Rede von
Oswald
Metzger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer den Auszug der Opposition aus der Sitzung des Haushaltsausschusses in der letzten Sitzungswoche erlebt hat, mußte heute - nach dem, wie die Koalition in der Aktuellen Stunde am 25. Oktober 1995 getönt hatte - damit rechnen, daß jetzt die Häme über uns gegossen wird nach dem Motto: Wer auszieht, kommt auch wieder herein. Diese Häme mußten Sie heute unterlassen, weil Sie durch die Kommentare in den Medien - in der „FAZ", auch in der Wirtschaftspresse, beispielsweise dem „Handelsblatt" - gemerkt haben, daß das politische Signal des Auszugs der Opposition richtig war. Man kann es einem Finanzminister nicht durchgehen lassen, daß er eine 20-Milliarden-Lücke durch die Vorlage eines Wisches an einem Tag geklärt haben will.
Herr Finanzminister Waigel, ich komme aus dem Wahlkreis Biberach. Ihr Wahlkreis Neu-Ulm ist der Nachbarwahlkreis. Der Gemeinderat in Neu-Ulm hätte es Ihrer Oberbürgermeisterin mit Sicherheit nicht durchgehen lassen, eine derartig dramatische Veränderung des Haushalts binnen eines Tages zu beraten. Die CSU-Fraktion hätte mit Sicherheit einen Antrag auf Nichtbefassung gestellt, und Ihre Parteifreunde hätten recht gehabt.
Oswald Metzger
Insofern ist der Auszug aus dem Haushaltsausschuß vor allem dem formellen Vorgehen geschuldet. Angesichts der - prozentual und absolut - größten Veränderung zwischen erstem Regierungsentwurf und der Vorlage in abschließender Beratung im Haushaltsausschuß, die in der Regierungsära Kohl bisher vorgekommen ist, wäre eine Ergänzungsvorlage das einzig Richtige gewesen.
Auch aus anderen Gründen hat der Finanzminister enge Hosen an - wenn er die Hose nicht gar heruntergelassen hat -: Er hat das Parlament in der Debatte über die Regierungserklärung zum IWF am 12. Oktober 1995 trotz entsprechender Vorhaltungen unserer Fraktion nicht darüber aufgeklärt, daß er praktisch schon eine Haushaltssperre verfügt hatte. Das Ganze hat er am Parlament vorbei am 14. Oktober, einem Samstag, verlautbaren lassen. Wer als Finanzminister so mit dem Parlament umgeht, mißachtet das Budgetrecht dieses Parlaments außerordentlich.
Kollege Roth, es ist in der Tat richtig, daß man im Haushaltsausschuß normalerweise kooperativ arbeitet. Diese Auffassung teile auch ich. Ich teile auch den Dank, den Sie an Ihre Kollegen ausgesprochen haben, obwohl Sie eine Fraktion, nämlich uns, und eine Gruppe, nämlich die PDS, vergessen haben, die genauso mitberaten haben. Ich teile auch Ihren Dank an den Haushaltsausschußvorsitzenden Wieczorek. Aber wenn Sie als Koalition dieses Spiel mitmachen, das heißt eine Vorlage praktisch durchwirken und bei der abschließenden Beratung nur Jasager sind - dies gilt vor allem für die F.D.P.; Graf Lambsdorff, Ina Albowitz und Wolfgang Weng haben noch vier oder fünf Tage vorher von einem Haushaltssicherungsgesetz geredet und dann den Schwanz eingezogen -, dann haben Sie das Recht verwirkt, die Opposition zu kritisieren.
Jetzt aber zur Sache. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen müssen als Oppositionsfraktion eines akzeptieren: Wir haben eine strukturelle Finanzkrise der öffentlichen Haushalte. Deshalb müssen wir uns auf den Standpunkt stellen - auch Bündnisgrüne, auch Sozialdemokraten sind auf Landesebene Regierungsfraktionen -, der da lautet: Wir kommen an der Tatsache nicht vorbei, daß wir die Ansprüche an die öffentlichen Hände insgesamt ein Stück weit zurückfahren müssen.
Wir sind - dies führt bei einer Oppositionsfraktion natürlich zu erheblichen Diskussionen - mit unserem Entschließungsantrag in der Lage, Korrekturen am Bundeshaushalt vorzuschlagen, so daß das Defizit des jetzigen Regierungsentwurfs unter dem Strich um etwa 6 Milliarden DM unterschritten wird,
obwohl wir die Weichen in Richtung einer wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellen wollen.
Wir werden die Kostenverlagerung, die diese Koalition schon im Kabinett beschlossen hat, nicht mitmachen. In deren Zuge soll die Arbeitslosenhilfe mit 3,4 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt herausgedrückt werden. Sie soll über die Sozialhilfe den Kommunen auferlegt werden. Diese aber können die Last nicht mehr schultern, weil sie Aufgaben in Höhe von fast 50 Milliarden DM zu finanzieren haben, die in Teilbereichen auf jeden Fall Bundesaufgaben sind. Die Kommunalpolitiker der Unionsfraktion laufen gegen diese Regierungspolitik genauso Sturm wie die der SPD oder die von uns.
Diese 3,4 Milliarden DM wollen wir mit einer Erhöhung des entsprechenden Titels - so unser Antrag - finanzieren.
Wir wollen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit 3,5 Milliarden DM für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zusätzlich ausgeben. Die Bundesanstalt für Arbeit muß auf Grund der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit nächstes Jahr tätig werden; das ist eindeutig.
Wir werden mit diesem politischen Schwerpunkt unserer Fraktion der Tatsache Rechnung tragen, die selbst Kollege Roth gerade eingeräumt hat: Arbeitslosigkeit kostet diese Gesellschaft nach Ihrer Rechnung rund 40 Milliarden bis 50 Milliarden DM pro Jahr, nach Rechnung der SPD rund 100 Milliarden DM. Weil die Finanzierung von Arbeitslosigkeit teurer ist, wollen wir für ihre Bekämpfung einen Schwerpunkt setzen.
Als Gegenfinanzierung - das werden Sie dann nachlesen können; wir haben Änderungsanträge zu den Einzelplänen - dient eine Streichung, die im Saldo 4,5 Milliarden DM beträgt. Wir entdecken den Verteidigungshaushalt nicht mehr als Steinbruch, sondern stellen reguläre Kürzungsanträge, die wirklich seriös sind, wenn man es politisch will. Wir sehen nämlich nicht ein, daß ein Finanzminister plötzlich Investitionen in technische Hochrüstung als Arbeitsplatzförderungsprogramm verkauft, weil unter dem Druck des „Dolores " -Programms der DASA und dem Protest der Betriebsräte plötzlich alle Welt einknickt,
Oswald Metzger
auch die SPD plötzlich bereit ist, dem Eurofighter zuzustimmen. Wir werden im Atombereich eine Kürzung von einer halben Milliarde DM vorschlagen. Wir werden im Verkehrsbereich Umschichtungen vorschlagen.
Soweit die Tableaus, die Sie von uns zu erwarten haben.
Wir werden in unserem Entschließungsantrag vorschlagen, in einem Haushaltsbegleitgesetz die Stenervergünstigungen in der Größenordnung von insgesamt 5 Milliarden DM zu reduzieren. Wir werden Subventionsabbau bei der Dieselbesteuerung in der Größenordnung von 3,4 Milliarden DM vorschlagen. Einschnitte in staatliche Leistungen wird es also geben, aber nicht so, wie diese Regierung das im Moment macht: Sie macht die Opfer zu Tätern, indem sie mit dem Rasenmäher durch die Arbeitslosenhilfehaushalte fährt und die Leute, die wegen Arbeitslosigkeit ausgemustert werden, bestraft. Wir wollen, daß die Bevölkerung insgesamt - reiche wie arme Leute - ihr Scherflein dazu beiträgt.
Man darf sich nicht in die Neuverschuldung flüchten; denn Neuverschuldung ist das Gegenteil von nachhaltiger Finanzpolitik. Nachhaltigkeit kennen Sie als Begriff aus der Ökologiebewegung. Für uns heißt nachhaltige Finanzpolitik, daß man sich nicht auf den bequemen Pfad der Erhöhung der Verschuldung begibt; denn mit einer höheren Verschuldung schränkt man die Investitionsspielräume künftiger Haushalte ein. Das können wir angesichts der Tatsache, daß im Haushalt 1996 bereits jede vierte Steuermark für Zinsaufwand ausgegeben wird, überhaupt nicht hinnehmen.
Sie wissen, Herr Finanzminister, daß die Finanzplanung, die Bestandteil der Beratungen zum Haushalt 1996 ist, Makulatur ist. Das schreibt Ihnen die Wirtschaftspresse ins Stammbuch. Sie können nicht davon ausgehen, daß Sie 1999 mit einer Nettoneuverschuldung von 29 Milliarden DM auskommen - wie es in Ihrer Finanzplanung steht -, wenn Sie auf Grund der geringeren Steuereinnahmen pro Jahr für die Folgejahre bereits eine Vorbelastung von rund 10 Milliarden DM haben. Das funktioniert nicht.
Sie haben keine Vorsorge zur Abschaffung des Solidarzuschlags getroffen - in keiner Weise. Der wird 1999 auf der Einnahmeseite aber fast 40 Milliarden DM ausmachen.
Wie soll diese Finanzpolitik, die Sie als symmetrische Finanzpolitik verkaufen, die sowohl Steuer- als auch Schuldenabbau beinhaltet, umgesetzt werden? Diese Rechnung geht nicht auf. Man kann sich dann aber als Opposition - das sage ich auch an die Adresse unserer Fraktion, aber auch an die anderen Oppositionsparteien - nicht nur hinstellen und sagen: Wir beklagen das, aber schuld ist natürlich derjenige, der in der Regierungsbank sitzt. Das stimmt: Die Opposition hat keine Verantwortungskompetenz. Aber wir haben Verantwortungskompetenz für die Zeit, in der wir regierungsfähig sein wollen, wo wir das ausbaden müssen, was Sie zur Zeit anrichten. Deshalb nehmen wir ein Stück weit in Anspruch,
jetzt strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, die uns in die Lage versetzen, dann nicht komplett handlungsunfähig zu sein. Das ist vorausschauende Politik einer Oppositionsfraktion.
Noch ein Wort zum Thema Eurogeld. Die Diskussion um die Währungsunion, die in den letzten Tagen stattgefunden hat, war etwas merkwürdig. Man hat gemerkt, daß auch die Sozialdemokraten den Hammer, den sie hier herausgezogen haben, relativ schnell wieder eingezogen haben.
Eines ist aus unserer Sicht auf jeden Fall zu sagen - das merken Sie ja, wenn wir einer Nettoneuverschuldung nicht das Wort reden -: Wir wollen die 60 Prozent Gesamtverschuldungsanteil am Bruttoinlandsprodukt auch nicht überschreiten. Wir wollen das Konvergenzkriterium von Maastricht einhalten, genau so wie bei der 3-Prozent-Quote bei der Neuverschuldung. Das heißt auch, daß wir der Währungsunion das Wort reden, aber die Stabilitätsgarantie einbauen wollen. Da muß Deutschland seine eigenen Hausaufgaben machen; sonst können wir das anderen nicht abverlangen.
Lieber verschieben wir den Termin der Einführung der Währungsunion, als daß wir die Stabilität des Geldes auf dem Altar von Maastricht opfern.
In diese Richtung muß es gehen. Wir brauchen auch flankierende Maßnahmen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, um abzusichern, daß die Währungsunion tatsächlich eine politisch handhabbare Größe ist, die zu einem politischen System in Europa führt, dem wir durchaus zustimmen.
Wir lassen es aber auf der anderen Seite dem selben Finanzminister nicht durchgehen, wenn er herummogelt und im nächsten Jahr extrem knapp an der Maastricht-Quote der Gesamtverschuldung vorbeischrammt.
Obwohl ich weiß, daß es im parlamentarischen Bereich gefährlich ist, Prognosen aufzustellen - Kollege Roth hat am Beispiel der SPD darauf hingewiesen -, tue ich es jetzt. Sie können nachlesen, daß wir im März dieses Jahres bei der abschließenden Beratung des Haushalts 1995 die Nettoneuverschuldung des Jahres 1996 mit 60 bis 65 Milliarden DM beziffert haben. Die Regierung selber räumt 60 Milliarden DM ein. Wir als Opposition glauben, daß von den jetzigen 60 Milliarden etwa 8 Milliarden DM unseriös finanziert sind, weil sich die Privatisierungserlöse in dieser Form nicht einstellen werden.
Sie treibt das Prinzip Hoffnung um, daß Sie beim Steuereingang etwas besser fahren, als die jetzige Steuerschätzung das vermuten läßt. Dann hätten Sie das Problem nicht, daß Sie die Privatisierungserlöse, wie im Haushaltsplan eingestellt, auch tatsächlich auf Mark und Pfennig brauchen. Das ist meine Prognose für das nächste Jahr bereits im März abgegeben; ich halte sie aufrecht.
Die Prognose für diesen Haushalt ist folgende: Wir werden die 50-Milliarden-DM-Verschuldung in 1995
Oswald Metzger
überschreiten. Sie sagen: nicht signifikant. Ich sage, wir werden sie auf jeden Fall mit 2 bis 3 Milliarden DM überschreiten. Diesen Betrag werden Sie auch als Vorbelastung in den Haushalt 1996 schleppen.
Wenn Sie den neuen Solidarpakt anmahnen, werden wir, die Länderfinanzminister der SPD und die Regierungsfraktionen der Bündnisgrünen in den Bundesländern, in denen sie mitregieren, alle Mühe haben, der Bevölkerung klarzumachen, daß der Streit künftig nur noch um die Verteilung der gekürzten Mittel und um die politische Schwerpunktsetzung unter dieser Prämisse und nicht mehr um die Verteilung von Ausgabenzuwächsen geht.
Die Konjunktur kann florieren, wie sie will: Die Arbeitsmarktsituation bleibt dramatisch. Das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft hat heute morgen in einer Pressekonferenz ein Zehnjahresgutachten vorgestellt, in dem auf Grund der demographischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung davon ausgegangen wird, daß die durchschnittliche Wachstumsrate in den nächsten zehn Jahren 2 Prozent beträgt. Die. durchschnittliche Arbeitslosigkeit wird auf deutlich über 3 Millionen Arbeitslosen verharren. Welch langfristiges Problem das ist und was das für die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Gesellschaft heißt, braucht man in diesem Raum sicher nicht zu sagen.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, nicht nur an unseren Worten, sondern an unseren Taten gemessen zu werden. Wir werden uns auch von unseren eigenen Wählerinnen und Wählern prügeln lassen müssen, weil unterlassene unpopuläre Entscheidungen jeden - in der Opposition, aber erst recht in der Regierungsverantwortung - letztendlich wie nichts wegspülen werden.
Nach meiner Auffassung dürfen Koalition wie Opposition angesichts des Ernstes der Lage - jeder ist irgendwann einmal Regierungsfraktion oder ist es gleichzeitig in den Ländern - vor dieser Herkulesaufgabe nicht in die Knie gehen. Reiner Populismus, der dem politischen Alltagsgeschäft nicht fremd ist - das wissen wir alle -, nützt an dieser Stelle überhaupt nichts. Wir brauchen Konzepte und streiten dann um die Prioritäten, die wir haushalts- und finanzpolitisch setzen müssen. Wir streiten darum, zu wessen Lasten bestimmte Projekte künftig finanziert werden. Das wird den parlamentarischen Alltag begleiten.
In diesem Sinne: eine gute Beratung in dieser Woche.