Vorschlag, bei dem der Lastesel der Na-tion die Beitragszahler in der Krankenversicherung, derRentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherungund der Unfallversicherung sind. Diese dürfen bei Ihnenwieder einmal allein die Zeche bezahlen. Obwohl dieKrankenkassenbeiträge bisher nur marginal gesunkensind, belasten Sie wiederum diese Gruppe. Die Rentne-rinnen und Rentner in unserem Land bekommen wiedereinmal eine Nullrunde verpasst und werden sogar weni-ger in den Taschen haben. Dennoch werden die Beitrags-zahler belastet. Auch die Pflegebedürftigen, die weiterauf eine Dynamisierung der Leistungen warten, und dieDemenzkranken, die überhaupt auf eine Berücksichti-gung warten, belasten Sie wieder.
Obwohl Prävention alle angeht und nach dem Willenvon Rot-Grün alle aus der Bevölkerung Leistungen er-halten sollen, beteiligen sich Bund und Länder an der Fi-nkwzdAtsvDsdkIsNbkidgaaRgwshzSAtvskLkrMfsEnbnsdh
eil die Mittel für die Primärprävention herhalten müs-en. Sie muss aus Reha-Geldern bestritten werden. Des-alb stehen diese Mittel der Tertiärprävention nicht mehrur Verfügung. Was behauptet die Frau Staatssekretärin?ie sagt: Die Mittel sind gar nicht abgerufen worden.lso können wir noch locker Geld für die Primärpräven-ion aufbringen. – Aber alle Experten auch der Renten-ersicherungsträger sagen Ihnen, dass der Bedarf an-teigt. Die Anträge sind nur wegen der aktuellenonjunkturellen und wirtschaftspolitisch schwierigenage zurückgestellt. Sie sind nur aufgeschoben.Durch die Hartzreformen und den neuen Empfänger-reis von Arbeitslosengeld II gibt es neue Anspruchsbe-echtigte auf Reha-Maßnahmen. 100 Millionen Euroehrbedarf für medizinische Rehabilitation wird alleinür diese Gruppe erwartet. Wie können Sie dann an die-er Stelle eine solche Regelung vorschlagen? Wir sagen:rnährungsberatung für Kinder ist gut, aber sie darficht zulasten der medizinischen Rehabilitation von Ar-eitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die funktio-ierende und bewährte Präventionsinfrastruktur in un-erem Land zerschlagen wird; denn es bleibt nicht dabei,ass diejenigen, die bereits heute gute Arbeit geleistetaben, in Zukunft dafür honoriert werden. Warum ist das
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Annette Widmann-Mauzso? 2,70 Euro pro Versicherten für Primärpräventionsind per Gesetz vorgeschrieben. Es gibt Krankenkassen– das ist unbestritten –, die dieses Geld für Primärprä-vention nicht ausgeben. Aber es gibt andere Kassen, diesogar mehr zahlen als die geforderten 2,70 Euro. Dochjetzt wird gesagt, dass nur noch 40 Prozent des Geldeszur Verfügung stehen und damit die gleiche Infrastrukturfinanziert werden soll. Das funktioniert nicht. Sie bestra-fen so diejenigen, die schon seit langem Engagementzeigen. Das kann doch nicht gewollt sein.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zu demGefälligkeitsgutachten, das Sie sich jetzt noch vom Jus-tiz- und vom Innenministerium haben anfertigen lassen,
weil die Argumente derart bedrückend waren, sagen.Hier sind wichtige Aspekte überhaupt nicht behandeltworden. Der Grundsatz der Zweckbindung, der Beitrags-mittel bleibt weiterhin verletzt. Es gäbe noch vieles zusagen.Dieser Gesetzentwurf ist nicht umfassend, weil dieStörung der Primärprävention ausschließliches Ziel ist.Er ist nicht sachgerecht, weil bestehende Maßnahmenund Strukturen gefährdet sind. Er ist ungerecht, weil sichnur Beitragszahler – nicht die gesamte Gesellschaft – be-teiligen. Er ist viel zu bürokratisch, weil eine Vielzahlneuer Gremien geschaffen wird. Zudem ist er verfas-sungsrechtlich höchst fragwürdig.Meine Damen, meine Herren, wir haben heute dieChance, ein weiteres schlechtes Gesetz zu verhindern.
Nutzen Sie diese Chance! Ein schlechtes Gesetz wenigerhilft unserem Land und nutzt auch der Prävention.
Nächster Redner ist der Kollege Götz-Peter
Lohmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Ich hatte eigentlich doch noch die Hoffnung, dasses heute zu einer ähnlichen Abstimmung kommt, wie essie zum Beispiel – ich sehe gerade den KollegenRiegert – im Sportausschuss gegeben hat. Damit will ichnicht sagen, dass wir dort die klügeren oder faireren Ab-geordneten sind. Da war das Abstimmungsverhalten je-denfalls wie folgt: Die Kolleginnen und Kollegen derCDU/CSU-Fraktion haben sich enthalten und es gab nuregsSazdahawkrmDislegEecJRcndnWdonfvnlKvAwbb
um Beispiel die der Vertreter des Sports, aber nicht nurie. Ich könnte noch ein paar andere Namen nennen;ber gut. Ich hatte, wie gesagt, die Hoffnung, dass eseute zu einem anderen Abstimmungsverhalten kommtls dem, das sich jetzt andeutet.Ich möchte einen Aspekt etwas vertiefen. Wir alleissen – darüber herrscht, glaube ich, auch Einmütig-eit –: Gesundheit muss ständig erworben und aktiv auf-echterhalten werden. Manchmal wird der Eindruck ver-ittelt, das Gesundheitsmodell in der Bundesrepublikeutschland sei einfach nicht mehr leistungsfähig. Dast nicht so. Unser Gesundheitsmodell ist nach wie voristungsfähig und auch erfolgreich. Nur – ich habe das,laube ich, in der ersten Lesung schon einmal gesagt –:s hat eben seine Grenzen. Eine dieser Grenzen ist, dasss in Sachen Prävention zurzeit einfach nicht ausrei-hend ist.Brauchen wir ein Präventionsgesetz?
a, wir brauchen ein Präventionsgesetz. Bislang sind dieegelungen zur Prävention in mehreren Sozialgesetzbü-hern verstreut. Durch die vorgesehene Bündelung in ei-em Gesetz – das ist ein wesentlicher Vorteil – gewinntie Prävention endlich einen Stellenwert, den sie bislangicht hatte.
ir brauchen also ein Präventionsgesetz. Das ist aucher Hauptgrund dafür, dass man dafür stimmen müsste.
Kann gesundheitsförderndes Leben von oben ver-rdnet werden? Ich habe vor kurzem ein Interview mei-es geschätzten Kollegen Zöller gelesen, in dem er ge-ragt wurde: Möchten Sie, dass der Präventionsgedankeon oben verordnet wird? – Wenn ich mich richtig erin-ere, hat er darauf geantwortet – ich zitiere jetzt viel-eicht nicht wortgetreu, aber inhaltlich wird es stimmen,ollege Zöller –: Ich möchte Prävention für mich nichterordnet haben. – Darin stimme ich mit Ihnen überein.uch ich möchte Prävention nicht verordnet haben.Aber es gibt einen Unterschied. Nicht nur deshalb,eil wir früher aktive Leichtathleten waren, wissen wireide, was zu einer gesunden Lebensführung gehört. Wirewegen uns ein bisschen, wir ernähren uns vernünftig.
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Götz-Peter Lohmann– Man sieht an unserer Statur, dass wir unterschiedlicheDisziplinen betrieben haben, aber aktiv waren wirbeide. – Das Problem ist, Kollege Zöller: Die meistenMenschen sind nicht von sich aus daran interessiert, wiewir, gesund zu leben. Viele Mitmenschen muss man ge-legentlich zu ihrem Glück zwingen, indem man ihnenPrävention verordnet.Ich möchte als Vergleich anführen – ich weiß, Ver-gleiche hinken immer – die Pflicht, sich im Auto anzu-gurten. Sie wissen, welch unsägliche Diskussionen esdarüber gegeben hat. Dann hat man bemerkt, dass vieleschwerwiegende Unfallfolgen vermieden werden. Sorichtig meckert jetzt niemand mehr. Obwohl es also hef-tige Widerstände gab, hat man erkannt, dass diese ver-ordnete Prävention, nämlich um schwere Unfallfolgenzu verhindern, durchaus etwas Wertvolles ist. So ähnlichsehe ich das auch bei dem Gedanken der Prävention imGesundheitsbereich.
Noch ein Gedanke vorab. Viele Kolleginnen und Kol-legen haben betont, dass bei den Krankenkassen schonjetzt viel gute Arbeit geleistet wird, das sehe ichgenauso. Das ist aber regional sehr unterschiedlich.Manche Kassen arbeiten vorbildlich, manche nicht. Inmanchen Bundesländern gibt es schon etwas Institu-tionalisiertes, einen Präventionsrat oder etwas Ähnli-ches. Dafür gibt es sehr gute Beispiele, sowohl auf Län-derebene als auch auf kommunaler Ebene. Deswegen istder Vorwurf, dass da erst alles neu geschaffen werdenmuss, absurd.Wie gesagt, die Krankenkassen erreichen heutzutage– die Wissenschaftler streiten sich darüber – im Bereichder Präventation 1, 2, maximal 3 Prozent ihrer Versi-cherten. Frau Kollegin, Sie haben gesagt, dass es1,6 Prozent sind.
– Gut. Ich habe gesagt: 1 bis 3 Prozent. – Ich frage mich:Machen die Krankenkassen etwas falsch – wir sind unsja einig, dass dieser Prozentsatz relativ gering ist – odermuss man daraus den Schluss ziehen, dass Präventiondie meisten Menschen nicht interessiert?Ich denke, es gibt einfach zu wenige Angebote, diedie Risikogruppen direkt ansprechen. Daher sollten wir– Kollegin Kühn-Mengel hat darauf hingewiesen – aufdie Personen, die Gesundheitsförderung dringend benö-tigen, zugehen. Dazu möchte ich etwas sagen. Ich habevor kurzem gelesen, dass es im Moment viele so ge-nannte Komm-Angebote gibt: So werden zum BeispielAushänge oder Flyer gemacht. Entweder kommen dieLeute oder sie kommen nicht. Meist nehmen nur die Ge-sundheitsbewussten und die Gesunden das Angebotwahr; das wurde an dieser Stelle schon mehrfach er-wähnt. Die Zielgruppen, die wir eigentlich ansprechenwollen, erreichen wir nicht. Dies muss durch andere Me-thoden geschehen.DztlüsIukpzbzsivmgvhdlLnEMttwcUzaghswhwsIÜdkküAds
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Lanzinger,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Rot-Grün und die CDU/CSU-Frak-tion sind sich wahrscheinlich beim Inhalt dieses Gesetz-entwurfs einig, keinesfalls aber bei der Umsetzungdieses Inhaltes. Der Entwurf eines Gesetzes zur Stär-kung der gesundheitlichen Prävention ist mitnichten dergroße Wurf. Er reiht sich leider ein in eine Vielzahl vonrot-grünen Gesetzen: kompliziert, praxisfern, bürokra-tisch und realitätsfern.
Der Gesetzentwurf ist so nicht brauchbar, um Präventionnachhaltig zu stärken. Der Gesetzentwurf ist so nichtbrauchbar, um mehr Gesundheitsbewusstsein in denKöpfen der Menschen zu verankern, um die Bürgerinnenund Bürger für mehr Eigenverantwortung zu sensibili-sieren, was Sie ja auch beschrieben haben. Er ist nichtbrauchbar für ein Mehr an Umdenken in Richtung be-wusstes Leben, gesunde Ernährung, körperliche undgeistige Aktivitäten und das Achten auf ein seelischesGleichgewicht, sprich: ein Lernen, im Gleichklang zu le-ben.Die Menschen draußen wollen ganz einfache undklare Regelungen, einfache, klare Hilfestellungen undAngebote. Prävention wird mit diesem Gesetzentwurfweiterhin ein Stiefkind in Deutschland bleiben. Wennwir Prävention und Gesundheitsförderung politischwirklich ernst nehmen und tatsächlich etwas erreichenwollen – ich rate nur, das sollten wir tun –, dann müssenwir die Menschen abholen und da erreichen, wo sie ste-hen. Das Überstülpen eines Regelwerks, eines bürokrati-schen Etwas, das Schaffen neuer, teilweise unnützerStrukturen, wird keinen Erfolg haben.
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Menschenzu mehr Vorsorgeuntersuchungen gehen und freiwilligmehr für ihre Gesundheit tun werden, nur weil Sie einezsbwdvDwstdnssgnvnmukEdswbssAfGtNlAzdErghvRmdEns
Wenn ein Präventionsgesetz Erfolg haben soll, dannuss es so gestrickt sein, dass Gesundheitsförderungnd Prävention gelebt, erlebt und umgesetzt werdenönnen. Wir brauchen klare, saubere, durchschaubarentscheidungen. Die Menschen wollen klare, saubere,urchschaubare Antworten vom Gesetzgeber. Die Kas-en, die Leistungserbringer, die Länder, die Kommunenollen klare, saubere, durchschaubare und durchführ-are Regelungen, keine komplexen Gebilde und Ver-chlimmerungen; die Kollegin Widmann-Mauz hat es jachon erklärt.
Wissen Sie, der Gesundheitsausschuss lädt zu einernhörung ein. Verbände und Institutionen werden be-ragt, wir wollen deren Stellungnahmen zum rot-grünenesetzentwurf hören. Bis heute hagelt es von allen Sei-en vernichtende Kritik. Was aber macht Rot-Grün?ichts. Sie legen einen Gesetzentwurf – ohne nachweis-iche Veränderungen vor. Das kann doch nicht sein. Dieblehnung dieses Gesetzentwurfs hat nichts mit Wahlenu tun, sondern nur mit der vernichtenden Kritik, die iner Anhörung deutlich wurde.
Ersparen wir uns in Zukunft also diese Anhörungen.s sind doch offensichtlich Schauveranstaltungen für dieot-grüne Regierungskoalition, da an dem Gesetz nichtseändert und an dem komplizierten Regelwerk festge-alten werden soll, in welchem Gelder lediglich sinnloserschoben werden. Ich habe schon bei meiner letztenede gesagt: Schiebst du das Geld zu oft hin und her,acht es dir die Taschen leer. Das ist ein alter Spruch,er nach wie vor gilt.
s drängt sich der Eindruck auf, dass der Gesetzesinhalticht so wichtig ist. Wichtig sind für Rot-Grün die Über-chriften. Sie wollen punkten und das Thema besetzen.
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Barbara LanzingerPrävention ist aber viel zu wichtig, um mit dem vor-liegenden Gesetzentwurf verheizt zu werden. Wir ma-chen da nicht mit. Dafür sind der CDU/CSU-Fraktiondie Themen Prävention und Gesundheitsvorsorge zuwichtig. Prävention darf nicht das Verschieben von Kas-sen- und Sozialversicherungsgeldern in ein Regelwerkbedeuten, mit dem die Gefahr eines Kappens bisherigerMaßnahmen verbunden wäre.
Prävention ist und darf auch nicht allein eine Frage derGeldverteilung sein. Es muss eine gesamtgesellschaftli-che Aufgabe sein und darf nicht allein auf die gesetzli-chen Krankenkassen und Sozialversicherungssystemedezimiert werden.Kolleginnen und Kollegen, Prävention bedeutet einenBewusstseinswandel, eine Änderung der Lebenseinstel-lung, ein Wachrütteln. Es wird höchste Zeit. Fangen Siean, aber bitte nicht mit diesem Gesetz!Danke schön.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Ursula Heinen von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich dasvorliegende Gesetz, das wir heute abschließend beraten,anschaut, dann stellt man fest: Es kreißt der Berg undheraus kommt eine Maus, eine klitzekleine Maus
– ein Mäuschen.Es ist schon enttäuschend, wie Sie mit diesem wirk-lich wichtigen Thema Prävention umgehen. Wir alle hiersind uns doch einig, dass Prävention ein wichtigesThema ist. Wir sind sehr verwundert und enttäuscht da-rüber, dass Sie unsere zentrale Forderung, einen ganz-heitlichen Ansatz zu verfolgen, nicht aufgenommen ha-ben.
Sie wissen doch selbst, worum es geht. Sie definieren inIhrem Gesetz ja sogar, dass es primäre, sekundäre undtertiäre Prävention gibt. Wenn Sie sogar wissen, dass esdas gibt, warum verfolgen Sie diese Ziele dann nicht ins-gesamt? Warum konzentrieren Sie sich nur auf die pri-märe Prävention und machen nicht mehr? Wir meinen,dass Sie hier noch erheblich nachbessern müssen.Die Absprache zwischen den einzelnen Ministerienzu diesem Thema macht mich ein wenig stutzig. Wenndie Ministerin noch da wäre, würde ich sie fragen, aberich kann natürlich auch Frau Caspers-Merk als Staatsse-kretärin fragen: Wie ist Ihr Verhältnis zu Frau KünastuuIdsktrteVhISmCmwDtfPdnrSPTvugubweLsItnd
ch glaube, dass dieses Verhältnis nicht allzu gut ist oderass Sie dazu neigen, Doppelstrukturen aufzubauen bzw.ich in ziemlich vielen Bereichen herumzutummeln.
Das darf ich am Beispiel des Themas Ernährungurz aufschlüsseln. Allein das Verbraucherschutzminis-erium hat im letzten Jahr mit einer Plattform für Ernäh-ung und Bewegung – PR-wirksam und teuer vermark-et – 9 Millionen Euro für Ernährungsaufklärung und fürinen Wettbewerb zur Prävention von Übergewicht zurerfügung gestellt. Das Bundesgesundheitsministeriumat noch mal 1,6 Millionen Euro draufgesattelt. Gemäßhrem Änderungsantrag sollen nun auch Leistungen dertressbewältigung und Ernährung in den Lebensweltenit aufgenommen werden. Das macht für mich dashaos in diesem kleinen Bereich Ernährung fast perfekt.
Wie die Verzahnung mit den künastschen Program-en aussehen soll, haben Sie bisher noch nicht erläutert;ir haben von Ihnen überhaupt noch nichts dazu gehört.urch mangelnde Koordination entstehen Doppelstruk-uren. Wer tummelt sich denn alles auf diesem Themen-eld? Ich nenne zum Beispiel das Deutsche Forum fürrävention und Gesundheitsförderung, das von Ihnen fe-erführend begleitet wird. Wir haben die „Plattform Er-ährung und Bewegung“ von Frau Künast. Wir habenunde Tische vom Bundesministerium für Familie,enioren, Frauen und Jugend. Wir haben neuerdings dasrojekt „Qualitätssicherung in Beratung und ambulanterherapie von Frauen und Mädchen mit Essstörungen“om Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauennd Jugend. Ich frage noch einmal: Wer ist in dieser Re-ierung für welches Thema zuständig?
Wir meinen, es wird allerhöchste Zeit, dass Sie sichntereinander darüber klar werden, wie Sie Ihre Aufga-enverteilung sehen, wer welches Thema behandelt under wie viel Geld für welches Thema ausgibt. Mir bleibtin fahler Nachgeschmack – auch meine Kolleginanzinger hat es eben erwähnt –: Sie lieben die Über-chriften und die PR-wirksamen Aktivitäten.
ch bin enttäuscht, dass nun auch die Gesundheitsminis-erin diesen Ansatz von Frau Künast übernommen hat,ämlich nur PR ohne Wirkung und Effekt zum Schadener Menschen.Recht herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grüneneingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der gesund-heitlichen Prävention auf Drucksache 15/4833. Der Aus-schuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehltunter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 15/5363, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmenvon CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit dem gleichen Stimmergebnis angenommen.Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu demvon der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfauf Drucksache 15/5214 zur Stärkung der gesundheitli-chen Prävention. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5363,den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim-mig angenommen.Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh-lungen des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Si-cherung auf Drucksache 15/5363 fort. Der Ausschussempfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung dieAblehnung des Antrags der Fraktion der FDP aufDrucksache 15/4671 mit dem Titel „Prävention und Ge-sundheitsförderung als individuelle und gesamtgesell-schaftliche Aufgabe“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktionund Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung empfiehltder Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 15/4830 mit dem Titel„Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe umfas-send, innovativ und unbürokratisch gestalten“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung derFDP-Fraktion angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b so-wie Zusatzpunkt 11 auf:20 a) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses
gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-
ordnungZAhtFtnA
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines … Strafrechtsände-rungsgesetzes – §§ 303, 304 StGB– Drucksache 15/5313 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenP 11 Erste Beratung des von den AbgeordnetenWolfgang Bosbach, Dr. Jürgen Gehb, DanielaRaab, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines …Strafrechtsänderungsgesetzes – Graffiti-Bekämpfungsgesetz –
– Drucksache 15/5317 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich bitte die Kollegen, die an der Aussprache nichteilnehmen wollen, den Saal zu verlassen. Aber da esreitagnachmittag ist und viele nach Hause wollen, soll-en wir bald anfangen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-er das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretärlfred Hartenbach.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrtes Präsidium!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts des gesell-
schaftlichen Geschreis über die Graffiti in den letzten
Jahren und auch noch Wochen bin ich erstaunt über das
riesige Interesse,
das hier im Deutschen Bundestag herrscht,
vor allen Dingen bei denen, die den Mund am weitesten
aufgerissen haben.
Dabei sind Graffiti kein Kavaliersdelikt.
Es ist wirklich wichtig, dass wir mit allen zu Gebote ste-
henden Mitteln dagegen vorgehen. Allerdings muss man
auch wissen, dass das Strafrecht nur ein Baustein ist.
Der Entwurf der Koalition schließt eine, wie ich glaube,
nur vermeintlich minimale Lücke in diesem Strafrecht.
Wir haben uns dazu aus vier Gründen entschlossen:
Erstens. Wir möchten, dass die Menschen, die sich über
die Graffitischmierereien aufregen, sehen, dass etwas
geschieht. Zweitens. Wir möchten, dass die Justiz Ver-
fahren zügiger erledigen kann und nicht durch breit
angelegte Gutachten erst feststellen muss, ob eine
Substanzverletzung vorliegt. Drittens. Wir möchten,
dass unbedarfte Gemüter, die aufgrund der mannigfalti-
gen Chöre, insbesondere aus dem Lager der CDU, den
Eindruck gewonnen haben, es passiere ihnen gar nichts,
weil die CDU/CSU immer sagt, dass nichts geschehe,
weil die Justiz nicht in der Lage sei, etwas zu machen,
wissen, dass dem nicht so ist. Ich weiß aus Gesprächen
mit jungen Leuten, dass diesen nicht bewusst war, dass
das Anbringen von Graffiti strafbar ist. Wir müssen aber
deutlich machen, dass das in der Tat strafbar ist. Nun
hoffe ich, Herr Dr. Gehb, dass Sie, auch nach der Presse-
erklärung, die Sie herausgegeben haben, mitmachen und
deutlich machen, dass das strafbar ist.
Wir nehmen im Gegensatz zu anderen eine gewisse
Einschränkung vor; denn wir möchten viertens, dass die
wirklich üblen Graffitischmierer erwischt werden, aber
nicht alle Handlungen, durch die das äußere Erschei-
nungsbild erheblich verändert wird, strafbar sind. Des-
wegen nehmen wir die vorübergehenden Beeinträchti-
gungen heraus. Um vorübergehende Beeinträchtigungen
kann es sich zum Beispiel handeln, wenn Wäsche auf ei-
nem Balkon großflächig aufgehängt wird oder wenn je-
mand ein Plakat anklebt. Das ist nur vorübergehend.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ottochily ist in die Luft gegangen – aber nicht tatsächlich,it einem Hubschrauber, um Graffitischmierer dingfestu machen, was nach der gegenwärtigen Gesetzeslageuch nicht viel nützen würde, weil das ja in vielen Fällen
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16270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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Dr. Jürgen Gehbgar nicht strafbar ist, sondern wohl eher im übertragenenSinne, wie das berühmte HB-Männchen aus der Wer-bung. Wahrscheinlich kann er nicht mehr ertragen, dassnahezu sämtliche Gesetze aus dem Bereich von Rechtund Ordnung wie auch die zum Thema Graffiti von sei-nen eigenen Koalitionären torpediert werden.Sie brauchen sich nicht zu wundern, Herr Hartenbach,dass der Saal nicht mehr voll ist. Ich glaube, wir sind,was die Zahl der Gesetzentwürfe und Befassungen mitdiesem Thema betrifft, inzwischen im zweistelligen Be-reich angelangt. Es ist schon bezeichnend, dass wir dasThema zum zweiten Mal nur über das Vehikel des § 62Abs. 2 der Geschäftsordnung haben auf die Tagesord-nung setzen lassen können.
– Ja, nun kommen Sie heute mit einem eigenen Gesetz-entwurf.Man muss sich nach dem, was Sie, Herr Hartenbach,eben gesagt haben, nicht wundern. Herr Ströbele fehltheute.
– Da ist er ja! Herr Ströbele, Sie haben sich ja immer alsSchutzpatron der Schmierfinken aufgespielt.
Solange Graffiti von einflussreichen Politikern der Ko-alition als Kavaliersdelikt angesehen werden und jeder,der sich darüber aufregt, als Saubermann belächelt wird,darf man sich nicht wundern, dass jegliches Handeln derUnion torpediert worden ist.
Zu dem Gesetzentwurf von Rot-Grün: Betrachtet mandie Äußerungen rot-grüner Vertreter in den Jahren derBlockade genauer, so kann man über diese geradezu biszur Selbstverleugnung reichende Wandlungsfähigkeitnur staunen. Ich will einmal ein paar Kostproben geben:Praktisch alle einen oft erheblichen Schaden her-vorrufenden Graffitisprühereien, die die Öffentlich-keit zu Recht verärgern, sind schon heute durch denSachbeschädigungstatbestand des Strafgesetzbu-ches erfasst. ... Ich halte also fest: Die derzeitigeFassung des § 303 des Strafgesetzbuches ist ausrei-chend und angemessen.So Kollege Bachmaier in der Plenardebatte vom23. März 2000. Jetzt haben wir 2005.Insofern gibt es keine wirkliche Regelungslücke,die jetzt geschlossen werden muss.So Kollege Olaf Scholz. Und so geht das immer weiter.Demgegenüber heißt es in dem heute für die erste Le-sung vorgelegten Gesetzentwurf von SPD und Grünen:rgwEmUcoSfkrnhP3rdsGKaBagingsetmREdnsbBdm
s ist schön, dass Ihnen das nach fünf Jahren einfällt.Wie sieht denn jetzt die Überlegung aus? Sie kommenit einer fundamentalen Differenzierung gegenüber demnionsentwurf, in dem wir sagen: „nicht nur unerhebli-hen Veränderung ... gegen den Willen des Eigentümersder sonst Berechtigten“. Das ersetzen Sie – dafür habenie fünf Jahre gebraucht – durch das Synonym „unbe-ugt“. Was für ein Erkenntnisgewinn!Meine Damen und Herren, das ist der inzwischenlassische Fall, bei dem Sie nach jahrelangem Torpedie-en plötzlich unsere Ideen übernehmen, semantisch ei-en kleinen Unterschied hineinbringen und sich hinter-er den Erfolg an den Hut heften. Das ist vielleicht einR-Gag. Wissen Sie noch, Herr Ströbele, dass Sie am1. Januar 2003, als ich schon einmal zu dem Thema ge-edet habe – das war übrigens die siebte Runde; da stan-en wir vor den Landtagswahlen in Hessen und Nieder-achsen –, gesagt haben: Das Einbringen diesesesetzentwurfes ist doch sicherlich ein PR-Gag. – Herrollege Hartenbach, befinden wir uns jetzt vielleichtuch wieder in der Zeit vor einer Wahl in irgendeinemundesland? Ist das der Grund, warum Sie jetzt plötzlichll das machen wollen?
Das reiht sich lückenlos in die Phalanx Ihres bisheri-en Verhaltens ein. Im Jahre 2001 hat der Bundeskanzler einer berühmten Boulevardzeitung Beifall heischendesagt: Wer kleine Mädchen umbringt, muss wegge-perrt werden, und zwar für immer. Daraufhin haben wirinen Antrag zur Einführung der so genannten nach-räglichen Sicherungsverwahrung eingebracht. Wasussten wir uns alles anhören, insbesondere vomechtsgelehrten Beck.
r hat gesagt, das verstoße gegen die Verfassung, gegenas Rückwirkungsverbot und gegen was weiß ich sonstoch alles.Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass un-ere Auffassung – wie so häufig – richtig ist. Flugs ha-en Sie die nachträgliche Sicherungsverwahrung in dasundesgesetzblatt gebracht. Heute tingeln Sie damiturch die Lande, gehen damit hausieren, kokettieren da-it und hoffen, dass es Ihnen an den Hut gesteckt wird.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16271
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Dr. Jürgen Gehb– Das ist zum Thema. Es geht um das Grundmuster, wieSie mit Gesetzentwürfen der Union umgehen.
Sie springen spät auf das Schiff auf und sagen dann: Wirsind es gewesen.
Das können wir Ihnen wahrlich nicht durchgehen lassen.Uns liegen fünf Entwürfe und zwei Berichte nach§ 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung vor. Heute, nach meh-reren Jahren, sind Sie zu der Erkenntnis gekommen, dassdie Verwendung des Begriffs „unbefugt“ gegenüber derFormulierung „gegen den Willen“ eine Revolution desTatbestandes der Sachbeschädigung bedeutet. Darüberkönnte man eigentlich nur schmunzeln, wenn es nicht sotraurig wäre.Sie lehnen die Gesetzentwürfe der Opposition – da-rauf muss ich noch hinweisen – geradezu reflexartig ab,um nach Monaten oder Jahren doch einzulenken undwomöglich sogar den Eindruck zu erwecken, dass Siedas Thema selbst entdeckt hätten. VorausschauendeRechtspolitik und an den Sicherheitsinteressen der Be-völkerung orientierte Verbrechensbekämpfung sieht an-ders aus. Das muss ich Ihnen an einem Freitagnachmit-tag mit ins Wochenende geben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Ströbele.
Herr Kollege Gehb, Sie haben mich angesprochen
und zum Schutzpatron gemacht. Das ist zu viel Ehre.
Das stimmt nicht. Ich kann nur feststellen, dass nach der
Hysterie, die während und nach dem „Nofitti“-Kongress
in Berlin verbreitet wurde – Sie persönlich und Ihre
Freunde aus der Union haben sie kräftig geschürt –, und
dem nächtlichen, stundenlangen Hubschraubereinsatz in
Berlin
so viele neue Graffiti gesprayt wurden, wie noch nie zu-
vor.
Das heißt: Mit Ihren immer neuen Anträgen, mit Ih-
ren Redebeiträgen und der Verbreitung von Hysterie hei-
zen Sie zum Graffitisprayen geradezu an.
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ch habe Ihnen das in meinen Reden immer wieder ge-
agt. Ich halte auch jetzt sowohl Ihre Initiative als auch
ie der Koalition für ein falsches Signal an die Szene. Es
st ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich glaube,
ass dieses Gesetz es den Gerichten nicht einfacher
acht. Vielleicht geben Sie den Gerichten Steine statt
rot. Die Entscheidung, gerade im Bereich des Plakat-
lebens, ist jetzt häufig sehr schwierig. Deshalb wende
ch mich nach wie vor dagegen. Ich betone jedoch im-
er wieder: Die Grünen und auch ich waren nicht gegen
eue Gesetze, weil wir es gut finden, wenn zerstört wird,
enn in U-Bahnen, S-Bahnen, Eisenbahnen und Häu-
ern Zerstörungen angerichtet werden, sondern weil wir
isher immer Bedenken hatten, ob das das richtige Mit-
el ist. Das richtige Mittel ist es auch nicht dadurch ge-
orden, indem Sie dieses Thema immer wieder aufge-
racht haben und heute mit einer gewissen Süffisanz die
nzahl Ihrer Interventionen – es waren sieben – beziffert
aben.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass mit dieser
aßnahme das Graffitiunwesen nicht beseitigt wird und
ass sich die vorliegenden Gesetze nicht gegen die so
enannten harten Sprayer – deren Taten sind heute schon
trafbar –, sondern gegen die Verursacher von ver-
leichsweise harmlosen Veränderungen des Erschei-
ungsbildes richten. Deshalb kann ich Ihre Vorschläge
icht billigen.
Zur Erwiderung, Herr Kollege Gehb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ies ist ein etwas seltener Moment: Der Beitrag des
errn Ströbele macht nicht nur mich, sondern auch fast
lle anderen sprachlos. Er hat für sich selbst gesprochen.
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bünd-
is 90/ Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist er-taunlich: Wir haben schon viele Male im Plenum über
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16272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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Jerzy Montagdieses Thema geredet. Dieses Thema verdient eine sach-liche, ruhige und angemessene Behandlung.
Trotzdem können es alle Beteiligten offensichtlich nichtlassen, die ganze Debatte unglaublich zu überzeichnenund zu emotionalisieren. Es wäre sicherlich interessant,einmal darüber nachzudenken, was eigentlich dahinter-steckt.
Ich will Ihnen Folgendes sagen: Ich fände es gut,wenn wir am heutigen Tag zu einer Versachlichung derDebatte über dieses Thema kommen könnten.
Dazu gehört aus meiner Sicht, erst einmal Folgendesfestzustellen: Am 21. April 2005 hat die Presse berich-tet, dass bei einem Polizeieinsatz zur Verfolgung vonGraffitisprayern ein Mensch zu Tode gekommen ist. Ichkenne die Umstände dieses Vorfalls nicht. Sie werdenvon den Berliner Behörden aufgeklärt werden müssen.Aber auch hier muss gelten: Jeder Tote ist einer zu viel.Graffitischmierereien gehörten bisher und werden auchin Zukunft zur Kleinkriminalität gehören.
Ich glaube, dass es angebracht ist, mit Blick auf denGrundsatz der Verhältnismäßigkeit darüber zu reden,ob Einsätze sinnvoll sind, die dazu führen, dass Men-schen bei der Aufdeckung von Sachbeschädigung zuTode kommen.
Das Gleiche – lassen Sie mich auch das bitte sagen –trifft zu für den Einsatz von Bundesgrenzschutzhub-schraubern und Wärmelichtkameras.
Den Einsatz dieser Mittel zur Bekämpfung, zur Verfol-gung und zur Aufdeckung von Kleinkriminalität wieSachbeschädigung finde ich nicht verhältnismäßig.
Das zeigt mir auch, in welcher gesellschaftlichen Situa-tion des gegenseitigen Aufschaukelns wir uns befinden.KmDskendlDwglruddkmiGüMlÜ3dL–BubvsBgdzkuAeeli
Die eine Seite veranstaltet einen großen „Nofitti“-ongress in Berlin. Die Sprühergemeinde glaubt, sieüsse darauf mit einer großen Sprühaktion antworten.er BGS weiß nichts Besseres, als Hubschrauber auf-teigen zu lassen und stundenlang über Wohnviertel zureisen, als sei die gesamte Hauptstadt unseres Landesin einziges Bahngelände, um zum Schluss einige Fest-ahmen von Menschen zu machen, die der Sachbeschä-igung verdächtigt werden. Ich bitte alle Seiten – viel-eicht können wir heute damit beginnen –, dieiskussion in sachlicher Weise auf das zu begrenzen,as wirklich notwendig ist und was wir als Bundes-esetzgeber tun können. Ich will auf eine Rede des Kol-egen Olaf Scholz vom 1. Juli 2004 hier im Plenum zu-ückkommen. Auch da ging es um Sachbeschädigungnd Graffitibekämpfung. Seinerzeit hat er ausgeführt,ass es im Strafrecht – besser gesagt: in der Auslegunger Strafrechtsnormen – nur in ganz wenigen Fällen eineleine Lücke gibt, die es zu schließen gilt. Ich habeich – dankenswerterweise haben Sie meine Äußerungm „Tagesspiegel“ dazu schon zitiert, Herr Kollegeehb – dem angeschlossen.Es ist so: Die allermeisten Graffitisprüher werdenberhaupt nicht erwischt. Mir liegen dazu Zahlen ausünchen, wo es sogar eine Sondereinsatzgruppe der Po-izei dazu gibt, vor: Die Aufklärungsquote – nicht dieberführungs- oder Verurteilungsquote – liegt bei0 Prozent. Das ist sehr niedrig. Da können wir als Bun-esgesetzgeber sowieso nichts tun. Es ist Aufgabe deränder, sich um diese Sache zu kümmern.
Das Polizeirecht ist immer noch Ländersache und nichtundessache.Der Gesetzentwurf, den wir jetzt eingebracht haben,nd alle Ihre Vorentwürfe werden nicht zur Aufklärungeitragen; denn auch Sie schlagen nicht vor, jede Nachtor jedes Haus in Deutschland einen Polizeibeamten zutellen.
leiben Sie doch auf dem Teppich in dieser Debatte! Soeht es nicht.
In der Praxis hat sich in einigen wenigen Fällen, inenen es an der Täterschaft eigentlich überhaupt nichtsu deuteln gibt, herausgestellt, dass es Beweisschwierig-eiten gibt, weil eine wirklich wissenschaftliche Debattem die Frage geführt werden muss, ob es in Fällen desuftrags auf eine Sache, also zum Beispiel Graffiti, beiiner hypothetischen oder tatsächlichen Entfernung zuiner Substanzverletzung kommt. Ich nenne Ihnen deut-ch und klar meine Position – dies ist auch die Position
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16273
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Jerzy Montagder Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Ko-alition –: Die Sache lohnt den Streit nicht. Diese Fälle, indenen es um diese Beweisprobleme geht, können wirbundesgesetzlich lösen.Deswegen haben wir folgenden Vorschlag gemacht:Da, wo das äußere Erscheinungsbild einer Sache dauer-haft, also nicht nur vorübergehend, und erheblich, alsonicht nur unerheblich, verändert wird, wollen wir denGerichten in Zukunft die Möglichkeit geben, die zurzeitimmer wieder entstehende Sachverständigenauseinan-dersetzung zu verhindern. Nicht mehr und nicht weniger
wird mit diesem Gesetz erreicht.Der Vorschlag, den wir gemacht haben, unterscheidetsich im Übrigen von allen anderen Vorschlägen, die dieübrigen Fraktionen dieses Hauses hier eingebracht ha-ben. Sie von der Union haben doch in Ihrem Gesetzent-wurf von Verunstaltung gesprochen.
– Es gibt keinen anderen von Ihnen. – Auch Sie, meineDamen und Herren Kollegen von der FDP, haben davongesprochen, dass es um eine Verunstaltung gehen muss.
Das lehnen wir ab.Ich glaube, wir haben den besten Entwurf von alleneingebracht. Wir werden in den Verhandlungen imRechtsausschuss sehen, wie wir mit den Gesetzentwür-fen, die auf dem Tisch liegen, fertig werden.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man ist manchmal wirklich fassungslos. Wer die Rededes Kollegen Montag und davor die Kurzinterventiondes Kollegen Ströbele gehört hat, muss dies wirklichsein.
Es ist jetzt sechs Jahre her – ich unterstreiche nocheinmal: sechs Jahre –, dass wir als FDP-Bundestagsfrak-tion den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung vonGraffiti in den Bundestag eingebracht haben. Die CDU/CSU hat kurze Zeit später einen ähnlichen Gesetzentwurfeingebracht. Ich weiß gar nicht, wie viele Anhörungenwir durchgeführt haben, die alle ein klares und eindeuti-gIdaGwjScsnBeDJkVbhEWKlGlsdDfSTNvsDdj
ieses Geld fehlt dann in den städtischen Kassen, umugendbetreuung und andere Aufgaben finanzieren zuönnen.
on daher ist ein klares Signal notwendig, dass wir nichtereit sind, Graffitisprayereien hinzunehmen.Was der Kollege Montag hier als Popanz aufgebautat, hat mich ebenfalls fassungslos gemacht.
s haben doch Berichterstattergespräche stattgefunden.ir hatten doch eine Formulierung gefunden, der dieollegen aus der SPD zugestimmt haben. Diese Formu-ierung findet sich jetzt in dem von Ihnen eingebrachtenesetzentwurf wieder.Wir hätten seinerzeit zugestimmt. Insofern hätten Sieängst zu einer Regelung kommen können. Dass Sie jetzto tun, als hätten Sie eine bessere Formulierung gefun-en, ist schon etwas unverfroren, Herr Kollege Montag.arüber wundere ich mich sehr.
Sie haben zu einer sachlichen Debatte aufgerufen. Ichinde es nicht richtig, dass Sie so getan haben, als ob dietrafverfolgung eines Jugendlichen in Berlin zu einemodesfall geführt hätte.
ach meiner Kenntnis des Falles hat der Jugendliche dason ihm selbst angebrachte Graffiti zu fotografieren ver-ucht und dabei einen Zug übersehen.
adurch ist es zu dem Todesfall gekommen.Aber selbst wenn es so wäre wie von Ihnen geschil-ert, so gilt doch – darin sind wir uns wohl einig –, dasseder Tote zu viel ist.
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16274 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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Jörg van Essen
Deshalb muss klar sein, dass die Jugendlichen erst garnicht in die Versuchung kommen. Das muss die Bot-schaft sein. Dazu gehört auch eine klare strafrechtlicheAntwort.
Herr Kollege van Essen, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Montag?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. – Aber es
sind auch viele andere Maßnahmen notwendig. Ich for-
dere die Gemeinden auf, schnellstmöglich für die Besei-
tigung von Graffiti zu sorgen; denn das hat sich in vielen
Fällen als wirksam erwiesen. Das wirksamste Mittel da-
bei ist übrigens, wenn die Graffitisprayer selber die Be-
seitigung übernehmen müssen.
Dann merken sie nämlich, welchen Aufwand das erfor-
dert. Das wäre sicherlich ein wichtiges Signal.
Ein weiteres Signal sollte darin bestehen, dass die
Schulen ihrer Verantwortung gerecht werden. Aber die
wichtigste Verantwortung kommt uns selber zu. Das
Thema darf nicht schöngeredet werden. Wir haben eben
wieder erlebt, dass Herr Ströbele es heruntergespielt und
Graffiti in die Nähe von Kunst gerückt hat. Jeder, der ei-
nen verschmierten S-Bahn-Wagen durch Berlin fahren
sieht, weiß doch, dass das nichts mit Kunst zu tun hat.
Das Gegenteil davon ist der Fall; es sind nämlich blanke
Schmierereien. Zu unserer Verantwortung gehört auch,
dass wir das im Bundestag klar aussprechen.
Ich habe die herzliche Bitte, dass wir die heutige De-
batte nutzen, um endlich zu einem Ergebnis zu kommen.
Nach sechs Jahren muss endlich das Strafgesetzbuch er-
gänzt werden. Wir sind offen für die von der Bundesre-
gierung vorgeschlagene Formulierung.
Meines Erachtens muss dieses Gesetzgebungsvorha-
ben noch vor der parlamentarischen Sommerpause ver-
abschiedet werden, damit endlich ein klares Signal er-
geht: Graffiti darf in Deutschland nicht erlaubt sein und
wir tun alles, um Graffiti zu verhindern.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Jerzy Montag das Wort. Ich weise aber gleich darauf hin,
dass dies aufgrund der fortgeschrittenen Zeit die letzte
Kurzintervention ist, die ich jetzt zulasse. – Bitte schön.
Herr Kollege van Essen, Sie haben mich in Ihrem kur-
zen Beitrag zweimal persönlich angesprochen. Deswe-
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ch finde es durchaus sinnvoll, das im Hinblick auf das
edauern darüber, dass es bei der Ermittlung einer Sach-
eschädigung zu einem Todesfall gekommen ist, im Par-
ament zu erwähnen.
Zweiter Punkt. Sie haben mich persönlich angegriffen
nd mir vorgeworfen, die Sachbeschädigungen durch
raffiti zu bagatellisieren. Sie haben dies mit einem an-
eblichen Schadensumfang in Höhe von jährlich
00 Millionen Euro begründet. Ich sage Ihnen: Dieser
etrag ist durch nichts bewiesen oder glaubhaft ge-
acht. Die Antwort auf die Frage – als Rechtspolitiker
ollten wir uns darüber eigentlich einig sein –, ob wir ei-
en Tatbestand als Kleinkriminalität, leichte, mittel-
chwere oder schwere Kriminalität qualifizieren, hängt
icht davon ab, welcher tatsächliche Schaden oder wel-
her Gesamtschaden durch eine Straftat entsteht. Sonst
üssten Sie doch auch den Ladendiebstahl zur
chwerstkriminalität rechnen.
Es bleibt die Tatsache, dass die Vorschläge aller Frak-
ionen keine Strafrahmenverschärfung als Ergänzung des
achbeschädigungsvorwurfs vorsehen und dass es sich
m eine Straftat handelt, die mit einer Höchststrafe bis zu
inem Jahr geahndet wird. Deswegen war es sachlich
öllig richtig, als ich gesagt habe: Es ist und bleibt Sach-
eschädigung, Kleinkriminalität. Dementsprechend soll-
en wir die Debatte führen.
Das Wort zur Erwiderung hat Herr van Essen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16275
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Herr Kollege Montag, Sie haben vorhin in der De-
batte für Sachlichkeit geworben. Ich kritisiere Sie nach-
drücklich; denn Ihre angebliche Richtigstellung zeigt
deutlich, dass bei Ihnen der Wille zur Versachlichung
nicht vorhanden ist.
Wer eine Einsatzfahrt, bei der etwas passiert – hier ein
schlimmer Verkehrsunfall –, einem Delikt zurechnet, der
vertritt eine so unglaubliche Meinung, dass mich das
wirklich sprachlos macht.
Sie wissen, dass eine Diskussion in der Berliner Poli-
zei über die schnellen Einsatzfahrzeuge und die Fähig-
keiten der Polizisten, diese zu beherrschen, die Folge des
angesprochenen Unfalls gewesen ist und nicht die Frage,
ob Graffiti bekämpft werden soll oder nicht. Wer im
Bundestag sachlich diskutieren will, der sollte das deut-
lich machen.
Zweite Bemerkung, zur Schadenshöhe: Es handelt
sich möglicherweise um ein Delikt der einfachen Krimi-
nalität. Trotzdem warne ich vor einer Bagatellisierung,
und zwar aufgrund der immensen Schäden. Sie kennen
doch beispielsweise die nachweisbaren Zahlen der Deut-
schen Bahn. Wir können uns zwar darüber streiten, ob
die Höhe der Gesamtschäden bei 498 Millionen Euro
oder bei 502 Millionen Euro liegt. Tatsache ist aber, dass
viele Gemeinden in Deutschland wegen der hohen Auf-
wendungen für die Entfernung von Graffiti beispiels-
weise Jugendheime nicht mehr unterhalten können. Des-
halb ist das auch ein Thema für den Deutschen
Bundestag und mit Sicherheit keine Bagatelle, über die
man hinweggehen sollte.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr van Essen, es ist schön, dass sich die FDP für dieKommunen und die dortigen Jugendheime so einsetzt.Lassen Sie uns gemeinsam eine entsprechende Politikgestalten.Wir sollten nun, nach den Zwischenkontroversen,zum Gesetzentwurf zurückkommen. Ich möchte daraufhinweisen, dass wir den Bereich des Strafrechtes undden Bereich des Zivilrechtes, bei dem es um die Durch-setzbarkeit von Schadenersatzforderungen geht, nichtdurcheinander werfen sollten. Das wird in der Debatteoft getan, wenn der Eindruck erweckt wird, dass mit ei-nem deutlichen Zeichen des Strafrechts der geschädigteBürger oder die geschädigte öffentliche Hand, beispiels-weise Kommunen und Verkehrsunternehmen, in dieLage versetzt werden, Schadenersatzansprüche zu reali-sbGlvgsdhdbüHssaHddmoHwZdagvmdScsdlbtbejztbsoslnkPWgf
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16276 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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– Herr Gehb, bleiben Sie einmal schön ruhig!
– Herr Gehb, bleiben Sie einmal schön ruhig!Herr Präsident, fragen Sie Herrn Gehb bitte, ob ereine Frage hat.
Herr Kollege, reden Sie weiter.
Herr Gehb, das mit dem Baldrian war treffend; Sie
sollten das einmal versuchen.
Die Strafverschärfung oder die Schließung einer
Rechtslücke – wie immer man das bezeichnen mag – be-
deuten für die Verfolgung von Graffitisprayern einen
Fortschritt. Für uns ist die Prävention in den Kommu-
nen ein ganz wichtiges Anliegen. In den Kommunen
muss darauf hingewirkt werden, dass sich alle Bürger
dafür verantwortlich fühlen, dass Graffitisprayer ange-
zeigt werden. Ich persönlich bin der Meinung, dass die
Aufklärungsquote in einigen Städten größer ist, als es
hier dargestellt wurde. Diese Quote mag von Ort zu Ort
verschieden sein. Von der Schweriner Kriminalpolizei
wurden mir andere Zahlen genannt. Auch hierbei gilt: Es
ist müßig, darüber zu diskutieren. Wir wollen eine Grau-
zone beseitigen.
Herr Gehb – regen Sie sich bitte nicht erneut auf –,
ich finde, wir machen einen guten Vorschlag. Sie haben
von „Verunstalten“ gesprochen. Wir benutzen eine Defi-
nition, die in das Strafrecht passt. Wir wollen den Ge-
richten nicht erneut einen Interpretationsspielraum ge-
ben. Ich würde deshalb vorschlagen: Schließen Sie sich
einfach unserem Gesetzentwurf an, dann kommen wir
schnell zu einem Ergebnis.
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en wir alle nicht gut finden. Ich finde, das ist eine gute
otschaft, die vom heutigen Tage an die Kommunen und
ie Verbände geht, die sich zu Recht lange Zeit darüber
eklagt haben, dass hier eine Grauzone nicht beseitigt
orden ist. Lassen Sie uns mit dieser guten Botschaft in
en Wahlkreis gehen, Herr Gehb.
iskutieren Sie mit uns im Rechtsausschuss und bringen
ie gute Vorschläge. Vielleicht können wir dann noch et-
as ergänzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Daniela Raab von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Graffiti und kein Ende, möchte maneinen, wenn man sich die Chronologie des rot-grüneniertanzes in den vergangenen Jahren anschaut:März 2002: fünfte Beratung zum Thema Graffiti imeutschen Bundestag.20. Dezember 2002: Es findet die Plenardebatte zurrsten Lesung des von der Fraktion der FDP mal wiederingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesser-en Schutz des Eigentums statt.
Das werden Sie gleich hören, Herr Hacker. Geduldenie sich. Ich habe noch sechs Minuten.
7. Januar 2003: Auch die CDU/CSU bringt einen ei-enen Gesetzentwurf zur Graffitibekämpfung ein.5. Februar 2003: Nun folgt der Bundesrat mit einemigenen Entwurf.21. Mai 2003: öffentliche Anhörung zum Themaraffitibekämpfung. Sie beschäftigt sich
seien Sie doch einmal ruhig –
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16277
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Daniela Raabmit der Frage, ob es einer Strafverschärfung zur besserenVerfolgung von Graffitisprühern bedarf. Dabei war nureiner der auch von Ihnen eingeladenen Experten, HerrHacker, der Meinung, dass es keiner Strafverschärfungbedürfe.
– Keine Überraschung, dass das der von den Grünen ein-geladene war. – Klare Präferenz erfuhr der Entwurf desBundesrates, der bekanntlich darauf abstellt, dass dieSchmiererei gegen den Willen des Berechtigten erfolgt.Damit wird endlich die Rechtsklarheit geschaffen, dieteure Gutachten und juristische Auslegungen überflüssigmacht. Jetzt kommt der entscheidende Punkt, HerrHacker: Die Unionsfraktion hat darauf eindeutig undmehrfach auch im Rechtsausschuss signalisiert, zuguns-ten der Bundesratsvariante auf den eigenen Entwurfverzichten zu wollen.
25. Juni 2003: Berichterstattergespräch mit den Her-ren Bachmaier, van Essen, Ströbele und meiner Wenig-keit.
In diesem Berichterstattergespräch gab uns zumindestdie SPD-Seite – Herr Hacker, Sie waren leider nicht da-bei, sonst wüssten Sie es besser –
zu erkennen, dass man einer Gesetzesänderung nicht imWege stehe, jedoch an der koalitionsinternen Blockadedurch die Grünen scheitere.
Außerdem wurde uns im Sommer 2003 vom Justiz-ministerium baldmöglichst ein eigener Gesetzentwurfangekündigt, dessen Wortlaut sich – man höre undstaune – an dem Bundesratsentwurf orientieren solle.Man sagt ja immer, die Hoffnung stirbt zuletzt, aberwährend der Wartezeit auf diesen im Sommer 2003 an-gekündigten Entwurf hätte man locker versauern kön-nen.Es geht weiter mit dem 15. Januar 2004, also über einhalbes Jahr später: erste Geschäftsordnungsdebatte zumAntrag gemäß § 62 Abs. 2 wegen Untätigkeit. Sie ha-ben die Beratung des Entwurfs ein halbes Jahr ver-schleppt, den Bundestag hingehalten und nichts getan.11. Februar 2004: Der Kollege van Essen und ich er-bitten beim Kollegen Bachmaier schriftlich ein erneutesBerichterstattergespräch. Überraschenderweise erfolgtauch darauf keine Reaktion.1. Juli 2004: zweite Geschäftsordnungsdebatte wegenUntätigkeit.sbnrrBDgRBkztedKgStavbwVdvbhuFd–SceESkcgd
ieser Antrag war anscheinend so überzeugend, dass so-ar die SPD-Landtagsfraktion im niedersächsischenechtsausschuss zugestimmt hat und dafür lediglich dieedingung stellte, dass der Titel geändert wird. Dasönnten Sie sich zum Vorbild nehmen.Weiter geht es in der Chronologie. Wir kommen jetztu den ganz aktuellen Daten. Aber an dem bisher Gesag-n sehen Sie schon, wie lange es gedauert hat, um alleinurch diese Legislaturperiode zu kommen.Anlässlich des ersten internationalen Anti-Graffiti-ongresses in Berlin fällt dann die Erleuchtung vom rot-rünen Himmel und trifft zunächst Bundesinnenministerchily; das ist schon erwähnt worden. Er möchte er-ppte Sprayer mit Hubschraubern und Infrarotkameraserfolgen. Wir haben gerade gehört, das hätte nichts ge-racht. Denn selbst wenn wir sie gefasst hätten, hättenir mangels gesetzlicher Regelung keine strafrechtlicheerurteilung erreichen können.
Die zweite Erleuchtung vom rot-grünen Himmel trifftann die Koalition in der letzten Woche. Man wedelterheißungsvoll mit einem Gesetzentwurf, der die „un-efugte nicht nur unerhebliche und nicht nur vorüberge-ende Veränderung des Erscheinungsbildes einer Sache“nter Strafe stellt. Da möchte man gratulieren.
Aber Sie hätten auf jeden Fall einen Orden für dasinden von Synonymen, wenn es denn einen gäbe, ver-ient.
Den suche ich immer noch verzweifelt, Herr Hacker.ie werden ihn uns in den Berichterstattergesprächen si-herlich konsequent erklären können. Ihr „unbefugt“ntspricht eindeutig unserem „gegen den Willen desigentümers oder sonst Berechtigten“. Das ist das ersteynonym, auch wenn Sie in Ihrer Begründung wirklichrampfhaft und an den Haaren herbeigezogen versu-hen, das Gegenteil zu behaupten.
Damit nicht genug. Sie versuchen jetzt auch noch, dereneigten Öffentlichkeit zu verkaufen, die Verschärfunger Graffitibekämpfung hätten Sie erfunden.
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Daniela RaabWahrscheinlich drehen Sie irgendwann den Spieß umund behaupten, wir hätten Sie während der letzten sechsJahre an der Umsetzung gehindert. Aber Spaß beiseite.Es drängt sich einem wirklich die Frage auf, warum soviel Zeit vergehen musste und warum Sie nicht längstmit uns zusammen die Bundesratsvariante verwirklichthaben, wie es uns oftmals durch den Herrn Parlamentari-schen Staatssekretär und auch Ihre Kollegen angekün-digt worden ist.
Aber vielleicht haben Sie einfach nur auf die zeitlicheNähe zum 22. Mai dieses Jahres gewartet.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir debattieren – das ist richtig – zum wiederholtenMale über die effektive Bekämpfung von Graffiti an pri-vaten und öffentlichen Gebäuden. Ich glaube schon, dassdie vorliegenden Vorschläge eine gute Grundlage sind,um sachlich und weniger emotional darüber zur diskutie-ren und dann schließlich zu einer Einigung zu kommen.Graffiti sind ein Ärgernis. Sie sind kein Kavaliersde-likt. Sie beeinträchtigen das Erscheinungsbild unsererStädte und ihre Beseitigung verursacht enorme Kostenfür private Eigentümer und die öffentliche Hand. Schät-zungen, wonach ein Schaden von mehreren hundertMillionen Euro jährlich entsteht, belegen, dass es sichwirklich nicht um eine Kleinigkeit oder Bagatelle han-delt.Umstritten aber bleibt, ob dieses gesellschaftlich un-erwünschte Phänomen allein mit dem Strafrecht wirk-sam bekämpft werden kann. Durch die jetzige Formulie-rung der §§ 303 und 304 StGB können bereits jetztzahlreiche Sachverhalte der Sachbeschädigung durchGraffiti erfasst werden. Doch der Nachweis der Sub-stanzverletzung – der Staatssekretär hat darauf hinge-wiesen –, den diese Strafvorschriften fordern, ist schwie-rig zu führen und kann oft nur durch teure Gutachtennachgewiesen werden. Die hohen Kosten sind ein Grunddafür, dass circa 10 Prozent aller Verfahren eingestelltwerden.Es besteht Konsens zwischen den Fraktionen – ichglaube, das auch noch nach dieser aufgeregten Debattefeststellen zu können –, das Strafgesetzbuch so zu än-dern, dass diese Gerichtsverfahren gegen gefasste Graf-fitisprayer schneller und kostengünstiger geführt werdenkönnen.Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen jetztvorlegen, basiert auf einem Entwurf aus dem Bundesratvon 2003.DmsoDszESssvdshgdNihrmwisp–dHsDStrSkrgSsaOdgG
er Begriff der Verunstaltung ist subjektiv und beziehtich auf Ästhetik; er ist nicht oder nur schwer objektivu fassen. Auch damit wäre das Ziel, das Erfordernis derrstellung teurer Gutachten und der Einbeziehung vonachverständigen zu umgehen, nicht erreicht. Deshalbchlagen wir eine andere Formulierung vor: Das Er-cheinungsbild einer Sache muss erheblich und nicht nurorübergehend verändert werden, damit die entsprechen-en Paragraphen greifen. Diese Erheblichkeitsgrenzecheint mir von entscheidender Bedeutung zu sein. Ichoffe, dass wir über diese Formulierung in den Beratun-en Einigkeit erzielen werden.Hauptproblem bleibt aber, die Täter zu fassen undingfest zu machen. Volkstümlich heißt es bei uns: Dieürnberger hängen keinen, es sei denn, sie hättenn. – Beim Graffitiunwesen gibt es eben nur diese nied-ige Aufklärungsquote von circa 30 Prozent. Deshalbuss natürlich weiterhin darüber nachgedacht werden,ie die Strafverfolgung in diesem Bereich zu verbessernt, auch unter verhältnismäßigem Einsatz der Bundes-olizei.
So heißt der Bundesgrenzschutz, nachdem wir das inieser Woche beschlossen haben.Für die meisten jungen Sprayer ist es eine sportlicheerausforderung, an möglichst exponierten Plätzen zuprayen und dann den Strafverfolgern zu entwischen.ieses Problem werden wir auch mit der Änderung destrafrechts nicht lösen können. Abschreckung, Kon-olle, Polizeipräsenz, Ermittlungsarbeit, das ist die eineeite. Die Ursachen des Problems werden wir nicht be-ämpfen können, wenn wir nicht auch präventiv im Be-eich von Erziehung und Kultur eine entsprechende Ju-endpolitik angehen.Graffiti gehören zu einer Jugendkultur in einerzene, die mit Appellen und Strafandrohungen nurchwer erreichbar ist. Je mutiger eine Aktion ist, destongesehener oder cooler ist der Sprayer in der Szene.
hne mehr Jugendarbeit, ohne mehr Projekte der Kin-er- und Jugendhilfe, ohne sinnvolle Angebote für ju-endliche Zielgruppen wird es nicht gelingen, dasraffitiunwesen erfolgreich zurückzudrängen.
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Gabriele FograscherWenn die Kommunen mehr in Jugendarbeit investierenwürden, müssten sie vielleicht weniger in die Reparaturvon Schäden investieren.
Das Fehlen von Freiräumen zur Gestaltung des eigenenUmfelds ist mit ursächlich für die Vielzahl von Graffiti.
Es gibt erfolgreiche Projekte. Zu nennen ist zum Bei-spiel das Programm „Soziale Stadt“, bei dem die Wohn-bevölkerung in sozialen Brennpunkten in die Gestaltungdes wohnlichen und sozialen Umfelds einbezogen wird.Auch der in dieser Woche von den Koalitionsfraktionenvorgelegte Antrag, in dem mehr kinder- und jugendpoli-tische Projekte gefordert werden, um jungen Menschenbildungspolitische Alternativen und Alternativen derFreizeitgestaltung zu bieten, ist ein richtiger Ansatz. Nurwenn Jugendliche in die Gestaltung ihres Lebensumfeldseinbezogen werden, gehen Vandalismus und Sprayereinachweislich zurück.Ich wünsche mir, dass wir neben den Strafrechtsände-rungen gerade auch diese präventiven Maßnahmenverstärken. Nur dann – davon bin ich überzeugt – wer-den wir der Ursachen des Problems Herr werden und Ju-gendliche davor bewahren, eine kriminelle Karriere ein-zuschlagen, die ihr ganzes Leben belasten kann.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Es gibt wohl nur wenige Menschen über 40 Jahre, dieGraffiti an Häuserwänden wirklich schön finden, und esgibt Jugendliche, die Graffiti toll finden. Hier bestehtalso ein Generationskonflikt,
mit dem wir uns auseinander setzen müssen.Welche Strategien sind da im Angebot? Die BerlinerPolizei – davon wurde hier schon gesprochen – hat vorwenigen Tagen einen Graffitisprayer mit einem Polizei-auto verfolgt und dabei einen unschuldigen 22-jährigenMotorradfahrer gerammt, der kurz nach dem Unfall ver-starb. Ist das etwa eine verhältnismäßige Strategie?Bundesminister Schily will mithilfe von Helikoptern,die mit Wärmebildkameras ausgestattet sind, Graffiti-sprayer jagen. Erst hielt ich das für einen schlechtenSgn–dmlbOljbzmsssEfdFzMewnäarhiwu
Der Law-and-Order-Mann Schily hat jedes Maß ver-oren. Für ihn geht es nicht nur um die Lösung des Pro-lems; für ihn geht es darum, dass er vom Law-and-rder-Mann Beckstein nicht überholt wird.Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung haben Sie,iebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen,edes Maß verloren, finde ich, obwohl Sie in Ihren Rede-eiträgen hier versucht haben, einen anderen Eindrucku erwecken.
In Ihrer Änderung des Strafgesetzbuches geht es nichtehr nur – wenn Sie den Text lesen, werden Sie das fest-tellen – um die Beschädigung und Zerstörung von Häu-erwänden. Vielmehr soll es demnach schon strafbarein, wenn das Erscheinungsbild gegen den Willen desigentümers verändert wird.
Diese Gesetzesänderung muss zwangsläufig dazuühren, dass – um es Ihnen anschaulich darzustellen –as Lied „Der Lindenbaum“ von Wilhelm Müller undranz Schubert nicht mehr gespielt werden dürfte. Ichitiere:Am Brunnen vor dem Toreda steht ein Lindenbaum.Ich träumt in seinem Schattenso manchen süßen Traum.Ich schnitt in seine Rindeso manches liebe Wort.eine Damen und Herren, das wäre nach Ihrem Gesetz-ntwurf verboten; denn Ihrem Gesetzentwurf zufolgeäre das die Beschädigung einer Sache, die die Sacheicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend ver-ndert.
Als Mitglied des Haushaltsausschusses will ich auchuf das erforderliche Geld zu sprechen kommen. In Ih-em Gesetzentwurf wird darauf verwiesen, dass die ho-en Kosten für Gutachten durch diese Gesetzesänderungn Zukunft nicht mehr anfallen werden. Gleichzeitig abererden Hubschrauber und Wärmekameras eingesetzt,m Graffitisprayer zu verfolgen.
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Dr. Gesine Lötzsch
Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Schily mitseinen Hubschraubern und Wärmekameras aufsteigenund Liebespaare im Wald beobachten wird, um festzu-stellen, ob sie Bäume mit kleinen Herzen versehen undihr Erscheinungsbild dadurch nicht unerheblich verän-dern.
Wir werden gegen diese Gesetzesänderung stimmen;denn die derzeitige Gesetzeslage ist ausreichend. MeineDamen und Herren – das sage ich an alle Fraktionen die-ses Hauses –, manchmal hilft es schon, wenn Eltern undKinder gemeinsam putzen. Dafür gibt es übrigens einschönes altes Wort: Subbotnik.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Gewalt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Art. 76des Grundgesetzes ist eine angemessene Frist zur Be-ratung von Gesetzesvorlagen des Bundesrates im Bun-destag vorgeschrieben. Vor fast zweieinhalb Jahrenbeschloss der Bundesrat fast einstimmig die Tatbe-standsänderung der §§ 303 und 304 des Strafgesetz-buches, das so genannte Graffitibekämpfungsgesetz.Der Umfang dieses Gesetzentwurfes, den ich mir einmalgenau angeschaut habe, beträgt genau fünf Zeilen. Ichglaube, selbst die SPD-Fraktion muss einräumen, dassein Zeitraum von zweieinhalb Jahren angesichts derÜberschaubarkeit dieses Gesetzentwurfes kaum noch alsangemessen bezeichnet werden kann.Erst nachdem der Berliner Verein „nofitti“ bzw. seinsehr engagierter Vorsitzender Karl Hennig vor zwei Wo-chen in Berlin einen interessanten und, Herr Ströbele,vor allem sehr erfolgreichen Antigraffitikongress organi-siert hat,
fühlte sich Rot-Grün offensichtlich bemüßigt, sich die-ses Problems anzunehmen. Herr Kollege Montag, da Sieden sehr bedauerlichen Unfall mit dem Motorradfahrererwähnt haben, gestatten Sie mir bitte, auf einen Bericht,der heute in der „Bild“-Zeitung erschienen ist,hegwdHdaB1F1tSGeRsZSdGJrccwGtEmlIdWwuMn
inzuweisen, in dem steht, dass der Vorsitzende des Ver-ins „nofitti“, Herr Hennig, seit Wochen Morddrohun-en erhält und mittlerweile Polizeischutz bekommt. Soeit zur angeblichen Friedfertigkeit der Graffitiszene. Inieser Frage kann ich Ihre Meinung wirklich nicht teilen.
All dem ist eine von der Koalition zu verantwortendeängepartie vorausgegangen, die bei den Betroffenen,en Ländern und Gemeinden nur noch Kopfschüttelnuslöst. Ich werde ein paar Aspekte der Beratungen vonundestag und Bundesrat hervorheben. Am6. März 1999 wurde ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-raktion im Bundestag von Rot-Grün abgelehnt. Am9. März 1999 wurde ein Gesetzentwurf des Bundesra-es, initiiert vom Land Berlin – Initiator war übrigens derPD-Justizsenator Körting –, im Bundestag von Rot-rün abgelehnt. Am 10. November 2001 wurde erneutin Gesetzentwurf des Bundesrates im Bundestag vonot-Grün abgelehnt. Am 20. Dezember 2002 hatchließlich der dritte Gesetzentwurf des Bundesrates dieustimmung aller Bundesländer mit Ausnahme vonchleswig-Holstein – das dürfte sich mit dem 27. Aprilieses Jahres erübrigen – gefunden. Die Beratung diesesesetzentwurfes wird hier im Hause seit zweieinhalbahren von Rot-Grün blockiert. Meine Damen und Her-en von der SPD-Fraktion, wenn Sie noch nach Ursa-hen der Politikverdrossenheit in unserem Lande su-hen, dann ist das wirklich ein Paradebeispiel.
Am Dienstag letzter Woche dann ließ die Koalitioneißen Rauch aufsteigen. Wer hoffte, dass sich Rot-rün jetzt endlich bewegte, wurde allerdings bitter ent-äuscht.
in Formulierungsvorschlag wurde präsentiert, bei deman wirklich in jedem Wort das Gezerre hinter den Ku-issen der rot-grünen Koalition erahnen kann.
ch frage Sie: Warum um Himmels willen sind Sie nichter Empfehlung der Bundesregierung aus der letztenoche gefolgt, dem fachlich fundierten und wohl abge-ogenen Gesetzentwurf des Bundesrates – so, wie erns vorliegt – zuzustimmen?
it der Formulierung „wer ... das Erscheinungsbild ...icht nur vorübergehend verändert“ haben Sie, offenbar
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Roland Gewaltum die Zustimmung der Grünen zu bekommen, eineRolle rückwärts gemacht.Ich habe mich bei Fachleuten in Berlin umgehört, un-ter anderem beim Generalstaatsanwalt beim LandgerichtBerlin. Es besteht hier die ganz konkrete Gefahr, dassdie Rechtsprechung erneut eine Bestrafung wegenSachbeschädigung ablehnt, wenn die Graffiti nur ober-flächlich, das heißt entfernbar – und damit „nur vo-rübergehend“ im Sinne Ihres Gesetzentwurfes –, aufge-bracht sind. Damit stünden wir genau da, wo wir jetztschon stehen.
So war das mit Sicherheit nicht gedacht, meine Damenund Herren.
Ersparen Sie uns eine monatelange Beratung überIhre nicht sehr hilfreiche Gesetzeskreation und stimmenSie endlich dem zu, was Ihre eigenen Justizminister ge-meinsam mit unseren Justizministern im Bundesrat vor-geschlagen haben! Die Berliner Justizsenatorin KarinSchubert – bekanntermaßen Mitglied der SPD – hat,nachdem Rot-Grün den Gesetzentwurf in der letztenWoche vorgestellt hat, in der „BZ“ am Sonntag völligrichtig klargestellt, dass die Gesetzesänderung jede Formvon unerlaubt angebrachten Graffiti strafbar machenmuss; insofern stimme ich der Justizsenatorin voll zu. Esmüsste Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, eigentlich nachdenklich stimmen, dass Sie mitdem Entwurf, den Sie hier vorlegen, deutlich hinter dembleiben, was Ihre eigenen Justizminister aus den Län-dern gefordert haben.Die Zeit drängt, meine Damen und Herren. In derGraffitiszene scheint mehr und mehr durchzusickern,dass es den Strafverfolgungsbehörden besonders schwerfällt, eine Sachbeschädigung nachzuweisen, wenn manauf Glas- oder Metallflächen sprüht. Nur so ist es zu er-klären, dass in den letzten Jahren in Berlin im Bereichder Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes – an Eisen-bahnzügen und an S-Bahn-Zügen – die Zahl derGraffitischmierereien deutlich zugenommen hat: im letz-ten Jahr um 17 Prozent, Herr Ströbele.
Allein bei einem Treffen der Graffitiszene in Berlin imletzten Monat wurde innerhalb von 48 Stunden bei derBerliner S-Bahn eine Fläche von 975 Quadratmetern be-sprüht; das entspricht einer Zuglänge von über400 Metern.
– Der Schaden ist erheblich, Herr Kollege Hacker.DDrWvHwdsbGsedwisTüDbAFdnt
er Schaden ist ganz erheblich:
ie Deutsche Bahn beziffert den Schaden in ihrem Be-eich für das Jahr 2004 auf über 50 Millionen Euro.enn Sie einen solchen Gesetzentwurf vorlegen, deron Fachleuten in Berlin – von Staatsanwälten in Berlin,err Kollege Hacker – als nicht hilfreich angesehenird,
ann ist das genau das Problem, über das wir hier reden.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege!
Nur mit einer klaren Grenzziehung, vor allem im
trafrechtlichen Bereich, kann diesem Treiben ein Ende
ereitet werden. Deshalb habe ich gehofft, dass Sie dem
esetzentwurf des Bundesrates hier zustimmen. Dazu
ind Sie offensichtlich nicht bereit; Sie vollführen hier
inen Eiertanz. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie das
en Bürgerinnen und Bürgern draußen erklären wollen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 15/5317 zu Zusatzpunkt 11 an dien der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-chlagen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 15/5313 zuagesordnungspunkt 20 b soll an dieselben Ausschüsseberwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? –as ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen soeschlossen.Ich rufe Zusatzpunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten JürgenKoppelin, Dr. Andreas Pinkwart, Otto Fricke,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPKeine deutsche Beteiligung an MEADS– Drucksache 15/5336 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-erspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-er dem Kollegen Jürgen Koppelin von der FDP-Frak-ion das Wort.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Ströbele, bleiben Sie ruhig hier, damit Sie gleichFarbe bekennen können.Ich will vorab sagen: Der Verteidigungsminister hatsich heute bei mir entschuldigt, weil er einen wichtigenTermin hat. Diese Entschuldigung wird selbstverständ-lich angenommen. Ich finde es aber schade, dass bei ei-nem so wichtigen Projekt, über das wir diskutieren – esgeht um viele Milliarden Euro –, kein Vertreter desFinanzministeriums anwesend ist. Das hätte heute zu-mindest anders sein können.
Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünengegen die Stimmen der FDP hat der Haushaltsausschussdes Bundestages am Mittwoch den Einstieg in das Rake-tenabwehrsystem MEADS beschlossen.
855 Millionen Euro an Entwicklungskosten sind für die-ses Raketenabwehrsystem geplant. Bei der Beschaffungmuss damit gerechnet werden, dass es noch einmal zuKosten zwischen 4 und 7 Milliarden Euro kommen wird.
Die genaue Zahl kann man nicht nennen; denn auch dasVerteidigungs- und das Finanzministerium waren nichtin der Lage, zu sagen, was MEADS am Ende kostenwird, wenn es angeschafft wird.
Nach Auffassung der FDP steht das haushaltspolitischeRisiko der Beschaffung in keinem Verhältnis zu einemeventuellen Gewinn an Sicherheit.Das Bundesfinanzministerium räumt ein, dass mit derAnschaffung von MEADS der zur Verfügung stehendefinanzielle Handlungsspielraum im Verteidigungshaus-halt in den kommenden Jahren eingeschränkt wird. DerBundesrechnungshof hat erhebliche Bedenken vorgetra-gen und Zweifel an der Notwendigkeit der Beschaffungvon MEADS angemeldet. Diese Bedenken des Bundes-rechnungshofs wurden nicht ausgeräumt.Wir sind der Auffassung, dass bei einem militärischenBeschaffungsprojekt, das auf jeden Fall mehr als4 Milliarden Euro kosten wird, die Entscheidung nichtallein im Haushaltsausschuss getroffen werden sollte,sondern hier im Deutschen Bundestag. Deswegen habenwir diesen Antrag kurzfristig für heute hier eingebracht.lg„Kbt–nAJb–dstRgdBeWddacbdEsvIdVTRHdDzl
Nach unserer Auffassung ist das Projekt MEADS mi-itärisch umstritten. So ist zum Beispiel ein großräumi-er Schutz eines Territoriums, wie zum Beispiel mit denPatriot“-Raketen, mit MEADS nicht möglich. Herrollege Nachtwei, Sie haben sich ja mit der Thematikeschäftigt. Man muss sich fragen, weshalb ein bedroh-es Land, wie Israel mit „Patriot“-Raketen zufrieden istso sehen wir das jedenfalls – und MEADS überhaupticht will.
Die FDP kann auch nicht erkennen, dass es bei denuslandseinsätzen der Bundeswehr in den letzten zehnahren einen besseren Schutz für unsere Soldaten gege-en hätte, wenn wir MEADS bereits gehabt hätten.
Herr Kollege, hören Sie doch einfach zu. Ich weiß,ass Ihre Argumente wackelig sind.Wir waren immer dabei, wenn es um den Schutz un-erer deutschen Soldaten im Ausland ging. Das ist obers-es Gebot; das ist ganz klar. Die haushaltpolitischenisiken dieser Beschaffungsmaßnahme sind aber soroß, dass die FDP diesen Antrag heute gestellt hat, umie Bundesregierung aufzufordern, keine vertraglichenindungen für eine deutsche Beteiligung an MEADSinzugehen.
er die Vorlagen des Bundesverteidigungsministers füriese Beschaffungsmaßnahme und die Stellungnahmees Rechnungshofes ernsthaft liest, der kann der Vorlageus Überzeugung nicht zustimmen.Nachdem einige Abgeordnete der Grünen die glei-hen Bedenken wie die FDP öffentlich vorgetragen ha-en, wundern wir uns sehr, dass nicht die Abgeordnetener Grünen, die sich mit der Materie befasst haben, dientscheidung der Grünen-Fraktion herbeigeführt haben,ondern dass der Parteirat der Grünen die Beschaffungon MEADS empfohlen hat.
ch habe erhebliche Zweifel daran, dass sich die Mitglie-er des Parteirats der Grünen, wie zum Beispiel Herrolker Beck, der jetzt gerade erscheint, Herr Jürgenrittin, Frau Künast, Herr Fritz Kuhn, Frau Claudiaoth, die ja bei jedem Thema dabei ist, und Frau Bärbelöhn aus Nordrhein-Westfalen, inhaltlich jemals mitem Raketenabwehrsystem MEADS beschäftigt haben.iese Personen empfehlen nun die Beschaffung einesweifelhaften Raketenabwehrsystems, das voraussicht-ich 4 bis 7 Milliarden Euro kosten wird.
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Jürgen KoppelinWenn man sich die Medienberichte anschaut – daswill ich nicht verkennen –, scheint MEADS tatsächlicheine sehr gefährliche Waffe zu sein; denn sowohl HerrBütikofer als auch Frau Claudia Roth erklärten – wörtli-ches Zitat –, dass die Koalition quasi gesprengt werdenwürde, wenn man MEADS nicht anschaffte. Das scheintja eine sehr gefährliche Waffe zu sein. Was sind Sie ei-gentlich für eine Koalition, dass die Ablehnung einesWaffensystems die Koalition bereits zu Fall bringenwürde? Wenn Sie schon so weit sind, dann kann ich nursagen: Hören Sie mit dieser Koalition lieber gleich auf.
Nun kommen die Grünen und präsentieren ein Alibi.Sie sagen: Dafür wird PARS 3 eingestellt.
Entschuldigung, was für ein Witz ist das? Seit Monatenwissen wir – heute haben wir das im Rechnungsprü-fungsausschuss übrigens entschieden –, dass alle Frak-tionen PARS 3 nicht mehr wollen, weil es ein altes Sys-tem ist, das noch aus der Zeit des Kalten Kriegesstammt. Wir haben heute im Rechnungsprüfungsaus-schuss einmütig gesagt, dass wir das nicht mehr habenwollen. Der Bericht des Rechnungshofs lag da aberschon lange vor. Es ist also nichts, was man den Grünenzugebilligt hat, sondern alle Parteien waren seit Monatender Auffassung, dass wir PARS 3 einstellen sollten.
Herr Kollege Koppelin, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Beck?
Selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Beck.
Sehr geehrter Kollege Koppelin, da Sie hier so spöt-
telnd argumentieren, –
Überhaupt nicht. Das waren nur Tatsachen.
– habe ich eine Nachfrage zu Ihrer Meinungsbildung.
Ich möchte gerne wissen, wann das Damaskus-Erlebnis
der FDP beim Thema MEADS stattfand, bei dem Sie
sich vom Saulus zum Paulus gewandelt haben.
Mir liegt ein Kurzprotokoll der 45. Sitzung des Ver-
teidigungsausschusses vor.
Darin wird von den Berichterstattern umfangreich darge-
legt, dass dieses System nun kommt und warum man es
braucht. Ich finde darin Ausführungen des Kollegen
Winfried Nachtwei, warum man MEADS ganz im Sinne
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Herr Beck, bitte haben Sie noch etwas Geduld. Ichebe allerdings zu, dass es ein Fehler von uns war, dassir unsere Ablehnung nicht öffentlich vorgetragen ha-en. Aber wir haben einfach nicht damit gerechnet, dassie Grünen umfallen.
ir haben gedacht, dass dieses Thema nicht akut werdenürde, weil sich die Grünen vor der Wahl in NRWurchsetzen würden. Sie jedoch sind einfach einge-nickt.Sie sind doch – ich bin noch bei der Beantwortung Ih-er Frage, Herr Kollege Beck – Mitglied des Parteirates.agen Sie doch einmal, wie die Entscheidung bei Ihnenm Parteirat gewesen ist; das können Sie in einer Kurzin-ervention machen. Frau Claudia Roth, die sich hierorne immer mit dem entsprechenden Gesicht hinstelltnd alles bezweifelt, ist also plötzlich für eine solche Be-affnung. Das kann ich mir weder bei ihr noch bei Frauöhn vorstellen.Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Der Partei-orsitzende der Grünen, Herr Bütikofer, hat erklärt, dierünen hätten bei der Zustimmung zu MEADS starkeauchschmerzen.
as habe ich eben bei Herrn Beck nicht erkannt. Abererrn Bütikofer kann geholfen werden. Die Fraktionon Bündnis 90/Die Grünen braucht heute nur dem An-rag der FDP zustimmen. Dass die CDU/CSU der Koali-ion über diese Hürde helfen will, hat mit politischen As-ekten zu tun, die sie selber verantworten muss. DieDP wird MEADS auf jeden Fall ablehnen.
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16284 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005
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Jürgen Koppelin
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die FDP sieht dringenden Bedarf, dass wir
heute im Plenum darüber abstimmen, ob sich Deutsch-
land an der Entwicklung des bodengebundenen Luft-
abwehrsystems MEADS beteiligen soll.
Dass es Ihnen in erster Linie nicht um MEADS und
die angeblich unübersehbaren finanziellen Risiken die-
ses Vorhabens geht, ist mehr als offensichtlich. Sie wol-
len populistisch einen Keil zwischen Rot und Grün trei-
ben und sich als Wahrer parlamentarischer Transparenz
inszenieren. Das können Sie gerne versuchen, aber das
wird Ihnen nicht gelingen.
Richtig ist, dass sich unser Koalitionspartner nicht
immer leicht getan hat, diesem Rüstungsprojekt zuzu-
stimmen. Auch uns hat die Debatte der Grünen in den
vergangenen Wochen nicht immer erfreut. Aber letztlich
haben wir uns auf eine gemeinsame Position verständigt.
Im Gegensatz zu den jüngsten Verrenkungen der FDP in
dieser Frage war der Meinungsbildungsprozess in den
Koalitionsfraktionen öffentlich und nachvollziehbar. Zu
welchem Zeitpunkt hingegen die FDP beschlossen hat,
zum Thema MEADS auf Konfrontationskurs zu gehen,
bleibt mir schleierhaft.
In den Beratungen des Verteidigungsausschusses war
jedenfalls lange Zeit nicht erkennbar, dass die FDP die-
ses neue Luftabwehrsystem für überflüssig und unfinan-
zierbar hält.
Herr Kollege Bartels, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Koppelin?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, ich kann Ihnen den genauen Zeitpunkt
sagen, wann sich die FDP zum ersten Mal kritisch zu
MEADS geäußert hat, nämlich als der Bericht des Bun-
desrechnungshofes vorlag, in dem MEADS abgelehnt
wurde.
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Gut, in diesem Fall bestand die Zwischenfrage ausntworten. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie aufgeklärtaben, wann auf die neueste Linie eingeschwenkt wurde.ie sind in dieser Beziehung ja traditionell sehr beweg-ich und flexibel.Tatsache ist – ob es der FDP passt oder nicht –: Vor-estern hat der Haushaltsausschuss mit deutlicherehrheit und gegen die Stimmen der FDP einen zustim-enden Beschluss zur deutschen Beteiligung an der Ent-icklung des Rüstungsvorhabens MEADS gefasst. Dererteidigungsausschuss hat vorgestern ebenfalls grünesicht gegeben. Damit sind die Entscheidungen dort ge-allen, wo sie nach den Regeln dieses Hauses hingehö-en.Wenn es der FDP wichtig ist, können wir natürlichern heute hier noch einmal die Entscheidungen derachausschüsse bestätigen, auch wenn diese Übung ei-entlich überflüssig ist. Ich meine, wir sollten nicht dazubergehen, künftig über jedes Einzelprojekt des Verteidi-ungshaushaltes im Plenum abzustimmen. Wir beschlie-en hier im Plenum über das Budget, über den Gesamt-aushalt, auch über den Einzelplan 14, und wireschließen in den Fachausschüssen über konkrete Rüs-ungsverträge. Ein kleines bisschen Arbeit muss dannuch noch die Regierung machen. So soll es bleiben.Gegen das Ansinnen der FDP spricht im Übrigenuch, dass gerade bei diesem Vorhaben, um das es heuteeht, die bisherige Mitwirkung des Parlaments und sei-er Gremien geradezu vorbildlich war. Kein Argumentafür oder dagegen, das nicht zur Sprache kam – von Ih-en allerdings nicht.
ielleicht nutzen Sie deshalb jetzt die Gelegenheit, in al-er Öffentlichkeit zu sagen, warum Sie plötzlich umge-allen sind.Regelmäßig waren der Haushaltsausschuss und dererteidigungsausschuss mit MEADS befasst. 1996 stander Einstieg in die so genannte Definitionsphase auf deragesordnung. 2001 setzte der Haushaltsausschuss wei-ere Studien zur Reduzierung des technischen und finan-iellen Risikos durch, eine sehr souveräne parlamentari-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16285
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Dr. Hans-Peter Bartelssche Entscheidung. Vor einem möglichen Einstieg in dieEntwicklung, so der damalige Beschluss, muss in weite-ren Untersuchungen dargelegt werden, dass MEADStechnisch funktionieren kann und finanziell machbar ist.Ausdrücklich behielt sich der Ausschuss damals vor,nach Abschluss der Risikominimierungsphase erneutüber die Fortsetzung des Programms zu entscheiden.
– Genau, auch das ist Gegenstand dieser Untersuchun-gen gewesen.Der Verteidigungsausschuss hat dann das positive Er-gebnis des so genannten Risk Reduction Efforts nichteinfach zur Kenntnis genommen, sondern im November2003 eigens eine Berichterstattergruppe eingesetzt, diesich knapp ein Jahr lang intensiv mit allen Aspekten vonMEADS befasst hat. Luftwaffe, Industrie, Ministerium,Kritiker und der Rechnungshof kamen zu Wort. Im Ab-schlussbericht dieses parlamentarischen Gremiums wirdausdrücklich der Einstieg in die Entwicklung des Sys-tems empfohlen. Der Verteidigungsausschuss ist dieserEmpfehlung gefolgt.Die FDP sollte akzeptieren, dass sie in den Aus-schussberatungen für ihre allerneuste Position keineMehrheit gefunden hat. Aber darum scheint es hier garnicht zu gehen. Das zeigt schon der arg knappe Wortlautdes FDP-Antrags. Sie reduzieren ein komplexes Themaauf zehn dürre Zeilen. Deutschland soll sich nicht betei-ligen, weil das Vorhaben teuer ist. Mehr an Begründunggibt es nicht. Kein Wort zur militärischen Notwendig-keit, kein Wort zur rüstungspolitischen Dimension, keinWort zum transatlantischen Aspekt von MEADS. Das istsehr dünn.Immerhin, auf den Internetseiten der FDP erklärt unsder Kollege Koppelin, weshalb wir MEADS nicht brau-chen. Schon jetzt verfüge Deutschland, so ist dort nach-zulesen, mit dem Flugabwehrsystem „Patriot“ über dieFähigkeit, ballistische Raketen wirksam zu bekämpfen.Hätten die Planer im Ministerium das doch bloß eher ge-wusst! Weil es offenbar doch mehr Aufklärungsbedarfgibt als angenommen, will ich gern ein paar Worte dazusagen, warum wir MEADS brauchen und weshalb diebisherigen „Patriot“-Fähigkeiten eben nicht ausreichen.Ausgangspunkt für die Entscheidung, ein neues Sys-tem zu entwickeln und später zu beschaffen, war dieFrage, welche Ausrüstung die deutschen FlaRak-Ge-schwader für ihre künftigen Aufgaben im Rahmen vonNATO, EU und UNO und für die Landesverteidigungbrauchen. Die Bundesregierung setzt mit der Unterstüt-zung einer breiten Mehrheit in diesem Hause auf dastrinationale Entwicklungsprojekt MEADS, an demneben Deutschland auch die USA und Italien beteiligtsind.MEADS wird in der Lage sein, nicht nur ballistischeRaketen wirksam zu bekämpfen, sondern Luftbedrohun-gen jeder Art, von Drohnen und Marschflugkörpern überHubschrauber und Flugzeuge bis hin zu größeren Kurz-streckenraketen. Das ist neu. Im Unterschied zum alten„Patriot“-System, das Radar und Startgeräte stets inH–szlZo„BsmvkUilmBRBvwnütewSitcteedeshhgnGAsz„aläMz
nsere Soldaten haben einen Anspruch darauf, dass wirhnen die modernste Technik mitgeben, wenn sie gefähr-iche Aufgaben in internationalen Einsätzen überneh-en.
Tatsache ist, dass für keinen künftigen Einsatz derundeswehr Luftbedrohungen durch Flugzeuge oderaketen ausgeschlossen werden können, selbst extremeedrohungen nicht. Der politische Kampf um die Nicht-erbreitung und Abrüstung von Massenvernichtungs-affen und Trägermitteln ist längst noch nicht gewon-en. Die Zahl der Staaten, auch in der Dritten Welt, dieber beides verfügen oder danach streben, ist in den letz-n Jahren nicht wirklich kleiner geworden. Deshalbird MEADS als Sicherheitsvorsorge für unsere eigenenoldaten, aber auch die unserer Verbündeten gebraucht.Vielleicht würde MEADS auch ohne deutsche undalienische Beteiligung von den Amerikanern entwi-kelt und beschafft. Aber über die erweiterten Fähigkei-n zur Luftabwehr gegebenenfalls als Europäer auchigenständig verfügen zu können, das entspricht heuteen Erfahrungen und dem Anspruch der gemeinsamenuropäischen Sicherheitspolitik. Wer im Zweifel nichtelbst handlungsfähig ist, wird den allein Handlungsfä-igen mit guten Ratschlägen wenig beeindrucken. Des-alb ist MEADS ein substanzieller deutscher Beitrag zurößerer europäischer Bewegungsfreiheit.Es ist darüber hinaus das derzeit wichtigste und bei-ahe einzige deutsch-amerikanische Rüstungsvorhaben.erade deshalb wundert mich, dass die FDP nun denusstieg fordert und in Kauf nimmt, unsere amerikani-chen Partner vor den Kopf zu stoßen.Vor knapp zwei Monaten ließ uns Ihr Fraktionsvorsit-ender, Wolfgang Gerhardt, in einem Interview mit derFAZ“-Sonntagszeitung noch wissen, die FDP müsseußenpolitisch die europäisch und „transatlantisch ver-sslichste Partei“ sein.
an beachte den Superlativ! Das scheint nun nicht mehru gelten.
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Dr. Hans-Peter BartelsUnd wie verträgt sich die plötzlich so entschiedeneAblehnung der Beteiligung Deutschlands am transatlan-tischen MEADS-Projekt mit den „Zehn liberalen Leit-sätzen zum transatlantischen Verhältnis“, beschlossenauf dem letzten FDP-Bundesparteitag im Juni des ver-gangenen Jahres? Dort ist in Leitsatz 5 zu lesen – ichzitiere –:Transatlantische Rüstungskooperation ist ein Ga-rant für die Zukunft des Bündnisses.Sehr richtig. Aber welche Projekte könnten gemeintsein, wenn Sie bei MEADS gar nicht mehr dabei seinwollen?Was den heute abzustimmenden Antrag angeht, seiIhnen klar gesagt: Wir stehen zu unserem Votum in denAusschüssen und zu unseren Vereinbarungen mit denVerbündeten. Sie werden für Ihren Antrag in diesemHause keine Mehrheit finden.Schönen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner von der CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Man kann zu Recht fragen, warumwir heute noch einmal das Thema MEADS aufgreifen.Die FDP hat ihren Antrag gestellt, obwohl in den Fach-ausschüssen wie üblich die Abstimmungen erfolgt sind,und zwar nach längeren Debatten.Der eigentliche Grund ist natürlich nachvollziehbar:Die FDP will den Finger in die Wunde der Grünen le-gen,
weil die Grünen in ihrer generellen Ausrichtung, wasVerteidigungspolitik betrifft, jetzt vollkommen andershandeln, als sie wahrscheinlich handeln würden, wennsie in der Opposition sitzen würden.Insofern kann ich das nachvollziehen und finde esauch gerechtfertigt. Denn Sie haben sich dementspre-chend mit der Entscheidung schwer getan und mit einpaar Kompensationen versucht, das Ihrer Basis wenigs-tens ansatzweise zu vermitteln. Eine von diesen Kom-pensationen wurde schon vom Kollegen Koppelin ange-sprochen, nämlich das Aufgeben von Pars-3-Long-Range, also der Bewaffnung für den Tiger. Man kann zuRecht darüber spekulieren, ob das wirklich eine Kom-pensation ist oder nicht. Eine weitere ist, dass Sie noch10 Millionen Euro für die Krisenprävention ausgehan-delt haben.EdzwkhisbhLNSE–vBnliPmogVsesgzhbgH–icOdmdsDHhd
s sind also keine Gelder eingespart worden und die Re-uzierung des Minenbestandes wäre ohnehin erfolgt.Die Frage ist, ob das, was Sie als Kompensation aus-uhandeln versucht haben, sinnvoll war. Im Kern geht esirklich nur darum, dass Sie Ihrer Basis nicht vermittelnonnten, dass Sie gegenüber dem, was Sie früher gesagtaben, letztendlich einen Schwenk gemacht haben. Dasst der Kern der Debatte, die wir heute führen.Auch die FDP ist umgeschwenkt. Das wissen wirchon. Es hat eine interfraktionelle Arbeitsgruppe gege-en, die sich einmütig für dieses Projekt ausgesprochenat.
etztendlich ist die Frage, wieso wir heute, quasi imachklapp noch einmal darüber sprechen müssen. Diechlacht in der Öffentlichkeit war wirklich beachtlich.s gab seitenlange Gutachten.
Ich kenne den Bundeshaushalt. Dazu sage ich selbst-erständlich noch etwas. Es gibt auch einen Bericht desundesrechnungshofes, den ich ebenso wie die Stellung-ahmen der Bundesregierung dazu gelesen habe. Natür-ch kann man abwägen. Es ist auch keine Frage, dass esrobleme im Haushalt gibt. Letztendlich bleibt aber im-er die Abwägung, ob ein solches System notwendig istder nicht.Der Kollege Bartels hat ausführlich ausgeführt – ichlaube, ich brauche das nicht zu wiederholen –, wo, imergleich zum bisherigen System Patriot, Quanten-prünge zu sehen sind. Zu einer Gesamtablösung wird esrst ab 2025 kommen. Die Einführung findet ab 2012tatt. Es handelt sich also um einen langen Zeitraum. Ir-endwann muss man aber anfangen. Die Entwicklungs-eiträume sind nun einmal so, wie sie sind.Der Zeitablauf hat auch mir – das sage ich als Haus-älterin – nicht gefallen. Wenn mir seit September einilateral zwischen den Partnernationen USA und Italienezeichneter Vertrag vorliegt, ich die Vorlagen demaushaltsausschuss aber erst 14 Tage vor der Beratungin der knappest möglichen Frist – zuleite, dann findeh das angesichts des Beschaffungsvolumens nicht inrdnung. Diese Kritik an dem Ministerium möchte ichoch anbringen. Ich wünsche mir – das haben wir schonehrfach angesprochen –, dass die Vorlagen, die manurcharbeiten soll und muss, zeitnah vorgelegt werden.
Die Qualität des neuen Systems ist – das wurdechon gesagt – die 360-Grad-Rundumeinsatzfähigkeit.ie Einsatzfähigkeit liegt damit nicht mehr nur in derauptzielrichtung. Für meine Begriffe ist das auch des-alb sehr wichtig, weil sich die Bedrohungslage geän-ert hat. Es gibt keine Hauptzielrichtung mehr, wo man
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Ilse Aignerdas bisherige System hundertprozentig einsetzen konnte.Das gilt insbesondere für die Auslandseinsätze, in dieimmer mehr unserer Soldaten gehen. Nebenbei bemerkt:Ich könnte mir vorstellen, dass das etwas anders aus-schauen würde, wenn die Grünen in der Opposition wä-ren. Dass diese Auslandseinsätze eine Belastung derBundeswehr darstellen, sei nur nebenbei bemerkt.Der zweite wesentliche Punkt ist, dass das Systemluftverladbar ist. Das ist ein wesentlicher Punkt, um denSchutz der Soldaten im Auslandseinsatz gewährleistenzu können.Ergänzend erwähne ich die transatlantischen Bünd-nisse und die Frage des Technologietransfers. Der Tech-nologietransfer bedeutet auch für unsere Seite einen Pro-fit. Wir können unsere Technologiefähigkeit dadurchnicht nur behalten, sondern auch ausbauen.Stichwort „Radartechnologie“. In Deutschland sindwir auf diesem Gebiet sicherlich führend und sollten dasauch bleiben. Letztendlich geht es auch darum – dassollte man nicht verschweigen –, Arbeitsplätze in diesemBereich in Deutschland zu erhalten. In diesem Zusam-menhang sei es mir erlaubt, zu erwähnen, dass ich vonGewerkschaftsvertretern, schwerpunktmäßig von Verdi,Emails erhalten habe, in denen sie sich über dieses Pro-jekt beschweren. Das halte ich für etwas seltsam.
Ich hoffe, dass die Betriebsratsmitglieder der entspre-chenden Firma auch solche Emails bekommen, damit siewissen, wie ihre Kollegen in den genannten Bereichenfür sie werben oder eben nicht für sie werben.Über die Zahlen kann man lange streiten. Für meineBegriffe wird mit polemischen Zahlen um sich gewor-fen: 10 Millionen Euro pro Arbeitsplatz – bezogen aufwelchen Zeitraum, pro Jahr, pro Monat, pro hundertJahre? Keine Ahnung. Das ist auf jeden Fall nicht sehrsolide berechnet. Ich meine, dass man in diesem Bereichsolide argumentieren sollte.Natürlich stimme ich mit dem Kollegen JürgenKoppelin überein, dass die Gesamtlage des Haushalteskritisch ist. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen.Das hat die jetzige Bundesregierung zu verantworten.Dass der Verteidigungsetat, belastet durch eine globaleMinderausgabe, eine fallende Tendenz hat, ist keineFrage. Für uns wird es eine Verpflichtung sein, auf dieEinhaltung der Kosten zu schauen. Deshalb bin ich sehrdafür, das Kostenmanagement genau zu kontrollieren.Parteiübergreifend haben wir mit der Mehrheit des Hau-ses im Haushaltsausschuss einen Antrag verabschiedet,der auf eine Kontrolle des Kostenmanagements abzielt.Im Haushaltsauschuss ist mit Vorgaben gearbeitet wor-den. Das halte ich für richtig.Wenn es in den nächsten Jahren zu einer Beschaffungkommt, werden wir mit der Finanzierung Probleme ha-ben, weil zeitgleich andere Großvorhaben anstehen. Dasbrauchen wir nicht zu verschweigen. Darüber werdenwrBBdSkdnsulDeaaeeidaewwstergdLzds
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Ich habe gerade in meiner ersten Schlüsselfrage die
wahrscheinlicheren Bedrohungen angesprochen. Bei den
bisherigen Stabilisierungseinsätzen ist es in der Tat so,
dass solche Systeme nie im Einsatz waren. Wir brauch-
ten sie auch nicht. Als Antwort auf diese Schlüsselfrage
sage ich, dass wir der Auffassung sind, dass wir auch bei
künftigen Stabilisierungseinsätzen ein solches System
gegen eine solche Art von Bedrohungen am wenigsten
brauchen. Wir brauchen eher Systeme gegen die Bedro-
hung zum Beispiel durch Mörser.
Zweitens. Ist ein solches Vorhaben angesichts der
technischen und finanziellen Risiken beherrschbar?
Drittens. Ist es vorrangig angesichts anderer schmerz-
hafter Finanzierungslücken im Investitions- und Perso-
nalhaushalt der Bundeswehr?
Viertens. Ist es berechtigt im Hinblick auf eine umfas-
sende und vorbeugende Sicherheitspolitik, die auf aus-
gewogene politisch-diplomatische, zivile, polizeiliche
und militärische Fähigkeiten angewiesen ist?
Hierzu äußerten wir seit geraumer Zeit – Sie haben es
alle gehört – deutliche Bedenken. In meiner Antwort auf
die Zwischenfrage habe ich zu erkennen gegeben, dass
sie nur in Teilbereichen, aber nicht in allen wesentlichen
Punkten ausgeräumt sind.
Diese Bedenken stießen auf viel Zuspruch. Bemer-
kenswerterweise gab es entsprechende Stimmen nicht
nur aus dem Bereich der unabhängigen Forschung, son-
dern auch von etlichen sehr einsatzerfahrenen hohen Of-
fizieren. Gleichzeitig mussten wir sehr nüchtern feststel-
len, dass wir uns mit unseren Argumenten nicht
durchsetzen konnten.
Wir konnten uns nicht beim Verteidigungsminister
durchsetzen, der sich in dieser Frage gegenüber der
NATO in einem Bereich schon etwas deutlicher festge-
legt hatte, in dem die Bundesrepublik traditionell beson-
dere Beiträge im Bündnis leistet. Diese Tatsache kann
man nicht beiseite wischen.
Wir konnten uns mit unseren Argumenten auch nicht
bei unserem größeren Koalitionspartner durchsetzen.
Diese Vorgänge passieren innerhalb von Koalitionen im-
mer wieder. Weil man aber in einer Koalition gemeinsam
agieren will und muss, haben wir in dieser Situation trotz
unserer Bedenken zugestimmt.
Es bleibt aber Folgendes:
Erstens. Die haushalterische Kontrolle wird in den
nächsten Jahren streng fortgesetzt.
Zweitens. Diese Entscheidung ist kein Präjudiz für
eine Beschaffung.
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Die Grünen haben gekämpft. Wir waren dabei nicht
rfolgreich. Die FDP hatte im Verteidigungsausschuss
nd in der Öffentlichkeit viele Möglichkeiten zur Kritik.
ch habe es selbst erlebt. Sie schwieg nicht nur, sondern
ignalisierte – zumindest die Verteidigungspolitiker – bis
or kurzem Zustimmung.
enn Sie sich jetzt auf den letzten Metern groß als Rüs-
ungskritiker aufblasen, dann ist die Absicht durchsich-
ig.
ffenkundig geht es Ihnen nicht um die Sache, sondern
inzig und allein um parteipolitischen Profit. Wir wis-
en: Das ist leider oft üblich. Aber bei Ihnen mischt sich
n diese Parteitaktik ein Gipfel an Heuchelei und Verlo-
enheit.
Ich denke, auch bei der Union wächst die Erleichte-
ung darüber, dass der sicherheitspolitische Sprecher ei-
er solchen Fraktion nicht zum Wehrbeauftragten ge-
ählt wurde.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Wir als PDS begrüßen die Initiative der FDP, dieebatte um das Luftabwehrsystem MEADS hier in daslenum des Bundestages und damit in die Öffentlichkeitu bringen.
benso wie die FDP lehnen wir die deutsche Beteiligungn einem völlig überflüssigen Rüstungsprojekt ab. Der
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Dr. Gesine LötzschKalte Krieg ist schon seit 15 Jahren beendet. Bundes-wehr, US-Armee und etliche in diesem Haus scheinendas aber nicht wahrhaben zu wollen. Während bei sozial-politischen Diskussionen ständig erklärt wird, dass dieStaatskasse leer sei, soll hier ein Projekt beschlossenwerden, dessen finanzielle Auswirkungen noch völligunübersehbar sind. Die Bundesrepublik Deutschlandwürde sich über viele Jahre und weit über die Legislatur-periode hinaus binden.Hier bin ich bei einem Punkt, den ich der SPD beson-ders übel nehme. In der Diskussion im Haushaltsaus-schuss insistierte der Staatssekretär von der SPD, dasshier nur etwas fortgesetzt werde, was schon die CDU/CSU-FDP-Koalition begonnen habe. Haben Sie, meineDamen und Herren von Rot-Grün, denn die RegierungKohl abgelöst, um deren Politik fortzusetzen?
Den Wählern haben Sie etwas anderes gesagt.Gestern haben wir über neue Maßnahmen für die Ver-kehrsinfrastruktur beraten. Ich habe Ihnen vorgerechnet,dass Minister Stolpe mit 2 Milliarden Euro 60 000Arbeits-plätze sichern will. Das sind pro Arbeitsplatz rund30 000 Euro. Das ist ein gutes Verhältnis. Bei dem neuenLuftabwehrsystem MEADS sollen mit 2,85 MilliardenEuro lediglich 450 Arbeitsplätze gesichert werden. Dasheißt, für einen Arbeitsplatz werden rund 7 MillionenEuro gebraucht. Auf Ihre Frage von vorhin, Frau Aigner,möchte ich antworten: Das bezieht sich natürlich auf dieGesamtdauer der Maßnahme.
Das ist, wie ich finde, ein krasses Missverhältnis.Außerdem sollen – das wissen Sie alle – die Verträgenach amerikanischem Recht geschlossen werden. DieUS-amerikanischen Partner wollen sich nicht in die tech-nologischen Karten schauen lassen. Auch technologie-politisch wird Deutschland nicht davon profitieren.Sollte es uns nicht zu denken geben, dass Frankreichschon vor einiger Zeit aus diesem Projekt ausgestiegenist?Abschließend noch ein Wort zu den Grünen: Sie ha-ben im Ausschuss erklärt – Herr Nachtwei hat das hierzwar mit anderen Worten, aber von der Sache her ge-nauso dargestellt –, dass Sie dem LuftabwehrsystemMEADS nicht aus fachpolitischen, sondern aus koali-tionspolitischen Gründen zustimmen werden. Was istvon Ihren friedenspolitischen Zielen, die Sie so gernevor sich hertragen, übrig geblieben?
Hätten Sie Ihre Seele zumindest an dieser Stelle nicht einbisschen teurer verkaufen sollen?Wir als PDS im Bundestag stimmen dem Antrag derFDP zu und hoffen, dass es noch gelingen wird, diesesteure und verantwortungslose Projekt zu stoppen.TnwZICHbldtbssubuVEasnuhgdIrsfnmaFwcUeSkgsf
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– Das wird sich auch daran festmachen, wie viele Feuer-einheiten wir zum Beispiel anschaffen. Zurzeit sind– darauf werde ich gleich näher eingehen – zwölf Feuer-einheiten geplant. Wenn wir von der alten Konstruktionmit 24 Feuereinheiten wie bei „Patriot“ ausgehen, dannkämen wir mit diesen Mitteln sicherlich nicht aus.Auch unabhängige Wissenschaftler wie ProfessorKarl Kaiser haben die Bedeutung des Systems MEADSfür die transatlantischen Beziehungen und die Rolle derBundesrepublik Deutschland in der NATO in vielfälti-gen Stellungnahmen befürwortet und herausgestellt. DerSchutz unserer Bevölkerung und unserer Soldaten beiAuslandseinsätzen wird mit dem System MEADS erheb-lich gesteigert.Ich erspare mir an dieser Stelle die ausführliche Er-läuterung der systemimmanenten Vorteile wie den360-Grad-Schutz, die Luftverlastbarkeit oder die Plug-and-Fight-Fähigkeit, da dies ausreichend diskutiert undauch eben vom Kollegen Bartels ausführlich erläutertwurde.Sicherheit ist im privaten wie im staatlichen Bereichnicht umsonst zu haben. Daher unterstützt die CDU/CSU-Fraktion die notwendigen Ausgaben zum Schutzder Bevölkerung und unserer Soldaten im Einsatz. Nichtzuletzt ist eine strategisch und bündnisorientiert ange-lfDdgBqZGlskDcdHslDttsAteAedusMSshDndtlwLzdHEttdse(C(Degte Sicherheitspolitik eine notwendige Voraussetzungür erfolgreiche humanitäre Einsätze.
ie CDU/CSU-Fraktion unterstützt daher konsequentie notwendigen sicherheitspolitischen Rahmenbedin-ungen für die konkreten Hilfsmaßnahmen in denrennpunkten der Welt und ist auch bereit, die Konse-uenzen, die sich aus dem Projekt ergeben, mitzutragen.Ich komme auf die Zahlen zurück, die ich schon imwiegespräch mit Herrn Koppelin genannt habe. Dasesamtvolumen der Entwicklung beträgt circa 3,4 Mil-iarden Dollar. Der deutsche Industrieanteil hieran ent-pricht nach heutigem Stand 850 Millionen Euro. Hinzuäme der deutsche Anteil an der Produktion. Für die voneutschland anvisierten zwölf Feuereinheiten entsprä-he dies nach heutigem Stand und den Berechnungenes Bundesverteidigungsministeriums einem Betrag inöhe von etwas über 2,8 Milliarden Euro.Neben der sicherheits- und außenpolitischen Dimen-ion wird das Projekt MEADS allein in der Entwick-ungsphase mehrere Hundert Hightecharbeitsplätze ineutschland mittel- und langfristig sichern. Kernkompe-enzen in den Bereichen „Systemtechnik“ und „Radar-echnologie“ bleiben in Deutschland erhalten. In der an-chließenden Produktionsphase werden noch mehrrbeitsplätze geschaffen und auch langfristig gesichert.Mit MEADS wird eine neue Qualität der transatlan-ischen Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Basisrreicht. Das Thema Technologietransfer wurde – Frauigner hat das schon angesprochen – durch das BMVgrfolgreich gestaltet. Dies hilft der deutschen Industrie,en technologischen Anschluss an die USA zu haltennd die zukünftige Generation von Luftverteidigungs-ystemen mitzugestalten. Eine weitere Verzögerung derEADS-Entscheidung oder gar ein Verzicht auf diesesystem hätte fatale Signalwirkung für die transatlanti-chen Wirtschaftsbeziehungen und das politische Ver-ältnis zwischen Deutschland und Amerika insgesamt.er Schutz unserer Bevölkerung und der Soldaten darficht – wie in den zurückliegenden Wochen geschehen –urch wahlkampftaktische Fragen, die Frage nach Lis-enplätzen für die nahende Bundestagswahl oder persön-iche Empfindlichkeiten einzelner aufs Spiel gesetzterden.Aufgrund der in der Arbeitsgruppe „bodengebundeneuftverteidigung“ parteiübergreifend und einstimmig er-ielten Ergebnisse und der Informationen aus dem Bun-esverteidigungsministerium fordere ich Sie auf, die imaushalts- und im Verteidigungsausschuss getroffenentscheidung zu unterstützen. Vielleicht ist es symbol-rächtig, dass wir am heutigen Tag dieses Thema als letz-en Tagesordnungspunkt aufgegriffen haben. Ich hoffe,ass wir gleich die Akte MEADS im positiven Sinnechließen, damit wir endlich in die Entwicklungsphaseinsteigen können.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. April 2005 16291
(C)
(D)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5336 mit dem Titel
„Keine deutsche Beteiligung an MEADS“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der Fraktion der CDU/CSU gegen die
Stimmen der FDP und der beiden fraktionslosen Abge-
ordneten abgelehnt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 11. Mai 2005, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.