Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf Sie bitten, sich zunächst von Ihren Plätzen zu erheben, damit wir des ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin gedenken können.
Gestern wurde der am Samstag abend ermordete israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin unter großer Anteilnahme der Weltöffentlichkeit in Jerusalem beigesetzt. Wir, die wir aus Deutschland bei den Trauerfeierlichkeiten auf dem Herzlberg in Jerusalem gewesen sind, haben der Familie des Ermordeten, den Verantwortlichen des Staates Israel und dem Volk der Israelis unsere tiefe Anteilnahme und unseren Beistand bekundet. Wir waren Zeugen einer Bevölkerung in tiefster Trauer, auch in Verwundung.
Yitzhak Rabin wurde Opfer eines fanatischen, haßerfüllten Gegners des Friedensprozesses, der Tat eines jungen Radikalen. Dies geschah in einem Augenblick, wo Rabin wie nie zuvor in einer großen öffentlichen Friedenskundgebung in Tel Aviv unter dem Motto „Für den Frieden, gegen Gewalt" die Unterstützung von mehr als Hunderttausend Israelis, auch und vor allem junger Menschen, für seine Friedenspolitik erfuhr.
Es war erschütternd und ermutigend, am Sarge Yitzhak Rabins immer wieder den Aufruf zur Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit zu hören. Das Friedenslied, das Rabin bei der Kundgebung in Tel Aviv selbst mitgesungen hatte, war noch nicht verklungen, als er voller Haß ermordet wurde.
Ministerpräsident Rabin hat für die Existenz seines Landes als Soldat, Diplomat und Politiker gekämpft. Er war ein Soldat für den Frieden. Nichts hat ihn in den letzten Jahren seines Wirkens so bestimmt wie die Überzeugung, daß es zum Frieden keine Alternative gibt. Ihm war ebenso wie seinem Partner, dem israelischen Außenminister Shimon Peres, stets bewußt, wie schwierig dieser Friedensweg sein würde. Er hat immer um Risiken, Gefährdungen und Rückschläge gewußt. Aber noch am Abend des 4. November hat er den Menschen zugerufen: Es gibt keine Alternative zum Frieden. Es gibt nur diese eine Chance. - Diese Botschaft hat dieser mutige, seinem
Vaterland stets dienende Politiker seinem Land, ja uns allen hinterlassen. Menschen, die sich seit Jahrzehnten gegenseitig weitgehend als Gegner und Feinde wahrgenommen haben, müssen von der Notwendigkeit, der Richtigkeit und der Unumkehrbarkeit des eingeschlagenen Weges überzeugt und zu einer nachhaltigen Friedenspartnerschaft zusammengeführt werden.
Die gestern in Jerusalem vertretene politische Weltöffentlichkeit, die Politiker aus der Region, den USA, Europa und vielen übrigen Erdteilen, sie alle haben nicht nur gemeinsam getrauert und die bisherigen großen Leistungen im Friedensprozeß anerkannt, sondern auch die gemeinsame Verpflichtung zur Fortsetzung des Friedensprozesses unterstrichen. Die Gegner dürfen nicht recht bekommen. Der Friedensprozeß darf nicht ins Stocken geraten. Der mutig beschrittene Weg muß mit Entschiedenheit zu Ende geführt werden. Wir Europäer und wir Deutsche wollen und müssen diesen Weg konstruktiv und nachhaltig begleiten, wo immer wir es können.
In diesen Tagen der weltweiten Trauer um Ministerpräsident Rabin fühlt sich der Deutsche Bundestag der Knesseth und dem israelischen Volk tief verbunden. Wir fühlen uns auch weiterhin zur Unterstützung des Friedensprozesses verpflichtet. Unser aller Mitgefühl gilt der Witwe, den Kindern und der Familie des Verstorbenen.
Sie haben sich zu Ehren des ermordeten Ministerpräsidenten, des Friedensnobelpreisträgers Yitzhak Rabin, von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, lassen Sie mich zunächst Amtliches und Nichtamtliches miteinander verbinden:
Als erstes möchte ich dem Kollegen Meinolf Michels, der am 2. November seinen 60. Geburtstag feierte, im Namen des Hauses nachträglich auf das herzlichste gratulieren.
Ferner möchte ich Ihnen folgendes mitteilen: Die Einzelpläne 09 - Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft - und 11 - Geschäftsbereich
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung - werden am Donnerstag und nicht, wie in der Tagesordnung versehentlich ausgedruckt, schon am Mittwoch beraten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Einzelplan 12 - Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr - am Donnerstag als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen werden.
Außerdem ist vereinbart worden, die zweite und dritte Beratung des Pflegeversicherungsgesetzes, also die Tagesordnungspunkte IV c und IV d, erst am Freitag nach der dritten Lesung des Haushaltsgesetzes aufzurufen.
Sind Sie damit einverstanden? - Da ich keinen Widerspruch sehe, verfahren wir so.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir über einen Geschäftsordnungsantrag abstimmen: Die Gruppe der PDS hat beantragt, die zweite und dritte Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1996 von der Tagesordnung abzusetzen.
Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - Frau Kollegin Enkelmann!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herrren! Die PDS beantragt, die zweite und dritte Lesung des Haushaltsgesetzes 1996 von der Tagesordnung abzusetzen und die Vorlage an den Finanzminister zurückzugeben.
Jeder Kreditnehmer, der mit einer solchen Vorlage an eine Bank herantritt - ausgenommen vielleicht Herr Schneider -, wird aus der Bank rausgeschmissen.
Mit unserem Geschäftsordnungsantrag geht es uns nicht um die inhaltliche Ausrichtung des Haushalts 1996. Es gibt eine ganze Reihe guter Gründe, diesen Haushalt abzulehnen. Allein das Motto „Sparen, koste es, was es wolle!", über das Sie schamlos in die Taschen derer greifen, bei denen ohnehin nicht mehr viel zu holen ist, ist schon eine Unverschämtheit. Aber darum geht es uns jetzt nicht.
Dieses Parlament fordert zu Recht, ernstgenommen zu werden, und zwar vor allen Dingen von der Regierung. Was aber passiert: Wir lassen uns von Herrn Waigel auf der Nase herumtanzen. Der Haushaltsentwurf steckt nicht nur voller Luftbuchungen, sondern ist eine finanzpolitische Luftnummer, technisch miserabel, eine Beleidigung des Parlaments und Ausdruck der Arroganz der Macht der Bundesregierung gegenüber den Abgeordneten.
Es ist eine Frechheit, daß uns hier etwas vorgelegt wird, was hinten und vorne nicht zusammenpaßt und damit nie im Leben aufgehen wird. Nur ein Beispiel: Um die Haushaltslöcher zu stopfen, ist u. a. vorgesehen, ca. 40 000 bundeseigene Wohnungen der Bahn und der Post zu privatisieren. Abgesehen davon, daß
die Bundesregierung damit Wortbruch gegenüber den Gewerkschaften begeht,
denen vor kurzem erst versprochen worden ist, daß
der Besitzstand bei den Wohnungen gewahrt bleibt --
Frau Enkelmann, sprechen Sie bitte zur Geschäftsordnung!
Ich bin beim Geschäftsordnungsantrag. Sie spekulieren auf eine Summe, von der Sie - erstens - nicht wissen, ob Sie diesen hohen Verkaufswert tatsächlich erreichen, und von der Sie - zweitens - 1996 maximal eine Rate erhalten werden.
Ähnliche Luftschlösser bauen Sie im Hinblick auf den Verkauf von Immobilien der Bahn auf. Damit steht Ihr Haushalt bereits heute auf sehr wackligen Füßen.
Einen Affront gegenüber dem Parlament haben Sie sich geleistet, als Sie Ihre Deckungsvorschläge für die 20-Milliarden-DM-Lücke eingereicht haben. Mit zwei lumpigen Spickzetteln sollten wir uns abspeisen lassen. In der abschließenden Haushaltsberatung des Ausschusses hat die Opposition aus den eben genannten Gründen die Mitberatung verweigert. Es hat sich seitdem nichts geändert.
Meine Aufforderung an SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ist deshalb: Kneifen Sie heute nicht, wenn es darum geht, die Bundesregierung in die Schranken zu weisen.
Herr Kollege Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unionsfraktion wird den Antrag der PDS ablehnen.
Dies ist auch ganz normal, denn eine Gruppe, die sich geweigert hat, an den Haushaltsberatungen teilzunehmen, wird auch nicht schlauer, wenn derselbe Vorgang in den Ausschuß zurückverwiesen wird und sie daran wiederum nicht teilnimmt.
Dem ganzen Antrag der PDS steht die Obstruktion auf der Stirn geschrieben. Das, was Sie, Frau Enkelmann, sich schriftlich überlegt haben, weicht von dem, was Sie hier mündlich vorgetragen haben, sehr deutlich ab, denn Sie haben einfach die Absetzung verlangt und nicht eine Weiterbehandlung des Haus-
Joachim Hörster
haltes etwa in den Ausschüssen gefordert. Das haben Sie jetzt mündlich nachgetragen.
— Keifen Sie doch hier nicht so herum! Das bringt doch in der Sache gar nichts.
Ich finde, der Haushalt ist seit dem 5. September dieses Jahres im Haushaltsausschuß ordentlich beraten worden. Er ist intensiv behandelt worden. Wer immer Lust, Mühe und Zeit hatte, sich mit dein Haushalt auseinanderzusetzen, konnte dies tun. Deshalb ist der Absetzungsantrag völlig ungerechtfertigt. Er ist auch gegenüber all denen ungerecht, die auf die Verabschiedung des Haushaltes angewiesen sind; denn wer auf der einen Seite, so wie die PDS, ständig darüber klagt, daß irgendwelche Dinge nicht vorangingen, der kann auf der anderen Seite nicht mit der Stellung eines solchen Antrages verhindern wollen, daß eine ausreichende Forschungsförderung stattfindet, daß Verkehrsprojekte begonnen werden können, daß Beschaffungsaufträge erteilt werden können. Das, was Sie hier betreiben, ist Obstruktion. Dies verdient abgelehnt zu werden.
Als nächster der Kollege Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, daß man heute einen derart schlampig vorbereiteten Bundeshaushalt in der zweiten und dritten Lesung beraten soll.
Das hat es noch nie in unserer Geschichte gegeben, daß sich der Finanzminister genötigt sah, am Tage der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses einen jämmerlichen Wisch von Papier vorzulegen, in dem er aufzeigt, wie er ein Defizit von 20 Milliarden DM angeblich abdecken will. Dies ist ein Riesenskandal, der eine entsprechende Würdigung in der Öffentlichkeit gefunden hat.
Wir werden, meine Damen und Herren, deshalb den Antrag stellen, daß die zweite und dritte Lesung des Bundeshaushaltes heute nicht stattfindet, sondern daß, wie das üblich und in einem parlamentarischen Verfahren normal wäre und wie es auch dem Ansehen des Parlaments entspräche, dieses Papier und alles, was zu einer ordentlichen Beratung gehört, in den Haushaltsausschuß des Bundestages zurücküberwiesen wird, damit wir erst dann, wenn es ordentlich beraten wurde, hier entscheiden.
Herr Kollege Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Haushaltsentwurf ist tatsächlich weder beratungs- noch beschlußfähig. Es fehlt nach wie vor eine Ergänzungsvorlage nach § 32 der Bundeshaushaltsordnung. Wir haben das von Ihnen, Herr Finanzminister, gefordert, und sind natürlich schon enttäuscht, daß Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, diese Ergänzungsvorlage vorzulegen. Insofern wären wir Ihnen natürlich ein Stück entgegengekommen, um diesen Haushalt hier heute zu beraten, aber Sie machen sich noch nicht einmal die Mühe, diese Ergänzungsvorlage für die fehlenden immerhin fast 20 Milliarden DM, wobei eine Deckungslücke von etwa 8 Milliarden DM übriggeblieben ist, hier vorzulegen.
Insofern ist der Antrag der PDS, die Beratungen heute abzusetzen, zwar konsequent, aber nicht zu Ende gedacht. Sie sind und bleiben noch ein Stück in der Opposition und üben dort noch.
Es müßte heißen: Rücküberweisung in den Haushaltsausschuß, um dort noch einmal solide zu beraten. Es hat weder eine Bereinigungs- noch eine Berichtigungs-, allenfalls eine Beweihräucherungssitzung stattgefunden,
wo Sie sich gegenseitig getröstet haben oder im Finanznebel Ihrer Zahlenmanipulation nun schon jegliche Größenordnung aus den Augen verloren haben. - Ich freue mich, Herr Kollege Weng, daß Sie den Mund aufmachen, denn man hatte zuletzt den Eindruck, daß Sie da eine reflektorische Dauerspannung haben,
bei der Ihnen das Zauberwort „Haushaltssicherungsgesetz" gar nicht mehr zu entlocken war. Für Graf Lambsdorff gilt dies auch. Sie haben jetzt denkerisch die Stirn in Falten gelegt. Aber ich kann Ihre Körpersprache gut interpretieren: Auch Sie sind der Meinung, daß dieser Haushalt alles andere als beschlußfähig ist. Es fehlt im Grunde genommen ein Haushaltsstrukturgesetz. Das ist erforderlich. Was wir hier vorliegen haben, ist tatsächlich in dieser Woche nicht zu beraten.
Die Finanzmisere ist natürlich nicht aus purem Zufall gekommen, sondern sie war absehbar. Es ist eine
Werner Schulz
seit Jahren unsolide und liederliche Haushaltsführung zu beklagen, und der Finanzminister wird hier von den langen Schatten eingeholt, die er selbst geworfen hat.
Gespart wird, aber immer bei den Bedürftigsten, an den problematischsten Stellen dieser Gesellschaft. Sparsam ist diese Regierung allenfalls in den Kapiteln politische Phantasie und Reformkraft.
Wir möchten das ganze Paket noch einmal ausführlich beraten und verbessern.
Herr Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer schwache Argumente hat, muß starke Worte finden.
Das haben wir gerade wieder bei den Vertretern von PDS, SPD und Grünen erlebt. Wir sehen das ganz anders.
Hier wird ein solider Haushalt vorgelegt. Wir sind der Meinung, daß ganz selbstverständlich beraten werden kann.
Im Gegensatz zur PDS sind wir auch der Auffassung, daß es ein sehr vernünftiger Vorschlag ist, die Wohnungen z. B. der Eisenbahn zu privatisieren. Wir werden also aus guten Gründen all diesen Anträgen nicht zustimmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den ersten Antrag. Wer stimmt für den Absetzungsantrag der PDS? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Absetzungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag auf Zurücküberweisung des Haushalts an den Haushaltsausschuß. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt worden, und zwar gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996
- Drucksachen 13/2000, 13/2593 -
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses
Wir kommen zu den Einzelplänen und stimmen zunächst über drei Einzelpläne ab, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Einzelplan 01 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 13/2601, 13/2626 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Wieczorek Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Antje Hermenau
Dr. Wolfgang Weng
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist bei einigen Enthaltungen der PDS angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 13/2602, 13/2626 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth Ina Albowitz
Rudolf Purps
Antje Hermenau
Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor.
Als Berichterstatter hat sich zunächst der Kollege Purps zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Bei seinen Beratungen zum Bundeshaushalt 1996 hat sich der Haushaltsausschuß mit den Änderungen des Abgeordnetengesetzes ausführlich beschäftigt. Er hat dabei Mittel eingesetzt, die sich aus dem am 17. September dieses Jahres vom Deutschen Bundestag beschlossenen Achtzehnten Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes ergeben würden. Er hat in seinem Bericht an den Deutschen Bundestag folgendes sinngemäß ausgeführt: Nachdem die vom Deutschen Bundestag beschlossene Änderung von Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes mangels Zustim-
Rudolf Purps
mung des Bundesrates nicht in Kraft getreten ist, wurde im Ältestenrat festgestellt, daß das beschlossene Achtzehnte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes erneut zu beraten ist. Die Inanspruchnahme der gegenüber dem Regierungsentwurf zusätzlich veranschlagten Haushaltsmittel bestimmt sich somit nach den Ergebnissen dieser erneuten Beratung.
Als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion stelle ich fest, daß eine reine Neuauflage des bisherigen Achtzehnten Änderungsgesetzes nicht in Frage kommt. Da allerdings die großen Fraktionen durch ihre Sprecher dargelegt haben, daß eine Neuregelung der Abgeordnetenbezüge in der alleinigen Verantwortung des Deutschen Bundestages erfolgen wird, sind die Mitglieder des Haushaltsausschusses durch das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bundeshaushaltsordnung verpflichtet, die dafür notwendige finanzielle Vorsorge zu schaffen und die entsprechenden Mittel bereitzustellen. In welcher Höhe dann diese Mittel in Anspruch genommen werden, ergibt sich folgerichtig aus der noch zu verabschiedenden Neuregelung der Abgeordnetenbezüge. Die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und PDS lehnen die Berichterstatter von CDU/CSU, F.D.P. und SPD daher ab.
Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Metzger.
Meine Damen und Herren! So einfach kann man mit dieser Stellungnahme des Berichterstatters nicht umgehen. Deshalb hat unsere Fraktion einen Änderungsantrag gestellt, um diese vorsorgliche Erhöhung - um nichts anderes geht es natürlich; das wissen auch wir - auf null zurückzufahren, und zwar aus einem einfachen Grund: Es ist politisch instinktlos, zu einer Zeit, da der Haushaltsausschuß, in dem Fall die Koalitionsfraktionen, in der abschließenden Beratung die Personalverstärkungsmittel im Einzelplan 60 von nahezu 1 Milliarde DM auf null zurückgestellt hat - genau die Personalverstärkungsmittel, die vorsorglich dazu dienen, die Tariferhöhungen des Jahres 1996 im öffentlichen Dienst zu finanzieren -, die Eigenvorsorge für die Parlamentarier, also für uns selber, um sage und schreibe 14 % zu erhöhen. Das ist politisch instinktlos.
Wenn der Ältestenrat verabredet hat, den SPD-Bundesparteitag abzuwarten, um dort die Basis nicht so zu mobilisieren, daß sie entsprechende Erhöhungsanträge per Parteitagsbeschluß ablehnt, ist es doch ein Treppenwitz, wenn die gleichen SPD-Kollegen dann gemeinsam mit der Union im Haushaltsentwurf des Jahres 1996 Fakten schaffen und hier die Erhöhung vorsehen, die man der Basis vorenthält.
Ich finde es insgesamt außerordentlich unklug, diese Entscheidung zu treffen. Daß das Abgeordnetengesetz in diesem Haus neu diskutiert werden muß, ist keine Frage. Aber so kann man angesichts der öffentlichen Reaktion und angesichts dessen, wie man mit dem öffentlich bediensteten Personal durch die Änderung bei den Personalverstärkungsmitteln umgeht, nicht handeln.
Zum Antrag der PDS spricht die Abgeordnete Frau Professor Luft.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gruppe der PDS hat einen ähnlich lautenden Änderungsantrag eingebracht, wie der Kollege Metzger ihn eben für seine Fraktion erläutert hat. Wir halten es - abgesehen von der politischen Instinktlosigkeit, von der schon die Rede war - auch für nicht in Ordnung, sozusagen nach dem Motto „Der brave Mann denkt an sich selbst zuerst" eine Diätenerhöhung, für die es noch keine gesetzliche Grundlage gibt, einzustellen. Aber zum Beispiel für das, was auch die CDU/CSU-Fraktion inzwischen für notwendig hält, nämlich eine Korrektur des Rentenüberleitungskorrekturgesetzes vorzunehmen, sind noch keine Mittel vorgesehen. Auch diese Relation ist also unverhältnismäßig. Die Personalverstärkungsmittel, die schon angemahnt worden sind, muß man in der gleichen Richtung sehen, und daher unser Änderungsantrag.
Danke schön.
Zur Berichterstattung Frau Ina Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Sie werden nachvollziehen können, daß ich mir das hier aus Sicht meiner Fraktion ziemlich einfach machen könnte. Wir haben seinerzeit bei der Debatte am 21. September 1995 der Diätenerhöhung nicht zugestimmt. Ich hätte mir bei der Berichterstattung im Haushaltsausschuß durchaus ein anderes Verfahren vorstellen können.
Nur, ich glaube, so einfach kann sich das keiner machen, Herr Kollege Metzger, wie Sie das gerade in der Phase der Abschlußberatungen zu machen versucht haben, nämlich mit ein bißchen Populismus unter dem Motto „Das tut ja ganz gut nach außen" . Ich denke, so können Sie die Bundeshaushaltsordnung und das Haushaltsgrundsätzegesetz hier nicht darstellen.
Nach der Bundeshaushaltsordnung ist der Gesetzgeber verpflichtet - und das wissen Sie ganz genau -, unabweisbare und vorhersehbare Kosten in den Etat einzustellen. Der Bundestag hat am 21. September 1995 mit großer Mehrheit ein Gesetz beschlossen,
Ina Albowitz
welches der Bundesrat hat passieren lassen. Von daher sind wir als Haushaltsausschuß verpflichtet gewesen, die Mittel einzustellen.
Der Ältestenrat - dem hat übrigens Ihre Fraktion zugestimmt,
das möchte ich ganz deutlich hier festhalten, und im übrigen auch die PDS, damit das ganz klar ist - konnte auch gar nicht anders.
- Frau Kollegin, im Ältestenrat haben sich, nachdem wir das Benehmen zu dem Etat hergestellt haben, alle Fraktionen einvernehmlich darauf verständigt, daß wir dem Bericht zu dem Etat eine Erklärung anfügen. Diese Erklärung liegt Ihnen vor. An diese Vereinbarung, daß die gesetzliche Grundlage für eine Inanspruchnahme der Mittel die erneute Beratung und Verabschiedung des Abgeordnetengesetzes ist, haben wir uns auf Punkt und Komma gehalten. Schluß, aus, Ende! Das ist der Punkt.
Vielen Dank.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/2864? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2862? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Änderungsantag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von PDS und Bündnis 90/Die Grünen bei einer Enthaltung abgelehnt.
Abschließende Abstimmung: Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 02 mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen der PDS und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie des Abgeordneten Gansel angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 13/2603, 13/2626 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein Antje Hermenau
Dr. Wolfgang Weng
Dazu liegt mir eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung über den Einzelplan 03 nach § 31 der Geschäftsordnung vor, die von Bartholomäus Kalb, Dr. Erich Riedl und Kurt Rossmanith unterschrieben ist.*)
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 03? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 03 ist mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD angenommen, bei Gegenstimmen aus den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD und bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS. Damit ist der Einzelplan 03 angenommen.
Ich rufe die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 auf: Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 13/2608, 13/2626 -
Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller
Jürgen Koppelin Susanne Jaffke Oswald Metzger
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 13/2623 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Oswald Metzger Michael von Schmude
Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 13/2625 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dankwart Buwitt Arnulf Kriedner
Wilfried Seibel
Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Oswald Metzger
*) Anlage 2
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 13/2619, 13/2626 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps
Wilfried Seibel
Dr. Wolfgang Weng Oswald Metzger
Zum Einzelplan 08 liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS, zum Einzelplan 32 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zum Einzelplan 60 je ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Karl Diller.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Urteil der Bevölkerung und der Medien über das, was die Regierung Kohl und die Koalitionsfraktionen als Bundeshaushalt 1996 vorlegen, ist deftig:
„Haushaltspolitischer Schindluder" , „Griff in die Trickkiste", „Im Treibsand", „Durchlavieren", „Schönfärberei", „Verlegenheitsrechnung" lautet zu Recht die vernichtende Kritik der Öffentlichkeit.
Tatsache ist, daß Minister Waigel die dramatische Verschlechterung der Bundesfinanzen monatelang verschleiert und geleugnet hat,
daß er schließlich ein 20-Millfarden-Loch im Haushalt 1996 eingestehen mußte und daß er nicht in der Lage war, glaubwürdige Deckungsvorschläge vorzulegen.
Dieser Finanzminister erfüllt damit nicht die Anforderungen, die an dieses Amt gestellt werden.
Der Kanzler, der zu alledem schweigt und diese Alarmzeichen nicht zur Kenntnis nehmen will,
muß sich die gleichen Vorwürfe gefallen lassen.
Ihre Politik führte innerhalb eines halben Jahres, zwischen Mai und Oktober, zu einem in diesem Ausmaß beispiellosen Absturz der für 1995 und 1996 geschätzten Steuereinnahmen von 55 Milliarden DM.
Allein in der Bundeskasse fehlen 27 Milliarden DM.
Diese Steuerausfälle und der Ausgabenmehrbedarf in 1996 zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit in Höhe von 7 Milliarden DM sind aber nicht wie ein Naturereignis über die Bundesregierung hereingebrochen.
Denn bereits zum Zeitpunkt der Einbringung des Haushaltsentwurfs im Sommer war eine deutliche Konjunkturabschwächung erkennbar. Nichts deutete darauf hin, daß sich an diesem Verlauf irgend etwas ändern würde. Schon im März lagen die Steuereinnahmen des Bundes um fast 10 Milliarden DM unter denen des Vorjahresmonats. Der Einbruch der Steuereinnahmen war deshalb frühzeitig erkennbar.
Wir, die SPD, haben Ihnen, Herr Waigel, im August vorgehalten, daß Ihr Haushalt ein zweistelliges Milliardenloch aufweist.
Sie dagegen haben in der ersten Lesung am 5. und am 8. September vor dem Bundestag die Risiken in ein, zwei Halbsätzen kleingeredet und uns vorgehalten, wir würden - ich zitiere - „die Mär von den Haushaltslöchern" verbreiten.
Heute weiß man: Die SPD sprach die Wahrheit aus, Waigel aber nicht.
Deswegen, meine Damen und Herren, mißbilligen wir auf das schärfste die Mißachtung des obersten Grundsatzes von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit durch Bundesfinanzminister Dr. Waigel. ,
Vor zwei Monaten hat er - ausgerechnet er! - von dieser Stelle aus gesagt: „Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. "
Hätte die Regierung Kohl ehrlich gearbeitet, dann wäre dem Haushaltsausschuß eine vom Kabinett ordentlich beratene und beschlossene Ergänzungsvorlage zugeleitet worden. Sie, Herr Waigel, haben sich davor gedrückt, weil innerhalb der Koalition keine Einigkeit darüber besteht, wie das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt dauerhaft zu schließen ist.
Karl Diller
Einen Finanzminister, der kneift, kann sich dieses Land aber nicht erlauben.
Mit dem berüchtigten Waigel-Wisch wollte der Finanzminister schließlich ein 20-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt verkleistern. Dieser Wisch war finanzpolitisch unsolide, handwerklich eine Blamage und parlamentarisch eine Mißachtung des Deutschen Bundestages.
Ihre sogenannten Deckungsvorschläge stammen entweder aus der Trickkiste - wie die Vorverlegung des Mineralölsteuertermins; sie bringt kein zusätzliches Geld, sondern zieht lediglich 2,6 Milliarden DM aus dem Jahr 1997 in das Jahr 1996 vor;
wer künstlich die Bilanz schönt, Herr Waigel, der hat es nötig -, oder sie stammen aus Luftbuchungen, die Sie einstellen, wie bei den Privatisierungseinnahmen von 9 Milliarden DM.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die wesentlichen Vorhaben sind nicht etatfähig. Nicht etatreif sind die 1,7 Milliarden DM für die Deutsche Lufthansa, weil der Gang an die Börse zur Zeit versperrt und eine rechtlich einwandfreie Lösung für den Verkauf nicht gefunden ist. Nicht etatreif ist der Verkauf der Deutschen Bundesbank, nein: der Postbank für über 3 Milliarden DM.
- Das wäre was! Das wäre Ihnen auch noch zuzutrauen.
Herr Waigel, Sie selbst stellen fest:
Der voraussichtliche Zeitpunkt eines Erlöses läßt sich erst nach einer Prüfung aller in Frage kommenden Verkaufsmodelle festlegen.
Im Klartext heißt das: Die Etatisierung verstößt gegen Haushaltsrecht.
Weder liegt der Wert des Unternehmens fest, noch besteht in der Koalition Einigung über die Zielrichtung des Verkaufs. Dreist ist die Ungeniertheit, mit der Sie die Verkaufserlöse zum Stopfen von Haushaltslöchern zweckentfremden wollen.
Wie sagte Staatssekretär Dr. Laufs 1994 im Finanzausschuß - ich zitiere -:
In den Erörterungen mit dem Bundesfinanzministerium ist deutlich geworden, daß dieses Vermögen zur Abdeckung der Pensionsverpflichtungen eingebracht werden muß, so daß dem Bundeshaushalt keine Gewinne zufließen.
Heute wollen Sie etwas ganz anderes versuchen.
Nicht etatreif sind die 4 Milliarden DM, die Sie aus dem Verkauf zweier Wohnungsbaugesellschaften mit 48 000 Wohnungen erzielen wollen.
Das ist eine Luftbuchung, weil dieser Verkauf weder durchdacht noch mit den Mitgesellschaftern beraten ist.
Wir sind nicht nur empört über die Art und Weise, wie hier mit den Haushaltsgrundsätzen umgegangen wird. Wir sind auch empört über die Bedenkenlosigkeit, mit der CDU, CSU und F.D.P. dieses hochsensible Thema Wohnen behandeln.
Innerhalb von 24 Stunden stellt diese Koalition 48 000 Wohnungen zur Disposition, in denen überwiegend die Meinen Leute wohnen: von den Postlern über die Eisenbahner bis zu den Bundeswehrangehörigen.
Nach dem schrittweisen Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau, bei dem Sie in diesem Haushalt wieder 600 Millionen DM kürzten, ist jetzt wohl der Rückzug aus der Wohnungsfürsorge an der Reihe. Die Politik der sozialen Kälte ist das Markenzeichen der Damen und Herren auf der rechten Hälfte dieses Hauses.
Die Koalition handelt im Haushaitsausschuß nach der Devise: Augen zu und durch.
- Wer wie die Kollegin Albowitz Waigels unseriöse Vorlagen in einer Sonntagszeitung vor acht Tagen öffentlich deutlich kritisierte, der wird binnen weniger Tage zum Umfallen gezwungen. Ich zitiere Sie, Frau Albowitz:
Vorschläge wie der Verkauf der Postbank oder der Lufthansa sind für mich nicht seriös, weil für diese Verkäufe keine konkreten Zahlen vorliegen.
Karl Diller
Umfallen war aber schon immer das Kennzeichen der F.D.P.
Im Haushaltsentwurf für 1996 wurden von 452 Milliarden DM ganze 700 Millionen DM - das sind 0,15 Prozent des Haushaltsvolumens - „eingespart". Das Wort „eingespart" setze ich in Anführungszeichen, weil selbst das nicht durch politische Gestaltung, sondern durch Absenkung von Schätzansätzen erfolgt.
Der Bundesfinanzminister hat kürzlich im Finanzplanungsrat die tatsächlichen Bundesausgaben in diesem Jahr einschließlich Kindergeld auf 468 Milliarden DM beziffert. Das heißt, in vergleichbarer Rechnung, also einschließlich der Systemumstellungen beim Familienleistungsausgleich und bei der Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs, steigt der Bundeshaushalt 1996 um 2,4 Prozent an. Kommen Sie uns ja nicht wieder mit angeblichen Minusraten, Herr Waigel!
Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, ist in Wahrheit das Eingeständnis, einen immer geringer werdenden Beitrag zur Bewältigung notwendiger Strukturveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft unseres Landes zu leisten.
Ihr Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau ist verantwortungslos.
Ihre Handlungsblockaden in der Umweltpolitik sind ein Armutszeugnis.
Ihr Stillstand in der Bildungs- und Forschungspolitik ist für den Standort Deutschland bedrückend.
Ihre Kürzungen der Investitionen sind ein arbeitsmarktpolitischer Skandal.
Ihre Haltung zu den neuen Ländern gefährdet den dortigen wirtschaftlichen Aufbau.
In Ostdeutschland ist vieles in Gang gekommen; aber die Hoffnung, daß die Entindustrialisierung auf Grund des ersten D-Mark-Schocks durch einen sich selbst tragenden industriellen Aufschwung abgelöst wird, hat getrogen. Um so wichtiger ist es, daß die Menschen in den neuen Ländern nicht das Vertrauen in die solidarische Politik des Bundes verlieren.
Der Bundeshaushalt 1996 und die mittelfristige Finanzplanung geben jedoch das falsche Signal; denn die Ausgaben des Bundes für die neuen Länder gehen von 1995 auf 1996 um 16 Milliarden DM zurück,
so daß die Begrenzung der Bundesausgaben im Ergebnis auch auf Kosten der neuen Länder erfolgt. So kürzen Sie zum Beispiel die Mittel für die regionale Wirtschaftsstruktur um eine halbe Milliarde DM und strecken Verkehrsprojekte der deutschen Einheit.
Die Forderungen der ostdeutschen CDU-Abgeordneten haben Sie im Haushaltsausschuß einfach in den Papierkorb geworfen. Ich bin gespannt, ob sich die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion diesen Affront gefallen lassen.
Die Leistungen des Bundes im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms bleiben um über 10 Milliarden DM hinter der 1993 gegebenen Zusage zurück. Das mit diesem Programm verfolgte Ziel, die Finanzen der neuen Länder und Gemeinden auf eine krisenfeste Grundlage zu stellen, wird brüchig. Das muß uns über Fraktionsgrenzen hinweg in der nächsten Zeit intensiv beschäftigen.
Es ist schon ein starkes Stück, Herr Waigel, wenn Sie in diesen Tagen einen Stabilitätspakt zwischen Bund und Ländern anmahnen und gleichzeitig massiv finanzielle Lasten vom Bund auf die Länder und die Gemeinden abschieben wollen:
beispielsweise beim Aufbau Ost, bei der Arbeitslosenhilfe und bei der kostenlosen Beförderung der Schwerbehinderten.
Zum wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland mit Hilfe massiver staatlicher Unterstützung gibt es keine Alternative. Die Förderung darf deshalb nicht zurückgefahren werden, sondern ihre Zielgenauigkeit muß verbessert und effektiver gestaltet werden. Dieser Aufgabe haben Sie sich bisher völlig unzureichend gestellt. Es besteht dort ein Förderwirrwarr. Die über 500 Programme mit über 700 Einzelmaßnahmen müssen konzeptionell überarbeitet und gebündelt werden, damit die Mittel auch dorthin kommen, wo sie wirklich gebraucht werden.
Die Vorbelastung künftiger Haushaltsjahre durch Verpflichtungsermächtigungen hat ein bisher nicht gekanntes Ausmaß angenommen. Im Verkehrshaushalt haben Sie bereits den Punkt erreicht, daß neue Maßnahmen nicht mehr begonnen werden können, weil die Ausgabenansätze gerade dafür reichen, eingegangene Verpflichtungen aus den Vorjahren zu finanzieren. An diesem Punkt ist Ihr Handlungsspielraum bei Null.
Weil der Bund finanziell am Ende ist, weichen Sie im Bildungs-, im Forschungs- und im Verkehrsbereich auf private Vorfinanzierungen aus. Das geht voll zu Lasten künftiger Haushalte. Der Bundesrechnungshof stellt für den Verkehrssektor fest, daß dadurch die Finanzierung der im Bundesverkehrswegeplan vorgesehenen Maßnahmen erschwert wird. Ich fordere Sie, Herr Waigel, auf, sich mit der Kritik
Karl Diller
des Rechnungshofs wirklich auseinanderzusetzen, anstatt sie als lästig beiseite zu schieben.
Wie unkritisch der Bundesfinanzminister mit den Verteidigungsausgaben umgeht, ist ein starkes Stück. Obwohl Sie am 17. Oktober dieses Jahres eine Haushaltssperre verfügten, genehmigen Sie Beschaffungen durch den Verteidigungsminister, die noch nicht einmal im Haushalt eingeplant waren, zum Beispiel den Kauf von gebrauchten Flugzeugen, als wäre das Geld in Hülle und Fülle vorhanden.
Sie lassen es zu, daß sich der Verteidigungsminister durch künstlich überhöhte Veranschlagungen für 1996 eine schwarze Kasse von über 400 Millionen DM zulegt. Der Verteidigungshaushalt ist für Sozialdemokraten kein Steinbruch der Haushaltspolitik, aber wir haben den Eindruck, unter Minister Rühe wird einfach nicht sparsam genug mit dem Geld des Steuerzahlers umgegangen.
Unsere Kürzungsvorschläge in diesem Bereich lehnten Sie im ersten Durchgang ab, um sie im zweiten da wieder aufzugreifen, wo es Ihnen paßt. Dort aber, wo dem Bürger signalisiert würde, daß auch die Regierung Kohl bei sich selbst bereit ist, massiv zu sparen, kneift sie. Warum gibt diese Regierung 450 Millionen DM nur für Propaganda aus?
Ihre falsche Politik wird doch nicht dadurch besser, daß Sie sie in Hochglanzbroschüren millionenfach unter die Leute bringen wollen.
Leider verbietet mir die Verschwiegenheitspflicht nach dem Aktiengesetz und nach dem Kreditwesengesetz, Ihnen darüber ausführlich und konkret zu berichten, was der Rechnungshof zusammengetragen hat. Wenn die Bevölkerung wüßte, was der Bundesrechnungshof auf diesen 48 Seiten alles an milliardenschweren Verschwendungen in der politischen Verantwortung von Minister Waigel kritisiert, dann würde sie ihn aus dem Amt jagen.
Die SPD hat auf Umschichtungsanträge zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts verzichtet, um damit klarzustellen, daß es an diesem völlig verfahrenen Haushalt nichts mehr zu reparieren gibt. Sie haben den Haushalt wie ein Auto gegen die Wand gefahren, und der Rahmen ist total verzogen. Wenn der Rahmen total verzogen ist, dann genügt es nicht mehr, nur die Blechschäden zu reparieren. Da kommt am besten ein neues Auto in Frage.
Deshalb haben wir unsere Alternativen zu Ihrer Politik in einem Entschließungsantrag zur dritten Lesung zusammengefaßt.
Am 14. Dezember dieses Jahres schlägt dem Bundesfinanzminister eine historische Stunde. Der Bund der Steuerzahler hat vor seinem Eingang eine Schuldenuhr angebracht. Die wird an diesem Tag um 15.30 Uhr auf 2 000 Milliarden DM Schulden springen. Innerhalb Theo Waigels Amtszeit haben sich Schulden und Zinslast mehr als verdoppelt. Er und sein Kanzler Kohl sind damit die größten Schuldenmacher aller Zeiten.
1996 werden die Zinszahlungen des Staates 145 Milliarden DM ausmachen, davon allein 92 Milliarden DM beim Bund. Die Zinsen für das Waigelsche Bundesschuldenmassiv - „Schuldenberg" wäre Verniedlichung - fressen die Steuereinnahmen förmlich auf. 1991 waren es noch rund 13 Prozent der Einnahmen oder jede achte Mark, die für Zinszahlungen draufging. Im nächsten Jahr werden es über 26 Prozent sein. Das heißt, jede vierte Steuermark geht ausschließlich für Zinszahlungen drauf. Das ist eine Umverteilungspolitik. Was Sie dem Bürger an Arbeitsmarktpolitik, an einem besseren Verkehrssystem, an besserer Ausbildung oder an mehr Wohnungen verweigern, fließt als Vermögensbildung in die Taschen der Kapitalanleger.
Mehr denn je ist richtig: Sie regieren zu Lasten der Zukunft unserer Kinder.
Der Finanzminister versucht, diese deprimierende Bilanz mit dem Hinweis zu beschönigen, daß er - ich zitiere - in den letzten beiden Jahren, also 1993 und 1994, 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht habe, als im Finanzplan vorgesehen. Herr Waigel, da haben Sie wohl in den falschen Finanzplan geschaut, denn im Finanzplan 1992 veranschlagten Sie für 1993 und 1994 eine Neuverschuldung von zusammen 68 Milliarden DM. Im Ergebnis waren es aber nicht 68 Milliarden, sondern 116 Milliarden DM neue Schulden, und das sind immer noch 48 Milliarden DM mehr, als ursprünglich eingeplant, und nicht, wie Sie behaupten, 40 Milliarden DM weniger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie machen Finanzpläne wohl in Anlehnung an Brechts „Dreigroschenoper" . Da heißt es nämlich:
Ja, mach nur einen Plan,
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, Gehn tun sie beide nicht.
Auch die Beurteilungen aus dem Ausland werden kritischer. Die OECD hat Ihnen vorgehalten, daß Sie falsch rechnen. Nach den OECD-Zahlen steht
Karl Diller
Deutschland bei der Nettoverschuldung, das heißt unter Berücksichtigung der riesigen Überschüsse, die Sozialversicherungen in anderen Ländern haben, schlechter da als USA, Japan, Frankreich oder die skandinavischen Länder. Mit seinem Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt steht Deutschland danach sogar schlechter da als der Durchschnitt der sieben wichtigsten Industrieländer. Herr Waigel, der Lack ist ab, der Glanz bei Ihnen ist hin.
Das 20-Milliarden-DM-Loch im Bundeshaushalt zeigt nur die Spitze des strukturellen Haushaltsdefizits, das Sie mittelfristig weder mit höheren Steuern noch mit immer neuen Schuldenrekorden, noch mit einem ungezügelten Verhökern von staatlichen Vermögenswerten werden schließen können.
Ihre angeblich symmetrische Finanzpolitik von Schuldenabbau und Steuersenkung ist ein Flop. Sie stecken dauerhaft in der Schuldenfalle und haben in Wahrheit kein Geld für Steuersenkungen.
Die SPD-Fraktion zieht aus dem Steuereinbruch von 55 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden drei Schlußfolgerungen:
Erstens. Mit Ihrer Steuerpolitik haben Sie die Axt an die finanziellen Grundlagen unseres Staates gelegt. Ihre Steuerpolitik ist zusammengebrochen. Wie urteilte der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes:
Das System ist konzeptlos, die Steuersätze sind maßlos, und die Bürger sind fassungslos.
Recht hat er!
Viermal mußte das Bundesverfassungsgericht die Regierung Kohl zur Ordnung rufen: beim Familienleistungsausgleich, beim steuerfreien Existenzminimum, bei der Zinsbesteuerung und jüngst bei den Einheitswerten. In allen Fällen hatten Sozialdemokraten tragfähige verfassungskonforme Konzepte vorgelegt, denen Sie sich über lange Zeit verweigerten.
Beim Familienleistungsausgleich und beim steuerlichen Grundfreibetrag und jetzt bei der Wohnungsbauförderung haben wir Sozialdemokraten die Bundesregierung und die Koalition im Ergebnis dazu gebracht, unsere Vorstellungen zu übernehmen. Aber die Reparatur der Grundübel Ihrer Steuerpolitik in den letzten zwölf Jahren steht noch aus. Sie haben die Belastung des Durchschnittsverdieners mit Steuern und Abgaben auf 48 Prozent geschraubt. Die Regierung Kohl ist damit der größte Steuer- und Abgabenerhöher aller Zeiten.
Ihre Steuerpolitik hat zu einer vollkommenen Unübersichtlichkeit des Steuerrechts und zu einer totalen Überforderung der Finanzverwaltung geführt. Ergebnis ist ein immer stärkeres Auseinanderfallen der Spitzensteuersätze einerseits und der tatsächlichen Steuerbelastung andererseits. Ihre Politik hat das Tor zur legalen Steuerverkürzung, aber auch zur illegalen Steuervermeidung weit geöffnet. Der Steuerehrliche ist durch Ihre Politik der Dumme. Das ist das Schlimme daran.
Der Überbelastung des Normalverdieners steht die Übersubventionierung unproduktiver Kapitalanlagen gegenüber. Diese Bundesregierung hilft denen, die sich selber helfen können. Diese Bundesregierung fördert die Vermögensbildung bei denen, die bereits Vermögen haben. Die Gerechtigkeitslücke ist weiter aufgerissen denn je.
Der Staat verfügt über keine verläßlichen Schätzgrundlagen mehr für seine Steuereinnahmen. Der dramatische Steuereinbruch von 55 Milliarden DM geht zu einem hohen Anteil darauf zurück, daß Steuersubventionen von Kapitalanlegern in einem wesentlich höheren Ausmaß als erwartet in Anspruch genommen werden.
Diese Milliardenausfälle müssen Anlaß zu einer Durchforstung, Herr Waigel, und Korrektur ganz offensichtlicher Fehlsubventionierungen sein. Es geht nicht an, daß uns die Vermögenden und die Spekulanten mit überzogenen Steuerabschreibungen riesige Haushaltslöcher reißen und Sie dann die staatlichen Investitionen in Bildung, in Forschung, in Arbeit und Wohnen dafür kürzen wollen. Das geht nicht an.
Dazu dürfen Sie als Bundesfinanzminister nicht länger schweigen. Hier haben Sie nicht nur einen Handlungsbedarf, hier besteht Handlungszwang.
Die zweite Schlußfolgerung aus dem 55-Milliarden-Loch heißt: Die Regierung Kohl ist nicht in der Lage, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu verbessern, daß von ihnen ein durchgreifender Impuls auf die Beschäftigung ausgeht. Wie Sie, Herr Waigel, noch erwarten können - ich zitiere Sie -, „daß die private Nachfrage als wichtigste Konjunktur- und Wachstumsstütze kräftig anzieht", das bleibt Ihr Geheimnis.
Durch Ihre verfehlte Politik steigen nämlich 1996 die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung. Einschließlich der Pflegeversicherung gehen im nächsten Jahr rund 30 Milliarden DM
Karl Diller
an Abgabenerhöhungen zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Betriebe.
Sie machen damit weitgehend kaputt, was wir Sozialdemokraten Ihnen mühsam zur finanziellen Entlastung der Bürger und der Familien mit Kindern abgerungen haben.
Die Regierung Kohl dreht sich auf einem Steuer- und Abgabenkarussell ohne Ende.
Die dritte Schlußfolgerung aus dem 55-MilliardenLoch heißt: Die Grundlagen Ihrer mittelfristigen Finanzplanung sind zusammengebrochen.
Kennzeichnend dafür ist bereits die Art und Weise, wie Sie mit dem konjunkturell bedingten Steuerausfall umgehen. Noch beim Konjunktureinbruch 1993 waren Sie der Meinung: Konjunkturell bedingte Steuermindereinnahmen sind durch eine Erhöhung der Neuverschuldung auszugleichen. Sie nannten dies - ich zitiere Sie -: die antizyklischen Stabilisatoren wirken lassen. Jetzt aber müssen Sie diesen Weg scheuen, weil Sie damit eine Lawine lostreten würden. Jeder weitere Anstieg über die sprunghaft auf 60 Milliarden DM gestiegene Neuverschuldung hinaus käme nämlich Ihrem öffentlichen Eingeständnis gleich, daß Ihre Politik gescheitert ist, daß Steuersenkung und Abbau der Staatsquote in weite Ferne gerückt sind.
Ihre Finanzplanung sieht für 1997 bisher eine Neuverschuldung von 50 Milliarden DM vor. Das wäre kein Abbau, sondern so hoch wie dieses Jahr. Dazu kommen aber der Basiseffekt des jetzigen Einbruchs bei den Steuereinnahmen - er ist noch nicht berücksichtigt - sowie ein weiterer Bedarf in Milliardenhöhe bei der Bundesanstalt für Arbeit, für den Sie auch nicht vorgesorgt haben.
Schließlich stehen Sie immer noch bei Leistungsverbesserungen, zum Beispiel beim Wohngeld, im Wort.
Wenn man das zusammenrechnet, kommt man in die Größenordnung eines zweistelligen Milliardenrisikos für 1997. Das heißt, der von Minister Rexrodt vor wenigen Monaten errechnete Steuersenkungsspielraum von 50 Milliarden DM bis 1998 ist dahingeschmolzen wie Schnee in der Sonne, der angekündigte Spielraum für Senkungen des Solidarzuschlags genauso.
Ob Unternehmensteuerreform oder Solidarzuschlag,
lassen Sie sich eines gesagt sein: Für Steuersenkungen auf Pump sind wir Sozialdemokraten nicht zu haben.
Die Regierung Kohl/Waigel versucht immer noch, sich um die Wahrheit herumzumogeln, daß die öffentlichen Haushalte nur zu sanieren sind, wenn die gewaltigen Kosten der Arbeitslosigkeit - man sagt: 140 Milliarden DM jährlich - deutlich gesenkt werden. Das darf aber nicht durch Sozialabbau wie mit der von Ihnen vorgesehenen Kürzung der Arbeitslosenhilfe um 3,4 Milliarden DM geschehen, sondern das muß durch eine Politik erfolgen, die wettbewerbsfähige neue Arbeitsplätze schafft.
Während diese Bundesregierung den Sozialstaat vor allem als Kostenfaktor sieht, ist die soziale Sicherheit für Sozialdemokraten ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil des Standortes Deutschland. Die Politik der Regierung Kohl reduziert sich auf fortwährende Angriffe gegen den Sozialstaat, auf Angriffe gegen die Tarifautonomie, auf Angriffe gegen die Mitbestimmungsrechte,
auf Angriffe gegen die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung und gegen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Ihre Antwort auf den rasanten ökonomischen Strukturwankel, auf die Internationalisierung der Produktions- und Kapitalmärkte ist die Teilnahme am weltweiten Kostensenkungswettlauf. Wenn Sie Kostensenkung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Personalseite und durch Entlassungen suchen, geben Sie einen unverzichtbaren Standortvorteil dieses Landes auf. Sie entwerten unser Kapital an hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Von Ludwig Erhard bis Helmut Schmidt galt: Moderne Wirtschaftspolitik ist gleichzeitig auch fortschrittliche Gesellschaftspolitik.
Es war das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft, das diesem Land einen beispielhaften Wohlstand ermöglichte. Wir Sozialdemokraten wollen deshalb eine neue, auf enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Gewerkschaften, Staat und Bundesbank ausgerichtete Strategie von Angebots- und Nachfragepolitik, die die Umgestaltung der industriellen Produktion vorantreibt. Mit einer ökologischen Modernisierung der Wirtschaft wollen wir Zukunftsmärkte erschließen und neue Arbeitsplätze schaffen. Während sich Ihre Koalition über eine ökologische Steuerreform zerstreitet und mit der Einführung einer CO2-/ Energiesteuer ebenso Schiffbruch erleidet wie mit der Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralöl-
Karl Diller
steuer, haben wir Sozialdemokraten ein Konzept vorgelegt, das die Kräfte des Marktes für den Umweltschutz nutzbar macht. Die Leitidee unserer Steuerreform heißt: Runter mit den Lohnnebenkosten bei gleichzeitigen Anreizen für mehr Umweltschutz und Energieeinsparung! Und dieses Konzept wird strikt aufkommensneutral sein.
Wir wollen eine Technologie- und Strukturpolitik, die die Herstellung innovativer und international wettbewerbsfähiger Produkte vorantreibt. Nur auf diesem Wege kann der internationale Wettbewerb gewonnen werden. Erforderlich ist industrielle Zusammenarbeit in Forschung, Ausbildung, Produktion und Vertrieb, um die in Deutschland vorhandenen Spitzentechnologien zur Entwicklung neuer Produkte zu verknüpfen. Dafür muß die Wirtschaft flexibler werden. Die Politik kann fehlende Innovationskraft bei den Unternehmen nicht ersetzen. Aber wir können durch die Modernisierung des Staates unseren Beitrag dazu leisten, meine Damen und Herren.
Investitionen in Bildung, Ausbildung, Forschung und Wissenschaft sind Investitionen für die Zukunft. Deshalb brauchen wir eine Qualifikationsoffensive und eine Reform des dualen Ausbildungssystems. Damit meinen wir keine kurzatmigen Sonderprogramme und auch keine rückwärtsgewandten BAföG-Verschlechterungen à la Rüttgers. Sie wollen damit doch nur fähige junge Leute aus einfachen Verhältnissen vom Studium abschrecken.
Dieses Land braucht aber keine Abschreckung, sondern eine Strategie zur Ausschöpfung der im Volk vorhandenen Bildungspotentiale, meine Damen und Herren.
Mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wollen wir dafür sorgen, daß die Mittel, die jetzt vor allem für die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden, künftig verstärkt für die Finanzierung von Arbeit eingesetzt werden. Unser Konzept zur Modernisierung und Verzahnung der Arbeitsmarkt- und der regionalen Strukturpolitik und für eine bessere Verteilung der Arbeit liegt dem Bundestag vor. Weil dies angesichts von 3,5 Millionen Arbeitslosen vordringlicher ist als alles andere, fordern wir Sie erneut auf: Verweigern Sie sich nicht weiter, sondern beschreiten Sie mit uns neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Beschäftigung führen!
Der Sozialstaat muß finanzierbar bleiben,
aber nicht durch Sozialabbau, sondern durch eine
Politik des sozialen Umbaus. Nur wenn die Politik
den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften dabei
ermöglicht, trotz zunehmender persönlicher Risiken den Strukturwandel engagiert und motiviert mitzutragen, wird die Modernisierung Deutschlands gelingen. Deshalb erteilen wir Ihren erneuten Angriffen auf die Arbeitslosenhilfe eine deutliche Absage.
Wir Sozialdemokraten halten am Ziel einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fest; sie muß kommen. Aber sie darf nur kommen als Stabilitätsgemeinschaft. Deshalb müssen die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages strikt eingehalten und durch eine bessere Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Teilnehmerstaaten auf Dauer gesichert werden.
Zuruf von der CDU/CSU: Das habt ihr vom
CDU-Parteitag abgeschrieben!)
Wenn die Feststellung des Finanzministers zu den Chancen eines Mitgliedstaates, 1997 die MaastrichtKriterien zu erfüllen, zum Absturz der dortigen Währung, der Lira, und zu Wettbewerbsnachteilen für deutsche Unternehmen führt, dann ist das ein Alarmzeichen. Anscheinend gibt es in Europa eben doch die Meinung, daß im Zweifel die Stabilitätskriterien politisch aufgeweicht werden, um einer größeren Zahl von Mitgliedsländern den Eintritt in die Währungsunion zu ermöglichen.
Gemeinsames Geld ist gemeinsames Schicksal, meine Damen und Herren. Deshalb wird die Fraktion der SPD einer gemeinsamen europäischen Währung nur zustimmen, wenn sichergestellt ist, daß dieses Geld auf Dauer so stabil ist wie die Deutsche Mark.
Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die vielfach geäußerten Befürchtungen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger wirklich ernst zu nehmen. Sie sind mit Ihrer Politik den überzeugenden Beweis schuldig geblieben, Herr Kohl, daß die Wirtschafts- und Währungsunion zu mehr Wachstum und zu mehr Arbeitsplätzen führen wird. Bereits bei der Errichtung des Binnenmarktes 1992 haben Sie, Herr Bundeskanzler, den Menschen mehr Arbeit versprochen. Aber Sie haben die zunehmende Verflechtung innerhalb Europas nicht zu einer europäisch abgestimmten Wachstumsinitiative für mehr Arbeitsplätze genutzt. Statt eines europäischen Beschäftigungspaktes ist der Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen EU-weit eingetreten.
Mit einer solchen Politik können Sie aber keine Zustimmung der Bevölkerung erwarten.
Die Bürger meines Wahlkreises - er liegt an der luxemburgischen Grenze, wie Sie wissen - erleben täglich, wie die Vermögenden aus der ganzen Republik ihr Geld auf der A 48 über die Grenze schaffen und bei den Filialen deutscher Bankhäuser in Luxemburg .
Karl Diller
mutmaßlich auch Beihilfe zur Steuerhinterziehung erwarten.
Ein Bundesfinanzminister, der durch eine verfassungswidrige Besteuerung der Kapitalerträge diese Zustände selbst mit herbeigeführt hat und eine europäische Regelung der Kapitalbesteuerung nicht durchsetzen kann, bringt Europa in Verruf und braucht sich nicht über die Kritik der Menschen zu wundern.
In der Amtszeit unseres ehemaligen Haushaltsausschußkollegen, des jetzigen Ministers für Agrar, lieber Kollege Jochen Borchert, ist der europäische Agrarmarkt keinen Deut effizienter geworden. Wenn der Europäische Rechnungshof Maßmanagement, Betrug und Verschwendung in einer Größenordnung bis zu 4 Prozent des EU-Haushalts feststellt, dann ist Theo Waigel persönlich gefordert, hier einzuschreiten, meine Damen und Herren. Wenn in den Augen der Bürger nationale Gesetzgebung, angefangen vom Kartellrecht, über Umwelt- und Sozialstandards bis hin zur Frauenförderung, durch europäisches Recht ausgehöhlt wird, dann trägt die Bundesregierung Mitverantwortung, weil sie in Brüssel mitbeschließt.
Es ist eine Schande, daß die Regierung Kohl den 4. Rahmenplan zur Förderung der Frau in der Europäischen Union bis jetzt blockiert.
Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung ihre europäischen Hausaufgaben macht, damit die Bürger von der Notwendigkeit, der Machbarkeit und den Vorteilen einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion überzeugt sein können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der ersten Lesung des Bundeshaushaltes vor zwei Monaten haben wir unsere Kritik in den Worten zusammengefaßt, daß das Motto dieses Haushaltes nicht „Sparen und Gestalten" ist, wie Theo Waigel behauptete, sondern „Verschieben und Spalten" . Dieses Urteil über den Haushalt 1996 ist durch die Haushaltsberatungen noch verstärkt worden. Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung legt die Axt an die finanziellen Grundlagen unseres Staates.
Als nächster spricht der Kollege Adolf Roth.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Diller, ich kann Sie irgendwie ganz gut verstehen.
Die SPD ist als Partei und als Fraktion schon lange gänzlich von der Rolle. Aus den Chaostagen im Sommer sind Wochen und sogar Monate geworden. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich verständlich, daß Sie nach einem politischen Szenenwechsel geradezu süchtig sind. Sie haben aber scheinbar nicht gemerkt, daß Sie zu diesem Anlaß das absolut falsche Thema und auch die falsche Zielscheibe gewählt haben.
Eines garantiere ich Ihnen: Der Arbeitsplatz von Theo Waigel ist garantiert sicherer als der Arbeitsplatz von Rudolf Scharping.
Ein Weiteres müssen Sie ertragen: Dem Bundeskanzler Helmut Kohl fällt nach 13 erfolgreichen Amtsjahren das Regieren allemal leichter als der SPD die Rolle der Opposition unter ihrem mittlerweile sechsten Gegenkandidaten.
: Sagen Sie mal etwas zum Haushalt! - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da fallen einem ja die letzten Haare aus!)
Es trifft sich gut, daß der Finanzminister Theo Waigel inzwischen genauso lange im Amt ist
wie der zweite Finanzminister, den die Regierung Helmut Kohl gestellt hat, Gerhard Stoltenberg.
Wir sind auf beide Finanzminister stolz. Sie haben beide unsere Anerkennung; sie haben beide Großes geleistet. Beide haben immer unser Vertrauen gehabt.
Deshalb lautet die ruhige Botschaft dieser Haushaltswoche:
Die Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und F.D.P., werden den Bundeshaushalt 1996 in der zweiten und in der dritten Lesung mit ihrer stabilen Mehrheit so verabschieden, wie wir ihn in arbeitsreichen Wochen im Haushaltsausschuß fertiggestellt haben.
Adolf Roth
Dieser Bundeshaushalt ist ein klassischer Sparhaushalt.
- Herr Kollege Fischer, an Ihrer Stelle wäre ich etwas zurückhaltender. Ihr etwas verwahrloster hessischer Landesverband diskutiert jetzt auf Landesdelegiertentagungen, ob Ihre Partei eine normale oder mittlerweile eine stinknormale Partei geworden ist, wobei darüber gestritten wird, auf welcher Silbe die eigentliche Betonung liegt.
Die Konsolidierungsziele und Eckwerte, die wir im Sommer im Regierungsentwurf aufgestellt haben, sind ebenso wie die Stabilitäts- und Haushaltskriterien der Europäischen Union, also die niedrige Inflation, das begrenzte öffentliche Defizit und die beschränkte Gesamtschuldenaufnahme der öffentlichen Hand, eingehalten worden.
Kollege Diller, die Flucht in höhere Steuern oder zusätzliche Schulden findet nicht statt.
Das ist Ihr Pech - denn Sie haben das seit Monaten angekündigt -, aber es ist gut für die deutschen Steuerzahler, die Verbraucher und die Wirtschaft. Dieser Haushalt ist ausgeglichen. Er paßt in die konjunkturpolitische Landschaft, ist stabilitätsgerecht, vertrauensbildend
und widerlegt Punkt für Punkt das Katastrophengeschwätz, mit dem die Opposition das Fehlen einer eigenen Alternative in diesem Haus überdecken will.
Ich habe mir wirklich ernsthaft vorgenommen, Kollege Diller, der Sie jetzt telefonieren,
mir zu notieren, was Sie in Ihrem Beitrag an haushaltspolitischen Alternativen vorgebracht haben.
Ich habe auch das Alternativkonzept des SPD-Fraktionsvorsitzenden Scharping mitgebracht, um beides zusammenschreiben zu können. Hier ist das Konzept: Hinten nichts, vorne nichts! Leeres Blatt, leeres Gerede! Von einer Regierungsfähigkeit sind Sie Welten entfernt. Ich sage Ihnen: Das wird auch so bleiben.
Wenn Sie nämlich über ein schlüssiges Haushaltskonzept verfügten, dann hätten Sie das hier vorgetragen und nicht auf die dritte Lesung verschoben. Damit hätten Sie vielleicht mehr Aufmerksamkeit erzielen können als mit Ihrem verunglückten Auszugsmanöver bei der Haushaltsschlußberatung. Budenzauber, Ramba-Zamba - das alles war für die Öffentlichkeit sehr eindrucksvoll. Es ist aber kein Ersatz für eine anständige und seriöse Politik. Sie haben sich damit eher blamiert.
Da wir als Haushaltspolitiker unsere eigenen Traditionen haben, möchte ich an dieser Stelle innehalten und es trotz aller Kritik nicht versäumen, mich nach diesen Wochen der Arbeit bei allen Haushaltskollegen zu bedanken. Das gilt für die Haushälter der SPD wie auch für die der CDU/CSU und der F.D.P., vor allem für meinen Kollegen Dr. Wolfgang Weng. Ich möchte meinen Dank aussprechen für eine bis zur Schlußwoche durchaus zügige und ergebnisorientierte Arbeit am Bundeshaushalt 1996. Einschließen möchte ich auch alle Mitarbeiter der verschiedenen Ebenen und die Ressorts. Besonders danke ich dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Helmut Wieczorek, für seine in allen Situationen souveräne Handhabung seines Amtes.
Erstmals seit 1953 werden wir 1996 - also nach vier Jahrzehnten - die Ausgaben des Bundes deutlich senken. Mit 451 Milliarden DM sind sie um 26 Milliarden DM unter dem Soll des laufenden Haushaltsjahres veranschlagt und liegen trotz der erkennbaren Mehrbelastungen, trotz der zusätzlich eingestellten Arbeitsmarkt-Milliarden um 700 Millionen DM unter dem Ansatz des Regierungsentwurfs.
Die investiven Ausgaben - Sie haben das als Skandal hinstellen wollen - erreichen mit über 66 Milliarden DM ein deutlich über dem Durchschnitt der letzten Jahre liegendes, konjunkturpolitisch sehr erfreuliches Niveau. Mit 59,9 Milliarden DM liegt die Nettokreditaufnahme finanzplangerecht und entspricht dem von der Koalition gesetzten Rahmen. Meine Damen und Herren, dies ist ein sauberes und gutes Ergebnis. Sie sollten es neidlos anerkennen.
Für Theo Waigel und die Bundesregierung bedeutet das enge Korsett dieser Haushaltsbewilligung aber auch - wie in den zurückliegenden Jahren - einen beträchtlichen Härtetest in der Haushaltsführung. Denn Haushaltspolitik spielt sich ja nicht an einigen wenigen Tagen ab, sondern muß auf die Dauer der zwölfmonatigen Geltungszeit der Veranschlagung tragfähig sein. Der Kredit- und der Ausgabenrahmen müssen eingehalten werden. Das, was der Bundesfinanzminister in diesem Jahr trotz der Mindereinnahmen, die zu verkraften waren, geschafft hat, wird er mit unserer Unterstützung auch im kommenden Jahr erreichen. Dessen bin ich ganz zuversichtlich.
Es stimmt, daß die Finanzierung dieses Haushalts wegen der um 13 Milliarden DM niedrigeren Steuereinnahmen ohne zusätzliche Einnahmen aus Privatisierungen und Beteiligungsverkäufen dieses Mal nicht erreichbar gewesen wäre. Kollege Diller, Sie haben etwas anderes erhofft und sind jetzt zornig,
Adolf Roth
daß wir das angestrebte Ergebnis trotzdem erreicht haben.
Die Kritik der Opposition an diesen zusätzlichen Einnahmen ist in der Sache nicht nachvollziehbar. Dieser Weg ist nämlich haushaltspolitisch richtig, weil nur so eine deutliche Erhöhung der Nettokreditaufnahme mit all ihren negativen Auswirkungen auf Zinsen, Investitionen und Arbeitsplätze vermieden werden kann. Dieser Weg ist konjunkturpolitisch richtig, weil die verfügbaren Einkommen der Verbraucher ungeschmälert bleiben und das Wachstum stabilisiert wird. Dieser Weg ist wirtschafts- und ordnungspolitisch richtig, weil er dazu beiträgt, die staatliche Komponente in unserer Wirtschaft weiter zu reduzieren. Meine Damen und Herren, das ist seit jeher das ordnungspolitische Credo dieser Koalition gewesen; es ist politisch gewollt. Deswegen sind wir froh, daß es im nächsten Jahr zu diesem wichtigen Privatisierungsschritt kommen wird.
Sie reiben sich an der Form der Haushaltsveranschlagung und üben Kritik, weil durch den vollständigen Ausgleich Ihre Negativrechnungen und Ihre Katastrophenbilder ins Wanken gekommen sind. Dieser Kritik fehlt allerdings jede sachliche Berechtigung.
Denn die Haushaltssouveränität des Parlaments ist in jeder Phase dieser Beratungsrunde beachtet worden. Als Opposition haben Sie sämtliche Bereinigungsvorlagen, Anträge, Deckblätter, Vermerke und Erläuterungen gehabt. Das waren dicke Ordner und Bündel. Jetzt die Sache hier so darzustellen, als sei das auf einem einzigen Blatt Papier zusammengefaßt gewesen, ist eine Irreführung der Öffentlichkeit. Das weisen wir entschieden zurück.
Die als zusätzliche Privatisierungseinnahmen veranschlagten Einzelpositionen sind korrekt und eher vorsichtig bewertet: Die Einnahmen aus der Verwertung der VEAG-Vermögensverwaltungsgesellschaft stehen mit 1,7 Milliarden DM zur unmittelbaren Rückführung in den Bundeshaushalt zur Verfügung. Bei der Privatisierung der Postbank liegen bereits konkrete Angebote vor. Es ist deshalb irreführend und absurd, wenn der in Ansatz gebrachte Betrag von 3,1 Milliarden DM hier als „Luftbuchung" apostrophiert wird. Meine Damen und Herren, über das eigentliche Konzept wird im Verlauf des kommenden Jahres parlamentarisch und politisch zu entscheiden sein, wenn alle Vorprüfungen abgeschlossen sind. Aber wir wollen diese Privatisierung, und sie ist richtig.
Bei den zur Veräußerung anstehenden Beteiligungen des Bundes an Wohnungsbaugesellschaften liegt der Substanzwert erheblich über dem zunächst angesetzten Betrag von 4 Milliarden DM. Die Aufstachelung der Mieter durch die Opposition und auch
durch Sie, Herr Diller, ist nichts weiter als eine bösartige Panikmache.
Die Veräußerung des Bundesanteils an der Deutschbau und an der Frankfurter Siedlungsgesellschaft mindert die Rechte der Mieter in keiner Weise, insbesondere ändert die Veräußerung nichts an der Sozialbindung des jeweiligen Wohnungsbestandes. Auch hier ist eine parlamentarische Beteiligung bei der Privatisierung im nächsten Jahr eindeutig vorgesehen.
Mit dem Privatisierungspaket gleicht der Bund in vernünftiger Weise die Einnahmelücken der jüngsten Steuerschätzung aus und wählt damit das gesamtwirtschaftlich schonendste Verfahren.
Meine Damen und Herren, zu den Schätzabweichungen der letzten Steuerschätzung hat es in den zurückliegenden Wochen einige bissige Kommentare gegeben. Soweit sie sich ausschließlich auf Theo Waigel konzentrierten, haben sie den Adressaten verfehlt, denn im Arbeitskreis „Steuerschätzung" sitzen neben dem Bund die SPD-regierten Bundesländer. In gleicher Weise sind die Institute, die Sachverständigen und die Bundesbank beteiligt.
Theo Waigel ist derjenige, der als erster öffentlich den Korrekturbedarf deutlich gemacht sowie klare Konsequenzen angekündigt und gezogen hat. Unmittelbar nach seiner Rückkehr von den Beratungen auf der Weltwährungstagung in Washington hat er hier im Deutschen Bundestag am 12. Oktober 1995 eine klare Aussage gemacht und die konsequente Ausnutzung der verfügbaren Privatisierungspotentiale des Bundes angekündigt. Wodurch sind Sie eigentlich überrascht worden, wenn Sie bei diesen Diskussionen und Debatten selbst anwesend waren?
Die Kritik am Finanzminister ist nichts weiter als ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Ich kann Ihnen eines sagen: Wenn der Internationale Währungsfonds, die OECD und andere Organisationen die deutsche Finanzpolitik als „beispielhaft für ganz Europa" einschätzen und öffentlich so bewerten, dann werden Sie mit Ihrer Philippika und Ihren Angriffen an einem nichts ändern: Gemeint sind bei dieser vorbildhaften Finanzpolitik nicht die Herren in Hannover und Saarbrücken, die Finanzspezialisten der SPD, gemeint sind Theo Waigel und diese Bundesregierung mit ihrer Arbeit in den letzten Jahren.
Für uns Christliche Demokraten sind die aufgetretenen Steuermindereinnahmen kein Schreckensszenario. Wenn die steuerlichen Fördermaßnahmen in den neuen Ländern greifen oder wenn bei weitgehend inflationsfreiem Wachstum unserer Wirtschaft die „heimlichen" Steueraufblähungen ausbleiben, dann wird das von unserer Seite eher begrüßt als verurteilt. Seit Konrad Adenauer wissen wir, daß stabiles Geld die beste Sozialpolitik ist. Stabiles Geld ist auch ein Schutz vor einer gefährlichen Steuerdynamik. Es ist mir unerklärlich, was Sie dazu treibt, in diesem Zusammenhang, also bei Steuermindereinnahmen bei stetiger und durchaus stabiler Konjunktur, von ei-
Adolf Roth
nem „Fiasko für den Bundeshaushalt" zu schwadronieren. Einerseits beklagen Sie populistisch eine zu hohe Steuer- und Abgabenlast, andererseits schreien Sie Zeter und Mordio, wenn die Steuereinnahmen einmal hinter den Erwartungen zurückbleiben. Meine Damen und Herren, das paßt einfach so nicht zusammen.
Die Steuer- und Abgabenlast ist in Deutschland tatsächlich zu hoch. Der durch die Stabilitätspolitik dieser Koalition gezügelte Steuerzufluß ist aber kein Krisensymptom, erst recht nicht, wenn der Ausgleich ohne Erhöhung der Defizite zustande kommt.
Entgegen dem sachverständigen Rat der Institute gehen wir nicht den Weg höherer Verschuldung, weil dieser Weg falsch ist. Eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme hätte negative Auswirkungen auf die Zinsen, die Investitionen und damit auch auf die Arbeitsplätze. Die zusätzlichen Privatisierungseinnahmen erlauben es uns 1996, konjunkturpolitisch unerwünschte Eingriffe in den Wirtschaftsablauf zu vermeiden.
Wenn es also in der deutschen Finanzpolitik ein Fiasko gibt, dann ist es eher das Fiasko der sogenannten Finanzexperten der Opposition. Niemand hat sich in den letzten Jahren mehr verschätzt als die SPD.
Statt der 50 Milliarden DM Nettokreditaufnahme, die im laufenden Jahr 1995 getätigt wird, haben Sie gerade vor einem Jahr, vor der letzten Bundestagswahl, öffentlich ein 100-Milliarden-DM-Finanzloch an die Wand gemalt. Sie, Oskar Lafontaine und Ingrid Matthäus-Maier, haben sich damit um nicht- weniger als 100 Prozent verschätzt. Ihre Schätzfehler sind so groß wie die gesamte Nettokreditaufnahme in diesem Jahr.
- Frau Matthäus-Maier, überschätzen Sie Ihre Kräfte nicht weiter, sonst sind Sie mitten in der nächsten Fehlschätzung.
Der Etat 1996 ist ein Sparhaushalt ohne Wenn und Aber. Die Bundesregierung und die Koalition haben das beschlossene Ausgabenmoratorium strikt eingehalten. Was nicht in den Plafonds erbracht oder durch nachhaltige Einsparungen gedeckt wird, hat bei uns keine Chance auf eine Haushaltsbewilligung gehabt. Ausdruck dieser Entschlossenheit sind das insgesamt niedrigere Etatvolumen und der um die Neuordnung beim Familienleistungsausgleich bereinigte Ausgabenrückgang von rund 7 Milliarden DM oder 1,4 Prozent.
Wir haben dieses Ergebnis erreichen können, weil wir den rigorosen Sparkurs der letzten Jahre noch einmal verschärft haben. Der Sach- und Verwaltungsaufwand des Bundes wurde kompromißlos nach unten korrigiert; an die tausend Titelabsenkungen belegen dies. Die Personalstellenpläne der obersten Bundesbehörden und des nachgeordneten Bereichs werden, von wenigen sicherheitsrelevanten Komplexen abgesehen, 1996 kegelgerecht um weitere 1,5 Prozent gekürzt, womit rund 4 000 Planstellen und Stellen eingespart werden können.
Als Haushaltsgesetzgeber erwarten wir Signale des Umdenkens: Im zeitlichen Umfeld des Parlaments- und Regierungsumzugs nach Berlin müssen sich sämtliche Häuser und Verwaltungen einer Organisationsstrukturreform unterwerfen, mit der Schwachstellen aufgedeckt und beseitigt werden sollen. Was in Bonn nach eingehender Analyse nicht mehr zeit- und aufgabengerecht ist, das wollen wir in Berlin erst gar nicht so sehen. Deshalb müssen die Ressorts hier auf den Prüfstand,
Weitere 6 Milliarden DM Einsparungen sind beim Zinsaufwand des Bundes, beim Erblastentilgungsfonds, bei den Zuschüssen zur Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben sowie bei der Aktualisierung von Schätzansätzen der Leistungsgesetze erzielt worden.
Zum Thema Ausgabendisziplin im parlamentarischen Haushaltsverfahren gehört aber auch, daß wir die zum Teil massiven Mehrausgabeforderungen der Opposition zurückgewiesen haben.
Sparvorschläge der SPD hat es ohnehin nicht gegeben.
Bei einer objektiven Gesamtbewertung sollten Sie nicht immer wieder die Ausgangslage nach Inkrafttreten der Solidarpaktregelungen in Deutschland und des neuen Bund-Länder-Finanzausgleichs außer acht lassen. Mit Mehrausgaben und Steuerverzichten von insgesamt 50 Milliarden DM ist hier der Bund in besonderer Weise belastet, insbesondere durch die Erblasten. Ferner kommen 1996 rund 19 Milliarden DM an politisch gewollten Steuerentlastungen hinzu. Allein die Entlastungen für die Familien belasten den Bundeshaushalt mit 12 Milliarden DM. Weitere 8 Milliarden DM für den deutschen Steinkohlebergbau als Folge des weggefallenen Kohlepfennigs und bis zu 9 Milliarden DM für die ab 1996 in den Verkehrshaushalt übernommene Kreditaufnahme des Bundeseisenbahnvermögens sind zu verkraften gewesen.
Wenn Sie das alles zusammenrechnen und dann noch die aktuellen Steuerausfälle und die Mehrbelastungen durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt im Bundeshaushalt 1996 berücksichtigen, dann kommen Sie auf ein Gesamtvolumen von an die 100 Milliarden DM, das letztlich bewältigt und integriert werden mußte. Dies ist aber gelungen! Ich hätte einmal hören wollen, wie Ihre Kritik ausgefallen wäre, wenn wir in diesem Jahr am Ziel unserer Haushaltsvorgaben deutlich vorbeigeschossen wären.
Adolf Roth
Meine Damen und Herren, die politische Gestaltung im Bereich der wichtigen Zukunftsfelder ist gleichwohl nicht auf der Strecke geblieben. Beim Forschungs- und Bildungshaushalt haben wir keine Abstriche gemacht, sondern wesentliche Strukturverbesserungen eingeleitet. Ich erinnere nur an die Stichworte BAföG, Meister-BAföG, Hochschulbau, mittelständische Forschung und Entwicklung.
Wir haben im Verkehrshaushalt große Anstrengungen unternommen, um den investiven Anteil zu verstärken; denn er ist der wichtigste Investitionshaushalt des Bundes. Insbesondere mit Blick auf die aktuelle Bedarfssituation in den alten und den neuen Bundesländern haben wir im Haushaltsausschuß die Baransätze für den Bundesstraßen- und Bundesfernstraßenbau nochmals um rund 300 Millionen DM erhöht; zusätzlich 100 Millionen DM können aus Mehreinnahmen aus der Lkw-Vignette dem Straßenbau zugeführt werden. Damit ist sichergestellt, daß wichtige baureife Vorhaben planmäßig begonnen werden können und im Bereich der Infrastrukturinvestitionen ein deutlicher Verstärkungsimpuls gegeben wird, nicht zuletzt auch ein Investitionsimpuls für die Bauwirtschaft, die das gut gebrauchen kann. Aber es ist auch ein Beitrag zur Standortverbesserung in Deutschland.
Meine Damen und Herren, auch 1996 wird der Bund etwa jede vierte Mark für den Aufbauprozeß in den neuen Ländern ausgeben. Unsere Politik trägt dort Früchte. Das kontinuierlich überproportionale Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft drückt sich in ersten Entlastungseffekten auf dem Arbeitsmarkt aus. Wir haben für das Lehrstellenprogramm Ost 138 Millionen DM für bis zu 14 500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze bereitgestellt. Wir haben im Bereich der Industrieforschung Ost 60 Millionen DM zusätzlich im Haushalt ausgebracht und die Mittel damit auf 365 Millionen DM erhöht. Wir haben die Verpflichtungsermächtigungen beim Eigenkapitalhilfeprogramm um weitere 70 Millionen DM angehoben. Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost 1996 auch dafür gesorgt, daß ausreichende Wirtschaftsförderungsmittel zur Verfügung stehen, gegebenenfalls verstärkt durch nicht verbrauchte Haushaltsreste aus dem laufenden Jahr.
Wichtigstes Zukunftsfeld bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland. Ihr gegenwärtiges Ausmaß mindert unser Bruttoinlandsprodukt um 200 Milliarden DM jährlich und kostet uns vom tatsächlich erwirtschafteten Inlandsprodukt jedes Jahr weit über 100 Milliarden DM. Den Bundeshaushalt belastet die Arbeitslosigkeit inzwischen mit 40 bis 50 Milliarden DM, jeweils zur Hälfte im Bereich der Einnahmen und der Ausgaben.
Das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium wird auch 1996 auf hohem Niveau zum Einsatz kommen. Dennoch: Mit einer unkritischen Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik wird das eigentliche Ziel des Schritthaltens im internationalen Kostenwettbewerb nicht erreicht. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Staatslastigkeit auf den Märkten - auch auf dem Arbeitsmarkt -, also mehr Flexibilität, mehr Mobilität und mehr Differenzierung.
Wir haben mit dem Bundeshaushalt 1996 ein wichtiges Etappenziel auf dem weiterhin steinigen Weg zu unserem eigentlichen Ziel, der Absenkung der Staats- und Steuerquote bis zum Jahr 2000 auf den Stand vor der Wiedervereinigung, erreicht. Allerdings müssen wir auch klar erkennen - das sei mir als kritische Anmerkung erlaubt -, daß nur die nachhaltig erzielbaren Steuereinnahmen auch der mittelfristigen Ausgabenplanung des Bundes zugrunde gelegt werden können. Die sich aus der aktuellen Steuerschätzung ergebenden Basiseffekte bei den regulären Einnahmen belasten den Finanzplan der nächsten Jahre, also ab 1997. Dies zwingt zu wichtigen politischen Entscheidungen, um die sich aber niemand in diesem Hohen Hause herumdrücken kann.
Aus diesem Grund müssen die Verantwortlichen in Bund und Ländern sehr bald weiterführende Abstimmungen im Gesamtbereich der öffentlichen Leistungen und Ausgaben vornehmen. CDU und CSU begrüßen ausdrücklich das Angebot des Bundesfinanzministers Theo Waigel an die Bundesländer, einen Stabilitätspakt zu vereinbaren, um den gesamtwirtschaflich notwendigen Konsolidierungsprozeß voranzubringen. Wir alle wissen, daß die Spielräume für die dringend erforderlichen Abgabensenkungen bei gleichzeitigem Defizitabbau heute noch nicht vorhanden sind und nur durch gemeinsames Vorgehen freigeschaufelt werden können.
Das bedeutet für uns: Wir sind mit dem Sparen längst nicht am Ende; wir werden und müssen die Sparstiefel anbehalten.
Sowohl im Staatsbereich als auch bei gesetzlichen Leistungsansprüchen sind Einschränkungen für die Gesundung der Staatsfinanzen unausweichlich. Selbst bei relativ günstigem nominalen Wirtschaftswachstum kann es in den nächsten Jahren der Finanzplanperiode keinen realen Zuwachs bei den Staatsausgaben geben.
Mit seiner Haushaltssperre hat Theo Waigel die Zügel der Ausgabenbewirtschaftung jetzt noch enger gezogen. Das ist gerade in diesem Jahr nach der sinn- und ergebnislosen Haushaltsblockade durch den Bundesrat ein zielführender Schritt, der von uns unterstützt wird.
Akribische Sorgsamkeit beim Umgang mit knappen Haushaltsmitteln ist die logische Vorstufe zu einer Politik weiterreichender Korrekturen am staatlichen Leistungsumfang. Die Beschlüsse zum Bundeshaushalt 1996 sind ein beachtlicher Erfolg. Sie machen aber auch deutlich, daß zukunftsorientiertes Umsteuern bei Aufgaben und Ausgaben des Staates noch große politische Anstrengungen erforderlich macht.
Wir werden zu dieser Anstrengung bereit sein.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Herr Roth, ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil ich meine, daß wir bei den Zahlen ehrlich miteinander umgehen sollten.
- Hören Sie es sich ruhig an! Sie haben gesagt, es handele sich beim Haushalt 1996 um einen Sparhaushalt, denn die Ausgaben würden in 1996 geringer sein als in 1995. Ich möchte Ihnen folgendes entgegenhalten. Ihr Haushalt 1995 sieht nach dem bisherigen Plan 477 Milliarden DM Ausgaben vor. Der Haushaltsentwurf 1996 sieht 451 Milliarden DM vor. Das wäre in der Tat sehr viel weniger.
Gleichzeitig hat Herr Dr. Waigel gesagt - und da sind wir uns alle einig -: 20 Milliarden DM geringere Ausgaben ergeben sich 1996 dadurch, daß wir das Kindergeld umstellen, was wir gemeinsam gewollt haben. Das heißt, wenn Sie vergleichen wollen, müssen Sie 457 Milliarden DM im Jahr 1995 und 451 Milliarden DM im Jahr 1996 vergleichen.
Außerdem hat Herr Dr. Waigel in der letzten Woche im Finanzplanungsrat und auch öffentlich gesagt, er wolle 1995 10 Milliarden DM „wegdrücken". Das heißt also: Ende des Jahres werden die Ausgaben für 1995 um 10 Milliarden DM geringer sein, als veranschlagt: bei 447 Milliarden DM. Alles Aussage Waigel.
Können Sie mir einmal erklären, wieso Sie sagen können, daß die Ausgaben sinken, wenn Sie in 1995 447 Milliarden DM ausgeben und 1996 451 Milliarden DM? Ich finde, wir sollten uns hier um die besseren Alternativen streiten. Aber Sie sollten endlich aufhören, mit Zahlen zu tricksen. Ihr Haushalt steigt, er sinkt nicht. Sagen Sie den Bürgern endlich die Wahrheit!
Das Wort zur Entgegnung hat der Kollege Roth.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, mit Zahlenrechnungen haben Sie sich ja immer reichlich schwergetan. Deshalb sind Sie auch so verwirrt.
Tatsache ist, daß der Bundeshaushalt 1996 um 26 Milliarden DM niedriger im Haushaltssoll abschneidet als der Bundeshaushalt 1995. Das sind minus 5,5 Prozent.
- Wenn Sie jetzt ans Bereinigen gehen, können Sie die Umstellung beim Kindergeld als eine gedankliche Komponente einführen. Ich verwehre Ihnen das nicht. Sie können auch die 8 Milliarden DM zusätzlich als Ersatz für den Kohlepfennig einbeziehen. Auch das wäre zulässig.
Sie können viele andere Rechnungen aufmachen, aber an einem werden Sie nichts ändern: Diese Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat in diesem Jahr jedem Ausgabenzuwachs ein deutliches Njet entgegengestellt,
weil wir gesagt haben, daß wir sparen und mit einer Politik des Sparens die Standortbedingungen in Deutschland verbessern wollen. Das ist uns 1995 gelungen - warten Sie bitte auf das Schlußergebnis, bevor Sie Ihre Rechenvergleiche anstellen -, und dies wird uns auch 1996 genauso gelingen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer den Auszug der Opposition aus der Sitzung des Haushaltsausschusses in der letzten Sitzungswoche erlebt hat, mußte heute - nach dem, wie die Koalition in der Aktuellen Stunde am 25. Oktober 1995 getönt hatte - damit rechnen, daß jetzt die Häme über uns gegossen wird nach dem Motto: Wer auszieht, kommt auch wieder herein. Diese Häme mußten Sie heute unterlassen, weil Sie durch die Kommentare in den Medien - in der „FAZ", auch in der Wirtschaftspresse, beispielsweise dem „Handelsblatt" - gemerkt haben, daß das politische Signal des Auszugs der Opposition richtig war. Man kann es einem Finanzminister nicht durchgehen lassen, daß er eine 20-Milliarden-Lücke durch die Vorlage eines Wisches an einem Tag geklärt haben will.
Herr Finanzminister Waigel, ich komme aus dem Wahlkreis Biberach. Ihr Wahlkreis Neu-Ulm ist der Nachbarwahlkreis. Der Gemeinderat in Neu-Ulm hätte es Ihrer Oberbürgermeisterin mit Sicherheit nicht durchgehen lassen, eine derartig dramatische Veränderung des Haushalts binnen eines Tages zu beraten. Die CSU-Fraktion hätte mit Sicherheit einen Antrag auf Nichtbefassung gestellt, und Ihre Parteifreunde hätten recht gehabt.
Oswald Metzger
Insofern ist der Auszug aus dem Haushaltsausschuß vor allem dem formellen Vorgehen geschuldet. Angesichts der - prozentual und absolut - größten Veränderung zwischen erstem Regierungsentwurf und der Vorlage in abschließender Beratung im Haushaltsausschuß, die in der Regierungsära Kohl bisher vorgekommen ist, wäre eine Ergänzungsvorlage das einzig Richtige gewesen.
Auch aus anderen Gründen hat der Finanzminister enge Hosen an - wenn er die Hose nicht gar heruntergelassen hat -: Er hat das Parlament in der Debatte über die Regierungserklärung zum IWF am 12. Oktober 1995 trotz entsprechender Vorhaltungen unserer Fraktion nicht darüber aufgeklärt, daß er praktisch schon eine Haushaltssperre verfügt hatte. Das Ganze hat er am Parlament vorbei am 14. Oktober, einem Samstag, verlautbaren lassen. Wer als Finanzminister so mit dem Parlament umgeht, mißachtet das Budgetrecht dieses Parlaments außerordentlich.
Kollege Roth, es ist in der Tat richtig, daß man im Haushaltsausschuß normalerweise kooperativ arbeitet. Diese Auffassung teile auch ich. Ich teile auch den Dank, den Sie an Ihre Kollegen ausgesprochen haben, obwohl Sie eine Fraktion, nämlich uns, und eine Gruppe, nämlich die PDS, vergessen haben, die genauso mitberaten haben. Ich teile auch Ihren Dank an den Haushaltsausschußvorsitzenden Wieczorek. Aber wenn Sie als Koalition dieses Spiel mitmachen, das heißt eine Vorlage praktisch durchwirken und bei der abschließenden Beratung nur Jasager sind - dies gilt vor allem für die F.D.P.; Graf Lambsdorff, Ina Albowitz und Wolfgang Weng haben noch vier oder fünf Tage vorher von einem Haushaltssicherungsgesetz geredet und dann den Schwanz eingezogen -, dann haben Sie das Recht verwirkt, die Opposition zu kritisieren.
Jetzt aber zur Sache. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen müssen als Oppositionsfraktion eines akzeptieren: Wir haben eine strukturelle Finanzkrise der öffentlichen Haushalte. Deshalb müssen wir uns auf den Standpunkt stellen - auch Bündnisgrüne, auch Sozialdemokraten sind auf Landesebene Regierungsfraktionen -, der da lautet: Wir kommen an der Tatsache nicht vorbei, daß wir die Ansprüche an die öffentlichen Hände insgesamt ein Stück weit zurückfahren müssen.
Wir sind - dies führt bei einer Oppositionsfraktion natürlich zu erheblichen Diskussionen - mit unserem Entschließungsantrag in der Lage, Korrekturen am Bundeshaushalt vorzuschlagen, so daß das Defizit des jetzigen Regierungsentwurfs unter dem Strich um etwa 6 Milliarden DM unterschritten wird,
obwohl wir die Weichen in Richtung einer wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellen wollen.
Wir werden die Kostenverlagerung, die diese Koalition schon im Kabinett beschlossen hat, nicht mitmachen. In deren Zuge soll die Arbeitslosenhilfe mit 3,4 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt herausgedrückt werden. Sie soll über die Sozialhilfe den Kommunen auferlegt werden. Diese aber können die Last nicht mehr schultern, weil sie Aufgaben in Höhe von fast 50 Milliarden DM zu finanzieren haben, die in Teilbereichen auf jeden Fall Bundesaufgaben sind. Die Kommunalpolitiker der Unionsfraktion laufen gegen diese Regierungspolitik genauso Sturm wie die der SPD oder die von uns.
Diese 3,4 Milliarden DM wollen wir mit einer Erhöhung des entsprechenden Titels - so unser Antrag - finanzieren.
Wir wollen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit 3,5 Milliarden DM für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zusätzlich ausgeben. Die Bundesanstalt für Arbeit muß auf Grund der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit nächstes Jahr tätig werden; das ist eindeutig.
Wir werden mit diesem politischen Schwerpunkt unserer Fraktion der Tatsache Rechnung tragen, die selbst Kollege Roth gerade eingeräumt hat: Arbeitslosigkeit kostet diese Gesellschaft nach Ihrer Rechnung rund 40 Milliarden bis 50 Milliarden DM pro Jahr, nach Rechnung der SPD rund 100 Milliarden DM. Weil die Finanzierung von Arbeitslosigkeit teurer ist, wollen wir für ihre Bekämpfung einen Schwerpunkt setzen.
Als Gegenfinanzierung - das werden Sie dann nachlesen können; wir haben Änderungsanträge zu den Einzelplänen - dient eine Streichung, die im Saldo 4,5 Milliarden DM beträgt. Wir entdecken den Verteidigungshaushalt nicht mehr als Steinbruch, sondern stellen reguläre Kürzungsanträge, die wirklich seriös sind, wenn man es politisch will. Wir sehen nämlich nicht ein, daß ein Finanzminister plötzlich Investitionen in technische Hochrüstung als Arbeitsplatzförderungsprogramm verkauft, weil unter dem Druck des „Dolores " -Programms der DASA und dem Protest der Betriebsräte plötzlich alle Welt einknickt,
Oswald Metzger
auch die SPD plötzlich bereit ist, dem Eurofighter zuzustimmen. Wir werden im Atombereich eine Kürzung von einer halben Milliarde DM vorschlagen. Wir werden im Verkehrsbereich Umschichtungen vorschlagen.
Soweit die Tableaus, die Sie von uns zu erwarten haben.
Wir werden in unserem Entschließungsantrag vorschlagen, in einem Haushaltsbegleitgesetz die Stenervergünstigungen in der Größenordnung von insgesamt 5 Milliarden DM zu reduzieren. Wir werden Subventionsabbau bei der Dieselbesteuerung in der Größenordnung von 3,4 Milliarden DM vorschlagen. Einschnitte in staatliche Leistungen wird es also geben, aber nicht so, wie diese Regierung das im Moment macht: Sie macht die Opfer zu Tätern, indem sie mit dem Rasenmäher durch die Arbeitslosenhilfehaushalte fährt und die Leute, die wegen Arbeitslosigkeit ausgemustert werden, bestraft. Wir wollen, daß die Bevölkerung insgesamt - reiche wie arme Leute - ihr Scherflein dazu beiträgt.
Man darf sich nicht in die Neuverschuldung flüchten; denn Neuverschuldung ist das Gegenteil von nachhaltiger Finanzpolitik. Nachhaltigkeit kennen Sie als Begriff aus der Ökologiebewegung. Für uns heißt nachhaltige Finanzpolitik, daß man sich nicht auf den bequemen Pfad der Erhöhung der Verschuldung begibt; denn mit einer höheren Verschuldung schränkt man die Investitionsspielräume künftiger Haushalte ein. Das können wir angesichts der Tatsache, daß im Haushalt 1996 bereits jede vierte Steuermark für Zinsaufwand ausgegeben wird, überhaupt nicht hinnehmen.
Sie wissen, Herr Finanzminister, daß die Finanzplanung, die Bestandteil der Beratungen zum Haushalt 1996 ist, Makulatur ist. Das schreibt Ihnen die Wirtschaftspresse ins Stammbuch. Sie können nicht davon ausgehen, daß Sie 1999 mit einer Nettoneuverschuldung von 29 Milliarden DM auskommen - wie es in Ihrer Finanzplanung steht -, wenn Sie auf Grund der geringeren Steuereinnahmen pro Jahr für die Folgejahre bereits eine Vorbelastung von rund 10 Milliarden DM haben. Das funktioniert nicht.
Sie haben keine Vorsorge zur Abschaffung des Solidarzuschlags getroffen - in keiner Weise. Der wird 1999 auf der Einnahmeseite aber fast 40 Milliarden DM ausmachen.
Wie soll diese Finanzpolitik, die Sie als symmetrische Finanzpolitik verkaufen, die sowohl Steuer- als auch Schuldenabbau beinhaltet, umgesetzt werden? Diese Rechnung geht nicht auf. Man kann sich dann aber als Opposition - das sage ich auch an die Adresse unserer Fraktion, aber auch an die anderen Oppositionsparteien - nicht nur hinstellen und sagen: Wir beklagen das, aber schuld ist natürlich derjenige, der in der Regierungsbank sitzt. Das stimmt: Die Opposition hat keine Verantwortungskompetenz. Aber wir haben Verantwortungskompetenz für die Zeit, in der wir regierungsfähig sein wollen, wo wir das ausbaden müssen, was Sie zur Zeit anrichten. Deshalb nehmen wir ein Stück weit in Anspruch,
jetzt strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, die uns in die Lage versetzen, dann nicht komplett handlungsunfähig zu sein. Das ist vorausschauende Politik einer Oppositionsfraktion.
Noch ein Wort zum Thema Eurogeld. Die Diskussion um die Währungsunion, die in den letzten Tagen stattgefunden hat, war etwas merkwürdig. Man hat gemerkt, daß auch die Sozialdemokraten den Hammer, den sie hier herausgezogen haben, relativ schnell wieder eingezogen haben.
Eines ist aus unserer Sicht auf jeden Fall zu sagen - das merken Sie ja, wenn wir einer Nettoneuverschuldung nicht das Wort reden -: Wir wollen die 60 Prozent Gesamtverschuldungsanteil am Bruttoinlandsprodukt auch nicht überschreiten. Wir wollen das Konvergenzkriterium von Maastricht einhalten, genau so wie bei der 3-Prozent-Quote bei der Neuverschuldung. Das heißt auch, daß wir der Währungsunion das Wort reden, aber die Stabilitätsgarantie einbauen wollen. Da muß Deutschland seine eigenen Hausaufgaben machen; sonst können wir das anderen nicht abverlangen.
Lieber verschieben wir den Termin der Einführung der Währungsunion, als daß wir die Stabilität des Geldes auf dem Altar von Maastricht opfern.
In diese Richtung muß es gehen. Wir brauchen auch flankierende Maßnahmen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, um abzusichern, daß die Währungsunion tatsächlich eine politisch handhabbare Größe ist, die zu einem politischen System in Europa führt, dem wir durchaus zustimmen.
Wir lassen es aber auf der anderen Seite dem selben Finanzminister nicht durchgehen, wenn er herummogelt und im nächsten Jahr extrem knapp an der Maastricht-Quote der Gesamtverschuldung vorbeischrammt.
Obwohl ich weiß, daß es im parlamentarischen Bereich gefährlich ist, Prognosen aufzustellen - Kollege Roth hat am Beispiel der SPD darauf hingewiesen -, tue ich es jetzt. Sie können nachlesen, daß wir im März dieses Jahres bei der abschließenden Beratung des Haushalts 1995 die Nettoneuverschuldung des Jahres 1996 mit 60 bis 65 Milliarden DM beziffert haben. Die Regierung selber räumt 60 Milliarden DM ein. Wir als Opposition glauben, daß von den jetzigen 60 Milliarden etwa 8 Milliarden DM unseriös finanziert sind, weil sich die Privatisierungserlöse in dieser Form nicht einstellen werden.
Sie treibt das Prinzip Hoffnung um, daß Sie beim Steuereingang etwas besser fahren, als die jetzige Steuerschätzung das vermuten läßt. Dann hätten Sie das Problem nicht, daß Sie die Privatisierungserlöse, wie im Haushaltsplan eingestellt, auch tatsächlich auf Mark und Pfennig brauchen. Das ist meine Prognose für das nächste Jahr bereits im März abgegeben; ich halte sie aufrecht.
Die Prognose für diesen Haushalt ist folgende: Wir werden die 50-Milliarden-DM-Verschuldung in 1995
Oswald Metzger
überschreiten. Sie sagen: nicht signifikant. Ich sage, wir werden sie auf jeden Fall mit 2 bis 3 Milliarden DM überschreiten. Diesen Betrag werden Sie auch als Vorbelastung in den Haushalt 1996 schleppen.
Wenn Sie den neuen Solidarpakt anmahnen, werden wir, die Länderfinanzminister der SPD und die Regierungsfraktionen der Bündnisgrünen in den Bundesländern, in denen sie mitregieren, alle Mühe haben, der Bevölkerung klarzumachen, daß der Streit künftig nur noch um die Verteilung der gekürzten Mittel und um die politische Schwerpunktsetzung unter dieser Prämisse und nicht mehr um die Verteilung von Ausgabenzuwächsen geht.
Die Konjunktur kann florieren, wie sie will: Die Arbeitsmarktsituation bleibt dramatisch. Das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft hat heute morgen in einer Pressekonferenz ein Zehnjahresgutachten vorgestellt, in dem auf Grund der demographischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung davon ausgegangen wird, daß die durchschnittliche Wachstumsrate in den nächsten zehn Jahren 2 Prozent beträgt. Die. durchschnittliche Arbeitslosigkeit wird auf deutlich über 3 Millionen Arbeitslosen verharren. Welch langfristiges Problem das ist und was das für die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Gesellschaft heißt, braucht man in diesem Raum sicher nicht zu sagen.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, nicht nur an unseren Worten, sondern an unseren Taten gemessen zu werden. Wir werden uns auch von unseren eigenen Wählerinnen und Wählern prügeln lassen müssen, weil unterlassene unpopuläre Entscheidungen jeden - in der Opposition, aber erst recht in der Regierungsverantwortung - letztendlich wie nichts wegspülen werden.
Nach meiner Auffassung dürfen Koalition wie Opposition angesichts des Ernstes der Lage - jeder ist irgendwann einmal Regierungsfraktion oder ist es gleichzeitig in den Ländern - vor dieser Herkulesaufgabe nicht in die Knie gehen. Reiner Populismus, der dem politischen Alltagsgeschäft nicht fremd ist - das wissen wir alle -, nützt an dieser Stelle überhaupt nichts. Wir brauchen Konzepte und streiten dann um die Prioritäten, die wir haushalts- und finanzpolitisch setzen müssen. Wir streiten darum, zu wessen Lasten bestimmte Projekte künftig finanziert werden. Das wird den parlamentarischen Alltag begleiten.
In diesem Sinne: eine gute Beratung in dieser Woche.
Das Wort hat der Kollege Weng, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die richtigen Worte, die der Kollege Metzger gefunden hat, sind natürlich leicht zu sprechen, wenn man in der Opposition ist und am Schluß nichts beweisen muß. Sie
sind trotzdem noch sinnvoller und angenehmer als das Horrorbild, das der Kollege Diller vorhin gemalt hat und angesichts dessen er selber erschrocken war und blaß geworden ist.
Herr Kollege Diller, wir lassen uns durch Ihr Horrorbild nicht miesmachen, was in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren entstanden ist, was hier geleistet worden ist, was durch gute Politik, was aber vor allem durch den Fleiß, den Einsatz und den Aufbauwillen der Bürger in der Bundesrepublik geleistet worden ist. Das ist eine gute Leistung, auf die wir stolz sind und hinter der wir stehen.
Die Bundestagsfraktion der F.D.P. bewertet das Ergebnis der Beratungen des Haushaltsausschusses, die wir ohne die Opposition abgeschlossen haben, die die Beratungen in einer unwürdigen Weise verlassen hat,
als positiv.
Die Fraktion der F.D.P. signalisiert deswegen im Deutschen Bundestag in zweiter Lesung ihre Zustimmung. Natürlich stellen auch wir fest, daß es im Haushaltsausschuß nur mit einigem Ächzen und Zerren gelungen ist, eine Punktlandung zu machen. Aber wir haben dann eine Punktlandung erreicht.
Die Eckwerte, die wir im Ausschuß beschlossen haben, begrüßen wir. Wir legen Wert darauf, daß sie auch im Vollzug eingehalten werden. Wir sind zufrieden, daß der Umfang des Haushalts beim Bund zum erstenmal seit Jahrzehnten sinkt. Wir sind zufrieden, daß die Nettoneuverschuldung im Rahmen der Finanzplanung geblieben ist und daß es möglich war, diesen Rahmen zu halten. Das war in der schwierigen Lage gerade gegen Schluß der Beratungen keine Selbstverständlichkeit.
In der Finanzplanung ist als Nettoneuverschuldung des Bundes die außerordentlich hohe Zahl von 60 Milliarden DM vorgesehen gewesen. Die Zustimmung unserer Fraktion zu dieser hohen Verschuldung erfolgt auch nur deshalb, weil für uns die weitere Finanzplanung verbindlich ist. Nach der haushaltspolitischen Bewältigung der deutschen Einheit muß jetzt die Verschuldung des Bundeshaushalts entsprechend der wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik Deutschland wieder zurückgeführt werden.
Der Schuldenberg aller öffentlichen Hände droht sonst aus den Fugen zu geraten. Die schon erwähnte
Dr. Wolfgang Weng
Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler hat symbolisch recht. Obwohl ich weiß, daß der Bundeshaushalt nur ein Teil der Gesamtpolitik ist, sage ich für meine Fraktion: Die Rückführung der Verschuldung hat für uns allerhöchsten Stellenwert.
Wir können beweisen, daß wir nach 1982 in vergleichbarer Situation über Jahre in gleicher Weise agiert und das in dieser Sache Gewünschte erreicht haben. Egal, wie gut die Gründe sind, die im Moment diese Schulden auslösen - niemand in diesem Hause hatte nach der Vereinigung, nach der Wirtschafts- und Währungsunion eine ernsthafte Alternative -: Mit Blick auf die heranwachsende Generation, mit Blick auf die künftigen Gestaltungsmöglichkeiten der jungen Menschen in diesem Land sind diese Schulden nur noch zu verantworten, wenn sie nach der Sondersituation durch die deutsche Einheit eindeutig abgebaut werden und in Richtung Null lauf en.
Es kommt ein weiterer wesentlicher Punkt hinzu, der diese Anstrengungen notwendig macht. Wenn wir die Dinge treiben lassen, laufen wir Gefahr, bei der Erfüllung der Kriterien des Maastricht-Vertrags zur Währungsunion in Europa selbst durch den Rost zu fallen. Wer weiß, was die europäische Einigung für unsere Menschen, für unsere Bürger bedeutet, der darf sie nicht aufs Spiel setzen. Wenn schon die Bundesrepublik Deutschland bei der Erfüllung der Kriterien Schwierigkeiten bekäme, dann wäre das Scheitern des Vorhabens Währungsunion programmiert. Wir wollen aber diesen Erfolg für Europa. Hierfür ist gerade die Einbindung des wiedervereinigten Deutschlands in gutnachbarliche Beziehungen nach allen Seiten unabdingbar.
Die Freien Demokraten werden im Zuge der europäischen Währungsunion alles dafür tun, daß die Stabilität der neuen Währung genauso groß ist wie die, die unsere Bürger von der Deutschen Mark gewöhnt sind.
Auch hier können wir belegen: In jahrelanger parlamentarischer Arbeit, in enger Kooperation mit der Deutschen Bundesbank ist die Stabilität der Deutschen Mark nicht vom Himmel herabgefallen, son-dem durch die Politik der Koalition gesichert worden.
Da es, meine Damen und Herren, durch die Anstrengung unserer Regierung gelungen ist, eine vergleichbare Notenbank auf europäischer Ebene einzurichten, die symbolhaft in Frankfurt ihren Standort haben wird, sage ich Ihnen voraus, daß gleiche Stabilität für unsere Bürger gesichert wird.
Dies bedeutet eine große Kraftanstrengung, Herr Kollege Fischer. Deswegen bejahen wir die Notwendigkeit eines nationalen Stabilitätspakts mit Blick auf Europa, der auch das Einhalten des europäischen Zeitplans ermöglichen soll. Wir wissen, was wir unseren Bürgern schuldig sind.
- Die Zwischenrufer hier, die das Ganze auf zwei Länder beschränken wollen, übersehen natürlich bewußt die großen Anstrengungen, die andere Nachbarn unternehmen, um diese Kriterien zu erreichen, Nachbarn, die sich ein Beispiel an uns nehmen. Das fordert uns um so mehr da, wo wir selber ein Beispiel bieten können.
Wir sind dies unseren Bürgern schuldig, gerade auch den Bürgern, die im Vertrauen auf die Solidität unseres Staates sparsam sind, Geld gespart haben, Konsumverzicht leisten und die hierdurch überhaupt die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß zum Beispiel die Währungsunion mit der DDR und in der Folge die Wiedervereinigung ohne Einbrüche der Deutschen Mark verkraftet werden konnten.
Für einen solchen Stabilitätspakt brauchen wir natürlich die Bundesländer. Hier muß auch die Opposition im Deutschen Bundestag mit in das Boot, egal wie sehr sie sich dagegen sträubt. Daß sich die Oppositionsfraktionen bzw. die -gruppe in der letzten Phase der Haushaltsberatung ihrer parlamentarischen Verantwortung entzogen haben und mit ihrem Auszug aus dem Haushaltsausschuß ein unwürdiges, ja ein jämmerliches Spektakel geboten haben, nehme ich nicht besonders ernst.
Das ist auch schnell vergessen; heute sind die Herrschaften ja schon wieder da. Aber daß Populisten aus der SPD neuerdings von den europapolitischen Zielen abrücken - wohl in der Hoffnung, bei Nationalisten und deren Klientel plötzlich Zuspruch zu finden -, ist bedrückend.
Sie werden, meine Damen und Herren von der SPD, in diesem Bemühen scheitern, und Sie schaden mit Ihrer Haltung einer guten Sache. Kehren Sie um!
Zurück zum Haushalt. Der uneingeschränkte Jubel, in den wir bei der ersten Beratung einstimmen konnten, ist verklungen. Die Steuerschätzung im Oktober hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ebenso ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt trotz guter wirtschaftlicher Bedingungen leider hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Wir mußten in der letzten Phase unserer Beratungen in großem Umfang Einnahmeausfälle und zusätzliche nicht erwartete Ausgaben berücksichtigen.
In diesem Zusammenhang will ich auch darauf hinweisen, daß das Verfahren der Steuerschätzung unsicherer geworden ist. In der Vergangenheit ha-
Dr. Wolfgang Weng
ben wir uns immer sehr fest auf die gegebenen Zahlen verlassen können. Jetzt sagt uns der Arbeitskreis, daß mehr Unwägbarkeiten in der Schätzung liegen.
Das heißt, wir müssen in Zukunft mit der Erwartung der öffentlichen Einnahmen vorsichtiger umgehen, als das seither möglich war.
Die vorhergesagten Einnahmeausfälle verändern auch Strukturen. Das bedeutet, wir müssen von Basiseffekten ausgehen, die sich in kommenden Jahren fortsetzen. Das ist ja von meinem Vorredner erwähnt worden. Das heißt: zusätzliche Anstrengungen.
Die gesamtwirtschaftliche Situation ist ja nicht unbefriedigend. Die Wachstumsraten, vor allem auch in den neuen Bundesländern, zeigen weiterhin deutlich nach oben. Aber es ist schon beeindruckend, wie schwierig es ist, notwendige Verbesserungen der Rahmenbedingungen zu schaffen, die mehr Investitionen und die mehr Arbeitsplätze auslösen sollen. Auch hier ist die SPD gefordert, ihrer Verantwortung als Opposition im Bundestag, vor allem aber als Mehrheitsführer im Bundesrat gerecht zu werden. Ihr Verhalten - das haben Ihre Redner hier wieder deutlich gemacht - zu notwendigen strukturellen Verbesserungen für die Wirtschaft erinnert an frühere sowjetische Politsekretäre, deren einzige Antwort immer ,,Njet" war.
Teilweise mit dem Schuh auf das Podium klopfen, das erwarte ich vom Kollegen Diller bei der nächsten Etatberatung.
Meine Damen und Herren, natürlich wirken viele Faktoren unter dem Stichwort „Standort Deutschland" zusammen. Selbst die IG Metall hat ja dazugelernt. Für einige der Vorschläge, die ihr Vorsitzender Zwickel in der vergangenen Woche gemacht hat, ist die F.D.P. noch vor wenigen Jahren furchtbar geprügelt worden.
Denken, Sie nur an das Stichwort Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich oder an die Forderung, in bestimmten Fällen zeitweise auch unter Tarif berufstätig zu sein.
Während man vor wenigen Wochen bei der Gewerkschaft IG Bergbau und Energie bei den Äußerungen zur deutschen Steinkohle das Gefühl haben mußte, diese Leute befinden sich außerhalb jeder Realität, hat die IG Metall wenigstens teilweise ihre Mitverantwortung auch für die Arbeitsplätze derer akzeptiert, die im Moment keine Arbeit haben. Das ist neu.
Wenn man dort erkannt hat, daß man den Bogen überspannt hat, daß die Forderungen überzogen waren,
daß auch die gültigen Abschlüsse dem Wirtschaftsstandort nicht gerecht werden, warum wird dann eigentlich bis nächstes Jahr gewartet? Warum setzt man sich nicht sofort zusammen und bringt die notwendigen Korrekturen an?
Ich fordere die Tarifparteien auf: Setzen Sie sich umgehend zusammen!
Meine Damen und Herren, wenn schon kurzfristig Löcher im Haushalt geschlossen werden müssen, so ist es im Sinne der F.D.P.-Fraktion, daß dies durch verstärkte Privatisierungsanstrengungen erfolgt. Wir wünschen, daß die völlige Privatisierung der Deutschen Lufthansa im kommenden Jahr tatsächlich stattfindet. Ich fordere den Verkehrsminister auf - er hat diese Privatisierung ja selber lange Jahre immer gefordert -, durch sein Haus die notwendigen Arbeiten zügiger voranzubringen. Europa darf hier nicht ein bürokratischer Verhinderer sein. Der letzte Sachstand ließ doch Zweifel zu, ob die beamtete Ebene im Verkehrsministerium diese Privatisierung tatsächlich so intensiv vorantreibt, wie es der Weisung des Ministers entsprechen müßte.
Wir sind dafür, daß die Postbank privatisiert wird, und wir sind bereit, daran mitzuwirken.
Aber gerade weil wir im Zusammenhang mit der Postreform ein selbständig arbeitendes Bankinstitut schaffen wollten und geschaffen haben, kann eine Privatisierung an die Deutsche Post AG nicht in Frage kommen; denn dann wäre ja ein Teil des früheren Zustands wiederhergestellt. Sorgfältig und ordnungspolitisch sauber - das ist Forderung der F.D.P.
Und wenn der Bund sich von Anteilen an großen Wohnungsgesellschaften trennt, ist dies durchaus zu begrüßen. Die Position der SPD zu diesen Plänen war entlarvend; sie ist vom Kollegen Roth richtig apostrophiert worden. Frau Fuchs im Hemd der Vorsitzenden des Mieterbundes führte lauthals Klage, diese Privatisierung sei unsozial. Meine Damen und Herren, soweit Wohnungen in der Sozialbindung sind, bleiben sie in dieser Bindung, und wo das nicht der Fall ist, ist der Bund nach der Haushaltsordnung verpflichtet, die Marktmiete zu verlangen. Andernfalls würde er geldwerte Vorteile verteilen, was gar nicht sein darf. Hier versucht die SPD wie so oft, mit Halbwahrheiten ein trauriges Süppchen zu kochen.
Wir Freien Demokraten setzen uns dafür ein, daß eine solche Privatisierung erfolgt, und wir setzen uns auch dafür ein, daß sie für die Mieter mit der Chance verbunden wird, Eigentum an ihrer Wohnung zu erwerben.
Genau in dieser Ablehnung zeigt sich die Ideologie der SPD: lieber staatlich verwaltete besitzlose Bürger als Individuen, die mit Eigentum ausgestattet
Dr. Wolfgang Weng
sind und dann auch eigenverantwortlich handeln können.
Die Freien Demokraten bedauern immer noch, daß in der vergangenen Wahlperiode eine Initiative der Koalition, eine verstärkte Privatisierung bei Ländern und Gemeinden auszulösen, im Bundesrat auf der Strecke geblieben ist.
Wir wollten das Haushaltsgrundsätzegesetz so ändern, daß die Notwendigkeit öffentlicher Beteiligungen auch bei Ländern und Gemeinden regelmäßig neu belegt, regelmäßig neu begründet werden muß. Dies hätte den notwendigen Privatisierungsdruck auch in dem Bereich ausgelöst. Wir sind, meine Damen und Herren, weiterhin bereit zu einer solchen Initiative. Wir bieten dem Koalitionspartner ausdrücklich an, einen erneuten Vorstoß zu machen. In allen fortschrittlichen Volkswirtschaften dieser Welt stehen die Zeichen auf Privatisierung.
Unter dem Stichwort „Standort Deutschland" wird zu Recht die völlige Überreglementierung beklagt. Wenn in einem Bereich kleine Fortschritte bei der Deregulierung angestrebt werden, dann hört man aber häufig, dies sei nun wirklich nicht das allerwichtigste Thema. Das erinnert an die Situation bei anderen Reformvorhaben. Im Gesundheitsbereich z. B. wird gesagt: Unser Teil beträgt ja nur 3 Prozent des ganzen Kuchens; deswegen brauchen wir hier über Einsparungen gar nicht zu reden. Nichts, meine Damen und Herren, ist monokausal. Viele Dinge wirken zusammen.
Die Koalition hat jetzt einen kleinen Fortschritt bei der Deregulierung vereinbart, gerade heute. Sie will den starren Ladenschluß flexibler gestalten. Dies schafft zusätzliches Wirtschaftswachstum. Nach allen Prognosen schafft es zusätzliche Arbeitsplätze. Es schafft Marktnischen für innovativen Mittelstand, und es schafft natürlich auch bessere Einkaufsmöglichkeiten für viele Verbraucher. Gerade in Kenntnis der veränderten Situation - Durchlöcherung durch Rechtsprechung, durch Einkaufsmöglichkeiten im Tankstellen- und im Bahnhofsbereich sowie bei Messen, im Grenzgebiet u. ä. - wäre die Opposition gut beraten, wenn sie an einer fortschrittlichen Regelung mitwirken würde. Aber was kommt von der SPD? Sicherlich wieder das bekannte Nj et!
- Wenigstens dümmliches Gelächter. Das ist schon besser als nichts!
An einer Stelle des Haushalts allerdings drehen die Sozialdemokraten besonders lustige Pirouetten: Das ist der Verteidigungsbereich. Während Teile der Bundestagsfraktion der SPD die verteidigungspolitischen Notwendigkeiten akzeptieren, ist die Fraktionsmehrheit in der Hoffnung auf Populismusdividende immer bei den Neinsagern zu finden. Militärische Beschaffung galt und gilt dort als Steinbruch, auch wenn sich die Haushaltskollegen der SPD diesmal ein wenig zurückgehalten haben.
Aber durch die Haltung der Sozialdemokraten zu einem neuen Jagdflugzeug für die Bundeswehr entlarven sie sich selbst. Über die Frage „Bedarf - ja oder nein?" schweigen sie sich aus. Die Ministerpräsidenten bzw. Wirtschaftsminister der SPD in den Bundesländern, vor allem in Ländern mit DASAStandorten, fordern, daß dieses Jagdflugzeug in jedem Fall in Deutschland gebaut werden muß. Und die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag? Sie sagt weiterhin njet nach dem bewährten Motto „Ablehnen, solange die Zustimmung gesichert erscheint".
Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Präsident.
Herr Kollege Kuhlwein.
Herr Kollege Weng, ich möchte Ihren kosmopolitischen Touch nicht in Frage stellen, den Sie eben deutlich gemacht haben. Aber sagen Sie bitte: Ist Ihnen entgangen, daß auch Ihr Bundestagskollege Koppelin wiederholt erhebliche Bedenken geäußert hat, ob und inwieweit der Eurofighter notwendig, nützlich und finanzierbar sei?
Herr Kollege Kuhlwein, mir entgeht in den eigenen Reihen nichts. Ich weiß von den Kollegen meiner Fraktion und insbesondere vom Kollegen Koppelin, der jetzt im Haushaltsausschuß qualifiziert mitarbeitet, daß im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Die Freien Demokraten werden bei dieser Entscheidung im kommenden Jahr ruhig und sachgerecht vorgehen. Eine deutsche Beteiligung an der Beschaffung des europäischen Jagdflugzeuges muß so preiswert wie möglich gestaltet werden. Natürlich muß der deutsche Anteil in einer möglichen Kooperation angemessen sein. Im Falle einer solch wichtigen Beschaffung ist auch eine volkswirtschaftliche Rechnung erforderlich. Aber ich sage Ihnen: Mit uns gibt es keine Soldaten ohne gute und angemessene Ausrüstung. Das gibt es nicht für die F.D.P.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß hat einen weiteren Einschnitt beim Personal des Bundes beschlossen. Wir reduzieren die Zahl der Mitarbeiter erneut um 1,5 Prozent kegelgerecht, das heißt mit entsprechendem Anteil
Dr. Wolfgang Weng
aller Besoldungsgruppen. Das ist mit Blick auf die Personal- und Versorgungshaushalte beim Bund und bei den anderen Gebietskörperschaften leider notwendig. Wir werden hier öffentlich Bedienstete stärker fordern müssen, als das in der Vergangenheit notwendig war. Wir sind dankbar, daß sich das Gros der öffentlichen Bediensteten dieser Forderung stellt und zu diesen Leistungen bereit ist.
Herr Kollege Weng, Ihre Zeit ist abgelaufen.
Das ist bedauerlich, Herr Präsident. Es handelt sich um die Redezeit, wie Sie wissen. Das, was Ihre Fraktion jetzt mit dem läppischen Applaus meint, ist sicherlich von Ihnen nicht so gemeint gewesen.
Ich komme zum Schluß meiner Ausführungen.
Die Bundestagsfraktion der F.D.P. ist sich der Tatsache bewußt, daß der Vollzug des Haushalts im kommenden Jahr unserer besonderen Beachtung bedarf, daß die Verschuldung in der Finanzplanung nur dann zurückzuführen ist, wenn gesetzgeberische Maßnahmen die Transferleistungen auf das unbedingt notwendige Maß beschneiden.
Hierbei ist auch die Opposition, hierbei ist die SPD gefordert.
Ich hoffe sehr, daß der Bundesrat dieses Mal ein richtiges Signal des Zusammenwirkens der Verfassungsorgane gibt, daß er den geordneten Ablauf des Haushaltes nicht stört, daß dieser Haushalt am 1. Januar in Kraft treten kann. Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten stimmt dem Bundeshaushalt 1996 in der Ausschußfassung in zweiter Lesung zu.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weng, nitschewo ne panimali. Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit als Grundprinzipien seriöser Haushaltspolitik werden mit dem heutigen Eintritt in die zweite Lesung des Haushaltsentwurfs 1996 von der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion und der von ihnen gestellten Regierung für jeden Bürger und jede Bürgerin offenkundig über Bord geworfen. Obwohl sich die Bundesregierung gegenüber dem vom Finanzminister Waigel initiierten haushaltspolitischen Chaos-Herbst mit künstlerischer Gelassenheit, finanzpolitischen Durchhalteparolen und mit der Ultima ratio jedes Staatsbankrotteurs, mit einer Haushaltssperre, wappnet, mußte selbst die ansonsten Waigel-treue ,,FAZ gestern zugeben, daß mit den jüngsten Jongliere-reien nicht nur die Planung für das Jahr 1996, sondern auch die mittelfristige Finanzplanung heute schon weitgehend entwertet seien.
Verläßliche Zahlen sind und bleiben nun einmal die Voraussetzung für eine solide Haushaltspolitik. Doch dazu hätten Sie zumindest einen Ergänzungshaushalt für 1995 vorlegen müssen. Detaillierte Aufschlüsselungen und deren Diskussion, wie der Bund die für 1995 geschätzten Steuermindereinnahmen in Höhe von 10,6 Milliarden DM auffangen kann, wie sie von der gesamten Opposition vor zwei Wochen in diesem Parlament gefordert wurden, sind unerläßlich, um eine realistische Haushaltsplanung für das kommende Jahr zu verabschieden.
Doch weder diesem Fingerzeig noch einer verlängerten und erst damit möglichen gründlichen Beratung des Haushalts 1996 sind Sie gefolgt. Damit haben wir die Situation, einen Haushalt beraten zu müssen, der offenkundig auf tönernen Füßen steht und nicht beratungswürdig, geschweige denn verabschiedungsreif ist.
Der Herr Finanzminister gab sich überrascht und unschuldig, da die Steuerschätzung ja nicht von ihm stamme, und versuchte die Mindereinnahmen mit Konjunkturschwäche und nicht kalkulierbarem fiskalischen Gebaren wie bei der 50prozentigen Sonderabschreibung Ost zu erklären.
Dazu nur folgende Anmerkung: Nur insgesamt 7,2 von 26,1 Milliarden DM, also etwas mehr als ein Viertel der 1995 zu erwartenden Steuermindereinnahmen, können auf die schwächere Konjunktur zurückgeführt werden. Der geringere Zuwachs des nominalen Bruttoinlandsprodukts hat bei der Umsatzsteuer zu einer Mindereinnahme von 3,5 Milliarden DM geführt. Der geringere Anstieg der Bruttolohn- und Bruttogehaltssumme hat bei der Lohnsteuer eine Mindereinnahme von 3,7 Milliarden DM hervorgerufen.
So, wie der Herr Bundeskanzler seit Jahren blühende Landschaften sieht, wo andere stillgelegte Betriebe und brachliegende Felder erblicken, hat auch Herr Waigel die Wirtschaftsentwicklung ständig durch eine rosarote Brille gesehen. Ihrer Finanzplanung, Herr Waigel, lagen stets zweckoptimistische, gesamtwirtschaftliche Anlagen zugrunde, die später von der Realität widerlegt wurden.
Ihr finanztechnischer Taschenspielertrick, die Neuverschuldung gegenüber der früheren Finanzplanung bedeutend höher zu veranschlagen und zu behaupten, die Nettokreditaufnahme werde irgendwann in späteren Jahren auf Rekordtiefe sinken, ist doch längst bekannt. Vergleichen wir einmal die Finanzplanung des Jahres 1993 für das Haushaltsjahr 1996, so zeigt sich, daß die erwartete Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr eben nicht, wie damals gesagt wurde, 22 Milliarden DM, sondern 60 Milliarden DM betragen wird.
Dem Haushaltsentwurf 1996 hat Herr Waigel nun die Prognose zugrunde gelegt, das Bruttoinlandsprodukt werde im nächsten Jahr real um 2,7 Prozent
Dr. Barbara H811
wachsen und beim Bund zu Steuermehreinnahmen von 3 Milliarden DM führen. Im Frühjahr hatte die Bundesregierung sogar noch 3 Prozent reales Wachstum prognostiziert. Das Herbstgutachten des Deutschen Wirtschaftsinstituts geht nun von 2,25 Prozent für 1996 aus und bestätigt damit die weitere Wachstumsverlangsamung.
Dem Haushalt 1995, dessen Haushaltslöcher immer größer werden, lag die Erwartung zugrunde, das Bruttoinlandsprodukt werde real um 3 Prozent stet-gen. Dabei wurde von Wirtschaftsinstituten bereits Ende Juli gesagt, daß eine spürbare Wachstumsverlangsamung sichtbar ist und wahrscheinlich nur eine reale Steigerung in Höhe von 2 Prozent herauskommen wird. Das alles aber hat Herrn Waigel nicht daran gehindert, uns mit optimistischen Prognosen zu beglücken. Ich meine: Dies ist nicht Ergebnis ministerieller Rechenfehler, sondern eiskalt kalkuliert, wie übrigens auch die Steuermindereinnahmen.
Die nunmehr offen zutage getretenen riesigen Haushaltslöcher sind von Herrn Waigel von Anfang an billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar bewußt initiiert worden, um gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament ein Druckmittel in die Hand zu bekommen, die Privatisierung weiterhin forcieren und den weiteren Sozialabbau scheinbar plausibel legitimieren zu können.
Vor diesem Hintergrund, Herr Waigel, offenbart Ihre Bemerkung im Haushaltsausschuß am 25. Oktober, daß auch arbeitsmarktpolitische Leistungen kein Tabu bilden dürfen, finanzpolitischen Zynismus der übelsten Art.
In der politischen Diskussion wird zum Beispiel schamhaft verschwiegen, was das „Handelsblatt" am 30. Oktober wohlwollend mit der immer schwerer werdenden Abschätzung der Einnahmenausfälle auf Grund von Steuerrechtsänderungen umschreibt. Nun frage ich aber: Wer, wenn nicht die Bundesregierung und Ihre Regierungskoalition, hat denn die enormen Steuererleichterungen für Unternehmen und Großverdiener durchgesetzt? Nun zeigen Sie sich überrascht, daß im Haushaltsjahr 1995 statt der insgesamt erwarteten 27 Milliarden DM aus der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer Ende September nur 2,4 Milliarden DM eingenommen wurden.
Herr Waigel, die nun offen zutage getretenen Haushaltslöcher waren genausowenig unvorhersehbar oder zufällig, wie Ihre mittelfristige Finanzplanung von Solidität ist. Mit den am 25. Oktober vorgelegten Vorschlägen zur Deckung des Defizits des Haushalts 1996 haben Sie der Öffentlichkeit nur klargemacht, daß Sie nur ein „Weiter so" kennen.
Außer Sparen und Privatisieren fällt dem Finanzminister nichts ein. Aber selbst in seinem ureigensten Metier wirkt Herr Waigel etwas unbeholfen, ich möchte sagen: schon fast stümperhaft. Gleich einem kurz vor der Pleite stehenden Marktschreier bietet er aus dem Tafelsilber des Bundes 44 000 Wohnungen und den Teilverkauf der Postbank an. Man braucht
nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, daß die realisierten Geschäfte unter diesen Konditionen gewiß so käuferfreundlich wie weiland bei der Treuhand aussehen werden. Die sozialen Belange werden Sie wahrscheinlich hinten herunterfallen lassen.
Daß die Verscherbelung von Bundesanteilen mittel- und langfristig zu Mindereinnahmen des Staates und damit zur Verschärfung der Finanzsituation führt, dämmert sicher auch schon dem Herrn Finanzminister. Dabei wird er vielleicht mit freudigem Interesse die bereits zaghaft und scheinbar ganz unauffällig oder auch auffällig an ihn gerichteten Forderungen über die Notwendigkeit eines Haushaltssicherungsgesetzes registriert haben.
Damit wäre er dann nämlich in der Lage, in gesetzliche Leistungen einzugreifen. So wie wir ihn kennen - das hat er in den letzten Jahren immer wieder demonstriert -, wird er seine langen Finger besonders in die Taschen der Ärmsten stecken.
Meine Damen und Herren, jenseits der flotten Hin- und Herschieberei von Ausgaben und Einnahmen, hinter dem hektischen Verkauf von Bundeseigentum lugt an allen Ecken und Enden das grundsätzliche Elend der konservativen Wirtschaftspolitik hervor. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, energische Beschäftigungspolitik zu betreiben und flüchtet sich statt dessen Jahr für Jahr erneut in marktradikale Dogmen und angebliche Weltmarktzwänge.
Die Folge: Die Massenarbeitslosigkeit nimmt auch in Zeiten konjunktureller Erholung nicht ab. Wenn sich aber die Arbeitsmarktlage nicht entspannt, entsteht eine Haushaltslücke: weniger Steuereinnahmen und mehr Ausgaben bei den Sozialversicherungen. Wenn hier wiederum nur mit Sozialabbau und Einschränkung der staatlichen Nachfrage reagiert wird, sackt die Beschäftigung weiter ab und produziert neue Haushaltslücken.
Das Dogma hat Folgen: Es führt in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale, die nur durch eine neue Beschäftigungspolitik gestoppt werden kann. Aus diesem Grunde werden wir als PDS in diesen Haushaltsberatungen Antrage einbringen: zur Sozialpolitik, zur Arbeitsmarktpolitik - wir sind für eine Aufstokkung - und zur Wohnungspolitik bei geschätzten 800 000 bis 900 000 Obdachlosen in Deutschland in diesem Jahr. Finanzierungsvorschläge werden wir vorlegen, u. a. weitreichende Vorschläge, die den Verteidigungshaushalt betreffen, die auch seriös sind, weil sie sich hauptsächlich auf die Neuinvestitionen konzentrieren.
Wenn man eine Rückkehr zu gesunden Staatsfinanzen erreichen will, führt aber letztendlich kein Weg an der Umverteilung von Einkommen und Vermögen und an der Veränderung der Steuerbelastung vorbei. Das Aufkommen aus den einzelnen Steuerarten gibt aufschlußreiche Anhaltspunkte dafür, inwieweit die Steuerpolitik der letzten Jahre die Einnahmeausfälle hervorgerufen hat. Es ist eben nicht so, als wären die Steuern immer für alle erhöht worden. Zwischen 1984 und 1994 ist nach Angaben des Instituts für Finanzen und Steuern das Aufkommen aus
Dr. Barbara Höll
der Lohnsteuer um 136,4 Prozent gestiegen, das aus der Umsatzsteuer um 113,3 Prozent, das aus der Gewerbesteuer nur um 55,87 Prozent und das aus der Vermögensteuer um 46,7 Prozent. Die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer gingen dagegen um 25,5 Prozent zurück, und die Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer waren mit minus 3,4 Prozent ebenfalls rückläufig.
Diese Zahlen belegen eindeutig, daß unter der Regierung Kohl erstens eine drastische Umverteilung des Volkseinkommens zu Lasten der Löhne und Gehälter und zweitens eine ebenso drastische Verschiebung bei der Besteuerung der Gewinne und Löhne stattgefunden hat. Beide Umverteilungen, an denen sich bei Bedarf auch die SPD beteiligt, führen nicht zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern zu deren Verdoppelung. Das ist verständlich, weil die Unternehmen angesichts der schwachen Konsumnachfrage ihre Kapazitäten eben nicht auslasten, sondern bei den bestehenden rationalisieren. Das wiederum führt zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und massenhafter Anlage von Gewinnen als Geld- und Spekulationskapital.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.
Ja, danke, Herr Präsident. - Ich möchte deshalb mit einem kurzen Fazit schließen. Herr Ministerpräsident Eichel hat gesagt: Die Finanzsituation war in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie so schlecht wie jetzt.
Betrachtet man dann, wie Sie zwischen Ost und West verteilen, damit die Ausfälle verkraftet werden, stellt man fest, daß wesentlich mehr auf die neuen Bundesländer zukommt, wenn die neuen Bundesländer zwei Drittel des sinkenden Ausgabenniveaus auffangen müssen. Das zeigt, daß sich die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West durch Ihre Haushalts- und Finanzpolitik weiter verschärft.
Herr Präsident, lassen Sie mich mit einem letzten Satz schließen: Mir erscheint es fast so, als hätte der Finanzminister das Motto des Satiremagazins „Titanic" - „Die endgültige Teilung Deutschlands, das ist unser Auftrag" - insgeheim zur Richtschnur seines Handelns gemacht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort für die Bundesregierung hat Herr Bundesminister Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, Sie haben vorhin etwas schlichtweg Unzulässiges getan. Man kann nicht Soll und Ist miteinander vergleichen. Man kann das Soll 1996 nicht mit dem Ist vergleichen. Man muß jeweils Soll und Soll und Ist und Ist miteinander vergleichen.
Wer das nicht einmal kann und wer mit diesem unzulässigen Trick versucht, Stimmung zu machen, disqualifiziert sich selbst.
Herr Diller, Sie haben sich mächtig aufge - -
Sie haben mehr versucht, als Sie eigentlich tun wollten. Bei dem Präsidenten hätte ich eigentlich schon Humor vermutet. Trotzdem spreche ich es nicht aus.
Sie wissen ganz genau, daß der Haushalt um 1,4 Prozent sinkt. Dabei ist die Systemumstellung beim Kindergeld schon berücksichtigt. Wie Sie auf die Idee kommen, das mit den Ausgaben für den Schienenpersonennahverkehr zu verknüpfen, ist mir unerfindlich, denn im Haushalt 1996 entfallen die Ausgaben für den Schienenpersonennahverkehr, die 1995 7,8 Milliarden DM betragen werden. Zusätzlich werden aber bei Beendigung der Kreditaufnahme des Bundeseisenbahnvermögens bis Ende 1995 im kommenden Jahr dem Bundeseisenbahnvermögen rund 9,5 Milliarden DM an Zuschüssen gezahlt. Das sind 7,8 Milliarden DM mehr als 1995.
Sie können angreifen, Sie können kritisieren, aber Sie müssen wenigstens bei den Fakten ordentlich rechnen können. Wer dies bei einem solchen Punkt nicht kann, disqualifiziert sich haushaltspolitisch.
- Ausgerechnet. Ihre Art, sich darzustellen, hat mich an den Karneval erinnert, wo immer das gleiche Aufplustern mit den gleichen Wortkaskaden stattfindet. Ernst nimmt dies, Herr Diller, aber niemand. Sie können eigentlich mehr. Sie haben das gar nicht nötig.
- Vielleicht haben Sie, Herr Hintze, recht, daß ich jetzt übertrieben habe. Ich nehme das wieder zurück. Herr Diller, Sie haben wohl gemeint, Sie müßten sich heute ein besonderes Lob holen.
Wie hat Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender gesagt: Wenn er Ministerpräsident wäre, würde er mich als Finanzminister entlassen. Glauben Sie, ich käme auf die Idee, unter Scharping Finanzminister zu bleiben?
Einer meiner Vorgänger, Fritz Schäffer, hat anläßlich der Haushaltsberatungen 1950 folgendes bemerkt:
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Auf dem Gebiet der Finanzpolitik ist dieser Gesetzentwurf der ganz bewußte Schritt, der neuen Zeit mit neuen Gedankengängen entgegenzutreten und den Notwendigkeiten des Tages zu begegnen.
Dieser Satz kann auch 45 Jahre später ein Leitspruch für den Bundeshaushalt 1996 sein. Gestern war für mich der Tag, an dem ich wie der Kollege Stoltenberg mehr als sechseinhalb Jahre Finanzminister war. Ich möchte diese Gelegenheit benützen, um dem Kollegen Stoltenberg für seine Finanzpolitik von 1982 bis 1989 zu danken, weil wir nur durch diese Finanzpolitik in der Lage waren, 1990 auch die Wiedervereinigungskosten so zu bewältigen, wie wir das getan haben.
Um den richtigen Weg in die Zukunft zu finden, die Weichen für das nächste Jahrtausend zu stellen, müssen wir zusammenarbeiten: in der Regierung, im Parlament und im Bundesrat. Dabei hat die Opposition in einer Demokratie eine wichtige und verantwortungsvolle Rolle zu übernehmen. Wir wissen, wie das ist. Wir haben es lange genug selber getan. Was die Opposition allerdings in den letzten Tagen in dieser Hinsicht geboten hat, wird dieser Aufgabe nicht annähernd gerecht.
Ihnen ist offenbar inzwischen jedes Mittel zur vermeintlichen Profilierung recht, ohne Rücksicht auf die gemeinsame Verantwortung für unser Land. Jetzt, meine Damen und Herren, greifen Sie über Ihre Kritik an der Währungsunion die europäische Einheit an, eine Idee, für die es seit Jahrzehnten in diesem Haus unter allen Parteien einen Konsens gab. Herr Scharping spricht von Europa als „irgendeiner Idee".
Das ist nicht mehr die SPD der Europäer Willy Brandt und Helmut Schmidt. Wer die Europäische Währungsunion mit leichtfertigen Argumenten einer durchsichtigen Taktik opfert, erweist Deutschland und Europa einen schlimmen Dienst.
- Schreien Sie doch auf Ihrem Parteitag! Herr Kuhlwein, da können Sie es in der nächsten Woche klären. Schreien Sie dann dort, damit man Sie endlich einmal vernünftig hört. Dort können Sie es tun.
Die Gestaltung eines föderalen, ökonomisch erfolgreichen und politisch stabilen und einigen Europas ist nach zwei Weltkriegen eine Jahrhundertaufgabe - gerade für Deutschland, das nach über 40 Jahren Teilung seine Einheit wiedergewann. Ministerpräsident Schröder hat recht: Europa ist ein
wichtiges nationales Thema. Aber es taugt nicht für billige Wahlkampftaktik.
Als ich in der nichtöffentlichen Sitzung eines Bundestagsausschusses auf Fragen von Abgeordneten - auch der SPD - die strikte Einhaltung der Konvergenzkriterien unterstrichen habe, hat mir Herr Scharping vorgeworfen, ich hätte damit volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet, und ich glaube, Herr Struck hat diesen Unsinn heute nochmals wiederholt. Vielleicht war es auch Herr Diller.
Ich habe mich für die Stabilität der Währungsunion eingesetzt, und ich brauche von dem, was ich dort gesagt habe, nicht ein Wort zurückzunehmen. Sie hingegen zünden eine gefährliche Lunte an.
Da tönt der Ministerpräsident des Saarlandes, der Maastricht-Vertrag sei schlampig ausgehandelt, und man benötige im übrigen zunächst eine Harmonisierung vieler Politikbereiche in der Europäischen Union.
Meine Damen und Herren, in der Stellungnahme des Bundesrates zum Vertrag findet sich nicht ein Wort über Mängel bei der Konzeption der Wirtschafts- und Währungsunion. Wo waren denn Ihre Wünsche? Sie hätten sie doch zum Ausdruck bringen können.
Zur Harmonisierung aller möglichen Politikbereiche: Wir wollen keine Eurokratie. In einem föderalen Europa soll nur das wirklich Notwendige gemeinsam geregelt werden. Dazu gehört die Währungsunion, nicht aber alle möglichen Elemente der Sozial-, Wirtschafts-, Familien- oder Lohnpolitik. Wer etwas anderes als Vorleistung für eine Wirtschafts- und Währungsunion fordert, ist gegen ein föderales Europa. Zugleich verschiebt er die für die globalen Herausforderungen des nächsten Jahrtausends ökonomisch und politisch notwendige Wirtschafts- und Währungsunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Zu dem gleichen Ergebnis führt die irrige Meinung von Ministerpräsident Schröder, fast alle Länder der EU müßten von Beginn an bei der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen. So könnten einzelne Länder die Wirtschafts- und Währungsunion verhindern. Das kann nicht sein. Nur eindeutige Aufnahmekriterien sichern den in jedem Land notwendigen Konsolidierungsdruck.
Ihr gutes Recht und Ihre nationale Pflicht ist es, sich bei der strikten Einhaltung der Maastricht-Kriterien zu Wort zu melden. Es wäre ein Zeichen, daß Sie aus den finanzpolitischen Fehlern Ihrer Regierungszeit der 70er Jahre etwas gelernt hätten; denn damals hatten wir andere Finanzkennziffern, als wir sie jetzt trotz der Lasten und Aufwendungen für die deutsche Einheit erreicht haben. In puncto Stabilität und Solidität werden Sie uns ganz bestimmt nicht überholen.
Ich erinnere mich gut an so manche abwertende Äußerung von Ihnen über die konsequent stabilitäts-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
orientierte Geldpolitik der Deutschen Bundesbank. Jetzt wollen Sie uns und Europa in Sachen Stabilitätspolitik den Weg weisen? Wir haben in Maastricht unsere erfolgreiche Philosophie der Geldpolitik und unsere stabilitätsorientierte Finanzpolitik im Vertrag verankert. Damals haben Sie noch von „D-Mark-Nationalismus" geredet. Politiker der Opposition haben uns damals zu weiteren Zugeständnissen aufgefordert. Wenn Herr Scharping dann heute die für ihn neue Erkenntnis hat, stabiles Geld habe absoluten Vorrang vor jedem Zeitplan, frage ich allen Ernstes, ob er auch nur einmal dem zugehört hat, was ich seit Jahr und Tag sage: daß nämlich die Konvergenz den Zeitplan bestimmt und nicht umgekehrt.
Diese Regierung steht an der vordersten Linie für noch mehr Solidität und Glaubwürdigkeit bei der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion.
Auf ihrem Parteitag will die SPD jetzt über einen europäischen Stabilitätspakt beraten. Ich habe bereits im September einen ergänzenden Stabilitätspakt für Europa als bindende Selbstverpflichtung der Teilnehmer an der dritten Stufe der EWU angeregt.
- Nein.
Ich bedanke mich für Ihre Zustimmung. Nur, dann dürfen Sie mich nicht kritisieren, sondern Sie müssen sagen: Jawohl, das hat der Waigel völlig zu Recht gesagt; wir ziehen immer in einem Abstand von Jahren oder Monaten hinter dem her, was die Regierung bereits gesagt hat. - Das ist die Konsequenz.
Für diesen Stabilitätspakt schlagen wir unter anderem folgende Elemente vor: Das Staatsdefizit darf auch in wirtschaftlich ungünstigen Perioden die 3-Prozent-Linie von Maastricht nicht mehr überschreiten. Ein Defizitziel von 1 Prozent in wirtschaftlichen Normallagen wird mittelfristig angestrebt. Länder mit hoher Ausgangsverschuldung verpflichten sich, diesen Wert noch zu unterschreiten. Ausnahmen davon sind nur mit Zustimmung der Partner und in extremen Ausnahmefällen zulässig, beispielsweise bei Naturkatastrophen. Gleichzeitig unterwerfen sich die Teilnehmer einer Präzisierung und Ergänzung der Sanktionsmechanismen nach dem Maastricht-Vertrag. Die Teilnehmer gründen einen europäischen Stabilitätsrat, auf dem über die Koordinierung der nationalen Finanzpolitik beraten und die notwendigen Beschlüsse gefaßt werden. Der Stabilitätspakt ist ein zusätzliches Zeichen für die Märkte. Solidität und Glaubwürdigkeit der Europäischen Währungsunion werden damit noch weiter gestärkt.
Die Währungsunion wird zum Motor für Wachstum
und Arbeitsplätze, auch in Deutschland. Die gemeinsame Währung wird im Konzert der Weltwährungen
zusammen mit Dollar und Yen einen wichtigen Part spielen. Sie ist der Katalysator für die weitere europäische Integration und attraktiver Mittelpunkt einer größer werdenden Europäischen Union.
Im Interesse der gemeinsamen Sache fordere ich Sie auf, in dieser Frage nicht zu polarisieren, sondern gemeinsam mit uns am Aufbau Europas zu arbeiten. Hören Sie auf den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Ihren Parteifreund Klaus Hänsch, und auch auf die EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies, die Ihnen sehr klar die Meinung gesagt hat.
Meine Damen und Herren, gerade beim Haushalt 1996 geht es der Opposition nicht um eine sachliche Auseinandersetzung, sondern, wie sich in den letzten Tagen gezeigt hat, um ein Medienspektakel. Ein Beispiel dafür ist die von Ihnen inszenierte Vorstellung anläßlich der Anpassung des Bundeshaushalts 1996 an die Zahlen der aktuellen Steuerschätzung. Da haben Sie den Finanzplanungsrat mißachtet, einen seit Monaten feststehenden Termin, auf dem ich - auch mit den SPD-Länderfinanzministern - wichtige Fragen der nationalen Finanzpolitik beraten habe.
Sie haben mit dramatischer Geste die Gespräche im Haushaltsausschuß verlassen und versucht, hier in diesem Hause in einer Fragestunde und in einer Aktuellen Stunde ein Tribunal zu veranstalten. Wir haben den Haushaltsausschuß mit den notwendigen Zahlen und den notwendigen Fakten zur Finanzierung der Steuerausfälle versorgt.
Wir haben zu jedem einzelnen Punkt Rede und Antwort gestanden. Statt dessen sind Sie dann mit den Zahlen einer Übersichtstabelle in das Parlament vor die Kameras gelaufen und haben eine ziemlich bescheidene Vorstellung gegeben.
Ich bin gespannt, wer von Ihnen endlich alternative seriöse Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung bringt. Nichts ist bis jetzt gekommen.
Eines ist einem allerdings bisher entgangen: daß Frau Matthäus-Maier mit dem Jäger 90 gekommen wäre. Es wird aber auch immer schwieriger, weil Herr Schröder und andere eine immer größere Liebe zu diesem Jäger entwickeln. Über Jahre hier Stimmung zu machen, die Kindergärten, Schulen und Straßen, die man für einen einzelnen Jäger hätte bauen können, aufzurechnen und am Schluß mit den Stimmen der SPD im Bundesrat und in anderen Gre-
Deutscher Bundestag - 13, Wahlperiode - 66. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1995 5673
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
mien doch ja zu sagen, das halte ich für eine demagogische und auch für eine verlogene Politik.
Bundesrat zum Jäger 90 ja gesagt? Das
möchte ich wissen!)
Hans Apel hat recht. Er sagt: Es wird dauern, bis der langjährige Abstieg der SPD in das Reich der Illusionen und Ideologien rückgängig gemacht werden kann. - Wir brauchen uns nicht von Ihnen über Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit belehren zu lassen.
Meine Damen und Herren, ein Ergänzungshaushalt ist nicht notwendig. In einschlägigen Kommentaren zu § 32 der Bundeshaushaltsordnung wird gerade für den Fall einer neuen Steuerschätzung eine Unterrichtung des Haushaltsausschusses als ausreichend angesehen.
Zur Erinnerung: In der ganzen Regierungszeit der SPD haben Sie nur in einem einzigen Jahr einen Haushalt vor Beginn des Haushaltsjahres verabschiedet, und zwar am 21. Dezember 1979. In den Haushaltsberatungen 1981 haben wir im Haushaltsausschuß einen Ergänzungshaushalt gefordert. Das haben Sie - mündlich, ohne eine einzige Zahl herauszugeben - abgelehnt.
Einmal haben Sie selbst einen Ergänzungshaushalt vorlegen müssen. Das war im Haushaltsjahr 1977. Da hatten Sie im Januar 1977 gerade einmal die Kabinettsvorlage fertig.
Wer in seiner Regierungszeit solche Probleme hatte, den Haushalt rechtzeitig vorzulegen, der braucht uns keine Vorschriften über den Umgang mit Haushalt, Parlament, Unterrichtung und Haushaltsausschuß zu machen.
Die aktuelle Steuerschätzung hat für die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden gegenüber der letzten Steuerschätzung vom Mai 1995 ein Minus von rund 26 Milliarden DM für 1995 und von rund 29 Milliarden DM für 1996 ergeben. Das ist zum Teil Folge einer deutlich verbesserten Preisstabilität und einer vorübergehenden realen Wachstumsverringerung. Daneben beruhen die Steuerausfälle auf den hohen Steuererstattungen aus dem Rezessionsjahr 1993 und aus der - positiv zu bewertenden - überraschend hohen Inanspruchnahme der steuerlichen Investitionsförderung in den neuen Bundesländern.
Eine Anmerkung zum Thema Täuschen oder Verheimlichen. Sie wissen ganz genau: Im Arbeitskreis Steuerschätzung sitzen vor allem die Vertreter der Länder. Ich frage hier einmal Frau Simonis: Warum hat denn das Land Schleswig-Holstein nicht schon vor Monaten Zeter und Mordio geschrien? Sie hat doch die Zahlen auf dem Tisch gehabt. Oder sind sie
vielleicht in einer Schublade in Schleswig-Holstein verschwunden?
Im übrigen schätzten die OECD und der IWF für 1996 ein reales Wachstum von 3,3 Prozent. Im Juni ging die OECD auf 2,7 Prozent. Die Schätzungen anderer Institute lagen zwischen 2,7 Prozent und 2,9 Prozent, also auf der Linie der Prognose der Bundesregierung von Anfang des Jahres mit 27/4 Prozent. Erst Anfang September wurden die Prognosen zurückgenommen. Die leichte Korrektur bei der Steuerschätzung im Mai haben wir selbstverständlich übernommen.
Übrigens habe ich gestern gelesen, daß das Ifo-Institut eine neue Analyse vorgelegt hat, nach der bei den Steuereinnahmen „eher eine Reserve von 25 Milliarden DM bestehe". Frau Matthäus-Maier, was soll ich jetzt tun? Soll ich jetzt wieder schnell die neueste Schätzung zur Grundlage machen? Oder halten wir uns an das, woran ich mich und Sie und jeder im Haus sich zu halten hat, nämlich an die Steuerschätzung im Mai oder im Oktober oder im November des Jahres? Nichts anderes können wir tun, und das haben wir korrekt gemacht.
Wir haben, wie der Kollege Roth zu Recht dargestellt hat, Parlament und Öffentlichkeit informiert. Wir haben miteinander Konsequenzen für die Haushaltsführung gezogen. Alle Ausgaben über 1 Million DM und Verpflichtungsermächtigungen mit Fälligkeit 1996 von über 10 Millionen DM sind gesperrt und müssen vom Finanzministerium freigegeben werden. Wir werden dies insbesondere bei Maßnahmen mit einer nachweislich beschäftigungsfördernden Wirkung auch tun. Zum Instrument der Haushaltssperre haben nun auch einige Länder gegriffen. Unser Ziel für 1995 bleibt, die veranschlagte Nettokreditaufnahme von 49 Milliarden DM nicht signifikant zu überschreiten.
Meine Damen und Herren, wir lassen uns nicht von unserem Stabilitätskurs abbringen. Vergleicht man beim Defizit des Bundeshaushalts die Soll-Planungen und die Ist-Ergebnisse von 1989 bis 1995, so summieren sich die positiven Abweichungen auf etwa 100 Milliarden DM. In dieser Größenordnung haben wir weniger Schulden aufgenommen als geplant. Nur im Rezessionsjahr 1993 mußten wir 28 Milliarden DM mehr aufnehmen, als im Regierungsentwurf geplant. Das heißt, wir haben über einen langen Zeitraum gesehen sehr vorsichtig und sehr konservativ gearbeitet und haben uns, mit Ausnahme eines einzigen Jahres, im Ist jedesmal verbessert - und da machen Sie ein solches Theater, wenn in einem Jahr auf Grund mehrerer Faktoren, für die wir nicht verantwortlich sind, andere Annahmen eingesetzt werden müssen.
Uns wären andere Zahlen auch lieber gewesen. Aber selbstverständlich müssen wir uns an die Vorgaben halten; wir tun dies. Sie unternehmen einen verzweifelten Versuch, um aus Ihrem Dilemma her-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
auszukommen. Beteiligen Sie sich endlich an den alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, anstatt nur eine politische Show abzuziehen! Dann werden Sie Ihrer Aufgabe als Parlamentarier und als Opposition gerecht.
Mit der symmetrischen Finanzpolitik haben wir eine mittelfristige Konzeption, die von der G 7, dem IWF, der OECD und jetzt von den Forschungsinstituten in deren Herbstgutachten mit sehr guten Noten versehen wurde. Der Haushalt 1996 - mit der Durchbrechung des Gesetzes der wachsenden Staatsausgaben - wurde in einer Veröffentlichung des Instituts der deutschen Wirtschaft sogar mit der Überschrift „Wunder nach 42 Jahren" versehen.
In einem Beitrag der Woche", einer Zeitung, die uns ja nicht übermäßig freundlich gesonnen ist, vom 3. November 1995 - ich habe das nicht selber geschrieben, sondern nur gelesen - berichtet ein Börsenexperte von einem Schlüsselerlebnis: Der Markt sei sofort in die Knie gegangen, als Gerüchte aufkamen, Theo Waigel werde Außenminister. Der Finanzminister sei ein Stabilitätsfaktor, der noch gebraucht wird als Sachwalter der Mark. - Das hat mich gefreut und Klaus Kinkel auch.
- Das brauche ich nicht. Vielleicht, wenn Sie noch sehr viel älter werden, Herr Diller, schreibt man das über Sie auch einmal. Aber bisher werfen Sie auf der Börse keinen Schatten.
Mit diesen Tatsachen und Urteilen zur Finanz- und Haushaltspolitik und zu meiner Person kann ich gut leben.
Meine Damen und Herren, mir soll die „Mißbilligung" ausgesprochen werden. Ich bin wirklich enttäuscht; nicht einmal die Rücktrittsforderung wird erhoben. Gerade jetzt, nachdem ich sechseinhalb Jahre Finanzminister bin, hätte ich das schon einmal erwartet, damit etwas Spannung in das Ganze kommt.
Aber mit der Mißbilligung von Ihnen kann ich gut leben. Das ist eher eine Ehrenbezeugung für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
- ein paar Tage nehme ich aus -, die durch ihre konzentrierte, sachbezogene Beratung die Einhaltung des Zeitplanes ermöglicht haben. In erster Linie gilt das für die Kollegen der Koalition. Dem Kollegen Wieczorek hätte ich, wenn er dagewesen wäre, auch
gedankt. Auch er ist ja immer dabeigewesen. Man soll die Haushaltspolitiker der SPD aus der konstruktiven Mitwirkung, von der einen Woche abgesehen, nicht völlig herausnehmen. Sie sind ja heute wieder eingezogen. Wir werden auch den nächsten Haushalt wieder beraten.
Trotz hoher Steuerausfälle für Bund, Länder und Gemeinden kann die Nettokreditaufnahme des Bundes in der Größenordnung von 60 Milliarden DM gehalten werden. Dabei spielt die günstige Zinsentwicklung eine Rolle. Sie ermöglicht eine Veningerung der Zinsausgaben um mehr als 2 Milliarden DM.
Auch die intensivierten Privatisierungsanstrengungen werden einen erheblichen Beitrag leisten. Bei der Privatisierung verfolgen wir ein langfristiges und bisher erfolgreiches Konzept.
Die im Haushalt veranschlagten Privatisierungen sind nicht aus dem Hut gezaubert. Sie wissen, daß wir in die Koalitionsvereinbarungen all das hineingeschrieben haben und uns in der letzten und auch in dieser Legislaturperiode exakt an das halten, was aus ordnungspolitischen Gründen sinnvoll und notwendig ist.
Ich komme nun zu ein paar Einzelfällen.
Zur Lufthansa-Privatisierung liegt ein Gutachten vor, das mehrere Wege zur Überwindung der EUrechtlichen Probleme aufzeigt. Wir werten dieses Gutachten aus. Es gibt keinen Zweifel: Die Privatisierung kann 1996 fortgesetzt werden.
Die Privatisierung der Postbank ist nicht durch den Bund, sondern durch die Entwicklung in den Postunternehmen beschleunigt worden. Die Privatisierungsmöglichkeiten werden jetzt durch einen international erfahrenen und professionellen Berater geprüft. Auch in diesem Fall gibt es keinen Zweifel: Die Privatisierung wird 1996 über die Bühne gehen. Wie immer wir uns entscheiden: Die Angebote werden jedenfalls über dem liegen, was wir bisher dazu angesetzt haben.
Zur Privatisierung der Wohnungsunternehmen hat uns der Bauminister schon vor einigen Wochen mitgeteilt, daß von seiner Seite her gegen die Privatisierung nichts mehr einzuwenden sei. Damit war es möglich, diese seit langem anstehende Privatisierung noch im Haushalt 1996 unterzubringen.
Dieses Privatisierungsvorhaben - darauf hat der Kollege Roth hingewiesen - taugt im übrigen nicht für eine Angstkampagne bei den Mietern. Wenn Sie schon zu diesem Mittel greifen müssen, sind Sie mit Ihren Argumenten ganz schnell am Ende. Wenn man bedenkt, wie der Leitantrag der SPD zur Wirtschaftspolitik auf dem Parteitag aussieht und was Sie die letzten zehn Jahre hier von sich gegeben haben, dann meint man, daß Sie vor Scham erröten müßten - wenn das überhaupt möglich ist.
Bundesminister Dr. Theodor Walgel
Es werden Anteile an Gesellschaften verkauft. Die Mietverträge bleiben von dieser Privatisierung unberührt, und die Belegungsrechte sind gesichert.
Wir hatten bisher noch nie einen Flop bei Privatisierungen des Bundes. Das wird auch so bleiben. Die Privatisierungen sind ordnungspolitisch richtig und legitim, seriös vorbereitet, und sie werden die angesetzten Haushaltsbeträge erbringen.
Der Haushalt 1996 setzt zugleich ein deutliches Zeichen für die Rückführung der Steuer- und Abgabenbelastung. Die Bürger werden 1996 um rund 27 Milliarden DM netto entlastet. Rund 20 Milliarden DM davon entfallen auf den Bundeshaushalt. Die gegenüber dem Regierungsentwurf höheren Arbeitsmarktausgaben von über 6 Milliarden DM werden durch Einsparungen auf der Ausgabenseite des Haushalts ausgeglichen. Die Ausgaben des Bundes bleiben 1996 im Vergleich zum Vorjahr - ich wiederhole das -, bereinigt um die Systemumstellung beim Kindergeld, rückläufig. Trotz der zusätzlichen Arbeitsmarktaufwendungen sinken sie gegenüber 1995.
Deutschland wird auch 1996 die Maastricht-Kriterien zur Nettoneuverschuldung und zum Schuldenstand nicht überschreiten. Die Konjunkturaussichten sind nach wie vor gut. Deutschland bleibt ein Motor der Weltwirtschaft. Dies gilt trotz der für 1995 leicht nach unten korrigierten Wachstumsprognose von 2,5 Prozent.
Auch 1996 bleibt das Wachstum dynamisch. Nach der Steigerung des Exports und der Investitionstätigkeit können wir - auch dank der vorgesehenen Steuer- und Abgabenentlastungen - im nächsten Jahr mit einer deutlichen Zunahme des privaten Verbrauchs rechnen.
Der Preisauftrieb liegt derzeit anhaltend unter 2 Prozent. 1996 ist mit einer weiterhin günstigen Entwicklung der Preise zu rechnen. Dies ist erfreulich - auch wenn der moderate Preisanstieg eine der Ursachen für die hohen Steuerausfälle ist, die wir im Haushalt zu verkraften haben.
Die günstige Preisentwicklung wird durch eine günstige Zinsentwicklung ergänzt. Die seit Jahresanfang deutlich gesunkenen Zinsen tragen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei. Sie unterstreichen das internationale Vertrauen in die Deutsche Mark. Die D-Mark bleibt auch in Zukunft stabil und ein verläßlicher Anker des Europäischen Währungssystems.
Sinkende Zinsen führen nicht nur zu einer Entlastung der privaten Häuslebauer; sie sind der beste Motor für Investitionen. Jeder Punkt bei sinkenden Zinsen und jeder Punkt weniger Inflation stützen die Konjunktur.
Neben den Kapitalkosten bestimmen die Lohn- und Lohnnebenkosten ganz wesentlich die Rentabilität von Investitionen und entscheiden damit über die Attraktivität des Standorts Deutschland. Hier sind insbesondere die Tarifpartner gefordert. Wir brauchen auch in Zukunft moderate Lohnsteigerungen, ein zunehmendes Maß an Deregulierung und Flexibilisierung auf den Arbeitsmärkten. Wir müssen die Produktivität weiter steigern und die Lohnstückkosten senken.
Das wäre ein wichtiger Beitrag für das zukünftige Wachstum in Deutschland und ein wichtiger Impuls für den Abbau der immer noch zu hohen Arbeitslosigkeit. Ich finde, die Anregungen der IG Metall sind ein guter Ansatz. Eine Lohnpolitik, die sich stärker um die Arbeitslosen kümmert, ist ein Gebot der Stunde.
Die Bundesregierung hat mit der Fortführung des erfolgreichen Langzeitarbeitslosenprogramms einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geleistet. Wer allerdings Lohnnebenkosten durch geringere Arbeitslosenversicherungsbeiträge oder Rentenversicherungsbeiträge senken will, muß auch sagen, welche Steuern er erhöhen will, wenn sogenannte versicherungsfremde Leistungen im Steuersystem finanziert werden sollen.
Eine Scheinkonsolidierung auf Kosten der Steuerzahler kann nicht die Lösung sein. Richtig ist es, die Reformen im Sozialsystem selbst vorzunehmen. Nur auf diesem Weg können wir zu einer Senkung der Lohnnebenkosten kommen, ohne gleichzeitig die Steuerquote weiter zu erhöhen.
Die vorgesehenen Einsparungen durch die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes sind daher nicht nur für den Bundeshaushalt wichtig, sondern dienen zugleich der dringend notwendigen Stärkung der Anreizstrukturen des Arbeitsmarktes.
Die Leistungen des Bundes für die neuen Lander bleiben auch 1996 hoch. Mehr als jede fünfte Mark der Ausgaben gehen als Transferleistung in die neuen Länder. Hinzu kommen seit 1995 die hohen Leistungen des Bundes im Rahmen des neu geregelten Finanzausgleichs und die Übernahme der finanziellen Erblasten der DDR im Erblastentilgungsfonds.
Wenn 1996 ein Rückgang der Transferleistungen auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen ist, dann ist das neben der Umstellung beim Familienleistungsausgleich im wesentlichen auf die positive wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern zurückzuführen. Das ist erfreulich und kein Grund zur Klage.
Mit dem Jahressteuergesetz wird die Wirtschaftsförderung in den neuen Ländern in gestraffter und konzentrierter Form fortgesetzt. Eine Reihe von bewährten Fördermaßnahmen, Sonderabschreibungen, die Investitionszulage und die Aussetzung der Vermögensteuer, sind bis 1998 verlängert worden. Wir haben darüber hinaus Maßnahmen zur Stärkung der nach wie vor zu dünnen Eigenkapitaldecke von kleinen und mittleren Unternehmen aus den neuen Ländern ergriffen.
Ab sofort werden wir für diese Unternehmen zinsgünstige Darlehen zur Verfügung stellen. Aus dem Eigenkapitalfonds Ost sollen bis 1998 Fördermittel in
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
mittelständische Unternehmen fließen. Der Bund und die neuen Länder finanzieren auch die Lehrstelleninitiative Ost mit insgesamt bis zu 14 500 zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen.
Derzeit gibt es Kritik an der Übernahme des DDRBankensystems durch westdeutsche Institute. Fachleute haben damals die Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Wir haben nichts zu verbergen. Wir werden vor den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages zu allen im Bericht des Bundesrechnungshofs aufgeworfenen Fragen und Wertungen ausführlich im Einzelfall Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, eines will ich dazu sagen: Damals, zum Teil noch vor der Wiedervereinigung, zum Teil danach, mußte schnell gehandelt werden. Damals mußte entschieden werden. Es ist ein Unterschied, ob ich fünf Jahre danach einzelne Dinge aufschlüssle, oder ob ich handeln muß, um möglichst schnell in Ostdeutschland einen Aufschwung und ein funktionierendes Bankensystem zu erreichen und eine Organisation der Institute aufzubauen, die in der Lage sind, das aufzugreifen, was in der damaligen schwierigen Zeit erforderlich war. Das muß man in die Betrachtung mit einbeziehen.
Der Standort Deutschland braucht dringend niedrigere Steuern. Das wird - bei allem Lob - von IWF, OECD und auch im Herbstgutachten der Forschungsinstitute angemahnt. Bei der Einkommensteuer wollen wir wieder zum Idealverlauf eines durchgehend linear-progressiven Tarifs zurückkehren. Zunächst haben wir den Solidaritätszuschlag im Blick. Ab 1998 sollte es hier einen Abbauschritt geben.
Im Mittelpunkt der Fortsetzung der Unternehmensteuerreform steht nach wie vor die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die zu Recht als Arbeitsplatzvernichtungssteuer bezeichnet wird. Diese Steuer ist ein Fossil, eine internationale Sonderbelastung unserer Unternehmen, die das Kapital als Voraussetzung für Investitionen und Arbeitsplätze noch besteuert und sogar Schulden belastet. Darüber hinaus wollen wir den Mittelstand bei der Gewerbeertragsteuer gezielt entlasten. Das Ausmaß ist allerdings davon abhängig, in welchem Umfang wir zur notwendigen Gegenfinanzierung auf eine Absenkung der degressiven Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter zurückgreifen können.
Meine Damen und Herren, es wäre bei gutem Willen sehr wohl möglich gewesen, noch zum 1. Januar 1996 dieses wichtige positive Signal für die Konjunktur und für die Wirtschaft zu erreichen.
Ich bedaure, daß dies nicht möglich war, obwohl es doch in Ihren Reihen zwischenzeitlich niemanden mehr gibt, der die Gewerbekapitalsteuer wirklich verteidigt.
Sie verzögern es um ein Jahr, obwohl wir durchaus ein Konzept auf dem Tisch hatten, wie zum gleichen Zeitpunkt eine Gemeindefinanzreform hätte durchgeführt werden können, die die Gemeinden endlich von der sehr konjunkturabhängigen Gewerbesteuer etwas befreit hätte und ihnen einen sicheren Anteil an einer ständig steigenden und sicher fließenden Umsatzsteuer gebracht hätte. Das wäre eine wirkliche Reform für 1996 gewesen.
Wir werden über diese Frage und über die Frage ökologischer Elemente im Steuersystem miteinander sprechen. Gestern hat ein erstes solches Gespräch stattgefunden.
Die Weiterentwicklung ökologischer Elemente im Steuersystem muß sich am Lenkungsziel orientieren und aufkommensneutral umgesetzt werden. Sie muß sich in den notwendigen Konsolidierungsrahmen für die öffentlichen Haushalte einpassen und darf der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland nicht schaden. Darum werden wir alles daransetzen, trotz aller Schwierigkeiten zu einer europäischen Regelung zu kommen. Es wäre fatal, wenn bei uns eine Verteuerung von Energie stattfindet und im Nachbarland nicht; denn wir können es uns nicht leisten, Arbeitsplätze in einer Zeit zu exportieren, in der wir mehr Arbeitsplätze in Deutschland benötigen.
Jetzt geht es auch darum, in einzelnen Lebensbereichen ökologische Akzente zu setzen. Wir wollen beim Verkehr, beim Wohnen und bei der Arbeit ansetzen.
Beim selbstgenutzten Wohneigentum fördern wir zum Beispiel energiesparende Investitionen. So gibt es eine erhöhte Zulage von maximal 500 DM für heizenergiesparende Maßnahmen - Solaranlagen, Wärmepumpen, Anlagen zur Wärmerückgewinnung - und zusätzlich eine erhöhte Zulage für Neubauten von Niedrigenergiehäusern in Höhe von 400 DM.
- Pro Jahr! Danke, Kollege Kansy.
Auch beim Verkehr arbeiten wir an diesen Ansätzen.
Bei der Wohnungsbauförderung haben wir inzwischen den Beschluß zur Ablösung des komplizierten § 10e EStG gefaßt. Die neue Wohnungsbauförderung konzentriert sich auf eine progressionsunabhängige Förderung und wird vor allem den Familien mit kleinen und mittleren Einkommen die Wohneigentumsbildung erheblich erleichtern.
Die Erbschaftsteuer und die Vermögensteuer müssen nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt werden. Zwar hat der Gesetzgeber für Neuregelungen bis zum 31. Dezember 1996 Zeit. Die Neuregelungen im Bereich der Erbschaft-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
steuer müssen aber rückwirkend zum 1. Januar 1996 Anwendung finden. Für das nächste Jahr schlagen wir zur Vermeidung von Unsicherheiten eine „Vertrauenserklärung" vor: Niemand zahlt im Erbfall höhere Steuern als 1995. In diesem Sinn haben wir an die Länderfinanzminister geschrieben, und in diesem Sinn wollen wir diese Woche noch mit den Länderfinanzministern sprechen.
Wir nehmen damit den Druck und die Unsicherheit bei vielen Menschen weg, die glauben oder Angst haben, vielleicht noch in den wenigen Wochen dieses Jahres bestimmte Regelungen vornehmen zu müssen. Ich würde mich sehr freuen, wenn es gelänge, zwischen Bund und Ländern zu einer übereinstimmenden Meinung in dieser Frage zu kommen.
Meine Damen und Herren, kein Zweifel: Die finanzpolitischen Handlungsspielräume sind enger geworden. Das Wachstum der Ausgaben im Finanzplanungszeitraum wird deutlich unter dem prognostizierten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts liegen. Das Haushaltsmoratorium wird strikt eingehalten. Neue Maßnahmen ohne vollständige Gegenfinanzierung wird es nicht geben. Das Ziel der Reduzierung der Staatsquote, der Defizite und der Steuerquote bleibt die wichtigste Handlungsmaxime.
Konsolidierung und Steuersenkung werden wir genau aufeinander abstimmen. Eine einseitige Konzentration allein auf den Abbau der Defizite kann es nicht geben. Aber auch umgekehrt gilt: Steuersenkungen auf Pump kann es gleichfalls nicht geben. Wir werden durch eine konsequente Sparpolitik oder eine Rückgabe von Umsatzsteuerpunkten durch die Länder den damit freiwerdenden Spielraum unmittelbar nutzen, um die Steuerlast zu senken. Das gilt insbesondere für den Solidaritätszuschlag.
Wir müssen, meine Damen und Herren, die Zukunft gemeinsam gestalten. Weiterer Konsolidierungsbedarf kommt auf uns zu. Bund, Länder und Kommunen sind gleichermaßen in der Pflicht, finanzpolitische Verantwortung für die Zukunft Deutschlands zu übernehmen: für eine niedrige Staatsquote, solide Staatsfinanzen, niedrige Defizite, eine leistungs- und wettbewerbsfreundliche Steuerlast. Es gibt bei Bund und Ländern keine Alternative zur Konsolidierung, zur Beschränkung auf das Wesentliche. Wir können nicht über unsere Verhältnisse leben.
Wir müssen auch gemeinsam Verantwortung für Europa übernehmen. Es ist nicht allein die Aufgabe des Bundes, die Maastricht-Kriterien zu garantieren.
Der Stabilitätspakt für Europa muß durch einen nationalen Stabilitätspakt ergänzt werden. Die Aufgabe ist groß; ich werde daher die Länderfinanzminister in Kürze zu Beratungen über einen solchen Stabilitätspakt einladen. Wir sollten über die im gemeinsamen Interesse liegenden finanzpolitischen Notwendigkeiten Einigung erzielen.
Auch bei der SPD gibt es erfreuliche Zeichen für ein Umdenken in der Finanzpolitik. Im finanzpolitischen Leitantrag für Ihren Mannheimer Parteitag haben Sie einige alte Zöpfe abgeschnitten. Die Aussagen zur Tarifpolitik, zur Reform des Sozialversicherungssystems, zur Haushaltspolitik lauten: „Nicht alles, was wünschbar ist, ist auch finanzierbar." Nur, wie paßt es dann zusammen, wenn Herr Diller in einem einzigen Katalog alles, was schön und wünschenswert wäre, zusammenstellt und uns vorwirft, daß dies im Haushalt nicht enthalten ist? Meine Damen und Herren, Herr Diller, lesen Sie endlich die eigenen Anträge, zu denen Sie vielleicht ja, möglicherweise nein sagen. Nach dem, was Sie heute von sich gegeben haben, müssen Sie diesen Leitantrag ablehnen. Das wäre jedenfalls konsequent.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal Fritz Schäffer aus dem Jahr 1950 zitieren:
Wir haben uns in diesem Jahr bemüht, - das gilt auch für uns -
die Finanzen und das Haus des deutschen Volkes in Ordnung zu halten. Wir haben uns gerade deshalb darum bemüht, um uns eine feste Grundlage aufzubauen, auf der wir auch die Lasten einer Zukunft werden tragen können. Wir haben uns darum nicht um irgendwelcher schönen Theorien willen bemüht, sondern wir haben uns darum bemüht, weil es eine Pflicht war aus dem Gedankengang heraus, daß wir alle zusammen nur einem dienen, der Gesamtheit des ... deutschen Volkes.
Ich habe die Hoffnung, daß alle Seiten dieses Hauses und die Mitglieder des Bundesrates in diesem Geiste konstruktiv an der Gestaltung der Zukunft zusammenwirken und mitarbeiten werden.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Herr Kollege Waigel, ich hatte soeben vorgerechnet, daß nach Ihren eigenen Aussagen die Ausgaben 1996 höher sein werden als 1995, nämlich etwa 3 Milliarden DM höher, während Sie und Ihre Kollegen immer behaupten, sie würden sinken. Sie haben daraufhin in Ihrer Rede gesagt, dieser Vergleich von mir sei unseriös; denn man dürfe nie Ist-Zahlen mit Soll-Zahlen vergleichen.
Dazu habe ich zwei Bemerkungen:
Erstens. Aus der Tatsache, daß Sie einen anderen Vergleich wählen, ist ganz klar abzuleiten, daß Sie meine Zahlen überhaupt nicht bestreiten. Ende dieses Jahres 1995 werden nach Ihren eigenen Aussagen die Ausgaben deutlich geringer sein als die Ausgaben 1996. Also steigen die Ausgaben.
Ingrid Matthäus-Maier
Zweitens. Herr Waigel, mir liegt Ihr Finanzplan 1995 bis 1999 vor. Siehe da: In diesem Finanzplan vergleichen Sie die Ist-Zahl 1994 mit der Soll-Zahl 1995. Nicht ich war unseriös, sondern Sie haben unseriös geantwortet, weil Sie zu Recht Ist- und SollZahlen vergleichen, wie auch ich es heute abend getan habe.
Herr Kollege Waigel, wollen Sie antworten? - Nein.
Dann hat jetzt der Kollege Joachim Poß, SPD, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die Waigel-Methode in Perfektion erlebt. Herr Bundesfinanzminister, für alles, was gut ist, sind Sie verantwortlich; für alles, was schlecht läuft, sind es die anderen. Selbst die Verbesserung beim Kindergeld, selbst die Umstellung bei der steuerlichen Wohneigentumsförderung ziehen Sie sich sozusagen auf Ihren Hut. Dabei haben Sie konzeptionell mit diesen Verbesserungen überhaupt nichts zu tun.
Hemmungslos sind Sie auch im Selbstlob. Der Vergleich mit Fritz Schäffer spottet nun wirklich jeder Beschreibung, mit Ausnahme der Tatsache, daß Sie landsmannschaftlich verbunden sind. Herr Schäffer konnte den Juliusturm schaffen. Sie schaffen Billionen Schulden.
- Billionen, Herr Kollege, habe ich gesagt. Eine Billion hat er bisher in seiner Amtszeit gemacht. Sich da mit dem Kollegen Schäffer zu vergleichen, zeigt doch, wie realitätsfremd dieser Herr Waigel inzwischen geworden ist, wie er sich die eigene Welt schönmalt, um seinem Amt besser nachgehen zu können.
Ich glaube also, Herr Dr. Waigel, Sie müssen sich doch einmal stärker mit den Fakten auseinandersetzen. Zu den Fakten zählt, daß Sie mit Ihren Gesetzentwürfen in diesem Jahr ein Desaster wie noch nie erlebt haben, daß Ihre Finanzpolitik eine Mischung aus Fehlern, Chaos und Unvermögen ist. Sie ist das genaue Gegenteil von solide, berechenbar und klar. Zwei Anläufe haben Sie beim Jahressteuergesetz 1996 unternommen, um einen Einkommensteuertarif vorzulegen. Beide Male sind Sie zu kurz gesprungen und im Wassergraben gelandet. Der von Ihnen vorgelegte Buckeltarif war ein Stück aus dem steuerpolitischen Gruselkabinett. Erst im Rahmen der steuerpolitischen Beratungen wurde dann ein Tarif entwickelt, der letztlich akzeptabel war. Nun haben wir dieses Chaos mit dem Haushalt 1996 und mit dem Finanzplan bis 1999.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium hat es am 25. Oktober 1995 in der Fragestunde im Bundestag selbst eingestanden. Antwort von Frau Karwatzki auf die Frage, ob es ein solches Hauruck-Verfahren schon einmal gegeben habe: Ich glaube, das ist erstmalig. - Das war kurz und treffend.
Uns liegt ein Finanzplan vor, der nach der neuesten Steuerschätzung das Papier, auf dem er gedruckt wurde, nicht mehr wert ist.
Gegenüber der letzten Steuerschätzung vom Mai 1995 fehlen dem Bund im Jahr 1995 über 10 Milliarden DM Steuereinnahmen, 1996 fast 12 Milliarden DM, in zwei Jahren also rund 22 Milliarden DM. Aber damit noch nicht genug. Diese Steuerausfälle haben Basiseffekte für die Jahre 1997 bis 1999. In welcher Größenordnung wirkt sich dieser Basiseffekt aus? Es kann sein, daß sich der Effekt abschwächt. Es kann aber auch sein, daß die Steuerausfälle mittelfristig noch deutlich höher liegen als 1995 und 1996.
Nun komme ich zum Ifo-Institut, das Sie zitiert haben. Sie haben gesagt, Ifo spreche von Reserven von 25 Milliarden DM. Sie müssen genau lesen, Herr Bundesfinanzminister. Ifo schreibt, daher enthielten die jetzt geschätzten Steuerausfälle für das Jahr 1996 von 29,5 Milliarden DM eher Reserven in Richtung von 25 Milliarden DM. Ifo schreibt also nicht, daß Reserven von 25 Milliarden DM vorhanden sind, sondern daß es eine Tendenz beim Steuerausfall von gesamtstaatlich 29,5 Milliarden DM auf 25 Milliarden DM geben sollte.
Ich rate Ihnen dringend, Herr Finanzminister: Korrigieren Sie das Protokoll! Sonst ist das ein weiterer Beleg für Ihre Unfähigkeit, mit Zahlen umzugehen.
Für 1996 wollen Sie diese Löcher im übrigen notdürftig durch den Verkauf des Tafelsilbers decken. Dies ist aber keine dauerhafte Lösung. Sie bringt für 1997 keine müde Mark mehr.
Herr Waigel, mit Ihren Haushaltslöchern gefährden Sie die Erfüllung der Konvergenzkriterien von Maastricht.
Wir sind uns einig, daß diese Kriterien auf alle Staaten strikt angewandt werden müssen, also auch auf uns. Deshalb, Herr Waigel: Wenn Deutschland die Konvergenzkriterien nicht einhalten kann, dann müssen Sie die Verantwortung übernehmen. Sie tragen nicht nur Verantwortung für den Bundeshaushalt. Der Bundesfinanzminister trägt auch gesamtstaatliche Verantwortung. Dieser gesamtstaatlichen Verantwortung werden Sie auch beim Thema Europäische Wirtschafts- und Währungsunion nach Ihren vorherigen Ausführungen nicht gerecht.
Meine Damen und Herren, das Verhalten der Regierungskoalition in der aktuellen Diskussion zur Wirtschafts- und Währungsunion ist heuchlerisch. Gerade von einem Vertreter der CSU, bei der es nur
Joachim Poß
so stoibert und gauweilert, brauchen wir Sozialdemokraten uns hier im Bundestag nichts erzählen zu lassen.
Wir Sozialdemokraten bejahen die Wirtschafts- und Währungsunion. Dabei ist die Einhaltung der Konvergenzkriterien aber wichtiger als die Einhaltung eines starren Zeitplans. Hier fordern wir das gleiche wie Sie.
- Ihr eigener Bundeskanzler hat das erklärt.
Wir fordern zweitens ein zusätzliches Stabilitätsabkommen, um für die Zeit nach Beginn der dritten Stufe der Währungsunion dauerhaft Stabilität zu erreichen. Auch hier fordern Sie das gleiche wie wir. Sie brüsten sich geradezu mit diesem Vorhaben. Also wozu die ganze Aufregung?
Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen Ihnen und uns, Herr Waigel: Wir fragen, welche Konsequenzen mit diesen Forderungen verbunden sind. Sie dagegen drücken sich um eine Aussage. Was heißt es denn, wenn die Einhaltung der Konvergenzkriterien wichtiger ist als der Zeitplan? Was heißt das für Sie? Was heißt es für Sie, wenn 1997 nur ein oder zwei Länder die Konvergenzkriterien erfüllen? Wollen Sie dann von den Kriterien Abstand nehmen, nur um den Zeitplan einzuhalten, oder wird dann nur ein Land in die Währungsunion eintreten? Wenn es in der Bevölkerung noch große Vorbehalte gegen eine einheitliche Währung gibt, dann ist das doch Ihr Versagen. Sie reden um den heißen Brei herum, statt klare Antworten zu geben.
In diesem Zusammenhang muß ich ganz deutlich sagen: Wir von der SPD haben dafür gesorgt, daß sich der Deutsche Bundestag noch einmal mit der Entscheidung über den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion befaßt. Das muß im Bundestag von den Volksvertretern erörtert und entschieden werden. Das darf nicht allein der Regierung überlassen bleiben. Das muß in der Öffentlichkeit entschieden werden.
Die jetzt aufgetretenen Haushaltslöcher bringen nicht nur mit Blick auf Europa Probleme mit sich, also sozusagen in der Darstellung nach außen. Auch hier bei uns werden die Mißstände auf Grund Ihrer falschen Politik mehr und mehr sichtbar. Die globale Betrachtung der Steuereinnahmen verdeckt, daß innerhalb des Steueraufkommens enorme Strukturverschiebungen eingetreten sind. 80 Prozent des gesamten Zuwachses beim Steueraufkommen zwischen 1983 und 1994 entfallen auf Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Mineralölsteuer. Während sich das Aufkommen bei der Lohnsteuer zwischen 1983 und 1994 mehr als verdoppelt hat, sind die Einnahmen des Staates aus der Körperschaftsteuer um 17 Prozent zurückgegangen. Bei der veranlagten Einkommensteuer ist das Aufkommen um knapp 10 Prozent gesunken.
Der Anteil der Körperschaftsteuer und der veranlagten Einkommensteuer am Gesamtsteueraufkommen ist stark zurückgegangen. Der Anteil der Körperschaftsteuer betrug 1983 noch 6 Prozent, 1994 aber nur noch 2,5 Prozent. Das muß man sich doch einmal vor Augen führen, meine Damen und Herren, daß die deutschen Aktiengesellschaften und GmbHs nur noch mit 2,5 Prozent zu den Steuereinnahmen von knapp 790 Milliarden DM beitragen! Der öffentliche Eindruck ist doch ein ganz anderer, und Sie erwecken hier doch auch einen ganz anderen Eindruck.
Der Anteil der veranlagten Einkommensteuer betrug 1983 noch 7,1 Prozent, 1994 mit 3,2 Prozent weniger als die Hälfte davon. Auch dies ist ein Sachverhalt, Herr Kollege Waigel, zu dem Sie bisher hier noch keine wertende Erklärung abgegeben haben.
Seit 1983 hat es eine gewaltige Umschichtung in der steuerlichen Belastung gegeben. Unternehmen wurden entlastet, Arbeitnehmer und Verbraucher massiv zusätzlich belastet. Auch die nach der neuesten Steuerschätzung festgestellten Steuerausfälle zeigen wiederum fast ausschließlich eine Verminderung bei der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer. Was heißt das? Das heißt: Die Arbeitnehmer, denen die Lohnsteuer direkt vom Arbeitslohn einbehalten wird, und die Verbraucher, die bei jedem Einkauf Umsatzsteuer zahlen müssen, sind immer mehr zum Hauptfinanzier des Staates geworden. Wenn unter Ihrer Verantwortung, Herr Waigel, die Steuer- und Abgabenlast ein Rekordniveau erreicht hat, dann sind es insbesondere die Arbeitnehmer und die Verbraucher, die darunter zu leiden haben.
Dagegen geht der Beitrag der Unternehmer, der Selbständigen und der Vermögensbesitzer immer weiter zurück. Und das hat nichts damit zu tun, daß wir beide alles tun wollen - das ist auch Ziel des neuen Antrags der SPD, der so neu gar nicht ist, sondern das fortschreibt, was wir in den letzten Jahren dazu aufgeschrieben haben -, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Aber wir dürfen nicht den falschen Eindruck aufkommen lassen, als wäre die zu hohe Steuerbelastung der Unternehmen der Schlüsselfaktor für unterbliebene Investitionen und für die unterbliebene Schaffung von Arbeitsplätzen.
Die Zahlen, die ich vorgetragen habe, zeigen eines: Es wird eklatant gegen das Prinzip der Steuergerechtigkeit und der Leistungsfähigkeit verstoßen. Die Zahl dieser Verstöße hat unter Ihrer Verantwortung ständig zugenommen. Sie stellen eine schwere Belastung für den gesellschaftlichen Zusammenhang dar. Ich spreche - und das ist kein Schlagwort - von der Umverteilung von unten nach oben. Seit Jahren weisen wir darauf hin. Herr Waigel, Ihr Haus mußte uns das jetzt auf unsere parlamentarischen Anfragen mit den Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, be-
Joachim Poß
stätigen. Also von wegen Propagandaformel oder Propagandafloskel! Ihr Haus hat uns das bestätigt.
Die zunehmende Schieflage bei der Verteilung der Steuerlasten hat mehrere Ursachen. Zum einen ist sie Folge der Unternehmensteuersenkungen. Die Körperschaftsteuer hatte 1989 ein Aufkommen von 34 Milliarden DM. Dann wurden die Steuersätze gesenkt. Ergebnis: 1994 betrug das Aufkommen noch 20 Milliarden DM und lag damit um 14 Milliarden DM unter dem Aufkommen des Jahres 1989.
Offensichtlich nutzen auch immer mehr Unternehmen die bestehenden Möglichkeiten zur Verlagerung von Gewinnen; außerdem nutzen Sie Steuerschlupflöcher aus. Erst kürzlich wurden bei einem großen Unternehmen Gestaltungen bekannt, durch die in einem Einzelfall Verlustvorträge bei Tochtergesellschaften in Höhe von 3 Milliarden DM ausgenutzt werden sollen.
Das zeigt, daß eine hohe Steuerbelastung von Unternehmen in Deutschland allenfalls noch auf dem Papier steht. Die Praxis sieht längst anders aus.
Daß Sie angesichts dieser Tatsachen immer noch über eine zu hohe Unternehmensteuerbelastung klagen, zeigt, daß Sie die Realität offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Zu der Schieflage der Steuerlastverteilung trägt auch bei, daß das Aufkommen aus der Zinsabschlagsteuer weit zurückbleibt. Sie, Herr Waigel, haben 1989 eine gleichmäßige Besteuerung der Kapitaleinkünfte in Europa verhindert. Das rächt sich nun auch bei den Einnahmen.
Auf der einen Seite stehen hohe Defizite im Bundeshaushalt und in der Finanzplanung, die durch die Steuerausfälle jetzt sogar noch brisanter werden. Auf der anderen Seite ziehen Vertreter dieser Regierungskoalition, auch der Bundesfinanzminister, durch die Lande und versprechen weitere Steuersenkungen. Die daraus resultierenden Steuerausfälle sind aber nicht auf den Bundeshaushalt beschränkt. Sie wollen Länder und Kommunen mit in Ihr Finanzchaos reißen, um von Ihren eigenen Fehlern abzulenken, Herr Waigel.
Wie soll das denn angesichts der Haushaltslöcher eigentlich alles finanziert werden: der Ausfall von 3,4 Milliarden DM durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer, der Ausfall von 2,5 Milliarden DM durch die Absenkung der Gewerbeertragsteuer? Wollen Sie etwa daran festhalten, die Abschreibungsbedingungen zu verschlechtern? Das kann angesichts der konjunkturellen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit doch wohl nicht Ihr Ernst sein.
Wie sollen die Länder den Ausfall von 9 Milliarden DM durch den von Ihnen vorgesehenen Wegfall der Vermögensteuer verkraften? Sie gehen verantwortungslos mit den Steuern der Länder um. Sie machen
es sich zu einfach, wenn Sie sagen, die Länder sollten auf diese 9 Milliarden DM verzichten - ich möchte es nach gestern abend etwas vorsichtiger formulieren: oder wenn Sie es ihnen zumindest nahelegen - und damit einen wichtigen Beitrag zur Steuersenkung leisten.
Nein, Herr Waigel, Sie sind gefordert. Sie müssen über die Konsequenzen für die Länderhaushalte nachdenken. Statt dessen fordern Sie zusätzlich eine Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer von 53 Prozent auf 50 Prozent, so im „Focus "-Interview vom 11. September. Das bedeutete einen Steuerausfall von 5 Milliarden DM im Jahr für Bund, Länder und Kommunen. Darüber hinaus soll der Solidaritätszuschlag in Schritten abgebaut werden; das haben Sie gerade noch bekräftigt. Sosehr wir auch eine Rückführung des Solidaritätszuschlages begrüßen würden: Sie müssen aber schon sagen, wie Sie dies finanzieren wollen, Herr Waigel.
Allein die von Ihnen versprochenen Steuersenkungen bei der Gewerbesteuer, der Vermögensteuer und der Einkommensteuer machen rund 20 Milliarden DM pro Jahr aus. Wie soll das verkraftet werden? Zudem sollte man sich dann noch vor Augen führen, wie der Kreis derjenigen aussieht, die von diesen 20 Milliarden DM profitieren. Wer zahlt denn den Spitzensteuersatz von 53 Prozent bei der Einkommensteuer? Wer zahlt denn Vermögensteuer? Wer zahlt denn Gewerbekapitalsteuer? - Wie weit wollen Sie Ihre Umverteilungspolitik eigentlich noch treiben, Herr Waigel?
Es paßt einfach nicht zusammen: Riesige Haushaltslöcher auf der einen Seite, Steuergeschenke für einen ganz bestimmten Kreis auf der anderen Seite. Das ist sozial unerträglich. Das ist keine gerechte, keine solide Finanzpolitik.
Auch deswegen wäre es gut gewesen, Sie hätten Ihren Haushaltsentwurf und Ihren Finanzplan zurückgezogen.
Wir haben in diesem Jahr im Bundestag schon wichtige Reformen beschlossen: Steuerfreistellung des Existenzminimums, Neuregelung des Familienleistungsausgleichs, Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung. Wir haben diese Reformen mit großen Mehrheiten beschließen können, weil Sie von der Regierungskoalition endlich langjährige SPD-Forderungen übernommen und sie nicht mehr, wie es bis dahin der Fall war, nur abgelehnt haben.
Sowohl beim Familienleistungsausgleich als auch bei der Wohneigentumsförderung konnte die Besteuerung durch Übernahme unserer Positionen gerechter und einfacher gemacht werden, und vor allem für jene Bevölkerungsgruppen, die auf staatliche Hilfe besonders angewiesen sind, konnte die steuerliche Förderung verbessert werden.
Joachim Poß
Ab Herbst dieses Jahres stehen weitere wichtige Neuregelungen bei der Vermögensbesteuerung und der Erbschaftsbesteuerung an. Wir fordern Sie auf: Legen Sie Ihre Eckpunkte dafür vor! Unsere Position ist, daß sich aus den Neuregelungen insgesamt keine Erhöhung des Steueraufkommens ergeben darf. Allerdings lehnen wir Ihren Vorschlag ab, die Vermögensteuer ersatzlos abzuschaffen. Wir müssen aus verteilungspolitischen Gründen an einer Besteuerung der hohen Vermögen festhalten. Wir müssen auch die Finanzsituation der Länder im Auge behalten.
Das zweite wichtige Thema ist die ökologische Steuerreform. Ich weiß, daß es auch in Kreisen der Regierungskoalition Unterstützung für dieses Anliegen gibt. Leider konnte dort bisher keine Einigung erzielt werden. Eine solche Reform ist gerade auch im Interesse der Unternehmen und der Arbeitnehmer richtig; denn sie bringt durch eine Senkung der Lohnnebenkosten eine Entlastung bei den Arbeitskosten. Das ist viel interessanter als die von Ihnen vorgeschlagene Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer,
die ohnehin eine spürbare Entlastung nur für Großbetriebe bringt.
Da ich schon einmal beim Thema „Gewerbesteuer" bin: Sagen Sie den Gemeinden endlich, was Sie wirklich wollen. In der Koalitionsvereinbarung steht, daß Sie die Gewerbesteuer ganz abschaffen wollen. Auf der anderen Seite haben Sie sich in einem Schreiben an die Kommunalen Spitzenverbände bereit erklärt, die Gewerbeertragsteuer verfassungsrechtlich abzusichern.
Was wollen Sie wirklich? Machen Sie Schluß mit dem Verwirrspiel! Schenken Sie den Kommunen endlich reinen Wein ein!
In Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, daß Sie die Fragen der Gewerbesteuer im Einvernehmen mit den Ländern und Kommunen regeln wollen. Wir begrüßen dies ausdrücklich. Nur, warum handeln Sie nicht danach? Lesen Sie einmal, was heute der Deutsche Städtetag in Freiburg als Voraussetzung beschließen wird, um zum Beispiel über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zu reden. Offenbar ist der Kommunikationsfluß nicht so, wie er sein müßte.
Wir sagen also: Eine Gemeindefinanzreform kann nur im Konsens mit Ländern und Gemeinden erfolgen. Zudem kann man das nicht im Schweinsgalopp machen, indem man sie am 22. November durch den Finanzausschuß jagt, mal eben das Grundgesetz ändert und dann sagt: Jetzt haben wir das im Kasten, was wir schon immer im Kasten haben wollten. - So können Sie mit der parlamentarischen Opposition nicht umgehen!
Wir werden uns auch mit der Zinsbesteuerung erneut auseinandersetzen müssen, die ja nach Meinung des Präsidenten des Bundesfinanzhofs verfassungswidrig ist. Wir haben damals unsere Vorstellungen entwickelt. Es wäre um die Staatseinnahmen besser bestellt, wenn Sie damals unseren Vorschlägen gefolgt wären.
Es sähe mit der Steuergerechtigkeit besser aus, wenn Sie unseren Vorschlägen gefolgt wären. Immer mußten Sie vom Bundesverfassungsgericht gezwungen werden, ob beim Kindergeld, beim Existenzminimum, bei der Zinsbesteuerung oder der Einheitsbewertung. Warten Sie diesmal nicht erneut ab! Legen Sie eine Lösung vor, die für eine gleichmäßige und verfassungskonforme Besteuerung der Kapitaleinkünfte sorgt! Machen Sie in Brüssel wirklich Druck! Der zuständige Kommissar Monti hat uns im September gesagt: Es wird kein Druck gemacht, von keinem Mitgliedstaat.
Beim Abbau steuerlicher Vergünstigungen haben Sie, Herr Waigel und die gesamte Koalition, ein klägliches Bild abgegeben. Gerade einmal 100 Millionen DM hatten Sie zusammengekratzt und waren froh darüber, daß wir gemeinschaftlich durch die Streichung von Steuervergünstigungen etwas mehr als 4 Milliarden DM haben zusammenbekommen können. Durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, also einen weiteren Abbau von Steuervergünstigungen, wollten Sie einen Teil der Operation 1996 finanzieren. Das hatten Sie angekündigt. Auch dabei haben Sie versagt, ebenso wie bei der Steuervereinfachung, bei der alle Ihre Vorschläge von den Experten auseinandergenommen worden sind.
Herr Waigel, angesichts Ihrer selbstlobenden Rede muß ich Ihnen entgegenhalten: Das Jahr 1995 ist für Ihre hausgemachte Finanz- und Steuerpolitik in der Bilanz niederschmetternd.
Das, was aus Ihrem Haus an guten Vorschlägen kam, waren Vorstellungen, die Sie von uns übernommen haben: Kindergeld, progressionsunabhängige Wohneigentumsförderung! Das aber, was Sie selbst zusammengezimmert haben, ging den Bach runter.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit!
Herr Waigel, Sie haben vor einem Jahr die Quadratur des Kreises angekündigt. Geschafft aber haben Sie etwas ganz anderes: Durch Sie ist die Steuer- und Finanzpolitik zu einem Anwendungsfall für die Chaos-Theorie geworden.
Angesichts der großen vor uns liegenden nationalen und internationalen Herausforderungen kann
Joachim Poß
sich die Bundesrepublik eine Politik, wie sie von diesem Finanzminister betrieben wird, nicht leisten.
Das Wort hat der Kollege Dankward Buwitt von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß doch einen Grund geben, warum gerade die SPD-Beiträge so aggressiv sind. Bei Herrn Diller fallen sie eher karnevalistisch aus. Bei ihm hat man ja immer Angst, daß die ganze Luft entweicht, und daß eine leere Hülle zurückbleibt, wenn man ihm mit einer Stecknadel näherkommt.
Wir sollten uns erst einmal darauf besinnen, daß das Haushaltsrecht beim Parlament liegt. Das ist nämlich heute immer wieder in Frage gestellt worden: Ist das Parlament überhaupt berechtigt, den Haushalt zu verändern? - Wir sind dazu genauso berechtigt, wie der Vollzug des Haushalts bei der Verwaltung liegt. Viele Abgeordnete würden sich sicher wünschen, daß sie in den Vollzug einbezogen werden. Aber das ist nun einmal nicht so. Erst die Kontrolle unterliegt dann wieder dem Rechnungshof in Zusammenarbeit mit dem Parlament - oder umgekehrt. Daß wir mit dem Finanzministerium zusammenarbeiten, kann man doch nicht beklagen. Das ist doch sehr vernünftig. Alles andere wäre kritikwürdig.
Herr Poß, mir ist aufgefallen, daß Sie beklagen, daß die Spitzensteuerzahler keine Steuern mehr bezahlen. Gleichzeitig aber errechnen Sie, daß sich ein Ausfall von 5 Milliarden DM einstellen würde, wenn der Spitzensteuersatz abgesenkt würde.
Ist Ihnen zufälligerweise aufgefallen, daß dies ein Widerspruch ist?
Meine Damen und Herren, mir fällt dazu ein: Bei der 50-Jahr-Feier der CDU war ein junges Mädchen, das darstellte, warum es in die CDU eingetreten ist. Sie sagte: „... und außerdem hat mein Großvater gesagt, die Sozen können mit dem Geld nicht umgehen. "
Sie können sich vorstellen, daß es damals großen Beifall gab. Angesichts Ihrer Rede, Herr Diller, habe
ich mich an dieses junge Mädchen erinnert. Man wird einen Detektiv beauftragen müssen - -
- Früher hat es sogar noch Leute gegeben, die die SPD gerne gewählt haben, Frau Matthäus-Maier. Das ist auch schlechter geworden! - Man wird also einen Detektiv beauftragen müssen, um den Wahrheitsgehalt der Rede von Herrn Diller irgendwo zu finden.
Wir erleben jedes Jahr das gleiche Szenario: Der Haushalt ist nicht ausgeglichen, es sind riesige Lükken darin. Man wendet sich dann schnell dem nächsten Haushalt zu, weil im Rückblick die ganze Geschichte völlig anders aussieht.
Daß die Länder in der Vergangenheit ein schlechtes Geschäft gemacht haben, kann man wirklich nicht unterstreichen. Von uns sind - sicherlich mit Hilfe des Bundesrates - eine ganze Reihe von Gesetzen und auch die Frage der Umverteilung der Steueraufkommen zugunsten der Länder entschieden worden. Herr Minister Waigel hat es erwähnt: Es steht eigentlich an, daß die Länder einen Teil dieser Steueraufkommen zurückgeben. Man wird bei der Abschaffung der Gewerbesteuer natürlich einen Ausgleich schaffen müssen, aber man wird aufpassen müssen, daß nicht nur die Länder bedient werden, sondern daß die Gemeinden ihren gerechten Anteil daran bekommen.
Herr Diller hat dann gesagt: Was wir mühsam aufgebaut haben ... Er meinte wohl die Sozialdemokraten in deren Regierungszeit. 1981 und 1982 hatten Sie eine Steuerlast aufgebaut - ohne Wiedervereinigung -, die ihresgleichen in der Bundesrepublik gesucht hat.
Ich erinnere daran, daß wir 1986, 1988 und 1990 die Steuerzahler in drei großen Stufen um je 20 Milliarden DM - ich rechne Ihnen das schnell vor, damit Sie keine Schwierigkeiten haben, im ganzen 60 Milliarden DM - im Jahr entlastet haben.
- Ja, das mag für Sie Quatsch sein. Ich könnte Ihnen die Zusammenhänge gerne erklären, warum dies kein Quatsch ist, aber so kleine Vorurteile will ich gerne bei Ihnen bestehen lassen.
Diese „Umverteilung von unten nach oben" ist ebenfalls eine Sache, die Sie immer wieder erwähnen. Da sagen Sie: Na ja, die Neugestaltung der Zinsbesteuerung ... Es ist aber mit Sicherheit so gewesen, daß die Schwächerverdienenden mit hohen Freibeträgen von der Steuer völlig freigestellt worden sind. Durch die Freistellung des Existenzminimums ab 1. Januar 1996 werden die kleineren Verdiener außerdem um 15,5 Milliarden DM entlastet.
Auch die Weiterentwicklung des Familienleistungsausgleichs verbessert die finanzielle Situation der Familien schon im kommenden Jahr mit rund 7 Milliarden DM, ab 1997 noch einmal zusätzlich mit
Dankward Buwitt
4 Milliarden DM. Hier wird nichts von unten nach oben umverteilt, sondern hier wird unten konsequent entlastet.
Es kommt immer wieder das Gerede über die Steuerschätzung auf; Frau Höll ist allerdings nicht mehr im Saal. Es ist gesagt worden, daß der Herr Minister dies alles manipuliert hat. Ich brauche nicht noch einmal zu erklären, daß da auch die SPD-Länder sitzen und dies alles mit errechnet und beschlossen haben. Allerdings frage ich mich: Werden Sie Ihren Abgeordneten in den Haupt- oder Haushaltsausschüssen der SPD-regierten Länder auch empfehlen, aus dem Haushaltsausschuß und den Haushaltsberatungen auszuziehen, oder haben Sie nur ein schlechtes Beispiel gegeben, das in den Ländern nicht nachgeahmt werden sollte?
- Ich kann mir das nicht vorstellen, falls Sie darauf eine Antwort haben wollen.
- Herr Diller, das Wort Wahrheit klingt bei Ihnen sehr merkwürdig. Sie haben sich vorhin köstlich amüsiert, als Sie die Niederschrift Ihrer Rede durchgelesen haben. Die war auch amüsant, hatte aber mit der Wahrheit wirklich nichts zu tun.
Auch die Analyse der Steuerschätzung ist meiner Meinung nach bei Ihnen zu kurzsichtig. Völlig richtig ist, daß wir hier im Hause Gesetze verabschiedet haben, die zu Steuererleichterungen geführt haben. Diese Steuererleichterungen haben dazu beigetragen, daß neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, daß neue Wohnungen geschaffen worden sind, und sie waren gewollt, denn wenn wir hier Gesetze verabschieden, wollen wir auch, daß diese greifen. Ich denke, man muß dabei auch betrachten, daß bei einer Vielzahl dieser Beschlüsse keine Steuerausfälle beschlossen worden sind, sondern letztendlich nur Steuerverschiebungen. Dies werden wir auch an den Steuerzahlungen der nächsten Jahre in erheblichem Umfange erkennen können. Mit einem Mal wird nämlich die 50prozentige Sonderabschreibung plus 2 Prozent lineare Abschreibung in Anspruch genommen, und nach dem Auslaufen der besonderen Förderung darf dann nur noch linear auf die Restabschreibung abgeschrieben werden. Das heißt, die Abschreibungen gehen dann wesentlich unter den normalen Bereich herunter. Das sind keine Steuerschlupflöcher, sondern das haben wir gewollt, um in den neuen Bundesländern Investitionen möglichst schnell anzustoßen.
Meine Damen und Herren, wir haben keine Veranlassung, die solide Arbeit des Finanzministers zu kritisieren. Dort, wo neue Erkenntnisse punktuelle Nachbesserungen des Regierungsentwurfes erforderlich gemacht haben, haben wir das Notwendige getan. Es ist hier ja bereits ausgeführt worden, daß
nicht nur Mindereinnahmen, sondern auf Grund der soliden Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung auch erhebliche Minderausgaben in Milliardenhöhe zu verzeichnen sind. Sie können das hin- und her-rechnen, wie Sie wollen: Es sind nun einmal 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht worden, was uns jetzt zugute kommt. Außerdem sind die Zinssätze sehr niedrig. Das ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern nur durch die Stabilität erreicht worden, die wir hier haben halten können.
Ich erinnere mich noch gut der Überschriften, die besagten, daß die D-Mark kaputtgemacht werde. Wir leben heute in einer Zeit der Wertstabilität der D-Mark, die wir in dieser Form überhaupt noch nicht erlebt haben. Damit ist verbunden, daß der Wert der D-Mark gegenüber fast allen anderen Währungen gegenwärtig stärker wird.
Meine Damen und Herren, durch das Jahressteuergesetz 1996 - richtiger müßte man ja sagen: Jahressteuersenkungsgesetz - haben wir einen weiteren Anstoß für konjunkturelle Entwicklungen und damit auch für Wachstum und Beschäftigung gegeben. Eines ist völlig klar: Thema Nr. 1 bleiben die günstigen Rahmenbedingungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, weil wir erreichen müssen, daß möglichst viele Menschen Arbeit bekommen, und zwar im ersten Arbeitsmarkt und nicht in Ersatzarbeitsplätzen, wie es die SPD gerne mit irgendwelchen Programmen plant, in denen die Leute dann irgendwie aus Steuergeldern bezahlt werden.
- Frau Matthäus-Maier, Sie werden es mir nicht übelnehmen, daß ich ganz hellhörig werde, wenn Sie sagen: „Das ist nicht wahr", weil ich oft von Ihnen eines anderen belehrt worden bin.
Über die Privatisierung brauche ich wohl nicht viel zu sagen. Nur eines: Ich finde, es ist unerhört, wie Sie mit diesem Thema umgehen. Gerade in der Frage der Veräußerung von Anteilen an zwei Wohnungsbaugesellschaften versuchen Sie, das Geschäft mit der Angst zu machen, daß hier Wohnungen verscherbelt werden.
Aber Angstmacherei ist Ihr Geschäft ja schon immer gewesen.
Vielmehr muß den Leuten gesagt werden, daß Anteile verkauft werden, daß die Gesellschaften weitergeführt werden, daß die Belegungsrechte gesichert sind, daß die Mieter in ihren Wohnungen sicher sind, und zwar zu den Mieten, die sie heute bezahlen und die nicht verändert werden, ob nun der Bund oder
Dankward Buwitt
ein anderer dort Teilhaber ist. Es ist eine konsequente Fortsetzung der Privatisierungspolitik.
- Ich weiß, daß Sie es schlecht ertragen können, wenn man über diese Themen sachlich redet. Ich habe gerade Sie vorhin gesehen, wie Sie bei der Rede von Herrn Diller groß Beifall geklatscht haben. Vielleicht gehen Sie einmal etwas in sich, bevor Sie hier Zwischenrufe machen.
Wir werden diesem Haushalt zustimmen, weil er ein Beitrag zur Stabilität sein wird.
Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
- Ich übertreibe, solange ich will. Das haben Sie mir überhaupt nicht zu sagen, schon gar nicht von seiten der F.D.P.
Molière hat schon vor sehr langer Zeit gesagt, daß wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, sondern auch für das, war wir nicht tun. Das trifft auch sehr gut auf diese Haushaltsdebatte zu; denn wir wissen sehr genau, daß das Desaster der letzten Wochen nicht vom Himmel gefallen ist und auch nicht überraschend kommt, sondern die vorläufige Quittung für das Chaosmanagement ist, das Herr Waigel in den letzten Jahren hier in diesem Hause vorgeführt hat.
Wir wissen auch, daß Deutschland, gemessen an den Steuer- und Abgabesätzen, ein Hochsteuerland ist und daß vor allem die mittleren Einkommen die Hauptlast zu tragen haben. Wir stimmen auch dem Vorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft, Herrn Geyer, ausdrücklich zu, daß es nicht länger zu verantworten ist, daß der Staat nahezu 50 Prozent - so ist es ja mittlerweile leider Gottes - des Einkommens der gesamten Bevölkerung konfisziert.
Wenn wir nun den Zusammenhang zwischen der allgemeinen Finanzpolitik und der Haushaltspolitik herstellen und uns den Grundsatz „Was man nicht einnimmt, kann man auch nicht ausgeben" vor Augen halten, bleibt die Frage bestehen: Warum klappt es eigentlich nicht? - Wir meinen, es klappt deswegen nicht, weil die Bemessungsgrundlage so löchrig wie ein Schweizer Käse ist. Wir haben das immer wieder in den verschiedenen Situationen gesagt. Wir wissen, daß es eine Flut von Steuervergünstigungen und Abschreibungskonditionen, eine Flut von Ausnahmeregelungen und ähnlichem gibt und daß dies dazu führt, daß fast die Hälfte des Volkseinkommens entweder legal von den Besteuerungsgrundlagen her wegfällt und gar nicht einbezogen wird oder auch kriminell hinterzogen wird.
Aus diesem Grunde - um das Gesamtdesaster einmal zu beschreiben, Herr Waigel - brauchen wir leider diese hohen Steuersätze, mit denen wir ein relativ niedriges Aufkommen erzielen. Aber dies ist ein tödlicher Kreislauf; denn hohe Steuersätze verhindern wirtschaftliche Aktivitäten - das ist vollkommen klar - und lenken das Kapital in Steuersparmodelle statt in Investitionen und in Arbeitsplätze, die wir dringend bräuchten. Es gibt Anreize zur Schattenwirtschaft und zur Steuerhinterziehung, die verstärkt werden, Dies führt dann letztendlich zu der Konsequenz, daß Sie Ihre öffentlichen Haushalte finanztechnisch auch nicht mehr auf die Reihe bekommen.
Klientelpolitik und ein beliebiges Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, das in den letzten Wochen vorgeschlagen worden ist, ein immer hektischer werdender Steuergesetzgebungsprozeß, den keiner mehr durchschauen kann - wir haben das jetzt bei der Steuerschätzung ja gesehen - sind die Konsequenz; es blickt kaum jemand mehr durch. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte explodiert. Es kann auch nicht angehen, daß 25 Prozent aller Steuereinnahmen letztendlich für Zinsen aufgewendet werden müssen. Dies, Herr Waigel, ist eine nicht tragbare Hypothek für die Zukunft.
Ich habe mir schon überlegt, warum Herr Faltlhauser eigentlich nach Bayern geflüchtet ist. Vielleicht hängt das damit zusammen. Ich habe ja nichts gegen den Kollegen Hauser, der jetzt nachrückt. Aber wir fragen uns dann schon, wieviel Staatssekretäre Sie in dieser Legislaturperiode eigentlich noch verschleißen wollen.
- Das ist richtig.
Das einzige, was Ihnen einfällt, ist: Man sucht ja immer nach einem Schuldigen, und so wird die Sozialausgabenlast als verantwortlich ausgemacht. Aber statt daß die Bundesregierung - das verstehen wir dann überhaupt nicht mehr - ihre volle Kraft auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik und auf ein auf zukunftsfähiges und nachhaltiges Wirtschaften gerichtetes Steuerkonzept setzt, kürzen Sie auch noch die Hilfe für Arbeitslose. Dies ist eine vollkommen falsche Schwerpunktsetzung in diesem Haushalt von Ihrer Seite.
Die Folge ist eine Kostenexplosion bei den Kommunen, und bereits jetzt - das ist ja das Schlimme
Christine Scheel
daran - beträgt der Anteil der Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen wegen Arbeitslosigkeit 34 Prozent; das ist nicht mehr zu tragen.
Wir begrüßen im Zusammenhang mit Herrn Zwikkels Ausführungen von der letzten Woche seine ganz klare Aussage, daß nur mit mehr Arbeitsplätzen die öffentliche Finanzkrise in den Griff zu bekommen ist. Auch Sie müssen zugestehen, daß diese Aussage stimmt und daß man dementsprechend auch steuerpolitisch, finanzpolitisch handeln muß.
Es ist auch kein Geheimnis mehr - das dürfte mittlerweile auch bei Ihnen angekommen sein -, daß Steuererleichterungen und Subventionen, also die sogenannten klassischen Konjunkturinstrumente, nicht mehr greifen.
Wir sagen allerdings: Der Vorschlag, den Zwickel gebracht hat, ist nur ein Anfang. Er muß ergänzt werden durch eine umfassende ökologische und soziale Steuerreform. Den Anfang haben wir ja bereits vor einem halben Jahr hier gemacht, und wir werden das fortführen.
Ein weiteres Problem ist, daß noch ein Haufen ungedeckte Schecks vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit den Beschlüssen zu den Einheitswerten für die Bundesregierung neue Vorgaben gemacht. Es hat Ihnen einmal wieder an diesem Punkt aufgezeigt, wo Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Es geht nicht an, daß man das so handhabt wie von seiten der F.D.P. und - Herr Waigel hat es ebenfalls gesagt - die ersatzlose Abschaffung der Vermögensteuer und am besten auch noch der Erbschaftsteuer fordert, allerdings nur auf die Unternehmen bezogen.
Ausgerechnet Ihr Graf Lambsdorff ist dann der Meinung, daß auf Grund der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, die steuerliche Gesamtbelastung dürfe nicht mehr als die Hälfte des Einkommens insgesamt betragen, die Millionäre in diesem Land, die den Spitzensteuersatz von 53 % haben, keine Vermögensteuer mehr bezahlen dürften. So geht es wirklich nicht: Alles abschaffen bei bestimmten Steuerbereichen und keine Gegenfinanzierung vorlegen, das ist absolut unsolide. Sie können nicht draußen den Leuten vorgaukeln, Sie seien als F.D.P. die große Steuersenkungspartei und auch noch ökologisch angehaucht. Denn in Wirklichkeit verlangen Sie in bestimmten Kreisen eine Steuerbefreiung und Steuerabschaffung auf Kosten der Kleinen.
Ich dachte, daß Sie in Ihrem Programm auch einmal „Soziale Marktwirtschaft" stehen hatten, aber davon hört man leider nichts mehr.
Was wir dringend brauchen, ist ein finanzpolitisches Handlungskonzept. Es ist höchste Zeit für eine Radikalkur des Steuersystems, und zwar nicht nur für die Bürger und Bürgerinnen, sondern insgesamt auch für die Haushaltslage.
Wir haben das Konzept einer ökologischen Steuerreform vorgelegt.
Es bietet die besten Voraussetzungen: Nachhaltiges Wirtschaften soll sich lohnen, neue Arbeitsplätze müssen entstehen - das ist vollkommen klar -, bestehende Belastungen von Arbeitsplätzen, sei es durch Steuern oder Sozialabgaben, müssen gesenkt werden.
Es ist eine ganz klare Position von unserer Seite, daß im Zusammenhang mit der Finanzierung ökologisch schädliche Subventionen endlich abgebaut werden müssen. Sie sollten nicht mit Ihrer Klientelpolitik immer schrittweise etwas ankratzen und es dann, bevor der Kratzer tief genug ist, wieder zurücknehmen.
Wir werden unser ökologisches Steuerkonzept durch einen umfassenden Vorschlag zur Reform der Einkommensteuer, zu Vermögen- und Erbschaftsteuerfragen und auch zur Körperschaftbesteuerung ergänzen. Das sind die Punkte, die für die Zukunft anstehen. Wir werden einen Antrag vorlegen, der dem entspricht, was wir unter sozialökologischem Umbau und Umschichtung des Steuersystems insgesamt meinen.
Auch zur Gemeindefinanzreform wird ein tragfähiges Konzept von unserer Seite vorgelegt.
Das erste Leitziel wird sein, die Steuer- und Abgabenlast auf eine breitere Basis zu stellen, die Subventionen und Steuervergünstigungen in großem Umfang abzubauen. Das zweite Leitziel - es ist kompatibel - ist, die Steuersätze insgesamt zu senken.
Es wird allerdings mit uns keinesfalls eine ersatzlose Abschaffung der Vermögensteuer geben, sondern wir wollen, daß die Besteuerung von Gewinnen und Wertzuwächsen im Rahmen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer verbessert wird. Der Grundsatz, daß man sich um so mehr der Steuer entziehen kann, je höher das Einkommen ist, kann nicht mehr gelten. Wir brauchen eine gleichmäßige und gerechte Besteuerungsgrundlage. Dann können wir insgesamt die Steuersätze senken.
Abschließend: Die Erbschaftsteuer muß komplett umgebaut werden. Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts dürfen nicht dazu führen - Herr Dr. Waigel, da stimmen Sie mir sicher zu -, daß wir demnächst eine Erbengeneration erster Klasse haben, die sich auf Inseln im Südpazifik ausruht und nichts mehr zur wirtschaftlichen Produktivität hier in diesem Lande beiträgt.
Christine Scheel
In Bayern sagt man: Ex nihilo nihil; auf deutsch: Aus nix wird nix.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns im Haushaltsausschuß die schwierige Aufgabe gestellt, einen Haushalt vorzulegen, der nicht mit vielen globalen Minderausgaben arbeitet und der auch nicht über die vorgegebene Neuverschuldung hinausgeht. Das haben wir geschafft. Ich meine, allein das ist eine große Leistung unserer Arbeit im Haushaltsausschuß gewesen.
Mit dem Haushalt 1996 geben wir die richtigen Signale: weniger Ausgaben, und der Staat muß künftig noch mehr sparen. Eines macht der Haushalt 1996 auch deutlich: Die zusätzlichen Belastungen durch Steuermindereinnahmen und durch die zusätzlichen Ausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit und den Arbeitsmarkt in Höhe von zusammen 20 Milliarden DM sind durch uns vollständig ausgeglichen worden.
Die Kritik der Sozialdemokraten, heute vor allem vom Kollegen Diller, an den Einnahmeverbesserungen durch Privatisierungen kann, so meine ich, nicht ernstgenommen werden. Nicht einmal die, die den Sozialdemokraten nahestehen, nehmen diese Kritik ernst. So schreibt zum Beispiel der „ Spiegel":
Die von der SPD am heftigsten kritisierte größte Einnahmeverbesserung von 9 Milliarden Mark durch „Privatisierung" ist keineswegs eine „Luftnummer" .
So hat Kollege Diller das vorhin ja noch bezeichnet.
Der Finanzminister hat gute Chancen, seine 58 Prozent an der „Deutschbau" und die 72-Prozent-Mehrheit an der „Frankfurter Siedlungsgesellschaft" für mehr als vier Milliarden Mark loszuwerden. Auch 3,1 Milliarden Mark für die Postbank sind nicht utopisch.
Man kann dem „Spiegel" ausnahmsweise einmal recht geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Privatisierung staatlicher Beteiligungen ist Daueraufgabe der Politik. Wir Freien Demokraten wollen sie intensiv fortsetzen. Durch Veräußerung von Wohnungen kann eine breite Eigentumsbildung angestoßen werden. Wie wollen nicht in die jetzt bestehenden Mietverträge eingreifen, sondern wir wollen vorrangig den jetzigen Mietern ihre Wohnungen zum Erwerb anbieten.
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit sagen: Auch beim Bundeseisenbahnvermögen besitzen wir noch zirka 132 000 Wohnungen. Nach . Auffassung der
F.D.P. sollten auch diese Wohnungen an die Mieter veräußert werden.
Dies wäre aus der Sicht der F.D.P. ein wünschenswerter Schritt.
Daß die Sozialdemokraten gerade beim Bereich Privatisierung von Wohnungen aufschrecken, kann ich verstehen. Sie haben ja selber schlechte Erfahrungen gemacht. Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten, nur sagen: Wir haben nicht vor - wie Sie das bei der Neuen Heimat gemacht haben -, diese Wohnungen für eine Mark an einen Bäckermeister zu verkaufen. Wir wollen damit durchaus einiges einnehmen.
Meine Damen und Herren, noch einige Worte zum Auszug der SPD aus der Sitzung des Haushaltsausschusses: Seit Bestehen des Haushaltsausschusses hat es ein solches Verhalten nicht gegeben. Aber ist es nicht so, daß die SPD in Wirklichkeit wegen Konzeptlosigkeit die Beratungen des Haushaltsausschusses verlassen hat? Das, so glaube ich, war das Entscheidende. Sie haben im Haushaltsausschuß Anträge in Millionenhöhe präsentiert. Und wo war die Deckung?
Die SPD fordert hier im Plenum, die Mittel für den Transrapid zu streichen. Im Haushaltsausschuß stimmen jedoch viele Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten - das ist ja zu begrüßen - für den Transrapid. Übrigens hat dies auch die rot-grüne hessische Landesregierung im Bundesrat getan. Das ist Doppelzüngigkeit der Sozialdemokraten.
Sie wollen die Mittel für den Eurofighter streichen; draußen bei den Betriebsversammlungen der DASA erklären Herr Spöri und Herr Schröder, daß der Eurofighter endlich kommen müsse. Das ist die Doppelzüngigkeit der Sozialdemokraten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Koppelin, zu dem Eurofighter und Ihrem Verhältnis dazu habe ich ja vorhin schon etwas gesagt. Aber können Sie dem staunenden Publikum einmal mitteilen, wie Sie die Baukosten für den Transrapid, die auf 5,5 bis 10 Milliarden DM geschätzt werden und die der Bund zu tragen hat, in den nächsten Jahren finanzieren wollen?
Herr Kollege Kuhlwein, ich bin etwas erstaunt, daß Sie eine solche Frage stel-
Jürgen Koppeln
len. Das ist ganz einfach zu erklären. Schauen Sie in den Haushaltsplan - Sie sind Mitglied des Haushaltsausschusses -, dann wüßten Sie die Antwort.
Aber da Sie den Eurofighter angesprochen haben, noch einmal den Standpunkt der Freien Demokraten: Wir sagen ja zu einem Jagdflugzeug, aber nicht um jeden Preis. Darüber werden wir sprechen, wenn uns das entsprechende Angebot auf dem Tisch liegt.
Was allerdings Ihre Ministerpräsidentin aus Schleswig-Holstein in diesen Tagen gemacht hat, zeigt Ihre tolle Wirtschaftspolitik. Sie hat mit Blick auf den Bundeskanzler gesagt - ich darf das zitieren -:
Wenn ich mir dann zu fein bin, nach New York zu fahren und dort für mich und mein Land zu werben, wie das der Bundeskanzler macht, dann darf man sich nicht wundern, daß DASA auswandert.
Das scheint das Niveau Ihrer neuen Wirtschaftspolitik zu sein. Dazu kann ich nur sagen: Herzliche Anteilnahme.
Ich möchte noch einmal auf die Doppelzüngigkeiten der Sozialdemokraten zu sprechen kommen. Sie wollen bei der Bundeswehr erhebliche Mittel streichen, und draußen im Lande kämpfen die SPD-Vertreter für jeden Standort. Das ist Doppelzüngigkeit der Sozialdemokraten.
Jahrelang hat Frau Matthäus-Maier gegen das „Dienstmädchenprivileg" gewettert. Jetzt, so lese ich in der Presse, fordern die Sozialdemokraten Arbeitsplätze in privaten Haushalten. Das ist die Doppelzüngigkeit der Sozialdemokraten.
In der kurzen Redezeit, die ich habe, kann ich nur sagen: Zur Politik der Bundesregierung und der Koalitionsparteien gibt es keine Alternative.
Ich habe dafür einen guten Zeugen. Jetzt sollte mir auch die Kollegin Matthäus-Maier zuhören. Frau Kollegin Matthäus-Maier, der frühere Bundesfinanzminister Hans Apel hat im „Hamburger Abendblatt" vor wenigen Tagen geschrieben - Frau Präsidentin, ich darf zitieren -:
Die Finanzpolitiker der SPD beklagen mit starken Worten die unerträgliche Steuer- und Abgabenlast der deutschen Arbeitnehmer. Doch wenn die Regierung Vorschläge macht, die Ausgabenflut bei der Sozialhilfe oder bei den Arbeitslosen zu begrenzen, prangern die Sozialpolitiker der SPD das als „brutal", „herzlos", als „soziale Demontage" an.
Wo sind die konkreten Vorschläge der Sozialdemokraten, um sicherzustellen, daß sich ehrliche Arbeit auf Lohnsteuerkarte und mit vollen Sozialabgaben wieder lohnt?
- So Hans Apel.
weiter Hans Apel:
Wie will die SPD sicherstellen, daß der Standort Deutschland im weltweiten Wettbewerb nicht an seinen Lohnnebenkosten und seiner hohen Steuerlast erstickt?
Die SPD hat sich in diesen 13 Jahren selbst politisch impotent gemacht. Inhaltsleere Kompromisse sind an der Tagesordnung. Viele können ihr kleines Hobby pflegen und darauf lospolemisieren, auch wenn daraus ein Erscheinungsbild der SPD wird, das schwammig und widersprüchlich wirkt und die Wähler abschreckt.
Sb Hans Apel. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Nun hat die Kollegin Matthäus-Maier die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, bitte.
Ich möchte Sie fragen, was Sie zur folgenden Passage unseres Leitantrages sagen:
Es sind Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß bei Dienstleistung für private Haushalte gutbezahlte und sozial abgesicherte Arbeitsplätze entstehen. Dabei sind die Ungerechtigkeiten zu vermeiden, die mit der jetzigen steuerlichen Förderung der Beschäftigung von Haushaltshilfen verbunden sind.
Sind Sie nicht mit mir einer Ansicht, daß wir das sogenannte Dienstmädchenprivileg, das progressionsabhängig diejenigen mit den höchsten Einkommen sehr viel stärker entlastet als die kleinen Leute, dadurch gerade ausschließen wollen?
Frau Kollegin Matthäus-Maier, früher haben Sie das, was wir wollten, nämlich in einem Haushalt Arbeitsplätze zu schaffen, pauschal abgelehnt. Jetzt machen Sie zumindest schon mal den ersten Schritt. Der nächste wird noch kommen.
Ich bin Ihnen sehr dankrar, daß Sie sich gemeldet haben. Hier ist vorhin von einem jungen Mädchen gesprochen worden, das irgendwo aufgetreten sei und etwas gesagt habe. Ich erinnere mich noch an
Jürgen Koppelin
eine junge Dame, die auf der anderen Seite des Hauses gestanden hat. - Ich sage das auch zu Ihren Beiträgen, die Sie hier heute gebracht haben; nicht nur zu dem Beitrag des Kollegen Diller. - Diese Dame sagte damals zur Opposition - das war allerdings die CDU -:
Wer derart übertreibt, wer derart überzieht, kann nicht damit rechnen, daß ihm draußen geglaubt wird. Irgendwann einmal haben Sie keine Steigerungsform mehr. Wenn etwas immer das Schlechteste war, kann ja etwas Schlechteres nicht mehr kommen. Dann merken die Bürger, daß etwas nicht stimmt.
Das war die Abgeordnete Matthäus-Maier am 20. Januar 1982. Sie sprach damals als Abgeordnete der Freien Demokraten.
Dem ist voll zuzustimmen.
Frau Kollegin, ersparen Sie mir weitere Zitate zu Ihrer Person. Ich empfehle Ihnen, die Haushaltsrede, die Sie am 20. Januar 1982 gehalten haben, nachzulesen.
Wir haben im Haushaltsausschuß eine vernünftige Arbeit geleistet. Deswegen werden wir Freien Demokraten dem Haushalt in zweiter Lesung zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
Nun hat die Abgeordnete Susanne Jaffke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, heute ist schon sehr viel zu den Fakten gesagt worden, so daß ich mich nicht zu wiederholen brauche. Meine Mitarbeiter haben mir allerdings eine tolle Rede zusammengestellt. Das, glaube ich, machen alle Mitarbeiter; das muß man auch mal lobend erwähnen.
Sie tragen die Fakten gebündelt zusammen und arbeiten uns allen zu. Das sollte man auch mal würdigen.
Im übrigen hat unser Bundesfinanzminister heute wieder ein exzellentes Beispiel für Fachargumentation geliefert, so daß man ihm da nur ein Kompliment machen kann. Lieber Theodor Waigel, Ihre Rede war wirklich à la bonne heure.
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Die letzte Woche in der Haushaltsberatung war eine nicht so glückliche. Ich habe das erste Mal erlebt,
daß Hauhaltsberatungen aus der Sicht der Regierenden unwahrscheinlich schnell waren und sehr leicht vonstatten gingen. Ich habe erlebt, wie das früher die SED gemacht hat, die sich 1968 in ihrer Verfassung den Führungsanspruch festgeschrieben hat, keinen Widerspruch geduldet hat und eigentlich so ganz allein vor sich hin regiert hat; die Opposition wurde sang- und klanglos ausgeschaltet.
Das hat zum Bankrott geführt.
Ich möchte für mich sagen: Ich wünsche mir das nicht noch einmal.
- Das finde ich toll. - Ich wünsche mir das auch im Interesse aller Kollegen der SPD, die in den Berichterstattergesprächen eine sehr gute Sach- und Facharbeit machen - es waren vor allen Dingen die Kollegin Dr. Wegner und mein Kollege Manfred Hampel betroffen - und die nun ihre Vorschläge, die im Bundeshaushalt durchaus enthalten sind, nicht wiederfinden können. Das finde ich ein wenig schade.
- Frau Matthäus-Maier, es ist vollkommen richtig, was meinen Part angeht. Ich bin immer bemüht und bestrebt, gute und sachliche Vorschläge der SPD aufzugreifen und sie einzuarbeiten. Es ist schade, daß nur noch wenige Besucher auf der Besuchertribüne sitzen; denn man sollte für die Öffentlichkeit sagen, daß die Opposition eine gute Sacharbeit leistet und viele Vorschläge der Opposition einfließen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hermenau?
Ja, gerne.
Frau Kollegin Jaffke, nach Ihrem Beitrag zur Rolle der Opposition in diesem Bundestag und im Haushaltsauschuß möchte ich Sie fragen: Wie bewerten Sie die Arbeit, die die Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen in den Haushaltsberatungen bis zu diesem denkwürdigen Tag vor zwei Wochen, an dem wir uns - die Empörung war doch wohl echt, das haben auch Sie gespürt - getäuscht sahen, geleistet haben? Wir haben innerhalb der letzten zweieinhalb Monate hart, vielleicht sogar sehr hart gearbeitet - das überlasse ich Ihrem Urteil -, und wir wurden dann in einer Art und Weise abgespeist, daß es nicht mehr möglich war, mit Ihnen weiter zusammenzuarbeiten. Wie bewerten Sie das?
Ich weiß nicht, ob ich irgend etwas bewerten soll. Ich habe deutlich gemacht, daß ich die Arbeit der Opposition schätze. Ich glaube, wir beide wissen aus den Berichterstatterge-
Susanne Jaffke
sprächen sehr gut, daß viele Vorschläge, die sachlich begründet sind und vor allen Dingen unseren Part betreffen - Aufbau der neuen Bundesländer -, gut eingearbeitet wurden.
Daß es natürlich in der Beurteilung der politischen Entscheidungen Unterschiede gibt, betrachte ich als normal und selbstverständlich. So sollte es auch sein. Ich mache mir nichts vor. Ich denke, es kann jederzeit wieder umgekehrt sein. Zumindest sollte es ein erstrebenswertes Ziel einer Opposition sein, die Regierung ein wenig zu fordern. Eine Bemerkung von mir dazu: Davon merke ich nicht viel.
Frau Kollegin, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Kuhlwein. Lassen Sie diese zu?
Ja, gern.
Frau Kollegin Jaffke, wie können Sie als Haushälterin mit Ihrem Arbeitsethos vereinbaren, daß Sie binnen 24 Stunden Umschichtungen im Haushaltsentwurf in einer Größenordnung von 20 Milliarden DM kritisch, sachkundig und gründlich prüfen und anschließend darüber entscheiden sollen?
Herr Kollege Kuhlwein, ich glaube, wir brauchen keine Show zu machen, indem wir sagen, daß wir innerhalb von 24 Stunden irgendwelche Entscheidungen treffen mußten. Der Finanzminister hatte 14 Tage vorher in der CDU-Fraktion eine entsprechende Stellungnahme dazu abgegeben. Deshalb waren alle, die daran interessiert waren - ich gehe davon aus, daß es auch dem Kollegen Diller bekannt war -, vorher über die Situation informiert.
Ich verschweige die Schwierigkeit der Lage nicht; ich möchte in meinem Statement später noch darauf zurückkommen. Ich habe mich nicht überfordert gesehen, innerhalb von 24 Stunden Entscheidungen zu treffen; denn die Entscheidungen, die mir abverlangt wurden, waren keine neuen Entscheidungen. Ich kannte sie halt vorher.
Jetzt möchte noch der Abgeordnete Kalb eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie auch die noch zulassen?
Ja.
Frau Kollegin Jaffke, würden Sie bestätigen, daß der Finanzminister schon am 11. Oktober den Haushaltsausschuß über die sich abzeichnenden Veränderungen informiert hat, zu einem Zeitpunkt, als er gerade von der Tagung der Weltbank und des IWF zurückkam und an sich Zeit genug war, Überlegungen anzustellen, tun auf die veränderte Situation zu reagieren, daß von seiten der SPD aber bedauerlicherweise keine Alternativvorschläge gekommen sind?
Herr Kollege Kalb, ich kann das ausdrücklich bestätigen. Ich bitte um Entschuldigung, daß mir das in der Kürze der Zeit gar nicht so schnell eingefallen ist. Aber ich finde es toll, daß dies nun im Protokoll erscheint. Der Minister hat sich in diesem Jahr wirklich ganz intensiv um uns gekümmert. Es waren zwei Haushalte, und bei beiden hat er sich ganz intensiv um uns gekümmert. Herr Minister, wie immer mein Kompliment.
Vielleicht lassen Sie mich daran anknüpfen, wie in der Demokratie Opposition stattfinden sollte, und daran, daß die Kollegen - ich nannte bereits die Kollegin Dr. Wegner und auch den Kollegen Hampel - nicht mehr in den Genuß kamen, in Rede und Gegenrede zwischen Opposition und Regierung bestimmte Standpunkte auszutauschen.
Der Kollege Hampel weiß sehr genau, daß im Einzelplan 08 erhebliche Mittel vor allen Dingen zur Entwicklung der neuen Bundesländer vorhanden sind. Das Kapitel Nachfolge Treuhand ist abzuarbeiten. Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß wir uns über die Parteigrenzen hinweg in einer sachlichen Arbeit auf den Weg machen und daß viele Vorschläge des Kollegen Hampel in den Haushalt eingearbeitet wurden.
Zwei Dinge - man muß sie nennen - waren strittig. Es ging um die Deckungsfähigkeit von Maßnahmen zur Sanierung der ökologischen Altlasten und von Maßnahmen nach § 249h AFG. Soweit ich erfahren habe, Kollege Hampel, will das Land Sachsen-Anhalt jetzt die einmal gegebene Zusage zur Aufstockung der Mittel für Maßnahmen nach § 249h AFG, die wir um 100 Millionen DM erhöht haben, einseitig zurücknehmen und die Komplementärfinanzierung doch nicht zur Verfügung stellen. Wir hatten mit der Erhöhung dieser Mittel die Möglichkeiten, die der zweite Arbeitsmarkt bietet, im doch arg gebeutelten Chemiedreieck, verbessern wollen. Ich halte die Entscheidung des Landes Sachsen-Anhalt für nicht so glücklich. Vielleicht können Sie noch dafür sorgen, daß auch in diesem Bereich eine vernünftige Arbeit erfolgt.
Eine Bemerkung möchte ich zum Kollegen Metzger machen. Lieber Oswald, du hast wie immer eine brillante Rede gehalten.
- Doch, das macht er immer. Er ist eigentlich derjenige, der bei uns Opposition betreibt, und zwar in einer sachlichen Form.
Lieber Oswald, wie würden die Landwirte reagieren, wenn wir, wie du es vorgeschlagen hast, das Gasöl nicht mehr so verbilligen würden? Sie würden den Acker noch weniger mechanisch bearbeiten und unter Umständen mehr Chemie einsetzen, um auf ihre Erträge zu kommen. Das kann doch wohl nicht im Sinne der Sparmaßnahmen sein. Ich denke, daß sich gerade auch die Grünen auf den Weg machen sollten, die Landwirtschaft so umzugestalten, daß der
Susanne Jaffke
technische Aufwand zwar hoch bleibt, aber die Aufwendungen für chemische Mittel zurückgeführt werden können.
In diesem Zusammenhang ist mir keine Mark zu schade, die wir für die Erhaltung unserer Kulturlandschaft im ländlichen Raum zur Verfügung stellen.
Zum Schluß möchte ich eine Bemerkung zu meinem Freund Karl Diller loswerden. Karlchen hat heute wieder eine „tolle" Rede gehalten. Lieber Karl, wenn du wirklich alles glaubst, was du gesagt hast,
dann mußt du dir sofort die Kugel geben.
Ich sage dir ganz ehrlich: Leider Gottes war es mir nicht möglich, in der Ladenzeile eine Kugel zu beschaffen. Aber ich gebe dir einen kleinen Frischmacher. Er ist vielleicht ganz wichtig für die nächsten Anläufe, die zu nehmen sind. Denn auch eine Regierung kann nur gut sein, wenn die Opposition gut ist. Als alter Sportsmann will ich dir sagen: Man läuft nur selbst zu Höchstleistungen auf, wenn man den Gegner im Rücken hat. Dann kann man viel Adrenalin ausschütten. Im Moment spüren wir leider noch nicht so viel davon. Vielleicht nehmt ihr doch einmal die Worte eurer Heide Simonis ernst und jagt uns ein bißchen. Wir sind zu sportlichen Höchstleistungen fähig.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Hampel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Frau Jaffke, Sie haben der Koalition mit der Rede, die Sie gerade gehalten haben, keinen sehr großen Gefallen getan. Bei aller Kollegialität, die im Haushaltsausschuß herrscht, denke ich: Wir sind nun einmal Opposition.
- Noch! Vielleicht ändert sich das einmal.
Herr Waigel, Sie haben in Ihrer Rede die positive wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern als Grundlage für die Entscheidung angeführt, daß die Förderkulisse zurückgefahren werden kann. Wenn man sich einmal das Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute ansieht, dann stellt man fest: Sie warnen davor, daß allein aus der Tatsache, daß die wirtschaftliche Entwicklung auf die Schiene gesetzt ist, der Trugschluß abgeleitet
werden könne: Nun kann man die Förderkulisse massiv zurückfahren.
Wenn wir uns die Zahlen von 1993, 1994 und 1995 ansehen, dann erweist sich: Das sind erschreckende Zahlen. Die Transferleistungen von 1993 zu 1994 sind um 200 Millionen DM zurückgegangen. Die Transferleistungen von 1994 zu 1995 sind schon um 3,2 Milliarden DM zurückgegangen, und die Transferleistungen von 1995 zu 1996 - da gibt es unterschiedliche Berechnungen, aber ich stütze mich auf eine Berechnung des Kollegen Kolbe - um 21,7 Milliarden DM.
Das sind erschreckende Zahlen. Denn letztlich wird eine Stabilisierung des wirtschaftlichen Aufbauprozesses mit solchen Rückführungsraten mit Sicherheit nicht erreicht werden.
Wir haben 1990 schon einmal Illusionen geweckt. Ich glaube, es ist nicht redlich, zum jetzigen Zeitpunkt, 1995, schon wieder von illusionären Vorstellungen auszugehen, die letztlich nicht haltbar sind. Ich möchte einen Absatz aus einem Papier zitieren:
Osten trägt Konsolidierungslast des Bundeshaushalts 1996. Die östlichen Bundesländer tragen die Hauptlast der Konsolidierung des Haushaltes 1996. 12 Milliarden DM Steuerentlastung beim Bund, 8 Milliarden DM Aufwand für die Steinkohlenverstromung nach dem Wegfall des Kohlepfennigs und 6 Milliarden DM für die zweite Stufe der Bahnreform werden im wesentlichen durch Einsparungen in den östlichen Bundesländern in Höhe von 21,7 Milliarden DM finanziert. Nachdem Bundesfinanzminister Theo Waigel jahrelang die Transferleistungen des Bundes übertrieben dargestellt hat, wäre es ein Gebot der Redlichkeit, jetzt auch einmal diesen Konsolidierungsbeitrag des Ostens wenigstens zu erwähnen.
Damit könnten auch einige Gräben wieder zugeschüttet werden, die die bösartige Verschwendungskampagne zu Jahresanfang 1995 in Deutschland aufgerissen hat.
Das war keine sozialdemokratische Presseerklärung, sondern ein Papier vom Kollegen Kolbe.
Wenn man sich einmal diese Zahlen und dann die Bemühungen der Al geordneten aus dem Osten in der Regierungskoalition ansieht, dann stellt man fest: Fernwärmesanierung - ausgelaufén. Bei der Innovationsförderung sind wenigstens noch mal 60 Millionen DM draufgelegt worden, aber zu Lasten der GA Ost. Also, was die eine Hand gegeben hat, hat die andere genommen. 500 Millionen DM - jetzt 550 Millionen DM - beträgt die Rückführung der GA Ost.
All diese am Anfang des Bundeshaushalts eingebrachten Positionen konnten Sie nicht durchsetzen.
Manfred Hampel
Wenn die Interessen des Ostens in diesem Maße negiert und nicht beachtet werden, dann sollten Sie so viel Mut haben, diesem Bundeshaushalt einfach nicht zuzustimmen. Beweisen Sie doch einmal Ihren Wählern vor Ort, daß Sie für ihre Interessen eintreten, aber nicht nur dadurch, daß Sie in Wahlkampfveranstaltungen oder in Versammlungen zu Hause im Wahlkreis reden, sondern dadurch daß Sie die Erklärungen, die Sie dort abgeben, hier im Bundestag durchsetzen und umsetzen.
Eine weitere Bemerkung zu dem Kapitel 0820, Treuhandnachfolge. Es ist richtig: Wir haben uns sehr intensiv für die Aufstockung der Maßnahmen nach § 249h MG eingesetzt, leider erfolglos. Denn die jetzt zugesagten 100 Millionen DM von der BVS sind lediglich ein Vorziehen aus dem Jahr 1997 in das Jahr 1996. Das wird den Arbeitsmarkt zwar kurzfristig entlasten, aber nicht in dem Maß, in dem es notwendig wäre. Maßnahmen nach § 249h AfG wurden im vergangenen Jahr, also in diesem Jahr, in einer Größenordnung von über 30 000 in den neuen Bundesländern durchgeführt. Durch die Rückführung der Mittel bleiben, wenn es hoch kommt, noch 11 000 bis 14 000 übrig. Das ist eine dramatische Entwicklung, vor allem eine dramatische Entwicklung in einem Land wie Sachsen-Anhalt, das in einem besonders hohem Maße von Arbeitslosigkeit gebeutelt ist.
Ein anderer Punkt im Zusammenhang mit den Beratungen des Haushaltes, Kapitel 0820: Es gibt eine Beschlußvorlage, die in der Arbeitsgruppe Aufbau Ost im Zusammenhang mit der BVS erarbeitet worden ist und der wir auch zugestimmt haben. In dieser Beschlußvorlage wird davon gesprochen, daß die BVS im Bereich der Restchemie keine neuen Privatisierungsbemühungen bzw. -projekte durchführt. So weit, so gut, auf die BVS bezogen; denn nicht die BVS, sondern die BMGB ist der eigentliche Nachfolger für den industriellen Bereich. Wenn es Privatisierungsbemühungen gibt, dann müssen sie im Geschäftsbereich dieser Einrichtung durchgeführt werden.
Was mich erschreckt hat, war, daß ich auf Anfrage zu dieser Position vom Bundesministerium der Finanzen die Antwort bekommen habe, daß Privatisierungen, auch wenn sie wirtschaftlich tragfähig sind, nicht mehr begonnen werden, weil die Verlustzuweisungen dann länger getragen werden müssen. Meine Damen und Herren, das ist doch ein unerträglicher Zustand,
bei der jetzigen industriellen Grundlage, die wir im Osten haben, auch noch bewußt Betriebe kaputtgehen zu lassen, die eine reale Chance zur Privatisierung haben und die dann auch wirtschaftlich tragfähig wären. Herr Waigel, ich fordere Sie auf, diese Position in Ihrem Hause zu korrigieren!
Ein Wort zur Treuhandnachfolge: Wir waren uns in der letzten Legislaturperiode über alle Fraktionen hinweg einig, daß die Treuhandnachfolge einer parlamentarischen Begleitung in der 13. Legislaturperiode bedarf. Wir waren uns einig, daß das im Rahmen eines Unterausschusses des Haushaltsausschusses geschehen sollte. Nach der Wahl stand die Koalition nicht mehr dazu, sondern hat uns die Hilfskonstruktion einer Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuß aufgenötigt, so möchte ich sagen, weil wir als Minderheit nicht das Recht haben, einen Ausschuß durchzusetzen. Aber seitdem ist so viel Entwicklung ins Land gegangen, daß man diese Position noch einmal überdenken muß.
Ich weise beispielsweise nur darauf hin, daß die Treuhandnachfolge BVS an ihrem Konzept, das ursprünglich vorgelegt wurde, deutliche Abstriche gemacht hat, daß sie den Zeitrahmen erheblich ausweiten und den Personalbestand zumindest nicht in dem Maße abbauen möchte, in dem wir alle das damals für notwendig gehalten haben. - Ich sehe ein und halte es auch für richtig, daß der zügigen Aufgabenerledigung Vorrang vor einem schnellen Personalabbau eingeräumt werden muß; denn auch wir wollen, daß die Arbeit sehr schnell beendet wird. - Als Begründung dafür hat die BVS angeführt, die Komplexität der Aufgaben sei gestiegen, das Vertragsvolumen habe deutlich zugenommen; man habe nicht damit gerechnet, daß so viele neue Verträge abgeschlossen werden müßten. Ursprünglich sollten die hoheitlichen Aufgaben der BVS 1996 auslaufen und dann einer anderen Bundesbehörde - OFD oder Vermögensverwaltung, das sei dahingestellt - übertragen werden.
Es gibt, wie uns dargelegt wurde, erhebliche Informationsverluste.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dann will ich das ganz schnell abschließen.
Unsere Forderung ist, noch einmal gemeinsam zu überdenken, inwieweit es notwendig ist, die Treuhandnachfolge in verstärktem Maße parlamentarisch zu begleiten, nicht nur mit der Hilfskonstruktion „Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuß", sondern durch einen Ausschuß, wobei wir möglicherweise auch mit einem Unterausschuß einverstanden sind, wie es ursprünglich vorgesehen war. So wie wir bisher gearbeitet haben, wird die Aufgabe, die Treuhandnachfolge zu einem Instrument zur Entwicklung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern zu gestalten, nicht gelingen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Rössel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungskoalition unternimmt mit dem nicht beratungsreifen Haushalt 1996 einen unheilvollen Schritt, ungedeckte Schecks des Bundeshaushaltes zunehmend den sozial Schwachen sowie den Kommunen aufzubürden. Die größten Risikofälle des Arbeitsmarktes - so der Wille der Koalition - sollen aus dem System der Arbeitslosenversicherung ausgeklinkt und in die bereits übervollen Korridore der städtischen Sozialämter abgeschoben werden. Die Kommunalisierung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit ist ein sozialpolitischer Skandal. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der finanziell arg gebeutelten Städte, Gemeinden und Landkreise, deren Finanzierungsdefizit - ohne Stadtstaaten - im 1. Halbjahr 1995 ca. 9,6 Milliarden DM betragen hat. Allein durch die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe im Jahre 1996 würden von einem Tag zum anderen 38 000 betroffene Menschen, darunter viele Jugendliche, zu Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern gemacht. Die Kommunen würden zugleich mit 600 Millionen DM zusätzlich belastet.
Die von der Bundesregierung beschlossene Senkung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe um jährlich 5 Prozent ist in der Tat eine Flickschusterei zu Lasten der Kommunen. Die unmittelbar daraus resultierenden Mehrbelastungen für die kommunalen Sozialhilfeetats bezifferte Saarbrückens Oberbürgermeister Hoffmann bundesweit auf sage und schreibe 2,5 Milliarden DM pro Jahr und eben nicht auf 500 Millionen DM, wie Minister Blüm vergangene Woche angegeben hat. Immer mehr von den Kommunen betriebene Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Jugendfreizeiteinrichtungen, Theater und ähnliches müssen auf Grund der desolaten kommunalen Finanzlage geschlossen werden oder ihren Betrieb zumindestens stark reduzieren. Das ist für die Bürgerinnen und Bürger ein unvertretbarer Zustand, der nicht hingenommen werden darf.
Selbstverständlich beurteilt meine Gruppe auch die drastischen Kürzungen im Bundeshaushalt 1996 für Ostdeutschland als außerordentlich kritisch und bedenklich.
Die Fakten: Für 1995 stehen den Bruttoausgaben des Bundes in Höhe von 110 Milliarden DM Steuer- und Verwaltungseinnahmen in den neuen Bundesländern in Höhe von rund 46 Milliarden DM gegenüber, so daß der Bund in diesem Jahr 64,3 Milliarden DM netto für die neuen Länder ausgibt. Das ist eine in der Tat gewaltige Größe.
1996 werden vor dem Hintergrund der auf 88,6 Milliarden DM gekürzten Bruttozahlungen Steuer- und Verwaltungseinnahmen in Ostdeutschland in Höhe von rund 52 Milliarden DM erwartet. Das heißt, der Bund wird Ostdeutschland im kommenden Jahr mit 36,6 Milliarden DM netto unterstützen. Das sind 27,7 Milliarden DM netto weniger als 1995. Das hat nun wohl nicht mehr viel mit Aufschwung Ost zu tun.
Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sagen Sie das den Menschen zwischen Saßnitz und Fichtelberg offen, verschweigen Sie es nicht!
Ganz hart betroffen von derartigen Ausgabenkürzungen werden die 89 Landkreise sowie die nach Gebietsreformen derzeit noch etwa 6 200 Städte und Gemeinden in Ostdeutschland sein. Bereits jetzt, so eine Studie des Hallenser Instituts für Wirtschaftsforschung, befinden sich die Gemeindefinanzen in Ostdeutschland in einer „Schieflage". Immerhin beträgt die Pro-Kopf-Neuverschuldung im Jahre 1994 400 DM und liegt damit 3,5mal höher als die in den alten Bundesländern. Wird die Nettokreditaufnahme ostdeutscher Kommunen künftig nicht deutlich verringert - ganz gewiß tragen hierfür auch die Länder eine nicht geringe Verantwortung -, übersteigt der zu leistende Schuldendienst deren finanzielle Leistungsfähigkeit erheblich. So die Schlußfolgerung des Hallenser Instituts.
Der Gang der ersten ostdeutschen Kommunen zum Konkursrichter, wie in Brandenburg geschehen,
und der Einsatz von Staatskommissaren an Stelle demokratisch legitimierter Gemeinderäte sind doch bereits ein Alarmsignal. Kommunale Selbstverwaltung, dieses durch Bund und Länder so schützenswerte Gut, das es leider in der DDR nicht gegeben hat - das wird nicht verschwiegen -, darf nicht zur Farce verkommen. Die Finanzautonomie der Kommunen muß unbedingt als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern im Stabilitätspakt garantiert werden. Diesem Anliegen stimme ich in jedem Fall zu.
Die ostdeutschen Kommunen brauchen mehr konkrete Hilfe und weniger Sonntagsreden. Der Bund darf angesichts des Finanznotstandes der ostdeutschen Kommunen nicht so tun, als ob ihn diese Angelegenheit nicht viel angehe. Um den im Vergleich von 1995 zu 1994 bereits eingetretenen erheblichen Rückgang kommunaler Investitionen in Ostdeutschland zu stoppen, schlagen wir vor, für das Jahr 1996 eine Investitionspauschale des Bundes in einem Umfang von 1,5 Milliarden DM aufzulegen und dafür einen entsprechenden Titel in den Einzelplan 60 einzustellen. Unser Antrag, der Ihnen auf Drucksache 13/2860 vorliegt, wäre ein Schritt in diese Richtung. Er könnte zudem auch dem vielerorts angeschlagenen Bauhandwerk helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Der Antrag ist kommunal- und mittelstandsfreundlich und sollte durchaus Ihre Zustimmung finden können.
Selbstverständlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, haben wir auch einen Finanzierungsvorschlag gemacht. Unser Finanzierungsvorschlag ist im Antrag enthalten und besteht, kurz gesagt, in der Mobilisierung zusätzlicher Einnahmen des Bundes in Höhe dieser 1,5 Milliarden DM aus der Rückholung der im Zusammenhang mit der Privatisierung von DDR-Kreditinstituten an verschiedene bundesdeutsche Banken übergebenen Kreditforderungen. Der Bundestag sollte Dr. Waigel beim Wort nehmen, der
Dr. Uwe-Jens Rössel
in dieser Angelegenheit heute eine umfassende Aufklärung angekündigt hat.
Bekanntlich hat der Bundesrechnungshof jüngst den Bund gerügt, daß diesem bei dem Verkauf von DDR-Banken sowie bei der Abwicklung von Altkrediten Einnahmeverluste von bis zu 20 Milliarden DM entgangen sein sollen. Würden von diesen 20 Milliarden DM lediglich 1,5 Milliarden DM zurückgeholt, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnte das für die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen und ihre Einwohnerinnen und Einwohner eine wichtige Hilfe sein.
Wie gesagt: Die ostdeutschen Kommunen erwarten von der Bundesregierung wie auch von ihren Landesregierungen konkrete Hilfe und keine weitere Bedrohung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, wie es durch die Eintreibung sogenannter Altschulden auf kommunale gesellschaftliche Einrichtungen zumindest gegenüber 1 400 ostdeutschen Städten und Gemeinden geschieht. Die PDS hat als erste der im Bundestag vertretenen Fraktionen/Gruppen einen Antrag eingereicht, dieses Schmierentheater endlich zu beenden; denn es ist nicht einzusehen, daß Ost-Berlin keine Altschulden haben soll, Halle aber fast 400 Millionen DM - und das bei weit geringerer Ausstattung mit gesellschaftlichen Einrichtungen.
Die Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen in den neuen Bundesländern sind keine kommunalen Schulden. Sie sind, wenn überhaupt Schulden, dann Staatsschulden der DDR, die konsequenterweise vom Bund übernommen und getragen werden müßten. Eine Möglichkeit dafür ist die Übernahme in den Erblastentilgungsfonds. Dann würde die Bundesregierung in dieser Hinsicht endlich Flagge zeigen, die Tatsachen anerkennen und den ostdeutschen Kommunen den Weg in die kommunale Selbstverwaltung erleichtern.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Kann ich das jetzt noch?
Ja. Dr. Uwe-Jens Rössel : Ja, bitte.
Herr Kollege Rössel, auf Grund unserer gemeinsamen Erfahrungen im letzten Wahlkampf habe ich Ihren Ausführungen sehr aufmerksam gelauscht. Wenn Sie die Frage der Altschulden hier so diskutieren, wollen Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen: Sie waren Mitarbeiter des ZK! Sie waren Mitarbeiter des Ministerrats! Weshalb haben Sie nicht dafür gesorgt, daß diese Altlasten gerecht verteilt wurden? Sie können doch nicht
immer der Bundesregierung etwas anlasten, was ihr damals verbockt habt!
- Er war Mitarbeiter des ZK und des Ministerrats. Damit hat er im Wahlkampf geworben. Das muß doch einmal auf den Tisch kommen!
- Ihr Argument von dahinten wird durch Lautstärke auch nicht besser. Sagen Sie doch bitte einmal konkret, warum die Schwerpunktsetzung bei den Landesaufgaben in der Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt nicht klappt. Da seid ihr doch mit in der Regierung. Ihr habt doch dort konkrete Möglichkeiten der Mithilfe. Tut doch endlich einmal etwas, statt hier mit Polemik zu arbeiten!
Lieber Kollege Schulze, zur ersten Angelegenheit empfehle ich Ihnen, unseren Antrag nachzulesen. Dort haben wir zu dem Entstehen der Altschulden sehr ausführlich Stellung genommen.
Meine politische Biographie habe ich nie verschwiegen. Sie ist übrigens im Handbuch des Bundestages sehr ausführlich abgedruckt.
Lieber Kollege Schulze, wir sind, wie Sie wissen, nicht in die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt eingetreten. Das war offenbar noch nicht Wählerwille. Ich gehe davon aus, daß diese Möglichkeit bei der nächsten Wahl gegeben sein wird. Die Berliner Ergebnisse weisen in diese Richtung. Wenn der Wähler oder die Wählerin es wünscht, werden wir uns einem solchen Wunsch nicht verschließen. Aber jetzt ist es noch nicht so. Ich glaube im übrigen schon, daß in der Tolerierungsfunktion in Sachsen-Anhalt einiges auf den Weg gebracht worden ist. Ich erinnere beispielsweise nur einmal an die Eigenkapitalausstattung für kleine Unternehmen, die sich wohltuend von der in manch anderen Bundesländern unterscheidet, und ich erinnere auch an die Finanzausstattung der Kommunen, Kollege Schulze. Das Finanzausgleichsgesetz in Sachsen-Anhalt ist - bei aller Problematik, die auch dort noch besteht - immerhin das beste, das für dieses Jahr von einem Landtag verabschiedet worden ist.
Ich meine, die Landesregierung ist auf dem richtigen Weg. Die Wählerinnen und Wähler werden bei der nächsten Wahl entscheiden, wie es weitergeht. Ich bin ganz guter Hoffnung, mit einer Realpolitik, wie wir sie vertreten, viele Wählerinnen und Wähler begeistern zu können.
Wir sind auch deshalb starke Verfechter der kommunalen Selbstverwaltung, weil wir in der DDR auf diesem Gebiet nicht entsprechend gewirkt haben. Das ist auch eine Art der Aufarbeitung der Geschichte der DDR.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilfried Seibel.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik stehen im Brennpunkt der gesellschaftlichen Diskussion dieses Jahres und verschärft in den nächsten Jahren. Wir sind verpflichtet, den Standort Deutschland zu erhalten und ausreichend Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung zu schaffen.
Ein großes deutsches Elektronikunternehmen produziert seine Halbleiter in einem Werk in Malakka in Malaysia. Dort wird an 24 Stunden des Tages in drei Schichten gearbeitet, und das an 362 Tagen im Jahr. Die Belegschaft wird deutlich über dem Landesdurchschnitt bezahlt, die sozialen Leistungen sind im Vergleich höher, Urlaubs- und Feiertagsregeln werden eingehalten. Das Unternehmen hat einen Kapitalanteil von 57 % und einen Lohnanteil von 17 %. Dies ist fokussiert die Herausforderung, der sich unsere Wirtschaft zu stellen hat.
Unsere Sozialpolitik hat soziale Standards für nahezu alle Problemlagen in dieser Gesellschaft schaffen können, Standards, die einmalig in der Welt sind. Für diese Tatsache muß der Staat große Beträge ausgeben. Aus diesem Grund ist der Etat des Arbeitsministers der größte Etat im Bundeshaushalt.
Ein Bauunternehmer in Niedersachsen muß auf der Basis seiner Kalkulationen beim Kunden 86,50 DM pro Stunde berechnen, um kostendeckend zu arbeiten. Der Maurergeselle erhält davon allerdings nur 18,50 DM. Die Differenz sind die sozialen Kosten mit allen gesetzlichen und freiwilligen sozialen Leistungen in dieser Branche.
Mich beunruhigt in der Tat, daß der Preis für die Stunde des Unternehmers von vielen Kunden kaum noch aufgebracht werden kann. Und mich beunruhigt es auch, daß der Geselle zuwenig bekommt, so daß er mit seinem Nettoeinkommen oftmals Schwierigkeiten hat, seine Familie angemessen zu versorgen. Den Ausweg aus dieser Situation suchen Unternehmer und auch Arbeitnehmer viel zu oft mit der Flucht in die Schwarzarbeit, die der Versteuerung und den Sozialbeiträgen entzogen wird.
Wir müssen über den Umbau des Sozialstaates ernsthafter diskutieren und dann auch handeln.
Der Haushaltsplan enthält bereits eine deutliche Absenkung bei der Arbeitslosenhilfe, obwohl die dafür notwendige Gesetzgebung noch nicht abgeschlossen ist. Es wird ein Testfall für alle Fraktionen in diesem Haus sein, ob wir mit dem notwendigen - und nach meinem Dafürhalten unaufschiebbaren - Umbau des Sozialwesens ernsthaft beginnen wollen oder ob es bei den pauschalen Vorwürfen oder Lippenbekenntnissen der bisherigen Diskussion bleibt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köhne?
Nein, wir sind mit der Zeit schon im Rückstand. Ich möchte gerne weitermachen. Herzlichen Dank.
Die Finanzpolitik unseres Landes ist auf allen Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - dadurch gekennzeichnet, daß die Finanzierungsdefizite der öffentlichen Haushalte immer noch steigen. Waren es im Jahre 1990 94,4 Milliarden DM, so sind es für das Jahr 1996 115,5 Milliarden DM. Diese Beträge werden durch eine hohe - von vielen als zu hoch empfundene - Steuerquote erbracht, und die Steuereinnahmen reichen nicht aus, um alle getätigten Ausgaben zu decken. Die Haushalte auf allen Ebenen müssen Schulden aufnehmen, um die Ausgaben zu dekken.
Eine Erhöhung von Steuern würde die Wirtschaftskraft unseres Landes deutlich schwächen. Die sehr hohe Verschuldung der öffentlichen Hände weiter voranzutreiben hätte Rückwirkungen auf die Zinsen. Es bleibt nur der Weg, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren und die Staatsausgaben einzuschränken. Dieser Einsicht kann sich auch in den nächsten Jahren niemand entziehen. Alles Gejammere hilft nicht.
Die Finanzpolitik des Bundes trägt den Erfordernissen der aktuellen politischen Problemlagen Rechnung. Unser Haushalt für 1996 ist erstmals niedriger als sein Vorgänger. Zwar ist das Volumen „nur" um 1,4 Prozent abgesenkt, aber immerhin abgesenkt. Es ist deutlich gespart worden, und das soll auch herausgestellt werden.
Aber - und das bleibt anzumerken - viel schlimmer ist die Tatsache, daß sich nahezu alle Länder und viele Gemeinden dieser Konsolidierungspolitik kaum oder überhaupt nicht unterwerfen. Was hilft es, wenn die Sparanstrengungen des Bundes dazu führen, daß wir den geänderten Verhältnissen Rechnung tragen, wenn gleichzeitig die Länder und Gemeinden so tun, als ob die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sie nichts angehe und sich, aus welchen Gründen auch immer, vor notwendigen Konsolidierungen drücken?
Insgesamt ist aber die gesamte finanzpolitische Situation unseres Landes so, daß Bund und Länder zusammen soeben die Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllen. Die Aussichten für das nächste Jahr lassen das Erreichen dieser Zielmarke aber schon als problematisch erscheinen. Insofern ist es zu begrüßen, Herr Finanzminister, daß Sie Länder und Gemeinden zu Gesprächen und Vereinbarungen über einen Stabilitätspakt aufgerufen haben.
Nun ist es allerdings erstaunlich, daß gerade diejenigen Länder, die sich den Konsolidierungsnotwendigkeiten in ihrer Haushalts- und Finanzpolitik am wenigsten stellen, mit erstaunlichen Forderungen an die Öffentlichkeit treten. Der niedersächsische Ministerpräsident Schröder und sein Kollege Lafontaine haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, daß sie die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion mit den Stabilitätskriterien, die bekannt sind, nicht wollen, weil sie Nachteile für Deutschland fürchten.
Wilfried Seibel
Sie präsentieren sich nun als Wahrer und Hüter der Stabilität. Da kommt wahrhaft Freude auf!
Dem Vergessen soll entrissen werden, daß der Bund das Saarland mit 11 Milliarden DM vor dem Konkurs bewahrt hat. Es soll der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden, daß der Länderanteil an der Kokskohleförderung vom Saarland nicht aufgebracht werden kann. Den Eigenanteil haben die Saar-Bergwerke erbracht, die bekanntlich zu 75 Prozent dem Bund gehören. Also, auf versteckten Wegen ist es dem Saarland erneut gelungen, eine große Bundeshilfe zu kassieren. Was den Herrn Ministerpräsidenten Lafontaine angeht, so ist sein Verhalten, öffentlich etwas einzufordern, was er selbst nicht leisten kann, ja schon notorisch.
Ganz besonders pikant wird es, wenn sich Ministerpräsident Schröder, der wirtschaftspolitische Shooting-Star der SPD, - mit wechselnden Abberufungen und Neuberufungen durch seinen Parteivorsitzenden Scharping - plötzlich zum Hüter der Stabilität aufschwingt. Das, was Niedersachsen finanzpolitisch vorführt, ist in der Tat schlimm. Die Neuverschuldung des Landes hat eine Größenordnung erreicht, die die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts von Niedersachsen vor dem Staatsgerichtshof in Bükkeburg überprüfen lassen muß.
Es ist ein Glück, daß Europas Staats- und Machtstrukturen das Mittelalter überwunden haben. Würden diese Machtstrukturen noch gelten und säße Kaiser Karl in Brüssel und hätte als Regierungsmaßstab die Stabilitätskriterien von Maastricht verkündet, so würde er das Land Niedersachsen und auch das Saarland aus dem Staatenverbund seines Kaiserreichs Europa entfernen lassen, und der Papst würde noch obendrein den Bann für Herrn Schröder aussprechen.
Derjenige macht glaubwürdig Politik, der zuerst zu Hause beginnt, seine Verhältnisse in Ordnung zu bringen, und sich nicht zum nationalen Retter für Stabilität der Geldwährung anbietet, wenn er dafür nicht einmal im eigenen Land die Voraussetzungen schaffen kann.
Die Aktionen der beiden Herren Schröder und Lafontaine und auch der nacheilende Gehorsam des Herrn Kollegen Scharping haben nichts anderes zum Inhalt, als mit einer großangelegten Heuchelei Ängste und Unsicherheiten bei der Bevölkerung zu schüren, um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.
Man stelle sich einmal vor, an einem trüben Novembertag wie dem heutigen trifft Gerhard Schröder Theo Waigel und bittet ihn, mit ihm gemeinsam in ein Sonnenstudio zu gehen. Dann müßte der Theo Waigel dem Herrn Schröder 10 DM leihen, damit er sich turbobräunen lassen kann. Nachdem dies erfolgt ist und Gerhard Schröder im schönsten Sonnenbraun
vor die Öffentlichkeit tritt, erklärt er dann, diese seine Bräune, die er auf Pump erworben hat, sei Ausdruck der gesunden Lebensweise, die er praktiziere und die er nunmehr zum Regierungsmaßstab machen wolle.
Meine Damen und Herren, die europäische Diskussion verlangt Ernsthaftigkeit und Seriosität. Wir haben vor wenigen Wochen erlebt, daß eine Bemerkung aus unserem Land erhebliche Auswirkungen auf den Wert der italienischen Lira gehabt hat. Das, was die Herren Lafontaine, Schröder und auch Scharping im Moment an Währungs- und Wirtschaftsdiskussion anzetteln, ist geeignet, die Währungsverhältnisse im restlichen Europa in erhebliche Unordnung zu bringen und Aggressionen auf Deutschland zu lenken.
Hier machen sich Politiker auf, um ihres eigenen - vermeintlichen, nicht einmal sicheren - Vorteils willen mit anderen Völkern und deren Währungen Schicksal zu spielen. Ich denke, es ist an der Zeit, daß sich die SPD aufrafft, um diesem Irrsinn ein schnelles Ende zu bereiten.
Auch dazu sollte unsere Haushaltsdebatte dienen, und ich hoffe, daß diese Aufforderung, der sich sicherlich viele Kollegen hier im Hause, auch in den Reihen der SPD, anschließen können, nicht ungehört verstreicht.
Ich erinnere daran, daß der Kollege Norbert Wieczorek in einer Sondersitzung des Finanz- und des Europaausschusses vor wenigen Wochen angeboten hat, für die Folgekonferenz des Jahres 1996 - wie auch schon bei der Wirtschafts- und Währungsunion im Maastricht-I-Vertrag - eine gemeinsame Entschließung aller Parteien im Bundestag zu erarbeiten. Ich hoffe, die Vernunft des Norbert Wieczorek und anderer Kolleginnen und Kollegen in der SPD setzt sich durch, um auch dem unverantwortlichen Gerede des sonnenbankgebräunten Gerhard Schröder ein Ende zu bereiten.
Zusammengefaßt läßt sich folgendes sagen: Der Bundeshaushalt marschiert in die richtige Richtung. Er wird den Notwendigkeiten der aktuellen Situation gerecht. Aber - das bleibt ebenso deutlich anzumerken - es ist nur das Beschreiten des richtigen Weges. Wir werden in den nächsten Jahren viel deutlicher, als es der Bundeshaushalt 1996 tut, über aktuelle Probleme der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik Beschlüsse fassen müssen, die zu deutlicheren Konsolidierungen und zu deutlicheren Einsparungen im Haushalt führen. Die Förderung der Wirtschaft muß geändert werden, der Umbau des Sozialstaats muß vorangehen, und alledem muß Finanzpolitik in den nächsten Jahren durch verstärkte Konsolidierungsanstrengungen Rechnung tragen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Abgeordnete Köhne.
Herr Kollege Seibel, Sie machen hier eine Milchmädchenrechnung auf, um letztendlich Sozialabbau zu begründen. Wenn der Bauarbeiter 18,50 DM bekommt, betragen die Kosten für den Bauunternehmer einschließlich Sozialleistungen. maximal 39 DM. Das kann Ihnen jeder Betriebswirtschaftler nachweisen. Damit können Sie nicht begründen, daß die Sozialleistungen in diesem Land zu hoch sind und deshalb abgebaut werden müßten.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen.
Gemäß § 31 der Geschäftsordnung liegt eine Erklärung zur Abstimmung der Abgeordneten Antje Vollmer vor, die zu Protokoll gegeben wird.* )
Ebenfalls gemäß § 31 der Geschäftsordnung erhält der Abgeordnete Diller das Wort, der gleichzeitig als Berichterstatter eine Korrektur bekanntgeben wird. Ich rufe ihn jetzt zu beidem zusammen auf: erst zu der Korrektur und dann zur Erklärung zur Abstimmung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Drucksache 13/2623, Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996, hier: Einzelplan 32, Bundesschuld, ist in Kapitel 3205, Verzinsung, eine Korrektur bei dem Titel 575 04, Zinsen für Schuldscheindarlehen, vorzunehmen. Da ist ein Betrag von 1 244 534 000 DM ausgedruckt. Es muß korrekt heißen: 1 247 534 000. Der Betrag ist also um 3 Millionen zu verändern.
Ich bedanke mich für die Gelegenheit, persönlich etwas zu den vorliegenden Änderungsanträgen zu sagen. Ich habe vorhin in meiner Rede begründet, warum die SPD aus prinzipiellen Gründen darauf verzichtet, zur zweiten Lesung Änderungsanträge zu stellen. Das bedeutet, daß ich mich bei Änderungsanträgen, die wir sehr sympathisch finden, beispielsweise beim Änderungsantrag auf der Drucksache 13/ 2866, der den Schuldenerlaß für Entwicklungshilfeländer betrifft - das ist von mir auch exakt so im Berichterstattergespräch angesprochen worden; es ist im Haushaltsausschuß, es ist in Hintergrundgesprächen mit den Mitberichterstattern angesprochen worden -, aus prinzipiellen Gründen der Stimme enthalten werde. Ich denke, meine Fraktion folgt mir dabei.
*) Anlage 3
Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2863 vor, über den wir jetzt abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Wir kommen zum Einzelplan 32, Bundesschuld. Ich verweise auf die soeben vorgenommene Berichtigung. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/2865? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/2866? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem selben Mehrheitsverhältnis abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 32 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zum Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2867? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2860? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 60 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zum Einzelplan 20, Bundesrechnungshof. Wer stimmt für den Einzelplan 20 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 20 ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 13/2610, 13/2626 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Jürgen Koppelin
Ilse Janz
Kristin Heyne
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Ilse Janz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten scheint in diesem Hause, jedenfalls auf seiten der Regierungskoalition, kein besonders großes Interesse zu finden.
- Sie verlassen ja alle den Saal.
Der Etat für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sinkt 1996 um 433 Millionen DM auf 12,13 Milliarden DM. Das macht ein erneutes Minus von 3,4 Prozent aus und stellt die deutsche Landwirtschaft vor weitere Probleme. Daß diese Probleme nicht nur von uns so gesehen werden, macht der Brief des Deutschen Bauernverbandes an den Bundeskanzler im Vorfeld der Haushaltsberatungen deutlich.
Ich will auch in dieser Haushaltsrede noch einmal auf eine Reform der EU-Agrarpolitik eingehen. Denn für uns Sozialdemokraten ist dies der Dreh- und Angelpunkt für jede zukünftige Landwirtschaftspolitik in der Gemeinschaft.
Es gab im August dieses Jahres eine kurze Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Deutschen Bauernverband über die Auswirkungen der Reform von 1992. Ich bin zwar der Ansicht, daß es verfrüht ist, vor Ablauf der dritten Phase bereits über die dann vorliegenden Ergebnisse zu diskutieren. Doch einige Bemerkungen des DIW sind für uns Sozialdemokraten nicht von der Hand zu weisen.
Ziel der Politik muß es doch sein, auf absehbare Zeit eine Kostensenkung im gemeinsamen Agrarbereich zu bekommen.
Davon sind wir allerdings weit entfernt. Zwar wird immer wieder über den hohen Subventionsbedarf in der Landwirtschaft diskutiert. Aber Lamentieren allein nützt nichts. Es müssen hier auch Änderungen in der EU-Konzeption her.
Darüber hinaus ist es nach Auffassung der Sozialdemokraten richtig, wenn das DIW bedauert, daß nicht auch gleichzeitig ein Konzept realisiert worden ist, das die Agrarpolitik noch mehr mit Umwelt- und Naturschutz verbindet.
Diese Punkte, Herr Minister Borchert, müßten doch eigentlich auch Ihr Ziel sein. Jedenfalls erklärten Sie es zu Ihrem Amtsantritt ähnlich. Da dies aber nun schon 1993 gewesen ist und Sie es vielleicht vergessen haben, wollen wir Sie noch einmal darauf hinweisen. Denn vergeßlich sind wir nicht.
Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, daß diese Vorstellungen in Brüssel endlich umgesetzt werden.
Leider gibt es Themen, die wir immer, auch in diesem Herbst, wiederholen müssen. Ich nenne das Stichwort Währungsausgleich. Was ist Ihnen da nicht alles an erstaunlichen Bemerkungen zu den Vorhaltungen von unserer Seite eingefallen! Fakt bleibt: Wir hatten recht. Jetzt gibt es die Währungsänderung. Sicher, wir haben nun wieder verläßliche Planungsunterlagen, und zwar bis zur Installierung fester Wechselkurse. Die DM-Auszahlung ist auch als Erfolg für Sie zu werten, Herr Minister. Sie wissen, in jeder meiner Reden muß ich Sie an irgendeiner Stelle einmal loben.
Aber Sie müssen in Brüssel weiter über den Ausgleich verhandeln. Die Summen, die gezahlt werden müssen, liegen jetzt fest. 820 Millionen DM können insgesamt an die betroffenen Landwirte ausgezahlt werden. Dieser Betrag ist zu halbieren. Denn die EU trägt lediglich eine Summe von 410 Millionen DM. Die andere Hälfte kann oder muß national ausgeglichen werden. Das sind für 1995 207 Millionen DM, ein Betrag, Herr Minister, den Sie den Landwirten ja auch bereits auf ihrem Bauerntag im Juli dieses Jahres versprochen haben. Dazu kommt noch ein Ausgleich für 1996 in Höhe von zirka 135 Millionen DM, also insgesamt 342 Millionen DM, für die Sie bisher keine Finanzierungsmöglichkeit aus dem Haushalt haben. Woher wollen Sie diese Mittel nehmen, Herr Minister? Der so abgespeckte Einzelplan 10 gibt nach Auffassung der Sozialdemokraten nichts mehr her.
Die Bauerndemonstration in der letzten Woche hier in Bonn muß doch auch Ihnen klargemacht haben, wie ernst es diesen Betroffenen ist. Denn die Landwirte und ihr Verband beklagen ja nicht nur diese Beträge, sie haben Verluste in Höhe von 1,8 Milliarden DM errechnet. Ich bin sicher: In dieser Frage wird Ihnen und den Koalitionsfraktionen noch, wie wir an der Küste sagen, ein scharfer Wind ins Gesicht wehen.
Ilse Janz
Die Forderung, die Beihilfen über die unbürokratische Vorsteuerpauschale zu regeln, wurde abgelehnt. Sie, Herr Minister Borchert, haben angekündigt, weitere Versuche in Brüssel zu unternehmen. Ich rate: Sichern Sie erst einmal eine Möglichkeit für die Zahlung an die betroffenen Landwirte jetzt! Die Möglichkeit, daß eine Vorsteuerlösung in Brüssel weiterhin abgelehnt wird, ist doch sehr groß.
Natürlich haben Sie die Pflicht, weiter zu verhandeln. Wir erwarten auch von Ihnen, daß Sie sich durchsetzen. Aber um den Landwirten schnelle Hilfen gewährleisten zu können, sind im Ablehnungsfall auch Alternativen nötig, die Sie jetzt erarbeiten müssen. Wir wollen von Ihnen wissen, woher Sie dann das Geld nehmen.
Es erstaunt uns Sozialdemokraten auch immer wieder, daß Punkte, die in erkennbarer Weise anders geregelt werden könnten, von Ihnen bzw. Ihrem Ministerium oder der Regierungskoalition abgelehnt werden. Es hat den Anschein, daß Sie später auf diese Ideen kommen. Aber wenn wir diese schon vorher haben, scheint allein diese Tatsache ein Grund für die Ablehnung zu sein. Ich empfinde das wirklich nicht als eine politische Ablehnung. Auch da sollten Sie langsam einmal umdenken.
Ich will ein Stichwort nennen, bei dem Sie schon längst hätten umdenken müssen: FELEG, Gesetz zur Förderung der Einstellung landwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit. Für uns ist es schon fast ein Stück aus dem Tollhaus, wie das Ministerium hier geschätzt hat. Erst hieß es, für 1995 seien zirka 2 000 Fälle zu erwarten. Daß diese Zahl wesentlich zu niedrig angenommen war, ließ sich sofort erkennen.
Auf meinen Einwand im Berichterstattergespräch für den Haushalt 1995, daß das Jahr schließlich noch nicht zu Ende sei und Anträge noch gestellt werden könnten und würden, erhielt ich - um es einmal so auszudrücken - ein mildes Lächeln. Die Koalitionsfraktionen lehnten natürlich auch unseren Antrag im Haushaltsausschuß ab. Im Berichterstattergespräch für den Haushalt 1996 wurde dieser Punkt erneut von mir angesprochen, da inzwischen bekannt war, daß mehr als 7 000 Anträge vorlagen. Allerdings war das Ergebnis wiederum ein mildes Lächeln.
Nur, meine Damen und Herren aus der Regierungskoalition, dieses Lächeln ist Ihnen dann irgendwann vergangen. Denn vor der Bereinigungssitzung fiel jemandem im Ministerium, der Regierungskoalition oder wem auch immer ein, daß das mit den Zahlen im Haushaltsentwurf nicht ganz stimmen kann.
Ergebnis: Es wurde schnell ein Antrag vorgelegt. Statt der im Entwurf vorgesehenen 221 Millionen DM waren es nun auf einmal 120 Millionen DM mehr; das ist eine Aufstockung von mehr als 50 Prozent.
Nun wollen wir aber auch feststellen, daß die Anmeldefrist erst zum 31. Dezember 1996 ausläuft. Da sind wir doch alle sehr gespannt, was uns wohl der Haushalt 1997 bescheren wird. Ordnungsgemäße Haushaltsaufstellung kann ich dies nicht nennen. Haushaltsklarheit, Haushaltswahrheit - wo denn?
Nun zu einem anderen Punkt, der auch die neuen Bundesländer betrifft, den Altschulden in der Landwirtschaft. Hierzu hat es eine Anhörung im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gegeben. Bereits im Juni dieses Jahres haben wir als Sozialdemokraten festgestellt, daß eine Verlängerung des Veräußerungstermins von nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerten dringend erforderlich ist.
Nur durch eine Verlängerung des Termins, der zum 31. Dezember 1995 ausläuft, ist eine Verschleuderung des noch vorhandenen betrieblichen Vermögens zu verhindern. Sie, die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, haben dazu allerdings bei der Beratung im Haushaltsausschuß festgestellt: Die Altschuldenregelung ist äußerst günstig und hat ihr Ziel erreicht.
- Wir waren da. Du mußt nicht immer zwischendurch schlafen.
Agrarpolitisch ist die bestehende Altschuldenregelung zur Stabilisierung der finanzwirtschaftlichen Verhältnisse der Unternehmen ausreichend. Eine Verbesserung würde eine Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der Landwirte bedeuten, die Zins- und Kapitaldienst laufend aus ihren Einnahmen leisten.
Was hat denn aber diese Expertenanhörung, die es gegeben hat, dazu erbracht? Altschulden aus DDRZeiten sind nie vergleichbar mit denen in einer freien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Wohl wahr!
Die Experten appellierten an die Bundesregierung und an das Parlament, eine Überprüfung der Altschulden in der Landwirtschaft der neuen Länder vorzunehmen. Und sie stellten fest, daß viele Betriebe bei der jetzigen Altschuldenregelung nicht in der Lage seien, die Schuldenlast zu tilgen. Denn gleichzeitig wachsen die Schulden durch die Verzinsung mit dem Fibor-Satz immer weiter.
Wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und F.D.P., nicht endlich in die richtige Richtung bewegen, werden erneut Arbeitsplätze in
Ilse Janz
der Landwirtschaft gefährdet, ist der Abbau von Tierbeständen vorprogrammiert.
Also verlängern Sie zum Beispiel die bisherige Frist für den Termin der Veräußerung der nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte! Denn die Beibehaltung der Verpflichtung zum Verkauf bis zum Ende des Jahres und im übrigen die Sanktionsregelungen ab 1996 würden sich für viele Betriebe verhängnisvoll auswirken. Experten und Bauernverband teilen diese Auffassung. Sie folgen doch sonst immer dem Bauernverband. Tun Sie das auch in dieser Frage!
Außerdem sollten Sie auch unserem Antrag auf eine weitergehende Regelung bezüglich nicht rentierlicher Altschulden folgen. Ich finde, es kann einfach nicht angehen, daß Sie, wie das Kaninchen auf die Schlange, auf das Bundesverfassungsgericht starren und abwarten, wie die dort anhängigen Verfahren ausgehen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dann ist da noch das Rahmenkonzept für die Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des BML,
erstaunlicherweise vorab den Berichterstattern zur Haushaltsberatung 1996 zugestellt, obgleich dies doch ein Entwurf sein sollte. Oder etwa nicht?
Weshalb bekamen denn zuerst die Haushälter dieses Papier mit dem Hinweis auf die Haushaltsberatungen 1996?
Die Mitglieder des zuständigen Ausschusses erhielten dieses Papier jedenfalls erst einige Zeit später.
Dieser Entwurf sieht einen erheblichen Stellenabbau vor. Aber der Personalrat wurde nicht beteiligt - für uns Sozialdemokraten eine unmögliche Vorgehensweise.
Es ist mir immer noch unverständlich, wie so gearbeitet werden konnte.
Es ist uns Sozialdemokraten schon klar, daß es bei der Überprüfung der Ausgaben aller Bereiche des Bundes keine Tabus geben darf. Auch die Ressortforschung des BML darf davon nicht ausgenommen werden. Aber gerade die Forschung trägt doch zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Landwirtschaft bei. Deshalb muß in diesem Bericht besonders sorgfältig und sensibel geprüft werden. Es ist mir zu schlicht, lediglich festzustellen: Von 55 Instituten bleiben 23 übrig; die anderen werden geschlossen, und zirka 1 100 Stellen müssen abgebaut werden.
Allein diese Zahlen machen doch deutlich, wie massiv der Einschnitt sein soll. Deshalb kann es nur dann zu vernünftigen Ergebnissen, die in die Zukunft gerichtet sind und keinen Scherbenhaufen hinterlassen, kommen, wenn die einzelnen Institute genau durchleuchtet werden und wenn die Bundesregierung bzw. das Ministerium für sich feststellt, auf welche Forschungsbereiche es verzichten will und wo Prioritäten gesetzt werden. Dazu bedarf es dann genauer Begründungen. Ich bin zur Zeit dabei, diese Einrichtungen zu besuchen, um mir vor Ort ein konkretes Bild zu machen. Nur so, scheint mir, ist eine Entscheidung zu verantworten.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie in ihre Beratungen auch die veränderten agrar- und ernährungspolitischen Rahmenbedingungen und die Umweltschutzanforderungen einbezieht. Es müssen die sich wandelnden gesellschaftlichen Anforderungen an die Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft beachtet werden. Ich nenne da als Stichwort den Verbraucherschutz.
Natürlich muß ein solches Konzept auch unseren ländlichen Raum als Lebens-, Arbeits-, Erholungs- und Naturraum beinhalten. Sie müssen die Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern betrachten. Die Zukunftschancen der jungen Menschen müssen beachtet werden.
Ich kann mir im übrigen kein Konzept vorstellen, nach dem an einem Standort alles plattgemacht wird und dafür an einem anderen Standort mit hohen Kosten neu aufgebaut wird.
Aber das ist in dem Papier schon enthalten. Eine entsprechende Wirtschaftlichkeitsberechnung gehört ebenso dazu wie eine personalwirtschaftliche Konzeption.
Warum lassen Sie nicht einmal neue Ideen erforschen, zum Beispiel Rapsdiesel für die Binnenschifffahrt? Das wäre ein Weg in die Zukunft.
Ich denke, Herr Minister, ich habe Ihnen jetzt gute Vorschläge von unserer Seite gemacht. Ich bin gespannt, ob Sie diese beherzigen. Allerdings habe ich nicht die Hoffnung, daß Sie vernünftige Vorschläge mit in Ihre Planungen aufnehmen. Aber ich sage Ihnen jetzt schon: Wenn Sie kein vernünftiges Konzept vorlegen, wird es keine Zustimmung von seiten der SPD geben.
Ilse Janz
- Es irritiert mich nicht, wenn Sie dauernd dazwischenreden. Machen Sie ruhig weiter!
Zum Schluß ein Thema, das die F.D.P. mit Vehemenz betreibt: die private Bereederung des Fischereiforschungsschiffes Walther Herwig. Ein alter Zopf. Angeblich - so der F.D.P.-Sprecher im Haushaltsausschuß - sind sich die Regierungskoalitionen nun einig.
Das werden wir noch feststellen.
Wie ist der Fakt? Der Bundesrechnungshof hat festgestellt, daß das BML bei der Bewertung der im Jahr 1994 durchgeführten Ausschreibung korrekt vorgegangen ist. Aus dieser Ausschreibung war kein Kostenvorteil bei einer privaten Bereederung erkennbar. Ich kann nach genauer Durchsicht der Unterlagen auch keinen Vorteil feststellen.
Statt Lobbyismus zu betreiben, liebe F.D.P., gehören Fakten auf den Tisch. Die nationale Aufgabe der Forschung und der Kostenvorteil für das BML lassen für uns einen anderen Weg nicht erkennen. Wir werden jedenfalls der F.D.P. in diesem Punkt nicht folgen. Wenn Privatisierung unsinnig ist, bleibt sie unsinnig. Sie wird auch durch politische Rechthaberei der F.D.P. nicht besser.
Einige Punkte sind von mir nicht angesprochen worden, zum Beispiel das Problem der Milchquote oder die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz", bei der erneut um 40 Millionen DM gekürzt wurde. Dafür ist, meine ich, die Beratungszeit im Plenum auch viel zu kurz. Wir haben aber in den Ausschüssen ausführlich beraten.
Die Schlußfolgerung, die wir aus einem Haushalt ziehen, der so viele Unwägbarkeiten enthält wie dieser, ist natürlich völlig klar: Ihm ist nicht zuzustimmen. Das wird Sie hoffentlich nicht wundern. Wir lehnen den Einzelplan 10 ab.
- Zum Fisch habt ihr einen Experten. Der ist ja Ausschußvorsitzender.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bartholomäus Kalb.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
- Man müßte nach dem Wunsch des Ausschußvorsitzenden wirklich ein bißchen mehr über Fisch, Küste und Meer sprechen.
Ich meine, wir haben aber in der Ausschußberatung die notwendige Vorsorge getroffen, so daß der Vorsitzende des Agrarausschusses und der Präsident des Deutschen Fischereiverbandes zufrieden sein kann.
Möglicherweise ruft die Beratung des Agraretats zu dieser abendlichen Stunde nicht mehr das konzentrierte Interesse der gesamten Nation hervor. Für die rund 578 000 landwirtschaftlichen Betriebe, deren Inhaber, Familien und Mitarbeiter ist der Agraretat gleichwohl von großer und zum Teil existentieller Bedeutung. Viele Betriebe wären zum Beispiel nicht in der Lage, die Lasten für die soziale Absicherung alleine zu tragen.
Die Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik stellen mit rund 7,5 Milliarden DM mit Abstand den größten Ausgabenblock in diesem Einzelplan dar. Mit dieser enormen Leistung des Bundes wird zum einen den landwirtschaftlichen Betrieben ermöglicht, Vorsorge für eine ausreichende soziale Sicherheit für sich selbst und ihre Familien zu treffen. Zum anderen fängt der Bund, insbesondere bei der Altershilfe für Landwirte, Belastungen auf, die sich auf Grund des rasanten Strukturwandels in der Landwirtschaft ergeben; denn den Leistungsempfängern stehen immer weniger Beitragszahler gegenüber.
Insofern kommen die Zuschüsse zur Alterssicherung der Landwirte nicht nur der Landwirtschaft zugute, sondern auch den übrigen Rentenversicherungsträgern, die entlastet werden.
Denn ohne diese Zuschüsse müßte es zwangsläufig zu einem Finanzausgleich zwischen den verschiedenen Rentenversicherungsträgern und den landwirtschaftlichen Alterskassen kommen.
Obwohl die eingeleitete Korrektur der Agrarsozialreform nicht zu Einsparungen, sondern zu Mehrkosten führen wird, halte ich sie für dringend geboten, um Ungereimtheiten, sogar Ungerechtigkeiten, die zunächst nicht vorhersehbar waren, zu beseitigen. Auch wenn jetzt Nachbesserungen notwendig sind, sollte die Bedeutung und der Fortschritt dieser Agrarsozialreform, so wie sie dieser Bundestag gemeinsam getragen hat, grundsätzlich nicht in Frage gestellt und gemindert werden.
Frau Kollegin Janz, Sie haben eben über das Problem der Finanzausstattung für das FELEG gesprochen. Mich wundert, daß Sie so breit ausgeführt haben, was Sie alles wollten. Sie waren bei der Bereinigungssitzung nicht dabei. Es ist wiederum ein Beweis erbracht worden, daß wir seriös und solide arbeiten; denn wir haben genau in diesem Bereich die notwendigen Korrekturen vorgenommen.
Ich gebe zu, daß ich durchaus etwas widerwillig der Erhöhung um 120 Millionen DM für dieses Pro-
Bartholomäus Kalb
gramm zugestimmt habe. Die Mehrausgaben werden im wesentlichen durch die unerwartet hohe Inanspruchnahme durch ehemalige Beschäftigte in der Landwirtschaft, insbesondere in den neuen Ländern verursacht. Ich sage das nicht, weil ich nach dem Schema Ost-West Leistungen auf- oder abrechnen will, sondern weil in diesen Tagen manchmal der Eindruck erweckt wurde, als würde bei den Leistungen für die neuen Länder in ungerechtfertigter Weise gekürzt oder umgeschichtet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thalheim?
Wenn es unbedingt sein muß, ja; aber ich meine, mit Rücksicht auf die Kolleginnen und Kollegen - wir sind schon im Verzug - sollten wir Zwischenfragen vermeiden.
Ich kann das für Sie nicht entscheiden. Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, bitte schön, wenn es sein muß.
Herr Kollege Kalb, es muß schon sein, da Sie wieder etwas falsch darstellen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Antrag zur Erhöhung der Mittel für das FELEG in Höhe von 50 Millionen DM bereits im vergangenen Jahr gestellt und dieser abgelehnt wurde, weil man davon ausging, daß der Bedarf nicht so hoch sein würde, jetzt jedoch ein Nachtragshaushalt in Höhe von 85 Millionen DM fällig war? Stimmen Sie mir zu, daß wir richtiger lagen als Sie?
Herr Kollege Thalheim, bei den Auswirkungen auf das Jahr 1995 handelt es sich nicht um einen Nachtragshaushalt, sondern um eine überplanmäßige Ausgabe, die sich auf den vorhandenen Ansatz gründet.
- Da werden die Meinungen immer auseinandergehen. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß Positionen und Titel weniger ausgeschöpft und andere überplanmäßig werden. Das ist das ganz normale Verfahren, mit dem wir immer zu tun haben.
Wir haben genau daraus die Konsequenz gezogen und für 1996 die erforderliche Erhöhung, wie sie sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand ergibt, eingestellt. Ich weiß nicht, was von Ihrer Seite daran kritikwürdig sein sollte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin Klappert?
Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen dann nicht über mich ärgern, ja.
Herr Kollege Kalb, darf ich Sie daran erinnern, daß unser Antrag mit der Begründung abgelehnt wurde, dies sei ein Rechtsanspruch und deswegen bräuchte der erkennbare Mehrbedarf nicht in den Haushalt 1995 eingestellt werden?
Sie bestätigen damit, daß wir sehr korrekt gearbeitet haben, weil überall dort, wo Rechtsansprüche bestehen, diese auch bedient werden müssen. Insofern war Ihr Beitrag nicht sehr behilflich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß der Mehrbedarf im wesentlichen auf die Mehranforderungen der neuen Länder zurückzuführen ist. Ich möchte das jetzt nicht nach dem alten Schema abhandeln. Ich denke, wir sollten uns überhaupt und egal, in welcher Region unseres Landes wir beheimatet sind, darum bemühen, daß Vorbehalte, Vorurteile und geistige Hindernisse abgebaut und daß das Neid, Mißgunst und Habgier entspringende unselige Schielen auf die Leistungen für den jeweils anderen Teil unseres Vaterlandes zurückgedrängt werden.
Auch im soeben erwähnten Sinne wird die Landwirtschaft noch einen äußerst schwierigen Diskussionsprozeß durchzumachen haben, der. durchaus noch zu größeren Spannungen innerhalb des Berufsstandes führen kann. Zu groß sind die Unterschiede in den natürlichen Voraussetzungen und strukturellen Gegebenheiten.
Einige wenige Zahlen mögen das verdeutlichen: Die durchschnittliche Größe eines Haupterwerbsbetriebes im Westen beträgt 32,7 Hektar, die durchschnittliche Größe eines von natürlichen Personen bewirtschafteten Betriebes in den neuen Ländern betrug 1994 88 Hektar und die eines von juristischen Personen bewirtschafteten Betriebes 1 138 Hektar. Oder anders ausgedrückt: Betriebe mit 100 Hektar und mehr bewirtschaften im Westen 14 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche, in den neuen Ländern dagegen 94 Prozent.
Aber auch die strukturelle Entwicklung der Landwirtschaft in den alten Ländern verläuft höchst unterschiedlich. Zum einen haben wir es in der Landwirtschaft mit den sogenannten benachteiligten Agrarzonen zu tun, für die es zur standortgebundenen Milch- und Fleischproduktion kaum Alternativen gibt.
Zum anderen beobachten wir sehr wohl die Entwicklung hin zu einer gewerblich orientierten Landwirtschaft, für die auch ein Engagement im benachbarten östlichen Ausland durchaus nichts Ungewöhnliches mehr ist.
Aus all dem können sich Spannungen und Konfliktpotentiale ergeben, die es in Zukunft unabhängig von der EU-Agrarpolitik und der Einflüsse des
Bartholomäus Kalb
GATT bzw. der WTO nicht erleichtern werden, eine gesamtstaatliche Agrarpolitik zu betreiben. Das Leitbild des bäuerlich geführten Familienbetriebs und damit auch ein wesentlicher Orientierungspunkt bisheriger Agrarförderung scheint in Gefahr zu geraten.
Nun ließe es sich leichter zur Tagesordnung übergehen, wenn es sich bei der Landwirtschaft nur um einen Wirtschaftszweig wie jeden anderen handeln würde. Unsere gesamte Gesellschaft muß aber Interesse daran haben, daß die Landwirtschaft auch in Zukunft ihre vielfältigen Leistungen zum Wohle und im Interesse aller bringen kann.
Dabei geht es nicht nur um die Bereitstellung hochwertiger Nahrungsmitttel. Nachwachsende Rohstoffe - ich bin erstaunt darüber, daß jetzt auch die SPD dieses Thema entdeckt - und Energien und vor allem die Erhaltung einer intakten Kulturlandschaft gewinnen immer mehr an Bedeutung. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung auch und insbesondere in ertragsschwächeren und agrarstrukturell benachteiligten Gebieten wird in Zukunft eine besondere Herausforderung für alle Ebenen der Agrarpolitik darstellen.
Meine Damen und Herren, in der vorigen Woche wurde an der Warenterminbörse in Chicago Weizen mit umgerechnet 25,40 DM je Dezitonne notiert. Diese Notierung liegt erheblich höher als der Interventionspreis für Getreide in der Europäischen Union.
In Großbritannien wird eiweißreicher amerikanischer Weizen derzeit mit Preisen bis zu 37,50 DM je Dezitonne gekauft.
Weltweit gestiegene Nachfrage und weiter steigender Bedarf, schlechtere Ernten und Mißwirtschaft in verschiedenen Regionen der Erde sowie nicht zuletzt die Politik des Überschußabbaus in der Europäischen Union sind ganz offensichtlich die Gründe für die Preisentwicklung auf dem sogenannten Weltmarkt. Aus der Sicht der Land- und Agrarwirtschaft insgesamt handelt es sich hier sicherlich um eine sehr begrüßenswerte Tendenz. Ob diese allerdings anhalten wird, ist natürlich sehr fraglich.
Diese Entwicklung zeigt aber auch etwas völlig anderes. Seit vielen Jahren hat sich in unserer Gesellschaft bei unseren Verbrauchern der Glaube verfestigt, Nahrungsmittel würden stets in ausreichendem Maße, ja sogar im Überfluß zu immer weiter sinkenden Preisen zur Verfügung stehen. Eine Trendumkehr ist und war für viele völlig unvorstellbar.
Die aktuelle Entwicklung auf dem Weltmarkt zeigt aber auch, daß es durchaus keine so absolute Selbstverständlichkeit ist, stets ausreichend mit hochwertigen und preisgünstigen Nahrungsmitteln versorgt zu werden. Und es zeigt einmal mehr: Weder unsere
Landwirtschaft noch unsere Verbraucher können und dürfen den Wirrnissen und Turbulenzen des Weltmarktes schutzlos ausgesetzt werden.
Das würde auch volkswirtschaftlich ein unkalkulierbares Risiko darstellen. Im übrigen sind die meisten und größten Teile der Agrarmärkte nach wie vor reguliert, so daß im wesentlichen nur die Überschüsse auf den sogenannten Weltmarkt gelangen, der aber in Wirklichkeit eher einem Spotmarkt gleicht. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir und auch unsere Verbraucher und Steuerzahler diesen Aspekt bei der Beurteilung der nationalen und europäischen Aufwendungen für die Agrarpolitik berücksichtigen.
So wie Agrarpolitik eine Politik nicht nur zugunsten der Landwirtschaft, sondern eine Politik für die ländlichen Räume insgesamt ist, so wirken auch andere Politikbereiche unmittelbar oder zumindest mittelbar auf die Landwirtschaft. Umweltpolitik und Baurecht zum Beispiel haben meines Erachtens eine mindestens ebenso starke Wirkung auf die Landwirtschaft wie Agrarpolitik im engeren Sinne. Eine sehr positive Auswirkung auf die Landwirtschaft ergibt sich aus der Steuerpolitik, was nicht, unbedingt so üblich ist.
Das Jahressteuergesetz sieht eine Erhöhung des Freibetrages bei der Veräußerung oder Aufgabe kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe von 90 000 auf 150 000 DM vor. Die Freibeträge bei Grundstücksverkäufen zur Abfindung weichender Erben in Höhe von 120 000 DM und zur Tilgung von Altschulden in Höhe von 90 000 DM bleiben weiter erhalten. Zudem wurden die Einkommensgrenzen für die Inanspruchnahme dieser Freibeträge erheblich erhöht bzw. verdoppelt.
Diese Regelungen nehmen, wie ich meine, in besonderer Weise Rücksicht auf die vom Strukturwandel unausweichlich und besonders hart getroffenen kleineren landwirtschaftlichen Betriebe und auf die besonders schwierige soziale Lage dieser Familien. Es ist oft der größte Wunsch der Eltern, nach einem entbehrungsreichen Berufs- und Arbeitsleben den Kindern etwas geben zu können und nicht Schulden hinterlassen zu müssen.
Ich danke hier den Verhandlungsführern der Koalition und insbesondere Bundesfinanzminister Dr. Waigel und Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser, der uns leider in wenigen Tagen verlassen wird, daß dieser Punkt sicher über alle Verhandlungsrunden zum Jahressteuergesetz gebracht werden konnte. Ebenso Dank an Hansgeorg Hauser, dem ich zu seiner neuen Aufgabe herzlich gratuliere. Ich bin sicher, daß wir mit ihm auch in dieser neuen Aufgabe eine ausgezeichnete Zusammenarbeit haben werden.
Einen Punkt, der sich nicht im Zahlenwerk des Agraretats wiederfindet, will ich noch kurz ansprechen, nämlich den Währungsausgleich. Zunächst ist Agrarminister Jochen Borchert besonders dafür zu
Bartholomäus Kalb
danken, daß es ihm gelungen ist, entgegen den ursprünglichen Brüsseler Plänen die Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichsbeträge zu sichern und die Möglichkeit von Ausgleichszahlungen durchzusetzen.
Dabei geht es nicht, wie fälschlicherweise oftmals behauptet wird, um den Ausgleich von Folgen allgemeiner Währungsverschiebungen, obwohl die Landwirtschaft in den süddeutschen Regionen, insbesondere Milch- und Rindfleischerzeuger, besonders hart getroffen wurde, sondern um den Ausgleich der Veränderungen im agrarmonetären System. Im übrigen kann man es der Landwirtschaft nicht übelnehmen, einen Ausgleich für wechselkursbedingte Nachteile zu fordern, wenn dies zeitweise hochgebildete Nationalökonomen auf den Chefsesseln nicht unbedeutender deutscher Unternehmen ebenso getan haben.
Es besteht für mich kein Zweifel, daß die Gewährung des Ausgleichs mittels Erhöhung der Vorsteuerpauschale die vernünftigste Lösung wäre. Es gibt kaum ein anderes Instrument, das geeignet wäre, mit vertretbarem Aufwand die Ausgleichsbeträge zielgerichtet einzusetzen.
Ich weiß, daß die Bundesminister Borchert und Waigel bei den europäischen Kollegen mit allem Nachdruck um eine Zustimmung zur Vorsteuerregelung werben, wobei hier der Finanzminister ganz offensichtlich den schwierigsten Part zu spielen hat. Es ist sicher nicht zu verkennen, daß schwierige Sitzungen und Beratungen bevorstehen und noch nicht endgültig entschieden ist.
Für diesen außerordentlichen Einsatz möchte ich jedenfalls Theo Waigel und Jochen Borchert im Namen unserer Fraktion sehr herzlich danken.
- Ja, lieber Kollege Weng, nachdem sogar Frau Kollegin Janz festgestellt hat, daß sie den Minister zumindest einmal in ihrer Rede loben müßte, muß ich das zumindest zwei- bis dreimal tun; denn sonst würden hier ja Fragen zu meiner Regierungstreue laut.
Jetzt ist Ihre Redezeit wirklich vorbei.
Ich bin mit meiner Rede sofort am Ende, Frau Präsidentin.
Zum Abschluß wünsche ich dem Agrarminister, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Interesse der Bäuerinnen und Bauern in unserem Lande bei der Umsetzung dieses Haushalts viel Erfolg. Ich bedanke mich bei meinen Mitberichterstattern, Frau
Janz, Frau Heine und dem Kollegen Koppelin, für die gute und konstruktive Zusammenarbeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.
Ich möchte erst einmal etwas richtigstellen. Die Kollegin Jaffke hatte eben den Diesel und die Erhöhung der Mineralölsteuer angesprochen.
- Sie meine ich doch überhaupt gar nicht. - Die Kollegin von der CDU, die gemeint hat, wir würden an die Gasölbeihilfe gehen, hatte natürlich völlig unrecht. Das würden die Grünen nie tun. Sie sind ja eine grüne Partei, nicht wahr?
Ich will mit den Themen Währungsunion und Währungsdisparitäten anfangen. Zugleich mit dem CDU-Parteitag hat die Bauerndemonstration stattgefunden. Sie fiel - so wie uns das der Kollege Kalb eben vorgemacht hat - als eine Huldigung an Minister Borchert und an Frau Keppelhoff-Wiechert für die Erfolge im Bereich der Landwirtschaft in Brüssel aus. Ich meine, wir gönnen unseren italienischen und britischen Kollegen mit Sicherheit und aus vollem Herzen die Erfolge bei der Erzielung und bei einer Steigerung ihres landwirtschaftlichen Einkommens um etwa 80 Prozent. Keine Frage. Aber ein bißchen hätte auch für die deutsche Landwirtschaft dabei herauskommen können. Dabei war die Abfuhr in Brüssel zum Thema Ausgleich für die Währungsdisparitäten, Ausgleich in Sachen Vorsteuerpauschale mehr als deutlich. Nur zwei Länder haben tatsächlich dem deutschen Vorschlag zugestimmt. Das „Landwirtschaftliche Wochenblatt" spricht inzwischen sogar von einer ,,einkalkulierten Abfuhr".
Der Ablauf um das Wie dieses ohnehin nur Teilausgleichs läßt den Verdacht aufkommen, daß die Bundesregierung es durchaus überhaupt nicht eilig hat, den Bauern in Deutschland diesen Ausgleich zukommen zu lassen. Dabei hatte doch Kohl diese ganze Sache zur Chefsache erklärt, was allerdings zur Zeit gar nicht mehr zu spüren ist.
Ein Alternativkonzept hat Herr Minister Borchert bisher überhaupt nicht vorgelegt, obwohl der Vorschlag zur Vorsteuerpauschalregelung mehr als in Frage gestellt wird. Das ist eine haushaltspolitische Fahrlässigkeit. Das ist auch gegenüber den Bauern, aber auch gegenüber den Verbrauchern und den Steuerzahlern nicht redlich.
Ulrike Höfken
Herr Minister Waigel hat wieder einmal gesagt, daß er Ausgaben über eine Million DM gesperrt hat. Wir wüßten gerne - das wird uns Minister Borchert bestimmt gleich sagen -, wie nun der Umgang mit den auch von Frau Janz erwähnten Notwendigkeiten der Ausgleichszahlungen dann auch erfolgen soll. Ansonsten ist im Agrarhaushalt wieder einmal nichts Neues: Kürzungen um 470 Millionen DM, aber es gibt keine Umorientierung, die bei diesem Einsatz der knappen Mittel doch notwendig wäre.
Es liegt uns bis heute auch keine Konzeption vor, was die Bundesforschungsanstalten angeht. Bei den knappen Mitteln wäre eine Effektivierung mehr als nötig. Es wäre aus unserer Sicht durchaus angebracht, endlich die Förderung des integrierten Pflanzenschutzes zu streichen, die nichts anderes als den Standard mehr darstellt, der sowieso erreicht ist, und ebenso eine Effektivierung im Rahmen der nachwachsenden Rohstoffe. Auch hier wurde von Frau Janz schon ein Vorschlag erwähnt, den auch wir gemacht haben, eine Umorientierung auf die umweltsensiblen Bereiche, z. B. im Bereich der Treibstoffe und der Schmieröle. Das wäre etwas Sinnvolles; ebenso in der Land- und Forstwirtschaft, aber nicht diese Ausrichtung auf den Individualverkehr, die zum Scheitern verurteilt ist.
Wir sehen, was in Brüssel passiert ist und was hier passiert ist. Wir haben eine Kürzung der Flächenstillegung. Wir haben eine noch unklare Situation in der Besteuerung der Treibstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. Das ist doch keine Situation, in der man noch auf den Rapsanbau setzen kann. Gleichzeitig haben wir einen Aufbau von ungeheuren Veresterungskapazitäten. Das heißt, die Bauern auf Kosten der Steuerzahler wieder in die falsche Richtung zu jagen.
Ich denke, die Diskussion um die Düngeverordnung kommt noch. Ich kann sie mir an dieser Stelle sparen. Sparen könnte man aber in ganz anderen Bereichen, und zwar jetzt nicht so sehr im Bundeshaushalt, sondern zugunsten der Bauern. Wir haben immer noch diese schöne Einrichtung der CMA, Herr Minister Borchert. Mit diesem Zwangsbeitrag der Bauern, etwa 4 Prozent der Erlöse, finanzieren Sie die Werbekosten für die Handelskonzerne und nichts anderes. Diese ganze pauschale Werbung bringt für die Landwirtschaft konkret gar nichts, die im Falle der jetzigen Entwicklung, beispielsweise im Falle des Fleisches, der Sorgen der Verbraucher um BSE, eine klare herkunfts- und regionsbezogene Werbung nötig hätte, für die Sie diese Gelder sinnvoll einsetzen könnten statt dieser ewigen Verschwendung und dann auch noch in einer sexistischen Werbekampagne, die wirklich etwas für alte Opas ist, aber doch nicht für ein junges Publikum.
Erwähnen will ich auch den Bereich der Altschulden. Auch hier kein Konzept, ein riesiges Loch, das uns droht, und Untätigkeit der Bundesregierung. Der
Bundesrechnungshof hat zu Recht auf die „Unregelmäßigkeiten" hingewiesen, die bei der Übernahme der DDR-Banken durch die DG-Bank zu verzeichnen waren. Auch hierzu keinerlei Stellungnahme, obwohl das Mittel sind, die die Bilanzlücken im Bundeshaushalt locker übertreffen.
In der Debatte fehlt - damit will ich schließen - der ganze Bereich einer Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik, „der Weg ins 21. Jahrhundert", wie Agrarkommissar Fischler es ausgedrückt hat. Aber was er dargestellt hat, nämlich die Entkopplung von Einkommenspolitik und Preispolitik, ganz konkret den Vorschlag, Landwirtschaft auf ein paar Agrarinseln in der Bundesrepublik zu betreiben und den Rest als Landschaftspflege zu bezahlen, ist nicht in unserem Sinne. Recht hat er allerdings bei den Exportsubventionen; die würden wir auch sparen.
Danke.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Der Einzelplan 10 birgt eigentlich wenig Sensationelles. Den größten Anteil daran hat der Sozialbereich, und dies zu Recht.
- Herr Diller, wenn Sie so weiterreden, machen Sie mich total nervös. Das ist wahrscheinlich auch Ihre Absicht!
Denn der Strukturwandel muß sozial abgefedert werden. Da ist es nicht mehr als recht und billig, daß die Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Deshalb ist das eine richtige Schwerpunktbildung.
Der zweitwichtigste Bereich ist die Gemeinschaftsaufgabe mit etwa 2,4 Milliarden DM. Hier müssen wir schon fragen, weil auf der einen Seite das Geld für die soziale Abfederung des Strukturwandels zur Verfügung gestellt werden soll, auf der anderen Seite aber Geld fehlt, um denjenigen Betrieben zu helfen, die wir auch in Zukunft noch brauchen, um Landwirtschaft betreiben zu können.
Aus dem Grunde ist die Situation für die praktizierende Landwirtschaft alles andere als gut. Wir haben heute leere Lagerhallen und ein verringertes Angebot bei den wichtigsten Produkten wie Getreide, Milch und Rindfleisch. Hat das tatsächlich auch die versprochenen höheren Preise gebracht? Haben wir die höhere Nachfrage nach Nahrungsmitteln, die zur Zeit auf den Weltmärkten angeboten werden, aus deutscher bzw. europäischer Sicht genausogut zur Absatzsteigerung genutzt wie unsere nordamerikanischen Kollegen? Die Antwort muß eindeutig auch hier nein lauten.
Ulrich Heinrich
Ich möchte hier schon ausdrücklich herausstellen, daß dies natürlich zwangsläufig zur Frage nach der Verwendung der finanziellen Mittel führt. Es ist eine Binsenweisheit, daß es bei knappen staatlichen Mitteln darauf ankommt, die Mittel möglichst sinngerecht und möglichst effektiv einzusetzen.
Wenn der Löwenanteil mit der Gießkanne verteilt wird, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß die Situation für die praktizierenden Landwirte ständig schlechter wird.
Zu dieser Tatsache kommt darüber hinaus, daß die währungspolitischen Turbulenzen der vergangenen Monate die heimische Landwirtschaft hart getroffen haben. Liebe Kollegen von der SPD, gerade die deutsche Landwirtschaft braucht dringend eine Währungsunion, damit währungsbedingte Einkommensverluste zukünftig nicht einseitig zu Lasten deutscher Bauern gehen.
Für uns ist dies bei weitem nicht nur irgendeine Idee, wie es von Ihrer Seite in den letzten Tagen so bedeutungsvoll in die Medien gebracht worden ist. Für uns ist die Währungsunion eine wichtige Sache, die keinen Aufschub duldet, sondern für die alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um sie möglichst schnell zu erreichen.
Kein anderer Wirtschaftsfaktor ist so standortgebunden wie die Landwirtschaft. Es ist für sie nicht möglich, ihre Produktionsstätten nach außen hin zu verlegen. Sie kann auch keine Mischkalkulation einsetzen, wie es bei der deutschen Industrie vorgemacht wird. Deshalb bedarf es eines schnellen, unbürokratischen und fairen Ausgleichs für die schwerwiegenden Einkommenseinbußen der vergangenen Monate.
Die F.D.P. ist der Überzeugung, daß eine moderate Erhöhung der Vorsteuerpauschale der einzige Weg dazu ist. Wir unterstützen die Bundesregierung weiterhin bei ihren Bemühungen, in Brüssel die Erhöhung der Vorsteuerpauschalen zu erreichen.
Jetzt kommt ein Gedanke, bei dem ich Sie bitten möchte, mit mir zusammen darüber hinausgehend nachzudenken, und zwar über die Verwendung der Mittel. Sollen wir sie alle ausschließlich über die Vorsteuerpauschale verwenden? Ist das sinnvoll, oder sollten wir nicht einen Teil ganz gezielt den Betrieben zur Verfügung stellen, die in der Zukunft noch produzieren sollen, und den Vermarktungsstrukturen eine entsprechende strukturelle Hilfe zuteil werden lassen?
Ich glaube, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft ist auf diese strukturellen Hilfen dringend angewiesen. Ich unterstreiche noch einmal: Wenn Landwirtschaft in Zukunft in Deutschland noch möglich sein soll, muß die strukturelle Hilfe
deutlicher herausgearbeitet werden, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es gibt - das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin - viele Bereiche, in denen wir benachteiligt werden und im Wettbewerb in der Bundesrepublik schlechter gestellt sind als andere europäische Staaten.
Ich fordere die Bundesregierung einerseits auf,
endlich einmal dazu zu kommen, daß das BundesImmissionsschutzgesetz in der Form harmonisiert wird, wie wir dem in Brüssel zugestimmt haben.
Ich fordere sie andererseits auf, daß die Düngeverordnung nicht weiterhin einseitig zu Lasten der deutschen Landwirte ausgelegt wird. Das ist ein Trauerspiel, was die SPD im Bundesrat vorführt.
Sie sind die entscheidenden Hindernisse, um die Düngeverordnung über die Runden zu bringen.
Zum Schluß möchte ich noch einmal ganz deutlich herausstellen: Wenn wir uns nicht in allen Bereichen anstrengen, die strukturelle Entwicklung der deutschen Landwirtschaft voranzubringen und flankierend zu begleiten, wird die deutsche Landwirtschaft in der Zukunft keine Chance haben.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Günther Maleuda.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Neun Wochen sind seit der ersten Lesung des Agrarhaushalts vergangen. In dieser Zeit wurde, wie wir in unserem heutigen GOAntrag deutlich gemacht haben, keine ernsthafte Haushaltsdiskussion weitergeführt.
Im Verlaufe der Debatte wurde offensichtlich: Das Löcherstopfen wurde fortgesetzt. Im Agrarausschuß lagen nur Anträge der Gruppe der PDS zur Haushaltsänderung vor. Mit unseren Anträgen forderten wir keine Ausgabenerhöhungen, sondern Umschichtungen bzw. die Beibehaltung wesentlicher Positionen zum Beispiel bei der Gemeinschaftsaufgabe und der Agrarforschung in der Höhe, wie sie schon im gekürzten Haushalt für 1995 enthalten waren. Aber alle Anträge sind bekanntlich von der Koalitionsmehrheit abgelehnt.
Interessant ist allerdings, daß nun doch einige unserer Vorstellungen im vorliegenden Entwurf aufgegriffen wurden, wie zum Beispiel bei der Umschichtung von Forschungsmitteln und den Zuschüssen für
Dr. Günther Maleuda
Aufklärung, Absatzförderung und Verbraucherberatung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Bei fünf Minuten Redezeit gibt das die Möglichkeit, daß man das bißchen noch zerreden kann. Ich würde hier gerne zunächst einmal meine Position darstellen wollen.
Trotzdem können wir nicht akzeptieren, daß nun ohne erneute Beratung im Agrarausschuß ein Agrarhaushalt vorgelegt wurde, der um Millionenbeträge, volkstümlich ausgedrückt, verschlimmbessert wurde. Wir betrachten diese Verfahrensweise als eine Mißachtung des Ausschusses, der doch über weite Strekken eine konstruktive, sachbezogene Arbeit leistet. Auch dieser neue Entwurf ist voller Luftnummern und hätte eine ernsthafte Auseinandersetzung bzw. weitere Diskussionen im Ausschuß verdient.
Die Bundesregierung hat den Bauern etwa 400 Millionen DM als Ausgleich für Währungsverluste zugesagt, im Haushalt bisher aber nicht eingestellt. Auf unsere diesbezügliche Anfrage erhielten wir die schriftliche Auskunft:
Diese Frage ist derzeit noch nicht etatreif, da zur Zeit über die Art und Weise der Ausgleichsleistungen noch nicht entschieden ist.
Ich meine, es ist doch paradox, wenn man allein diesen Verlauf betrachtet: Mittel auf Grund berechtigter Forderungen der Bauern werden nicht eingestellt, die nicht beschlossene Diätenerhöhung aber in Millionenhöhe geplant.
Wir vom Ausschuß sind im Mai nach Brüssel gefahren und haben bezüglich der agrarmonetären Probleme mit einer Stimme gesprochen. Wäre es nicht eine gute Sache des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, heute einen einheitlichen Standpunkt betreffend die Aufnahme dieser Mittel in den Agrarhaushalt 1996 zu beschließen, unabhängig von den möglichen Diskussionen, aber leider sicher nicht zu erwartenden Veränderungen, die heute noch in Brüssel angestrebt werden?
Entscheidungen über den Währungsausgleich sind beim jetzigen Stand nicht in Brüssel, sondern unserer Auffassung nach durch die Bundesregierung zu treffen.
Die PDS hatte im Agrarausschuß beantragt, die Kürzung der Mittel für die Agrarforschung auszusetzen und Mittel für Forschungs- und Erprobungsaufträge außerhalb der Bundesverwaltung umzuschichten. Warum also erst diese Ablehnung? Das erfolgte doch nur aus Prinzip; denn das ist im nachhinein Bestandteil des Haushaltsentwurfes geworden.
Kritisch betrachten wir den weiteren Rückgang der Mittel zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes von 213 Millionen DM, wie es dem Agrarausschuß im ursprünglichen Plan vorgelegen hat, auf nunmehr 199,5 Millionen DM, wie es in Drucksache 13/2626 zu lesen ist. Kritisiert wurde bereits die Einstellung von 213 Millionen DM; darüber hat prinzipiell schon Frau Janz gesprochen.
Wir erhärten heute unsere Position aus dem Agrarausschuß, die Mittel für nachwachsende Rohstoffe zu erhöhen. Wir finden uns durch das Auftreten des Bundesministers Jochen Borchert am 19. Oktober in Gülzow bestätigt. Dort führte er laut BML-Informationen - Nr. 43 - aus:
Nachwachsende Rohstoffe werden weiter an Bedeutung gewinnen ... Nach dem Siegeszug der Kohle- und Erdölchemie heißt es heute wieder, zurück zur Natur, zurück zu natürlichen Rohstoffen ... Zentrales Element der Förderung nachwachsender Rohstoffe sind Forschung und Entwicklung.
Auf diesem Gebiet gebe es weiterhin einen erheblichen Nachholbedarf bei einer Vielzahl von Rohstoff en.
Demgegenüber entnehmen wir der Beschlußempfehlung, Drucksache 13/2610, daß im Haushaltsentwurf nunmehr 4,8 Millionen DM, also fast 10 Prozent der Gesamtmittel, für die Förderung nachwachsender Rohstoffe gestrichen sind. Ich frage, wo auf diesem Gebiet die Logik bleibt. Schließlich wurden 200 000 DM bei den Zuschüssen für Forschungsvorhaben im Agrarbereich für Umweltschutz gestrichen.
Unter Berücksichtigung dieser Fakten erkläre ich hier, daß die Gruppe der PDS dem Entwurf nicht zustimmen kann.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Dr. Gerald Thalheim das Wort.
Herr Präsident! In der bisherigen Debatte ist meines Erachtens - das hat vor allen Dingen der Kollege Kalb getan - der Bundesminister viel zu sehr gelobt worden, speziell im Zusammenhang mit den agrarmonetären Regelungen.
Herr Kollege Kalb, auch Sie haben versucht, die Illusion weiter zu nähren, als würde es dazu tatsächlich eine Regelung geben. Im „Bayerischen Wochenblatt" war am 4. November zu lesen, Borchert werde alles versuchen. Ich bin versucht hinzuzufügen: und nichts erreichen.
Offensichtlich gehen zumindest die Mitglieder im agrarmonetären Ausschuß der EU-Kommission davon aus, daß es diese Regelung nicht geben wird. Offensichtlich geht auch der Minister selbst davon aus. Die Spatzen in Bonn pfeifen es von den Dächern, daß ein Brief des Bundesministers an Präsident Heereman existiert, in dem eingeräumt wird, daß das ver-
Dr. Gerald Thalheim
mutlich alles nichts wird und man neue Vorschläge erwartet.
Nur weiß ich nicht, wie lange das mit den neuen Vorschlägen dauert. Aber für einen Haushälter, wie Sie es sind, Kollege Kalb, wäre es ein Gebot der Redlichkeit gewesen, hier in der Haushaltsdebatte zu verlangen, daß endlich realistische Vorschläge, die umsetzbar sind, auf den Tisch gelegt werden und offengelegt wird, woher das Geld dafür kommen soll.
Kollege Kalb zur Replik.
Kollege Thalheim, zufällig liegt hier noch das „Landwirtschaftliche Wochenblatt" vom 28. Oktober. Unter der Überschrift „Vorsteuerlösung noch nicht durch" wird dort sehr ausführlich informiert. Also ist niemand im unklaren darüber gelassen worden, daß es sich hierbei um einen sehr schwierigen Abstimmungsprozeß innerhalb der Europäischen Gemeinschaft handelt. Auch in meiner Rede habe ich auf den Bereich, der in die Zuständigkeit der Agrarminister fällt, hingewiesen und auch darauf, daß die EG-Finanzminister noch zu beraten haben. Sie wissen, daß das Ende dieses Monats der Fall sein wird.
Wir wissen auch um die Schwierigkeiten. Der Bundesfinanzminister bemüht sich sehr intensiv in Einzelkontakten mit den Finanzministerkollegen der Europäischen Gemeinschaft, von denen bisher noch eher Ablehnung signalisiert worden ist.
Ich habe auch darauf hingewiesen, daß die Entscheidung noch nicht getroffen worden ist und sehr offen ist, wie die Frage ausgeht.
Aber dann und erst dann können wir Konsequenzen ziehen. Denn zunächst einmal - darin besteht ja wohl Einigkeit - wäre die sinnvollste Regelung und die verwaltungsmäßig einfachste, günstigste und beste Lösung, wenn wir zur Vorsteuerregelung kommen könnten. Dann brauchten wir auch nicht im Einzelplan 10 zu etatisieren, weil sich das dann auf der Einnahmeseite - sprich: bei den Mehrwertsteuereinnahmen - auswirkte. Dann müssen wir mit den Ländern zurechtkommen.
Ich denke, diese hätten allen Anlaß, dabei mitzumachen. Auf Grund der Begrenztheit meiner Redezeit konnte ich es nicht mehr weiter ausführen: Sie wissen auch - das will ich nicht verschweigen -, daß es ansonsten sehr schwierig würde, geeignete Instrumente und Möglichkeiten zu finden, dieses Geld in Richtung der Landwirte zu bringen, die von der Währungsveränderung am meisten betroffen sind. Wir müßten uns sehr anstrengen.
Dazu gibt es ein paar Gedanken, die aber alle nicht befriedigend sind. Das gebe ich ganz offen zu. Darum wiederhole ich das, was ich in meiner Rede schon ausgeführt habe: Die beste und einfachste Lösung wäre die Vorsteuerregelung.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich in die agrarpolitische Debatte einsteige, möchte ich mich zunächst bei den Berichterstattern zum Einzelplan 10, dem Haushaltsausschuß und auch dem Ernährungsausschuß für die gute Zusammenarbeit bedanken. Die Beratungen waren sehr viel einvernehmlicher, als das die Debatte heute hier vermuten läßt.
Mit dem heute zur Abstimmung vorliegenden Haushaltsentwurf werden die Gemeinschaftsaufgabe mit der einzelbetrieblichen Förderung, der Förderung des ländlichen Raumes und die Agrarsozialpolitik und damit ein Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung fortgesetzt.
Die Befürchtungen, die der Kollege Sielaff noch bei der Haushaltsdebatte am 7. September hier äußerte, daß - ich zitiere - die Gemeinschaftsaufgabe zur Manövriermasse gehöre, um Löcher an anderen Stellen zu stopfen, bleiben unbegründet, soweit es den Bundeshaushalt betrifft.
Daß die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" zur Manövriermasse bei der Haushaltssanierung in einzelnen von der SPD geführten Bundesländern wird, darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Der Agrarhaushalt der Bundesregierung mit einem Mittelansatz von 12,1 Milliarden DM und einem Mitteleinsatz von rund 2,4 Milliarden DM für die Gemeinschaftsaufgabe und dem Mittelansatz von über 7,5 Milliarden DM für die Agrarsozialpolitik steht für eine zukunftsorientierte, investitionsstärkende und sozial flankierende Agrarpolitik für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume. Diese Politik wird ergänzt durch die europäische Agrarpolitik und vor allen Dingen durch die europäische Währungspolitik.
Die Währungsturbulenzen dieses Halbjahres sind das zentrale Problem der europäischen Agrarpolitik und das Problem, das uns, den Politikern und den Bauern, auf den Nägeln brennt. Sie alle wissen, daß die Europäische Kommission die Aufwertungsfestigkeit der Prämien der Agrarreform aufheben wollte. Wir haben im Juni 1995 nach schwierigen Verhandlungen erreicht, daß die Ausgleichszahlungen der Argrarreform aufwertungsfest bleiben, das heißt bei einer Aufwertung nicht gekürzt werden, und daß die Europäische Union einen Ausgleich für Einkommensverluste infolge von Aufwertung gewährt. Für die deutsche Landwirtschaft stehen Mittel aus dem europäischen Haushalt von insgesamt rund 400 Millionen DM zur Verfügung. Die Bundesregierung stockt diese Mittel um den gleichen Betrag aus nationalen Mitteln auf. Damit ist Deutschland neben Luxemburg das einzige Aufwertungsland, das die europäischen Währungshilfen mit nationalen Mitteln aufstockt.
Bundesminister Jochen Borchert
Es geht jetzt um die Verteilung der Mittel. Hier hat für uns die Mehrwertsteuerlösung oberste Priorität, denn der Ausgleich über eine Erhöhung der Vorsteuerpauschale ist einfach, er ist unbürokratisch, er ist gerecht, und er kommt wirksam bei den Bauern an. Das heißt für die Bauern: Sie brauchen keine neuen Anträge zu stellen, sie brauchen keine speziellen Nachweise zu führen, es sind keine weiteren staatlichen Eingriffe erforderlich, und es gibt auch keine Verteilungskämpfe innerhalb der Landwirtschaft.
Ich habe immer darauf hingewiesen, daß dieser Weg Einstimmigkeit im ECOFIN-Rat erfordert und daß dieser Weg in Europa sehr schwer durchzusetzen ist. Bartholomäus Kalb hat hier noch einmal auf diese Schwierigkeiten hingewiesen.
Wir werden alles versuchen, um diese Lösung in Europa durchzusetzen. Wenn diese Lösung in Europa nicht durchsetzbar ist, Herr Kollege Diller, dann werden wir die 400 Millionen DM an Mitteln aus dem europäischen Haushalt, aufgestockt um 400 Millionen DM aus nationalen Mitteln, direkt an die Bauern auszahlen.
- Augenblick, ich komme noch dazu, Herr Kollege. Ich dachte, als Haushälter wäre Ihnen das klar. Der Kollege Heinrich hat hier bereits Anregungen für eine mögliche Verwendung gegeben, die er sicher noch weiter konkretisieren wird. Die Bundesregierung steht zu ihrer Aussage, daß sie aufwertungsbedingte Einkommensverluste ausgleicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber sicher.
Bitte, Frau Kollegin.
Ich wüßte gerne, wie die Konkretisierung in bezug auf diese nationalen Mittel aussieht.
Frau Kollegin, ich habe bereits in den Ausschüssen darauf hingewiesen, daß es im Augenblick unsere Aufgabe ist, für die Mehrwertsteuerlösung auf der europäischen Ebene zu kämpfen, daß wir alternativ dazu natürlich Vorschläge vorbereiten und ich deshalb den Bauernverband aufgefordert habe, dazu Vorschläge zu machen. Ich freue mich, daß der Kollege Thalheim bereits im Besitz dieser Informationen durch den Bauernverband ist. Ich halte es für einen notwendigen Weg, den Berufsstand aufzufordern bzw. zu bitten, sich an der Entwicklung von Alternativvorschlägen zu beteiligen; denn das, was Frau Janz für den Personalrat angemahnt hat, gilt in gleicher Weise für den Berufsstand, daß wir ihn möglichst frühzeitig in die Beratung einbeziehen. Ich werde natürlich die Ausschüsse rechtzeitig über die Alternativen informieren, wenn wir mit der Bearbeitung weiter sind.
- Dazu werde ich noch kommen. Es gibt Kritik daran, daß die Mittel nicht im Haushalt eingestellt sind. Es gibt gleichzeitig die Aufforderung von Frau Janz, weiter in Brüssel zu verhandeln, um die Mehrwertsteuerlösung durchzusetzen. Nun frage ich die Haushälter - Herr Diller hat auch dazwischengerufen -, wie ich im Etat eine Position einstellen soll, von der ich noch nicht weiß, ob sie auf der Einnahmenseite zu Mindereinnahmen oder auf der Ausgabenseite zu Ausgaben führt. Das heißt doch, hier liegt eindeutig ein Fall vor, wo mögliche Haushaltsbelastungen überhaupt noch nicht etatreif sind und deshalb noch nicht eingestellt werden können. Ich kann doch nicht gleichzeitig auf der Einnahmenseite wie auf der Ausgabenseite den möglichen Mitteleinsatz berücksichtigen.
Deswegen werden wir rechtzeitig, sobald feststeht, welcher Weg beschritten wird, den Mitteleinsatz etatisieren.
Hier wäre es sicherlich hilfreich, wenn Sie dies dem Kollegen Thalheim noch einmal erläuterten. Ich habe dies schon intensiv im Ernährungsausschuß gemacht. Aber offensichtlich sind immer noch Fragen offengeblieben, und ich wäre dankbar, wenn die Haushälter ihm das noch einmal ausführlich erläuterten.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 1996 ist so gestaltet, daß keine Kürzungen bei investiven Maßnahmen und bei den direkt einkommenswirksamen Maßnahmen vorgenommen werden müssen. Wenn hier von seiten der Opposition kritisiert wird, daß das Volumen des Einzelplans 10 um 3,4 Prozent sinkt, dann ist dies der Beitrag, den auch wir natürlich zur Konsolidierung des Haushaltes leisten müssen. Mir ist nicht bekannt, daß die Opposition in den Beratungen Aufstockungsvorschläge und gleichzeitig dafür Deckungsvorschläge gemacht hätte. Es ist nicht korrekt, hier dies zu kritisieren, zugleich aber keine Vorschläge zu machen.
1995 hat die Opposition kritisiert, daß die Aufstokkung der Mittel für die einzelbetriebliche Förderung um 100 Millionen DM nicht zu einem zusätzlichen Mittelabfluß und nicht zu zusätzlichen Investitionen führe. Wir können heute feststellen, daß diese Aufstockung voll in zusätzliche Investitionen umgesetzt wird. Heute zeigt sich aber auch, daß dies nicht in allen Bundesländern gleichermaßen der Fall ist.
Hier überrascht es, daß gerade Brandenburg - dies überrascht, weil man den zuständigen Landwirtschaftsminister, Herrn Zimmermann, in der Vergan-
Bundesminister Jochen Borchert
genheit lautstark tönen hörte, es müsse mehr für die Landwirtschaft getan werden - die bereitgestellten Mittel nicht abruft.
In Brandenburg werden 30 Millionen DM nicht abgerufen, weil die komplementären Mittel fehlen. Mir ist natürlich klar, warum die komplementären Mittel fehlen; in Brandenburg werden diese Mittel benötigt, um die Verluste etwa bei Tierkörperbeseitigungsanstalten oder bei der Landgesellschaft zu decken. Sie stehen damit nicht mehr für die Landwirtschaft zur Verfügung. Hier wird eine Konsolidierung auf dem Rücken der Bauern ausgetragen. Hier werden Mittel gekürzt, um damit andere Löcher zu stopfen. Das, was Herr Sielaff im Blick auf den Bundeshaushalt kritisiert hat, geschieht nicht im Bundeshaushalt, sondern in Brandenburg.
Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß gab es eine intensive Diskussion darüber, ob die Mittel für den Küstenschutz ausreichen. Wir haben in den vergangenen drei Jahren die Mittel von 134 Millionen DM auf 148 Millionen DM aufgestockt. Mich überrascht jetzt, daß das Land Niedersachsen für 1996 einen um 7 Millionen DM geringeren Bedarf angemeldet hat. Ganz offensichtlich führen die Haushaltsprobleme Niedersachsens dazu, daß in dem sensiblen Bereich des Küstenschutzes gespart wird, weil die Mittel benötigt werden, um Löcher an anderen Stellen zu stopfen. Ehe wir also für diesen Bereich die Mittel im Bundeshaushalt aufstocken, müßten erst einmal die Länder Komplementärmittel zur Verfügung stellen.
Frau Janz hat dann auch kritisiert, wir müßten gerade im Bereich der Agrarreform mehr für den Naturschutz tun und Agrarpolitik mehr mit Naturschutz verzahnen. Einer der entscheidenden Punkte der Agrarreform sind die sogenannten flankierenden Maßnahmen, mit denen die Länder gezielt Naturschutzmaßnahmen finanzieren können. Hier ist immer wieder gerade von der SPD Planungssicherheit für die Landwirtschaft gefordert worden.
Deswegen möchte ich in diesem Zusammenhang auf das Kulturlandschaftsprogramm in Hessen eingehen. Wir haben bei der Festschreibung der Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen vehement dafür gekämpft, daß dies auch für die flankierenden Maßnahmen gilt, und in intensiven Verhandlungen Mittel für die Bundesländer durchgesetzt. Diese Planungssicherheit haben wir auf der europäischen Ebene geschaffen.
Das Land Hessen hat dann ein Kulturlandschaftsprogramm angemeldet und in Brüssel notifiziert bekommen. Die Bauern haben Anträge gestellt und sich auf die Zusage des Landes Hessen verlassen. Jetzt wird bekannt, daß das Land keine ausreichenden Finanzmittel hat und mit einem Federstrich Mittel kürzt. Damit müssen die Landwirte, die Verträge
abgeschlossen haben, mit weniger Mitteln auskommen. So werden in Hessen Löcher gestopft,
wird Haushaltssanierung auf dem Rücken der Bauern betrieben. Dies ist Sanierung des Landeshaushaltes auf dem Rücken der Bauern. Hier gehen Finanzmittel aus Brüssel verloren, für die wir hart gekämpft haben. Dies ist ein Vertrauensbruch gegenüber den betroffenen Landwirten.
Unter solchen Umständen können Betriebe natürlich nicht auf dem europäischen Binnenmarkt wettbewerbsfähig sein.
Ich will noch kurz auf die Überlegungen in bezug auf den Forschungsbereich eingehen. Frau Janz, ich dachte, wir kommen Ihnen entgegen, wenn wir die Vorlage möglichst früh den Berichterstattern zuleiten. Ich habe heute zur Kenntnis genommen, daß Sie dies kritisiert haben. Wir werden deswegen gemeinsam mit Ihnen überlegen müssen, ob wir in Zukunft später informieren. Wir wollten möglichst frühzeitig informieren.
Wir wollen mit der Neukonzeption die Rahmenbedingungen für eine schlagkräftige Ressortforschung für morgen gestalten. Wir wollen damit Doppelforschung weitgehend vermeiden. Es sollen mit größeren Arbeitseinheiten eine größere Schlagkraft und ein effizienter Einsatz der Mittel erreicht werden. Hier ist die Entscheidung über das Rahmenkonzept noch offen. Wir brauchen eine intensive Diskussion mit den Betroffenen. Bei den Diskussionen wird deutlich, daß die Notwendigkeit, bei der Ressortforschung einzusparen, auf Zustimmung, auch parteiübergreifend, trifft. Natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen, an welcher Stelle und in welchem Umfang gespart werden soll; deswegen müssen wir darüber weiter diskutieren.
Wenn Sie fordern, wir müßten einen Forschungsauftrag zum Einsatz von Bio-Diesel in der Binnenschiffahrt vergeben, dann muß ich darauf hinweisen, daß in Bayern von 48 Polizeibooten 14 mit Bio-Diesel betrieben werden, daß auf dem Müritzsee ein Großversuch für den Einsatz von Bio-Diesel läuft und daß auf dem Tegernsee ein Passagierschiff mit Bio-Diesel betrieben wird. Das heißt: Wir sind längst über die Frage der Studie hinweg und sind bereits in der Erprobung der Anwendung.
Ich will auch gern noch etwas, Frau Höfken, zu Fragen der Grünen und des Umweltschutzes sagen. Wir wollen Umweltschutz mit der Landwirtschaft.
Bundesminister Jochen Borchert
Wir wollen deswegen Vertragsnaturschutz, weil wir Umweltschutz und Naturschutz mit der Landwirtschaft im Interesse einer flächendeckenden Landbewirtschaftung wollen. In bezug darauf habe ich jetzt von Frau Höhn aus Nordrhein-Westfalen mit Interesse gelesen - ich zitiere -:
Unsere natürlichen Partner für die ökologische Neujustierung unserer Politik sind die Umwelt- und Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen des Landes.
Kein Wort von den Bäuerinnen und Bauern. Hier wird offensichtlich Politik gegen Landwirtschaft, aber nicht mit der Landwirtschaft betrieben.
Dies zeigt sich auch bei der Beratung der Düngeverordnung im Bundesrat.
Meine Damen und Herren, Ziel der Agrarpolitik der Bundesregierung bleibt eine wettbewerbsfähige, vielfältig strukturierte, umweltverträgliche bäuerliche Landwirtschaft, die wir in ganz Deutschland sichern wollen. Wir wollen den bäuerlichen Familien eine Zukunft geben; wir wollen die ländlichen Räume stärken und damit die Kulturlandschaft in Deutschland erhalten. Wichtig ist für uns Betriebe zu erhalten, die nach bäuerlichen Prinzipien wirtschaften, die das Eigentum für die nächste Generation sichern. Bäuerliche Prinzipien sind für uns: Bodenbindung in der Tierhaltung, eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wirtschaftsweise, der verantwortungsvolle Umgang mit den landwirtschaftlichen Nutztieren und ein breit gestreutes Eigentum an Grund und Boden. Diese Prinzipien haben sich über Jahrhunderte bewährt; sie werden sich auch in Zukunft bewähren bei der Aufgabe der Landwirtschaft, Nahrungsmittel, nachwachsende Rohstoffe zu produzieren und die ländlichen Räume zu erhalten. Damit bewährt sich die Landwirtschaft gleichzeitig auch als Träger der Kultur im ländlichen Raum.
Vielen Dank.
Herr Kollege Horst Sielaff, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies war in der Tat eine enttäuschende Rede, Herr Bundesminister.
Sie geben keine Antworten auf drängende Fragen, auch nicht auf die Fragen der F.D.P. Sie lenken ab von eigenen Fehlern und schieben die Schuld wiederum den Ländern zu.
Damit zerstören Sie das Gemeinsame, das Sie auch in Brüssel brauchen. Ich sage das so deutlich.
Der Weg der Agrarpolitik dieser Bundesregierung ist in der Tat mit Ankündigungen gepflastert. Das fing schon 1993 an. Das Agrarkonzept „Der künftige Weg - Agrarstandort Deutschland sichern„ wurde mit viel Getöse in die Welt gesetzt. Wie heute das zentrale Ziel des Bundesministers, eine leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche Landwirtschaft, erreicht werden soll, steht in den Sternen.
Herr Borchert, Sie sind im Grunde Gefangener Ihrer eigenen Vergangenheit. Der „Vizepräsident" muß nach langgeübter Praxis immer erst seinen Präsidenten fragen. Wenn der genehmigt, wird gehandelt. So ist das jetzt bei der Frage des Ausgleichs währungsbedingter Einkommensverluste, so ist das bei der Düngeverordnung und vielen anderen agrarpolitisch bedeutsamen Vorhaben.
Gespräche mit berufsständischen Vertretungen sind gut und notwendig. Wir führen sie auch, nicht nur mit dem Bauernverband, sondern auch mit dem Agrarbündnis.
Die Politik muß aber unabhängig bleiben, sie muß über den Tag hinaus schauen. Sie muß längerfristige Entwicklungen abschätzen und entsprechend handeln.
Unter dieser Voraussetzung komme ich jetzt auf einige Stichworte zu sprechen, die Sie genannt haben. Sie wollten den Schulterschluß zwischen Berufsstand und Politik in den Fragen des währungspolitischen Ausgleiches haben.
Sie haben, Herr Borchert, im Agrarrat zunächst mit Erfolg verhandelt. Ich bin schon überrascht, mit welchen voreiligen Jubelrufen oder mit welchen Jubelzitaten Funktionäre des Bauernverbandes diesen vorläufigen Erfolg feierten.
Dann scheitert der Finanzminister Waigel eindeutig am ECOFIN-Rat in Brüssel mit Pauken und Trompeten. Sie wissen genau, daß Sie dort nicht mehr alle Länder umstimmen werden.
Dann muß man sich schon fragen, welche Alternativen Sie haben. Sie können doch nicht im Ausschuß auftreten und sagen, das könnten Sie jetzt nicht sagen, Sie müßten erst abwarten, wie das Ergebnis am Ende wirklich aussieht.
Herr Kollege Sielaff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
Wenn das nicht angerechnet wird, gerne.
Nein, ich halte die Uhr an.
Herr Kollege Sielaff, ich habe doch vorhin von den Schwierigkeiten, die sich im ECOFIN-Rat ergeben können, berichtet. Halten Sie unter diesem Gesichtspunkt Ihren Beitrag, den Sie soeben zu diesem Thema geliefert haben, im Interesse der deutschen Landwirtschaft für besonders hilfreich?
Lieber Herr Kalb, ich glaube, daß der Landwirtschaftsminister verpflichtet ist - es gibt ja unterschiedliche Wege -, frühzeitig zu informieren und Alternativen aufzuzeigen, wenn er die Oppositionspartei mit im Boot haben will und muß. Das hat er nicht getan. Er verweigert die Antwort.
Außerdem scheint die ganze Verhandlungsstrategie der Bundesregierung falsch zu sein.
Entweder war sie blauäugig, oder aber der Bundesminister Borchert hat sich verrechnet. Denn eindeutig scheint doch zu sein, daß es über den Mehrwertsteuerweg nicht gehen wird. Hier sind falsche Erwartungen geweckt worden. Sie werden selbst erleben, wie Ihre Bäuerinnen und Bauern jetzt darauf warten, daß sie den notwendigen Ausgleich erhalten.
Herr Kollege Sielaff, der Kollege Borchert würde Ihnen auch gern eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Sielaff, sind Sie der Meinung, daß das Abstimmungsverhalten der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, wo mit der Hilfe der Sozialisten der Antrag, eine Mehrwertsteuerlösung im Europäischen Parlament durchzusetzen, gescheitert ist, uns bei der Durchsetzung der Mehrwertsteuerlösung geholfen hat?
Herr Abgeordneter Borchert, ich habe ja schon vorhin gesagt: Sie sind ein Künstler
- warten Sie ab, ich wußte, daß Sie Beifall klatschen - im Verdrängen eigener Probleme und im Verschieben der Probleme auf andere Ebenen. Das ist Ihre Strategie, die Sie hier fahren.
Das ist die Strategie, die Sie hier fahren: immer die Schuld bei den anderen suchen.
Damit es klar ist: Wir Sozialdemokraten unterstützen grundsätzlich die Forderung der Bäuerinnen und Bauern nach einem angemessenen Ausgleich für die währungsbedingten Verluste.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen zweiten Punkt, die Agrarsozialreform, die hier schon angesprochen wurde, kurz aufgreifen. Man fragt sich: Was hat denn die Regierungskoalition bisher getan? Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, Fehler zu korrigieren, die Durchlässigkeit zu garantieren und Fristen zu verlängern. Aber Sie in der Regierungskoalition sind nicht zu Potte gekommen. Herr Heinrich hat doch geblockt, und Sie wußten nicht, was Sie machen sollten.
Jetzt versuchen Sie, den Schwarzen Peter der Opposition zu geben, obwohl die Schuld eindeutig bei Ihnen liegt.
Ein letztes: die Gemeinschaftsaufgabe, die Sie, Herr Borchert, angesprochen haben. Die Aufgaben werden erweitert. Trotzdem werden die Finanzmittel um 4,4 Prozent gekürzt. Es ist unredlich, hier so zu tun, als hätte der ländliche Raum mehr Mittel zur Verfügung, wenn der Aufgabenkatalog erweitert wird und die Mittel weiter gekürzt werden.
Meine Damen und Herren, in der Tat ist viel zu lösen. Wir sind enttäuscht, daß dieser Minister Borchert, obwohl er viel ankündigt, Rückzüge einleitet und am Ende noch so tut, als wären das Erfolge für die Bauern. Das ist keine konkrete Politik.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist angenommen.
Ich rufe Einzelplan 15 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit - Drucksachen 13/2615, 13/2626 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kristin Heyne Roland Sauer
Dr. Wolfgang Weng Gerhard Rübenkönig
Es liegt ein Änderungsantrag der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Vizepräsident Hans Klein
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Gerhard Rübenkönig das Wort,
- Plagiieren Sie doch nicht auch noch Franz Josef Strauß!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zum Schluß der heutigen Debatte steht der Gesundheitshaushalt der Bundesregierung auf der Tagesordnung. Ich bedaure sehr, daß der Bundesfinanzminister zu einem solchen wichtigen Haushalt wie dem Gesundheitshaushalt nicht mehr hier ist. Wir haben alle in den letzten Wochen und natürlich auch heute in der allgemeinen Debatte erlebt, wie Herr Waigel uns mit diesem Haushalt in die Irre geführt hat.
So scheint Ihr Gesundheitshaushalt, Herr Seehofer, auf den ersten Blick geordnet.
Tatsächlich drückt er jedoch das Dilemma der Gesundheitspolitik in unserer Republik aus.
Meine Damen und Herren, seit dem Antritt der Koalition
ist das Gesundheitswesen vor allem von ständigen Haushaltskürzungen, steigenden Beitragssätzen
sowie immer weiter ausufernden Belastungen für die Patienten durch Leistungskürzungen und Zuzahlungsregelungen geprägt.
Für 1995 wurde der Gesundheitshaushalt um zirka 48 Millionen DM und für 1996 im Ansatz um weitere 6 Millionen DM gekürzt. Wesentlich gekürzt, nämlich um 8,5 Millionen DM, wurde wieder auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, davon allein 7,9 Millionen DM bei der Ausstattung von klinischen Krebsregistern und der Ausstattung für die Krebsbehandlung in den neuen Bundesländern.
Nach der dramatischen Diskussion um den BlutAids-Skandal und - ich sage das ganz bewußt - der jämmerlichen Einrichtung der Stiftung, einem Geschenk an die Pharmaindustrie, ist die erneute Kürzung um 2 Millionen DM bei den Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Aidsbekämpfung ein Zynismus, den die SPD absolut ablehnt.
Meine Damen und Herren, seit einem Jahr liegen die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zum Blut-Aids-Skandal, von allen Parteien abgesegnet, vor uns. Aber kein Mensch diskutiert mehr darüber.
Das Thema ist scheinbar vom Tisch. Die Pharmaindustrie jubelt. Der Chef dieses Pilotprojekts und politische Garant der Pharmalobby, Herr Seehofer, sind Sie.
Aber damit nicht genug. Die Pharmaindustrie fordert ein weiteres Opfer: die Streichung der Positivliste.
Während das Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung" im Haushalt für 1996 bestätigt worden ist, haben Sie, Herr Minister, die Positivliste gesetzlich zu Fall gebracht.
Die Streichung der Positivliste ist zugleich ein tiefer Vertrauensbruch. Die weitere Diskussion um die Positivliste ist aber auch die Diskussion um die Gesundheitsstrukturreform auf der Grundlage des Lahnsteiner Kompromisses. Um diese Reform wird die SPD weiter kämpfen.
Meine Damen und Herren, schwere strukturelle Versäumnisse prägen den gesundheitspolitischen Weg der konservativ-liberalen Koalition.
Zu Ihren neuen Leitgedanken, Herr Minister, gehören auch die unlängst vom Sachverständigenrat veröffentlichten Fragestellungen, die das Schicksal des einzelnen gegen die Gemeinschaft stellen. Ausgrenzung und würdelose Rationalisierung sind die Schlagworte dieses unsozialen Fragenkatalogs. Denn da heißt es:
Welche Leistungen können ausgegrenzt werden?
Nach welchen Kriterien kann rationalisiert werden; zum Beispiel, wo sind die medizinischen Prioritäten zu setzen und wo sind die Grenzen bei den Leistungen der Solidargemeinschaft?
Welche Einkommensarten der Versicherten können - neben ihren Löhnen - zusätzlich herangezogen werden?
Wie können Regel- und Wahlleistungen in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführt werden?
Wie kann der reduzierte Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aussehen?
Damit geben Sie eindeutig zu erkennen, wohin die Reise gehen soll. Es geht Ihnen um eine Reprivatisierung der Gesundheitsrisiken, also von der Gemeinschaft hin zum einzelnen. Damit, Herr Minister, ist der Weg in die Zwei-Klassen-Medizin vorgezeichnet.
Die von Ihnen und uns mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eingeleitete Reform hatte das konkrete Ziel, die Selbststeuerungsfähigkeit, die Wirtschaft-
Gerhard Rübenkönig
lichkeit und die Qualität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu verbessern. Wir hatten damals gemeinsam beschlossen: neue Formen der Preisbildung und Honorarverteilung, eine Positivliste - wie angekündigt - für Arzneimittel, einen kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleich und die freie Wahl der Krankenkasse für die Versicherten ab 1996.
Ihr fehlender Wille, Herr Minister, die eingeleiteten Reformen entschlossen umzusetzen, zeigt schon jetzt Wirkung: Die Stabilität unserer Krankenversicherung wird von einem Kostenschub bedroht, der im kommenden Jahr zwangsläufig zu den von uns prophezeiten und von Ihnen mittlerweile angekündigten Beitragserhöhungen führen wird. Das Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung von 5,4 Milliarden DM im ersten Halbjahr 1995 wird sich wahrscheinlich bis Ende des Jahres auf 9 Milliarden DM summieren.
Herr Minister Seehofer, mit Ihrer Festlegung, die am 31. Dezember dieses Jahres auslaufende sektorale Begrenzung der Krankenkassenausgaben nicht zu verlängern, hat sich die Koalition selbst ein Bein gestellt. Die Beitragssatzexplosion wird so unausweichlich.
Meine Damen und Herren, die krampfhafte Suche nach alternativen Regelungen hat mittlerweile skurrile Formen angenommen. Wer davonlaufenden Ausgaben mit einer Begrenzung der Einnahmen begegnen will, während er dem Arbeitnehmeranteil freien Lauf läßt, handelt zudem sozialpolitisch gefährlich;
denn er will die paritätische Aufteilung der Beitragslast auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer beseitigen.
Die SPD wird dafür kämpfen, daß das materielle Interesse der Arbeitgeber an der Schaffung gesundheitsverträglicher Arbeitsbedingungen durch die 50prozentige Beteiligung an den Krankenversicherungsbeiträgen erhalten bleibt.
Spätestens wenn - wie bei vielen anderen wichtigen Themen - in der Koalition zum Nachteil der Betroffenen streitige Entscheidungen dazu getroffen werden, ist es an der Zeit, meine Damen und Herren von der F.D.P., daß einer Partei, der alle Wähler davonlaufen, das Mandat für diese Regierung entzogen wird.
Herr Minister Seehofer, wenn Sie Vorschläge machen, die eine solidarische Finanzierung der Krankenversicherung beseitigen, die zu weiteren einseitigen Belastungen der Versicherten führen, die das Sachleistungsprinzip beeinträchtigen, die Teile des Leistungskatalogs in die private Finanzierungslast überführen sollen, die eine Aufteilung zwischen Wahl- und Regelleistungen vorsehen sollen, dann
sage ich Ihnen: Diese sind mit Sozialdemokraten nicht zu verwirklichen.
Das Konzept der SPD dagegen schafft Vertrauen und Einsicht bei den Betroffenen. Wir wollen zur Sicherung einer stabilen Beitragssatzentwicklung die derzeitigen Ausgabenbegrenzungen nicht nur um ein Jahr verlängern, sondern sie in eine dauerhafte globale Budgetierung überführen.
Wir wollen eine konsequente Stärkung der hausärztlichen Versorgung.
- Schon immer. Wir wollen eine vernünftige Honorierung und eine eigene Gebührenordnung der Hausärzte. Wir wollen mehr organisationspolitisches Gewicht für Hausärzte im Gesamtkontext der Ärzteschaft. Wir wollen eine leistungsfähigere ärztliche Selbstverwaltung, wie bei den Krankenkassen bereits gemeinsam durchgesetzt.
Wir wollen eine vernünftige und flexible Arbeitsteilung von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten. Wir wollen über zehn Jahre Schritt für Schritt, das heißt, ohne Auswirkungen auf die Beitragssätze, die monistische Krankenhausfinanzierung und gemeinsame Letztverantwortung von Krankenkassen und Ländern für die Bedarfsplanung von Krankenhausbetten einführen. Wir wollen Preisverhandlungen für Arzneimittel zwischen Koalition und Pharmaindustrie, und wir werden auf die Einführung der Positivliste nicht verzichten.
Herr Minister Seehofer, nachdem die Kritik an Ihrer Politik bisher schon so negativ ausgefallen ist, komme ich jetzt zu einem Thema, bei dem die SPD wahrhaftig nicht alleinsteht, sondern sich mit über hundert Organisationen unseres gesellschaftlichen Lebens einig weiß. Es geht um die Sozialhilfereform.
Hier haben Sie, Herr Seehofer, das Reformziel deutlich verfehlt. Schon im Ansatz war klar, daß Sie die Verantwortung des Bundes auf die Kommunen abschieben, die städtischen Finanzen in unerträglicher Weise belasten und den betroffenen Menschen bedarfsgerechte Leistungen verweigern.
Mehr als hundert Organisationen von paritätischen Wohlfahrtsverbänden über kirchliche Verbände bis hin zum Deutschen Gewerkschaftsbund haben die Bundesregierung in dieser Sache über die Presse aufgefordert, Ihren Entwurf zur Sozialhilfereform zurückzuziehen. Eine tiefe Enttäuschung hat sich jetzt bei allen Betroffenen eingestellt.
Die Vorlage wird weder dem Problem der überlasteten Sozialhilfe noch den Menschen in der Sozialhilfe mit ihren Nöten gerecht und trägt zur weiteren Verarmung in Deutschland bei.
Gerhard Rübenkönig
Die Ursachen, Herr Minister, sind eben nicht im System der Sozialhilfe selbst zu suchen, sondern außerhalb. Hier führe ich die Massenarbeitslosigkeit und zu hohe Mieten an. Diese Reform übertrifft die schlimmsten Erwartungen. Mit diesem Gesetzentwurf verabschiedet sich die Bundesregierung vom Bedarfsdeckungsprinzip. Gegen ihr Versprechen wird die Deckung der Regelsätze der letzten drei Jahre bis 1999 fortgesetzt.
Die Kommunen werden als Ersatzarbeitsämter mißbraucht und mit zusätzlichen Kosten belastet. Die Wohlfahrtsverbände fürchten zu Recht, durch starre und unsensible Regelungen in ihrer Leistungsfähigkeit zum Nachteil der Menschen in ihren Einrichtungen eingeschränkt zu werden. Darüber hinaus brauchen Behinderte ein eigenes Leistungsgesetz. Für Bürgerkriegsflüchtlinge können die Kommunen nicht allein aufkommen.
Herr Minister Seehofer, Sie bleiben da untätig, wo Sie eigentlich handeln müßten, nämlich bei der Bekämpfung und Beseitigung der Ursachen für die Sozialhilfebedürftigkeit.
Von den Beziehern der Hilfe zum Lebensunterhalt sind ein Drittel arbeitslos, rund 30 Prozent Familien und Alleinerziehende und 37 Prozent Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Ich hoffe und denke, das ist eine Aussage, die allen Kolleginnen und Kollegen und auch Ihnen, Herr Minister, zu denken geben muß.
Wenn Sie vor diesem Hintergrund eine isolierte Reform des Sozialhilfegesetzes anstreben, Herr Minister, dann verfolgen Sie meines Erachtens ein völlig anderes politisches Ziel.
Es geht Ihnen nicht um die Armutsbekämpfung, son-dem um eine würdelose, unsoziale Haushaltssanierung.
Dagegen, meine Damen und Herren, hält die SPD fest:
Erstens. Das Bundessozialhilfegesetz steht in seiner Funktion als letztes Instrument zur Verhinderung von Armut und Ausgrenzung nicht zur Disposition. Es ist für den Sozialstaat unverzichtbar.
Zweitens. Das Bundessozialhilfegesetz ist auf Einzelfallhilfe auf akute, vorübergehende Notlagen angelegt. Es eignet sich deshalb weder als Finanzierungsinstrument für auf Dauer zu gewährende Leistungen noch als Ausfallbürge unzureichender Leistungssysteme.
Drittens. Die Kommunen und Landkreise als Träger der Sozialhilfe dürfen durch systemfremde Leistungen finanziell nicht länger überfordert werden.
Die der Sozialhilfe vorgelagerten Sozialleistungen müssen so ausgebaut und ergänzt werden, daß der Nachrang der Sozialhilfe wiederhergestellt wird.
Viertens. Aufgabe der Sozialhilfe bleibt die Sicherung des Existenzminimums. Dazu ist die Erfüllung des Bedarfsdeckungsprinzips unverzichtbar.
Ein weiterer Punkt, Herr Minister Seehofer, ist das unsoziale neue Asylbewerberleistungsgesetz,
mit der Absicht, daß Asylbewerber, die bisher nur ein Jahr eingeschränkte Leistungen bezogen, künftig „bis zum Abschluß ihres Verfahrens" um bis zu 20 Prozent gekürzte Sozialhilfeleistungen erhalten. Sie verstoßen wieder gegen die gemeinsame Vereinbarung im Asylkompromiß, wenn Sie in das Asylbewerberleistungsgesetz auch die Bürgerkriegsflüchtlinge einbeziehen und die zeitliche Begrenzung der eingeschränkten Leistung auf maximal zwölf Monate aufheben. Diese Politik aber zeigt, was Arbeitslose und Bedürftige von dieser Regierungskoalition zu erwarten haben.
Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß Menschen in diesem Land unter unseren Lebensbedingungen mit Leistungen unterhalb des Existenzminimums nur kurze Zeit menschenwürdig leben können.
Herr Minister Seehofer, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß stelle ich fest: Der mangelnde Wille zur Umsetzung des Gesundheitsstrukturgesetzes hat eine Lage heraufbeschworen, in der die Gesundheitspolitik unseres Landes an Vertrauen und Ansehen verloren hat.
Übernehmen Sie, Herr Minister, hier die Verantwortung! Sie betreiben eine Gesundheits- und Sozialpolitik auf dem Rücken der Patienten, Versicherten, der Arbeitslosen und Bedürftigen in unserem Lande. Die angebliche Sozialhilfereform und die Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes zeigen, daß ihre Politik das Elend der Armut in Deutschland weiter vorantreibt.
Gerhard Rübenkönig
Herr Minister Seehofer, eine würdelose HaushaltsSanierung bei kalkuliertem Sozialabbau ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen.
Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Gesundheitshaushalt ab.
Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es ein bißchen unruhig war, bedanke ich mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.
Besonders unruhig war es nicht, Herr Kollege. Aber da hinten gab es einen Kollegen, den ich leider nicht erkennen konnte, weil er die Zeitung so vor sich hielt, daß sein Gesicht nicht zu sehen war. Als er aufgehört hat zu lesen, ist er hinausgegangen, und von hinten konnte ich ihn wieder nicht erkennen.
Das Wort hat Kollege Roland Sauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Rübenkönig, Ihre Rede war eine polemische Pflichtübung, die wir von Ihnen im Haushaltsausschuß nicht gewöhnt sind. Aber offensichtlich muß man hier diese Pflichtübung absolvieren.
Lassen Sie mich nur ganz kurz zur Sozialhilfereform und zu Ihren Krokodilstränen wegen der Kommunen sagen: Stimmen Sie doch dem Asylbewerberleistungsgesetz zu. Dann werden wir erreichen, daß 940 Millionen DM zugunsten der Kommunen angesetzt werden können.
Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß der Bund bei der Sozialhilfereform überhaupt nicht profitiert. Die Nutznießer der Sozialhilfereform werden die Länder und die Kommunen sein. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, und Sie müssen zu einer sachlichen Diskussion zurückfinden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Politik der Haushaltskonsolidierung und der Senkung der Neuverschuldung geht weiter. Dies muß auch für den Einzelplan 15 gelten. Wie in allen anderen Ressorts, Herr Kollege Rübenkönig, herrscht auch hier das Diktat des strikten Sparzwangs.
In schwierigen Verhandlungen wurde der Etat gegenüber dem Regierungsentwurf insgesamt um noch einmal 5,3 Millionen DM reduziert, so daß dem Bundesgesundheitsministerium im Haushalt 1996 rund 799 Millionen DM zur Verfügung stehen. Damit sind die Ausgaben insgesamt um etwa 12 Millionen DM reduziert worden. Das sind rund 1,5 Prozent weniger als 1995. Diese Marschrichtung haben wir angestrebt. Ich glaube, dies ist ein Ergebnis, mit dem wir und auch das Haus zufrieden sein können.
Um dies klar zu sagen: Die Sorgen um Einbußen in der Qualität der Gesundheitsversorgung sind gegenstandslos. Das deutsche Gesundheitswesen bleibt trotz der knappen Haushaltslage nach wie vor an der Spitze in der gesamten Welt. Viele Staaten beneiden uns um das Gesundheitswesen in Deutschland.
Die wichtigsten Ausgabenschwerpunkte sind wie 1995 die Maßnahmen gegen Drogen und Sucht, die Bekämpfung von Krebs und von Aids. Neu sind die Mittel für die aus dem Einzelplan 17 übernommene Sozialhilfe.
Die CDU/CSU-Fraktion sieht in einer konsequenten Antidrogenpolitik weiterhin einen wichtigen Teil der Gesundheitspolitik. Der Bund stellt 1996 46,5 Millionen DM für die Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs zur Verfügung. Davon werden allein 21,7 Millionen DM für Aufklärungsmaßnahmen verwandt. Der Gesamtansatz bleibt somit knapp 1 Million DM unter dem Vorjahresniveau; aber wir werden alle Modellprojekte, die vorgesehen sind, fortführen können.
Die Mittel für die Krebsbekämpfung belaufen sich auf 22,2 Millionen DM. Der Aufbau der Einrichtungen für die Krebsmedizin in den neuen Ländern ist erfreulicherweise stark fortgeschritten. Der Finanzansatz kann etwas zurückgenommen werden, weil die Medizin hier sehr gut ausgebaut worden ist.
23 Millionen DM sind für die Bekämpfung von Aids vorgesehen. Von diesen werden 18 Millionen DM in die Aufklärung und 5 Millionen DM in die Forschung gegeben. Die Ausgaben für den HIV-Fonds fallen 1996 weg, da der Bund im Jahre 1995 seine Leistungen vollständig erbracht hat.
Nun hätten - Sie haben das angeführt - die Kollegen von der Opposition und auch der Bundesrat lieber eine um 2 Millionen DM höhere Summe bei der Aidsaufklärung gesehen. Ihr Vorschlag, dazu 2 Millionen DM beim Bundespresseamt einzusparen, wo wir schon sehr eingespart haben, ist reine Polemik und trägt nicht zu einer sachdienlichen Erörterung bei.
Für die Aidsaufklärung waren - das haben Sie offensichtlich vergessen - in der mittelfristigen Finanzplanung ursprünglich weit niedrigere Ansätze vorgesehen. Die Verstetigung des Ansatzes auf 18 Millionen DM, die für den gesamten Finanzplan gelten wird, ist ein großer Erfolg. Insgesamt werden bis zum Jahre 1999 somit 74 Millionen DM für die Aidsaufklärung aufgewendet werden gegenüber in der Finanzplanung ursprünglich einmal vorgesehen gewesenen 30 Millionen DM. Ich glaube, dies kann sich sehen lassen.
Ein weiterer wichtiger Ausgabeposten ist die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung. Die Bundeszentrale wird 1996 13,6 Millionen DM erhalten. Dies sind in etwa 3 Millionen DM mehr als 1995.
Roland Sauer
Damit ist es möglich, für die Organspende, die für sehr viele Menschen lebensnotwendig ist, eine großangelegte Kampagne zu starten.
Zu nennen sind unsere Beiträge in Höhe von 61 Millionen DM zum internationalen Gesundheitswesen. Wir zahlen mit dieser Summe praktisch einen der höchsten Beiträge und tragen in erheblichem Maße dazu bei, daß Gesundheitsschutz und Gesundheitsvorsorge auf der ganzen Welt verbessert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine vorausschauende Gesundheitspolitik muß ihr besonderes Augenmerk auf die Forschung und die Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze legen. In der Tat messen wir der Forschung eine sehr hohe Bedeutung zu. Im Finanzplan des Bundesministeriums für Gesundheit werden rund 18 Millionen DM für die Ressortforschung aufgewendet. Von dieser Summe sind allein 14 Millionen DM für Forschungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens vorgesehen. Der Ansatz für die Bund-Länder-Forschung wurde von 44 auf 60 Millionen DM angehoben. Wir werden Deutschland auch in Sachen Gesundheitsforschung für das 21. Jahrhundert fit machen.
Wie schon 1995 gelang es uns - hier schließe ich die Kollegen von der Opposition ausdrücklich ein -, in den neuen Bundesländern weiter befristete Zeitstellen zu sichern und so einen wichtigen Beitrag zur Qualität des Gesundheitswesens, aber auch zur Sicherung der Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu leisten. Im Robert-Koch-Institut wurden 41 befristete Ost-Stellen für die nächsten Jahre weiter gesichert. Möglich wurde dies, da wir, wie gesagt, die Forschungsmittel aufgestockt haben und so die externe Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter ermöglicht wurde.
Hochqualifizierte Fachkräfte in der RKI-Zentrale in Berlin sowie in den Außenstellen Bad Elster, Karlshorst und Schöneweide werden so auch in Zukunft ihren Dienst versehen können.
Das Paul-Ehrlich-Institut wird in Zukunft neben den acht bereits bewilligten Stellen über 18 zusätzliche Fachkräfte zur Bearbeitung von Zulassungsanträgen für Blutzubereitungen verfügen können. Insgesamt werden dann 26 Spezialisten im Paul-Ehrlich-Institut zur Kontrolle von Blutzubereitungen eingesetzt werden. Durch zusätzliche Zulassungsgebühren werden die Aufwendungen für diese 18 neuen Stellen mehr als finanziert.
Es geht uns beim Paul-Ehrlich-Institut aber nicht nur um Arbeitsplätze. Es geht uns vor allem auch darum: Ein Blutskandal, wie wir ihn im letzten Jahr hatten, darf in Deutschland nie wieder vorkommen.
Die Personalverstärkung im PEI dient daher auch und vor allem der Sicherheit des Verkehrs mit Blut und Blutprodukten.
Lassen Sie mich ein Wort zur dritten Stufe der Gesundheitsreform sagen. Für den Haushaltspolitiker
geht es hier natürlich besonders um konkrete Ausgabenbegrenzungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen. Machen wir uns nichts vor: Der Rotstift muß ganz entschieden bei den Krankenhäusern angesetzt werden. Dies soll nun auch geschehen. Die Krankenhausausgaben wachsen seit Jahren doppelt so schnell wie die anderer Leistungssektoren und liegen derzeit mit über 74 Milliarden DM bei einem Drittel der gesamten Leistungsausgaben. Ziel muß es daher sein, eine Konsolidierung der Krankenhausausgaben zu erreichen.
Ich will nur kurz auf die schwierige Situation bei der Pflegepersonalregelung und bei den Kosten für die Erhaltungsinvestitionen eingehen. Von 1992 bis 1995 wurden in 2 400 deutschen Krankenhäusern statt der erwarteten 13 000 über 20 000 Stellen an Pflegepersonal geschaffen und neu besetzt. Würden wir hier nicht schnell reagieren, wäre für 1996 mit weiteren 7 000 neuen Pflegestellen und einer weiteren halben Milliarde Mark Ausgaben zu rechnen. Wir beabsichtigen daher, die Pflegepersonalregelung vorübergehend auszusetzen und so 1996 rund 700 Millionen DM einzusparen.
Dringlich ist auch, die Länder endlich wieder für die Erhaltungsinvestitionen der Krankenhäuser verantwortlich zu machen. Zentraler Punkt ist dabei die Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Die Instandsetzungsinvestitionen für die Krankenhäuser müssen zumindest für eine Übergangszeit von drei Jahren, nämlich 1996 bis 1998, von den Ländern übernommen werden.
- So ist es. Wir werden versuchen, diese Notwendigkeit auch der starken Lobby aus Ländern und Landräten klarzumachen und rigorose Sparmaßnahmen durchzusetzen. Länder und Kommunen müssen ihrer Verantwortung für das Gesundheitswesen nachkommen und können die finanziellen Belastungen nicht länger allein auf den Bund abwälzen.
Selbstverständlich findet dies die Kritik der schmucken Riege der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten.
- Wir hoffen, liebe Uta Titze-Stecher, daß diese Riege sehr bald kleiner wird.
Auch Herr Dreßler drischt kräftig auf uns ein. Wir werden uns aber dadurch nicht beirren lassen.
Gleiches gilt im übrigen auch für den sogenannten Gesundheitsexperten der F.D.P., der heute nicht anwesend ist. Herr Möllemann war gut beraten, zu einer sachlichen Mitarbeit zurückzukehren.
Einen Wettbewerb im Gesundheitswesen zu Lasten
der Versicherten wird es mit uns, der Union, nicht ge-
Roland Sauer
ben. Es wäre auch unsinnig gewesen, die Krankenhausreform auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, um der Konfrontation mit den Ländern aus dem Wege zu gehen. Beides wird mittlerweile - dies ist erfreulich, Herr Thomae - auch in den Reihen der F.D.P. so gesehen. Das geplante Vorschaltgesetz zur Gesundheitsreform wird es uns ermöglichen, mehrere Milliarden Mark einzusparen.
Damit kann eine Beitragserhöhung in 1996 aller Voraussicht nach verhindert werden.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Sozialhilfereform sagen, weil hier die Polemik vorher fröhliche Urständ feierte. Wenn in den letzten Monaten über die Finanzierung der Sozialhilfe gesprochen wurde, hörte man von seiten der Opposition oft die Schlagworte „Kahlschlag" und „Sozialabbau". Nichts davon ist wahr. Würden wir die Regelsätze der Sozialhilfe jetzt nicht an das Nettoeinkommen anbinden, dann hätten wir ähnliche Steigerungsraten bei den Regelsätzen wie in den letzten Jahren. Dies allein würde 1996 zu Mehrkosten von 2 bis 3 Milliarden DM führen. Wenn Nettolöhne niedriger sind als Lohnersatzleistungen oder als Sozialhilfeleistungen, dann motiviert dies nicht, eine reguläre Arbeit aufzunehmen.
Noch ein Wort zu Kürzungen bei der Sozialhilfe. Hier wird ja nicht in die Tasche der alleinstehenden Frau und Mutter oder der armen Rentnerin gegriffen, sondern unser Grundsatz ist ganz klar: Nur wer eine zumutbare Arbeit angeboten bekommt und sie ablehnt, der muß eine Kürzung seiner Sozialhilfe hinnehmen.
Da kann man doch als Opposition nicht dagegen sein! Sprechen Sie doch mal mit den Bürgern draußen auf der Straße!
Lassen Sie mich ein letztes Wort zur Drogenpolitik sagen. Die CDU-Bundespartei und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erteilen allen Bestrebungen, sogenannte weiche Drogen zu legalisieren oder gar harte Drogen wie Heroin abzugeben, eine klare Absage.
Mit uns wird es diesen falsch verstandenen Liberalismus in der Drogenpolitik nicht geben.
Wir wissen uns dabei im Einklang mit der übergroßen Mehrheit unserer Bürger.
Eine verantwortungsvolle Drogenpolitik besteht für uns auch weiterhin aus den drei Säulen Prävention, drogenfreie Therapie mit Nachsorge und Reintegration sowie konsequente Repression gegen die
Rauschgifthändler. Jeder dieser drei Bereiche ist gleich wichtig.
Sie sind die tragenden Säulen des nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans.
Wir versuchen mit unserer Antidrogenpolitik, den Einstieg in die Droge zu verhindern,
den bereits Süchtigen zu helfen und Drogenkarrieren schnell zu beenden. Unser Ziel bleibt ein drogenfreies Leben. Dies müssen wir gerade der jungen Generation klarmachen.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Wir werden die Fehler der Schweden nicht wiederholen. Dort hatte man sich in den 60er Jahren auf eine weitgehende Liberalisierung und Drogenfreigabe geeinigt. Das Ergebnis war: Die Drogenkonsumentenzahl wuchs rapide an, die Todes- und die Kriminalitätsrate gingen nicht zurück.
Inzwischen haben die Schweden in einer großen nationalen Übereinstimmung unter Führung der Sozialdemokraten von Ingvar Carlsson das Ruder herumgeworfen und die gescheiterte Drogenpolitik radikal geändert.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Sie führen nun eine Drogenpolitik durch, die unserer, der deutschen Drogenpolitik, sehr ähnlich ist. Wir werden an dieser Drogenpolitik festhalten.
Herzlichen Dank.
Frau Kollegin Kristin Heyne, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer das Dilemma, daß wir als kleine Fraktion viel kürzer reden. Drogenpolitik und Sozialhilfe, ich lasse dies alles heute einmal beiseite und beschränke mich auf den Haushalt,
Der Grundtenor dieser Haushaltsdebatte ist zu Recht das Sparen. Eine weitere Verschuldung ist nicht mehr verantwortbar. Aber Sparen erfordert natürlich eine um so präzisere Schwerpunktsetzung. Einer der Schwerpunkte, über den wir uns noch in den letzten Haushaltsberatungen parteiübergreifend einig waren, ist die Aidshilfe, ist die Aufklärung über die Aidsgefahren.
Kristin Heyne
Sie sind bei diesem Schwerpunkt nicht geblieben. Sie haben die Mittel entgegen Ihren Ankündigungen weiter heruntergefahren und damit die Möglichkeiten geschmälert.
Eine erwiesenermaßen erfolgreiche Maßnahme wird auf niedrigerem Niveau gefahren. Gleichzeitig geben Sie in die Gentechnologie ein Vielfaches der Beträge für die leeren und weitgehend nicht erfüllten Versprechungen.
Die PDS hat noch einmal einen Antrag zur Aufstokkung der Mittel für die Aidshilfe gestellt. Dies ist ein inhaltlich richtiger Antrag. Leider haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, eine Gegendeckung zu geben, die im Einzelplan 15 im Bereich der Gentechnikforschung leicht zu machen gewesen wäre. Wir halten das für unsolide. Deswegen werden wir uns bei diesem Antrag enthalten, auch wenn wir ihn inhaltlich unterstützen.
Ein zweiter sensibler Bereich dieses Haushaltes, bei dem meiner Meinung nach nicht mit Augenmaß gespart worden ist, ist eben schon angesprochen worden. Es ist die Überwachung der Blutprodukte. Herr Kollege Sauer, Sie haben das eben so stolz angesprochen. Der Haushaltsplanentwurf sah in diesem Bereich keinerlei Aufstockung des Personals vor. Es hat extra eine Anhörung des Gesundheitsausschusses und eine lange Diskussion unter den Berichterstattern gegeben, in der deutlich geworden ist, daß eine zeitnahe und sichere Überwachung bei den Blutprodukten absolut noch nicht gewährleistet ist.
Dann hat es in den Haushaltsberatungen für die Haushälter eine Änderung gegeben. Gerade als Haushälter der Opposition hat man ja nicht so sehr viel Handlungsspielraum und auch nicht so sehr viele Erfolge. Es hat in dem Sinne eine Änderung gegeben, daß mehr Personal eingestellt werden darf in der Höhe, in der auch höhere Einnahmen zu erwarten sind.
- Na ja, man mußte Sie ein bißchen zum Jagen tragen, wenn man das einmal so sagen darf.
Ich denke aber, daß dies ein wichtiger Erfolg ist, weil hier die Einnahmeseite mit der Ausgabenseite verknüpft worden ist. Das allerdings halte ich für einen wichtigen Schritt heraus aus einer engen Haushaltslogik hin zu einer bezahlten Dienstleistung.
Eigentlich hätte diese Konstruktion von Ihnen, Herr Minister Seehofer, kommen können; denn Sie sind doch eigentlich der Zaubermeister für rationales Wirtschaften im Gesundheitswesen. Der Haushalt Ihres Ministeriums ist durchaus ein lohnendes Feld für
finanzpolitische Reformen. Das ist Ihnen möglicherweise bisher entgangen.
Den 800 Millionen Ausgaben stehen über 70 Millionen Einnahmen gegenüber. Das ist, im Verhältnis gesehen, ein relativ hoher Anteil. Insofern macht es durchaus Sinn, in Teilbereichen eine Soll- und Haben-Rechnung durchzuführen. Ich hoffe, daß die Ausschußentscheidung zum Paul-Ehrlich-Institut ein erster Schritt in die richtige Richtung war.
Zur Soll-und-Haben-Rechnung im Bereich der Gesundheitsreform möchte ich auch noch eine Anmerkung machen. Seit der Wadenbisse des gesundheitspolitischen Sprechers der kleinen Koalitionspartei, der heute wieder nicht hier sein darf, profilieren Sie sich, Herr Minister Seehofer, mit dem Anspruch auf ein solidarisches Gesundheitswesen, das aber gleichzeitig bezahlbar sein soll. Kostendämpfung mit Hilfe einer Positivliste und strukturelle Veränderungen sind das eine; sie sind auch nötig. Die Wurzel des Übels aber scheint mir darin zu liegen, daß wir eine solidarische Gesundheitsversorgung überhaupt noch nicht haben.
Unser Kassensystem sieht vor, daß sich Menschen mit mittlerem Einkommen gegenüber Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen solidarisch verhalten müssen. Die Menschen mit dem höheren Einkommen und die beamteten Staatsdiener aber werden merkwürdigerweise bei der Pflicht zur Solidarität ausgenommen.
Nun haben wir die Situation, daß die Arbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen ist und daß auch die Zahl der Menschen ohne Einkommen oder mit sehr geringem Einkommen immer weiter zunimmt. Damit gelangt die Solidarität der Menschen mit mittlerem Einkommen allmählich an den Rand des Tragbaren. Was liegt jetzt eigentlich näher, als zu sagen: Die Menschen mit höherem Einkommen und der Staat als Arbeitgeber samt seiner Beamten werden endlich in diese Solidaritätspflicht einbezogen?
Herr Minister Seehofer, ich erkenne an, daß Sie sich in den letzten Jahren mit gewichtigen Gruppen auseinandergesetzt haben, auch mit einem gewissen Erfolg. Daß Sie bezüglich der Positivliste eingeknickt sind, ist sehr bedauerlich,
läßt sich aber vielleicht noch korrigieren.
Wenn Sie aber die Trennung zwischen Privatversicherung und Beihilfe auf der einen Seite und gesetzlicher Versicherung auf der anderen Seite nicht angehen, dann wird es zu einer Lösung der jetzt anstehenden Probleme nicht kommen können.
Es ist klar, daß man nicht von heute auf morgen alles auf den Kopf stellen kann. Als einen ersten möglichen Schritt aber sehen wir die Anhebung der
Kristin Heyne
Pflichtversicherungsgrenze und mittel- bis langfristig eine Angleichung der Privatversicherung an die gesetzliche Versicherung.
Eine Forderung nach Solidarleistungen, die Gutverdienende, den Staat und seine Beamten außen vor läßt, kann auf Dauer nicht glaubwürdig sein. Sie wird ein verläßliches Gesundheitswesen, das wirklich alle absichert, nicht gewährleisten können.
Herr Kollege Dr. Dieter Thomae, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 14 Tagen habe ich hier gesagt: Die Koalition wird handlungsfähig sein und ein Konzept für die Krankenhausreform auf den Tisch legen. Heute liegt es auf dem Tisch.
Ich habe Ihnen zudem versprochen, daß ich mich dafür vehement einsetzen werde.
Meine Damen und Herren, diese Krankenhausreform geht von zwei Säulen aus. Erstens wird eindeutig festgehalten: ambulant vor stationär. Warum? Mit einem solchen Konzept können wir preisgünstiger und sinnvoller arbeiten und sind näher an den Patienten.
Der zweite Schwerpunkt unserer Koalitionsarbeit war, die Selbstverwaltung zu stärken. Dies haben wir geschafft. Wir haben auf der einen Seite die Krankenkassen des Landes, auf der anderen Seite eine Organisation der Krankenhausgesellschaft. Diese beiden verhandeln in Zukunft über die Gesamtausgaben in einem Land; der Staat zieht sich zurück.
Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung. Der Staat zieht sich aus der Gesundheitspolitik zurück und überläßt in Zukunft den Verantwortlichen das Gesamtvolumen der Ausgaben in einem Land. Hier, meine Damen und Herren, ist in Zukunft Kreativität gefragt.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir haben ganz entschieden das mit Ihnen entwickelte Reformkonzept der Bundespflegesatzverordnung übernommen und wollen dies weiterentwickeln. Wir sind heute bei 20 Prozent und nehmen uns fest vor, dies noch nennenswert zu erweitern, damit wir in diesem Bereich mehr Wettbewerb und mehr Transparenz bekommen.
Ich bin sicher, daß wir dann Kosten in nennenswerter Höhe sparen, zumal wir sicherlich die Liegezeiten verkürzen werden. Hier werden alle vor der Frage stehen: Was machen wir mit den Überkapazitäten im Krankenhaus? Wandeln wir die Betten um? Müssen wir Krankenhäuser schließen?
Meine Damen und Herren, das ist ein sehr sensibles Thema. Das wissen wir alle, aber wir werden dem politisch nicht entkommen, wenn wir im Krankenhausbereich wirklich sparen und diese Sparmaßnahmen nutzen wollen, um die ambulante Versorgung erheblich zu verbessern. Wir müssen sie auch verbessern, den wir erwarten von der Ärzteschaft, die im ambulanten Sektor tätig ist, daß sie verstärkt Nacht- und Wochenenddienste übernimmt und daß es sich lohnt, dort verfügbar zu sein, damit wir die Einweisungen, die im Krankenhaus gerade am Wochenende passieren, vermindern können. Wir wissen nämlich: Es gibt am Wochenende Einweisungen ins Krankenhaus, die medizinisch nicht notwendig sind, Fälle also, die ambulant behandelt werden könnten.
Dort liegt für die Koalition der Ansatzpunkt, Kosten zu senken, Ausgaben umzuschichten. Wir sind sicher, daß wir diesen Weg erfolgreich gehen werden.
Ich darf Ihnen versichern: So wie diese Koalition das Krankenhauspaket geschnürt hat, wird sie bis Weihnachten ein Konzept auf den Tisch legen, das die ambulante Versorgung vernünftig, ausgewogen und unter sozialen Aspekten organisiert.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir mit der Koalition auch hier ein Beispiel geben werden, mit dem wir Ihren Vorstellungen begegnen werden.
Ihr Sprecher hat heute der Koalition vorgeworfen, die Gesundheitspolitik der F.D.P. und der Koalition insgesamt sei gescheitert. Da kann ich, wenn ich den Antrag für Ihren nächsten Bundesparteitag lese, nur staunen. Dort wird genau darauf hingewiesen: Wir wollen die Lohnnebenkosten senken, damit Arbeitsplätze gesichert werden! - Was denken Sie eigentlich, worüber die Koalition seit einem Jahr redet? Wir reden seit einem Jahr davon, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen.
Und wo können wir Lohnnebenkosten senken? Gerade im sozialpolitischen Bereich. Dort müssen wir vernünftige und ausgewogene Konzepte auf den Tisch legen. Ich bin froh, daß einige Ihrer Politiker den Mut haben, mittlerweile auch zu sagen, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen, weil andernfalls in Deutschland mehr Arbeitsplätze gefährdet wären, als wir uns heute vorstellen können.
Dr. Dieter Thomae
Viel besser wäre es, wenn Sie sagen würden: Das sind Konzepte, die die F.D.P. schon vor zehn Jahren gepredigt hat, die aber leider heute erst bei uns ankommen!
Von daher haben wir eine Verantwortung dafür, ein ausgewogenes und vernünftiges Konzept zu erstellen, das die Arbeitsplätze in Deutschland sichert, damit wir Sozialpolitik auf Dauer finanzieren können.
Das ist der Weg in die Zukunft, nicht aber eine Budgetierung, wie Sie sie sehen.
Frau Kollegin Dr. Ruth Fuchs, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Jubelrede nun wieder ein kleiner Dämpfer: Wir beraten heute den wohl unsolidesten Bundeshaushalt, der je in diesem Parlament vorgelegt wurde. Wiederum sind es soziale Bereiche, in denen durch Streichung die massiven Deckungslücken geschlossen werden sollen. Das betrifft auch den Einzelplan des Bundesgesundheitsministers.
Bereits mit dem Ansatz der Regierung ist er gegenüber dem Vorjahr erneut empfindlich gekürzt worden. Dabei gilt nach wie vor: Da der Etat des Gesundheitsministers vergleichsweise klein ist, kann mit Streichungen für den Gesamthaushalt zwar nicht viel gewonnen, dafür aber in hochsensiblen Bereichen der Gesundheitspolitik um so größerer Schaden angerichtet werden.
Dessenungeachtet hat die bekannte Mehrheit im Haushaltsausschuß mehr oder weniger nach der Rasenmähermethode weitere unverantwortliche Kürzungen vorgenommen, bemerkenswerterweise übrigens, ohne daß der zuständige Fachausschuß in angemessener Form dazu Stellung nehmen konnte. Einige Beispiele für die Auswirkungen: Chronische Krankheiten stehen heute bekanntlich im Vordergrund der Gesundheitsprobleme der Bevölkerung. Ihre adäquate medizinische Versorgung und soziale Bewältigung ist auch in Deutschland eine der drängendsten, über weite Strecken aber noch nicht genügend gelöste Aufgabe der Medizin.
Um so wichtiger ist es natürlich, entsprechende Modellvorhaben zu fördern. Bundesministerium und Gesundheitsausschuß waren in den letzten Jahren durchaus bemüht, dieser Notwendigkeit Rechnung zu tragen. Nicht so das vorliegende Ergebnis des Haushaltsausschusses. Die dringend benötigten Mittel sind wieder auf einen Stand gekürzt worden, der einem Rückfall um mehrere Jahre gleichkommt. Ähnliches gilt leider für die Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs.
Der Titel „Kosten für den Betrieb nationaler Referenzzentren auf dem Gebiet der Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten" war einer der wenigen, bei dem die Mittel für 1996 erhöht werden sollten. Aber auch er entging dem Rotstift des Haushaltsausschusses nicht. Das ist bei der Bedeutung, die die Infektionskrankheiten, darunter zum Teil ganz neuartige, wiedererlangt haben, eine von Sachkenntnis ganz offensichtlich völlig ungetrübte Entscheidung. Aber auch die Regierung selbst hatte bereits beträchtliche Streichungen vorgenommen. Davon sind unverständlicherweise auch die Aufklärungsmaßnahmen zur Aids-Bekämpfung betroffen. Dabei ist völlig klar, daß jedes Nachlassen bei der Aufklärung, aber auch jede Reduzierung bei den Unterstützungsangeboten für die an Aids Erkrankten beziehungsweise von HIV-Infektionen Betroffenen die bisher erzielten Ergebnisse gefährden, ja, mehr noch, zwangsläufig auf Kosten von Leben und Gesundheit vieler Menschen gehen muß.
Es bleibt noch festzustellen: Der Haushalt leistet wiederum keinen Beitrag zur notwendigen Erneuerung im Gesundheitswesen. Eine aktive Förderung zweckmäßiger Entwicklungen, Strukturen oder moderner Forschungsfelder tendiert praktisch gegen Null. Neue Aufgaben werden so gut wie nicht mehr aufgenommen. Ich erinnere nur an solche Bereiche wie Umweltmedizin oder Kindergesundheit.
In diesem Kontext ist wohl auch zu sehen, wie mit den Ende dieses Jahres auslaufenden Personalstellen im Robert-Koch-Institut umgegangen wurde. Auch zeitlich befristete Arbeitsmöglichkeiten auf der Basis von Forschungsprojekten oder durch Drittmittel finanzierten Vorhaben für einige der betroffenen Mitarbeiter bedeuten letztlich die Nichtanerkennung ihrer Tätigkeit als Daueraufgabe und die Entlassung aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis. Was bleibt, sind erneut enttäuschte und frustrierte Fachleute und verschenkte Möglichkeiten, die Arbeit auf zukunftsträchtigen und bisher relativ schwach entwickelten Gebieten zu verstärken.
Meine Damen und Herren, ob die Haushaltsziele des Bundes 1996 erreicht werden, hängt, so scheint es jedenfalls, auch davon ab, ob es dem Gesundheitsminister gelingt, die Krankenversorgung von über 260 000 ausländischen Bürgerinnen und Bürgern auf eine minimale Akutversorgung zu reduzieren und die Leistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge für mehrere Jahre unter das soziokulturelle Existenzminimum der Sozialhilfe zu drücken. Die hier geplanten Einsparungen sollen den Ländern und Gemeinden offensichtlich die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe und den damit verbundenen Anstieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger gegenfinanzieren und damit schmackhaft machen. Zugleich wird ihnen mit der in diesem Haus bereits scharf kritisierten Novelle des Bundessozialhilfegesetzes eine weitere Kostendeckelung durch Leistungseinschränkung in Aussicht gestellt.
Was wir hier erleben, ist das zynische und kaltschnäuzige Prinzip eines Verschiebebahnhofes, bei dem die Lebensmöglichkeiten von Menschen nur noch als Kostenstellen behandelt werden und auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft Haushaltsgeschäfte abgewickelt werden.
Dr. Ruth Fuchs
Wer also dem Haushaltsgesetz und dem Einzelplan 15 zustimmt, stimmt damit für eine Gesundheits- und Sozialpolitik, die sich, wenn auch zunächst nur bei einer bestimmten Gruppe von Menschen, nicht mehr am medizinisch notwendigen Bedarf gesundheitlicher Versorgung orientiert. Er stimmt letztlich für eine Politik, die absehbar mehr und mehr Gruppen der Gesellschaft aus der normalmedizinischen Versorgung ausgrenzen wird. Wir lehnen den Einzelplan 15 aus diesen Gründen ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Bundesminister für Gesundheit Horst Seehofer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist alles gesagt. Ich möchte mich auf vier Bernerkungen beschränken.
Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Rübenkönig. Wissen Sie, Sie haben von einer „jammervollen Stiftung für die Blutergeschädigten" gesprochen und hier dem Parlament die Information unterschlagen, daß wir als Bundesregierung, als Regierungskoalition durchaus bereit gewesen wären, eine noch höhere Einlage in diese Stiftung zu machen, daß es aber die Länder waren und insbesondere die SPD-regierten Länder, die strikt jede höhere Beteiligung an diesem Aids-Hilfefonds abgelehnt haben.
Meine Damen und Herren, das ist das Erbärmliche, daß sich Politiker hier herstellen, im Deutschen Bundestag mehr fordern, und ihre eigene Partei lehnt es im Bundesrat ab, eine Mark mehr zu bezahlen.
Dann, Herr Kollege Rübenkönig, haben Sie sich mit einem Phantom in der Gesundheitspolitik beschäftigt. Ich kenne die gesundheitspolitischen Vorstellungen und 'Ziele in der Koalition nicht, die Sie hier beschrieben haben. Das ist ein Phantom. Das gibt es nicht,
weder bei dem, was wir heute vorgelegt haben, noch bei dem, was wir in diesem Jahr innerhalb der Koalition noch vereinbaren werden.
Der große Erfolg - das ist Ihr Mißvergnügen - unserer Übereinkunft ist, daß wir in voller Eintracht zwischen F.D.P., CDU und CSU eine Krankenhausreform vereinbart haben, die in erster Linie diejenigen in Verantwortung nimmt, die wirklich Kosten steuern können, nämlich die Krankenkassen und Krankenhäuser. Sie ist aber keine Reform zu Lasten der Patienten. Das ist sozial, und deshalb haben wir recht mit unserem Ziel, die soziale Krankenversicherung in Deutschland beizubehalten.
Wir werden keine anderen Ziele in der zweiten Stufe der Gesundheitsreform vorschlagen. Es mag sein, daß Sie dies aus parteipolitischen Gründen nicht freut. Aber für die Beteiligten im Gesundheitswesen ist das gut.
Wir wollen die gute deutsche Krankenversicherung mit einem umfassenden sozialen Schutz gerade für die Schwerkranken, für die chronisch Kranken, für die Menschen, die es sich ansonsten nicht leisten könnten, ordentlich medizinisch und pflegerisch betreut zu werden, aufrechterhalten.
Unsere Reformen dienen nicht dazu, eine gute Gesundheitsversorgung abzuschaffen, sondern sie dienen dazu, sie in diesem Jahrhundert und weit über dieses Jahrhundert hinaus zu erhalten. Das ist unser Ziel. Zu diesem ganz einfachen Reformvorhaben haben Sie offensichtlich selber die Kraft nicht.
Frau Kollegin Heyne, was nun die Positivliste angeht, so habe ich nicht den Eindruck, daß ich schlotternde Knie habe, daß ich eingeknickt bin, daß ich einen Kniefall vor der Pharmaindustrie oder anderen gemacht habe. Es sind schlicht ganz einfache, logische, im Interesse der Bevölkerung liegende Argumente.
Wenn Sie die Positivliste aus Berlin, die Ihre Kollegin in der letzten Bundestagssitzung hier noch geschwenkt hat und die mittlerweile von Gerichten kassiert ist, uns als Maßstab und Empfehlung für eine richtige Gesundheitspolitik der Zukunft mitgeben wollen, dann begehen Sie eine schwere Sünde an den Grundüberzeugungen der Grünen; denn dann würden Sie über 30 000 sanfte Arzneimittel und Naturheilmittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen ausschließen.
Sagen Sie endlich einmal der Öffentlichkeit, ob Sie das wollen oder ob Sie das nicht wollen. Wenn Sie das nicht wollen, dann sind Sie genau wieder da, wo wir heute sind. Wir haben die Erkenntnis schon wesentlich früher gewonnen, daß dies der Bevölkerung nicht zumutbar ist.
Herr Kollege Rübenkönig, hinsichtlich der Sozialhilfe gibt es ja eine eigenartige Auffassung. Ich frage mich, ob Sie als alte Arbeitnehmerpartei in Deutschland wirklich noch das Ohr bei den Arbeitnehmern haben, die tagtäglich ihre Leistung erbringen und ihre Steuern und Abgaben bezahlen, und ob Sie wirklich diesen Arbeitnehmern sagen wollen, daß die Sozialhilfe, also die Transferleistungen, die an Bedürftige ohne Arbeit gezahlt werden, in den nächsten Jahren stärker als die Nettolöhne der Arbeitnehmer steigen sollen. Das erzählen Sie einmal den Arbeitnehmern.
Die IG Metall schlägt aus ihrer Verantwortung eine Nullrunde vor. Der Kollege Dreßler hat vor wenigen Monaten noch gesagt, die Sozialhilfe müsse im nächsten Jahr, weil wir nach dem Bedarfsdeckungs-
Bundesminister Horst Seehofer
prinzip gehen, um 6 oder 8 Prozent steigen. Wer will denn den Menschen draußen noch erzählen, was Sie hier für eine Politik mit soziologischen Begriffen wie Bedarfsdeckungsprinzip und ähnlichem Käse betreiben?
Meine Damen und Herren, die Leute interessiert nicht, was Sie an Prinzipien vertreten, sondern was sie bekommen. Sie können die Sozialhilfe nicht höher als die Arbeitnehmereinkommen steigern.
Ein solcher Mist! Wollen Sie denn vertreten, wenn einem Menschen eine zumutbare Arbeit angeboten wird, daß auch bei Ablehnung der zumutbaren Arbeit die volle Sozialhilfe gezahlt wird? Da ist es doch höchste Zeit, daß wir die Sozialhilfe zwingend um 25 Prozent kürzen, wenn jemand eine zumutbare Arbeit nicht annimmt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischer?
Ja, mit besonderem Vergnügen.
Herr Kollege Seehofer, ist Ihnen - anders als Ihrem Kollegen Blüm - schon einmal aufgefallen, daß der von der IG Metall angebotene Pakt nicht nur die Lohnzurückhaltung seitens der Gewerkschaften und entsprechende Forderungen an die Unternehmer, was die Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt, enthält, sondern daß er sich auch an die Bundesregierung wendet und insbesondere die Arbeitslosenhilfe betrifft?
Meine zweite Frage dazu ist, ob Sie uns soweit in der Argumentation folgen könnten, daß das Sozialhilfesystem einen anderen Charakter als alle anderen Systeme der Lohnersatzleistungen hat.
Zur IG Metall teile ich das, was der Bundesfinanzminister heute hier gesagt hat: Es ist ein guter Ansatz, eine gute Diskussionsgrundlage, weil endlich einmal die alten, starren Fronten in der Tariflandschaft aufgebrochen werden.
Das kritisiere ich überhaupt nicht. Die große IG Metall eilt der SPD schon voraus, und die SPD wird auf ihrem Parteitag in Mannheim Schwierigkeiten haben, bei diesem Tempo mitzuhalten.
- Auch wenn Sie schreien; das macht überhaupt nichts.
In bezug auf die Sozialhilfe ist klar: Natürlich muß sie in der Höhe so definiert sein, daß sie ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Das wollen wir doch.
Wenn der Bedarf definiert ist, muß man sich doch darüber unterhalten, in welchem Umfang dieser Sozialhilferegelsatz jährlich steigen soll. Meine Damen und Herren, da können wir doch nicht von schönen Bedarfsdeckungsprinzipien und ähnlichem Zeug reden, sondern dann müssen wir feste Prozentsätze nennen. Da sagen wir: Er steigt so wie die Nettolöhne. Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, die SPD hat diesen Deckelungen 1993, 1994, 1995 zugestimmt. Mit Ihrer Zustimmung war das die beste Sozialpolitik. Jetzt machen wir es 1996, 1997 und 1998 ohne Sie; dann ist es plötzlich der soziale Kahlschlag.
Herr Bundesminister, auch der Kollege Diller würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Ich bin ja noch gar nicht mit der Beantwortung der Frage von der Frau Fischer fertig.
Oh, pardon.
Frau Fischer, zur Arbeitslosenhilfe.
- Lassen Sie uns das doch einmal in aller Ruhe durchsprechen! Frau Fischer, ich darf Ihnen als verantwortlicher Ressortminister sagen: Die beste Medizin, auch im Parlament, ist noch immer die Gelassenheit. Bleiben Sie ganz ruhig, ohne Nebenwirkungen, ohne Risiken, ohne Zuzahlung.
Lassen Sie mich zur zumutbaren Arbeit sagen: Wir behaupten doch nicht, daß wir jetzt plötzlich alle arbeitslosen Sozialhilfeempfänger in Arbeit bringen könnten. Aber uns darf der Umstand nicht gleichgültig lassen, daß wir in Deutschland jährlich zwischen 800 000 und 1 Million Arbeitserlaubnisse an Zuwanderer außerhalb der Europäischen Union erteilen, weil wir die Arbeitsplätze mit deutschen Arbeitskräften nicht besetzen können.
Das darf uns nicht gleichgültig lassen.
Bundesminister Horst Seehofer
Ich sage noch einmal: Wir müssen doch unsere Sozialpolitik und die Sozialausgaben einmal denen gegenüber erklären, die Hilfe brauchen - Hilfsbedürftige sollen auch in der Zukunft die notwendige Unterstützung solidarisch erhalten -;
aber wir müssen die Sozialpolitik auch den Menschen gegenüber erklären, die mit ihrer Arbeitsleistung und mit ihren Steuern und Abgaben die Finanzierung der Sozialhaushalte erst möglich machen.
Jetzt noch zu der Sozialhilfe und zu den Kommunen, für die Sie jetzt plötzlich als Anwalt auftreten wollen: Die Belastung, die aus der Änderung der Arbeitslosenhilfe für die Kommunen resultiert, wird mehr als kompensiert durch ein Gesetz, das wir hier vorgelegt haben, nämlich durch das Asylbewerberleistungsgesetz mit Einsparungen von 940 Millionen DM. Wir führen die Diskussion darüber sehr sachlich.
Ich sage: Solange jemand hier herkommt und aus Gründen, die in unserer Verfassung als Grundrecht verankert sind, Anspruch auf Schutz hat, haben wir die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen Schutz auch zu gewähren. Aber solange es sich um einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus handelt, ist es durchaus gerechtfertigt, nicht von der ersten Minute an 100 Prozent der Sozialleistungen zu gewähren, sondern dann nur 80 Prozent zu gewähren.
Haben Sie keine Sorge: Die ganz, ganz große Mehrheit der Bevölkerung gibt dieser Sozialpolitik ihre Zustimmung. Wir haben ihre Unterstützung.
Im übrigen wiederhole ich - es ist von Roland Sauer alles das gesagt worden, was zum Einzelplan 15 zu sagen ist -: Der Einzelplan ist geordnet. Es freut mich, daß selbst die Grünen das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei diesem Einzelplan als außerordentlich günstig einstufen. Ich muß viel Schmerzhaftes politisch mit vertreten. Aber ich sage Ihnen: Ich tue das mit großer Freude. Ich vertrage in der Politik nichts schlechter, als daß ständig vom Sparen geredet wird und man immer nur dann zum Handeln bereit ist, wenn Dritte betroffen sind. Auch wenn ich selbst als Minister mit einem Ressort betroffen bin - es ist viel Schmerzhaftes dabei -, vertrete ich dies mit großem Elan nach außen.
Denn die Bevölkerung - lassen Sie mich dies abschließend einmal sagen - hat diese pausenlosen Schwätzereien vom Sparen und vom Zurückfahren satt. Die Antworten, die Sie immer wieder geben, lauten: entweder Mehrausgaben oder die Suche nach einem anderen Finanzier, womit sich in bezug auf die Belastung für die Bevölkerung, die Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort Deutschland nichts verändern würde.
Ihre Reformkraft erschöpft sich wirklich im Suchen nach anderen Finanzierungsquellen. Wir müssen schon die Kraft aufbringen, wieder einen Gleichklang, eine Balance zwischen dem Zuwachs der Sozialleistungen und dem Zuwachs der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in unserem Land herzustellen.
Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses. Es war für sie keine einfache Arbeit, und ich habe allen Grund, diesen Respekt zum Ausdruck zu bringen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und bitte um Zustimmung zum Einzelplan 15.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Diller.
Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Seehofer, was Sie hier abgeliefert haben, ist bestenfalls geeignet, die Lufthoheit über manchen bayerischen Stammtisch zu gewinnen.
Was Sie hier abgeliefert haben, ist Heuchelei hoch drei. Ich wiederhole es: Heuchelei hoch drei! Denn diese Regierung ist seit 1990 vom Verfassungsgericht angemahnt worden, endlich das Existenzminimum von der Besteuerung freizustellen. Sie besteuern seit vielen Jahren die kleinen Leute in verfassungswidriger Weise.
Hätten Sie das nicht getan, dann wäre das Lohnabstandsgebot viel deutlicher.
Wenn Sie in Ihrer Finanzplanung bis 1999 keine Erhöhung des Wohngeldes vorsehen, das heißt, seit 1990 eine Anpassung des Wohngeldes für die kleinen Leute, für die kleinen Mieter verweigern, dann haben Sie hier überhaupt kein Recht, in dieser Weise aufzutreten.
Diese Koalition ist eine Koalition, die denen, die schon Vermögen haben, durch ihre Steuerpolitik noch Milliarden an zusätzlichem Vermögen gibt
und die deshalb diese Haushaltslöcher hat. Jetzt sollen die kleinen und die mittleren Einkommen rasiert werden, um diese Haushaltslöcher zu stopfen. Das ist eine unglaubliche Politik. Herr Seehofer, dieses Verfahren ist Ihrer unwürdig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun möchte ich auf einen sehr sensiblen Punkt in einer anderen Weise zu sprechen kommen. Ich habe vorhin schon in einer persönlichen Erklärung darauf
Karl Diller
hingewiesen, daß wir in der zweiten Lesung keine Änderungsanträge zum Haushalt stellen,
weil man einen Haushalt, dessen Rahmen gründlich verzogen ist, nicht korrigieren kann, indem man durch Änderungsanträge Blechschäden beseitigt.
Aber es gibt Änderungsanträge kleinerer Fraktionen, die wir auch in den Haushaltsausschußberatungen gestellt haben. Ein solcher Änderungsantrag liegt jetzt vor. Deswegen werden wir uns wegen dieser Übereinstimmung in der Sache in dieser Frage enthalten.
Herr Bundesminister, wollen Sie replizieren?
Nein.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Gruppe PDS auf Drucksache 13/2861. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Grünen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 15 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 15 ist angenommen.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, 8. November 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.