Protokoll:
15020

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 20

  • date_rangeDatum: 17. Januar 2003

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:26 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fristen und Bezeichnungen im Neunten Buch Sozialgesetzbuch und zur Ände- rung anderer Gesetze (Drucksachen 15/124, 15/317) . . . . . . . . . 1559 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Beschäftigung schwerbehinderter Men- schen im öffentlichen Dienst des Bundes (Drucksache 15/227) . . . . . . . . . . . . . . . . 1559 B Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 1559 C Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 1561 A Markus Kurth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1562 D Daniel Bahr (Münster) FDP . . . . . . . . . . . . . 1564 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 1565 B Barbara Lanzinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1565 D Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 1567 A Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes (JuSchGÄndG) (Drucksache 15/88) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1569 B Christa Stewens, Staatsministerin (Bayern) 1569 B Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1571 A Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1573 A Jutta Dümpe-Krüger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1574 C Andreas Scheuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 1575 C Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1576 D Michaela Noll CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 1578 C Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1579 C Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstge- setzes (Erstes Zivildienständerungsge- setz) (Drucksache 15/297) . . . . . . . . . . . . . . . . 1580 C Anton Schaaf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1580 C Willi Zylajew CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 1582 C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1584 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1585 D Tagesordnungspunkt 16: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Sondergutachten des Sozialbei- rats zur Rentenreform (Drucksache 14/5394) . . . . . . . . . . . . . 1587 B Plenarprotokoll 15/20 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 20. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Januar 2003 I n h a l t : b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwan- kungsreserve sowie des jeweils erfor- derlichen Beitragssatzes in den künfti- gen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI (Rentenversicherungsbericht 2001) und Gutachten des Sozialbei- rats zum Rentenversicherungsbe- richt 2001 (Drucksache 14/7639) . . . . . . . . . . . . . 1587 B c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwan- kungsreserve sowie des jeweils erfor- derlichen Beitragssatzes in den künfti- gen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI (Rentenversicherungsbericht 2002) und Gutachten des Sozial- beirats zum Rentenversicherungs- bericht 2002 (Drucksache 15/110) . . . . . . . . . . . . . . 1587 C Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1587 D Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1589 A Birgitt Bender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1591 B Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 1593 A Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1594 B Hildegard Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 1595 D Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMGS 1597 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . 1599 A Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1599 C Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 1601 B Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zinsabgeltungsteuer einführen – Flucht- kapital zurückholen (Drucksache 15/217) . . . . . . . . . . . . . . . . 1603 A Dr. Andreas Pinkwart FDP . . . . . . . . . . . . . . 1603 B Gabriele Frechen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1604 A Dr. Andreas Pinkwart FDP . . . . . . . . . . . 1605 A Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1606 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1607 B Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 1608 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1609 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1611 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1611 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 20032 (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 2003 1559 20. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Januar 2003 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Custode Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 2003 1611 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 17.01.2003 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 17.01.2003 DIE GRÜNEN Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 17.01.2003 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 17.01.2003 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 17.01.2003 Hartnagel, Anke SPD 17.01.2003 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 17.01.2003 Dr. Hoyer, Werner FDP 17.01.2003 Kasparick, Ulrich SPD 17.01.2003 Kossendey, Thomas CDU/CSU 17.01.2003 Laurischk, Sibylle FDP 17.01.2003 Lenke, Ina FDP 17.01.2003 Michelbach, Hans CDU/CSU 17.01.2003 Mogg, Ursula SPD 17.01.2003 Möllemann, Jürgen W. FDP 17.01.2003 Multhaupt, Gesine SPD 17.01.2003 Nitzsche, Henry CDU/CSU 17.01.2003 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 17.01.2003 Reiche, Katherina CDU/CSU 17.01.2003 Rupprecht (Tuchenbach), SPD 17.01.2003 Marlene Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 17.01.2003 Andreas Dr. Solms, Hermann Otto FDP 17.01.2003 Dr. Stadler, Max FDP 17.01.2003 Straubinger, Max CDU/CSU 17.01.2003 Thiele, Carl-Ludwig FDP 17.01.2003 Volquartz, Angelika CDU/CSU 17.01.2003 Wissmann, Matthias CDU/CSU 17.01.2003 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 784. Sitzung am 20. De- zember 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenografischen Bericht zuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch gemäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen: – Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Durch diesen Beschluss ist der vom Bundesrat gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG eingebrachte Entwurf eines Ge- setzes zur Aktivierung kleiner Jobs (Kleine-Jobs-Ge- setz) gegenstandslos geworden. – Gesetz zur Einbeziehung beurlaubter Beamter in die kapitalgedeckte Altersversorgung – Gesetz zu dem Revisionsprotokoll vom 12. März 2002 zu dem Abkommen vom 11. August 1971 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 (Nachtragshaushaltsgesetz 2002) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat stellt fest, dass die Bundesregierung mit der Vorlage eines Nachtragshaushalts für 2002 erst jetzt auf Entwicklungen reagiert, die ihr bereits seit längerer Zeit bekannt sind. So steigt nunmehr die Neuverschul- dung des Bundes für das Jahr 2002 gegenüber der bishe- rigen Planung um rund zwei Drittel auf 34,6 Milliarden Euro. Der enorm gewachsene Fehlbetrag im Bundeshaus- halt führt dazu, dass Deutschland die EU-Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr nicht einhalten kann. Vielmehr wird für 2002 ein gesamt- staatliches Defizit von 3,8 Prozent des Bruttoinlandspro- dukts erwartet. Die Verantwortung hierfür hat allein der Bund, dessen Finanzierungsdefizit einschließlich Sozial- versicherungen, bezogen auf die dem Bundesbereich entsprechend der Vereinbarung im Finanzplanungsrat zuzu- ordnende Bemessungsgröße von 45 Prozent des Bruttoin- landsprodukts, rund 4,6 Prozent ausmacht. Darüber hinaus übersteigt die Neuverschuldung des Bundes in erheblichem Maße die nach Artikel 115 GG als Obergrenze normierte Summe der Investitionen. Nach Auffassung des Bundesrates sind die ungünstige Entwicklung der Bundesfinanzen und ihre negativen Fol- gewirkungen auf Fehler und Versäumnisse der Wirtschafts- , Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung zurückzu- führen. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und vor allem die zunehmend pessimistischere Einschät- zung der ökonomischen Perspektiven durch die Wirt- schaft und die Bürger sind seit Monaten markant sichtbar gewesen. Gleichwohl hat die Bundesregierung diesbezüg- lich für ihre Haushalts- und Finanzplanung keine Konse- quenzen gezogen. Die Bundesregierung reagiert vielmehr erst jetzt und damit verspätet. Die Bundesregierung hat ihre Einschätzung, wonach 2002 die EU-Defizitobergrenze für den Gesamtstaat von 3 Prozent eingehalten wird, ständig wiederholt und be- kräftigt. Die Einleitung eines Frühwarnverfahrens durch die EU im Frühjahr 2002 verhinderte die Bundesregie- rung durch die Vereinbarung unrealistischer Zusagen. Bis unmittelbar nach den Wahlen zum Deutschen Bundestag im September beharrte die Bundesregierung auf ihrer Ein- schätzung. Der Bundesrat sieht hierin ein nicht hinnehm- bares Vorgehen, das allein wahltaktisch motiviert war. Er bedauert es, dass die Bundesregierung diese Zeit nicht ge- nutzt hat, um durch geeignete Maßnahmen steuernd ein- zugreifen, um zumindest das Ausmaß der Defizitüber- schreitung einzudämmen. Falsche Weichenstellungen im Bereich der Arbeits- marktpolitik, von übertriebener Regulierung bis hin zu starken Beschränkungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, haben sich als deutliche Belastungsfakto- ren erwiesen. Verunsicherung im Bereich der Steuerpoli- tik durch sprunghafte Ankündigungen und unausgewo- gene Steuerrechtsänderungen, verbunden mit viel zu niedriger Einschätzung der finanziellen Folgen für das Steueraufkommen – insbesondere im Bereich der Körper- schaftsteuer – hat zu weiteren Beeinträchtigungen sowohl der gesamtwirtschaftlichen Situation, als auch für die öf- fentlichen Haushalte beigetragen. Die Überschreitung der Kreditfinanzierungsgrenze nach Artikel 115 GG ist auch eine Folge davon, dass die Bundesregierung ihre bisherige Haushalts- und Finanz- planung nicht vorausschauend und zukunftsorientiert ge- staltet hat. die Bundesregierung nimmt die Ausnahmere- gelung des Artikels 115 GG, die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, in Anspruch, ob- wohl sie selbst in weiten Teilen für diese Störung selbst die Ursachen gesetzt oder es versäumt hat, rechtzeitig ge- eignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit hat mitgeteilt, dass der Aus- schuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2001 – Drucksachen 14/9995, 15/99 Nr. 1.14 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/103 Nr. 2.105 Drucksache 15/103 Nr. 2.125 Drucksache 15/103 Nr. 2.130 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 15/103 Nr. 1.11 Drucksache 15/103 Nr. 2.12 Drucksache 15/103 Nr. 2.61 Drucksache 15/103 Nr. 2.70 Drucksache 15/103 Nr. 2.83 Drucksache 15/103 Nr. 2.85 Drucksache 15/103 Nr. 2.91 Drucksache 15/103 Nr. 2.95 Drucksache 15/103 Nr. 2.128 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 15/103 Nr. 2.114 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 15/103 Nr. 1.4 Drucksache 15/103 Nr. 1.15 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 15/103 Nr. 2.59 Ausschuss für Tourismus Drucksache 15/103 Nr. 1.1 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 15/103 Nr. 1.4 Drucksache 15/103 Nr. 2.15 Drucksache 15/103 Nr. 2.57 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 20031612 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502000000


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie den Zu-
satzpunkt 6 auf:

13. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung von Fristen und Bezeichnungen im
Neunten Buch Sozialgesetzbuch und zur Ände-
rung anderer Gesetze
– Drucksache 15/124 –

(Erste Beratung 14. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(13. Ausschuss)

– Drucksache 15/317 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Silvia Schmidt (Eisleben)


ZP 6 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über die Beschäf-
tigung schwerbehinderter Menschen im öffent-
lichen Dienst des Bundes
– Drucksache 15/227 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion.


Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1502000100


Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! In der Behindertenpolitik konnten in den letzten vier
Jahren große Erfolge erzielt werden. Rot-Grün hat unter
der Federführung unseres Behindertenbeauftragten Karl
Hermann Haack gemeinsam mit den Menschen mit Be-
hinderungen und den Behindertenverbänden viel auf den
Weg gebracht. Mit unserer Behindertenpolitik übernimmt
Deutschland in Europa eine Vorreiterrolle und setzt auch
international wichtige Maßstäbe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Deutsche Behindertenrat hat beschlossen, der
Bundesrepublik zu empfehlen, sich um den Franklin D.
Roosevelt International Disability Award, einen Preis für
bedeutende Fortschritte auf dem Gebiet der Behinderten-
politik, zu bewerben. Diese Anerkennung motiviert uns.
Die Behindertenpolitik wird auch in der 15. Legislaturpe-
riode ein Schwerpunktthema für Rot-Grün und die Minis-
terin sein.

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die Behinder-
tenpolitik kein Minderheitenthema ist: Rund 37 Millionen
Europäer, davon 8 Millionen in Deutschland, sind Men-
schen mit Behinderungen. Das Thema geht uns alle an,
weil Barrieren nicht allein den Lebensraum und den All-
tag behinderter Menschen einschränken, sondern auch
Hindernisse für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger so-
wie für Familien mit Kindern sind.

Mit den größten gesetzgeberischen Reformen seit den
70er-Jahren hat die Bundesregierung Maßstäbe gesetzt.
Wir haben die Lebenswelt behinderter Menschen wesent-
lich verbessert. Dabei gibt es einen roten Faden: weg von
der staatlichen Fürsorge hin zu einem Recht auf Selbstbe-
stimmung, zu einem Recht von Bürgerinnen und Bürgern
auf Teilhabe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wichtige Tragpfeiler sind dabei das Sozialgesetz-
buch IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Men-
schen –, in Kraft getreten am 1. Juli 2001, und das Gesetz





Helga Kühn-Mengel

zur Gleichstellung behinderter Menschen, in Kraft getre-
ten am 1. Mai 2002. Den Anfang unserer erfolgreichen Be-
hindertenpolitik markiert natürlich – nicht ohne Grund –
das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter vom Oktober 2000. Erwerbsarbeit
ist nun einmal für Menschen mit Behinderungen, aber
auch für alle ein zentrales Anliegen, auch für die Ver-
bände, Organisationen, Gewerkschaften, der Arbeitgeber
und eben auch für uns.

Das war nicht immer so. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Opposition, im Ausschuss haben Sie nach
den Zahlen gefragt. Ich will sie Ihnen vorstellen: Lassen
Sie uns zuerst einen Blick auf Ihre Regierungszeit werfen.
In der Zeit von 1990 bis 1998 nahm die Zahl der beschäf-
tigten Schwerbehinderten von 959 435 auf 739 993 ab,
also um 219 442. Die Zahl der arbeitslosen Schwerbehin-
derten stieg von 126 671 auf 188 449. Das sind allein in
diesem Zeitraum 61 778 Arbeitslose mehr. Die Zahl der
nicht besetzten Pflichtplätze stieg in diesem Zeitraum von
433 369 auf 525 569. Aber Sie haben nichts unternom-
men.

Diesem Negativtrend haben wir mit unserer Offensive
ein Ende gesetzt. Das Gesetz zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit Schwerbehinderter und die Kampagne
„50 000 Jobs für Schwerbehinderte“ sind ein großartiger
Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zahl der erwerbslosen schwerbehinderten Menschen
konnte von 189 766 im Oktober 1999 auf nunmehr
144 292 im Oktober 2002 gesenkt werden. 45 474 ar-
beitslose Schwerbehinderte weniger: Dieser Rückgang
um rund 24 Prozent innerhalb von drei Jahren ist ein
großartiger Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die spezifische Arbeitslosenquote schwerbehinderter
Menschen wurde danach wie folgt verringert: Die Ar-
beitslosenquote betrug im Oktober 1999 17,7 Prozent und
im Oktober 2002 nur noch 14,2 Prozent. Hervorheben
möchte ich, dass sich diese Ergebnisse deutlich vom all-
gemeinen Trend des Arbeitsmarktes abheben und vor dem
Hintergrund einer konjunkturellen Schwäche besonders
positiv zu bewerten sind. Um die Zahl der arbeitslosen
schwerbehinderten Menschen zu reduzieren, waren allein
über 150 000 Vermittlungen während der Kampagnezeit
erforderlich. Diese Zahl verdeutlicht auch, welcher Kraft-
akt hier nötig war.

Zusätzlich flankiert wurden die Bemühungen durch die
neuen Grundlagen für offensive Arbeitsvermittlungsstra-
tegien wie das Job-AQTIV-Gesetz, JUMP und die Refor-
men der Bundesanstalt für Arbeit. Wir waren so besonders
erfolgreich, weil alle Beteiligten – die Arbeitgeber, die
Gewerkschaften, die Behindertenverbände und die öf-
fentliche Verwaltung – an einem Strang gezogen haben.
Diese Kooperation war vorbildlich und ihr gebührt hohe
Anerkennung. Wir werden sie gerade auch mit Blick auf
die jetzt einsetzende Neuordnung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt fortsetzen.

Wir werden trotz enger werdender finanzieller Spiel-
räume Möglichkeiten suchen und finden, um die Situation
der Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Ich
denke, wir haben gezeigt, dass wir das wollen und auch
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die wesentlichen Instrumente des 2001 in das SGB IX
eingegliederten Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslo-
sigkeit Schwerbehinderter sind bekannt: die Stärkung der
Rechte der Schwerbehinderten und der Schwerbehinder-
tenvertretungen, der Ausbau der betrieblichen Prävention
und die Schaffung eines Anspruchs auf Übernahme der
Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz, Auf- und
Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Integrations-
fachdiensten und natürlich auch die Neugestaltung des
Systems der Beschäftigungspflicht und der Ausgleichsab-
gabe. Damit haben wir dafür gesorgt, dass sich die Ein-
stellung schwerbehinderter Menschen nicht nur unter so-
zialen Gesichtspunkten lohnt, sondern sich auch für
Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen rechnet.

Damit die Arbeitgeber auch weiterhin motiviert sind,
wollen wir die Anhebung der Beschäftigungspflicht-
quote um 5 auf 6 Prozent um ein Jahr auf den 1. Januar
2004 verschieben. Das geschieht vor dem Hintergrund,
dass die anvisierte Senkung der Arbeitslosigkeit Schwer-
behinderter im Prinzip erreicht wurde. Leider wurde die
Latte von 25 Prozent am Ende um 1 Prozentpunkt knapp
gerissen. Nach geltender Rechtslage müsste infolgedessen
die Pflichtquote auf 6 Prozent angehoben werden. Dies
hatten wir beschlossen, um die Arbeitgeber zu motivieren.

Um aber den erfolgreich in Gang gesetzten Reform-
prozess nicht empfindlich zu stören, wird die Anhebung
im heute hier vorliegenden Gesetzentwurf um ein Jahr
ausgesetzt. Das gibt uns Zeit, mit allen Beteiligten wei-
terhin Zielvorgaben und Konzepte zum weiteren Abbau
der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen zu ent-
wickeln. Wir arbeiten bereits daran und sind sehr motiviert.

Die Erfolgsstory zeigt: Wir können nur erfolgreich
sein, wenn alle Beteiligten partnerschaftlich, sozusagen
auf gleicher Augenhöhe, mithelfen.

Vorbildlich hat sich hier auch der Bund als Arbeitgeber
im Jahre 2001 gezeigt. Der Anteil der im öffentlichen
Dienst beim Bund beschäftigten Schwerbehinderten lag
2001 bei 6,4 Prozent. Das geht aus dem nun vorliegenden
Bericht der Bundesregierung über die Beschäftigungssi-
tuation schwerbehinderter Menschen hervor.Damit sind
2 421 Schwerbehinderte mehr beim Bund angestellt als
gesetzlich vorgeschrieben.

Mit diesen guten Ergebnissen unserer Behindertenpo-
litik können wir selbstbewusst in das Europäische Jahr der
Menschen mit Behinderung 2003 gehen. Wir verstehen
dieses Jahr auch als Verpflichtung. Rot-Grün wird mit der
Ministerin und dem Beauftragten der Bundesregierung
für die Belange behinderter Menschen daran arbeiten und
hier Fortschritte erzielen.

Wir haben das SGB IX und das Gleichstellungsgesetz
bewusst als Haus gebaut, das alle Bewohnerinnen und Be-


(A)



(B)



(C)



(D)


1560


(A)



(B)



(C)



(D)






wohner ausbauen können, damit es den Bedürfnissen der
Menschen optimal gerecht wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502000200


Ich erteile das Wort Kollegen Hubert Hüppe, CDU/
CSU-Fraktion.


Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1502000300


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
jetzt von Frau Kühn-Mengel sehr viel zu allgemeinen
Themen, aber auch einige Zahlen gehört. Ich denke, man
muss an dieser Rede einiges zurechtrücken.

Wenn wir heute über die Integration von Schwerbehin-
derten auf dem Arbeitsmarkt sprechen, dann werden auch
Sie erkennen, dass die katastrophale Wirtschafts- und Ar-
beitspolitik der Bundesregierung natürlich auch für Men-
schen mit Behinderung – vielleicht sogar besonders für
sie – nicht ohne Folgen bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das zeigt, dass Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik keine
Gegensätze sind, sondern einander bedingen. Ohne wirt-
schaftlichen Aufschwung, ohne mehr Beschäftigung wird
es immer schwieriger, gerade Schwerbehinderte in das
Arbeitsleben zu integrieren. Geht ein Betrieb Pleite – das
kam letztes Jahr viel zu oft vor –, verliert eben nicht nur
der Nichtbehinderte, sondern gleichermaßen auch der Be-
hinderte seinen Arbeitsplatz.

Dies zeigen vor allem die neuesten Zahlen der Bun-
desanstalt fürArbeit für den Monat Dezember 2002. Die
Arbeitslosigkeit insgesamt hat sich im Dezember gegen-
über dem Vormonat von 9,7 Prozent auf 10,1 Prozent er-
höht. Der Anstieg der Arbeitslosenquote bei den Schwer-
behinderten war noch dramatischer: Hier hat sich die
Quote von 14,6 Prozent im November auf 15,3 Prozent im
Dezember erhöht. Damit beträgt sie 150 Prozent der Ar-
beitslosenquote bei den Nichtbehinderten. Frau Kühn-
Mengel, deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen,
dass Sie sich jetzt auf den so genannten Erfolgen ausru-
hen. Vielmehr müssen wir alle uns hier in sämtlichen
Bereichen anstrengen – für alle Menschen, denen Ar-
beitslosigkeit droht, vor allen Dingen aber für die Schwer-
behinderten.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, wie schwie-
rig es ist, in den jetztigen Zeiten die Integration Schwer-
behinderter in die Berufswelt durchzusetzen. Sie wissen,
dass wir, wenn wir hier im Bundestag über die Integration
von Menschen mit Behinderungen geredet haben, über
die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsame politische Ent-
scheidungen getroffen haben, weil wir uns grundsätzlich
im Ziel kaum unterscheiden. Sie haben eben zwei Bei-
spiele genannt: das SGB IX und das Gleichstellungsge-
setz. Zu beiden haben wir Ja gesagt, weil wir die dortigen
Maßnahmen für vernünftig halten. Ich finde es gut, dass
man hier über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammenar-

beiten kann und vor Augen hat, dass es um Menschen
geht, denen wir nicht nur im Beruf, sondern allgemein
Chancengleichheit eröffnen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Meine Damen und Herren, auch heute werden wir dem
Vorschlag der Regierungsparteien zustimmen, die Er-
höhung der Pflichtquote zur Beschäftigung Schwerbehin-
derter von 5 auf 6 Prozent, die eigentlich – auch das muss
man sagen – schon am 1. Januar 2003 hätte erfolgen müs-
sen, auf das Jahr 2004 zu verschieben. Wir tun dies, weil
wir wissen, dass eine Ablehnung keinen zusätzlichen Ar-
beitsplatz für Schwerbehinderte schaffen würde.

Die CDU/CSU-Fraktion wird weiterhin alles daran set-
zen, die Bereitschaft von Arbeitgebern, Arbeitsplätze mit
Schwerbehinderten zu besetzen, zu wecken und zu för-
dern. Genauso wichtig – auch darauf möchte ich ein Au-
genmerk legen – ist darüber hinaus, die Arbeitsplätze von
Schwerbehinderten zu erhalten und zu stabilisieren.

Wir wollen ferner – darüber wird kaum gesprochen –,
dass Schwerbehinderte sich selbstständig machen oder
ihre Selbstständigkeit erhalten können. Das gilt insbeson-
dere für Selbstständige, bei denen die Schwerbehinderung
erst später eintritt. Es ist natürlich ein ganz wichtiger
Punkt, dass wir es Schwerbehinderten ermöglichen, selbst
als Arbeitgeber auf dem Markt tätig zu sein. Hier gibt es
sehr viele Beispiele dafür, dass wir noch einiges mehr ma-
chen könnten.

An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen be-
danken, die in diesem Bereich mithelfen: beim Hand-
werk, bei den Arbeitgeberverbänden, den Behinderten-
verbänden, den Gewerkschaften und vor allem bei den
Mitarbeitern vor Ort in den verschiedenen beteiligten
Behörden.

Trotzdem teile ich nicht die Euphorie des Beauf-
tragten der Bundesregierung für die Belange behin-
derter Menschen, Herrn Haack. Ich hoffe, er ist inzwi-
schen anwesend. – Nein, ich sehe ihn nicht. Das kann ich
nicht ganz verstehen. – Herr Haack hat in einer Presseer-
klärung vom 7. November 2002 erklärt, beim Rückgang
der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen sei ein
„großartiger Erfolg“ zu verzeichnen.

Tatsache ist: Das selbst gesteckte Ziel der Bundes-
regierung, die Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter von
Oktober 1999 bis zum Oktober 2002 um mindestens
25 Prozent zu senken, ist nicht erreicht worden. Dies ist
auch der Grund dafür, dass das Gesetz, das Rot-Grün
beschlossen hat, heute wieder korrigiert werden muss.
Wir werden im Übrigen in diesem Jahr noch einmal über
diese Änderung sprechen müssen, da ansonsten am 1. Ja-
nuar 2004 automatisch die Pflichtquote erhöht werden
muss. Denn eigentlich sollte es ja im Oktober 2002
25 Prozent weniger arbeitslose Schwerbehinderte geben.
Da es hier keine Änderung gab, ist diese Zahl weiterhin
festgeschrieben. Das würde eine Erhöhung der Pflicht-
quote ab dem 1. Januar 2004 bedeuten.

Nun werden Sie sagen – das haben Sie soeben auch
getan; im Ausschuss wurde ähnlich argumentiert –: Jetzt

Helga Kühn-Mengel





Hubert Hüppe

seid mal nicht so kleinlich. Immerhin gibt es einen Rück-
gang um 23,9 Prozent. – Allerdings sieht die Situation ganz
anders aus, wenn man sich anschaut, wie es zu diesem
Rückgang gekommen ist, der in Wahrheit gar keiner ist
bzw. nur in geringem Maße erfolgt ist. Die Arbeitslosenzahl
ist eben nicht deswegen um 23,9 Prozent gesunken, weil
mehr Schwerbehinderte einen Arbeitsplatz auf dem ersten
Arbeitsmarkt gefunden haben, sondern deswegen, weil
mehr Schwerbehinderte aus Altersgründen aus der Statis-
tik herausgefallen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wer sich die aktuelle Alterseinteilung bei den schwer-
behinderten Arbeitslosen anschaut, kann feststellen, dass
über vier Fünftel der Abgänge im Vergleich zu 1999 aus
der Altersgruppe der 55-Jährigen und Älteren stammen.
Bei den jüngeren schwerbehinderten Arbeitslosen un-
ter 55 Jahren war nirgendwo ein Rückgang von über
20 Prozent zu verzeichnen. Bei der Gruppe der unter
25-jährigen Schwerbehinderten – hören Sie bitte zu! –
müssen wir sogar einen Anstieg der Arbeitslosigkeit fest-
stellen.

Ich hoffe, dass heute niemand behaupten will, die
annähernde Halbierung der Zahl der schwerbehinderten
Arbeitslosen im Alter von 55 und höher innerhalb von drei
Jahren sei in erster Linie auf einen erheblichen Anstieg
der Beschäftigung in dieser Altersgruppe zurückzuführen.
Das nimmt Ihnen keiner ab. Der Hauptgrund für diese
Entwicklung ist die Frühverrentung.

Auch das Bundesministerium hat nun deutlich ge-
macht, dass es in den letzten Jahren stetig weniger ar-
beitslose Schwerbehinderte gab – das ist richtig –, dass al-
lerdings die Zahl der Abgänge in die Beschäftigung jedes
Jahr geringer wurde. Das heißt, es sind zwar mehr
Schwerbehinderte aus dem Erwerbsleben ausgeschieden;
aber immer weniger schwerbehinderte Menschen haben
tatsächlich Arbeit gefunden.

Besondere Anstrengungen werden nötig sein, wenn wir
den jüngeren schwerbehinderten Arbeitslosen zu einem
Arbeitsplatz verhelfen wollen. Herr Haack hat in der De-
batte zur Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter am 7. Juli 2000
mit dem JUMP-Programm der Bundesregierung ge-
prahlt, mit dem Hunderttausende von jungen Arbeitslosen
in Arbeit gebracht werden sollten. Wir haben dieses Pro-
gramm schon damals als milliardenschweres Strohfeuer
kritisiert. Heute zeigt sich, dass dieses Programm ge-
scheitert ist und an den schwerbehinderten jungen Men-
schen offensichtlich völlig vorbeigegangen ist. Was die
Arbeitslosen – behinderte wie nicht behinderte – jetzt brau-
chen, ist eine nachhaltige Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-
politik, die auf Dauer Arbeitsplätze schafft und sichert.

Nun noch ein paar Worte zur Unterrichtung der Bun-
desregierung über die Beschäftigung schwerbehinderter
Menschen im öffentlichen Dienst des Bundes. Natürlich
hat der öffentliche Dienst – da stimmen wir mit dem Be-
richt überein – Vorbildfunktion. Ich finde es gut, dass
beim Bund die Pflichtquote erfüllt wird;


(Helga Kühn-Mengel [SPD]: Mehr als erfüllt!)


darauf wurde soeben hingewiesen. Verschwiegen wurde
aber – auch das müssen wir hier feststellen –, dass bei den
Arbeitsplätzen des Bundes sowohl die Zahl als auch die
Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen zu-
rückgegangen ist. Sie ist eben nicht gestiegen. Damit kann
man sich doch nicht zufrieden geben! Wenn man auf der
einen Seite sagt, dass man mehr Arbeitsplätze schaffen
möchte, und zwar vor allen Dingen im öffentlichen Dienst
beim Bund, dann kann man sich doch auf der anderen Seite
nicht damit zufrieden geben, dass die Quote sinkt, auch
wenn die Beschäftigtenzahl insgesamt zurückgegangen
ist. Damit, meine Damen und Herren, können wir nicht zu-
frieden sein. Diesen Trend müssen wir wieder umkehren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Besonders bedrückend ist, dass in dem Bericht erwähnt
wird, dass bei den Beschäftigten des Deutschen Bun-
destags die Zahl der Schwerbehinderten zurückgegangen
ist und wir nur noch eine Quote von 4,9 Prozent erreichen.
Natürlich weiß ich, dass es unter anderem auch durch den
Umzug nach Berlin Probleme gab. Aber diese gab es auch
bei anderen Behörden und Arbeitgebern. Wenn wir aber
von anderen etwas verlangen, müssen wir selber Vorbild
sein. Das gilt insbesondere für dieses Haus, aber auch für
den öffentlichen Dienst insgesamt. Wir alle sollten daran
mitarbeiten, dass sich diese Zahl wieder erhöht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Regierungsparteien ha-
ben in ihrem Gesetzentwurf und auch in ihrer Koalitions-
vereinbarung angekündigt, weitere Konzepte zur Verrin-
gerung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter zu
erarbeiten und hier im Hause zu beschließen. Bisher habe
ich diese Konzepte allerdings vermisst. Ich habe auch
noch keinen entsprechenden Ansatz festgestellt. Ich
meine, wir können nicht so lange warten, bis der Bericht,
der ja nach § 160 SGB IX bis zum 30. Juni dieses Jahres
zu erstellen ist, vorgelegt wird. Wir müssen jetzt handeln
und dafür sorgen, dass die Menschen – Behinderte wie
Nichtbehinderte – wieder in Arbeit kommen. Die Union
ist bereit, daran mitzuarbeiten, wie wir das auch bei ande-
ren Gesetzesvorhaben gemacht haben. Es geht uns um die
gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinde-
rungen auch am Arbeitsleben, aber nicht nur dort. Hier
wäre jedes parteipolitische Kalkül völlig fehl am Platze.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502000400


Ich erteile dem Kollegen Markus Kurth, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502000500


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss
mich schon etwas darüber wundern, dass Herr Hüppe hier
in dieser Art und Weise und so selektiv die Zahlen eines
Bremer Instituts zitiert. Sie haben das auch schon im Aus-
schuss getan und ich habe Ihnen dort entgegnet. Ich hätte
nicht gedacht, dass Sie hier noch einmal so einseitig be-
haupten würden, der Hauptgrund für die derzeitige Be-


(A)



(B)



(C)



(D)


1562


(A)



(B)



(C)



(D)






schäftigungssituation schwerbehinderter Menschen sei
die Frühverrentung, und dass Sie die Erfolge, die wir hier
erreicht haben, kleinreden würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie hätten nämlich, wenn Sie die Zahlen vollständig zi-
tiert hätten, auch sagen müssen, dass wir die Arbeitslo-
sigkeit in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen sowohl
bei den Männern als auch – das erfreut mich insbesondere –
bei den Frauen um jeweils zweistellige Raten reduziert
haben. Natürlich haben wir das ehrgeizige 25-Prozent-
Ziel nicht vollständig erreicht. Aber es ist schon ein ganz
bemerkenswerter Erfolg, dass wir es geschafft haben, die-
sem ehrgeizigen Ziel so nahe zu kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insgesamt aber freue ich mich, dass wir in diesem
Hause eine recht konstruktive Debatte über die berufli-
che Eingliederung Schwerbehinderter führen. Auch
bin ich erfreut darüber, dass wir diese Änderung des So-
zialgesetzbuches IX im Ausschuss mit den Stimmen aller
Fraktionen beschließen konnten.

Für bemerkenswert halte ich allerdings nicht nur das
Verfahren und den sachlichen Erfolg. Bereits bei der ers-
ten Lesung des Gesetzentwurfes habe ich auf die Wirksam-
keit der kooperativ ausgerichteten Steuerungsinstrumente in
diesem Politikbereich hingewiesen und festgestellt, dass
hier eine durchaus beispielhafte Philosophie gesetzgeberi-
schen Handelns zum Tragen kommt, die auch bei der Re-
form der sozialen Sicherungssysteme lohnend sein kann.

Warum? Die Offensive für 50 000 neue Jobs für
Schwerbehinderte hat gezeigt, dass man nicht allein mit
monetären Anreizen effektive Politik betreiben kann.
Denn die bis zum Jahr 2000 übliche Praxis einer stetigen
Anhebung der Ausgleichsabgabe, um die Arbeitgeber al-
lein über finanziellen Druck zu zwingen, Schwerbehin-
derte einzustellen, hat sich als nur begrenzt wirksam er-
wiesen. Wir haben nämlich – das ist bemerkenswert –
einen neuen Akzent gesetzt, der ökonomische Anreize mit
Aufklärungsarbeit und Beratung für die Unternehmen
verknüpft und zusätzlich durch innovative Öffentlich-
keitsarbeit begleitet hat. Heute können wir sagen: Der Ab-
bau von Denkbarrieren, den wir erreicht haben, hat sich
gegenüber der Regulation durch Zwang als mindestens
ebenso wirksam, wenn nicht gar als wirksamer erwiesen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Als wirksamer!)


Auch darauf sollten wir achten.

Diese Beratungsarbeit haben wir mit den Integrations-
ämtern und Integrationsfachdiensten in den Betrieben ge-
leistet. Wir haben die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
davon überzeugt, dass Menschen mit Behinderungen
nicht zwangsläufig leistungsgemindert sind, sondern dass
sie nur angemessene, ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen
entsprechende Arbeitsplätze brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


Vor allen Dingen haben wir – das ist der große Unter-
schied zu Ihrer Regierungszeit – den Arbeitgebern die ent-
sprechenden Instrumente an die Hand gegeben: Arbeits-
assistenzen, Dolmetscher für die Gebärdensprache und
vieles andere mehr.

Weil die Betriebe das Angebot der rot-grünen Bundes-
regierung angenommen haben, können wir jetzt auf ein
Anziehen der Schraube „Beschäftigungspflichtquote für
Schwerbehinderte“ verzichten. Wir können allerdings
nicht – Herr Hüppe, darin gebe ich Ihnen Recht – auf eine
Verstärkung der gemeinsamen Anstrengungen der Politik
– auch des Deutschen Bundestages – und der Wirtschaft
verzichten, um auch in 2003 unsere ehrgeizigen beschäf-
tigungspolitischen Ziele in diesem Bereich zu erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drei Punkte möchte ich besonders herausgreifen:

Erstens: Tatsache ist leider, dass in 97,2 Prozent der
kleinen und mittleren Betriebe mit unter 100 Beschäf-
tigten keine Schwerbehinderten beschäftigt sind. Gerade
bei kleinen und mittleren Betrieben müssen wir darum
kämpfen, Einstellungshemmnisse abzubauen. Außer-
dem müssen wir dort weiter massiv für die Beschäftigung
Schwerbehinderter werben. Viele Arbeitgeber wissen im-
mer noch nicht, welche Potenziale hier ungenutzt bleiben;
denn häufig sind Menschen mit Behinderungen nicht nur
gut ausgebildet, sondern auch sehr viel leistungsbereiter
als Menschen ohne Behinderungen. Hier gilt es, gemein-
sam mit den Unternehmen und dem Handwerk Informa-
tionsdefizite und Vorurteile abzubauen.

Zweitens. Die mehr als 180 Integrationsfachdienste,
die aus der Ausgleichsabgabe finanziert werden, leisten
eine wichtige Vermittlungshilfe bei der Überzeugung und
Beratung der Arbeitgeber. Dies zeigt, dass man durch ent-
schlossenes Engagement – nicht zuletzt durch finanziel-
les Engagement – auch denjenigen Arbeitsuchenden hel-
fen kann, die bisher als nicht vermittelbar oder gar als
nicht arbeitsfähig gegolten haben.

Im Rahmen der Gesetze für moderne Dienstleistun-
gen am Arbeitsmarkt muss und wird in diese Richtung
weitergegangen werden. Wir brauchen – die Antworten
des Ministeriums auf schriftliche Anfragen im Aus-
schuss ermutigen mich – eine sinnvolle Verzahnung von
Integrationsfachdiensten und Personal-Service-Agentu-
ren.

Drittens. Zur erfolgreichen Fortsetzung der bisherigen
Behindertenpolitik ist es überdies notwendig, dass die
Bundesanstalt für Arbeit auch nach der Neustrukturierung
der Ministerien die Belange der Menschen mit Behinde-
rungen wie bisher mit Nachdruck unterstützt. Bei der Mit-
telvergabe ist es unbedingt erforderlich, sicherzustellen,
dass die Bundesanstalt neben den Mitteln aus dem Aus-
gleichsfonds auch eigene Mittel zur beruflichen Wieder-
eingliederung einsetzt. Gerade im Europäischen Jahr der
Menschen mit Behinderungen werden wir Parlamentarier
– da bin ich mir sicher – die weitere Entwicklung ge-
meinsam genau beobachten.

Meine Damen und Herren, unser Modell der Integra-
tion von Menschen mit Behinderungen in den ersten

Markus Kurth





Markus Kurth

Arbeitsmarkt ist international anerkannt. Aus diesem
Grund werden wir den Erfahrungsaustausch auf lokaler,
nationaler und europäischer Ebene stärken. Durch unsere
Erfolge und Erfahrungen wollen wir in diesem Jahr, dem
Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen, an-
deren europäischen Staaten Impulse geben. Ich würde mich
freuen, wenn wir das in dieser Frage weiterhin ebenso ein-
mütig wie entschlossen tun könnten.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502000600


Ich erteile dem Kollegen Daniel Bahr, FDP-Fraktion,
das Wort.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1502000700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich, dass wir uns gleich in der ersten Sitzungs-
woche des neuen Jahres, des Europäischen Jahres der
Menschen mit Behinderungen, der Situation behinderter
Menschen in Deutschland widmen. Wir sollten dieses Jahr
als Ansporn nutzen, notwendige Verbesserungen auf den
Weg zu bringen. Insofern kann ich dem Kollegen Hüppe
nur Recht geben: Wir sollten uns nicht auf etwaigen Er-
folgen ausruhen, sondern uns gegenseitig anspornen. Das
ist die Devise für dieses Jahr.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP will sowohl die größtmögliche Freiheit als auch
ein höchstmögliches Maß an Eigenverantwortung für jeden
einzelnen Menschen. Diese Prinzipien sind auch Richt-
schnur einer liberalen Politik für Menschen mit Behinde-
rungen. Für Liberale ist Behindertenpolitik keine Sparten-
oder gar Nischenpolitik. Nein, sie ist Bürgerrechtspolitik.


(Beifall bei der FDP)

Es ist in diesem Hause unser gemeinsames Anliegen,

dass mehr behinderte Menschen auf dem ersten Arbeits-
markt eine Chance erhalten. Ich finde es schön, dass Red-
ner aller Fraktionen dieses gemeinsame Anliegen hier
betont haben. Für jeden Bürger ist die Aufnahme einer be-
zahlten Beschäftigung ein wichtiger Beitrag zu mehr
Selbstständigkeit und Selbstsicherheit. Wir alle in diesem
Hause sind uns darüber einig, dass die Arbeitslosigkeit bei
behinderten Menschen mit 14,2 Prozent in 2002 und im
Dezember mit über 15 Prozent immer noch viel zu hoch
ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eine schlimme Entwicklung!)


Dennoch freuen wir uns alle, dass diese Arbeitslosen-
quote in den letzten Jahren gesunken ist. Ich will gar nicht
verhehlen, Herr Kollege Kurth, dass das insgesamt ein
guter Rückgang ist. Wenn man aber versucht, 20- bis
25-Jährige gegen über 55-Jährige auszuspielen, dann darf
man nicht vergessen, dass ein ganz eklatanter Anteil am
Rückgang der Arbeitslosigkeit auf den Rückzug der über
55-Jährigen zurückzuführen ist. Es sollte uns nachdenk-
lich stimmen, ob wir bei jungen behinderten Menschen

genügend Anstrengungen unternehmen, um sie in Arbeit zu
bringen. Deswegen müssen wir hier weitere Ansätze finden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte bei dieser Gelegenheit von dieser Stelle aus
all denen danken, die ihren Beitrag zu dieser Entwicklung
geleistet haben. Insbesondere die Arbeitgeber, die Bun-
desanstalt für Arbeit, das Handwerk und die Verbände ha-
ben daran einen ganz großen Anteil; denn bei den Arbeit-
gebern und im Handwerk entstehen die Arbeitsplätze.
Deswegen sollten wir ihnen ganz besonders danken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die FDP unterstützt den vorliegenden Gesetzentwurf
der Koalition. Die gesunkene Arbeitslosigkeit bei behin-
derten Menschen in dem Zeitraum, in dem die Pflicht-
quote gesenkt wurde, zeigt, dass eben nicht die Höhe der
Ausgleichsabgabe entscheidend ist. Vielmehr kommt es
auf die Motivation, Einsicht und Überzeugung der Ar-
beitgeber an, behinderte Menschen einzustellen. Eine er-
neute Fristsetzung mit Androhung einer erhöhten Aus-
gleichsabgabe ab dem 1. Januar 2004 ist daher unnötig.


(Beifall bei der FDP)


Das Entscheidende ist die Einsicht und Motivation der Ar-
beitgeber. Dort müssen wir weitere Anstrengungen unter-
nehmen.

Dazu zählen neben der wichtigen Aufklärungsarbeit,
dass Menschen mit Behinderungen meist sehr zuverläs-
sige, hoch motivierte und eben auch produktive Arbeit-
nehmer sind, auch vermehrte Anreize für Unternehmen,
Menschen mit Behinderungen einzustellen. Staatlicher
Dirigismus führt nicht weiter. Gefragt sind individuelle
Konzepte, die die berechtigten Interessen von Menschen
mit Behinderungen und die berechtigten Interessen von
Arbeitgebern zusammenführen.

Ich möchte auch etwas zur Situation schwerbehinderter
Menschen im öffentlichen Dienst des Bundes sagen. Der
vorliegende Bericht zeigt leider eine negative Entwick-
lung. Die Beschäftigungsquote der mit schwerbehinderten
Menschen besetzten Arbeitsplätze ist nämlich rückläufig.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist unglaublich!)


Sie ist von 6,5 auf 6,4 Prozent gesunken. Übrigens be-
fürchte ich, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.
Wenn wir uns die Neueinstellungen anschauen, dann stel-
len wir fest, dass in den Jahren 2000 mit 4,4 Prozent und
2001 mit 4,7 Prozent der Anteil schwerbehinderter Men-
schen bei den Neueinstellungen unter der schon gesenk-
ten Pflichtquote von 5 Prozent liegt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist bedenklich!)


Hier enttäuscht der Bund die Erwartungen. Wir werden
die Entwicklung kritisch verfolgen und sie daran messen.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte bei der ersten behindertenpolitischen De-
batte in dieser Legislaturperiode noch ein anderes Thema
ansprechen. Die SPD hat im Bundestagswahlkampf 2002


(A)



(B)



(C)



(D)


1564


(A)



(B)



(C)



(D)






durch ihre Kandidaten und Fraktionsmitglieder ein Leis-
tungsgesetz für Menschen mit Behinderung in dieser
Wahlperiode versprochen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie hat viele Versprechen nicht gehalten!)


Gerade vor diesem Hintergrund ist es schwer enttäu-
schend, dass ein Leistungsgesetz im Koalitionsvertrag
nicht vorgesehen und nach Auskunft von Ministerin
Schmidt in der letzten Fragestunde auch nicht geplant ist.
Ebenso wenig sind Ansätze zu erkennen. Wir werden die
Regierung an ihren Versprechungen messen. Wir erwar-
ten von ihr, dass in dieser Legislaturperiode ein solches
Gesetz im Bundestag eingebracht wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP hat sich seit jeher dafür eingesetzt, den Ge-
setzes- und Vorschriftendschungel gerade auch im Be-
reich der Behindertenpolitik zu lichten. Es hilft nämlich
niemandem und den behinderten Menschen und ihren An-
gehörigen erst recht nicht, wenn nur schwer nachvollzieh-
bar und eben nicht eindeutig ist, von wem welche Hilfe-
leistung zu erwarten ist. Gerade in der Behindertenpolitik
brauchen wir klare Zuständigkeiten, verständliche Regeln
und vor allem Transparenz.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Deswegen möchte ich zum Schluss betonen, dass die
FDP-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen wird.
Lassen Sie uns in diesem Europäischen Jahr der Men-
schen mit Behinderungen gemeinsam weitere Anstren-
gungen unternehmen, damit mehr behinderte Menschen
auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance erhalten. Da-
rüber werden wir gemeinsam im Bundestag hoffentlich
noch viele Vorschläge diskutieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502000800


Ich erteile der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502000900


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits
ausgeführt wurde, stehen wir am Beginn des Europä-
ischen Jahres der Menschen mit Behinderungen, das den
Belangen und Nöten dieser Menschen gewidmet ist. Ich
meine, die schwerbehinderten Menschen haben ein Recht
darauf, dass gerade in diesem Jahr sehr intensiv und kon-
struktiv über das Erreichte gesprochen und über neue
Konzepte gestritten wird.

Wir wollen nicht darüber hinwegsehen, dass es der Re-
gierung gelungen ist, Projekte aufzulegen und neue An-
stöße zu geben, aber es ist sicherlich nicht Sinn und
Zweck eines Jahres, das den Menschen mit Behinderun-
gen gewidmet ist, dass vor allem die eigenen Erfolge ge-
lobt und Proklamationen abgegeben werden, obwohl
– damit komme ich zu dem Kern des Gesetzentwurfs, über

den wir abzustimmen haben – das gesetzlich vorgeschrie-
bene Ziel nicht erreicht wurde.

Im Gesetz war vorgesehen, die Arbeitslosigkeit von
schwerbehinderten Menschen von Oktober 1999 bis Ok-
tober 2002 um wenigstens 25 Prozent zu senken. Sie ha-
ben in Ihrem Gesetzentwurf selbst festgestellt, dass dieses
Ziel nicht erreicht wurde. Der Kollege von den Grünen hat
es als ein sehr „ehrgeiziges Ziel“ bezeichnet. Ihren Wor-
ten war zu entnehmen, dass Sie der Meinung sind, dieses
Ziel konnte nicht erreicht werden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!)


Ich meine, bei Gesetzen, in denen konkrete Zahlen
festgeschrieben werden, kann man nicht später zu der In-
terpretation kommen, das sei ein ehrgeiziges Ziel und man
könne stolz sein, dieses Ziel fast erreicht zu haben, statt
selbstkritisch dazu Stellung zu nehmen, dass das Ziel ein-
deutig nicht erreicht wurde.

23,9 Prozent wurden erreicht.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen den Trend haben wir das erreicht!)


Das ist weniger, als im Gesetz vorgesehen war. Was mir
in der Debatte etwas zu kurz kam, ist die Tatsache, dass
diese Zahl wenig aussagt. Zahlen an sich sagen nichts
über die Art und Länge der Beschäftigung aus. Insbeson-
dere die Qualität der Arbeitsplätze von Menschen mit
Behinderungen ist nicht ausreichend dargestellt und inter-
pretiert worden. Wenn Sie Ihrem eigenen Gesetz folgen
würden, müssten Sie jetzt die Pflichtquote von 5 Prozent
auf 6 Prozent anheben. Sie dürften also diesem Gesetz-
entwurf nicht zustimmen.

Es sollte Ihnen doch zu denken geben, meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, dass von einem
Vertreter der FDP festgestellt wurde, die FDP wolle über-
haupt keine Quoten, und dass die gesetzliche Vorgabe
nicht erreicht wurde, sei nicht so schlimm.

Ich meine, wenn man sich Ziele setzt und diese gesetz-
lich festschreibt, dann sollte man auch ehrlich sein und
sich daran halten. Deshalb werden wir diese Gesetzesän-
derung ablehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist traurig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502001000


Ich erteile der Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1502001100


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir sind uns sicherlich in der Grundintention
darüber einig, dass alle Maßnahmen und Anstrengungen
ergriffen werden müssen und müssten, um vor allem
auch Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen,

Daniel Bahr (Münster)






Barbara Lanzinger

insbesondere die Schwerbehinderten, in den Arbeitsmarkt
zu vermitteln und zu integrieren.

Wie heute schon einige Male ausgeführt wurde, wird
nun in der Begründung des von der Bundesregierung vor-
gelegten Gesetzentwurfs darauf verwiesen, dass bis Ende
Oktober 2002 gegenüber Oktober 1999 ein Abbau der
Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen um rund
23,9 Prozent stattgefunden hat. Kolleginnen und Kolle-
gen der Regierungskoalition, lässt man diese Zahl als
generelle Aussage so stehen, mag sie durchaus positiv
klingen. Zunächst klingt bei Ihnen immer alles positiv
– zumindest verkaufen Sie es so –, auch wenn es noch so
negativ ist.

In diesem Fall kommen allein angesichts der Tatsache,
dass die allgemeinen Arbeitsmarktzahlen dramatisch zu-
gelegt haben, Zweifel ob der Richtigkeit Ihrer Aussagen
auf. Hinzu kommt auch, dass Sie als Regierung nicht in
der Lage waren, uns, der Opposition, im Gesundheitsaus-
schuss in sich schlüssige, brauchbare Zahlen zu liefern.
Was nützen mir einerseits Prozentzahlen und andererseits
nicht dazu in Relation stehende Zahlenangaben? Das ist
für mich schlichtweg Verschleierungstaktik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren von Rot-Grün, es kann doch
nicht sein, dass es keine konkreten Angaben und Zahlen
über die entscheidende Vermittlung in den ersten Arbeits-
markt gibt und auch nicht die dazugehörige Auf-
gliederung in Altersgruppen. Interessant ist, dass der Jah-
resbericht 2002 der Bundesarbeitsgemeinschaft der Inte-
grationsämter und Hauptfürsorgestellen bei der Zuord-
nung der schwerbehinderten Menschen in Altersgruppen
sehr deutlich zeigt, dass vor allem ältere Menschen über-
proportional vertreten sind. Laut Angaben des Statisti-
schen Bundesamtes 2002 sind mehr als 65 Prozent der
schwerbehinderten Menschen 60 Jahre und älter.

Ich teile hier die Aussagen des Kollegen Hüppe ganz
entschieden, dass es so ist, dass die Zahl der von der Sta-
tistik erfassten über 55-Jährigen bei den allgemeinen Ar-
beitsmarktzahlen sinkt. Dies ist ganz erkennbar kein Gang
in die Beschäftigung, sondern in den Vorruhestand.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!)


Nun sage ich Ihnen, dass gerade die älteren schwerbehin-
derten Menschen aus dem Arbeitsmarkt genommen wer-
den. Wir wissen es alle: Eine Unterschrift reicht, um dem
Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Das ist
natürlich auch eine Art Bereinigung von Arbeitsmarkts-
zahlen.

Bestätigt werde ich hier vom Leiter einer Behinderten-
werkstatt mit 400 Beschäftigten, der dieses Gesetz für un-
realistisch hält, vor allem auch im Hinblick auf die nach-
haltige Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt.

Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wir teilen
Ihre positive Einschätzung zwar nicht, jedoch werden wir
für den Gesetzentwurf stimmen, der vorsieht, die Be-
schäftigungsquote bei 5 Prozent zu belassen. Diese Quote
jetzt auf 6 Prozent anzuheben wäre das falsche Signal in
der derzeit äußerst angespannten und zu keinem Spiel-
raum mehr fähigen wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeber.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Äußerst interessant ist in diesem Zusammenhang
die Aussage der Regierungskoalition in der Ausschuss-
drucksache 0053 in dieser Sache. Die Bemühungen der
Bundesregierung zielen gerade darauf, Arbeitgeber der
mittleren und kleineren Betriebe zu motivieren, schwer-
behinderte Menschen zu beschäftigen. Kollege Kurth,
Ihre Aussagen dazu schlagen dem Fass den Boden aus.
Denn Ihr Regierungsrezept der Motivationsförderung
der Betriebe ist keineswegs so, wie Sie es darstellen, son-
dern sieht vielmehr folgendermaßen aus: Sie nehmen Mit-
bestimmungsgesetz, Bürokratie ohne Ende, Energie- und
Ökosteuer, somit höhere Stromkosten und daraus resul-
tierende Konzessionsabgaben, nicht mehr tragbare Lohn-
nebenkosten und Sozialabgaben, kontraproduktive Tarif-
abschlüsse im öffentlichen Dienst, mischen das Ganze
kräftig durch und verschließen es mit einem Stöpsel.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition,
wann merken Sie endlich, dass Sie den Betrieben die Luft
zum Atmen nehmen und ihnen keinen Spielraum mehr
lassen und sie ersticken? Ich frage mich: Wo können da
unsere schwerbehinderten Menschen noch Platz finden,
bei denen Zielvorgaben wie prozentuale Beschäftigungs-
quote, Zeitdruck und Erreichung des Jahreslimits fast
schon zynisch klingen? Wäre es nicht besser, Ziele zu for-
mulieren, die eine grundsätzliche nachhaltige Beschäfti-
gung und Eingliederung der Schwerbehinderten auch un-
ter menschlichen und sozialen Gesichtspunkten
anstreben?

Genau die schwerbehinderten Menschen mit ihren Fa-
milien sind es doch, die uns im Prinzip tagtäglich zeigen,
was wir in unserer Gesellschaft tun müssen: weg von der
Spaßgesellschaft und weg davon, tun und lassen zu kön-
nen, was man will. Sie, meine Damen und Herren von der
Regierung, haben diese gesellschaftliche Entwicklung,
die letztendlich Kälte produziert, ganz hauptsächlich mit-
zuverantworten.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frieren Sie schon?)


Gerade die Menschen mit Behinderungen sind es doch,
die uns lehren, was es heißt, persönliche Verantwortung
und Wertorientierung zu haben und Eigen- und Selbst-
verantwortung zu übernehmen. Es muss unser aller
Bemühen sein, Menschen mit Behinderungen und Schwer-
behinderte in den Arbeitsmarkt einzugliedern, um ihnen da-
mit eine ganz wesentliche Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben zu ermöglichen. Für die Würde unserer Menschen
mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und für die
Stärkung ihrer Fähigkeit, ihr Leben so weit wie möglich
selbst zu gestalten und selbst zu bestimmen, ist die Ein-
gliederung und Integration vor allem auch ins Arbeitsle-
ben und in den ersten Arbeitsmarkt von elementarer Be-
deutung.

Wir von der CDU/CSU-Fraktion erwarten, dass von ei-
ner rot-grünen Bundesregierung und deren Behinderten-
beauftragten Herrn Haack – ich weiß nicht, ob der schon
anwesend ist – Zielvorgaben entwickelt werden, die un-


(A)



(B)



(C)



(D)


1566


(A)



(B)



(C)



(D)






seren Menschen mit Schwerbehinderungen eine effektive
und nachhaltige Teilnahme am Arbeitsleben ermöglichen
und so das Jahr 2003 wirklich zu einem erfolgreichen Jahr
der Menschen mit Behinderungen werden lassen.

Motivation, Frau Kühn-Mengel, ist eigentlich eine
Grundvoraussetzung für eine Regierung. Aber sie alleine
reicht meiner Meinung nach noch lange nicht aus. Wir
werden jedoch bei allen konstruktiven und machbaren
Vorschlägen der Bundesregierung unsere Mitarbeit nicht
verweigern.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502001200


Dies war die erste Rede der Kollegin Lanzinger. Ich
gratuliere Ihnen herzlich dazu.


(Beifall)


Nun erteile ich das Wort Kollegin Silvia Schmidt,
SPD-Fraktion.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1502001300


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Hüppe und Frau Lanzinger, zur
Erklärung: Herr Haack vertritt heute die Bundesregierung
bei einer internationalen Tagung der Sprachheilpädago-
gen in Fulda. Das ist besonders wichtig. Übrigens hat die
Bundesregierung, die für den vorliegenden Bericht ver-
antwortlich ist, natürlich den Parlamentarischen Staats-
sekretär Franz Thönnes als ihren Vertreter geschickt. Ich
glaube, damit muss das geklärt sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Des Weiteren möchte ich Herrn Bahr sagen: Frau
Ministerin Schmidt hat in ihrer letzten Rede durchaus deut-
lich gemacht, dass die Eingliederungshilfe bedarfsorientiert
ausgerichtet werden müsse und dass am Ende durchaus ein
Leistungsgesetz stehen könne. Lesen Sie es einfach nach!

Noch ein Wort zu der Zahl der Stellen, die die Bundes-
regierung im öffentlichen Dienst abgebaut hat: Es waren
insgesamt 4 850 Mitarbeiter. Das sollte man in die Be-
trachtungen einbeziehen; denn das, was Sie betreiben, ist
Polemik. Lesen Sie die Zahlen bitte richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Kann man Zahlen auch falsch lesen?)


„Nichts über uns ohne uns“ – das ist das Motto des Eu-
ropäischen Jahres 2003 der Menschen mit Behinderung.
Dieses Motto ist auch die Leitlinie für unsere sozialde-
mokratische Politik. Wir werden den eingeschlagenen
Weg in der Behindertenpolitik konsequent fortsetzen, si-
cherlich auch mit Ihnen. Wir alle wissen aber auch: In der
Behindertenpolitik waren die Kohl-Jahre verlorene Jahre.
Betroffene sagen:

16 Jahre lang fand ein Integrationszirkus statt, der
mit den Forderungen und Bedürfnissen der Men-
schen mit Behinderung nichts zu tun hatte.

Für die Betroffenen war das ein menschenverachtendes
Schauspiel; denn die Behinderten waren lange genug Ob-
jekt. Der Paradigmenwechsel seit unserem Regierungsan-
tritt ist der richtige Weg. Das Gesetz zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, das Neunte Buch So-
zialgesetzbuch und das Gleichstellungsgesetz sind drei
wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir alle müssen
jetzt diese Gesetze mit Leben erfüllen. Das ist die zentrale
behindertenpolitische Aufgabe dieser Legislaturperiode.

Wir haben nicht nur Gesetze gemacht, sondern auch
eine grundlegende Neuausrichtung in der Behinderten-
politik eingeleitet. Nicht die Behinderung steht im Mit-
telpunkt, sondern der Mensch. Im Vordergrund steht der
Anspruch auf Selbstbestimmung und gesellschaftliche
Teilhabe. Hindernisse, die dem entgegenstehen, werden
wir weiter abbauen. Wir haben die Gesetze auch nicht
über die Köpfe der Betroffenen hinweg erlassen. Nein, sie
wurden gemeinsam mit den behinderten Menschen, ihren
Verbänden und Leistungserbringern erarbeitet. Viele Re-
gelungen gehen auf ihr Engagement und ihre Erfahrungen
zurück. Ohne diesen ständigen Dialog wäre die Reform so
nicht möglich gewesen. Der Behindertenbeauftragte der
Bundesregierung, Karl Hermann Haack, hat diesen Dia-
log angestoßen und mit aller Kraft befördert. Ihm gilt be-
sonders großer Dank.

Wir setzen mit unserer Behindertenpolitik internatio-
nale Maßstäbe. Wir haben endlich eine Vorreiterrolle in
Europa. Gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben beinhaltet auch den Zugang zum Arbeitsmarkt. In-
tegration bedeutet mehr als nur ein schönes Heim, einen
goldenen Käfig. Es bedeutet vielmehr, dabei zu sein, je-
den Tag zu leben und zu arbeiten. Arbeit ist nicht nur Brot-
erwerb, sondern bedeutet auch, sich zu beweisen, Aner-
kennung zu erleben und Leistung zu erbringen. Dafür
müssen die Voraussetzungen vorhanden sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
schwerbehinderter Menschen schafft dafür neue Wege
und Instrumente; ich werde noch einige Beispiele vortra-
gen. Wir stellen die Kompetenz und Fähigkeiten behin-
derter Menschen bei der Arbeit und im Beruf in den Mit-
telpunkt: Integration statt Ausgrenzung. Unser Ziel ist es,
die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen
spürbar und dauerhaft zu senken. Als Anreiz für die Ar-
beitgeber wurde, wie bereits erwähnt, gleichzeitig die
Pflichtquote der Beschäftigung schwerbehinderter Men-
schen von 6 Prozent auf 5 Prozent gesenkt. In nur zwei
Jahren ist es gelungen, viele tausend behinderte Menschen
auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Der Rückgang der Ar-
beitslosenzahlen lag Ende Oktober bei 45 305. Das haben
Sie alle festgestellt. Auch diese Zahlen sind bekannt.

Integrationsamt, Arbeitsamt, Integrationsfachdienste,
Unternehmen und Gewerkschaften haben zu diesem Er-
folg – es ist ein Erfolg; Frau Kühn-Mengel hat die Zahlen
dazu genannt – beigetragen. Dazu müssen wir auch ste-
hen. Sie haben dieses Gesetz ebenfalls mitgetragen.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Barbara Lanzinger





Silvia Schmidt (Eisleben)


Die Integrationsfachdienste sind Partner bei der berufli-
chen Integration in den ersten Arbeitsmarkt.

Auch die Integrationsfirmen sind Wegweiser. Ein er-
folgreiches Beispiel dafür ist die Firma Docu-Safe aus
Gera. Das moderne Unternehmen bietet Dienstleistungen
im Bereich Mikrofilm und elektronischer Archivierung
an. Docu-Safe begann seine Geschäftstätigkeit – Sie erin-
nern sich – 1999 als Bundesmodellprojekt. Es integriert
schwerbehinderte und nicht behinderte Menschen in das
Arbeitsleben. Weg von Fürsorge, hin zum selbstbestimm-
ten Leben!

Seit dem erfolgreichen Abschluss der Modellphase
Ende des Jahres 2001 arbeitet das Unternehmen als
gemeinnützige Gesellschaft. Dort sind 34 Vollzeitstellen.
23 davon sind mit schwerbehinderten Menschen besetzt.
Unter ihnen befinden sich Diplom-Mathematiker, Kauf-
leute, Informatiker, Elektroniker, Bauingenieure, Büro-
kauffrauen und Pädagogen.

Ein weiteres Beispiel aus Ihrem Wahlkreis, Herr Hüppe:
Acht Mitarbeiter, davon vier mit Behinderung, hat die
Firma Inno Vita in Schwerte.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ich kenne die!)


Die gemeinnützige Integrationsfirma bewirtet drei städti-
sche Firmen und bietet einen Cateringservice an.

Im Arbeitsamtsbezirk Schwerin sind zwei Integra-
tionsfirmen, ANKER Sozialarbeit und ZAGAPU, beson-
ders erfolgreich. Dort arbeiten 50 Schwerbehinderte. Herr
Hüppe, das ist der erste Arbeitsmarkt! Das sind die kon-
kreten Erfolge unserer sozialdemokratischen Behinder-
tenpolitik. Die müssen wir endlich einmal zur Kenntnis
nehmen.


(Beifall bei der SPD)


Nach der geltenden Gesetzeslage müsste die Pflicht-
quote zum 1. Januar 2003 wieder auf 6 Prozent angeho-
ben werden. Das wäre natürlich das falsche Signal. Es
würde die Arbeitgeber, die sich positiv hervorgetan ha-
ben, mit 340 Millionen Euro Mehrkosten belasten und
ihre Motivation, behinderte Menschen einzustellen, sen-
ken, nicht erhöhen. Der erfolgreiche Reformprozess wäre
gefährdet. Daher wollen wir die Anhebung der Pflicht-
quote für ein Jahr aussetzen.

In der Zwischenzeit werden wir unsere Anstrengungen
zum Abbau der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Men-
schen weiterführen. Gemeinsam mit den Verbänden wol-
len wir das Konzept weiterentwickeln und neue Zielvorga-
ben umsetzen. Ich fordere Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, ganz herzlich auf, sich auch diesem
Schritt nicht zu verschließen.

Mithilfe der Kampagne „50 000 neue Jobs für Schwer-
behinderte“ sind 151 000 behinderte Menschen in Arbeit
vermittelt worden. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen
Lage haben wir erreicht, dass die Zahl der schwerbehin-
derten Menschen in Beschäftigung allein von 2000 bis
2001 um 35 000 anstieg.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wie viel Arbeitsplätze sind verloren gegangen? Das muss man gegenrechnen!)


Das ist keine Frühverrentung. Es sind 35 000 Beschäfti-
gungsplätze!


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie müssen doch die Differenz sehen!)


Wir werden – das versprechen wir – in unseren An-
strengungen nicht nachlassen. Wir wissen durchaus – das
sagen wir auch –, dass die Arbeitslosigkeit Schwerbehin-
derter heute noch überdurchschnittlich hoch ist. Ausbil-
dung und Umschulung von Behinderten müssen mit den
steigenden Anforderungen des Arbeitsmarkts abgestimmt
werden. Der Bund fördert die Netze der Berufsbildungs-
und Berufsförderungswerke. Die Eingliederungsquote von
mehr als 70 Prozent ist ein deutlicher Beleg für deren Erfolg.

Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe müs-
sen in allen Bereichen praktiziert werden. Die Menschen
mit Behinderungen wissen selbst am besten, was für sie
richtig und wichtig ist. Aber sie müssen es auch einfor-
dern und sie müssen es einfordern können. Dafür sind die
gemeinsamen Servicestellen der Rehaträger eingerichtet
worden.

Der flächendeckende Aufbau der Servicestellen ist ab-
geschlossen. Aber sie werden noch nicht in ausreichen-
dem Maße in Anspruch genommen. Viele Leistungsbe-
rechtigte wissen noch zu wenig Bescheid. Aufklärung und
Öffentlichkeitsarbeit sind nötig. Diese Arbeit zu leisten ist
natürlich in erster Linie Aufgabe der Rehabilitationsträger.
Aber auch wir müssen unseren Teil dazu beitragen; denn
wir stehen bei den Menschen mit Behinderung im Wort.

Wo die Servicestellen noch nicht optimal funktionie-
ren, müssen die Mängel zügig abgestellt werden. Dafür
müssen wir uns einsetzen. Ich sehe diesbezüglich vor
allem bei der Schulung der Mitarbeiter Bedarf. Die Mit-
arbeiter müssen umfassend beraten können und den Leis-
tungsberechtigten den Gang durch den Behördendschun-
gel abnehmen. Paradigmenwechsel in diesem Bereich
heißt, über die Grenzen des einzelnen Trägers hinauszuse-
hen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und nicht
in erster Linie zu fragen, wer die Leistungen bezahlen soll.

Unsere besondere Sorge – wir haben es schon erwähnt –
gilt der Früherkennung und der Frühförderung behinder-
ter Kinder. Das SGB IX sieht ein System mit übergreifen-
den und umfassenden Behandlungen vor. Probleme berei-
tet die Ausgestaltung der gemeinsamen Empfehlung der
Rehaträger zu diesem Bereich. Seit Monaten können sich
die Krankenkassen und die kommunalen Spitzenverbände
nicht auf eine endgültige Formulierung einigen.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Na, dann entscheidet doch einmal!)


Das ist ein unwürdiges Geschacher; denn es geht doch da-
rum zu helfen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502001400


Kollegin Schmidt, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1502001500


Ja, Herr Präsident. – Für diesen Bereich muss es eine
weitere Rechtsverordnung geben.


(A)



(B)



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(A)



(B)



(C)



(D)






2003 ist das Europäische Jahr der Menschen mit Be-
hinderung. Ich fordere Sie alle auf, hier mitzuarbeiten und
in die Öffentlichkeit zu treten; denn es ist ein gesell-
schaftliches Problem, dass auf den Bereich der Behinder-
tenpolitik nicht genug aufmerksam gemacht wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502001600


Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 15/124 zur
Änderung von Fristen und Bezeichnungen im Neunten
Buch Sozialgesetzbuch und zur Änderung anderer Ge-
setze. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Siche-
rung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/317, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zusatzpunkt 6: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 15/227 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Jugendschutzgesetzes (JuSchGÄndG)

– Drucksache 15/88 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Staatsminis-
terin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
des Freistaates Bayern, Christa Stewens, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502001700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen einen
nachhaltigen und konsequenten Schutz vor schädlichen

Einflüssen auf ihre Persönlichkeits- und Werteentwick-
lung. Jugendschutz muss daher der wachsenden Gewalt-
bereitschaft gerade bei der jüngeren Generation entschie-
den entgegentreten. Notwendig ist dazu ein umfassendes,
für Kinder und Jugendliche bedarfsgerechtes, für Eltern
verlässliches und für Vollzugsbehörden, Anbieter und Ge-
werbetreibende transparentes, einheitliches gesetzliches
Schutzsystem. Das am 14. Juni 2002 verabschiedete neue
Jugendschutzgesetz wird diesem Anspruch in keiner Weise
gerecht.


(Kerstin Griese [SPD]: Aber der Bundesrat hat zugestimmt!)


Insgesamt betrachtet weist das Gesetz gravierende
Lücken auf. Eine zukunftsweisende Weichenstellung für
den Jugendschutz ist hier nicht erkennbar.

Unter dem Eindruck der exzessiven Gewalttat in Erfurt
mit bitteren Konsequenzen und in Erinnerung der drama-
tischen Ereignisse andernorts – ich denke nur an Bad Rei-
chenhall, Freising usw. – waren sich alle politisch Verant-
wortlichen auf allen Ebenen in diesem Land einig, dass
junge Menschen vor Gewalt verherrlichenden Medienin-
halten stärker und konsequenter geschützt werden müs-
sen.


(Kerstin Griese [SPD]: Das haben wir getan!)


Der Bundeskanzler hat ja beispielsweise im Beisein der
Ministerpräsidenten am 6. Mai 2002 die langjährige baye-
rische Forderung nach einem generellen, altersunabhän-
gigen Vermiet- und Verleihverbot ausdrücklich begrüßt.
Das in einer Blitzaktion dann vorgelegte neue Jugend-
schutzgesetz bleibt aber leider Gottes weit hinter dem
Konsens, der damals erzielt worden ist, zurück. Auch wurde
die Chance vertan, den Sachverstand der Länder über einen
ersten Durchgang im Bundesrat einzubinden.

Auf Initiative Bayerns beschloss der Bundesrat am
27. September letzten Jahres das Ihnen vorliegende Än-
derungsgesetz. Aufgrund der fachlich und wissenschaft-
lich fundierten Erkenntnisse ist es vollkommen unver-
ständlich, dass die Bundesregierung die vorgeschlagenen
Regelungen für ungeeignet hält, den Kinder- und Jugend-
medienschutz im Interesse eines möglichst gewaltfreien
Aufwachsens der Kinder und Jugendlichen zu verbessern.

Zu den wichtigsten Änderungsvorschlägen möchte
ich, meine Damen und Herren, die Position des Bundes-
rates kurz darstellen:

Als Erstes nenne ich das generelle Vermietverbot von
jugendgefährdenden Trägermedien. Die Bundesregierung
spricht sich ja dagegen aus. Dabei verkennt sie völlig,
dass mit einem solchen Vermietverbot ein notwendiges
gesellschaftspolitisches Signal gesetzt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn solche Produkte sind prinzipiell nicht erwünscht
und ihr Vertrieb sollte starken Beschränkungen unterwor-
fen werden. Das Argument der Bundesregierung, die hier
die Informationsfreiheit der Erwachsenen gefährdet sieht,
ist für mich keineswegs stichhaltig. Hier geht der Schutz
der Kinder und Jugendlichen eindeutig vor.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Silvia Schmidt (Eisleben)






Staatsministerin Christa Stewens (Bayern)


Der käufliche Erwerb ist ja weiterhin für Erwachsene
möglich; das muss man schon sehen.

Zweitens. Zum generellen Vermietverbot gehört dann
natürlich auch das Verbot von Videoverleihautomaten.
Dies lehnt die Bundesregierung unter Verweis auf die
technischen Sicherungsmöglichkeiten, die eine Bedie-
nung durch Kinder und Jugendliche verhindern können,
ab. Es bestehen natürlich durchaus erhebliche Zweifel, ob
der Stand der Technik gewährleisten kann, dass Kinder
und Jugendliche nur an die für ihre Altersgruppe vorgese-
henen Angebote gelangen können. Qualifizierte Tests be-
züglich biometrischer Verfahren beweisen, dass damit der-
zeit eine ausreichende Zugangssicherung definitiv nicht
gewährleistet werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf der anderen Seite gilt es auch, die negative Sog-
wirkung von Videoverleihautomaten auf Kinder und Ju-
gendliche einzuschränken.

Drittens. Der Bundesrat fordert das Verbot von so ge-
nannten Killerspielen. Die Bundesregierung macht es
sich hier wirklich zu leicht, indem sie sich auf die Position
zurückzieht, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits
grundsätzlich entschieden habe, dass derartige Spiele ge-
gen die Menschenwürde verstoßen und deshalb regel-
mäßig zu verbieten sind. Sie kann sich nicht mit einem
solchen Verweis von ihrer originären Gesetzgebungs-
pflicht befreien. Eindeutige, klare gesetzliche Regelungen
sind notwendig. Man sollte sich hier nicht auf Urteile
zurückziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der vierte Punkt: Zur Stärkung der Erziehungskom-
petenz und zur Unterstützung der Eltern sind deshalb
auch staatlicherseits strukturelle, klare gesetzgeberische
Rahmenbedingungen und letztendlich auch Grenzen zu
setzen. Wir müssen auch den Eltern, die hinsichtlich ihrer
Erziehungskompetenz verunsichert sind, ganz klar sagen,
wo wir Grenzen setzen wollen. Davor hat sich der Ge-
setzgeber nicht zu drücken.

Deswegen: Etikettiert als Elternprivileg sieht das Ju-
gendschutzgesetz Lockerungen vor, mit denen die fundier-
ten und gesellschaftlich anerkannten Alterskennzeich-
nungen der freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft
unterlaufen werden können. Eltern haben schlichtweg oft
nicht die Möglichkeit, sich in allen Fällen vorab so umfas-
send zu informieren, dass sie die Medienwirkung des Ki-
nobesuches auf ihre Kinder sicher einschätzen können.
Dies müssen wir gerade vor dem Hintergrund stärker ge-
wichten, dass wir genau wissen, dass Erziehungsunsi-
cherheiten heute stärker steigen als früher. Deswegen ist
es wichtig, dass wir unseren Eltern hier klare und verläs-
sliche Informationen bieten.

Der fünfte Punkt: Auch die Einführung der so genann-
ten erziehungsbeauftragten Person ist entschieden ab-
zulehnen. Zwar mag es in bestimmten Fällen notwendig
sein, die Erziehungsberechtigung auf Dauer oder auch
zeitweise übertragen zu können, jedoch muss – dies ist
ganz wichtig – hierfür ein natürliches Autoritäts- bzw.
Respektverhältnis bestehen. Aktive Jugendschützer in
Deutschland befürchten, dass in der Praxis beispielsweise

die Erziehungsaufgaben an den Betreiber einer Diskothek
übertragen werden. Solchen Auswüchsen muss durch eine
klare und eindeutige gesetzliche Formulierung ein Riegel
vorgeschoben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, jetzt komme ich noch zu ei-
nem Anliegen, das mir persönlich ganz besonders am Her-
zen liegt – das ist der sechste Punkt –: Die Vorstufe von
Kinderpornographie ist die Darstellung von Kindern in
erotisch aufreizenden Posen. Das Jugendschutzgesetz
muss hier dem dringenden Schutzinteresse von Kindern
und Jugendlichen besser Rechnung tragen und diese Art
der Darstellung wie im Jugendmedienschutz-Staatsver-
trag generell verbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bringe keine Toleranz für
diese Art der Darstellung auf. Kinder und Jugendliche
sind definitiv keine Sexualobjekte; auch nicht für
Erwachsene.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Griese [SPD]: Das ist doch schon längst verboten!)


Im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag haben wir es Gott
sei Dank erreicht, dass sie aus geschlossenen Benutzer-
gruppen für Erwachsene herausgenommen worden sind.
Ich meine, dass wir dies auch im Jugendschutzgesetz er-
reichen müssen.


(Kerstin Griese [SPD]: Das ist doch strafbar!)


Hier sollte parteiübergreifende Einigkeit darüber bestehen,
dass der Schutz unserer Kinder oberste Priorität haben
muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Gesellschaft reagiert nicht erst seit den schreckli-
chen Ereignissen von Erfurt zunehmend mit Angst und
Sorge auf Gewalt, Extremismus und Pornographie in den
Medien. Wir alle sind gefordert, Verantwortung für die
Vermittlung von Normen und Werten zu übernehmen, die
mit unserer Gesellschafts- und Sozialordnung in Einklang
stehen. Zur Unterstützung des erzieherischen Jugendme-
dienschutzes und zur Stärkung der elterlichen Erzie-
hungsverantwortung gibt ein verbindlicher und verläss-
licher Rechtsrahmen die notwendige Schubkraft.

Sicherlich kann – darüber müssen wir uns alle im Kla-
ren sein – Politik Gewaltphänomene nicht im Alleingang
bewältigen. Notwendig ist eine breite gesellschaftliche
Allianz gegen Gewalt, in der Eltern und Pädagogen,
Medienschaffende und politisch Verantwortliche gemein-
sam mit verlässlichen Leitlinien unseren Kindern und Ju-
gendlichen den notwendigen sicheren sozialen Halt ge-
ben.

Das zuständige Bundesfamilienministerium bedient
sich oft und gerne des Zitats vom „Aufwachsen in öffent-
licher Verantwortung“. Hier fordere ich mehr Verantwor-
tung für Kinder und Jugendliche ein. Beim Jugendschutz-
gesetz kann die Regierungskoalition die Probe aufs
Exempel machen. Hier kann sie unter Beweis stellen, was
letztendlich von den vielen schönen Worten zu halten ist.


(A)



(B)



(C)



(D)


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(A)



(B)



(C)



(D)






Ich appelliere an Sie als diejenigen, die hier im Parla-
ment Verantwortung für die Gesetze tragen, die fachlich
gebotenen Nachbesserungen über Partei- und Fraktions-
grenzen hinweg im Interesse unserer Kinder und Jugend-
lichen unverzüglich auf den Weg zu bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502001800


Ich erteile das Wort der Kollegin Kerstin Griese, SPD-
Fraktion.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1502001900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau

Staatsministerin, wir haben hier im letzten Sommer, im
Juni 2002, ein neues Jugendschutzgesetz beschlossen.
Darin sind viele gute Dinge enthalten. Ich freue mich sehr,
dass dieses Gesetz am 1. April in Kraft treten kann. Dann
können wir darüber diskutieren, was sich dadurch in der
Praxis verbessert. Es kann am 1. April Geltung erlangen,
wenn auch der Staatsvertrag über den Schutz der Men-
schenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk- und
Telemedien in Kraft tritt; denn vieles darin ist Länderan-
gelegenheit. Deshalb beraten wir hier den Bundesratsent-
wurf.

Ich will deutlich machen, was unser Konzept von
Jugendschutz und Jugendpolitik ist. Unsere oberste Pri-
orität, unsere Leitlinie ist, Jugendliche zu stärken und zu
schützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen Jugendliche stark machen gegen Gewalt und
wollen sie schützen vor Gewalt und Gewaltdarstellungen.
Dazu gehört – das vergessen Sie gerne –, die Medien-
kompetenz zu stärken, damit Jugendliche mit den neuen
Medien umgehen können, damit sie lernen, die neuen Me-
dien kritisch einzuschätzen, damit sie aber auch deren
Chancen sinnvoll nutzen können. Darüber hinaus müssen
aber auch die Eltern und die Erziehenden in ihrer Medien-
kompetenz gestärkt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendschutz ge-
währleistet das Recht junger Menschen auf Schutz und
Integrität ihrer Persönlichkeit, er gewährleistet die Inte-
gration in die Gesellschaft und die Teilhabe an der Ge-
sellschaft. Deshalb dürfen wir Jugendliche nicht einfach
wegsperren, sondern müssen sie stark machen und müssen
ihre Kreativität und Kompetenz fördern. Dieses Verständ-
nis eines optimalen Jugendschutzes finden Sie in dem Ge-
setz, das wir im letzten Sommer beschlossen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Gesetz wurde übrigens nach sehr intensiven Be-
ratungen beschlossen. Das sage ich ausdrücklich, da Sie
nämlich immer wieder behaupten, dass es nicht so gewe-
sen sei. Im Vorfeld haben über zwei Jahre hinweg inten-
sive Beratungen mit Fachleuten stattgefunden. Der bayeri-

sche Entwurf, den wir heute hier als Bundesratsentwurf
beraten, ist längst überholt und hilft nicht bei der Verbes-
serung des Jugendschutzes.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich entdecke schon beim Zuhören Fehler!)


In Ihrer Regierungszeit haben Sie es jahrelang nicht ge-
schafft, den Jugendschutz den aktuellen Erfordernissen
und den sehr deutlichen technischen Veränderungen an-
zupassen. Wir haben das gemacht. Wir haben zum ersten
Mal durchgängige Alterskennzeichnungen für alle
Spiele auf allen Medien eingeführt. Die Fachleute und
Praktiker haben immer gefordert, nicht zu trennen, sodass
auf Kinofilmen Alterskennzeichnungen zu finden sind,
auf Videos, DVDs und Computerspielen aber nicht. Das
haben wir geändert. Eltern, Erzieher und Schulen finden
jetzt Angaben, welche Medien für Kinder und Jugendli-
che geeignet sind.

Wir haben erstmals – das halte ich für ganz wichtig –
den Jugendschutz im Internet angepackt. Das haben Sie
nicht gemacht, obwohl es das Internet seit 1985 gibt. In-
zwischen hat mindestens die Hälfte aller Sechsjährigen
bis 14-Jährigen Zugang zu einem Computer, etwa ein
Fünftel dieser Altersgruppe surft mindestens einmal im
Monat im Internet. Deshalb geht es darum, qualitativ
hochwertige Angebote im Internet zu unterstützen, Ange-
bote, bei denen sich Eltern und Erziehende sicher sein
können, dass sie gut für ihre Kinder sind. Wir haben in der
Debatte damals deutlich gesagt – das will ich auch heute be-
tonen –, dass auch die positiven Ansätze wie Kinderportale
oder Zugänge mit sinnvollen Angeboten wichtig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns steht die Förderung der Medienkompetenz im
Mittelpunkt. Dazu haben wir schon viel getan. Im Rah-
men des Programms „Schule ans Netz“ sind alle Schulen
ans Netz gekommen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Rüttgers!)


Jetzt soll die Jugendarbeit ans Netz kommen, damit die
digitale Spaltung der Gesellschaft überwunden werden
kann. Ich will nur ein Beispiel für ein gutes Angebot nen-
nen, das sich gestern einige von uns beim Kinderhilfswerk
ansehen konnten, nämlich „www.kindersache.de“. Das ist
ein Portal, zu dem man Kindern guten Gewissens Zugang
geben kann und in dem sie gute Angebote finden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie behaupten immer
wieder, es wäre weiterhin möglich, schwer jugendgefähr-
dende Trägermedien Kindern zugänglich zu machen.
Das stimmt nicht. Mit dem neuen Jugendschutzgesetz ha-
ben wir den Katalog der schwer jugendgefährdenden Trä-
germedien, also Medien, auf denen schwer jugendgefähr-
dende Inhalte zu sehen sind, um Gewaltdarstellungen und
Darstellungen, die die Menschenwürde verletzen und die
den Krieg verherrlichen, erweitert. Diese Medien unter-
liegen weit reichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbe-
verboten, die mit dem neuen Jugendschutzgesetz im April
in Kraft treten werden.

Staatsministerin Christa Stewens (Bayern)






Kerstin Griese

Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist, dass wir auf
internationaler Ebene den Jugendschutz verstärken wol-
len. Das Internet ist nun einmal ein World Wide Web; des-
halb brauchen wir europäische und internationale Stan-
dards. Ich hoffe, dass wir uns in diesem Punkt alle einig
sind, denn es bedarf der Unterstützung des gesamten Hau-
ses, um auch auf internationaler Ebene solche Standards
zu setzen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist immer schon unsere Forderung gewesen!)


– Es ist schön, wenn wir das gemeinsam fordern.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das finde ich doch auch!)


Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir das im
April in Kraft tretende Jugendschutzgesetz ausführlich
beraten haben. Es gab sehr viel Zustimmung aus Fach-
kreisen. Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, daran erinnern, dass Sie sich bei der Abstim-
mung über dieses Gesetz – ich war nämlich dabei – ent-
halten haben. Interessanterweise haben die Länder im
Bundesrat – dort haben Sie auch ein paar Stimmen – die-
sem Gesetz zugestimmt. Das heißt, es war ein gutes Ge-
setz und es war sinnvoll, dass dieses Gesetz im letzten
Sommer verabschiedet wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh, dass Sie dieses Gesetz im Bundesrat mit so
breiter Mehrheit angenommen haben und die zuständigen
Fachleute, auch die Bundesprüfstelle für jugendgefähr-
dende, wie sie jetzt heißt, Medien das Bemühen unter-
stützt haben. Wir werden dieses Gesetz nach fünf Jahren
evaluieren – das ist festgelegt – und dann sehen, wie sich
die Regelungen bewähren.

Ich will eine interessante Tatsache nicht verschweigen:
Der zuständige Fachausschuss des Bundesrates, in dem die
Fachminister sitzen, hat mehrheitlich beschlossen, den An-
trag des Bundeslandes Bayern nicht einzubringen, hat ihn
also mehrheitlich abgelehnt. Die Fachminister der Länder
haben festgestellt – ich zitiere aus der Begründung –:

Mit dem Inkrafttreten dieses

– also unseres im letzten Jahr beschlossenen –

Jugendschutzgesetzes wird den gewandelten Anfor-
derungen an einen effektiven Kinder- und Jugend-
schutz, insbesondere hinsichtlich der neuen Medien,
Rechnung getragen und gleichzeitig eine wichtige
Säule des Kinder- und Jugendschutzes, die Förde-
rung der Medienkompetenz der Jugendlichen und
Eltern berücksichtigt.

Der bayerische Antrag hat im Fachausschuss des Bun-
desrates keine Mehrheit gefunden. Deshalb rate ich Ihnen,
sich erst einmal bei den zuständigen Fachleuten aus der
Praxis Rat zu holen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme auf einige Ihrer Vorschläge im Einzelnen
zu sprechen:

Sie wollen die Telemedien neu definieren. Ich rate Ih-
nen, sich auch diesbezüglich mit den zuständigen Me-
dienpolitikerinnen und -politikern – Frau Krogmann sehe
ich jetzt nicht – zusammenzusetzen, denn es handelt sich
um eine komplizierte Materie. Die von uns vorgesehene
Definition von Telemedien wurde im Konsens mit den
Ländern abgestimmt und ist deshalb umsetzbar.

Das Gleiche gilt für Ihren Vorschlag, die nutzerautono-
men Filtersysteme zu streichen. Ich weiß, dass es inner-
halb der CDU/CSU-Fraktion zwischen den Medien-, den
Wirtschafts- und den Jugendpolitikern darüber schwere
Auseinandersetzungen gibt. In der Fachwelt hat sich in-
zwischen längst die Überzeugung durchgesetzt, dass im
Gegensatz zu pauschalen Filtern nur solche Filter, deren
Kriterien klar sind und die von Eltern, Erziehenden und
Lehrern eingesetzt werden können, weil sie selbst ent-
scheiden können, was gefiltert werden soll, sinnvoll sind.
Außerdem machen gute Angebote für Kinderportale Sinn.
Auch in diesem Punkt ist Ihr Vorschlag hinter der Zeit
zurückgeblieben.

Ich komme auf Ihren Vorschlag zu sprechen, zu der al-
ten Regelung zurückzukehren, welche vorsah, dass Kin-
dern und Jugendlichen unter 16 Jahren verboten wird, an
elektronischen Bildschirmspielgeräten zu spielen, de-
ren Nutzung Geld kostet. Das ist ein interessantes Thema.
Wir haben das Kriterium verändert. Uns geht es darum,
welche Inhalte auf diesen Geräten sind. Uns geht es um
eine Alterskennzeichnung. Das Kriterium soll also nicht
sein, ob das Spielen mit diesem Gerät 1 Euro kostet, son-
dern welche Inhalte und welches Programm dort vorhan-
den sind. Es gibt mit Sicherheit kostenfreie Zugänge zu
jugendgefährdenden Medien; es gibt aber auch Zugänge
zu sehr sinnvollen Lernprogrammen, die etwas kosten.
Deshalb ist in der heutigen Zeit das Kriterium nicht das
Taschengeld, sondern die inhaltliche Frage: Was schützt
Kinder und Jugendliche?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Stewens, Sie suggerieren mit Ihrem Vorschlag in
§ 13 Abs. 3 des Jugendschutzgesetzes – Sie haben das
wiederholt – fälschlicherweise, dass die Darstellung von
gewalttätigen Handlungen, von Kriegsverherrlichung und
sexuelle Darstellungen von Kindern Kindern zugänglich
gemacht würden. Das ist falsch. Ich will es ganz deutlich
sagen: Es ist strafbar, sexuelle Handlungen an Kindern
überhaupt darzustellen. Wir reden also über das Strafge-
setz. Es ist aber auch nicht zulässig, derartige Inhalte Kin-
dern zugänglich zu machen. Natürlich ist das schon längst
geregelt, und zwar in § 15 Abs. 2 des Jugendschutzgesetzes.

Sie haben ferner vorgeschlagen, das Indizierungsver-
fahren bei der Bundesprüfstelle, das sich sehr bewährt
hat, zu verändern. Sie wollen von einer Zweidrittelmehr-
heit auf eine einfache Mehrheit gehen. Ich kann Ihnen nur
raten, dabei sehr vorsichtig zu sein. Die Indizierung, die
Zensur, ist ein sehr sensibles Thema. Deshalb halten wir
an der Zweidrittelmehrheit fest, die sich in der Praxis po-
sitiv bewährt hat.

Alles in allem: Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist
ein Überbleibsel aus Herrn Stoibers Wahlkampf. Den hat
er verloren. Packen Sie diesen Entwurf lieber wieder ein


(A)



(B)



(C)



(D)


1572


(A)



(B)



(C)



(D)






und lassen Sie uns gemeinsam an der Umsetzung eines
modernen und effektiven Kinder- und Jugendschutzes ar-
beiten! Lassen Sie uns das neue Gesetz begleiten und aus-
werten! Wir sind natürlich bereit, gute Veränderungsvor-
schläge aufzunehmen. Lassen Sie uns nach den besten
Lösungen im Sinne der Kinder und Jugendlichen suchen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502002000


Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Haupt, FDP-
Fraktion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1502002100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Hektik, mit der die damalige Jugendministerin Bergmann
innerhalb weniger Sitzungstage am Ende der letzten Le-
gislaturperiode das Jugendschutzgesetz durch die Gremien
gepeitscht hat, hat dem Gesetz nun wirklich nicht gut getan.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kann man wohl sagen! – Ute Kumpf [SPD]: Sie reden wider besseres Wissen!)


So ein Vorgehen führt zu baldigem Nachbesserungsbedarf.
Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf des Bundesrates

weist auf einige problematische Punkte hin und enthält be-
grüßenswerte Elemente. Andererseits beinhaltet dieser Ge-
setzentwurf, der übrigens mit den CDU/CSU-Änderungs-
anträgen des letzten Sommers weitgehend übereinstimmt,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da hat Rot-Grün noch etwas dazugelernt!)


auch Punkte, die den Jugendschutz nicht voranbringen
oder unverhältnismäßig sind.


(Beifall bei der FDP)

Der notwendige gesetzliche Jugendschutz darf nicht

einzig und allein von dem Ziel geprägt sein, Kinder und
Jugendliche vor Gefährdungen zu schützen. Kinder in ei-
nem Glashaus aufwachsen zu lassen, in dem sie von allen
unerfreulichen Dingen dieser Welt völlig abgeschirmt
sind, kann kein Ziel des Jugendschutzes sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Der notwendige Jugendschutz ist deshalb immer abzuwä-
gen gegen die für eine Kompetenzentwicklung erforderli-
chen Freiheiten der Kinder und Jugendlichen.


(Ute Kumpf [SPD]: Richtig!)

Zu berücksichtigen ist zudem auch das Recht der Kinder
und Jugendlichen auf ihre eigene Kultur, auf kindgerechte
Medien und Medieninhalte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Andreas Scheuer [CDU/ CSU])


Der Bundesrat fordert die Abschaffung des Elternpri-
vilegs bei Kinobesuchen. Das widerspricht seiner eigenen

Forderung, die Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung
und -kompetenz zu stärken.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was denn nun?)


Zugleich weist das jedoch tatsächlich auf einen echten
Schwachpunkt der alten und der neuen Jugendschutzbe-
stimmungen hin: Die Systematik der Altersgruppendif-
ferenzierung im Rahmen der FSK ist den tatsächlichen
kindlichen Entwicklungsschritten überhaupt nicht ange-
passt.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP ist der bei vermutlich allen Fraktionen zu-
stimmungsfähigen Auffassung, dass sich im Alter zwi-
schen sechs und zwölf Jahren Kinder erheblich stärker
verändern und entwickeln als zwischen 16 und 18 Jahren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wohl wahr!)


Dementsprechend wäre zumindest eine zusätzliche Al-
tersgrenze zwischen sechs und zwölf Jahren zu erwägen.
Doch den Eltern die Möglichkeit zu nehmen, mit ihren
Kindern gemeinsam einen eigentlich erst eine Alters-
klasse höher freigegebenen Film zu besuchen, zeugt von
einem Menschenbild, in dem dem Gesetzgeber oder der
FSK mehr zugetraut wird als den verantwortlichen Men-
schen, nämlich den Eltern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Andreas Scheuer [CDU/CSU])


Wenn das neu geregelte Jugendschutzgesetz ein verän-
dertes Bewertungsverhalten der FSK zur Folge hätte, wie
es kirchlicherseits vermutet wird, so wäre das durchaus
begrüßenswert. Eine zusätzliche Altersgrenze würde auch
unter diesem Aspekt sinnvoll sein.

In Bezug auf Bildschirmspielgeräte schlägt der Bun-
desrat die Rückkehr zur alten Regelung vor, die Kindern
und Jugendlichen das entgeltliche Spielen verbot und so
der Gefahr des Verspielens größerer Geldsummen begeg-
nete. Die Neuregelung des Jugendschutzes schreibt die
Alterskennzeichnung vor und ermöglicht eine differen-
zierte Freigabe, lässt aber die Entgeltproblematik offen. In
der Abwägung beider Aspekte bevorzugen wir die Alters-
kennzeichnung. Es ist jedoch überlegenswert, auch die
Entgeltproblematik im Jugendschutz zu regeln.

Wir können hier nur mahnen, bei allen berechtigten
und wohl zu verstehenden Schutzvorschlägen immer da-
ran zu denken, dass Jugendliche irgendwann, spätestens
mit 18, reif sein müssen, verantwortungsbewusste Ent-
scheidungen selbst zu treffen.


(Beifall bei der FDP)


Wir wollen Kinder und Jugendliche nicht nur vor Gefähr-
dungen schützen; wir wollen und müssen sie auch befähi-
gen, mit Gefährdungen besonnen und kritisch umzugehen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau so!)


Ein generelles Verbot, jugendgefährdende Trägerme-
dien zu verleihen, auch an Erwachsene, wie in der Bun-
desratsinitiative gefordert, halten wir Liberale für un-
zweckmäßig und unverhältnismäßig. Es kann nicht sein,

Kerstin Griese





Klaus Haupt

dass jugendgefährdende Trägermedien zwar verkauft
werden und im Internet zugänglich sein können, dass aber
der Verleih, auch an Erwachsene, verboten wird.


(Kerstin Griese [SPD]: Das ist die bayerische Doppelmoral!)


Das trägt nur zur Diskriminierung eines Wirtschaftszwei-
ges, nicht aber zum Jugendschutz bei.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])

Denn wenn trotz des ohnehin existierenden Verbots ju-
gendgefährdende Medien in die Hand von Jugendlichen
gelangen können, dann gilt dies natürlich nicht nur für
Medien, die durch Verleih, sondern eben auch für solche,
die durch Verkauf oder via Internet in Umlauf gelangen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU])


Ein Verleihverbot trägt ganz offensichtlich nicht zur Lö-
sung dieses Problems bei.

Das Gleiche gilt für das Automatenverbot bei Bild-
trägern. Das Jugendschutzgesetz in der demnächst in
Kraft tretenden Fassung schreibt technische Vorrichtun-
gen vor, die verhindern sollen, dass die entsprechenden
Automaten von Kindern und Jugendlichen bedient wer-
den können. Wer damit nicht zufrieden ist, müsste sich
konsequenterweise generell gegen den Automatenverkauf
aussprechen, etwa auch bei Zigaretten. Das tut aber der
Bundesrat aus wohl überlegten Gründen nicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da geht es ums Geld!)


Mit Sympathie betrachte ich dagegen das geforderte
Verbot der Darstellung von Kindern in unnatürlicher, ge-
schlechtsbetonter Körperhaltung. Hier nähern wir uns zu
sehr einer Grauzone zum sexuellen Missbrauch von Kin-
dern und Jugendlichen und der Gesetzgeber kann gar
nicht klar genug sagen, dass auch Informations- oder
Kunstfreiheit nicht ansatzweise als Vorwand dienen dür-
fen, Kinder und Jugendliche auch nur in die Nähe dieser
Grauzone zu bringen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich kann nur erneut versuchen, in Erinnerung zu rufen:
Rechtliche Regelungen zum Jugendschutz können nie mehr
als einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft als
Ganzes Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen schützt.
Die Vorschläge des Bundesrates zur Novellierung des Ju-
gendschutzgesetzes machen deutlich, dass es auf diesem
Gebiet weiterhin Handlungsbedarf gibt. Aber damit der ge-
setzliche Jugendschutz seine Aufgabe wirkungsvoll erfüllen
kann, braucht es auch ein breites Engagement aller für das
Aufwachsen der jungen Generation verantwortlichen In-
stanzen, nicht nur der staatlichen Stellen. Die Verantwor-
tung jedes Einzelnen darf nicht aus dem Blickfeld geraten.

Danke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! Freiheit und Verantwortung gehören zusammen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502002200


Ich erteile das Wort Kollegin Jutta Dümpe-Krüger,
Bündnis 90/ Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Zwei Jahre lang ist zwischen Bund und Ländern dis-
kutiert worden, bevor der Bundesrat im Juni 2002 dem
neuen Jugendschutzgesetz zugestimmt hat. Das Gesetz
zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit wurde mit
dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender
Schriften und Medieninhalte zusammengeführt, um zu ei-
nem einheitlichen Jugendschutzgesetz zu kommen.
Warum war das gut und richtig, meine Damen und Her-
ren? – Um den Schutz von Kindern und Jugendlichen da
zu verbessern, wo es nötig ist, und trotzdem mit Augen-
maß den Rahmen dafür zu schaffen, dass Jugendliche ei-
nerseits einen besonderen und umfassenden Schutz ge-
nießen, andererseits aber auch noch in der Lage sind,
eigenverantwortlich zu handeln. Denn unsere Gesell-
schaft – und damit auch unsere Wirtschaft, die Unterneh-
men und die Betriebe – braucht junge Menschen, die in
der Lage sind, selbstständig zu denken, zu handeln und
Entscheidungen zu treffen.

Der Jugendschutz ist nicht nur verbessert, er ist ja auch
verschärft worden – ein Wort, das Ihnen, meine Damen
und Herren auf der rechten Seite dieses Hauses, besonders
gut gefällt. Ich beschränke mich auf einige Beispiele.

Computer und Bildschirmspielgeräte müssen mit
Altersfreigabekennzeichnungen versehen werden. Wer
diese Bildträger an Kinder und Jugendliche abgibt, die
jünger sind, kann mit Bußgeldern bis 50 000 Euro bestraft
werden.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien
kann ohne Antrag Medien aller Art auf eine Verbotsliste
setzen.

Trägermedien, die Gewalt verherrlichen oder porno-
graphisch sind, werden mit weit reichenden Abgabe-, Ver-
triebs- und Werbeverboten belegt. Sie dürfen Jugendli-
chen nicht zugänglich sein.

Heute liegt uns der Gesetzentwurf des Bundesrates
vor, der vom Freistaat Bayern eingebracht wurde. Warum,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dieser Vor-
stoß aus dem tiefen Süden der Republik? Die Antwort ist
einfach, auch wenn man wie ich nur aus Nordrhein-West-
falen kommt – als neue Abgeordnete hatte ich mir
aufgrund etlicher Diskussionen in der letzten Zeit vorge-
nommen, mich zu gegebener Zeit einmal dafür zu ent-
schuldigen; das möchte ich hier tun –: Weil Ihnen selbst-
verständlich wieder einmal all das, was im Gesetz steht,
viel zu windelweich erscheint.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir machen keine windelweichen Gesetze!)


Sie fordern in Ihrem Gesetzentwurf nämlich nicht nur
eine Verschärfung des bestehenden Gesetzes, sondern
fallen auch in Uraltregelungen längst überholter Law-
and-order-Politik zurück. Das machen schon Ihre Be-


(A)



(B)



(C)



(D)


1574


(A)



(B)



(C)



(D)






griffsverwendungen deutlich: „Verbot“, „Rückkehr“, „Ab-
schaffung“ oder auch „Erhöhung des Bußgeldrahmens“.
Wo ist da Neues? Wo ist da Innovatives?


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Innovationen dort, wo sie hingehören, aber nicht überall! Sie haben nicht zugehört!)


Ich greife einige Punkte heraus:

Erstens. Sie wollen – so der Gesetzentwurf – die Ab-
schaffung des Elternprivilegs bei Kinobesuchen. Sie sa-
gen einerseits, Elternleistung dürfe nicht durch gesetzliche
Regelungen konterkariert werden. Im gleichen Atemzug
fügen Sie hinzu:

Verbindliche und bewährte Altersempfehlungen, wie
sie für Kinofilme durch die Freiwillige Selbstkon-
trolle der Filmwirtschaft ... bestehen, sollten deshalb
nicht durch ein so genanntes Elternprivileg ... unter-
laufen werden.

Meine Damen und Herren, Sie stellen damit nicht nur El-
tern ein Armutszeugnis aus; dieser Widerspruch fällt Ih-
nen nicht einmal auf. Nein, Sie unterstellen auch, dass es
so etwas wie den fiktiven Acht- oder Zwölfjährigen gibt.
An der grob über den Daumen gepeilten Definition des-
sen Entwicklungsstandes wäre ich sehr interessiert.

Unser Jugendschutzgesetz gibt den Eltern die Möglich-
keit, unterschiedliche Entwicklungsstufen ihres Kindes zu
beachten, und zwar individuell. Das ist gut und richtig so,
weil Eltern ihr Kind am besten kennen und seinen Ent-
wicklungsstand deswegen am besten einschätzen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Wenn es nach Ihnen geht, dann soll es an-
scheinend unterschiedliche Bußgeldrahmen für gleich
geartete Vergehen geben. Das würde nicht nur das Ver-
hältnismäßigkeitsgebot auf den Kopf stellen, sondern
auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen.
Außerdem ist doch längst bekannt, dass schärfere Sank-
tionen nicht zu einem höheren Schutz des gefährdeten
Rechtsguts – hier des Jugendschutzes – führen.

Drittens. Sie führen in Ihrem Gesetzentwurf eine Un-
menge unbestimmter Rechtsbegriffe, Regelbeispiele und
Generalklauseln ein, zum Beispiel im Bereich der Killer-
spiele oder beim „Verbot für Darstellungen von Kindern
und Jugendlichen in unnatürlicher, geschlechtsbetonter
Körperhaltung“. Niemand, der Recht anwenden muss,
wüsste, wie er das überhaupt machen sollte.

Das heißt im Klartext: Ihr Gesetzentwurf führt zu kei-
ner Effektivitätssteigerung und auch nicht zu einem bes-
seren Jugendschutz. Er führt lediglich dazu, dass Ihnen
anerkannte Fachleute attestieren, dass Sie einen „deut-
lichen Nachholbedarf an fachlicher Beratung haben“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Situation der Jugend ist in jeder Generation eine
andere. Auf den ständigen Wechsel in diesem Bereich
muss der heutig Gesetzgeber reagieren. Rot-Grün hat rea-
giert, indem das Jugendschutzgesetz umfassend und in
geeigneter Weise reformiert wurde.

Wir haben es soeben bereits gehört – ich wiederhole
es –: Zwischen Bund und Ländern besteht das Einverneh-
men, die neuen Vorschriften innerhalb von fünf Jahren
ständig zu evaluieren. Die Neuregelung wird zu Verbes-
serungen führen; davon bin ich überzeugt. Vielleicht muss
an der einen oder anderen Stelle nachgebessert werden;
das ist normal. Aber auch das wird laufend hinterfragt
werden. Akteure auf allen Ebenen werden dauerhaft in
diesen Prozess eingebunden sein.

Das Fazit kann nur sein: Das, was Sie uns hier über den
Bundesrat vorlegen, wäre eine Verschlimmbesserung,
von der wir tunlichst die Finger lassen sollten.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502002300


Dies war die erste Rede der Kollegin Dümpe-Krüger.
Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall)


Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas
Scheuer, CDU/CSU-Fraktion.


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1502002400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Frau Griese, Sie haben so liebe Worte gefunden. Deshalb
möchte ich Ihnen sagen: Schauen Sie sich doch zuerst ein-
mal die Werbekampagne der SPD in Niedersachsen an, in
der Sie Kinder für Ihre Sache instrumentalisieren. Par-
teiübergreifender Konsens mit Ihnen? – Ich sage: Wahn-
sinn!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Ko-
alition, nicht gern daran erinnert werden, kann ich es Ih-
nen nicht ersparen, noch einmal auf die Geschichte der
Reform des Jugendschutzgesetzes einzugehen. Es war
am Beginn der Regierungszeit von Rot-Grün, als Gerhard
Schröder zum Thema Jugendschutz – seine Phrasen sind
aber beliebig auf alle Politikbereiche anwendbar – sagte:
Das ist ganz wichtig, da müssen wir etwas tun. Dann ge-
schah erst einmal wie gewohnt gar nichts.

Die Union mahnte, dass eine Reform dringend not-
wendig sei. Es folgte die Nullnummer Bergmann. Mit
weit gehenden Reformen ist man ja ohnehin – das wissen
wir – bei Rot-Grün sehr sparsam. Man verkündete also
zunächst einmal, dass keine Reform des Jugendschutzge-
setzes in der 14. Legislaturperiode mehr angepackt werde.
So der Plan.

Dann ereignete sich die Bluttat in Erfurt. Es muss
eben leider immer erst etwas passieren, damit gehandelt
wird. Sie hinken mit Ihrer Politik immer hinterher und
wundern sich, dass die Instrumente nicht oder zu spät
greifen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Jutta Dümpe-Krüger





Andreas Scheuer

Nach dem Ereignis in Erfurt wurde mit glühend heißer
Nadel gearbeitet. Rot-Grün brauchte schnell etwas zum
Vorweisen, um von der langen Untätigkeit abzulenken.

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie hör-
ten nicht auf Expertenratschläge,


(Kerstin Griese [SPD]: Ich war bei der Anhörung dabei!)


ignorierten weitgehend wichtige Änderungsanträge und
peitschten das Gesetz einfach durch. Das ist ja auch ver-
ständlich; denn in der SPD macht man sich lieber intensiv
Gedanken, wie man die Hoheit über den Kinderbetten
nach den Vorgaben von Müntefering und Scholz erreichen
kann,


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


als vielmehr vollständige und zukunftsfähige Konzepte
auf den Weg zu bringen.

Ja, meine Damen und Herren von der Koalition, das
werden Sie noch öfter zu diesem Thema hier im Hohen
Haus hören;


(Christel Humme [SPD]: Bei Ihrer Stillosigkeit kann ich mir das vorstellen!)


denn Sie machen Gesellschaftspolitik aus der SPD-Partei-
zentrale heraus. Sie wollen insgesamt eine Gesellschaft
– lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen – à la DDR
light. Das ist wahrlich traurig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


An drei Beispielen will ich den Sinn und die Praxis-
nähe unseres Vorschlags deutlich machen. Erstes Bei-
spiel: Ballerspiele an Bildschirmgeräten. Es ist doch Rea-
lität, dass in den Spielhöllen die jungen Freaks vor allem
durch Ihre Lockerung der Altersgrenze öffentlich um den
Sieg ballern können.


(Widerspruch der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Die Spiele werden zudem mit den neuen Grafiken an
Hightechbildschirmen immer realer.

Zweites Beispiel: Laserdromes und Gotchaspiele.
Schießen auf alles, was sich bewegt, und Abknallen des Mit-
spielers sind der Inhalt dieser Spiele. Besser kann man einen
Amoklauf gar nicht trainieren. Das passt nicht in unser Wer-
tesystem. Da muss der Riegel vorgeschoben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittes Beispiel: Videoverleihautomaten. Selbst der
Videofachhandelsverband, IVD, geht gegen diese Auto-
maten vor. Nach wie vor ist die soziale Kontrolle beim
Betreten eines Ladengeschäftes höher als beim Zugang zu
einem Automatenraum. Durch Strohmänner kann der Ju-
gendliche locker gefährliches und schädliches Material
ausleihen. Die Chipkarte – seien wir doch ganz ehrlich –
und der Fingerabdruck sind leicht von einem 18-jährigen
Kollegen organisiert – und dann geht das wilde Verleihen
los.

Meine Damen und Herren, dass es bei diesem Thema
immer Lücken geben wird, ist klar. Wenn wir aber die

Lücken nicht schließen, die wir schließen können, dann
erfüllen wir im Deutschen Bundestag unsere Aufgabe
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu Beginn dieser Legislaturperiode war Ministerin
Renate Schmidt mit der Friedenspfeife unterwegs. Sie hat
bei ihrem Auftritt im zuständigen Ausschuss beteuert, Sie
werde alle Vorschläge prüfen und dankend aufnehmen,
die von der Union eingebracht würden.


(Christel Humme [SPD]: Wenn sie gut sind! – Nicolette Kressl [SPD]: Da kam bei der Prüfung nichts raus!)


Frau Beck, Sie sind Ihre Vertreterin. Teilen Sie ihr bitte
mit, dass sie im Wort steht. Greifen Sie jetzt zu bei den
Verbesserungen im Jugendschutz!

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, haben Sie
keine Angst. Wir wissen ja, dass Sie immer wieder bei
den verschiedensten Themen unsere Hilfestellung brau-
chen, um die Fehler und Blindstellen Ihrer Gesetze aus-
zumerzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Wir verzeihen Ihnen ja Ihre Flickschusterei und Ihre Hek-
tik bei diesem Thema, wenn Sie jetzt bei dieser Gesetzes-
änderung mitmachen.

Zum Schluss möchte ich Ihnen einen Spruch des ehe-
maligen Oberbürgermeisters von Stuttgart, Manfred
Rommel – der Spruch ist für Rot-Grün wie geschaffen –,
in Erinnerung rufen:

Der Mensch kommt nicht umhin, sein ganzes Leben
lang ein Irrender zu sein. Er hat aber die Chance, sich
zu einem immer weniger Irrenden zu entwickeln.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, es gibt also
noch Hoffnung für Sie. Nutzen Sie sie!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christel Humme [SPD]: Nehmen Sie sich das bitte zu Herzen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502002500


Dies war die erste Rede des Kollegen Scheuer. Nach
seinem Zitat des Oberbürgermeisters Rommel gratuliere
ich ihm besonders herzlich dazu.


(Beifall)


Nun erteile ich der Kollegin Sabine Bätzing, SPD-Frak-
tion, das Wort.


Sabine Bätzing (SPD):
Rede ID: ID1502002600


Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-
gen! Es ist schon erstaunlich, dass Sie, meine Damen und
Herren von der Union, uns heute, zu Beginn des neuen
Jahres, so alte Hüte präsentieren.


(Beifall bei der SPD)



(A)



(B)



(C)



(D)


1576


(A)



(B)



(C)



(D)






Wir nehmen das aber dankbar auf, um noch einmal deut-
lich zu machen, wie erfolgreich und vor allem zukunfts-
orientiert unsere rot-grüne Regierungspolitik ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das glaubt außer Ihnen niemand!)


– Passen Sie gut auf! – Vor allem sind wir, offensichtlich
im Gegensatz zu Ihnen, auf der technischen Höhe der Zeit
angelangt und stellen uns der Realität.

Statt zu begrüßen, dass mit dem Jugendschutzgesetz
und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der noch in
Kraft treten muss, eine deutliche und zeitgemäße Verbes-
serung des Jugendschutzes erreicht wird, halten Sie sich
mit Änderungswünschen auf, die entweder überholt sind
oder einen deutlichen Rückschritt bedeuten würden.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Jahre zurück!)


Sie geben dem Jugendschutzgesetz und dem Jugendme-
dienschutz-Staatsvertrag überhaupt keine Chance, auf
ihre Wirksamkeit hin überprüft zu werden. Wie Sie wis-
sen, haben sich die Länder in ihrem Eckpunktepapier auf
eine Evaluierungsphase von fünf Jahren verständigt. Wir
sollten dem Gesetz die Chance geben, diese fünf Jahre erst
einmal in Kraft zu sein.

Herr Scheuer, aus Ihrer Kritik zum Jugendschutzgesetz
könnte man schließen, es sei vom rot-grünen Regierungs-
himmel einfach auf Sie gefallen. Wir wissen aber, dass
dieses Gesetz mit großer Mehrheit – auch im Bundesrat –
verabschiedet wurde. Im Übrigen möchte ich auch darauf
hinweisen, dass – ein absolutes Novum – auch Mitglieder
der Bundesschülerinnen- und schülervertretung an der
Anhörung des Bundestages zum Jugendschutzgesetz
teilgenommen haben. Auch hier wird der Unterschied
zwischen unserer Regierungsarbeit und Ihrer Politik deut-
lich:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir nehmen Kinder, Jugendliche und deren Eltern ernst.
Wir machen keine Politik über Jugendliche, sondern für
junge Menschen und deren Familien. Das funktioniert nur
gemeinsam. Das nennt man Politik gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In den Ausführungen der Opposition wurde heute im-
mer wieder vom Erziehungsbeauftragten gesprochen. Ab-
gesehen davon, dass Sie den Erziehungsbeauftragten in
der Debatte mit dem Elternprivileg vermischt und ver-
wechselt haben – diesen Eindruck hatte ich –, glaube ich,
dass Sie die Begrifflichkeit und deren Bedeutung noch
nicht verstanden haben. Ich erläutere es Ihnen aber gerne
noch einmal.

Sie kritisieren, dass es sich bei dem Erziehungsbeauf-
tragten zum Beispiel um den volljährigen Freund der
Tochter handeln könnte, wodurch die minderjährige
Tochter praktisch ständig die Möglichkeit hätte, mit ihm
in der Disko zu versumpfen. Sie verkennen dabei aber
– ob wissentlich oder unwissentlich lasse ich einfach ein-
mal dahingestellt –,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wissentlich!)


dass ein Auftrag zur bloßen Begleitung durch den Freund
nicht als Erziehungsauftrag angesehen werden kann und
von uns auch nicht als Erziehungsauftrag angesehen wird.
Oft sind es die Tanten, die Großeltern oder die bereits
volljährigen Geschwister, die mit den Kindern und Ju-
gendlichen zu Veranstaltungen gehen und sie nicht nur be-
gleiten, sondern auch beaufsichtigen. Es kommt auf den
Auftrag zur Beaufsichtigung und somit zur Erziehung und
nicht auf die bloße Begleitung an.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Es ist auch verwunderlich, dass Sie in der Begründung
zu Ihrem Änderungsgesetz die Stärkung der Erziehungs-
kompetenz und der Elternkompetenz anführen; denn Sie
lassen Ihren Worten keine Paragraphen folgen. Auf der ei-
nen Seite wollen Sie einen Schritt zurückgehen und den
Begriff des Erziehungsberechtigten wieder einführen, um
die Erziehungskompetenz zu stärken. Auf der anderen
Seite trauen Sie den Eltern nicht zu, einzuschätzen, ob ein
Kinofilm ihr Kind emotional oder intellektuell überfor-
dert. Hier sprechen Sie den Eltern jegliche Erziehungs-
kompetenz ab. Wir trauen den Eltern diese Erziehungs-
kompetenz zu; denn es sind doch die Eltern, die ihre
Kinder und deren Entwicklung tagtäglich erleben. Wer,
wenn nicht Vater oder Mutter, soll Kinder denn einschät-
zen können?

Auch gehört es zur Erziehungsverantwortung der El-
tern, dass sie sich – das ist selbstverständlich –, bevor sie
sich mit ihrem Kind einen Film anschauen, über dessen
Inhalt informieren und dann entscheiden, ob sie ihn ihrem
Kind zumuten können oder nicht. Es gibt so viele TV- und
Kinozeitschriften, in denen sie sich darüber informieren
können. Sie brauchen sich den Film nicht vorher extra an-
zuschauen, sondern es reicht, wenn sie sich über den In-
halt in entsprechenden Zeitschriften informieren.

Das Elternprivileg ist keine utopische Träumerei von
einer besseren Welt. Dieses System funktioniert in Groß-
britannien unter dem Stichwort Parental Guidance her-
vorragend. Horrorszenarien von Kindern zu malen, die
durch den gemeinsamen Kinobesuch mit ihren Eltern ge-
schädigt werden, ist an dieser Stelle gänzlich unange-
bracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Elternprivileg stärkt die Erziehungsverantwor-
tung der Eltern. Ihre vorgeschlagene Änderung, meine
Damen und Herren von der Opposition, ist dagegen eine
Entmündigung der Eltern und steht im Übrigen im Wi-
derspruch zu Ihrer Begründung. Trauen Sie doch den El-
tern die Erziehungskompetenz zu! Unterstützen wir sie,
indem wir für sie optimale Rahmenbedingungen schaffen.
Sie tragen die Verantwortung und sie wollen und können
diese Verantwortung auch tragen.

Auch die Medienkompetenz im neuen Jugendschutz-
gesetz ist ein wichtiges Stichwort. Aber dieses Stichwort
wird in dem uns vorliegenden Änderungsgesetz fast durch
ein Medienverbot ersetzt. Sie wollen Medienkompetenz
durch Verbote und Vorschriften ersetzen. Natürlich – darin
sind wir uns wohl alle einig – bergen die Entwicklung des
Internetangebots und der sonstigen Informationslandschaft

Sabine Bätzing





Sabine Bätzing

sowie deren Nutzung für die jungen Menschen auch Ge-
fahren; das will niemand bestreiten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn jetzt?)


Auch sind wir uns einig, dass Verstöße gegen das Ju-
gendschutzgesetz in besonderem Maße geahndet werden
müssen. Daher haben wir uns für die Erhöhung des Buß-
geldes auf 50 000 Euro bei entsprechenden Gesetzesver-
stößen eingesetzt. Dabei handelt es sich um mehr als das
Dreifache des vorherigen Betrages.


(Beifall bei der SPD)


Die in Ihrem Änderungsgesetz gewünschte Erhöhung auf
500 000 Euro sprengt allerdings die Grenzen der Verhält-
nismäßigkeit.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist allerdings richtig!)


Eine solche Bußgelddrohung ist nicht nur unverhältnis-
mäßig, sondern sie wird auch dem Gesamtgefüge des
Bußgeldrahmens im Nebenstrafrecht nicht mehr gerecht.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Ich frage mich, wie Sie begründen wollen, dass bei Zu-
widerhandlungen gegen Vorschriften des Jugendschutz-
gesetzes 500 000 Euro erforderlich sein sollen, jedoch bei
gegen die Menschenwürde verstoßenden Spielen – dabei
handelt es sich schließlich um ein Grundrecht – ein Buß-
geld von 5 000 Euro ausreicht. Diese Erklärung bleiben
Sie schuldig.

Spannend ist auch der Art. 2 des Änderungsgesetzes.
Er ist schlicht überflüssig. Sie wollen im Ordnungswid-
rigkeitengesetz den § 118 a neu einführen, nach dem so
genannte Killerspiele wie Gotcha, Laserdrome oder
Paintball verboten werden sollen. Aber in diesem Bereich
hinken Sie der Entwicklung leider um etwa anderthalb
Jahre hinterher; denn bereits im Oktober 2001 hat das
Bundesverwaltungsgericht in einer Grundsatzentschei-
dung klargestellt, dass diese Spiele, die ohne Zweifel ge-
gen die Menschenwürde verstoßen – ich betone, dass es
irrelevant ist, ob dabei Laserpistolen oder Farbmarkie-
rungswaffen eingesetzt werden –, über die polizeiliche
Generalklausel zu verbieten sind.

Ich bin mir sicher, dass Ihnen der Schutz der Kinder
und Jugendlichen ebenso am Herzen liegt wie mir. Aber
glauben Sie wirklich, dass Sie Heranwachsende aus-
schließlich durch Verbote und Regelungen vor Gewalt
schützen können? Ist es nicht eher so – denken Sie dabei
bitte an Ihre eigene Kindheit und Jugend zurück –, dass ge-
rade das, was verboten ist, den besonderen Reiz darstellt?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie jetzt alles erlauben?)


Wir können junge Menschen nicht nur durch Verbote
schützen, Herr Zöller. Wir wollen das auch nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen sie nicht vor Gefahren und Problemen ver-
stecken. Wir wollen unsere Kinder so auf die neuen Me-
dien vorbereiten, dass sie einen verantwortungsbewussten

Umgang damit lernen und Medienkompetenz ohne einen
Wust von Verboten und Regelungen erreichen. Deshalb
müssen die Kinder zu ihrem eigenen Schutz frühzeitig ler-
nen, wie sie bestimmte Medien einzuschätzen und wie sie
mit ihnen umzugehen haben. Stärken wir lieber die Me-
dienkompetenz der Kinder und Jugendlichen sowie die
Erziehungskompetenzen der Eltern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Beides!)


Hören Sie auf mit diesem Wust von Verboten!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie können nicht das eine tun und das andere lassen!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502002700


Ich erteile das Wort der Kollegin Michaela Noll,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1502002800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut

gemeint, aber leider nicht gut gemacht: Das beste Beispiel
dafür ist das erst vor sechs Monaten verabschiedete Ju-
gendschutzgesetz. Ziel war es, den Jugendschutz zu stär-
ken. Dieses Ziel wurde verfehlt. Ursachen dafür sind uns
allen bekannt: Erfurt, Hektik im Gesetzgebungsverfahren
und mangelnde Umsetzung der kritischen Stimmen.

Wir durften uns ja hier und heute schon vieles anhören.
Aber an dieser Stelle möchte ich vor allem auf Ihre Maß-
nahmen eingehen, die sich als ungeeignet, als nicht prak-
tikabel und als schlichtweg misslungen darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Novellierung des Jugendschutzes muss Stärkung des

Jugendschutzes bedeuten. Der Bundesratsentwurf leistet
dazu einen effektiven Beitrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist doch ein Schließen der Augen, wenn die Regie-
rungskoalition gebetsmühlenartig auf die Reformen des
letzten Jahres verweist. Erinnern Sie sich noch an die kri-
tischen Urteile der Sachverständigen? – Anscheinend
nicht. Kritik wurde zur praktischen Umsetzung des Erzie-
hungsbeauftragten und zum Elternprivileg geäußert. Kri-
tik wurde auch zur auffälligen Geschwindigkeit der par-
lamentarischen Beratungen geäußert. Das Ergebnis ist
bekannt. Es hat sich ja herausgestellt, dass die von Ihnen
beschlossenen Maßnahmen nicht alltagstauglich sind.

Der Bundesrat schlägt in seinem Entwurf vor, das so
genannte Elternprivileg wieder abzuschaffen. Eltern kön-
nen jetzt für die untere Altersstufe entscheiden, ob sie
ihren achtjährigen Sohn ins Kino mitnehmen, obwohl der
Film erst ab zwölf Jahren freigegeben ist. Das Elternpri-
vileg unterläuft damit die Einstufung durch die FSK. Hier
gehen unsere Meinungen diametral auseinander.


(Beifall bei der CDU/CSU)



(A)



(B)



(C)



(D)


1578


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie träumten davon, dass Eltern und Kinder einen be-
gleiteten, gemeinsamen und harmonischen Medienkon-
sum erleben.


(Kerstin Griese [SPD]: Sie sollten ein bisschen Vertrauen in die Eltern haben!)


Nur, die Realität ist eine andere. In dem Film „Herr der
Ringe“ tummeln sich Sechsjährige.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist es!)


Aber diese Filme sind für Sechsjährige – bei aller Begeis-
terung – nicht geeignet, weder ohne noch in Begleitung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Erfahrungen haben gezeigt, dass Eltern nur un-
zulänglich mit dem Medienkonsum ihrer Kinder umge-
hen können. Eltern müssten die Filme aus ihrer Eltern-
verantwortung heraus im Vorfeld anschauen, um sich
persönlich ein Bild davon zu machen, ob diese Filme für
ihre Kinder geeignet sind.


(Sabine Bätzing [SPD]: Nein!)


Aber das geschieht eben nicht – aus Mangel an Zeit, aus
Überforderung oder schlicht aus Desinteresse.

Hier werden wir mit dem Elternprivileg erst recht
nichts erreichen – ganz im Gegenteil. Sinnvoller wäre es,
Eltern stark zu machen. Ich wünsche mir Eltern, die auf
bittende Fragen ihrer Kinder auch einmal Nein sagen kön-
nen. Wenn ein Achtjähriger vor ihnen steht und mit gieri-
gen Augen fragt, ob er sich den Film „Herr der Ringe“ an-
sehen darf, braucht es starke Eltern, die den Mut zur
Erziehung haben. Denn Nein sagen fällt Eltern sehr viel
schwerer als Ja sagen.

Die Stärkung der Erziehungs- und Medienkompetenz
der Eltern steht daher bei uns mit an erster Stelle. Erzie-
hungskompetenz stärken heißt aber auch, Eltern zu ermu-
tigen, Grenzen zu setzen. Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Schutz der Kinder und Jugendlichen muss den Stel-
lenwert erhalten, der ihm zukommt. Dies darf durch die Re-
gelungen des Jugendschutzes nicht konterkariert werden.
Das Elternprivileg widerspricht auch der Vorbildfunktion
der Eltern, da so Sechsjährige hautnah erfahren, wie leicht
Schutzbestimmungen umgangen werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Jugendschutz
wird der aktuellen Entwicklung und auch den gesell-
schaftlichen Veränderungen hinterherlaufen. Allerdings
ziehen wir auch hier andere Schlussfolgerungen als Sie
von der Regierungskoalition. Wir wollen starke Eltern,
die eigenverantwortlich und verantwortungsbewusst han-
deln. Sie dagegen wollen die „Lufthoheit“. Die Einstel-
lung, die dahinter steckt, ist gegenüber der Familie rück-
sichtslos und zynisch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist nicht nur ein flotter Spruch, sondern erinnert an so-
zialistische Herrschaftsansprüche über die Familie.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch der neu eingeführte Erziehungsbeauftragte
macht die Eltern nicht stark und fördert nicht die Medien-
kompetenz der 16-Jährigen. Sie sind bis heute die Antwort
schuldig geblieben, wie das Konzept des Erziehungs-
beauftragten konkret aussehen soll. Angeblich ist die Ein-
führung des Erziehungsbeauftragten eine Anpassung an
die längst bestehende Realität.

Wir sagen: Sie rennen nur dem Zeitgeist hinterher. Sie
wollen alles, was chic und cool erscheint und die Wähler-
stimmen der Jugendlichen bringt, ermöglichen. Die Ge-
fahren nehmen Sie billigend in Kauf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, verweigern Sie sich
nicht und lassen Sie uns konstruktiv und ohne Hektik das
unzureichende Jugendschutzgesetz konsequent verbessern!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502002900

Frau Kollegin Noll, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten

Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall)


Nun erteile ich das Wort der Parlamentarischen Staats-
sekretärin Marieluise Beck.

Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich denke, wir alle sollten im Vorfeld konzedieren,
dass die Debatte über dieses Thema zunehmend schwieri-
ger wird. Es geht darum, wie Jugendliche vor Gewalt, vor
Brutalität, vor Pornographie geschützt werden können in
einer Zeit, in der die Medien eine immer größere Rolle im
Leben der Kinder spielen und die technologische Ent-
wicklung dazu führt, dass die Medienträger in rasanter
Geschwindigkeit gewechselt werden können. Hier bedarf
es einer klugen Gesetzgebung.

Frau Noll, Sie haben gesagt, Sie wünschen sich, dass
Eltern ihre Kinder zum Beispiel nicht in den Film „Herr
der Ringe“ gehen lassen sollten, wenn sie dafür noch zu
jung sind. Sie müssen aber bedenken, dass es nur wenige
Monate dauern wird, bis dieser Film, der zunächst in ei-
nem öffentlichen Raum gezeigt wird, auf den der Gesetz-
geber noch Zugriff hat, in den Geschäften auf Video zu
kaufen ist und in den privaten Haushalten Verwendung
findet. Damit geht es um die Frage der Erziehungskom-
petenz der Eltern. Sie müssen entscheiden, ob sie diesen
Film dem Kind im privaten Raum zugänglich machen
oder nicht. In einem weiteren Schritt geht es darum, dass
junge Menschen selbst entscheiden, vielleicht lieber ein-
mal nicht hinzuschauen, weil sie das Gefühl haben, durch
Darstellungen, die sie nicht verarbeiten können, seelisch
verletzt werden zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Michaela Noll





Parl. Staatssekretärin Marieluise Beck

Im Gesetzgebungsverfahren haben wir uns mit diesem
Schnittfeld, den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten
und Grenzen und der rasanten technologischen Entwick-
lung, auseinander gesetzt. Die Konsequenz, die aus den
Beratungen gezogen werden muss, lautet: Viel hilft nicht
immer viel.

Es ist schon vielsagend, dass der Fachausschuss im
Bundesrat dieses heute wieder aufgewärmte Gesetz nicht
positiv beschieden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind gut beraten, neben den gesetzlichen Vorschriften
darüber nachzudenken, wie sowohl die Erziehungskom-
petenz der Eltern als auch die Entscheidungskompetenz
der Kinder und Jugendlichen gestärkt werden können.

Wir kennen einen anderen Bereich des Jugendschutzes,
in dem ein Verbot sehr wenig greift: den Tabakkonsum. Wir
können uns bemühen, das Rauchen insgesamt zu verbieten
oder das Aufstellen von Zigarettenautomaten. Trotzdem
gibt es eine Grenze, ab der kein Zugriff auf die Jugendli-
chen mehr möglich ist, es sei denn, es ist uns gelungen, sie
wirklich davon zu überzeugen, dass Tabak ihnen nicht gut
tut. Einen ähnlichen Ansatz brauchen wir beim Konsum
von Gewalt, von Brutalität, von Pornographie. Der ei-
gentliche Dollpunkt liegt da, wo Kinder und Jugendliche
selbst das Gefühl haben: Das tut mir nicht gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bundesrat hat dem neuen Jugendschutzgesetz mit
großer Mehrheit zugestimmt, aber das Gesetz ist noch
nicht einmal in Kraft. Sie legen also zu einem Zeitpunkt
nach, an dem das Gesetz noch nicht einmal zu wirken be-
gonnen hat. Sie alle wissen, dass wir auf das Ende des Ver-
fahrens zur Ratifizierung des Jugendmedienschutz-Staats-
vertrags warten und dass das neue Gesetz ab 1. April 2003
seine Wirkung entfalten wird.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Lassen Sie uns also vernünftig sein und nicht aus
Hilflosigkeit von einem Gesetzgebungsverfahren zum
nächsten springen. Es gilt jetzt, vernünftig zu sein, das
Gesetz zur Anwendung zu bringen und dann immer wie-
der zu überprüfen, ob es an die technologischen Entwick-
lungen angepasst werden muss. Wir sollten also gemein-
sam in den Evaluierungsverfahren schauen, wo vielleicht
noch Nachjustierungen notwendig sind. Ich versichere für
die Bundesregierung, dass gerade im Bereich des Jugend-
schutzes sinnvolle Vorschläge, die aus dem öffentlichen
Raum kommen, immer Gehör finden werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502003000


Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/88 an die in der Tagesordnung

aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für
Kultur und Medien vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände-

(Erstes Zivildienständerungsgesetz)

– Drucksache 15/297 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Anton Schaaf, SPD.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1502003100


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Not-
wendigkeit der Haushaltskonsolidierung ist weitestge-
hend unumstritten. Haushaltskonsolidierung ist für uns
aber kein Selbstzweck, also nicht Sparen um des Sparens
willen. Wir erarbeiten uns damit vielmehr notwendige
Spielräume insbesondere für Investitionen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir leisten damit aber auch einen Beitrag dazu, dass künf-
tige Generationen nicht zusätzlich belastet werden. Wenn
wir die Gerechtigkeitsdebatte schon überall führen, dann
sollten wir diesen Aspekt der Debatte, also die Genera-
tionengerechtigkeit, besonders im Blick haben.


(Ina Lenke [FDP]: Das machen Sie doch gar nicht! So ein Quatsch!)


Wir haben auch von dieser Stelle aus immer wieder
deutlich betont, welche Prioritäten wir in den Politikfel-
dern in der laufenden Legislaturperiode setzen wollen. Im
Bereich der Familien- sowie der Kinder- und Jugendpoli-
tik haben sich Regierung und Koalition viel vorgenom-
men. Wir werden dies auch umsetzen.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Eigenheimzulage!)


Als Beispiel sei hier die Ganztagsbetreuung genannt. In
den genannten Politikfeldern wird zusätzlich investiert.

An dieser Prioritätensetzung wird klar, in welchen Be-
reichen wir nicht sparen werden und – das füge ich aus-
drücklich hinzu – auch nicht sparen dürfen. Dennoch
muss jedes Ressort zur Konsolidierung des Haushalts bei-
tragen, so auch das Bundesministerium für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend. 90,6 Millionen Euro müssen ein-
gespart werden. Der zur Verfügung stehende Spielraum ist
eng, wie wir alle aus den Ausschussberatungen wissen.

In den schon durchgeführten Etatberatungen zum Ein-
zelplan 17 haben wir deutlich gemacht, dass es aus unse-


(A)



(B)



(C)



(D)


1580


(A)



(B)



(C)



(D)






rer Sicht nur möglich ist, den zu erbringenden Sparbei-
trag im Bereich des Etatansatzes für den Zivildienst zu
erzielen.


(Ina Lenke [FDP]: Dauernd machen Sie das!)


Darüber, wie die notwendigen Einsparungen im Bereich
des Zivildienstes erbracht werden können, ist insbeson-
dere mit den Wohlfahrtsverbänden sehr ausführlich dis-
kutiert worden. Es wurden zwischen dem Ministerium
und den Verbänden die verschiedenen Möglichkeiten aus-
gelotet, wie der Einsparungsbetrag zu erbringen ist. Zu den
Möglichkeiten gehörten der Verzicht auf Einführungs-
kurse, die Verkürzung der Zivildienstdauer oder die Sen-
kung der Zahl der Zivildienstleistenden.

Als verträglichste Lösung erachteten alle Beteiligten
aber den von uns eingebrachten Vorschlag, § 6 Abs. 2
Satz 2 des Zivildienstgesetzes dahin gehend zu ändern,
dass die Kostenerstattung an die Beschäftigungsstellen
von derzeit 70 Prozent auf 50 Prozent sinkt. Mit dieser
Maßnahme und gezielten Steuerungsmaßnahmen bei der
Verteilung nicht verbrauchter Kontingentanteile lassen
sich die notwendigen Einsparungen erzielen. Diese Maß-
nahme – das sei hier noch einmal ausdrücklich betont – ist
bis zum Ende dieses Jahres befristet.


(Ina Lenke [FDP]: Was denn dann?)


Um in den vielen Bereichen, in denen Zivildienstleis-
tende hervorragende Arbeit tun, zum Beispiel bei der
Schwerstbehindertenbetreuung, Kontinuität zu gewähr-
leisten, haben die Wohlfahrtsverbände dieser Maßnahme
zugestimmt. Die Mehrkosten pro Zivildienstleistenden
und Monat – um einmal deutlich zu sagen, über welche
Beträge wir reden – belaufen sich auf 66,61 Euro.


(Ina Lenke [FDP]: Das sind 800 Euro im Jahr!)


– Frau Lenke, wenn Sie sich schon bei der Einbringung
des Gesetzentwurfs so aufregen, dann, fürchte ich, müs-
sen wir bei der abschließenden Beratung für Sie ärztliche
Hilfe mitbringen.


(Ina Lenke [FDP]: Dann bringen Sie mal gleich einen Zivildienstleistenden mit! Den gibt es dann nämlich nicht mehr!)


Die Zahl der Zivildienstleistenden wird aufgrund
dieser Maßnahme sicherlich etwas zurückgehen, aber nur
die von uns vorgeschlagene Änderung des § 6 des Zivil-
dienstgesetzes kann verhindern, dass die Zahl der Zivil-
dienstleistenden im Jahresdurchschnitt dramatisch sinken
muss, was von Ihnen, meine Damen und Herren von der
Opposition, ja befürchtet wird.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Die Ministerin hat es doch gesagt! Dann kennen Sie die Aussagen Ihrer eigenen Ministerin nicht!)


Allerdings halte ich hier fest, dass sinkende Zivil-
dienstleistendenzahlen auch ein Schritt in die richtige
Richtung sind, nämlich – das dürfen wir in diesem Zu-
sammenhang auch ausdrücklich erwähnen – in Richtung
Wehrgerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD)


Die Diskussion um die Wehrgerechtigkeit steht aktuell eh
an. Wir werden sie weiterführen, insbesondere mit den
Wohlfahrtsverbänden. Wir müssen auf die Kontinuität der
guten Zusammenarbeit der Ministerien, der Politik und
der Wohlfahrtsverbände, insbesondere im Bereich des Zi-
vildienstes, setzen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Besonders erwähnenswert finde ich, dass Sie, meine
Damen und Herren von der Union, in den Ausschussbera-
tungen dem Antrag der FDP auf Wiedereinstellung der
Mittel für den Zivildienst nicht zugestimmt haben. Ihre
Begründung war und ist nach wie vor richtig: Die FDP
hatte schlichtweg keinen Deckungsvorschlag.


(Ina Lenke [FDP]: Bei solch schrecklichen Kürzungen machen wir auch keinen Deckungsvorschlag! Das ist das Allerletzte, was Sie da machen!)


Sie erkennen also an, dass gespart werden muss, sagen
aber, wie üblich, nicht, wie und wo gespart werden soll.


(Zuruf von der SPD: Das sagen die nie!)

Ihre Anträge im Ausschuss hätten die notwendigen
90 Millionen Euro bei weitem nicht erbracht.


(Ina Lenke [FDP]: Sie können woanders sparen, nicht immer im Zivildiensthaushalt!)


Ihre Vorschläge hätten darüber hinaus – auch das soll hier
betont werden – wichtige Projekte, insbesondere gegen
Rechtsradikalismus, zerstört.


(Ina Lenke [FDP]: Ach!)

Auch wenn Ihre Vorschläge für uns nicht akzeptabel

waren, könnte man Ihr Verhalten – ich muss ehrlich sagen,
dass ich schon überrascht war – doch als konstruktiv be-
zeichnen; denn Sie haben endlich mal Vorschläge einge-
bracht. Das war in dieser Legislaturperiode bisher noch
nicht so und es ist im Besonderen erwähnenswert.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Was Sie sagen, Herr Schaaf, ist doch unverschämt!)


Seit 1961 ist es möglich, Ersatz- oder Zivildienst zu
leisten. Hunderttausende junger Männer haben in diesen
40 Jahren für die Gesellschaft Hervorragendes geleistet.
Wurden Zivildienstleistende von manchen zunächst als
Drückeberger wahrgenommen, die über den Zivildienst
sozusagen abgestraft wurden – das wurde durch die Un-
gleichbehandlung zwischen Wehr- und Zivildienstleisten-
den deutlich –, genießen diese jungen Männer mittlerweile
und zu Recht höchste Anerkennung. In einigen Bereichen
sind Zivildienstleistende nicht mehr wegzudenken.


(Ina Lenke [FDP]: Warum machen Sie dann solche Vorschläge?)


Wir haben allen Grund, denke ich, den Zivildienstleisten-
den für ihre wertvolle Arbeit zu danken, und das will ich
hier auch ausdrücklich tun.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ina Lenke [FDP]: Da kann ich auch klatschen! – Beifall der Abg. Ina Lenke [FDP])


Anton Schaaf





Anton Schaaf

Die Absenkung der Erstattung des Bundes für Zivil-
dienstleistende als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung
ist übrigens kein neues Instrument.


(Ina Lenke [FDP]: Jawohl! Jedes Jahr machen Sie das!)


Vielleicht erinnern Sie, meine Damen und Herren von der
Union und von der FDP, sich noch an einen Gesetzent-
wurf aus dem Jahr 1993, auch wenn das schon lange her
ist, mit dem wunderschönen Titel: Entwurf eines Gesetzes
zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachs-
tumsprogramms. Zur Änderung des Zivildienstgesetzes
stand darin Folgendes – ich zitiere das gern einmal –:

Das Bundesministerium für Frauen und Jugend legt
im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der
Finanzen

– höchst spannend! –
für die Erstattung einheitliche Pauschalbeträge fest.

Gott sei Dank ist es nicht so weit gekommen. Ergebnis
war am Ende, dass die Erstattung von 100 auf 75 Prozent
gesenkt worden ist.


(Ina Lenke [FDP]: Jetzt haben Sie 50 Prozent!)


Wenn Sie unseren Vorschlag kritisieren, dann schauen Sie
sich einmal Ihre alten Vorlagen an! Sie wollten die Erstat-
tung sogar konjunkturabhängig machen. Anders ist nicht
zu erklären, dass der Finanzminister bei der Entscheidung
ein besonderes Wörtchen mitzureden hatte.


(Ina Lenke [FDP]: Das hat Ihrer beim Kindergeld auch!)


Friedrich Merz sagte in einem Zeitungsinterview, dass
er die Zivildienstleistenden am liebsten nur im Dienst am
Menschen sehen würde. Lassen Sie mich an dieser Stelle
deutlich sagen: Die Aufgabe des Zivildienstes ist es
zunächst einmal nicht, den Sozialstaat zu sichern;


(Ina Lenke [FDP]: Ja!)

Aufgabe des Zivildienstes ist es, jungen Männern, die
gemäß Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes als Kriegsdienst-
verweigerer aus Gewissensgründen anerkannt sind, einen
Ersatzdienst zu ermöglichen.


(Ina Lenke [FDP]: Und daraus verabschieden Sie sich!)


In diesem Sinne werden wir den Zivildienst weiterent-
wickeln. Die Absenkung der Erstattungspauschale ist
sachlich vertretbar und – ich betone es noch einmal – sie
ist auf dieses Jahr befristet.

Es sind die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die
Umweltverbände und die vielen kirchlichen und kommu-
nalen Einrichtungen, die den Zivildienst in den vergan-
genen vier Jahrzehnten in guter Partnerschaft mit allen
Bundesregierungen erfolgreich und zum Wohl unserer Ge-
sellschaft durchgeführt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf diese Partnerschaft haben wir in der Vergangenheit
gesetzt und das werden wir auch in Zukunft tun.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502003200


Herr Kollege Schaaf, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-
ten Rede in diesem Hohen Hause sehr herzlich und wün-
sche Ihnen persönlich und politisch für Ihre Zukunft alles
Gute.


(Beifall)


Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Willi
Zylajew, CDU/CSU-Fraktion.


Willi Zylajew (CDU):
Rede ID: ID1502003300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In-
teressant an diesem Gesetzentwurf ist nicht das, was darin
geschrieben steht, sondern das, was darin nicht geschrie-
ben steht. Dieser Gesetzentwurf folgt dem Motto – dem-
entsprechend müsste sein Titel sein –: Haushaltssanierung
auf Kosten der Alten, der Pflegebedürftigen und der Be-
hinderten.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! – Anton Schaaf [SPD]: Genau das Gegenteil!)


– Ja, natürlich stimmt das. Als Maurer müssten Sie ei-
gentlich wissen, wo vorne und hinten ist.


(Anton Schaaf [SPD]: Und oben und unten vor allem!)


Nicht das Gegenteil, sondern das, was ich gesagt habe, ist
richtig.

Sie finanzieren hiermit Ihren Haushalt ein Stück weit
auf Kosten der Schwachen und der Schwächsten in unse-
rer Gesellschaft. Das ist unerhört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Haupt [FDP]: Die falsche Weichenstellung!)


Im Gesetzentwurf heißt es lapidar:

1. Die vorgeschlagene Änderung führt für die Träger
des Zivildienstes zu einer Kostensteigerung in Höhe
von 66,-- je Zivildienstleistender je Monat. ...

Nur für sich betrachtet ist das – es ist schon angesprochen
worden – kein besonders großer Betrag. Multipliziert man
diesen Wert aber mit 123 000, also mit der Zahl der Zivil-
dienstleistenden in unserem Land, dann sind das 8,1 Mil-
lionen Euro. Dies sind die monatlichen Mehrkosten der
Träger des Zivildienstes. Berücksichtigt man dann noch
die Dienstzeit, dann kommt man auf einen Betrag von über
80 Millionen Euro. Dieses Geld entziehen Sie dem sozia-
len Versorgungssystem einfach. Diese Mittel sind weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dies führt dazu, dass es zu Leistungseinschränkun-
gen kommen wird. Das ist ganz eindeutig.


(Anton Schaaf [SPD]: Deswegen habe ich noch einmal gesagt, was Zivildienst ist!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1582


(A)



(B)



(C)



(D)






Die Leidtragenden sind die Hilfsbedürftigen und ihre An-
gehörigen, niemand anders. Dies nehmen Sie ausdrück-
lich in Kauf. Herr Kollege Schaaf, das können Sie nicht
schönreden.


(Anton Schaaf [SPD]: Das sehen die Wohlfahrtsverbände anders!)


Auf die Wohlfahrtsverbände komme ich noch zu spre-
chen. Bleiben Sie nur ruhig!

Im Gesetzentwurf heißt es weiterhin:

Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau,
insbesondere das Verbraucherpreisniveau, entstehen
nicht.

Das ist doch schlichtweg Blödsinn; denn erstens werden
Leistungskürzungen vorgenommen. Ich gebe zu, dass das
Preisniveau in manchen Bereichen gleich bleibt; dafür ist
die angebotene Leistung aber schlechter. Zum Zweiten
werden natürlich auch Leistungsentgelte erhöht, und zwar
in einer Größenordnung von fast 70 Prozent. Man muss
also künftig für dieselbe Leistung 70 Prozent mehr be-
zahlen. Dass Sie sagen: „Das spielt keine Rolle; das ist im
sozialen System nicht so wichtig“, kann ich nicht nach-
vollziehen.

Sie müssen sehen: Die Zivildienstleistenden erbringen
sehr praktische, handfeste und unbedingt notwendige
Leistungen. Sie kaufen für ältere Menschen ein. Sie be-
treuen in Pflegeeinrichtungen. Sie sind in Behinderten-
schulen weitgehend für die hauswirtschaftlichen und für
die pflegerischen Leistungen zuständig. Nach Verab-
schiedung Ihres Gesetzentwurfs würden die Träger des
Zivildienstes, bei denen diese Leistungen erbracht wer-
den, mit Mehrkosten in Höhe von über 80 Millionen Euro
befrachtet. Das ist nicht in Ordnung und dafür gibt es
überhaupt keine Rechtfertigung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der einzige Bereich, in dem die Mehrkosten aufgefan-
gen werden können, ist der der normalen Tarifangestell-
ten; das muss hier auch einmal deutlich angesprochen
werden. Weil die Budgets für die Alten- und Pflegeheime
für das laufende Jahr schon aufgestellt sind – die Ver-
handlungen sind ja schon abgeschlossen –, ist festzuhal-
ten, dass Sie mit den Mehrkosten für die Zivildienst-
leistenden das Personalkostenbudget befrachten und der
Träger keine andere Chance hat, als dieses Geld bei Tarif-
angestellten einzusparen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dazu, Herr Schaaf, gibt es keine Alternative; das weiß ich,
denn ich habe schließlich 16 Jahre in diesem Bereich ge-
arbeitet. Das kostet Arbeitsplätze – und das wollen Sie
als Gewerkschafter und als Mitglied einer Partei, die sich
immer wieder lobt, dass sie vieles im Einvernehmen mit
den Gewerkschaften erledigt! Sie gehen hin und kürzen
schlichtweg zulasten von Tarifangestellten Leistungen im
sozialen Bereich. Das ist aus meiner Sicht schon fast schä-
big.

Ich sage noch einmal ganz deutlich, dass uns dieser Ge-
setzentwurf in einer Phase trifft, in der den Krankenhäu-

sern und Pflegeheimen sowieso schon wenig Geld zur
Verfügung steht. Sie befrachten diese Einrichtungen nun
mit der Arbeit, zusätzliche Mittel aufbringen zu müssen,
und sagen: Das machen wir ja nur übergangsweise für ein
Jahr. Damit haben Sie die Wohlfahrtsverbände ja auch
ein Stück weit gelockt. Eines Ihrer Argumente war ja, dass
diese Kürzungen nur ein Jahr lang Bestand haben.


(Anton Schaaf [SPD]: Planungssicherheit!)

– Von wegen Planungssicherheit; die Träger können si-
cher sein, dass sie nächstes Jahr noch weniger bekommen.
Die Litanei, die wir nächstes Jahr von Ihnen hören wer-
den, kennen wir ja schon. Die Weltwirtschaftslage ist wie-
der unendlich schwierig, es droht uns wieder ein blauer
Brief von der EU, wir haben hier und dort Probleme.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der CDU gäbe es die ganzen Probleme nicht! – Gegenruf der Abg. Ina Lenke [FDP]: Ihr macht die falsche Wirtschaftspolitik!)


Das führt dazu, dass Sie dann sagen: Das hat in diesem
Jahr mit 50 Prozent funktioniert, dann muss es auch im
nächsten Jahr mit 50 Prozent funktionieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird die Realität sein!)


So gehen Sie doch vor.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sollten deutlich sagen, dass dieses Einvernehmen
mit den Wohlfahrtsverbänden, das Sie ja so gelobt haben,
deshalb zustande gekommen ist, weil Sie ihnen gesagt ha-
ben: Ihr könnt zwischen Pest auf der einen und Cholera
auf der anderen Seite wählen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Da sie denken, die Pest sei im Moment vielleicht ein biss-
chen besser beherrschbar, haben sie dem zugestimmt. Die
Träger sind letztendlich von Ihnen erpresst worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nichts anderes ist geschehen, als dass sie erpresst worden
sind nach dem Motto: entweder weniger Stellen oder we-
niger Geld. Ich weiß nicht, ob solch ein Handeln einer
Bundesregierung überhaupt zusteht. Ich finde es nicht in
Ordnung, wenn man mit Trägern, freien Wohlfahrtsver-
bänden und Kommunen in der Form umgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine weitere Bemerkung: In vielen Fällen wird diese
Regelung im Übrigen auch die Kommunen direkt treffen,
da der eine oder andere Träger Vereinbarungen getroffen
hat – ich kenne die Situation in meinem Wahlkreis sehr
gut und kann das deswegen beurteilen –, nach denen
90 Prozent der ungedeckten Kosten die Kommune trägt.
Sie schieben also einen Teil dieser 80 Millionen, die Sie
einsparen wollen, schon wieder auf die Kommunen ab
und belasten sie damit. Dieses Verfahren können wir
ebenfalls nur kritisieren. Diese Regelung gilt mit Sicher-
heit – da bleibt überhaupt keine andere Chance; das sage
ich noch einmal – nicht nur für ein Jahr, sondern für wei-
tere Jahre.

Willi Zylajew





Willi Zylajew

Nun sagen Sie, dass Sie hier kürzen, um den Haushalt
zu konsolidieren und – Herr Schaaf, Sie haben es eben an-
gesprochen – um Handlungsraum für Investitionen zu be-
kommen. Wo gibt es denn diese Investitionen? Wo pas-
siert denn etwas? Sie stellen irgendwelche möglichen
Leistungen in Aussicht, so im Bereich der Ganztagsbe-
treuung von Kindern


(Anton Schaaf [SPD]: Zum Beispiel!)


in den nächsten vier Jahren.


(Iris Gleicke [SPD]: Die Kommunen freuen sich!)


Aber was danach passiert, interessiert Sie doch überhaupt
nicht. Sie schauen nur bis zur nächsten Wahl und lassen
die Kommunen dann mit diesen und anderen Belastungen
wieder einmal im Regen stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht wahr!)


Das ist Ihr Konzept, etwas anderes haben wir hier nicht
gehört.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen Sie langsam zu Ihren Vorschlägen!)


Ich will noch einen weiteren Bereich ansprechen: Es
gibt im zuständigen Ministerium einen Beirat für den
Zivildienst. Diesen Beirat beteiligen Sie immer gerne
dann, wenn er Ihnen applaudiert. Dann sind Sie ganz groß,
inszenieren seine Arbeit und nehmen seine Aussagen
gerne als Beleg für Ihr Handeln in Anspruch. In der jetzi-
gen Situation haben Sie den Beirat aber nicht einmal be-
teiligt.


(Ina Lenke [FDP]: Ja!)


Dazu kann man nur sagen: außer Spesen nichts gewesen.
Die Beiratsmitglieder haben nicht einmal die Chance, hier
Position zu beziehen und ihren Beitrag zu leisten. Dies
zeigt, wie es um Ihre Bereitschaft zur demokratischen Zu-
sammenarbeit bestellt ist. Herr Ströbele hat Recht: Bei
dem, was hier von Ihnen vorgetragen wird, kann man im
Grunde genommen nur die Möbel zerdeppern.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage klipp und klar: Wir werden dieses Gesetz ab-
lehnen. Wir haben dem Antrag der FDP nicht zugestimmt,


(Klaus Haupt [FDP]: Leider!)


weil wir ein geordnetes Verfahren mit der entsprechen-
den weiteren Beratung möchten. Dann werden wir auch
Deckungsvorschläge nach dem Gesamtdeckungsprinzip
einbringen. Wir halten es für völlig falsch, jeden Antrag
als Einzelantrag zu sehen, ihm zuzustimmen und dann zu-
zusehen, wie wir nachher auf der Strecke bleiben. Wir
bringen Ihnen ordentliche und ausgewogene Haushalt-
vorschläge,


(Anton Schaaf [SPD]: Das ist etwas Neues!)


die zu gleichmäßigen Belastungen und Entlastungen der
Gesellschaft führen, die fair und ordentlich sind.

Was Sie hier mit dieser Initiative machen, ist aus unse-
rer Sicht rundherum beschämend. Sie sparen über 80 Mil-
lionen Euro zulasten der Behinderten, der Kranken,


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch einmal falsch!)


der Schülerinnen und Schüler; und dies tun Sie als Ver-
treter einer Partei, die sonst versucht, sich die soziale Pla-
kette ganz oben ans Revers zu heften. Dieses Verfahren ist
wie Wasser: durchsichtig und geschmacklos.


(Anton Schaaf [SPD]: Ähnlich wie Ihr Beitrag!)


Es ist bedauerlich, dass Sie zu keinen anderen Ergebnis-
sen kommen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt nehmen Sie einen Schluck davon!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502003400


Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502003500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen in diesem
Jahr die Bundeszuschüsse zu den Geldleistungen für
Zivildienstleistende von 70 auf 50 Prozent gesenkt wer-
den. Dadurch steigt der Kostenanteil der Träger von
30 auf 50 Prozent.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das überrascht mich jetzt aber!)


Das Echo auf diesen Entwurf ist geteilt. Dies sehen wir
deutlich. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege haben
schriftlich ihre Zustimmung zu diesem Kompromiss er-
klärt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie die
Vertreter der Umweltverbände haben ihre Zustimmung
mündlich erklärt. Bedenken kommen von den kommuna-
len Spitzenverbänden und es kommen Proteste von klei-
neren Trägern. Dies können wir nicht übersehen. Ich muss
auch sagen, dass man den Protesten der kleineren Träger
nicht widersprechen kann, weil vor allem die kleinen Trä-
ger unter dieser Veränderung zu leiden haben werden. Es
wäre vielleicht sinnvoll gewesen, an den entsprechenden
ministeriellen Beratungen auch den Beirat für den Zivil-
dienst und die Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz
der Kriegsdienstverweigerer zu beteiligen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Warum ist nichtsdestoweniger dieser Entwurf notwen-

dig? Erstens. Im Haushalt 2003 müssen in Einzelplan 17
90,6 Millionen Euro eingespart werden. Daran führt kein
Weg vorbei. Wir müssen schauen, welches die Alterna-
tiven sind: Eingriffe in Familienleistungen oder Ein-
sparungen beim Zivildienst.


(Ina Lenke [FDP]: Sie haben Gutachten darüber, wo Sie sparen können!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1584


(A)



(B)



(C)



(D)






Die Konsequenz ist klar.

Zweitens. In der Koalitionsvereinbarung haben wir
vereinbart, die Anzahl der besetzten Zivildienstplätze der-
jenigen im Wehrdienst anzugleichen, und zwar weil es
hier bisher eine Einberufungsungerechtigkeit gibt. Im
Grunde werden nämlich alle Kriegsdienstverweigerer aus
Gewissensgründen, die zur Verfügung stehen, auch ein-
gezogen, während dies bei den Wehrdienstleistenden
nicht der Fall ist und in Zukunft noch weniger Wehr-
dienstleistende eingezogen werden. Insofern wäre in die-
sem Fall die Absenkung der Zahl der Einberufungen am
sinnvollsten gewesen.

Dem stand allerdings ein erhebliches praktisches Pro-
blem entgegen, denn die Kontingente für Einberufungen
im Haushaltsjahr 2003, welches schon im Oktober letzen
Jahres anfing, wurden bereits seit Mai letzten Jahres ver-
teilt und sind zum großen Teil seit November letzten Jah-
res „verbraucht“. Wenn man dann mit einer erheblichen
Reduzierung der Einberufungen gekommen wäre, hätte
dies bedeutet, dass es ab dem dritten Quartal dieses Jah-
res einen erheblichen Einbruch gegeben hätte; und dies zu
einem Zeitpunkt, wo der Bedarf an Zivildienstplätzen we-
gen der Abiturienten und derjenigen jungen Männer, die
gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, besonders
hoch ist. Das wäre ein massiver Eingriff in die Lebenspla-
nung der jungen Männer gewesen und hätte die Konti-
nuität bei den Trägern unterbrochen. Aus diesem Grund
halten wir diesen Schritt für notwendig und unvermeidbar.


(Ina Lenke [FDP]: Was machen Sie denn für deren Lebensplanung? – Sie machen nichts!)


Die Einwände der FDP – wir werden sie gleich hören
– gehen, wie sich beim Zuhören bestätigen wird, daneben,
und zwar aus folgenden Gründen:


(Ina Lenke [FDP]: Was?)


Erstens. Die Maßnahmen gehen in keiner Weise zulasten
der Zivildienstleistenden. Zweitens. Sehr geehrte Frau
Lenke, Sie von der FDP predigen sonst immer den Abbau
von Subventionen.


(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Das sind doch keine Subventionen!)


Auch hier geht es um Subventionen.


(Ina Lenke [FDP]: Das habe ich nie gesagt! Sie reden falsch Zeugnis!)


Es ist erstaunlich, dass Sie hier auf einmal dagegen sind.


(Abg. Ina Lenke [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Sie sind gleich dran. Sie können in Ihrer Rede darauf
eingehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zusammengefasst: Es ist notwendig, den gewählten
Schritt jetzt zu tun. Uns ist aber auch klar, dass es nur eine
Zwischenlösung ist. Deswegen haben wir das auch nur für
dieses Jahr beschlossen und nicht für die folgenden Jahre.
Die jetzt gefundene Zwischenlösung entbindet uns aber

nicht von der Verpflichtung, die Zahl der Einberufungen
zum Zivildienst zu senken und an die Zahl der Einbe-
rufungen zum Wehrdienst anzugleichen. Der Druck, die
Zahl der besetzten Zivildienstplätze zu senken, wird mit
Fortgang der Bundeswehrreform noch zunehmen. In die-
sem Jahr, so die nüchterne Zahl, werden nur noch
94 500 Wehrdienstplätze zu besetzen sein. Von daher be-
steht beim Zivildienst entsprechender Druck.

Im weiteren Verlauf dieser Legislaturperiode werden
wir – so lautet auch unsere Abmachung im Koalitionsver-
trag – die Wehrform grundsätzlich auf den Prüfstand stel-
len. Dann wird die von den Grünen lange geforderte Ab-
schaffung der Wehrpflicht nicht nur möglich, sondern
angesichts der sicherheitspolitischen Entwicklung unse-
rer Auffassung nach auch wahrscheinlich. Deshalb müs-
sen wir uns endlich der Frage stellen, wie die Absenkung
beim Zivildienst und der wahrscheinliche Ausstieg aus
dem Zivildienst sozialverträglich gestaltet werden können.

Die „Frankfurter Rundschau“ kommentiert den heuti-
gen Gesetzentwurf folgendermaßen:

Die kurzfristige Therapie für die heutige Notsituation
darf nicht zur Strategie werden. ... Dringend notwen-
dig ist eine aufrichtige Debatte darüber, wie der Pfle-
gesektor den absehbaren Verlust der günstigen Zivis
verkraften kann.

Die Vorschläge der Grünen dazu liegen seit Jahren auf
dem Tisch.


(Ina Lenke [FDP]: Was?)


Wenn jetzt angeregt wird, wie in der vorherigen Legisla-
turperiode eine Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildiens-
tes“ zu bilden, so ist das unserer Auffassung nach sinnvoll
und unbedingt zu unterstützen. Allerdings muss eine An-
forderung hinzukommen: Es muss in diesem Rahmen
endlich die Frage überprüft werden, wie die so genannte
Zivildienstkonversion bewältigt werden kann. Dafür soll-
ten wir uns alle fraktionsübergreifend einsetzen, egal, wie
wir sonst zu der Frage der Wehrform und, daraus resultie-
rend, des Zivildienstes stehen. Diese Frage zu klären ist,
so denke ich, vorausschauende Verantwortung.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502003600


Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Ina
Lenke, FDP-Fraktion.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1502003700


Herr Nachtwei, politisch haben die Grünen in den letz-
ten Jahren in dieser Regierung nichts durchgesetzt. Sie re-
den immer von Aussetzung der Wehrpflicht und von Ge-
rechtigkeit, haben dazu aber nichts durchgesetzt. Diese
Kritik richtet sich an Herrn Beck und an Sie.


(Beifall bei der FDP – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jahrzehntelang die Wehrpflicht mitgetragen!)


Winfried Nachtwei





Ina Lenke

Was bedeutet eigentlich Wehrungerechtigkeit? – Wenn
wir 100 000 Zivildienstleistende und 100 000 Wehrpflich-
tige haben, dann ist das für Sie Wehrgerechtigkeit. Wissen
Sie, was für die FDP Wehrungerechtigkeit ist? – Wenn in
diesem Jahr 200 000 junge Männer einen Pflichtdienst
verrichten müssen und 200 000 junge Männer nicht. Das
ist Wehrungerechtigkeit und nicht dieser Quatsch, den Sie
hier erzählen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn!)


Ich komme auf das Thema Subventionen zu sprechen.
Sie wissen ganz genau: Die Träger haben Ihnen nicht
dankbar zu sein.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werfen Sie auf einmal alle Gesetze weg, die Sie verabschiedet haben?)


Herr Nachtwei, die Bundesregierung ist verpflichtet, den
Kriegsdienstverweigerern solche Stellen zur Verfügung
zu stellen. Das ist kein Geschenk an die Einrichtungen,
sondern die Einrichtungen müssen diese Stellen anbieten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Wo wollen Sie die Kriegsdienstverweigerer sonst unter-
bringen? Wenn Sie eine Diskussion mit einer solchen
Schieflage führen wollen, dann kann ich nur sagen: Da
mache ich nicht mit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, mit dem scheibchenweisen
Rückzug aus der Finanzierung der Zivildienststellen – das
gilt auch für Sie, Herr Beck – hat Rot-Grün den Anfang
vom Ende des Zivildienstes eingeläutet.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen Sie doch selbst! Sie wollen doch die Wehrpflicht abschaffen!)


Sie haben in den vergangenen Jahren bei der Rentenver-
sicherung der Zivildienstleistenden und beim Entlas-
sungsgeld gespart und die Einrichtungen weiter belastet.
Jetzt machen Sie das bei den monatlichen Zahlungen an
die Zivildienstleistenden. Das geht nicht. Wir als FDP
sind gegen diese scheibchenweise Verlagerung der Kos-
ten vom Haushalt auf die Träger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Hören Sie doch auf, Herr Beck! Wenn Sie den Anfang
vom Ende des Zivildienstes einläuten, dann frage ich
mich, Herr Beck, warum Sie als prominenter Grüner nicht
gleich über die Abschaffung des Zivildienstes beraten.
Die zuständige Ministerin, Frau Schmidt, hat im Aus-
schuss gesagt, sie sei gegen die Wehrpflicht und die Bun-
desregierung werde 2006 darüber entscheiden. Ich habe
die Frau Ministerin gefragt, ob das vor oder nach der Bun-
destagswahl geschehen solle. Die gleichen Töne haben
auch Sie angeschlagen. Aber Sie reden nur davon, dass
der Zivildienst ein auslaufendes Modell sei, Herr Beck. In

den letzten vier Jahren haben Sie nicht einen Cent dazu-
getan, um das wirklich anzugehen.


(Beifall bei der FDP – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben lauter Vorschläge gemacht!)


In diesem Jahr wollen die Ministerin und die Bundes-
regierung 30 000 Zivildienststellen einsparen. Das bedeu-
tet 30 000-mal weniger Betreuung für ältere Menschen
und Menschen mit Behinderungen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Haupt [FDP]: Das ist der eigentliche Skandal!)


Durch die Streichung von Zivildienststellen in diesem
Jahr werden Sie die himmelschreiende Wehrungerech-
tigkeit in unserem Land noch verstärken; denn durch Ihre
Politik wird bald jeder zweite junge Mann zu keinem
Dienst mehr herangezogen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen Sie doch auch!)


Herr Beck, Sie haben doch dem Einzelplan 17 den
Hans-Eichel-Preis gegeben und das geforderte Einspar-
volumen nahezu aus dem Bereich des Zivildienstes er-
bracht. Es kann aber auch bei Gutachten und anderen Din-
gen gestrichen werden und nicht nur in den Bereichen,
von denen Sie, Herr Nachtwei, gesprochen haben.

Wir lehnen Ihr Änderungsgesetz also ab, weil Sie bei
den Haushalten der Zivildienstträger, der Alteneinrich-
tungen, der Krankenhäuser im Laufe eines Haushaltsjah-
res buchstäblich von heute auf morgen – dagegen können
Sie ja nun wirklich nicht protestieren, Herr Beck –, näm-
lich ab dem 1. März 2003, den Finanzierungsanteil des
Bundes von 70 auf 50 Prozent reduzieren,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Ihr Finanzierungsvorschlag? Wenn Sie kritisieren, müssen Sie auch sagen, wie es anders geht!)


ohne den Trägern und Einrichtungen eine Vorbereitung
darauf zu ermöglichen, nach dem Motto: Sollen doch die
Alten- und Pflegeheime und die Krankenhäuser selber se-
hen, wie sie die Misswirtschaft von Rot-Grün, von dieser
Bundesregierung ausgleichen.

Meine Damen und Herren, das Gesetz ist befristet. Es
soll von März bis Dezember dieses Jahres gelten. Und was
dann, Herr Nachtwei? Glauben Sie tatsächlich, dass Sie
und andere sich dafür einsetzen werden, dass wir ab 2004
wieder zu einem 70-prozentigen Finanzierungsanteil
zurückkehren?


(Zuruf von der CDU/CSU: Sicher nicht!)


Sie wollen dann Ihre merkwürdige Vorstellung von Wehr-
gerechtigkeit realisieren, indem Sie die Zahl der Zivil-
dienststellen von 135 000 auf 100 000 senken. Das nen-
nen Sie Wehrgerechtigkeit.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einberufungsgerechtigkeit! Ich bin sehr genau in dem Ausdruck!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1586


(A)



(B)



(C)



(D)






Ich komme jetzt zum Schluss. Anstatt endlich, meine
Damen und Herren von Rot-Grün, ein schlüssiges Kon-
zept für die Umwandlung von Zivildienststellen in einen
Mix aus regulären Arbeitsplätzen und verschiedenen An-
geboten zur Ableistung von freiwilligen, ehrenamtlichen
Engagements vorzulegen, wie es die FDP als Konzept
schon in der letzten Legislaturperiode vorgelegt hat,
trocknen Sie lediglich den Zivildienst langsam aus.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502003800


Frau Kollegin Lenke, Sie haben ohnehin eine sehr
großzügig bemessene Redezeit. Deshalb bitte ich Sie,
zum Schluss zu kommen.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1502003900


Das war mein letzter Satz.


(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)


Ein Minus von 33 Sekunden ist nicht viel.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, beenden
Sie Ihre kopflose Flickschusterei und schaffen Sie end-
lich Planungssicherheit! Die FDP lehnt diesen Gesetz-
entwurf ab. Wir werden Ihnen aber in diesem Jahr noch
ein gutes Konzept zur Umwandlung des Zivildienstes
vorlegen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502004000

Frau Kollegin Lenke, wir hatten Ihnen aus Versehen

fünf Minuten Redezeit eingeräumt. Eigentlich hätten der
FDP nur drei Minuten Redezeit zugestanden.


(Ina Lenke [FDP]: Das tut mir Leid! Das habe ich nicht gewusst!)


Deshalb stimmt das mit der halben Minute nicht ganz.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 15/297 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Sondergutachten des Sozialbeirats zur Renten-
reform
– Drucksache 14/5394 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche
Rentenversicherung, insbesondere über die Ent-
wicklung der Einnahmen und Ausgaben, der
Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderli-
chen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalender-
jahren gemäß § 154 SGB VI

(Rentenversicherungsbericht 2001) und Gut-

achten des Sozialbeirats zum Rentenversiche-
rungsbericht 2001
– Drucksache 14/7639 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche
Rentenversicherung, insbesondere über die Ent-
wicklung der Einnahmen und Ausgaben, der
Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderli-
chen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalender-
jahren gemäß § 154 SGB VI

(Rentenversicherungsbericht 2002) und Gut-

achten des Sozialbeirats zum Rentenversiche-
rungsbericht 2002
– Drucksache 15/110 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Zum Rentenversicherungsbericht 2002 liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Erika Lotz, SPD-Fraktion.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1502004100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir diskutieren heute die Rentenversicherungsberichte
2001 und 2002 sowie die dazugehörigen Gutachten des
Sozialbeirats.

Allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz stellt der
Sozialbeirat fest, dass unsere Rentenreform „ein zu-
kunftsweisender Kompromiss zwischen den im Konflikt
stehenden rentenpolitischen Zielen der Finanzierbarkeit
bzw. Beschäftigungs- und Wachstumseffizienz, der Ver-
sorgungssicherheit, des sozialen Ausgleichs und der Ge-
nerationengerechtigkeit“ ist. Er bestätigt unsere Renten-
reform, die von der Opposition nicht mitgetragen wurde.

Aber er beschreibt auch die Anforderungen an unsere
Rentenversicherung: Finanzierbarkeit – das heißt: bezahl-
bare Beiträge –, Sicherheit im Alter, sozialer Ausgleich

Ina Lenke





Erika Lotz

und Generationengerechtigkeit. Das war das Ziel unserer
Reform. Wir haben es erreicht.

Die Berichte enthalten eine Fülle von Informationen.
Die Lektüre lohnt sich für jeden in diesem Hause. Die Be-
richte widerlegen aber auch einen Punkt, der in der öf-
fentlichen Debatte immer mal wieder eine Rolle spielt.
Das Thema Frühverrentung wurde erst kürzlich wieder
problematisiert. Aber ich sage – das belegt auch der
Bericht –: Die Menschen gehen heute nicht wesentlich
früher in Rente als vor 40 Jahren. In den alten Bundeslän-
dern liegt der Zugang zur Altersrente bei durchschnittlich
62,7 Jahren. 1960 lag er bei 64,7 Jahren. Es stimmt also
einfach nicht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
immer früher in Rente gehen und dass es eine Kompensa-
tion in Form höherer Abschläge geben müsste.


(Beifall bei der SPD)

Bei der Erwerbsminderungsrente dagegen – ich denke,

hier müssen wir schon sauber trennen – ist das durch-
schnittliche Zugangsalter gesunken. Erwerbsminderungs-
rente bekommt man aus gesundheitlichen Gründen. Man
muss sich also genau ansehen, welche Gründe es für diese
Entwicklung gibt. Ich würde mich an dieser Stelle sehr
freuen, wenn auch die Arbeitgeber einmal ein Augenmerk
darauf richten würden.


(Beifall bei der SPD)

Trotz aller öffentlichen Meinungsmache: Unser solida-

risches System ist sehr wohl auch für die Zukunft trag-
fähig. Die gesetzliche Rentenversicherung ist in der Ver-
gangenheit immer wieder an veränderte gesellschaftliche
Entwicklungen angepasst worden, und zwar auch im Hin-
blick auf die demographischen Veränderungen.

Ich glaube, wir dürfen auch nicht vergessen, dass eine
der größten Leistungen der Rentenversicherung – eine,
die ich persönlich noch immer für bemerkenswert halte –
die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zu be-
werkstelligende Überführung der Renten Ostdeutsch-
lands in unsere gemeinsame Rentenversicherung war.
Kein Versorgungssystem und keine private Vorsorge hätte
diese Aufgabe schultern können. Kein anderes System
könnte den finanziellen Ausgleich zwischen West und
Ost, der leider immer noch notwendig ist, leisten. Im
Jahre 2002 betrug dieser Transfer 13 Milliarden Euro.

Aber die Rentenversicherung bewältigt nicht nur die-
sen Ausgleich. Sie schafft den sozialen Ausgleich zwi-
schen denen, die langjährig erwerbstätig sind, und denen,
die die Erwerbstätigkeit wegen Familienarbeit unterbre-
chen müssen. Sie sorgt mit Rehabilitation dafür, dass
Menschen wieder erwerbsfähig werden. Auch das sind
Leistungen, die wir von einem rein kapitalgedeckten Sys-
tem niemals erwarten dürften.

Die rot-grüne Rentenreform hat die Anpassungsformel
modifiziert, verschämte Altersarmut verhindert, die so-
zialen Härten des Rentenreformgesetzes der Vorgängerre-
gierung von 1999 bei Erwerbsminderung beseitigt. Damit
haben wir den demographischen Veränderungen Rech-
nung getragen.


(Peter Dreßen [SPD]: Sehr wahr!)


Frau Merkel und die CDU wollen ja offenbar das Ren-
tenniveau weiter absenken; das konnte ich jedenfalls in

diesen Tagen der „Berliner Morgenpost“ entnehmen. Ich
denke, wir haben die notwendigen Schritte mit unserer
Rentenreform 2001 eingeleitet.


(Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns doch einmal die Renten an. Nach

45 Jahren Erwerbstätigkeit sind es im Schnitt 1 164 Euro
in den alten Bundesländern, in den neuen sind es
1 022 Euro. Nun weiß ich auch, dass diese Durchschnitts-
werte – wer erreicht schon noch 45 Versicherungsjahre? –
nicht unbedingt korrekte Aussagen über die Masse der
Rentenbezieher oder über das Haushaltseinkommen er-
lauben. Allerdings zeigen sie – denke ich –, dass dort rie-
sengroße Sprünge nicht gemacht werden können. Ich will
noch einmal betonen: Die Rentenstrukturreform 2001 hat
auf eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Realitäten
reagiert.

Zwei davon will ich noch einmal beispielhaft nennen:
Wir haben dafür gesorgt, dass die Kindererziehung in
der Rente besser anerkannt wird, und zwar sowohl bei er-
werbstätigen als auch bei Vollzeitmüttern.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die CDU/CSU war das!)


Es gibt eine Kinderkomponente bei der Hinterbliebenen-
versorgung ebenso wie eine Höherbewertung unterdurch-
schnittlich bezahlter Tätigkeiten bei gleichzeitiger Kin-
dererziehung.


(Beifall bei der SPD – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das sieht der Deutsche Frauenrat aber ein bisschen anders!)


Auch diese Verbesserungen haben wir gegen den Wider-
stand der Opposition durchsetzen müssen. Ferner hat Rot-
Grün mit der bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung
dafür gesorgt, dass Altersarmut in Zukunft kein Thema
mehr ist.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Außer dem Tauss hat das niemand so gesehen!)


Unser solidarisches, umlagefinanziertes Rentensystem
ist leistungsfähig, sehr leistungsfähig. Auf ihm lasten
nicht nur der soziale Ausgleich und die deutsche Einheit,
sondern auch die schwierige Situation auf dem Arbeits-
markt. Die gesetzliche Rentenversicherung steht also kei-
neswegs auf unsicheren Beinen und auch nicht vor einer
unsicheren Zukunft. Wir sollten dieses auch nicht herbei-
reden und die Menschen, die Rentnerinnen und Rentner,
verunsichern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sollten auch nicht die Augen verschließen vor dem, was sich da tut!)


– Wir verschließen die Augen nicht;


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider doch! Dann hören Sie mal zu!)


denn wenn das so wäre, hätten wir keine Rentenreform
2001 auf den Weg gebracht. Damit können wir uns sehen
lassen. Der Sozialbeirat hat uns das bestätigt; lesen Sie
das doch bitte nach!


(A)



(B)



(C)



(D)


1588


(A)



(B)



(C)



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Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja offensichtlich ein Riesenthema für die SPD bei den sechs Leuten! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Fünf Personen plus Mehrwertsteuer!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502004200


Nächster Redner ist der Kollege Andreas Storm, CDU/
CSU-Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Herr Storm lobt uns jetzt mal!)



Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1502004300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lotz, das, was Sie uns heute Morgen hier erzählt ha-
ben, klingt eher wie ein verspätetes Weihnachtsmärchen
im Januar, aber mit der Rentenwirklichkeit in diesem
Lande hat es nun nichts, aber auch gar nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!)


Denn anderthalb Jahre nach Verabschiedung der Riester-
Reform stehen Sie vor einem einzigen rentenpolitischen
Scherbenhaufen.


(Jörg Tauss [SPD]: Unfug! – Erika Lotz [SPD]: Dummes Zeug!)


Die Finanzlage der gesetzlichen Rentenkassen ist desas-
trös


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!)


und die Riester-Rente ist ein einziger Flop.


(Jörg Tauss [SPD]: Unfug! 18 Millionen!)


Bei der Verabschiedung wurde gesagt, der Rentenbeitrag
werde in diesem Jahr bei 18,7 Prozent liegen. Tatsächlich
liegt er bei 19,5 Prozent – und das nur aufgrund der Not-
operationen,


(Erika Lotz [SPD]: Ihr hattet 20,3!)


die Sie vor Weihnachten durchgezogen haben. Ohne
diese, Frau Lotz, läge er sogar bei 20,2 Prozent.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie bei euch damals!)


Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit sind
1,5 Beitragssatzpunkte


(Erika Lotz [SPD]: Niedriger als bei euch!)


oder 13 Milliarden Euro. Dieses zeigt, wie unsolide die
gesamte Rentenreform finanziert ist.


(Erika Lotz [SPD]: Unsolide Opposition!)


Bereits jetzt tun sich neue Löcher in den Rentenkassen
auf. Die Aussage von Ihnen, Frau Ministerin Schmidt, von
vor anderthalb Monaten bei der Vorstellung des Renten-
versicherungsberichts 2002, wonach der Rentenbeitrag

für dieses Jahr auch bei verschlechterter wirtschaftlicher
Entwicklung und erkennbaren Finanzrisiken ausreiche,
ist bereits jetzt Makulatur. Sie haben vorgestern im Sozial-
ausschuss eingestanden,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eingestehen müssen!)


der Rentenbeitrag für dieses Jahr sei auf Kante genäht.

Es dürfe keine zusätzlichen Risiken mehr geben. Sonst
komme man nicht mehr hin.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber die sind schon da!)


Aber diese Risiken sind bereits eingetreten. Sie grün-
den sich vor allen Dingen auf drei Faktoren: Zum Ersten
sind die Beitragseinnahmen im November und Dezember
letzten Jahres komplett weggebrochen. Zum Zweiten sind
die Annahmen der Bundesregierung zur Entwicklung der
Lohnsumme, die der Beitragskalkulation zugrunde liegt,
völlig hinfällig. Selbst die Rentenversicherungsträger ha-
ben noch im November und Dezember darauf hingewie-
sen, dass die Annahme, die Beitragslohnsumme wachse in
diesem Jahr um 2,5 Prozent, völlige Illusion ist. Zum Drit-
ten kam es vor wenigen Tagen im öffentlichen Dienst zu
einem Tarifabschluss. Die Ergebnisse dieses Abschlusses
belasten die Kassen der Sozialversicherungsträger in die-
sem Jahr mit 2 Milliarden Euro.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch das ist wahr!)


Damit ist bereits jetzt klar, dass der Rentenbeitrag von
19,5 Prozent 2003 nicht ausreichen wird. Das bedeutet:
Die bereits massiv gesenkte Rücklagenvorgabe von einer
halben Monatsausgabe wird in diesem Jahr erheblich un-
terschritten.


(Erika Lotz [SPD]: So ein Schwarzmaler!)


Wenn nicht noch weitere Verschlechterungen hinzukom-
men, wird die Reserve am Jahresende zwischen maximal
0,42 und 0,47 einer Monatsausgabe liegen. Frau Schmidt,
das bedeutet, dass wir in den kritischen Monaten, im Spät-
sommer und im Frühherbst, eine Rente haben werden, die
von den Rentenversicherungsträgern nicht mehr aus eige-
ner Kraft finanziert werden kann, und dass Herr Eichel an
die Rentenversicherungsträger Kredite vergeben muss.
Damit ist die finanzielle Eigenständigkeit der Rentenver-
sicherung bedroht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine weitere Konsequenz dieser unsoliden Politik ist,
dass der Beitrag im nächsten Jahr nicht sinken kann, son-
dern steigen wird. Auch das haben Ihnen die Rentenversi-
cherungsträger zum Jahreswechsel in Ihr Stammbuch ge-
schrieben. Eine Beitragsuntergrenze wäre im nächsten
Jahr 19,7 Prozent. Wenn die Entwicklung weiterhin
schlecht verläuft, droht sogar ein Anstieg auf die 20-Pro-
zent-Marke.

Damit würde die Fahrt des Bundesfinanzministers am
21. Mai dieses Jahres nach Brüssel, wo er der EU-Kom-
mission die notwendigen Sparmaßnahmen im Hinblick
auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme,

Erika Lotz





Andreas Storm

um das Defizit der öffentlichen Haushalte zu verringern,
erläutern muss, zu einem Gang nach Canossa.


(Jörg Tauss [SPD]: Und ihr legt noch ständig drauf! – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind doch nicht schuld! Ihr macht doch nichts! Das ist das Problem!)


Deshalb zeichnet sich bereits heute ab, dass Rot-Grün
weitere Sparmaßnahmen bei der Rente plant. Die stell-
vertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Kollegin
Schaich-Walch hat am Jahresende in der „Financial Times
Deutschland“ deutlich gemacht, dass eine weitere Bei-
tragssatzsteigerung mit den Grünen schwierig werden
dürfte. Der Boden für Leistungseinschnitte bei der Rente
ist mit dem Strategiepapier gelegt worden, das das Kanz-
leramt vor Weihnachten lanciert hat. Ich zitiere wörtlich
aus diesem Strategiepapier:

Sowohl unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunk-
ten als auch unter Aspekten der Gerechtigkeit wird
man der Diskussion über eine weitere Beteiligung
auch der Rentner an der Rückführung der konsum-
tiven Ausgaben nicht ausweichen können.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Im Klartext: Sie wollen die Anpassung verschieben!)

Bei allen großen Ausgabenblöcken ... muss das
Tempo des Anstiegs deutlich gedrosselt werden bzw.
in einzelnen Jahren auch mal zum Stillstand kom-
men.

Das bedeutet im Klartext: Es soll erneut in die Renten-
anpassung eingegriffen werden, so wie wir das bereits im
Jahr 2000 unter dem damaligen Arbeitsminister Walter
Riester erlebt haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Willkür!)

Möglicherweise droht den Rentnern sogar eine Null-
runde, also eine Rente nach Kassenlage.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wirklich schlimm, Herr Tauss!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mit Sicherheit
kein Zufall, dass dieses Kanzleramtspapier das Licht der
Öffentlichkeit an dem Tag erblickt hat, als der Deutsche
Bundestag die Erhöhung der Rentenbeiträge zum 1. Ja-
nuar dieses Jahres beschlossen hat. Frau Ministerin
Schmidt mag noch so oft beteuern, dass mit ihr eine Null-
runde bei den Rentnern nicht zu machen sei. Im Zweifel
muss sie darüber gar nicht mehr entscheiden. Dann ver-
zichtet der Kanzler auf sie, wie er das auch mit ihrem
Amtsvorgänger, Herrn Riester, zur Überraschung seiner
eigenen Fraktion im Oktober getan hat.

Die Unterstützung des Vorschlages einer Nullrunde bei
den Rentnern durch die Grünen dürfte dem Kanzler sicher
sein. Ich erinnere daran, dass die Grünen bereits Anfang
November 2002 eine Aussetzung der Rentenanpassung
zum 1. Juli dieses Jahres gefordert haben. Damals ging es
noch um die Frage, ob der Rentenbeitrag auf 19,3 Prozent
oder 19,5 Prozent steigen soll. Es wäre nicht nur konse-
quent, sondern ganz logisch, wenn sie an dieser Forde-
rung auch festhielten.

In der Tat hat der sozialpolitische Sprecher der Grünen,
Markus Kurth, am 30. Dezember noch einmal den „Bei-

trag der Rentner“ ins Gespräch gebracht. Er sagte in der
„Financial Times Deutschland“ wörtlich:

Dann werden wir sicher auch noch mal über eine
Nullrunde für Rentner reden müssen.

In der heutigen Ausgabe der „Financial Times Deutsch-
land“ sagt Herr Kurth zur Entwicklung der Beiträge:

Es ist klar, dass es knapp wird. Als Grüner schließe
ich Beitragserhöhungen aus.

Meine Damen und Herren, wenn Beitragserhöhungen
ausgeschlossen werden,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gibt es nicht mehr so viel!)


dann geht es an die Leistungsseite. Deswegen: Schenken
Sie den Rentnerinnen und Rentnern, aber auch den Bei-
tragszahlern reinen Wein ein, und zwar schon vor dem
2. Februar! Die Menschen wollen wissen, was auf sie zu-
kommt. Wir wollen nicht wieder so etwas wie 1999 erle-
ben, als Sie vor der Europawahl heilige Eide geschworen
haben, dass keine Eingriffe in die Rente erfolgen werden,
und sich der Bundeskanzler ein Vierteljahr später bei der
deutschen Öffentlichkeit für den Rentenbetrug, den Rot-
Grün begangen hat, entschuldigen musste.

Meine Damen und Herren, nicht nur die katastrophale
Finanzsituation der Rentenversicherung ist ein Thema,
sondern auch die Riester-Rente. Sie hat sich als einziger
Rohrkrepierer entpuppt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Ach, Herr Storm!)


Nach Schätzungen des Gesamtverbandes der Deutschen
Versicherungswirtschaft haben gerade einmal 3 Millionen
Berechtigte


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt sind es 5 Millionen!)


so genannte Riester-Verträge abgeschlossen. Ausgehend
von über 40 Millionen potenziell förderberechtigten Per-
sonen sind das noch nicht einmal 10 Prozent.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Erstens. Die
Förderung der privaten Altersvorsorge ist völlig praxis-
fremd und überbürokratisiert. Der Sachverständigenrat
schreibt Ihnen in seinem Jahresgutachten ins Stammbuch,
dass – ich zitiere wörtlich –

das komplizierte Gesetzeswerk dazu führt, dass der
Anleger und selbst der Finanzberater Schwierigkei-
ten haben, alle Fördermöglichkeiten und Förderkom-
binationen zu überblicken.

Damit hat der Sachverständigenrat wieder einmal den Na-
gel auf den Kopf getroffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens. Den Bürgern wird eine staatlich garantierte
Alterssicherung vorgegaukelt, die nicht existiert und über
die Notwendigkeit einer zusätzlichen Altersvorsorge hin-
wegtäuscht. Im Rentenversicherungsbericht steht, dass
wir im Jahr 2016 immer noch ein Rentenniveau von
70 Prozent erreichen werden, obwohl Sie, Frau Schmidt,
immer wieder darauf hinweisen, dass die Rentenanpas-


(A)



(B)



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(D)


1590


(A)



(B)



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(D)






sung in den nächsten Jahren Jahr für Jahr um 0,5 Prozent
bis 0,6 Prozent niedriger ausfallen wird. Das heißt, Sie
haben die Statistik in einer Art und Weise manipuliert, dass
jede Versorgungslücke wegretuschiert wird. Daher ist es
auch kein Wunder, wenn sich die Menschen nicht mehr im
Klaren darüber sind, in welcher Form sie vorsorgen müssen.

Drittens. Wenn die Menschen ergänzend vorsorgen
sollen – das ist ein entscheidender Punkt –, brauchen sie
dafür auch den finanziellen Spielraum im Portemonnaie.
Diesen nehmen Sie ihnen; denn die Beitragssatzspirale
dreht sich ununterbrochen weiter: ein Anstieg der Ren-
tenbeiträge in diesem Jahr um 0,4 Prozentpunkte, ein An-
stieg der Krankenkassenbeiträge um 0,4 Prozentpunkte,
die Ankündigung großer Kassen, dass die nächste Bei-
tragswelle im Gesundheitswesen unmittelbar bevorsteht
und die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der
Rentenversicherung um 600 Euro.

Unter solchen Rahmenbedingungen sind die Men-
schen nicht in der Lage, ergänzend vorzusorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502004400

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1502004500

Wir brauchen eine grundlegende Reform nicht nur im

Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch
bei der Riester-Rente. Sie muss durch eine Förderrente ab-
gelöst werden, die den Menschen auf breiter Front ermög-
licht, ein zweites Standbein in der Alterssicherung zu haben.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch völliger Quatsch!)


Ein rentenpolitischer Neubeginn ist unbedingt erfor-
derlich. Wenn Sie zur Umkehr bereit sind, ist die Union
auch bereit, daran tatkräftig mitzuwirken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502004600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,

Bündnis 90/Die Grünen.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502004700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Storm, das einzig Aufschlussreiche an Ihrer Rede war
der Hinweis auf ein Datum, nämlich auf den 2. Februar.
Das erklärt das ganze Theater hier.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben den Tagesordnungspunkt doch nicht aufgesetzt! Das sind doch Ihre Berichte! Es wird ja immer schöner!)


Sie versuchen, den hessischen Landtagswahlkampf hier
im Bundestag zu führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der
FDP, ich finde, das ist sehr durchsichtig und auch ein we-

nig anstrengend. Sie machen sich nicht einmal die Mühe,
in Ihrer Argumentation für ein wenig Konsistenz zu sor-
gen. Sie sprechen von „hätte“, „wäre“, „wenn“ und brin-
gen die Nummer „Wie hoch könnte der Beitrag sein, wenn
ihr nicht dieses hättet und wenn man noch jenes weiter ge-
rechnet hätte?“.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist doch so!)

Ich rechne Ihnen jetzt auch einmal etwas vor: Würde

die Ökosteuer fehlen – das wäre nach Ihren Vorstellungen
so –, läge der Beitrag höher. Das Fehlen der Ökosteuer
– sie macht 9 Milliarden Euro aus – würde den Beitrag um
fast einen Prozentpunkt steigen lassen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Schlimme ist, dass er trotz Ökosteuer nicht sinkt!)


Wenn man Ihren Konzepten gefolgt wäre, würden diese
9 Milliarden Euro fehlen und der Rentenbeitrag wäre
höher. Halten wir das einmal fest.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 17 Milliarden Euro Ökosteuer und der Rentenbeitrag steigt und steigt!)


Hinzu kommt das Gejammer, wir hätten die Schwan-
kungsreserve zu weit abgesenkt. Sie machen den Leuten
Angst, indem Sie sagen, sie würden ihre Renten nicht er-
halten. Sie wissen genau, dass das sehr wohl der Fall ist.
Hätten wir die Schwankungsreserve nicht abgesenkt,
wäre der Rentenbeitrag höher. Wollen Sie das?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wollen, dass die Probleme grundlegend gelöst werden! Wir wollen nicht, dass nur an den Symptomen kuriert wird!)


Sie können doch nicht die Höhe der Rentenbeiträge und
gleichzeitig die strukturellen Maßnahmen und die Not-
maßnahmen, die wir im letzten Jahr noch ergriffen haben,
kritisieren.

Besonders schön macht das auch die FDP. Mit großem
Interesse habe ich Ihren Antrag gelesen. Es ist einfach
wunderschön. Dort steht zum Beispiel der Satz:

Die Rentenpolitik der Bundesregierung ist ein einzi-
ges Desaster.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war die erste richtige Feststellung!)


Wenn man weiterliest – Sie haben sich ja schon die Mühe
gemacht, sich das ein wenig anzuschauen –, erfährt man:

Die Finanzkrise der Rentenversicherung hat noch
keine demographischen Ursachen, sondern beruht al-
lein auf der schlechten Konjunkturlage und der damit
zusammenhängenden Massenerwerbslosigkeit.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kurzfristig gesehen ist das so, Frau Bender! Schauen Sie sich einmal den Dezember an!)


Da sage ich: Ei, guck a mal, schau! Es hat also tatsächlich
etwas mit der Konjunkturlage zu tun, die bei Ihnen auch
nicht anders aussähe.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da widerspreche ich mit Nachdruck, Frau Bender!)


Andreas Storm





Birgitt Bender

Diese beschert uns ein Problem.
Der einzige Schluss, den man daraus ziehen kann – auf

diesen sollten wir uns verständigen –, ist, dass unsere so-
ziale Sicherung in der Tat sehr konjunkturanfällig ist und
dass dies ein Grund für eine weitere Rentenreform ist, mit
der die Konjunkturanfälligkeit der sozialen Sicherung re-
duziert wird. Darum geht es doch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verwechseln Ursache und Wirkung! – Ina Lenke [FDP]: Die Konjunktur muss besser werden!)


Das Gemäkel über den jetzigen Beitragssatz bringt uns
nicht weiter.

Die FDP will nicht nur die Schwankungsreserve wie-
der heraufsetzen, sondern auch die Beitragsbemessungs-
grenze wieder heruntersetzen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie verschärfen die Krise geradezu!)


Nach diesen Maßnahmen würden Sie sowieso bei
19,9 Prozent liegen. Das würde Ihnen auch nicht gefallen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sagen Sie mal etwas zu den Löchern in der Rentenkasse!)


Im Übrigen: Vielleicht haben auch Sie gelesen, dass
der Sozialbeirat sehr unterschiedliche Positionen zur He-
raufsetzung der Beitragsbemessungsgrenze einnimmt.
Wenn das auch in der Politik so ist – wir waren uns da
auch nicht ganz einig –, kann man es also kaum als Feh-
ler ansehen. Es gibt weiteren Reformbedarf bei der Renten-
versicherung; das ist gar keine Frage. Das ist aber kein
Grund, die vorangegangene Rentenreform in Grund und
Boden zu stampfen. Es waren nämlich die richtigen Schritte.

Wenn Sie sich die Unterlagen, die heute eigentlich zur
Debatte stehen – schließlich gibt es eine Tagesordnung –,
angeschaut hätten, wüssten Sie, dass wir durch den Be-
richt des Sozialbeirates aus dem letzten und dem vorletz-
ten Jahr genau darin unterstützt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesen Berichten steht nämlich, dass es richtig war, für
eine Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente zu
sorgen und in diesem Zusammenhang eine kapitalge-
deckte Säule aufzubauen. Wer hat das denn getan? – Das
war Rot-Grün.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das haben wir seit Jahren vorgeschlagen! – Ulla Schmidt, Bundesministerin: Aber nie getan!)


Die staatliche Förderung dafür wird in den Berichten
als beachtlich beschrieben. Allerdings steht dort auch,
dass zwischen der Beitragsfestlegung und der Renten-
niveaufestlegung auf Dauer ein Zielkonflikt bestehen
kann. Deswegen wird man in der Tat überlegen müssen,
was die Leistungsempfänger und -empfängerinnen zur
Finanzierbarkeit der Rente und zur Nichtüberlastung der
jüngeren Generation beitragen können. Mit dieser Frage
muss man sich beschäftigen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Können Sie etwas Konkretes dazu sagen?)


Ich sage Ihnen: Die Politik wird auch mithilfe der Rürup-
Kommission, die Vorschläge machen soll,


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Sie macht jede Woche Vorschläge!)


das Verhältnis zwischen der Beitragslast der Jüngeren und
den Ansprüchen der Älteren überprüfen. Auch die Leis-
tungsempfänger und -empfängerinnen werden ihren Bei-
trag leisten müssen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Was heißt denn das jetzt?)


Schauen wir uns einmal die Zahlen in diesem Bericht
an. Ich erinnere einmal an die sehr niedrigen Renten, etwa
die Witwenrente, die im Durchschnitt etwas weniger als
150 Euro ausmacht. Dabei denkt man zunächst einmal,
dass dies ein Armutsfall ist. Für einen solchen Fall haben
wir die Grundsicherung geschaffen. Ich weiß auch gar
nicht, was es daran wieder zu mäkeln gibt. Sie ist nämlich
bedarfsorientiert. Wir stellen aber fest, dass diese Witwen
im Durchschnitt ein Nettoeinkommen von 850 Euro zur
Verfügung haben. Das Existenzminimum ist also sehr wohl
gesichert. Auch bei Ehepaaren liegt das Nettoeinkommen
bei nahezu 2 000 Euro, obwohl der Rentenzahlbetrag gerin-
ger ist. Die soziale Absicherung ist folglich gewährleistet.

Wir stellen fest, dass die gesetzliche Rente bereits jetzt
für viele nur einen Teil ihres Alterseinkommens darstellt.
Wir werden diese verschiedenen Säulen in Zukunft neu
zueinander ins Verhältnis setzen müssen. Dabei werden
wir die kapitalgestützte Säule stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Storm, Sie haben wieder einmal die Riester-Rente
madig gemacht. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, was
Sie daran genau stört.


(Peter Dreßen [SPD]: Genau! – Andreas Storm [CDU/CSU]: Das habe ich Ihnen doch erläutert!)


Sagen Sie uns, ob Sie ein Problem mit dem Verwaltungs-
verfahren zur Zertifizierung haben. Darüber ließe sich re-
den. Sagen Sie uns, ob Sie die Kriterien, die im Interesse
des Verbraucherschutzes bei der Riester-Rente einbezo-
gen wurden, einschränken wollen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nur zwei anstelle von elf!)


Ich möchte gerne genau wissen, wie dann Ihre Vorschläge
im Hinblick auf die soziale Sicherheit aussehen. Wenn wir
eine private Absicherung staatlich fördern, muss der Ver-
braucherschutz gewährleistet sein. Dazu sollten Sie ein-
mal etwas auf den Tisch legen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das haben wir doch!)


Wenn Sie dazu gar nichts anzubieten haben, dann weiß ich
nicht, was an der Riester-Rente so schlecht sein soll, dass
Sie sie in Grund und Boden stampfen. Dafür gibt es kei-
nen Grund.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Andreas Storm 1592 [CDU/CSU]: Zwei oder drei Kriterien reichen vollkommen aus!)


(A)


(B)


(C)


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(A)


(B)


(C)


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Zusammengefasst: Diese Debatte, wonach in der Ren-
tenpolitik angeblich alles falsch läuft, ist dem Landtags-
wahlkampf in Hessen geschuldet. Ich hoffe, dass wir da-
nach wieder sachlich miteinander reden und bei den
Reformvorstellungen tatsächlich in einen Wettbewerb tre-
ten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Sie sagen doch gar nicht, was Sie wollen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502004800


Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb,
FDP-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1502004900


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Bender, es bleibt dabei: Die Rentenpolitik
der rot-grünen Bundesregierung ist ein einziges Desaster.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nur Miesmacherei!)


Ich finde es vor dem Hintergrund der aktuellen Ent-
wicklung geradezu skandalös, dass die Bundesgesund-
heits- und Sozialministerin heute offensichtlich kneifen
will. Ich habe jedenfalls der vorliegenden Rednerliste ent-
nommen, dass der von mir sehr geschätzte Staatssekretär
Thönnes in der Debatte für die Bundesregierung reden
soll. Das beweist mir einmal mehr, dass die Rente das un-
geliebte Findelkind der Gesundheits- und Sozialministe-
rin ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Das ist auch in der Aussprache nach der Regierungser-
klärung deutlich geworden. Es soll wohl Normalität vor-
gegaukelt werden. Ich will Ihnen sagen: Es brennt schon
unter dem Dach. Aber Sie haben noch nicht gemerkt, dass
es bereits so weit ist. Ich will Ihnen das näher erläutern.

Frau Ministerin Schmidt, Sie kneifen, weil auch Sie
wissen, dass der Rentenversicherungsbericht 2002 das
Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt ist. Ich fordere
Sie auf: Ziehen Sie diesen Rentenversicherungsbericht
2002 zurück und legen Sie diesem Haus einen neuen Be-
richt mit aktuellen und realistischen Zahlen vor.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie können Ihre Politik des Tarnens und Täuschens nicht
einfach fortsetzen, wie das vor der Bundestagswahl ge-
schehen ist.

Nach dem Rentenversicherungsbericht 2000 hätte
nach der ungünstigsten Annahme und ohne Absenkung
der Mindestreserve der Rentenversicherungsbeitrag für
2003 18,9 Prozent betragen sollen. Nach dem Rentenver-
sicherungsbericht 2001 hätten es in diesem Jahr 19,2 Pro-

zent sein sollen. Das ist Ihre Berichtslyrik. Wie sieht die
Realität aus? Keine zwei Wochen nach der Bundestags-
wahl im September 2002 haben Sie den Offenbarungseid
ablegen müssen und trotz der Absenkung der Mindestre-
serve und der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
den Beitragssatz für die Rente von 19,1 auf 19,5 Prozent
erhöhen müssen. So soll es offensichtlich weitergehen. Je-
denfalls lese ich das aus Ihrem Rentenbericht heraus. Sie
wollen die Tradition des Verschleierns und Beschönigens
fortsetzen. Allmählich mutiert der jährlich zu erstellende
Rentenbericht wirklich zu einer Geschichte aus Tausend-
undeiner Nacht. Frau Schmidt, so ist es. Aber Sie ver-
schließen die Augen davor. Sie müssen verstehen, dass
wir in diesem Punkt etwas sensibel sind. Denn Sie haben
die Öffentlichkeit schon vor der Bundestagswahl – ich
kann es nicht anders ausdrücken – über die Situation bei
der Rente belogen. Jetzt versuchen Sie es hier erneut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Frau Schmidt und Frau Lotz, ich sage Ihnen voraus,
dass der Rentenbeitrag, wenn Sie so weitermachen und
Ihre Augen vor der Realität verschließen, im Jahre 2006
nicht auf 19,1 Prozent sinken wird, sondern dass er aller Vo-
raussicht nach bereits im kommenden Jahr, im Jahr 2004,
über die 20-Prozent-Marke steigen wird, weil Ihre An-
nahmen betreffend die Entwicklung der Einnahmen in
der gesetzlichen Rentenversicherung einfach fernab
von jeder Realität sind.

Betrachten Sie doch einmal die Zahlen, die vorliegen.
Für das vergangene Jahr hatten Sie mit einem Zuwachs
der gesamten Beitragseinnahmen von 2,75 Prozentpunk-
ten gerechnet. Das können Sie in Ihrem Bericht nachprü-
fen. Vorgestern musste die Ministerin, Frau Schmidt, im
Ausschuss zugeben, dass die Pflichtbeiträge, die ja
annähernd 85 bis 90 Prozent der Gesamtbeiträge ausma-
chen, im Jahre 2002 um nur 0,1 Prozent gewachsen sind.


(Zuruf von der FDP: Das ist ja ein Ding!)


Wie Sie bei der gegenwärtigen düsteren konjunkturel-
len Situation und nach der korrigierten Wachstumspro-
gnose – auch Herr Clement musste ja einen Schritt zurück-
gehen – weiterhin davon ausgehen wollen und können,
dass die Gesamtbeitragseinnahmen in diesem Jahr um
4,5 Prozentpunkte wachsen werden, ist mir schlicht un-
verständlich.

Frau Ministerin, Sie haben vorhin von der Regierungs-
bank in einem Zuruf geäußert – das ist ja eigentlich un-
zulässig –, das dies alles eingerechnet sei. Aus meiner
Sicht sind die Einnahmeausfälle in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung aufgrund der Neuregelung der Minijobs
und der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in Höhe
von 500 Millionen Euro in diesem Jahr und 700 Millionen
Euro in den nächsten Jahren nicht eingerechnet.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ging ja noch gar nicht!)


Aus meiner Sicht sind die absehbar fehlenden 2 Milli-
arden Euro aus dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst
und der Verschiebung der Beitragszahlen in Ihrem Bericht
nicht eingerechnet. Frau Schmidt, deswegen stelle ich
fest, dass in der Rentenkasse ein riesiges Loch klafft. Von

Birgitt Bender





Dr. Heinrich L. Kolb

Ihnen, Frau Ministerin, wollen wir hier und heute wissen
– das ist Ihre Aufgabe; dafür sind Sie hier auch vereidigt
worden –, wie Sie es schließen wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was wir Ihnen vorwerfen, ist Folgendes: Bei Ihren Pro-
gnosen, insbesondere wenn es um Entwicklungen geht,
die noch weit in der Zukunft liegen, stellen Sie die Dinge
sehr schön und günstig dar. Wenn es aber darum geht, die
Prognosen zu erfüllen – Butter bei die Fische zu geben –,
dann müssen Sie regelmäßig eingestehen, dass die Pro-
gnosen nicht tragen, dass Sie sich geirrt haben und dass
Sie eigentlich absehbare Entwicklungen schöngefärbt ha-
ben. Deswegen, Frau Schmidt, glaubt Ihnen niemand
mehr: weder die Rentner noch die Beitragszahler noch die
Wähler in diesem Lande.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Wir auch nicht!)


Ich komme nun zur Schwankungsreserve. Das Gut-
achten des Bundesrechnungshofes vom Dezember letzten
Jahres war für Sie ja eine schallende Ohrfeige. Darin
wurde deutlich gesagt, dass die Liquidität der Rentenver-
sicherung in Monaten mit niedrigem Beitragsaufkommen
nur mit zusätzlichen Bundesmitteln sichergestellt werden
kann. Das war die Perspektive des letzten Jahres. Aber
jetzt gehen Sie mit einer Vorbelastung in das ohnehin
schwierige Jahr 2003. Denn sie hatten eben nicht die
0,66 Prozent einer Monatsausgabe als Reserve am Jahres-
ende 2002 erreicht, wie Sie eigentlich wollten, sondern sie
liegen deutlich darunter. Das heißt, dass es zu einer Ver-
schiebung nach unten gekommen ist. Deswegen ist voll-
kommen klar – Frau Ministerin, wenn Sie ehrlich sind, ha-
ben Sie es ja auch eingeräumt –, dass die Liquidität der
Rentenversicherung im Oktober dieses Jahres ohne zu-
sätzliche Zuschüsse und wahrscheinlich auch ohne die In-
anspruchnahme der Bundesgarantie nach § 214 SGB VI
nicht aufrecht erhalten werden kann. Hierzu wollen wir
heute etwas von Ihnen hören. Sie können sich nicht ein-
fach darüber ausschweigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir sind wirklich bereit, zur
Lösung der Probleme beizutragen. Aber Sie müssen sich
endlich einmal der Realität stellen. Sie können nicht ein-
fach die Augen verschließen und die Probleme aussitzen
wollen. Es muss gehandelt werden – je schneller, desto
besser. Bewegen Sie sich endlich!

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502005000


Nächster Redner ist der Kollege Peter Dreßen, SPD-
Fraktion.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1502005100


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kolb, durch ständiges Wiederholen werden Ihre
Zahlen nicht richtiger. Natürlich hat diese Bundesregie-
rung die Liquidität der Rentenversicherung sichergestellt.

Gehen Sie einmal davon aus und verunsichern Sie die
Rentner und Rentnerinnen nicht durch solche Miesma-
chermethoden. So kommen wir nicht weiter!


(Beifall bei der SPD)


Das Sondergutachten des Sozialbeirats zur Renten-
reform – Sie sollten es einmal lesen – belegt eindeutig,
dass die Rentenversicherung auf soliden Füßen steht.
Auch wenn Sie es nicht gerne hören, meine Damen und
Herren von der Opposition: Wir haben die Weichen rich-
tig gestellt. Im Gutachten ist formuliert, man müsse bei
der Rentenpolitik in einer alternden Gesellschaft versu-
chen, die Kosten ökonomisch sinnvoll, sozial ausgewo-
gen und generationengerecht zu verteilen. Diese ehrgeizi-
gen Grundsätze verfolgt die rot-grüne Bundesregierung
seit 1998 mit großem Elan und mit großem Erfolg.

Walter Riester – damit gehe ich auf Herrn Storm ein –
hat mit der zusätzlichen, kapitalgedeckten Eigenvor-
sorge einen Weg beschritten, den inzwischen alle Fach-
leute und alle verantwortungsbewussten Politiker und Po-
litikerinnen, aber auch immer mehr Bürger als richtig
ansehen. Walter Riester ging seinen Weg unbeirrt. Dieser
Weg war anfangs steinig. Jetzt aber befinden wir uns auf
einer asphaltierten Straße.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mit großen Schlaglöchern!)


Für diese Leistung möchte ich Walter Riester an dieser
Stelle im Namen meiner Fraktion ein herzliches Danke-
schön sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie die Berichte der Arbeitsgemeinschaft für be-
triebliche Altersversorgung lesen, werden Sie feststellen,
dass die Riester-Rente mit dafür sorgt, dass die betrieb-
liche Altersvorsorge in ihren unterschiedlichsten Arten ei-
nen Boom in ungeahnter Höhe erlebt. Und das ist gut so;
denn das wollten wir damit erreichen.

Kritiker werfen uns vor, wir hätten mit dem Zertifizie-
rungsgesetz ein bürokratisches Monster geschaffen. Die-
ses Gesetz ist aber ausschließlich zum Schutz der Ver-
braucher erarbeitet worden. Wer mit einfachen Mitteln
dasselbe Ziel zu erreichen glaubt, sollte im Bundestag ent-
sprechende Vorschläge vorlegen. Bisher jedoch – das hat
Ihnen die Kollegin Bender schon gesagt – haben wir sol-
che Vorschläge weder gehört noch gelesen.

Ich bin froh, dass es diese Schutzvorschriften gibt.
Denken Sie nur an die USA! Dort gibt es keinen Verbrau-
cherschutz dieser Art. Die Folge ist, dass Pensionsfonds
mit Hunderten von Milliarden US-Dollar verschwunden
sind, auch in der Unterwelt. Die Beitragszahler stehen
jetzt ohne Alterssicherung da und sind mit 70 oder 80 Jah-
ren gezwungen, wieder zu arbeiten. Eine solche Situation
wollen wir unseren Menschen ersparen. Deswegen gibt es
das Zertifizierungsgesetz.

Das Beitragssatzsicherungsgesetz war sicherlich
keine Rentenreform, sondern eine Anpassung der Renten-
versicherung an die wirtschaftlichen Gegebenheiten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich dachte, das wäre ein Jahrhundertwerk!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1594


(A)



(B)



(C)



(D)






Im Übrigen hat die Politik diese Stellschrauben in jeder
Wahlperiode verändert.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie ha-
ben in den Jahren von 1995 bis 1997 mit dem Wachstums-
und Beschäftigungsförderungsgesetz, das in Wirklichkeit
ein Arbeitsplatzvernichtungsprogramm war, den Bei-
tragssatz von 18,6 auf 20,3 Prozent erhöht. Sollten Sie es
vergessen haben, darf ich Sie daran erinnern, dass wir Ih-
nen damals aus der Patsche geholfen haben, indem wir ei-
ner Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt
zugestimmt haben. Die dadurch eingenommenen Steuer-
mittel wurden der Rentenkasse zugeführt. Wäre dies nicht
geschehen, hätten Sie den Beitragssatz weit mehr anheben
müssen, auf 21 Prozent. Sie sollten wissen: Wer unter die-
ser Glaskuppel sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. An-
sonsten fallen die Glassplitter auf ihn selbst nieder.

In letzter Zeit wird behauptet, dass es keine Gerech-
tigkeit zwischen den Generationen gebe. Das halte ich
wirklich für absurd. Sinnigerweise wird dies oft von Men-
schen behauptet, die sich an diesem Solidarsystem über-
haupt nicht beteiligen. Es sind diejenigen, die nach dem
Motto leben: Wozu brauchen wir Kinder? Es sind diejeni-
gen, die sich aufgrund ihres hohen Einkommens rundum
privat absichern können und sich aus der solidarischen
Gemeinschaft ausklinken. Auf den Ratschlag dieser Men-
schen kann ich gern verzichten.

Es ist klar, dass wir auch in Zukunft für die Erhaltung
unseres Rentensystem einiges tun müssen. Ich will Ihnen
einmal einige Punkte nennen:

Erstens. Wir müssen alles daransetzen, dass in Zukunft
auch ältere Arbeitnehmer bis zum 65. Lebensjahr be-
schäftigt werden. Das Gutachten des Sozialbeirats sagt
klar aus, dass das heutige Renteneintrittsalter in den
neuen und alten Bundesländern bei 62 Jahren liegt, wenn
man die Zahl der Empfänger von Erwerbsminderungs-
renten herausrechnet.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum machen Sie dann ein Brückengeld?)


– Wenn Sie die entsprechende Passage genau lesen, dann
stellen Sie fest, dass das nur sehr wenig angenommen
wird. Von der Regelung betreffend das Brückengeld
– darin bin ich mir sicher – werden auch nicht sehr viele
Gebrauch machen; denn für den Einzelnen – ich glaube,
auch Sie werden zu diesem Schluss kommen, wenn Sie
genau nachlesen – bleibt nicht viel übrig. Diejenigen, die
davon Gebrauch machen können, sollen das natürlich tun.

Sollte es uns gelingen, das Renteneintrittsalter bei al-
len Renten um ein Jahr zu erhöhen, könnten wir den Bei-
tragssatz um 1,3 Prozentpunkte senken. Sie sollten dies
im Sondergutachten des Sozialbeirats zur Rentenreform
auf Seite 21 noch einmal nachlesen; denn ich habe das
Gefühl, dass manche, die hier gesprochen haben, diesen
Bericht überhaupt nicht gelesen haben.


(Beifall bei der SPD)


Zweitens. Es muss uns gelingen, die in den nächsten
Jahren zu erwartende steigende Produktivität an der Re-
form der Finanzierung unserer Sozialversicherungssys-
teme in irgendeiner Form zu beteiligen. Ich hoffe und er-

warte, dass dieser Aspekt von der Rürup-Kommission
aufgegriffen wird. Dort ist ja genügend Sachverstand ver-
sammelt, um Vorschläge zu diesem komplexen Thema zu
erarbeiten.

Drittens. Es dürfen keine unnötigen Verwaltungskos-
ten entstehen. Allerdings befürchte ich, dass uns hier wie-
der der Föderalismus durch egoistische Machtansprüche
eine sinnvolle Lösung vermasseln wird. Dabei ist es
längst Zeit, im Bereich der Verwaltung grundsätzlich um-
zudenken. Das setzt allerdings den Willen bei allen Betei-
ligten voraus, an einer drastischen Senkung der Verwal-
tungskosten im Rentenbereich aktiv mitzuwirken. Wir
leisten uns zurzeit – um das einmal protokollarisch fest-
zuhalten – neun landwirtschaftliche Alterskassen, 23 Lan-
desversicherungsanstalten, davon allein fünf in Bayern,
eine knappschaftliche Alterskasse, die Bahnversiche-
rungsanstalt, die Künstlersozialkasse und die Bundesver-
sicherungsanstalt für Angestellte. Hier könnten durch Zu-
sammenschlüsse Synergieeffekte erzielt und viel Geld
eingespart werden.

Ich glaube, wir sind bei der Rentenversicherung auf
dem richtigen Weg. Es ist gut, dass uns dieses Thema auch
in den nächsten Jahren weiter beschäftigen wird. Ich bin
auch froh, dass dies von der rot-grünen Bundesregierung
behandelt wird. Denn wenn ich mir die Vorstellungen der
FDP zu diesem Thema anschaue, dann muss ich wirklich
sagen: Heinrich, mir graut vor dir.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN– Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war aber nicht nett! – Ernst Burgbacher [FDP]: Mir graut vor Ihnen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502005200


Nächste Rednerin ist die Kollegin Hildegard Müller,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hildegard Müller (CDU):
Rede ID: ID1502005300


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die einschlägigen Schlagworte sind auch heute
wieder von diesem Rednerpult aus mehrfach angeklun-
gen. Wenn man als Neuling im Bundestag in die Archive
schaut und sich die Protokolle und Drucksachen der ver-
gangenen Legislaturperiode durchliest, dann stellt man
fest, dass alle Rednerinnen und Redner immer wieder den
demographischen Wandel und die Verantwortung gegen-
über künftigen Generationen ansprechen. Das darf offen-
bar in keiner Debatte fehlen.

Auch die uns heute von der Bundesregierung vorge-
legten Berichte benennen das Thema jeweils schon auf
der ersten Textseite. Auch Herr Dreßen hat sich – wenn
ich Ihnen ein Arbeitszeugnis ausstellen darf – im Rahmen
seiner Möglichkeiten bemüht.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber umso mehr muss es zum Nachdenken anregen, dass
bislang alle von der Bundesregierung und der rot-grünen

Peter Dreßen





Hildegard Müller

Koalition in diesem Haus vorgelegten Anträge und Ge-
setzentwürfe zu diesem Thema der Lösung dieses Pro-
blems leider weiter aus dem Weg gehen. Wenn man sich
die Medienberichte der letzten Wochen dazu ansieht, dann
kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass einige Da-
men und Herren noch immer nicht gemerkt haben, oder,
Herr Dreßen, vielleicht auch nicht wahrhaben wollen, dass
sich die Arbeitswelt in diesem Land bereits verändert hat
und noch weiter verändern wird. Der 45 Jahre lang abhän-
gig beschäftigte Arbeitnehmer gehört der Vergangenheit an.

Auch zur Erinnerung: 1992 war noch jeder fünfte Bür-
ger älter als 59 Jahre. Im Jahre 2040 wird es jeder dritte
sein. Allein dieses dramatische Zahlenverhältnis zeigt
doch schon, dass wir handeln müssen und nicht bloß mit
Ihren Rezepten weiter herumdoktern können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung behauptet in ihrem Bericht, die
Rentenversicherung modernisiert zu haben, um „die künf-
tigen Herausforderungen insbesondere der demographi-
schen Entwicklung meistern zu können“. In Ihrem aktu-
ellen Rentenversicherungsbericht rechnen Sie sogar mit
sinkenden Beiträgen bis 2006.

Auch der Sozialbeirat mit Herrn Professor Rürup an
seiner Spitze hat im vergangenen Jahr in einem Sonder-
gutachten zur Rentenreform die Lage noch sehr optimis-
tisch gesehen: Die neuen Anpassungsformeln reichen aus,
um den Beitragssatz bis weit ins nächste Jahrzehnt unter
20 Prozent zu halten.

Angesichts der aktuellen Zahlen, die uns jetzt vorlie-
gen, stellt sich schon die dringliche Frage, ob man über
diese Aussagen heute eher weinen oder lachen soll. Ihre
Jahrhundertreform hat noch nicht einmal ein Jahr gehal-
ten. Von nachhaltiger Entwicklung im Sinne der Generatio-
nengerechtigkeit kann angesichts der heutigen Lage nicht
mehr die Rede sein. Sie haben kein Strukturproblem gelöst.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zur Erinnerung: Schon im Oktober drohte der Anstieg
des Rentenbeitrags auf 19,8 Prozent. Das Thema Schwan-
kungsreserve haben wir bereits angesprochen. Frau
Bender, Sie haben gerade wieder erwähnt, wir würden
hier mit Blick auf den 2. Februar Wahlkampf machen. Sie
verschweigen der Bevölkerung mit Blick auf den 2. Fe-
bruar nach wie vor die wirklichen Zusammenhänge beim
Thema Finanzlage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr! So ist das, Frau Bender!)


Nur eine Schwankungsreserve in ausreichender Höhe
gibt die Möglichkeit, konjunkturelle Anfälligkeiten zu be-
seitigen. Wenn die Rente konjunkturanfällig ist – Frau
Bender, Sie sagen das ja und begründen auch immer wie-
der, warum die Lage aktuell so ist –, dann dürfen Sie die
Schwankungsreserve nicht weiter absenken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie sehen: Rot-Grün hat also auch schon jetzt einen
einzigartigen rentenpolitischen Offenbarungseid geleis-

tet: Im Jahr 2001 zunächst eine Rentenreform, mit der sta-
bile Beiträge bis zum Jahr 2030 versprochen worden sind,
im Jahr 2002 ein getrickster Rentenbeitrag, der nur durch
die Absenkung der Schwankungsreserve stabil gehalten
werden konnte,


(Peter Dreßen [SPD]: Was Sie erzählen, ist doch wirklich Quatsch, auch wenn Sie eine Akademikerin sind und meinen, Sie müssten Ihre Intelligenz beweisen!)


und im Jahr 2003, Herr Dreßen, wird erneut getrickst; trotz-
dem kann ein Anstieg des Rentenbeitrags nicht verhindert
werden.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist dummes Geschwätz!)


Wir werden am Ende des Jahres 2003 sehen, dass das kein
dummes Geschwätz ist,


(Peter Dreßen [SPD]: Doch, das ist dummes Geschwätz!)


sondern der Wahrheit entspricht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Sie haben verdammt wenig Ahnung!)


Mit solch einer unsoliden Rentenpolitik führt die Bundes-
regierung die gesetzliche Rentenversicherung als tra-
gende Säule der Altersversorgung in Deutschland immer
weiter in eine Vertrauenskrise.

Das ist leider das Gegenteil der so oft bemühten Ge-
nerationengerechtigkeit. Die Rentenpolitik von Bundes-
regierung und Koalition stellt eine einseitige Belastung
der jungen Generation dar.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist falsch! – Peter Dreßen [SPD]: Das ist auch falsch!)


Die Lasten müssen aber gleichmäßig verteilt werden, um
dadurch auch den jungen Menschen den notwendigen
Spielraum für die private Vorsorge zu geben. Die Beiträge
steigen, das Rentenniveau sinkt und die private Alters-
vorsorge ist zu bürokratisch angelegt, für viele nicht fi-
nanzierbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Dann sagen Sie mal, wie Sie es machen wollen!)


Nun zum Beweis für diese Aussage; Herr Storm hat
dazu auch schon etwas gesagt. Der Gesamtverband der
Versicherungswirtschaft hat von nur 3 Millionen Verträgen
gesprochen. Da ist also nichts mit 18 Millionen Verträgen.
Mit 5 Millionen Verträgen zur Riester-Rente ist gerechnet
worden. Frau Ministerin Schmidt, Sie selbst haben noch
im November gesagt, dass 4 Millionen private Rentenver-
träge Maßstab für den Erfolg der Riester-Rente sind.


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt sind es fast 5 Millionen!)


Danach ist selbst nach Ihren eigenen Kriterien die Renten-
politik gescheitert, Frau Schmidt; geben Sie das endlich zu!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



(A)



(B)



(C)



(D)


1596


(A)



(B)



(C)



(D)






Frau Bender, zum Verbraucherschutz gehört auch,
dass die Menschen verstehen können, was sie abschließen
sollen. Vielleicht machen Sie sich einmal Gedanken da-
rüber, warum so wenig Menschen entsprechende Verträge
abgeschlossen haben.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Richtig!)


Verbraucherschutz heißt für mich auch Transparenz und
Klarheit. Gerade bei Riester ist das nicht gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Da kann es nicht verwundern, dass die viel zitierte Ka-
kophonie in der Koalition wieder losbricht. Ich erinnere
nur an Herrn Berninger, der dringenden Reformbedarf bei
der Riester-Rente sieht. Von der Fraktionsklausur von
Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende hörte man, dass
Sie vor allem die betriebliche und private Altersvorsorge
weiter ausbauen wollen. Das ist generell ja löblich, aber
die aktuellen Gesetzesänderungen betreffen gerade diese
Bereiche.

Mit der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
haben Sie in den Betrieben große Besorgnis ausgelöst.
Das ist auch in der Ausschussanhörung am 12. November
von den Sachverständigen ausdrücklich hervorgehoben
worden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und von der Koalition überhört worden!)


Gegen die Anhebung sprach nämlich eine grundsätzliche
Erwägung. Zahlreichen Arbeitnehmern werden jetzt schlag-
artig wesentliche Gehaltsbestandteile entzogen, die bislang
für die kapitalgedeckte Alterssicherung zur Verfügung
standen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Insofern ergibt sich schon ein auffälliger Widerspruch zur
Intention der angeblichen Rentenreform, nämlich der
Stärkung der kapitalgedeckten Säule der Altersvorsorge.


(Erika Lotz [SPD]: Ihr habt nichts zustande gebracht!)


Heute stehen wir im Übrigen noch vor einem weiteren
Problem. Sehr viele Formen der betrieblichen Altersvor-
sorge nehmen implizit oder explizit auf die Beitragsbe-
messungsgrenze Bezug. Das Resultat der Anhebung
dieser Grenze ist, dass bei nahezu allen Durchführungs-
wegen reale Verluste bei den Betriebsrenten entstehen
werden. Und da sprechen Sie, meine Damen und Herren,
von einer Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge!


(Peter Dreßen [SPD]: Richtig! Ihr müsst mal die Fakten zur Kenntnis nehmen und nicht einfach nur abschreiben!)


Auch wenn die Grünen noch so lange versuchen, der
SPD die Rolle des reformunwilligen Besitzstandwahrers
zuzuschreiben – Herr Dreßen, Sie zeigen gerade ein her-
vorragendes Beispiel dafür –: Sie vonseiten der Grünen
haben die katastrophale Rentenreform mit zu verantwor-
ten. Wer sich für Generationengerechtigkeit einsetzt, darf
nicht beim geringsten Gegenwind einknicken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen die Ziele der Rentenreform endlich lang-
fristig verfolgen, um zu einer ehrlichen, generationenge-
rechten Rentenreform zu kommen. In die Rentenformel
muss wieder ein demographischer Faktor eingebaut wer-
den. Für eine bessere Entwicklung sind realistische, zwi-
schen den Generationen austarierte Annahmen vonnöten.
Angesichts der veränderten Lage müssen wir die private
Vorsorge wesentlich vereinfachen und dürfen sie nicht
weiter bürokratisieren. Anders als bei der Riester-Rente
darf es keine weitere Bevormundung geben. Ansonsten
werden wir diese schwierige Aufgabe nicht lösen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502005400

Frau Kollegin Müller, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-

ten Rede in diesem Hohen Hause sehr herzlich und wün-
sche Ihnen ebenfalls persönlich und politisch alles Gute.


(Beifall)

Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekre-

tär Franz Thönnes.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502005500


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Kollegin Müller, um bei dem Vergleich mit der
Schule zu bleiben: Im Hinblick auf die Oppositionsarbeit
bis zum 22. September des letzten Jahres stand im Zeugnis
für die Opposition „nicht versetzt“. Es ist in Ordnung, dass
Sie da sind, wo Sie jetzt sind: auf den Oppositionsbänken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Sondergutachten des Sozialbeirats zur Rentenreform
gibt der Regierung Recht: Was sich über Generationen be-
währt hat, das wird sich auch in Zukunft bewähren: die So-
lidarität der Jüngeren mit den Älteren und die eigene soziale
Absicherung der Jüngeren in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung. Das Sondergutachten zeigt auch ganz deutlich
– ich möchte einmal auf einige Inhalte der Rentenreform
eingehen –: Die staatliche Förderung ist beachtlich, die Un-
terstützung der Bezieher geringer Einkommen ist beträcht-
lich – davon profitieren Frauen ganz besonders – und das
Vorhandensein vielfältiger Fördermöglichkeiten ist positiv.

Herr Kollege Storm, Sie haben sich darüber beschwert
– aus diesem Gutachten haben Sie falsch zitiert –


(Widerspruch des Abg. Andreas Storm [CDU/CSU])


– Sie haben eben von „Fördermöglichkeiten“ gesprochen;
ich habe mir das extra aufgeschrieben –, dass die vielen
Fördermöglichkeiten das Ganze unüberschaubar ma-
chen. Wer hat denn darauf gedrungen, dass möglichst viele
Fördermöglichkeiten geschaffen werden? Wer hat denn
darauf gedrungen, dass die Förderung des Wohnungs-
eigentums aufgenommen wird?


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Es geht doch nicht um die Zahl der Fördermöglichkeiten, sondern um die Regelung!)


Hildegard Müller





Parl. Staatssekretär Franz Thönnes

Wir sind mit den Fördermöglichkeiten zufrieden. An den
Verbraucherschutzkriterien wird nicht gerüttelt werden.


(Beifall bei der SPD)


Die rot-grüne Rentenreform mit der Einführung der
kapitalgedeckten und der Stärkung der betrieblichen Al-
tersversorgung war ein ganz vernünftiger Kompromiss
zwischen mehreren Zielen: auf der einen Seite die Finan-
zierbarkeit, auf der anderen Seite die Beschäftigungs- und
die Wachstumseffizienz, die Versorgungssicherheit, der
Ausgleich und die Generationengerechtigkeit.

Werte Kollegin Müller, es wäre vielleicht ganz gut,
wenn Sie zusätzlich zu den Protokollen der Beratungen
des Bundestages auch dieses Gutachten etwas genauer le-
sen würden. In diesem Gutachten steht auf Seite 18:

Die Berechnungen für den „typischen Rentner“
kommen zu dem Ergebnis, dass der demographisch
bedingte Rückgang der Rendite durch die Reform
deutlich gebremst wird. Die bei einem (teilweisen)

Übergang von der Umlagefinanzierung zur Kapital-
deckung stets unvermeidbaren Übergangskosten
werden also von den älteren renditemäßig vergleichs-
weise günstiger gestellten Jahrgängen getragen.
Insgesamt führt die Reform daher zu einer gleich-
mäßigeren Lastenverteilung zwischen den Genera-
tionen.

Gleich danach ist zu lesen – ich sage das, weil Sie zu den
jungen Abgeordneten des Hauses gehören –:

Die Berechnungen zeigen, dass die „Gesamtrendite“
für jüngere Generationen mit Reform – im Vergleich
zu einer Fortführung des Status quo – höher liegt.
Langfristig stellt sich eine Renditeverbesserung um
etwa 18 Basispunkte ein. ...

Also: Bleiben Sie an dieser Stelle redlich, bleiben Sie
wahrhaftig!


(Beifall bei der SPD)


Wir haben mit der Rentenreform die Weichen in die
richtige Richtung gestellt. Allerdings wurde – das will ich
nicht leugnen – zum Zeitpunkt der Verabschiedung der
Rentenreform für 2003 ein Beitragssatz von 18,7 Prozent
geschätzt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)


Später, im Herbst, errechnete man bei gleicher Rechtslage
einen Beitragssatz von 19,9 Prozent.

Die Ursachen für diesen Anstieg kennen wir: Die an-
dauernde Konjunkturabkühlung seit Mitte 2001


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Damit haben Sie nichts zu tun, Herr Thönnes? Ist die Opposition daran schuld?)


hat auch die gesetzliche Rentenversicherung zu spüren
bekommen. Seit dem Frühjahr gibt es 1,1 Millionen we-
niger Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung. Die Zahl der Arbeitslosen ist nicht zurückgegangen.
Gleichzeitig ist die Lohnentwicklung hinter den Erwar-
tungen und hinter den Prognosen zurückgeblieben. Die
Ursache für die aktuelle schwierige Finanzlage der gesetz-
lichen Rentenversicherung ist nicht eine unzureichende

Rentenreform, sondern die Verschlechterung der globa-
len und der nationalen Wirtschaftsentwicklung.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen lassen wir uns von Ihnen heute weder die Re-
form noch das System zerreden.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie sieht es mit den Löchern in der Kasse aus?)


Ich will nichts beschönigen. Die derzeitige Entwick-
lung gefällt keinem, auch nicht der Bundesregierung.
Jetzt aber den Kollaps der gesetzlichen Rentenversiche-
rung zu prophezeien sowie Ängste und Zweifel an dem
System zu schüren ist unredlich und wird der Realität
nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Storm [CDU/CSU]: Wer baut denn die Rücklage ab?)


Nur zu Ihrer Erinnerung: Wie sah es denn aus, als Sie
regierten und wir in der Opposition waren? Die letzte Le-
gislaturperiode Ihrer Regierungszeit war doch durchweg
durch Abschwung geprägt. Schauen wir uns einmal an,
wie sich da die Prognosen der Wirtschaftsdaten ent-
wickelt haben:


(Peter Dreßen [SPD]: Sie müssten es wissen, Sie waren sogar im Wirtschaftsministerium!)


Vom Oktober 1995 bis Frühjahr 1997, also ebenfalls in an-
derthalb Jahren, wurden die Prognosen der wirtschaftli-
chen Daten weit nach unten korrigiert. Waren Sie, Herr
Kollege Kolb, damals nicht Staatssekretär im Wirtschafts-
ministerium? Trotz heftiger Einschnitte auf der Leistungs-
seite – ich denke da insbesondere an das schon erwähnte
Wirtschaftsförderungsgesetz – musste der Beitragssatz
von 18,6 Prozent im Jahre 1995 auf 20,3 Prozent im Jahre
1997 angehoben werden: in 18 Monaten plus 1,7 Prozent.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber Sie kassieren jetzt 17 Milliarden Ökosteuer!)


Als Notanker, um einen Beitragssatz von 21,3 Prozent
zu verhindern, haben Sie dann noch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer auf den Weg gebracht. Das heißt, inner-
halb von fünf Jahren eine Anhebung des Beitragssatzes
um 2,5 Prozent. Ich sage ganz bescheiden: Wir hätten uns
in den viereinhalb Jahren unserer Regierungszeit mehr
gewünscht als eine Reduzierung um 0,8 Prozent.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502005600


Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Kolb?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502005700


Da wir uns trotz der gegenseitigen Kritik aufgrund der
unterschiedlichen politischen Auffassungen schätzen,
lasse ich sie zu.


(A)



(B)



(C)



(D)


1598


(A)



(B)



(C)



(D)







Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1502005800


Das freut mich, Herr Staatssekretär; ich bedanke mich
auch ausdrücklich dafür. – Wenn Sie hier schon solche
Vergleiche anstellen, müssten Sie redlicherweise doch
auch sagen, dass die Menschen in diesem Lande in diesem
Jahr 17 Milliarden Euro Ökosteuer zahlen. Das entspricht,
wenn ich es richtig in Erinnerung habe, beim Rentenver-
sicherungsbeitrag etwas über 2 Prozentpunkten; diese
werden heute an der Tankstelle bezahlt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn ich dann zusätzlich noch die Erhöhung des Renten-
versicherungsbeitrags, die Sie vorgenommen haben, die
Absenkung der Mindestreserve und die Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze ins Kalkül ziehe, dann stelle
ich fest, dass Sie wirklich an den Problemen vorbeigear-
beitet haben und nicht in der Lage sind, für eine zu-
kunftsgerechte Ausgestaltung der Rentenversicherung in
diesem Lande zu sorgen. Stimmen Sie mir zu?


(Lachen bei der SPD)


F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502005900


Werter Herr Kollege Kolb, mich wundert, dass Sie sich
überhaupt trauen, aufzustehen


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe viel Mut!)


und diese Frage in solch einem Zusammenhang stellen.
Ihnen geht es doch um die Senkung der Lohnnebenkos-
ten. Ich stelle hier fest: Wir haben von Ihnen einen Bei-
tragssatz von 20,3 Prozent übernommen und sind jetzt bei
19,5 Prozent.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie lange noch?)


Das heißt, die Lohnnebenkosten sind gesenkt worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie kann man sich vor dem Hintergrund, dass in Ihrem
Entschließungsantrag, den Sie heute vorlegen, steht,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir sind bei über 42 Prozent!)


dass Sie die Finanzmittel für die Schwankungsreserve auf
20 Milliarden erweitern wollen, überhaupt hier hinstellen
und so etwas sagen? Das entspricht zwei Beitragspunkten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nur dann können Sie der Aufgabe gerecht werden, Herr Staatssekretär!)


Wenn Sie hier fordern, 50 Prozent der gesamten Rücklage
für die Altersvorsorge auf die ergänzende Altersvorsorge
zu übertragen, dann bedeutet das eine Leistungskürzung
für die Betroffenen und eine Reduzierung von bisherigen
Standards.


(Peter Dreßen [SPD]: Sozialdumping ist das!)


Ich stimme Ihnen auch deswegen nicht zu, weil es uns
gelungen ist, die Lohnnebenkosten mit der sinnvollen Be-

steuerung von Energieverbrauch zu reduzieren und einen
Anreiz dazu zu geben, dass in dieser Gesellschaft mit Um-
welt und Natur sorgsamer umgegangen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502006000


Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwi-
schenfrage des Kollegen Storm?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502006100


Das betrifft ja nicht die Redezeit, Frau Präsidentin?


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502006200


Nein.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502006300


Bitte, Herr Kollege Storm.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1502006400

Herr Staatssekretär Thönnes, Sie haben eben erklärt,

die Lohnnebenkosten seien gesenkt worden. Wie stehen
Sie dazu, dass zum Jahresbeginn der Gesamtsozialversi-
cherungsbeitrag auf 42,1 Prozent gestiegen ist? Das ist ja
offenbar der höchste Wert, den wir in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland jemals hatten.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502006500


Das kann nicht sein, weil er am Ende Ihrer Regie-
rungszeit doch auch bei 42,1 Prozent lag. Jetzt sind wir bei
42 Prozent.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Nein!)

Das mag eine erste Antwort auf Ihre Frage sein, werter
Kollege Storm.

Eine weitere Begründung ist in einer ähnlichen Ent-
wicklung in den Jahren 2001 und 2002 wie zu Ihrer
Regierungszeit zu sehen: Die Schätzdaten, von denen die
Bundesregierung bei der Festlegung ihrer politischen Ent-
scheidungen ausgeht, basieren jeweils auf den Daten der
Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungs-
institute, der Bundesbank und der OECD.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sind sachliche Daten, keine Schätzdaten!)


Alle haben bis zum Sommer des letzten Jahres noch ein
verbessertes Wirtschaftswachstum unterstellt. Noch im
Juli hat der Vorsitzende des Sachverständigenrates für die
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
die damaligen Annahmen der Bundesregierung zur Wirt-
schaftsentwicklung im Wesentlichen unterstützt.

Ich wiederhole meine Ausführungen, weil Sie sie vorhin
offensichtlich nicht verstanden haben: Die ökonomische





Parl. Staatssekretär Franz Thönnes

Entwicklung ist anders verlaufen, als dies die Wirtschafts-
weisen und Gutachter vorausgesagt haben.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Unbestritten!)


Ich habe betont: Es gab 1,1 Millionen Arbeitslose mehr,
eine wesentlich geringere Wachstumsrate und damit auch
wesentlich geringere Beitragsseinnahmen.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Aber Sie bestätigen doch, dass die Beiträge gestiegen sind!)


Die Annahme, dass ein Beitragssatz von 19,3 Prozent
ausreichen würde, konnte nicht gehalten werden. Ein ent-
sprechender Druck zur Erhöhung des Beitragssatzes ist
ausgeübt worden. Eigentlich hätte er um 0,3 Prozent-
punkte höher sein müssen. Damit wären aber wieder die
Lohnnebenkosten gestiegen. Das wollten wir nicht. Des-
wegen haben wir das Beitragssatzsicherungsgesetz am
20. Dezember 2002 hier im Deutschen Bundestag verab-
schiedet, um auf einen Rentenversicherungsbeitrag von
19,5 Prozent zu kommen – was Sie bis zuletzt blockiert
haben. Hätten wir Ihre Blockade nicht überwunden, hät-
ten wir heute einen Beitragssatz von 19,9 Prozent und
auch die Lohnnebenkosten wären stärker gestiegen. Dies
wäre unverantwortlich gewesen.

Bei der Anhörung des Deutschen Bundestages hat Pro-
fessor Ruland vom Verband Deutscher Rentenversiche-
rungsträger noch deutlicher gesagt, selbst bei vorsichtiger
Annahme würde bei einem Beitragssatz von 19,5 Prozent


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann ist also eine Erhöhung von 19,1 auf 19,5 Prozent keine Steigerung?)


und einer Schwankungsreserve von 0,5 Prozent ein Si-
cherheitskorridor bleiben und die Zahlungsfähigkeit der
Rentenversicherungen wäre auch in diesem Jahr gewähr-
leistet. Nehmen Sie dies doch endlich einmal zur Kenntnis!


(Beifall bei der SPD)


Nach vorläufigen Ergebnissen der Rentenversiche-
rungsträger haben sich die Pflichtbeiträge im Jahre 2002
gegenüber dem Jahr 2001 lediglich um 0,1 Prozentpunkte
erhöht. Der konjunkturelle Verlauf blieb also auch im letz-
ten Quartal flach. Noch im Oktober sind wir von einem
Anstieg um 0,5 Prozent ausgegangen.

Ich will die Risiken, die Einflussfaktoren, die eine
Rolle spielen, überhaupt nicht negieren: Sonderzahlungen
in den Unternehmen sind zurückgeführt worden; Verrech-
nungen von Tariferhöhungen sind erfolgt;


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie massive Probleme haben!)


es hat einen Überstundenabbau durch Freizeitausgleich
gegeben; es gibt die Flucht in Billigtarifverträge; es gibt
die Entgeltumwandlung. Man kann jetzt auch nicht vor-
aussehen, welche Auswirkungen sich bei der Umsetzung
des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst ergeben
werden und wie die Zahlung der Gehälter erfolgen wird.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber man kann eine Abschätzung der Risiken vornehmen! Das tun Sie aber nicht!)


Ich weiß, dass die bislang vorgesehene Reserve auf der
Basis dessen, was wir Ende letzten Jahres festgelegt und
diskutiert haben, mit dazu beitragen kann, dass die Zah-
lungsfähigkeit der Rentenversicherung gewährleistet ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist schon passé!)


Grundlage ist die Möglichkeit, Zahlungen aus den Mona-
ten November und Dezember vorzuziehen.

Ich möchte aber noch einen Punkt nennen, zu dem Sie
sich auf der Seite der Opposition auch hinsichtlich Ihrer
eigenen Argumentation Gedanken machen müssen. Sie
haben im Frühjahr und Sommer letzten Jahres vorge-
schlagen, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, die Mini-
Jobs zu erleichtern und die Sozialversicherungsbeiträge
hierfür zu senken. Sie haben angedeutet, dadurch würden
500 000 bis 800 000 neue Arbeitsplätze entstehen.

Bei der Umsetzung der Hartz-Konzeption haben wir
zusammengearbeitet und einen wesentlichen Teil gemein-
sam umgesetzt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das haben wir Ihnen aufgezwungen! Sie wollten ja gar nicht!)


Dies tritt jetzt in Kraft. Was ist denn aus Ihrer Vermutung
geworden, dass es durch die Umsetzung der Konzeption
in diesem Bereich zu einer positiven Beschäftigtenent-
wicklung kommen würde?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Herr Clement sagt es doch selbst!)


Sehen Sie doch jetzt die darin liegende Chance für eine
Verbesserung auf dem Beschäftigtenmarkt.

Wie Sie sich aufführen, erinnert es mich an einen
Ausspruch des italienischen Schriftstellers Giovanni
Guareschi, der die schönen Geschichten von Don Camillo
und Peppone geschrieben hat.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der war nicht schlecht!)


Er hat gesagt: Kaum sieht einmal ein Optimist ein Licht,
das vielleicht gar nicht da ist, dann kommt schon wieder
ein Pessimist daher und bläst es aus. – Dies machen Sie
im Moment: Schwarzmalerei von vorn bis hinten, Jam-
mern auf hohem Niveau.


(Beifall bei der SPD – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Aber mit Schönfärberei funktioniert es auch nicht!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502006600


Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwi-
schenfrage des Kollegen Kolb?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502006700


Nein, eine Frage war ausreichend, werter Kollege
Kolb.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist schade!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1600


(A)



(B)



(C)



(D)






Es ist auch jetzt nicht an der Zeit, aufgrund von Schwarz-
malerei, von schlechten und noch schlechteren Progno-
sen, als sie von vielen anderen draußen diskutiert werden,
die Ziele, die zu erreichen wir uns vorgenommen haben,
zu korrigieren. Die dazu notwendigen Daten liegen noch
nicht vor. Die Wachstumsprognosen werden im Jahres-
wirtschaftsbericht Ende dieses Monats formuliert wer-
den. Ein vorläufiger Jahresabschluss der Rentenversiche-
rungsträger wird wahrscheinlich nicht vor Mitte Februar
vorliegen.

Daten über die Beiträge des ersten Quartals 2003 wer-
den wir erst am 10. April bekommen. Auch die Früh-
jahrsgutachten der Wirtschaftsinstitute und die wirt-
schaftliche Einschätzung der Bundesregierung werden
uns erst im April vorliegen. Es müssen gesicherte Daten
vorhanden sein, um auf deren Basis einschätzen zu können,
wie die Entwicklung am Ende aussehen wird. Erst dann
kann man, wie ich glaube, eine Einschätzung vornehmen


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man kann heute abschätzen, wohin der Zug fährt!)


Wir gehen, obwohl unser System häufig zerredet wird,
davon aus, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Rente
auch in Zukunft die wichtigste Säule unserer Alterssiche-
rung bleibt. Mit der Rentenreform ist Sicherheit und Ver-
lässlichkeit für die Älteren und Bezahlbarkeit für die Jün-
geren gegeben. Der Weg, den wir in Deutschland mit der
Rentenreform eingeschlagen haben, ist unumkehrbar. Das
hat auch das Sondergutachten des Sozialbeirates be-
wiesen. Die Rentenreform gibt den Menschen die Sicher-
heit, dass das elementare Lebensrisiko im Alter auch in
Zukunft solidarisch abgesichert wird.

Jetzt kommt es darauf an, gemeinsam darauf hinzuwir-
ken, dass die 25-prozentige Erhöhung der Investitionen in
Bildung und Forschung und die 21-prozentige Erhöhung
der Investitionen in Infrastruktur, also in Straße und
Schiene – das alles sind Steigerungsraten seit 1998 –, er-
folgen, dass die Mittelstandsoffensive umgesetzt wird
und dass Flexibilisierungen auf dem Arbeitsmarkt vorge-
nommen werden. Wir müssen wieder der Überzeugung
sein, dass wir es in diesem Jahr packen, dass wir voran-
kommen und dass wir Deutschland gemeinsam aus dieser
schwierigen Lage herausbringen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie werden es nicht packen, weil Sie sich den Realitäten nicht stellen!)


Mit dem Jammern auf hohem Niveau, wozu Sie in diesem
Hause mit die besten Lehrer sind, muss endlich Schluss sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Steter Tropfen höhlt den Stein!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502006800

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Gerald

Weiß, CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das, was insbesondere die Kollegen Thönnes und

Dreßen vorhin hier geboten haben, kann nur mit Negie-
rung der Wirklichkeit umschrieben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das, was Sie am Pult betrieben haben, ist eine Wirklich-
keitsverweigerung.

Herr Thönnes, wenn Sie sagen, die Wirtschaftsent-
wicklung sei anders, sei schlechter verlaufen, dann kann
ich nur feststellen, dass sie wegen Ihrer Politik schlechter
gelaufen ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr!)


Kommen Sie mir nicht mit dem Argument Weltwirt-
schaft! Wenn uns noch etwas hoch hält, dann ist das der
Exportboom, den wir aufzuweisen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Binnenwirtschaftlich haben Sie den Karren elend an die
Wand gefahren, mit dem Ergebnis, dass wir mehr Ar-
beitslose und weniger Wachstum haben.

Die charmante Ministerin – heute schweigt sie – hat im
Ausschuss dargelegt, welche Folgen die Wachstums-
schwäche hat. Beispielsweise 0,5 Prozentpunkte weniger
beim Wachstum des Sozialprodukts bedeuten eine Ver-
schlechterung der Rentenfinanzen um 600 Millionen
Euro. Sie schaffen sich durch Ihre Politik, insbesondere
durch ständige Abgabenerhöhungen, Steuererhöhungen
und die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge, die
Probleme selber, die Sie hier beklagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! In dieses Loch werden sie fallen!)


Meine Damen und Herren, ich dachte, ich stehe im Wald,
als Sie sagten, wir würden – damit meinten Sie uns – die
Lohnnebenkosten in die Höhe treiben. Ich frage Sie: Ist
Ihre Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages von
19,1 Prozent auf 19,5 Prozent keine Steigerung der Lohn-
nebenkosten?


(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich ist das eine Steigerung! – Plus Ökosteuer!)


Ist der Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge um
0,5 auf durchschnittlich 15 Prozent keine Steigerung der
Lohnnebenkosten?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Doch, das ist es!)


Sie unterbrechen diesen Teufelskreis nicht, sondern ver-
schärfen zunehmend das Tempo in dieser Spirale. Das ist
es, was insbesondere dem Mittelstand, aber auch unserer
Wirtschaft insgesamt das Leben schwer macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie wagen sogar zu behaupten, die Weichen seien rich-
tig gestellt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gott bewahre!)


Frau Müller hat darauf hingewiesen: Von den Zahlen der
Jahrhundertreform ist nach einem Jahr keine einzige rich-
tige Zahl mehr übrig geblieben. Alle Prognosen, alle
Projektionen sind falsch. Frau Ministerin, Sie haben im

Parl. Staatssekretär Franz Thönnes





Gerald Weiß (Groß-Gerau)


Ausschuss so treuherzig gesagt, es werde eng; aber es
werde reichen, wenn keine weiteren Risiken mehr eintre-
ten. Die Risiken sind doch eingetreten!


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Sie selber haben das vorhergesagte Wachstum von
1,5 Prozent auf 1 Prozent zurückgenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Wirtschaftsforschungsinstitute sagen, es werde noch
viel bescheidener und schlechter ausfallen. Das DIW
spricht beispielsweise von nur 0,6 Prozent Wachstum. Die
Risiken sind eingetreten. Sie werden mit dem Szenario,
das Sie sich selbst zimmern, nicht zurecht kommen.


(Zuruf von der SPD: Das größte Risiko sind Sie!)


Wirklichkeitsverweigerung zeigt, was Sie über die
Riester-Rente gesagt haben. Ich verstehe nicht, wie Herr
Dreßen einen Boom bei der Riester-Rente erkennen kann,
wenn nicht einmal ein Zehntel der Berechtigten – es ist
Riester-Rente und keiner geht hin –


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


dieses Instrument in Anspruch nimmt.

Man kann analysieren – Kollege Storm und Frau
Müller haben es eben getan –, woran das liegt. Die
Riester-Rente ist zu bürokratisch; zwölf steife, kompli-
zierte Kriterien, die niemand versteht.


(Erika Lotz [SPD]: Sie vielleicht nicht!)


Außerdem werden – das kann ich bei einer sozialdemo-
kratisch geführten Bundesregierung nicht verstehen –
Einkommensschwächere schwächer als Einkommens-
stärkere gefördert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Das ist nicht wahr!)


– Das ist nicht wahr?


(Peter Dreßen [SPD]: Wenn Sie das prozentual nehmen, ist das nicht wahr!)


– Was nutzen den Leuten Prozente? Es geht um das, was
sie cash einsetzen können und was nicht. Es ist so gere-
gelt, dass die Verkäuferin 165 Euro Förderung erhält und
ihr Chef, der Filialleiter, das Vierfache.


(Peter Dreßen [SPD]: Er muss auch das Vierfache bezahlen!)


Wenn Sie das sozial ausgewogen nennen, dann ist das eine
neue sozialdemokratische Philosophie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Als Herr Dreßen hier die Strukturprobleme – zum Teil
richtig – beschrieben und dann den Schluss gezogen hat,
das faktische Renteneintrittsalter müsse erhöht werden,
dachte ich, ich verstehe die Welt nicht mehr. Wir mussten
Ihnen doch eben im Bundesrat mühsam das Brückengeld
wieder abhandeln, das ein Fanal für eine neue Frühver-
rentung in Deutschland geworden wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Außerdem haben Sie gesagt, die Struktur der Renten-
versicherungsträgerschaft sei ineffektiv, wir hätten zu
viele Rentenversicherungsträger usw. Sie regieren jetzt
beklagenswerterweise im fünften Jahr und aus der not-
wendigen Organisationsreform in der Rentenversicherung
ist bisher nicht einmal ansatzweise, geschweige denn er-
kennbar etwas geworden.

Sie können sich doch nicht an die Klagemauer stellen,
wenn Sie in der praktischen Politik versagen. Herr
Thönnes, es war sehr billig, die Oppositionsarbeit so zu dis-
qualifizieren, wie Sie es getan haben. Schauen Sie sich ein-
mal die Bewertung der Arbeit der rot-grünen Regierung in
der Demoskopie an. Sehr viel schlechter könnte sie nicht
ausfallen. Sie bekommen von den Menschen ein misera-
bles Zeugnis,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Zu Recht!)


weil sie keine Hoffnung mehr haben, dass Sie sie aus dem
Schlamassel herausbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich war auch erstaunt darüber, dass Sie, Herr Thönnes,
wesentliche Ergebnisse der Hartz-Kommission als Aus-
weg aus der Krise dargestellt haben. Beispielsweise muss-
ten wir das, was wir Ihnen im Rahmen des Laumann-Pa-
piers, der Drei-Säulen-Konzeption, mühsam abhandeln
mussten, im Bundesrat zunächst gegen Sie durchsetzen,
bevor wir uns dann vernünftig geeinigt haben.

An eigenen Leistungen und eigener positiver Anstren-
gung ist bei Rot-Grün nichts zu erkennen. Damit wird die
Unsicherheit der Rentnerinnen und Rentner genährt. Die
junge Generation hat keine Perspektive. Arbeitnehmer und
Arbeitgeber müssen ständig mehr Steuern und Sozialab-
gaben blechen. Daraus kann keine Perspektive erwachsen.

Ich bin Frau Bender dankbar.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das höre ich gern! Bloß wofür?)


Wenn ich den Landtagswahlfilter einmal weglasse, hat sie
gesagt: Auch die Rentnerinnen und Rentner müssen sich
darauf einstellen, etwas zur Sanierung der Rente beizutra-
gen. Das war die Ankündigung der nächsten Beschränkung
der Rentenanpassung für die Rentnerinnen und Rentner.

Wir rufen den Rentnern zu: Das kommt auf Sie zu! Die
Rentenanpassung wird verringert oder gar ausgesetzt.


(Peter Dreßen [SPD]: Ja, was denn nun?)


So lautet die Botschaft von Frau Bender an die Bürgerin-
nen und Bürger; das ist die Wahrheit vor dem 2. Februar,
wenn man die Wahlkampfrhetorik einmal beiseite lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das haben die Menschen von Ihnen zu erwarten: nichts
außer abermaligem Vertrauensbruch.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502006900


Ich schließe die Aussprache.


(A)



(B)



(C)



(D)


1602


(A)



(B)



(C)



(D)






Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5394, 14/7639 und 15/110 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/318 soll an dieselben Ausschüsse über-
wiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Andreas Pinkwart, Carl-Ludwig
Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Zinsabgeltungsteuer einführen – Fluchtkapital
zurückholen
– Drucksache 15/217 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Professor
Dr. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.


Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Rede ID: ID1502007000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Mit dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion wollen
wir einen Weg aus einer, wie wir meinen, für den Standort
Deutschland und für das Vertrauen der Bürger in den Recht-
staat schwierigen Krise weisen, in die uns die Vorschläge
der Bundesregierung wie auch die öffentlichen Kampagnen
der Ministerpräsidenten Gabriel und Steinbrück in den letz-
ten Wochen und Monaten geführt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hierzu gehören die Ankündigung der Abschaffung des
Bankgeheimnisses, die Einführung einer Wertzuwachs-
steuer, flächendeckende Kontrollmitteilungsverfahren
und die Diskussion über die Wiedererhebung der Vermö-
gensteuer. Das alles sind Anschläge, die das Vertrauen in
den deutschen Kapitalmarkt beschädigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wer auf Wahlplakate schreibt „1 Prozent Vermögen für

100 Prozent Bildung“ – PISA lässt grüßen; ich möchte
wissen, in welchem Rechenunterricht diese Gleichung je
aufgegangen wäre –,


(Dirk Niebel [FDP]: Niedersächsische Baumschule!)


der versucht – viel gefährlicher, wie ich finde –, risikobe-
reites Kapital, das wir in Deutschland brauchen, gegen in-

novative Köpfe auszuspielen. Wir brauchen aber genau
das Gegenteil. Wir müssen in Deutschland wieder risi-
kobereites Kapital und innovative Köpfe zusammen-
führen. Dann haben wir auch Geld, um unsere Schulen
und Hochschulen wieder vernünftig ausstatten zu können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In diese Richtung gingen die Beiträge der Experten wie
auch der Verbände im Finanzausschuss. Diejenigen, die
dabei waren, können das bestätigen. Sie sind ein Schlag
ins Gesicht rot-grüner Finanzpolitik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei – das festzuhalten ist mir als Liberaler besonders
wichtig – tragen auch die Gesetzesvorhaben, die uns
bisher vorliegen, dazu bei, den Datenschutz massiv ins
Hintertreffen zu bringen. Es fehlt bei der Sicherung der
Steuergerechtigkeit an einer datenschutzkonformen Ab-
wägung zwischen den Verfassungsprinzipien einer geset-
zesgerechten Steuererhebung und eines grundrechtlichen
Persönlichkeitsschutzes.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hierzu möchte ich die Erklärung der Datenschutz-
beauftragten des Bundes und der Länder kurz auszugs-
weise wiedergeben – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –:

Dass künftig auch verdachtsunabhängige Prüfungen
in Banken angeordnet werden können, schafft den
„gläsernen Bankkunden“ und erweckt den Anschein,
als sei jeder Steuerpflichtige ein potenzieller Steuer-
verkürzer. Das datenschutzrechtliche Prinzip, dass
Daten grundsätzlich bei Betroffenen zu erheben
sind – § 93 a AO –, wird außer Kraft gesetzt.

Die Datenschutzbeauftragten weisen weiter darauf hin,
dass die hier geplanten Kontrollmitteilungen dazu
führen würden, dass die von einzelnen Bürgern abzuge-
benden Daten zentral verwaltet würden und dass auf diese
zentral verwalteten Daten mit Personenidentitätsnummern
auch andere als die Finanzbehörden jederzeit zugreifen
könnten. Das ist der gläserne Bürger – George Orwell lässt
grüßen –, den wir Liberale nicht haben wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)


Nicht nur die Datenschutzbeauftragten von Bund und
Ländern weisen auf die Lösung hin, eine Abgeltung-
steuer einzuführen, wie sie in Österreich sehr erfolgreich
– dort hat sie zu wachsenden Steuereinnahmen in diesem
Segment geführt – erhoben wird. Auch die Deutsche Bun-
desbank weist in ihrer Stellungnahme an den Finanzaus-
schuss darauf hin, dass die bisherigen Vorlagen von Rot-
Grün im Parlament nicht zielführend seien, sondern dass
eine Abgeltungsteuer, wie wir sie Ihnen in unserem An-
trag vorschlagen, den Weg weisen könnte.

Deswegen fordern wir die Regierungsseite, die Fraktio-
nen von SPD und Grünen, auf: Lassen Sie das, was Sie bis-
her vorgelegt haben, sein! Ziehen Sie diese Teile des Geset-
zes zurück! Legen Sie dem Parlament einen Gesetzentwurf
einer Abgeltungsteuer für Zinserträge, Kapitalerträge und

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner





Dr. Andreas Pinkwart

Wertzuwachsgewinne vor! Dabei sollte es sich um eine
absolute, nicht um eine relative Abgeltungsteuer handeln;
das heißt, es sollte einen klaren Verzicht auf Kontrollmit-
teilungen geben. Dann könnten wir den zweiten Teil un-
seres Antrags realisieren, nämlich Kapital aus dem Aus-
land wieder nach Deutschland zurückholen, und könnten
mit einer pauschalen Regelung für die Nachversteuerung
und einer modifizierten Selbstanzeige erreichen, dass mehr
Menschen bereit sind, diesem Land wieder ihr Vertrauen zu
schenken und sich mit ihrem Kapital hier einzubringen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502007100


Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Frechen,
SPD-Fraktion.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1502007200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich sind Ein-
sicht und Flexibilität positive Eigenschaften. Es ist des-
halb prinzipiell sehr lobenswert, dass Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP-Fraktion, die Initiative
unseres Bundeskanzlers vom 16. Dezember zum Anlass
nehmen, heute einen eigenen Antrag zum Thema Abgel-
tungsteuer im Deutschen Bundestag einzubringen. Ich bin
mit Gerhard Schröder und in diesem Fall auch mit Ihnen
der Meinung: Wir müssen über eine Abgeltungsteuer
nachdenken. Ganz ohne Zweifel wird sie einen erheb-
lichen Beitrag zur Entbürokratisierung und zur Verwal-
tungsvereinfachung leisten, und zwar sowohl bei den
Steuerpflichtigen als auch bei der Finanzverwaltung.

Sie bringt sogar eine Art Steuergerechtigkeit; denn alle
inländischen Zinseinkünfte werden dann einer regulären
Besteuerung unterworfen. Allerdings führt sie zwangs-
läufig auch zu einer Steuerungerechtigkeit, weil die Steu-
erpflichtigen mit einem höheren Steuersatz als 25 Prozent
eine mehr oder weniger große Entlastung bekommen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)


Es bedeutet, dass künftig die Art der Einkünfte über den
persönlichen Steuersatz entscheidet: Wer Einkünfte aus
Vermietung erzielt, unterliegt im Höchstfall dem Spitzen-
steuersatz; wer Zinseinkünfte aus Kapitalvermögen be-
zieht, unterliegt dem Steuersatz von 25 Prozent. Aber ich
gebe Ihnen Recht: Es stimmt ja: Was nützt eine Gerech-
tigkeit, die nur theoretisch, nämlich nur auf dem Papier,
besteht, weil Zinseinkünfte relativ leicht zu verstecken
sind und vielfach bei der Besteuerung hinterzogen werden
können?

Es besteht also Einigkeit, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der FDP: Das ist ein guter Vorschlag unseres
Bundeskanzlers.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er hat ihn sich nur zu Eigen gemacht!)


Ich kann auch gut verstehen, dass Sie dies zum Anlass
nehmen, Ihr eigenes Gesetz über die Zinsabschlagsteuer

von 1992 mit gut zehn Jahren Verspätung reparieren zu
wollen. Immerhin halten Sie selbst es ja für misslungen.

Leider endet von hier ab die Übereinstimmung zwi-
schen uns. Denn Ihr Antrag ist nicht durchdacht, er ist
nicht ausgewogen und er ist zum völlig falschen Zeit-
punkt eingebracht worden.


(Beifall bei der SPD)


Ich werde das an einigen Beispielen deutlich machen.

Stichwort „Zeitpunkt“. Ihr Antrag ist einzig und allein
der Versuch, mit uns Hase und Igel zu spielen, wobei Sie
uns offenbar die Rolle des „Mömmelmann“ zuweisen
wollen. Dazu sage Ich: Ihren Möllemann behalten Sie mal
besser selber.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Der Riesenstaatsmann Mümmelmann! – HansMichael Goldmann [FDP]: Das war lustig?)


– Ich kenne Ihre Art von Humor nicht, Herr Kollege.
Manchmal sehen Sie so aus, als hätten Sie gar keinen.

Der Bundeskanzler hat aus gutem Grund auf den
21. Januar verwiesen. An diesem Tag werden die Wirt-
schafts- und Finanzminister der EU dieses Thema be-
handeln. Eines ist doch wohl klar: Gerade bei diesem
Thema bedarf es einer mit den europäischen Nachbarn ab-
gestimmten Lösung. Der heutige Antrag kommt also zur
Unzeit und ist schädlich für die deutsche Verhandlungs-
position bei einer europäischen Lösung.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der Kanzler hat das ja gesagt! Der schadet der deutschen Verhandlungsposition?)


– Der Bundeskanzler hat sehr wohl und ganz bewusst


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Beim Oldenburger Parteitag hat er das gesagt!)


den 21. Januar genannt. Wenn Sie heute Morgen auf Ihren
Kalender geguckt haben, dann wissen Sie: Wir haben
heute den 17. Januar.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Der darf es fordern, die FDP darf es nicht fordern!)


Lieber Herr Kollege, wenn Sie keinen Kalender haben,
dann tut mir das sehr Leid.


(Beifall bei der SPD)


In Ihrem Antrag findet keinerlei Abwägung im Hin-
blick auf Steuerpflichtige mit einem Steuersatz zwischen
0 und 25 Prozent statt. Was ist mit Freibeträgen? Soll ein
Kleinanleger künftig jeden Euro versteuern, damit alle
insgesamt weniger Steuern zahlen?


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist Ihre Vorstellung!)


Was ist mit Freistellungen? In Ihrem Antrag heißt es – ich
zitiere wörtlich –:

Lediglich bei Beziehern kleinerer Einkommen mit
einem niedrigeren Steuersatz als 25 % hat die abge-
zogene Steuer weiterhin den Charakter einer Voraus-
zahlung. Zu viel gezahlte Steuer kann bei der Steuer-
veranlagung erstattet bzw. verrechnet werden.


(A)



(B)



(C)



(D)


1604


(A)



(B)



(C)



(D)







Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502007300


Frau Frechen, würden Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Pinkwart zulassen?


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1502007400


Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502007500


Bitte schön.


Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Rede ID: ID1502007600


Ich möchte Sie fragen, ob nicht auch Sie den Satz: „Zu
viel gezahlte Steuer kann bei der Steuerveranlagung er-
stattet bzw. verrechnet werden“, der in unserem Antrag
steht, –


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1502007700


Den habe ich Ihnen gerade vorgelesen.


Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Rede ID: ID1502007800


– so interpretieren wollen, dass derjenige, der einen nied-
rigeren Durchschnittssteuersatz als 25 Prozent hat, diese
Abgeltungsteuer natürlich zurückerstattet bekommt.


Gabriele Frechen (SPD):
Rede ID: ID1502007900


Herr Professor Dr. Pinkwart, genau diesen Satz habe
ich Ihnen soeben vorgelesen. Ich werde Ihnen diesen noch
einmal vorlesen und dann meine Anmerkungen dazu ma-
chen: „Zu viel gezahlte Steuer kann bei der Steuerveran-
lagung erstattet bzw. verrechnet werden.“ Danach muss
künftig jeder Rentner, der Kapitaleinkünfte hat, eine
Steuererklärung abgeben, um die Abgeltungsteuer erstat-
tet zu bekommen. Das hat allerdings nichts mit einem
Freibetrag zu tun, sondern nur mit einem Steuersatz von
0 bis 25 Prozent.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ist das beim Zinsabschlag nicht der Fall?)


– Moment, wieso eine derartige Hektik? Wir sind doch
fast allein hier; wir haben Zeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Der Freitag ist noch lang!)


– Ich habe noch eine Redezeit von 6 Minuten und 20 Se-
kunden. Die nutze ich aus.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das war zu befürchten!)


– Ich weiß, dass Ihnen die Wahrheit wehtut. Das war
schon immer so.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Verraten Sie in den sechs Minuten auch Ihr Konzept?)


Das bedeutet eine Menge mehr Bürokratie für die Steu-
erpflichtigen. Es wird in Ihrem Antrag keinen Punkt ge-
ben, von dem man sagen kann, dass er nicht mehr Büro-

kratie bedeutet. Halten Sie ein solches Vorgehen wirklich
für zeitgemäß, Herr Professor Dr. Pinkwart? Das glaube
ich nicht. Oder sind Ihre ständigen Forderungen nach ei-
ner Vereinfachung wirklich nur Propaganda einer Spaß-
partei?

Was ist mit der Nichtveranlagung? Kein Wort dazu! Sie
müssten eine ganze Menge nachbessern, um nur diesen ei-
nen Punkt praktikabel zu machen.

Schließlich ist Ihr Antrag nicht durchdacht: Sie wollen
Kapital aus dem Ausland zurückholen. Das ist nicht ver-
werflich; darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Aller-
dings hat Ihre Begründung eindeutig zu viel Meisterprosa.
Ich erlaube mir, auch hier zu zitieren:

Betroffen sind vor allem Bezieher von Einkünften
aus Schwarzarbeit,

– allein die Tatsache, dass Sie die Einkünfte aus
Schwarzarbeit wie eine achte Einkunftsart im Einkom-
mensteuergesetz benennen, zeigt doch, wie sehr Sie diese
Einkünfte bereits verinnerlicht haben –


(Helga Daub [FDP]: Und bei Ihnen gehen sie durch die Lappen! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Jedes Jahr Milliarden dank Ihrer Politik!)


Inhaber von Fluchtkapital

– haben Sie schon einmal Kapital auf der Flucht gesehen,
vielleicht mit einer Mathilda über der Schulter oder einem
Rucksack und Wanderstab? Kapital kann nicht flüchten;
das wird nur verschoben –


(Beifall bei der SPD)


sowie Bürger, die aus Unwissenheit Zinsen nicht an-
gegeben haben. Viele dieser Menschen möchten
Geld investieren, werden aber wegen der drohenden
steuerlichen und strafrechtlichen Folgen abgehalten.
Andere wollen ihren Nachlass regeln, aber den Erben
die steuerlichen Folgen ersparen.

Man kämpft mit den Tränen vor lauter Mitleid mit den
bedauernswerten Schwarzarbeitern und Kapitalflüchtlin-
gen, die in das Ausland getrieben werden, weil sie hier
nicht investieren können. Warum eigentlich nicht? Inves-
titionen sind doch steuersparend!

Sind die Tränen dann getrocknet, kommt das Kernpro-
blem der von Ihnen genannten Zielgruppe: Schwarz er-
worbenes Kapital, das schwarz im Ausland Früchte getra-
gen hat,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dass Sie schwarz stört, kann ich verstehen!)


soll jetzt weiß vererbt werden, ohne den Schwarzbestand
zu schmälern.

Das machen wir nicht mit.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen aus gutem Grund die Repatriierung, aber nicht
zum Nulltarif. Doch genau das wollen Sie. Der Betroffene
soll künftig nicht nur durch einen niedrigeren Steuersatz
belohnt werden, sondern soll auch noch selbst entschei-
den können, wie viel Ehrlichkeit der Staat ihm zumuten





Gabriele Frechen

kann. Warum scheuen Sie denn Jahresbescheinigungen
wie der Teufel das Weihwasser?


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wie sieht denn Ihre Regelung aus?)


Selbst auf europäischer Ebene hoffen Sie ausgerechnet
auf die Steueroasen Schweiz und Luxemburg, um eine eu-
ropaweite gerechte Lösung zu verhindern.

Bitte erzählen Sie uns jetzt nicht das Märchen von
Bürokratie und Verwaltungsaufwand! Ich weiß aus mei-
ner beruflichen Erfahrung allzu gut, dass die meisten Kre-
ditinstitute diese Bescheinigungen schon heute ohne An-
forderung ausstellen. Sie werden mir nicht erzählen wollen,
dass es nicht möglich sein soll, das Ganze auf EDV-Basis
zu machen und per Datenübertragung weiterzuleiten.

Ohne die so genannten Kontrollmitteilungen auf eu-
ropäischer Ebene lassen sich Kapitalströme überhaupt
nicht nachvollziehen. Auf denselben Wegen, auf denen
das Kapital ins Ausland geschmuggelt wurde, käme es
dann, wenn es opportun erscheint, wieder zurück.

Sie schreiben, dass eine Amnestie aus Gerechtigkeits-
gründen nicht infrage kommt. Das hört sich gut an, aber
Sie wissen so gut wie wir, dass diese Forderung ohne
Kontrollmitteilungen reine Augenwischerei ist. Zumin-
dest die Vermutung liegt nahe, dass Sie genau diese Am-
nestie wollen; Sie trauen sich nur nicht, das zuzugeben.

Ein weiterer Aspekt bleibt völlig außen vor. Was ist mit
dem Kapital, das bisher in Deutschland mit 30 Prozent
Zinsabschlagsteuer besteuert und in der Steuererklärung
nicht angegeben wurde? Wir sprechen hier nicht über Ord-
nungswidrigkeiten oder Kavaliersdelikte, wir sprechen
hier über Steuerhinterziehung, also über den Abschied aus
der Verantwortung für die Gemeinschaft auf Kosten der
ehrlichen Steuerzahler.


(Beifall bei der SPD)


Das bliebe alles unaufgedeckt und würde künftig auch
noch mit niedrigem Steuersatz belohnt. Ein einfaches Bei-
spiel macht das deutlich: In diesem Jahr hat ein Steuer-
pflichtiger Zinseinkünfte von x. Im nächsten Jahr wird per
Abgeltungsteuer die doppelte Menge Zinsen besteuert.
Ohne Kontrollmitteilungen bekommt kein Finanzamt die
Chance, die wundersame Geldvermehrung aufzudecken.
Wie können Sie da erwarten, dass jemand freiwillig Strafe
bezahlt, wenn das Entdeckungsrisiko gleich null ist?

Wir brauchen die Kontrollmitteilung als Möglichkeit
des Vergleichs. Alles andere würde einer Generalamnestie
gleichkommen, die Sie doch angeblich gar nicht wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren nur einige
Punkte aus Ihrem Antrag, an denen sich zeigt, wie
schlecht vorbereitet und wie wenig durchdacht er ist.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wir werden sehen, wie Ihrer aussieht!)


Hier musste mit Gewalt ein Termin gehalten werden, das
kann man am Ergebnis ganz deutlich sehen.

Wir werden über die Einführung der Abgeltungsteuer
beraten, darüber gibt es keinen Zweifel. Der Bundeskanz-
ler hat Hans Eichel gebeten, einen Entwurf vorzulegen.

Ich bin überzeugt, der Bundesfinanzminister wird einen
ausgewogenen, durchdachten und diskussionswürdigen
Entwurf vorlegen, der Europa einbezieht. Ihr Schnell-
schuss war absolut überflüssig. Der richtige Termin ist
nach dem 21. Januar.

So viel zu Ihrem Antrag, meine Kolleginnen und Kol-
legen von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502008000


Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,
CDU/CSU-Fraktion.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1502008100


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Die CDU/CSU-Fraktion ist im Grundsatz dafür, dass
wir von der zurzeit geltenden Zinsabschlagsteuer zu einer
Zinsabgeltungsteuer übergehen. Wenn man das richtig
machte, wäre dieser Übergang ein wichtiger Beitrag zur
Entbürokratisierung, der erhebliche Vorteile für die
Bürger im Zusammenhang mit ihrer Steuererklärung, für
die Finanzverwaltungen und die Banken brächte. Wenn
man es richtig machte, würde sogar Ihr Ziel, Herr Spiller
– Sie haben sich dazu im „Handelsblatt“ geäußert –, dass
Kapital zurückkäme und uns weniger Kapital verließe,
erfüllt werden. Dann bekäme man sogar mehr Steuer-
einnahmen.

Aber das, was Ihr Bundeskanzler vorgeschlagen hat
und Sie hier praktizieren wollen, wird genau das Gegen-
teil bewirken. Wer die Zinsabgeltungsteuer mit Kontroll-
mitteilungen und endgültiger Auflösung des Bankge-
heimnisses verbindet, wird keine Mark nach Deutschland
zurückholen und nicht verhindern, dass weiteres Geld
Deutschland verlässt.

Ich habe wie so oft wieder einmal meine Hoffnungen
auf die Kollegin Scheel von den Grünen gesetzt, die im
„Handelsblatt“ gesagt hat, sie habe erkannt, dass nach der
Einführung von Kontrollmitteilungen kein Geld zurück-
kommen wird. Frau Kollegin Scheel, das Problem ist nur,
dass Sie in der Öffentlichkeit oft gute Sachen sagen, aber
leider immer wieder falsch abstimmen. Ich befürchte,
dass das auch diesmal wieder der Fall sein wird.

Natürlich sollte man bei dieser Steuer den europä-
ischen Gesichtspunkt nicht aus den Augen lassen. Natür-
lich ist es wichtig, dass die Bundesregierung im Sinne ei-
ner einheitlichen Lösung vorgeht. Aber Österreich und
Italien haben gezeigt, dass man es alleine machen kann.
Wenn man es richtig macht – diese beiden Länder haben es
richtig gemacht, nämlich nicht sozialistisch, sondern christ-
lich-demokratisch –, erhält man sogar höhere Einnahmen.

Wir müssen noch einen weiteren Aspekt besonders
berücksichtigen: Der Übergang zu dieser Steuer würde er-
hebliche Einbußen für die Kirchen bedeuten. Ich habe
hier noch keine Patentlösung. Ich sage aber sehr deutlich,
dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir bei der Um-
gestaltung die aus unserer Sicht berechtigten Interessen
der Kirchen berücksichtigen können. Deshalb ist für uns
beim Steuersatz von 25 Prozent noch nicht das letzte Wort


(A)



(B)



(C)



(D)


1606


(A)



(B)



(C)



(D)






gesprochen. Man muss ihn in diese Überlegungen einbe-
ziehen.

Genauso deutlich sage ich, dass die Freibeträge in die-
sem Bereich erhalten bleiben müssen und dass – so, wie
es auch im Antrag der FDP steht – die Leute, die weniger
Steuern als die zur Diskussion stehenden 25 Prozent zah-
len, die Möglichkeit erhalten – dafür müssen sie einen An-
trag stellen –, den überschüssigen Betrag zurückzube-
kommen.

Abschließend stelle ich für meine Fraktion fest: Wenn
man die Zinsabgeltungsteuer so wie in Österreich und so,
wie wir sie wollen – entsprechend kommt es auch im
FDP-Antrag zum Ausdruck –, ausgestaltet, ist sie ein her-
vorragendes Instrument zur Entbürokratisierung. Sie führt
dann dazu, dass weniger Geld Deutschland verlässt und
dass Geld, welches aus Deutschland herausgeflossen ist,
zurückkommt. Eine Zinsabschlagsteuer aber, die mit Kon-
trollmitteilungen und der Aufhebung des Bankgeheimnis-
ses verbunden wird, wird ähnliche Auswirkungen haben
wie fast alles, was Sie steuerrechtlich angefasst haben. Sie
wird letztlich zu mehr Bürokratie und weniger Einnah-
men führen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502008200


Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/
Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502008300


Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bernhardt, ich kann mich Ihrer Überlegung, dass wir
in diesem Zusammenhang eine Lösung für die Kirchen
finden müssen, nur anschließen. Auch ich bin der Mei-
nung, dass wir hier eine vernünftige Lösung brauchen, die
mit den Finanzministern der Länder abgestimmt werden
muss, sodass es hier nicht zu einer Verschlechterung der
Einnahmesituation der kirchlichen Einrichtungen kommt.
Ich denke, hier können wir an einem Strang ziehen.

Ich möchte jedoch sagen, dass die FDP vor der Erstel-
lung des Antrages, den sie heute vorgelegt hat, leider nicht
abgewartet hat, was am 21. Januar geschehen wird. Ich
bedauere es sehr, dass es seit fast zwei Jahrzehnten nicht
gelingt, auf diesem Gebiet international zu ähnlichen Steu-
ersätzen zu kommen. Darüber hinaus gelingt es nicht, bei
den Benachrichtigungen zu einem einheitlichen Verfah-
ren zu gelangen.

Ich habe heute im „Handelsblatt“ gelesen, dass sich
EU-Finanzminister wie Geheimdiplomaten benehmen
und dass beispielsweise der griechische Kassenwart
Nikos Christodoulakis verschlossene Briefumschläge bei
den Botschaftern der EU-Staaten verteilt, die ungelesen in
den Finanzministerrat eingespeist werden sollen. Daran
sieht man, welche Sensibilität in diesem Thema steckt.

Es ist zu hoffen, dass die Minister am kommenden
Dienstag erfolgreich sein werden. Allerdings hat sich mitt-
lerweile herausgestellt, dass die Gefechtslage, wie es so

schön heißt, zwischen Luxemburg und Großbritannien im
Ecofin-Rat äußerst schwierig ist. Man steht sich wieder
mit Maximalforderungen gegenüber. Man kann nur hof-
fen, dass es zu einvernehmlichen Ergebnissen kommt.

Es ist abzusehen – man muss es im Moment sehr vage
formulieren, weil wir alle keine Hellseher sind –, dass
dem Wunsch der deutschen Seite nach einem grenzüber-
schreitenden Informationsaustausch zwischen allen Be-
teiligten in den nächsten Jahren nicht nachgekommen
wird. Es wird wohl so sein, dass Länder wie Österreich,
Belgien oder Luxemburg am Bankgeheimnis festhalten
werden. Andere fordern für die Einführung neuer Rege-
lungen einen Übergangszeitraum bis mindestens 2011.
Irgendwo dazwischen werden wir eine Lösung finden
müssen.

Nach dem 21. Januar werden wir auf der Basis der
Beschlüsse des Ecofin-Rates weiter beraten. Natürlich
sehen wir, dass die langjährigen Verhandlungen in den
einzelnen Ländern über die jeweiligen Interessen poli-
tisch höher als die Notwendigkeit gewichtet werden, ein
funktionsfähiges Informationsaustauschverfahren zwi-
schen den Ländern im EU-Binnenmarkt zu errichten. Mit
diesen Schwierigkeiten haben wir zurzeit zu tun.

Wir Grünen sind schon seit langem für eine Abgel-
tungsteuer. Das ist kein Geheimnis. Ich bin der Auffas-
sung, dass wir hier einen sehr einfachen, transparenten
und klaren Weg wählen sollten. Bei diesem Angebot muss
gut überlegt werden, ob Kontrollmitteilungen in diesem
Zusammenhang einen Sinn machen. Das muss man ab-
wägen. In den nächsten Wochen werden wir uns in der
Koalition im Laufe des parlamentarischen Verfahrens
– vonseiten der Bundesregierung wird zur Abgeltung-
steuer ein Gesetzentwurf eingebracht, über den wir, denke
ich, in zwei oder drei Monaten beraten können – ent-
scheiden müssen, welches System wir in Deutschland,
eingepasst in die internationale Gemeinschaft, gesetz-
geberisch umsetzen.

Klar ist, dass es zu einer Entbürokratisierung kom-
men muss. Die Abgeltungsteuer hat den Vorteil, dass sie
von den Banken direkt abgeführt wird. Die Deklarierung
in der Einkommensteuererklärung kann dann entfallen.
Selbstverständlich – die Kollegin Frechen hat darauf hin-
gewiesen – können diejenigen, die bei der heutigen Be-
steuerung unter diesem Satz liegen, wieder so vorgehen,
wie sie das bislang gemacht haben. Das heißt, diese Rege-
lung ist für die Bezieher kleiner Einkünfte kein Nachteil.
Das halte ich für ganz wichtig, weil diese Debatte sonst
äußerst schwierig würde. Wir wollen einen Steuersatz mit
Abgeltung, aber diese Regelung darf nicht zum Nachteil
derer gereichen, die unter diesem Satz liegen. Sie müssen
weiterhin die Möglichkeit haben, wie bisher abzurechnen.

Abschließend noch eine Überlegung. Wir planen eine
Brückenregelung für mehr Steuerlichkeit für diejenigen,
die ihr Geld im Ausland angelegt haben. Ich will jetzt
nicht wieder die Schweiz nennen, aber es wird immer wie-
der von den Schweizer Konten geredet. Manche behaup-
ten sogar, die Schweiz sei fast komplett untertunnelt.


(Unruhe beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen anderthalb Jahre lang mit einem gestaffelten
Steuersatz das Angebot machen, ohne Strafbewehrung

Otto Bernhardt





Christine Scheel

das Geld wieder zurück ins Inland zu bringen und es auf
Konten in Deutschland anzulegen, um es dann in Zukunft
wie jeder ehrliche Steuerbürger und jede ehrliche Steuer-
bürgerin hier zu versteuern.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502008400


Ich hatte schon fast den Eindruck, dass in Ihrer Frak-
tion wegen des Überschreitens der Redezeit erste Randa-
lierungsoperationen stattfanden. Aber bevor ich Sie da-
rauf aufmerksam machen konnte oder musste, haben Sie
freundlicherweise Ihre Rede selber zum Abschluss ge-
bracht.

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Jochen-
Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1502008500


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! In dieser Debatte ist überhaupt noch nicht erläutert
worden, warum wir über dieses Thema debattieren. Das
Grundübel, weswegen wir uns doch über Kapitalbesteue-
rung unterhalten müssen, ist doch, dass es in Deutschland
höhere Steuersätze als anderswo gibt. Warum sollte je-
mand sein Geld ins Ausland schaffen, wenn er es in
Deutschland mit dem gleichen Satz versteuern könnte?
Diese Diskussion hätten wir schon lange haben können,
wenn Sie nicht von 1994 bis 1998 eine Regelung blockiert
hätten.


(Zuruf von der SPD: Reden wir einmal über Schwarzgeld!)


Wir freuen uns, dass der Bundeskanzler dieses Thema
entdeckt hat. Es ist schon lange Teil unseres Regierungs-
programms. Auch in unserem Programm war es schon im-
mer enthalten. Ich hoffe, dass dieses Thema anders be-
handelt wird als die Themen Rente und Ökosteuer, dass
der Kanzler es nämlich zur Chefsache erklärt und Ver-
sprechungen macht, nachher aber alles im Papierkorb lan-
det. Auch vor dem Hintergrund des 21. Januar ist diese
Debatte genau richtig. Es ist doch wichtig, international
ein deutliches Signal zu setzen und zu sagen, was richtig
ist und was passieren muss.

Wir wollen Steuerhinterziehung und Kriminalität nicht
fördern. Uns geht es vielmehr darum – bei solchen Vor-
haben haben Sie uns immer an Ihrer Seite –, dass Geld,
das bereits bisher hätte versteuert werden müssen, aber
nicht versteuert wurde, einer Besteuerung zugeführt wird.
Deswegen ist die Abgeltungsteuer ein richtiger Weg bzw.
eine Brücke, um einen Schritt zurück aus der Illegalität zu
machen. Meine Damen und Herren, es geht hier nicht
– Sie haben versucht, diesen Eindruck zu erwecken – um
eine neue Steuer. Wir wenden das System der Abschlag-
steuer an, die nachher in das Verfahren einbezogen wird.

Wenn man es richtig macht – die Beispiele Österreich
und Italien sind genannt worden –, dann kann man auf
diese Art und Weise Kapital zurückholen, das erstens als

Kapital für Investitionen zur Verfügung steht und das
zweitens am Ende die Steuern erhöht.

Aber man kann dies nicht machen, wenn die Grund-
voraussetzung fehlt, nämlich das Vertrauen, das der Bür-
ger, der sein Geld zurückholen soll, braucht. Damit spre-
che ich den Punkt der Kontrollmitteilungen an. Wer wie
Sie den gläsernen Steuerbürger möchte – hier legen Sie
überhaupt keinen Wert auf Datenschutz und Ähnliches,
auf das Sie sonst immer Wert legen –, der darf sich nicht
wundern, wenn die Menschen nicht zurückkommen.

Meine Damen und Herren, es geht um Folgendes: Ein
Abgeltungsteuersystem bedeutet, dass die Steuer von der
Bank abgeführt wird und dass die Sache damit sowohl für
den Fiskus als auch für den Steuerbürger ein für allemal
erledigt ist. Wer aber wie Sie ständig über Steuererhöhun-
gen spricht – der Erbschaftsteuer, der Vermögensteuer,
der Ökosteuer, der Stromsteuer oder der Gassteuer –, der
erzeugt beim Bürger sofort den Eindruck, dass er, wenn er
eine Selbstanzeige und eine Kontrollmitteilung verlangt,
nur ins Land gelockt werden soll und dass er, wenn er aber
erst einmal hier ist, richtig abgezockt wird. Das ist doch
die Diskussion, die Sie nach dem 2. Februar dieses Jahres
führen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie führen ständig Diskussionen über neue und höhere
Steuern. Im Sommer haben Sie dieses Thema wegen der
Bundestagswahl nicht angesprochen. Danach ging es aber
sofort wieder los, zum Beispiel durch Frau Simonis und
den nordrhein-westfälischen Finanzminister. Der DGB
hat erst heute Morgen wieder erklärt, dass man sich nach
dem 2. Februar dieses Jahres selbstverständlich wieder
über die Vermögensteuer unterhalten muss. Dann werden
wir uns auch wieder über die Kilometerpauschale, das
Ehegattensplitting und all die anderen Themen, die Sie
jetzt nicht anspechen, unterhalten.

Wenn man den Bürgern einen solchen Eindruck ver-
mittelt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn nichts
zurückkommt. Ich kann Ihnen sagen: Es wird nichts
zurückkommen. Ganz im Gegenteil: Die Positionen, die
Sie im Augenblick vertreten, werden sogar zu Steuer-
mindereinnahmen führen. Denn dann wird das Geld, das
schon jetzt in Deutschland versteuert wird, nicht mehr zu
48,5 Prozent versteuert, sondern nur noch zu 25 Prozent.
Dies würde zu fast 4 Milliarden Euro Verlust führen. Gleich-
zeitig würde es keine Einnahmen und keine positiven Aus-
wirkungen geben. Das wäre also ein Minusgeschäft.

Selbst dann, wenn die 100 Milliarden Euro – ich weiß
gar nicht, woher Sie diese Zahl nehmen; das ist wieder ei-
nes Ihrer Luftschlösser – zurückgeholt werden könnten,
wäre es immer noch ein schlechtes Geschäft. Zwar gäbe
es eine einmalige Einnahme in Höhe von 25 Milliar-
den Euro. Aber die restlichen 75 Milliarden Euro würden
zu 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro Steuereinnahmen führen,
während Sie – ich habe es Ihnen eben vorgerechnet – durch
die Absenkung des Steuersatzes fast 4,5 Milliarden Euro
verlieren.

Deswegen kann Ihre Rechnung nicht aufgehen. Des-
wegen geht insbesondere die Rechnung Ihres Wahlkämp-


(A)



(B)



(C)



(D)


1608


(A)



(B)



(C)



(D)






fers Gabriel nicht auf, der sich, nachdem er mit dem
Thema Vermögensteuer – die Plakate „1 Prozent für
100 Prozent Bildung“ waren schon geklebt – auf den
Bauch gefallen ist, jetzt aus den 25 Milliarden Euro Straf-
steuer 2,5 Milliarden Euro für Niedersachsen ausrechnet.
Meine Damen und Herren, auch dies ist ein einziges Luft-
schloss und wird nicht zum Tragen kommen. Allerdings
wird das Problem für Herrn Gabriel nicht besonders groß
sein, weil er nach dem 2. Februar dieses Jahres nicht mehr
regieren wird. Deswegen wird er die Folgen auch nicht
mehr tragen müssen.

Aber, meine Damen und Herren, so einfach lassen sich
die Menschen nicht täuschen. Wenn Sie ein wahnsinnig
dichtes Kontrollsystem einführen, dann vertreiben Sie das
Kapital und ziehen es nicht an. Das Wichtigste, was man
in diesem Bereich braucht, haben Sie verschenkt. Jetzt
können Sie behaupten, was Sie wollen. Selbst die Grünen
werden sich nicht durchsetzen. Frau Scheel – sie ist wie
immer nicht anwesend, wenn man sie anspricht –


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Entschuldigung! – ist eben schon mächtig zurückgeru-
dert. Das muss ich feststellen, wenn ich ihre Rede mit den
Aussagen vergleiche, die in der Presse geschrieben stan-
den. Die Rede, die sie eben gehalten hat, klang sehr mo-
derat. Sie sprach davon, dass erst alles geprüft werden
müsse. In der Presse hat sie gesagt: Wir wollen das nicht;
denn es ist falsch.

Bleiben Sie doch endlich einmal bei Ihrem Standpunkt
und setzen Sie sich in der Koalition wenigstens an dieser
Stelle einmal durch! Sie könnten hier etwas Gutes bewirken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Selbst vonseiten der Bundesbank – das sind Leute, die Sie
berufen haben – heißt es, dass Kontrollmitteilungen Gift
sind für den Versuch, Kapital zurückzuholen.

Ich kann nur sagen: Folgen Sie der Linie unseres Re-
gierungsprogramms! Folgen Sie der FDP und den Grü-
nen! So werden wir in Deutschland Kapital zurückbe-
kommen! Lassen Sie endlich Ihr Geschwätz über
Kontrollmitteilungen! Noch mehr Bürokratie für Staat
und Bürger, noch mehr Steuern führen uns wirtschaftspo-
litisch in die falsche Richtung. Dies wird gerade nicht
dafür sorgen, dass Arbeitsplätze entstehen, die wir drin-
gend brauchen. Deshalb: Schließen Sie sich uns an! Ge-
hen Sie den richtigen Weg – Abgeltungsteuer ohne Kon-
trollmitteilungen – und das Geld wird nach Deutschland
zurückkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502008600


Ich schließe die Aussprache.

Wir müssen noch die wichtige Entscheidung treffen,
ob wir dem interfraktionellen Vorschlag auf Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 15/217 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse zustimmen wollen. Ei-
nige wichtige Mitglieder des Hauses sehe ich schon hef-
tig mit dem Kopf nicken. Dies allein reicht aber nicht aus.
Ich darf nachfragen, ob Sie damit einverstanden sind. –
Das ist ganz offenkundig der Fall. Dann haben wir das be-
schlossen.

Wir sind zugleich am Ende unserer heutigen Tagesord-
nung angelangt.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 29. Januar, 13.00 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und bis
zur nächsten Sitzung eine gute Zeit.

Die Sitzung ist geschlossen.