Rede von
Dr.
Uwe-Jens
Rössel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungskoalition unternimmt mit dem nicht beratungsreifen Haushalt 1996 einen unheilvollen Schritt, ungedeckte Schecks des Bundeshaushaltes zunehmend den sozial Schwachen sowie den Kommunen aufzubürden. Die größten Risikofälle des Arbeitsmarktes - so der Wille der Koalition - sollen aus dem System der Arbeitslosenversicherung ausgeklinkt und in die bereits übervollen Korridore der städtischen Sozialämter abgeschoben werden. Die Kommunalisierung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit ist ein sozialpolitischer Skandal. Sie ist ein Schlag ins Gesicht der finanziell arg gebeutelten Städte, Gemeinden und Landkreise, deren Finanzierungsdefizit - ohne Stadtstaaten - im 1. Halbjahr 1995 ca. 9,6 Milliarden DM betragen hat. Allein durch die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe im Jahre 1996 würden von einem Tag zum anderen 38 000 betroffene Menschen, darunter viele Jugendliche, zu Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern gemacht. Die Kommunen würden zugleich mit 600 Millionen DM zusätzlich belastet.
Die von der Bundesregierung beschlossene Senkung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe um jährlich 5 Prozent ist in der Tat eine Flickschusterei zu Lasten der Kommunen. Die unmittelbar daraus resultierenden Mehrbelastungen für die kommunalen Sozialhilfeetats bezifferte Saarbrückens Oberbürgermeister Hoffmann bundesweit auf sage und schreibe 2,5 Milliarden DM pro Jahr und eben nicht auf 500 Millionen DM, wie Minister Blüm vergangene Woche angegeben hat. Immer mehr von den Kommunen betriebene Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Jugendfreizeiteinrichtungen, Theater und ähnliches müssen auf Grund der desolaten kommunalen Finanzlage geschlossen werden oder ihren Betrieb zumindestens stark reduzieren. Das ist für die Bürgerinnen und Bürger ein unvertretbarer Zustand, der nicht hingenommen werden darf.
Selbstverständlich beurteilt meine Gruppe auch die drastischen Kürzungen im Bundeshaushalt 1996 für Ostdeutschland als außerordentlich kritisch und bedenklich.
Die Fakten: Für 1995 stehen den Bruttoausgaben des Bundes in Höhe von 110 Milliarden DM Steuer- und Verwaltungseinnahmen in den neuen Bundesländern in Höhe von rund 46 Milliarden DM gegenüber, so daß der Bund in diesem Jahr 64,3 Milliarden DM netto für die neuen Länder ausgibt. Das ist eine in der Tat gewaltige Größe.
1996 werden vor dem Hintergrund der auf 88,6 Milliarden DM gekürzten Bruttozahlungen Steuer- und Verwaltungseinnahmen in Ostdeutschland in Höhe von rund 52 Milliarden DM erwartet. Das heißt, der Bund wird Ostdeutschland im kommenden Jahr mit 36,6 Milliarden DM netto unterstützen. Das sind 27,7 Milliarden DM netto weniger als 1995. Das hat nun wohl nicht mehr viel mit Aufschwung Ost zu tun.
Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sagen Sie das den Menschen zwischen Saßnitz und Fichtelberg offen, verschweigen Sie es nicht!
Ganz hart betroffen von derartigen Ausgabenkürzungen werden die 89 Landkreise sowie die nach Gebietsreformen derzeit noch etwa 6 200 Städte und Gemeinden in Ostdeutschland sein. Bereits jetzt, so eine Studie des Hallenser Instituts für Wirtschaftsforschung, befinden sich die Gemeindefinanzen in Ostdeutschland in einer „Schieflage". Immerhin beträgt die Pro-Kopf-Neuverschuldung im Jahre 1994 400 DM und liegt damit 3,5mal höher als die in den alten Bundesländern. Wird die Nettokreditaufnahme ostdeutscher Kommunen künftig nicht deutlich verringert - ganz gewiß tragen hierfür auch die Länder eine nicht geringe Verantwortung -, übersteigt der zu leistende Schuldendienst deren finanzielle Leistungsfähigkeit erheblich. So die Schlußfolgerung des Hallenser Instituts.
Der Gang der ersten ostdeutschen Kommunen zum Konkursrichter, wie in Brandenburg geschehen,
und der Einsatz von Staatskommissaren an Stelle demokratisch legitimierter Gemeinderäte sind doch bereits ein Alarmsignal. Kommunale Selbstverwaltung, dieses durch Bund und Länder so schützenswerte Gut, das es leider in der DDR nicht gegeben hat - das wird nicht verschwiegen -, darf nicht zur Farce verkommen. Die Finanzautonomie der Kommunen muß unbedingt als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern im Stabilitätspakt garantiert werden. Diesem Anliegen stimme ich in jedem Fall zu.
Die ostdeutschen Kommunen brauchen mehr konkrete Hilfe und weniger Sonntagsreden. Der Bund darf angesichts des Finanznotstandes der ostdeutschen Kommunen nicht so tun, als ob ihn diese Angelegenheit nicht viel angehe. Um den im Vergleich von 1995 zu 1994 bereits eingetretenen erheblichen Rückgang kommunaler Investitionen in Ostdeutschland zu stoppen, schlagen wir vor, für das Jahr 1996 eine Investitionspauschale des Bundes in einem Umfang von 1,5 Milliarden DM aufzulegen und dafür einen entsprechenden Titel in den Einzelplan 60 einzustellen. Unser Antrag, der Ihnen auf Drucksache 13/2860 vorliegt, wäre ein Schritt in diese Richtung. Er könnte zudem auch dem vielerorts angeschlagenen Bauhandwerk helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Der Antrag ist kommunal- und mittelstandsfreundlich und sollte durchaus Ihre Zustimmung finden können.
Selbstverständlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, haben wir auch einen Finanzierungsvorschlag gemacht. Unser Finanzierungsvorschlag ist im Antrag enthalten und besteht, kurz gesagt, in der Mobilisierung zusätzlicher Einnahmen des Bundes in Höhe dieser 1,5 Milliarden DM aus der Rückholung der im Zusammenhang mit der Privatisierung von DDR-Kreditinstituten an verschiedene bundesdeutsche Banken übergebenen Kreditforderungen. Der Bundestag sollte Dr. Waigel beim Wort nehmen, der
Dr. Uwe-Jens Rössel
in dieser Angelegenheit heute eine umfassende Aufklärung angekündigt hat.
Bekanntlich hat der Bundesrechnungshof jüngst den Bund gerügt, daß diesem bei dem Verkauf von DDR-Banken sowie bei der Abwicklung von Altkrediten Einnahmeverluste von bis zu 20 Milliarden DM entgangen sein sollen. Würden von diesen 20 Milliarden DM lediglich 1,5 Milliarden DM zurückgeholt, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnte das für die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen und ihre Einwohnerinnen und Einwohner eine wichtige Hilfe sein.
Wie gesagt: Die ostdeutschen Kommunen erwarten von der Bundesregierung wie auch von ihren Landesregierungen konkrete Hilfe und keine weitere Bedrohung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, wie es durch die Eintreibung sogenannter Altschulden auf kommunale gesellschaftliche Einrichtungen zumindest gegenüber 1 400 ostdeutschen Städten und Gemeinden geschieht. Die PDS hat als erste der im Bundestag vertretenen Fraktionen/Gruppen einen Antrag eingereicht, dieses Schmierentheater endlich zu beenden; denn es ist nicht einzusehen, daß Ost-Berlin keine Altschulden haben soll, Halle aber fast 400 Millionen DM - und das bei weit geringerer Ausstattung mit gesellschaftlichen Einrichtungen.
Die Altschulden auf gesellschaftliche Einrichtungen in den neuen Bundesländern sind keine kommunalen Schulden. Sie sind, wenn überhaupt Schulden, dann Staatsschulden der DDR, die konsequenterweise vom Bund übernommen und getragen werden müßten. Eine Möglichkeit dafür ist die Übernahme in den Erblastentilgungsfonds. Dann würde die Bundesregierung in dieser Hinsicht endlich Flagge zeigen, die Tatsachen anerkennen und den ostdeutschen Kommunen den Weg in die kommunale Selbstverwaltung erleichtern.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.