Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
- Ich übertreibe, solange ich will. Das haben Sie mir überhaupt nicht zu sagen, schon gar nicht von seiten der F.D.P.
Molière hat schon vor sehr langer Zeit gesagt, daß wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, sondern auch für das, war wir nicht tun. Das trifft auch sehr gut auf diese Haushaltsdebatte zu; denn wir wissen sehr genau, daß das Desaster der letzten Wochen nicht vom Himmel gefallen ist und auch nicht überraschend kommt, sondern die vorläufige Quittung für das Chaosmanagement ist, das Herr Waigel in den letzten Jahren hier in diesem Hause vorgeführt hat.
Wir wissen auch, daß Deutschland, gemessen an den Steuer- und Abgabesätzen, ein Hochsteuerland ist und daß vor allem die mittleren Einkommen die Hauptlast zu tragen haben. Wir stimmen auch dem Vorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft, Herrn Geyer, ausdrücklich zu, daß es nicht länger zu verantworten ist, daß der Staat nahezu 50 Prozent - so ist es ja mittlerweile leider Gottes - des Einkommens der gesamten Bevölkerung konfisziert.
Wenn wir nun den Zusammenhang zwischen der allgemeinen Finanzpolitik und der Haushaltspolitik herstellen und uns den Grundsatz „Was man nicht einnimmt, kann man auch nicht ausgeben" vor Augen halten, bleibt die Frage bestehen: Warum klappt es eigentlich nicht? - Wir meinen, es klappt deswegen nicht, weil die Bemessungsgrundlage so löchrig wie ein Schweizer Käse ist. Wir haben das immer wieder in den verschiedenen Situationen gesagt. Wir wissen, daß es eine Flut von Steuervergünstigungen und Abschreibungskonditionen, eine Flut von Ausnahmeregelungen und ähnlichem gibt und daß dies dazu führt, daß fast die Hälfte des Volkseinkommens entweder legal von den Besteuerungsgrundlagen her wegfällt und gar nicht einbezogen wird oder auch kriminell hinterzogen wird.
Aus diesem Grunde - um das Gesamtdesaster einmal zu beschreiben, Herr Waigel - brauchen wir leider diese hohen Steuersätze, mit denen wir ein relativ niedriges Aufkommen erzielen. Aber dies ist ein tödlicher Kreislauf; denn hohe Steuersätze verhindern wirtschaftliche Aktivitäten - das ist vollkommen klar - und lenken das Kapital in Steuersparmodelle statt in Investitionen und in Arbeitsplätze, die wir dringend bräuchten. Es gibt Anreize zur Schattenwirtschaft und zur Steuerhinterziehung, die verstärkt werden, Dies führt dann letztendlich zu der Konsequenz, daß Sie Ihre öffentlichen Haushalte finanztechnisch auch nicht mehr auf die Reihe bekommen.
Klientelpolitik und ein beliebiges Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, das in den letzten Wochen vorgeschlagen worden ist, ein immer hektischer werdender Steuergesetzgebungsprozeß, den keiner mehr durchschauen kann - wir haben das jetzt bei der Steuerschätzung ja gesehen - sind die Konsequenz; es blickt kaum jemand mehr durch. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte explodiert. Es kann auch nicht angehen, daß 25 Prozent aller Steuereinnahmen letztendlich für Zinsen aufgewendet werden müssen. Dies, Herr Waigel, ist eine nicht tragbare Hypothek für die Zukunft.
Ich habe mir schon überlegt, warum Herr Faltlhauser eigentlich nach Bayern geflüchtet ist. Vielleicht hängt das damit zusammen. Ich habe ja nichts gegen den Kollegen Hauser, der jetzt nachrückt. Aber wir fragen uns dann schon, wieviel Staatssekretäre Sie in dieser Legislaturperiode eigentlich noch verschleißen wollen.
- Das ist richtig.
Das einzige, was Ihnen einfällt, ist: Man sucht ja immer nach einem Schuldigen, und so wird die Sozialausgabenlast als verantwortlich ausgemacht. Aber statt daß die Bundesregierung - das verstehen wir dann überhaupt nicht mehr - ihre volle Kraft auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik und auf ein auf zukunftsfähiges und nachhaltiges Wirtschaften gerichtetes Steuerkonzept setzt, kürzen Sie auch noch die Hilfe für Arbeitslose. Dies ist eine vollkommen falsche Schwerpunktsetzung in diesem Haushalt von Ihrer Seite.
Die Folge ist eine Kostenexplosion bei den Kommunen, und bereits jetzt - das ist ja das Schlimme
Christine Scheel
daran - beträgt der Anteil der Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen wegen Arbeitslosigkeit 34 Prozent; das ist nicht mehr zu tragen.
Wir begrüßen im Zusammenhang mit Herrn Zwikkels Ausführungen von der letzten Woche seine ganz klare Aussage, daß nur mit mehr Arbeitsplätzen die öffentliche Finanzkrise in den Griff zu bekommen ist. Auch Sie müssen zugestehen, daß diese Aussage stimmt und daß man dementsprechend auch steuerpolitisch, finanzpolitisch handeln muß.
Es ist auch kein Geheimnis mehr - das dürfte mittlerweile auch bei Ihnen angekommen sein -, daß Steuererleichterungen und Subventionen, also die sogenannten klassischen Konjunkturinstrumente, nicht mehr greifen.
Wir sagen allerdings: Der Vorschlag, den Zwickel gebracht hat, ist nur ein Anfang. Er muß ergänzt werden durch eine umfassende ökologische und soziale Steuerreform. Den Anfang haben wir ja bereits vor einem halben Jahr hier gemacht, und wir werden das fortführen.
Ein weiteres Problem ist, daß noch ein Haufen ungedeckte Schecks vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit den Beschlüssen zu den Einheitswerten für die Bundesregierung neue Vorgaben gemacht. Es hat Ihnen einmal wieder an diesem Punkt aufgezeigt, wo Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Es geht nicht an, daß man das so handhabt wie von seiten der F.D.P. und - Herr Waigel hat es ebenfalls gesagt - die ersatzlose Abschaffung der Vermögensteuer und am besten auch noch der Erbschaftsteuer fordert, allerdings nur auf die Unternehmen bezogen.
Ausgerechnet Ihr Graf Lambsdorff ist dann der Meinung, daß auf Grund der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, die steuerliche Gesamtbelastung dürfe nicht mehr als die Hälfte des Einkommens insgesamt betragen, die Millionäre in diesem Land, die den Spitzensteuersatz von 53 % haben, keine Vermögensteuer mehr bezahlen dürften. So geht es wirklich nicht: Alles abschaffen bei bestimmten Steuerbereichen und keine Gegenfinanzierung vorlegen, das ist absolut unsolide. Sie können nicht draußen den Leuten vorgaukeln, Sie seien als F.D.P. die große Steuersenkungspartei und auch noch ökologisch angehaucht. Denn in Wirklichkeit verlangen Sie in bestimmten Kreisen eine Steuerbefreiung und Steuerabschaffung auf Kosten der Kleinen.
Ich dachte, daß Sie in Ihrem Programm auch einmal „Soziale Marktwirtschaft" stehen hatten, aber davon hört man leider nichts mehr.
Was wir dringend brauchen, ist ein finanzpolitisches Handlungskonzept. Es ist höchste Zeit für eine Radikalkur des Steuersystems, und zwar nicht nur für die Bürger und Bürgerinnen, sondern insgesamt auch für die Haushaltslage.
Wir haben das Konzept einer ökologischen Steuerreform vorgelegt.
Es bietet die besten Voraussetzungen: Nachhaltiges Wirtschaften soll sich lohnen, neue Arbeitsplätze müssen entstehen - das ist vollkommen klar -, bestehende Belastungen von Arbeitsplätzen, sei es durch Steuern oder Sozialabgaben, müssen gesenkt werden.
Es ist eine ganz klare Position von unserer Seite, daß im Zusammenhang mit der Finanzierung ökologisch schädliche Subventionen endlich abgebaut werden müssen. Sie sollten nicht mit Ihrer Klientelpolitik immer schrittweise etwas ankratzen und es dann, bevor der Kratzer tief genug ist, wieder zurücknehmen.
Wir werden unser ökologisches Steuerkonzept durch einen umfassenden Vorschlag zur Reform der Einkommensteuer, zu Vermögen- und Erbschaftsteuerfragen und auch zur Körperschaftbesteuerung ergänzen. Das sind die Punkte, die für die Zukunft anstehen. Wir werden einen Antrag vorlegen, der dem entspricht, was wir unter sozialökologischem Umbau und Umschichtung des Steuersystems insgesamt meinen.
Auch zur Gemeindefinanzreform wird ein tragfähiges Konzept von unserer Seite vorgelegt.
Das erste Leitziel wird sein, die Steuer- und Abgabenlast auf eine breitere Basis zu stellen, die Subventionen und Steuervergünstigungen in großem Umfang abzubauen. Das zweite Leitziel - es ist kompatibel - ist, die Steuersätze insgesamt zu senken.
Es wird allerdings mit uns keinesfalls eine ersatzlose Abschaffung der Vermögensteuer geben, sondern wir wollen, daß die Besteuerung von Gewinnen und Wertzuwächsen im Rahmen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer verbessert wird. Der Grundsatz, daß man sich um so mehr der Steuer entziehen kann, je höher das Einkommen ist, kann nicht mehr gelten. Wir brauchen eine gleichmäßige und gerechte Besteuerungsgrundlage. Dann können wir insgesamt die Steuersätze senken.
Abschließend: Die Erbschaftsteuer muß komplett umgebaut werden. Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts dürfen nicht dazu führen - Herr Dr. Waigel, da stimmen Sie mir sicher zu -, daß wir demnächst eine Erbengeneration erster Klasse haben, die sich auf Inseln im Südpazifik ausruht und nichts mehr zur wirtschaftlichen Produktivität hier in diesem Lande beiträgt.
Christine Scheel
In Bayern sagt man: Ex nihilo nihil; auf deutsch: Aus nix wird nix.