Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Tagesordnung um die Beratung des Koalitionsantrages
„Für einen stärkeren UN-Einsatz im Nordosten der
Demokratischen Republik Kongo“ – Drucksache
15/1144 – erweitert werden. Der Zusatzpunkt soll nach
Tagesordnungspunkt 22 aufgerufen werden. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Vertrag vom 27. Januar 2003 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und dem
Zentralrat der Juden in Deutschland – Kör-
perschaft des öffentlichen Rechts –
– Drucksache 15/879 –
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
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– Drucksache 15/1109 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Martin Hohmann
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/1124 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Antje Hermenau
Otto Fricke
Der Vertrag bedarf der Zustimmung in der Form einesundesgesetzes. Dem dient der vorliegende Gesetzent-extwurf. Mit diesem Gesetz sollen die vertraglichen Leis-tungen zügig umgesetzt und Voraussetzungen für dieGewährung der festgeschriebenen Staatsleistungen ge-schaffen werden.Im Jahre 1950, zur Zeit der Gründung des Zentralra-tes der Juden in Deutschland, lebten nur 25 000 Juden inDeutschland. Bis 1989 betrug ihre Zahl nicht mehr als30 000. Heute haben die 83 jüdischen Gemeinden wie-der rund 100 000 Mitglieder. Dieser Zuwachs ist – dasdarf man feststellen – insbesondere durch Zuwanderungentstanden. Damit hat Deutschland nach Frankreich undGroßbritannien mittlerweile die drittgrößte jüdische Ge-meinschaft in Europa und die weltweit am schnellstenHintergrund ist es verständlich, dass dieZentralrates stark zugenommen haben.wachsende.Vor diesemAufgaben des
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf KörperDeshalb ist mit dem Vertrag eine wesentliche Erhöhungder bisherigen Fördermittel verbunden, trotz schwierigerHaushaltslage. Wir sind froh, dass wir das auch darstel-len können.
Der Zentralrat wird zur Erhaltung und Pflege desdeutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdi-schen Gemeinschaft, für seine integrationspolitischenund sozialen Aufgaben sowie für die gestiegenen Kostenseines Büros jährlich eine Staatsleistung in Höhe von3 Millionen Euro erhalten.Die Bundesregierung erklärt in dem Vertrag auch ihreAbsicht, weiterhin die Hochschule für Jüdische Studienund das Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichteder Juden in Deutschland zu unterstützen. Beide Einrich-tungen werden vom Zentralrat der Juden in Deutschlandgetragen. Andere Leistungen an die jüdische Gemein-schaft bleiben von diesem Vertrag unberührt, so zumBeispiel die staatliche Unterstützung aufgrund einer Ver-einbarung zwischen dem Bund und den Ländern ausdem Jahre 1957 über die Pflege verwaister jüdischerFriedhöfe.Zudem würdigen wir mit diesem Staatsvertrag die Ar-beit des Zentralrates für den Wiederaufbau jüdischenLebens in Deutschland. Bundeskanzler Schröder sagteanlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages, ausSicht der Bundesregierung sei dieser Vertrag auch einZeichen der hohen Anerkennung gegenüber der jüdi-schen Gemeinschaft. Unbeirrt und mutig setze sich diesefür einen Wiederaufbau ihrer Gemeinden ein – und das„gerade in Deutschland, wo der Völkermord an den eu-ropäischen Juden mit solcher verbrecherischer Systema-tik geplant und ausgeführt worden ist“.Meine Damen und Herren, dieser Vertrag ist auch einZeichen für den Eintritt in die Normalität und dafür, dasswir in der Verantwortung gegenüber unserer Geschichtezu einem konstruktiven und solidarischen Miteinanderkommen.
Zu Recht hat der Vorsitzende des Zentralrates der Ju-den in Deutschland, Paul Spiegel, einen intensivenchristlich-jüdischen Dialog gefordert. Ein solcher Dialogsei nötig, um das Verhältnis zueinander zu entkrampfen.Herr Spiegel sagte wörtlich: „Wir müssen normaler, lo-ckerer miteinander umgehen.“ Er fügte hinzu: „Wir re-den noch viel zu sehr übereinander.“ In Deutschlandherrsche nach wie vor großes Nichtwissen über das Ju-dentum und den Holocaust. Zu einem großen Teil liegedies darin begründet, dass bisher keine richtige didakti-sche Form und kein richtiges Maß gefunden wordenseien, um darüber zu informieren. Dies sollten wir auf-nehmen und beachten und uns gemeinsam darum bemü-hen, dass dieser christlich-jüdische Dialog in Gang ge-setzt und verbessert werden kann.mdbDtrnusagpdlalägnmtoAdgdsfDhjüsin
ie Bundesregierung geht davon aus und wird daraufinwirken, dass ihre damit verbundene Erwartung, alledischen Richtungen könnten unter Wahrung des religiö-en Selbstbestimmungsrechts an der Förderung teilhaben, Zukunft erfüllt wird.
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf KörperIch habe es für richtig befunden, diese Erwartung indiesem Zusammenhang deutlich zum Ausdruck zu brin-gen. Im Übrigen bedanke ich mich für die Aufmerksam-keit und bitte um Zustimmung.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Der 6. Juni 2003 ist ein guter Tag, nicht nur für die Ver-tragspartner – die Bundesrepublik Deutschland auf der ei-nen und den Zentralrat der Juden auf der anderen Seite –,nicht nur für die 83 jüdischen Gemeinden in Deutschlandund ihre mittlerweile wieder gut 100 000 Mitglieder, son-dern für uns alle. Mit diesem Vertrag soll kein Kapitel ab-geschlossen und erst recht kein Schlussstrich unter dieVergangenheit gezogen, sondern ein neues Kapitel des jü-dischen Lebens in Deutschland aufgeschlagen werden.Vielleicht ist es kein Zufall, sondern glückliche Fü-gung, dass gerade in diesen Tagen die Erinnerungen desaus Deutschland geflohenen Philosophen Hans Jonas er-schienen sind. Viele kennen sein Buch „Das Prinzip Ver-antwortung“, das in den 80er-Jahren gerade in Deutsch-land große Aufmerksamkeit erfahren und Anstöße fürdas damals wachsende Bewusstsein für den Schutz derSchöpfung und das Bemühen um Nachhaltigkeit gegebenhat. Es ist das Vermächtnis eines der vielen Deutschen,die durch Flucht und Vertreibung zwar den Mördern ent-kommen konnten, deren Geist und Kraft unserem Landdennoch verloren gegangen sind.Ebenfalls in diesen Tagen ist das neue Buch vonAmos Elon „Zu einer anderen Zeit – Porträt derdeutsch-jüdischen Epoche“ in deutscher Übersetzungerschienen. In der langen, auch innerjüdischen Kontro-verse, ob es denn jemals so etwas wie eine deutsch-jü-dische Symbiose gegeben habe, wird damit ein neuerAkzent gesetzt und die Erinnerung daran wach gehal-ten, wie stark gerade Mitbürger jüdischen Glaubens dieEntwicklung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kul-tur, aber auch der Medizin oder der Jurisprudenz inDeutschland ganz entscheidend geprägt haben. Fürviele beispielhaft möchte ich Heinrich Heine, KurtTucholsky oder Walther Rathenau nennen. Erinnerndarf ich aber auch an prominente Vordenker unseresRechtsstaates wie Eduard von Simson, Hermann Stauboder Hans Kelsen.Dieser Vertrag ist keineswegs selbstverständlich. Erist kein Zeichen von Normalität, auch wenn der Staatsein Verhältnis zu den großen christlichen Kirchen seitlangem durch Staatskirchenverträge oder Konkordateauf eine dauerhafte und verbindliche RechtsgrundlagegGtgznsUJdkbbdnwgwDdtDpiseZussoijDDVBwDAjüoddaagti
Als Kulturstaat schützen und fördern wir die religiö-en und kulturellen Engagements unserer Bürger. Dienterzeichnung des Vertrages durch den Zentralrat deruden in Deutschland ist ein beeindruckender Beweises Vertrauens der jüdischen Mitbürger in unsere Demo-ratie, unsere Grundordnung, die freiheitlich ist undleibt, und unsere Gesellschaft.Als die ersten Juden nach dem Schrecken der Nazi-arbarei wieder nach Deutschland zurückkehrten, waries alles andere als selbstverständlich. Es war für sie zu-ächst ein großes Wagnis. Sie konnten ja nicht ahnen,elche politischen und gesellschaftlichen Entwicklun-en es in der Nachkriegszeit in Deutschland gebenürde und ob jemals wieder jüdisches Leben ineutschland erblühen könnte. Es gab nicht wenige, fürie es unvorstellbar war, dass Juden in das Land der Tä-er zurückkehren, um dort ein neues Leben zu beginnen.eshalb lebten nicht wenige in den ersten Jahren auf ge-ackten Koffern. Doch mit der Zeit wuchs das Vertrauenn unseren Staat und damit die Hoffnung, dass es richtigein würde, sich wieder für ein Leben in Deutschland zuntscheiden. Aus dieser Hoffnung wurde im Laufe dereit Gewissheit. Dann wurden diese Koffer ausgepacktnd man war wieder in der Heimat.Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht verges-en, dass dieses Vertrauen der jüdischen Mitbürger in un-er Land, in unsere freiheitlich-demokratische Grund-rdnung auch dazu beigetragen hat, das Vertrauen dernternationalen Staatengemeinschaft in die damals nochunge Bundesrepublik zu festigen.
ieses Vertrauen war und ist nicht selbstverständlich.as Vertrauen dürfen wir nicht enttäuschen.Der Kollege Edathy hat in der ersten Lesung diesesertrages eine Umfrage zitiert, nach der 60 Prozent derevölkerung im Antisemitismus ein Problem sehen. Esäre falsch, wenn wir so tun würden, als gäbe es ineutschland keinen Antisemitismus.
ber ebenso falsch wäre es, wenn wir bei Debatten überdisches Leben in Deutschland zuerst, vor allen Dingender gar ausschließlich über Antisemitismus reden wür-en. Paul Spiegel hat einmal gefragt: Was geht uns Judener Antisemitismus an? Eine zunächst überraschende,ber zweifelsfrei richtige Frage. Die Frage richtet sichuch an uns. Entscheidend ist, dass wir alle gemeinsameschlossen und entschlossen jeder Form des Antisemi-smus entgegentreten, ganz gleich in welcher Gestalt er
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Wolfgang Bosbachuns begegnet, dass wir ihm den Nährboden entziehenund dass wir stets darauf achten, dass es nie mehr so seindarf, dass sich unsere jüdischen Mitbürger fragen müs-sen, ob es richtig war, nach Deutschland zurückzukeh-ren, und ob es richtig ist, hier zu leben.
Es muss für uns alle nicht nur selbstverständlich sein,dass sie hier im Sinne von Toleranz und Duldung lebenkönnen – darum kann es nicht gehen –, sondern dass sieauch hier leben wollen, weil Deutschland ihre Heimatist.Staatssekretär Körper hat richtigerweise darauf hin-gewiesen, dass unsere deutsche jüdische Gemeinde welt-weit am schnellsten wächst. Der Grund hierfür ist insbe-sondere die Zuwanderung in der Zeit nach derWiedervereinigung. Sie hat zum einen dazu geführt, dassjüdisches Leben in Deutschland wieder erblüht; aber esgibt auch Probleme bei der Zuwanderung, die wir nichtverschweigen dürfen, sondern lösen müssen. Es gibtneue Aufgaben und Herausforderungen.Die Integration dieser Migranten jüdischen Glaubensist nicht nur für die jüdischen Gemeinden, sondern fürunser Land insgesamt, für die gesamte Gesellschaft einewichtige Aufgabe. Der Vertrag soll deshalb auch die Vo-raussetzungen dafür schaffen, dass die notwendige Inte-gration nicht nur in die jüdischen Gemeinden, sondernauch in unsere Gesellschaft besser gelingt und dass wirdadurch die Kultur der Verständigung weiter ausbauen.Unser Dank gilt dem Zentralrat der Juden in Deutsch-land, an der Spitze seinem Präsidenten Paul Spiegel,aber auch allen anderen, die sich seit Jahren und Jahr-zehnten um Versöhnung, um Verständigung, um einegute und vor allen Dingen eine gute gemeinsame Zu-kunft bemühen. Dieser Vertrag kann und wird dazu bei-tragen, nicht nur die besseren Voraussetzungen für einegute Integration zu schaffen, das deutsch-jüdische kultu-relle Erbe zu pflegen und zu erhalten, sondern auch dieBemühungen um Verständigung zu unterstützen.Es wird in den nächsten Jahren aber nicht nur daraufankommen, dass die nun zur Verfügung stehenden Mittelvertragsgerecht und sinnvoll eingesetzt werden; ent-scheidend wird es vielmehr sein, den Geist des Vertragesmit Leben zu erfüllen. Das ist nicht nur eine Aufgabe derVertragspartner. Das ist eine Aufgabe für alle Menschen,die guten Willens sind. In diesem Sinne stimmt dieCDU/CSU-Fraktion diesem Vertrag gerne zu.
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DerStaatsvertrag wurde am 27. Januar unterzeichnet. Das istder Holocaust-Gedenktag und der Tag der Befreiung desKs8DdsVdPBtmoSvKrrsagtgehherdDtLaugzWJnsJudznGgjwd
Wir müssen mehr über die Geschichte des Juden-ums lernen und wissen als das, was sich in den vergan-enen Jahrzehnten und im vergangenen Jahrhundert er-ignet hat. Wir müssen das Judentum aus sich selbsteraus verstehen. Darin haben wir wohl alle noch Nach-olbedarf.Der Staatsvertrag zeigt, dass die jüdische Gemeindein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in unse-em Lande geworden ist. Der Zentralrat, gegründet nachem Krieg als Notgemeinschaft der 15 000 noch ineutschland lebenden Jüdinnen und Juden, ist heute fes-er Bestandteil unseres kulturellen und gesellschaftlichenebens. Der Staatsvertrag kommt vielleicht etwas spät;ber er dokumentiert diese entscheidende Entwicklungnd er dokumentiert auch, dass sich viele jüdische Bür-erinnen und Bürger entschlossen haben, in unser Landu kommen, hier zu bleiben und die Koffer auszupacken.ir haben immer wieder darüber gesprochen, dass vieleüdinnen und Juden das Gefühl hatten, sie bleiben hierur auf Probe. Sie saßen auf ihren Koffern und hattenich noch nicht entschieden. Ich denke, dass sich vieleüdinnen und Juden trotz aller Probleme, die Juden innserem Land immer noch haben, entschieden haben,auerhaft hier zu bleiben und ihre Kultur und Religionu leben, ist etwas, worüber wir sehr zufrieden sein kön-en.Der Staatsvertrag soll ein neues Kapitel in der langeneschichte jüdischen Lebens in unserem Land aufschla-en. Durch die Zuwanderung aus Osteuropa sind vieleüdische Gemeinden gewachsen und weitere gegründetorden. Diese Zuwanderung, die von allen Fraktionenes Deutschen Bundestages ausdrücklich gewollt ist, hat
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Volker Beck
erheblich zum Reichtum und zur Sichtbarkeit jüdischenLebens in Deutschland beigetragen.Dieser Reichtum bedeutet auch ein zunehmendesSichtbarwerden der Vielfalt des jüdischen Lebens. DieseVielfalt war auch ein Diskussionspunkt bei der Verab-schiedung des Staatsvertrages.Ich meine, wir sollten fast dankbar dafür sein, dasswir uns heute darum kümmern müssen, dass Jüdinnenund Juden ihre religiöse Überzeugung in unterschiedli-cher Ausprägung leben können und auch in dieser Unter-schiedlichkeit vom Staat akzeptiert und anerkannt wer-den wollen. Der Zentralrat der Juden in Deutschlandbekennt sich dazu, dass er die Vielfalt religiöser Strö-mungen des Judentums in seinen Reihen repräsentiert.Wir hoffen, dass dieser Staatsvertrag dazu führt, dassdiese gesamte Vielfalt gelebt werden kann. Das gilt auchfür eine Minderheit in unserem Land, die früher dieMehrheit der deutschen Jüdinnen und Juden bildete, undzwar die liberalen jüdischen Gemeinden, die bislangnoch nicht im Zentralrat vertreten sind.Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen Appell an dieLandesinnenminister richten, die für die Anerkennungvon Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öf-fentlichen Rechts zuständig sind. Eine Religionsgemein-schaft kann normalerweise erst dann eine Körperschaftdes öffentlichen Rechts werden, wenn sie bereits zehnJahre existiert und eine gewisse Größe hat.Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen in den Län-dern daran erinnern: Leo Baeck, der Vorsitzender derWorld Union for Progressive Judaism war, hat zu Beginndes 20. Jahrhunderts in Deutschland begonnen zu wir-ken. Er hatte bis weit nach dem Krieg eine entscheidendeBedeutung für das religiöse Leben der Juden in Deutsch-land und auf der ganzen Welt. Vielleicht sollte man unterdiesem Gesichtspunkt anerkennen, dass es nicht darumgeht, vor wie vielen Jahren die Gemeinden gegründetwurden. Es geht vielmehr darum, dass das liberale Ju-dentum in Deutschland eine lange Tradition und tiefeWurzeln hat. Insofern sollte man in Kenntnis der histori-schen Umstände vielleicht seine Ermessensspielräumenutzen, um auch diese Fragen und Probleme im Einver-nehmen mit allen Seiten zu lösen.
Zum Schluss: Bei Debatten über die jüdische Ge-meinschaft – auch Herr Bosbach hat das angesprochen –wird immer wieder das Stichwort „Normalität“ erwähnt.Ich wünsche mir in der Tat mehr Normalität für das Le-ben der Jüdinnen und Juden in unserem Land. Normalwäre es für mich, wenn Polizeiwagen und Absperrgittervor jüdischen Einrichtungen nicht mehr notwendig wä-ren.
Momentan ist das aber noch notwendig, weil der Antise-mitismus in Deutschland noch immer das Leben der Jü-dinnen und Juden gefährdet. Ich finde, der schrecklichsteGdvudgddmFwsVnBueitlVsnTswD7bdedmmmnmhdej
Das Wort hat nun Kollege Hans-Joachim Otto, FDP-
raktion.
Meine Damen und Herren! Es stimmt, heute ist einirklich guter Tag, und zwar gleichermaßen für Judenowie für Nichtjuden in Deutschland. Wir setzen einenertrag in Kraft, den es jedenfalls in dieser Form vor we-igen Jahren wohl noch nicht hätte geben können. Dieeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschlandnd dem Zentralrat der Juden in Deutschland werden aufine dauerhafte juristische Basis gestellt. Dieser Vertragst – so hoffe ich jedenfalls – Ausdruck wachsenden Ver-rauens der jüdischen Bürger in die demokratische Stabi-ität dieses Landes.
Kollege Bosbach und Kollege Beck, sicherlich ist daserhältnis der Juden zu Deutschland noch weit von dero genannten Normalität entfernt. Jedenfalls darf dieseicht einseitig von Nichtjuden ausgerufen werden.rotzdem drücke ich die Hoffnung aus, dass der Ab-chluss dieses Vertrages von den Juden selbst als eineiterer Schritt auf Deutschland zu verstanden wird.iese bewusste Hinwendung zu einem Land, das vor0 Jahren unfassbares Leid über Juden in ganz Europarachte, ist Reifezeugnis und zugleich Verantwortung füras neue demokratische Deutschland.
Ich betrachte den Abschluss dieses Vertrages auch alsin politisches Signal an die Ewiggestrigen, und zwarahin gehend, dass sich Demokraten in Deutschland ge-einsam und konsequent gegen jede Form von Antise-itismus wenden und wehren. Es ist in der Tat beschä-end, dass nahezu sämtliche jüdischen Einrichtungenoch immer mit einem Polizeiaufgebot gesichert werdenüssen.Lassen Sie mich – ohne das Vorherige zu vergessen –eute vor allem eines feststellen: Der heutige Tag, anem wir diesen Vertrag ratifizieren, ist für uns vor allemin Tag der Freude darüber, wie lebhaft und intensiv sichüdisches Leben in Deutschland wieder entwickelt hat.
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Hans-Joachim Otto
Damit meine ich nicht zuletzt auch jüdisches kulturellesLeben auf allen Ebenen unserer Gesellschaft. Juden ha-ben über Jahrhunderte hinweg das kulturelle Leben inDeutschland ganz entscheidend mitgestaltet und berei-chert. Gerade in Berlin, aber auch in meiner HeimatstadtFrankfurt kennt man das Engagement und die Verdiensteder jüdischen Bevölkerung in Kunst und Wissenschaftsowie in Politik und Gesellschaft sehr gut.
Man weiß deshalb, welchen Verlust ganz Deutschlanddurch die Nazibarbarei erlitten hat. Gerade dieser intel-lektuelle Verlust wird sich natürlich nicht einfach durchdie heute zu beschließenden finanziellen Zuwendungenausgleichen lassen. Diese Finanzmittel sind nur ein Bau-stein, um die durch den Zuzug insbesondere osteuropäi-scher Juden in finanzielle Bedrängnis geratenen jüdi-schen Gemeinden zu unterstützen. Der DeutscheBundestag würdigt damit ausdrücklich auch die über-wiegend ehrenamtliche Arbeit in den jüdischen Gemein-den. Deren soziale Integrationsleistung kann gar nichthoch genug bewertet werden.
Der Vertrag – auch ich möchte das betonen – soll aberder gesamten jüdischen Gemeinschaft in Deutschlandzugute kommen. Ich appelliere genauso wie meine Vor-redner an den Zentralrat, für einen fairen Ausgleich auchmit den übrigen jüdischen Organisationen zu sorgen.
In seinem Buch „Geteilte Erinnerung“ schreibt derFrankfurter Architekt und Publizist Dr. Salomon Korn,der vorgestern seinen 60. Geburtstag feierte, Folgendes:Erinnerung an Zerstörung – und Hoffnung auf Zu-kunft: zwischen diesen Polen bewegt sich heute jü-disches Dasein in Deutschland.Erinnerung an die Zerstörung und Hoffnung auf dieZukunft sind auch die Fundamente des heute zu ratifizie-renden Vertrages. Ohne die Erinnerung an den staatlichverordneten Völkermord des Naziregimes gäbe es diesenVertrag sicherlich nicht. Aber – viel entscheidender –:Ohne Hoffnung auf die Zukunft gäbe es ihn erst rechtnicht.Vielen Dank.
Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.
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Bei aller Bedeutung will ich aber auch nicht ver-chweigen: Der Vertrag birgt Klippen und die Vertrags-artner versuchen, sie zu umschiffen. Eine Klippe stecktn dem Satz – der hier schon mehrfach zitiert wurde –,onach die vereinbarten Leistungen der gesamten jüdi-chen Gemeinschaft zugute kommen. Ich will jetzt nichtuf kulturelle, strukurelle und religiöse Unterschiede deresamten jüdischen Gemeinschaft eingehen, aber ich un-erstreiche, auch in Kenntnis der Berliner Verhältnisse,ass dieser Gleichstellungssatz gilt und auch in der Um-etzung des Vertrags gelten muss.Noch wichtiger ist mir aber Folgendes: Die PDS imundestag fragt die Bundesregierung seit Jahren, wieiele rechtsextremistische Straftaten je Monat offiziellegistriert werden. Das Ergebnis ist übersichtlich und er-chreckend. Jeden Tag gibt es hierzulande eine rechts-xtremistische Gewalttat und jede Stunde wird im statis-schen Schnitt eine Straftat mit diesem Hintergrundegistriert. Der Anteil der Straftaten, die einen antisemi-schen Hintergrund haben, ist hoch und steigt. Deshalb:in Vertrag ist ein Vertrag. Er ersetzt aber nicht das tägli-he Leben und das alltägliche Miteinander.Zum Abschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen,och ein weiterführender Gedanke. Der Staatsvertragwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland under Bundesrepublik war überfällig, aber es gibt weitereevölkerungsgruppen, die noch immer um Anerken-ung und Gleichberechtigung kämpfen. Ich meine spe-iell die Sinti und Roma. Auch ihnen gegenüber gibt esine historische Verantwortung und eine aktuelle zudem.s ist schon bedenklich, wie lange es dauert, den Opfernnter ihnen ein Mahnmal zu setzen, und wie schnell da-egen Sinti und Roma selbst in Bürgerkriegsgebiete ab-eschoben werden sollen. Jüngst wurde dazu eine Kam-agne gestartet. Aber auch in dieser Frage geht es nichtm Parteipolitik, sondern um die Kultur unseres Landes.Danke schön.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die meisten Mitglieder des Bundestages habenhier, in Berlin, zusätzlich zu ihrem Wahlkreiswohnsitzeine Zweitwohnung; meine befindet sich im östlichenTeil Berlins. Wenn ich in den Sitzungswochen des Bun-destages morgens zum Reichstagsgebäude fahre,komme ich an der Oranienburger Straße entlang. Dortbefindet sich eine jüdische Synagoge. Das Erste, wasich von dieser Synagoge zur Kenntnis nehme, ist nichtdas Gebäude selbst, sondern sind die Polizeiwagen vordem Gebäude. Die Situation in Deutschland verlangt es,dass – nicht nur religiöse – Einrichtungen der Juden,anders als etwa christliche Kirchen, eines besonderenSchutzes bedürfen. Das gilt auch für Schulen und fürKindergärten.Es ist wichtig festzuhalten – ich freue mich, dass wirauch in den Ausschussberatungen Einstimmigkeit in Be-zug auf den heute zu ratifizierenden Vertrag erzielt ha-ben –, dass Menschen jüdischen Glaubens, die inDeutschland leben, Bürgerinnen und Bürger unseresLandes, ganz offenkundig eines besonderen Schutzes be-dürfen. Dieses Stück Realität aber dürfen wir inDeutschland niemals als ein Stück Normalität akzeptie-ren.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir nach wievor ein Problem mit antisemitischen Positionen – diesegibt es auch in anderen Ländern; aber wir haben in dieserHinsicht eine besondere Verantwortung – haben, weildiese in einem Teil der Bevölkerung Anklang finden. In-sofern haben wir nicht nur Anlass, uns über das Ver-trauen, das die vielen erfreulicherweise wieder inDeutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger jüdi-schen Glaubens diesem Staat entgegenbringen, zufreuen, sondern auch, dafür ausgesprochen dankbar zusein.
Der Vertrag, den wir heute einvernehmlich und ge-schlossen verabschieden werden – alle Fraktionen habenbereits erklärt, dass sie dem entsprechenden Gesetzent-wurf zustimmen –, gibt aber auch Anlass, über jüdischesLeben in Deutschland einmal anders zu sprechen als un-ter dem Gesichtspunkt, dass jüdische Bürgerinnen undBürger in Deutschland potenzielle Opfer von Übergrif-fen sind. Die Debatte über diesen Vertrag gibt uns An-lass, darüber zu reden, dass jüdische Bürgerinnen undBürger in Deutschland auch Akteure sind, dass sie unserZusammenleben bereichern, dass sie nichts sind, wasman zu der Gesellschaft hinzunimmt, sondern dass sieelementarer Teil dieser Gesellschaft sind.czg1inDwbdrkhbcsEGsndhedSuaermu–ensdtusDddevzZtiDoZZ
Es ist richtig, auch darauf hinzuweisen, dass rund einealbe Million Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glau-ens bis zur Zeit des Nationalsozialismus trotz aller Brü-he in der deutschen Geschichte ein Teil dieser Gesell-chaft gewesen sind, übrigens nicht nur im Bereich derliten, sondern auch in anderen Bereichen der deutschenesellschaft. Sie gehörten dazu. Sie waren ein Teil die-es Landes. Deswegen ist die Judenverfolgung im Natio-alsozialismus nicht nur etwas gewesen, was sich gegenen jüdischen Teil der deutschen Bevölkerung gerichtetätte. Vielmehr war die Judenverfolgung in Deutschlandin Akt der Selbstzerstörung der eigenen Gesellschaft,er deutschen Gesellschaft.
ie war eine Selbstamputation. Wir leiden noch heutenter diesem Verlust.Ich selbst bin in den 70er-Jahren in Niedersachsenufgewachsen. An meiner Schule, am Gymnasium, gabs keinen jüdischen Schüler und keine jüdische Schüle-in. Übrigens: Ich glaube, dass ein Grund für den Antise-itismus auch darin besteht, dass oftmals kein Wissenmeinander da ist. Ich war auch überrascht zu hörenHerr Kollege Beck hat es angesprochen –, dass heuteiner der höchsten jüdischen Feiertage ist. Ich weißicht, wem in diesem Hause das bewusst war.Der Vertrag, den wir schließen, der den Zentralrattärker dazu in die Lage versetzen soll, die Pflege deseutsch-jüdischen Kulturerbes – des gemeinsamen Kul-rerbes – zu betreiben, der den Zentralrat unterstützenoll bei dem Aufbau der jüdischen Gemeinschaft ineutschland, der ihn unterstützen soll insbesondere beien integrationspolitischen, bei den sozialen Leistungen,ie er erbringt, sollte vielleicht auch eine Grundlage undin Ausgangspunkt dafür sein, dass wir uns miteinanderornehmen, wechselseitig mehr übereinander erfahrenu wollen, mehr übereinander wissen zu wollen; dennusammenleben ohne Verständigung kann nicht funk-onieren. In dem Sinne ist dieser Vertrag nach meinemafürhalten eben nicht der Abschluss eines Prozessesder ein Punkt, ab dem man sagen könnte: Jetzt ist einustand der Normalität erreicht. Nein, der Vertrag ist einwischenschritt in diesem langen Prozess.
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Sebastian EdathyIch möchte an dieser Stelle abschließend an IgnatzBubis erinnern, den langjährigen Präsidenten des Zen-tralrates der Juden, der kurz vor seinem Tod mit einigerVerbitterung sinngemäß gesagt hat – ich zitiere ihn ausdem Gedächtnis heraus –: Ich habe mich immer bemüht,dieses Missverständnis, auf der einen Seite gebe es dieDeutschen, auf der anderen Seite gebe es die Juden, zuüberwinden. – Er sagte, er habe in dieser Hinsicht wenig,nach seiner Einschätzung sogar nichts erreicht. Ichglaube, dass das Vermächtnis solch großer Menschenwie Ignatz Bubis für uns auch darin besteht, ihre Ansätzeaufzugreifen und fortzuführen. Wenn wir viel Glück ha-ben und wenn wir dazu beitragen, dass eine Grundlagedafür da ist, dass wir dieses Glück haben dürfen, werdenvielleicht in einigen Generationen Menschen, die unsereBevölkerung – die Deutschen, die jüdischen Deutschen,die christlichen Deutschen, die muslimischen Deut-schen – hier im Bundestag vertreten, feststellen können:Ja, es gibt dieses Separieren zwischen Deutschen und Ju-den nicht mehr, Deutsche jüdischen Glaubens sind deut-sche Bürgerinnen und Bürger und nicht Juden inDeutschland. Wenn wir das feststellen können, dannwerden wir, glaube ich, an einem Punkt angelangt sein,von dem wir sagen können: Es war wichtig, ihn zu errei-chen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Hohmann,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Alle Redner haben so gesprochen, dass ich nur sagenkann: Ich kann alles bekräftigen und unterstützen. Be-sonders möchte ich mich natürlich auf WolfgangBosbach, unseren stellvertretenden Fraktionsvorsitzen-den, beziehen. Ich möchte das nicht wiederholen, aberich bekräftige: Juden gehörten seit Jahrhunderten zu uns.Unser aller Wunsch ist: So soll es wieder werden.Ich darf etwas, was noch keiner gesagt hat – als Letz-ter hat man es ein wenig schwer, etwas bisher Ungesag-tes zu bringen –, hinzufügen: Wir haben bei der Zuwan-derung nach Deutschland jetzt sogar die Situation, dasserstmals mehr Juden nach Deutschland gekommen sindals nach Israel. Das wird vielleicht noch manchem Kopf-zerbrechen bereiten. Aber es ist ein sehr positives, gutesZeichen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die erstenArchitekten und Baumeister am Haus der deutsch-jüdi-schen und der deutsch-israelischen Beziehungen warenDavid Ben-Gurion und Konrad Adenauer. KonradAdenauer formulierte die noch heute gültige Basis, aufder auch der zur Abstimmung stehende Staatsvertragletztendlich beruht. Ich zitiere:SngJuMlgggbegdhBeEdsmPdsnghuAbgumFbmd
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Warum nicht von Ignatz Bubis lernen? Mit allem Res-pekt: Ein Jude ist ein Jude; ein Christ ist ein Christ.
Die psychologische Erklärung für den Hang, dasschlichte Wort Jude nicht zu gebrauchen, dürfte in derTat darin liegen, dass es für viele Deutsche assoziativ mitder Judenvernichtung besetzt ist. Zugleich – das hat HerrBeck schon angesprochen – sind uns religiöse Inhalteund Riten des Judentums weitgehend fremd geworden.Wir wissen wenig von dem religiösen Universum undReichtum einer 5 763-jährigen Geschichte als auser-wähltem Volk. Die Juden sind – ich spreche als Christ –unsere weit älteren Brüder und Schwestern. Sie warensozusagen Gottes erste Liebe. Gott sagt in Genesis 12,3zu Abraham:Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segenerlangen. Ich will segnen, die dich segnen, wer dichverwünscht, den will ich verfluchen.Indem wir Juden in unserer Vorstellung und aufgrundunserer Kenntnisdefizite von ihren religiösen Prägungenseparieren, rauben wir ihnen den Wesensteil, der ihnenals einziges Volk der Welt ein jahrtausendelanges Über-leben und ein Bewahren ihrer Identität gesichert hat. Zieldes Vertrages mit dem Zentralrat der Juden ist jedoch ge-rade, jüdische Identität sowie jüdisches kulturelles undreligiöses Leben, also Jüdischkeit, in Deutschland lang-fristig zu sichern.sdÄdfntzmaZakamdVbDeawszusG
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zumertrag vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepu-lik Deutschland und dem Zentralrat der Juden ineutschland, Drucksache 15/879. Der Innenausschussmpfiehlt auf Drucksache 15/1109, den Gesetzentwurfnzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-urf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-timmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist inweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, mögeich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Deresetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten AndreasStorm, Annette Widmann-Mauz, Dr. Wolf Bauer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUKlarheit über Rentenfinanzen und Alterssi-cherung schaffen – Notwendige Reformmaß-nahmen nicht auf die lange Bank schieben– Drucksache 15/1014 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solmsb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Gesundheit und Sozi-ale Sicherung zu dem Entschlie-ßungsantrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L.Kolb, Daniel Bahr , Dr. Dieter Thomae,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPzu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über die gesetzli-che Rentenversicherung, insbesondere überdie Entwicklung der Einnahmen und Ausga-ben, der Schwankungsreserve sowie des je-weils erforderlichen Beitragssatzes in denkünftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154SGB VI
undGutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi-cherungsbericht 2002– Drucksachen 15/110, 15/318, 15/859 –Berichterstattung:Abgeordnete Hildegard MüllerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat dasWort der Kollege Andreas Storm von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die seitTagen anhaltende Fortsetzungskomödie der Irrungenund Wirrungen der Regierungskoalition über bevorste-hende Einschnitte bei der gesetzlichen Rente zeigt, dassRot-Grün nur zwei Jahre nach der Verabschiedung der – an-geblichen – riesterschen Jahrhundertrentenreform heutevor einem rentenpolitischen Scherbenhaufen steht.
Die Begründung des Bundeskanzlers im Hinblick aufeine neue Rentenreform in seiner Agenda-Rede vom14. März dieses Jahres, in der er gesagt hat, man habevor anderthalb Jahren die Arbeitsmarktentwicklung zuoptimistisch und die demographische Entwicklung zupessimistisch eingeschätzt, kommt in der Tat einem Of-fenbarungseid gleich.Die anhaltende Talfahrt auf dem Arbeitsmarkt machtauch vor den Rentenkassen nicht Halt. So ist im nächs-ten Jahr mit einem massiven Anstieg des Rentenbei-tragssatzes auf mehr als 20 Prozent zu rechnen. Ein hö-herer Rentenbeitrag bedeutet zwangsläufig einenhöheren Bundeszuschuss.Vor diesem Hintergrund muss die Verzweiflung vonBundesfinanzminister Hans Eichel riesengroß sein.Denn nicht anders ist es zu erklären, dass der Minister inder vergangenen Woche panikartig um sich geschlagenhat. Offenbar hat er vor lauter Haushaltslöchern denÜberblick völlig verloren.
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Wenn Sie sagen: „Mit uns auch nicht!“, dann ist es jaeruhigend, dass die SPD ihren Finanzminister vielleichtuf Kurs bringt.Eichels Kopflosigkeit ist allerdings inzwischen auchuf den Koalitionspartner übergeschlagen. Denn nichtnders ist der Vorschlag der Fraktionsvorsitzenden vonündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt zu erklä-en: Sie will die Rentenanpassung in Zukunft von derentenhöhe abhängig machen. Die Bezieher hoher Ren-en gehen dann leer aus, die kleiner Renten bekommentwas. Das hört sich für den einen oder anderen am An-ang noch ganz vernünftig an. Aber das hätte gewaltigeonsequenzen. Das wäre der Einstieg in den Ausstiegus der beitragsbezogenen gesetzlichen Rente.
Ich stimme dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzen-en der SPD Ludwig Stiegler ja nicht allzu oft zu,
ber wo der Mann Recht hat, hat er Recht. Er hat es aufen Punkt gebracht, indem er gesagt hat, Frau Göring-ckardt habe das Rentensystem nicht begriffen: „Jederriegt die Rente, die er durch seine Leistung verdientat. Wer darauf ein anderes Prinzip anwendet, ist völligon der Rolle.“ – Stiegler hat es hiermit auf den Punktebracht.Nun haben Eingriffe in die Rentenerhöhung aller-ings eine klare Tradition in der rot-grünen Bundesregie-ung. Nahezu kein Jahr vergeht ohne eine Änderung desnpassungsverfahrens. Das begann 1999 mit der nor-alen nettolohnbezogenen Rente. Dann hat Eichel ge-
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Andreas Stormsagt: Renten nach Kassenlage. Noch nicht einmal den In-flationsausgleich gab es im Jahr 2000. Dann ist man imJahr 2001 zur bruttolohnbezogenen Rentenanpassungübergegangen und in den Folgejahren zu einem Ab-schlag für die Riester-Rente.Das Fatale ist, dass die Rentner so behandelt werden,als würden die Beitragszahler zu 100 Prozent einenRiester-Vertrag abschließen. Aber Fakt ist, dass nochnicht einmal jeder sechste Förderberechtigte einenRiestervertrag abgeschlossen hat.
Damit wird bei den Rentnern abkassiert, was überhauptkeine Grundlage hat. Wenn Sie im nächsten Jahr für dieRentner eine Nullrunde anstreben, dann bedeutet das imKlartext, dass bei Ihnen die Rente nach Kassenlage zumDauerzustand wird.
Eine Rente nach Kassenlage droht auch durch die of-fenbar angedachte Absenkung der Rentenreserve.Diese Rentenreserve hat noch immer eine Größenord-nung von 6 bis 7 Milliarden Euro. Das ist für den Fi-nanzminister verlockend, der im Sozialetat 6 bis7 Milliarden Euro einsparen will. Eine solche Absen-kung bedeutet im Kern nichts anderes, als dass die Rück-lage der Rentenversicherung gänzlich abgeschafft wird.Damit wäre klar, dass bei jeder nur geringfügigen Ver-schlechterung der Konjunktur und der Arbeitsmarktlageder Finanzminister mit Steuergeldern einspringenmüsste, damit die Renten pünktlich gezahlt werden. Ge-nau darauf arbeitet der Finanzminister offenbar hin.Denn er will – das wäre die Konsequenz einer solchenUmstellung – jedes Jahr bei der Frage, um wie viel dieRenten erhöht werden, mitreden. Das wäre das Ende dereigenständigen Rentenversicherung. Die Rentenversi-cherung wäre am Tropf des Bundesfinanzministers. Daskann kein Mensch in diesem Haus ernsthaft wollen.
Völlig absurd wird es aber, wenn der Bundesfinanz-minister mit der Begründung, die Rentenfinanzen liefenaus dem Ruder und deshalb müssten wir bei der gesetz-lichen Rente Leistungseinschnitte machen, den Men-schen auch noch den Ausweg verbaut. Denn wenn mansagt, dass die gesetzliche Rente das derzeitige Niveau inZukunft nicht mehr garantieren kann, dann brauchen wirdoch den Aufbau eines zweiten Standbeins ergänzenderVorsorge im Bereich der privaten oder betrieblichen Ren-ten. Nun sagt Eichel: Auch bei der Riester-Förderungmüssen wir überlegen, ob wir die Mittel reduzieren. –Schlimmer geht‘s wirklich nimmer!
Eines ist richtig: Die Riester-Rente hat sich als eineFehlkonstruktion erwiesen. Aber die Konsequenz kanndoch nicht sein, die Fördergelder zusammenzustreichen.Die Konsequenz muss sein, dass wir gemeinsam aus derRiester-Rente eine echte Förderrente machen, die dieMenschen annehmen, weil sie attraktiv ist, die nicht mitnvmansaRiDdsstrMWFbcsbzdeinbinnrJwSbhrhKlurebPungdvRd
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Andreas StormDarauf können sich die Rentnerinnen und Rentner, aberauch die Beitragszahler in unserem Land verlassen.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Franz Thönnes.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Es ist richtig: Der Rentenversicherungsbeitragliegt derzeit bei 19,5 Prozent
und damit um 0,8 Prozentpunkte über der Zielmarke, diewir uns gesetzt haben. Damit der Wahrheit Genüge getanwird, muss aber auch gesagt werden, dass er damit im-merhin noch um 0,8 Prozentpunkte unter den20,3 Prozent, die wir 1998 von Ihnen geerbt haben, liegt.
Das bedeutet immerhin um 6,5 Milliarden Euro gerin-gere Lohnnebenkosten.Außerdem muss erwähnt werden, dass die Renten inder Zeit zwischen 1998 und 2002 um ungefähr5,97 Prozent gestiegen sind. In den fünf Jahren davor– also während Ihrer Regierungszeit – lag die Steigerungbei nur 2,74 Prozent.
Mit der Rentenreform 2001 wurde die eigenständigeAlterssicherung der Frau ausgebaut, Kindererziehungwurde stärker berücksichtigt und
eine kinderbezogene Höherbewertung der Beitragszeitenist erfolgt. Die Anrechung von Zeiten für die Erziehungmehrerer Kinder wurde mit aufgenommen und dieGrundsicherung wurde eingeführt, um verschämte Al-tersarmut zu verhindern. Erstmalig wurde in Deutsch-land eine kapitalgedeckte private Altersvorsorge einge-führt.Der Sozialbeirat hat in seinem Gutachten zumRentenversicherungsbericht 2002 im Prinzip sehr positivbewertet, dass mit diesem Einstieg in den Aufbau einerzusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge eine rich-tige Weichenstellung unternommen worden ist, um dieAlterssicherung langfristig zu stabilisieren. Erstmals un-terstützt der Staat damit die private Altersvorsorge. DasiKDGSwlsgbdrewsaRsMrDwsEewdclztddUeEügu
as ist und bleibt ein sozialpolitischer Meilenstein in dereschichte unseres Sozialstaates.Aber ich stimme auch der kritischen Bewertung desozialbeirates zu, der in seinem Gutachten sagt: Die Ent-icklung im Jahre 2002 – damit meint er die wirtschaft-iche Entwicklung und die Entwicklung der Arbeitslo-enzahl – hat deutlich gemacht, dass im Bereich deresetzlichen Rentenversicherung auch künftig Reform-edarf besteht.Das war der Grund dafür, dass die Bundesregierungie Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzie-ung der Sozialen Sicherungssysteme eingesetzt hat. Teil-mpfehlungen liegen bereits vor. Weitere Empfehlungenerden im Abschlussbericht folgen. Wir werden sieorgfältig prüfen und dann entscheiden. Ich kann Ihnenber schon jetzt sagen: Eine Anhebung des Beitrages derentnerinnen und Rentner zur Krankenversicherungteht für uns nicht zur Debatte. Ich sage dies, damit dieseär nicht weiter von Ihnen verbreitet wird.
Es ist unbestritten: Wir stehen vor erheblichen He-ausforderungen und Problemen.
azu gehören die wirtschaftliche Entwicklung, die Ent-icklung der Arbeitslosenzahlen und die demographi-che Entwicklung. Das sind Herausforderungen, die dientscheidungen, vor denen wir alle gemeinsam stehen,rheblich erschweren. Wenn wir ehrlich sind, werdenir sagen müssen, dass wir diesen Herausforderungen iner Vergangenheit vielleicht alle ein Stück weit ausgewi-hen sind, als sie absehbar gewesen sind und es erforder-ich gewesen wäre, die richtigen Schlussfolgerungen zuiehen.
Wir könnten darüber sprechen, wie die Frühverren-ung eingeführt worden ist, die mit dazu beigetragen hat,ass die Rentenkassen zum Teil ausgeblutet sind, undass sie von denen ausgeblutet worden sind, die sich alsnternehmen von den Kosten für die Sozialleistungenntlasten wollten.
Wir könnten auch darüber sprechen, wie die deutscheinheit finanziert worden ist, nämlich zum großen Teilber die sozialen Sicherungssysteme und nicht – wie eserechter gewesen wäre – durch alle Steuerzahlerinnennd Steuerzahler über den Haushalt.
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Parl. Staatssekretär Franz Thönnes
Hier tragen alle ein Stück Verantwortung für die Ver-gangenheit. Deswegen ist es wichtig, dass die Antwor-ten, die jetzt gefunden werden müssen, einerseits Fort-schritt und Wohlstand in Deutschland gewährleisten,andererseits dafür sorgen, dass Beschäftigung entstehtund gleichzeitig soziale Sicherheit diesen Wandel beglei-tet und unterstützt.Die rentenpolitische Diskussion bewegt sich zwi-schen den Rentnerinnen und Rentnern und den Beitrags-zahlerinnen und Beitragszahlern. Auf der einen Seitesteht das Bedürfnis nach Sicherheit und auf der anderenSeite das Bedürfnis nach Bezahlbarkeit. Das zeugt vondem inneren Spannungsverhältnis, in dem wir uns bewe-gen, dass nämlich Politik versuchen muss, die jeweiligenInteressen sozial vernünftig auszubalancieren. Deshalbsind Sicherheit und Bezahlbarkeit die Leitplanken derRentenpolitik.Wir fordern Solidarität ein, um die solidarische Ren-tenversicherung zukunftsfest zu machen. Der AthenerStaatsmann Solon, 640 vor Christi geboren, 600 vor Christimaßgeblich an der Ausarbeitung einer Verfassung im da-maligen Athen insbesondere zur Wirtschafts- und Sozial-ordnung beteiligt, hat einmal zur Erläuterung seiner Phi-losophie Folgendes zum Ausdruck gebracht: Zu ihm solleinmal ein älteres Ehepaar gekommen sein, um sich überden gemeinsamen Sohn zu beklagen, der sich geweigerthatte, seinen Eltern im Alter mit Hilfe und Geld beizuste-hen. Bevor Solon antwortete, wollte er von den Elternwissen, ob sie ihrerseits für den Sohn gesorgt hätten, als ernoch klein und hilfsbedürftig war. Erst nachdem sie dieseFrage mit Ja beantworteten, sprach er den Eltern den An-spruch auf Unterhalt zu.Das ist Ausdruck einer gegenseitigen Fürsorge undVerantwortung, die von beiden Seiten einzuhalten ist, diees aber auch ernst meint mit dem Sozialstaat und der Ge-nerationengerechtigkeit. Die Jungen sorgen für die Al-ten, nachdem die Alten ihrerseits ausreichend für dieJungen vorgesorgt haben.Der Punkt, um den es uns in dieser schwierigen öko-nomischen Situation gehen muss, ist, einerseits die Bei-träge so zu gestalten, dass sie bezahlbar sind und helfen,Beschäftigung zu fördern, und andererseits den Rentne-rinnen und Rentnern angemessene Einkommen zu ge-währleisten. Dabei muss der notwendige Spielraum beiden finanziellen Mitteln gewahrt bleiben, die notwendigsind, um in Bildung und Forschung zu investieren. Dennwir müssen den jungen Menschen die Voraussetzungenfür eine gute Zukunft schaffen, damit sie im späteren Ar-beitsleben in einer Gesellschaft arbeiten können, diewettbewerbsfähig ist, und sie ein gutes Bruttosozialpro-dukt erwirtschaften können, das wiederum die Möglich-keit bietet, die Altersbezüge derjenigen, die dann inRente sind, zu finanzieren. Anders formuliert – ich sagedas sehr einfach –: Wir dürfen heute nicht das verzehren,was wir erarbeitet und erwirtschaftet haben. Wir müssenauch einen Teil in das Morgen investieren, damit unsereKinder eine Zukunft haben und die Rentnerinnen undRbssindJlähbhdhvndeDaeteimmledAlufhstMtrwrudsmbugVwtewE
Die Herausforderung, die sich aus der demographi-chen Entwicklung ergibt, ist groß. Dass die durch-chnittliche Lebenserwartung bei Männern und Frauen den letzten 40 Jahren um acht Jahre gestiegen ist, be-eutet, dass sich auch die Rentenbezugsdauer um achtahre verlängert hat. Wir freuen uns, dass die Menschennger leben, aber dass sie acht Jahre länger Rente bezie-en, bedeutet für die Kassen einen größeren Aufwand.
Anfang der 60er-Jahre lag die durchschnittliche Ge-urtenrate in Deutschland pro Frau bei 2,5 Kindern,eute liegt sie nur noch bei 1,3 Kindern. Das zeigt, dassie jüngere Generation nicht mehr in dem Maße wie frü-er nachwächst. Die Bevölkerungspyramide hat sichöllig verändert. Heute sorgen drei Beschäftigte für ei-en Rentner. In Zukunft, in etwa 30 bis 40 Jahren, wirdas Verhältnis wahrscheinlich bei 1,5 Beschäftigten zuinem Rentner liegen.Vor diesen Herausforderungen stehen wir nicht nur ineutschland. Auch in Frankreich, Österreich und allennderen Ländern in Europa muss man sich damit aus-inander setzen. Das macht deutlich, dass nicht die Ren-nreform Ursache für die jetzige Situation ist – sie wirdmer als Kritikpunkt genannt –, sondern dass auch dieassive Verschlechterung der globalen und der nationa-n wirtschaftlichen Situation eine Ursache ist. Der Bun-eskanzler hat in seiner Regierungserklärung zurgenda 2010 darauf hingewiesen, dass diese Entwick-ng eine Nachjustierung auch in der Rentenpolitik er-ordert.Eine Teilempfehlung der Kommission für die Nach-altigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungs-ysteme umfasst den so genannten Nachhaltigkeitsfak-or.
it diesem Nachhaltigkeitsfaktor werden wir dazu bei-agen, dass künftig in der neuen Rentenformel die Ent-icklung und das Verhältnis der Zahl der Beitragszahle-innen und Beitragszahler zu der Zahl der Rentnerinnennd Rentner mit einbezogen wird und Auswirkungen aufie Rentenentwicklung hat. Verändert sich nämlich die-es Verhältnis zulasten der beruflich aktiven Generation,üssten die Beiträge steigen. Damit dies nicht unge-remst geschieht, ist die Generation der Rentnerinnennd Rentner mit an den daraus resultierenden Belastun-en und Herausforderungen zu beteiligen. Das heißt, dieerteilung der Lasten aus der demographischen Ent-icklung muss in vernünftigem Rahmen auf beide Sei-n verlagert werden.Dieser Faktor – das erlaube ich mir zu sagen – ist et-as höher als der demographische Faktor, weil wir dientwicklung am Arbeitsmarkt und die Entwicklung bei
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Parl. Staatssekretär Franz Thönnesden Beschäftigtenzahlen bei diesem Faktor mit berück-sichtigen. Damit machen wir deutlich, dass beides sehrstark voneinander abhängig ist.Der Nachhaltigkeitsfaktor ist somit ein wesentlichesElement, um einerseits die Lohnnebenkosten zu senkenbzw. zu stabilisieren und andererseits über die Gesamtsi-tuation mit dazu beizutragen, dass sich die Renten soentwickeln, dass sie auf Dauer sicher sind. Das ist sozialgerecht, das verbessert die Beschäftigungschancen, dassichert die Rente für die ältere Generation.
Im Gegensatz zu den Vorstellungen unserer Vorgän-gerregierung haben wir vor dem Hintergrund der länger-fristigen Rentenentwicklung mit der Riester-Rente denArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeitgegeben, die Versorgungslücke, die sich im Alter auftunkann, im Rahmen einer privaten Vorsorge aufzufüllen.Das war damals in Ihrer Rentenreform nicht enthalten.Deswegen war es richtig, sie abzulehnen. Über unserenWeg tragen wir dazu bei, dass die Menschen für ihre pri-vate Situation im Alter vorsorgen können.Die bisherige Inanspruchnahme stimmt mich zuver-sichtlich. Ich muss mir nur anschauen, in welch kurzerZeit nach der Bundestagswahl – bis dahin gab es Boy-kottaufrufe aus Ihren Reihen, weil Sie alles ändern woll-ten – in den Betrieben entsprechende Tarifverträge abge-schlossen worden sind und wie viele Menschen sichmittlerweile mit privaten Verträgen an ihrer Altersvor-sorge beteiligen.Aus diesem Grund sollten vor dem Hintergrund dernotwendigen Umsetzung des Urteils des Bundesverfas-sungsgerichts, das uns aufgegeben hat, die Besteuerungder Pensionen und Renten in Übereinstimmung mit derVerfassung zu regeln, keine weiteren Ängste geschürtwerden. Wir werden die Vorschläge der Kommission ge-nauso wie die ergänzenden Vorschläge zur Vereinfa-chung und vielleicht Erweiterung der Riester-Rente ver-nünftig bewerten.
Uns geht es darum, dass es für die Menschen in Zukunfteine verlässliche und die derzeitigen Renteneinkommenberücksichtigende klare politische Grundlage gibt.Wir halten Ihren Antrag auch aufgrund Ihrer Forde-rung, das Wohneigentum stärker zu fördern, für nichtumsetzbar und nicht erforderlich, weil – das ist ganz klarund eindeutig – mit der Eigenheim- und der Bausparzu-lage bereits jetzt ausreichende Möglichkeiten dazu be-stehen, das Wohneigentum zu fördern.Mit der bisherigen Reformpolitik, insbesondere mitder steuerlichen Entlastung der geringen Einkommen,der Erhöhung des Etats für Bildung und Forschung um25 Prozent seit 1998, der Gewährung zusätzlicher Kre-dite an die Gemeinden, sodass sie investieren könnenund somit Nachfrage schaffen können, und der Maßnah-men im Rahmen der Agenda 2010, werden wir dieVDBRgaRPjsmdsNdPeIftdeßeDBrvldWhn
Herr Kollege Storm, wir sind sehr gespannt, wie sichie Opposition verhalten wird, wenn diesem Haus einer-eits unsere Entscheidung bezüglich der Gestaltung desachhaltigkeitsfaktors und andererseits die Bewertunges im Herbst tagenden Schätzerkreises – er wird dierognosen für das nächste Jahr abgeben und womöglichinen Bedarf für Nachjustierungen sehen – vorliegen.
ch kann nur herzlichst darum bitten, sich diesem Re-ormprozess anzuschließen und sich nicht aus parteipoli-ischen Gründen zu verweigern.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derrste Satz des heute hier zu beratenden FDP-Entschlie-ungsantrags vom 15. Januar dieses Jahres war nie aktu-ller als in diesen Tagen.
ort heißt es nämlich zutreffend: „Die Rentenpolitik derundesregierung ist ein einziges Desaster.“
Sie haben mit Ihrer Rentenpolitik seit Ihrem Regie-ungsantritt fünf wertvolle Jahre vertrödelt. Es ist heuteollkommen klar – ich kann nur hoffen, dass Sie das mitt-erweile auch so sehen –, dass es unverantwortlich war,en demographischen Faktor ersatzlos zu streichen.ir haben Sie damals nachdrücklich gewarnt.
Es war unverantwortlich, mit der Ökosteuer, dieeute 17 Milliarden Euro ausmacht, frisches Geld in einicht zukunftsfähiges System zu leiten,
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Dr. Heinrich L. Kolb
anstatt mit wirksamen Strukturreformen die Vorausset-zungen für eine breite und dauerhafte Beitragssenkungzu schaffen.
Frau Kollegin Bender, die Bürger stellen jetzt fest, dassdas Fass keinen Boden hat. Die Bürger zahlen die Öko-steuer und die Beiträge steigen dennoch munter weiter.Das ist die Wahrheit!
Herr Staatssekretär Thönnes, im Rahmen der Renten-reform haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern verspro-chen, dass der Beitragssatz im Jahre 2004 bei18,7 Prozent liegen wird. Sie rühmen sich damit, dass erheute bei gerade einmal 19,5 Prozent liegt. Dabei unter-schlagen Sie aber, dass die Ökosteuer umgerechnet rundzwei Beitragssatzpunkte ausmacht. Das ist die Wahrheit,Herr Staatssekretär Thönnes!
Sie unterschlagen ebenfalls, dass bereits heute fest-steht – der Verband der Deutschen Rentenversicherungs-träger geht mittlerweile zwingend davon aus –, dass derBeitragssatz bis Ende dieses Jahres auf mindestens19,8 Prozent steigen wird.
Diese Schätzung wurde noch vor dem Hintergrund derWachstumsprognose der Bundesregierung, die von0,75 Prozent ausging, abgegeben. Das ist aber vollkom-men unrealistisch. Das ist doch die Wahrheit!
Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, istdie von Rot-Grün in zwei Stufen abgesenkte Schwan-kungsreserve im Monat April erstmals unter den Refe-renzwert von 0,5 einer Monatsausgabe gefallen.
In der Konsequenz heißt das, Frau Kollegin Bender – ichdarf Sie namentlich ansprechen;
wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das zu –: Wir müssenschon heute davon ausgehen, dass der Beitragssatz imJahre 2004 über 20 Prozent liegen wird. Das heißt, Ar-beitsplätze werden weiter vernichtet und die Spiralbewe-gung verläuft weiter nach unten. Wir haben das schon imJanuar in unserem Entschließungsantrag vorausgesagt.Sie haben das als Panikmache bezeichnet und es geleug-nphtvrstRdVSEtmtuadStlweRmlSrddhsVSma3t„HfhGKi
Deswegen, Herr Staatssekretär Thönnes, haben Sieeute in diesem Haus, sozusagen als Prokurist stellver-retend für Ihre Ministerin, den Offenbarungseid einererfehlten Rentenpolitik ablegen müssen. Trotz Einfüh-ung der Ökosteuer, trotz Anhebung der Beitragsbemes-ungsgrenze und trotz zweimaliger Absenkung der Ren-enreserve kann der Beitragssatz zur gesetzlichenentenversicherung nicht einmal stabilisiert, geschweigeenn gesenkt werden.Jetzt machen die Verursacher dieses Chaos hektischorschläge, wie man mit diesem Fiasko umgehen soll.o schlägt die Fraktionsvorsitzende der Grünen Göring-ckardt eine pauschale Rentenkürzung bei höheren Ren-eneinkommen vor. Der Bundesfinanzminister deutet an,an könne ja den Krankenversicherungsbeitrag der Ren-enversicherung abschmelzen. Das, liebe Kolleginnennd Kollegen von Rot-Grün, ist alles Flickwerk. Das istuch angesichts der demographischen Herausforderung,ie unaufhaltsam auf uns zukommt, keine langfristigetrategie zur Behebung der finanziellen Misere der Ren-enversicherung.
Darüber hinaus will der Bundesfinanzminister zusätz-ich an der Riester-Förderung sparen. Das ist jetztirklich die absurdeste Forderung, die man überhauptrheben kann. Sie haben mit der Rentenreform 2001 dasentenniveau deutlich abgesenkt. Wenn Sie ehrlich sind,üssen Sie zugeben, dass die Riester-Reform in Wirk-ichkeit eine verkappte Rentenkürzung war.
ie haben diese Maßnahme damals mit der grundsätzlichichtigen, leider aber völlig überregulierten Förderunger privaten kapitalgedeckten Alterssicherung verbun-en.Nach dem blamablen Start der Riester-Rente, die biseute gerade einmal 3 Millionen Bürger – diese Zahltammt aus einer Umfrage des Gesamtverbandes derersicherungswirtschaft – abgeschlossen haben, wollenie ausgerechnet an dem einzigen innovativen Instru-ent der Riester-Reform sparen. Sie provozieren damitbsehbar Altersarmut bei der jetzigen Generation der0- bis 50-Jährigen, die schon jetzt die historisch höchs-en Beitragssätze zahlen. Das nennen Sie von Rot-Grünkohärente und nachhaltige Politik“. Ich sage Ihnen,err Staatssekretär: Das ist in der Tat ein Scherbenhau-en, vor dem Sie hier stehen.
Die schlimmsten Populisten in diesem Zusammen-ang sind aber die Grünen. Wenn führende Politiker derrünen, wie Frau Katrin Göring-Eckardt oder auch derollege Markus Kurth, der im Plenum gerade anwesendst, immer wieder die Einbeziehung von Beamten und
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Dr. Heinrich L. KolbFreiberuflern in die gesetzliche Rentenversicherungfordern, dann ist dies das Schüren einer Neiddiskussionund blanker Populismus.
Jeder Rentenexperte in der Bundesrepublik Deutschland,ob er nun Rürup oder Raffelhüschen heißt, verweist da-rauf, dass eine Einbeziehung von Freiberuflern und Be-amten in die Rentenversicherung keine Lösung der de-mographischen Herausforderung darstellt, sondern dieFinanzierungskrise der gesetzlichen Rentenversiche-rung noch verschärft.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen,Frau Bender. Mein Großvater hat mir die Geschichte vondem Bauern erzählt, der Eier für 20 Pfennig pro Stückproduziert und sie für 15 Pfennig verkauft.
Darauf angesprochen, dann mache er doch einen Verlustvon 5 Pfennig pro Ei, antwortete der Bauer: Die Massemacht’s.
Genau das ist der Punkt. Auch Beamte erwerben An-sprüche, ebenso werden Freiberufler älter. Kurzfristighöheren Einnahmen stehen langfristig höhere Defizitegegenüber. Verabschieden Sie sich endlich von dieserSchnapsidee.
Alles in allem: Wir müssen uns in diesem Haus – dazufordere ich Sie nachdrücklich auf – endlich den Realitä-ten stellen; denn ab 2010 wird der Reformdruck auf-grund des demographischen Wandels dramatisch zuneh-men. Angesichts dieser Herausforderung brauchen wireinen Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik. Wir ha-ben auf dem Parteitag in Bremen einen solchen Paradig-menwechsel beschlossen. Wir werden ihn in Antrags-form in Kürze in dieses Haus einbringen. Ich kann Sienur auffordern, uns auf diesem Weg zu begleiten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Kolb, manchmal frage ich mich, ob die Gesetze derLogik eigentlich auch in diesem HausebRawzhsbWkPnIgaRDlPkwdEAkgzwHHcdh
zw. auch für Ihre Fraktion gelten. Sie erklären hier vomednerpult, es sei entsetzlich, dass mit den Einnahmenus der Ökosteuer die Rentenversicherung mitfinanziertird. Gleichzeitig legen Sie selber dar, dass der Beitragur Rentenversicherung um nahezu zwei Prozentpunkteöher wäre, wenn wir die Ökosteuer nicht hätten. An-chließend beklagen Sie, dass der Rentenversicherungs-eitrag so hoch liegt, wie er ist.
ie das zusammengeht, das müssen Sie mir einmal er-lären. Aber da werden Sie wie in den Schulen einISA-Problem bekommen. Das nimmt Ihnen einfachiemand ab.
Nun komme ich zu Ihrem Eierbeispiel.
ch gebe zu, es ist unterhaltsam. Die grüne Idee der Bür-erversicherung bedeutet in der Tat, alle Menschen,uch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige, in dieentenversicherung einzubeziehen.
ies ist – lassen Sie mich das deutlich sagen, Herr Kol-ege – kein Beitrag zur Lösung des demographischenroblems und kein Beitrag zur Generationengerechtig-eit. Es ist ein Beitrag zur horizontalen Gerechtigkeit,
eil alle dann in dem Sicherungssystem sind und alleazu beitragen.
s wäre auch glaubwürdiger, Herr Kollege, wenn wirbgeordnete Maßnahmen zur Rentenversicherung dis-utieren würden, die uns selber betreffen. Das wäre dazueeignet, in der Bevölkerung in besonderem Maße Ak-eptanz zu erreichen, während man so immer weiß, dassir über anderer Leute Geld reden.
err Kollege Storm, Sie beschweren sich auch über dieöhe der Beiträge. Manchmal nützt ein Blick ins Ar-hiv. Ich habe mir den Spaß erlaubt. Es gab eine Zeit vorer letzten Wahl, in der Rot-Grün die Mehrheit errungenat.
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Birgitt BenderDa hat sich Kollege Seehofer, der heute vielleicht nichtganz zufällig nicht anwesend ist, hingestellt und denRentnern versprochen, es gebe einen Nachschlag, wenndie CDU/CSU die Wahl gewinne. „Wir zahlen euch hö-here Renten“, hat er damals gesagt. Der Wirtschafts-weise Rürup hat ihm vorgerechnet, dass das 2,5 Milliar-den Euro gekostet hätte. Ich frage Sie: Wer hätte denndas bezahlt? – Doch die heutigen Beitragszahler. Sieaber vergießen Krokodilstränen über die Höhe der Bei-träge. Sie sollten sich selber an die Nase fassen.
Die CDU/CSU ist bisher jedenfalls nicht als Vertreterindes Prinzips der Generationengerechtigkeit aufgefallen –um das einmal deutlich zu sagen.
Es war hingegen die rot-grüne Regierung, die durchdie letzte Rentenreform die Weichen für eine nachhal-tige Finanzierung und für die Gerechtigkeit zwischenden Generationen gestellt hat. Ich darf darauf hinweisen,dass es Teil dieser Reform ist, dass auch die Rentner undRentnerinnen ihren Anteil zu der Stabilisierung der Bei-träge leisten. Ich will für die Grünen deutlich sagen: Wirhalten an diesem Grundsatz fest. Das heißt auch – auchdieses gilt es, ehrlich zu sagen –, dass weitere Maßnah-men notwendig sind.Alle Experten sind davon ausgegangen, dass es gelin-gen würde, durch die damals getroffenen Maßnahmenzur Rentenreform bis 2020 einen Beitragssatz von20 Prozent und bis 2030 einen Beitragssatz von22 Prozent zu halten. Nach den aktuellen Schätzungenmüssen wir davon ausgehen, dass dieses nicht der Fallsein wird. Deswegen besteht Handlungsbedarf. Ich sageIhnen im Namen der Grünen: Wir werden uns dafür ein-setzen, dass der Beitragssatz von 19,5 Prozent im nächs-ten Jahr nicht steigen wird.
Eine solche Steigerung zulasten der jüngeren Generationwerden wir nicht hinnehmen.
Das heißt auch – Politik soll ja immer ehrlich sein –, dasses im nächsten Jahr nicht möglich sein wird – ich sagedas sehr deutlich –, die Renten zu erhöhen. Wir werdendie Rentenerhöhung um ein Jahr aussetzen müssen.Wenn wir erklären, dass dieses im Interesse der Kinderund Enkel derjenigen geschieht, die es betrifft, weil wirhöhere Beiträge vermeiden wollen, dann werden wirauch auf Verständnis stoßen. Davon bin ich überzeugt.tiRd–ürsRteluwwhMbsisteVaRlubdgluhZMgeddtenu
Um Ihren längeren Passagen, Herr Kollege Storm,ber Kürzungen im Allgemeinen und im Besonderen ge-echt zu werden,
age ich auch: Der Finanzminister hat nicht immerecht.
Bevor ich zu der Frage komme, wie eine neue Ren-nreform aussehen muss, will ich zu zwei Dingen Stel-ng nehmen, die gern von der CDU/CSU behaupteterden. Das eine ist der Mythos, dass alles geregeltäre, wenn man den demographischen Faktor beibe-alten hätte. Herr Kollege Storm, dem ist nicht so.
it Ihrem demographischen Faktor wären die Rentenis 2010 stärker gestiegen, als es mit der bereits be-chlossenen Rentenreform der Bundesregierung der Fallt. Das sollten Sie vielleicht auch deutlich machen.In Ihrem Antrag findet sich der Vorschlag, die Ren-nzugangsberechtigung von der Lebensarbeitszeit derersicherten abhängig zu machen. Haben Sie sich dasuch gut überlegt? Schließlich richtet sich die Höhe derente bereits jetzt nach der Dauer und Höhe der Einzah-ngen.Wenn Sie den Renteneintritt zusätzlich von der Le-ensarbeitszeit abhängig machen wollen, dann bedeutetas, dass Menschen zu unterschiedlichen Zeiten in Renteehen können, obwohl sie im Laufe ihres Lebens Einzah-ngen in gleicher Höhe und über die gleiche Zeitdauerinweg geleistet haben, weil sie zu unterschiedlicheneitpunkten damit begonnen haben. Mithin bekommenenschen, die in jüngeren Jahren angefangen haben, ins-esamt eine wesentlich höhere Rente. Damit schaffen Sieine Zweiklassengesellschaft unter den Rentnern. Wasaran fair sein soll, müssen Sie mir noch erklären.Ich füge hinzu: Mit einem solchen Mechanismus wür-en Sie besonders Frauen benachteiligen. Es ist doch in-ressant, dass die CDU/CSU auf diese Weise ausgerech-et die Rente von Frauen absenken will. Das werden wirns merken.
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Birgitt BenderJetzt komme ich zu dem, was wir über kurzfristigeMaßnahmen hinaus zur Stabilisierung des Beitragssatzesim nächsten Jahr unternehmen müssen. Die Rürup-Kom-mission hat in diesem Zusammenhang gute Vorschlägevorgelegt. Sie schlägt zum einen die Einführung einesNachhaltigkeitsfaktors vor, mit dem bei der Entwick-lung der Renten die Zahl der Jüngeren im Verhältnis zurZahl der Älteren berücksichtigt würde. Das halten wirfür richtig.Ein weiterer Vorschlag, der zunächst bei vielen Skep-sis hervorruft, lohnt es aber, ihn näher zu betrachten,nämlich ab dem Jahr 2011 das Renteneintrittsalter zuerhöhen, sodass es jährlich um einen Monat bis auf67 Jahre steigt.
Gegen dieses hohe Renteneintrittsalter wenden vieleein, dass ältere Menschen zurzeit keine Arbeit finden.Das ist zwar richtig, aber es geht bei dem Vorhaben umdas Jahr 2011,
einen Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaft wahrscheinlichhänderingend Arbeitskräfte suchen wird. Es geht um ei-nen Übergangszeitraum von 24 Jahren. Für jemandenbeispielsweise in meinem Alter – ich bin Jahrgang 1956 –würde das bedeuten, elf Monate länger zu arbeiten alsnach heutigem Recht.
Wenn Sie berücksichtigen, dass nach allem, was wirwissen, heutzutage Menschen mit 70 so gesund sind wiein den 60er-Jahren Menschen mit 65, dann teilen Sie si-cherlich meine Auffassung, dass es sich um eine richtigeMaßnahme zur Finanzierung der Rentenversicherunghandelt,
die auch der Tatsache Rechnung trägt, dass wir alle älterwerden und dabei gesünder bleiben und dass deshalb dieAktivität im Erwerbsalter von uns allen angestrebt wer-den sollte.
Frau Kollegin Bender, kommen Sie bitte zum
Schluss!
Dann fasse ich mich kurz.
Selbstverständlich muss auch die kapitalgedeckte
Vorsorge weiterhin eine Rolle spielen. Sie muss weiter
ausgebaut werden. Die Grünen haben die Einrichtung ei-
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Hildegard Müller von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! „Klarheit über Rentenfinanzen und Alterssiche-ung schaffen – Notwendige Reformmaßnahmen nichtuf die lange Bank schieben“ lautete der Titel des Ent-chließungsantrags der CDU/CSU, den wir eigentlichetzt beraten sollten. „Klarheit über Rentenfinanzen undlterssicherung schaffen“ war auch die Überschrift einerleinen Anfrage meiner Fraktion vom April, die ich mirn Vorbereitung auf diese Debatte noch einmal durchge-esen habe. Wenn ich die Antwort der Bundesregierunguf unsere damalige Anfrage nehme und um das er-änze, was heute gesagt worden ist, Herr Thönnes, dannuss ich feststellen: Sie haben leider überhaupt keineonkreten Vorschläge zur Klarheit der Rentenfinanzie-ung gemacht. Frau Bender, auch von Ihnen sind schein-ar mehr Absichtserklärungen gekommen als tatsächli-he Koalitionsbeschlüsse; jedenfalls ist mir insbesondereas, was Sie zur Heraufsetzung des Renteneintrittsaltersesagt haben, nicht bekannt gewesen. So kann ich alsour feststellen, dass bei der Regierung und bei Rot-Grüneine Klarheit darüber herrscht, was man bei der Renten-inanzierung vorhat.
Wer die Schlagzeilen dieser Woche einmal betrachtet,er muss unweigerlich an den Refrain eines Spottliedesus dem Jahre 1928 denken. Dieser lautet: „Wir schlagenchaum – Wir seifen ein.“
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4135
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Hildegard MüllerDie Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die vorzwei Wochen den 140. Geburtstag ihrer Partei feiernkonnten, wird dieses „Seifenlied“ von Ernst Busch viel-leicht noch etwas sagen; denn dieses Lied war die Reak-tion der Bevölkerung auf den SPD-Wahlkampf zurReichstagswahl von 1928. Es war schon damals der pas-sende Kommentar zu gebrochenen Wahlversprechen.Dieser Kommentar passt auch zur aktuellen Politik.
Was haben wir uns im Wahlkampf nicht alles anhörenmüssen! Wider besseres Wissen wurden Zahlen vertuschtund schöngefärbt. Wenn man sich die aktuelle Lage an-schaut, dann stellt man fest, dass sie sehr dramatisch ist.Diesen Eindruck haben nicht nur die Unionsfraktion undich, sondern diesen Eindruck hat auch die Bevölkerungin unserem Land. Übrigens, Frau Bender, drei Rentenan-passungen auszusetzen ist noch keine Reform.
Ich gebe Herrn Bundesfinanzminister Eichel – ich freuemich, dass ich das ausnahmsweise einmal tun kann –Recht, wenn er sagt, dass dies in Wahrheit Renten-kürzungen und nichts anderes seien.
Die Schlagzeilen dieser Woche lauten: „AbsurdesRenten-Theater“, „Gefährliches Zündeln an der Rente“,„Renten im Steuerloch“ und „Renten nach Kassenlage“.Aus diesen Schlagzeilen kann meiner Ansicht nach nureines abgeleitet werden: Die Rente und die Höhe desBeitragssatzes in der Rentenversicherung sind bestimmtnicht sicher. Außerdem sollten Sie, Frau Bender, dieÖkosteuer in Ihrer Argumentation zur Kassenlage derRentenversicherung immer berücksichtigen.
Sicher sind aber auch nicht mehr die Aussagen derKoalitionäre zur eigenen Rentenpolitik. Diesen Eindruckmuss man einfach gewinnen, wenn man die inflationäreFlut der Schreckensnachrichten aus dem Regierungsla-ger verfolgt. Einmal soll das Rentenalter heraufgesetztwerden. Ein anderes Mal soll die Riester-Förderung be-schnitten werden. Ein weiteres Mal stehen die Kinderer-ziehungszeiten zur Disposition. Dann ist in einem Pa-pier, das intern schon vorliegen soll, angeblich von demEnde der Schwankungsreserve die Rede. Ich finde, dasist eine der unverantwortlichsten Ideen, die ich in diesemZusammenhang jemals gehört habe.
Dann soll wieder einmal die Anpassung der Altersbe-züge ausgesetzt werden. Frau Lotz, Sie werden mir be-stimmt sagen können – Sie werden ja nach mir reden –,ob die Koalition das Heraufsetzen des Renteneintrittsal-ters beschlossen hat. Ich jedenfalls habe aufseiten derSozialdemokraten Fassungslosigkeit angesichts der Aus-sagen von Frau Bender wahrgenommen. Ich hoffe, dassSie das gleich aufklären werden.Schließlich erwacht auch der demographische Faktorvon Norbert Blüm kaum verkleidet wieder zu neuem Le-baerIS–DFnaSJutnwddhulsSrbdhh–vwbd
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4136 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Hildegard MüllerDas zeigt sich an den Zahlen. Bis Ende 2002 wurden ge-rade einmal 3,4 Millionen Verträge über eine Riester-Rente abgeschlossen. Bei 30 Millionen förderfähigenBürgern entspricht das 11,3 Prozent. Nach Umfragenwollen 70 Prozent der Bundesbürger überhaupt keinenVertrag über eine Riester-Rente abschließen. Diese fataleAnalyse hat die Bertelsmann-Stiftung in der letzten Wo-che noch einmal ausdrücklich bestätigt. Die Bereitschaftder Bundesbürger, für das Alter privat vorzusorgen, istnach ihren Analysen in den vergangenen Monaten spür-bar gesunken.
Das ist eine Reaktion auf die Unsicherheit und dasDurcheinander, das wir von der Regierungsseite erleben.
Die Bertelsmann-Stiftung und Mitglieder der Rürup-Kommission, die Sie ja immer nur zitieren, wenn es Ih-nen passt, haben dringend eine Reform der Rente auch indiesem Bereich angemahnt, weil das sonst zur lahmenEnte werden würde. Wenn wir angesichts der Zahlennicht endlich zu Veränderungen kommen, wird nur einDrittel der Zahl von Menschen, die ursprünglich ange-nommen worden war, einen solchen Vorsorgevertrag ab-schließen.Deshalb rate ich noch einmal dazu, auf die Gründe zuschauen – die Bertelsmann-Stiftung hat das bestätigt –:zu viel Bürokratie, schlechte Information und fehlendeTransparenz. Herr Thönnes, reden Sie nicht immer nurdarüber, was man ändern muss! Schaffen Sie Fakten!Bringen Sie hier endlich Anträge ein, die wirklich zurVerbesserung der Lage führen!
Es reicht nicht aus, dass es in der Koalitionsvereinba-rung heißt:Wir werden … die Aufwendungen für die Alters-vorsorge schrittweise von der Besteuerung befreien.Wenn Sie das nicht gleichzeitig auch in der privatenSäule tun, ist das kontraproduktiv und wird verhindern,dass mehr Verträge abgeschlossen werden.Bei der sich parallel dazu entwickelnden betriebli-chen Altersvorsorge zeigt sich, dass sie durch die Erhö-hung der Beitragsbemessungsgrenze deutlich ge-schwächt worden ist. Sie können uns nach wie vor keineAngaben darüber machen. Alle Experten haben in denAnhörungen angeregt, hier zu Veränderungen zu kom-men. Sagen Sie uns, wie es auch in der betrieblichen Al-tersvorsorge durch Ihre Rentenreform zu einer Ver-schlechterung gekommen ist! Schaffen Sie Klarheit!Sehen Sie Ihre Fehler ein! Tragen Sie endlich zu einerRentenreform im Sinne aller Generationen in diesemLand bei! Vertuschen Sie nicht weiter die Zahlen!
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erbreitung von Zukunftsängsten führt nicht zu einerösung. Das ist nicht redlich. Redlich ist auch nicht, sou tun, als wäre die Bundesrepublik eine Insel, auf wel-he weltweite konjunkturelle Probleme keinen Einflussätten. Wir haben ein Wachstumsproblem – ebenso wieie USA, Japan und andere Staaten Europas. Das min-ert unsere Chancen.Frau Kollegin Müller, Sie haben vorhin die Worte „si-here Renten“ in den Mund genommen. Deshalb will ichn Folgendes erinnern: Es war der ehemalige Arbeits-inister Blüm, der immer von den sicheren Renten ge-prochen hat.
ber Sie haben Veränderungen durchführen müssen – soie auch wir.Ich will Ihnen auch nicht ersparen, noch einmal anolgendes erinnert zu werden: 1998 betrug der Renten-ersicherungsbeitrag 20,3 Prozent. Ein Beitragssatz von9,5 Prozent ist nach Adam Riese wohl niedriger.
Seit 30 Jahren werden in Deutschland weniger Kindereboren. Die Lebenserwartung nimmt kontinuierlich zu.er demographische Wandel – das wissen Sie selbst –indet nicht nur in Deutschland statt. Sie entnehmen denedien, dass die Diskussionen über Veränderungen beier Rente dementsprechend geführt werden.Was will ich damit sagen? Egal wie ein Rentensystemufgebaut ist: Demographische Veränderungen erfordernin Nachsteuern im System. Das haben wir schon 2001emacht: Mit der Einführung der kapitalgedeckten,taatlich geförderten, zusätzlichen privaten Alterssiche-ung haben wir dafür gesorgt, dass die Menschen eineweite Säule in der Alterssicherung aufbauen, die der Si-herung des Lebensstandards dient.
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Erika LotzNun hören Sie doch endlich auf, die Riester-Rente zukritisieren,
nur weil sie nicht von Ihnen stammt! Über 30 MillionenArbeitnehmer haben Anspruch auf die staatliche Förde-rung; sie ist aber nicht nur staatlich, sondern auch statt-lich.
Eine Familie mit zwei Kindern und 30 000 Euro Brut-togehalt erhält für eine jährliche Gesamtversorgung inHöhe von 1 200 Euro 678 Euro Förderung;
das sind mehr als 50 Prozent; das ist familien- und ar-beitnehmerfreundlich. Dadurch wurde die betrieblicheAltersvorsorge wieder attraktiv. Experten schätzen, dasszwischen zwei Drittel und Dreiviertel der Beschäftigteneine Betriebsrente aufbauen werden. Die Versicherungs-gesellschaften melden, dass bis heute 3,7 Millionen an-dere Verträge zur Altersvorsorge – Herr Kolb, nicht, wieSie vorhin sagten, 3 Millionen – abgeschlossen wordensind. Ich meine, wir sind in diesem Bereich auf einemguten Weg. Die Menschen müssen umdenken – dasheißt, sie müssen frühzeitig an das Alter denken –; dasist ein Prozess, der etwas Zeit braucht.Wir werden auch die Möglichkeit von Vereinfachun-gen prüfen und sicherstellen, dass die entsprechendenProdukte in Zukunft bei gleichen Beiträgen gleiche mo-natliche Leistungen für Männer und Frauen vorsehen.Das ist unser Ziel. Man erreicht das Ziel, Arbeitnehmerzu motivieren, eine zusätzliche Altersvorsorge abzu-schließen, nicht dadurch, dass man diese madig macht,so wie Sie es tun. Was dieses Ziel angeht, erweisen Sieeinen Bärendienst.Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. Ichgehöre zu den Menschen, die ihre Ausbildung mit14 Jahren begonnen haben. Wir alle wissen, dass diesschon lange nicht mehr die Regel ist. Der Einstieg insErwerbsleben beginnt später. Ich glaube, wir alle sinduns einig, dass ein früherer Ausstieg auch wegen der de-mographischen Veränderung nicht möglich ist. Wir müs-sen die Frühverrentung deshalb stoppen.
Der Rentenbeginn und die Regelaltersgrenze von65 Jahren müssen sich annähern. Ich denke, solange wirnoch eine so hohe Arbeitslosigkeit haben wie derzeit, istes müßig, über eine Anhebung der Altersgrenze zu dis-kutieren. Das versteht niemand. Wir haben mit denHartz-Gesetzen erste Schritte getan, um es den Arbeit-gebern zu erleichtern, ältere Arbeitslose einzustellen.Arbeitslose ab 52 können ohne Grund befristet einge-stellt werden. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherungentfallen für den Arbeitgeber bei Einstellung von Ar-beitslosen über 55.nnt5dddlzRakhzDomdewswrncwgrrwcAWBRwst1
as muss man bei aller Kritik – egal ob an der Ökosteuerder eben am erhöhten Bundeszuschuss – bedenken. Dasuss man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen. Werie Ökosteuer kritisiert, verschweigt, dass damit letzt-ndlich gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanzierterden.Der Generationenvertrag funktioniert, aber ein Nach-teuern war schon in der Vergangenheit notwendig undird in der Zukunft nicht auszuschließen sein; die Ge-echtigkeit zwischen, aber auch innerhalb der Generatio-en erfordert dies. Ich denke, was für die Rentenversi-herung gilt, muss auch für andere Versorgungssystemeirkungsgleich gelten. Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der Opposition, sind eingeladen, konstruktiv da-an mitzuarbeiten.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Sehr geehrte Gäste! Uns von der PDS im Bundestagird zu viel über die Rentner im Allgemeinen gespro-hen, aber Rentner ist nun einmal nicht gleich Rentner.uch bei den Renten gibt es oben und unten, Ost undest, Männer und Frauen. Zum Beispiel leben in derundesrepublik circa 2,5 Millionen Frauen mit einerente unter 300 Euro pro Monat. In den neuen Ländernird fast jede dritte neue Rente wegen Altersarbeitslo-igkeit gezahlt. Durch die progressive Erhöhung der Al-ersgrenzen führt das zu Abschlägen von bis zu8 Prozent.
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Dr. Gesine LötzschDa bin ich schon bei einer wichtigen Forderung derPDS: Wir brauchen einen Zeitplan zur Angleichungder Ostrenten an die Westrenten.
Wir wollen die viel beschworene deutsche Einheit auchbei den Renten. Ich darf Ihnen sagen, dass der aktuelleRentenwert Ost nur bei knapp 88 Prozent desWestrentenwertes liegt. Die SPD erklärt nun in Briefenan Rentnerinnen und Rentner, sie wolle einen solchenZeitplan zur Angleichung der Rentenwerte von Ost undWest nicht, und verweist dabei auf die unterschiedlichenEinkommensverhältnisse. Da habe ich einen Vorschlagan Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Legen Siedoch einfach einen Zeitplan für die Angleichung derLöhne und Gehälter in Ost und West vor, dann haben wirauch gleich einen Zeitplan für die Angleichung der Ren-tenwerte in Ost und West.
Frau Göring-Eckardt von den Grünen, hier in der De-batte schon mehrmals angesprochen, spricht viel überGenerationengerechtigkeit. Jüngst dachte sie in diesemZusammenhang über die Absenkung des Rentenni-veaus nach. Das Problem ist nur, dass mit dem BegriffGenerationengerechtigkeit unentwegt soziale Unter-schiede verwischt werden sollen und er von vielen alsKampfbegriff missbraucht wird, der die Generationengegeneinander aufwiegelt und die Entsolidarisierung inder Gesellschaft befördert. Es gibt nun einmal eine Er-bengeneration, darunter übrigens viele grüne Wählerin-nen und Wähler, die bei der geltenden Erbschaftsteuerbequem ihren Job als angenehmen Zeitvertreib verstehenkönnen, weil sie materiell durch ihr Erbe abgesichertsind. In der gleichen Generation gibt es aber auch Men-schen, die gar nichts erben werden, die nicht einmal ge-nug Geld haben, um etwas für das Alter zu sparen.Wer heute einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellt,muss damit rechnen, dass sein Vermögen und Leistun-gen, die eigentlich der Altersvorsorge dienen sollten,auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden. Diese Ar-beitslosen wollen eigenverantwortlich für das Alter vor-sorgen, wie es von der Regierung verlangt wird, gleich-zeitig nimmt diese ihnen ihr Vermögen aber wieder ab.Im „Stern“ dieser Woche sind dazu einige interessanteFallbeispiele aufgeführt.Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ichnoch einmal auf den Osten zu sprechen kommen. Gernwird ja angeführt, wie hoch das Rentenniveau im Ostenim Vergleich zu dem im Westen sei. Laut Statistik verfü-gen Rentnerehepaare in den alten Bundesländern überein durchschnittliches Nettoeinkommen, das nur unge-fähr 200 Euro über dem von Rentnerehepaaren in denostdeutschen Ländern liegt.
Das klingt schon ganz gut, aber häufig wird vergessen,dass das nur die halbe Wahrheit ist; denn der Anteil derRente am Nettogesamteinkommen im Westen beträgtbei kleineren Renten nicht einmal 50 Prozent. Mehr alsdie Hälfte machen Pensionen, Mieteinkünfte, Privat-rLusevzmCHmHNKcWwDDVuWkpkddecSnWtdEzd
enn der Finanzminister von Ihnen als Märchenerzählerituliert wird, dann ist das allerdings ein Stück Konsens,en wir heute feststellen können.
Dritter Vorschlag: Rentensplitting. Frau Göring-ckardt blieb es vorbehalten, zu fordern, höhere Rentenu deckeln oder Renten gar nicht zu erhöhen. Das istoch der Abschied von der leistungsorientierten Rente,)
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Gerald Weiß
von der Beitragsäquivalenz im Rentensystem, ein völligsystemwidriger Eingriff!
Dann gab es den Vorschlag, die Förderung derRiester-Rente abzubauen. Frau Lotz, Sie haben eben diekapitalgedeckte Zusatzversicherung, in Wahrheit eine er-setzende Versicherung, hervorgehoben und sie als zweiteSäule bezeichnet. Das ist nur ein Säulchen und keinezweite Säule. Wenn nur 11 Prozent der Antragsberech-tigten diese Möglichkeit nutzen können,
die Einkommensschwächeren aber nicht, weil sie dasnicht bezahlen können,
weil wir eine sozial unausgewogene Förderung haben,weil wir zu hohe Bürokratiehürden und zu komplizierteKriterien haben, dann ist der Weg, den Sie eingeschlagenhaben, ein zwar im Grundsätzlichen richtiger Weg, aberin der Durchführung total verfehlt.
Wir müssen – so kam es in diesen Tagen auch in derBertelsmann-Studie zum Ausdruck – hier entbürokrati-sieren, müssen die Förderung verbessern. Wir dürfen dieFörderung natürlich nicht kürzen, weil wir dann nochmehr Menschen den Zugang zu einer kapitalgedecktenZusatzversorgung verbauen.Ich komme zu einem Aspekt, den Sie, Frau Bender,gebracht haben. Sie sagten, die Aussetzung der Renten-erhöhung sei keine Rentenkürzung. Wenn bei denRentnerinnen und Rentnern eine Nullrunde erfolgt
und die Abgaben, die Steuern und die Preise weiter stei-gen, bedeutet das für die Rentner ein Kaufkraftminus.
Zum dritten Mal betrügen Sie die Rentner. Das ist offen-bar ein bereits abgestimmtes Programm. Es bedeutet einKaufkraftminus in den Rentnertaschen.
Ich nehme ein weiteres Argument von Ihnen, FrauBender, auf. Sie sagen, die volle Rente nach 45 Bei-tragsjahren, die wir anstreben, würde sozusagen zu ei-ner Klassenbildung im Rentensystem führen. Ja, dasstreben wir an. Wir wollen, dass diejenigen, die 45 Jahregeschafft haben, oft in körperlich schwer belastendenBerufen,vJRJkdtRnzfDiiwudMRgmgASElWwvsDghS
as wäre ein Signal für eine neue Frühverrentungswellen Deutschland gewesen! Die Union und die FDP habenm Bundesrat verhindert, dass dieser Unsinn umgesetztird
nd dass eine neue Frühverrentungswelle über die Bun-esrepublik schwappt.
Nächster Punkt. Sie machen sich jetzt zum drittenal daran, in die Schwankungsreserve, also in dieücklage der Rente, einzugreifen. Diesmal haben Sie so-ar den Vorsatz, der Schwankungsreserve den Garaus zuachen und sie auf null zu fahren. Wenn Sie diesen Wegehen, dann führen Sie unser Rentensystem in die totalebhängigkeit vom Finanzminister.
ie werden mit dieser Maßnahme erreichen, dass Herrichel im Rahmen seiner fiskalischen Handlungen täg-ich, ja stündlich Einfluss auf die Renten nehmen kann.er eine solche etatistische und staatsdirigistische Renteill, der muss diesen Schritt gehen. Wir wollen aber eineon der Finanzpolitik unabhängige Rente, deren Anpas-ungsmechanismen nicht vom Staat beeinflusst werden.as ist ein ganz anderer Weg als der, den Sie einschla-en.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunktat jetzt die Kollegin Gudrun Schaich-Walch von derPD-Fraktion das Wort.
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4140 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Herr Storm, die Debatte heute Morgen hat, wie ich fand,ganz hoffnungsvoll begonnen. Sie ist jetzt allerdings aneinem Punkt angekommen, an dem ich nur sagen kann:Die Opposition wird ihrer Verantwortung weder im Bun-destag noch im Bundesrat gerecht.
Was Sie heute abgeliefert haben, zeigt, dass Sie nie-mandem im Haus erklären können, wohin Sie überhauptwollen.
Das Einzige, was man Ihrer Rede entnehmen konnte, ist,dass Sie den Rentnern höhere Renten,
denjenigen, die in die betriebliche Altersvorsorge oder indie Riester-Rente einzahlen, höhere Zuschläge – damitwollen Sie die Akzeptanz steigern –
und den Beitragszahlern niedrigere Beiträge versprochenhaben. Sagen Sie uns einmal, wo Ihre Gelddruckma-schine steht. Auch wir würden sie gerne nutzen.
Sie machen einen Fehler: Sie lesen entschieden zuviel Zeitung.
Das scheint Sie zu verwirren, weil Sie offensichtlich alldas glauben, was Sie in der Zeitung lesen. Lesen bildet,da haben Sie absolut Recht. Es wäre aber an der Zeit, Siewürden einmal etwas anderes lesen und sich mit uns inder Sache, um die es wirklich geht, auseinander setzen.
Was Sie hier abliefern, ist Vergangenheitsbewältigunggepaart mit einem absoluten Mangel an Redlichkeit.
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ielleicht werden Sie es uns im Herbst sagen.
as können Sie doch wirklich nicht im Ernst meinen.Sie behaupten hier, unser Rentensystem sei nicht zu-unftsfähig. Dazu muss ich Ihnen sehr deutlich sagen:ch glaube, dass dieses System in seiner Grundanlage ei-es der sichersten und zukunftsfähigsten Alterssiche-ungssysteme ist. Es ist nur unsere Aufgabe, es in eineremeinsamen Anstrengung den wirtschaftlichen undemographischen Gegebenheiten anzupassen.
u dieser Debatte und zu dieser Diskussion laden wir Sie Herbst ein.
Erinnern Sie sich einmal an die Einführung des 630-M-Sparens. Trotz vieler Anreize hat es viele Jahre ge-auert, bis die Menschen diese Form des Sparens ge-utzt haben. Sie haben bis zur Bundestagswahl die Men-chen aufgefordert – Herr Thönnes hat es Ihnen schonesagt –, keine Riester-Verträge abzuschließen, weilach der Wahl die Reform sowieso rückgängig gemachterden würde.
ie können also nicht erwarten, dass wir Ihre Vorwürfe Bezug auf die Riester-Rente akzeptieren.Im Herbst werden wir mit der Diskussion über dieente, zu der ich Sie einlade, beginnen. Herr Storm, wirtimmen mit vielen Ihrer Ansätze überein.ir werden über den Nachhaltigkeitsfaktor zu disku-ieren haben, darüber, ob er das entscheidende und rich-ige Instrument ist, um die Ziele zu erreichen,
ie wir erlangen wollen: vertretbare Beitragssatzzahlun-en und am Ende eine vertretbare Rente für diejenigen,ie die Rente zum Leben brauchen. Das werden unsereielsetzungen sein. Die Instrumente, die zur Verfügungtehen, werden wir genau zu überprüfen haben.Im Herbst wird der Bericht der Rürup-Kommissionorliegen. Einiges zeichnet sich bereits ab. Wir werdenber die Einführung dieses Nachhaltigkeitsfaktors disku-eren. Wir werden auch darüber diskutieren
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Gudrun Schaich-Walch
– ich würde erst einmal diskutieren und dann entschei-den; denn dann müssen wir nicht hinterher korrigieren –,
welche begleitenden Instrumente wir zusätzlich brau-chen und wie wir die Riester-Rente und die betrieblicheAltersversorgung verbessern können. Wenn man im Hin-blick auf die Zusatzversorgungsrente eine Gesamtschauvornimmt und feststellen kann, dass sie etwa ein Jahrnach ihrer Einführung schon eine Größenordnung von30 bis 40 Prozent erreicht hat, dann kann ich Ihnen dazunur sagen: Dies ist ein ganz hervorragender Erfolg, aufden wir zurückgreifen können.
Ich möchte noch ein paar Punkte nennen, von denenich glaube, dass wir hier – auch wenn viele meinen, manmüsse das Thema Rente zu einem Kriegsschauplatz ma-chen – eine ähnliche Einschätzung haben.
Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 bzw.68 Jahre steht nicht zur Debatte. Wir sollten vielmehr ge-meinsam unsere Kraft darauf verwenden, dafür zu sor-gen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter dem ge-setzlichen Renteneintrittsalter entspricht. Meine Kolleginhat Ihnen zudem bereits gesagt, über welche Punkte wirgerne bereit sind mit Ihnen zu diskutieren.
Voraussetzung für diese Diskussion ist: Wir hatten inder Vergangenheit den Mut zu einer gemeinsamen Ver-antwortung. Ich erwarte von Ihnen ein bisschen Mut fürdie gemeinsame Zukunft.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1014 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Gesundheit und SozialeSicherung auf Drucksache 15/859 zu dem Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der FDP zum Rentenversiche-rungsbericht 2002 und zum Gutachten des Sozialbeiratszu diesem Rentenversicherungsbericht. Der Ausschusse1fsfKb
tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Neustrukturierung der Förderbanken
– Drucksache 15/743 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Neustrukturierung der Förderbanken
– Drucksachen 15/902, 15/949 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
– Drucksache 15/1127 –Berichterstattung:Abgeordnete Stephan HilsbergOtto BernhardtHubert UlrichDr. Andreas Pinkwartb) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Förderung von Kleinunternehmern undzur Verbesserung der Unternehmensfinanzie-rung
– Drucksache 15/537 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Förderung von Kleinunternehmern undzur Verbesserung der Unternehmensfinanzie-rung
– Drucksache 15/900 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
– Drucksache 15/1042 –Berichterstattung:Abgeordnete Ingrid Arndt-BrauerHans Michelbach
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4142 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsKerstin AndreaeDr. Andreas Pinkwart
– Drucksache 15/1043 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterWalter SchölerAntje HermenauZu den Entwürfen eines Kleinunternehmerförde-rungsgesetzes liegen ein Entschließungsantrag der Frak-tion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag derFraktion der FDP vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Siedamit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das sobeschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin gebeich der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. BarbaraHendricks das Wort.D
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Mit den beiden Gesetzentwürfen, die wir heute ab-schließend beraten, gehen wir zwei scheinbar kleine,aber doch bedeutsame Schritte, die uns dabei helfen wer-den, den Mittelstand zu beleben, die Arbeitslosigkeit zubekämpfen und die Schattenwirtschaft einzuschränken.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuord-nung der Förderbanken setzt die Bundesregierung diebereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Zusammen-legung der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit derDeutschen Ausgleichsbank und die Entscheidung dereuropäischen Kommission vom März des vergangenenJahres zu Anstaltslast und Gewährträgerhaftung um.Mit der Verschmelzung von KfW und DtA werden Sy-nergien gehoben und Effizienzgewinne erzielt, die derMittelstandsförderung unmittelbar zugute kommen.Wichtig ist dabei vor allem, dass das Förderangebot derKfW-Mittelstandsbank übersichtlicher und transparen-ter wird.Durch die gewählte Form der Zusammenlegung vonKfW und DtA werden der Förderung kleiner und mittel-ständischer Unternehmen keine Mittel entzogen. Wir ha-ben uns darüber gefreut, dass in den wesentlichen Punk-ten des Gesetzes Konsens mit allen Fraktionen bestehtund auch die Wirtschafts- und Bankenverbände die tra-genden Elemente des Gesetzes begrüßt haben.Weder das Subsidiaritätsprinzip noch das Hausban-kenprinzip werden durch das Förderbankenneustruktu-rierungsgesetz aufgehoben oder verletzt. Dies möchteich auch in Richtung Bundesrat betonen, auf dessen Zu-stimmung wir am 20. Juni 2003 hoffen. Die Verständi-gung mit der EU-Kommission verlangt eine konkreteund präzise Beschreibung der Aufgaben der Förderbank.Nur so lässt sich die Fördertätigkeit vom MarktgeschäftddawddüdwkuGBhdzddVadbRaletoüddssüdDGIdwaüasvvgsVrcdtigf
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4143
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Als nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kolle-
gen Otto Bernhardt von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei die-sem Tagesordnungspunkt geht es um zwei Gesetzesvor-haben. Das erste betrifft die Förderinstitute im Bereichdes Bundes und das zweite Kleinunternehmungen. Ichwerde meinen Beitrag auf das Thema der Förderinstitutebeschränken; zum zweiten Teil wird mein KollegeMichelbach sprechen.Worum geht es bei diesem Gesetz? Es geht um dieZusammenfassung der beiden Förderinstitute im Be-reich des Bundes, der Kreditanstalt für Wiederaufbauund der Deutschen Ausgleichsbank. Dabei soll die klei-nere Ausgleichsbank auf die größere KfW fusioniertwerden.Ich habe bereits in der ersten Lesung für meine Frak-tion dargestellt, dass wir diese Absicht im Grundsatz fürrichtig halten. Ich will dennoch bei der abschließendenBeratung darauf hinweisen, dass beide Institute, die Kre-ditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Aus-gleichsbank, in ihrer etwa 50-jährigen Geschichte erfolg-reiche Arbeit geleistet haben.
DktÜlDMbsrsdWmvlNpbVFssDudddd–wuueDninn
ei der Zusammensetzung des Mittelstandsrates, bei derertretung des Parlaments im Verwaltungsrat und bei derormulierung des Hausbankenprinzips.Es war geplant, den Bereich der erweiterten KfW, derich mit der Mittelstandsförderung beschäftigt, Mittel-tandsbank zu nennen. Wir haben von Anfang an gesagt:as ist ein falscher Name.
Dieser Name ist Etikettenschwindel
nd erweckt beim Mittelstand den Eindruck, man könneirekt zu dieser Bank gehen und dort entsprechende Kre-ite erhalten.Unsere Kritik ist im Anhörungsverfahren von allen,ie sich dazu geäußert haben, insbesondere von den Kre-itinstituten, aufgenommen worden. Ich finde es gutman muss es auch einmal loben, wenn sich etwas be-egt –, dass sich die Regierung
nd die sie tragenden Fraktionen bewegt haben und wirns jetzt auf den Namen KfW-Mittelstandsbank ge-inigt haben.
amit ist für jeden Außenstehenden klar: Es handelt sichicht um die viel gepriesene Mittelstandsbank – das sindn Deutschland wahrscheinlich die Sparkassen und Ge-ossenschaftsbanken –, sondern es handelt sich um ei-en unselbstständigen Bereich der KfW. Da jeder weiß,
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4144 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Otto Bernhardtdass der Weg zur KfW über die Hausbanken führt, ist da-mit auch klar, dass der Weg zur KfW-Mittelstandsbankebenfalls über die Hausbanken führt.Beim Mittelstandsrat hat es keine Veränderungengegeben. Es ist für uns auch kein sehr bedeutendes Gre-mium, aber auch da ist nicht drin, was draufsteht. Es istkein Mittelständler im Mittelstandsrat, aber wenn dieRegierung einen solchen Ausschuss bilden will undmeint, ihre Leute hätten Zeit, dort zu sitzen, soll sie ihneinrichten. Wir lassen es daran nicht scheitern.Dem Verwaltungsrat der KfW sollten ursprünglichnur drei Mitglieder angehören, die vom Parlament be-stellt werden. Dem haben wir widersprochen, weil demBundestag vier Fraktionen angehören. Wir haben darauf-hin den Antrag gestellt, vier Mitglieder zu bestellen.Vonseiten der Regierungsfraktionen sind dann siebenMitglieder vorgeschlagen worden. Auch dieser Vor-schlag wird an uns nicht scheitern, weil damit unser Peti-tum, dass alle Fraktionen im Verwaltungsrat vertretensein sollen, erfüllt ist. Ob es gerade sieben sein müssen,sei dahingestellt.Etwas komplizierter wird es bei der Frage der Beibe-haltung des Hausbankenprinzips. Um es ganz klar zusagen: Wir sind dafür, dass sich hier nichts ändert und esbeim strikten Hausbankenprinzip bleibt. Diese Auffas-sung hat sich auch im Anhörungsverfahren herauskris-tallisiert.Die veränderte Formulierung im Gesetz hat etwas mitder EU und nichts damit zu tun, dass das Hausbanken-prinzip ausgehöhlt werden soll. Die Regierung hat dasbei den Beratungen am Mittwoch noch einmal klarge-stellt. Die KfW wird eine entsprechende Erklärung abge-ben, dass es natürlich beim Subsidiaritäts- und Hausban-kenprinzip bleibt. Mit diesen Erklärungen sind wirzufrieden. Deshalb werden wir keinen Änderungsantragin dieser Richtung stellen.Ich vermute, dass wir das Gesetz heute sogar einstim-mig verabschieden werden. Ich habe von Anfang an ge-sagt: Es ist gut und das war in der Vergangenheit auchmeist so, dass Gesetze, die den Förderbereich des Bun-des betreffen, von einer möglichst breiten Mehrheit imParlament getragen werden; denn sie gelten nachherauch für die sehr unterschiedlich regierten Länder.Wir haben natürlich hohe Erwartungen an die erwei-terte KfW. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich – auchdarüber muss man einen Satz verlieren –: Besorgnis er-regend ist, wie wenig Mittel die KfW und die heute nochdavon getrennte Deutsche Ausgleichsbank – demnächstvereint – in der letzter Zeit nur herausgeben konnten. Ichnenne Ihnen dazu wenige Zahlen: Im Jahre 2000 beliefsich das gesamte Fördervolumen noch auf 7,5 Milliar-den Euro. Im letzten Jahr waren es 6,5 Milliarden Euro.Das ist ein Rückgang um 1 Milliarde Euro bzw. 13 Pro-zent.Noch gravierender sind die Zahlen im Bereich derExistenzgründungen. Die Höhe der zur Verfügung ge-stellten bzw. abgerufenen Gelder ist vom Jahre 2000 biszum Jahre 2002 um etwa 40 Prozent zurückgegangen.Seit wenigen Tagen kennen wir die Zahlen für das ersteQWsgRszbbsLDsszRthdKmskpsgsVGBwmIzfBg
Das zeigt natürlich nicht, dass die KfW und die Deut-che Ausgleichsbank schlecht gearbeitet haben. Daseigt, dass sich die schlechten wirtschaftlichen Rahmen-edingungen auch in diesem Bereich niederschlagen.
Nachdem ich vorhin ein Lob an die Regierung gege-en habe, was für einen Oppositionspolitiker nichtelbstverständlich ist, möchte ich an dieser Stelle einob an die KfW aussprechen.
ie KfW hat auf die Situation in diesen Tagen mit zweiehr vernünftigen Entscheidungen reagiert. Die eine Ent-cheidung war, dass sie die Zinsen generell um 0,25 Pro-ent gesenkt hat. Das ist sicher ein Schritt in die richtigeichtung und entspricht dem, was die europäische No-enbank für einen anderen Bereich gemacht hat.Die zweite Entscheidung der KfW kann gar nichtoch genug eingeschätzt werden: Sie hat den Banken beier Zinsgestaltung im Fördergeschäft einen größerenorridor von 0,5 Prozent gelassen. Das ist wichtig, dennancher Förderkredit ist für die Kreditinstitute inzwi-chen so unattraktiv geworden, dass man von der Seiteaum noch bereit war, in dem Sinne tätig zu werden.Die Antwort darauf kann nicht sein, das Hausbanken-rinzip infrage zu stellen. Die Antwort darauf kann nurein, auch diesen Bereich für die Banken attraktiver zuestalten. Das ist erfolgt. Insofern hoffe ich, dass die ge-tärkte KfW eine noch bessere Förderpolitik als in derergangenheit macht. In diesem Sinne werden wir demesetz zustimmen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel von
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirollen den Zugang von kleinen und mittleren Unterneh-en zu geeigneten Finanzierungsinstrumenten fördern.ch bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, dasu unserem gemeinsamen Anliegen zu machen.Ganz oben auf der Agenda steht deshalb die Schaf-ung eines klaren und transparenten Förderangebotes desundes und eines zielgruppenspezifischen Beratungsan-ebotes. Ich halte es für sehr wichtig, uns genau zu über-
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Christine Scheellegen, welche Zielgruppen wir wie fördern wollen undwie wir sie am besten erreichen. Wir geben der KfWdurch dieses Gesetz eine zukunftsweisende, aber aucheuropakonforme Struktur, eine Struktur, die sie benötigt,um den veränderten Finanzierungsbedürfnissen geradeder kleinen und mittleren Unternehmen gerecht werdenzu können.Bislang gibt es auf Bundes-, aber auch auf Landes-ebene eine große Vielzahl von Förderinstrumentenund Förderprogrammen. Selbstverständlich sind so-wohl die KfW als auch die DtA – Herr Bernhardt, ichkann nur unterstützen, was Sie gesagt haben – ihren Auf-gaben in den letzten Jahren hervorragend nachgekom-men. Wir mussten aber auch feststellen, dass sich sehrviel an Wissen und an Ressourcen, was in beiden Ban-ken vorhanden ist, nebeneinander entwickelt hat. Das istnicht unbedingt so effizient ausgestaltet, wie es seinkönnte.
Deswegen ist es gut, dass wir nun diesen Entwurf einesFörderbankenneustrukturierungsgesetzes vorlegen kön-nen.
Die DtA hat im Bereich der Gründungs- undWachstumsfinanzierung sehr viel getan. Ich erinnerenur an das Startgeld, an Mikrodarlehen und an Bürg-schaftsprogramme, die vor allen Dingen für die mittel-ständischen Unternehmen durchaus attraktiv sind. Aberauch bei der KfW stehen die kleinen und mittleren Un-ternehmen, die an den Kreditzusagen einen Anteil vonetwa 87 Prozent haben, im Zentrum des Förderinteres-ses.Es ist unvermeidlich, dass es – so war es jedenfallsbislang – zu Überschneidungen zwischen den Program-men kommt. Auch kommt es ab und zu zu schwierigenAuswahlprozessen und in den Antragsverfahren damitzu Effizienzverlusten, was wir auf diesem Wege behebenwerden. Die Programme werden neu strukturiert, Über-schneidungen werden beseitigt, Prozesse werden ge-strafft. KfW und DtA werden ihr Wissen bündeln undihre Ressourcen in einem sehr einheitlichen, effizientenund übersichtlichen Förderangebot zusammenführen.Gründer und Gründerinnen werden es in Zukunft leich-ter haben, die richtige Förderung zu finden; die neueMittelstandsbank wird ihnen dabei helfen.Wichtig ist, dass die KfW – das haben wir in den Aus-schussberatungen gemeinsam so beschlossen – am be-währten Hausbankprinzip festhält; das wird in dem Be-richt bekräftigt. Dies wird sie durch eine so genannteSelbstverpflichtung noch einmal unterstreichen. Für dieBanken und Sparkassen wird es bei der Mittelstandsför-derung nur noch einen Ansprechpartner geben. Dadurchwerden die Wege klarer, die gegangen werden können.Ich denke, dass im Zuge dieses Zusammenschlussesauch die Kreditbearbeitungskosten für Förderkredite sin-ken können. Aber es gibt noch andere Anreizmöglich-keiten. Ich denke zum Beispiel an risikoabhängige Mar-ggiivIglvmDkdeBvwrsMhaümAtmSnddbWIfhseaikwahbdv
Daneben werden wir mit diesem Gesetz die so ge-annte Monti-II-Vereinbarung umsetzen und der KfW,ie auch künftig Export- und Projektfinanzierungenurchführen wird, somit eine EU-konforme Struktur ge-en. Dazu wird sie eine Tochter gründen, die im freienettbewerb steht und voll der Steuerpflicht unterliegt.ch möchte nicht, dass irgendwo in der Öffentlichkeit einalscher Eindruck entsteht.Deshalb war es für uns besonders wichtig, dass Nach-altigkeitskriterien für diese Finanzierung klar verankertind. Mit dem Entschließungsantrag haben wir das nochinmal unterstrichen; wir haben darüber auch im Finanz-usschuss beraten. Es ist völlig klar, dass Umweltrisikenmmer auch Kredit- und Bonitätsrisiken sind.
Herr Präsident, erlauben Sie mir, noch zwei ganzurze Punkte anzusprechen.Durch das Kleinunternehmerförderungsgesetz habenir den Verbriefungsmarkt in Deutschland neu eröffnet;uch das ist ein Erfolg. Die Banken und Sparkassen er-alten so bessere Möglichkeiten, ihre Kredite durch Ver-riefung zu refinanzieren.Daneben haben wir – das ist der zweite kurze Punkt –urch das Kleinunternehmerförderungsgesetz für eineerringerte Bürokratie und für geringere Steuerlasten
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Christine Scheelin der Startphase nach der Neugründung gesorgt. Das istgut und stellt einen weiteren Baustein für die Förderungvon Existenzgründungen dar. Es handelt sich praktischum eine Ausweitung der Möglichkeiten für die Men-schen, die sich selbstständig machen wollen. All das ge-hört dazu, um auf dem Arbeitsmarkt neue Möglichkeitenzu schaffen. Als nächster Baustein wird der „MasterplanBürokratieabbau“ folgen. So werden wir in Deutschlandvorankommen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Andreas
Pinkwart von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Zusammenhang mit der Fusion der DtA auf
die KfW möchte ich für die FDP-Fraktion die bisherige
besondere Rolle der Deutschen Ausgleichsbank auf dem
Gebiet der Gründungsfinanzierung hervorheben.
Da die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditan-
stalt für Wiederaufbau in gewissem Umfang bislang
auch miteinander in Konkurrenz standen, hat dies die In-
novations- und Leistungskraft der öffentlichen Grün-
dungsförderung beflügelt. Mit unserer Zustimmung zu
dem im Zuge der Ausschussberatungen verbesserten Ge-
setzentwurf verbinden wir daher die besondere Erwar-
tung, dass dieses für die wirtschaftliche Dynamik wich-
tige Geschäftsfeld auch in dem fusionierten Institut mit
gleicher Priorität gepflegt und weiter ausgebaut wird.
Die fusionsbedingten Synergieeffekte sollten besonders
zur Stärkung dieses Bereiches verwendet werden. Fi-
nanzinnovationen, wie sie etwa durch die tbg als Toch-
tergesellschaft der DtA in der Vergangenheit hervorge-
bracht worden sind, sollten in Zukunft weitergeführt und
fortentwickelt werden.
Der andere Gesetzentwurf, der uns vorliegt, das von
der Bundesregierung und der Koalition so bezeichnete
Kleinunternehmerförderungsgesetz, sollte aus unserer
Sicht seinem Kernbereich entsprechend zutreffender
doch als Sondersteuergesetz für einen kleinstmöglichen
Personenkreis von Mikroselbstständigen bezeichnet
werden. Mit Ausnahme der zudem halbherzigen Anpas-
sung der Betragsgrenzen für die Buchführungspflicht
und der Beschränkung der Hinzurechnung von Dauer-
schuldzinsen für Zweckgesellschaften, durch die der
Markt für so genannte Asset Backed Securities am Fi-
nanzplatz Deutschland erschlossen werden soll, kann der
vorliegende Gesetzentwurf auf die einfache Formel ge-
bracht werden: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
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tatt das Steuerrecht insgesamt für alle Unternehmen und
rbeitnehmer zu vereinfachen, erhöhen Sie damit den
ubventionsberg um weitere 300 bis 400 Millionen Euro
ro Jahr, ohne dass dadurch ein zusätzlicher wettbe-
erbsfähiger Arbeitsplatz in Deutschland entstehen
ürde.
Der damit in Aussicht gestellte Bürokratieabbau er-
eist sich zudem als Bumerang. So bringen die Vor-
chriften für die Mehrzahl der wenigen, die durch die
inführung der Regelung begünstigt werden sollen, ei-
en erheblichen Bürokratiemehraufwand.
m in die Gunst des Vorteils zu gelangen, muss der
teuerpflichtige seinen Gewinn in zweifacher Weise er-
itteln, um überhaupt abschätzen zu können, welche
ethode für ihn günstiger ist. Zudem muss selbst bei In-
nspruchnahme der pauschalen Gewinnermittlung eine
chattenbuchführung erfolgen, um die Einhaltung der
nterschiedlichen Grenzbeträge, die Sie in Ihrem Ge-
etzentwurf vorgesehen haben, zu kontrollieren.
Fazit: Wir hoffen, dass in diesem Gesetz nur die
ernünftigen Elemente, die Sie insbesondere in Art. 4
ormuliert haben, im weiteren Gesetzgebungsverfahren
erwirklicht werden und darüber hinaus endlich Maß-
ahmen zu einer wirksamen Steuervereinfachung und
entlastung Platz greifen. Hierzu zählt vor allem eine
chte Gemeindefinanzreform, die den Kreis der Ge-
erbesteuerzahler nicht noch erweitert, sondern endlich
ur Abschaffung der bürokratielastigen und konjunktur-
nfälligen Gewerbesteuer führt, nicht nur für den kleinen
ersonenkreis, den Sie heute definiert haben, sondern für
lle Unternehmen in Deutschland. Das würde dem Mit-
elstand helfen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Simone Violka voner SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! In unserem Land gibt es viele innovativeund leistungsfähige Menschen, völlig unabhängig vonihrem Alter, ihrem Geschlecht und ihrer Nationalität.Aber leider stehen viele dieser Menschen außerhalb derArbeitswelt oder sind an Stellen eingegliedert, an denensie ihre Fähigkeiten nicht voll entfalten können. Wasliegt also näher, als diesen Menschen unter die Arme zugreifen und ihnen zu helfen, einen eigenen Weg zu ge-hen?Doch aufgrund vieler bürokratischer Hürden scheutenbisher viele Menschen die Inanspruchnahme dieserMöglichkeit. Grund sind die bürokratischen Hürden, dieim Bund durch 16 Jahre CDU/CSU-Regierung und29 Jahre FDP-Mitregierung kontinuierlich aufgebautwurden. Diese bürokratischen Hürden machen aber auchin den einzelnen Bundesländern den innovativen Men-schen das Leben schwer und existieren nicht unbedingtaufgrund der Gesetzeslage.Ich komme aus Sachsen und kann davon ein Lied sin-gen. Dass auch in Sachsen Ausnahmen möglich sind,kann man derzeit am Beispiel der CDU-SozialministerinChristine Weber sehen. Hier wurden bürokratische Hür-den einfach tiefer gelegt, damit Frau Weber noch schnellFluthilfegelder für Regenwasserschäden bekommenkonnte. Als Mitglied des Kabinetts wusste sie, dass sichder Freistaat Sachsen gegen die Anerkennung von Re-genwasserschäden ausgesprochen hatte. Also war Eilegeboten. Bei allen anderen Anträgen mit gleicher Sach-lage – auch von Mittelständlern und Kindergärten –wurde erst geprüft und vor Ort kontrolliert. Somit entfieldie Förderung, weil mittlerweile durch die Veränderungder Verwaltungsvorschrift in Sachsen Regenwasserschä-den nicht mehr als Flutschäden anerkannt wurden. Mansieht also: Nicht immer ist die Gesetzeslage der Grundfür eine langsame Bearbeitung oder eine aufgeblähte Bü-rokratie.Aber da nicht alle über die Möglichkeiten der sächsi-schen Sozialministerin verfügen, will die Bundesregie-rung, unterstützt durch die rot-grüne Koalition, mit demKleinunternehmerförderungsgesetz neben anderen Maß-nahmen auch Bürokratie allgemeinverbindlich abbauen.Gerade Menschen, die sich entschließen, sich selbststän-dig zu machen, brauchen Unterstützung. Sie brauchenanfangs ihre ganze Zeit und Kraft für die Akquirierungvon Aufträgen, nicht für die Befriedigung des Finanz-amtes.Deshalb haben wir unter anderem eine vereinfachteGewinnermittlungsmöglichkeit für Existenzgründerund Kleinunternehmer geschaffen. Nach der Vereinfa-chungsregelung darf der Kleinunternehmer pauschal dieHälfte seiner Betriebseinnahmen als Betriebsausgabenabziehen. Der unter die Regelung fallende Steuerpflich-tige muss lediglich seine Betriebseinnahmen einschließ-lich seiner Entnahmen aufzeichnen und wird von weitergehenden Steueraufzeichnungspflichten entlastet. Damitmöglichst viele davon profitieren, haben wir die Grenzenerheblich angehoben: die Umsatzgrenze von bisher260 000 Euro auf 350 000 Euro, die Wirtschaftswert-gGszdsnaAvmuWeibdibdlWuuatcEmSsg11tvdDhValnbsw
enn das Geschäft gut läuft, die Betriebe expandierennd sich vergrößern, dann ist das zwar sehr begrüßens-nd wünschenswert, aber wir dürfen doch nicht so tun,ls gebe es nicht die Kleinen, die es nie über die genann-en Grenzen hinaus schaffen werden. Denen ermögli-hen wir eine möglichst unbürokratische selbstständigexistenz, die sie unter der jetzigen, von Ihnen übernom-enen Gesetzeslage nicht in Betracht ziehen.Sie zielen immer wieder auf Steuerentlastungen ab.chauen Sie sich doch einmal die Einkommensteuer-ätze in Ihrer Regierungszeit an! Bei Ihnen lag der Ein-angssteuersatz bei 25,9 Prozent, wir haben ihn auf9,9 Prozent gesenkt und senken ihn weiter auf5 Prozent.Herr Professor Pinkwart hat den Abbau von Subven-ionen angesprochen. Ich frage mich, warum das Steuer-ergünstigungsabbaugesetz im Bundesrat blockiert wor-en ist. Dort ging es um den Abbau von Subventionen.
amit haben Sie den Kommunen Beträge in Milliarden-öhe verweigert. Diese Mittel stehen den kommunalenertretungen nun nicht zur Verfügung. Sie helfen damituch dem Mittelstand nicht, weil Aufträge nicht ausge-öst werden können. Vielleicht sollten Sie sich das dasächste Mal überlegen, bevor Sie im Bundesrat wiederlockieren, damit Sie nicht später genau das fordern, waschon im Gesetzentwurf stand. Das ist unlogisch undird auf lange Zeit nicht tragbar sein.
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Simone ViolkaWir wollen mit unserem Gesetz den Kleinunterneh-mern und Mittelständlern helfen und die Finanzausstat-tung der Unternehmer verbessern. Wir passen uns an an-dere Länder an, in denen es schon längst üblich ist, dassdie Liquidität der Kreditinstitute verbessert wird, in-dem sie Kreditforderungen verbriefen und durch Zweck-gesellschaften am Kapitalmarkt platzieren. Damit wirdder Nachteil beseitigt, dass auf bestimmte Fremdmittelzu zahlende Entgelte als Dauerschuldzinsen erfasst wer-den. Das verbessert die Finanzierungsbedingungen derWirtschaft, weil den Unternehmen mehr Kapital zur Ver-fügung steht und die Banken eine bessere Eigenkapital-basis bekommen. Eventuelle Umgehungstatbestände undMissbrauch werden schon allein dadurch vermieden,dass nur Kapital anerkannt wird, das tatsächlich ausge-liehen wird. Andere übliche betriebliche Transaktionenwerden nicht berücksichtigt.Nicht unerwähnt lassen will ich die finanziellen Aus-wirkungen. Denn zugunsten der Kleinunternehmen ver-zichten wir im Jahr 2003 auf Steuereinnahmen in Höhevon 264 Millionen Euro und bis zum Jahr 2006 wird sichdiese Summe auf 390 Millionen Euro erhöhen. Ichdenke, das sollte es uns wert sein. Ich bitte daher alle,den Kleinunternehmern und Mittelständlern diese Unter-stützung nicht zu verwehren, und hoffe auf Ihre Zustim-mung.
Das Wort hat der Herr Kollege Hans Michelbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Es gibt keinen Zweifel: Die wirtschaftliche Lagedes Mittelstands hat sich auch im Frühjahr 2003 nichtverbessert, sondern weiter verschlechtert.Wenn man diese Debatte verfolgt, meint man, beimMittelstand sei alles in Butter. Aber das Gegenteil ist derFall.
Lediglich 21 Prozent der Mittelständler beurteilen ihreGeschäftslage noch als gut. Viele haben das Gefühl, dasses nicht mehr vorwärts geht. Vor allem die Existenzgrün-der und Kleinunternehmer sind von dieser Abwärtsent-wicklung hart betroffen. Die Zahl der Neugründungensank im Vergleich zum Vorjahr um 4 Prozent. Ange-sichts der verschlechterten Umsatz- und Ertragssituationist die Zahl der Insolvenzen auf 40 000 gestiegen. Dasentspricht einer Zunahme um 17 Prozent und ist ein bis-her einmaliger Negativrekord. Gegenwärtig geht inDeutschland alle 15 Minuten ein Unternehmen Pleite.Allein dadurch werden mehrere Hunderttausend Arbeits-plätze vernichtet.ewkliwPtDfsdvsrMAvWsSszoEEZtMDEbgdKdcs
ir erleben in diesen Wochen geradezu einen gesell-chaftspolitischen Generalangriff von Rot-Grün auf dieelbstständigen.
Der Irrweg der Bundesregierung zulasten der mittel-tändischen Wirtschaft führt von den Wettbewerbsver-errungen der Ich-AG zur Zerschlagung der Handwerks-rdnung, zur Einführung einer Ausbildungsteuer, zurrhöhung der Erbschaftsteuer, zur Revitalisierung undrhöhung der Gewerbesteuer und zur immer weiterenunahme der Lohnnebenkosten, zu Steuer- und Bürokra-ielasten. Diese Liste der Marterinstrumente gegen denittelstand ließe sich jederzeit verlängern.
ieser Kurs ist ein Crashkurs gegen den Mittelstand.
Weder die Agenda 2010 noch die großsprecherischeninzelaktionen unter dem Titel „Mittelstandsförderung“ieten einen zufrieden stellenden Lösungsansatz. Sie ja-en sozusagen jede Woche eine neue Worthülse durchas Regierungsviertel.Heute soll es ein halbherziges, völlig unzureichendesleinunternehmerförderungsgesetz richten. Nur die För-erbankenneustrukturierung und die Asset-Backed-Se-urity-Gesellschaften und -Transaktionen
ind von der Union mit zu tragen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4149
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Hans MichelbachDas Kleinunternehmerförderungsgesetz zeigt: Dierot-grüne Flickschusterei geht weiter. Teilweise ist nureine Scheinförderung vorgesehen. Hinter dem großspre-cherischen Etikett der Mittelstandsförderung verbirgtsich eher ein Etikettenschwindel als eine wirkliche För-derung.
Ich versichere Ihnen aus meiner praxisnahen Erfah-rung:
Das Kleinunternehmerförderungsgesetz, das heute ver-abschiedet wird, ist nicht in der Lage, den Rückgang derZahl von Existenzgründungen aufzuhalten und die Ein-dämmung der Schattenwirtschaft zu erreichen sowie dieÜberforderung der kleinen und mittleren Betriebe undden Anstieg der Insolvenzzahlen zu verhindern. DiesenAnspruch erfüllt das Gesetz bei weitem nicht. Es ver-kennt den gewaltigen Reformbedarf für mehr Wachs-tum und Beschäftigung. Es verkennt auch den ganzheit-lichen Förderungsbedarf im Mittelstand und denHandlungsbedarf insbesondere für eine grundsätzlicheVereinfachung des Steuersystems. Es verkennt zudem,dass nur mit einer erheblichen Reduzierung der Büro-kratiebelastung für alle Unternehmen und Bürger daswirtschaftliche Wachstum verstärkt und neue Beschäfti-gung geschaffen werden kann.Mit dem Kleinunternehmerförderungsgesetz versuchtdie Regierung – wieder einmal erfolglos –, an Sympto-men herumzukurieren. Es werden aus ideologischenGründen falsche Weichenstellungen vorgenommen. Die-ses Gesetz wird weitere Wettbewerbsverzerrungen inunserem Land hervorrufen. Sie sind in der Wirtschaftspo-litik völlig von der Rolle; denn es kann doch nicht sein,dass ein Handwerksmeister mit Mitarbeitern keine Auf-träge mehr bekommt, weil sein ehemaliger Geselle, dernebenan eine Ich-AG mit staatlicher Förderung gegründethat, sie ihm alle wegnimmt. Das ist doch ein Wider-spruch. Das entspricht allenfalls dem rot-grünen Gesell-schaftsbild. Aber die Etablierung von Selbstständigkeits-tagelöhnern anstelle stabiler Existenzen kann doch nichtallen Ernstes unser Weg in die wirtschaftspolitische Zu-kunft sein.
Die Leistungsträger und nicht die ideologischen Selbst-ständigkeitsvorstellungen von Rot-Grün sollten geför-dert werden. Es sollte Freiraum für alle Betriebe undweniger staatliche Bevormundung geben. Durch Luft-buchungen, Worthülsen und Scheinförderung lässt sichdie Situation jedenfalls nicht verbessern.Für wen ist dieses Gesetz eigentlich gedacht?99 Prozent der mittelständischen Existenzen haben nureine Nettoumsatzrendite von bis zu 10 Prozent. Sie se-hen nun einen pauschalierten Betriebsausgabenabzugvon 50 Prozent der Betriebseinnahmen vor. Davon profi-tiert der größte Teil des Mittelstandes nicht. Das wecktbei Existenzgründern außerdem völlig falsche Erwartun-gen; denn einen pauschalierten Betriebsausgabenab-zglwNdcdkszvddiEismgSkeDccskSzdhSudusSehSrM
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4150 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Dr. Sigrid Skarpelis-Sperkdenn alle anderen Reden insbesondere zum Förderban-kenneustrukturierungsgesetz haben erfreulicherweise er-kennen lassen, dass es in diesem Haus einen Konsensgibt.Es ist auch wichtig, dass wir diesen Konsens erreichthaben und diesen Teilschritt gehen. Angesichts einerSchwächephase von Wirtschaft, Arbeitsmarkt,
einer deutlich rezessiven Entwicklung und nicht gerin-gen Problemen auf den Kreditmärkten sind dieses Geset-zeswerk und diese Fusion ein wichtiger Teilschritt, umdie Kreditversorgung und die Finanzierungsbedin-gungen gerade für kleine und mittlere Unternehmenzu verbessern, die in einer solchen Situation natürlichdeutlich angespannt sind.Diese Schwierigkeiten sind von der EuropäischenZentralbank übrigens lange heruntergespielt worden.Themen wie die Kreditklemme oder der Credit Crunch,wurden vom Sachverständigenrat und anderen wissen-schaftlichen Beratungsgremien lange nicht zur Kenntnisgenommen. Jetzt aber ist diese Kreditklemme und dieTatsache, dass die Finanzinstitutionen und die Bankenbei der Vergabe von Krediten und Beteiligungskapitalimmer vorsichtiger werden allen offenbar. Umso wichti-ger ist jede Maßnahme, die die monetären Bedingungenfür die Volkswirtschaft und die Unternehmen verbessert.Ich kann es mir nicht versagen, an dieser Stelle anzu-merken, dass der gestrige Zinsschritt der EuropäischenZentralbank überfällig war und dass es uns gefreut hätte,wenn er früher gekommen und mutiger ausgefallenwäre.
Deutschland bringt insbesondere wegen seiner sehrniedrigen Preissteigerungsraten auch jetzt noch, nachdiesem Zinsschritt, ein deutliches Stabilitätsopfer für denEuro und – das muss man deutlich sagen – das geht zu-lasten der Dynamik und der Wachstumsmöglichkeitender deutschen Wirtschaft. Das werden wir auch über öf-fentliche Förderkredite nicht ausgleichen können.
Auch dieser Schritt der Europäischen Zentralbankwird die tief greifenden Veränderungsprozesse in denensich die Angebotsseite des Markts für Finanzierungenbefindet, nicht aufheben können. Der scharfe Wettbe-werb im deutschen Bankwesen, das im Vergleich andererLänder ein dichtes Zweigstellennetz mit hohen Kostenhat, ist die eine Seite der angespannten Lage. Die andereSeite ist, dass die hohen Gewinne der Boom-Phasen inden 90er-Jahren nicht zur Lösung der Strukturproblemeder Banken genutzt worden sind. Stattdessen wurdenschwerwiegende Fehler gemacht, die nun voll auf denBilanzen lasten. Im Kreditgeschäft mussten die Bankensteigende Ausfälle verkraften. Es schlägt sich auch in ei-ner sehr viel restriktiveren Kreditvergabe nieder. Dasbedeutet, dass die Kreditinstitute die Risikostruktur ihrerAusleihungen massiv verbessern und ihre Kreditportfo-lios insgesamt sehr deutlich herunter fahren – zulastendEdCahskVpfdBvsFwdPmtuMdtswbrdwdjddFwegtnAUtRhu
Die Senkung der Bearbeitungs- und Prozesskosten so-ie die Herstellung größerer Transparenz bei den För-erprogrammen werden bei der neu fusionierten Banketzt schon angegangen – Gott sei Dank im Vorgriff aufas Gesetz, das wir heute verabschieden. Das ist notwen-ig. Ich freue mich, dass alle diese Schritte von allenraktionen in diesem Haus voll und ganz mitgetragenerden.Vieles ist schon auf den Weg gebracht worden; abers bleibt auch noch vieles zu tun, gerade bei der Beteili-ungsfinanzierung, die neben dem Bankkredit die wich-igste Finanzierungsquelle kleinerer und mittlerer Unter-ehmen ist. In diesem Zusammenhang möchte ich zumbschluss ein warnendes Wort sagen. Wir haben imnterausschuss „ERP“ heute früh die Probleme der Be-eiligungsfinanzierung diskutiert. Vieles, was mit hohenisiken verbunden ist, wird nicht zulasten des Bundes-aushalts finanziert werden können.Wenn die Eigenkapitalausstattung vieler kleinernd mittlerer Unternehmen so bleibt, wie sie ist, dann
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Dr. Sigrid Skarpelis-Sperkmuss man sich auch fragen, ob das deutsche Steuer-, Un-ternehmens-, Bilanz- und Insolvenzrecht nicht dazuführt, dass Vermögenswerte nicht als Eigenkapital in Un-ternehmen gesteckt, sondern in der privaten Sphäre ge-halten werden.
Dies werden die Förderbanken durch die ihnen zur Ver-fügung stehenden öffentlichen Mittel nicht ausgleichenkönnen. Wir werden uns vielmehr überlegen müssen,wie wir dieses Problem gemeinsam lösen können.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so-wie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfevon Gesetzen zur Neustrukturierung der Förderbankendes Bundes auf den Drucksachen 15/743, 15/902 und15/949. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1127, diegenannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Neustrukturie-rung der Förderbanken des Bundes in der Ausschussfas-sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzin der Ausschussfassung zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-nommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die diesemGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Stimmt jemand dagegen? – Enthaltungen? – Ich stellefest, dass dieser Gesetzentwurf auch in dritter Lesungeinstimmig angenommen ist.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 15/1127 empfiehlt der Ausschuss die Annahme ei-ner Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmender Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-tion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über die vonden Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen sowie der Bundesregierung eingebrachtenEntwürfe von Gesetzen zur Förderung von Kleinunter-nehmern und zur Verbesserung der Unternehmensfinan-zierung, Drucksachen 15/537 und 15/900. Der Finanz-ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 15/1042, die genannten Gesetzentwürfe alsGesetz zur Förderung von Kleinunternehmern und zurVerbesserung der Unternehmensfinanzierung in der Aus-schussfassung anzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSUverlangt dazu getrennte Abstimmungen.Wir kommen deshalb zunächst zu Art. 1 bis Art. 3 inder Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die diesenAsbSmbHenÜdssdSvuGhhKußtpmtEbgAid
– Drucksache 15/932 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussHaushaltsausschuss gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu hörech keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächster Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr. Wir begehenin diesem Jahr ein Jubiläum, und zwar das Jubiläum desVolksaufstandes in der damaligen DDR am 17. Juni1953.Ich möchte heute als Einstieg Ihre Aufmerksamkeitauf die damaligen Akteure lenken. Wer waren denn dieLeute, die damals auf der Stalinallee in Berlin, aber auchin vielen anderen Städten Ostdeutschlands auf die Straßegegangen sind, zuerst die Rücknahme der Normerhöhun-gen und dann den Rücktritt der Regierung gefordert ha-ben? Das waren Menschen, die damals schon einigeshinter sich hatten: Sie sind mit 18 oder 20, etliche schonmit 16, in den Zweiten Weltkrieg gejagt worden und ha-ben dort Dinge erlebt, die sie im Laufe ihres Lebenskaum verarbeiten konnten. Sie haben Tod und Elend ge-sehen und kamen, als sie nach Deutschland zurückkehr-ten, in ein Land, in dem alles in Trümmern lag.Die Leute, die aus der Gefangenschaft wieder in ihreostdeutsche Heimat zurückgekehrt sind, hätten natürlichauch gern ein neues Leben nach den Regeln einer sozia-len Marktwirtschaft begonnen. Es war ihnen nicht mög-lich. Sie sahen sich mit einer ihnen schon bekannten Si-tuation konfrontiert: Eine beginnende totalitäre Diktaturnahm ihr Leben immer mehr in Besitz. Nun haben dieseMenschen, die in ihrem Leben schon Kämpfe ausgefoch-ten hatten, die wir uns alle wahrscheinlich nicht vorstel-len können, erneut gewagt zu sagen: Nicht mit uns! Wirstellen uns diesen Dingen entgegen! – Sie sind auf dieStraße gegangen und ihr Aufstand ist schließlich von derStaatsgewalt blutig niedergeschlagen worden. Das ge-schah am 17. Juni. Ich habe vor diesen Menschen einenhohen Respekt.
Es handelt sich hierbei um die Generation unserer El-tern, denen wir alles, was wir sind, zu verdanken haben.Meine Damen und Herren, wie ist es dann weiter-gegangen? Diejenigen, die es damals gewagt hatten, derStaatsmacht zu widersprechen, mussten nicht nur dieKonsequenz tragen, vielleicht zurückgeprügelt zu wer-den, was schon schlimm genug gewesen wäre. Nein, inaller Regel hatten sie Konsequenzen in Bezug auf dieAusbildung zu ertragen: Sie sind von den Schulen undUniversitäten geflogen. Jemand, der gehofft hatte, Arztoder vielleicht einmal Klinikdirektor zu werden, konntevielleicht nur noch Krankenpfleger werden. Der Kol-lege, der nicht mit auf die Straße gegangen ist, der Kom-militone, der auf diese Weise seinen Studienplatz behal-ten konnte, hat einen seiner Begabung entsprechendenBeruf ergreifen und ausüben können. Es sei ihm herzlichgegönnt. Jetzt hat er auch die entsprechenden Rentenan-sprüche. Der andere hingegen, der Krankenpfleger ge-worden ist, der einen Einsatzwagen gefahren hat, derseine Lebensperspektiven drastisch zurückschneidenmusste, der seiner Familie nicht das bieten konnte, waser als Arzt hätte bieten können, musste bei seiner Verren-tnmZrkmhhhhvwiwfdtdwrBvtsRcssjtgemFddtbrgaR
Der Herr Bundespräsident hat vor kurzem eine Brief-arke vorgestellt, die an den 17. Juni erinnern soll. Erat sinngemäß gesagt: Viele Opfer des DDR-Regimesaben nicht bekommen, worauf sie Anspruch gehabtätten. Das sind die Worte von Bundespräsident Rau. Erat Recht.
Das ist auch den Kollegen im Deutschen Bundestagon Anfang an bewusst gewesen. Aus diesem Grundeollte man zunächst einmal das Ausmaß der Repressionn der damaligen DDR zweifelsfrei feststellen. Deshalbar es richtig, dass eine Enquete-Kommission einberu-en wurde. Sie hat als Ergebnis ihrer Arbeit gefordert,ass die personelle Würde der von Unrecht und Leid Be-roffenen wiederhergestellt wird; dazu gehören sowohlie öffentliche Würdigung der Opfer als auch die Not-endigkeit, ihnen, so irgend möglich, nachträglich Ge-echtigkeit widerfahren zu lassen. Das hat der Deutscheundestag so beschlossen.
Meine Damen und Herren, nach 13 Jahren Wieder-ereinigung hat sich der Bundespräsident zu diesen Wor-en veranlasst gesehen. Wir müssen nach 13 Jahren deut-cher Einheit feststellen, dass die Folgen der 40-jährigenepression insbesondere im sozial- und rentenrechtli-hen Bereich für die Verfolgten nach wie vor spürbarind und dass diese Defizite dann besonders peinlichind, wenn man sie mit der relativen Besserstellung der-enigen vergleicht, die dieses System maßgeblich mitge-ragen haben.Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht die Ver-angenheit bis ins Kleinste aufrollen. Aber ich will hierines sagen, vor allem an die Adresse unserer sozialde-okratischen und grünen Kollegen: Die CDU/CSU-DP-Regierung hat einige Schritte unternommen, umieses Unrecht zu beseitigen. Es ist aber nicht vollstän-ig gelungen. Ich betrachte das als Defizit. Wenn Sie kri-isieren, dass wir das zu unserer Zeit nicht geschafft ha-en, dann kritisieren Sie das zu Recht.Ich möchte auch nicht, dass unsere Suche nach demichtigen Weg in einen Schlagabtausch zwischen der Re-ierungskoalition und den Oppositionsfraktionen aus-rtet. Es ist richtig: Die Oppositionsfraktionen haben dieegierung zu kontrollieren und Alternativen vorzulegen.
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Arnold VaatzDoch in diesem Punkt wollen wir Sie nicht kontrollierenund auch keine Alternative vorlegen, sondern wir wollenSie einladen, mit uns gemeinsam eine Lösung zu findenfür Demokraten wie wir, die etwas für diesen Staat getanhaben. Sie sollen sich nicht länger zurückgesetzt, son-dern anerkannt und angenommen fühlen. Wir laden Sieein, gemeinsam mit uns eine Lösung dafür zu finden.
Wir bitten Sie, die Tür für ein gemeinsames Handeln beidieser Einbringungsdebatte nicht zuzuschlagen.Es ist keine saubere Argumentation, wenn Sie sagen:Das Gleiche haben wir vor etlichen Jahren von der Regie-rung Kohl verlangt, aber die Regierung Kohl hat uns dasverweigert. Deswegen verweigern wir jetzt eine Mitar-beit, bei dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion. –Mit dieser Argumentation würden Sie einräumen, dassSie schon damals nicht aufrichtig gewesen sind.
Es geht nicht um die Anliegen der Opposition und auchnicht um die Anliegen der Regierung. Es geht um dieAnliegen der Benachteiligten des DDR-Regimes.
Wir legen im Prinzip nichts Neues vor; denn wir ha-ben über dieses Thema in diesem Haus schon sehr oftgesprochen.
Der Weg, der bisher beschritten worden ist, ist nichtfalsch gewesen. Mit dem Ersten SED-Unrechtsbereini-gungsgesetz wurde das gröbste Unrecht geheilt. DasZweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das ebenfallsunter der CDU/CSU-FDP-Regierung verabschiedetwurde, hat etliche Rehabilitierungsmöglichkeiten ge-schaffen. All das waren Schritte in die richtige Richtung.Alle zu Zeiten der DDR erworbenen Sozialversiche-rungsansprüche, die jedermann erwerben konnte – ichnenne beispielsweise die freiwillige Zusatzrente – wur-den ausnahmslos und in vollem Umfang übertragen. Al-lerdings mussten die Verfolgten mit ansehen, wie dieEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1999umgesetzt wurde: Mit dem Zweiten Gesetz zur Än-derung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwart-schaftsüberführungsgesetzes wurden die Ansprüche undAnwartschaften aus den Zusatz- und Sonderversor-gungssystemen der DDR zugunsten bestimmter Perso-nenkreise in die gesetzliche Rentenversicherung deswiedervereinigten Deutschlands überführt. Damit wur-den Rentenansprüche und Anwartschaften für Re-präsentanten der DDR, die andere Menschen unter-drückt haben – ich nenne beispielsweise Angehörige desMinisteriums für Staatssicherheit –, angehoben. Das istdie Realität.
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4154 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Nun hat das Wort die Kollegin Silke Stokar für Bünd-is 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 50 Jahrehaben wir gebraucht, um einen Weg zu finden, den17. Juni 1953 gemeinsam angemessen und öffentlich zuwürdigen. Wir haben eine spannende Diskussion überdie Bewertung dieses Datums. Manche reden von einerdemokratischen Erhebung, manche gar von einer sozial-demokratischen Erhebung. Vielleicht war es auch ein re-volutionärer Arbeiteraufstand. Es finden viele spannendeVeranstaltungen und Diskussionen statt.Ich denke, dass auch dies eine Form der Würdigungder Menschen ist, die damals nicht nur den Mut hatten,gegen die Arbeitsnormen aufzutreten, sondern die fürDemokratie und Freiheit kämpften und mit der Forde-rung nach Freiheit für die politischen Gefangenen, die esauch schon vor dem 17. Juni gab, auf die Straße gingen.Es ist hier gesagt worden: Ihren Mut mussten diese Men-schen teuer bezahlen. Das Ergebnis waren zerstörte Le-bensläufe und zerstörte Gesundheit durch die Unrechts-haft, die sie erleiden mussten.Es fällt mir immer wieder schwer, zu diesem Themaeine Rede zu halten. Ich habe auch die vergangenen Aus-einandersetzungen um das SED-Unrechtsbereinigungs-gesetz nur nachlesen können. Ich weiß, dass fast alle Ar-gumente mehrfach ausgetauscht worden sind. Ichmöchte das nicht fortsetzen, weil es den Opfern nicht ge-recht würde, wenn wir uns gegenseitig die Versäumnisseder Vergangenheit vorwerfen würden. Es würde den Op-fern ebenso nicht gerecht, wenn Sie von der Oppositionder rot-grünen Bundesregierung vorwerfen würden, dassdie Schritte, die wir gemacht haben, zu klein gewesensind.Ich würde in einer Rede lieber ausführen, dass wirüber die finanziellen Ressourcen für Pensionen verfü-gen. Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört für mich, zu sa-gen: Ja, wir erkennen die Opfer an. Ich habe wirklichgroßes Verständnis für die vielen enttäuschten und ver-bitterten Menschen, die zu mir und meiner Fraktionkommen und die Forderung nach Ehrenpensionen auf-rechterhalten.Wir haben mit der Stiftung einen finanzierbaren undverlässlichen Weg eingeschlagen; das zu sagen gehörtebenfalls zur Ehrlichkeit der Debatte. Rot-Grün hat inden vergangenen Jahren mit mehreren Nachbesserungs-gesetzen zumindest den Versuch unternommen, Härte-fälle, die in der Praxis entstanden sind, abzumildern.Die Ergebnisse sind nicht befriedigend und könnenauch nicht befriedigend sein. Aber Ihre Forderungen – daswissen Sie sehr genau – sind nicht finanzierbar. Sie woll-ten von uns hören, mit welchen weiteren Vorstellungenwir in die Beratung gehen. Dazu gehört selbstverständ-lich, dass wir die Antragsfristen verlängern und die Ver-fahren zur Anerkennung gesundheitlicher Schäden – darü-ber gab es Klagen – überprüfen. Wir werden permanentdie Härtefälle überprüfen, weil wir dafür sorgen wollen,dass die Opfer nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind.
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Das Wort hat nun der Kollege Rainer Funke, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um esleich vorwegzunehmen: Die FDP-Bundestagsfraktionegrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf der Union vomrundsatz her.
Die Opfer politischer Verfolgung in der SBZ bzw. derDR warten bis zum heutigen Tag auf eine angemesseneinanzielle Wiedergutmachtung für ihr erlittenes Schick-al. Wir als FDP haben bereits in der alten Koalition mithnen, meine verehrten Kollegen von der Union, ver-ucht, den Opfern der politischen Verfolgung zu helfen.ber leider – das muss ich Ihnen ins Stammbuch schrei-en – sind unsere Bemühungen immer an einem, näm-ich an Herrn Dr. Waigel, gescheitert.Umso mehr freut es uns, dass Sie nun von sich aus dienitiative ergriffen haben. Dass hieran das Bundesver-assungsgericht mit seiner Entscheidung vom 28. April999 einen gewissen Anteil hatte, als es zu den Fragener Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaftenus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDRn die gesetzliche Rentenversicherung des wiederverei-igten Deutschlands Stellung nahm, sollten wir an diesertelle der Ehrlichkeit halber sagen.Wir Liberale sind uns völlig einig: Der Gesetzgeberuss im Hinblick auf den bevorstehenden 50. Jahrestages Aufstandes vom 17. Juni 1953 endlich die herausra-ende Bedeutung des Einsatzes der Betroffenen bei ihremiderstand gegen die zweite deutsche Diktatur würdigen.
ir müssen endlich die gesellschaftliche Bedeutung die-es Einsatzes für eine rechtsstaatliche und freiheitlicheemokratie würdigen. Ziel muss es sein, gerade dieichtigkeit dieses mutigen Eintretens auch für unsereeutige Demokratie im wiedervereinigten Deutschlanderauszustellen. Der von diesen Menschen bewusst ge-agte Einsatz ihres Lebens für Freiheit und Demokratiend die Inkaufnahme erheblicher sozialer Nachteileuss vom wiedervereinigten deutschen Staat endlich an-emessen gewürdigt werden.Ob dies in der Art und Weise geschehen muss, wie esm Gesetzentwurf von CDU/CSU vorgeschlagen wird,ird man im Innen- und Rechtsausschuss noch diskutie-en. Wir sollten uns im Rechtsausschuss, der sich feder-
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Rainer Funkeführend mit der Thematik zu beschäftigen hat, darüberGedanken machen, wie die Betroffenen möglichst unbü-rokratisch an die ihnen so lange vorenthaltene Rente ge-langen können. Ob die Staffelung des Rentensatzes derrichtige Weg ist, darüber müssen wir diskutieren.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hacker für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Bevor ich auf die Bewertung des vorlie-genden Gesetzentwurfes eingehe, möchte auch ich nocheinmal meine Gedanken in das Jahr 1953 schweifen las-sen. In wenigen Tagen jährt sich zum 50. Mal der Tag,an dem Männer und Frauen in Ostberlin, Leipzig, Chem-nitz und anderen Städten auf die Straße gegangen sindund sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einge-setzt haben. Ich glaube, viele von ihnen haben schon da-mals den Gedanken an die deutsche Einheit im Herzenund im Kopf getragen.In der friedlichen Revolution in der DDR imHerbst 1989 und in der deutschen Wiedervereinigungam 3. Oktober 1990 hat sich dieser historische Auftragfür uns, die wir das SED-Regime nicht wollten, erfüllt.Dafür haben sich auch viele Mitglieder dieses Hauseseingesetzt. Heute gilt unser Gedanke in erster Linie denMännern und Frauen, die am 17. Juni 1953 auf derStraße gegen die SED-Diktatur und die Sowjets demons-triert haben.Die Politik in Deutschland hatte und hat den morali-schen Auftrag, diese Opfer nicht zu vergessen. Die letztedemokratisch gewählte Volkskammer hatte sich dieserThematik gestellt. Wir haben diese Thematik anschlie-ßend sehr zögerlich und mit einschränkenden Vorgabender damaligen Bundesregierung diskutiert.Herr Funke, ich wundere mich ein wenig darüber,dass Sie heute als Verantwortliche für diese auch damalsschon erkennbar unbefriedigende Gesetzgebung dieUnion nennen. Bei Ihnen war zwar eine größere Bereit-schaft zur Öffnung zu erkennen. Aber auch Ihnen mussich ins Stammbuch schreiben, dass Sie sich nicht konse-quent genug eingesetzt haben. Ich denke hier nur an dieerniedrigende Diskussion über die Zwangausgesiedelten,die von FDP und Union nicht in das Verwaltungsrechtli-che Rehabilitierungsgesetz aufgenommen werden soll-ten.
Wir haben es am Ende anders gemacht; aber zuvorgab es schwierige und quälende Diskussionen. Wir dür-fen das heute nicht vergessen.Mein zentraler Vorwurf geht dahin, dass bei der da-maligen Gesetzgebung eine Spaltung der Opfer nach ih-rgdKhs5BBgBImnpMs–MgsKeSDfwlebdhsGZgnN1mtgb
Sie haben überhaupt nicht an die Angehörigen derje-igen gedacht, die in den Gefängnissen im Rahmen ihrerolitischen Haft umgekommen sind bzw. wenige hunderteter von hier entfernt in der Spree erschossen wordenind.
Lieber Herr Büttner, das will ich Ihnen sagen. Dieseängel, die Sie produziert haben und die bei den Opfer-ruppen berechtigterweise zu Frustration und Enttäu-chung geführt haben, haben wir beseitigt.
Wir haben mit der Novelle 1999 eine einheitlicheapitalentschädigung in Höhe von 600 DM für alleingeführt. Ich wiederhole noch einmal die Position derPD, die lautet: Ein Jahr Bautzen ist ein Jahr Bautzen.a kann man nicht danach differenzieren, ob die Betref-enden später in Bochum oder in Dresden gelebt haben.
Wir haben Ihnen immer wieder deutlich gemacht,elchen Widerspruch Sie produziert haben mit der mil-iardenschweren vermögensrechtlichen Regelung auf derinen und den Defiziten in der Entschädigungsgesetzge-ung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze auf der an-eren Seite.Wir haben für die Menschen, die Angehörige verlorenaben, etwas getan. Diese haben heute Zugang zu Ent-chädigungsleistungen. Wir haben für eine bestimmteruppe von Opfern der Nachkriegszeit, die deutschenwangsarbeiter, etwas getan. Zum Thema Entschädi-ung der deutschen Zwangsarbeiter haben Sie gestern ei-en Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht.ehmen Sie zur Kenntnis, dass wir mit der Novelle von999 gerade für die deportierten Zivilisten aus den ehe-aligen deutschen Ostgebieten Entschädigungsleis-ungen eingeführt haben, die von Ihren Vorstellungenravierend abweichen. Wir haben die Höhe der Fonds-eiträge für die Stiftung für ehemalige politische Häft-
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Hans-Joachim Hackerlinge verfünffacht und haben in den Folgejahren jährlich– auch im letzten Jahr – Millionenbeträge für die Stif-tung bereitgestellt. Das sind die Tatsachen. An diesenTatsachen dürfen Sie nicht vorbeigehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Funke?
Gerne, Herr Funke.
Nachdem Sie ausführlich dargelegt haben, was Sie in
den letzten Jahren im Einzelnen alles getan haben, muss
ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, im Rahmen dieses Ge-
setzes, dessen Entwurf Ihnen vorliegt, für die Betroffe-
nen konkret etwas zu tun?
Herr Funke, auf diese Frage kann ich Ihnen klipp und
klar antworten: Wir sind bereit, etwas zu tun; das hat
eben schon der Vorredner aus meiner Fraktion gesagt.
Wir werden die Antragsfristen verlängern. Wir werden
darauf achten, dass die Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung
gestellt bekommt, um zu verhindern, dass die Opfer in
die Sozialhilfe abrutschen. Wir haben nach dem Berufli-
chen und nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsge-
setz Ausgleichsleistungen und Unterstützungsleistungen
vorgesehen.
Mein Appell richtet sich heute an die Opferverbände
und an diejenigen, die persönlich betroffen sind, jetzt
ihre Anträge zu stellen und die Antragsmöglichkeiten
auch auszuschöpfen. Noch immer bekommen wir jähr-
lich aus den neuen Ländern Tausende von Anträgen auf
Rehabilitierung und Entschädigung. Wir wollen, dass
das Geld fließt. Wir werden denjenigen, die es, aus wel-
chen Gründen auch immer – Traumatisierung und andere
Gründe spielen eine Rolle –, nicht schaffen, in diesem
Jahr einen Antrag zu stellen, durch eine mehrjährige Ver-
längerung der Antragsfrist die Chance geben, auch wei-
terhin Anträge stellen zu können.
Die Stiftung ist bei uns in guten Händen. Wir setzen
uns dafür ein, dass diese Stiftung ausreichend ausgestat-
tet wird.
Einen Punkt, der heute schon angesprochen wurde,
will ich verdeutlichen: So sehr wir uns dagegen gewehrt
haben, dass Opfergruppen gegeneinander ausgespielt
werden, so sehr muss ich mich dagegen wehren, dass wir
durch dieses Gesetz, wenn wir es umsetzen, eine Spal-
tung der Opfer des NS-Regimes und der SED-Opfer her-
beiführen. Das ist vielleicht nicht gewollt, Herr Vaatz, ist
aber Inhalt Ihres Vorschlages. Sie können nicht verlan-
gen, dass wir für eine solche Ungleichbehandlung von
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ir können die Opfer zweier Diktaturen unserer jüngs-
en deutschen Geschichte nicht mit so unterschiedlichen
echtlichen Anspruchsgrundlagen ausstatten. Ich emp-
ehle Ihnen dringend, sich dieser Problematik bewusst
u werden und das bei den weiteren Beratungen im Aus-
chuss zu berücksichtigen.
Herr Kollege, ich mache Sie noch einmal auf Ihre Re-
ezeit aufmerksam.
Jawohl, Herr Präsident.
Abschließend möchte ich sagen: Herr Vaatz, ich
öchte Ihnen dafür danken, dass Sie mit mir, jedenfalls
ußerhalb des Plenums, aber auch hier, bisher sachge-
echt diskutiert haben und dass Sie nicht versucht haben,
iese Bühne zu einem Tribunal umzugestalten.
ch will Ihnen aber sagen: Versuchen Sie nicht, die Poli-
ik gegenüber der Bundesregierung und den Koalitions-
raktionen auf dem Rücken der Opfer der beiden deut-
chen Diktaturen auszutragen!
as haben die Betroffenen nicht verdient. Bleiben Sie in
er Bewertung sachlich! Ich erinnere noch einmal daran:
ie müssen diese beiden Opfergruppen aus dem vorher-
ehenden Jahrhundert gleich behandeln.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/932 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
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Vizepräsident Dr. Norbert Lammerteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksache 15/810 –
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksache 15/1067 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 15/1121 –Berichterstattung:Abgeordnete Marco BülowDoris Meyer
Michaele HustedtAngelika BrunkhorstHierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionder CDU/CSU vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 45 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dasWort dem Bundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir spre-chen heute über eine zielgenaue Lösung für Betriebe, diein besonderer Weise stromintensiv sind und deshalbdurch die Umlage auf erneuerbare Energien bestimmtezusätzliche Kosten haben. Dabei darf sich allerdingsnicht der Eindruck verfestigen, dass der Strom inDeutschland immer teurer geworden sei, weshalb diedeutsche Industrie einen Wettbewerbsnachteil habe. Diesist definitiv falsch.Die von der alten Bundesregierung eingeleitete unddamals von meiner Fraktion – Michaele Hustedt vorne-weg – immer unterstützte Liberalisierung der Strom-märkte hat gerade für die Industriekunden in Deutsch-land beachtliche Folgen gehabt. Zwischen 1995 und2002 ist der Industriestrom in Deutschland um gut einDrittel billiger geworden. In diesem Zeitraum sanken dieIndustriestrompreise um 30 Prozent. Innerhalb der EUwaren es nur 9 Prozent. Zum Vergleich: Die von vielenimmer hoch angesehenen USA hatten im gleichen Zeit-raum eine Steigerung von 7 Prozent zu verzeichnen. Dasheißt, wir können feststellen, dass wir es mit einer Situa-tdpWvKntUsdSddigEVsdul00nwsurdkngwrgrrsmWwaweewgMd
Zweitens. Es kann auch nicht sein, dass die Verfü-ung über das Netz die letzte Schranke für den Wettbe-erb auf dem Strommarkt ist. Mittlerweile liegen meh-ere Urteile gegen diverse Stadtwerke vor. In drei Fälleneht es um den Missbrauch der Netzhoheit. Das Landge-icht Berlin hat festgestellt, dass die Verbändevereinba-ung über den Netzzugang gegen das Kartellrecht ver-tößt. Diese Urteile liegen auf dem Tisch. Das heißt, wirüssen sicherstellen, dass es im Netz tatsächlich zuettbewerb kommt. Dies wird uns nur dann gelingen,enn wir das umsetzen, wozu sich die Bundesregierungusdrücklich verpflichtet hat, nämlich eine Wettbe-erbsbehörde einzurichten.Das ist der Grund für unser Vorschaltgesetz, das fürin Jahr gilt. In der Kombination mit der Verabschiedunginer entsprechenden Verordnung über eine Wettbe-erbsbehörde und der Novelle des Erneuerbare-Ener-ien-Gesetzes werden wir diese Probleme, nämlich denissbrauch von Marktmacht zulasten der Industrie under erneuerbaren Energien, gemeinsam angehen.
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Bundesminister Jürgen TrittinLassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Die-jenigen, die meinen, es sei nun genug für die erneuerba-ren Energien getan, muss ich darauf hinweisen: Heutesparen die erneuerbaren Energien 50 Millionen TonnenCO2 ein. Legt man die Nachhaltigkeitsstrategie unsererBundesregierung zugrunde, werden es bis zum Jahr2010 ungefähr 100 Millionen Tonnen CO2 sein, zehnProzent unseres Emissionsvolumens. Wer diese Ent-wicklung bremsen möchte, wie ich das gelegentlich ausden Reihen der Opposition höre, muss sich an dieserStelle sagen lassen: Es wird in allen anderen Fällen teuer.Die Förderung erneuerbarer Energien hat in diesem Jahrden bundesdeutschen Haushalt im Schnitt ein Euro proMonat gekostet. Eine billigere Variante für Klimaschutzist mir nicht bekannt.Vielen Dank.
Ich erteile der Kollegin Doris Meyer, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Zuletzt haben wir uns Ende Januarin diesem Haus mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetzbeschäftigt. Damals haben wir bei der Debatte zum Er-fahrungsbericht unser Augenmerk allerdings auf diegroße Novelle des EEG gerichtet. Damals sollte eineumfassende Überarbeitung dieses Gesetzes in Angriffgenommen werden. Damals war die Härtefallregelung,um die es heute geht, noch in weiter Ferne. Bundesmi-nister Trittin war komplett gegen eine Härtefallregelung.
Heute müssen wir allerdings feststellen: Er hat einenvölligen Sinneswandel vollzogen.
Wie sonst ließe sich erklären, dass der Entwurf für eineHärtefallregelung für die stromintensive Industrie in ge-radezu überfallartiger Weise vorgelegt wurde? Zwarstimmt die Zielrichtung, in die dieses Vorschaltgesetzsteuert. Doch die gesetzeshandwerkliche Vorgehens-weise bei der kleinen Novelle des EEG überzeugt uns alsUnionsfraktion überhaupt nicht.
Ich werde kurz den Ausgangspunkt für diesen Ent-wurf skizzieren. Durch den Anstieg der Stromeinspeise-vergütungen kam es zu besonderen Belastungen derstromintensiven Industrie; insbesondere die Aluminium-,Chemie-, Zement- und Papierindustrie sind betroffen.DeasgUEw1VvKwzlfWdttSSlgssS2ssteKgwgsdkwKjwttMrsiS
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Sie sollen den Nachweis ihres Stromverbrauchs und derdamit verbundenen Kosten durch Testate von Wirt-schaftsprüfern selbst führen.Ein Zwischenfazit: Verantwortung abgeschoben, neueKosten und Belastungen und Bürokratie erzeugt. Damitbewegen wir uns weg von Deregulierung und Bürokra-tieabbau.
Müssen die Unternehmen nicht schon im Vorfeld die Vo-raussetzungen kennen, nach denen eine maßgebliche Be-einträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit vorliegt? Müs-sen wir nicht den Unternehmen ein Stück mehr Rechts-und Planungssicherheit geben?Die Planungssicherheit führt mich zum nächstenStichwort. Die Prognoseentscheidung nach § 11 a Abs. 3des Gesetzentwurfs, mit der laut Gesetzesbegründungdas Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ar-beiten muss, stellt doch nur einen weiteren Unsicher-heitsfaktor dar.Warum müssen die Anträge auf Befreiung durch dasBundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bearbei-tGdGdkzabAbdelssovFhtsbWldzhdSgdIJg2dmugdz
Zum Ende möchte ich Ihnen noch einmal das Wich-igste aufzeigen: Die juristischen Unklarheiten bei die-em Gesetzentwurf werden uns noch ebenso Kopfzer-rechen bereiten wie die enormen brancheninternenettbewerbsverzerrungen, die durch die Härtefallrege-ung in der jetzigen Ausgestaltung hervorgerufen wer-en. Diese Wettbewerbsverzerrungen dürfen wir nichtulassen. Eine weitere Schieflage muss unbedingt ver-indert werden. Als verantwortungsvolle Parlamentarierürfen wir dieser Flickschusterei nicht zustimmen.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Marco Bülow,
PD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-en! Hier sehen Sie
en Umriss meines Heimatlandes Nordrhein-Westfalen.n dem Umriss sind 210 kleine Sonnen eingezeichnet.ede Sonne steht für zehn Betriebe im Bereich des Anla-ensystembaus für erneuerbare Energien. Es gibt also100 nordrhein-westfälische Unternehmen im Bereicher erneuerbaren Energien, mit wachsender Tendenz.Angesichts der angespannten Lage auf dem Arbeits-arkt in Deutschland und Nordrhein-Westfalen ist esmso positiver, dass die Branche der erneuerbaren Ener-ien in Nordrhein-Westfalen allein in den vergangenenrei Jahren einen Arbeitsplatzzuwachs von circa 30 Pro-ent zu verzeichnen hatte. Bundesweit wurden
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Marco Bülow130 000 Arbeitsplätze gesichert, 80 000 durch dasEEG.
Wir haben allen Grund, die Debatte selbstbewusst undoptimistisch zu führen.
– Das gilt auch für die Härtefallregelung.Das EEG ist sowohl klimapolitisch als auch wirt-schaftspolitisch eine Erfolgsgeschichte.
Dennoch ziehen einige Politiker und Lobbyisten durchdas Land, drucksen gequält „Erneuerbare Energien? Zu-kunftsvision? Schön und gut!“ und betonen vor allem,wie schädlich das EEG für die Wirtschaft sei. Damit zer-reden sie eine der innovativsten Zukunftsbranchen in un-serem Land. Das ist wirtschaftsschädlich. Hören Sie da-mit auf!
– Fühlen Sie sich angesprochen von dem, was ich geradeausgeführt habe?
Schlimmer noch: Sie benutzen falsche Zahlen, über-treiben und manche lügen, ohne rot zu werden. Bei denLobbyisten kann man das vielleicht noch nachvollzie-hen, wenn auch nicht verstehen; bei Politikern halte ichdas für eine Frechheit.Es ist eben nicht wahr, dass durch das EEG die Kos-ten explodieren. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. DieKostenschere zwischen fossilen und erneuerbarenEnergien wird sich schließen, und zwar aus folgendenGründen: Erstens werden die fossilen Energieträger teu-rer. Das ergibt sich schon daraus, dass sie endlich sindund bald zur Neige gehen. Zweitens müssen in dennächsten 25 Jahren 80 Prozent des Kraftwerksparks derfossilen Energieträger erneuert werden. Drittens gibt esfür die erneuerbaren Energien keine Regelungen zum In-flationsausgleich; vielmehr sind im Gegenteil bereitsDegressionsstufen eingebaut und die Förderung wirdstetig weiter reduziert. Viertens finden hier Innovations-schübe statt, von denen andere Energieträger nur träu-men können.Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Im Bereichder Windkraftenergie sind die Erzeugerpreise im gesam-ten Zeitraum um 60 Prozent gesunken. Weil die erneuer-baren Energien immer vorhanden sind und kostenfrei zurVerfügung stehen, werden sie effizienter und kosten-günstiger. Bereits 2006/07 wird die Höchstförderung er-reicht. Danach wird das Fördervolumen absinken.EupgudnmAgWdBMehTasdVfjeümnnfbSd2sFEetmDd
Da ich aus dem Ruhrgebiet komme, weiß ich um dierisanz der energieintensiven Unternehmen, derenahnungen ernst zu nehmen sind. Damit haben wir unsrnsthaft auseinander zu setzen, und zwar nicht nureute, sondern auch in Zukunft. Mir liegen aber auch dieausenden Betriebe der Erneuerbare-Energien-Branchem Herzen. Ich erinnere daran – deswegen ist es einechwierige Diskussion über Grenzen –, dass wir für je-en Betrieb, den wir entlasten, andere Betriebe und dieerbraucher belasten müssen. Deshalb gibt es keine ein-ache Lösung für eine Härtefallregelung; denn man kannede Grenze anzweifeln. Ich meine, unser Vorschlag istine schnelle und ausgewogene Lösung – das wurde unsbrigens vom Bundesrat bestätigt –; nichtsdestotrotzüssen wir sie im nächsten Jahr anhand neuer Erkennt-isse überprüfen.Ich appelliere an Sie: Zerreden Sie nicht eines derachhaltigsten Projekte. Betonen Sie dagegen den Er-olg, die Chancen und die Wirtschaftlichkeit der erneuer-aren Energien und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes!timmen Sie bitte unserem Gesetzentwurf zu, damit wiren Betroffenen schnell helfen können und damit die100 Firmen in Nordrhein-Westfalen erst der Anfangind.Danke schön. Glück auf!
Das Wort hat nun die Kollegin Angelika Brunkhorst,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit derinbringung der EEG-Novelle erkennt Rot-Grün zumrsten Mal an, dass das EEG unzumutbare Kostenbelas-ungen mit sich bringt und dass gegengesteuert werdenuss. Das muss hier klar festgestellt werden.
ies ist die Entlarvung der grundlegenden Schwächeieses Gesetzes. Es kann auf Dauer nicht funktionieren,
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4162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Angelika Brunkhorststaatliche Planzahlen mit garantierten Abnahmepreisenfür den Ökostrom dirigistisch durchzusetzen.Zu der vorliegenden EEG-Novelle möchte ich Fol-gendes sagen: Das EEG in seiner aktuellen Form wird inkeiner Weise den gesellschaftlichen und wirtschaftlichenErfordernissen gerecht. Um ein ideologisches Ziel zu er-reichen, setzt man Scheuklappen auf.
Die ständig steigenden Kosten mutet man dem einzelnenBürger und den Unternehmen zu. Auf die Stellungnahmedes Bundesrates und die darin enthaltenen Änderungs-vorschläge hat Rot-Grün zuerst mit einer Absage rea-giert, um dann am vergangenen Mittwoch doch nochkurzfristig einige Dinge zu berücksichtigen. So wurdeim Sinne von Planungssicherheit in § 11 a Abs. 3 dieBelastungsgrenze auf 0,05 Cent pro Kilowattstunde fest-gelegt. Außerdem wurde § 11 a Abs. 4 gestrichen, si-cherlich mit der ehrenwerten Absicht, bürokratischenAufwand zu minimieren und – das ist ganz wichtig – dasErmessen zu binden. Eine wirklich gute Absicht, dochaufgepasst! Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr-kontrolle bekommt nun in dem neu hinzugefügten sehrfolgenschweren Nebensatz in § 11 a Abs. 1 das Ermes-sen wieder eingeräumt. Dort heißt es:… soweit hierdurch die Ziele des Gesetzes nicht ge-fährdet werden und die Begrenzung mit den Inte-ressen der Gesamtheit der Stromverbraucher ver-einbar ist.Das finde ich absurd. Dass sich die Ermessensregelungnun an anderer Stelle findet, hat nicht zur Folge, dass diesozusagen hochherrschaftlichen Befugnisse der Verwal-tung eingeengt werden, sondern hat das Gegenteil zurFolge – darüber müssen wir uns klar sein –, dass sie ver-stärkt werden.
Wir reden hier über eine kleine Novelle des EEG. Da-durch werden die Fehler im Konzept des EEG insgesamtüberhaupt nicht ausgebügelt, sondern in puncto Dirigis-mus verstärkt.Ich möchte noch auf einige Kritikpunkte zu sprechenkommen, die hier schon erwähnt worden sind. Es gibtdie Kappungsgrenze von 100 Gigawattstunden und diezusätzliche Voraussetzung, dass die Strombezugskostenmehr als 20 Prozent der Bruttowertschöpfung ausma-chen. Das wird nur von einer Hand voll großer Unter-nehmen in den stromintensiven Branchen erfüllt werdenkönnen. Diese Novelle – davon gehe ich aus – soll wohleher Symbolcharakter haben; den Mittelstand vergisstman hierbei völlig.
Auch unter marktwirtschaftlichen Aspekten ist essehr bedenklich, nur die Riesen einer Branche zu entlas-ten. In den kleineren Betrieben sind die Energiekosten,dDcmwtuniisldgttuBbsswsWEgEwdwAs–A–eFWPl
uch das Anwachsen der Zahl der Arbeitsplätze in die-em Bereich ist unbestritten.
Moment! Auch ich freue mich über jeden zusätzlichenrbeitsplatz in diesem Bereich, ganz klar.
Nein, das ist kein guter Schlusssatz. Ich muss da nochtwas anfügen.
Nein, das wird leider nicht möglich sein, verehrterau Kollegin.
eil die Redezeiten von den Fraktionen und nicht vomräsidium festgelegt werden, sind meiner Großzügigkeiteider enge Grenzen gesetzt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4163
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Ich bin auch sofort am Schluss.
Wenn wir hier über die Schaffung von Arbeitsplätzen
reden, dann müssen wir einfach sehen, dass sich die nach
dem EEG gewährten Unterstützungszahlungen pro Ar-
beitsplatz – ich will hier gar nicht von Subventionen
sprechen – mittlerweile denen im Steinkohlebergbau an-
nähern, fast schon gleich hoch sind.
Entsprechend unserem Credo sind uns Arbeitsplätze
natürlich lieb und teuer, aber nicht um jeden Preis.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat die Kollegin Hustedt, Bündnis 90/Die Grü-
nen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nut-zung der erneuerbaren Energien – Sonne, Wind, Bio-masse, Erdwärme – entwickelt sich sehr dynamisch. DerBeitrag dieser Energien stieg von 6 auf 8 Prozent undwird in naher Zukunft auf 12 Prozent steigen. Das istsehr erfreulich. 130 000 Arbeitsplätze – das wurde schongesagt – sind zu verzeichnen. Marco Bülow hat eineZahl für Nordrhein-Westfalen genannt. Im Osten wurdenmehr als 1 000 neue Unternehmen in diesem Bereich ge-gründet. Es handelt sich um eine dynamisch wachsendeBranche in Zeiten der Wirtschaftskrise und um ein sicht-bares Zeichen dafür, dass Maßnahmen zum Klimaschutzgreifen. Das sind doch wirklich positive Nachrichten.
Aber manchen ist das ein Dorn im Auge. Die Gegnernutzen auch diese Debatte zum Frontalangriff. Ich weiß,Frau Meyer, Sie gehören nicht dazu. Das ist völlig klar.Aber Sie wissen, von welchen Personen ich hier spreche.Darüber hinaus machen sich gerade die Vertreter derenergieintensiven Industrie Sorgen, dass die Belastungendurch die Umlage steigen, wenn sich die erneuerbarenEnergien so positiv entwickeln.Diejenigen, die das Instrument EEG grundsätzlich in-frage stellen, müssen sagen, wie man Klimaschutz sonstbetreiben soll. Die erneuerbaren Energien sind eine dertragenden Säulen des Klimaschutzprogramms. Zum Bei-spiel ist es so, dass das EEG die Hälfte der gesamtenCO2-Einsparungen bis 2005 im Bereich der Stromwirt-schaft leistet. Wer an das EEG gewissermaßen die Axtanlegen will, der muss Alternativen anbieten.
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Hinzu kommt, dass die Kosten pro produzierter Ki-owattstunde sinken werden. Gleichzeitig – Marcoülow hat das schon angesprochen – werden die Kostenro produzierter Kilowattstunde im fossilen Bereich stei-en. Das hat zwei Gründe: Perspektivisch werden dieossilen Primärenergieträger teurer und – das ist für dieahe Zukunft noch viel wichtiger – es werden nicht mehrie Altinvestitionen, sondern die Neuinvestitionen ent-cheidend sein, das heißt, dass die Kosten pro produzier-er Kilowattstunde im fossilen Bereich in nächster Zeitnsteigen werden. Die Differenz zwischen einer Kilo-attstunde, die aus erneuerbaren Energien produziertorden ist, und einer Kilowattstunde, die aus fossilennergieträgern produziert worden ist, wird also geringererden. Es wird deswegen zu einem dynamischen Auf-uchs von Strom kommen, der aus Sonne, Wind, Bio-asse und Erdwärme produziert worden ist. Gleichzeitigerden die Kosten begrenzt; perspektivisch werden sieinken. – Das verstehe ich unter einem Zukunftsgesetz.o sollte der Staat handeln: Rahmenbedingungen schaf-en, damit in Zukunftstechnologien investiert wird, da-it in Zukunftstechnologien Arbeitsplätze geschaffenerden, damit gleichzeitig die Kostenbelastung der Ge-ellschaft sinkt.Wir nehmen die Sorgen, die aus der Wirtschaft kom-en, ernst und wir werden die Diskussion über das EEGehr offensiv führen. Jeder, der über Kostensenkungenei der Industrie spricht, aber gleichzeitig nicht darüberiskutiert, wie die Wettbewerbsintensität in diesem Be-eich erhöht werden kann, ist unglaubwürdig.
er durchschnittliche Durchleitungspreis beträgt ineutschland circa 2,6 Cent pro Kilowattstunde. Das istCent mehr als der europäische Durchschnitt und dop-elt so viel wie die Gesamtbelastung, die vom EEG aus-eht.
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Michaele HustedtIch komme zum Schluss. Wer die Kosten bei Indus-trie und Verbrauchern senken will, der sollte in erster Li-nie nicht über das EEG, sondern über eine höhere Wett-bewerbsintensität sprechen und gemeinsam mit uns denStaat als Schiedsrichter in diesem Bereich stärken.Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Eigentlich geht es ja heute um eine Sachfrage, undzwar die Ausgestaltung der Härtefallregelung. Wenn ichjetzt einmal Revue passieren lasse, was Sie, Herr Trittin,Sie, Herr Bülow, und leider auch Sie, Frau Hustedt, inweiten Teilen Ihrer Reden gesagt haben, dann muss ichfeststellen, dass Sie undifferenzierte Hallelujareden aufdas EEG gehalten haben und sich nicht zur Frage derAusgestaltung der Härtefallregelung geäußert haben.
Ich muss Ihnen daher leider attestieren: Sie haben dasThema verfehlt.Im Übrigen haben Sie damit genau das gemacht, wasSie angeprangert haben: Sie haben Fakten falsch darge-stellt und die ideologischen Scheuklappen – Sie haben jaanderen vorgeworfen, diese aufgesetzt zu haben – nichtabgelegt.
Ich möchte mir deshalb erlauben, auf einige Punkte ein-zugehen, die hier angesprochen worden sind, und Ihneneinfach einmal die Fakten darlegen.Wir reden über steigende Belastungen durch die Sozi-alversicherungen, durch Steuern, die schwierige Situa-tion auf dem Arbeitsmarkt und viele andere Dinge mehr.Die Energiepreise, insbesondere der Strompreis, werdenaber leider in der öffentlichen und in der politischen Dis-kussion etwas außen vor gelassen. Wir brauchen garnicht drum herum zu reden: Es ist so, dass der Strom-preis eine wichtige Rolle im nationalen und vor allemauch im internationalen Wettbewerb spielt. Da stimmtes nicht, Herr Trittin, dass, wie Sie sagen, die Strom-preise insbesondere für die Industrie auf breiter Front ge-sunken sind. Fakt ist, dass das in rein nationaler Sichtrichtig ist; ich werde gleich noch auf ein paar absoluteZahlen eingehen. Fakt ist aber auch, dass Deutschlandnach wie vor in Europa die dritthöchsten Strompreisehat, unsere Strompreise also europaweit in der Spitze lie-gen. Das ist Faktenlage.
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Noch eine Anmerkung zum Thema CO2: Wir sind unsoch hoffentlich einig, dass es Ziel ist, die CO2-Emissio-en zu reduzieren. Aber auch hier sollte man vielleichtin paar Effizienzkriterien mitberücksichtigen. Dies ista nicht das Kernthema der heutigen Debatte, deswegenabe ich die Zahlen nicht hundertprozentig präsent, kannie aber gerne noch einmal nachreichen. Es ist auf jedenall so, dass zwar, wie Sie sagen, etliche Tonnen an CO2ufgrund des verstärkten Einsatzes von erneuerbaren En-rgien nicht entstehen. Sie müssen aber auch fragen, wieiele Millionen Tonnen mehr mit dem gleichen Aufwandurch andere Maßnahmen eingespart werden könnten.eispielsweise durch die Verbesserung der Gebäudeeffi-ienz und andere Dinge könnten noch zehnmal mehrO2-Emissionen eingespart werden als durch den Ein-atz von erneuerbaren Energien.
Wenn wir hier über Brosamen redeten, könnte manhre Argumentation nachvollziehen, müsste aber gleich-eitig feststellen, dass es sich um eine Spielwiese han-elt, die wirtschaftspolitisch vernachlässigbar ist undber die zu sprechen sich nicht weiter lohnt. Da derirtschaft das Wasser aber bis zum Hals steht, spielenie Strompreise für die Unternehmen – das ist keineloße Theorie, sondern Praxiserfahrung – bei Standort-nd Investitionsentscheidungen sowie bei Verlagerungs-berlegungen eine Rolle.Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel – Sie können dasberprüfen; das ist Realität –: Ein kleines mittelständi-ches Unternehmen in der Region Stuttgart mit00 Beschäftigten, nicht einmal aus der Aluminium-der Zementbranche, sondern aus der Automobilzulie-erindustrie, hat nach der jüngsten Ökosteuererhöhungum 1. Januar dieses Jahres seine Investitionsentschei-ung zwischen dem Standort Stuttgart und dem Standortschechien wesentlich mit den Energiepreisen begründet ich kann es Ihnen im Detail belegen – und sich letztlichegen den Standort Deutschland, also gegen Stuttgartntschieden. Auch solche Fakten müssen Sie bei denahlen, die Sie in Ihren Halleluja- und Hurrareden vor-in genannt haben und die ich nicht im Detail bestreitenill, gegenrechnen, meine sehr geehrten Damen underren.Jetzt möchte ich versuchen, zum Thema zurückzu-ehren, nachdem Sie das Feld verlassen haben und ich
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Dr. Joachim Pfeifferdas so nicht stehen lassen kann. Herr Schlauch, ich weiß,Sie wissen alles besser, insbesondere von der Wirtschaftverstehen Sie mehr, aber sicherlich nicht von der Wirt-schaft, von der ich rede; Sie haben Ihre Kompetenzen inanderen Wirtschaftsbereichen.
Kommen wir noch einmal zur Härtefallregelung. Ei-nige Punkte sind angesprochen worden; ich will das nichtwiederholen. Mit der vorgeschlagenen Härtefallregelungwird leider ein bürokratisches Monstrum, das auch ord-nungspolitisch mehr als fragwürdig ist, institutionalisiert,das nur eine Feigenblattfunktion hat. Die Kollegin vonder FDP hat es angesprochen: Wir sprechen heute erfreu-licherweise zum ersten Mal darüber, dass wir die Strom-und Energiepreise senken müssen. Wir sind über das Zielhinausgeschossen. In den vergangenen vier Jahren habenSie immer weiter draufgesattelt. Die jetzt erfolgte Rege-lung hat aber leider nur eine Feigenblattfunktion undwird auch nicht funktionieren. Wenn Sie einmal gute An-sätze verfolgen, setzen Sie diese leider immer nurschlecht oder dilettantisch um, ob das die Riester-Rente,das Hartz-Konzept oder auch das EEG ist.Das Thema Wettbewerbsverzerrungen ist angespro-chen worden. Die Unternehmen werden sich überlegen,wie sie die jetzige Lösung umgehen können. Ich nenneeinmal ein Beispiel, wozu das führen wird. Die jetzigeRegelung wird nur einige wenige Dutzend Unternehmentreffen. Was werden die Unternehmen zum Beispiel hin-sichtlich des Kriteriums des Anteils der Stromkosten vongrößer 20 Prozent an der Bruttowertschöpfung machen?Es gibt bereits einen konkreten Fall, den auch Sie wahr-scheinlich kennen. Sie lagern ihre Beschäftigten in eineIndustriebeschäftigungsgesellschaft aus und kommendurch diese intelligente Gestaltung über 20 Prozent. DieFrage ist noch, wie sie das mit der Abnahmestelle umset-zen; Frau Kollegin Meyer hat das angesprochen. Aberansonsten ist der Plan konkret und muss nur noch umge-setzt werden.Das heißt, wir werden die Kreativität der Unterneh-men nicht dahin gehend fördern, wie sie ihre Produkteinnovativ voranbringen, sondern sie werden ihre Kreati-vität auf die möglichst geschickte Umgehung von Rege-lungen richten. Das kann nicht Sinn der Übung sein.Das ganze Gesetz bewirkt im Ergebnis leider das Ge-genteil dessen, was Sie beabsichtigt haben. Sie sprechen– auch Herr Trittin hat das vorhin getan – von einer ziel-genauen Lösung. Es ist aber keine zielgenaue Lösung,weil Sie genau die, die am meisten betroffen sind, nichtentlasten.In der Summe ist es so: 100 Prozent der Wirtschaftsteht das Wasser nicht nur bis zum Hals, sondern bis zurOberkante Unterlippe. Mit der jetzt vorgeschlagenenHärtefallregelung werden einige Promille temporär ent-lastet, sodass sie nicht unmittelbar untergehen. Im Er-gebnis müssen aber die restlichen 99,9 Prozent dieMehrbelastung tragen. Wir haben also letztlich nur dieWahl zwischen Scylla und Charybdis.ddfüzSbaRdand–dtvIHleHihsIKklEia
ie werden sehen, bei der Novellierung des EEG – darü-er werden wir uns noch unterhalten – wird es wie beillen anderen Fragen, ob Hartz-Konzept oder Riester-ente, sein: In einem halben Jahr werden wir feststellen,ass es hinten und vorne nicht funktioniert hat;
ußer Bürokratie und Plan- und Staatswirtschaft istichts gewesen und Sie haben die Unternehmen wie-erum aus dem Land getrieben.
Ich schließe die Aussprache.
Entschuldigung! Die Versuchung zumindest war groß,
ie durch Addition von längeren Redezeiten überschrit-
ene Gesamtredezeit durch einen kühnen Streichungs-
ersuch wieder einzuspielen. Aber ich will das nicht auf
hrem Rücken austragen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
empelmann für die SPD-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kol-gen! Ihnen bleibt nichts erspart. Aber auch bei Ihrer Rede,err Dr. Pfeiffer, blieb uns nichts erspart. Allerdings mussch zugeben, dass Ihre Rede Stärken und Schwächenatte. Sie haben schwach angefangen und anschließendtark nachgelassen.
ch will trotzdem versuchen, sachlich zu reagieren.Der Kollege Marco Bülow hat wie auch einige andereollegen schon deutlich gemacht, welche positiven Wir-ungen das EEG entfaltet hat, nicht nur für die Öko-ogie, sondern insbesondere für den Anlagenbau, für denxport und für die Schaffung von Arbeitsplätzen bei unsm Lande. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist etwas,uf das wir durchaus stolz sein können.
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Rolf HempelmannWenn gesagt wird, man müsste eigentlich mehr tun,um die CO2-Emissionen zu reduzieren, dann muss ichsagen, Herr Dr. Pfeiffer: Sie haben sicherlich Recht. Wirkönnen Ihnen mit Freude hier vermelden, dass wir dieMaßnahmen, die Sie gerade beispielsweise in SachenGebäudeeffizienz eingefordert haben, bereits umgesetzthaben.
Wenn Sie das aus dieser Debatte mitnehmen, dann habenwir einen gewissen Fortschritt in der Verständigung er-zielt.Es stimmt aber auch, dass es einige Unternehmengibt, die aufgrund der Kosten, die das EEG verursacht,Probleme haben. Das haben wir dem vom Bundeswirt-schaftsministerium vorgelegten Erfahrungsbericht ent-nehmen können. Ich denke, es ist angemessen, dass diePolitik darauf reagiert und eine entsprechende Härte-fallregelung auf den Weg bringt.Wir wissen, dass die Unternehmen durch die Kumula-tion von Wirkungen verschiedener Instrumente – sie sindbereits genannt worden: Ökosteuer, KWK und ebenEEG – betroffen sind. Wir haben bei den anderen Instru-menten bereits reagiert und wir werden das auch beimEEG tun. Wir haben schon angekündigt, dass wir imweiteren Verfahren nachjustieren werden. Die Branchensind aufgefordert, die entsprechenden Daten und Faktenzu liefern, damit zielgenau reagiert werden kann. Es istheute schon richtig gesagt worden: Wenn wir an der ei-nen Stelle entlasten, dann belasten wir an der anderenStelle. Es ist daher aufgrund der jetzigen Datenlage klug,eine eng gefasste Härtefallregelung zu formulieren. Wirhelfen schnell und wir helfen denen, die am härtesten be-troffen sind.
Es ist uns der Vorwurf gemacht worden, die Schwel-len seien willkürlich und sie seien zu hoch. Zunächsteinmal muss man sagen: Jede Schwelle – dabei ist esvöllig egal, um welches Gesetz es sich handelt – ist letzt-endlich in einem gewissen Maße willkürlich, weil sichjede Schwelle begründen lässt. Eine niedrigere Schwelleist genauso zu begründen wie eine höhere. Die Begrün-dung für die höhere Schwelle ist, dass mit einer sehr enggefassten Härtefallregelung die am härtesten Betroffenenentlastet werden. Eine breit angelegte Härtefallregelungwürde zu einer breiten Belastung der restlichen Betroffe-nen führen. Insofern haben wir keine willkürliche, son-dern eine gut begründbare Regelung geschaffen.Wir wollen trotzdem den Versuch machen, im weite-ren Verfahren weitere betroffene Unternehmen zu erfas-sen. Ich denke dabei insbesondere an mittelständischeUnternehmen, die besonders energieintensiv produzie-ren. Ich bin ganz sicher, dass wir einen entsprechendenVorschlag im Rahmen der EEG-Novelle vorlegen wer-den.
Ich will nun auf die Härtefallregelung konkret einge-hen. Wir haben eine Anhörung durchgeführt, über diehsdlhSMdglstwSKfdfdbm0smdeitfaIrAonaBsVntswrwmdDdBT
Es gab noch eine Übereinstimmung, und zwar interes-anterweise zwischen Sachverständigen, die sich ansons-en in manchen Punkten überhaupt nicht einig waren. Esurde zur Begrenzung der anteilig weitergereichtentrommenge tatsächlich eine Grenze von 0,05 Cent jeilowattstunde festgelegt, wie es auch der Bundesrat ge-ordert hatte. Wir, die Koalitionsfraktionen, sind der For-erung der Sachverständigen entgegengekommen. Inso-ern haben wir hier den Nachweis erbracht, dass wir iner Lage sind, aus Anhörungen Lehren zu ziehen, undereit sind, Anregungen aus dem Bundesrat aufzuneh-en. Wir haben durch die Festlegung einer Grenze von,05 Cent je Kilowattstunde eine Entlastung beschlos-en.Das ist eine ganz maßgebliche Einschränkung des Er-essensspielraums der Prüfbehörde. Wer behauptet,ass hiermit Bürokratie aufgebaut und Planwirtschaftingeführt wird – und was da noch alles gesagt wordenst –, ist widerlegt. Wir haben im Gegenteil ganz eindeu-ig dafür gesorgt, dass eine Überprüfung sehr zügig er-olgen kann, nämlich in dem im Gesetz festgelegten undngekündigten Vierwochenzeitraum.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie geht es weiter?ch habe es gerade angedeutet: Wir werden uns im weite-en Verlauf des Jahres mit der EEG-Novelle befassen.uch das Thema Emissionshandel steht auf der Tages-rdnung. Sie wissen, dass es aus Brüssel den Entwurf ei-er Richtlinie zum Thema Energiebesteuerung unduch zur Frage von Ausnahmetatbeständen in diesemereich gibt. Ich denke, das wird das Anregungsmaterialein, das wir aufnehmen werden, wenn wir im weiterenollzug an einer möglicherweise zu verändernden Defi-ition des Begriffs „stromintensive Unternehmen“ arbei-en werden. Möglicherweise kommen wir dazu, diesukzessive auf die drei vorgesehenen Instrumente auszu-eiten.Unsere Arbeit an einem Wettbewerbs- bzw. Regulie-ungsrahmen – auch das ist hier angedeutet worden –ird genauso entscheidend sein. Diesen wollen undüssen wir in der zweiten Jahreshälfte vorantreiben;enn ab dem 1. Juli des nächsten Jahres hat auch ineutschland der Regulierer über den Wettbewerb beien leitungsgebundenen Energien zu wachen. In diesemereich versprechen wir uns eine ganze Menge mehrransparenz. Wir gehen davon aus, dass es dann zu sehr
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Rolf Hempelmannviel einheitlicheren Kostendefinitionen kommen wird,wobei wir uns durchaus niedrigere Kosten und geringereKostenumwälzungen im Bereich der erneuerbaren Ener-gien erhoffen.Jetzt ist eine Spreizung zu beobachten. Sie ist sogarnoch größer, als sie soeben vom Minister beschriebenworden ist. Sie liegt nämlich zwischen 0,0 und etwa0,6 Cent. Es gibt also Unternehmen, die von bestimmtenVersorgern gar nicht zur Kasse gebeten werden, andere,die 0,3 Cent zahlen, und wiederum andere, die circa0,6 Cent bezahlen. Diese Spreizung muss ein Ende ha-ben. Wir müssen dazu kommen, dass nur die tatsächli-chen EEG-Kosten weitergewälzt werden. Das wird einenmaßgeblichen Beitrag dazu leisten, im Zuge des weite-ren Aufbaus der erneuerbaren Energien in die Situationzu kommen, dass eine Verdoppelung der erneuerbarenEnergien nicht heißt: Verdoppelung der Kosten. Dazu istschon einiges ausgeführt worden.Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bin den Kollegenim Bundesrat für ihre konstruktive Beratung ausdrück-lich dankbar. Ich weiß, dass dabei mancher von denjeni-gen, die hier sitzen, durchaus hilfreich war und dass das,was wir hier im Plenum zu hören bekommen, manchmalnur die eine Seite der Medaille ist. Im Grunde wissenSie, dass wir eine solche Härtefallregelung brauchen. Siewissen, dass der Bundesrat diese Regelung durch seinekonstruktive Einlassung mitgestaltet hat.Ich wünsche mir ein solches Vorgehen auch für somanches andere Thema, das wir hier zu bereden haben.Bewährungsproben kommen genug: nicht nur, aber auchin der Energiepolitik.Vielen Dank.
Ich schließe nun tatsächlich die Aussprache zu diesem
Tagesordnungspunkt und führe die angekündigten Ab-
stimmungen durch.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf Drucksache
15/810. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/1121, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich vom Platz zu erhe-
ben. – Gegenprobe! – Wer möchte sich enthalten? – Dann
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der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele, Thilo Hoppe, Volker Beck , wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Für einen stärkeren UN-Einsatz im Nordosten
der Demokratischen Republik Kongo
– Drucksache 15/1144 –
Dazu ist interfraktionell eine Beratungszeit von einer
alben Stunde vorgesehen. – Es erhebt sich dagegen kein
iderspruch. Dann haben wir das so vereinbart.
Ich erteile zunächst das Wort der Staatsministerin
erstin Müller.
K
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich haben den letzten neun Tagen die Region der Großen Seenesucht und in Kinshasa, Kampala und Kigali Gesprächeit allen wichtigen politischen Repräsentanten und mitertretern internationaler Organisationen geführt. Ichann nur sagen: Die Lage ist dramatisch, und zwar nichtur in der Provinz Ituri – das ist die Provinz, aus der unsilder in den letzten Monaten erreichten –, sondern auchn der angrenzenden Region Kivu und insgesamt imongo.Nehmen wir als Beispiel Bunia. Bunia war eine Stadtit circa 250 000 Einwohnern. Nach Angaben internatio-aler Organisationen sind es jetzt gerade einmal 20 000.avon befinden sich 12 000 in zwei Camps am Flugha-en und in der Nähe des MONUC-Lagers. Mehrere Hun-ert Tote wurde von den MONUC-Soldaten gefunden.llein 50 000 Menschen, so schätzt man, sind in dieälder und Nachbarregionen im Süden geflüchtet,0 000 nach Uganda und von den übrigen weiß man esicht genau.
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Staatsministerin Kerstin MüllerTagtäglich erreichen uns Nachrichten von neuen Met-zeleien und Massakern aus den Nachbardörfern. Ituriist, so hat es einer meiner Gesprächspartner formuliert,„nur ein weiterer Schritt zur Hölle“. Es herrscht Angst,dass noch mehr folgen werden. Denn im Kongo-Krieg,Afrikas erstem Weltkrieg, sind seit 1998 mehr als3 Millionen Menschen umgekommen, circa 2,2 Millio-nen Menschen sind auf der Flucht oder wurden vertrie-ben. Folter, Exekutionen, Verstümmelungen, Kindersol-daten und Massenvergewaltigungen gehören zu denalltäglichen Kampfmitteln. Erst jüngst gab es wieder ei-nen Bericht von der stellvertretenden Leiterin vonOCHA über eine Vergewaltigungskampagne in Kivu.Die Menschenrechte werden also systematisch missach-tet und auf das Grausamste verletzt.Die internationale Gemeinschaft kann diesem Mordennicht länger zusehen.
Wir tragen eine Verantwortung für die Durchsetzung derMenschenrechte. Deshalb ist es richtig, dass der Sicher-heitsrat der Vereinten Nationen nun so schnell wiemöglich eine multinationale Truppe, und zwar mit einemrobusten Mandat, nach Ituri, nach Bunia entsendet.
Deshalb ist es auch richtig, dass Deutschland diesenEinsatz im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt.Wir denken dabei vor allem an medizinische und logisti-sche Hilfen. Ich würde mich sehr freuen, meine Damenund Herren von der CDU/CSU und FDP, wenn diesesdeutsche Angebot die Zustimmung aller Fraktionen indiesem Hause finden würde. Ich glaube, den Einsatz derVereinten Nationen zu unterstützen, ist das Mindeste,was wir tun können.
Eines kann ich Ihnen aus meinen Gesprächen versi-chern: Die Regierungen in Kinshasa, Kampala und Ki-gali begrüßen die Einsatztruppe und vor allem die Tatsa-che, dass sie zu einem großen Teil von Europäern imRahmen einer ESVP-Operation gestellt wird.Manche wenden ein, das Mandat der Truppe sei an-gesichts der Dimension des Konflikts zeitlich und räum-lich viel zu begrenzt. Ich glaube nach meiner Reise undden vielen Gesprächen, die ich geführt habe, dass diesesSignal der Entschlossenheit der internationalen Gemein-schaft weit über die Grenzen von Ituri hinaus in der Re-gion verstanden werden wird. Wir zeigen damit: Wirsind entschlossen, wir werden handeln und lassen nichtzu, dass weiter gemordet und Gewalt ausgeübt wird. Ichbin ziemlich zuversichtlich, dass dieses Signal verstan-den werden wird.
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ch bin fest davon überzeugt: Wenn es gelänge, in Kin-hasa als ersten Schritt eine Übergangsregierung untereteiligung der maßgeblichen politischen Kräfte zu bil-en, wäre dies ein entscheidender Schritt auf dem langeneg zur Beilegung dieses furchtbaren Konfliktes.Hinzu kommt, dass wir wissen, dass in Ituri, aberuch in anderen Gebieten Ostkongos, die Nachbarstaatenganda und Ruanda Milizen, oft sogar Kindersoldaten,usrüsten und militärisch unterstützen. Auch die Regie-ung in Kinshasa setzt auf bewaffnete Gruppierungen,m ihre Interessen durchzusetzen. Sie stehen unter demerdacht, einen Stellvertreterkrieg um die Ausbeutungon Ressourcen im Ostkongo auszutragen. Daher habech deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass Ugandand Ruanda ihre Unterstützung der Milizen aufgeben.
Frau Staatsministerin, ich möchte Sie nur darauf auf-
erksam machen, dass die gemeldete Redezeit abgelau-
en ist.
K
Ich bin gleich fertig. Ich denke, es ist von Interesse,
en Bericht zu hören.
Daran habe ich keinen Zweifel, aber da Sie die stren-en Anrechnungsvorschriften kennen, wollte ich vermei-en, dass hinterher ein fehlender Hinweis moniert wird.
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K
Ich denke, der Bericht ist für alle Fraktionen von Inte-
resse. Ich war aus Krankheitsgründen vorgestern leider
nicht in der Lage, zur Ausschusssitzung zu kommen,
was ich gerne gemacht hätte. Ich hoffe deshalb, meinen
Bericht noch schnell beenden zu können.
Wegen der regionalen Verflechtung kann nur eine Ge-
samtlösung dauerhaften Frieden bringen. Daher könnte
nach Bildung einer Übergangsregierung im Kongo auf
einer regionalen Konferenz für Frieden und Demokra-
tie über die Zukunft der Region der Großen Seen beraten
werden.
Meine Damen und Herren, wir müssen im Kongo
nicht nur humanitäre Hilfe leisten und mit einer interna-
tionalen Truppe das Morden in Bunia stoppen. Wir müs-
sen uns intensiv bei den Konfliktparteien dafür einset-
zen, dass der politische Prozess vorankommt. Dabei
müssen wir uns eng mit den europäischen und internatio-
nalen Partnern abstimmen. Vor allem aber müssen wir
dafür sorgen, dass die Menschenrechte wieder geachtet
werden.
Wir müssen dem in der Region weit verbreiteten Ein-
druck entgegenwirken, Afrika sei ein von uns, von den
Europäern, vergessener Kontinent. Wir müssen den Afri-
kanern helfen, ihre Probleme künftig selbst anzupacken
und für ihre Sicherheit selbst zu sorgen.
Heute wird im Kongo das Recht durch Gewalt ersetzt.
Sorgen wir gemeinsam mit den internationalen, den eu-
ropäischen und afrikanischen Partnern dafür, dass das
Recht wieder die Schwachen schützt.
Vielen Dank.
Nun erteile ich dem Kollegen Friedbert Pflüger,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächsteinmal wünsche ich Ihnen, Frau Staatsministerin Müller,gute Besserung. Sie sind aus dem Kongo mit einerKrankheit zurückgekommen und wir wünschen Ihnenrasche Genesung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU hat auf-grund eines Mandates der Vereinten Nationen beschlos-sen, 1 400 Soldaten in die Provinz Ituri zu entsenden,um einen drohenden Völkermord zu verhindern. CDUund CSU werden sich der aus diesem Beschluss folgen-den Verantwortung nicht entziehen. Deutschland mussaber bei einer Unterstützung der EU-Mission seinen be-gRdKdEsgstSBKgimUHkusgnMCdaFdlsaSvrIutnaüsntBdud
Wir können nicht überall auf der Welt, wo es Krisen,onflikte und Kriege gibt, an vorderster Front tätig wer-en. Wenn wir für Zurückhaltung bei diesem weiterenngagement deutscher Soldaten plädieren, dann ge-chieht das nicht aus moralischer Gleichgültigkeit ge-enüber den von Frau Müller beschriebenen Gräueln,ondern aus Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkei-en. Deshalb und aus unserer Fürsorgepflicht für unsereoldaten und deren Familien haben CDU und CSU voneginn an klar gemacht: Es wird keine deutschenampftruppen, auch keine Fallschirmjäger, im Kongoeben.
Wir sind froh darüber, dass der Verteidigungsministernzwischen klargestellt hat, dass sich die Unterstützungs-aßnahmen für die EU-Militärmission auf logistischenterstützung, Transportleistungen und ein MEDEVAC-ospitalflugzeug für Notfälle konzentrieren. Es wirdeine deutschen Soldaten im Kongo geben.Meine Kollegen Christian Ruck, Christian Schmidtnd ich hatten bereits in der vergangenen Woche eineolche Beschränkung des deutschen Engagements vor-eschlagen. Wir warnen ausdrücklich davor, in denächsten Tagen weitere Verpflichtungen einzugehen.Wir werden in der übernächsten Woche über einandat für die Kongo-Mission entscheiden. CDU undSU stehen den entsprechenden Vorschlägen der Bun-esregierung, soweit sie sich in diesem Rahmen halten,ufgeschlossen gegenüber. Aber wir haben einige klareragen, deren Beantwortung wir bis dahin von der Bun-esregierung erwarten:Erstens. Sind die vorgesehenen 1 400 Soldaten wirk-ich in der Lage, dort Frieden zu schaffen? Die französi-che Verteidigungsministerin hat heute von einer über-us schwierigen und gefährlichen Mission gesprochen.chon der Name der Operation, „Operation Mamba“,erheißt wenig Gutes. Darf ich einfach die Frage an Sieichten, ob man diesen Namen noch verändern kann?Die Start- und Landebahnen des Flughafens Bunia inturi sind in einem denkbar schlechten Zustand. Materialnd Soldaten können nur nach und nach in das Landransportiert werden. Wegen des Regens können in Bu-ia keine Panzer patrouillieren. Schweres Material istber notwendig, weil der Friedenstruppe zahlenmäßigberlegene und schwer bewaffnete Kämpfer gegenübertehen, unter anderem – ich zitiere die französische Mi-isterin – „junge, unter Drogen stehende, völlig unkon-rollierbare Milizen“ mit moderner Ausrüstung, zumeispiel mit Boden-Luft-Raketen.Das Mandat soll auf die Stadt Bunia konzentriert wer-en. Stefan Mair, der Experte der Stiftung Wissenschaftnd Politik, hält die Begrenzung des Einsatzgebietes aufie Stadt für problematisch. Massaker außerhalb Bunias
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Dr. Friedbert Pflügerund eventuell Flüchtlingsströme in die Stadt wären dieFolge. Ich finde, wir müssen solche Fragen klären, bevorwir zustimmen.Zweitens. Wir sind unseren französischen Freundendankbar, dass sie bereit sind, die tragende Rolle bei die-ser Friedensmission zu übernehmen. Aber es muss aucherlaubt sein, ohne jedes Vorurteil die Frage zu stellen, obFrankreich als Friedensstifter von allen Konfliktparteienanerkannt ist. Oder unterstellt man in der Region Frank-reich nicht automatisch machtpolitische Eigeninteres-sen? Stefan Mair von der SWP sagt, es sei das domi-nante Motiv französischer Afrikapolitik, seineBedeutung als weltpolitischer Akteur zu stützen. Es seizu vermuten, dass die Auseinandersetzung mit den USAüber den Irakkrieg zu einer Renaissance dieser altenfranzösischen Motivation geführt habe. – Wie gesagt,das sind keine Vorurteile, sondern Fragen, die zu klärensind.Drittens. Nach der bisherigen Planung soll der EU-Einsatz ohne Rückgriff auf NATO-Strukturen erfolgen.Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt dazuheute:Frankreich hofft damit auch dem politischen Zielnäher zu kommen, autonome EU-Einsätze ohne dieNato zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.Entspricht das der bisherigen deutschen Politik? Istdas unser Interesse? Bisher war es doch unsere Politik– so ist das noch auf der Webseite des Auswärtigen Am-tes nachzulesen –, dass es vor dem Einsatz militärischerMittel zunächst Sache der NATO ist, zu entscheiden, obsie eine militärische Operation einleiten will oder nicht.Erst wenn die NATO als Ganzes nicht bereit ist, sich ineinem Konflikt zu engagieren, soll die Europäische Si-cherheits- und Verteidigungspolitik gefragt werden. Wares wirklich klug, dem französischen Drängen nachzuge-ben, in jedem Fall eine reine isolierte EU-Operationdurchzuführen? Hätte sich nicht wenigstens einmal derNATO-Rat mit diesem Einsatz befassen sollen? Ist das inder Vereinbarung Berlin Plus zwischen NATO und EUnicht so vorgesehen? Der NATO-Rat hat bisher nichtdarüber befunden.Selbst wenn die NATO nicht als Ganzes bereit wäre,einzugreifen, warum nimmt man für diese Operationnicht wenigstens die Fähigkeiten und Möglichkeiten derNATO, etwa das NATO-Hauptquartier, in Anspruch?Meine Sorge ist: Wir als EU überheben uns in diesemschwierigen Konflikt. Werden wir als Deutsche und Eu-ropäer nicht in einen afrikanischen Konflikt hineingezo-gen? Wäre es nicht unsere Aufgabe, die bisherige Si-cherheitspolitik, die die europäische Verteidigung alsSäule, nicht aber als Gegengewicht zu den Amerikanernverstanden hat, zu stärken?
Meine letzte, die vierte Frage. Das Mandat der UNOist bis zum 1. September begrenzt. Vor Mitte Juli wirddie Operation Mamba aber kaum voll einsatzfähig sein.Ist es realistisch, in weniger als zwei Monaten Friedenschaffen und Kindersoldaten entwaffnen zu wollen? DieBgpBdtWksfzdsuSLsAfisDtvgwzdßbdzFwBEDiheDp
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Afrika darf nicht aus unserem Blickfeld geraten. DieMenschen in Afrika sollen wissen: Sie sind unsere Nach-barn. Wir müssen ihnen helfen, auf dem guten Weg wei-ter zu gehen, der sich in vielen Regionen Afrikas schonabzeichnet.Es gibt aber nicht nur das Zentrum, das ins Chaos fälltund sich in großer Gefahr befindet, der Gewaltspiralenoch stärker ausgesetzt zu werden. Nein, es gibt auchsehr viele ermutigende Anzeichen in vielen anderenStaaten Afrikas. Wir helfen diesen Staaten, ihre Zivil-gesellschaften aufzubauen. Wir unterstützen gutes Re-gierungshandeln und helfen mit, dass diese Staaten ent-schuldet werden; denn die Schuldenlast drückt auf ihrePerspektive. Durch sie werden ihre Chancen unter-drückt, eine Demokratie zu entwickeln und von untenher neue zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen.Seit 1999, seit der Kölner Entschuldungsinitiative,haben wir mitgeholfen, dass sich Demokratien in Afrikaentwickeln können. Dafür gibt es gute Beispiele: Neh-men Sie Mali, Mosambik und schließlich Kenia.
Hier zeigt sich, dass diese Chance von den Afrikanernselbst in die Hand genommen wird. Um genau das gehtes uns.
Wir wollen mithelfen, dass die Menschen selbst handelnund demokratische Strukturen von innen und unten heraMndd–NeADhdAldBdiodipdszFuaisbsAgdbatpßgktdNa
Wenn es dafür eine Möglichkeit gibt, dann möchte icharum bitten, dass sich die zuständigen Minister auch inrüssel überlegen, inwiefern es gelingen kann, Assetser NATO dort, wo es sinnvoll, notwendig und möglichst, einzubeziehen. Ich finde, wir sollten in diesem Punktffen und flexibel an diese Probleme herangehen. Wirürfen uns ideologisch nicht auf das fixieren, was sichrgendwer dazu erdacht hat. Es kommt darauf an, alleraktischen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu nutzen,amit das Herz Afrikas aufhört zu bluten und die Men-chen eine Chance haben, ihr Leben selber in die Handu nehmen.
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Heinrich,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnennd Kollegen! Frau Staatsministerin, ich bedanke michusdrücklich für Ihren Vortrag, mit dem Sie uns darübernformiert haben, wie die Situation vor Ort ist. Die Tat-ache, dass Sie heute zu diesem Thema gesprochen ha-en, unterstreicht die Wichtigkeit dieses Themas.Lassen Sie mich zu Anfang sagen: Ich hätte gerne zu-ammen mit den anderen Fraktionen einen gemeinsamenntrag formuliert. Leider Gottes ist dieser nicht zustandeekommen. Aber an uns hat es nicht gelegen. Wir wer-en die Debatte aber in diesem Sinne weiterführen. Wiregrüßen es ausdrücklich, dass der UN-Sicherheitsratm Freitag vergangener Woche die Entsendung einer in-ernationalen Friedenstruppe in die Demokratische Re-ublik Kongo einstimmig beschlossen hat. Auch begrü-en wir, dass der EU-Ministerrat gestern das Gleicheemacht hat. Aus Zeitgründen – mir bleiben nur nochnapp drei Minuten Redezeit – möchte ich auf die Mili-är- und Außenpolitik nicht eingehen. Ich verweise aufie gestrige Erklärung von Werner Hoyer, als in derATO-Debatte die Frage einer deutschen Beteiligungngesprochen worden ist.
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Ulrich HeinrichIch als Entwicklungspolitiker möchte einen anderenBlickwinkel darstellen. Ich begrüße es ausdrücklich, dassdie Delegation des UN-Sicherheitsrates nach Kinshasareisen wird, um zu versuchen, dort eine Übergangsregie-rung zu installieren. Dies hätte schon längst stattfindensollen. Es ist erfreulich, dass dies von der höchsten UN-Ebene erneut angepackt wird. Der UN-Sicherheitsrat istin den letzten Jahren dreimal mit einer Delegation in dieseRegion gereist. Wir als Deutscher Bundestag müssen die-ses Unternehmen unterstützen. Wir hoffen natürlich, dassdiese Delegation erfolgreich sein wird.Dies alles gibt Hoffnung, dass sich die schrecklichenEreignisse in Ruanda und Uganda, der Völkermord,nicht wiederholen. Damals versäumte es die internatio-nale Gemeinschaft, rechtzeitig einzugreifen. Der Geno-zid wurde tragischerweise nicht verhindert. Deshalbmuss die Völkergemeinschaft heute handeln. Noch istZeit, eine große Katastrophe und massenhaftes Blutver-gießen zu verhindern.Besonders dramatisch ist die Situation in der Regionan den Großen Seen in Afrika wegen der fehlenden Au-torität des Staates, insbesondere im Osten Kongos. Esgibt keine Infrastruktur. Die zivile Bevölkerung wird mitdem Notwendigsten nur schlecht versorgt. Die Gesund-heitsversorgung ist mangelhaft. Die Menschen hungern.Seuchen wie Malaria und Aids breiten sich ungehindertaus. Am schlimmsten sind die Kinder betroffen. Vielevon ihnen sind aufgrund von Mord, Totschlag und Aidsschon als Kleinkinder zu Waisen geworden. Im OstenKongos gibt es nach Angaben der Welthungerhilfe10 000 Kindersoldaten. Wir müssen alles tun, um diesenKindern wieder eine Zukunft zu geben.
Die GTZ und die KfW haben in Projekten in SierraLeone sehr gute Ergebnisse bei der Wiedereingliederungvon ehemaligen Kindersoldaten erzielt. Diesem Themamüssen wir uns heute zuwenden. Diese Erfahrungen kön-nen und müssen jetzt sofort im Kongo genutzt werden.
Herr Kollege Heinrich, schauen Sie bitte einmal auf
die Uhr vor Ihnen.
Es reicht nicht aus, wenn die Koalition für den Herbst
ein Demobilisierungs- und Wiedereingliederungspro-
gramm erwartet. Wir wollen heute konkrete Aussagen
dazu hören, dass diese Bundesregierung und die Koali-
tion bereit sind, parallel zur Entwaffnung der Kindersol-
daten ihre Aufgaben in diesem Sinne tatsächlich wahrzu-
nehmen.
Ich hätte noch einige gute Anregungen geben wollen,
aber leider Gottes ist mir das aufgrund der Zeit verwehrt.
Drei Minuten in einer so wichtigen Frage sind eben doch
zu wenig.
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Das ist klar. Die Entwicklung läuft und der Diskussi-nsprozess läuft, aber über die Medien und in Presse-onferenzen werden schon Zahlen verbreitet und Tatsa-hen bekannt gegeben.
eute wird eine Debatte angesetzt, in der die entschei-ende Frage nicht klar und deutlich genannt wird. Dasritisieren wir. Wir fordern, dass die Parlamentarierinnennd Parlamentarier Angaben auf den Tisch bekommen,ufgrund derer sie verantwortungsbewusst entscheidenönnen. Wir wollen uns nicht auf Pressespekulationenerlassen müssen.
Wichtig ist, dass den Menschen im Kongo schnell ge-olfen wird. Wichtig ist, dass der Deutsche Bundestaglare Entscheidungen treffen kann. Ich finde an diesemntrag besonders kritikwürdig, dass er sich zu vielenichtigen Fragen mit wichtigen Argumenten äußert, aber
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Dr. Gesine Lötzschbei der entscheidenden Frage offen, unklar und undeut-lich bleibt. Das sollten Sie sehr schnell ändern.Danke schön.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Hartwig Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! „Im Kongo verblutet auch die Glaubwürdigkeitder Weltorganisation“, so titelte der „Rheinische Mer-kur“. „Kindersoldaten machen Jagd auf Menschen“, soberichtet Kurt Pelda als Korrespondent aus Bunia. DieBlauhelme sind nur Beobachter.Seit Dezember 2002 und Januar 2003 wissen wir,dass ein Machtvakuum durch den Rückzug von Ugandaund Ruanda entsteht. Dieses Machtvakuum hat in Buniaund Drodro in der Region Ituri zu Übergriffen, Massa-kern, Vertreibungen, Flucht, Vergewaltigungen und stän-diger Gewalt geführt. Es gibt Tausende vagabundierendeKindersoldaten. Circa ein Drittel der Armee besteht ausKindersoldaten.Im März sind die Berichte immer grausamer gewor-den. Ich habe am 31. März beim Bundesministerium fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung denLänderbericht Kongo angefordert. Am 3. und 4. Aprilhaben nach Berichten der „Neuen Zürcher Zeitung“ undder „taz“ die Massaker von Bunia und Drodro stattge-funden.In der ersten Aprilwoche habe ich den Länderberichterhalten. Ich zitiere aus diesem Bericht:Die Gründe für diesen von der internationalen Öf-fentlichkeit nur wenig beachteten Krieg sind kom-plex. Im Kern dreht sich der Konflikt um die politi-sche Herrschaft im Land und die Kontrolle über dieenormen Rohstoffe. Die Konflikte in Ruanda undBurundi wirken in die Demokratische RepublikKongo hinein … Derzeit konzentrieren sich dieKämpfe mit schwersten Menschenrechtsverletzun-gen, Massenhinrichtungen, systematischen Verge-waltigungen, Vertreibungen und Plünderungen aufdie im Nord-Kivu gelegene Region Ituri.Frau Staatsministerin, herzlichen Dank für die Infor-mationen, die Sie uns mit der Schilderung Ihrer persönli-chen Erlebnisse gegeben haben. Aber wir haben bereitsam 8. Mai im Bundestag eine entwicklungspolitischeDebatte geführt, für die wir am 6. Mai einen Antrag vor-gelegt haben, der sich mit genau diesen Themen befassthat.
Aber die Ministerin hat in ihrer gesamten Regierungser-klärung mit keinem einzigen Wort zu dem Thema KongoSbvltrZfIfmtptgtbdgEWhgdsIAwnFAhdDfdgAi
ch danke den Medien, die das Thema Kongo aufgegrif-en haben, als wir sie nach dieser Regierungserklärungit unseren Informationen versorgt haben.Sie, Frau Ministerin, haben erst am 20. Mai zum ers-en Mal öffentlich Stellung genommen. Dann ging eslötzlich los: Das Verteidigungsministerium, Ihr Minis-erium und das Auswärtige Amt haben das Thema aufge-riffen. Dann wurde Frau Müller in einer hektischen Ak-ion nach Kinshasa geschickt.Wir hatten, wie gesagt, schon einen Antrag einge-racht. Ich sage dem entwicklungspolitischen Sprecherer Grünen: Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auf uns zu-egangen sind. Wir hätten mit diesem Antrag zu einerinigung kommen können.
ir waren uns in diesem Thema schon sehr nahe. Manätte auch einen Sprung machen können. Ich hätte mirewünscht, Herr Hoppe, dass Sie sich insofern hättenurchsetzen können. Das wäre der Sache dienlich gewe-en.
n Ihrem Antrag haben Sie einen großen Teil unseresntrags wörtlich übernommen.Lassen Sie mich kurz darauf zu sprechen kommen,as Sie, Frau Staatssekretärin Eid, in der vorigen Ple-arsitzung in einer Kurzintervention ausgeführt haben.rau Eid, ich bin der festen Überzeugung, dass Sie diefrikapolitik mit Herz und Verstand betreiben. Aber ichabe – auch nach der Regierungserklärung – den Ein-ruck, dass Sie nicht das Ohr Ihrer Ministerin haben.enn dann wäre die Regierungserklärung anders ausge-allen. Ich habe auch den Eindruck, dass der Kanzler,essen G-8-Beauftragte für Afrika Sie sind, Sie im Re-en stehen lassen hat.
Wenn Sie es ernst meinen, dann können Sie unseremntrag, der noch in der parlamentarischen Beratung ist,n der nächsten Plenarwoche zustimmen.Ich danke Ihnen.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Antrag auf Drucksache 15/1144 mit dem
Titel „Für einen stärkeren UN-Einsatz im Nordosten der
Demokratischen Republik Kongo“. Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU
und der FDP bei Enthaltung der beiden fraktionslosen
Mitglieder des Hauses angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Sofortige und bedingungslose Freilassung von
Aung San Suu Kyi
– Drucksache 15/1105 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Neumann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute vor einer Woche ist die burmesische Oppositions-politikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung SanSuu Kyi verhaftet und in ein Gefängnis wahrscheinlichin der Nähe von Rangun gesteckt worden. Wir verurtei-len die erneute Verhaftung der burmesischen Friedens-nobelpreisträgerin auf das Schärfste und fordern zusam-men mit der Bundesregierung die Regierung Myanmarsauf, sie und auch die Begleiter von der NLD, ihrer Par-tei, freizulassen.Die für ihren friedlichen Kampf für Menschenrechteund Demokratie mit dem Friedensnobelpreis ausge-zeichnete burmesische Oppositionspolitikerin wird aufbrutale Weise ihrer Menschenrechte beraubt. Im Juli1989, also vor 14 Jahren, ist sie zum ersten Mal in Haftgenommen worden. Als sie 1991 den Friedensnobelpreisbekommen hat, konnte sie ihn nicht persönlich in Emp-fang nehmen, weil sie sich in Haft befand. Nach ihrerEntlassung 1995 wurde sie im Jahr 2000 wiederum ver-haftet. Bis zum Jahr 2002 stand sie unter Hausarrest. Zuihrer erneuten Festnahme in der vergangenen Woche ha-ben die Militärmachthaber gegenüber der internationalenGemeinschaft erklärt, man halte sie zu ihrem eigenenSchutz an einem unbekannten Ort in Gewahrsam. IhreFreilassung lehnt die Regierung Myanmars ebenso abwie die Bitte des Roten Kreuzes und von Diplomaten umZugang zu Aung San Suu Kyi. Heute Morgen ist derSonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs, HerrRazali, in Rangun eingetroffen. Er will versuchen zuvermitteln. Obwohl er noch keine feste Zusage für einTvMdshzKgdvdAssiwgdbmMdkhswrAuodwSBiwfrüIMwGHiwhfN–tndm
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ann gäbe es nämlich weder die von Ihnen damals alsürokratisches Monster gescholtene Post-Universal-ienstleistungsverordnung noch den Hauptaktionär Bun-esrepublik Deutschland.
enn unsere Aktien wären längst – sehr zum Leidwesener Kleinaktionäre und übrigens auch des Bundeshaus-altes – ausgerechnet auf dem Tiefpunkt an den Börsenerschleudert worden. Sie könnten dann Ihre heutigennträge in den Papierkorb schmeißen. Es wäre ja nichtur um die Anträge und Reden von heute, sondern auchm die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sowie umie Geschäftspartner der Deutschen Post, zum Beispielie Agenturnehmer, schade. Deswegen freuen wir unsesonders, dass Sie jetzt bei uns angekommen sind undich zur Post-Universaldienstleistungsverordnung undu einem stufenweisen Anteilsverkauf bekennen.
Wir können uns deswegen heute ein bisschen mehrhrlichkeit leisten. Die Möglichkeiten des politischeninflusses von Bundestag und Bundesregierung auf daseschäftsgebaren der Deutschen Post tendieren immerehr gegen null.
as wissen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenon der Union und der FDP. Unterlassen Sie deswegenppelle an den Bund als Anteilseigner bitte auch dann,enn es Ihnen stimmungstechnisch und taktisch geradeinmal in den Kram passt! Bleiben Sie bei einer geradeninie!Das, was wir heute gemeinsam tun, kann nur einesein: ein klares Signal an den Vorstand des Unterneh-ens Deutsche Post AG zu geben. Dieses Signal istmso klarer, als sich der ganze Deutsche Bundestageute hinter dieses Signal stellen wird.
Herr Kollege Barthel, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Funke?
Aber sicher.
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Herr Kollege Barthel, ist Ihnen bekannt, dass die ge-
samten Aufsichtsratsmitglieder der Post AG auf der Ka-
pitalseite vom Bund gestellt werden und dass deren Tä-
tigkeit auch vom Bundesfinanzministerium überwacht
wird?
Herr Funke, da irren Sie sich. Es gibt, wenn ich das
richtig weiß, nur zwei Vertreter des Bundes im Auf-
sichtsrat der Deutschen Post. Das sind also nicht einmal
10 Prozent. Das heißt, es gibt dort keine Mehrheit des
Bundes im Aufsichtsrat. Im Übrigen wissen Sie, dass es
laut Aktienrecht auch dann, wenn es anders wäre, nur
schwer möglich ist, dass sich der Aufsichtsrat ins tägli-
che Geschäft eines Vorstandes einmischt.
Ich habe gerade vom Signal an die Deutsche Post ge-
sprochen. Ich habe damit kein Problem, in diesem Fall
aus der Politik ein Signal an die Wirtschaft zu senden.
Denn es gibt genügend Spitzenmanager und Vertreter
von Unternehmensverbänden, die ständig mit dem er-
hobenen Zeigefinger und mit klugen Ratschlägen an
die Politik herantreten – oft genug leider auch, um
vom eigenen Versagen und von eigenen Fehlprognosen
und -einschätzungen abzulenken. Deswegen können wir
das heute auch einmal tun.
Bei der Post geht es aber um mehr; das müssen wir
noch einmal deutlich machen. Das Unternehmen hat
Verpflichtungen übernommen. Die Post bekommt dafür
einen milliardenschweren Ausgleich in Form des reser-
vierten Bereichs zu festgelegten Tarifen. Dieser Bereich
und diese Tarife orientieren sich an den Kostenstruktu-
ren bis 2002. Von daher gibt es von der Seite überhaupt
keine Legitimation für demontageartige Kostensen-
kungsprogramme im Universaldienstbereich. Das muss
man hier einmal ganz klar festhalten. Es gibt erst recht
keine Legitimation für das ständige Lustwandeln an den
Grenzen der Post-Universaldienstleistungsverordnung
und das selbstherrliche Verhalten gegenüber den Kunden
und Kommunen.
Deswegen sagen wir heute ganz klar: Wir werden,
was diese Vorgaben betrifft, am Ball bleiben. Es darf
keine Lücken geben, auch nicht zeitweise. Die Kommu-
nen müssen informiert und beteiligt werden, die
Kontrollmöglichkeiten der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post sind entsprechend herzu-
stellen und die Sanktionsmöglichkeiten sind voll aus-
zuschöpfen. Wenn diese nicht ausreichen, werden wir
diesbezüglich über Verbesserungen nachdenken müssen,
so, wie es im Antrag steht, und zwar auch im wohlver-
standenen Interesse der Deutschen Post.
Wir alle haben nämlich nichts davon – auch das müs-
sen wir uns heute einmal überlegen –, wenn im In- und
Ausland der derzeit sicher falsche Eindruck entstehen
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Der Vorstand des Unternehmens bewegt sich hier auf
ehr dünnem Eis. Es mag sich zwar auf der Hauptver-
ammlung vor den Aktionären ganz gut machen, sich ge-
en „politisches Störfeuer“, wie dort gesagt wurde, zu
erwahren. Wer aber an anderer Stelle gesetzlichen
chutz gern in Anspruch nimmt, sollte den Mund nicht
u voll nehmen, wenn es darum geht, die Gegenleistung
u erbringen, für die die Postkunden und Postkundinnen
n dieser Republik bezahlen.
Ich freue mich sehr, dass wir mit unserem gemeinsa-
en Beschluss heute deutlich machen werden, dass wir
icht bereit sind, dafür Schmiere zu stehen, dass ein so
roßes Unternehmen so mit seinen Gemeinwohlver-
flichtungen umgeht.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!err Kollege Barthel, lassen Sie mich nach den Angrif-en auf die Opposition, die Sie hier natürlich wieder ge-tartet haben, zunächst einmal die Gelegenheit nutzen,eine Erleichterung darüber zum Ausdruck zu bringen,ass es gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zu for-ulieren,
er im Wesentlichen mit dem Antrag der Union „Flä-hendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen si-herstellen“ identisch ist. Hier zeigt sich, dass es auch iniesem Hause sicherlich nur von Vorteil sein kann, abnd zu einmal auf die Vorschläge der Opposition einzu-ehen.
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Alexander DobrindtIch bin der Überzeugung, wir hätten diesen Antragschon viel früher formulieren können, hätte die SPD dieVerantwortung der Bundesregierung gegenüber derDeutschen Post AG, den Postagenturbetreibern und denPostkunden nicht immer kategorisch abgelehnt.Herr Barthel, wir beide waren doch im Februar diesesJahres gemeinsam auf einer Veranstaltung der Postagen-turbetreiber in Peißenberg zugegen. Sie erinnern sich si-cher noch, was Sie damals gesagt haben.
Sie haben jegliche Verantwortung der Bundesregierungund die Möglichkeiten einer korrektiven Gestaltung ab-gelehnt. Umso erfreulicher ist es, dass wir heute einerMeinung sind und einen vernünftigen Antrag gemein-sam beschließen werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit Mona-ten ist die öffentliche Diskussion um die Versorgung mitPostdienstleistungen im Gange. Mittlerweile stapeln sichdie Klagen der Postagenturbetreiber auf unserenSchreibtischen; so wird es uns allen gehen. Täglich liestman über drohende Schließungen von Postagenturen.Die besorgten Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern, diegroße Bedenken haben, ob sie ihre Postgeschäfte zu-künftig noch wie gewohnt erledigen können, zeigen,welch hoher Stellenwert diesem Thema in der öffentli-chen Diskussion beigemessen wird.Diesem Zustand kann der Bundestag nicht tatenloszusehen. Wir müssen klar und deutlich unsere Forderun-gen auch an die Bundesregierung als Mehrheitseigentü-mer der Post formulieren.
– Kollege, hören Sie doch erst einmal, was ich sagenwill.
– Na klar! Er ist ja breit genug, um Angst zu machen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kelber?
Aber bitte.
Herr Kollege.
Der Kollege Barthel hat schon auf die Geschichte
der Post-Universaldienstleistungsverordnung hingewie-
sen. Würden Sie mir aber bestätigen, dass folgende Aus-
sage die Situation richtig beschreibt?
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Das steht in überhaupt keinem Widerspruch zu unse-em heutigen Antrag. Wir wollen nicht in das Aktien-echt eingreifen. Wenn Sie unseren gemeinsamen Antragurchlesen, dann werden Sie feststellen, dass wir explizitie Bundesregierung auffordern, tätig zu werden. Des-egen weiß ich nicht, weshalb Sie sich an meiner Aus-age stören.
Ich formuliere die Forderungen, die wir an die Bun-esregierung und die Post stellen müssen:Erstens. Für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-and muss weiterhin eine flächendeckende Versorgungit Postdienstleistungen sichergestellt werden.Zweitens. Eine faire und partnerschaftliche Bezie-ung muss zwischen Deutscher Post AG und den priva-en Postagenturbetreibern bestehen. Dazu gehört, dassan seine Partner offen und umfassend informiert undhnen die nötige Luft zum Atmen lässt. Dies ist sichericht mehr gegeben, wenn aufgrund der neuen Vertrags-erhältnisse den Agenturbetreibern eine Einkommensre-uzierung um 25 bis 35 Prozent bevorsteht.
Man muss sich fragen, welcher Gedanke eigentlichinter einer solchen Geschäftspolitik steckt. Üblicher-eise wird doch in der freien Wirtschaft versucht, ge-ade die Schnittstellen zum Kunden höchst attraktiv zuestalten: durch attraktive Öffnungszeiten, durch einengenehme Atmosphäre, durch freundliches, hoch moti-iertes Personal. Mir erschließt sich nicht ganz, wie je-and hoch motiviert und leistungsbereit seiner Arbeitm Kunden nachgehen soll, wenn man ihn eines Drittelseines Einkommens beraubt. Ich bin der Überzeugung,ass diese Strategie schlichtweg nicht zielführend ist.ie Frustrationsgrenze seitens der Agenturbetreiber istberschritten, was zwangsweise zu einem Rückgang derundenzufriedenheit führen wird.Natürlich wollen auch wir, dass die Deutsche Post AGls privatwirtschaftliches Unternehmen profitabel arbei-et und Gewinne erwirtschaftet. Aber in diesem Zusam-enhang spielen doch der Kunde und das Werben umie Kunden die ausschlaggebende Rolle.Die Deutsche Post AG bestreitet gar nicht, dass esei den privaten Agenturen zu Einkommenseinbußen
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Alexander Dobrindtkommen wird. Sie gibt sogar Handlungsempfehlungenheraus, wie diese Einkommensverluste kompensiert wer-den können. Ich darf hier aus der Zeitschrift „Post-forum“ einen Sprecher der Deutschen Post AG zitieren,der darauf verweist:Darüber hinaus besteht durch den neuen Vertrag dieMöglichkeit, die täglichen Öffnungszeiten der Part-ner-Filiale etwas flexibler zu gestalten, und so kannder Partner seine Personalkosten senken.Im Klartext heißt das: Personalkosten senken durch ver-kürzte Öffnungszeiten.Ich kann mich noch sehr gut an die Diskussion inmeiner Heimatgemeinde Peißenberg erinnern, als be-kannt wurde, dass das Postamt geschlossen und dafür einPartnershop eingerichtet werden soll. Ich war einer derwenigen, die das begrüßt haben. Ich bin der Überzeu-gung, dass die Marktwirtschaft hier wesentlich kunden-orientierter arbeiten kann als eine Monopolgesellschaft.Die erweiterten Öffnungszeiten waren für mich damalsder ganz entscheidende Vorteil des Systems. Das hatauch gut funktioniert. Der Postagenturbetreiber bei mirzu Hause hat den neuen Vertrag bis heute noch nicht un-terzeichnet.Ich sage es noch einmal: Der Weg zum Erfolg führtüber die Kundenzufriedenheit und dazu brauche icheine funktionierende Schnittstelle zwischen Unterneh-men und Kunden. Dies sehe ich momentan jedoch nichtin ausreichender Form sichergestellt. Deswegen habenwir in unserem Antrag formuliert, dass die Bundesregie-rung als Mehrheitseigentümerin der Deutschen Post AGauf die Angemessenheit der Agenturverträge achten undsich vor allem für einen fairen und partnerschaftlichenUmgang der Deutschen Post AG mit ihren Partnern ein-setzen soll.
Die Verantwortung liegt hier mit bei der Bundesregie-rung und wir fordern sie auf, im Interesse der Kunden,im Interesse der Agenturnehmer und nicht zuletzt im In-teresse der Deutschen Post AG zu handeln.Die Ankündigung der Deutschen Post AG vom gestri-gen Tag, ihr Filialnetz weiter auszudünnen, halte ich fürbedenklich. Nach Berichten sollen zusätzlich 700 Filia-len geschlossen werden. Die Deutsche Post AG will of-fensichtlich auf die gesetzlich vorgeschriebene Grenzevon mindestens 12 000 Filialen und Agenturen schrump-fen. Ich habe diese Grenze immer als ein absolutes Mini-mum betrachtet, das der Gesetzgeber vorgegeben hat.Dass die Deutsche Post AG dies nun als Zielvorgabe be-trachtet, die es schnellstmöglich zu erreichen gilt, kannman eigentlich nur bedauern. Auch hier gilt, dass dieKundenorientierung und nicht das Planziel von 12 000Einheiten im Vordergrund stehen muss.
Die Privatisierung der Deutschen Post AG war inmeinen Augen auch ein breit angelegtes Mittelstands-förderprogramm. Über 7 000 kleine und mittelständi-sbDrUmkDogN–svERhnIdBtrGSsUdtdDWnkhBmtbumub
Herr Barthel –, die wir sehr gerne hören. Diese gab eseit Ihrem Regierungsantritt nicht mehr so oft.
Wir müssen trotzdem feststellen, dass auch Aktionärs-ertreter gestern die aktuell vollzogenen und geplanteninsparungen kritisiert haben. Der gute Ruf des „gelbeniesen“, der maßgeblich mit seinen Erfolgen zusammen-ängt, leidet zurzeit vor allem durch den offensiv betriebe-en Abbau von Briefkästen und der mangelndennformationspolitik gegenüber den Kommunen. Wennie Deutsche Post AG die Auswahl der abzubauendenriefkästen schon durch eine Hightechsoftware ermit-eln kann, dann dürfte sie wohl auch in der Lage sein,echtzeitig ausreichende Informationen an die Städte undemeinden zu übermitteln.
tattdessen wird nur ein Standardinformationsbrief ver-chickt, oft sogar erst hinterher, der vieles Weitere imnklaren lässt.Die Menschen, also die Kunden, stellen den Abbauer Briefkästen erst dann fest, wenn sie an den bekann-en Stellen stehen und die Briefkästen nicht mehr vorfin-en. Die Freude darüber hält sich natürlich in Grenzen.as haben wir alle in den letzten Wochen in unserenahlkreisen erlebt. Das Schönste dabei ist: Wenn manachfragt, welche Briefkästen abgebaut worden sind, be-ommt man eine Liste jener Briefkästen, die noch vor-anden sind. Dazu gibt es den Hinweis, nachdem einigeriefkästen nicht mehr da seien, helfe es niemandemehr, zu wissen, wo sie vorher einmal gestanden haben.Das ist, denke ich, nicht die offene Informationspoli-ik, die ich mir von der Deutschen Post AG wünsche. Ichin der Überzeugung, man könnte bei den Bürgerinnennd Bürger viel Unverständnis und viel Verärgerung ver-eiden, wenn man rechtzeitig und offen informiert hättend nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an den Ab-au von Briefkästen herangegangen wäre.)
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4183
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Alexander Dobrindt
Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass dieDeutsche Post AG über Änderungen der Standorte vonBriefkästen vorab informiert. Bei einer Schließung vonstationären Einrichtungen erachte ich das ohnehin füreine Selbstverständlichkeit.Nochmals: Mehr Fairness, mehr Partnerschaft, mehrGemeinsamkeit und Information, das sind die Grundla-gen unseres Antrags. Wir wollen eine kundenorientierteund flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistun-gen. Wir wollen leistungsfähige und überlebensfähigePostagenturen. Wir wollen eine erfolgreiche Post AG.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ich begrüße es, dass wir es geschafft haben, einen ge-
meinsamen Antrag zu diesem Thema aufzusetzen, und
dass wir es schaffen, ihn zu verabschieden. Natürlich
hängt das nicht damit zusammen, dass wir die Vor-
schläge der Opposition übernommen hätten. Vielmehr
gab es aus allen Fraktionen ähnlich lautende Anträge.
Aber ich will nicht kleinlich sein: Es ist trotzdem eine
große Leistung, dass wir uns zu einem gemeinsamen
Antrag durchgerungen haben.
Heute geht es also darum, wie viele Briefkästen, wie
viele Filialen und wie viele Agenturen die Post bereitzu-
stellen hat; das haben wir in der berühmten PUDLV fest-
gelegt. Ich sage vorweg: Dass sie das muss, hat weniger
damit zu tun, wie viele Aktien der Bund besitzt, sondern
schlichtweg damit, dass die Post in diesem Bereich noch
ein Monopolunternehmen ist und deswegen verpflichtet
ist, eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen.
Deswegen hat dieser Streit, ob Aktien ja oder nein – Sie
wissen, ich bin eher dem Wettbewerb zugeneigt –, in
dieser Debatte, wie ich finde, nichts zu suchen.
Man kann darüber lächeln, dass wir hier im Bundes-
tag darüber diskutieren müssen, wo ein Briefkasten ste-
hen und wo es eine Postagentur geben soll. Aber man
muss sich bewusst machen, dass heute nicht jeder im In-
ternet chattet und dass nicht jeder einen fahrbaren Unter-
satz hat, mit dem er 40 Kilometer fahren kann, um sei-
nen Brief aufzugeben. Zu denjenigen, die nicht so mobil
sind, gehören viele ältere Menschen und ganz junge
Menschen, die zum Beispiel einer Brieffreundin schrei-
ben wollen. Es gibt Menschen, die einfach das Briefe-
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Ich finde es sehr gut, dass wir einen gemeinsamen
ntrag gestellt und in diesem deutlich gemacht haben,
ass wir es nicht akzeptieren werden, wenn diese Ver-
rdnung nicht eingehalten wird. Wir fordern die Post
azu auf, mit der Schließung der Agenturen zu warten,
is die Kartellbehörde die Verträge überprüft hat. Dane-
en fordern wir dazu auf, dass die gesetzlich vorgesehe-
en Bußgelder eingefordert werden, wenn die Verord-
ung nicht eingehalten wird; auch das gehört dazu. Ich
inde, das ist ein eindeutiges Signal, dass wir es sehr
rnst meinen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die beste-
enden rechtlichen Instrumente ausreichen, um die flä-
hendeckende Versorgung sicherzustellen.
Wie gesagt: Ich finde es gut, dass wir einen gemeinsa-
en Antrag gestellt haben, und ich denke, dass wir da-
it der Post gegenüber signalisieren, dass es uns ernst ist
nd dass wir hier zusammenhalten.
Ich danke Ihnen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
ainer Funke, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einemind wir uns einig: Im Interesse der Wirtschaft und dererbraucher wollen wir eine flächendeckende Versor-ung mit Postdienstleistungen sichern.
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4184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Rainer Funke– Seien Sie einmal ganz ruhig! Ich komme gleich zumKern der Sache.
In einem sind wir uns aber nicht einig, lieber HerrKollege Barthel, nämlich darin, wie dies am besten zugeschehen hat.Während die Koalitionsfraktionen und auch Teile derCDU/CSU-Fraktion glauben, Postdienstleistungen si-chere man am besten durch Marktregulierung, zumBeispiel durch eine extensive Auslegung von Universal-dienstleistungen, durch Regelungen, wie viele Briefkäs-ten wann und wo zu leeren sind und vieles mehr,
glauben wir Liberale daran, dass Markt und Wettbewerbdie Verbraucherwünsche am besten befriedigen können.
In allen Bereichen unserer Wirtschaft, ob im produ-zierenden Gewerbe oder im Dienstleistungsbereich, er-hält der Verbraucher, der Kunde, all das, was er benötigt,am Markt. Nur bezogen auf den Postdienstleistungsbe-reich glauben die Sozialdemokraten, die Grünen undauch Teile der CDU/CSU offensichtlich immer noch,dass reguliert werden muss. Das halten wir in der Tat fürfalsch.
– Wir haben diese Regulierung, weil die Post ein Mono-polunternehmen ist. Herr Tauss, Sie wissen, dass wir dasPostmonopol so schnell wie irgend möglich – am bestenschon morgen – beseitigen wollen. Wir wollen diePost AG zu einem wettbewerbsfähigen Marktteilnehmergestalten.
Statt also die richtige Konsequenz zu ziehen, der PostAG ihr Postmonopol zu nehmen und den Wettbewerb zustärken, zum Beispiel durch die Zulassung von privatenWettbewerbern, was auch heute noch sehr gut möglichwäre, wird die typisch sozialdemokratische Antwort ge-funden: Da kein Wettbewerb sein darf, wird reguliert.
In einem Punkt gebe ich den Sozialdemokraten Recht:Weil sie Monopolist ist, bewegt sich die Post AG in arro-ganter Weise im Postregulierungsmarkt. Ein typischesBeispiel dafür war ihr Verhalten gegenüber ihren Part-nern, den Postagenturen: Anfang dieses Jahres hat diePost AG ihren Agenturpartnern einen 39-seitigen Ände-rungsvertrag übersandt, der mit dem Wort „Partnerver-trag“ überschrieben war. Bei der Art dieses Vertrageskann man dabei nur von Hohn und Spott sprechen. SokWbdkdzABzcPnWrPtssfnDPvea
as gilt sowohl für die Wettbewerber als auch für die
ost AG. Da sind die gleichen Wettbewerbsbedingungen
orhanden.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-mpfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeituf Drucksache 15/1129. Der Ausschuss empfiehlt, die
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4185
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerAnträge auf den Drucksachen 15/615, 15/466 und 15/579zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-men.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten BirgitHomburger, Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPDen Bildungsstandort Deutschland stärken –ausländischen Jugendlichen den Schulbesucherleichtern– Drucksache 15/471 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeChristoph Hartmann, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Auch wenn wir hier in einem überschaubarenKreis sitzen, so ist es uns, der FDP, mit dem Bürokratie-abbau Ernst. Dieses Thema anzugehen ist dringend not-wendig. Über 70 000 Verordnungen und Gesetze gibt esin diesem Land, die zum Leidwesen der Bevölkerung je-des Politikfeld durchziehen. Deswegen hat es sich dieFDP zur Daueraufgabe gemacht, innovations- undwachstumshemmende Hindernisse aus dem Weg zu räu-men.
Seit Ende Januar stellen wir Woche für Woche einenAntrag, um Gesetze und Verordnungen zu erleichternoder sie sogar abzuschaffen. Hemmnisse der Bürokratiebetreffen übrigens nicht nur die Wirtschafts- und Steuer-politik. Auch der Bildungsstandort Deutschland wirdinsbesondere im Hinblick auf Schülerinnen und Schülerunzumutbar behindert. Deswegen stellt die FDP den An-trag, ausländischen Jugendlichen den Schulbesuch in un-serem Land zu erleichtern.
Seit Ende Oktober 2002 gilt eine weitere Form desbürokratischen Irrsinns. In der Neuformulierung der All-gemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländerge-setz, in der die Aufenthaltsbewilligungen für den Schul-besuch geregelt sind, können wir unter Nr. 28.5.6.1lesen:drfoWgwrhaduwhddlDegGIuukSc3temdÄdwwinSbb
enau das wollen wir Liberalen nicht.
n Großbritannien oder der Schweiz sind Schülerinnennd Schüler als zahlende Kunden und später als Kultur-nd Wirtschaftsbotschafter ihrer Gastländer hoch will-ommen. In England gibt es circa 120 000 ausländischechüler, insbesondere in privaten Internaten. Diese si-hern 90 000 Arbeitsplätze und bringen mindestens,5 Milliarden Euro pro Jahr ins Land.Dort herrscht ein einfacher Grundsatz: Sind alle Un-erlagen vorhanden, gibt es eine Versicherung, gibt esine Garantie des Lebensunterhalts durch die aufneh-ende Einrichtung, liegen Zahlungsbestätigungen vor,ann wird das Visum erteilt. Dort gibt es eben keinengste vor illegaler Einwanderung, denn die sind durchiese Regelung ausgeräumt. Eine ähnliche Regelungürde uns in diesem Land gut zu Gesicht stehen.
Wir wollen Bürokratie nicht nur deswegen abbauen,eil es etwa populär wäre, sondern weil es notwendigst. Wir wollen unser Bildungssystem für die internatio-alen Herausforderungen fit machen. Wir wollen freienchulträgern und Bildungsunternehmen die Chance ge-en, ihre Kompetenz im wirtschaftlichen Wettbewerb zueweisen.
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4186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Christoph Hartmann
Herr Tauss, in einer Pressemitteilung des Bundesmi-nisteriums für Bildung und Forschung vom 28. Februar2000 können wir lesen: „Die Bundesbildungsministerinkündigte an, mit einem offensiven Marketing fürDeutschland als Bildungsstandort und Forschungsstand-ort künftig werben zu wollen.“
Das hat unsere volle Unterstützung.
Wenn Sie ernst nehmen, was dort steht, dann dürften Siemit unserem Antrag keine Probleme haben, Herr Tauss.Daran werden wir Sie messen.
Wir müssen Nicht-EU-Bürgern Schulbesuche ermög-lichen, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen erfül-len. Wir dürfen nicht die aus Deutschland wegschicken,die hierher kommen, um zu lernen. Das ist gut für dasImage des Bildungsstandorts nach dem PISA-Desaster.Sichern wir die Arbeitsplätze in unseren Schulen undBildungsunternehmen! Lassen Sie uns unnötige Büro-kratie vermeiden! Präsentieren wir uns als würdige Gast-geber! Stimmen Sie unserem Antrag zu!Vielen Dank.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Kollege Hartmann, ich würde mir wünschen, dass
Sie das starke Ausmaß an Weltoffenheit, das Sie gerade
am Beispiel Heidelbergs aufgezeigt haben, der baden-
württembergischen Landesregierung empfehlen wür-
den, damit diese sich positiv zu unserem Zuwanderungs-
gesetz verhalten kann.
Ich muss zugeben: Die tatsächlichen oder angeblichen
Hindernisse für ausländische Jugendliche, ein deutsches
Internat zu besuchen, standen bisher nicht unbedingt im
Zentrum unserer langen, sehr intensiven migrationspoli-
tischen Diskussion. Ich denke da sehr viel stärker an bes-
sere Chancen in unseren Bildungseinrichtungen etwa für
Kinder aus Migrantenfamilien, für Angehörige von Spät-
aussiedlern oder Söhne und Töchter von Asylbewerbern,
auch für illegal im Lande lebende Migranten. Das sind
sicherlich gravierende Probleme.
Aber gleichwohl, Herr Kollege Hartmann, wirft der
Antrag der FDP ein Schlaglicht auf einen bestimmten
Teilbereich der Zuwanderung oder der zeitweiligen Zu-
wanderung junger Menschen und stellt die Frage, ob wir
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Es geht also um den Besuch von Internaten. Daran an-
nüpfend kann man folgern, dass nicht wenige dieser Ju-
endlichen anschließend in Deutschland studieren wol-
en.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Bergner?
Bitte schön.
Frau Kollegin, es überrascht mich zwar nicht, dass Sie
ie Fragestellung in einen Zusammenhang mit der Zu-
anderungsregelung bringen. Geht es aber in dem An-
rag der FDP nicht vielmehr um die Möglichkeit eines
ienstleistungsexportes in dem Sinne, dass Bildungs-
ienstleistungen – übrigens auch im beruflichen Be-
eich – zwar in Deutschland, aber für Ausländer angebo-
en werden können? Sollte nicht die Möglichkeit eines
ienstleistungsexports eröffnet werden? Das hat aber
it der Zuwanderungsregelung in Ihrem Sinne nichts zu
un.
Das Thema hat schon deswegen sowohl mit Dienst-eistungs- und Bildungsangeboten als auch mit der Zu-anderungs- und Ausländerpolitik zu tun,
eil es die Verwaltungsvorschriften im Ausländergesetz,as in seiner jetzigen Fassung bekanntlich noch auf diepoche der christlich-liberalen Koalition zurückgeht, be-rifft. Insofern sind beide Bereiche miteinander zu ver-nüpfen.
Es geht darum, dass ausländische Jugendliche späterielleicht in Deutschland bleiben wollen. Um noch ein-al auf das Thema des Antrags zu sprechen zu kommen:ie Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz – dieeitens der Länder übrigens schon seit 1998 vorbereiteturde und nicht erst seit 2002, sondern bereits seit dem. Oktober 2000 offiziell in Kraft ist – sieht keine Auf-nthaltsbewilligungen vor und erwähnt insbesondereälle, in denen nicht die Eltern des ausländischen Schü-ers oder der Schülerin in Deutschland leben, sondernndere Verwandte. Dahinter verbirgt sich wohl dieorge, dass sich in solchen Fällen ein Daueraufenthaltntwickeln könnte.Ausnahmen sind nach dieser Vorschrift nur möglich,enn es sich um einen zeitlich begrenzten Schüleraus-ausch oder um eine Schule mit internationaler Ausrich-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4187
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Dr. Cornelie Sonntag-Wolgasttung handelt. Außerdem bezieht sich die Vorschrift aufSchulen, die vollständig oder zu einem überwiegendenTeil aus Schulgeldern finanziert werden, die von den El-tern zu entrichten sind.Die Verwaltungsvorschrift hat insofern auch den in-ternationalen Aspekt und den Aspekt der Weltoffenheitdes Bildungsstandortes mit erfasst. In diesem Zusam-menhang stellt sich auch mir die Frage, ob diese Weltof-fenheit deutlich genug zutage tritt.
Die Frage, ob diese Vorschrift einladend oder eher ab-schottend und abschreckend wirkt, sollte uns durchausbeschäftigen.Das Bundesinnenministerium hat keine Kenntnis vonnennenswerten Problemen im Zusammenhang mit dieserVorschrift. Dennoch könnte uns die praktische Erfahrungin den Ländern ein anderes Bild liefern. Sie haben be-reits ein Beispiel genannt. Deswegen rege ich an, dasswir bei den Beratungen des Antrags in den zuständigenAusschüssen die Praxis der Behörden, der Länder undvielleicht auch die Erfahrungen der betroffenen Kinderund Eltern berücksichtigen. Das ist sicherlich interes-sant.Unumstritten ist sicherlich, dass im VisumverfahrenNachweise in Bezug auf die internationale Ausrichtungder Schule, auf die private Finanzierung und den gesi-cherten Lebensunterhalt für die interessierten Schüler er-bracht werden müssen. Daran kommen wir nicht vorbei– darin sind wir uns sicherlich einig –, weil für den Auf-enthalt der Jugendlichen im Interesse aller Beteiligteneine solide Grundlage nötig ist.Ich möchte aber betonen, dass es zu begrüßen ist,wenn Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern hier-her kommen, um Privatschulen oder Internate zu be-suchen. Das spricht übrigens auch dafür, dass die Unter-richtsangebote in den Bundesländern allen PISA-geprägten Unkenrufen zum Trotz ihre Anziehungskraftnicht völlig eingebüßt haben.Es tut deutschen Internatszöglingen sicherlich auchgut, wenn sie begabte und interessierte Mitschüler ande-rer Haut- und Haarfarbe aus anderen Kulturkreisen undReligionsgemeinschaften zur Seite haben und mit ihnenzusammen lernen. Diejenigen ausländischen Jugendli-chen, die später wieder in ihre Heimat zurückkehren,können wiederum Botschafter eines friedlichen Lebensund der Weltoffenheit in der Bundesrepublik sein.Deswegen ist zu überlegen, ob die Voraussetzungenfür solche Privatschulen und Internatsaufenthalte aus-ländischer Kinder und Jugendlicher im Ausländerrechtoffener, sprich: gastfreundlicher, formuliert werden soll-ten. Das entspricht übrigens auch dem Gesinnungswan-del – es tut mir Leid, dass ich noch einmal auf dasZuwanderungsgesetz zu sprechen komme, aber der Zu-sammenhang ist zwingend –, den wir in unserem Zu-wanderungsgesetz deutlich machen, dass nämlich längstnicht jede Form der Zuwanderung des Teufels ist, wie esdie CDU/CSU uns und leider auch den Bürgern einhäm-mdVDddnbsDdbossuCgbgVbetEbdtrwmf
ieser Gedanke – da das oft vergessen wird, erinnere icharan – liegt auch dem Passus des Gesetzes zugrunde,er es ausländischen Hochschulabsolventen ermöglicht,ach ihrem Studium in Deutschland zu bleiben, wenn sieinnen eines Jahres eine geeignete Tätigkeit finden. Die-es Element des Gesetzes wird leider in der öffentlicheniskussion unterschlagen, ist aber im Interesse des Bil-ungsstandorts Deutschland.Reden wir im Innenausschuss und in den anderen mit-eratenden Ausschüssen darüber, und zwar hoffentlichhne die Feindseligkeiten und die Drohkulissen, dieonst die Debatten über die Migration begleiten. Wirollten uns bei diesem Thema ruhig einmal eine positivend gastfreundliche Diskussion genehmigen.Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Ernst-Reinhard Beck, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Tauss, lassen Sie sich überraschen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-innen und Kollegen! Gestatten Sie mir zuerst drei Vor-emerkungen, mit denen ich Bezug auf Ihre Ausführun-en nehmen möchte, liebe Frau Sonntag-Wolgast. Ersteorbemerkung: Nach meiner Auffassung handelt es sichei dem zur Diskussion stehenden Thema im Kern umine bildungspolitische und nicht um eine ausländerpoli-ische Fragestellung.
ntscheidend ist einfach – ich begrüße sehr, dass Sie dasereits dargestellt haben –, wie man mit diesen Bil-ungsfragen umgeht, ob man ermunternd oder abschot-end formuliert. Ich meine, in einer Zeit der Europäisie-ung und der Globalisierung stünde es uns gut an, wennir eine weltoffene Formulierung fänden, die einen er-unternden und nicht einen dumpf-abschottenden Ef-ekt hat.
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Ernst-Reinhard Beck
Zweite Vorbemerkung: Es geht auch nicht um denSchulbesuch von Schülern aus EU-Staaten, sondern aus-schließlich um Schüler aus Nicht-EU-Staaten, die einedeutsche Schullaufbahn gewählt haben.Dritte Vorbemerkung: Betroffen ist auch nicht derSchüleraustausch. Er hat sich seit vielen Jahren einge-spielt und bewährt. Hier sind uns auch keine Problemebekannt. Wir wünschen uns nur, dass er intensiver be-trieben wird. Es geht außerdem – das haben schon meinebeiden Vorredner ausgeführt – nicht primär um die staat-liche Regelschule, sondern um Bildungsangebote priva-ter Träger, zumeist von Internaten.In Deutschland gibt es zurzeit 2 600 Schulen mit un-gefähr 580 000 Schülern in freier Trägerschaft. Der An-teil der ausländischen Schüler beträgt an manchen die-ser Schulen bis zu 20 Prozent. Hier zeigt sich trotz PISA– auch das haben Sie zu Recht hervorgehoben – diedurchaus noch vorhandene Attraktivität des Bildungs-standorts Deutschland, den wir mit bürokratischen Rege-lungen nicht weiter beschädigen dürfen. AusländischeSchüler – das ist bereits am Beispiel Englands und derSchweiz dargestellt worden – stellen einen nicht unbe-trächtlichen Wirtschaftsfaktor dar. Die Kinder, die eindeutsches Internat besuchen, sind im Anschluss an ihrenSchulbesuch hervorragende Botschafter auch der deut-schen Kultur und der deutschen Sprache in ihren Hei-matländern.
Allein im Hinblick auf eine weitere Europäisierungund Globalisierung – das habe ich schon vorhin gesagt –ist eine internationale Ausrichtung der deutschen Schuleeine Notwendigkeit. Herr Tauss, auch dem werden Siewahrscheinlich zustimmen.
Die Schulen in freier Trägerschaft haben auf diesemGebiet bereits eine Vorreiterrolle übernommen. Esnimmt nicht wunder, dass zum Beispiel die SchuleSchloss Salem im Internet auf Englisch, Französisch,Spanisch, aber auch auf Russisch und Chinesisch wirbt.Lassen Sie mich auf die entsprechende Verwaltungs-vorschrift im Ausländergesetz eingehen. Dort heißt es:Im Allgemeinen können Aufenthaltsbewilligungen zumSchulbesuch nicht erteilt werden. Frau Sonntag-Wolgast,genau das ist eine ängstliche und abwehrende Formulie-rung, bei der meiner Meinung nach die Asyl- und Zu-wanderungsdebatte eine Rolle gespielt hat und die nachmeiner festen Überzeugung fehl am Platz ist.
Im Hinblick auf so genannte staatlich anerkannte Pri-vatschulen wird gesagt: Ausnahmen können in Betrachtkommen, wenn es sich um eine staatlich anerkannteSchule handelt, die ganz oder überwiegend aus den vonden Eltern zu entrichtenden Schulgeldern finanziertwird, und wenn der Lebensunterhalt des ausländischenSchülers durch Zahlungen der Eltern gesichert ist.whIkwlwHsggfApg–EwvkkwbsmdlsdefSemmcdVzSaM
ch habe in sehr vielen Fällen gehört, dass es überhaupteine Probleme gibt und dass auch bei Heimatländernie China, Ukraine oder Mexiko die Anträge problem-os bearbeitet und die Aufenthaltsgenehmigungen erteilterden. Allerdings – das Beispiel ist vorhin von Herrnartmann genannt worden – gibt es offenbar eine unter-chiedliche Handhabung. Das ist im Sinne der Chancen-leichheit nicht akzeptabel.Wie geht man damit um? Man sollte daran keinerundsätzliche Diskussion aufhängen. Man könnte ein-ach den Passus in der Verwaltungsvorschrift streichen.ber das ist Ausländerrecht. Es steht mir als Bildungs-olitiker nicht unbedingt zu, den Innenpolitikern zu sa-en, was sie in ihre Vorschriften hineinschreiben sollen.
Ich habe gesagt: Ich maße mir das nicht an. – Meinesrachtens wäre natürlich schon sehr viel gewonnen,enn mit einer positiven Formulierung auch ein positi-es Signal gesetzt würde. Ein Beispiel – damit das kon-ret wird –: Aufenthaltsbewilligungen zum Schulbesuchönnen unter den nachfolgenden Bedingungen erteilterden. – Als Bedingungen könnten die Ausnahmetat-estände genannt werden, die in der Verwaltungsvor-chrift stehen.Ich komme aus Baden-Württemberg. Da schaut mananchmal zum südlichen Nachbarn. Von der Schweiz,ie nicht gerade in dem Ruf steht, im Bereich der Aus-änderpolitik eine Vorreiterrolle zu spielen, als klassi-chem Internatsland könnten wir das übernehmen, wasort geregelt worden ist; man könnte es sich zumindestinmal anschauen.Wer in der Schweiz ein Internat besuchen will, hatolgende Voraussetzungen zu erfüllen – das ist in derchweiz gesetzlich geregelt –: Erstens. Er muss alleininreisen, das heißt ohne Immigrationsabsichten der Fa-ilie. Zweitens. Er muss eine Ganztagsschule allge-ein- oder berufsbildender Art im Sinne einer staatli-hen Schule besuchen. Drittens. Der Schulleiter mussie Schulanmeldung und den Schulbesuch bestätigen.iertens. Der Schüler muss über ausreichende finan-ielle Mittel verfügen. Fünftens. Bei minderjährigenchülern muss für Betreuung gesorgt sein. Die Wieder-usreise nach dem Schulbesuch muss gesichert sein.ehr nicht. Das sind klar umrissene Voraussetzungen.
Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4189
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Danke schön, Frau Präsidentin. Ich komme zum
Schluss.
Die Bundesregierung ist laut Antwort auf eine Große
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion daran interessiert, dass
möglichst viele Menschen in möglichst vielen Ländern
Deutsch lernen; in besonderem Maße gelte das für Län-
der, mit denen Deutschland besonders enge politische,
wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen pflege. Wenn
das so ist, dann gilt es in der Tat, den Schulbesuch aus-
ländischer Schüler in Deutschland zu fördern und ihn
nicht zu be- oder gar zu verhindern.
Vielen Dank.
Lieber Herr Kollege Beck, ich gratuliere Ihnen recht
herzlich zu Ihrer ersten Rede in diesem Hohen Hause
und wünsche Ihnen alles Gute.
Nächster Redner ist der Kollege Josef Winkler, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Beim vorliegenden Antrag der FDP ist der Titel
in Ordnung, aber mit dem Inhalt müssen wir uns noch
einmal näher befassen. „Den Bildungsstandort Deutsch-
land stärken“ – dagegen kann niemand etwas haben.
„Ausländischen Jugendlichen den Schulbesuch erleich-
tern“ – wenn ich nach rechts schaue, bin ich mir nicht
ganz so sicher, ob die Bereitschaft dazu so groß ist.
Mit dem vorliegenden Antrag kritisiert die FDP eine
uneinheitliche und bürokratische Verwaltungspraxis bei
der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen für auslän-
dische Jugendliche zum Besuch deutscher Schulen. Die
FDP führt das auf eine zu restriktive Verwaltungsvor-
schrift zum Ausländergesetz zurück. Sie haben auch aus-
geführt, die unterschiedlichen Ergebnisse der Prüfungen
durch die Ausländerbehörden stellten eine Negativwer-
bung für den Bildungsstandort Deutschland dar. Zu Ih-
ren Ausführungen dazu möchte ich sagen: Irgendwo ist
zumindest die Gruppe, die hier angesprochen worden ist,
untergekommen.
Ein sicherlich recht schroff klingender Satz aus der
Verwaltungsvorschrift wurde bereits erwähnt. Allerdings
gibt es eine ganze Reihe von Ausnahmekategorien, die
die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Schul-
besuch ermöglichen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn
ein Schüler aus einem Land stammt, das im Ausnahme-
katalog der Arbeitsaufenthalteverordnung genannt ist
– etwa die Schweiz, die USA, Kanada, Australien und
Japan –, wenn es um einen zeitlich begrenzten Schüler-
austausch in Zusammenarbeit mit einer öffentlichen
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Marion Seib, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ildung ist für uns der entscheidende Standortfaktor.ür die wirtschaftliche, politische und gesellschaftlicheeiterentwicklung der Bundesrepublik ist es sicherlichon elementarer Bedeutung, den Bildungsstandorteutschland zu stärken und insgesamt attraktiver zuestalten. Beim Stichwort Bildungsdienstleistungenenkt man in erster Linie an die Länder Großbritanniender Schweiz, aber kaum an Deutschland.
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Marion SeibWenn wir Schulbesuche von ausländischen Jugendli-chen in unserem Land unbürokratisch ermöglichen, dannist dies eine gute und richtige Maßnahme, damit wir alsBildungsdienstleister weltweit wahrgenommen werden.
Daher halte ich den Antrag der FDP-Fraktion in der Sa-che für richtig.Wir reden hier nicht von Zuwanderung. Zuwanderungist ein auf Dauer angelegter Aufenthalt. Wir reden hiervon einem temporären und die Solidarität nicht strapa-zierenden Aufenthalt.
Es gibt einige gute Gründe, die Möglichkeit desSchulbesuchs in Deutschland zu erleichtern. Die Inter-natsschüler in England und in der Schweiz haben sich zueinem Wirtschaftsfaktor für viele Regionen entwickelt.
Niemand von uns kann ernsthaft etwas dagegen haben,wenn wir kleine, aber dennoch positive Effekte für un-sere wirtschaftliche Entwicklung erzielen. Aber auchlangfristig gibt es positive Effekte für den Wirtschafts-standort Deutschland. Diese Effekte sind nicht so ein-fach wie die Ausgaben der Schüler während ihres Auf-enthaltes in Eurobeträge zu fassen. Viele der jungenMenschen, die einen Schulbesuch im Ausland absolvie-ren, werden in einigen Jahren in Wirtschaft und Politikihres Heimatlandes in herausgehobenen Positionen tätigsein.
Gerade in Zeiten der verstärkten Vernetzung der inter-nationalen Märkte und des Zusammenrückens in Europaist es wichtig, schon frühestmöglich funktionierendeNetzwerke zu knüpfen. Was, meine sehr geehrten Da-men und Herren, spricht dagegen, bereits in der Schuledamit zu beginnen, diese zukunftsorientierten Netzwerkeaufzubauen?
Eine wesentliche Hürde, für Firmen und Institutionenin unserem Lande tätig zu werden, ist in meinen Augendas Fehlen von Grundkenntnissen des Deutschen beiFachkräften aus dem europäischen und vor allem demaußereuropäischen Ausland.
– Nein, da bekomme ich viel Beifall, sehr geehrter HerrKollege. – Wir können und sollten uns nicht darauf ver-lassen, dass es die Goethe-Institute schon richten wer-den. Wenn sie auf erworbenen Grundkenntnissen in derdeutschen Sprache aufbauen können, fällt es den auslän-ddeskdisKdedEcvKdgnubBzdcgDmuigwseSegf
s ist daher notwendig, dass die betreffenden Jugendli-hen viele positive Eindrücke sammeln. Zu den positi-en Eindrücken zählt zweifelsohne nicht der langeampf mit den Behörden in unserem Land. Ich denke,as können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf-rund Ihrer eigenen Erfahrungen mit unseren Behördenachvollziehen.Ein großes Problem in diesem Zusammenhang ist dienterschiedliche Handhabe der einzelnen Bundesländerei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen.ayern wird in diesen Fragen gerne der schwarze Peterugeschoben, wie Sie es eben wieder versuchten, aberie Realität sieht anders aus. So können beispielsweisehinesische Staatsbürger komplette Ausbildungspro-ramme in der Benedict-Schule München absolvieren.
ie Visaerteilung für die Teilnehmer erfolgt in Zusam-enarbeit des Deutschen Generalkonsulats in Pekingnd Schanghai mit dem bayerischen Ausländeramt undst regelmäßig unproblematisch.
Für uns politisch Handelnde muss es vorrangige Auf-abe sein, darauf zu drängen, dass die bestehenden Ver-altungsvorschriften so geändert werden, dass einechnellstmögliche, unbürokratische sowie bundesweitinheitliche Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen fürchüler erfolgen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind unsinig und halten es alle für widersinnig, wenn in der All-emeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetzormuliert wird:Im Allgemeinen können Aufenthaltsbewilligungenzum Schulbesuch nicht erteilt werden.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003 4191
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Marion Seib
– Ich glaube, das Rederecht liegt bei mir, verehrter HerrKollege. – Nachfolgend werden in der genannten Ver-waltungsvorschrift zwar die Ausnahmen aufgeführt, aberdurch den ersten Satz wird bereits eine negative Grund-stimmung erzeugt.Damit sind wir bei dem, was auch Sie, Frau KolleginSonntag-Wolgast, gesagt haben: Ich denke, wir solltendie Formulierung dahin gehend ändern, dass die Kern-aussage dieses Passus nicht das halb leere Glas be-schreibt, sondern das halb volle Glas. Demnach solltenwir in Deutschland Aufenthaltsbewilligungen zumZweck des Schulbesuchs grundsätzlich erteilen. Die da-ran zu knüpfenden Bedingungen wurden schon mehr-fach angeführt. Das können wir alle unterstützen. Ich bindavon überzeugt: Wenn alle diese Voraussetzungen er-füllt sind, gibt es keinen Grund, ausländischen Schülerndie Aufenthaltsbewilligung, in welches Bundesland sieauch immer gehen wollen, zu verweigern.Ich bedanke mich.
Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Ernst Dieter
Rossmann, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lassen Sie mich am Anfang den KollegenBeck zu seiner ersten Rede beglückwünschen. So, wieSie ein paar Vorbemerkungen gemacht haben, mache ichein paar Nachbemerkungen.Die erste Nachbemerkung lautet: Es ist erfreulich,welch große Übereinstimmung wir darin haben, dass In-ternationalität im Bildungswesen ein gemeinsamesAnliegen ist.
Auf einem Teilgebiet, nämlich bei den Studenten, kön-nen wir ja seit 1998 einen deutlichen Zuwachs verzeich-nen; ein Plus von 20 Prozent bei den ausländischen Stu-dierenden wäre den Beifall des ganzen Hauses wert.Dies ist gemeinsamen Anstrengungen von uns allen zuverdanken.
Zweite Vorbemerkung: Ich fand es sehr gut, dass Siein der Sache dargelegt haben, dass wir nicht allein überEU-Ausländer sprechen, sondern hierbei auch unserenBlick über die EU hinaus richten müssen. Auch das istuns ein wichtiges Anliegen, denn eine BildungsfestungEuropa würde nicht für Internationalität sorgen. Von da-her hat die FDP hiermit einen richtigen Punkt angespro-chen. Wir müssen an diesem Punkt arbeiten.ddssmrc2augShrbshSsAuBeBavmbdsswwDvciktnDkSgDdr–kd
as könnte bezogen auf das kritische Thema Bund-Län-er-Zusammenarbeit bei Schul- und Bildungsfragen hilf-eich sein.
Ich glaube nicht, dass es das komplizieren würde; esönnte es befruchten, wie es auch bei den Hochschulener Fall war.
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4192 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2003
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Dr. Ernst Dieter RossmannFünfte Bemerkung. Kollege Beck, auch ich habe michumgehört, und zwar in vier Bundesländern, nicht nurbeim Verband Deutscher Privatschulen. In Luisenlund inSchleswig-Holstein ist man sehr zufrieden, weil es einenguten Kontakt zu den Ausländerbehörden gibt und manaufeinander eingespielt ist. In Mecklenburg-Vorpom-mern gibt es keine Kritik von der beispielhaften Schule.Auch von Brandenburg gibt es keine Kritik. Mit Salemhabe ich ebenfalls gesprochen. Sie sagten hier, von dortgebe es keine Kritik; mir sagte man, es hätte Schwierig-keiten gegeben, weil man alles schriftlich haben wollteund bestimmte Unterlagen nicht aufs Faxgerät legenkonnte, um so einen schnellen Kontakt zwischen denBehörden zu bekommen.Ich will damit sagen, dass das Bild uneinheitlich ist.Aber ich habe auch das Gefühl: Wir können uns noch soFakt ist, dass die restriktiven Vorschriften im Juli1998 in der Verwaltungsvereinbarung zwischen denLändern niedergelegt würden. Sie wissen, was danachkam: unsere Regierungszeit. 2000 wurden sie von denLändern exekutiert und seitdem nicht verändert. Chancealso für den Innenausschuss, dort Liberalität und Offen-heit zu zeigen.Es besteht die Chance für den Bildungsausschuss – sieb-ter Punkt –, in einem gemeinsamen Antrag Vorschlägezu entwickeln, was man unterhalb der gesetzlichen undder Verwaltungsebene tun kann: Bitten an das Auswär-tige Amt, über die Konsulate darauf einzuwirken, Bitten,Statistiken zu erstellen, Bitten, eine Werbung aufzu-bauen.Ich möchte abschließend sagen: Es ist wunderbar, mitgroße Mühe geben, beim Verwaltungsvollzug wird esimmer gewisse Differenzen geben. Wir sollten aber da-rauf achten, dass wir über die kleinen Differenzen imVerwaltungsvollzug nicht die grundsätzliche Perspektiveaus den Augen verlieren.Diese Perspektive – sechster Punkt – wollen wir gerneaufnehmen. Wir sind als Bildungspolitiker ganz begeis-tert, welche Offenheit es aufseiten der FDP gibt, der wirdort nichts vorzuwerfen haben.
– Das war jetzt die Überleitung zur CDU/CSU. Wenn esmöglich wäre, diese Verwaltungsvorschrift so zu überar-beiten, dass der bildungspolitische Duktus, die Offen-heit, das Werben stärker zum Ausdruck kommen, dannwürden wir uns an erster Stelle freuen. Aber damit es soweit kommt, müssen die Innenpolitiker überzeugt wer-den. Deshalb ist es strategisch goldrichtig, diesen Antragfederführend an den Innenausschuss zu überweisen.
Das ist die Stunde der Wahrheit, in der wir uns mit gan-zer Kraft einbringen wollen. Wenn es dort einen breitenCDU/CSU-SPD-FDP-Grüne-Konsens gäbe, wäre dasnur zum Besten. Wenn dieser noch in die Länder hinein-reichte, wäre das zum Allerbesten.dkDfredotdBtgBe(Dieser Gemeinsamkeit in die Pfingsttage aufbrechen zuönnen.Vielen Dank fürs Zuhören.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/471 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
ung beim Innenausschuss liegen soll. Sind Sie damit
inverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist
ie Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
ages auf Dienstag, den 17. Juni 2003, 14 Uhr, ein. In
ieser Sitzung soll die erste Lesung des Antrags der
undesregierung über die Beteiligung an der EU-Opera-
ion im Kongo erfolgen. Eine Aussprache ist nicht vor-
esehen.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und den
esuchern auf der Tribüne ein schönes Pfingstwochen-
nde.
Die Sitzung ist geschlossen.