Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weng, nitschewo ne panimali. Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit als Grundprinzipien seriöser Haushaltspolitik werden mit dem heutigen Eintritt in die zweite Lesung des Haushaltsentwurfs 1996 von der CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion und der von ihnen gestellten Regierung für jeden Bürger und jede Bürgerin offenkundig über Bord geworfen. Obwohl sich die Bundesregierung gegenüber dem vom Finanzminister Waigel initiierten haushaltspolitischen Chaos-Herbst mit künstlerischer Gelassenheit, finanzpolitischen Durchhalteparolen und mit der Ultima ratio jedes Staatsbankrotteurs, mit einer Haushaltssperre, wappnet, mußte selbst die ansonsten Waigel-treue ,,FAZ gestern zugeben, daß mit den jüngsten Jongliere-reien nicht nur die Planung für das Jahr 1996, sondern auch die mittelfristige Finanzplanung heute schon weitgehend entwertet seien.
Verläßliche Zahlen sind und bleiben nun einmal die Voraussetzung für eine solide Haushaltspolitik. Doch dazu hätten Sie zumindest einen Ergänzungshaushalt für 1995 vorlegen müssen. Detaillierte Aufschlüsselungen und deren Diskussion, wie der Bund die für 1995 geschätzten Steuermindereinnahmen in Höhe von 10,6 Milliarden DM auffangen kann, wie sie von der gesamten Opposition vor zwei Wochen in diesem Parlament gefordert wurden, sind unerläßlich, um eine realistische Haushaltsplanung für das kommende Jahr zu verabschieden.
Doch weder diesem Fingerzeig noch einer verlängerten und erst damit möglichen gründlichen Beratung des Haushalts 1996 sind Sie gefolgt. Damit haben wir die Situation, einen Haushalt beraten zu müssen, der offenkundig auf tönernen Füßen steht und nicht beratungswürdig, geschweige denn verabschiedungsreif ist.
Der Herr Finanzminister gab sich überrascht und unschuldig, da die Steuerschätzung ja nicht von ihm stamme, und versuchte die Mindereinnahmen mit Konjunkturschwäche und nicht kalkulierbarem fiskalischen Gebaren wie bei der 50prozentigen Sonderabschreibung Ost zu erklären.
Dazu nur folgende Anmerkung: Nur insgesamt 7,2 von 26,1 Milliarden DM, also etwas mehr als ein Viertel der 1995 zu erwartenden Steuermindereinnahmen, können auf die schwächere Konjunktur zurückgeführt werden. Der geringere Zuwachs des nominalen Bruttoinlandsprodukts hat bei der Umsatzsteuer zu einer Mindereinnahme von 3,5 Milliarden DM geführt. Der geringere Anstieg der Bruttolohn- und Bruttogehaltssumme hat bei der Lohnsteuer eine Mindereinnahme von 3,7 Milliarden DM hervorgerufen.
So, wie der Herr Bundeskanzler seit Jahren blühende Landschaften sieht, wo andere stillgelegte Betriebe und brachliegende Felder erblicken, hat auch Herr Waigel die Wirtschaftsentwicklung ständig durch eine rosarote Brille gesehen. Ihrer Finanzplanung, Herr Waigel, lagen stets zweckoptimistische, gesamtwirtschaftliche Anlagen zugrunde, die später von der Realität widerlegt wurden.
Ihr finanztechnischer Taschenspielertrick, die Neuverschuldung gegenüber der früheren Finanzplanung bedeutend höher zu veranschlagen und zu behaupten, die Nettokreditaufnahme werde irgendwann in späteren Jahren auf Rekordtiefe sinken, ist doch längst bekannt. Vergleichen wir einmal die Finanzplanung des Jahres 1993 für das Haushaltsjahr 1996, so zeigt sich, daß die erwartete Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr eben nicht, wie damals gesagt wurde, 22 Milliarden DM, sondern 60 Milliarden DM betragen wird.
Dem Haushaltsentwurf 1996 hat Herr Waigel nun die Prognose zugrunde gelegt, das Bruttoinlandsprodukt werde im nächsten Jahr real um 2,7 Prozent
Dr. Barbara H811
wachsen und beim Bund zu Steuermehreinnahmen von 3 Milliarden DM führen. Im Frühjahr hatte die Bundesregierung sogar noch 3 Prozent reales Wachstum prognostiziert. Das Herbstgutachten des Deutschen Wirtschaftsinstituts geht nun von 2,25 Prozent für 1996 aus und bestätigt damit die weitere Wachstumsverlangsamung.
Dem Haushalt 1995, dessen Haushaltslöcher immer größer werden, lag die Erwartung zugrunde, das Bruttoinlandsprodukt werde real um 3 Prozent stet-gen. Dabei wurde von Wirtschaftsinstituten bereits Ende Juli gesagt, daß eine spürbare Wachstumsverlangsamung sichtbar ist und wahrscheinlich nur eine reale Steigerung in Höhe von 2 Prozent herauskommen wird. Das alles aber hat Herrn Waigel nicht daran gehindert, uns mit optimistischen Prognosen zu beglücken. Ich meine: Dies ist nicht Ergebnis ministerieller Rechenfehler, sondern eiskalt kalkuliert, wie übrigens auch die Steuermindereinnahmen.
Die nunmehr offen zutage getretenen riesigen Haushaltslöcher sind von Herrn Waigel von Anfang an billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar bewußt initiiert worden, um gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament ein Druckmittel in die Hand zu bekommen, die Privatisierung weiterhin forcieren und den weiteren Sozialabbau scheinbar plausibel legitimieren zu können.
Vor diesem Hintergrund, Herr Waigel, offenbart Ihre Bemerkung im Haushaltsausschuß am 25. Oktober, daß auch arbeitsmarktpolitische Leistungen kein Tabu bilden dürfen, finanzpolitischen Zynismus der übelsten Art.
In der politischen Diskussion wird zum Beispiel schamhaft verschwiegen, was das „Handelsblatt" am 30. Oktober wohlwollend mit der immer schwerer werdenden Abschätzung der Einnahmenausfälle auf Grund von Steuerrechtsänderungen umschreibt. Nun frage ich aber: Wer, wenn nicht die Bundesregierung und Ihre Regierungskoalition, hat denn die enormen Steuererleichterungen für Unternehmen und Großverdiener durchgesetzt? Nun zeigen Sie sich überrascht, daß im Haushaltsjahr 1995 statt der insgesamt erwarteten 27 Milliarden DM aus der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer Ende September nur 2,4 Milliarden DM eingenommen wurden.
Herr Waigel, die nun offen zutage getretenen Haushaltslöcher waren genausowenig unvorhersehbar oder zufällig, wie Ihre mittelfristige Finanzplanung von Solidität ist. Mit den am 25. Oktober vorgelegten Vorschlägen zur Deckung des Defizits des Haushalts 1996 haben Sie der Öffentlichkeit nur klargemacht, daß Sie nur ein „Weiter so" kennen.
Außer Sparen und Privatisieren fällt dem Finanzminister nichts ein. Aber selbst in seinem ureigensten Metier wirkt Herr Waigel etwas unbeholfen, ich möchte sagen: schon fast stümperhaft. Gleich einem kurz vor der Pleite stehenden Marktschreier bietet er aus dem Tafelsilber des Bundes 44 000 Wohnungen und den Teilverkauf der Postbank an. Man braucht
nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, daß die realisierten Geschäfte unter diesen Konditionen gewiß so käuferfreundlich wie weiland bei der Treuhand aussehen werden. Die sozialen Belange werden Sie wahrscheinlich hinten herunterfallen lassen.
Daß die Verscherbelung von Bundesanteilen mittel- und langfristig zu Mindereinnahmen des Staates und damit zur Verschärfung der Finanzsituation führt, dämmert sicher auch schon dem Herrn Finanzminister. Dabei wird er vielleicht mit freudigem Interesse die bereits zaghaft und scheinbar ganz unauffällig oder auch auffällig an ihn gerichteten Forderungen über die Notwendigkeit eines Haushaltssicherungsgesetzes registriert haben.
Damit wäre er dann nämlich in der Lage, in gesetzliche Leistungen einzugreifen. So wie wir ihn kennen - das hat er in den letzten Jahren immer wieder demonstriert -, wird er seine langen Finger besonders in die Taschen der Ärmsten stecken.
Meine Damen und Herren, jenseits der flotten Hin- und Herschieberei von Ausgaben und Einnahmen, hinter dem hektischen Verkauf von Bundeseigentum lugt an allen Ecken und Enden das grundsätzliche Elend der konservativen Wirtschaftspolitik hervor. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, energische Beschäftigungspolitik zu betreiben und flüchtet sich statt dessen Jahr für Jahr erneut in marktradikale Dogmen und angebliche Weltmarktzwänge.
Die Folge: Die Massenarbeitslosigkeit nimmt auch in Zeiten konjunktureller Erholung nicht ab. Wenn sich aber die Arbeitsmarktlage nicht entspannt, entsteht eine Haushaltslücke: weniger Steuereinnahmen und mehr Ausgaben bei den Sozialversicherungen. Wenn hier wiederum nur mit Sozialabbau und Einschränkung der staatlichen Nachfrage reagiert wird, sackt die Beschäftigung weiter ab und produziert neue Haushaltslücken.
Das Dogma hat Folgen: Es führt in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale, die nur durch eine neue Beschäftigungspolitik gestoppt werden kann. Aus diesem Grunde werden wir als PDS in diesen Haushaltsberatungen Antrage einbringen: zur Sozialpolitik, zur Arbeitsmarktpolitik - wir sind für eine Aufstokkung - und zur Wohnungspolitik bei geschätzten 800 000 bis 900 000 Obdachlosen in Deutschland in diesem Jahr. Finanzierungsvorschläge werden wir vorlegen, u. a. weitreichende Vorschläge, die den Verteidigungshaushalt betreffen, die auch seriös sind, weil sie sich hauptsächlich auf die Neuinvestitionen konzentrieren.
Wenn man eine Rückkehr zu gesunden Staatsfinanzen erreichen will, führt aber letztendlich kein Weg an der Umverteilung von Einkommen und Vermögen und an der Veränderung der Steuerbelastung vorbei. Das Aufkommen aus den einzelnen Steuerarten gibt aufschlußreiche Anhaltspunkte dafür, inwieweit die Steuerpolitik der letzten Jahre die Einnahmeausfälle hervorgerufen hat. Es ist eben nicht so, als wären die Steuern immer für alle erhöht worden. Zwischen 1984 und 1994 ist nach Angaben des Instituts für Finanzen und Steuern das Aufkommen aus
Dr. Barbara Höll
der Lohnsteuer um 136,4 Prozent gestiegen, das aus der Umsatzsteuer um 113,3 Prozent, das aus der Gewerbesteuer nur um 55,87 Prozent und das aus der Vermögensteuer um 46,7 Prozent. Die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer gingen dagegen um 25,5 Prozent zurück, und die Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer waren mit minus 3,4 Prozent ebenfalls rückläufig.
Diese Zahlen belegen eindeutig, daß unter der Regierung Kohl erstens eine drastische Umverteilung des Volkseinkommens zu Lasten der Löhne und Gehälter und zweitens eine ebenso drastische Verschiebung bei der Besteuerung der Gewinne und Löhne stattgefunden hat. Beide Umverteilungen, an denen sich bei Bedarf auch die SPD beteiligt, führen nicht zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern zu deren Verdoppelung. Das ist verständlich, weil die Unternehmen angesichts der schwachen Konsumnachfrage ihre Kapazitäten eben nicht auslasten, sondern bei den bestehenden rationalisieren. Das wiederum führt zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und massenhafter Anlage von Gewinnen als Geld- und Spekulationskapital.