Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Urteil der Bevölkerung und der Medien über das, was die Regierung Kohl und die Koalitionsfraktionen als Bundeshaushalt 1996 vorlegen, ist deftig:
„Haushaltspolitischer Schindluder" , „Griff in die Trickkiste", „Im Treibsand", „Durchlavieren", „Schönfärberei", „Verlegenheitsrechnung" lautet zu Recht die vernichtende Kritik der Öffentlichkeit.
Tatsache ist, daß Minister Waigel die dramatische Verschlechterung der Bundesfinanzen monatelang verschleiert und geleugnet hat,
daß er schließlich ein 20-Millfarden-Loch im Haushalt 1996 eingestehen mußte und daß er nicht in der Lage war, glaubwürdige Deckungsvorschläge vorzulegen.
Dieser Finanzminister erfüllt damit nicht die Anforderungen, die an dieses Amt gestellt werden.
Der Kanzler, der zu alledem schweigt und diese Alarmzeichen nicht zur Kenntnis nehmen will,
muß sich die gleichen Vorwürfe gefallen lassen.
Ihre Politik führte innerhalb eines halben Jahres, zwischen Mai und Oktober, zu einem in diesem Ausmaß beispiellosen Absturz der für 1995 und 1996 geschätzten Steuereinnahmen von 55 Milliarden DM.
Allein in der Bundeskasse fehlen 27 Milliarden DM.
Diese Steuerausfälle und der Ausgabenmehrbedarf in 1996 zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit in Höhe von 7 Milliarden DM sind aber nicht wie ein Naturereignis über die Bundesregierung hereingebrochen.
Denn bereits zum Zeitpunkt der Einbringung des Haushaltsentwurfs im Sommer war eine deutliche Konjunkturabschwächung erkennbar. Nichts deutete darauf hin, daß sich an diesem Verlauf irgend etwas ändern würde. Schon im März lagen die Steuereinnahmen des Bundes um fast 10 Milliarden DM unter denen des Vorjahresmonats. Der Einbruch der Steuereinnahmen war deshalb frühzeitig erkennbar.
Wir, die SPD, haben Ihnen, Herr Waigel, im August vorgehalten, daß Ihr Haushalt ein zweistelliges Milliardenloch aufweist.
Sie dagegen haben in der ersten Lesung am 5. und am 8. September vor dem Bundestag die Risiken in ein, zwei Halbsätzen kleingeredet und uns vorgehalten, wir würden - ich zitiere - „die Mär von den Haushaltslöchern" verbreiten.
Heute weiß man: Die SPD sprach die Wahrheit aus, Waigel aber nicht.
Deswegen, meine Damen und Herren, mißbilligen wir auf das schärfste die Mißachtung des obersten Grundsatzes von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit durch Bundesfinanzminister Dr. Waigel. ,
Vor zwei Monaten hat er - ausgerechnet er! - von dieser Stelle aus gesagt: „Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. "
Hätte die Regierung Kohl ehrlich gearbeitet, dann wäre dem Haushaltsausschuß eine vom Kabinett ordentlich beratene und beschlossene Ergänzungsvorlage zugeleitet worden. Sie, Herr Waigel, haben sich davor gedrückt, weil innerhalb der Koalition keine Einigkeit darüber besteht, wie das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt dauerhaft zu schließen ist.
Karl Diller
Einen Finanzminister, der kneift, kann sich dieses Land aber nicht erlauben.
Mit dem berüchtigten Waigel-Wisch wollte der Finanzminister schließlich ein 20-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt verkleistern. Dieser Wisch war finanzpolitisch unsolide, handwerklich eine Blamage und parlamentarisch eine Mißachtung des Deutschen Bundestages.
Ihre sogenannten Deckungsvorschläge stammen entweder aus der Trickkiste - wie die Vorverlegung des Mineralölsteuertermins; sie bringt kein zusätzliches Geld, sondern zieht lediglich 2,6 Milliarden DM aus dem Jahr 1997 in das Jahr 1996 vor;
wer künstlich die Bilanz schönt, Herr Waigel, der hat es nötig -, oder sie stammen aus Luftbuchungen, die Sie einstellen, wie bei den Privatisierungseinnahmen von 9 Milliarden DM.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die wesentlichen Vorhaben sind nicht etatfähig. Nicht etatreif sind die 1,7 Milliarden DM für die Deutsche Lufthansa, weil der Gang an die Börse zur Zeit versperrt und eine rechtlich einwandfreie Lösung für den Verkauf nicht gefunden ist. Nicht etatreif ist der Verkauf der Deutschen Bundesbank, nein: der Postbank für über 3 Milliarden DM.
- Das wäre was! Das wäre Ihnen auch noch zuzutrauen.
Herr Waigel, Sie selbst stellen fest:
Der voraussichtliche Zeitpunkt eines Erlöses läßt sich erst nach einer Prüfung aller in Frage kommenden Verkaufsmodelle festlegen.
Im Klartext heißt das: Die Etatisierung verstößt gegen Haushaltsrecht.
Weder liegt der Wert des Unternehmens fest, noch besteht in der Koalition Einigung über die Zielrichtung des Verkaufs. Dreist ist die Ungeniertheit, mit der Sie die Verkaufserlöse zum Stopfen von Haushaltslöchern zweckentfremden wollen.
Wie sagte Staatssekretär Dr. Laufs 1994 im Finanzausschuß - ich zitiere -:
In den Erörterungen mit dem Bundesfinanzministerium ist deutlich geworden, daß dieses Vermögen zur Abdeckung der Pensionsverpflichtungen eingebracht werden muß, so daß dem Bundeshaushalt keine Gewinne zufließen.
Heute wollen Sie etwas ganz anderes versuchen.
Nicht etatreif sind die 4 Milliarden DM, die Sie aus dem Verkauf zweier Wohnungsbaugesellschaften mit 48 000 Wohnungen erzielen wollen.
Das ist eine Luftbuchung, weil dieser Verkauf weder durchdacht noch mit den Mitgesellschaftern beraten ist.
Wir sind nicht nur empört über die Art und Weise, wie hier mit den Haushaltsgrundsätzen umgegangen wird. Wir sind auch empört über die Bedenkenlosigkeit, mit der CDU, CSU und F.D.P. dieses hochsensible Thema Wohnen behandeln.
Innerhalb von 24 Stunden stellt diese Koalition 48 000 Wohnungen zur Disposition, in denen überwiegend die Meinen Leute wohnen: von den Postlern über die Eisenbahner bis zu den Bundeswehrangehörigen.
Nach dem schrittweisen Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau, bei dem Sie in diesem Haushalt wieder 600 Millionen DM kürzten, ist jetzt wohl der Rückzug aus der Wohnungsfürsorge an der Reihe. Die Politik der sozialen Kälte ist das Markenzeichen der Damen und Herren auf der rechten Hälfte dieses Hauses.
Die Koalition handelt im Haushaitsausschuß nach der Devise: Augen zu und durch.
- Wer wie die Kollegin Albowitz Waigels unseriöse Vorlagen in einer Sonntagszeitung vor acht Tagen öffentlich deutlich kritisierte, der wird binnen weniger Tage zum Umfallen gezwungen. Ich zitiere Sie, Frau Albowitz:
Vorschläge wie der Verkauf der Postbank oder der Lufthansa sind für mich nicht seriös, weil für diese Verkäufe keine konkreten Zahlen vorliegen.
Karl Diller
Umfallen war aber schon immer das Kennzeichen der F.D.P.
Im Haushaltsentwurf für 1996 wurden von 452 Milliarden DM ganze 700 Millionen DM - das sind 0,15 Prozent des Haushaltsvolumens - „eingespart". Das Wort „eingespart" setze ich in Anführungszeichen, weil selbst das nicht durch politische Gestaltung, sondern durch Absenkung von Schätzansätzen erfolgt.
Der Bundesfinanzminister hat kürzlich im Finanzplanungsrat die tatsächlichen Bundesausgaben in diesem Jahr einschließlich Kindergeld auf 468 Milliarden DM beziffert. Das heißt, in vergleichbarer Rechnung, also einschließlich der Systemumstellungen beim Familienleistungsausgleich und bei der Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs, steigt der Bundeshaushalt 1996 um 2,4 Prozent an. Kommen Sie uns ja nicht wieder mit angeblichen Minusraten, Herr Waigel!
Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, ist in Wahrheit das Eingeständnis, einen immer geringer werdenden Beitrag zur Bewältigung notwendiger Strukturveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft unseres Landes zu leisten.
Ihr Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau ist verantwortungslos.
Ihre Handlungsblockaden in der Umweltpolitik sind ein Armutszeugnis.
Ihr Stillstand in der Bildungs- und Forschungspolitik ist für den Standort Deutschland bedrückend.
Ihre Kürzungen der Investitionen sind ein arbeitsmarktpolitischer Skandal.
Ihre Haltung zu den neuen Ländern gefährdet den dortigen wirtschaftlichen Aufbau.
In Ostdeutschland ist vieles in Gang gekommen; aber die Hoffnung, daß die Entindustrialisierung auf Grund des ersten D-Mark-Schocks durch einen sich selbst tragenden industriellen Aufschwung abgelöst wird, hat getrogen. Um so wichtiger ist es, daß die Menschen in den neuen Ländern nicht das Vertrauen in die solidarische Politik des Bundes verlieren.
Der Bundeshaushalt 1996 und die mittelfristige Finanzplanung geben jedoch das falsche Signal; denn die Ausgaben des Bundes für die neuen Länder gehen von 1995 auf 1996 um 16 Milliarden DM zurück,
so daß die Begrenzung der Bundesausgaben im Ergebnis auch auf Kosten der neuen Länder erfolgt. So kürzen Sie zum Beispiel die Mittel für die regionale Wirtschaftsstruktur um eine halbe Milliarde DM und strecken Verkehrsprojekte der deutschen Einheit.
Die Forderungen der ostdeutschen CDU-Abgeordneten haben Sie im Haushaltsausschuß einfach in den Papierkorb geworfen. Ich bin gespannt, ob sich die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion diesen Affront gefallen lassen.
Die Leistungen des Bundes im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms bleiben um über 10 Milliarden DM hinter der 1993 gegebenen Zusage zurück. Das mit diesem Programm verfolgte Ziel, die Finanzen der neuen Länder und Gemeinden auf eine krisenfeste Grundlage zu stellen, wird brüchig. Das muß uns über Fraktionsgrenzen hinweg in der nächsten Zeit intensiv beschäftigen.
Es ist schon ein starkes Stück, Herr Waigel, wenn Sie in diesen Tagen einen Stabilitätspakt zwischen Bund und Ländern anmahnen und gleichzeitig massiv finanzielle Lasten vom Bund auf die Länder und die Gemeinden abschieben wollen:
beispielsweise beim Aufbau Ost, bei der Arbeitslosenhilfe und bei der kostenlosen Beförderung der Schwerbehinderten.
Zum wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland mit Hilfe massiver staatlicher Unterstützung gibt es keine Alternative. Die Förderung darf deshalb nicht zurückgefahren werden, sondern ihre Zielgenauigkeit muß verbessert und effektiver gestaltet werden. Dieser Aufgabe haben Sie sich bisher völlig unzureichend gestellt. Es besteht dort ein Förderwirrwarr. Die über 500 Programme mit über 700 Einzelmaßnahmen müssen konzeptionell überarbeitet und gebündelt werden, damit die Mittel auch dorthin kommen, wo sie wirklich gebraucht werden.
Die Vorbelastung künftiger Haushaltsjahre durch Verpflichtungsermächtigungen hat ein bisher nicht gekanntes Ausmaß angenommen. Im Verkehrshaushalt haben Sie bereits den Punkt erreicht, daß neue Maßnahmen nicht mehr begonnen werden können, weil die Ausgabenansätze gerade dafür reichen, eingegangene Verpflichtungen aus den Vorjahren zu finanzieren. An diesem Punkt ist Ihr Handlungsspielraum bei Null.
Weil der Bund finanziell am Ende ist, weichen Sie im Bildungs-, im Forschungs- und im Verkehrsbereich auf private Vorfinanzierungen aus. Das geht voll zu Lasten künftiger Haushalte. Der Bundesrechnungshof stellt für den Verkehrssektor fest, daß dadurch die Finanzierung der im Bundesverkehrswegeplan vorgesehenen Maßnahmen erschwert wird. Ich fordere Sie, Herr Waigel, auf, sich mit der Kritik
Karl Diller
des Rechnungshofs wirklich auseinanderzusetzen, anstatt sie als lästig beiseite zu schieben.
Wie unkritisch der Bundesfinanzminister mit den Verteidigungsausgaben umgeht, ist ein starkes Stück. Obwohl Sie am 17. Oktober dieses Jahres eine Haushaltssperre verfügten, genehmigen Sie Beschaffungen durch den Verteidigungsminister, die noch nicht einmal im Haushalt eingeplant waren, zum Beispiel den Kauf von gebrauchten Flugzeugen, als wäre das Geld in Hülle und Fülle vorhanden.
Sie lassen es zu, daß sich der Verteidigungsminister durch künstlich überhöhte Veranschlagungen für 1996 eine schwarze Kasse von über 400 Millionen DM zulegt. Der Verteidigungshaushalt ist für Sozialdemokraten kein Steinbruch der Haushaltspolitik, aber wir haben den Eindruck, unter Minister Rühe wird einfach nicht sparsam genug mit dem Geld des Steuerzahlers umgegangen.
Unsere Kürzungsvorschläge in diesem Bereich lehnten Sie im ersten Durchgang ab, um sie im zweiten da wieder aufzugreifen, wo es Ihnen paßt. Dort aber, wo dem Bürger signalisiert würde, daß auch die Regierung Kohl bei sich selbst bereit ist, massiv zu sparen, kneift sie. Warum gibt diese Regierung 450 Millionen DM nur für Propaganda aus?
Ihre falsche Politik wird doch nicht dadurch besser, daß Sie sie in Hochglanzbroschüren millionenfach unter die Leute bringen wollen.
Leider verbietet mir die Verschwiegenheitspflicht nach dem Aktiengesetz und nach dem Kreditwesengesetz, Ihnen darüber ausführlich und konkret zu berichten, was der Rechnungshof zusammengetragen hat. Wenn die Bevölkerung wüßte, was der Bundesrechnungshof auf diesen 48 Seiten alles an milliardenschweren Verschwendungen in der politischen Verantwortung von Minister Waigel kritisiert, dann würde sie ihn aus dem Amt jagen.
Die SPD hat auf Umschichtungsanträge zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts verzichtet, um damit klarzustellen, daß es an diesem völlig verfahrenen Haushalt nichts mehr zu reparieren gibt. Sie haben den Haushalt wie ein Auto gegen die Wand gefahren, und der Rahmen ist total verzogen. Wenn der Rahmen total verzogen ist, dann genügt es nicht mehr, nur die Blechschäden zu reparieren. Da kommt am besten ein neues Auto in Frage.
Deshalb haben wir unsere Alternativen zu Ihrer Politik in einem Entschließungsantrag zur dritten Lesung zusammengefaßt.
Am 14. Dezember dieses Jahres schlägt dem Bundesfinanzminister eine historische Stunde. Der Bund der Steuerzahler hat vor seinem Eingang eine Schuldenuhr angebracht. Die wird an diesem Tag um 15.30 Uhr auf 2 000 Milliarden DM Schulden springen. Innerhalb Theo Waigels Amtszeit haben sich Schulden und Zinslast mehr als verdoppelt. Er und sein Kanzler Kohl sind damit die größten Schuldenmacher aller Zeiten.
1996 werden die Zinszahlungen des Staates 145 Milliarden DM ausmachen, davon allein 92 Milliarden DM beim Bund. Die Zinsen für das Waigelsche Bundesschuldenmassiv - „Schuldenberg" wäre Verniedlichung - fressen die Steuereinnahmen förmlich auf. 1991 waren es noch rund 13 Prozent der Einnahmen oder jede achte Mark, die für Zinszahlungen draufging. Im nächsten Jahr werden es über 26 Prozent sein. Das heißt, jede vierte Steuermark geht ausschließlich für Zinszahlungen drauf. Das ist eine Umverteilungspolitik. Was Sie dem Bürger an Arbeitsmarktpolitik, an einem besseren Verkehrssystem, an besserer Ausbildung oder an mehr Wohnungen verweigern, fließt als Vermögensbildung in die Taschen der Kapitalanleger.
Mehr denn je ist richtig: Sie regieren zu Lasten der Zukunft unserer Kinder.
Der Finanzminister versucht, diese deprimierende Bilanz mit dem Hinweis zu beschönigen, daß er - ich zitiere - in den letzten beiden Jahren, also 1993 und 1994, 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht habe, als im Finanzplan vorgesehen. Herr Waigel, da haben Sie wohl in den falschen Finanzplan geschaut, denn im Finanzplan 1992 veranschlagten Sie für 1993 und 1994 eine Neuverschuldung von zusammen 68 Milliarden DM. Im Ergebnis waren es aber nicht 68 Milliarden, sondern 116 Milliarden DM neue Schulden, und das sind immer noch 48 Milliarden DM mehr, als ursprünglich eingeplant, und nicht, wie Sie behaupten, 40 Milliarden DM weniger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie machen Finanzpläne wohl in Anlehnung an Brechts „Dreigroschenoper" . Da heißt es nämlich:
Ja, mach nur einen Plan,
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, Gehn tun sie beide nicht.
Auch die Beurteilungen aus dem Ausland werden kritischer. Die OECD hat Ihnen vorgehalten, daß Sie falsch rechnen. Nach den OECD-Zahlen steht
Karl Diller
Deutschland bei der Nettoverschuldung, das heißt unter Berücksichtigung der riesigen Überschüsse, die Sozialversicherungen in anderen Ländern haben, schlechter da als USA, Japan, Frankreich oder die skandinavischen Länder. Mit seinem Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt steht Deutschland danach sogar schlechter da als der Durchschnitt der sieben wichtigsten Industrieländer. Herr Waigel, der Lack ist ab, der Glanz bei Ihnen ist hin.
Das 20-Milliarden-DM-Loch im Bundeshaushalt zeigt nur die Spitze des strukturellen Haushaltsdefizits, das Sie mittelfristig weder mit höheren Steuern noch mit immer neuen Schuldenrekorden, noch mit einem ungezügelten Verhökern von staatlichen Vermögenswerten werden schließen können.
Ihre angeblich symmetrische Finanzpolitik von Schuldenabbau und Steuersenkung ist ein Flop. Sie stecken dauerhaft in der Schuldenfalle und haben in Wahrheit kein Geld für Steuersenkungen.
Die SPD-Fraktion zieht aus dem Steuereinbruch von 55 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden drei Schlußfolgerungen:
Erstens. Mit Ihrer Steuerpolitik haben Sie die Axt an die finanziellen Grundlagen unseres Staates gelegt. Ihre Steuerpolitik ist zusammengebrochen. Wie urteilte der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes:
Das System ist konzeptlos, die Steuersätze sind maßlos, und die Bürger sind fassungslos.
Recht hat er!
Viermal mußte das Bundesverfassungsgericht die Regierung Kohl zur Ordnung rufen: beim Familienleistungsausgleich, beim steuerfreien Existenzminimum, bei der Zinsbesteuerung und jüngst bei den Einheitswerten. In allen Fällen hatten Sozialdemokraten tragfähige verfassungskonforme Konzepte vorgelegt, denen Sie sich über lange Zeit verweigerten.
Beim Familienleistungsausgleich und beim steuerlichen Grundfreibetrag und jetzt bei der Wohnungsbauförderung haben wir Sozialdemokraten die Bundesregierung und die Koalition im Ergebnis dazu gebracht, unsere Vorstellungen zu übernehmen. Aber die Reparatur der Grundübel Ihrer Steuerpolitik in den letzten zwölf Jahren steht noch aus. Sie haben die Belastung des Durchschnittsverdieners mit Steuern und Abgaben auf 48 Prozent geschraubt. Die Regierung Kohl ist damit der größte Steuer- und Abgabenerhöher aller Zeiten.
Ihre Steuerpolitik hat zu einer vollkommenen Unübersichtlichkeit des Steuerrechts und zu einer totalen Überforderung der Finanzverwaltung geführt. Ergebnis ist ein immer stärkeres Auseinanderfallen der Spitzensteuersätze einerseits und der tatsächlichen Steuerbelastung andererseits. Ihre Politik hat das Tor zur legalen Steuerverkürzung, aber auch zur illegalen Steuervermeidung weit geöffnet. Der Steuerehrliche ist durch Ihre Politik der Dumme. Das ist das Schlimme daran.
Der Überbelastung des Normalverdieners steht die Übersubventionierung unproduktiver Kapitalanlagen gegenüber. Diese Bundesregierung hilft denen, die sich selber helfen können. Diese Bundesregierung fördert die Vermögensbildung bei denen, die bereits Vermögen haben. Die Gerechtigkeitslücke ist weiter aufgerissen denn je.
Der Staat verfügt über keine verläßlichen Schätzgrundlagen mehr für seine Steuereinnahmen. Der dramatische Steuereinbruch von 55 Milliarden DM geht zu einem hohen Anteil darauf zurück, daß Steuersubventionen von Kapitalanlegern in einem wesentlich höheren Ausmaß als erwartet in Anspruch genommen werden.
Diese Milliardenausfälle müssen Anlaß zu einer Durchforstung, Herr Waigel, und Korrektur ganz offensichtlicher Fehlsubventionierungen sein. Es geht nicht an, daß uns die Vermögenden und die Spekulanten mit überzogenen Steuerabschreibungen riesige Haushaltslöcher reißen und Sie dann die staatlichen Investitionen in Bildung, in Forschung, in Arbeit und Wohnen dafür kürzen wollen. Das geht nicht an.
Dazu dürfen Sie als Bundesfinanzminister nicht länger schweigen. Hier haben Sie nicht nur einen Handlungsbedarf, hier besteht Handlungszwang.
Die zweite Schlußfolgerung aus dem 55-Milliarden-Loch heißt: Die Regierung Kohl ist nicht in der Lage, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu verbessern, daß von ihnen ein durchgreifender Impuls auf die Beschäftigung ausgeht. Wie Sie, Herr Waigel, noch erwarten können - ich zitiere Sie -, „daß die private Nachfrage als wichtigste Konjunktur- und Wachstumsstütze kräftig anzieht", das bleibt Ihr Geheimnis.
Durch Ihre verfehlte Politik steigen nämlich 1996 die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung. Einschließlich der Pflegeversicherung gehen im nächsten Jahr rund 30 Milliarden DM
Karl Diller
an Abgabenerhöhungen zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Betriebe.
Sie machen damit weitgehend kaputt, was wir Sozialdemokraten Ihnen mühsam zur finanziellen Entlastung der Bürger und der Familien mit Kindern abgerungen haben.
Die Regierung Kohl dreht sich auf einem Steuer- und Abgabenkarussell ohne Ende.
Die dritte Schlußfolgerung aus dem 55-MilliardenLoch heißt: Die Grundlagen Ihrer mittelfristigen Finanzplanung sind zusammengebrochen.
Kennzeichnend dafür ist bereits die Art und Weise, wie Sie mit dem konjunkturell bedingten Steuerausfall umgehen. Noch beim Konjunktureinbruch 1993 waren Sie der Meinung: Konjunkturell bedingte Steuermindereinnahmen sind durch eine Erhöhung der Neuverschuldung auszugleichen. Sie nannten dies - ich zitiere Sie -: die antizyklischen Stabilisatoren wirken lassen. Jetzt aber müssen Sie diesen Weg scheuen, weil Sie damit eine Lawine lostreten würden. Jeder weitere Anstieg über die sprunghaft auf 60 Milliarden DM gestiegene Neuverschuldung hinaus käme nämlich Ihrem öffentlichen Eingeständnis gleich, daß Ihre Politik gescheitert ist, daß Steuersenkung und Abbau der Staatsquote in weite Ferne gerückt sind.
Ihre Finanzplanung sieht für 1997 bisher eine Neuverschuldung von 50 Milliarden DM vor. Das wäre kein Abbau, sondern so hoch wie dieses Jahr. Dazu kommen aber der Basiseffekt des jetzigen Einbruchs bei den Steuereinnahmen - er ist noch nicht berücksichtigt - sowie ein weiterer Bedarf in Milliardenhöhe bei der Bundesanstalt für Arbeit, für den Sie auch nicht vorgesorgt haben.
Schließlich stehen Sie immer noch bei Leistungsverbesserungen, zum Beispiel beim Wohngeld, im Wort.
Wenn man das zusammenrechnet, kommt man in die Größenordnung eines zweistelligen Milliardenrisikos für 1997. Das heißt, der von Minister Rexrodt vor wenigen Monaten errechnete Steuersenkungsspielraum von 50 Milliarden DM bis 1998 ist dahingeschmolzen wie Schnee in der Sonne, der angekündigte Spielraum für Senkungen des Solidarzuschlags genauso.
Ob Unternehmensteuerreform oder Solidarzuschlag,
lassen Sie sich eines gesagt sein: Für Steuersenkungen auf Pump sind wir Sozialdemokraten nicht zu haben.
Die Regierung Kohl/Waigel versucht immer noch, sich um die Wahrheit herumzumogeln, daß die öffentlichen Haushalte nur zu sanieren sind, wenn die gewaltigen Kosten der Arbeitslosigkeit - man sagt: 140 Milliarden DM jährlich - deutlich gesenkt werden. Das darf aber nicht durch Sozialabbau wie mit der von Ihnen vorgesehenen Kürzung der Arbeitslosenhilfe um 3,4 Milliarden DM geschehen, sondern das muß durch eine Politik erfolgen, die wettbewerbsfähige neue Arbeitsplätze schafft.
Während diese Bundesregierung den Sozialstaat vor allem als Kostenfaktor sieht, ist die soziale Sicherheit für Sozialdemokraten ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil des Standortes Deutschland. Die Politik der Regierung Kohl reduziert sich auf fortwährende Angriffe gegen den Sozialstaat, auf Angriffe gegen die Tarifautonomie, auf Angriffe gegen die Mitbestimmungsrechte,
auf Angriffe gegen die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung und gegen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Ihre Antwort auf den rasanten ökonomischen Strukturwankel, auf die Internationalisierung der Produktions- und Kapitalmärkte ist die Teilnahme am weltweiten Kostensenkungswettlauf. Wenn Sie Kostensenkung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Personalseite und durch Entlassungen suchen, geben Sie einen unverzichtbaren Standortvorteil dieses Landes auf. Sie entwerten unser Kapital an hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Von Ludwig Erhard bis Helmut Schmidt galt: Moderne Wirtschaftspolitik ist gleichzeitig auch fortschrittliche Gesellschaftspolitik.
Es war das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft, das diesem Land einen beispielhaften Wohlstand ermöglichte. Wir Sozialdemokraten wollen deshalb eine neue, auf enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Gewerkschaften, Staat und Bundesbank ausgerichtete Strategie von Angebots- und Nachfragepolitik, die die Umgestaltung der industriellen Produktion vorantreibt. Mit einer ökologischen Modernisierung der Wirtschaft wollen wir Zukunftsmärkte erschließen und neue Arbeitsplätze schaffen. Während sich Ihre Koalition über eine ökologische Steuerreform zerstreitet und mit der Einführung einer CO2-/ Energiesteuer ebenso Schiffbruch erleidet wie mit der Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralöl-
Karl Diller
steuer, haben wir Sozialdemokraten ein Konzept vorgelegt, das die Kräfte des Marktes für den Umweltschutz nutzbar macht. Die Leitidee unserer Steuerreform heißt: Runter mit den Lohnnebenkosten bei gleichzeitigen Anreizen für mehr Umweltschutz und Energieeinsparung! Und dieses Konzept wird strikt aufkommensneutral sein.
Wir wollen eine Technologie- und Strukturpolitik, die die Herstellung innovativer und international wettbewerbsfähiger Produkte vorantreibt. Nur auf diesem Wege kann der internationale Wettbewerb gewonnen werden. Erforderlich ist industrielle Zusammenarbeit in Forschung, Ausbildung, Produktion und Vertrieb, um die in Deutschland vorhandenen Spitzentechnologien zur Entwicklung neuer Produkte zu verknüpfen. Dafür muß die Wirtschaft flexibler werden. Die Politik kann fehlende Innovationskraft bei den Unternehmen nicht ersetzen. Aber wir können durch die Modernisierung des Staates unseren Beitrag dazu leisten, meine Damen und Herren.
Investitionen in Bildung, Ausbildung, Forschung und Wissenschaft sind Investitionen für die Zukunft. Deshalb brauchen wir eine Qualifikationsoffensive und eine Reform des dualen Ausbildungssystems. Damit meinen wir keine kurzatmigen Sonderprogramme und auch keine rückwärtsgewandten BAföG-Verschlechterungen à la Rüttgers. Sie wollen damit doch nur fähige junge Leute aus einfachen Verhältnissen vom Studium abschrecken.
Dieses Land braucht aber keine Abschreckung, sondern eine Strategie zur Ausschöpfung der im Volk vorhandenen Bildungspotentiale, meine Damen und Herren.
Mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wollen wir dafür sorgen, daß die Mittel, die jetzt vor allem für die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden, künftig verstärkt für die Finanzierung von Arbeit eingesetzt werden. Unser Konzept zur Modernisierung und Verzahnung der Arbeitsmarkt- und der regionalen Strukturpolitik und für eine bessere Verteilung der Arbeit liegt dem Bundestag vor. Weil dies angesichts von 3,5 Millionen Arbeitslosen vordringlicher ist als alles andere, fordern wir Sie erneut auf: Verweigern Sie sich nicht weiter, sondern beschreiten Sie mit uns neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Beschäftigung führen!
Der Sozialstaat muß finanzierbar bleiben,
aber nicht durch Sozialabbau, sondern durch eine
Politik des sozialen Umbaus. Nur wenn die Politik
den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften dabei
ermöglicht, trotz zunehmender persönlicher Risiken den Strukturwandel engagiert und motiviert mitzutragen, wird die Modernisierung Deutschlands gelingen. Deshalb erteilen wir Ihren erneuten Angriffen auf die Arbeitslosenhilfe eine deutliche Absage.
Wir Sozialdemokraten halten am Ziel einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fest; sie muß kommen. Aber sie darf nur kommen als Stabilitätsgemeinschaft. Deshalb müssen die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages strikt eingehalten und durch eine bessere Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Teilnehmerstaaten auf Dauer gesichert werden.
Zuruf von der CDU/CSU: Das habt ihr vom
CDU-Parteitag abgeschrieben!)
Wenn die Feststellung des Finanzministers zu den Chancen eines Mitgliedstaates, 1997 die MaastrichtKriterien zu erfüllen, zum Absturz der dortigen Währung, der Lira, und zu Wettbewerbsnachteilen für deutsche Unternehmen führt, dann ist das ein Alarmzeichen. Anscheinend gibt es in Europa eben doch die Meinung, daß im Zweifel die Stabilitätskriterien politisch aufgeweicht werden, um einer größeren Zahl von Mitgliedsländern den Eintritt in die Währungsunion zu ermöglichen.
Gemeinsames Geld ist gemeinsames Schicksal, meine Damen und Herren. Deshalb wird die Fraktion der SPD einer gemeinsamen europäischen Währung nur zustimmen, wenn sichergestellt ist, daß dieses Geld auf Dauer so stabil ist wie die Deutsche Mark.
Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die vielfach geäußerten Befürchtungen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger wirklich ernst zu nehmen. Sie sind mit Ihrer Politik den überzeugenden Beweis schuldig geblieben, Herr Kohl, daß die Wirtschafts- und Währungsunion zu mehr Wachstum und zu mehr Arbeitsplätzen führen wird. Bereits bei der Errichtung des Binnenmarktes 1992 haben Sie, Herr Bundeskanzler, den Menschen mehr Arbeit versprochen. Aber Sie haben die zunehmende Verflechtung innerhalb Europas nicht zu einer europäisch abgestimmten Wachstumsinitiative für mehr Arbeitsplätze genutzt. Statt eines europäischen Beschäftigungspaktes ist der Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen EU-weit eingetreten.
Mit einer solchen Politik können Sie aber keine Zustimmung der Bevölkerung erwarten.
Die Bürger meines Wahlkreises - er liegt an der luxemburgischen Grenze, wie Sie wissen - erleben täglich, wie die Vermögenden aus der ganzen Republik ihr Geld auf der A 48 über die Grenze schaffen und bei den Filialen deutscher Bankhäuser in Luxemburg .
Karl Diller
mutmaßlich auch Beihilfe zur Steuerhinterziehung erwarten.
Ein Bundesfinanzminister, der durch eine verfassungswidrige Besteuerung der Kapitalerträge diese Zustände selbst mit herbeigeführt hat und eine europäische Regelung der Kapitalbesteuerung nicht durchsetzen kann, bringt Europa in Verruf und braucht sich nicht über die Kritik der Menschen zu wundern.
In der Amtszeit unseres ehemaligen Haushaltsausschußkollegen, des jetzigen Ministers für Agrar, lieber Kollege Jochen Borchert, ist der europäische Agrarmarkt keinen Deut effizienter geworden. Wenn der Europäische Rechnungshof Maßmanagement, Betrug und Verschwendung in einer Größenordnung bis zu 4 Prozent des EU-Haushalts feststellt, dann ist Theo Waigel persönlich gefordert, hier einzuschreiten, meine Damen und Herren. Wenn in den Augen der Bürger nationale Gesetzgebung, angefangen vom Kartellrecht, über Umwelt- und Sozialstandards bis hin zur Frauenförderung, durch europäisches Recht ausgehöhlt wird, dann trägt die Bundesregierung Mitverantwortung, weil sie in Brüssel mitbeschließt.
Es ist eine Schande, daß die Regierung Kohl den 4. Rahmenplan zur Förderung der Frau in der Europäischen Union bis jetzt blockiert.
Es ist höchste Zeit, daß die Bundesregierung ihre europäischen Hausaufgaben macht, damit die Bürger von der Notwendigkeit, der Machbarkeit und den Vorteilen einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion überzeugt sein können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der ersten Lesung des Bundeshaushaltes vor zwei Monaten haben wir unsere Kritik in den Worten zusammengefaßt, daß das Motto dieses Haushaltes nicht „Sparen und Gestalten" ist, wie Theo Waigel behauptete, sondern „Verschieben und Spalten" . Dieses Urteil über den Haushalt 1996 ist durch die Haushaltsberatungen noch verstärkt worden. Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung legt die Axt an die finanziellen Grundlagen unseres Staates.