Protokoll:
1161

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 161

  • date_rangeDatum: 12. Juli 1951

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:07 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:55 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951 6497 161. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 6498A, 6559C Beschlußfassung des Deutschen Bundestags zum Gesetz über steuerliche Behandlung von Tabakerzeugnissen besonderer Eigenart 6498A Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen 6498A Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen . 6498A Zolltarifgesetz 6498A Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6498A Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts 6498B Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes 6498B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung PR Nr. 50/51 — Kohle — II/51 — zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr, Aachen und Niedersachsen sowie zur Sicherstellung der Deckung des Bedarfs an festen Brennstoffen 6498B Anfrage Nr. 198 der Abg. Strauß u. Gen. betr. Auslieferung deutscher Wertpapiere (Nrn. 2355, 2483 der Drucksachen) . . . 6498B Mitteilung der Bundesregierung betr. Beratung des Gesetzentwurfs über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft (Nr. 2450 der Drucksachen) 6498B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6498D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Nr. 2401 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Fortgang der Beratungen über den Gesetzentwurf betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 2484 der Drucksachen) 6499C zur Geschäftsordnung: von Thadden (DRP) 6498B zur Sache: Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6499C Dr. Henle (CDU) 6502B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 6510C Euler (FDP) 6521C Dr. Bertram (Z) 6525D Albers (CDU) 6532A Henßler (SPD) 6535A Dr. von Merkatz (DP) 6539D Dr. Seelos (BP) 6542B zur Geschäftsordnung: Arndt (SPD) 6545A zur Sache: Dr. Preusker (FDP) 6545B Reimann (KPD) 6547B Tichi (BHE-DG) 6552C Löfflad (WAV) 6553D Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6554C zur Geschäftsordnung: Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 6555B Erler (SPD) 6555B Strauß (CSU) 6555C Ewers (DP) 6555C Ollenhauer (SPD) 6555D zur Abstimmung: Mellies (SPD) 6556A Dr. Preusker (FDP) 6556A Ausschußüberweisungen 6556B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nrn. 2268, 2341, 2432, 2499 der Drucksachen) . 6556C Dr. Spiecker, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Berichterstatter 6556D Beschlußfassung 6557A Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nrn. 2130, 2316, 2433, 2501 der Drucksachen) 6557A Hoogen (CDU), Berichterstatter . . 6557A Beschlußfassung 6557B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Nrn. 2463 und zu 2463 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) 6557C Dr. Hammer (FDP), Berichterstatter 6557D Freidhof (SPD) 6558B Renner (KPD) 6558B, 6558D Abstimmungen 6558A, B Rückblick auf die zweijährige Tätigkeit des Deutschen Bundestags und Wünsche für die Parlamentsferien: Vizepräsident Dr. Schäfer 6559D Nächste Sitzung 6559D Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116100000
Meine Damen und Herren! Mit einer ungewohnten Verspätung eröffne ich die 161. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.

Oskar Matzner (SPD):
Rede ID: ID0116100100
Der Präsident hat Urlaub erteilt für vier Tage dem Abgeordneten Gockeln und für zwei Tage dem Abgeordneten Arnholz.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Ekstrand, Kriedemann, Dr. Horlacher, Dr. Orth, Wirths, Dr. Weber (Koblenz), Niebergall.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116100200
Meine Damen und Herren! Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. Juli beschlossen, zu dem Gesetz über steuerliche Behandlung von Tabakerzeugnissen besonderer Eigenart einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen und dem Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen sowie dem Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen zuzustimmen.
Gegen das Zolltarifgesetz und das Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 wird er einen Einspruch gemäß Art. 77 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht einlegen.
Zum Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts und zum Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes hat er die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt.
Der Herr Bundeskanzler hat am 7. Juli 1951 unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 2 des Gesetzes für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft den Entwurf einer Verordnung PR Nr. 50/51 — Kohle II/51 — zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr, Aachen und Niedersachsen sowie zur Sicherstellung der Dekkung des Bedarfs an festen Brennstoffen übersandt. Der Entwurf liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 3. Juli 1951 die Anfrage Nr. 198 der Abgeordneten Strauß und Genossen betreffend Auslieferung deutscher Wertpapiere (Nr. 2355 der Drucksachen) beantwortet. Das Schreiben wird als Drucksache Nr. 2483 vervielfältigt.
Zur Geschäftsordnung wünscht das Wort Herr
Abgeordneter von Thadden.

Adolf von Thadden (DRP):
Rede ID: ID0116100300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Geschäftsordnung möchte ich den Antrag stellen, den Gesetzentwurf und den Antrag der SPD-Fraktion auf der heutigen Tagesordnung ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen; das sind meines Erachtens der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und der Ausschuß für Wirtschaftspolitik.

(Zurufe; Warum?)

— Ich begründe diesen Antrag mit wenigen Sätzen wie folgt.
Der Bundesrat hat sich vor kurzer Zeit eingehend mit der vorliegenden Materie befaßt. Er hat Sachverständige gehört, deren Rang und Namen unumstritten ist. Er hat sich in einer nüchternen, trockenen Form mit dem umfangreichen Gesetzeswerk, das hier verabschiedet werden soll, befaßt. Das Für und Wider sind eingehend besprochen worden. Heute kann nur dasselbe an Argumentation wiederholt werden, ohne daß meines Erachtens damit irgendein praktischer Nutzen verbunden ist.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten dem Altestenrat Gelegenheit geben, für heure eine Tagesordnung zusammenzustellen, damit wir um 10 Uhr mit einer normalen Arbeitssitzung beginnen können.
Ganz abgesehen davon bin ich der Auffassung, daß es, nachdem sich der Bundesrat mit dem Fragenkomplex Schumanplan so eingehend befaßt und dort vor allen Dingen neben dem bekannten Für das deutsche Wider verhandelt hat, an der Zeit ist, daß sich erst einmal andere dazu äußern sollten. Mit diesen anderen meine ich unsere Nachbarn. Wir haben Zeit, uns nach den Parlamentsferien in der zweiten Lesung damit zu befassen.
Deswegen beantrage ich, den Gesetzentwurf und den Antrag ohne Debatte an die Ausschüsse für das Besatzungsstatut und .auswärtige Angelegenheiten sowie für Wirtschaftspolitik zu überweisen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116100400
Meine Damen und Herren, ich möchte keine lange Geschäftsordnungsdebatte hervorrufen. Ich weise nur darauf hin, daß der Präsident über jeden Gegenstand, der auf der Tagesordnung steht, die Beratung zu eröffnen hat. Im übrigen kann die Redezeit auf Vorschlag des Ältestenrats begrenzt werden. Der Altestenrat war sich in diesem Falle einig, daß die Redezeit nicht begrenzt werden soll. Schluß der Besprechung ist nur möglich, wenn mindestens der Antragsteller oder der Berichterstatter und noch ein weiteres Mitglied das Wort gehabt haben.
Der Antrag des Herrn von Thadden ist in diesem Augenblick in dieser Form unzulässig. Ich lasse ihn nicht zu.
Zu einer Mitteilung hat das Wort der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0116100500
Meine Damen und meine Herren! Der- Bundestag hat gestern beschlossen, die zweite und die dritte Lesung des Investitionsgesetzes bis nach den Ferien zu vertagen.

(Aha!-Rufe bei der SPD.)

Ich verkenne durchaus nicht das Ruhebedürfnis des Hohen Hauses.

(Erregter Widerspruch und große Unruhe bei derSPD. — Abg. Dr. Schumacher: Die Unfähigkeit der Regierung! — Zurufe von der SPD: Unverschämtheit! — Unerhört! — Abg. Dr. Arndt: Schämen Sie sich! — Glocke des Präsidenten. — Abg. Dr. Arndt: Die Unfähigkeit der Regierung! — Abg. Dr. Schumacher: Die Impotenz der Regierung!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116100600
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers anzuhören. Sie haben die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.


(Widerspruch und Zurufe von der SPD: Nein! — Pfui! — Glocke des Präsidenten. — Abg. Dr. Arndt: Nehmen Sie das zurück: das Ruhebedürfnis! — Abg. Mellies: Die Koalition hat wahrscheinlich Ruhebedürfnis! — Zuruf von der SPD: Die Regierung hat sich Zeit gelassen! — Abg. Dr. Schumacher: Vollkommen unfähige Regierung!)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0116100700
Aber meine Herren, lassen Sie mich doch mal aussprechen!

(Weitere Zurufe von der SPD: Nein! — Große Erregung bei der SPD. — Glocke des Präsidenten. — Abg. Mellies: Provozieren Sie nicht so! — Abg. Renner: Jeder Zoll ein Führer!)

— Aber meine Damen und Herren, wenn die von mir angeordnete Nachprüfung ergeben sollte, daß durch eine Verschiebung bis in den September wesentliche Interessen der deutschen Wirtschaft verletzt werden sollten,

(Zuruf von der SPD: Dann sind Sie schuld! — Gegenrufe von der Mitte: Unerhört! — Große Unruhe)

dann werde ich mich genötigt sehen, auf Grund des Art. 39 des Grundgesetzes den Herrn Bundestagspräsidenten zu bitten, das Hohe Haus zu einer Sitzung zusammenzuberufen.

(Zuruf rechts: Heute!)

Ich werde von dem Art. 39 und von der darin dem Bundeskanzler gegebenen Möglichkeit nur dann Gebrauch machen, wenn, wie ich eben schon gesagt habe, die eingeleitete Prüfung die zwingende Notwendigkeit ergibt.
Und nun, meine Damen und Herren, die ganze Aufregung, die Sie eben gezeigt haben, war völlig überflüssig.

(Heftiger Widerspruch bei der SPD.)

Denn ich habe — —

(Abg. Dr. Schumacher: Was nehmen Sie sich eigentlich heraus! Leisten Sie erst was! — Abg. Dr. Wuermeling: Das müssen gerade Sie sagen, Herr Dr. Schumacher! — Abg. Dr. Schumacher: Diese jämmerliche Unfähigkeit der Bundesregierung hat sich ja gezeigt!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116100800
Meine Damen und Herren! Wir sind es gewohnt, unsere Meinung zum Ausdruck zu bringen. Ich bitte, diese Gelegenheit auch dem Herrn Bundeskanzler zu geben.

(Widerspruch bei der SPD. Abg. Dr. Arndt: Aber anständig benehmen! — Anhaltende Erregung bei der SPD. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0116100900
Denn ich habe gar nicht daran gedacht — —

(Zuruf von der SPD: Noch viel schlimmer!)

— Meine Damen und Herren, vielleicht vergönnen Sie einem Mann doch auch mal ein Wort! — Denn ich habe gar nicht daran gedacht, Ihren gestrigen Beschluß damit in Verbindung zu bringen, sondern ich wollte zum Ausdruck bringen, daß ich trotz der Notwendigkeit — die ich anerkenne —, daß einmal eine gewisse Ruhepause eintritt, nur dann von dem Art. 39 Gebrauch machen werde, wenn sich die dringende Notwendigkeit dazu ergibt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU. — Zuruf von der KPD: Ihre Methode kennen wir! — Abg. Dr. Schumacher: Erst provozieren, dann kneifen! Eine solche Unverschämtheit habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt! — Anhaltende Unruhe.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116101000
Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den einzigen Punkt der Tagesordnung — —(Unruhe und Zurufe.)

— Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Möglichkeit geben würden, das Aufrufen ordnungsmäßig vorzunehmen.

(Anhaltende Unruhe.)

Ich rufe den einzigen Punkt der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Nr. 2401 der Drucksachen);
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Fortgang der Beratungen über den Gesetzentwurf betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 2484 der Drucksachen).
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0116101100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das Ihnen zur Beratung und zur Beschlußfassung vorgelegt Wird, ist sehr kurz; aber seine Bedeutung ist im Hinblick auf die ihm beigefügte Anlage außerordentlich groß. Ich glaube, ich kann ohne zu übertreiben sagen, daß sich der Bundestag bisher noch mit keinem Gesetzentwurf hat beschäftigen können, der an Bedeutung diesen Gesetzentwurf übertrifft.
Wenn Ihnen dieser Gesetzentwurf mit dem Antrage vorgelegt wird, der Ratifikation des Schumanplans, des Vertrags über die Montanunion zuzustimmen, so lassen Sie mich einige allgemeine Bemerkungen formell-rechtlicher Natur vorausschicken. Dieser Vertrag ist nach monatelanger Beratung durch Delegationen von sechs europäischen Ländern zustande gekommen, die sich ihrerseits wieder mit einer ganzen Anzahl von Sachverständigen laufend beraten haben. Es sind von diesen Delegationen eine Reihe von Punkten bis zu einer Konferenz der Außenminister der sechs Länder zurückgestellt worden. In dieser Außenministerkonferenz, die sich ebenfalls über eine Reihe von Tagen erstreckt hat, ist eine Einigung erzielt worden, die Ihnen nunmehr vorliegt.
Es ist wohl ohne weiteres klar, daß eine solche Verständigung unter sechs europäischen Ländern, die verschiedene Interessen und verschiedene Ansichten haben, erst nach sehr langen Beratungen und auf dem Wege eines gegenseitigen Ausgleichs, einer gegenseitigen Angleichung der Interessen und auf dem Wege der Überzeugung zustande kommt. 'Bei einem solchen Vertragswerk liegt es in der Natur der Sache, daß keiner der Beteiligten seine Ansicht allein hundertprozentig durchsetzen kann. Er darf auch gar nicht davon ausgehen, daß nur seine Ansichten hundertprozentig durchgesetzt werden müßten. Wie jeder Vertrag, so ist dieser Vertrag unter sechs Teilnehmern im Ergebnis ein Kompromiß. Keiner derjenigen, die an den Verhandlungen teilgenommen haben, wird behaupten wollen oder behaupten können, daß das Ergebnis


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

der Verhandlungen hundertprozentig richtig sei und ihn hundertprozentig befriedige. Man darf bei einem solchen Vertragswerk nicht die Einzelheiten zu sehr für sich betrachten, sondern man muß den zugrunde liegenden Gedanken, den Zweck, der mit dem ganzen Vertragswerk verfolgt wird, betrachten, und muß dann untersuchen, ob die konstruktive Anlage des Ganzen geeignet erscheint, diesen Zweck — wenn man ihn bejaht — zu erreichen.
Meine Damen und Herren, ich glaubte diese Bemerkungen voranschicken zu können, um Ihnen und mit Ihnen der deutschen Öffentlichkeit klarzulegen, warum es bei solchen Verträgen nicht möglich ist, Abänderungsanträge zu diesem oder jenem Artikel oder zu diesem oder jenem Absatz anzubringen. Ich bitte, sich doch vorzustellen, daß in den sechs Parlamenten der beteiligten sechs europäischen Länder vielleicht zu anderen Punkten, aber ebenfalls genau wie das hier der Fall sein wird, Beanstandungen zu diesem oder jenem kommen werden. Wenn auf Grund dieser Beanstandungen die Ratifizierung in der vorgesehenen Frist unterbleiben würde, würde das ganze Vertragswerk nicht nur gefährdet, sondern höchstwahrscheinlich völlig erledigt sein.
Genau wie Sie, meine Damen und Herren, genau wie dieses Hohe Haus stehen die anderen Parlamente vor der gleichen, vielleicht für Europa schicksalhaften Frage: sollen wir unter Zurückstellung dieser oder jener Bedenken zustimmen, oder aber — meine Damen und Herren, das ist nach meiner Meinung die Entscheidung, die Sie zu fällen haben — sollen und können wir die Verantwortung dafür auf uns nehmen, daß dieses Werk scheitert. Ich bitte Sie, von vornherein unter diesem Gesichtspunkt an Ihre ganze Arbeit heranzutreten. Ich bitte Sie weiter, davon überzeugt zu sein, daß die Delegationen und die verschiedenen Organisationen, mit denen die Delegationen aller Länder — aber ich spreche jetzt vornehmlich für die deutsche Delegation — Fühlung genommen haben, während der ganzen Monate den größten Ernst und die größte Gewissenhaftigkeit auf ihre Arbeit verwendet haben. Es liegt mir daran, allen diesen deutschen Stellen, deren Hingabe an die Aufgabe jedes Lob verdient, auch von der Tribüne dieses Hauses den herzlichsten Dank auszusprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es liegt mir weiter daran, beim Eintritt in die Verhandlungen dem bisherigen französischen Außenminister, Herrn S c h u m a n, zu danken, weil er im Mai 1950 die Kühnheit gehabt hat, mit diesem Vorschlag an Deutschland und an die europäische Öffentlichkeit heranzutreten.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn ich sage: die Kühnheit gehabt hat, so habe ich diesen Ausdruck wohl überlegt gebraucht. Man vergißt nur zu schnell in dieser Zeit, die fast jeden Tag große Veränderungen bringt, wie der Zustand, wie das Ansehen Deutschlands in der Welt noch im Mai des Jahres 1950 gewesen ist. Ich bitte, in Ihre Erinnerung zurückrufen zu dürfen, daß der damalige Vorschlag Herrn Schumans nicht nur in der Welt das größte Aufsehen erregt hat, sondern daß er auch in Deutschland fast uneingeschränkt mit der lebhaftesten Genugtuung begrüßt worden ist.

(Beifall bei der CDU Und bei einem Teil der FDP.)

Es liegt mir auch daran, beim Eintritt in diese Verhandlungen den anderen beteiligten Ländern gegenüber eine Dankespflicht zu erfüllen. Denn die Vertreter der Bundesrepublik sind bei diesen ganzen Verhandlungen in absolut fairer Weise als Gleichberechtigte behandelt worden.

(Beifall bei . der CDU.)

Das, meine Damen und Herren, war im Jahre 1950
noch nicht eine solche Selbstverständlichkeit, mit
der wir es heutzutage zu betrachten gewohnt sind.

(Abg. Rische: Heute muß man Deutschland für den Krieg haben!)

Wer sich in den Vertrag vertieft — und es gehört Vertiefung dazu —, der wird erkennen, daß der Aufbau des ganzen Werkes wohl überlegt und in konstruktiver Weise erfolgt ist, daß man bei dem Aufbau nicht lediglich daran gedacht hat, eine Union für Kohle, Eisen und Stahl zu schaffen, sondern daß man daran gedacht hat, hier auch ein Vorbild für etwaige zukünftige weitere Integrationsverhandlungen in Europa zu geben.

(Zuruf von der KPD: Landwirtschaft!)

Überall finden Sie in den einzelnen Artikeln durchscheinend den Antrieb zur Weiterentwicklung, zur Weiterentwicklung auch was den Kreis der beteiligten Länder angeht. Alle Unterzeichner dieses Vertrages — das ist wiederholt und in sehr nachdrücklicher Weise zum Ausdruck gekommen — würden es begrüßen, wenn auch Großbritannien sich in irgendeiner Form diesem Vertragswerk anschließen würde. Ich bin auch davon überzeugt, daß Großbritannien das tun wird. Ich kann Ihnen sagen, daß mir schon vor längerer Zeit von der britischen Regierung die offizielle Mitteilung gemacht worden ist, daß sie der Montanunion mit größtem Wohlwollen gegenüberstehe und daß sie, sobald der Vertrag ratifiziert sei, untersuchen werde, in welcher Form es für Großbritannien möglich sein würde, mit dieser Montanunion zusammenzuarbeiten.
Die dynamische Natur des ganzen Vertragswerkes bitte ich nicht zu übersehen. Es handelt sich — ich kann das nur nochmals betonen — um eine Konstruktion von dynamischer Natur, die bestimmt ist, über den unmittelbaren Kreis des Teiles der Wirtschaft, der hier geordnet ist, hinauszuwirken. Man ging davon aus, daß, wenn diese sechs europäischen Länder erst einmal gelernt hätten auf einem so außerordentlich wichtigen" wirtschaftlichen Gebiet zusammenzuarbeiten, dann aus dieser gemeinsamen Arbeit sich der Antrieb von selbst ergeben würde, auch auf weiteren Gebieten der Wirtschaft eine Zusammenarbeit herbeizuführen.
Über die wirtschaftliche Natur dieses Vertrags ist von den verschiedenen Seiten verschieden geurteilt worden. Den hundertprozentigen Anhängern einer freien Wirtschaft — ich spreche jetzt nicht von Deutschland, sondern ich spreche ganz allgemein —, den hundertprozentigen Anhängern einer freien, absolut freien Wirtschaft enthielt der Vertrag zuviel Bindung, er enthielt ihnen zuviel von Planung und Möglichkeiten, in die Wirtschaft einzugreifen; denjenigen aber, die für eine hundertprozentige Planung sind, waren die Ansätze zu einer gewissen Lenkung zu gering, sie wollten viel mehr an Planungsrechten. Wenn Sie so die ganzen Stimmen der Kritik, die laut geworden sind, die namentlich auch in Frankreich von seiten der französischen Schwerindustrie laut geworden sind, verfolgen, dann werden Sie sehen, daß dem einen das zuviel, dem andern das gleiche zuwenig ist, so daß man doch wohl glauben darf: es ist denen, die dieses Werk gearbeitet haben, gelungen, das zu finden,


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

was gefunden werden mußte: ein guter Ausgleich zwischen einander entgegengesetzten Anschauungen.
Ich habe eben von der französischen Schwerindustrie gesprochen. Es ist in der Tat so, daß die französische Schwerindustrie — oder wenigstens maßgebende Teile der französischen Schwerindustrie — mit großer Intensität gegen die Montanunion Sturm laufen und daß sie, wie mir berichtet worden ist, in den letzten Tagen versucht haben, schwerindustrielle Kreise auch der anderen europäischen Länder zusammenzubringen, damit von den Schwerindustrien sowohl Frankreichs wie Deutschlands dieses Werk verneint wird. Ich hoffe, daß die deutschen Kreise sich nicht verlocken lassen, auf diese Rufe der französischen Schwerindustrie zu hören.

(Unruhe bei der SPD.)

Ich sage diese Worte nicht ohne Grund und ohne bestimmten Anhalt dafür. Diejenigen, die auf französicher Seite ausführen, die französische Wirtschaft werde der deutschen Hegemonie ausgeliefert,

(Lachen bei der SPD)

gehen mit diesen Behauptungen in ihrem Lande hausieren. Bei Deutschen sagen sie natürlich etwas anderes. Ich bin der Auffassung und des Glaubens, daß die Parlamente der sechs europäischen Länder, die sich mit dieser Montanunion zu beschäftigen haben werden, genau erkennen, worum es sich handelt, daß sie insbesondere auch erkennen, daß der politische Zweck, die politische Bedeutung der Montanunion noch unendlich viel größer ist als der wirtschaftliche Zweck.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

So sehr ich auch die wirtschaftliche Bedeutung bejahe, so sehr ich es als gut empfinde, daß für Kohle, Eisen und Stahl in einem Gebiete, das von 167 Millionen Menschen bewohnt wird, ein freier Markt geschaffen wird, so sehr ich es begrüße, daß auf dem Gebiete, das die Montanunion in sich schließt, die Zollschranken fallen, so sehr ich der Auffassung bin, daß dadurch ein wirtschaftlicher Impuls allerersten Ranges und von größter Kraft ausgehen wird, — über alles dies scheint mir die politische Bedeutung noch unendlich viel größer zu sein.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Als im Mai des Jahres 1950 Herr Schuman diesen Vorschlag machte,

(Zuruf von der KPD: Washington machte ihn!)

ging es ihm in erster Linie darum, die althergebrachten Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland dadurch aus der Welt zu schaffen, daß auf dem Gebiete der Grundstoffindustrien gemeinsam gearbeitet, und daß dadurch jeder Gedanke, einer wolle gegen den andern rüsten, unmöglich würde. Es handelte sich auch darum, psychologisch zu wirken. Wir müssen uns darüber klar sein, daß französische Bevölkerungskreise vielfach noch immer in dem Gedanken leben, daß Deutschland ein eventueller zukünftiger Gegner sein würde. Die psychologische Bedeutung, die Frage der Beruhigung solcher Befürchtungen im eigenen Lande- und die Erweckung des Gefühls der Zusammengehörigkeit zwischen Deutschland und Frankreich waren die politischen Gründe, die Herrn Schuman damals geleitet haben. Aber wie bei wirklich konstruktiven Gedanken hat sich im Laufe der Entwicklung gezeigt, daß in diesem Vorschlag eine solche lebendige Kraft lag, daß man über den ursprünglichen Zweck jetzt schon weit hinausgekommen ist.
Man hat seit dem Mai 1950 erkannt, daß die Integration Europas für alle europäischen Länder eine absolute Notwendigkeit ist, wenn sie überhaupt am Leben bleiben wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Man hat weiter erkannt, daß man die Integration Europas nicht mit Reden, mit Erklärungen herbeiführen kann, sondern daß man sie nur herbeiführen kann

(Zuruf von der KPD: Durch Panzerdivisionen!)

durch gemeinsame Interessen und durch gemeinsames Handeln.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Darin liegt die ganz große Bedeutung dieses Vertrages. Dieser Vertrag nötigt die europäischen
Länder, die ihm angehören, zusammen zu handeln.
Etwas weiteres hat sich im Laufe der Verhandlungen ergeben. Ich glaube, daß wohl zum ersten Mal in der Geschichte, sicher der Geschichte der letzten Jahrhunderte, Länder freiwillig und ohne Zwang auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten wollen,

(Zuruf von der KPD: An die Rüstungsherren!)

um diese Souveränität einem supranationalen Gebilde zu übertragen.

(Zuruf von der KPD: Den Amerikanern unterstellt werden! — Zurufe in der Mitte: Ruhig! — Gegenrufe von der KPD: Das gefällt Ihnen nicht!)

Das ist — ich betone das nachdrücklich —, wie mir scheint, ein Vorgang von welthistorischer Bedeutung, ein Vorgang, der das Ende des Nationalismus in all diesen Ländern bedeutet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin der festen Überzeugung, daß, wenn dieser Anfang einmal gemacht worden ist, wenn hier sechs europäische Länder, wie ich nochmals betone: freiwillig und ohne Zwang einen Teil ihrer Souveränität

(Zuruf von der KPD: Wer lacht denn da?)

auf ein übergeordnetes Organ übertragen, man dann auch auf anderen Gebieten diesem Vorgang folgen wird und daß damit wirklich der Nationalismus, der Krebsschaden Europas, einen tödlichen Stoß bekommen wird.

(Sehr gut! und Bravo! bei den Regierungsparteien.)

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, über aller Kritik am einzelnen — ich möchte jetzt auf Einzelheiten nicht eingehen und mir vorbehalten, je nachdem, was hier vorgebracht wird, darauf zurückzukommen — immer im Auge zu halten, daß es sich hier um eine Entscheidung handelt, wie sie in Europa bisher noch niemals getroffen worden ist.

(Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Ein Wort lassen Sie mich noch zum Ruhrstatut und all dem sagen. Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, daß dieser Vertrag nicht ratifiziert wird, ehe bindende Erklärungen der beteiligten Länder — jetzt meine ich nicht die Länder, die den Vertrag unterschrieben haben, sondern überhaupt die am Londoner Abkommen beteiligten Länder - vorliegen, die der Bundesrepublik dieselbe Mög-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

lichkeit geben, frei in diese Montanunion einzutreten, wie den anderen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Ich möchte hier betonen, daß bei den Verhandlungen der Außenministerkonferenz in Paris Frankreich und ebenfalls die anderen Länder, die dort vertreten waren, diese Forderung als berechtigt anerkannt haben und daß die beiden Länder, die auch noch zur Aufhebung dieser Beschränkungen zustimmen müssen, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, mir sofort nach meiner Rückkehr von der Pariser Außenministerkonferenz die Mitteilung haben zugehen lassen, daß sie durchaus für unsere Forderung seien. Die Verhandlungen unter diesen Ländern haben in der Zwischenzeit begonnen. Wir werden von dem Fortgang der Verhandlungen dauernd unterrichtet.
Ich betone nochmals, meine Damen und Herren: Verwenden Sie auf diese Frage nicht zu viel Zeit, denn es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, daß ohne Erfüllung dieser Forderung der Vertrag von der Bundesregierung dem Herrn Bundespräsidenten, nicht unterschrieben werden wird.

(Bravo! bei der FDP.)

Vorläufig möchte ich damit schließen. Ich möchte mich nicht zu sehr in Einzelheiten hineinbegeben, weil ich den Blick der Öffentlichkeit und dieses Hauses nicht von dem großen Ziel, von dem großen Zweck, der mit diesem Vertrag verfolgt wird, ablenken möchte: von dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Europas.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien und bei der BP.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116101200
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Besprechung der ersten Beratung und gleichzeitig die Besprechung des Antrages der Fraktion der SPD, 'der nachher, wie ich annehmen darf, von dem Redner der SPD begründet werden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Henle.

Dr. Günther Henle (CDU):
Rede ID: ID0116101300
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wenn ich hier für die Fraktion der CDU das Wort ergreife, um in dieser so überaus bedeutsamen Aussprache über die Frage der Billigung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unseren Standpunkt darzulegen, so lassen Sie mich eine Feststellung gleich vorweg treffen. Die in der Regierung vertretenen Parteien in diesem Hause sind sich im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung völlig einig in der Erkenntnis des großen Zieles, um das es sich bei der Verwirklichung des Schumanplanes handelt, und in der Entschlossenheit, diese Verwirklichung, soweit es an uns liegt, auch sicherzustellen. Was von den Sprechern der einzelnen Regierungsparteien heute hierzu gesagt wird, gilt daher grundsätzlich für alle Fraktionen der Koalition und in deren aller Namen, ohne daß damit jede Gruppe auf jede einzelne Formulierung festgelegt werden soll. In allem Wesentlichen aber stehen wir einmütig zusammen.
Das bedeutet nicht, daß wir alle hundertprozentige Lobredner des Vertragswerkes sind, das uns vorliegt. Darum handelt es sich auch nicht, sondern es geht um die schicksalsschwere Frage, ob die deutsche Bundesrepublik bereit ist, mit Hand anzulegen bei der Verwirklichung des wohl kühnsten Versuches, der bisher unternommen wurde, um die althergekommene Aufspaltung Europas in nationalstaatliche Einheiten, deren jede bei sich unbedingt Herr im eigenen Hause sein will, zu
überwinden. Diese Überwindung soll dadurch angebahnt werden, daß zunächst einmal auf dein höchst wichtigen wirtschaftlichen Teilgebiet von Erz, Kohle und Stahl dem Grundsatz der Aufspaltung der Grundsatz der Zusammenfassung, dem Gedanken der Gegensätzlichkeit jener der Gemeinsamkeit übergeordnet und damit eine wesentliche Änderung der bisherigen Ordnung der Dinge in Europa angebahnt und herbeigeführt wird. Gewiß ist ein solcher Versuch ein Wagnis, aber wir bekennen uns zu der Notwendigkeit eines solchen Wagnisses. Freilich, gerade weil wir so denken, sind wir nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, genau zu untersuchen, ob die Voraussetzungen des Gelingens in dem uns vorliegenden Vertragstext in höchst erreichbarem Umfange vorliegen.
Dieser Vertragstext ist ein kompliziertes und umfangreiches, für den Nichtfachmann und damit für die weiten Kreise des Volkes schwer lesbares und in bezug auf die Tragweite der einzelnen Bestimmungen nicht leicht zu durchschauendes Werk. Man erwartet natürlich im Lande draußen mit Recht von uns, daß jedenfalls wir Abgeordneten uns diese Bestimmungen sehr genau ansehen und sie auf die Goldwaage legen, um so zu einem verläßlichen Gesamturteil zu kommen. Es ist selbstverständlich, daß wir der uns so obliegenden Pflicht nur gerecht werden können, wenn wir nicht sozusagen von vornherein alles und jedes für restlos befriedigend erklären, was die Unterhändler erreicht und festgelegt haben, sondern auch Kritik üben, wo immer Bestimmungen zu Zweifeln an dem Erfolge des Ganzen Anlaß geben. Eine solche Kritik ist nicht negativ, sondern Kritik im Interesse eines Gelingens des Gesamtwerkes.
Ich betone das, weil sich gerade in dieser Hinsicht, zumal im Ausland, oft Mißverständnisse einstellen. Wir haben das noch dieser Tage deutlich bei der Bewertung der Forderungen gesehen, die der Bundesrat in seiner Sitzung vom 27. Juni im Rahmen des Schumanplanes erhoben hat. Ein Teil der Auslandspresse hat darin eine Opposition gegen die Montanunion als solche oder doch zumindest ein Verzögerungsmanöver sehen wollen. Das scheinen mir irrtümliche Interpretationen zu sein. Weit zutreffender war es, wenn die „New York Times" in einem Leitaufsatz dazu schrieb, der Bundesrat habe ein gutes Beispiel gegeben und seine Vorbehalte seien vom alliierten Standpunkt aus nur von geringerer Bedeutung, da ja die Gleichstellung Deutschlands und die Aufhebung der alliierten Kontrolle wesentliche Elemente des Schumanplanes seien. Um so größere Bedeutung hätten sie freilich, so fügte das große New Yorker Blatt hinzu, vom innerdeutschen Standpunkt aus, um die Opposition gegen den Schumanplan zu überwinden, die — wie das Blatt weiter schreibt — nicht nur von einigen unentwegten Ruhrindustriellen, sondern besonders von den deutschen Sozialisten herrühre.
Was die Ruhrindustriellen anlangt, so glaube ich sagen zu können, daß diese es von vornherein an grundsätzlich positiver Einstellung zum Schumanplan nicht haben fehlen lassen.

(Beifall in der Mitte.)

Was die Haltung der SPD anlangt, so hat diese freilich die Bekämpfung des- Schumanplan-Vertragswerkes nun leider einmal zur Parteiparole, um nicht zu sagen, zum Dogma erhoben. Dabei ist, wie einer kürzlichen Meldung der der SPD


(Dr. Henle)

nahestehenden Zeitung „Die Welt" zu entnehmen war, — —

(Große Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf des Abg. Schoettle. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Das war ein Scherz! — Abg. Mellies: Sie sind wohl gestern vom Himmel gefallen! — Unruhe bei der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

— Meine Herren, sind Sie so sicher, daß alle Mitarbeiter der „Welt" den Vermerk in der 'Oberschrift von der „Überparteilichkeit" auch gelegentlich einmal selber lesen?

(Beifall bei der CDU. — Abg. Dr. Schumacher: Die „Welt" ist ein reines Regierungsblatt! — Andauernde Unruhe bei der SPD.)

— Ich wollte Ihnen mit dieser Bemerkung ja in
keiner Weise zu nahe treten, Herr Dr. Schumacher!

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren! Wie dem auch sei, jedenfalls war einer Meldung dieser Zeitung zu entnehmen, daß es auch bei dem internationalen Kongreß der sozialistischen Parteien in Frankfurt bei dieser Stellungnahme geblieben ist, von dem man vielleicht am ehesten eine gewisse Auflockerung dieser dogmatischen Erstarrung erhoffen konnte. Um die Rolle, die sich die SPD damit selbst zudiktiert hat, ist sie nun freilich nicht zu beneiden. Aber das enthebt uns nicht der Notwendigkeit, uns mit den Argumenten ernsthaft auseinanderzusetzen, die von der linken Seite dieses Hauses gegen die Montanunion ins Feld geführt werden. Wir kennen sie schon im voraus; denn dank der Redekampagne des Herrn Dr. Schumacher füllen sie ja schon einen ganzen Katechismus.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Schumacher: Lesen Sie das noch aus der „Welt" vor oder ist das aus Ihrem Manuskript?)

— Nein, ich verhake mich nicht so lange in ein und denselben Gegenstand, Herr Schumacher.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Kritik am Schumanplan ist natürlich in allen beteiligten Ländern laut geworden. Die Koordinierung der Grundindustrien in sechs verschiedenen Staaten mit recht unterschiedlichen Voraussetzungen kann sich nicht ohne Ausgleichsmaßnahmen und Sonderbestimmungen vollziehen, die Kompromisse erfordern, wie das der Herr Bundeskanzler eben bereits ausgeführt hat. Jedes Kompromiß bedeutet aber ein Zurückstecken gegenüber dem für jeden einzelnen Partner an sich Wünschbaren. Ebenso erfordern gemeinsame Anstrengungen zur Erreichung eines bestimmten Zieles auch mancherlei Opfer, die natürlich nach einem, objektiven, für alle Partner gleichmäßig zur Anwendung gelangenden Schlüssel verteilt werden müssen. Das sind an sich Selbstverständlichkeiten.
Was für uns Deutsche die Verwirklichung des Schumanplans in mancher Hinsicht besonders erschwert hat, das .ist unsere heute noch gegebene Unfertigkeit als selbständiger Staat nach dem totalen Zusammenbruch von 1945. Denn diese Unfertigkeit dokumentiert sich für die Grundindustrien besonders in dem Fortbestehen der alliierten Neuordnungs- und Kontrollmaßnahmen innerhalb der Bundesrepublik.
Dabei wirkt sich noch weiter erschwerend aus, daß wir es bei diesen Fragen im Rahmen der Schumanplan-Verhandlungen nur mit Frankreich zu tun hatten, das verständlicherweise nicht in der Lage war, dabei zugleich für seine nicht zur Montanunion gehörenden Partner in den Neuordnungs- und Kontrollorganen verbindliche Erklärungen abzugeben. So war es eine zwangsläufige Folge, daß es in dieser Hinsicht noch eine Reihe offener oder bisher noch nicht abschließend geklärter Punkte gibt. Diese haben dann ja in dem Beschlusse des Bundesrats vom 27. Juni die Hauptrolle gespielt.
Da ist einmal die Ruhrbehörde. An sich gibt es, glaube ich, kaum einen eindrucksvolleren Beweis, in welch starkem Ausmaß uns gerade unser positives Eingehen auf den Schumanplan-Vorschlag vorangebracht hat, als die Tatsache, daß von uns heute schon mit Fug und Recht das Verschwinden der Ruhrbehörde verlangt werden konnte. Gerade von der französischen Regierung selbst, die seinerzeit diejenige war, die die Schaffung der Ruhrbehörde durchsetzte, ist uns die Beseitigung dieser Institution jetzt zugesagt worden.
Man hat dagegen eingewandt, diese Zusage sei nicht endgültig und somit letztlich auch nicht bindend. Demgegenüber möchte ich glauben, daß sich die französische Regierung mit ihrem Briefe an den Herrn Bundeskanzler vom 18. April tatsächlich im Maximalausmaß dessen festgelegt hat, was ihr ohne Verhandlungen mit Washington und London möglich war. Das hat man ihr in London bekanntlich sogar etwas verübelt. Durch den Brief vom 18. April sind die Franzosen im Sinne eines Außerkrafttretens des Ruhrstatuts nach der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle, d. h. also spätestens sechs Monate nach Ernennung der Mitglieder der Hohen Behörde, durchaus bindend festgelegt. Von dieser Festlegung könnte sie nur ein Widerspruch ihrer außerhalb der Montanunion stehenden Partner befreien. Was diese Partner anlangt, so wissen wir bereits aus den Mitteilungen des Herrn Bundeskanzlers im Bundesrat und auch in diesem Hause, daß sie die Zusage gegeben haben, der Auflösung der Ruhrbehörde auch ihrerseits zustimmen zu wollen. So steht deren baldiges Verschwinden in sicherer Aussicht.
Bei dieser Sachlage ist es wohl angezeigt, in die Erinnerung zu rufen, wie heftig Ende 1948 das Aufbegehren in ganz Deutschland war, als die Ruhrbehörde geschaffen wurde

(Abg. Dr. Schumacher: Bei Ihnen nicht! Sie haben zugestimmt!)

— wir waren damals ja hier noch gar nicht versammelt —,

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Ich erinnere Sie an Bernkastel, Herr Henle!)

ja, wie heftig es teilweise — das bezieht sich jetzt auf Sie, Herr Kollege Schmid — noch kritisiert wurde, als sich dann im Zusammenhang mit den Abmachungen vom Petersberg die Bundesregierung bereit fand, deutsche Vertreter in die Ruhrbehörde zu entsenden. Darin wollte manch einer eine Art Kapitulation sehen,

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) während der Ablauf der Dinge bewiesen hat, meine Damen und Herren von der Linken, daß wir damit dem Schumanplan-Gedanken und darüber hinaus dem Schritt ins Freie den Weg ebneten.


(Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. Dr. Schumacher. — Weitere Zurufe von der SPD.)

Man macht es sich wahrlich etwas zu bequem, wenn
gegen all das jetzt eingewendet wird, an die Stelle
der Ruhrbehörde solle nun eben die Hohe Behörde


(Dr. Henle)

treten, um die Bevormundung des Ruhrgebiets für weitere 50 Jahre zu gewährleisten. Dabei wird denn doch auf ein allzu schlechtes Erinnerungsvermögen spekuliert. Wie hieß es doch 1948? Es hieß, wenn die gesamte westeuropäische Grundindustrie wie ein großer internationaler Pool zusammengefaßt würde und dann alle der gleichen Kontrolle unterworfen würden,

(Sehr richtig! in der Mitte — Zurufe von der SPD)

ja, dann ließe sich nicht nur darüber reden,

(Zuruf des Abg. Dr. Schumacher)

sondern darin würde sogar ein entscheidender Schritt nach vorwärts liegen;

(Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig!)

aber die völlig einseitige Unterwerfung Deutschlands unter solche Kontrollen sei untragbar.

(Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig!)

Ja, Herr Dr. Schumacher, so weit sind wir jetzt dank der Politik, die wir betrieben haben, gekommen.

(Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. Dr. Schumacher. — Weitere Zurufe von der SPD.)

Natürlich war diese einseitige Unterwerfung Deutschlands auf die Dauer untragbar. Wenn sie nun heute aufgehoben werden soll, so ist es nicht der laute Entrüstungssturm gewesen, der eine solche rasche Entwicklung bewirkt hat, sondern die überlegene und kluge Behandlung der ganzen Frage durch den Bundeskanzler Herrn Dr. Adenauer,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

der allein schon damit eine staatsmännische Leistung von historischem Ausmaß vollbracht hat.

(Erneuter Beifall.)

Die Hohe Behörde mit ihrem übernationalen Charakter und mit der Anfechtbarkeit ihrer Entscheidungen vor einem eigens dazu geschaffenen Gerichtshof ist etwas von der Ruhrbehörde dem Wesen nach so vollkommen Verschiedenes, daß, wer behauptet, sie laufe in der Wirkung auf dasselbe hinaus, die Dinge in ihrem wirklichen Zusammenhang entweder nicht zu übersehen vermag oder sie einfach nicht sehen will.

(Abg. Dr. Schumacher: Das ist Robert Schuman, der das gesagt hat! Herr Schuman hat das gesagt! — Gegenrufe von der Mitte. — Erregter Wortwechsel zwischen dem Abg. Dr. Schumacher und Abgeordneten der Mitte. — Große Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116101400
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, die Auseinandersetzungen doch in Formen zu führen, die in diesem Hause üblich sind.

(Fortgesetzte Zurufe von der Mitte und anhaltende Unruhe.)


Dr. Günther Henle (CDU):
Rede ID: ID0116101500
Neben der Ruhrbehörde stehen die alliierten Kohle- und Stahlkontrollgruppen sowie die Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde und der Alliierten Hohen Kommission in den deutschen Grundindustrien. Davon gilt ungefähr das gleiche wie von der Ruhrbehörde. Der Verzicht auf alle Funktionen dieser Stellen, die künftig in den Zuständigkeitsbereich der Hohen Behörde fallen, ist in dem Briefe des französischen Außenministers vom 18. April bereits eindeutig ausgesprochen worden. Demnach werden sowohl
die Zuständigkeit der Alliierten Hohen Kommission auf dem Gebiete von Kohle und Stahl wie auch insbesondere die Kohle- und Stahl-Kontroll-Gruppe spätestens sechs Monate nach der Ernennung der Mitglieder der Hohen Behörde in Fortfall kommen. Der Fortfall auch des wenigen, das dann an Kompetenzen noch bleibt, wie ihn der Beschluß des Bundesrates verlangt hat, dürfte nur eine Zeitfrage sein, über die bei gutem Willen aller Beteiligten ohne weiteres und unschwer eine Verständigung zu er: zielen sein sollte.
Nicht anders steht es mit den Beschränkungen der Stahlproduktion. Darüber sagt die französische Note, diese Beschränkungen müßten bei dem Inkrafttreten des Schumanplan-Vertrages aufgehoben werden; und es ist eine Eulenspiegelei, dazu zu sagen, das machten aber vielleicht die Amerikaner oder die Engländer nicht mit. Denn alle Welt weiß doch, daß es weniger diese, sondern vor allem die Franzosen waren, die sich bisher gegen die Aufhebung dieser Beschränkungen sträubten.
Mißlicher hat sich bei uns die bisherige alliierte Neuordnungs- und Entflechtungspolitik insofern ausgewirkt, als sie in einer Reihe von Fragen, so besonders der Einzelgestaltung unserer Betriebe, bei dem wichtigen Problem der Verbundwirtschaft und des Deutschen Kohleverkaufs, zu Festlegungen geführt hat, die von der deutschen Wirtschaft als lästige Hemmungen und Bindungen empfunden werden mußten. So sind wir der Ansicht, daß der Verbund von Kohle und Eisen an der Ruhr etwas Naturgegebenes ist, was die Gegenseite bei den Verhandlungen aber zunächst durchaus nicht gelten lassen wollte, obschon die Verbundwirtschaft ja in allen Ländern geübt wird, wo die natürlichen Voraussetzungen dazu vorliegen, und obschon der Montanunion auch Länder angehören werden, die sogar eine Art doppelter Verbundwirtschaft ihrer Eisenindustrie, nämlich sowohl mit der Kohle als mit dem Erz, aufweisen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Die Praxis in aller Welt spricht eben eine andere Sprache, als die Doktrinäre der Entflechtung es gelten lassen wollten.

(Richtig! in der Mitte.)

Dennoch stießen wir uns in dieser für die Ruhrindustrie so lebenswichtigen Frage an dem Widerstand der Besatzungsstellen. Darüber, daß dann diese Probleme in einen engen Zusammenhang mit dem Schumanplan gerieten, brauchten wir aber eigentlich nicht ärgerlich zu sein. Zwar kann der Umstand, daß bei etwaiger künftiger Abänderung der getroffenen Festlegungen das ausschlaggebende Wort bei der Hohen Behörde liegen soll, uns natürlich nicht voll befriedigen. In bezug auf die Verbundwirtschaft ist es infolge dieses Junktims mit dem Schumanplan und dank der persönlichen Einschaltung des amerikanischen Hohen Kommissars bekanntlich schließlich zu dem Kompromiß gekommen, daß man uns die Verbundwirtschaft für die großen Hüttenwerke wenigstens zu 75 % zugebilligt hat. Das war immerhin eine Art Vorwegerfolg des Schumanplans, wenn auch natürlich kein voller Sieg des Grundsatzes der Verbundwirtschaft. Und einen Grundsatz kann man doch eigentlich nicht nach der Maßgabe von Prozenten als richtig anerkennen.

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber es gibt einen Grenzwert!)

Herr Kollege Schmid, wenn Sie sagen „Es gibt einen Grenzwert", so würde es mich sehr inter-


(Dr. Henle)

essieren, von Ihnen als einem Experten der Kohle- und Eisenwirtschaft zu erfahren,

(lebhafte Heiterkeit und Beifall in der Mitte)

wo nach Ihrer Ansicht dieser Grenzwert liegt.
Wegen der Frage des Kohleverkaufs hat man in das Übergangsabkommen dann einen besonderen § 12 eingebaut, der die Schaffung neuer ständiger Organe vorsieht, die eine nachteilige Auswirkung der Auflösung des zentralen Kohleverkaufs verhindern sollen. Man wird nun sehen müssen, wieweit man auf diesem Umwege zum Ziele kommen kann. einem Ziele, das uns zu wichtig ist, als daß wir es bei der einfachen Auflösung belassen könnten.
Bedenken hat bei uns in Deutschland weiter die im Schumanplanvertrag vorgesehene Regelung für Investitionen wachgerufen, der man insbesondere nachsagt, sie berücksichtige den starken deutschen Nachholebedarf unzureichend oder gar nicht. Dabei sind auf diesem Gebiete die Befugnisse der Hohen Behörde, die im wesentlichen doch wohl nur der Verhinderung unwirtschaftlicher Produktionen dienen sollen, freilich oft beträchtlich übertrieben worden. Die Hohe Behörde hat keineswegs ein Investitionsmonopol. Auch in Zukunft können sich die Unternehmungen eigene Investitionsmittel beschaffen und sie verwenden; sie sind hierin unbeschränkt. Mit unseren Aussichten, fremdes Kapital für Investitionen in der Bundesrepublik zu gewinnen, steht es heute jedoch noch so schlecht, daß die Erschließung von Geldquellen durch die Hohe Behörde für uns eine wichtige Möglichkeit darstellt, den Auswirkungen unseres katastrophalen Kapitalmangels abzuhelfen. Was wesentlich ist, das ist jedenfalls der Fortfall der alliierten Investitionskontrolle für Kohle und Stahl. Auch die entsprechende Kontrolle der OEEC wird in Zukunft nach anderen Grundsätzen zur Anwendung kommen oder doch auf eigentliche Marshallplangelder beschränkt werden müssen, wenn sich ihre Befugnisse nicht mit denen der Hohen Behörde überschneiden sollen.
Erhebliche Kritik haben dann gerade von seiten der SPD die institutionellen Einrichtungen ausgelöst, die für die Kohle- und Stahlgemeinschaft vorgesehen sind. Weder Zusammensetzung und Befugnisse der Hohen Behörde, noch ,der Ministerrat, noch die Parlamentarische Versammlung haben so, wie sie vorgesehen sind, Gnade in den Augen der Opposition gefunden. Und beim Gerichtshof wird sein sicher sehr bedeutsames Vorhandensein als solches von der Schumanplan-Kritik entweder einfach schamhaft übergangen, oder aber es wird bemängelt, daß er die Würdigung der wirtschaftlichen Tatsachen durch die Hohe Behörde nicht nachprüfen kann.
Was die Hohe Behörde selbst anlangt, so hat man beanstandet, daß ihr nicht mehr als zwei Mitglieder gleicher Staatsangehörigkeit angehören dürfen. Man hat argumentiert, die Bundesrepublik müsse in Anbetracht ihrer Produktionskraft etwa 40 % der Stimmen und des Einflusses in den Schumanplan-Organisationen beanspruchen können. Das verkennt nun freilich gründlich den Sinn der ganzen Institution, die ja übernational und nicht ein Nebeneinander von Vertretern miteinander rivalisierender nationaler Interessen sein soll.

(Abg. Dr. Schmid: [Tübingen]:: Ahnungsvoller Engel!)

-Gerade das Schwergewicht unserer Produktionskraft ist geeignet, uns in stärkerem Maße als die
kleineren Partner davor zu schützen, daß wir mit unseren besonderen deutschen Belangen im Rahmen des Schumanplans zu kurz kommen könnten. Der Schumanplan-Organismus würde sich geradezu selbst treffen, wenn er die de deutschen Grundindustrien stiefmütterlich behandeln wolle, die einen so wesentlichen Teil seiner gesamten wirtschaftlichen Stoßkraft ausmachen. In ähnlicher Richtung bewegen sich übrigens die Sorgen mancher anderer, z. B. französischer, Kreise, wenn ich auch glaube, daß man in bezug auf die Haltung der französischen Schwerindustrie nicht so weit gehen kann, wie das eben der Herr Bundeskanzler getan hat.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Jedenfalls gehen die Besorgnisse der Industrien anderer Länder ebenfalls dahin, daß wir Deutschen gerade wegen dieses Schwergewichts unserer Grundindustrien zu einer beherrschenden Rolle im Rahmen der Montanunion gelangen könnten. Das ist natürlich auch falsch gedacht, wie denn überhaupt das ganze Denken dieser Art letztlich das Überbleibsel einer vom nationalen Eigeninteresse ausgehenden Betrachtungsweise ist, die die Gemeinschaft gerade überwinden will, indem sie die Teilinteressen der Einzelnen zum Gesamtinteresse erhebt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Zeigt sie sich dieser Aufgabe gewachsen, so kann kein Raum mehr sein für ein Ausspielen der Gewichte gegeneinander. Freilich erfordert das eine europäische Denkweise, zu der wir uns alle erst erziehen müssen. Man muß aber den Nationalismus schon stark in. den Knochen stecken haben, wenn man glaubt, daß etwas Derartiges nicht erreichbar sei.

(Zustimmung in der Mitte und rechts.)

Den Sozialisten aller Länder, denen soviel an der von oben her geplanten und gelenkten Wirtschaft liegt, müßte im übrigen die Hohe Behörde doch eigentlich ein Kind so recht nach den Wünschen ihres Herzens sein.

(Lachen links.)

Aber nein, wir hören die Befürchtung, sie könnte eine „Institution von Managern" werden, wie denn überhaupt von der gleichen Seite her die Sorge sich zu Wort gemeldet hat, der Schumanplan-Organismus könne die Vergesellschaftung, cl. h. die Sozialisierung, in den einzelnen Ländern hemmen.

(Zuruf rechts: Da liegt der Hase!)

Nun, Sozialisierungsparolen konnte der Schumanplan freilich nicht auf seine Fahnen schreiben. Die Hohe Behörde wird es mit sozialisierten und mit privatwirtschaftlich geleiteten Unternehmungen zu tun haben, und niemand weiß, wie sich die Strukturformen der westeuropäischen Wirtschaft in den nächsten 50 Jahren weiterentwickeln werden.

(Abg. Renner: Gilt das auch für England?)

Den Schumanplan-Organimus da von vornherein auf eine bestimmte Wirtschaftstheorie festlegen zu wollen, das war allerdings nicht gewollt und wäre gewiß auch ein verfehltes Unterfangen gewesen.

(Zustimmung in der Mitte.)

Weit eher berechtigt erscheint die Sorge, daß die Hohe Behörde sich allzu leicht in ein Instrument des Dirigismus, wie man in Frankreich sagt, d. h. bürokratischer Kommandowirtschaft von oben her, verwandeln könnte. Ich gestehe Ihnen gerne, daß auch wir keineswegs frei von dieser Besorgnis


(Dr. Henle)

sind. Die Hohe Behörde mit ihrer vielleicht etwas zu freigebigen Ausstattung mit weitreichenden Vollmachten und Befugnissen läuft ohne Frage Gefahr, zu einem mehr oder weniger bürokratischen Organismus zu erwachsen. Ein solcher Organismus neigt nur allzu leicht dahin, dann die Wirtschaft zu gängeln und zu bevormunden.

(Sehr richtig! rechts.)

In der Wirtschaft besteht aber ,nun einmal der —
von Nichtwirtschaftlern vielleicht als anmaßend
empfundene — Glauben, daß bessere Ergebnisse
erzielt werden, je weniger die Bürokratie hineinredet.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Wenn die Internationale Handelskammer in einer Erklärung zum Schumanplan unlängst sagte, die Hohe Behörde solle möglichst wenig Zwang und Sanktionen anwenden und sich gewöhnlich auf Beratung und Veröffentlichung beschränken, so hatte sie, glaube ich, recht. Der Vertrag enthält dann ja auch wenigstens Bestimmungen, die einem zu weitgehenden Dirigismus entgegenwirken sollen. Grundsätzlich sind in ihm wirtschaftslenkende Befugnisse der Hohen Behörde die Ausnahme; im Normalfalle bleibt sie auf eine mehr koordinierende und regulierende Aufgabe beschränkt.
Wenn ich in diesem Zusammenhange einen Wunsch anmelden darf, so ist es der, daß sich die Hohe Behörde möglichst weitgehend den Art. 48 Abs. 2 des Vertrages zunutze machen möge, der vorsieht, daß sie sich bei der Durchführung der ihr übertragenen Aufgaben der regionalen Verbände bedienen soll, die von den Unternehmen auf der Grundlage der Freiwilligkeit gebildet werden können. Dies scheint mir wichtig, um die Hohe Behörde in möglichst enge Verbindung mit der Wirklichkeit der Industriewirtschaft zu. bringen. Denn sie kann nicht nur gleichsam über den Wolken thronen, um nur hin und wieder zu diesem oder jenem Unternehmen einen Weltraumboten zu entsenden. Sie bedarf notwendigerweise der Bindeglieder, wenn sich zwischen ihr und den Einzelunternehmen ein ständiger und lebendiger Kontakt entwickeln soll, was im Interesse des Gelingens des ganzen Werkes unerläßlich erscheint. Das alles aber nur von einer einzigen Zentralstelle aus bewältigen zu wollen, das ginge über Menschenkraft und müßte notwendigerweise zu einer unzulässigen Aufblähung dieser Zentrale führen, eine Versuchung, der wir die Hohe Behörde schon ganz und gar nicht ausgesetzt sehen möchten.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Was den Ministerrat und die Parlamentarische Versammlung anlangt, so scheinen mir beide sehr wichtige Funktionen zu erfüllen, um einer Omnipotenz der Hohen Behörde vorzubeugen und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten den Weg zu ebnen. Den Ministerrat als einen „Triumph des nationalstaatlichen Egoismus" abzutun, das- scheint mir doch eine recht abwegige Übertreibung zu sein. Ebensogut könnte man bei uns den Bundesrat mit einer ähnlich liebevollen Charakterisierung bedenken.

(Heiterkeit.)

Daß die Parlamentarische Versammlung kein echtes parlamentarisches Regiment führen kann, sondern sich mit den ihr zugebilligten Kontrollbefugnissen begnügen muß, dürfte zwangsläufig daraus folgen, daß es ja nicht in Frage kommen konnte, heute schon im Rahmen des Schumanplans einen Überstaat zu schaffen. Man kann wirklich nicht auf der einen Seite lamentieren, daß der Schumanplan-Vertrag den Mitgliedern zuviel von ihrer wirtschaftspolitischen Selbständigkeit raube, auf der anderen Seite aber in seinem Rahmen Institutionen fordern, die ihn zum Überstaat erheben würden. Gerade die richtig ausgewogene Mischung von Souveränitätsverzicht und von Schonung der Selbständigkeit der Mitgliedstaaten war das, worauf es beim Abschluß des Vertrages ankam. Die Unterhändler scheinen mir gerade in dieser Hinsicht einen geeigneten Mittelweg gefunden zu haben.
Schließlich noch ein Wort zum Gerichtshof. Selbstverständlich muß sich seine Zuständigkeit grundsätzlich auf die Rechtsfragen beschränken, und er kann nicht zum Richter über rein wirtschaftspolitische Erwägungen bestellt werden. Er stellt aber doch ein sehr positives Element des Gesamtaufbaus der Organe des Schumanplans gegenüber allen Vergewaltigungsbefürchtungen dar, die bei den Vorsichtigen und Ängstlichen so häufig laut werden. Er sollte deshalb auch als solches bewertet und keineswegs als wertlos abgetan oder beiseite gelassen werden.
Schließlich wird die Haupttrumpfkarte ausgespielt, nämlich der Schumanplan schaffe ein Superkartell. Just für dieses Argument legt übrigens die Sowjetpresse eine besondere Vorliebe an den Tag, wobei dann natürlich der westliche Monopolkapitalismus im gleichen Atemzuge möglichst nicht fehlen darf.

(Heiterkeit.)

In den Reihen unserer Opposition wird das etwas abgewandelt. Da ist dann von „klerikalem, konservativem und kartellistischem Kapitalismus" die Rede, wobei man offenbar glaubt, daß sich hinter dieser Häufung des Buchstaben X automatisch auch eine entsprechende Ansammlung von Geist verberge.

(Große Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Ausgezeichnet! — Zurufe des Abg. Dr. Schumacher.)

Zunächst ist nun ein Kartell eine Verständigung unter Produzenten, die durch Beschränkung und geeignete Verteilung der Produktion auf die Absatzmärkte die Erzielung hoher Preise anstrebt. Der Schumanplan aber stellt gerade umgekehrt die Produzenten unter Kontrolle; er will im Interesse der Verbraucher höchstmögliche Produktion zu möglichst niedrigen Preisen sicherstellen,

(Abg. Rische: Wer das glaubt!)

und er untersagt ausdrücklich alle Kartellbindungen der eben gekennzeichneten Art. Mit dieser Argumentation ist also, bei Licht besehen, nicht viel anzufangen. Im übrigen verrät aber gerade die von der Opposition geltend gemachte Forderung nach einer unserer Produktionsquote angemessenen höheren Stimmenzahl in der Hohen Behörde eine bemerkenswerte Befangenheit im alten Kartelldenken.

(Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) Bei diesem waren in der Tat — —


(Lebhafte Zurufe von der SPD.)

— Einen Augenblick! Hören Sie mich bitte bis zu Ende an, denn jetzt wird es interessant!

(Heiterkeit.)

Bei diesem waren in der Tat die Produktionsquoten für das Stimmengewicht maßgebend. Würde
ein böser Monopolkapitalist das Stimmenverhält-


(Dr. Henle)

nis bei der Hohen Behörde in dieser Weise angegriffen haben, so würde er gewiß von der Linken sofort schonungslos verurteilt,

(Sehr richtig! in der Mitte)

während sich die gleiche Linke heute mit dem Klagelied des Gretchen aus Goethes „Faust" bescheiden muß:
Wie konnt ich sonst so tapfer schmälen,
wenn tät ein armes Mägdlein fehlen! (Lebhafter Beifall und große Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Hinter allen diesen Argumenten, meine Damen und Herren steht letztlich eines: Man will die Verwirklichung des Schumanplan-Vertragswerks politisch nicht. Offenbar paßt es nicht in das politische Gesamtkonzept. Denn die dafür im einzelnen geltend gemachten politischen Gründe sind, wie ich gleich ausführen werde, zu schwach, als daß man ihnen ernsthaft ein Eigengewicht zubilligen könnte. Das war einmal das bekannte „Kleinsteuropa"-
Argument. Die Montanunion, heißt es da, vollziehe sich ja gar nicht in einem wirklich europäischen Rahmen und könne so auch nicht als wegweisend für eine Einigung Europas gelten. Nun, Einwendungen gegen Kleinstlösungen kann und soll man gewiß erheben, aber doch eigentlich und vor allem nur dann, wenn man etwas Besseres zu bieten hat. Aber wo sind auch nur die leisesten Ansätze dazu? Gerade in Straßburg, diesem wichtigen neuen Mittelpunkt der europäischen Meinungsbildung, hat sich bisher doch eines deutlich herausgestellt, daß nämlich eben nur der Weg der sogenannten Kleinstlösungen, der Schaffung übernationaler Organe unter den dazu bereiten Staaten gangbar ist, wenn Fortschritte erzielt werden sollen.

(Zurufe von der Mitte: Sehr gut! Sehr richtig!)

Der Einwand bleibt so im rein Negativen stecken. Im übrigen ist diese sogenannte Kleinstlösung im vorliegenden Falle doch gar nicht so klein; denn es bedeutet schon sehr viel, einen großen einheitlichen Markt für Kohle und Stahl für immerhin 150 Millionen Menschen zu schaffen oder — nach der neuesten Auszählung durch den Herrn Bundeskanzler — sogar für 167 Millionen Menschen.

(Heiterkeit in der Mitte. — Abg. Rische: Dann ist aber Schluß!)

Natürlich bedauern auch wir das Fernbleiben Großbritanniens und hoffen lebhaft, wie es vorhin schon der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck brachte, daß es in loserer Form doch noch irgendwie organisch mit der Kohle- und Stahlgemeinschaft in Verbindung kommt. Aber die Engländer mit ihrer Blickrichtung auf die Ozeane und den weltweiten Beziehungen ihres Commonwealth haben ihre besonderen Gründe, eine allzu enge wirtschaftliche Verflechtung mit dem festländischen Europa als Beeinträchtigung ihrer überseeischen Bindungen zu vermeiden. Alle diese Gründe passen für uns hier in der Bundesrepublik, die wir im Herzen des Kontinents sitzen, in keiner Weise. Wir müssen uns mit dem jeweils Erreichbaren zufrieden geben; denn hier gilt der Satz, daß das Bessere des Guten Feind ist.

(Abg. Rische: Das kleinere Übel! Aber morgen nicht mehr!)

— Mit nickten, meine Herren von der äußersten Linken! Sie können sich wirklich mal eine neue Grammophonplatte zulegen!

(Heiterkeit. — Abg. Rische: Weil Sie die Führung beanspruchen wollen!)

Nichts wäre weniger angebracht, als voller Ungeduld in der Europafrage die These des „Alles oder gar .nichts" zu verfechten. Es geht nun einmal nur in Etappen voran, und Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Dabei vollziehen sich die Entwicklungen heute wirklich mit erstaunlicher Schnelligkeit.

(Abg. Rische: Da liegt der Hase im Pfeffer!)

Wer hätte denn bei der durch die Abmachungen vom Petersberg endlich erzielten Beendigung der alliierten Demontagepolitik daran gedacht, daß wir heute schon, also kaum l'/2 Jahre später, über die Ratifizierung eines Vertrages beraten, der uns mit den anderen westeuropäischen Ländern auf die gleiche Stufe stellt!

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Wer hätte bei Erlaß des Besatzungsstatuts erwarten können, daß heute schon nicht nur seine Revision, sondern seine Abschaffung zur Debatte steht?!

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Diese Schnellebigkeit unserer Tage darf uns aber nicht dazu verführen, nun geradezu mit Überschallgeschwindigkeit der Entwicklung noch vorauseilen zu wollen und wertvolle -Ansätze zur Schaffung eines geeinten Europas nur deshalb abzulehnen, weil sich dessen restlose Verwirklichung dabei noch nicht vollständig abzeichnet.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Kommt Zeit, kommt Rat, Herr Henle!)

— Hoffentlich auch für Sie!

(Heiterkeit. — Abg. Mayer [Stuttgart]: Kann der Lautsprecher nicht abgestellt werden?!)

Es gibt, so will mir scheinen, besonders zwei Gefahren für einen gesunden Fortschritt bei der Entwicklung unserer politischen Beziehungen zur Umwelt und vor allem zu unseren Nachbarn im Westen: die schon erwähnte Ungeduld und dann das Mißtrauen, das besonders der französischen Politik gegenüber jedwede fruchtbare Zusammenarbeit zur Erreichung gemeinsamer Ziele immer wieder in Frage stellt. Was soll man denn davon halten, wenn wir zu hören bekommen, durch den Schumanplan würden Besatzungsrecht und Besatzungsmacht für 50 Jahre Bestandteil des deutschen Rechts?

(Abg. Rische: Für zwei Generationen!)

Eine der für uns positivsten Seiten des Schumanplans liegt ja gerade darin, daß er für die deutschen Grundindustrien das Besatzungsrecht durch das neue Recht der Kohle- und Stahlgemeinschaft ersetzt, das für alle Mitgliedstaaten das gleiche ist. Oder glaubt man, Frankreich oder die Niederlande oder irgendeines der anderen Unionsländer seien bereit, sich freiwillig einem neuen Besatzungsrecht zu unterwerfen, bei dessen Ausübung dann auch die Deutschen mitbestimmend sind?

(Sehr gut! in der Mitte.)

Gewiß, der Schumanplan-Vertrag läßt nicht automatisch sämtliches Besatzungsrecht bei uns verschwinden, aber er bahnt doch der Ersetzung des Besatzungsrechts durch Vertragsrecht mit den Weg. Die Alternative zur Schumanplan-Regelung ist ja nicht ein völlig freies und unabhängiges, ein in sich selbst ruhendes Deutschland, sondern der Fort-


(Dr. Henle)

bestand der bisher bestehenden Bindungen und Kontrollen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Das geflissentlich zu übersehen, heißt die Tatbestände verwirren und erinnert auch an das bekannte Verhalten des Vogels Strauß.
Was nun die 50 Jahre anlangt, so ist es auch hier das ewige Mißtrauen, das eine solche Festlegung auf mehrere Jahrzehnte scheut. Auch beim preußisch-deutschen Zollverein von 1834 hat sich — so sehr er zunächst befehdet wurde - der zugrunde liegende Kerngedanke in dem seither verflossenen Zeitraum doch so vollständig durchgesetzt, daß man heute für das dereinstige Bestehen von Zollgrenzen, z. B. zwischen Hannover und Oldenburg, nur noch ein mildes Lächeln haben kann.

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber da gab es doch keine Teilmärkte und keine Teilkompetenzen!)

— Das haben die Zeitgenossen, Herr Kollege Schmid, damals genau so gesagt.

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Nein, Nein!)

— Die Quellen sind Ihnen zugänglicher als irgend jemandem.

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Nein, nein!) Ich empfehle Ihnen eine gründliche Lektüre!


(Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Umstellungen so grundsätzlicher Art, wie der Schumanplan sie vorsieht, kann man einfach nicht nur auf ein paar Jahre befristen wollen, die dann gerade von den Anfangs- und Übergangsschwierigkeiten angefüllt sein werden

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

und deshalb unmöglich einen verläßlichen Maßstab für die Bewährung des Ganzen abgeben können. Deshalb bin ich durchaus gegen den Abstrich der Null in der Geltungsdauer des Vertrages,

(Hört! Hört! bei der SPD)

den der Kollege Dr. Baade mit mehr beredter als überzeugender Feder vor wenigen Tagen in der Presse empfohlen hat.

(Zuruf von der CDU: Er muß!)

Den Schumanplan als Instrument der französischen Machtpolitik hinzustellen, in ihm die Weiterführung der französischen Sicherheitspolitik auf deutsche Kosten mit modernen Mitteln sehen zu wollen,

(Zuruf aus der Mitte: Das sind Schusterparolen!)

ist schließlich gleichfalls nichts anderes als eine aus Mißtrauen geborene Verzeichnung des wahren politischen Sachverhalts. Darin spukt die alte Schulmeister-These von der sich seit Richelieus Tagen gleich gebliebenen französischen Politik der Spaltung und Niederhaltung Deutschlands. Gewiß, die französische Politik zeigte in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkriege eine nicht unbedenkliche Neigung des Verharrens in Gedankengängen und Zielsetzungen vergangener Zeiten; das ist nicht zu leugnen. Nach den Kostproben deutschen Verhaltens im Zeichen der Hitlerpolitik war das, wenn auch nicht gerade weitsichtig, so doch weiß Gott die verständlichste aller Reaktionen.

(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

Aber gerade darin besteht ja die Bedeutung des
Schumanplans, daß er das deutsch-französische
Verhältnis nun auf ein völlig neues und ganz anderes Gleis zu schieben sucht,

(Zuruf von der KPD: Auf ein amerikanisches!) nachdem schon vorher Frankreich entschlossen den Europagedanken als politische Zielsetzung aufgegriffen hatte. Zu erklären, die Franzosen sagten zwar Europa, meinten aber doch nur Frankreich und dessen eigene Interessen, das ist wirklich ein zu einfaches Verfahren, um die alte RichelieuThese angesichts solch bewußten Einlenkens der französischen Politik in neue Bahnen dennoch am Leben zu erhalten. Wir sollten uns vielmehr freuen, daß Frankreichs Politik nicht in den alten eingerosteten Gleisen steckengeblieben ist, sondern daß es uns die Hand zur Zusammenarbeit im Schumanplan geboten und damit eine der großen Initiativen entwickelt hat, denen epochemachende Bedeutung in der Geschichte zukommen kann.


(Zuruf von der KPD: Aber nicht für das französische Volk; für die französische Rüstungsindustrie!)

„Aber die Saar!" höre ich Sie schon einwerfen. Gewiß, die französische Saarpolitik der letzten Jahre wurde in jener ersten Nachkriegszeit eingeleitet, die ich eben kurz skizzierte, und sie trägt ihren Stempel. Sie wurde urbi et orbi kundgetan, fand, wenn nicht die Billigung, so doch die Hinnahme der USA-Regierung und derjenigen Englands, j a bis zu einem gewissen Grade deren Unterstützungszusage. So etwas läßt sich nicht so leicht von heute auf morgen einfach wieder abschreiben.

(Aha! bei der SPD.)

Das ginge vielleicht in einem totalitären Regime, das bekanntlich zu jeder Schwenkung um 90 oder auch 180 Grad stets fähig ist,

(Erneute Zurufe von der KPD)

aber nicht in einer Demokratie, wo sich jeder Kurswechsel erst einmal nach unten hin, im eigenen Volke, durchsetzen und Billigung finden muß.

(Zuruf von der KPD: Das sieht man an der Saar!)

Wenn hier eine Aussicht auf einen französischen Sinneswandel besteht, auf eine Revidierung des ursprünglichen, eindeutigen Abtrennungsbestrebens und auf die Bereitschaft zu jener „Entente zwischen Paris und Bonn über die Saar", von der gerade jetzt, am 22. Juni, der General de Gaulle gesprochen hat, so ist klar,

(anhaltende Zurufe von der KPD)

daß sich dies nur im Zuge der sich entfaltenden Europapolitik, im Zuge des Zusammenwirkens in der Kohle- und Stahlgemeinschaft und durch Schaffung einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens erreichen läßt, nicht aber, indem man den Franzosen gegenüber ohne Unterlaß ein abgrundtiefes Mißtrauen bekundet.

(Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

Der Schumanplan entnationalisiert bekanntlich die Grundindustrien des Saargebiets, die bei dem ganzen Streit für die Franzosen das wesentliche Objekt bilden, jedenfalls in dem Sinne, daß sie fortan nicht mehr nur rein deutschen oder nur rein französischen Interessen dienen sollen, wie auch immer die Eigentumsfragen geregelt werden. Das muß sich über kurz oder lang auch auf die Haltung Frankreichs zu dem ganzen Problem der Saar auswirken.

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das ist Futurismus, Herr Henle!)



(Dr. Henle)

— Wie sagen Sie?

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Das ist Futurismus!)

— Herr Kollege Schmid, was Sie in diesem Punkte betreiben, das ist — —

(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Der Versuch, Sie zum Präsens zu bekehren! — Abg. Dr. Schäfer: Das ist Dadaismus!)

— das fällt unter das alte Sprichwort: „Blinder Eifer schadet nur!"

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren! Wie alles braucht auch das seine Zeit. Es kann deshalb schwerlich als der letzte Schluß staatsmännischer Weisheit betrachtet werden, wenn man sich ausgerechnet die Saarfrage ausgesucht hat, um sich ihrer als Sturmbock gegen den Beitritt zum Europarat, als Sturmbock gegen den Schumanplan zu bedienen. In der Kette von lauter schwachen Punkten in dem Kampfe gegen das nun einmal auf den Index gesetzte Schumanplan-Vertragswerk

(Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

ist das Argumentieren mit der Saarfrage wohl einer der schwächsten. Der Gedanke liegt nahe, daß es bei seiner Erfindung nach dem alten lateinischen Sprichwort zugegangen sein mag: „Interdum dormitat et bonus Homerus" — manchmal schläft auch der große Homer!

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. Renner.)

— Sie habe ich mit dem Homer nicht gemeint.

(Heiterkeit in der Mitte.)

Aber die Sache wird nicht dadurch besser, daß man
sich immer tiefer in den begangenen Fehler verstrickt, die Bundesregierung wegen ihrer wohlüberlegten Haltung in dieser Frage der Pflichtverletzung gegenüber dem deutschen Volk zeiht und androht, uns hier jede Woche eine Saardebatte zu bescheren. Dadurch ruft man in Frankreich nichts
als Widerstände auf den Plan und erschwert nur
den schon in Gang gekommenen Umstellungsprozeß
der Weltmeinung in dieser Frage. Was man mit
dieser Taktik erreichen kann, sind keine Erfolge in
einer uns Deutschen allen ans Herz gewachsenen
Sache, sondern man richtet damit nur Scherben an.
Wir müssen uns schon herausreißen aus dieser
Grundhaltung des ewigen Mißtrauens, mit der nicht
weiterzukommen ist. Denn auch wir können nur
dann Vertrauen erwarten, wenn wir uns selbst
nicht ständig von Mißtrauen übermannen lassen.

(Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

Gewiß konnte die gleich nach dem Kriegsende verkündete französische Zielsetzung auf Heraustrennung des Ruhrgebiets aus dem deutschen Staatsverband und weiter dann die französische Saarpolitik unser Mißtrauen wachrufen. Gewiß kränkt es uns, wenn in Paris bei den Erörterungen über die Möglichkeiten eines deutschen Verteidigungsbeitrags immer wieder Gesichtspunkte laut werden, die ein tiefes Mißtrauen verraten. Wenn Mißtrauen aber nur mit Mißtrauen erwidert wird, ja wenn sich dahinter die ständige Furcht vor hinterlistigen Absichten des Partners verbirgt, dann freilich können wir alle Hoffnungen auf ein geeintes Europa begraben.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Mit diesem Mißtrauen sollte deshalb auf beiden Seiten jetzt gründlich Schluß gemacht werden.

(Sehr gut! und großer Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das soll natürlich nicht heißen, einer unbegrenzten Vertrauensseligkeit das Wort zu reden. Diese stellt sich zwischen den Völkern so leicht ohnehin nicht ein. Aber es ist zweierlei, ob man eine behutsame und alle Möglichkeiten abwägende Politik betreibt oder ob man durch ständiges Verraten eigenen Mißtrauens einer gleichen Einstellung auf der anderen Seite dauernd neue Nahrung zuführt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Es ist nicht von ungefähr, wenn ich mich hier so nachdrücklich darum bemühe, vom notwendigen Vertrauen der Völker zueinander zu reden.

(Zuruf von der KPD.)

Wir können hier den Text des Schumanplan-Vertrags von Anfang bis zum Ende auf das gründlichste durchstudieren; er wird uns doch keine
schlüssige Antwort auf die Frage geben können, ob
die Anwendung seiner Bestimmungen unserem
Volke nur Glück und Wohlstand oder Benachteiligung und Hemmung unserer Kräfte bescheren wird.

(Zuruf von der KPD: Es folgt gewiß die Katastrophe!)

Denn dabei kommt es zum wesentlichen Teile bei aller Bedeutung der einzelnen Vertragsklauseln nicht auf den Buchstaben der Bestimmungen an, sondern auf den Geist, in dem sie später gehandhabt werden. Nun verläßt sich jedes Volk zwar gerne, wenn auch vielleicht nicht ganz mit Recht, auf den eigenen Geist und vertraut darauf, daß dieser jedenfalls seine eigenen Interessen am besten wird zu wahren wissen. Aber die Sache wird schwierig bei einem Vertrage, bei dem es auf den Geist ankommt, der eine Mehrzahl von Völkern und deren Exponenten in einer Zukunft beherrschen wird, in die uns jede verläßliche Aussicht versperrt bleibt. Da stellt sich dann heraus, daß wir uns letztlich vor ein , schwieriges völkerpsychologisches Problem gestellt sehen, für dessen Beurteilung wir nur die Erfahrungen der Vergangenheit besitzen. Das aber bringt wiederum die Gefahr mit sich, daß wir nach einem halben Säkulum, in dem im alten Europa mehr Verblendung als Verstand zu regieren schien, einer Skepsis anheimfallen, die vor jedwedem kühnen Versuch und Wagnis, wie es der Schumanplan darstellt, zurückschreckt. Skepsis aber bedeutet Mißtrauen; Versuch und Wagnis hingegen sind in ihrem Gelingen durch das Vertrauen in den Erfolg des Unternehmens bedingt. Damit wird klar, daß das Ja oder Nein zum Schumanplan stärkstens dadurch bestimmt ist, ob wir unser Vertrauen bewahrt haben in die Kräfte und in den gesunden Geist der westeuropäischen Völker, ob wir es durch die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit hindurchgerettet haben oder ob wir angesichts der trüben Erfahrungen der Vergangenheit lieber resignieren wollen.
Die Wahl zwischen den beiden darf uns nicht schwerfallen. Wir treiben schließlich nicht für uns, sondern für die Zukunft des deutschen Volkes Politik. Diese Zukunft wird einmal in der Hand unserer heutigen Jugend liegen. Diese Jugend erwartet aber schon das bißchen Mut und Vertrauen von uns,

(Beifall bei den Regierungsparteien — Widerspruch bei der KPD)

die dazu gehören, um das Zögern zu überwinden,
mit dem die Mitwelt gewöhnlich allen Anläufen
zum Fortschritt gegenübersteht. Wird unsere
Politik aber von Skepsis und Resignation diktiert,
so wird sich unsere Jugend nicht dafür erwärmen
können. Sie aber soll der Schumanplan als ein


(Dr. Henle)

Anfang und erster Anlauf zu größerem Vollbringen anspornen.

(Abg. Renner: Das größere Vollbringen ist der Krieg!)

Diese Jugend verlangt von uns auch entschlossene Arbeit am Aufbau eines neuen und geeinten Europas. Dies ist eines der wenigen zugkräftigen Ideale, die wir ihr zu bieten haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie empfindet den heutigen Zustand mit Recht als lächerlich und zeitwidrig. Er ist es auch, sobald wir den Blick einmal über unsere Grundsätzlichkeiten und Streitereien im engen Kreise des alten Europas erheben. Von den USA aus gesehen muß dieses Europa ja so anmuten, wie uns in unseren Jugendtagen einst der Balkan, jener Hexenkessel der nationalen Gegensätze, erschien.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Es ist deshalb auch kein Zufall, daß gerade die amerikanische Öffentlichkeit den Schumanplan voriges Jahr enthusiastisch wie einen plötzlichen, unerwarteten Lichtstrahl begrüßt und daß sich die amerikanische Politik um seine Verwirklichung so sehr bemüht hat. In der Welt draußen hat man sich teilweise gewundert und man hat sich gefragt, was denn just die USA dabei zu gewinnen gedächten. Die Frage ist müßig; denn gewichtiger als jeder Gewinn würde der Verlust an Zukunftsaussichten, ja an jedem Vertrauen in die Zukunft sein, den ein Fehlschlag des großen Anlaufs zur Folge hätte. Der Rückschlag, zu dem ein Scheitern des Schumanplans schon vor einem wirklichen Versuch seiner Durchführung, lediglich infolge der Ablehnung seiner Ratifizierung, führen müßte, könnte für die Welt der freien Volker oder doch zumindest der westeuropäischen Völker leicht tödliche Folgen haben.

(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

Wer zu einem solchen Scheitern beitragen will, erforsche deshalb nur recht ernstlich sein Gewissen, ob er das vor der Geschichte, vor der Jugend unseres Volkes und Europas, die diese Folgen tragen mußte, auch verantworten kann.

(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Die „Rüstungskönige mit Gewissen"! Die müssen erst geboren werden!)

Das sind denn auch die Erwägungen, die uns dazu bestimmt haben, in dieser für ganz Europa so wichtigen Frage der Bundesregierung unsere Zustimmung nicht zu versagen. Wir danken es ihr vielmehr, wir danken es vor allem der weitschauenden Politik des Herrn Bundeskanzlers, daß sie durch ihre Haltung so entscheidend zum Gelingen des Werkes beigetragen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Uns erscheint unser Weg klar vorgezeichnet.


(Zuruf von der KPD: Der Untergang!)

Wir haben sogleich bei der Bekanntgabe des Schumanplans in ihm die große und zukunftsträchtige Idee erkannt, die er barg, und wir halten an ihr fest. Gewiß, die Verhandlungen waren nicht einfach und bequem, und sie haben uns auch in manchen Punkten Enttäuschungen gebracht; das Vertragswerk mutet uns manches nicht geringe Opfer zu. Aber wir haben uns doch dazu durchgerungen, unser Ja auszusprechen, weil man fähig sein muß, für die Verwirklichung einer großen Idee auch Opfer in Kauf zu nehmen. Uns leitet dabei der große Gedanke des Zusammenschlusses der freien Völker Europas, diese letzte Hoffnung unseres alten kulturtragenden Kontinents. Nur
durch geschlossenes und vertauensvolles Zusammenstehen vermögen wir die aus dem Osten heraufgezogenen Gefahren zu bannen; das ist unsere letzte Chance,

(Sehr richtig! bei der KPD und weitere Zurufe von der KPD.)

das ist geradezu die Hauptaufgabe, die unserer Generation gestellt ist.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die Kohle- und Stahlgemeinschaft aber ist der entscheidende erste Baustein zu diesem Wall, den es zu errichten gilt. Ihm werden weitere folgen müssen. Wenn alle in diesem Geiste an die Verwirklichung des Vertragswerkes herangehen, dann kann dem rechten und mutigen Wollen der Erfolg nicht versagt bleiben. Darauf vertrauen wir.

(Langanhaltender Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116101600
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Henle hat sich genau an die im § 87 vorgesehene Rededauer von einer Stunde gehalten. Ich bitte die nachfolgenden Redner, das gleiche zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116101700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Schumanplan. Wir hatten es ein wenig eilig mit der Ansetzung des Termins der Debatte über die Ratifikation des Vertragswerks. Vielleicht waren wir dabei sogar ein wenig voreilig. Diese Montanunion sollte doch ein teamwork sein, und bei einem solchen Gemeinschaftswerk sollte man ein bißchen im Gleichtakt mit den andern Vertragspartnern handeln und sich gelegentlich umsehen, ob diese andern nachkommen.

(Abg. Rische: Ei! Ei!)

Es ist immer ein wenig peinlich, wenn man der
Vortrefflichste und der Eifrigste sein will. Gestatten Sie mir, Herr Kollege Henle, Sie zu zitieren:

(Abg. Dr. Henle: Sehr ehrenvoll!)

„Blinder Eifer schadet nur"!

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Retourkutsche!)

Die Maxime steht, glaube ich, auch bei Buchmann, aber ich kenne sie doch durch Sie . . .

(Heiterkeit.)

Diese Eile mag und wird eigenen Impulsen des Herrn Bundeskanzlers entsprungen sein,

(Abg. Renner: Nein, er hat gesagt, die Amerikaner!)

aber ich glaube, Grund zu der Vermutung zu haben, daß diese Eile auch das Ergebnis von Gesprächen mit dem Herrn Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten von Amerika sein könnte, der ja nicht nur den Herrn Bundeskanzler darauf hingewiesen hat, daß man in den Vereinigten Staaten eine eilige Ratifikation als Beweis des guten Willens der Deutschen erwarte.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Kunze: Falsch!)

— Es ist nicht immer falsch, solchen Erwägungen und solchen Impulsen nachzugehen, Herr Kunze, so puristisch bin ich gar nicht.

(Heiterkeit. — Abg. Kunze: Sie zitieren aber doch falsch!)

Diese Impulse sollten sich aber nie selber genügen
wollen; und solche Erwägungen und Impulse


(Dr. Schmid [Tubingen])

können uns nicht der Verpflichtung entheben, nachzuprüfen, ob der in Aussicht gestellte Vorteil für und für das Ganze wirklich zu erwarten ist und, wenn ein Vorteil da sein sollte, ob der Preis, den man uns dafür abverlangt, nicht zu hoch ist.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Der Herr Bundeskanzler hat das Vertragswerk der Montanunion gepriesen, und Herr Dr. Henle hat ihn in seinem Lobpreis noch überboten. Beide Herren halten trotz einiger Bedenken — „Opfer seien immer zu bringen" — das Werk für vortrefflich. Sie meinen, das neue Haus sei gut gebaut und habe gleichermaßen und gleich wohnlichen Platz für alle. Sie haben uns mit bewegten Worten — sie sind ja als „revolutionäre Geister" bekannt —

(Heiterkeit)

geschildert, welche revolutionäre Großtat es sei, erstmals eine supranationale Instanz geschaffen zu haben, die nationalistischen Mißbrauch der in den Zusammenballungen der Montanindustrien geschaffenen Macht verhindern werde.
Weiter sagten Sie, darüber hinaus bringe das Vertragswerk dem deutschen Volk unmittelbar oder doch mittelbar politische und höchst achtbare wirtschaftliche Vorteile; und was das Wichtigste sei: Dieses Werk gebe uns beinahe die volle Gleichberechtigung, indem es einen wesentlichen Teil der einseitig ausgeübten Gewalt der Siegermächte abbaue, und insbesondere: Der Weg durch die Montanunion sei der einzige Pfad, der zu diesem hohen Ziele führen könne. Und den Kritikern der Saarpolitik der Bundesregierung hat man gesagt, daß die deutsche Position an der Saar durch den Abschluß des Montanunionvertrags erheblich verbessert werde.
Und dann kam ein Trumpf — ich glaube, Herr Dr. Henle, Sie haben das Wort von der Trumpfkarte selbst gesprochen —: wir überwänden so, durch eine deutsche Vorleistung, erstmals nationalstaatliche Vorurteile; in den neun Mitgliedern der Hohen Behörde werde die Spezies des homo Europaeensis geboren, und überhaupt, der Montanpakt sei Europa — wenigstens im Embryonalzustand —; wer den Pakt wolle, wolle Europa, wer ihn ablehne, der lehne Europa ab. Und immer wieder hat insbesondere Herr Dr. Henle zu uns im Futurum gesprochen und mir damit die Gelegenheit zu dem Zwischenruf vom Futurismus seiner Politik geboten. Er hat insbesondere dann im Futurum gesprochen, wenn er von heiklen Dingen sprach und wenn er darauf hinwies, was alles uns der durch den Schumanplan zu uns herabgestiegene neue „Geist" bescheren werde. Herr Dr. Henle hat es sich nicht nehmen lassen — wie sollte er auch —, meinen Freund Kurt Schumacher und die SPD heftig zu apostrophieren, und er hat sich als ein Spaßvogel ohnegleichen erwiesen, als er „Die Welt" — ich meine jene Zeitung, die sich so nennt — für eine der Sozialdemokratischen Partei nahestehende Zeitung ausgab. Das hätten Sie den wackeren Mannen in Hamburg nicht antun dürfen.

(Heiterkeit.)

Die werden es nun schwerer haben, nach dem, was
Sie da sagten, sich mit den Herren auseinanderzusetzen, mit denen sie sonst konferieren, denn
die werden Ihnen das vielleicht glauben — nicht
die Herren von der „Welt", die wissen es besser,
aber jene anderen, die Gesprächspartner der Herren
von der „Welt". Und er hat uns Dogmatismus
„nachgewiesen" und alle jene schönen anderen Dinge,
die auf -ismus enden, und er hat uns insbesondere
Negativismus vorgeworfen. Als ob nicht manches
sozialdemokratische Nein zu der Politik, die hier
getrieben worden ist, die Voraussetzung für eine
positive Lösung deutscher Probleme gewesen wäre!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Als ob nicht schon zu Beginn unseres Gemeinwesens ein SPD-Nein die Möglichkeit zur Bildung eines funktionsfähigen Staates geschaffen hätte!

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Sie scheinen es für möglich zu halten, daß Leute, die sich in ihrem Leben ihr Nein zu gewissen herrschenden Gewalten haben etwas kosten lassen, aus purer Unlust an einigen heute regierenden Leuten nicht anders könnten, als immer nein zu sagen,

(Abg. Kunze: Das tun wir allerdings!)

so als handele es sich bei uns um Pennälerfehden!

(Beifall bei der SPD.)

Herr Dr. Henle, vergessen Sie nicht den Satz des
Heiligen Thomas: „Omnis negatio est affirmatio" —
in jeder Verneinung liegt eine Bejahung verborgen.

(Abg. Höfler: Das ist ja klerikal!)

— O, der Heilige Thomas war kein Klerikaler.

(Heiterkeit.)

Sehen Sie, Herr Dr. Henle, so wie Sie etwas von den Grenzwerten beim Stahl verstehen, verstehe ich ein ganz klein wenig etwas von diesen Dingen: die Klerikalen waren erst die Epigonen des Heiligen Thomas.

(Erneute Heiterkeit.)

Wenn wir zu diesem oder jenem Ihrer oder anderer Leute Politik nein sagen, so weil unser Ja zu bestimmten Prinzipien und Zielen so leidenschaftlich ist, daß man zu gewissen Surrogaten nein sagen muß, die man uns als das Echte ausgeben will.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Herr Dr. Henle, ich will Ihnen keine Retourkutschen zuschicken.

(Abg. Dr. Henle: Das haben Sie doch getan!)

— O, das waren keine Retourkutschen, das waren freundliche Antworten auf Ihre Zwischenbemerkungen.

(Zuruf von der Mitte: Kinderwagen waren das!)

Sie fragten, was ich denn von den Grenzwerten bei Eisen und Stahl verstünde — ich beuge mich sehr tief vor Ihrer großen Sachkenntnis in diesen Dingen; ich habe auf diese Branche nicht gelernt —, aber, sehen Sie, eines habe ich im Collegium logicum gelernt, nämlich daß eine voll belastete Maschine, die zu 25 % kaputt gemacht worden ist, nicht zu 100 % laufen kann. Das ist es, was ich mit den Grenzwerten meinte, im Zusammenhang mit den Bemerkungen über das, was man von der Verbundwirtschaft übriggelassen hat. Aber Schluß nun mit diesen Dingen.
Ich will auf Ihre Argumente eingehen, so wie Sie auf die Argumente der SPD hätten eingehen müssen, von denen Sie ja sagten, sie seien Ihnen so bekannt wie der Katechismus.

(Heiterkeit.)

Aber, sehen Sie, Sie lieben es nicht, auf Argumente
einzugehen, Sie ziehen es vor, zu tadeln oder zu
witzeln, und das ist keine genügende Methode. Was
ist denn mit Ihren Argumenten? Was bleibt denn
übrig, wenn der scharfe Wind der Analyse den
goldenen Rauch des Mythos weggeblasen hat, den
man vor den Realitäten hat aufsteigen lassen, die
sich hinter dem Wort vom Schmanplan verbergen?

(Zuruf rechts: Neuer Mythos!)



(Dr. Schmid [Tübingen])

Ja, man hat versucht, einen Schumanplan-Mythos zu schaffen. Man hat dem Volk nicht nüchtern gesagt: Man verlangt von uns dies und das, und das kostet soviel, und wir wollen es leisten, weil wir annehmen, dafür schätzungsweise dieses und jenes zurückzubekommen, und wir dürfen annehmen, daß wir das zurückbekommen aus den und den Gründen. Man hat nicht gesagt, was denn dabei nun wirklich an Veränderungen der Wirklichkeit vor sich geht, in der wir stehen, und auch nicht, wer über die Masse, die geschaffen worden ist — auch über die Masse an Macht —, verfügt und mit welchen Chancen. Man hat nicht darzulegen versucht, was für Veränderungen der politischen Grundverhältnisse geschaffen werden. Das ist nicht gut. Man kann doch den Schumanplan nicht für sich allein betrachten; man kann ihn doch nur dann richtig werten, wenn man ihn im Koordinatensystem des politischen Grundverhältnisses sieht, in dem sich Europa und vielleicht sogar die Welt befindet.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das ist keine Möglichkeit politischer Diskussion. Das ist Mißbrauch von Stimmungswerten und der
Lust der Menschen an der Stillung gewisser Gemütsbedürfnisse,

(Zuruf in der Mitte: Au!)

ein Mißbrauch zu politischen Zwecken. Das ist so, auch wenn Sie „Au" rufen, verehrter Herr Kollege. Eine solche Methode führt zu nichts Gutem. Die in den Dingen vorhandenen Kräfte sind immer stärker als unsere Wunschbilder, und Surrogate waren auf die Dauer noch nie bekömmlich.
Was ist zu den Fakten zu sagen? Ich will mich auf das Nichtwirtschaftliche des Problems beschränken; das Wirtschaftliche wird mein Freund Fritz Henßler dartun.
Zunächst zum politischen, administrativen Aufbau der Montanunion; auch hier werde ich nur einzelne Punkte herausheben.
Hier ist zuerst die Hohe Behörde zu nennen. Sie ist ein supranationales, zentral funktionierendes Herrschaftsorgan. Sie ist kein internationales, föderatives Kooperations- und Koordinationsorgan. Die Hohe Behörde übt unmittelbar e Gewalt' aus, eine Gewalt, die unmittelbar in die Staaten hineinzuwirken vermag und nicht nur darauf beschränkt ist, auf die Staaten zu wirken. Zwar kann die Hohe Behörde nicht alles; aber sie kann so viel, daß neben ihrer Zuständigkeit auf den Gebieten der Montanwirtschaft und auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens, auf die die Dinge der Montanwirtschaft wirken, alle anderen Kompetenzen untergeordnet erscheinen.

(Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Wie ist das sonst im Bundesstaat?)

— Darauf werde ich gleich kommen, Herr Kollege Becker; das ist in der Tat das Problem. —

(Vizepräsident D r. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

Supranationale Behörden können sehr gute Dinge sein, sofern gewisse unerläßliche Voraussetzungen für die Möglichkeit ihres rechten Funktionierens geschaffen sind, und Voraussetzungen dafür, daß solche Dinge funktionieren können, sind z. B. das Vorhandensein eines adäquaten Unterbaus und einer demokratischen Kontrolle von oben.
Eine andere Frage — und damit komme ich auf das Problem „Bundesstaat und Bundesländer" —: Kann man denn obrigkeitliche Gewalt schaffen, die sich auf Teilgebiete beschränkt, wenn sich deren Maßnahmen auf diesen Teilgebieten in entscheidender Weise auf anderen Gebieten auswirken müssen, auf Gebieten, die anderer Verantwortung und einer anderen Botmäßigkeit unterstehen? Die Hohe Behörde wird Maßnahmen treffen. Diese Maßnahmen wirtschaftlicher Art werden Auswirkungen haben auf dem sozialen Gebiet, auf dem finanziellen Gebiet, auf einer Reihe anderer Gebiete auch, Auswirkungen, denen begegnet werden muß, wenn kein Chaos werden soll. Wer wird diese Auswirkungen auffangen müssen? Der Staat! Der Staat, der auch die Kosten für das wird aufbringen müssen, was durch diese Maßnahmen der Hohen Behörde auf anderen Gebieten als Nebenwirkung ausgelöst werden wird; aber über die Mittel, die er brauchte, um diese Kosten aufzubringen, über den Schlüssel zu diesen Mitteln verfügt nicht er, sondern die Hohe Behörde, die ja allein über diesen Schlüssel, nämlich die Schlüsselindustrien verfügt. Das bedeutet, daß wirtschaftliches Geschehen und — um nur eines zu nennen — soziales Geschehen Gefahr laufen werden zu divergieren. Es fehlt ein einheitlicher Herr über beide Bereiche, der die Kluft schließen könnte; und was in der Aufgliederung der Kompetenz zwischen Hoher Behörde und dem, was den Staaten verbleibt, geschieht, das ist nicht eine gesunde Arbeitsteilung, sondern das ist Anarchie und Gegenläufigkeit!

(Unruhe und Widerspruch rechts.)

Wenn eine supranationale Behörde, oder sagen wir: „Autorität" funktionieren soll — wenn man das will, dann müßte die Hohe Behörde sachlich umfassendere Verantwortungen und Kompetenzen haben, als die Hohe Behörde des Schumanplans sie hat. Sie müßte nämlich verpflichtet sein — und dieser Verpflichtung müßten korrespondierende Befugnisse entsprechen —, für die sozialen und finanziellen Folgen ihrer wirtschaftlichen Anordnungen aufzukommen, mit Mitteln, die sie beschaffen muß,

(Sehr richtig! bei der SPD)

und das kann sie nicht!

(Sehr wahr! bei der SPD.) Teilverantwortungen und Teilkompetenzen sind in Staat und Überstaat, Herr Kollege Becker, nur möglich, wo ein Teilgebiet in sich ganz geschlossen ist und nicht auf andere wesentliche Gebiete entscheidend Einfluß zu nehmen vermag. Das ist in der Tat das Problem des Bundesstaates, und deswegen wird in jedem Bundesstaat die Lastenverteilung und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so vorgenommen, daß, was der Bund anrichtet, auch der Bund bezahlen muß und nicht etwa die Länder zu bezahlen haben. Nur so geht es. Man kann nicht Stücke herausschneiden; man muß das Zusammenhängende auch unter die Kompetenz und Verantwortung des Zusammenhangs stellen, und das ist in der Montanunion nicht geschehen.

Ein Weiteres. Die Hohe Behörde trifft ihre Anordnungen autonom. Die Parlamente der Länder haben keinen Einfluß auf sie und kontrollieren ihre Tätigkeit nicht; denn die Versammlung, die der Pakt vorsieht, ist ja kein Parlament und hat ja keine echten parlamentarischen Befugnisse. Auf der anderen Seite aber wirken die Entscheidungen der Hohen Behörde in die Länder hinein, und zwar in wesentlichste Sachgebiete, die nach den Verfassungen der Länder in die Verantwortung der Parlamente und der Regierungen, die diese Parlamente kontrollieren, fallen, und damit, meine Damen und Herren, wird das Grundgesetz auf weiten Gebieten illusorisch. Man kann das wollen


(Dr. Schmid [Tübingen])

und man kann gute Gründe haben, so etwas zu wollen; man muß nur wissen, was man damit will und ob man bereit ist, die Konsequenzen dessen mit zu wollen, was man will.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die Regierungstätigkeit und die Tätigkeit des Parlaments werden auf wichtigsten Sachgebieten nichts anderes mehr sein können als bloße Funktionen und Begleiterscheinungen der Taten und Unterlassungen der Hohen Behörde. Eine eigene Wirtschaftspolitik wird in diesem Lande nicht mehr zu treiben sein, sondern nur noch in Abhängigkeit und in Funktion dessen, was die Hohe Behörde als Wirtschaftspolitik haben will.

(Zustimmung bei der SPD.)

Nehmen Sie ein Beispiel. Wie haben wir alle, die wir hier sitzen, zu Beginn unserer Tätigkeit geklagt, als man von uns verlangte, den Kohlenpreis zu verändern! Wir haben damals gesagt: ja, was ist denn dann noch mit uns? Können wir denn dann noch eine Wirtschaftspolitik treiben und verantworten, wenn man uns den Kohlenpreis vorschreibt?

(Zuruf rechts.)

— Da wird noch viel mehr vorgeschrieben werden, Herr Kollege, als der Kohlenpreis, und nicht nur einmal, sondern viele Male! Man kann das wollen, man kann das für gut halten — nur muß man wissen, was man damit mit wollen muß.

(Abg. Dr. Tillmanns: Wir wissen es!)

— Sie wissen das, Herr Dr. Tillmanns; nun, wir wollen einige Gespräche, die wir in Straßburg geführt haben, hier lieber nicht wiederholen.

(Abg. Dr. Tillmanns: Was ist denn das für eine Art?)

— Was das für eine Art ist? Ein freundliche Art, auf einen Zwischenruf einzugehen, verehrter Herr Kollege!

(Heiterkeit.)

Die Schlüssel zu all diesen Dingen werden künftig in den Händen der 9 Herren sein, die über unsere Schlüsselindustrien gebieten. Dort wird die eigentliche Schlüsselgewalt liegen. Man könnte sagen: das ist gut, Schluß mit eigener Wirtschaftspolitik der Nationen; es lebe der neue Areopag und nieder mit der Selbstbestimmung! So kann man denken. Aber was ist denn die Hohe Behörde, was ist sie denn in Wirklichkeit; was bleibt, wenn man ein bißchen von dem Nimbus wegnimmt, den man um sie gelegt hat? Nun, die Hohe Behörde ist nichts anderes — in der Sprache der Soziologie zu reden — als ein Konvent von Managern — also gerade das, was auf der nationalen Stufe zu überwinden 150 Jahre demokratisch-parlamentarischer Entwicklung notwendig gewesen sind. Will man uns auf dem internationalen, auf dem supranationalen Gebiet nicht um 150 Jahre hinter den demokratischen Stand zurückwerfen, den die Nationen Europas und der neuen Welt seit 11/2 Jahrhunderten geschaffen haben, dann hätte man in erster Linie ein echtes Montanunions-Parlament schaffen müssen,

(Beifall bei der SPD)

ein Parlament mit allen echten Kompetenzen eines demokratisch gewählten und insbesondere mit demokratischer Souveränität ausgestatteten Parlamentes, und nicht einen Bastard von Assemblée, der nichts kann und nichts darf. Dann erst hätte man die politische Amputation der nationalen Parlamente hinnehmen können, und ich wäre der erste gewesen, zu sagen, daß man sie hinnehmen solle!
Aber wir werden dann nach Inkrafttreten der Montanunion nicht mehr das sein, was die Briten mit großem Pathos zu nennen pflegen „nation governed by parliament". Wenn das zu schaffen heute nicht möglich war, dann hätte die Konstruktion des Zuständigkeitskatalogs der Hohen Behörde nicht so gewählt werden dürfen, wie man sie gewählt hat; dann hätte man sich auf ein Koordinationsorgan beschränken müssen, wenn man innerhalb der Möglichkeiten demokratischer Kontrolle bleiben wollte.
Und nun ein anderes Argument: Die Supranationalität der Hohen Behörde, die das Statut dekretiert, bedeute die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von allen Interessen. Welche Illusion! Die Unabhängigkeit, die das Statut schafft, bedeutet doch keine andere Unabhängigkeit als die Unabhängigkeit des Managers, d. h. die Unabhängigkeit eines Machthabers von parlamentarischer Kontrolle.

(Zustimmung bei der SPD.)

Sie löst für sich allein den einzelnen doch nicht aus dem Sog der nationalen Interessen heraus, für deren Vertretung er von seiner Regierung für die Hohe Behörde vorgeschlagen worden ist. Denn die Regierungen werden doch die Kandidaten nicht nach ihrer Fähigkeit zu nationaler Selbstverleugnung aussuchen, sondern nach ihrer Fähigkeit zur Vertretung nationaler Interessen. Herr Monnet wird doch als Vorsitzender der Hohen Behörde den Vater des französischen Nationalplans, des Monnetplans, nicht verleugnen. Der ist doch sein erstes Kind, und die Montanunion soll doch die Ziehmutter dieses Kindes werden!
Man wird noch nicht dadurch zum Europäer, daß man in eine Behörde delegiert wird, die mit Eisen und Kohle zu tun hat und eine europäische Firmenbezeichnung trägt. Der gemeinsame Zugriff auf deutsche Kohle ist noch nicht Europa!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Europäer im funktionellen Begriff wird man erst dann haben, wenn Behörden, wenn Autoritäten, wenn „europäische" Institutionen dem gewählten Parlament einer europäischen Nation verantwortlich sind.
Aber durch solche Unterstellungen unter Gesamtparlamente sind doch über die lokalen Interessenkomplexe hinaus die übergeordneten Gemeinsamkeiten entstanden. So sind einmal aus Lothringern, aus Pikarden, aus Bretonen, aus Basken Franzosen geworden und aus Angeln, Sachsen und Schotten Engländer, aus Württembergern, Bayern, Hessen und Preußen Reichsdeutsche. So wie vorher die Länder nichts anderes waren als geographische Begriffe und kulturelle Einheiten, so ist heute die Montanunion und was sie begreift, nichts anderes als ein Wirtschaftsraum, nicht mehr. Ein besonderes Gemeinschaftsbewußtsein, ein besonderes Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung vermag man so nicht zu schaffen. Um europäisch wirken zu können, gehört jede für Europa wirkende obrigkeitliche Gewalt unter echte gesamteuropäische parlamentarische Kontrolle.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Und welche Illusion, zu glauben, daß der Franzose, der Belgier, der Deutsche der Hohen Behörde anders handeln werde denn als Vertreter der Interessen ihrer Nationen. Wenn sie es täten, wie schön wäre dann diese Welt — aber wir sind so weit in Europa leider noch nicht.

(Zuruf rechts: Aber man muß damit anfangen!)



(Dr. Schmid [Tübingen])

Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben. Herr Staatssekretär Hallstein, der diese Dinge kennt, wird Ihnen sagen können, ob dieses Beispiel von mir richtig dargestellt worden ist. Wir haben eine echte Hohe Behörde schon im Leben der Völker: den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag. Seit Beginn seines Wirkens, also seit dem ersten Weltkrieg, hat er mehr als 80 Entscheidungen getroffen, und nur in zwei Fällen hat ein Richter dieses Gerichtshofes gegen die These seiner Nation gestimmt. Die Richter haben fast immer für ihre Nation gestimmt und auch dann, wenn sie dabei allein blieben oder wenn ein Richter, der einem Verbündeten ihrer Nation angehörte, mit ihnen stimmte.

(Zuruf von der Mitte: Siehe Persien!)

Nur zweimal ist es anders gewesen, im sogenannten Lotosfall, wo der verehrungswürdige Richter Weiß, ein Franzose, gegen die These seiner Nation gestimmt hat; er wäre allerdings allein geblieben, wenn er es anders gemacht hätte.
Und in einem anderen Fall, im Prozeß über die deutsch-österreichische Zollunion, hat ein Belgier anders gestimmt, als es der These seiner Regierung entsprach. Diese Leute haben immer für eine Ausnahme gegolten, die man gelegentlich findet, wenn man mit einer stärkeren Laterne als der des Diogenes ausgeht, um Menschen zu suchen. In der letzten Woche noch — in dem persischen Ölstreit — haben der ägyptische und der polnische Richter — eben Richter von Nationen, die ihre Interessen gleichsetzen mit denen der Perser —, gegen die Majorität des Gerichtes gestimmt. Warum haben Sie das getan? Sie fragen: was folgt daraus? — Es geschah so, weil sie sogar als internationale Richter sich als Vertreter ihrer nationalen Interessen fühlten. Wenn das am grünen Holz der Rechtsprechung unter wirklich ehrenhaften Männern geschieht — denn das sind diese Männer —, was kann man dann von Kohle- und Stahlgebietern viel anderes erwarten?

(Beifall bei der SPD)

Von Männern, deren Länder teils bekommen, teils
behalten wollen! Und alle diese Länder wollen
doch dabei etwas verdienen; denn sie haben alle
für Arbeit und Brot für ihre Menschen zu sorgen.

(Zuruf von der Mitte.)

— Das kann man ihnen nicht vorwerfen, — und jeder hat das zu tun, 'auf Grund anderer Voraussetzungen.

(Abg. Etzel [Duisburg]: Es gibt also keine Überwindung des Nationalismus!)

— Doch, die gibt es, Herr Kollege Etzel, aber man muß es anders anfangen als die Väter der Montanunion.

(Zurufe von der Mitte.)

Man muß dann eine gesamteuropäische politische Gesamtkompetenz schaffen, vor der die überstaatlichen Machthaber gleichermaßen verantwortlich sind, verantwortlich auch für die Reflexwirkungen ihrer Entscheidungen,

(Beifall bei der SPD)

so daß das, was auf dem einen Sachgebiet getan wird, auch für das andere mitverantwortet werden muß.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU.)

Wir dürfen nicht vergessen: 5 von den 6 Ländern der Montanunion wollen unsere Kohle, damit sie der Stahl erzeugen können; sie wollen diesen Stahl
selber erzeugen —, damit wir Deutschen möglichst wenig davon zu erzeugen brauchen,

(Zuruf von der Mitte.)

Wir können ja unseren Bedarf bei ihnen kaufen. Alle fünf wollen etwas von Deutschland; diese fünf wollen nicht etwas einer von dem andern. Das wird auch beim besten Willen der Beteiligten zu einer natürlichen Blockbildung der fünf gegen den einen Deutschen führen. Das ist keinerlei Schande für die Betroffenen; es ist nur eine Feststellung, daß der wahrscheinlichste Fall dafür spricht, daß es tausendmal so gehen wird, und höchstens einmal anders. Gewiß, in dem Vertrag stehen eine ganze Reihe sehr schöner Richtlinien und schöner Prinzipien, die beachtet werden sollen —, aber, meine Damen und Herren, bei Prinzipien muß man immer die Frage stellen: Quis iudicabit — wer wird darüber entscheiden, ob das Prinzip verletzt ist oder nicht? Es wird gerade die Hohe Behörde sein, die diese Prinzipien anzuwenden haben wird ...
Dann ist noch der Gerichtshof da. Aber dieses Gericht kann ja nach seiner Zuständigkeit über wirtschaftliche Tatbestände nicht entscheiden. Das ist auch ganz richtig so. Es kann Ermessensmißbrauch feststellen, gewiß! Aber auch diese Richter sind doch letzten Endes nur Menschen wie die Männer in der Hohen Behörde.

(Zuruf von der KPD: Wie im Bundesverfassungsgerichtshof!)

Es gäbe nur eine Möglichkeit des Zwanges, Entscheidungen auf europäische Art zu treffen. Das wäre dann der Fall, wenn über den Menschen, die zu entscheiden haben, das Damoklesschwert der Vertragskündigung oder der Nichtverlängerung hinge; dann müßten sie sich sehr ernst überlegen, wie sie jeweils entscheiden, denn sie müßten dann unter Umständen fürchten, daß der eine Partner nach einigen Jahren sagen wird: Ich tue nicht mehr mit. Aber bei 50jähriger Laufdauer ist dieser Zwang nicht gegeben. Und wenn man uns von den Revisionsmöglichkeiten spricht, die in dem Vertragswerk stehen: meine Damen und Herren, im Versailler Vertrag gab es auch einen Revisionsartikel 19! Und wann hat man je davon gehört, daß von ihm Gebrauch gemacht worden wäre? Die Majoritäten, die für eine Revision verlangt werden — auch nur dafür, daß ein Revisionsgespräch geführt werden kann —, sind so hoch, daß überhaupt keine Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie je zustande kommen werden, und noch weniger dafür, daß man einstimmig einen Revisionsvertrag schließen wird. Wir sollten diese Dinge realistischer sehen, als sie bisher hier vorgetragen worden sind
In der Hohen Behörde wird es nicht um reines Europäertum gehen, sondern um den Austrag nationaler Interessen. Dem hätte man bei der Konstruktion der Hohen Behörde Rechnung tragen müssen, einmal bei der Feststellung ihrer Kompetenzen und dann bei der Art der Feststellung der Möglichkeit ihres Funktionierens. Nicht ein supranationales Organ mit unmittelbarer Anordnungsgewalt, sondern ein internationales Kooperations- und Koordinierungsorgan wäre meiner Meinung nach unter den heutigen Verhältnissen das Richtige gewesen. Seine Mitglieder hätte man der Kontrolle der Parlamente unterstellen müssen. Das hätte man verantworten können. Was jetzt geschaffen wurde, kann das Parlament der Nation, die dabei in erster Linie zu g e b en hat, wie ich meine, nicht verantworten. Bedenken Sie — und lesen Sie den Text des Art. 24 des Grundgesetzes nach —, daß Hoheits-


(Dr. Schmid [Tübingen])

rechte nur auf zwischen staatliche Einrichtungen übertragen werden können; aber es steht nichts davon darin, daß Hoheitsrechte durch einfaches Gesetz auf über staatliche Einrichtungen übertragen werden können. Darüber werden wir in zweiter und dritter Lesung noch einiges zu sagen haben.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich will noch auf etwas hinweisen. Wenn auf europäischer Ebene ein unkontrolliertes Managertum möglich ist, ja, wenn es nicht nur möglich, sondern das beste ist — warum handeln wir denn nicht auch auf nationaler Ebene so?! Warum begnügen wir uns da auch nicht mit Managern und warum legen wir denn dort die „lästigen und untauglichen" Parlamente nicht weg?! Könnten solche Gedankengänge nicht den Appetit jener reizen, die glauben, auch national käme man mit Managern besser voran als mit Parlamenten?!

(Beifall bei der SPD.)

Dann ist da noch der Ministerrat zu nennen, der geringere und andere Kompetenzen hat als die Hohe Behörde, aber doch recht wichtige Kompetenzen. Es sind für ihn auch Vetorechte vorgesehen, die ihren Nutzen haben mögen. Letzten Endes ist es so: Ein Beschluß kann nur zustande kommen, wenn entweder drei der Kleinen mit Frankreich oder drei der Kleinen mit Deutschland stimmen. Nun, so wie die Interessen liegen, scheint mir die häufigere Eventualität jene werden zu müssen, daß die drei Kleinen nicht mit Deutschland stimmen. Weiter: Deutschland und Frankreich können, wenn sie zusammengehen, von den Kleinen überhaupt nicht überstimmt werden. Und nun, Herr Dr. Henle, knüpfe ich an einen Ihrer Gedankengänge über die Demokratie des Schumanplans an, als Sie von den Kleinen sprachen. Finden Sie es denn so demokratisch, daß die Kleinen nie gegen die beiden Großen angehen können?
Und schließlich der wichtigste Fall, der Fall des Vetorechts bei der Feststellung der Verwendungsprioritäten und der Verteilungsschlüssel auf die Verbrauchsträger bei Mangellagen; da geht bei dem Veto eines Staates die Entscheidungsgewalt auf die Hohe Behörde zurück. Das heißt: Genau in dem Fall, der uns vital interessiert, ist das deutsche Veto, wenn es von den anderen Staaten nicht akzeptiert wird, ein Stoß ins Leere, und es entscheidet endgültig die Hohe Behörde, in der wir zwei Mitglieder von neun haben.
Die Parlamentarische Versammlung wurde von Herrn Dr. Henle selber nicht als Parlament im eigentlichen Sinne bezeichnet. Sie ist in der Tat nur etwas, das wie ein Parlament aussieht. Sie ist eine Stelle, die immer nur post factum tätig werden kann, eine Stelle, deren Befugnisse sich im wesentlichen auf die Entgegennahme des Tätigkeitsberichts der Hohen Behörde und auf Diskussionen dieses Tätigkeitsberichts beschränken. Diese Versammlung kann die Hohe Behörde als ganzes abberufen, wenn man dafür eine Zweidrittel-Mehrheit zusammenbekommt. Glauben Sie denn wirklich, daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, etwa auf einen deutschen Antrag ein solche ZweidrittelMehrheit zusammenzubringen?! Herr Kollege Pünder, ich glaube das nicht.

(Abg. Dr. Pünder: Ich habe gar nichts gesagt!) Das hat nichts zu tun mit krankhaftem Mißtrauen, sondern es ist lediglich ein realistischer Versuch, Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln.

Man wird sich auch hier klarmachen müssen, daß auch in dieser Versammlung das Behaltenwollen und das Habenwollen die entscheidende Rolle
spielen wird. Und es scheint mir eine besondere Feinheit bei dieser Beratenden Versammlung zu sein, daß die Franzosen erklärt haben, sie wollten drei ihrer achtzehn Mitglieder aus der Nation der Saarländer nehmen, also Herren, die Herr Hoffmann ihnen vorschlagen wird. Herr Staatssekretär Hallstein hielt das für einen mächtigen Vorteil; die Franzosen hätten dann nur noch 15 Stimmen in der Beratenden Versammlung ... .

(Lachen und Hört! Hört! bei der SPD.) Wahrlich, wahrlich . . . .


(Zuruf des Abg. Dr. Tillmanns.)

Gibt es denn, Herr Tillmanns, einen stärkeren Ausdruck für die gewollte Unteilbarkeit der französisch-saarländischen Union als die Besetzung einer französischen Delegation mit Saardelegierten?!

(Sehr gut! bei der SPD. — Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Tillmanns.)

Um die Einheit der Saar und Deutschlands zu manifestieren, haben wir einst bei der EuropaDebatte vorgeschlagen, Saardeutsche in die deutsche Europadelegation aufzunehmen — doch nicht, um die deutsche Position zu schwächen, Herr Tillmanns!
Und nun der Hohe Gerichtshof. Internationale Gerichte sind eine gute Sache. Ich bedauere, daß man nicht öfter von ihnen Gebrauch macht. Der Gerichtshof der Montanunion sollte aber in seinen Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Seine Hauptfunktion wird sein, die Sanktionen zu bestimmen, mit denen die Anordnungen der Hohen Behörde erzwungen werden sollen, und zu entscheiden, ob im Einzelfall Ermessensmißbrauch vorliegt oder ob die Hohe Behörde im Einzelfall im Rahmen ihrer Kompetenzen gehandelt hat, und einige Dinge mehr. Es ist ihm untersagt, die wirtschaftlichen Tatsachen und die Umstände zu prüfen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, Insoweit also Faktisches zweifelhaft ist, wird der Gerichtshof keine Hilfe sein können. Diese Beschränkung seiner Kompetenz ist natürlich und normal. Ein Gericht kann solche Entscheidungen nicht treffen. Man sollte sich aber dann nicht von diesem Gericht wesentliche Hilfe erhoffen.
Da gibt es allerdings den Art. 37, in dem es heißt, daß bei Maßnahmen der Hohen Behörde, die tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft eines Landes herbeiführen, die Hohe Behörde angerufen werden kann und, wenn diese nicht abhilft, der Gerichtshof.
Aber wie soll denn dieser Gerichtshof in einem solchen Fall entscheiden können, wenn er die ökonomischen Tatbestände und Motive, die zur Entscheidung der Hohen Behörde geführt haben, nicht nachprüfen darf?
Und wenn man auf das Recht zur Prüfung der Behauptung eines Ermessensmißbrauchs hinweist: nach welchen Maßstäben soll denn dieser Exmessensmißbrauch judiziert werden? Jeder, der einmal Richter war, weiß doch, wie schwer es ist, sich darauf zu einigen, nach welchen Maßstäben -bestimmt werden soll, ob eine souveräne Behörde ihre Kompetenz mißbraucht hat oder nicht. Und hier wird es noch viel schwerer sein — einer internationalen Autorität gegenüber, die man von vornherein mit einem strahlenden Prestige umgeben hat!
Nun gibt es noch einen Beratenden Ausschuß, in dem Konsumenten, Erzeuger, Gewerkschaften usw. vertreten sind. Dieser Ausschuß kann beraten, und


(Dr. Schmid [Tübingen])

Idas nur auf Anforderung. Wichtiger scheint mir die Rolle zu sein, die der Montanunions-Vertrag den Unternehmerverbänden vorbehält. Scheinbar haben diese beschränkte Funktionen. Aber sie haben das Recht, bestimmte Tätigkeiten anzuregen. Sie haben die Möglichkeit, Impulse zu geben und Gutachten zu erstatten, und damit werden im Laufe der Zeit die Syndizi der Verbände über die nationalen Grenzen hinweg die Steuerleute der Hohen Behörde werden können,

(Sehr richtig! bei der SPD)

wo es nicht um nationale, sondern um Gruppeninteressen geht.

(Beifall bei der SPD.)

In der Denkschrift eines Mannes, der von diesen Dingen etwas weiß, des Dr. Blankenagel aus Düsseldorf, heißt es denn auch ganz folgerichtig: „In der Einschaltung der Verbände liegt auf der anderen Seite eine Chance für sie, ihre Unentbehrlichkeit nachzuweisen."

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ist das nicht trefflich: Dirigismus von oben, von unten temperiert durch die Syndizi?
Dann ist hier noch ein anderes strukturelles Problem zu untersuchen: Entspricht dem Schema, das auf der übernationalen Ebene geschaffen wird, auf der nationalen Ebene ein angepaßtes System von Institutionen? Man hat viel darüber gestritten — je nach Geschmack —, ob die Montanunion eine dirigistische Wirtschaftsverfassung einleite, also eine Kommandowirtschaft schaffe, oder ob sie nicht vielmehr die freie Wirtschaft in den Sattel heben werde. Manche sagen, man brauche den Dirigismus, gerade um die freie Marktwirtschaft zu ermöglichen. Einer der gescheitesten Franzosen, der über diese Dinge geschrieben hat, Raimond Ar o n , hat darüber einige wirklich lesenswerte Aufsätze veröffentlicht, und ein Mann, den Sie sonst gern zitieren, Herr Röpke, hat das auch getan. Aber wir wollen darüber nicht im einzelnen streiten. Sicher ist es so, daß in Krisenzeiten und in Mangelzeiten die Hohe Behörde als dirigistischer Apparat wirken wird und wirken muß, und dazu ist sie ja mit geschaffen worden. Nach dem Worte Dr. Wagenführs werden Normallagen auf diesem Gebiet höchst seltene Vögel sein. Das Regelmäßige, das „Normale" wird auf diesem Gebiet gerade das Nichtnormale sein, wenn sich nicht sehr bald fundamentale Veränderungen auf diesem Planeten einstellen sollten.
Nun schafft man einen europäischen Planungsapparat; aber der kann doch nur funktionieren, wenn er einen nationalen Planungsunterbau hat, wenn also auch die nationalen Wirtschaften Planung und Lenkung unterworfen sind. Das ist aber fast nirgends bei den sechs Montanunionländern der Fall, und folglich, fürchte ich, wird die notwendige Verzahnung von oben nach unten fehlen, es wird die Möglichkeit fehlen, unten auszuführen, was oben verfügt wird; es wird so unmöglich sein, etwas wie eine Erfolgskalkulation vorzunehmen, und man wird in den einzelnen Ländern gezwungen sein, dauernd zu organisieren und umzuorganisieren. Die heutige Organisation ist so, als stünden wir vor einem Bundesstaat, dessen Länderverfassungen für die Ausführung der Bundesgesetze nicht den angepaßten administrativen Apparat zur Verfügung habend Das war im übrigen einer der Hauptgründe, warum die Briten sich mit dem supranationalen Schema als solchem, ohne Rücksicht auf den materiellen Inhalt, nicht befreunden konnten. Ich verweise auf die Worte, die Lincoln Evans in der Monatsschrift des Internationalen Bundes freier Gewerkschaften vom April 1951 veröffentlicht hat. Darum scheint mir heute, wenn man das Resultat will, das Sie wollen, Koordination und Kooperation der bessere, sicherere und reibungsloser zum Ziele führende Weg zu sein. Das jetzige Konstruktionsschema kann nicht funktionieren, weil Oberbau und Unterbau nicht aufeinander abgestimmt sind.
Nun zum zweiten Problem: zu den politischen Vorteilen, die uns der Schumanplan — der Schumanplan in seiner heutigen Gestalt des Montanunionsvertrages vom April d. J. — bringen soll. Ich kann keinen unmittelbaren Vorteil entdecken. Man sprach von Europa. Darüber werde ich nachher etwas sagen. Aber für das andere; für das Unmittelbare, was gilt da? Die Montanunion tut bisher nichts anderes, als uns auf weiten Gebieten die Entscheidungsgewalt zu nehmen; sie unterstellt deutsche vitale Interessen auf Grund freiwilliger Übernahme durch die Deutschen der Entscheidungsgewalt von Organen, die mit einer Mehrheit von Mitgliedern besetzt sind, die notwendigerweise gegenläufige Interessen verfolgen müssen. Wir kämen, sagt man, auf diese Weise aus dem bösen Spiel uns einseitig auferlegter Beschränkungen unserer Produktion durch die Besatzungsmächte heraus. Nun, wo steht denn das im Vertrag? Wo steht denn im Vertrag, daß die Ruhrbehörde, die alliierten Kontrollen, die Kohle- und Stahlkontrollgruppen, die Eingriffe der Alliierten Sicherheitsbehörde, die Beschränkung der Stahlkapazität und der Stahlproduktion verschwinden werden? Das steht nirgends. Man hat uns gesagt, man habe uns versprochen, daß das verschwinden würde. Aber warum hat man denn nicht darauf bestanden, daß dieses Versprechen zu einer rechtlichen Verpflichtung, d. h. zum Vertragsinhalt, gemacht wurde?

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Es sind nicht alle beteiligt!)

—Diese anderen hätte man j a beiziehen können. —
Es gibt ja so etwas wie Zusatz- und Ergänzungsprotokolle zu Verträgen. Man hat den Abbau einiger Dinge in Aussicht gestellt — aber doch nur seitens einiger der beteiligten Regierungen — und insbesondere ohne Nennung des Preises, den wir für den Verzicht, den man angeblich bringen will, zu zahlen haben werden.
Nun, Herr Dr. Henle, ich sagte vorher, Sie hätten recht viel im Futurum gesprochen. Aber dem Futurum gegenüber ist das Präsens immer stärker, und der Vertrag ist im Präsens geschrieben, insbesondere sind es die Verbote des Art. 4! Ich erinnere: Mit der Akzeptierung des Ruhrstatuts haben wir den Preis für eine Verminderung der Demontagen bezahlt. Nach Ihren Worten bezahlen wir jetzt für die Abschaffung des Ruhrstatuts den Preis des Schumanplans. Und ich frage: Was werden wir einmal anbieten müssen, um den Schumanplan loszuwerden?

(Sehr gut! bei der SPD.)

Man hätte diese Versprechungen doch mindestens vertraglich fixieren müssen. Man hat es unterlassen, und darum sind wir dankbar, daß der Bundesrat und die Gewerkschaften die Regierung an ihre Pflicht erinnert haben. Schon manchmal ist der Herr Bundeskanzler — auch zu unserem Leidwesen — von denen desavouiert worden, auf deren Versprechen er glaubte sich berufen zu


(Dr. Schmid [Tübingen])

können. Ich erinnere an eines seiner Hoffnungsworte bei der letzten Saardebatte: er könne uns sagen, die Saarfrage werde recht bald und in deutschem Sinne gelöst werden. Einen Tag darauf kam die Desavouierung aus Paris.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Und dann: Was geschieht mit der Aufhebung der Ruhrbehörde? Hat man denn schon einmal untersucht, ob die Kompetenzen der Hohen Behörde des Schumanplans nicht mindestens ebenso weit gehen wie die der Ruhrbehörde und ob nicht die Hohe Behörde uns auch Exportquoten für die Kohle auferlegen kann, wie die Ruhrbehörde es getan hat?

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Unsere Möglichkeiten, ihre Entscheidungen zu beeinflussen, sind nicht größer, als sie heute bei der Ruhrbehörde sind.
Es scheint mir zuzeiten besser, einseitige Belastungen auf sich zu nehmen, als reduzierte Belastungen, die man freiwillig nicht auf sich nehmen würde, unter Druck durch Vertrag zu übernehmen. Denn gegen eine einseitig gegen uns geführte Politik können wir uns wehren. Und dann muß der andere ja imstande sein, diese Politik durchzuhalten. Dazu hat er nicht immer Mittel, das kann er nur eine Weile. Und gerade weil man weiß, daß man uns das Besatzungsregime nicht länger einseitig aufzwingen kann, will man uns das Halbe oder den vierten Teil des Besatzungsregimes für 50 Jahre als freiwillige Last übernehmen lassen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das ist keine gute Sache. Denn auch die halbe Last wird uns zu Boden drücken, die ganze aber könnte heute ohne unsere Mitwirkung kein Sieger auf die Dauer mehr aufrechterhalten.

(Beifall bei der SPD.)

Nun zum Kapitel der Gleichberechtigung. Man kann diesen Begriff sehr verschieden interpretieren. Ein auch von Ihnen wohlgeschätzter französischer Schriftsteller, Anatole France, hat es einmal in einer sehr treffenden Weise getan. Er hat gesagt: „Was wollt ihr denn, in unserem republikanischen Frankreich herrscht volle Gleichberechtigung; denn der Millionär und der Bettler werden gleichermaßen bestraft, wenn sie Brot stehlen."

(Sehr gut! bei der SPD.)

Formale Gleichheit, formale Gleichberechtigung sind eine schöne Sache. Aber wenn formale Gleichberechtigung nach dem Buchstaben in Diskrepanz mit der Verschiedenheit der Startmöglichkeiten und der materiellen Chancen, sie zu verwirklichen, steht, dann ist sie doch nicht sehr viel wert. Die formale Gleichberechtigung, die uns die Montanunion bringt, hat die Hinnahme materieller Ungleichheiten und die Übernahme zusätzlicher Ungleichheiten zur Voraussetzung, über die mein Freund Henßler noch sprechen wird.
Da sind zunächst die territorialen Bestimmungen der Montanunion zu nennen. Deutschland gibt seine ganze Montanindustrie in den Pool, alles, was unter seiner Jurisdiktion steht; Frankreich, Belgien, Italien stellen aber nur ihre binnenländische Montanindustrie ab; ihre überseeische bleibt autonom. Diese ist, was den Erzbergbau in Marokko und Belgisch-Kongo anbetrifft, recht bedeutsam. Die französischen und belgischen Erzvorkommen in Afrika können autonom ausgebaut werden. Dort kann frei investiert werden, über die Produkte kann frei verfügt werden. Aber über
Frankreichs Ansprüche an die Montanunion kommt diesen afrikanischen Erzen unter französischer Jurisdiktion der Koks der Ruhr zugute, der im Namen der Montanunion unserer Wirtschaft entzogen wird. Freilich steht in dem Vertrag: Deutschland solle dort für Kohle und Erze die gleichen Vergünstigungen genießen wie die Kolonialmacht oder der Protektor. Aber die Kolonialmacht oder der Protektor haben die Macht an Ort und Stelle, und das ist wirksamer als das Spiel von Meistbegünstigungsklauseln. „Possession vaut titre" steht im Code civil: Wer besitzt, hat so gut wie einen Rechtstitel in der Hand.
Das ist fast die gleiche Situation wie die, die man den Deutschen im Plevenplan auf militärischem Gebiet zugedacht hat. Frankreich und die anderen Partner des Plevenplans sollen in den Armeepool nur einen Teil ihrer Wehrmacht geben, den Rest sollen sie zu freier Verfügung behalten. Die Deutschen aber sollen alles hineintun und nichts zu freier Verfügung behalten. Ist denn das Gleichheit, frage ich?
Und haben wir Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Investitionen? Die Montanunion läßt Investierungen durch Selbstfinanzierung außerhalb ihrer Kontrolle. Finanzierung durch fremde Gelder kann nur erfolgen, nachdem die Hohe Behörde tätig geworden ist.

(Abg. Euler: Aber nach bestimmten Normen!)

-- Nun, die französische Montanindustrie, Herr Kollege Euler, ist durch Marshallplangelder und Steuermittel so überinvestiert, daß sie imstande ist, selbst zu verdienen, was sie zur Erweiterung und Rationalisierung ihrer Anlagen investieren muß. Die deutsche Montanindustrie aber hat einen immensen Nachholungsbedarf durch Kriegszerstörung, durch Demontage, durch Unterlassung der Rationalisierung usw. Sie kann, was sie investieren muß, nicht aus sich heraus verdienen. Sie braucht Anleihen. Also stehen wir hier bei formeller Gleichheit ganz und gar im Zustande effektiver Ungleichheit.
Glauben Sie denn, daß viel Aussicht besteht, in der Hohen Behörde eine Majorität dafür zu finden, daß fremde Gelder in der deutschen Eisenindustrie investiert werden, die der französischen Eisen- und Stahlindustrie die Konkurrenz erschweren könnten? Der Monnetplan ist doch der eigentliche Favorit der Montanunion. Freilich heißt es im Vertrag: Diskriminierungen dürften nicht erfolgen. Aber auch hier frage ich: Wer entscheidet darüber, ob etwas diskriminatorisch ist oder nicht? Letzten Endes doch die Hohe Behörde! Man sagt uns: Es ist doch keine Diskriminierung, wenn der Tatbestand aufrechterhalten wird, daß ihr eben unter schlechteren Bedingungen existieren müßt als die anderen; das ist nun einmal so, das haben wir ja nicht geschaffen. Genau so sagt man uns bei der Diskussion der Verteidigungsfrage: Wir können doch nichts dafür, daß ihr im Osten liegt und das gefährdetste Stück Europas seid; daran sind wir doch nicht schuld. — Natürlich sind die anderen nicht daran schuld. Wenn aber wirklich im einen und im anderen Fall mit gleichen Chancen und gleichen Risiken operiert werden soll, — dann muß man eben zum Ausgleich dieses Handicaps, dem ein Teil unterworfen ist, etwas mehr tun, als man für die favorisierten Nationen tut.

(Beifall bei der SPD.)

Und dann steht im Vertrag der Satz, daß die Hohe Behörde kein Prüfungsrecht bei Vorhaben habe, für die die Bestellung der neuen Anlagen vor


(Dr. Schmid [Tübingen])

dem 1. März 1951 erfolgt ist. Also praktisch können die Franzosen mit dem Ausbau des Monnetplans ihre Stahlkapazität so weit erhöhen, wie sie wollen; denn sie haben ja ihre Anlagen schon vor dem 1. März bestellt. Dagegen können wir nur erweitern, was uns die Konkurrenten gestatten. Wo hätte denn die deutsche Stahlindustrie vor dem 1. März Anlagen bestellen sollen und bestellen können?
Dann eine andere Frage. Wir haben im Auswärtigen Ausschuß einmal darüber gesprochen —, Herr Kollege Semler war es, der dieses Problem aufgeworfen hat —: Nach welchen Prinzipien sollen denn die Quoten festgestellt werden? Nach den natürlichen Kapazitäten, d. h. nach den Kapazitäten, die in Auswirkung der eigenen wirtschaftlichen Kräfte geschaffen worden sind, d. h. nach dem Stand der französischen Industrie vor der Aufblähung durch die Marshallplangelder und dem Stand der deutschen Industrie vor den Demontagen? Oder sollen die Quoten bestimmt werden nach dem jetzigen politischen, durch Siegergewalt geschaffenen Stand? Das ist doch eine wich~tige Frage, eine Frage, die man hätte klären müssen; und man hat sie nicht geklärt,
Der Vertrag enthält Bestimmungen über den Zusammenschluß von Unternehmungen. In Deutschland nimmt man jetzt Von Besatzungs wegen Dekonzentrationen Vor. Man spaltet, was früher beieinander war, in eine Vielfalt von Gesellschaften auf, die sieh zum Teil konkurrieren müssen, und jede Rekonzentration ist genehmigungspflichtig. In Frankreich aber wurden in den letzten Monaten mächtige Zusammenballungen in der eisenschaffenden Industrie vorgenommen, und dazuhin ist der französische Kohlenbergbau nationalisiert und damit konzentriert. Die Folge dieses Zustandes wird sein: Frankreich hat alle Vorteile der Konzentration, und Deutschland geht ins Rennen mit allen Nachteilen der Zersplitterung. Das ist doch keine Gleichheit der materiellen Chancen mehr. Da bleibt doch formale Gleichheit nur ein leeres Wort.
Nun wurde gesagt: Alles das mag sein, aber wir tauschen damit doch etwas Großartiges ein, die Überwindung des engstirnigen Nationalismus, und wir bekommen als Lohn Europa. Freilich, im ersten Manifest, das Robert Schuman der Welt verkündet hat, da standen schöne Worte. Mit den Prinzipien, die diese Worte ausdrücken, bin ich für meinen Teil völlig einverstanden: Internationalisierung der schweren Industrien auf demokratische Weise, mit demokratischen Zielen, auf der Grundlage gleicher Leistung, auf der Grundlage gleicher Startbedingungen und gleicher Chancen. Aber sehen Sie: in der Politik kann man „ja" Oder „nein" nicht zu allgemeinen Prinzipien sagen, sondern nur zu Fakten und zu Zielsetzungen, „Überwindung des nationalstaatlichen Egoismus": ja, von ganzem Herzen ja; und „Hin zu Europa": zweimal ja! Aber was seit der Verkündung des Prinzips und der Ziele des Schumanplans geschehen ist, das gleicht weniger einem Bilde der Idee als einer Karikatur dieser Idee.

(Beifall bei der SPD.)

Zunächst: Ist es all denen, die uns auf die Montanunion, wie sie heute ist — ich betone: heute —
hindrängten, wirklich um Europa und um Internationalität an und für sich zu tun gewesen? Wollte
man die Montanunion wirklich in den Dienst der
europäischen Länder stellen, wobei „europäische
Idee" heißt: gleiches Recht, gleiche Chancen, gleiche
Risiken, gleiche Verfügungsmacht, gleiche Verantwortung aller allen gegenüber? Oder hat man nicht
vielmehr die Europasehnsucht der Menschen dieses Kontinents in den Dienst gewisser Interessen gestellt,

(Sehr richtig! 'bei der SPD)

Interessen, die sehr wenig gesamteuropäisches Wollen in sich tragen?

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Welches sind denn diese Interessen gewesen, und welche Interessen sind das noch? Man hat von dem dauernden Mißtrauen gesprochen, das man abbauen müsse. Sie haben vollkommen recht, Herr Henle, Miß t r au en an und für sich ist in der Politik eine ebenso schlechte und verhängnisvolle Sache wie Vertrauensseligkeit an und für sich.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Dem Vertrauen auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite nicht krankhaftes Mißtrauen. Dem Vertrauen entspricht Wachsamkeit, und wachsam sollten wir auch heute sein. Das gebietet uns, uns so .gut als möglich über alles zu informieren, Was im Spiel steht.
Frankreich, das früher einen großen Teil seiner Erze nach der Ruhr schickte, um sie dort verhütten zu lassen,

(Abg. Dr. Preusker: Das ist aber schon sehr, sehr lange her!)

behält sie seit langer Zeit für sich, Herr Kollege Preusker, um am Stahl zu verdienen, und Stahl heißt ja heute — dafür haben Sie sicher viel Verständnis — auch politische Macht.

(Zuruf des Abg. Dr. Preusker.)

So ist die französische Erzausfuhr von 5,7 Millionen t im Jahre 1037 auf 0,12 Millionen t im Jahre 1949 gesunken. Der Import deutscher Kohle aber war 1949 so hoch wie im Jahre 1928. Das kannte man machen, weil durch den Monnetplan — und Herr Monnet ist ja der eigentliche Vater des Schumanplans — die französische Stahlerzeugung von 9,7 Millionen t im Jahre 1929 auf 12,5 Millionen t im Jahre 1952 und darüber hinaus auf 15 Millionen t gesteigert werden soll bei einem Inlandsbedarf von 6 bis 7 Millionen t.

(Zuruf des Abg. Dr. Preusker.)

— Das kann man nur machen, Herr Kollege Preusker, wenn man die dafür nötige Kohle zu so niedrigem Preis als möglich herbei zwinge n kann —zu einem Preis, den Man bestimmen kann —, und wenn man sich für den überschüssigen Stahl einen Markt politisch sichern kann.
Das erinnert mich an ein Gesprächs, das vor 11/2 Jahren in Bernkastel geführt worden ist. Herr Dr. Henle. Sie waren dabei, und Herr Kollege Euler war auch dabei. M. Andre Philipp war dort unser hauptsächlsichster Gesprächspartner. Damals handelte es sich nicht um den Schumanplan, sondern darum, daß er von uns haben wollte, wir sollten der Übernahme der Ruhrkontrolle nach dem Ruhrstatut zustimmen. Dabei führte er u. a. aus — ich habe es mir aufgeschrieben -, die Wirtschaftskommission der UNO habe errechnet, daß die Stahlkapazität Europas in wenigen Jahren in eine enorme Überkapazität umschlagen werde. — Das war vor Korea. —

(Zuruf des Abg. Euler.)

Also könnte man doch die deutsche Stahlproduktion sich nicht so entwickeln lassen, wie sie sich
nach den natürlichen Wirtschaftskräften entwickle;

(Abg. Euler: Diese Meinung war aber falsch!)



(Dr. Schmid [Tübingen])

man müßte ja sonst die französische Kapazität auf den Stand von vor 1939 zurückschrauben. Und er sagte weiter: Es ist uns lieber, und es entspricht auch mehr unseren Vorstellungen von Sicherheit, wenn ihr den Stahl, den ihr nicht produzieren könnt, den ihr aber braucht, von uns kauft, und wenn wir durch die Ruhrbehörde die Kohle bekommen, die wir nötig haben.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Sehen Sie, darin liegt die Formel, nicht der Idee, aber der Realität der Montanunion.

(Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

Und dazu noch ein anderes. — Ich kann Ihnen aus Gründen der Courtoisie hier keine Namen nennen. Die Präambel des Gesetzes 75 hat bei diesen Dingen eine große Rolle gespielt. Eine Zeitlang konnten die Franzosen hoffen, daß sie ihre Verbündeten dazu bekommen könnten, das Eigentum an der Ruhr und die Träger der Betriebsführung an der Ruhr international zu bestimmen. Man nannte das „Gestion internationale". Man wollte die Ruhr zu einer Art internationalen Trusts machen. Das ist dann nicht geglückt. Die Präambel des Gesetzes 75 wurde geändert, und die Briten und die Amerikaner erklärten, der deutsche Gesetzgeber solle über das Eigentum der Ruhrindustrie bestimmen. Als so die Hoffnung auf die Internationalisierung der Ruhr begraben werden mußte, zog man den Schumanplan aus der Schublade heraus,

(Sehr richtig! bei der SPD)

in der man ihn als Eventualfall 2 bereit hielt.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Man spricht immer vom „gemeinsamen Markt". Warum will man denn diesen gemeinsamen Markt nur haben, wo man von ihm profitieren kann! Warum will man nur den gemeinsamen Markt für die Montanerzeugnisse und künftig für die Agrarerzeugnisse? Warum aber will man ihn nicht für Maschinen, nicht für die Erzeugnisse der Chemie und der Elektrotechnik?

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es gibt auch noch ein amerikanisches Interesse an diesen Dingen, ein Interesse, das allerdings heute sehr verschieden ist von dem Interesse, das man vor den koreanischen Ereignissen nahm. Vor den koreanischen Ereignissen — wo man Absatzkrisen befürchtete — brauchte man in Europa einen Apparat, der die Produktion drosseln konnte — bei Schonung der in die französische Montanindustrie gesteckten Marshallplangelder; und nach Korea braucht man einen Apparat zur Aufteilung 'der Erzeugnisse der Montanindustrie bei Mangelbedarf, der durch die Rüstung herbeigeführt worden ist. Deswegen hatten und haben die Amerikaner ein Interesse daran, daß wir den Montanunion-Vertrag ratifizieren; es gibt noch manches andere Interesse.

(Abg. Renner: Krieg und Geld!)

Wenn man uns vor einigen Tagen gesagt hat: In Amerika denke man nun einmal, die Annahme des Schumanplans durch die Deutschen sei ein Prüfstein für den Grad der Intensität der Option der Deutschen für die Sache der Freiheit und des Westens. Wenn auch der einzelne Amerikaner sich unter dem Schumanplan nicht viel vorstellen könne; er betrachte ihn eben als ein wichtiges Symbol, und es sei gefährlich, ihm dieses Symbol vorzuenthalten,
Meine Damen und Herren! Wünsche nach Symbolen und die Kraft der Symbole in. allen Ehren und — ohne Ironie sei es gesagt —: Allen Respekt vor dem großen amerikanischen Volk, dem wir so Entscheidendes verdanken — aber all dies kann uns nicht von der Verantwortung und von der Pflicht der Prüfung entbinden, ob das Symbol, das man von uns will, Heil oder Unheil über unser Volk bringt!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Europa — nun, wir werden ja dieses Europa einmal schaffen müssen.

(Zuruf rechts: Hoffentlich!)

— Ja, wir werden es schaffen müssen. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein schweres Geschäft, und es genügt nicht, daß man jeden Tag zwanzigmal „Europa" sagt.

(Zurufe aus der Mitte und rechts. — Abg. Euler: Es genügt auch nicht, daß man immer nein sagt!)

Europa ist kein Zauberwort, sondern eine Aufgabe!

(Beifall bei der SPD.)

Wenn man diese Aufgabe lösen will, Herr Kollege Euler, dann muß man zuerst die Voraussetzungen dafür schaffen, daß man mit Aussicht auf Erfolg ans Werk gehen kann. Sehen Sie: Der Bauplatz, auf dem wir das Haus Europa errichten wollen, ist doch noch voll von Trümmerschutt und Gestrüpp. Solange wir das nicht weggeräumt haben, solange wir nicht liquidiert haben, was uns Vergangenheit ist und aus der Vergangenheit in diese Gegenwart hineinwirkt, um Vergangenheit zu verlängern, Herr Euler, hat es doch keinen Sinn, daß wir die Zeichnung vom Reißbrett auf den Baugrund übertragen.

(Abg. Euler: Sie bekommen die Vergangenheit nur weg, indem Sie die Zukunft bauen!)

— Herr Euler, dieser Grund liegt sehr tief unten, und man muß sich sehr tief bücken, wenn man diesen Schutt beseitigen will!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Dabei tut einem das Kreuz gelegentlich sehr weh.

(Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Wir bücken uns ja! — Weitere Zurufe von der CDU.)

Der Schumanplan ist nicht Europa,

(Zuruf von der CDU: Der Anfang!)

er ist auch nicht ein Anfang Europas, sondern er ist ein Stück Fortsetzung der Politik der Nachkriegszeit.

(Beifall bei der SPD.)

Sechs Länder sind daran beteiligt. Schauen Sie den Globus an: Das Gebiet dieser Länder ist ja nicht einmal die sonst so belächelte Halbinsel des Kontinents Asien; das ist ja nur ein Kap dieser Halbinsel.

(Zuruf von der CDU: Man muß anfangen!)

Die wichtigsten Länder halten sich fern, und sie halten sich aus guten Gründen fern. Wenn Sie glauben, daß der Zusammenschluß dieser sechs Länder auf die Briten und Skandinavier als Magnet wirken würde, dann täuschen Sie sich. Dieser Zusammenschluß wird wie jeder separat integrierte partielle Zusammenschluß separatorisch und abstoßend wirken.

(Zurufe aus der Mitte und rechts: Nein!)



(Dr. Schmid [Tübingen])

— Er wird den Angelsachsen und Skandinaviern das Gesicht noch stärker in die Richtung des Ozeans drehen, als das bisher schon der Fall ist.

(Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Keineswegs! — Weitere Zurufe von der CDU: Nein!)

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Frau
Dr. Weber [Essen]: Gefällt Ihnen das?)
— Mir gefällt parlamentarische Kontrolle über Manager, Frau Kollegin Weber. Was mir aber nicht gefällt, ist, daß wir nicht die Anstrengungen leisten, die wir leisten müssen, um den Generalnenner zu schaffen, auf dem wir uns mit den Engländern zusammen zu einem Ganzen addieren könnten!

(Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Hasemann: Darauf können wir nicht warten!)

— Wenn Sie sich ein bißchen mehr anstrengen, in Deutschland den Lebensstandard der breiten Massen zu heben, dann geht es rascher, Herr Kollege Hasemann!

(Beifall bei der SPD.)

Wenn der Weg über die Montanunion wirklich zu einem echten Europa führen könnte, dann wäre kein nationales Opfer zu groß, aber dieser Weg führt nicht nach Europa.

(Zuruf von der CDU: Das wissen Sie doch gar nicht!)

Die Realität ist stärker als unsere Wunschbilder; und unsere Wünsche sind erst dann eine Kraft, wenn wir die Voraussetzungen geschaffen haben, ohne die sie nichts anderes sind als Produkte unserer Stimmungen.
Der Schumanplan macht doch für viele Staaten Europa überflüssig. Wir können doch Europa nur dann wirklich zu Europa machen, wenn alle bereit sind, von ihren nationalen Souveränitäten; von ihren Reichtümern alles hineinzugeben, was nötig ist, damit ein echtes Gesamtding entstehen könne. Das tut doch ein Staat wie ein Privatmann nur dann, wenn er weiß: Nur unter dieser Voraussetzung bekomme ich selbst zurück, was ich brauche.
— Wenn man ihm aber vorher schon so billig gegeben hat, was ihm zum rechten Preis nur Europa geben könnte, dann sagt er doch: Was brauche ich Europa, was brauche ich die Opfer zu bringen —ohne die Europa nicht geschaffen werden kann —, ich habe ja schon in der Tasche, was mir sonst nur ein Opfer für Europa geben könnte; fahren wir fort, zu bleiben, wie wir sind, und Europa zu deklamieren!

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116101800
Darf ich einmal darauf aufmerksam machen, daß die eine Stunde überschritten ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116101900
Ich bitte noch um einige Minuten! —
Was sind nun einige der Voraussetzungen, die zunächst geschaffen werden müssen? Zunächst eine: Man kann bei dem Grad von Ungleichheit, in dem Deutschland im Verhältnis zu seinen Verhandlungspartnern steht, über nichts anderes verhandeln als über Fragen eines weitgehenden modus vivendi.
Man kann bei dieser Ungleichheit keine Verträge schließen, die die Zukunft eines Volkes auf zwei Generationen festlegen. Denn die Ungleichheit des Grundverhältnisses fließt, ob man will oder nicht, in die Sonderregelungen hinein, über die man Verträge schließt. Darum sollte man in dem Zustand, in dem wir uns heute befinden, Verträge solcher Art, Verträge, die über die Regelung des modus vivendi hinausgehen und endgültige Verhältnisse schaffen sollen, nicht schließen. Denn wenn für uns eines Tages dann die formale Gleichberechtigung kommen sollte, fällt sie ins Leere. Es ist dann doch alles, worauf es ankommt, wenn Freiheit effektiv sein soll, durch diese Sonderregelungen ausgeklammert! Gleichheit Deutschlands bedeutet nichts anderes als Normalisierung des 'deutschen Grundverhältnisses. Sie muß schon eingetreten sein vor dem Eingehen grundlegender und lange Zeiträume festlegender Bestimmungen. Sie darf nicht angesehen werden als etwas, das erst als Auswirkung einer im Zeichen der Ungleichheit eingegangenen Bindung erwartet werden darf.
Sie weisen hin auf die Erfolge, die die Politik des Herrn Bundeskanzlers uns gebracht hat. Natürlich gibt es da Erfolge aufzuweisen!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber der Hauptarchitekt dieser Erfolge war die Zeit. Und der größte Erfolg seit 1945 ist eingeheimst worden, noch ehe es die Bundesrepublik gab. Und er kam, als es gelang, den Siegermächten deutlich zu machen, daß eine neue Phase ihrer Besatzungsherrschaft beginnen müsse. Das Produkt war die Bundesrepublik.

(Abg. Ewers: Das danken wir Stalin!)

— Vielleicht. Vielleicht danken wir Stalin noch mehr, Herr Kollege Ewers.
Das alles stellt uns vor schwierige Situationen. Sie zu meistern ist eine Regierung da. Aber eine gute Politik kann sie nur machen, wenn sie Differenzpunkte klärt und wenn sie Differenzpunkte austrägt, ehe man Bindungen eingeht, die der Partner anders auslegen könnte als man selbst. Unter Umständen bleibt manchmal nichts übrig, als festzustellen, daß es zu bestimmten Dingen — leider — noch nicht Zeit ist.

(Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Bis es zu spät ist!)

Es ist hier oft von der Politik der Vorleistungen gesprochen worden. Ich glaube nicht, daß Vorleistungen eine wirksame politische Methode sind. Politisch kommt man nur weiter, wenn man bestimmte Leistungen verspricht und sich dafür bestimmte Gegenleistungen unter gleichem Rechtszwang versprechen läßt. Wer anders verfährt, wird immer erleben, daß die Nachleistung auf sich warten lassen wird. Ich erinnere an die Geschichte des Versailler Vertrages. Auch da war gesagt worden, die deutsche Abrüstung sei eine Vorleistung, das deutsche Minderheitenstatut sei eine Vorleistung usw. usw.; aber die Nachleistung ist nie gekommen. Denn so wie die Staaten nun leider einmal sind, geben sie nur dann etwas auf, wenn ihnen das Aufgeben im Moment der Aufgabe einen Vorteil bringt, aber nicht mehr dann, wenn sie den Vorteil schon vorher eingeheimst haben.
Es empfiehlt sich auch nicht, eine Politik auf etwas abzustellen, das man „Geist des Schumanplans" nennt. Dieser Geist hat nur insoweit eine politische Bedeutung, als er sich in klaren Bestimmungen des Vertrages selber niedergeschlagen hat. Alles andere ist 'Spekulation. Wenn man auch ge-


(Dr. Schmid [Tübingen])

legentlich im Kassageschäft einen Wechsel diskontieren kann — zu Ultimo wird er präsentiert, unddann muß man bezahlen —, meist unter Verlust.
Was nun den „Neuen Geist" anbetrifft, den der Schumanplan geschaffen haben soll: An der Saar ist davon noch nicht viel zu merken.

(Aha! bei der CDU.)

Dabei leben wir doch jetzt in den Flitterwochen, und da pflegt solch neuer Geist doch am wirksamsten zu sein. Er scheint mir aber heute schon recht schwach zu wehen, und ich fürchte. daß nach den Flitterwochen diesem neuen Geist der Atem ganz ausgegangen sein wird. Ich erinnere Sie an den Vertrag über den Hafen von Kehl, den jüngst die badische Regierung mit der Republik Frankreich abgeschlossen hat. Sein Inhalt ermutigt nicht zu großen Hoffnungen. Deutlicher. als es dort geschehen ist, kann man doch nicht zum Ausdruck bringen, daß man von der Siegerposition nicht herabzusteigen gedenkt — trotz der Beschwörung des Geistes des Schumanplans!(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich bin dafür, daß man den Hafen von Straßburg und den von Kehl beide zusammen unter deutschfranzösische Verwaltung stellt; ich bin aber nicht dafür und ich halte es für eine schlechte Sache, nur den Hafen von Kehl unter deutsch-französische Verwaltung zu stellen. Das 'kann nur wollen, wer will, daß Deutschland als Land zweiten Ranges existieren soll. Ich hoffe, daß die Bundesregierung diesem Vertrag ihre Zustimmung nicht geben wird.
Es gibt Spuren, die uns schrecken sollten. Als Präsident Wilson seinen Versailler Vertrag vor dem Senat verteidigte, warfen ihm Senatoren vor: „Wie konntest du eine so schlechte Sache unterschreiben?" — Darauf sagte er: „Getrost, getrost! Ich weiß, daß sehr viele schlechte Sachen in dem Vertrag stehen, aber wir haben den Völkerbund, und im Geist des Völkerbunds werden alle diese schlechten Dinge gegenstandslos werden!"

(Abg. Renner: Dasselbe gilt für den Atlantikpakt!)

Meine Damen und Herren, die bösen Dinge im Versailler Vertrag wurden nicht gegenstandslos, aber sie haben den Boden bereitet, auf dem ein Adolf Hitler nach Berlin marschieren konnte!
Und damit will ich zum Schluß kommen: Wir haben Ihnen in Drucksache Nr. 2484 eine Resolution vorgelegt. Ich will sie nicht verlesen. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Resolution nicht nur verlangt, daß vor der Ratifikation bindende Erklärungen über den Abbau bisher einseitig auferlegter alliierter Maßnahmen abgegeben sein müssen, sondern daß darüber hinaus vor der Ratifikation auch Erklärungen abgegeben worden sein müssen, wonach der 'deutsche Investitionsbedarf gesichert sein soll, die Verbundwirtschaft gesichert bleiben soll, ausreichende Zusicherungen über deutsche Verfügung über Kohle und Stahl für die Ausfuhr gegeben werden sollen, und daß die Position des Saargebiets im Zusammenhang mit dem Schumanplan in der Weise, wie es hier verzeichnet ist, klargestellt werden muß. Wir Sozialdemokraten lehnen den Schumanplan so, wie er jetzt ist, ab; aber jene von Ihnen, die glauben, man könnte oder müßte ihn annehmen, die sollten doch mindestens zum Ausdruck bringen, daß er nur ratifiziert werden darf, wenn diese für uns so vitalen
Voraussetzungen hergestellt sind oder ihre Verwirklichung doch zumindest garantiert worden ist. Das ist das Mindeste, was wir tun müssen!

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116102000
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0116102100
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Schmid waren von demselben großen Widerspruch durchzogen, der die gesamte sozialdemokratische Außenpolitik kennzeichnet. Auf der einen Seite werden die weitestgespannten Forderungen gestellt: gleiches Recht, gleiche Chance, gleiche Verfügungsmacht, darüber hinaus Ausgleich der Vorzüge favorisierter Nationen zugunsten der weniger begünstigten. Auf der andern Seite wird hinsichtlich der Wirklichkeit und der heute in Europa lebenden Menschen erklärt, daß sie alle mit der Austragung nationaler Interessen beschäftigt sind und in der Meinung befangen bleiben, einer könne nur auf Kosten des andern etwas erlangen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, darin liegt die ungeheure Spannung zwischen einer außerordentlichen Forderung und einer Wirklichkeit, die dieser Forderung auf das härteste widerstreitet. Dieser Widerspruch wird überflogen. Vieles klingt außerordentlich verlockend. Es bleibt aber doch der grundlegende Widerspruch, der verhindert, daß die Darlegungen überzeugen.
Die Ausführungen des Kollegen Schmid überfliegen deshalb auch die europäische Tragik, in der wir uns befinden. Diese Tragik erhebt heute wieder drohender denn je ihr schretkendes Gesicht. Sie entspringt der Gefahr, daß die europäischen Völker, befangen in den furchtbaren Erlebnissen des letzten Krieges, befangen in den Regelungen vorläufiger Art, die die Sieger diesem Kriege folgen ließen, befangen in den Gefühlen des Mißtrauens und des Trotzes, die- sowohl dem Krieg als auch seinen interimistischen Abschlußregelungen entsprangen, der Stimme der Vernunft nur widerstrebend folgen, daß die europäischen Völker dieser Stimme der Vernunft nur allzu zögernd nachkommen können, sodaß ganz unterbleibt oder jedenfalls zu spät geschieht, was erforderlich wäre, um die Not zu wenden.
Erst damit kommt man in die Mitte der Problematik, die diesem Schumanplan anhaftet. Wir wissen sehr wohl, was notwendig wäre. Millionen von Menschen in allen europäischen Ländern tragen es im Herzen. Die Probeabstimmungen in Breisach und in Castrop-Rauxel haben es mit der großen Mehrheit von 90 % bewiesen, und ich bin der Auffassung, wenn entsprechende Abstimmungen in andern europäischen Ländern stattfinden würden, würden sie zu keinem andern Ergebnis führen als dem der vorbehaltlosen Bejahung des Bundes der europäischen Völker, der Vereinigten Staaten von Europa. Die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den verschiedenen europäischen Ländern wünscht ein Europa, das nicht nur eine wirtschaftliche Einheit, ein einheitlicher Markt ist, sondern darüber hinaus eine politische Einheit. Das ist die Notwendigkeit der Zeit, die in die Herzen vieler Menschen geschrieben ist, es möge eine Ausschreibung zu einer europäischen Konstituante stattfinden, damit eine Verfassung für einen europäischen Bundesstaat Wirklichkeit werde.


(Euler)

Wenn man von dieser Notwendigkeit ausgeht, dann kennzeichnet allerdings den Schumanplan ein tragisches Zurückbleiben in dreierlei Hinsicht. Er führt zu keiner politischen Einheit Europas, er stellt keine wirtschaftliche Einheit für die ganze Breite des wirtschaftlichen Lebens dar. Er ist nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft für die wirtschaftlichen Schlüsselprodukte Kohle, Eisen und Stahl, und auch dies nur für sechs der europäischen Länder. Niemand bedauert mehr als wir dieses Zurückbleiben des Schumanplans hinter der europäischen Notwendigkeit. Eine Kritik, die ideell auf der Höhe der Zeit steht, kann nur eine solche sein, die das Zurückbleiben des Schumanplans hinter den eigentlichen Notwendigkeiten dieser Zeit feststellt und den Bund der europäischen Völker ins Auge faßt. Das tut wohl auch die sozialdemokratische Kritik am Schumanplan; aber sie kommt dann zu einer völlig anderen Antwort, und zwar aus einer falschen Einschätzung der Realität, eben jener europäischen Tragik, von der ich eben sprach.
Wenn man die Frage stellt, ob die Erkenntnis des Zurückbleibens des Schumanplans hinter dem in Europa Notwendigen uns nun zu seiner Verneinung führen soll oder ob umgekehrt diese Erkenntnis der Stachel sein soll, der uns die Verwirklichung des Plans wollen läßt, damit er selbst ein Schrittmacher der weiteren Integration Europas, ein Schrittmacher der wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas werden könne, so bejahen wir den Schumanplan als Stufe auf dem steilen Weg zur europäischen Einheit, die nicht mit Negationen, mit immer neuen Verneinungen und trotzigen Abwendungen gewonnen werden kann. Wir wollen ihn als Anfang einer Bewegung zur europäischen Einheit hin. Wir betrachten ihn nicht als statisches Element für 50 Jahre in einer für 50 Jahre unverändert bleibenden Welt, sondern als dynamischen Faktor, als eine dynamische Potenz, deren Wirksamwerden die Chancen erhöht, daß sich die Bewegung zu dem einen Europa hin beschleunigt.
Darin liegt der grundlegende Unterschied in der Auffassung nicht nur meiner Freunde, sondern überhaupt wohl der Regierungsparteien und der von ihnen getragenen Regierung gegenüber der Betrachtungsweise der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie beharrt auf einer statischen Betrachtungsweise, die der doktrinären Starrheit dieser Partei auf allen Lebensgebieten entspricht. Da werden Verhältnisse von heute als unwandelbare Gegebenheiten genommen, da werden die Realitäten als fixe, unwandelbare Größen genommen, und das ist besonders unangebracht in einer Zeit schnellster Wandelbarkeit der Verhältnisse, in einer Zeit, in der alles den Charakter des Vorläufigen trägt, in der die Veränderungen der realen Gegebenheiten sich so schnell vollziehen, daß ihnen die Bewußtseinsänderungen kaum zu folgen vermögen. Herr Dr. Schumacher hat kürzlich in Frankfurt auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Internationale diesen für unsere Zeit durchaus charakteristischen Sachverhalt festgehalten, indem er sagte, daß die Bewußtseinsveränderungen der meisten weit hinter den schnellen Entwicklungen der äußeren Verhältnisse zurückbleiben. Das Bewußtsein kann die Veränderungen gar nicht schnell genug realisieren. Das war eine Selbsterkenntnis, die nicht
von Selbstironie frei war.
Die statische Betrachtungsweise der Sozialdemokratie gegenüber dem Schumanplan führt so weit, daß auch die im Vertragswerk liegenden Wandlungsmöglichkeiten nicht bemerkt oder jedenfalls unterschätzt werden. Bei durchgreifenden Änderungen der Verhältnisse wird das Gesamtinteresse trotz der erschwerten Bedingungen des Art. 96 eine große Revision ebenso erzwingen wie in dem Fall, daß sich die Unzulänglichkeit des Instruments an den jetzigen Verhältnissen offenbaren sollte. Man kann nicht den Vergleich mit dem Versailler Friedensvertrag, einem einseitigen Diktat, anführen. Hier handelt es sich doch um ein Vertragsinstrument, mit dem eine enorm in die Lebenswirklichkeit eines jeden Volkes eingreifende neue wirtschaftliche Gemeinschaft geschaffen wird. Die Gemeinschaft eines großen europäischen Marktes mit 160 Millionen Verbrauchern, aufs Spiel zu setzen, sie der segensreichen Möglichkeiten, die sie bietet, zu berauben, wird niemand geneigt sein. Vielmehr werden alle Beteiligten das tun, was erforderlich ist, um das Vertragsinstrument den Lebensverhältnissen anzupassen, damit dieser europäische Markt zu seiner stärksten Auswirkung kommen kann. Man wird doch davon ausgehen dürfen, daß der Vertrag von allen beteiligten Staaten als ein kühner Versuch betrachtet wird, etwas sicherzustellen, ohne das die europäischen Völker überhaupt nicht mehr zu einem anständigen Leben kommen können, nämlich die Produktivität und den Lebensstandard aller europäischen Völker gemeinsam zu heben. Wir wissen, in dem zerklüfteten Europa kann nur ein einheitlicher Markt mit seiner potenzierenden Wirkung das volle Potential der europäischen gewerblichen Tätigkeit zur Entfaltung bringen, das ja heute bei weitem nicht erreicht ist, sondern erst durch ungeheure Investitionen, für die Europa allein nicht die Mittel hat, geschaffen werden kann. Wir wissen von einem großen Beispiel des neunzehnten Jahrhunderts, wir wissen von dem Deutschen Zollverein, was es bedeutet, eine Markteinheit zu schaffen, die weit umfassender, weit größer ist als das, was vorher an Einzelmärkten vorhanden war. Es tritt eine Vervielfältigung der wirtschaftlichen Austausch- und dadurch der wirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten auf, eine Potenzierung, deren Verlust zu riskieren sich die europäischen Völker einfach nicht leisten können. Es kommt hinzu, daß die Lebensbedingungen in den nächsten Jahren am Ende noch schwerer für sie werden, als sie es heute sind, weil besondere Anforderungen der Wirklichkeit, die man nicht willkürlich abschieben kann, befriedigt werden müssen. Diese Anforderungen sind gekennzeichnet durch die ungeheure Existenzbedrohung aus dem Osten und die Notwendigkeit, das zu tun, was erforderlich ist, um dieser Existenzbedrohung nicht in jedem Augenblick zum Opfer zu fallen. Das sind die Gründe, die einen starken Einfluß auf die europäische Entwicklung ausüben werden, einen Einfluß, der dazu führen wird, daß sich ein Gemeininteresse herausbildet, wie es unter den jetzigen Umständen vor der Wirksamkeit der Montanunion noch gar nicht denkbar ist; denn dieses Gemeininteresse bedarf zu seiner Bewährung einer Praxis in gemeinsamen Institutionen, die geschaffen sind, damit man in Begegnung und Aussprache die gemeinsamen Probleme einer Lösung zuführt. Dieses Gemeininteresse wird selbst bei vorsichtigster Einschätzung ein maßgebender Faktor der weiteren europäischen Entwicklung sein. Das Gemeininteresse würdè allerdings gar nicht entstehen können, wenn aus der Angst einer statischen Betrachtungsweise heraus, wie wir sie soeben aus den Darlegungen des Kollegen Schmid erneut von der Sozialdemokratie gehört haben, von einer langen Vertragsdauer Abstand genommen worden wäre.


(Euler)

Die fünfzigjährige Vertragsdauer soll doch folgendes besagen: Richtet euch von vornherein darauf ein, daß die Einheit des europäischen Marktes zumindest in der Gebietsausdehnung der jetzigen sechs Staaten nicht ein unverbindlicher Versuch sein soll, der bei der ersten besten Gelegenheit wieder abgebrochen wird. Richtet euch vielmehr darauf ein, daß es sich um eine auf Dauer angelegte Errungenschaft handelt, deren befriedigender Effekt gerade dann eintritt, wenn alle Vertragschließenden im Bewußtsein der prinzipiellen Unwiderruflichkeit des Zusammenschlusses ihn zum Anliegen ihrer gemeinsamen Wohlfahrt machen. tag ist allein die Einstellung, aus der die positive europäische Zielstrebigkeit entspringt, von der wir allerdings erhoffen, daß sie in wesentlich kürzerer Zeit als in 50 Jahren die Montanunion in der gesamtwirtschaftlichen und politischen Union der europäischen Völker wird aufgehen lassen. Das Wort von der „einen Null zu viel im Schuman-plan", das Professor Baade in diesen Tagen prägte, wird von uns deshalb in gewisser Weise auf genommen. Möge die fünfzigjährige Vertragsdauer als Zeichen des Entschlusses der Vertragschließenden, diese europäische Minimalbindung nicht mehr aufzugeben, dazu beitragen, daß über die qualitative und gebietliche Ausdehnung des europäischen Marktes und über das Hinzutreten einer politischen Konstitution für Europa in fünf Jahren der Vertrag über die Montanunion überholt sei!
Eine solche Entwicklung wird nur möglich sein, wenn mit Teilstücken begonnen wird, nicht aber diese Teilstücke abgelehnt werden, weil man zunächst darauf wartet, etwas hundertprozentig Perfektes und Umfassendes zu schaffen. Mit diesem Rezept des Alles auf einmal kann Europa nicht geschaffen werden. „Alles oder nichts" ist in der Wirklichkeit niemals das Prinzip einer Erfolgsentwicklung in Vertrauen, wie sie Europa allein braucht. Eine Unterschrift, die aus diesen Anschauungen, wie ich sie entwickelte, geleistet wird, ist keine unehrliche Unterschrift, sondern eine Unterschrift aus europäischer Verpflichtung, eine Unterschrift aus dem Willen, daß die Montanunion ihren Zweck als Schrittmacher für Europa möglichst schnell erfülle. Ich sage deshalb erneut: Wir betrachten die Montanunion als einen Anfang auf dem Wege und als ein Mittel zu dem größeren Ziel, dem einigen bündischen Europa.
Wer diese dynamische Betrachtungsweise teilt. weil er weiß, daß die Entwicklung immer bestimmt wird durch die geistigen Energien und seelischen Kräfte, die durch ein Ereignis entbunden werden und der Schumanplan bedeutet die Entbindung außerordentlicher innerer Kräfte in allen europäischen Ländern auf Europa hin der ist keineswegs genötigt, zu behaupten, daß der Schumanplan vollkommen sei. Wir leugnen keineswegs, daß er Risiken, ja erhebliche Risiken einschließt. Wir sind uns bewußt, daß er Schwierigkeiten der Anpassung mit sich bringen wird. Aber wo gibt das Leben ganzen Völkern oder nur dem einzelnen große Chancen zugleich mit einem Garantieschein, daß man aller Sorgen, Mühen und Gefahren enthoben sei? Nur der sozialistische Illusionismus gaukelt den Menschen vor, daß es sich lohne, den Irrlichtern hundertprozentiger Patentlösungen nachzulaufen, und wenn man aus diesem Glauben dazu kommt, das, was im Augenblick zu realisieren ist, zu verneinen, eben weil man warten will, bis das Vollkommene möglich sei, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird man das Vollkommene oder auch nur das Bessere niemals erreichen,

(Sehr richtig! bei der FDP)

sondern dann versinkt die Entwicklung in der Lethargie, die, wenn sie sich durchsetzt, die Skepsis hinterläßt.

(Beifall bei der FDP.)

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist doch eine ungeheure Gefahr, die man im heutigen Europa nicht übersehen kann: die Lethargie, die Müdigkeit, die die graue Spinne Skepsis schon erzeugt hat. Wie groß ist die Gefahr, daß das Notwendige nicht geschieht! Ja, was hätte alles geschehen müssen und viel früher geschehen müssen, als es geschah, soweit es überhaupt geschehen ist, wenn das Notwendige die Richtschnur für die Verwirklichung in der Politik wäre! Das Notwendige ist es nur insoweit, als es von Menschen mit Herz und Geist und Willen durchgesetzt wird und nicht von Menschen in der abergläubischen Anhänglichkeit daran, daß nur das Vollkommene getan werden dürfe, sondern von Menschen, die wissen, daß man sich bescheiden muß mit dem, was möglich ist. Die Politik ist die Kunst des Möglichen. Erst als man versuchte, daraus etwas anderes zu machen, was darauf hinauslief, mit dem Unmöglichen zu spielen, da begann die ganz katastrophale Entwicklung für unser deutsches Volk.
Wir sind uns bewußt, daß der Vertrag keine wesentlichen Ansätze einer brauchbaren europäischen Verfassung enthält. Seine Institutionen sind dafür allzu spezifisch auf einen beschränkten wirtschaftlichen Zweck zugeschnitten. Aber dieser Wirtschaftliche Zweck der Vereinheitlichung und Potenzierung des europäischen Marktes zunächst für die wichtigsten Güter der Grundstoffindustrien kann gar nicht überschätzt werden. Ein Krieg zwischen den Vertragspartnern ist allein schon wegen der Markteinheit und der Gemeinschaft für die Grundstoffindustrien in Zukunft ausgeschlossen. Diese Gewißheit allein gibt eine neue Vertrauensbasis, die in der Vergangenheit zwischen den sechs vertragschließenden Völkern niemals bestand. Sie wird durch Institutionen gestützt, die nach objektiven, richterlicher Kontrolle unterworfenen Normen arbeiten' Die richterliche Kontrolle, die das Vertragswerk vorsieht, wird von der sozialistischen Kritik kaum erwähnt oder wird mit Bemerkungen der Art abgetan, daß auch die Richter in den richterlichen Institutionen nicht über ihre nationalistischen Auffassungen hinwegspringen könnten. Wenn aus dieser Auffassung die Konsequenz gezogen wird, daß es eben nicht möglich sei, die nationalstaatliche Trennung und die entscheidende Bestimmtheit durch das nationalstaatliche Interesse in den europäischen Menschen zu überwinden, dann muß man auch konsequent sein und sagen, daß Europa niemals möglich sein wird.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Das würde aber zugleich bedeuten, daß man eingesteht, man müsse immer in der nationalstaatlichen
Zerrissenheit in Europa verharren, die das europäische Schicksal nur äußerst trübe erscheinen läßt.

(Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Oder doch zurück nach Reuß-Schleiz-Greiz-Lobenstein!)

Diese ganze Haltung paßt sehr schlecht zu dem Eindruck, den der deutsche Sozialismus erwecken möchte, als sei nämlich der Vertrag ein Machwerk französischer Machtpolitik und ein Mittel zur Aufrechterhaltung der französischen Hegemonie. Die beste Widerlegung dieser deutsch-sozialistischen Auslegung stellen jene französischen Stimmen dar, die im Gegenteil befürchten, daß mit- diesem Vertrag der deutschen Schwerindustrie der Weg zur Beherrschung Europas eröffnet werde. Unter den


(Euler)

Materialien, mit denen wir uns beschäftigten, befand sich erfreulicherweise auch eine Entschließung der Industrie- und Handelskammer Metz, also der Handelskammer des Wahlkreises; aus dem der französische Außenminister Schuman stammt. Die Auslassung der Industrie- und Handelskammer Metz kann in den furchtbaren Erwartungen, die man vom französischen Interessenstandpunkt aus hinsichtlich der Montanunion haben müsse, in keiner Weise durch die Befürchtungen der deutschen Sozialdemokratie übertroffen werden.
In Wahrheit verhält es sich mit der Gefahr der französischen Hegemoniepolitik mittels der Montanunion derart, daß Frankreich in keinem Gremium der Montanunion stärker vertreten ist als Deutschland. Aus der Stimmzuteilung an die anderen Länder wird geschlossen, Deutschland finde sich einer Überlegenheit aller anderen gegenüber. Die fünf anderen würden sich, wie Kollege Schmid eben sagte, immer auf Kasten Deutschlands einigen. Sie würden sich immer darin einig sein, daß sie von Deutschland etwas wollen. Diese Blockbildung sei nicht zu verhindern. Damit wird unterstellt, erstens, daß in den Organen der Montanunion nicht nach dem sachgebotenen Interesse abgestimmt werde, zum zweiten, daß ein europäisches Gemeininteresse überhaupt nicht drängend hervortreten könne, und zum dritten, daß eine politische Gruppierung gegen Deutschland, wie sie als Folge des zweiten Weltkrieges entstanden ist, einen niemals wieder aufhebbaren Tatbestand 'darstelle.

(Sehr gut! bei 'der FDP.)

Wenn man sich die Gruppierung gegen Deutschland als unaufhebbar vorstellt, so zeugt das von nichts anderem als von einem geradezu an Verfolgungswahn grenzenden Mißtrauenskomplex der deutschen Sozialdemokratie.

(Zurufe von der SPD.)

Wie schnell wandeln sich Gruppierungen im internationalen Leben. Sobald der einheitliche Markt hergestellt ist, wird sich zudem das neue Gemeininteresse mit seinen unerläßlichen Forderungen bei allen bemerkbar machen.

(Präsident Dr. Ehlers übernimmt den Vorsitz.)

Wenn man dieses Gemeininteresse als nicht der Entwicklung fähig bezeichnet, dann findet man sich wieder im Bann jenes absolut statischen Denkens, das für die SPD so überaus bezeichnend ist.
Es ist seltsam, wie sich die Sozialdemokratie auch im übrigen in ihrer Kritik widerspricht. Auf der einen Seite wendet man sich dagegen, daß der Vertrag angeblich ein Superkartell begründe; auf der anderen Seite fordert man aber die Stimmenquote ebenso, als sollte er ein Superkartell schaffen.
Uns scheint folgendes wesentlich zu sein: daß durch den Vertrag für ein ungeheuer wichtiges wirtschaftliches Teilgebiet zunächst einmal Institutionen geschaffen werden, die das sachliche Austragen der Konflikte in Begegnung und Aussprache ermöglichen. Diese Neuordnung mit ihren Institutionen zum Zweck der Markteinheit wird, davon 'sind wir überzeugt, Schule machen. Sie wird sich als dringendes Bedürfnis in der Energiewirtschaft, in der Verkehrswirtschaft und in anderen Zweigen des Wirtschaftslebens melden. Sie wird damit ihre materielle Ausweitung haben. Auch da sind wir der Auffassung, daß man das, was zunächst möglich ist, nicht deshalb unterlassen sollte,
weil in Zukunft vielleicht mehr möglich sein könnte. Dieses Mehr der Zukunft wird ja gerade dadurch herbeigeführt, daß man das Geringere der Gegenwart zunächst einmal in Richtung des Mehrs der Zukunft in Bewegung setzt.
Wir sind auch davon überzeugt, daß das Gebiet der Montan-Union eine gebietliche Ausweitung erfahren wird durch Hinzutritt weiterer Länder. Ja, wir beginnen zunächst einmal — man kann es so nennen — als Kleinsteuropa, obwohl dieses Kleinsteuropa, eine Markteinheit mit 160 Millionen Menschen, schon eine ungeheure Potenzier rung der wirtschaftlichen Produktions- und Austauschmöglichkeiten zuläßt. Aber es ist ja nicht in unsere Wahl gestellt, ob wir die anderen europäischen Länder dabei haben oder nicht. Sie sind herzlich eingeladen. Wenn sie, wie beispielsweise die nordischen Länder, mit Rücksicht auf gewisse sowjetische Gegebenheiten glauben, zunächst einmal der Montan-Union nicht beitreten zu sollen, — nun, man kann sie in die Vereinigung ja nicht hineinnötigen.
England steht nach seiner traditionellen Betrachtungsweise Europa viel zu selbständig gegenüber. als daß die Anschauung, mit seiner Kohle, mit seinem Stahl in eine supranationale Gemeinschaft hineinzugehen, nun schnell von ihm gefaßt werden könnte. Die Europäische Montan-Union bedeutet für die englische Politik überhaupt eine grundlegende Änderung der europäischen Aspekte. Es bedeutet für England einen völlig neuen Tatbestand, und von Europa her gesehen, weiß ich nicht, ob es im Augenblick wünschenswert wäre, die Anlaufprobleme Europas nun mit der überaus schweren Problematik des englischen Empires zu belasten. Wahrscheinlich wird es doch noch für längere Zeit so bleiben, daß aus guten Gründen, die in der besonderen englischen Lage und in der Verkettung Englands mit seinem Commonwealth liegen, dieses England mit seinem Commonwealth einen besonderen Platz und eine besondere Gemeinschaft behaupten möchte.
Für uns sind jedenfalls derartige Beschränkungen, wie sie sich zunächst ergeben, keine Hinderungsgründe, die Montanunion zu beginnen, weil wir wissen: sie bleibt wesentlich als ein ungeheuer wichtiger Entwicklungsfaktor für die Organisation der Vereinigten Staaten von Europa, die wir anstreben. Die Montan-Union ist nur eine Station auf dem Weg zu diesem Ziel.
Wir sagen prinzipiell Ja zu dem Vertrag, aber wir sagen nicht Ja zu Instrumenten der Diskriminierung, die aus den siegerstaatlichen Regelungen der Nachkriegszeit stammen. Wir haben vom Bundeskanzler gehört — und das war von vornherein die Einstellung wohl aller Regierungsparteien zu diesem Vertragsprojekt —, daß es schon vor über einem Jahr die deutsche Ansicht war, mit der Ratifizierung dieses Vertrages, spätestens aber mit dem Wirksamwerden des einheitlichen Marktes, müßten diese Entrechtungsinstrumente der sieger staatlichen Politik der Nachkriegszeit wegfallen: die Ruhrbehörde, die Beschränkung der Stahlquote und der Stahlkapazität, die Kontrollgruppen für Eisen, Stahl und Kohle und dazu die Eingriffsrechte des Sicherheitsamtes in Koblenz. Mit der Verwirklichung des inzwischen gegebenen Versprechens der französischen Regierung durch alle beteiligten Mächte ist ja, wie wir gehört haben, erfreulicherweise mit absoluter Sicherheit zu rechnen. Wir sind der Auffassung, daß gerade durch die Beseitigung der deutschen Diskriminie-


(Euler)

rungen der Entfaltung der europäischen Wirklichkeit in der Richtung, die alle europäischen Völker benötigen; der beste Dienst geleistet wird.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein paar Worte zu dem Saarproblem sagen. Wir sind uns alle darüber einig: die deutsche Rechtsauffassung ist bei allen Fraktionen hier im Hause dieselbe. Wohl aber müssen wir uns alle darauf einstellen, wie es denn möglich sein soll, daß diese deutsche Rechtsauffassung — daß nämlich die Saar Bestandteil Deutschlands sei — nun von den anderen Mächten anerkannt wird. Ich glaube, auch da ist die Linie der Regierungspolitik die allein erfolgreiche. Wenn wir auf dem miserablen Terrain einer rein nationalstaatlich-machtpolitischen Betrachtungsweise der Vergangenheit bleiben, können wir Deutschen, glaube ich, nicht hoffen, mit unserer Rechtsauffassung bei den demokratischen Mächten durchzudringen.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Gerade in dem Maße, wie wir daran mitarbeiten, daß in Europa unter den Völkern — zunächst einmal außerhalb des sowjetischen Einflußbereiches — lediglich die Vorstellungen des Völkerrechts gelten, zu dem auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker gehört, in dem Maße, in dem nichts anderes als diese Auffassungen des Rechts in Europa Geltung beanspruchen können, kann uns von den anderen Mächten — auch gerade von Frankreich — nicht die Anerkennung des deutschen Rechtes auf die Saar versagt werden.

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

Diejenigen, die von einem ideell verständigen Standpunkt aus eine überspitzte Kritik an unserer außenpolitischen Entwicklung üben, leisten uns keinen Dienst. Es ist nicht so, daß ihr Nein produktiv wäre. Es ist nicht so, daß das sozialdemokratische Nein die Voraussetzung für manchen der bisher erzielten Erfolge in der Außenpolitik gewesen wäre. Das ist eine anhebende sozialistische Geschichtsklitterung: Wohl aber ist es so, daß die Politik der Verneinung, die Politik der Negation, wie sie von der Sozialdemokratie betrieben wird, in wachsendem Maße Mißtrauen gegen die gesamte neue deutsche Politik im Auslande erregt, zum mindesten Mißtrauen insoweit weckt, als sich die anderen Völker besorgt fragen, wie lange das deutsche Volk einem solchen agitatorischen Trommelfeuer, einer solchen agitatorischen Verlockung zum Übernationalismus wohl widerstehen mag. Es wird von daher eine Unsicherheit in die Beurteilung unserer Verhältnisse hineingetragen, die der gesamtdeutschen Entwicklung gerade im Hinblick auf die Beseitigung des Mißtrauens in der Welt und in dem Hervorbringen einer positiven Einstellung gegenüber Deutschland eher schädlich als vorteilhaft ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben vorhin von dem Kollegen Schmid die ganze negative Einstellung gegenüber der Montan-Union mit vielen Argumenten gehört. Wer sich einmal in den vergangenen Wochen mit der Feststellung befaßt hat, wie die Einstellung der deutschen Öffentlichkeit — darunter Publizisten, Wissenschaftler und angesehenste Wirtschaftler — in der Zeit vor dem Deutschen Zollverein in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, finden wir viele von den Argumenten, die heute vorgetragen werden. Es wurde damals gesagt, daß der Deutsche Zollverein ein Hindernis auf dem Wege zur deutschen Einheit sei. Nun, man hört, wie Herr Dr. Schumacher oder wie Herr Carlo Schmid heute verkündet, daß die Montan-Union ein Hindernis auf dem Wege zur europäischen Einheit sei. In der damaligen Zeit wurden vor allem die Gesichtspunkte der Konkurrenzangst in den Vordergrund geschoben, die Gesichtspunkte, aus denen die Menschen dazu kamen, vor einer Entwicklung zu warnen, die nur mit wirtschaftlichen Nachteilen und Schädigungen für alle Beteiligten verbunden sein könne. Wir lesen in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" vom 27. April 1832 eine Erklärung der Stuttgarter und Cannstatter Fabrikanten, die einleitend die Überlegenheit der preußischen Industrie schildert und dann fortfährt:
Daher müßte unsere kaum aufblühende Industrie in Wolle, Baumwolle, Seide, Stahl- und
Eisenwaren durch jene mächtige Konkurrenz
unausbleiblich in der Geburt erstickt werden.
Als das sächsisch-preußische Zollabkommen getroffen war, fürchteten die Leipziger Kaufleute für ihre Existenz. Mit der Abnahme des englischen Geschäfts sagten sie den Untergang der Leipziger Messen voraus. Als schließlich nach sorgsamer Abwägung der beiderseitigen Vor- und Nachteile der Vertrag zwischen Sachsen und Preußen abgeschlossen wurde, erhob sich in Sachsen ein Sturm der Entrüstung — so liest man in damaligen Schilderungen —, dem sich sogar die Industrie anschloß. Man sprach von Preisgabe der Landesinteressen. Und der sächsische Finanzminister von Zeschau wurde bei seiner Rückkehr aus Berlin fast gesteinigt. Ein Plakat, das an jeder Straßenecke angeschlagen war, beschuldigte ihn. Sachsen für Geld und Orden verkauft zu haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir finden auch in der heutigen Kritik viel, was darauf angelegt ist, die Politiker, die sich für die MontanUnion einsetzen, in den Augen des deutschen Volkes zu diffamieren, als verträten sie die deutschen Interessen nicht mit genügender Festigkeit. Ich glaube, daß sich gerade auch bei der MontanUnion bewähren wird, was in den Jahren nach dem Deutschen Zollverein so stark hervortrat, daß sich nämlich die Schaffung eines großen einheitlichen Marktes, der Wegfall aller Handelsbarrikaden und Zollschranken, der Wegfall der künstlichen Hindernisse, die jetzt in Europa die Produktivität und den Lebenstandard senken, in einer außerordentlichen Potenzierung der europäischen Beschäftigungs- und Austauschmöglichkeiten in allen europäischen Ländern auswirken wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116102200
Das Wort hat der Abgeordordnete Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (FU):
Rede ID: ID0116102300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte sind eine Fülle von Gesichtspunkten vorgetragen worden, die auch schon in der Öffentlichkeit erörtert worden sind. Ein Gegensatzpaar jedoch, das meiner Ansicht nach von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung dieses Vertragswerkes ist, wurde bisher, soweit ich es verstanden habe, nicht herausgearbeitet. Das ist die Beurteilung der Statik dieses Vertragswerkes einerseits und die Beurteilung seiner Dynamik andererseits. Wenn man die gegenwärtige Situation der Eisen- und Stahlindustrie und der Kohleindustrie in den vertragschließenden Län-


(Dr. Bertram)

dern beurteilt und die Bestimmungen des Vertrages auf die gegenwärtige Situation anwendet, dann wird man zu dem Schluß kommen müssen: Tatsächlich sind die Nachteile für Deutschland so groß, daß es sich fragt, ob dieser Vertrag überhaupt angenommen werden könnte. -
Von deutscher Seite sind eine ganze Reihe von Zahlungen zu leisten: direkter Art die Ausgleichszahlungen und die Investitionshilfe, indirekter Art dadurch, daß wir nicht den vollen Exportpreis für unsere Kohle erhalten, wie er auf dem Weltmarkt üblich ist, sondern einen geringeren Preis, den Preis des zu schaffenden einheitlichen Marktes. Aber diese Zahlungen, die nach oberflächlicher Schätzung einen Betrag von 250 Millionen DM im Jahre ausmachen können, natürlich unter Berücksichtigung der derzeitigen Weltmarktpreise für amerikanische Kohle, können auf der anderen Seite auch uns zugute kommen.
Was zunächst die Investitionshilfe anlangt, so kann man annehmen, daß ein ganz großer Teil Deutschland wieder zufließen wird. Im Gegenteil, man kann sogar hoffen, daß ein Teil der Investitionshilfe, die die anderen Länder aufzubringen haben, nach Deutschland fließen wird. Nach den Grundgedanken des Plans wird doch die standortgünstigste Industrie auch entsprechend ihrem Nachholebedarf begünstigt werden müssen. Wir haben in Deutschland durch den Zusammenfluß von Ruhr und Rhein und die Möglichkeit der billigen Heranführung von Erz nicht nur Standortvorteile; wir haben auch dadurch, daß die Betriebe einen erheblichen Reparaturbedarf haben, der schnell eine gewaltige Steigerung unserer Produktion erreichen läßt, die günstigsten Voraussetzungen für die Produktionssteigerung. So ist mir der Fall einer Zeche bekannt, in der es durch die Investierung von 11/2 Millionen DM und durch die damit mögliche Erbauung einer Waschkaue ohne weiteres möglich sein wird, eine 20prozentige Produktionssteigerung zu erzielen. Das sind Fälle, wie sie wahrscheinlich in der vergleichbaren Industrie des europäischen Auslandes nicht vorkommen.
Die Frage der derzeitigen Weltmarktpreise ist, so kritisch sie scheint, vielleicht doch nicht so kritisch, weil wir in der Lage sind, unsere eigenen Kohlenpreise vor Inkrafttreten des Vertragswerks entsprechend anzuheben, so daß auch hier die Differenzen gegenüber dem Weltmarktpreis erheblich geringer werden können und auf der anderen Seite die Erlöse der gesamten Kohlewirtschaft entsprechend gehoben werden können. Nichts hindert uns daran, noch vor Inkrafttreten des Schumanplans entsprechend zu verfahren.
Bei den Ausgleichszahlungen ist es volkswirtschaftlich so, daß anscheinend das arme Deutschland das reiche Belgien subventioniert. Aber tatsächlich werden wir, auf die Dauer gesehen, dafür auch den belgischen Markt bevorzugt für unsere Kohlenlieferungen eröffnet erhalten, eine Bevorzugung auch gegenüber der englischen Kohleindustrie und vielleicht auch gegenüber polnischen Kohlenlieferungen, und niemand weiß, wie sich die Verhältnisse auf dem Kohlemarkt in Zukunft entwickeln werden.
Alle diese Abmachungen sind natürlich Wechsel auf die Zukunft, und wir wissen nicht, wie sie sich einmal auszahlen werden. Die Beträge als solche sind aber nicht derart, daß deshalb etwa das Vertragswerk abgelehnt werden müßte. Wir haben uns ferner zu einer ganzen Reihe von Lieferungen und sonstigen Leistungen verpflichtet. Wir werden in dem Vertragswerk verpflichtet, nach den Weisungen der Hohen Behörde unsere Kohle zu liefern. Aber, meine Damen und Herren, wird sich viel an dem gegenwärtigen Zustand ändern? Es ist doch so, daß die derzeitigen Lieferungen an die ausländische, an die französisch-belgische und an die luxemburgische Industrie für die deutsche Industrie ebenso lebensnotwendig wären. Die Mangellage, die Knappheitserscheinungen zeigen sich zum mindesten seit dem Ausbruch der Koreakrise auf allen diesen Märkten. Wenn man davon ausgeht, wird man kaum zu dem Schluß kommen können, daß sich zunächst unter der Herrschaft des Schumanplans eine wesentliche Änderung gegenüber der Handhabung unter der Herrschaft der Moskauer Kohlenklausel oder der Herrschaft der Ruhrbehörde ergeben würde. Ich möchte darauf hinweisen, daß das keine Verschlechterung ist, die uns der Schumanplan bringt, sondern es handelt sich um eine Auswirkung der Verhältnisse, wie sie sich durch die allgemeine politische und wirtschaftliche Situation in den europäischen Nachkriegsverhältnissen zwangsläufig ergeben haben.
Rein theoretisch könnte man sagen: Wenn jetzt der Schumanplan in Kraft tritt, muß sich sofort eine Verbesserung ergeben. Denn bisher wurde uns befohlen, welche Exportkohlemengen wir abzugeben haben. In Zukunft sollen wir es frei vereinbaren. Aber wer so rechnet, rechnet doch mit unvergleichbaren Größen. Die Tatsachen bestehen darin, daß die Stahlindustrie der mit uns demnächst verbundenen Länder von unseren Kokskohle-Lieferungen abhängig ist und daß wir diese KokskohleLieferungen nicht einstellen können.
Ein Weg zur Besserung der Situation führt tatsächlich nur über eine Steigerung der Kohleproduktion. Diese Steigerung ist auch an zahlreichen Stellen in Deutschland möglich, wenn die finanzielle Situation der deutschen Kohleindustrie gebessert wird. Wenn die Erlöse besser werden und wenn vor allem entsprechende Mittel zur Investierung zur Verfügung stehen, kann die gesamte Kohleproduktion gesteigert werden, und aus der Steigerung heraus kann sich für uns ein Vorteil auch auf dem Kohlesektor ergeben und wird sich ergeben. An der gegenwärtigen Situation wird sich, soweit ich die Dinge übersehe, sofort nicht viel ändern.
Betrachten wir auf der anderen Seite die Situation auf dem Stahlmarkt. Ich glaube kaum, daß die anderen Stahlwerke etwa an deutsche Eisenverarbeiter in Zukunft, jedenfalls in der nächsten Zeit, Eisen- und Stahlmaterial abzugeben geneigt sind. Auch wenn keine Diskriminierung mehr vorkommt, auch wenn eine Diskriminierung nach dem Plan unterbleibt, wird trotzdem jeder Erzeuger am liebsten an die traditionellen Käufer liefern und ohne Not nicht von seinen traditionellen Handelswegen abgehen. Da es sich aber um einen einheitlichen Preis handelt, ist nicht anzunehmen, daß sich auf diesem Sektor sowohl zu unseren Gunsten oder zu unseren Lasten etwas ändern wird. Es ist auch nicht anzunehmen, daß etwa deutsche Lieferwerke an ausländische Verarbeiter zusätzliche Mengen liefern werden. Unter der Herrschaft des Planes ist also auf diesem Gebiet zunächst eine Änderung nicht zu erwarten.
Bei Edelstahl ist die Situation für uns vielleicht etwas günstiger. Gerade in Deutschland ist die Situation sowohl hinsichtlich der Kapazität als auch hinsichtlich der Erzeugungskosten besser als in den anderen Ländern.
Bei Schrott wird sich eine Kalamität nicht vermeiden lassen. Die Situation ist hier in Deutschland deshalb besonders ungünstig, weil wir infolge


(Dr. Bertram)

der Zerstörungen ein wesentlich höheres Schrottangebot haben, als wir es unter normalen Umständen haben 'würden. Unter normalen Umständen entfällt ein bestimmter Anteil des Schrotts auf Neuschrott aus der Walzwerkserzeugung und Eisenverarbeitung und ein bestimmter Anteil auf Altschrott. Bei uns in Deutschland ist dieses Verhältnis völlig verschoben. Unsere Eisensparkasse — so nennt man den Altschrott, der regelmäßig in der Volkswirtschaft anfällt — wird infolge der Kriegszerstörungen über Gebühr angezapft. Der Schrott, der von uns in die anderen Länder geht, bedeutet für uns einen dauernden Eisenverlust. Aber dieser Verlust hat sich schon in den letzten Jahren immer wieder ergeben und wird fortlaufend geringer werden, weil die aus den Zerstörungen anfallenden Schrottmengen bald abgebaut werden und damit die besonders ungünstige statistische Ausgangslage für Deutschland sich von selber bessern wird.

(Zuruf rechts: Hoffentlich!)

— Das ist natürlich eine Hoffnung, dürfte aber doch den gegebenen Tatsachen weitgehend entsprechen.
Ich darf ferner auf die Leistungen eingehen, die w i r zu bewirken haben. So sollen wir zunächst die Zölle und alle Mengenbeschränkungen auf dem Gebiete von Stahl und Kohle aufheben. Diese Leistung ist für uns kein Opfer. Sie ist allerdings wahrscheinlich auch für die anderen kein Opfer, weil die zur Zeit herrschende Knappheit einen wirklich echten gemeinsamen Markt noch gar nicht erwarten läßt. Der Markt wird in der nächsten Zeit so beengt bleiben, wie er zur Zeit ist. Die Aufhebung von Zoll- und Quantitätsbestimmungen auf diesem Gebiete hat keine entscheidende Bedeutung.
Zur Frage der Aufhebung der Verbundwirtschaft ist zu sagen, daß die Verbundwirtschaft, abgesehen davon, daß ja 75 % der verbrauchten Kohle in eigenen Zechen erzeugt werden kann, technisch erlaubt bleibt und nur eine andere kaufmännische Verrechnungsmethode eingeführt werden müßte. Wenn weiter unser Opfer darin gesehen wird, daß wir die Konzerne auflösen und daß wir insbesondere nicht berechtigt sind, die Konzerne wieder aufzubauen, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß gerade in Deutschland zum Unterschied von den belgischen Betrieben die Konzerne sich insbesondere weitgehend in die Eisenverarbeitung hineinbegeben hatten. In Belgien gibt es, wie Ihnen bekannt sein wird, im wesentlichen die reinen Walzwerke, denen keine Eisenverarbeiter angegliedert sind. Aus der Eisenverarbeitung, die sich die deutschen Konzerne insbesondere 1929 mit Hilfe der Reparationsgelder, die damals aus Amerika zu uns einströmten, angelegt haben, hat unsere eisenschaffende Industrie zusätzliche Gewinne gezogen, die ihr strukturell nicht zustanden, sondern die ihr eben nur dadurch zuflossen, daß sie durch die ausländischen Kapitalien in der Lage war, sich diese Eisenverarbeitung zuzulegen. Ich sehe keinerlei Grund, weshalb wir darüber böse sein sollten, daß diese Eisenverarbeitung von der eisenschaffenden Industrie getrennt wird. Es wird in der Öffentlichkeit immer so getan, als sei das ein großes deutsches Opfer. Es ist nichts anderes als eine Angleichung an die Verhältnisse auf diesem Markt in den anderen europäischen Ländern und gleichzeitig die Förderung einer gesunderen deutschen Industriestruktur.
Ferner wird als deutsches Opfer die Aufgabe der gemeinschaftlichen Verkaufsorganisation angesehen.
Hier liegt tatsächlich eine echte und sehr schwierige Problematik vor. Die Franzosen haben ihre Kohleindustrie sozialisiert und haben deshalb eine einheitliche Verkaufsorganisation. Wir sollen in Zukunft eine solche einheitliche Organisation nicht mehr haben dürfen. Die Verhandlungen darüber sind noch nicht abgeschlossen. Ich glaube kaum, daß die Verhandlungen völlig ohne Erfolg bleiben werden. Nach dem, was wir gehört haben, ist jedenfalls damit zu rechnen, daß irgendeine Art gemeinschaftlichen Verkaufs erfolgen wird. Wir dürfen auf der anderen Seite nicht verkennen, daß der gemeinschaftliche deutsche Kohleverkauf sich nicht nur gegenüber dem Inland, sondern auch gegenüber dem Ausland auswirkt. Der Ausländer sieht hier eine zentrale Stelle gewaltiger wirtschaftlicher und damit auch politischer Macht. Sie müssen bedenken, daß praktisch nur von Deutschland Kohle in die Gemeinschaftsländer exportiert werden kann und daß, wenn nur e i n Verkäufer da ist, die Käufer in allen anderen Ländern fürchten, in eine große Abhängigkeit zu geraten. Man wird deshalb den Wunsch der anderen Teilnehmerländer verstehen können und für eine solche ins Auge gefaßte Kompromißlösung Verständnis haben.
Wenn endlich von uns ein Verbot der Fremdfinanzierung für alle neu zu errichtenden Stahl- und Kohlewerke und für eine Erweiterung dieser Betriebe verlangt wird, so ist dieses Verbot der Fremdfinanzierung doch meiner Ansicht nach wirklich kein Opfer für Deutschland. Wir versuchen in Deutschland händeringend fremd zu finanzieren. Wir versuchen, von Amerika Gelder zu bekommen. Minister Erhard hat uns schon vor Jahren etwas derartiges versprochen. Alle Bemühungen um Zuführung von Fremdmitteln in die Grundstoffindustrie sind mit Ausnahme von unwichtigen Beträgen als völlig gescheitert anzusehen. Wenn man uns also verbietet, ohne Genehmigung der Hohen Behörde fremd zu finanzieren, so ist das für uns kein Opfer, weil es tatsächlich nichts anderes bedeutet als eine Fortsetzung des bestehenden Zustandes. Die Selbstfinanzierung bleibt ja erlaubt.
Dann kommt hinzu: es ist in Zukunft für Deutschland nicht verboten, fremd zu finanzieren, sondern wir bedürfen nur der Genehmigung der Hohen Behörde; und die Hohe Behörde ist nach den Grundsätzen des Planes verpflichtet, die Mittel entsprechend der besten Ergiebigkeit der Produktionen zu verteilen, wenn einmal Mittel da sein werden. Wenn wir überlegen, wo die höchste Ergiebigkeit der Produktion erreicht wird, so kommt hier praktisch auf dem Kohlesektor nur die deutsche Industrie und auf dem Eisen- und Stahlsektor doch fast ausschließlich die deutsche Industrie in Frage. Die italienische Industrie mußte in den Übergangsbestimmungen einen zusätzlichen Schutz für sich in Anspruch nehmen, weil sie bei den heutigen Knappheitserscheinungen nicht einmal glaubt existieren zu können, und weil sie glaubt selbst bei den heutigen überhöhten Preisen ohne besondere Übergangsvorschrift überhaupt nicht fortbestehen zu können. Das beweist doch deutlich, daß, wenn die Hohe Behörde ihren Aufgaben entsprechend verfährt, diese Investitionsmittel nach Deutschland gelegt werden müssen, wenn überhaupt solche Mittel zur Verfügung stehen werden.
Dann wird weiter eingewandt, es sei ein Opfer für Deutschland, daß wir uns für 50 Jahre verpflichten. Meine Damen und Herren, die Investierung in der Grundstoffindustrie, die heute durchgeführt wird, wird vielleicht in drei Jahren einen Ertrag abwerfen. Wenn sich also irgendeiner


(Dr. Bertram)

der vertragschließenden Staaten damit einverstanden erklären soll, daß in Deutschland große Mittel investiert werden, dann würde bei einer Vertragsdauer von fünf Jahren die Investition gerade beendet sein, ohne daß bisher überhaupt irgend etwas aus den Werken geliefert worden wäre. Und dann würde der Vertrag zu Ende sein. Man kann doch keinem anderen Staat zumuten, mit uns einen so törichten Vertrag zu schließen. Deshalb ist diese Forderung, statt 50 5 Jahre zu sagen, vielleicht für einen Käseladen berechtigt, aber nicht für die eisenschaffende und Kohleindustrie.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Das sind die Bedenken, die man bei statischer Betrachtungsweise dieses ganzen Planes haben muß. Sie scheinen teilweise juristisch oder wirtschaftlich zunächst ein schweres Gewicht zu haben, wiegen aber — und das ist meiner Ansicht nach das Entscheidende — gering gegenüber den dynamischen Kräften, die in diesem Plan drinstecken. Diese nicht futuristischen, sondern dynamischen Kräfte werden sich entweder — und das ist meine Behauptung — sehr schnell auswirken und dem Plan volles Leben verleihen oder sie werden sehr schnell zu einem völligen Scheitern des Planes führen. Deshalb sind diese Fragen der Dynamik hier doch die entscheidenden.
Zunächst zu dem Argument, die Zergliederung der Kompetenzen führe zur Anarchie. Das ist ja vollkommen richtig, wenn wir nichts anderes tun, als diesen Plan und die Verteilung der Staatsgewalt in den einzelnen Staaten ins Auge fassen. Dann kann man mit Recht oder jedenfalls begründet die Behauptung aufstellen, daß eine solche Zergliederung zur Anarchie oder aber zum Gesamtzusammenschluß führe. So etwas kann nicht stabil bleiben. Solche Organisation hat keine innere Stabilität, sie führt notwendigerweise entweder zu einer Erweiterung, oder sie muß dazu führen, daß sie sich als solche nicht halten kann.
Diese Tendenz zur sachlichen Ausdehnung ergibt sich zunächst bei der Eisenverarbeitung. Es ist ganz selbstverständlich, daß dann, wenn alle Eisenverarbeiter gleiche Startbedingungen haben und der Markt auch wirklich einigermaßen mit Material befriedigt werden kann, was nach Durchführung der notwendigen Investitionen möglich sein wird, der Protektionismus der einzelnen Handelsabteilungen der betreffenden Regierungen ungleich viel kleiner und viel schwieriger wird, als der Protektionismus heute ist, wo jede noch so unrentable nationale Produktion unter der Fahne des nationalen Interesses subventioniert und geschützt wird. Dieser Protektionismus wird nämlich deshalb so viel schwieriger, weil vergleichbare Startbedingungen da sind und man jederzeit dem Vertragsstaat mitteilen kann: Dein Industriezweig, der beispielsweise Solinger Messerwaren herstellt, arbeitet trotz gleicher Startbedingungen um soundso viel teurer; unterlaßt also bitte den Schutz hier. Der Protektionismus wird von sich aus geringer, und Zölle werden weniger leicht zu halten sein.
Aber auch die Preise werden zum Weltmarktpreis hin tendieren. Der Ausgleich der Handelsbilanz muß so oder so erfolgen. Wenn ein Land in diesem Gremium, beispielsweise Deutschland, über das Maß dessen, was von ihm verlangt werden kann, einbringt und leistet, dann muß sich das sofort in Störungen der Devisenbilanz niederschlagen. Da in dem Vertragswerk ausdrücklich die Devisenwirtschaft ausgenommen und als nationales Hoheitsrecht vorbehalten ist, müßten
sich irgendwelche Überleistungen eines Landes in nicht zu behebenden Devisenschwierigkeiten niederschlagen, wie wir es ja jetzt bei der OEEC gesehen haben. Wenn sich nicht wirklich alle Vertragsländer auf Zusammenarbeit in den übrigen Zweigen des Handelsverkehrs einstellten, müßte es sich sofort in der Devisenbilanz zeigen, daß hier etwas nicht in Ordnung ist.
Der Nachteil der Ausfuhr des Rohstoffes Kohle, den man vielfach bemängelt, indem man sagt, wir sollten nur verarbeitete, veredelte Produkte ausführen, wird im wesentlichen dadurch ausgeglichen, daß wir j a unter der Voraussetzung, daß die Preisgestaltung gerecht geworden sein wird, auch eine volle Gegenleistung in der Form von Rohstoffen, Erzen und Stahlveredelungsprodukten aus den nordafrikanischen Kolonien erhalten. Es ist nicht so, als gäben wir nur Rohstoffe her und bekämen nur verarbeitete Produkte zurück. Nein, wir bekommen auch Rohstoffe, die für die ganze Welt knapp sind, zurück.
Der gemeinsame Markt kann unter diesen Auspizien von erheblicher Bedeutung werden für die nachfolgenden Industrien. Von deutscher Seite ist ja auch versucht worden, den Plan schon gleich auf die Eisenverarbeitung auszudehnen. Leider ist dieses Projekt zunächst gescheitert, aber in der Tendenz des ganzen Planes liegt notwendigerweise die Ausdehnung auf weitere Gewerbezweige.
Eine entscheidende Vorfrage des Planes überhaupt liegt natürlich im folgenden: Wenn der Stahlverbrauch in allen europäischen Ländern nicht gesteigert wird, nützt uns auch eine Steigerung der Stahl- und Kohlenerzeugung nichts. Die Steigerung des Stahlverbrauchs ist aber wieder eine Folge des Wohlstandes der Nationen. Es ist nicht so, als wenn mit der Steigerung der Stahlerzeugung auch der Wohlstand stiege, sondern umgekehrt, die Stahlerzeugung und die Kohlenerzeugung müssen steigen, wenn der Gesamtwohlstand sich erhöht. Wenn jede Familie über einen Kühlschrank, ein Auto und ein Eigenheim verfügt, so hat das einen entsprechend höheren Stahlverbrauch zur Folge. Die Wirtschaftspolitik muß also das Ziel haben, den allgemeinen Wohlstand zu heben und dadurch auch den Stahlverbrauch auf das amerikanische Maß zu steigern.
Die größte Hoffnung, die wir auf wirtschaftlichem Gebiete haben und meiner Ansicht nach mit Recht haben können, ist die Hoffnung auf amerikanische Investitionsgelder. Die Amerikaner haben erhebliche Mengen von Dollars in der französischen Stahlindustrie investiert. Sie würden das wahrscheinlich auch in der deutschen Industrie tun, wenn ihr Zutrauen zu unseren politischen Verhältnissen nicht so gering wäre. Bei einem Zusammenschluß der europäischen Vertragsstaaten des Schumanplans aber haben sie das Vertrauen, daß sich entsprechende Investierungen auch lohnen. Der Begeisterungssturm, der beim Abschluß der Pariser Schumanplanverhandlungen in Amerika getobt hat, ist nicht deshalb ausgebrochen, weil die Amerikaner ihre Dollars, die sie über den Monnetplan in Frankreich investiert haben, nunmehr als gerettet ,angesehen haben. Eine solche Theorie, wie sie eben vorgetragen wurde, geht an der Wirklichkeit völlig vorbei. Die Begeisterung ist deshalb ausgebrochen, weil die Amerikaner gesehen haben, daß die alten Europäer jetzt etwas Kühnes und Neues unternommen haben, dem sie hoffen helfen zu können und in dem sie einen Bundesgenossen im Kampf der freien Welt gegen den Kommunis-


(Dr. Bertram)

mus zu finden hoffen. Der Begeisterungssturm resultiert also nicht aus irgendwelchen kleinlichen Motiven wie etwa dem, daß die amerikanischen Interessen in Frankreich nunmehr besser geschützt seien.
Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß für die Innehaltung der Investitionsrichtlinien des Schumanplans ein Rechtsweg bestehe, und zwar unter dem Gesichtspunkt der besten Ergiebigkeit. Ich sage Ihnen ganz, offen, daß ich von diesem Rechtsweg, so sehr er auch durchkonstruiert ist, nicht allzuviel halte. Wenn nicht das Gewicht der wirtschaftlichen Tatsachen die Hohe Behörde dazu zwingt, sich in ihren Maßnahmen so einzustellen, daß die investierten Gelder tatsächlich den besten Ertrag bringen, dann wird auch kein Gericht, das die Dinge j a erst sehr viel später überprüft, einmal fehlgeleitete Investitionen wieder zurückleiten und einmal gemachte Fehler wieder gutmachen können. Es kommt also gar nicht so sehr auf die Frage an, ob die Richter, wie Herr Professor Schmid eben vortrug, den nötigen Maßstab an den Vertrag anlegen bzw. ob sie als Menschen dieser Aufgabe gewachsen sind. Das ganze Gericht wird nicht die Bedeutung haben, die wir ihm beizumessen geneigt sind. Seine eigentliche Bedeutung wird in der inneren Kraft der Idee, der Integration von Stahl und Kohle liegen. Das ist die Sicherheit, die die Gewähr dafür bietet, daß die investierten Gelder auch an die richtige Stelle fließen. Die Überprüfung durch ein Gericht kann uns keine oder jedenfalls nur eine geringe Sicherheit bieten.
Meine Damen und Herren! Würden, wie uns wiederholt in Aussicht gestellt worden ist, amerikanische Investitionsgelder in dem Maße nach Deutschland oder überhaupt in den Bereich des Schumanplangebietes fließen, wie es vorgesehen ist, dann würde in Deutschland auch ein Ziel erreichbar sein, das wir jetzt vergeblich zu erreichen suchen, nämlich die Vollbeschäftigung. Wir alle wissen, daß die Erreichung der Vollbeschäftigung entscheidend daran scheitert, daß die Engpässe es uns nicht gestatten, die in den verarbeitenden Industrien vorhandenen Kapazitäten auszunutzen. Wir haben in Deutschland in der verarbeitenden Industrie j a eine erheblich größere Kapazität als in der eisenschaffenden Industrie und in der Kohleindustrie. Wird dieser Engpaß beseitigt, dann wird es auch möglich sein, unseren Produktionsindex wenigstens auf den Stand zu heben, den die anderen Vertragsstaaten schon erreicht haben. Frankreich liegt mit seinem .Produktionsindex ebenso wie Belgien noch weit über dem deutschen. Dieser höhere Produktionsindex der Vertragsstaaten muß sich auf dem Wege über den Schumanplan und die nach Deutschland einströmenden Gelder zwangsläufig auch auf das deutsche Wirtschaftsgebiet auswirken. Damit würde das größte Hindernis, das einer Vollbeschäftigung in Deutschland durch den Engpaß in der eisenschaffenden Industrie und in der Kohlenindustrie bisher entgegengestanden hat, beseitigt sein.
Auf der andern Seite ist der Aufbau der Hohen Behörde sehr ungewöhnlich. Die Hohe Behörde besteht aus einem Gremium von neun Personen, das, wie man gesagt hat, einen quasi autoritären Charakter hat. Aber, meine Damen und Herren, ist es denn irgendwo im Geschäftsleben anders? Ist es irgendwo im Staatsleben anders? Hat nicht auch die Exekutive einen quasi autoritären Charakter? Wir haben doch selbst in unserem Grundgesetz die Bestimmung, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Wenn man diesen Satz in das Statut der Hohen Behörde hineinschriebe, würde man mit Recht sagen können, die Hohe Behörde habe einen quasi autoritären Charakter. Die Hohe Behörde ist eben nicht mit einem Parlament zu vergleichen, sondern nur mit einer Geschäftsleitung oder, wenn Sie so wollen, mit einer Regierung. Deshalb gehen diese Argumente meiner Ansicht nach ins Leere. Denn in, dieser Behörde muß eine -klare und schnelle Entscheidungsbefugnis verankert sein. Sonst kann sie überhaupt nicht funktionieren. Daß die Überwachung der Hohen Behörde durch parlamentarische Körperschaften nur höchst mangelhaft ist, wissen wir alle. Aber auf der andern Seite ist es zwar so, daß das geregelte Marktgebiet wichtige Auswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft haben kann, daß dieses geregelte Marktgebiet aber doch nicht von einem kompletten parlamentarischen Körper kontrolliert und überwacht werden kann, wie das bei einem Parlament möglich ist, das sämtliche Gebiete, die in einem Volke von Wichtigkeit sind, zu überwachen hat. Wir können doch nicht ein volles Parlament nur für Stahlinteressen errichten. Das wäre so, als wenn wir hier Ausschüsse hätten, die nur aus Stahlinteressenten zusammengesetzt wären. Solche Parlamente würden sicherlich auch ihren Aufgaben nicht gerecht werden können, und zwar schon nicht wegen der Einseitigkeit der Aufgaben, mit denen sie belastet wären.
Deshalb begrüßen wir auf der andern Seite den starken Einfluß, den die Verbraucher und die Gewerkschaften in der gemeinsamen Versammlung, im beratenden Ausschuß bekommen haben. Der Einfluß der Parlamente in der gemeinsamen Versammlung braucht ja nicht so gering zu sein, wie er im Europarat ist. Der Europarat hat ja infolge seiner fehlerhaften Konstruktion wirklich nichts zu sagen. Die gemeinsame Versammlung hat zwar wenig zu sagen; sie hat aber nicht nichts zu sagen. Sie hat unmittelbare Entscheidungsmöglichkeiten, und solche unmittelbaren Entscheidungsmöglichkeiten gewähren auch in jedem Falle einen direkten politischen Einfluß. Deshalb ist es richtig, daß dieses Organ der gemeinsamen Versammlung geschaffen worden ist.
Die echte Überstaatlichkeit, die in diesem Vertragswerk vorhanden ist, kann die Quelle zu einem föderalen Aufbau ganz Europas werden. Es ist hier eben auf den Zollverein hingewiesen worden. Dort hat man auch den richtigen Weg gewählt. Man hat eine Funktion des Staatslebens vereinigt und hat diese Sache aus der Vereinigung einer Funktion heraus langsam auf weitere Funktionen wachsen lassen. Hinterher ist man dazu gekommen, daß damit die gesamte Region ausgefüllt worden war. Einen andern Weg kann man gar nicht gehen.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Gerade der Europarat beweist uns ja, daß der Zusammenschluß von Regionen ohne übergeordnete Gewalt mit Entscheidungsbefugnis in eine Sackgasse führt und uns einer Lösung des uns allen am Herzen liegenden Problems des föderalen Aufbaus einer europäischen Föderation nicht näher bringt. Es ist deshalb auch nicht richtig, daß man sagt: wir verzichten auf Souveränitätsrechte. Hier wird nicht verzichtet, sondern hier werden Souveränitätsrechte koordiniert. Es ist ein ganz gewaltiger Unterschied, ob wir unsere Stahlwerke jetzt auf einen Waggon laden, um mal wirklich bildlich zu sprechen, und sie nach Frankreich transportieren oder ob wir weiter produzieren und weiter


(Dr. Bertram)

die Ergebnisse unserer Arbeit benutzen und verarbeiten und uns nur in unseren Entscheidungen zunächst mit anderen Mächten beraten. Wenn dann eine freiwillige Einigung der Erzeuger und Verbraucher nicht zustande kommt, so ist doch die Konstruktion des Planes, dann einer dritten übergeordneten Stelle eine Entscheidungsbefugnis zu geben, letzten Endes etwas ganz anderes, als wenn man auf etwas verzichtet. Dann hat man nicht weniger als vorher, sondern man hat mehr als vorher, weil man auch eine Einflußmöglichkeit auf die Industrien der anderen hat. Eine Zusammenlegung kann man deshalb nicht gut als einen Verzicht auf Souveränitätsrechte bezeichnen.
Die Frage, die für das Funktionieren des Planes von besonderer Bedeutung sein wird, ist die Arbeiterfrage, die Bergarbeiterfrage in Deutschland. Wir wissen ja alle, daß wir laufend Abgänge von Bergarbeitern haben, die aus den Kohlengruben abwandern. Die Lebensbedingungen der Bergarbeiter sind einfach noch nicht ausreichend; man kann sagen: sie sind häufig auch noch viel zu schlecht. Wenn die Bergarbeiter heute noch in Massenquartieren leben müssen, wenn sie ihre Familien nicht zu sich holen können, dann kann man es wirklich keinem Menschen verübeln, daß er abwandert und sich dort aufhält, wo er mit seiner ganzen Familie zusammenleben kann. Das ist das primitivste Recht, das jeder hat: mit seiner Familie zusammenzuleben.
Deshalb wird es von besonderer Bedeutung sein, im Ruhrbergbau Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, die eine Arbeit irr diesem Gebiet für den deutschen Arbeiter anziehend machen. Nur dann werden wir überhaupt die Möglichkeit haben, die gemachten Investitionen auch auszunutzen. Nur dann, wenn der deutsche Arbeiter freiwillig bereit ist, die Anlagen, 'die von anderer Seite bei uns finanziert werden sollen, mit seiner Hände Arbeit in Betrieb zu setzen, wird der ganze Schumanplan überhaupt funktionieren können.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Diese Voraussetzung sollten wir nie aus dem Auge verlieren. Ich glaube auch, daß die Hohe Behörde diese Voraussetzung nie aus dem Auge verlieren wird; sie wird sich deshalb in ihren Maßnahmen schon weitgehend danach zu richten haben.
Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir der Hohen Behörde Kartellrechte geben. Es wurde- von Herrn Dr. Henle gesagt, der nationale Egoismus sei ein Überbleibsel. — Ich bin nun ganz anderer Ansicht. Ich bin der Ansicht: der nationale Egoismus ist in Europa so stark wie nur eh und je, und wir haben alle Mittel der Überredung, aber auch der realen politischen Macht nötig, um mit diesem nationalen Egoismus fertig zu werden. Und welches bessere Instrument gibt es gegen den nationalen Egoismus als die erprobten Mittel der internationalen Kartellpolitik? Sie haben ja schon einmal funktioniert, sie haben in der Internationalen Rohstahlgemeinschaft funktioniert, sie haben in der IWCO funktioniert. Ob sie gut funktionierten, ist eine zweite Frage, sie haben jedenfalls funktioniert in Richtung der Brechung nationaler Widerstände.
Ich sage deshalb: daß als Mittel der Hohen Behörde die Mittel in den Vertrag eingebaut worden sind, die traditionell den Kartellen zustehen, wird man als den überhaupt einzigen Weg ansehen müssen. Ich wüßte jedenfalls keinen anderen Weg, um mit den nationalen Widerständen fertig zu werden. Wenn sich heute die französische Stahlindustrie gegen diese Bestimmungen wehrt, so weiß sie natürlich auch ganz genau, warum sie sich gegen sie wehrt. Sie fühlt sich eben nicht so leistungsfähig, wie sich die deutsche Industrie fühlen kann. Der wesentliche Unterschied ist aber der, daß diese Kartellgesetzgebung nicht auf einen Abstimmungsmodus nach Quoten, nicht auf die üblichen kurzfristigen Zeiträume abgestellt worden ist, sondern daß diese Kartellmittel Hoheitsmittel in der Hand einer unabhängigen Behörde sind.
Deshalb ist es auch unrichtig zu sagen, diese unabhängige Behörde müßte nach dem Schwergewicht der Produktion zusammengesetzt sein. Nichts könnte falscher sein als das. Wir würden j a laufend die Zusammensetzung ändern müssen, je nach dem, wie sich die Produktion entwickelte, und jeder einzelne Staat würde wieder ein Interesse daran haben, seine Produktion zu bevorzugen, um auf diese Art und Weise in der Hohen Behörde eine stärkere Stimmberechtigung zu bekommen. Es kann also nur das Gegenteil zu einem Erfolg führen, nämlich die Hohe Behörde nach Maßstäben zusammenzusetzen, die man der Bevölkerungszahl, der Landesgröße usw. entnimmt, jedenfalls nach Maßstäben, die sich nicht nach der Größe der nationalen Produktion richten. Ich glaube deshalb, daß man diesen Vorwurf dem Organismus nicht mit Recht machen kann.
Es ist ferner darauf hingewiesen worden, daß es so außerordentlich bedauerlich sei, daß England und die skandinavischen Länder ausgeschlossen seien. Einmal: ausgeschlossen sind sie j a nicht, und zum zweiten: wenn Sie daran denken, daß im britischen Empire nicht nur in England selbst Stahl erzeugt wird, sondern auch in Südafrika, in Indien — wenn es auch nicht unmittelbar zum britischen Empire gehört — und in Australien, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, daß es für England einen ganz anderen Entschluß bedeutet, sich einer solchen kontinental-europäischen Stahlunion anzuschließen, als für irgendein anderes Land, das nur seine Stahlproduktion, seine eigene Region einzubringen hat. England muß ja berücksichtigen, wie sich ein Anschluß auf seine ganze Weltlage, auf seine weltpolitischen Beziehungen auswirkte. Wenn also gesagt wird, wir schlössen England aus, so liegt doch bei England ein ganz natürliches selbständiges Interessengebiet vor, ähnlich wie das selbständige Interessengebiet der kontinental-europäischen Länder. Aber daraus braucht sich kein Gegensatz zu ergeben. Ganz im Gegenteil! Wenn sich das kontinental-europäische Produktionspotential verbessert und stärkt, dann steigern sich auch die Austauschmöglichkeiten. Die Austauschmöglichkeiten zwischen uns und England wären ja jetzt schon viel größer, wenn wir lieferfähiger wären. Es ist ja eine alte Erfahrung der Handelspolitik, daß der intensivste Warenaustausch zwischen den Ländern besteht, die am höchsten industrialisiert sind. Kommen wir aus der Rückständigkeit, in der wir uns befinden, sowohl was die Arbeitsergiebigkeit anlangt, als was auch die Kleinräumigkeit der Absatzmärkte anlangt, — kommen wir aus dieser Rückständigkeit heraus, so bin ich sicher, daß sich die Austauschmöglichkeiten mit dem englischen Wirtschaftsraum, insgesamt vermehren und nicht verringern werden. Schon deswegen darf man diesen Gesichtspunkt nicht so einseitig sehen, wie er wiederholt vorgetragen worden ist.
Außerdem können wir auf unserem Kontinent einen anderen Weg nicht gehen. Sollen wir denn etwa deshalb, weil England sein Empire hat, dar-


(Dr. Bertram)

auf verzichten, auf dem Kontinent zu rationalisieren? Und was ist denn der ganze Schumanplan anders als eine großzügige internationale Rationalisierungsmaßnahme? Die Frage stellen heißt doch eigentlich auch schon, sie beantworten.
Es wird ferner darauf hingewiesen, daß sich mit dem Schumanplan eine neutralistische dritte Kraft bilden werde, die dann aus dem großen Wettkampf zwischen Kommunismus und Amerikanismus aus der Neutralität einen unberechtigten Vorteil zu ziehen beabsichtige. Auch dieses Argument kann meiner Ansicht nach in keiner Weise zutreffen. Wir haben es hier 'ja nicht mit politischen Willkürentscheidungen zu tun. Auf dem Gebiet der bloßen Politik kann man nämlich ganz willkürlich so oder so entscheiden; die Fehler solcher willkürlicher Entscheidungen machen sich immer erst später bemerkbar. Auf dem Gebiet der Wirtschaft dagegen würden sich willkürliche Entscheidungen außerordentlich schnell rächen. Wir sind von dem britischen Empire, von seinen Zulieferungen von Rohstoffen so stark abhängig, daß die von mir eben erwähnte volkswirtschaftliche Verflechtung ebenso wie die gegenüber dem amerikanischen Geldgeber jeden Gedanken an einen solchen Neutralismus zur Illusion macht. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird zu einer engeren Verflechtung kommen. Ein autarkes Denken in der Handelspolitik wird, je mehr sich der Schumanplan auszuwirken beginnt, um so unmöglicher werden. Dadurch wird der allgemeine Zusammenschluß gefördert.
Wenn .nun darauf hingewiesen worden ist, daß uns die Hegemoniestellung einzelner Teilnehmerländer den Anschluß erschweren könnte, so darf ich doch sagen: Unsere eigene Kraft wird durch den Schumanplan und durch die nach Deutschland geleiteten Investitionsgelder zwar gesteigert, aber durch die Rationalisierung der Produktion und die Aufteilung der Produktionsarten auf die einzelnen Länder — das eine Land mag für jenes Stahlprodukt, ' für jenes Gießereiprodukt besser geeignet sein, das andere Land für andere Erzeugnisse — wird sich eine größere gegenseitige Abhängigkeit ergeben. Weil jedes Land von den Erzeugnissen des anderen Landes abhängig ist, wird es infolge dieser Integration und Verflechtung völlig unmöglich sein, irgendwo eine HegemonieStellung anzustreben.
Die innere Unstabilität der Teilnehmerländer ist als Argument gegen den Schumanplan verwandt worden. Man hat gesagt: Kommunismus in Italien, Kommunismus in Frankreich, nationalistische Mythenbildung in Deutschland ließen es als unzweckmäßig erscheinen, zwischen so unstabilen Ländern einen so langfristigen und schwerwiegenden Vertrag abzuschließen. Ich glaube, diese Bewegungen werden allgemein weit überschätzt. Sie sind doch letzten Endes eine Folge des verlorenen Kriegs, der allgemeinen Notlage. Diese Bewegungen können sich auch neuen Idealen- zuwenden, wenn es uns gelingt, den Schumanplan mit dem Leben zu erfüllen, das wir ihm geben wollen. Nur das Aufstellen neuer Ideale birgt die Wahrscheinlichkeit in sich, daß wir zu stabilen Verhältnissen kommen, keineswegs aber das Verharren im Negativen und das Verharren in der Ablehnung. Daß hier ein solches neues Ideal für die breiteste Bevölkerungsschicht gefunden worden ist, ist doch wohl unbestreitbar. Schon aus diesem Grunde ist eine Hinwendung zu diesem Ideal wahrscheinlich.
Ich gebe zu, daß die politische Konzeption des Schumanplans kühn ist. Aber es ist eine alte Erfahrung, daß man ohne Risiko auch keinen Erfolg erringt. In einer Aussprache, die ich neulich gehabt hatte, sagte jemand: „Ja, wie kann ich mich aber gegen Rückschläge sichern?" Ich habe ihm darauf gesagt: „Eine Versicherung gegen die Zukunft gibt es nicht; wer nichts riskiert, wird eben untergehen und verlieren." Insofern müssen wir diesen Weg gehen, um aus dem alten Kontinent einen neuen Kontinent zu machen.
Es ist sicher richtig, daß man, wenn man eilt, mit Weile gehen soll und daß der Unterschied von Mut und Leichtsinn offenbar oft sehr, sehr schwer zu finden ist. Jeder alte Soldat weiß das ja. Ich glaube aber, wenn man die Länge der Vertragsverhandlungen einerseits bedenkt und andererseits sich die Bestimmungen einmal vornimmt und sie untersucht — und ich habe versucht, Ihnen die einzelnen Bestimmungen in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen zu verdeutlichen —, kann man wirklich nicht sagen, daß hier geeilt worden wäre. Es ist alles eingebaut und alles bedacht, was auf diesem komplizierten Marktgebiet bedacht werden mußte. Wir haben meiner Ansicht nach das Recht, Vertrauen in uns selber zu haben, und wir haben das Recht, Vertrauen zu den andern Nationen zu haben. Denn letzten Endes handelt es sich ja nicht um wildfremde und weit entfernte Völkerschaften, sondern es handelt sich um recht verwandte Nationen, die im geistigen Bezirk niemals ihre Verbindung zu uns verloren haben und die nur auf dem wirtschaftlichen Gebiet durch die beiden Weltkriege weit auseinandergerissen sind. Aber diese innere Verwandtschaft zwischen den vertragschließenden Nationen ist doch nicht etwa zerrissen worden. Sie rechtfertigt auch, daß wir Vertrauen in die Handhabung auf beiden Seiten haben. Das ist kein Futurismus, sondern ich glaube, das ist Realismus.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Dieses realistische Vertrauen in unsere Fähigkeiten, das haben wir; wir dürfen aber dieses realistische Vertrauen auch in die Handhabung auf der andern Seite haben.
Ein Gesichtspunkt, den ich nicht vergessen wollte vorzutragen, ist die Tatsache, daß wir in Deutschland einen föderalistisch aufgebauten Staat haben. Ebenso, wie wir nach oben jetzt einen föderalen Aufbau haben und uns große Mühe geben, daß uns dabei nicht zu viel durch die Lappen geht, müssen wir natürlich auch dafür sorgen, daß der föderale Aufbau zwischen dem Bund und den Bundesländern dabei beachtet wird. Das ist nach dem Gutachten von Professor Kaufmann ja einfach möglich, wenn in den Durchführungsgesetzen die Mitwirkung der Länder — vor allem der hauptbeteiligten Länder und insbesondere von NordrheinWestfalen — gesichert wird. Das braucht hier in diesem Vertragsentwurf nicht vorgesehen zu sein, weil es mit diesem Vertrag an sich nichts zu tun hat. Die Durchführung der Bundesgesetze ist Ländersache, und in dem Durchführungsgesetz, das kommen muß, müßte die Mitwirkung der Länder eben sichergestellt sein.
Das Ziel des Schumanplans ist letzten Endes, der gequälten europäischen Menschheit Friede zu bringen. Der Nationalismus hat uns in den letzten 70, 80 Jahren so viel Unheil gebracht, daß keine Anstrengung gescheut werden sollte, um ihn wirksam zu bekämpfen. Von selbst bekämpft er sich nicht, sondern wir müssen energisch etwas dazu tun, um ihn zu bekämpfen. Der Weg, den der Schumanplan geht, ist sowohl hinsichtlich der


(Dr. Bertram)

l organisatorischen Seite als auch hinsichtlich seiner Einordnung in die weltpolitische Lage richtig angelegt, so daß man annehmen kann, daß er tatsächlich die Grundlage für eine friedlichere Zukunft schafft. Der Schumanplan berücksichtigt in ausreichendem Maße das Gewicht der Vergangenheit, das man ja nicht außer acht lassen darf. Dieser Plan kann die Basis für eine friedliche Periode sein; wenigstens wird er vielleicht ein Schritt zum Frieden sein.
Die Zukunft ist dunkel. Wir können nur das eine tun, daß wir mit den uns gegebenen Mitteln in der Gegenwart das Beste machen, was eben erreichbar ist. Das wollen wir tun und das sollen wir tun. Die Zukunft wird dadurch vielleicht mitgestaltet; das Entscheidende wird uns Menschen aber nicht allein aus unserer eigenen Tüchtigkeit gegeben, sondern wird uns für eine Dauer von 50 Jahren sicher von anderer Stelle zugemessen werden.

(Beifall beim Zentrum, bei der CDU und rechts.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116102400
Das Wort hat der Abgeordnete Albers.

Johannes Albers (CDU):
Rede ID: ID0116102500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Aufgabe, den Schumanplan in allen seinen Einzelheiten und Auswirkungen zu werten. Ich werde auch nicht dem Herrn Kollegen Schmid antworten. Dies werde ich auch deshalb nicht tun, weil ich nicht über seine Redebegeisterung und auch nicht über seine selbsteigene und sarkastische Rhetorik verfüge. Wir haben ihn ja in den letzten zwei Jahren kennengelernt.
Seine Kritik versuchte, ein dürftiges Nein zur Vorlage zu finden. Ich sehe die Aufgabe meiner Darlegungen darin, erneut das Positive der Vorlage herauszuheben. Mich und Millionen Mitglieder der christlich-sozialen Arbeiterbewegung des Bundes und des Auslandes interessiert in erster Linie die Frage: Was bringt der Schumanplan den arbeitenden Volksschichten? Ist das, was geschaffen werden soll, wirklich ein kapitalistisches Unternehmen? Ist es ein Riesenkartell? Ist es das, was die Gegner von ihm sagen? Und da meine ich, wer die vorliegenden Unterlagen unvoreingenommen prüft, kann eine solche Feststellung nicht treffen.
Die Eigentumsverhältnisse an Kohle und Eisen in den einzelnen Ländern werden von dem Vertrag nicht berührt. Ob Kohle und Eisen sich in Privatbesitz oder in Staatsbesitz befinden, ob und wie die Eigentumsfrage in der Zukunft geregelt werden soll, das ist und bleibt ureigenste Aufgabe jedes der beteiligten Länder.

(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

In Deutschland steht diese Frage noch zur Entscheidung. Es liegt in unserer Zuständigkeit, in welchem Sinn die Regelung des Eigentums an Kohle und Eisen erfolgen soll. Durch unser Ja zum Schumanplan wird uns die Entscheidung hierfür nicht vorweggenommen.

(Zustimmung in der Mitte.)

Man wendet ein, daß über die Hohe Behörde ein zu großer Einfluß des Kapitals gegeben sei. Dazu stelle ich fest, daß nach dem Vertrag die Vertreter in den Organen Vertreter der beteiligten Staaten und Völker sein sollen. Darüber, daß es die richtigen Männer und Frauen sind, die neben ihren sachlichen Qualitäten über die notwendige Unabhängigkeit verfügen, haben die Stellen zu entscheiden, die diese Vertreter delegieren. Das sind
wir, und das ist die Regierung. Wir würden unsere Aufgabe nicht richtig erfüllen, wir würden unsere Aufgabe gegenüber unseren Wählern nicht erfüllen, wenn wir hier nicht klar und eindeutig unsere Pflicht sehen würden.

(Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

Es ist von großer Bedeutung, daß die Hohe Behörde sich in ihren sachlichen Entscheidungen auf den Beratenden Ausschuß zu stützen hat. Dieser setzt sich zu gleichen Teilen zusammen aus Vertretern der Erzeuger, der Arbeitnehmer und der Verbraucher. Gegenüber Auffassungen, die eine paritätische Besetzung dieses Organs aus Unternehmern und Arbeitnehmern fordern, sehen wir in der Heranziehung der Verbraucher die bessere Lösung. Während wir in Deutschland es noch nicht fertiggebracht haben, ein Organ der überbetrieblichen Mitbestimmung wie den Bundeswirtschaftsrat zu schaffen, ist hier von vornherein in europäischem Rahmen für Kohle und Eisen ein derartiges Organ gebildet worden, das auch den Interessen der Sozialpartner und der Verbraucherschaft Rechnung tragen soll.

(Abg. Henßler: Beratender Ausschuß, Herr Albers!)

— Ich spreche ja ausdrücklich vom Beratenden Ausschuß.

(Abg. Henßler: Nicht bestimmender 'Ausschuß!) Diese Konstruktion kann für Entscheidungen, die wir demnächst in diesem Hause gerade in bezug auf das überbetriebliche Mitbestimmungsrecht zu fällen haben, wertvolle Anregungen geben.

Wenn ich also zusammenfassend die Struktur und Zusammensetzung der Organe des Schumanplans bewerte, so darf ich feststellen, daß der Plan nicht ein Instrument einseitiger und kapitalistischer Interessen sein kann, sondern ein Zusammenspiel von' Kapital und Arbeit auf europäischer Basis schaffen wird.
Meine verehrten Damen und Herren, wenn die Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler sich seit mehr als fünf Vierteljahren um die Schaffung des Schumanplans bemühten, so haben sie ja auch einen Auftrag dieses Parlaments erfüllt, ja, ich glaube sagen zu dürfen, der Kanzler hat sogar einen Auftrag der Opposition erfüllt. Ich habe vor mir liegen einen Auszug aus der Rede des Herrn Dr. Schumacher zur Saarfrage vom 10. März 1950 in diesem Hause. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich die markantesten Sätze aus den damaligen Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher wiederholen. Er sagte:
Man sollte jetzt von unserer Seite den Versuch machen, unter Betonung der europäischen Kooperation und in streng europäischem Rahmen im Geiste der Gemeinsamkeit auf das Ziel einer größtmöglichen wirtschaftlichen Vereinigung Europas loszugehen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ohne Zweifel ist es eine gute Sache, wenn Frankreich und Deutschland gerade wegen der besonderen Spannung zwischen diesen Ländern und ihren Wirtschaften auch den Anfang bei der konkreten Behandlung dieser Themen machen;

(Abg. Dr. von Brentano: Sehr schön!)

denn wenn Frankreich und Deutschland nicht
die Formel der ökonomischen Symbiose für die
Zeit nach dem Aufhören des Marshallplans
finden, dann konkurrieren sie sich mit den 1952


(Albers)

vorhandenen europäischen Überkapazitäten in Grund und Boden. Die Völker erzeugen durch eine falsche Politik in Europa eine Arbeitslosigkeit, die dem östlichen Totalitarismus eine vorher noch nie gekannte Chance gibt.
Darum, meine Damen und Herren, steuern wir auf das Ziel eines Friedensvertrages mit Deutschland. Aber solange er nicht realisiert ist, sollten wir besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet, nicht auf territorialem Gebiet, das Ziel angehen, Anfänge zu schaffen in der gegenseitigen wirtschaftlichen Berücksichtigung der Interessen Frankreichs und Deutschlands durch direkte Fühlungnahme. Mit anderen Worten, ich rede hier einer Initiative zu Verhandlungen mit Frankreich speziell auf wirtschaftspolitischem Gebiet das Wort, Verhandlungen, die größer sind und tiefer gehen als das, was Handelsvertragsabkommen hervorbringen können, die einen französisch-deutschen Freundschaftsvertrag bringen.
Ich glaube, daß im Schumanplan diese Voraussetzungen für einen deutsch-französischen Friedensvertrag, wie es auch der Herr Dr. Schumacher wünschte, gegeben sind.

(Beifall bei der CDU.)

Wenn es aber anders wäre, so muß ich jetzt die Frage stellen, würden dann die Gewerkschaften in einem solch objektiven Verhältnis zum Schuman-plan stehen? Gewiß sind noch Wünsche offen. Wir kennen diese Wünsche: Aufhebung der Diskriminierung aus dem Besatzungsrecht, Aufhebung der Ruhrbehörde und der noch bestehenden Produktionsbeschränkungen. Der Herr Bundeskanzler hat heute früh zu dem Antrag der SPD in mehr oder weniger positiver Weise Stellung genommen. Ich frage Sie: Wird unsere Ausgangsposition besser, wenn wir den Schumanplan ablehnen? Wir meinen, nur durch Mitarbeit, Mitgestaltung und Mitverantwortung bei der europäischen Neuordnung kann unsere Situation auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet verbessert werden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Das haben auch die Gewerkschaften in ihrer Stellungnahme mit berücksichtigt und herausgestellt. Gerade die Gewerkschaftsvertreter der anderen fünf am Schumanplan beteiligten Länder — mögen sie aus dem Internationalen Bund der Freien Gewerkschaften oder aus der Christlichen Gewerkschaftsinternationale kommen — haben sich in vorbildlicher und kameradschaftlicher Weise für die Gleichberechtigung Deutschlands eingesetzt. Männer wie Oldenbroek vom Internationalen Bund der Freien Gewerkschaften und Serrarens von der Christlichen Gewerkschafts-Internationale sind uns wohl auch Mitgaranten dafür, daß der Sinn und der Zweck des Schumanplans erfüllt wird.

(Abg. Dr. von Brentano: Ausgezeichnet!)

Und wer wollte daran zweifeln, daß die mächtigen internationalen Organisationen der Bergarbeiter und der Metallarbeiter nicht in der Lage wären, einseitige und den europäischen und den Arbeiterinteressen abträgliche Entwicklungen zu verhindern?

(Sehr gut! in der Mitte.)

So mächtig die Gewerkschaften aber auch sind, eins vermögen sie nicht: in einem in sich zerrissenen Europa, in dem zu eng gewordenen Rahmen der Nationalwirtschaften auf die Dauer soziale Sicherheit und sozialen Fortschritt zu gewährleisten. Es ist ein untrügliches Zeichen für die gefährliche
Situation, in der wir uns befinden, daß die Produktivität der europäischen Arbeit kaum noch ein
Drittel der Produktivität der amerikanischen beträgt. Das liegt doch beileibe nicht an mangelnder
Tüchtigkeit und mangelndem Fleiß der europäischen und insbesondere der deutschen Arbeiter;
das liegt doch einzig und allein an der Desorganisation der europäischen Wirtschaft und der zurückgebliebenen technischen Ausrüstung der Betriebe.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Die Überwindung dieses Zustandes erfordert gerade vom Standpunkt der Interessen der breiten Schichten unseres Volkes zwingend die europäische Wirtschaftseinheit. Jetzt wird der Zusammenschluß allen beteiligten Völkern die Chance zum sozialen Fortschritt und zur Wohlfahrt geben können. Die Voraussetzungen dafür, daß dieser Fortschritt wirklich den breitesten Volksschichten zugute kommt, sind durch die heutige starke staats-
und wirtschaftspolitische Stellung der Arbeitnehmerschaft und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen weit mehr als je gegeben.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Die sich im europäischen Rahmen vollziehende Arbeitsteilung, die Ausnutzung günstiger Standortbedingungen und dazu der leistungssteigernde Wettbewerb sind, wie heute früh schon verschiedentlich betont wurde, die Voraussetzungen für eine größere Kreditwürdigkeit und damit für eine bessere technische Ausrüstung der beteiligten Unternehmen. Damit ist dann aber auch die Gewißheit für eine Erhöhung des Sozialprodukts gegeben. Bei der Verteilung dieses vergrößerten Sozialproduktes befinden sich die Gewerkschaften auf ihrem ureigensten Aufgabengebiet. Überlassen wir also ruhig die Sorgen um die Hebung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, auch die Sorgen um den gerechten Anteil am Sozialprodukt, den Gewerkschaften.

(Zustimmung bei der CDU.)

Für die beteiligte Arbeitnehmerschaft ist es natürlich von großem Interesse, zu wissen, inwieweit die neue Gemeinschaft auf ihre Arbeitsbedingungen einwirkt. Dazu ist zu sagen, daß die Fragen der Arbeitsbedingungen und der sozialen Leistungen durch den Schumanplan nicht berührt werden. Eine Verschlechterung der sozialpolitischen Verhältnisse braucht daher nicht befürchtet zu werden, im Gegenteil! Es ist selbstverständlich, daß der Schumanplan mit der Zeit zu einer einheitlichen, fortschrittlicheren europäischen Sozialpolitik führen wird, die auch uns neue Impulse in der sozialpolitischen Gestaltung geben kann und geben wird. Uns Deutschen ist dabei die Aufgabe gestellt, so wie bisher in der Sozialpolitik anregend und führend mitzuwirken, dann aber nicht mehr allein auf dem Gebiete der Bundesrepublik, sondern auf gesamteuropäischem Boden.

(Beifall bei der CDU.)

Es kann freilich nicht übersehen werden, daß in den Jahren des Übergangs gewisse wirtschaftliche Schwierigkeiten eintreten können, durch deren Auswirkungen auch die Arbeiterschaft betroffen werden kann. Wir können nun aber mit Befriedigung feststellen, daß der Vertrag für derartige Fälle besondere Schutzmaßnahmen zugunsten der Arbeiterschaft vorsieht. Es ist der Hohen Behörde insbesondere zur verpflichtenden Auflage gemacht,, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um etwa freiwerdende Arbeitskräfte wieder sinnvoll in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Mit dieser Frage beschäftigen sich schon die Gewerkschaften in Belgien.


(Albers) Ich habe heute morgen in der „Welt der Arbeit" zur Kenntnis nehmen müssen, daß die christlichen Gewerkschaften, die freien Gewerkschaften und die liberalen Gewerkschaften von Belgien in den letzten Tagen zusammengetreten sind, um für ihr Land gerade die Auswirkungen des Schumanplans zu überprüfen und festzustellen, inwieweit die belgische Arbeiterschaft hier miterfaßt wird. Sie wird miterfaßt. Das wissen unsere Freunde in Belgien; aber sie sagen immer wieder klar und deutlich: Wenn wir auch mit diesen Schwierigkeiten zu rechnen haben, wir stehen mit einem positiven Ja zu dem Schumanplan, weil wir von ihm im Laufe der Jahre eine Besserung unserer gesamten sozialen Verhältnisse erwarten.


(Sehr gut! bei der CDU.)

Von größter Wichtigkeit erscheint mir auch die Bestimmung, daß die Hohe Behörde bindende Empfehlungen für die Hebung des Lohnniveaus rückständiger Länder geben kann. Damit wird ein ungezügelter zwischenstaatlicher Konkurrenzkampf auf Kosten der Arbeiter verhindert. Darin scheint mir ein besonders großer Fortschritt zu liegen. Wie oft in der Geschichte wurden berechtigte soziale Ansprüche der Arbeiterschaft mit dem Argument abgelehnt, daß man sich bei der Erfüllung dieser Ansprüche im zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf nicht mehr behaupten könne. Hier ist nun mit dem Gedanken aufgeräumt, daß gesteigerte wirtschaftliche Rentabilität nur durch Verschlechterung der sozialen Bedingungen erkauft werden kann.
Die Bestimmung des Vertrags, durch welche die Hohe Behörde verpflichtet wird, durch technischen Fortschritt ausgelöste Arbeitslosigkeit zu verhüten oder zu beseitigen, wurde gelegentlich, insbesondere aus französischen Kreisen heraus, als wirtschaftsfeindlich bezeichnet. Dem vermag ich nicht zu folgen. Gewiß ist diese Verpflichtung eine wirtschaftliche Belastung; diese Belastung muß aber von der Wirtschaft getragen werden, weil die Wirtschaft nicht Selbstzweck ist. Der arbeitende Mensch ist nicht mehr Objekt der, Wirtschaft. Die Übernahme von Mitverantwortung für das Schicksal des arbeitenden Menschen durch die Wirtschaft und ihr Eintreten für ihn in schwierigen Zeiten ist so ein Akt der sozialen Gerechtigkeit.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Sie wird letztlich auch die Leistungskraft der Wirtschaft steigern und damit in Wahrheit dem echten Fortschritt dienen. Der neugeschaffene Wirtschaftsgroßraum wird die Sicherung des Arbeitsplatzes und die Wiedereingliederung von Arbeitslosen erleichtern.
Die im Zusammenhang mit dem Schumanplan vorgesehene Freizügigkeit der Kohle- und Stahlarbeiter innerhalb des ganzen Wirtschaftsbereiches betrachte ich als eine der bedeutungsvollsten Maßnahmen nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht.
Die internationale Arbeiterbewegung, mag sie sozialistisch oder christlich sein, hat stets für Völkerverständigung und Völkerversöhnung gewirkt. Das war eine ihrer großen Leistungen in der Geschichte. Die Arbeiter der verschiedenen Nationen habén sich nach diesem Kriege wieder als erste die Hand gereicht. Jetzt sollen diesem Verständigungswillen der Arbeiterschaft neue Möglichkeiten erschlossen werden. Die Zusammenarbeit der Kohle- und Stahlarbeiter der verschiedenen Nationalitäten im Rahmen des Schumanplans wird diesem Willen zur Verständigung neue Impulse geben, in der europäischen Arbeiterschaft noch mehr als bisher europäisches Bewußtsein wecken und das Gefühl europäischer Gemeinsamkeit lebendig halten. Ich habe nur den Wunsch zum Ausdruck zu bringen, daß die vorgesehene Freizügigkeit durch die beteiligten Regierungen sehr bald realisiert wird.
Der Schumanplan läßt gewiß noch einige Wünsche offen. Durch die Mitwirkung der deutschen Gewerkschaftsvertreter sind in letzter Stunde noch einige wichtige Verbesserungen erreicht worden. Im großen und ganzen muß aber der Plan, so wie er jetzt vorliegt, als eine geeignete Grundlage für die erstrebte übernationale Gemeinschaft von Kohle und Eisen angesehen werden. Ich darf dabei mit Freude feststellen, daß die deutschen und die internationalen Gewerkschaftsorganisationen mit 'jener Verantwortung an den Schumanplan herangegangen sind, die sich aus ihrer Pflicht ergab, für die Sicherung des Friedens in Europa zu wirken und dafür einzutreten, daß der Lebensstandard der arbeitenden Menschen auf jene Höhe gebracht wird, die die Arbeiterschaft außerhalb Europas schon vielfach erreicht hat.
Der Schumanplan erfordert sicherlich von allen beteiligten Völkern noch gewisse Opfer. Diese werden aber nicht vergebens sein. Sie müssen gebracht werden, wenn wir das Fundament für eine bessere Zukunft legen und den Gefahren, die uns bedrohen, entgehen wollen. Ich halte es mit der „Welt der Arbeit", die in ihrer Ausgabe vom 11. Mai dieses Jahres ihre Stellungnahme zusammenfassend wie folgt präzisierte:
Wenn Chaos und Elend verhindert werden sollen, dann ist es notwendig, daß in allen Ländern Vorurteile aufgegeben werden und auf billige egoistische Erfolge, wie sie sich aus der machtpolitischen Lage darbieten, verzichtet wird. Dann ist es erforderlich, daß entschlossen der Aufbau eines neuen Europa begonnen wird, eines Europa, das seine blutige und tragische Vergangenheit vergißt und alle Gedanken und Handlungen auf die Zukunft richtet.
Wir wollen durch unser Ja zum Schumanplan unseren Beitrag zur Verwirklichung dieser ersten europäischen Gemeinschaftsorganisation leisten. Wir sind der Auffassung, daß die noch bestehenden diskriminierenden Bestimmungen des Besatzungsstatuts mit dem Wirksamwerden des Vertrages fallen werden. Wenn freilich vor der Ratifizierung des Vertrages durch den Bundestag eine entsprechende Garantieerklärung der Besatzungsmächte verlangt wird, so verkennt man, glaube ich, die Wirkung eines solchen Verlangens. Wir glauben sagen zu müssen, daß dadurch vielleicht gewisse Wege versperrt werden, daß es aber bei uns gerade liegt, durch unser Ja zum Schumanplan den Willen zur europäischen Gemeinschaft unter Beweis zu stellen und den anderen den Weg leichter zu machen.
Wir geben deshalb dem Gesetzentwurf und dem Schumanplan unsere Zustimmung. Ich bin gewiß, daß die volle Gleichberechtigung der Bundesrepublik Wirkung und Folge dieser Tat und unserer Mitarbeit in der europäischen Gemeinschaft sein wird. Eine Gemeinschaft wird nicht dadurch gebildet, daß man von ihr redet, nicht dadurch, daß man aus Mißtrauen geborene Bedingungen stellt, sondern dadurch, daß man eine Vertrauensbasis schafft und dadurch auch gemeinsame Aufgaben löst. Ich habe für meine Partei, für meine Fraktion, für meine Freunde aus der christlich-sozialen


(Albers)

Arbeiterbewegung und für meine Freunde im Ausland, für meine Freunde in der christlichen Gewerkschafts-Internationale nur ein positives Ja, zur Vorlage abzugeben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und rechts.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0116102600
Das Wort hat der Abgeordnete Henßler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0116102700
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Bei den Reden der Befürworter des Schumanplanes ist mir aufgefallen, daß sie geflissentlich über wichtige Probleme hinwegplätscherten, die eingehend geprüft werden müßten, wenn man die Frage klar beantworten will, ob für alle Teilnehmer ein gleicher Start besteht, ob Gleichberechtigung vorhanden ist.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

In wie starkem Maße das geschah, dafür ist auch die Rede des Herrn Kollegen Dr. Henle ein sprechendes Beispiel. Er erwähnte zu Recht, daß wir bei der Schaffung der Ruhrbehörde damals erklärt haben, die Herausnahme des Ruhrgebiets allein bedeute noch nicht Europäisierung,

(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz)

auch die Industrien der anderen Länder müßten dazukommen. Aber wir haben damals — er hat es selbst vorgetragen — Wert darauf gelegt: mit gleichem Recht und mit gleicher Verpflichtung.
Herr Henle meinte: Jetzt ist es so weit. Wir sagen: Nein, es ist nicht so weit hinsichtlich der gleichen Berechtigung und der gleichen Verpflichtung. Ich wundere mich außerordentlich, daß eine Persönlichkeit, die so eng mit der Wirtschaft des Ruhrgebiets verbunden ist, wie Herr Dr. Henle, der zweifellos als ein Sachkenner auf diesem Gebiet angesprochen werden muß, über diese Frage oberflächlich hinweggleitet,

(Sehr richtig! bei der SPD)

genau so oberflächlich und genau so irreführend, wie es die Propagandaführung der Bundesregierung tut.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich lese in der Begründung der Vorlage: „Die Bundesregierung hat von Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie in keinem Punkte eine durch das Besatzungsrecht verursachte Schlechterstellung zulassen konnte, da dies eine mit dem Buchstaben und dem Geiste des Vertrages unvereinbare Diskriminierung bedeutet hätte".
Das ist ganz großartig gesagt. Noch großartiger ist dann die Feststellung, daß deshalb die Gleichberechtigung Deutschlands nicht Gegenstand, sondern selbstverständliche Voraussetzung der Verhandlungen gewesen sei.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Meine Damen und 'Herren! Das ist nach meiner Auffassung ein protziges Eigenlob,

(Sehr richtig! bei der SPD)

auf das aber ein bekanntes Volkswort zutrifft. Aus Höflichkeit will ich es etwas umändern und sagen: Eigenlob riecht nicht gut!

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Wuermeling: So vornehme Sachen imponieren immer!)

Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler müßte es besser wissen, daß der Schumanplan
nicht die Gleichberechtigung zum Ausgangspunkt
hat und daß er auch nicht das Ergebnis der Verhandlungen mit den Schumanplanpartnern allein ist, sondern daß dabei noch von anderer Seite entscheidender Einfluß genommen wurde, und zwar genau gegen den- Sinn der Gleichberechtigung. Ich darf nur erinnern an die Auflösung des gemeinsamen Kohlenverkaufs, an die Dekartellisierung bei Eisen und Stahl, an die Beschränkung zu einer völlig ungenügenden Verbundwirtschaft. Ich darf feststellen, daß diese Dinge, obwohl sie zum Teil außerhalb des Schumanplans liegen, doch praktisch Bestandteile des Schumanplans sind

(Sehr richtig! bei der SPD)

und zum Teil auch in die Bedingungen des Schumanplans eingebaut wurden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die Regierung steht ziemlich allein mit ihrer Behauptung, daß der Plan für alle vorteilhaft sei und daß er einen vernünftigen Kompromiß darstelle. Zum Beweis will ich an die Verhandlungen erinnern, die im Bundesrat geführt wurden. Zum Beweis will ich ferner daran erinnern, wie selbst die Sachverständigen der Regierung über einige Fragen urteilen — sehr im Gegensatz zu der Behauptung von einer Gleichberechtigung. Der Bundesrat hat u. a. den Herrn Bauer, einen Sachverständigen der Regierung, gehört. In seiner Rede im Bundesrat hat Herr Bauer ohne weiteres zugeben müssen, daß bei Eisen und Stahl die wirtschaftlich beste Betriebsform nicht gestattet ist,

(Hört! Hört! bei der SPD)

er hat betont, eine Änderung könne im Rahmen des Schumanplans nicht herbeigeführt werden,

(Hört! Hört! bei der SPD)

sondern die Kunst müsse darin bestehen, außerhalb des Schumanplans im Verhandlungswege die beste Betriebsform zu erreichen. Denn man werde. so sagte er wörtlich, uns nach dem Plan auf die Dauer nicht 'Maßstäbe auferlegen können, die für die anderen nicht gelten. Das ist doch das glatte Eingeständnis, das die Voraussetzung der Gleichberechtigung nicht erfüllt ist.

(Abg. Dr. Arndt: Hört! Hört!)

Und an einer anderen Stelle spricht er sich noch deutlicher aus:
Was uns jetzt auferlegt wird, wird entweder von den Franzosen, Italienern, Belgiern und Holländern in analoger Form übernommen werden müssen, oder aber wir müssen die Freiheit bekommen, uns so einzurichten, wie es die andern tun.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Diese Voraussetzungen müßten nach dem Urteil dieses Sachverständigen erst noch erfüllt werden, ehe man von Gleichberechtigung reden könnte.
Meine Damen und Herren, ich frage mich vergebens, wie Herr Bauer diese Regelung erreichen will, wenn das Ja einmal ausgesprochen

(Sehr richtig! bei der SPD — Abg. Dr. Tillmanns: Und wenn das Nein ausgesprochen ist?!)

und damit die Bindung für 50 Jahre übernommen ist.

(Erneute Zustimmung bei der SPD.)

Von einem der Herren ist darauf hingewiesen worden, man sollte die Möglichkeiten einer Revision nicht unterschätzen, die der Schumanplan biete. Aber diese Möglichkeiten sind so, daß eine Revision praktisch nie verwirklicht werden kann; so


(Henßler)

schwierig ist sie gemacht, so kompliziert ist sie. Außerdem — ich betone es noch einmal — sind la die Feststellungen, auf die sich die Monita des Herrn Bauer beziehen, zum Teil Bestandteil des Vertragswerkes, für das er eintritt.
Ich wiederhole die wesentlichen Punkte hier noch einmal: hundertprozentige Verbundwirtschaft zwischen Hütte und Erz in Frankreich; der französische Bergbau unter einer Verwaltung. Das ist alles ausdrücklich anerkannt, darüber hat die Hohe Behörde nicht mehr zu bestimmen. Auf der anderen Seite: nur sehr beschränkte Verbundwirtschaft in der Form einer nur 75 %igen Koks- und Kohlesicherung bei 12 von ungefähr 24 Gesellschaften, bei Eisen und Stahl einer 75 %igen Sicherung der gegenwärtigen Kapazität. Und es gibt Sachverständige — ich kann darüber nicht urteilen —, die erklärren, daß durch die Zechen, die diesen Hüttenwerken zugeteilt wurden, die 75 %ige Deckung absolut in Frage gestellt ist.
Meine Damen und Herren! Der Kollege Albers sprach von der Haltung der Gewerkschaften. Er kann für sich und für seine Freunde, also nur auf diese beschränkt, reden; aber es ist Irreführung, es so darzustellen, als ob es d e n gewerkschaftlichen Standpunkt pro Schumanplan gäbe.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich darf darauf hinweisen, daß selbst solche Persönlichkeiten der Gewerkschaftsbewegung, die die Bundesregierung als pro Schumanplan bezeichnet, außerordentlich starke Vorbehalte machen.
Ich darf hier an die Rede des Herrn Dr. Wagenführ erinnern, die er — auch als Sachverständiger — im Bundesrat gehalten hat. Er wies darauf hin, „daß es speziell vom deutschen Standpunkt aus noch eine ganze Reihe von sehr ernsten Vorbehalten gibt, ohne deren Klärung eine endgültige Beurteilung außerordentlich schwer gemacht wird." Er führte als Beispiele die Begrenzung der Stahlkapazität, der Verbundwirtschaft und des Deutschen Kohleverkaufs an. In seiner Rede forderte er, die Mitarbeit müsse an die Bedingung geknüpft werden, daß die Ruhrbehörde, die Begrenzung der Stahlkapazität und eine Reihe anderer wirtschaftlicher Diskriminierungen beseitigt werden.
Meine Damen und Herren! Auch Redner, die heute für den Schumanplan eintraten, haben die Beseitigung der Ruhrbehörde gewünscht und gefordert. Es ist uns erklärt worden, darüber bestehe ein bindendes Versprechen. Ich halte es doch
für nötig, darauf hinzuweisen, daß ein Versprechen der Beseitigung der Ruhrbehörde für
sich allein betrachtet das Problem selbst noch gar nicht voll anspricht. Noch wichtiger als die Beseitigung der Ruhrbehörde an sich ist die Antwort auf die Frage: Was wird sich ändern?

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Besteht die Gewähr dafür, daß sich die Hohe Behörde nicht als Traditionsträger der Ruhrbehörde erweist?

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Wird man von .ihr mehr Verständnis für die Lage im Bundesgebiet erwarten können?
Meine Damen und Herren, auch hinsichtlich der deutschen Eisen- und Stahlkapazität ist nicht allein entscheidend, ob die gegenwärtige Kapazitätsbeschränkung fällt. Noch wichtiger ist es, ob Gewähr dafür besteht, daß die Hüttenwerke die erforderlichen Zuweisungen an Kohle, an Koks, an
Schrott usw. erhalten werden oder ob es bleibt, wie es ist: daß der Exportbedarf praktisch den Vorrang hat.
Ich meine, die jüngsten Erfahrungen sind eine ernste Warnung. Ich finde es auffällig, daß die Redner hier den Schumanplan nicht auch unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen Situation beurteilen.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Wir wollen ja gerade von der gegenwärtigen Situation los; das ist doch der Grund!)

— Ich werde Ihnen gleich sagen, warum man diese Gesichtspunkte mit berücksichtigen muß. Die Ruhrbehörde ist zu einem Export verpflichtet, der zur starken Beschränkung statt zum dringend erforderlichen weiteren Ausbau der Wirtschaft des Bundesgebiets führt. Die Bundesregierung hat gebeten und gebettelt, um zu erreichen, daß die Exportmengen heruntergesetzt werden; sie hat ein kühles Nein erfahren. Und die da in der Ruhrbehörde mit Nein entschieden haben, sind doch, wenn der Schumanplan angenommen wird, unsere Partner von morgen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Zu einem ganz erheblichen Teil sind sie es, Herr von Rechenberg.

(Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Die Amerikaner und die Engländer sind nicht drin. Es sind andere drin! Wollen Sie es bei dem jetzigen Zustand belassen ? — Nein !)

— Herr von Rechenberg! Diejenigen, die unsere Partner von morgen sein wollen, um eine Wende in der europäischen Zusammenarbeit herbeizuführen, hätten in der Ruhrbehörde die beste Möglichkeit gehabt, zu beweisen, daß sie diese Wende wollen.

(Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Diese Erfahrungen aus der jüngsten Zeit sind nichts anderes als ein Glied in der Kette der Politik seit 19,45.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich hätte gewünscht, nicht allzuviel in die Vergangenheit zurückgehen zu müssen. Angesichts der Debatten hier ist es aber notwendig, an einiges zu erinnern. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen, die sich um die Frage der ersten Festsetzung der Eisen- und Stahlkapazität ergaben. Die Engländer wollten damals schon 10 Millionen t bewilligen. Es kam eine Festsetzung von 5 Millionen t heraus, weil die französische Regierung und die russische Regierung nur eine Kapazität von knapp 2 Millionen t genehmigen wollten. Die ganze französische Politik war ja von Anfang an darauf eingestellt: Das Ruhrgebiet muß sich in seiner industriellen Struktur völlig ändern. Kohlen soll es ausführen, aber nicht Eisen und Stahl produzieren. Man hat diese Forderung mit dem Sicherheitsbedürfnis begründet.
Meine Damen und Herren! Diese Einstellung in der Vergangenheit bestätigt sich in der Gegenwart. Wie steht es denn im Augenblick? Wenn unsere Eisen- und Stahlindustrie ihre Produktion nicht schon jetzt wesentlich einschränken mußte, so nur deshalb, weil sie fast zu 25 % ihres Bedarfs amerikanische Kohlen einführen muß. Diese Kohlen sind je Tonne um 70 DM teurer.

(Hört! Hört! links.)

Unseren Export aber müssen wir beinahe zum
Inlandspreis liefern. Diese 70 DM stellen den Un-


(Henßler)

terschied zwischen den Rohstoffkosten unserer Hüttenwerke, soweit die Kohle in Frage kommt, und den Rohstoffkosten dar, die die Hüttenwerke der anderen europäischen Staaten haben. Die Hüttenwerke können diese Kosten nur tragen, indem sie ihre Abnehmer, zum Teil zusätzlich belasten. Der größte Teil ihrer mit amerikanischer Kohle geschaffenen Produktion muß ausgeführt werden, um die Devisen zur Einfuhr dieser Kohle zu verdienen. Unter diesen Umständen kann der Eisen- und Stahlbedarf der eigenen Wirtschaft nicht entsprechend befriedigt werden. Hier haben wir das Beispiel eines außerordentlich erschwerten Wettbewerbs. Ich sehe keine Möglichkeit, anzunehmen, das werde morgen anders werden, wenn wir nicht wissen, wie die Hohe Behörde hierbei verfahren wird.
Herr Albers hat gesagt: Ja Gott, dieser Hohen Behörde wird ein beratender Ausschuß beigegeben, in dem auch die Gewerkschaften vertreten sind, und die Gewerkschaften werden schon dafür sorgen. Ich bedauere dem Gewerkschaftler Albers noch klarmachen zu müssen, daß ein erheblicher Unterschied zwischen Mitberatung und Mitbestimmung ist.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

In der Innenpolitik hat er sich als Gewerkschaftler dagegen gewehrt, daß man nur vom Mit wirkungsrecht redet. Da hat er begriffen, daß das Mitwirkungsrecht praktisch wenig bedeutet, daß es vielmehr auf das Mitbestimmungsrecht ankommt.
Nun sucht man uns die Sache schmackhafter zu machen, indem man uns erzählt: Seht, die französische Schwerindustrie beklagt sich auch.

(Aha-Rufe bei der SPD.)

Ja, meine Damen und Herren, für so dusselig halte ich sie auch nicht, den Vorteil hinauszuschreien, den sie vom Schumanplan hat.

(Beifall bei der SPD.).

Wenn man uns als Beispiel dafür die Entschließung
der Metzer Industrie- und Handelskammer angibt,
so frage ich: Was will man denn damit beweisen?

(Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Ach so, jetzt verstehe ich Sie. Sie wollen die Annahme des Plans! Sie sind denn auch nicht so dusselig, bei Ihrer Kritik Vorteile herauszustellen!)

— Herr von Rechenberg, Sie sollten mit Ihren Zwischenrufen ein wenig vorsichtiger sein, da Sie auf der anderen Seite so leicht beleidigt sind, wenn man Ihnen gegenüber etwas sagt.

(Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Wenn man etwas Falsches sagt!)

— Ich habe nichts Falsches behauptet,

(Abg. Freiherr von Rechenberg: Fragen Sie Ihre Fraktion!)

sofern Sie mir nicht etwas unterstellen, was ich damit nicht aussprechen wollte. An sich war meine Feststellung richtig.
Ich frage: Ist es denn eine so absolut feststehende, ausgemachte Tatsache, daß die Hüttenindustrie im Ruhrgebiet auf der Kohlebasis den günstigsten Standort hat? Darf ich fragen, warum die Ruhrindustriellen seinerzeit Wert darauf gelegt haben, große moderne Werke in Lothringen auf dem Erz zu errichten? Mindestens — das werden mir die Fachleute bestätigen; ich selber bin keiner, sondern ich stütze mich auf ihr Urteil — kann man darüber streiten, ob die Hüttenindustrie auf der Erzbasis nicht einen genau so günstigen Standort hat wie die
Hüttenindustrie auf der Kohlebasis. Es steht fest, wenn E r z zugeführt werden muß, wird die doppelte Tonnage gebraucht, als wenn ich Kohle zuführen muß. -
Ich darf eine zweite Frage aufwerfen. Herr Kollege Dr. Henle, ich denke noch an die Auseinandersetzungen in den zwanziger Jahren im Ruhrgebiet, als die große Rationalisierung in der Eisen- und Stahlindustrie erfolgte. Wie ist sie begründet worden? Doch auch damit, daß die Eisen- und Stahlindustrie bezüglich des Standorts im Wettbewerb benachteiligt sei; diese Benachteiligung im Standort müsse durch eine entsprechende Organisation, durch eine entsprechende Rationalisierung ausgeglichen werden. Sie wissen so gut wie ich, daß wir mindestens zeitweise von der Reichsbahn verlangt haben, Sondertarife für die Erzzufuhr zu gewähren. Sind Sie so absolut sicher, daß sich, wenn solche Sondertarife gewährt werden sollten, nicht einer finden wird, der sagt: Das ist Subventionierung, das ist staatliche Unterstützung, und das ist nach den Statuten des Schumanplans nicht gestattet?
Dabei muß noch folgendes berücksichtigt werden. Unsere Hüttenindustrie steht heute mit großen Betriebsabteilungen noch weit unter dem technischen Leistungsstand. Zur gleichen Zeit fast, als man in den anderen Ländern des Schumanplanbereichs unter Zuhilfenahme von Marshallplangeldern moderne Werke baute, wurden bei uns in sehr großem Maße noch Restitutionen verfügt. Diese beschränkten sich nicht auf sogenannte gestohlene Maschinen, vielmehr wurde jede Maschine ausländischen Ursprungs, auch wenn sie ehrlich bezahlt war, weggenommen. Zur gleichen Zeit wurden auch die Demontagen durchgeführt. Wer die Hüttenindustrie kennt, weiß, daß man bei den Demontagen überall das Kernstück, das Wertvollste aus dem Betrieb, herausgenommen hat. Aus meiner Dortmunder Erfahrung kann ich sagen, daß es in einem Fall die Fünf-Meter-Straße war. Man hätte die Möglichkeit gehabt, eine andere zu liefern. Nein, man wollte dies e Straße haben. Die weiteren Verhandlungen haben ergeben, man werde die Schaffung einer neuen Fünf-Meter-Straße nicht dulden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Im anderen Fall handelt es sich um das moderne Preßwerk des Dortmunder Hüttenvereins „Union". Anläßlich der Verhandlungen über den Abtransport dieser großen Presse im Dortmunder Hüttenverein wurde die feierliche Versicherung abgegeben: Wir wollen dafür eintreten, daß Sie einen Ersatz bekommen; das soll zwar keine 10 000- oder 15 000-
Tonnen-Presse sein, sondern eine Presse von geringerer Kapazität. Seit sechs Monaten — es kann eher mehr sein als weniger — warten wir noch auf die Entscheidung.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Dieses Versprechen ist noch nicht einmal bis zu den Hohen Kommissaren gelangt. Auf Grund dieser Erfahrungen müssen wir solchen Zusicherungen gegenüber sehr kritisch sein.
Es ist noch folgendes zu berücksichtigen. Wir haben heute schon Mangel an Kohle, besonders an Kokskohle. Das französische Investierungsprogramm ist noch längst nicht durchgeführt, aber nach den Statuten des Schumanplans gestattet. Wir müssen damit rechnen, daß die Anforderungen nicht geringer werden, sondern noch steigen. Wer gibt uns die Garantie, daß man in diesem Falle sagt, daß die eigene Eisen- und Stahlindustrie denselben Anspruch wie fremde Werke hat?


(Henßler)

Bei der Propaganda für den Schumanplan hat man zeitweise auf die Lockerung der Industriekontrolle verwiesen, darauf, daß es uns nunmehr auch gestattet ist, die verbotenen Industrien wieder in Gang zu bringen, allerdings mit der sehr wesentlichen Einschränkung, daß, solange ein Mangel an festen Brennstoffen besteht, Genehmigungen nur insoweit erteilt werden dürfen, als der zusätzliche Verbrauch von Kohle und Koks die Befriedigung des Bedarfs derjenigen Staaten, welche feste Brennstoffe einführen, nicht beeinträchtigt. Ein Teil dieser Industrien, die' früher Kohle verflüssigten, denkt auf Grund dieser Verfügung im Augenblick nicht daran, ein neues Verfahren einzuführen, sondern bleibt bei der Verarbeitung von Ölrückständen. Ich habe heute eine Mitteilung von den Chemiewerken in Marl bekommen. Hier geht es um das Recht der Herstellung von Buna. Während die Zuteilung an Chemiekohle im April 35 000 t und im Mai und Juni je 25 000 t betrug, wurde sie inzwischen für den Monat Juli auf 7680 t gekürzt:

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich stelle fest:. Kein Mensch regt sich dabei auf, daß mit dieser Beschränkung auch das Schicksal einiger tausend Arbeiter verbunden ist.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Herr Rechenberg! — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Das wollen wir ja gerade ändern! Das ist doch der Zustand von heute!)

— Ja, sicher wollen wir das ändern.

(Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Na also!) Die Frage ist nur, ob es durch den Schumanplan geändert wird,


(Beifall bei der SPD)

oder ob dieser Plan nicht statt der Schaffung eine Verhinderung von Europa ist.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Hinzu kommt noch, daß meines Wissens in Frankreich neun moderne Großkokereien geschaffen werden. Bisher konnten wir Koks ausführen. Nach der jetzt eintretenden Wandlung wird man von uns nicht mehr den Koks verlangen und uns die Nebenprodukte lassen; man wird die Kokskohle verlangen.

(Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig!)

Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß der gemeinsame Markt eine völkerverbindende Kraft haben kann — „kann", das muß man beachten — und nicht von vornherein hat und daß er sie nur haben kann, wenn erfüllt wird, was auch der Herr Bundeskanzler in seiner Rede sagte: daß der Schumanplan auf einer gegenseitigen Angleichung der nationalen Wirtschaften der beteiligten Länder beruht. Man bezeichne mir eine Stelle des Schumanplans, bei der man guten Gewissens davon reden könnte, daß diese gegenseitige Angleichung erfolgt ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Nun möchte ich die Frage noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt behandeln, nämlich unter dem Gesichtspunkt: Welche Änderungen müssen wir hinsichtlich unserer Außenhandelspolitik .und unserer Zahlungsbilanz befürchten? In normalen Zeiten mußten wir unsere Devisen im wesentlichen im europäischen Austauschgeschäft verdienen. Dabei mußte ein erhebliches Plus herauskommen, damit wir die natürliche Unterbilanz beim überseeischen Geschäft ausgleichen konnten. Von einem nationalen gegenseitigen Ausgleich kann aber keine Rede sein, wenn die eigene Eisen- und Stahlindustrie mit einer derartigen Schrumpfung rechnen muß, daß sie nicht einmal imstande ist, den Friedensbedarf des deutschen Volkes zu decken.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Da soll man nicht ausgehen von dem, was ist, sondern von dem, was sein müßte. pies gilt insbesondere dann, wenn wir an eine tatkräftige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herangehen wollen. Sie hat nämlich zur Voraussetzung, daß man ungefähr eine Million neuer Arbeitsstellen schafft.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir liegen in unserem Eisen- und Stahlverbrauch unter dem Niveau der anderen Länder. Diese hatten längst nicht die Zerstörungen aufzuweisen wie wir, sie sind nicht vor das Problem gestellt, für 8 oder 10 Millionen Vertriebene neue Heimstätten 'zu schaffen. Wenn wir das berücksichtigen, dann hätten wir im eigenen Bundesgebiet einen Bedarf von ungefähr 16 bis 17 Millionen t Eisen und Stahl, ohne auch nur ein Kilo für Rüstungszwecke zu verwenden. Jetzt laufen wir Gefahr, daß, wenn irgendeine Absatzstörung eintritt und die Hohe Kommission von ihrem Recht, Kontingente festzusetzen, Gebrauch macht, der eigenen Industrie nicht einmal gestattet ist, den eigenen Bedarf zu decken,

(Sehr richtig! bei der SPD)

sondern daß sie gedrosselt werden muß, daß wir Arbeitslose auf uns nehmen müssen, während wir auf der anderen Seite gezwungen sind, Eisen und Stahl einzuführen. Wie wir dabei das Problem des Ausgleichs unserer Zahlungsbilanz meistern sollen, meine Damen und Herren, das möchte ich noch hören.
Ähnlich ist es mit der Verpflichtung zur Ausgleichsabgabe im Kohlenbergbau. Man könnte Verständnis dafür haben, daß der Kohlenbergbau, unter Umständen auch die Eisen- und Stahlindustrie, zu einer solchen solidarischen Haftung verpflichtet werden. Aber gibt es nur in Belgien einen Kohlenbergbau, der notleidend ist, der modernisiert oder bei dem unter Umständen die eine oder andere Zeche stillgelegt werden muß, so daß man die Verpflichtung hat, für die Arbeiter eine neue Erwerbsmöglichkeit zu schaffen? Ich denke, daß wir auch im südlichen Ruhrgebiet eine ganze Reihe solcher Zechen haben.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es ist unter Fachleuten kein Streit, daß sich unter
den neuen Kohlengesellschaften — ich weiß im
Augenblick nicht ihre Zahl, es sind ungefähr 20 —

(Zuruf von der SPD: 23!)

mindestens drei, wenn nicht vier befinden, die vier bis fünf Zechen umfassen, welche unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht rentabel gestaltet werden können, sondern Zuschuß brauchen. Warum gilt für diese Zechen nicht, was man den belgischen zuerkennt?
Oder noch ein näherliegendes Beispiel: Was für die belgischen Kohlengruben zutrifft, trifft auch für eine ganze Reihe von Erzgruben in unserem Gebiet zu. Warum sind die ausgenommen? Und wenn es jetzt hübsch in Gemeinschaft gehen soll, warum ist uns dann nicht, nachdem es schon im Plan selbst nicht drin steht, die Zusicherung gegeben, daß wir den außerordentlichen Nachholbedarf unserer Eisen- und Stahlindustrie, der auf die Demontagen und auf die Kriegszerstörungen zurückzuführen ist, im Wege einer Förderung


(Henßler)

durch -die Schumanplan-Behörden möglichst schnell decken können,

(Sehr wahr! bei der SPD)

um gleiche Startmöglichkeiten zu schaffen?
Meine Damen und Herren, man könnte noch eine ganze Reihe anderer Einzelfragen aufwerfen. Bezüglich der südlichen Ruhrzechen hat Herr Dr. Grosse, wirtschaftswissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Verband der Bergarbeiter, darauf hingewiesen, daß man, als dieses Problem der südlichen Ruhrzechen angesprochen wurde, einfach erklärte: wenn sie nicht rentabel arbeiten können, müssen sie stillgelegt werden!

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Dabei ist man im Ruhrgebiet — auch da berufe ich mich wieder auf Fachleute — der Meinung, daß sich die Rentabilität dieser Zechen in verhältnismäßig wenig Jahren ändern kann, weil man beim Abteufen neuer Zechen im nördlichen Gebiet so große Schwierigkeiten überwinden muß, daß dies naturgemäß zu einer Verteuerung führt. Aber man kann diese Gruben nicht zeitweise stillegen. Hinzu kommt dabei noch, daß, wenn diese Gruben stillgelegt würden, die Wasserhaltung in diesen Zechen wahrscheinlich weiterbetrieben werden müßte, um zu verhüten, -daß andere noch in Betrieb befindliche Zechen dieses Wasser bekommen und dadurch die Gefahr des Versaufens eintritt.
Schließlich noch eine Bemerkung, die zu machen ich vergessen habe; ich will sie nachholen. Im Schumanplan ist davon die Rede, die Stahlfacharbeiter hätten ja Freizügigkeit im Bereich des Vertragsgebietes. Das gleiche heißt es von den Kohlenfacharbeitern. Diese werden aber wohl kaum in Frage kommen. Da befürchte ich auch nicht, daß man uns Investitionsmittel verweigert; denn wir sollen ja der große Kohlenlieferant sein.

(Abg. Dr. Preusker: Hoffentlich bald!)

Jedenfalls, als ich das von dieser Freizügigkeit las, erinnerte ich mich an die französische Propaganda in den Jahren 1945 und 1946, in der es hieß, man könne Deutschland unmöglich so industrialisieren, daß es für alle seine Menschen Arbeit habe; das sei eine Gefährdung der Sicherheit Frankreichs; deshalb gebe es nur eine Lösung: Deutschland müsse darauf verzichten, in entsprechendem Maße Waren auszuführen, und es müsse auf den Weg gewiesen werden, M e n s c h en auszuführen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wenn diese Frage in den Schumanplan-Verhandlungen wieder ausdrücklich angeschnitten wurde, wenn dabei von der Freizügigkeit und davon gesprochen wurde, daß beschäftigungslos werdende Stahlfacharbeiter ja auch in den Bergbau gehen könnten, so kann ich mir denken, daß man in den Kreisen, die an diesem Plan besonderes Interesse haben, ganz klar damit rechnet, daß die Wirkung des Plans eine Verkümmerung unserer Eisen- und Stahlindustrie sein wird.

(Zustimmung bei der SPD.)

Zu der Bindung auf 50 Jahre will ich nichts weiter sagen. Ich will nur feststellen, daß nicht einmal eine anständige Revisionsmöglichkeit vorgesehen ist. Heute wird uns gesagt: Ach, die wird ohnehin kommen! Nun, wenn die Interessenten an diesem Plan diese Revisionsmöglichkeit wollen, was hätte sie gehindert, in dem Plan selbst schon eine anständige Formulierung dafür zu finden?

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Noch eine weitere Bemerkung. In der Begründung wird zwar festgestellt, daß im Schumanplan die freie Entscheidung aller teilnehmenden Staaten darüber, ob sie eine Sozialisierung wollen, gewahrt geblieben sei. Aber ich muß sagen: das ist nicht präzis genug ausgedrückt. Wir wollen ja nicht bloß eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse, die uns schon vor zwei Jahren versprochen wurde

(Zuruf rechts: Aha!)

— ich glaube, wenn wir daran nicht immer wieder erinnern, vergißt die Regierung noch, was sie versprochen hat —,

(Sehr gut! bei der SPD)

sondern wir wollen zugleich mit der Sozialisierung auch eine planmäßige Gestaltung. Und da frage ich: Wird man dann gegen eine solche planwirtschaftliche Gestaltung nicht die Dezentralisationsbestimmungen ins Feld führen?
Meine Damen und Herren! Zum Schluß: Im Grundgesetz ist die Festlegung enthalten, daß die Bundesrepublik gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa sein soll. Ich unterstreiche: gleichberechtigtes. Ich denke auch an einen Beschluß vom 28. Juli 1950, den der Bundestag mit Ausnahme der Kommunisten einstimmig faßte. Er enthielt das Bekenntnis zur Gleichheit der Rechte aller europäischen Völker. Wir wünschen und verlangen von Ihnen, daß Sie zu diesem Ihrem eigenen Beschluß stehen.

(Abg. Dr. Arndt: Bravo!)'

Meine Damen und Herren! Der Schumanplan ist keine Wende in' der Praktizierung der Gleichberechtigung. Nach meiner Auffassung ist er nur Anlehnung an die alte Politik. Das Bestreben, eine neue Etappe in der Anpassung, mindestens in über die Wirtschaft an der Ruhr Verfügungsgewalt zu bekommen, ist dabei viel stärker als das Bestreben, europäische Einheit auf der Basis der Gleichberechtigung zu schaffen.

(Beifall bei der SPD.) Das ist unser Eindruck. Deshalb sagen wir ein hartes Nein zu diesem Vertragswerk, weil wir den Weg offenlassen wollen zu einer echten europäischen Neuordnung.


(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116102800
Das Wort- hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0116102900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus ist etwas diskussionsmüde geworden; dennoch halte ich mich für verpflichtet, auf einige Punkte hinzuweisen. Ich möchte mich in allererster Linie an den Herrn Kollegen Professor Dr. Schmid wenden und ihm erwidern. Dabei stelle ich fest, daß mir keines seiner Argumente, die er aus rechtlichen und politischen Gründen gegen das Vertragswerk vorgebracht hat, überzeugend ist. Herr Kollege Schmid hat den Grundsatz aufgestellt, daß man in der Politik ein Ja oder Nein nicht zu Prinzipien, sondern nur zu Fakten sagen könne.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116103000
Zielsetzungen!

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0116103100
Zu Zielsetzungen, jawohl.
Wir haben hier vor uns die Aufgabe, zu einem Ratifikationsgesetz Stellung zu nehmen, also zu einem Gesetz, zu dem man nur ja oder nein sagen kann. Wir haben deshalb die Fakten zu prüfen, die in dem Vertragswerk enthalten sind. Herr Kollege Schmid hat die These aufgestellt, mit dem


(Dr. von Merkatz)

Schumanplan werde eine Fortsetzung der Politik betrieben, die bereits nach dem ersten Weltkriege gegen uns durchgeführt worden ist. Ich muß dieser Feststellung gegenüber ,sagen, daß es nicht recht ersichtlich ist, wieso aus der Konstruktion dieses Vertrages eine Aufrechterhaltung jeher rein machtpolitischen Prinzipien gefolgert werden könnte.
Der Herr Kollege Schmid hat ferner gesagt, daß die Erfolge der Außenpolitik der Bundesregierung eine Frucht der Zeit gewesen seien, sozusagen nach dem Spruch: „Was Natur und Zeit getan, das sieht man dann_ als Besserung an!" Ich möchte dieser Auffassung von einer passiven Entwicklung lebhaft widersprechen.

(Sehr richtig! rechts.)

Ferner sind von ihm Einwendungen gegen den supranationalen Charakter des Vertragswerkes gemacht worden, d. h. gegen den überstaatlichen Charakter. Er wünschte, an die Stelle dieser Hohen Behörde und ihrer Organe mit übernationalem Charakter ein Organ der Kooperation gesetzt zu sehen, und wünschte außerdem einen hinreichenden demokratischen Unterbau. Ich möchte demgegenüber geltend machen, daß gerade die Ablösung der nur zwischenstaatlichen Konstruktion durch eine überstaatliche Konstruktion als ein Vorteil, als ein neuer Weg angesehen werden kann.
Der Herr Kollege Schmid hat ferner den Einwand erhoben, daß es nach Art. 24 des Grundgesetzes nur möglich sei, Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Vereinigung zu übertragen, daß aber die Übertragung auf überstaatliche Organisationen nicht möglich sei. Auch dieser These möchte ich im einzelnen widersprechen. Darauf
komme ich noch.
Vor allem ist von der Opposition die Frage aufgeworfen worden: Was bekommen wir dafür, daß wir uns auf dieses Vertragswerk einlassen? Welches ist der Vorteil, der sich für uns ergibt? — Mit keinem Wort ist in der heutigen Diskussion der Vorteil des einheitlichen Marktes überhaupt auch nur erwähnt worden. Auf die Dynamik der Verhältnisse ist man kaum eingegangen, und mit keiner Bemerkung ist man auf die Erlangung von Mitteln für Investitionen, auf die Möglichkeit, unsere Industrien auf modernen Stand zu bringen, was gerade zu den Hauptzielen und Hauptvorteilen des Vertragswerkes gehört, eingegangen. Wenn man schon die Frage stellt: „Was habt ihr davon, was gewinnt ihr für das, was ihr an Hoheitsrechten aufgebt?", dann müßte auch eine klare Analyse dieser Tatsachen des Gewinns des einheitlichen Marktes und der Möglichkeit, Investitionen zu erhalten, gemacht werden.
Doch nun zu den Einzelheiten. Dabei möchte ich zum juristischen Teil des Vertrags Stellung nehmen. Auf den Einwand, man könne nach Art. 24 des Grundgesetzes Hoheitsrechte nur auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, möchte ich nicht antworten, daß es sich bei diesem Argument nur um eine juristische Haarspalterei handele, sondern auf die Ausführungen Bezug nehmen, die Professor Erich Kaufmann vor dem Bundesrat gemacht hat. Professor Kaufmann hat nachgewiesen, daß es des Art. 24 im Grundgesetz gar nicht bedürfe, um Hoheitsrechte zu übertragen. Er hat auf einfache, im Völkerrecht längst bekannte Beispiele hingewiesen; z. B. wird, wenn ein Vertrag über eine Schiedsgerichtsbarkeit geschlossen wird, ein Hoheitsrecht, die Justizhoheit,
auf eine über dem Staat stehende Autorität übertragen. Denken Sie auch an die Rheinschiffahrtsakte, nach der an die Stelle eines nordrhein-westfälischen Oberlandesgerichts die Rheinschiffahrtskommission, also eine rechtsprechende und verwaltende Instanz tritt, oder denken Sie an Verträge, wie sie bei Bevölkerungsumsiedlungen geschlossen werden. Im Völkerrecht ist längst bekannt, daß man Hoheitsrechte auf ein überstaatliches Organ übertragen kann.
Professor Kaufmann hat ferner nachgewiesen, daß der Art. 32 des Grundgesetzes die Pflege der auswärtigen Beziehungen der ausschließlichen Kompetenz des Bundes zuweist. Die technische Durchführung dieser Pflege der auswärtigen Beziehungen ist im Art. 59 geregelt, in dem das alleinige Recht des Bundespräsidenten zur völkerrechtlichen Vertretung und die Rechte der gesetzgebenden Körperschaften, das Erfordernis ihrer Zustimmung zu internationalen Verträgen festgesetzt sind. Dieser Art. 59 praktiziert technisch den Art. 32. Ferner ist auf Art. 73 des Grundgesetzes hinzuweisen, nach welchem die Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten zur ausschließlichen Kompetenz des Bundes gehört. Hieraus ergibt sich, daß der Begriff der auswärtigen Beziehungen, der auswärtigen Angelegenheiten elastisch ist, daß alle Möglichkeiten, die dazu dienen, die Integration in einem größeren Verband internationaler Zusammenarbeit zu fördern, zu den auswärtigen Beziehungen gehören, und daß es daher auch dann, wenn Art. 24 nicht in der Verfassung stünde, durchaus in der Kompetenz des Bundes läge, Hoheitsrechte auf eine supranationale Organisation zu übertragen.
Ich möchte nun zu dem Begriff des Supranationalen Stellung nehmen. Das Wort ist nicht schön. Man sollte es ersetzen durch den Begriff des Überstaatlichen. Bei der Montanunion handelt es sich um eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Um es einfach auszudrücken: Der neue Weg, der hier eingeschlagen wird, ist nicht ein internationaler, auf dem man durch vertragliche Bindung — bei unabhängig bleibenden Staaten ohne Übertragung von Hoheitsrechten — eine Organisation errichtet wie es etwa der Völkerbund war, sondern hier wird ein teilweiser Bundesstaat errichtet, in dem die Hohe Behörde der Regierungsinstanz, der Ministerrat etwa dem Bundesrat, die gemeinsame Versammlung etwa dem Parlament und der beratende Ausschuß, der noch neben der Hohen Behörde steht, etwa einem Wirtschaftsrat entspricht. Hierbei ist darauf hinzuweisen, daß es eine solche teilweise Organisation eines Wirtschaftsstaats — hier wird ein Bundesstaat für das Gebiet Kohle und Stahl errichtet — nicht zuläßt, eine Organisationsform zu wählen wie sie ein Gesamtgefüge notwendig machte. Es ist ein Unterschied, ob ich mich bundesstaatlich, verfassungsrechtlich auf einem Teilgebiet einige, wie es damals auch beim Abschluß des Zollvereins geschehen ist, oder ob ich eine gesamtpolitische Organisation schaffe.
Aus diesem Grund ist die supranationale, also die von der Opposition angegriffene Kompetenz der Hohen Behörde nur außerordentlich unvollkommen ausgebildet worden. Das föderative Element überwiegt bei weitem. Der Ministerrat ist gerade das auf diesem Teilgebiet notwendige Organ, um, wie es in Art. 26 des Vertrags heißt, die Interessen der Staaten mit den Interessen der Montangemeinschaft zu harmonisieren. Wir dürfen uns über-


(Dr. von Merkatz)

haupt, glaube ich, die Übertragung der Hoheitsrechte an die Hohe Behörde nicht im Sinne einer Weitergabe von bestehenden Rechten vorstellen, sondern es handelt sich um die Neubegründung von Rechten. Es ist gar keine eigentliche Übertragung. Diese Fusion bedeutet, daß man an Stelle von deutschen, französischen, italienischen, luxemburgischen, belgischen und holländischen Hoheitsrechten ein europäisches Hoheitsrecht neu schafft. Es ist auch in einem Bundesstaat so, daß die Hoheitsgewalt der Zentrale etwas Neues, konstitutiv Neugeschaffenes ist gegenüber den untergehenden Souveränitätsrechten der Gliedstaaten.
Dieser Weg ist, glaube ich, die einzige Möglichkeit, um aus der bloßen Deklamation des europäischen Gedankens zu einer praktischen Tat hinüberzugelangen. Es geht hier um gemeinsame Interessen, um gemeinsames Handeln und letzthin dann auch um einen gemeinsamen Geist. Wenn man nicht daran glauben kann, daß dieser gemeinsame Geist und die Dynamik, die in dem Vertragswerk zum Ausdruck kommen, doch eines Tages dazu führen können, die Integration im europäischen Zusammenhang auf einer höheren Ebene zu vollziehen, wenn man hier Vorstellungen aus der Machtpolitik des 19. Jahrhunderts in den Vordergrund stellt und es bei aller nüchternen Prüfung im gegenwärtigen Zustand für überhaupt noch nicht möglich hält, solch eine Organisation zustande zu bringen, dann verneint man eben doch in der Praxis die Möglichkeit eines europäischen Zusammenschlusses. Darum ist nicht herumzukommen. Wenn man einen wirklichen europäischen Bundesstaat schaffen will, dann muß dies das Ende des nationalen Egoismus sein.
Dabei ist es zweifellos — und 'ich Möchte hier den Wunsch meiner politischen Freunde angelegentlich in den Vordergrund stellen — unsere besondere Pflicht, mit aller Nüchternheit die Fakten eingehend zu prüfen. Alles, was bisher in dieser Beziehung vorgetragen worden ist, trägt in sich ein spekulatives Element und in keiner Weise den Beweis. Wenn Sie uns vorwerfen, es sei ein „goldener Nebel von Illusionen aufgeblasen worden", so möchte ich demgegenüber mit dem gleichen Recht betonen: Ihr Pessimismus, Ihre nur negative Auslegung des Vertragswerks ist doch auch nichts anderes als irgendeine Spekulation. Unsere Pflicht in den nächsten Wochen und Monaten ist es, endlich aus der negativen oder positiven Spekulation zu einer wirklichen Analyse der Tatsachen zu kommen.

(Beifall bei der DP.)

Nun wurde weiter gesagt, es fehle hier an dem demokratischen Unterbau. Sehen wir uns doch einmal an, was die gemeinsame Versammlung zu tun hat. Sie hat die parlamentarische Kontrolle. Ich gebe zu, es ist schwierig, das Recht, die Hohe Behörde zu stürzen, jenes Mißtrauensvotum praktikabel zu machen. Dennoch, solche internationalen Gremien haben es an sich, daß 'die Voten eines solchen Parlaments zu einem sehr viel empfindlicheren Reagieren all derer führen werden, an die sie gerichtet sind. Im übrigen ist dafür Sorge getragen, daß die immer noch bestehenden und nicht zu übergehenden nationalen Belange im Ministerrat in gradueller Verschiedenheit zum Ausdruck kommen können. Insbesondere ist ein Abstimmungsverfahren vorgesehen, das eine Majorisierung unseres Landes bei lebenswichtigen Fragen verhindert.
Gewiß, die Gesetzgebungskompetenz liegt nicht bei der gemeinsamen Versammlung. Wenn sie aber da läge, könnte man im Sinne der Argumentation der Opposition eher sagen, daß damit ein Zuviel gegeben sei; denn gerade weil wir eben nur auf einem Teilgebiet zu jener Gemeinschaft gekommen sind, ist es eben unmöglich, auf diesem Teilgebiet die Gesetzgebungsgewalt in die Gemeinschaft hineinzuverlegen. Die Gesetzgebungsgewalt muß bei den Paktstaaten der Gemeinschaft bleiben. Das ist eine Einschränkung im Sinne jener Sicherungen, die die Opposition gefordert hat, damit eine nationale Wirtschaftspolitik noch möglich bleibt.
Ein Gebiet wird hierbei stets außer acht gelassen. Die hohe Bedeutung der Gerichtsbarkeit. Sie füllt die Lücke der nicht vollkommen entwickelten parlamentarischen Kontrolle aus. Es- ist nicht so, wie es heute morgen dargestellt wurde, daß dieses Gericht die wirtschaftlichen Tatsachen nicht überprüfen könne. Das Gericht kann die wirtschaftlichen Tatsachen — ich denke hier an die Anfechtungsklage gegenüber den Beschlüssen der Hohen Behörde — durchaus überprüfen, d. h. die einzelnen Elemente, die zu einer Beschlußfassung der Hohen Behörde geführt haben. Dabei kann es allerdings nicht das Zusammenfügen der wirtschaftlichen Tatsachen, auf Grund dessen die Hohe Behörde ihren Beschluß gefaßt hat, überprüfen. Das heißt: das Gericht kann nicht die Ermessensfrage überprüfen, wie die Hohe Behörde diese einzelnen wirtschaftlichen Fakten kombiniert hat. Nur dann kann das Gericht auch diese Tatsachen und auch diesen Vorgang überprüfen, wenn es sich um einen Ermessensmißbrauch handelt.
Ein wichtiges Ventil aber ist bei der Diskussion völlig unbeachtet geblieben. Gegenüber dem Prinzip des Art. 33, das die Nachprüfungskompetenz des Gerichts auf den Ermessensmißbrauch beschränkt, ist in allen Fragen, in denen die vitalen Interessen eines Landes berührt werden, gemäß Art. 37 eine Nachprüfung auch der materiellen wirtschaftlichen Entscheidungsgründe der Hohen Behörde möglich. Gerade für Deutschland kann man
angesichts der Lage, in der wir uns nun einmal befinden — das Vorhandensein dieses Gerichtshofes als eine außerordentlich wichtige Sicherung betrachten. Bei der Diskussion heute morgen sind diese wohlbedachten Vertragsbestimmungen nicht gebührend berücksichtigt worden.
Dann wird immer mit der Behauptung operiert, es sei keine Revisionsklausel vorgesehen. Ich muß dem widersprechen. Im Art. 95, wenn ich ihn recht im Kopf habe, ist die sogenannte kleine Revision und in Art. 96 die große Revision vorgesehen. Gewiß, sie ist schwer durchführbar. Wenn ich die Herren von der Opposition richtig verstanden habe, so fehlt ihnen die Kündigungsklausel. Wenn man aber einen Vertrag über die Schaffung eines bundesstaatsähnlichen Gebildes schließen will, dann ist es ausgeschlossen, etwa bloß einen kurzen Zeitraum des Experimentes vorzusehen. Es gehört zum Wesen völkerrechtlicher Verträge, die in sich ein Verfassungsrecht setzen, wie das hier beim Schumanplan der Fall ist, daß lange Fristen für ihre Existenz gelten. Wenn Herr Professor Baade schreibt, daß man eine Null zuviel gemacht hätte, daß dieser Vertrag auf 5 Jahre hätte befristet werden müssen, so möchte ich darauf folgendes erwidern: aus den Durchführungsbestimmungen ergibt sich, daß der Schumanplan tatsächlich erst in fünf Jahren in Kraft tritt. Damit ist ja alles das ge-


(Dr. von Merkatz)

wahrt, was Herr Professor Baade in seinem Artikel in dieser Hinsicht gefordert hat.
Wenn ich so die Argumente der Opposition, die selbstverständlich einer genauen Analyse im Ausschuß bedürfen, wenigstens, was die juristische Seite betrifft, Revue passieren lasse, dann kommt es mir so vor, als sei doch der Grund der Ablehnung auf einem anderen Gebiet zu suchen, als bringe man gewisse Argumente vor, die einer wirklichen Analyse nicht standhalten können. Der Verlauf der Debatte heute hat in keinem Punkt etwas wirklich Schlüssiges gegen das Vertragswerk ergeben.
Zum Abschluß darf ich nur noch auf eines hinweisen. Es wurde die Behauptung aufgestellt, daß ein konstruktives Nein die Dinge fördern könnte. Das klingt sehr gut. Es ist gewiß richtig, daß in der Politik wie im Leben überhaupt ein Prüfen der Kraft, nein zu sagen, ein Charaktertest ist. Es ist leichter ja als nein zu sagen. Mit einer Formulierung wie „konstruktives Nein" wird also eine gewisse Überzeugung aus der Lebenserfahrung heraus angesprochen. Dennoch ist diese Formulierung angesichts unserer deutschen Situation so falsch wie nur irgend möglich. Hätten wir damals, 1948, als es um die Frage ging, die Londoner Empfehlungen zu schlucken oder nicht, ein „konstruktives Nein" gesagt, dann säßen wir heute noch in Trizonesien. Ich weiß nicht, ob eine solche Labilität bei den Verhältnissen unseres Landes, bei unserer Nähe der Auseinandersetzung der Welt mit dem Bolschewismus angebracht ist. Auch das sollte einmal mit tiefer Verantwortung geprüft werden. Es kommt in unserer Lage immer darauf an, die Positionen zu gewinnen, aus denen heraus wir um unser gutes Recht kämpfen können. Es wäre nichts falscher als zu behaupten, in dieser Situation flögen uns die außerpolitischen Erfolge zu wie die gebratenen Tauben in den offenen Mund. Passivität in unserer Lage dürfte überaus verderblich sein. Wir haben hier etwas zu gestalten.
Insofern glaube ich, daß Prinzipien und Ideen — hier in bezug auf die Neukonstruktion einer europäischen Ordnung — auch Fakten sind. Auch wir haben bei dieser Neukonstruktion unseren Beitrag zu leisten, allerdings nicht in Form irgendeiner Vorleistung, mit der wir deutsche Belange preisgeben würden. Eine Politik der Vorleistungen, der Nachgiebigkeit, des leichten Ja wird von meinen politischen Freunden niemals gebilligt werden, aber eine Politik der Aktivität, der Dynamik und der Konstruktion einer wirklichen Zukunft wird von uns mit ganzem Herzen bejaht. Wir hoffen, -daß eine eingehende Prüfung dieses Vertragswerks die Einwendungen der Opposition zerstreuen wird.

(Lebhafter Beifall bei der DP und FDP.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116103200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.

Dr. Gebhard Seelos (BP):
Rede ID: ID0116103300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt kaum ein Geschlecht, das im Laufe der menschlichen Entwicklung so wie wir den Wechsel der historischen Gegebenheiten in der kurzen Spanne seines Lebens durchschritten hat. Einmal Sieger, dann Besiegte, Monarchie, Demokratie, Diktatur und wieder Demokratie! Wir waren Zeugen der tragischen Entwicklung, wie ein großer Kontinent, der jahrhundertelang die Geschicke der Welt bestimmte, in einem Menschenalter die Führung verloren hat. In wirtschaftlicher Hinsicht haben wir den Glanz der freien Weltwirtschaft vor dem ersten Weltkrieg gesehen, dann die Zwangswirtschaft, Abkapselung und Hemmungen durch diktatorische Mächte. Wir mußten die Zerreißung gegebener Wirtschaftsräume durch menschliche Willkür miterleben, nach dem ersten Weltkrieg von Österreich-Ungarn, nach dem zweiten Weltkrieg von Deutschland. Es ist aber nun interessant, hier zu sehen, daß sich nach wenigen Jahren diese künstlich gebildeten Wirtschaftsgebiete, allerdings mit vielen Kapitalfehlleitungen, wieder erholt haben. Wenn sich also die Wirtschaft eines Landes selbst so ungünstigen Gegebenheiten anpassen kann, nimmt sie im Falle des Zusammenschlusses von kleineren Staaten zu einem großen Wirtschaftsgebiet erfahrungsgemäß einen ungeheuren Aufschwung, wie das schon einige Male im Hinblick auf den Zollverein betont worden ist. In unserer Zeit vollends sind große Wirtschaftsgebiete eine absolute Notwendigkeit. Die Vereinigten Staaten von Amerika besitzen, gerechnet nach der Bevölkerungszahl, ein Vielfaches an wirtschaftlicher Potenz gegenüber dem zerrissenen Europa.
Wenn nun in Europa der Gedanke auftaucht, auf einem wirtschaftlichen Teilausschnitt das Wirtschaftsgebiet zu vergrößern, wie dies der Schumanplan tut, dann liegt es nahe, auf ähnlich günstige Wirkungen rechnen zu können, wie sie bei den bestehenden Wirtschaftsgroßräumen vorhanden sind. Deswegen befriedigen auch die Ausführungen von Professor Schmid und der anderen Redner der SPD in keiner Weise, weil sie das Positive des Schumanplans nicht sehen wollen, sondern sich geradezu in all die möglichen Gefahren verbeißen, die drohen können. Wenn man so eingestellt ist, dann können wir nicht mehr spazieren gehen und frische Luft schöpfen, weil uns ein tollwütiger Hund anfallen kann; dann können wir nicht mehr auf dem Bürgersteig gehen, weil ein Lastwagen vielleicht herauffahren kann;

(Sehr gut! bei der BP)

dann können wir schließlich kaum mehr im Bundestag sitzen, weil die Decke einmal herunterfallen könnte.

(Beifall rechts. — Abg. Dr. Arndt: Oder wir müssen Sie reden hören! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Das Negative hat die Reden der SPD bestimmt, aus denen die negative Haltung von Herrn Dr. Schumacher zu allen Fragen sprach. Wo bleibt da noch Treu und Glauben in der Welt,

(Lachen bei der SPD)

wo bleibt der Ausgleich von Gegensätzen, die naturgemäß nun einmal in der Welt bestehen?

(Zurufe von der SPD.)

Ich habe aufgezeigt, wie früher in verantwortungsloser Weise durch einen Federstrich Wirtschaftseinheiten zerrissen worden sind und sich trotzdem rasch erholt haben. Wie unverständlich aber wird da der Widerstand gegen eine Regelung, die in analogen Fällen der Wirtschaft allen Beteiligten größten Auftrieb gab! Es liegt in dieser Angst das Eingeständnis eines uns früher unbekannten Minderwertigkeitsgefühls gegenüber der eigenen deutschen Leistung. Warum wollen wir nicht mehr wagen, unter einigermaßen gleichen Bedingungen einen wirtschaftlichen Wettstreit aufzunehmen, den wir in früheren Zeiten doch meist zu unseren Gunsten entschieden haben? Wenn man bedenkt, daß der wirtschaftliche Verlust des Weltkrieges, der durch die ständigen Kämpfe und Rivalitäten in Europa hervorgerufen worden ist, für Deutschland etwa 40 % seines Nationalvermögens


(Dr. Seelos)

oder einige 180 Milliarden Goldmark betragen hat, dann kann man es nicht verstehen, daß man jetzt wegen Beträgen, die zunächst eine Belastung von nicht 100 Millionen D-Mark bringen, oder aus der Furcht, nicht genau so - viel an dem allgemeinen Aufschwung zu profitieren wie vielleicht Frankreich mit seiner zugegebenerweise bedeutend moderneren Stahl- und Eisenindustrie, sich gegen den Plan wenden zu müssen glaubt. In Frage steht noch nicht einmal ein Promille des Verlustes, der durch einen Krieg in Europa hervorgerufen werden könnte. Man sieht nur dieses Promille und sieht nicht den möglichen Riesenverlust, der aus einer Ablehnung dann mit viel stärkerer Wahrscheinlichkeit droht.
Es ist auch verwunderlich, daß sich gerade die SPD so sehr gegen die Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten sträubt, die in ihren Anfängen stets internationale Gedanken und die Überwindung einer engen nationalen Sicht betont hat. Es ist für mich kein Argument, wenn Professor Schmid sagt, daß ich wenige souveräne Rechte nicht aufgeben will, weil ich mehr souveräne Rechte aufgeben sollte.
Ferner ist es doch eine leere Drohung, wenn Professor Schmid sagt, daß der Block der fünf anderen Länder sich zur Vernichtung Deutschlands verbindet oder daß der Schumanplan die Fortsetzung der Unterdrückungspolitik nach dem zweiten Weltkrieg sei oder daß die freiwillige Übernahme eines solchen Vertrags wie ein Besatzungsstatut wirke, das uns erdrücke. Was sind das alles für Zeichen und Äußerungen der reinen Negation, die jeden Fortschritt zum Positiven verhindert? Gerade als Föderalist muß ich doch darauf hinweisen, daß sich die SPD mit dieser Einstellung, nichts an Souveränität und an nationalen Rechten und Vorteilen abgeben zu wollen, zu europäischen Partikularisten deklariert.

(Beifall bei der BP. — Widerspruch bei der SPD.)

Der Haltung der SPD entspricht drüben auf der anderen Seite die Haltung der französischen Rechtsradikalen,

(Zurufe von der SPD: Au!)

die vom Schumanplan als von einem wirtschaftlichen Sedan oder einem deutschen Börsencoup im Dienste des deutschen Imperialismus und des zukünftigen deutschen Europas sprechen. Stellen Sie diese Äußerungen den Äußerungen gegenüber, die ich jetzt aus der Rede von Professor Schmid zitiert habe, dann sieht man hier gerade eine eklatante Ähnlichkeit.

(Zurufe von der SPD.)

Schließlich müssen wir in Deutschland auch bedenken, daß wir nicht auf alle Zeiten die Unterstützung der USA haben, um den derzeitigen europäischen Partikularismus finanzieren zu können. Die Amerikaner könnten sich vielleicht einmal aus politischen Gründen oder aus wirtschaftlichem Zwang dazu entschließen, nicht mehr den Milliarden-Strom nach Europa fließen zu lassen. Dann mag es zu spät sein, Maßnahmen zu treffen, die nur als Ergebnis einer langen Entwicklung gedeihlich sind und für die das nötige Kapital nicht auf Anhieb aufzubringen ist. Zur Zeit allerdings scheinen die Geldgeber der Welt, die USA, gewillt zu sein, gewisse Kapitalien zu investieren, wenn Europa in der Gestaltung seiner bisher so zerrissenen Wirtschaft Vernunft beweist, d. h. einen Weg einschlägt, der mit dem Schumanplan seinen Anfang nimmt.
Sicherlich könnte man nun nach dem Vorsprung, den Frankreich mit ERP-Geldern im Ausbau seiner Stahlindustrie hat, fordern, daß man die künftigen Kredite für die Schumanplan-Organisation hauptsächlich nach Deutschland lenkt — wie es auch der SPD-Antrag verlangt —, um ihm die gleichen Start- und Konkurrenzbedingungen zu geben. Es ist aber ein unmögliches Verlangen, wie es die SPD in geradezu naiver Weise in der Form anzubringen sucht, die Zuweisungen sämtlicher in nächster Zeit zur Verfügung gestellten internationalen Kredite an Deutschland als Bedingung der Unterzeichnung zu fordern, wie das wiederholt in öffentlichen Äußerungen, wenn auch nicht in der Formulierung des heutigen Antrags, geschehen ist. Das Drohen mit der Nicht-Unterzeichnung, wenn man nicht die und die Bedingungen erfüllt, ist eine gefährliche Waffe. Wir sollten uns diese Manöver, die in der Ära Wilhelms II. gang und gäbe waren, endlich abgewöhnen, insbesondere, nachdem wir zwei Kriege mit Glanz und Gloria verloren haben.
Deutschland ist für Europa nicht absolut unentbehrlich. Es kann aber Europa sehr nützlich sein; und unsere Argumentation muß dahin gehen, diesen Nutzen, den Europa von der Mitarbeit Deutschlands hat, zu beweisen. Das tut man mit Taten und nicht mit Negationen, man tut es mit einem Bekenntnis zu gemeinschaftlicher Arbeit. Es wäre ein entsetzliches Unglück für Deutschland, wenn sich die Welt von uns zurückziehen würde und Deutschland in seiner Menschenfülle und Not allein ließe.
Wenn man wenigstens das Gefühl hätte, daß sich die SPD aus nationalen oder aus wirtschaftlichen Gründen gegen den Schumanplan wehrt, dann könnte man ihre Haltung noch einigermaßen verstehen und achten. Leider muß man aus der ganzen Art der Ablehnung die Überzeugung gewinnen, daß die SPD diesen Schritt zu Europa vor allem ablehnt, um andere innenpolitische Interessen und Kontroversen gegen die bestehende, ihr so verhaßte Regierung auszutragen und ihr Schwierigkeiten zu bereiten.

(Abg. Mellies: Sie sind ja furchtbar klug!)

Anlaß zu dieser Annahme gibt schon der langsame Wandel in der Militarisierungsfrage, ferner die Art, wie Sie sich anläßlich des Beitritts zum Straßburger Europarat betragen haben. Sie haben sich damals so sehr dagegen gewehrt. Der Europarat war für uns vor einem Jahr von großer politischer Bedeutung, weil die Weltmeinung es nicht verstanden hätte, wenn wir von dem Angebot der Rückkehr in die europäische Völkerfamilie keinen Gebrauch gemacht hätten, noch dazu, da man damals aus dem Europarat eine Art europäischen Föderativstaat wachsen lassen wollte. Schon nach einem Jahr ist die Bedeutung des Europarats stark gesunken. Seine Entschlüsse spielen heute nicht mehr die Rolle wie vor einem Jahr. Heute noch würde aber die Verärgerung eine Rolle spielen, die wir in der ganzen Welt erregt hätten, wenn wir damals nicht eingetreten wären.
Auch der Schumanplan kann in ein oder zwei Jahren durch andere Fakten ein anderes Gesicht und ein anderes Gewicht bekommen. Heute aber bedeutet er in der Meinung der Welt einen wesentlichen Schritt hin zur Befriedung Europas.
Es ist auffallend, daß die Schumanplan-Verhandlungen dreiviertel Jahre unter Zuziehung von Vertretern der SPD vor sich gehen konnten, bis man plötzlich aus den Reihen der SPD in so prononcierter Weise die Offensive gegen den Schumanplan aufgenommen hat, nämlich in dem Zeitpunkt, als


(Dr. Seelos)

er sich zu einem großen entscheidenden Werk für die Versöhnung Frankreichs und Deutschlands, für die Gleichberechtigung Deutschlands, für die Kräftigung Europas und als ein bedeutender außenpolitischer Erfolg der Bundesregierung abzuzeichnen begann.
Das Verhalten der SPD erinnert sehr an das Verhalten in früheren Friedens- und Abrüstungskonferenzen, wie z. B. im Haag in den Jahren 1899 und 1906. Kaum eine der damals beteiligten Großmächte hatte die ernste Absicht abzurüsten, und Deutschland hatte ganz gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung seiner Rüstung. Aber Deutschland allein hatte in geradezu plumper Weise seinen Willen, nicht abzurüsten, verkündet und es dadurch den anderen Mächten leicht gemacht, ihrerseits die Schuld am Mißlingen der Abrüstungskonferenzen auf Deutschland zu schieben und damals den Grund für die Mär zu legen, daß Deutschland den Krieg bewußt vorbereite.

(Zurufe links)

Insbesondere hat Kaiser Wilhelm II. durch ganz
törichte Bemerkungen diesen Eindruck verstärkt.

(Abg. Dr. Greve: Der war aber doch kein Sozialdemokrat! — Unruhe und weitere Zurufe von der SPD.)

Ich möchte nun nicht Herrn Schumacher mit Kaiser Wilhelm II. in irgendeiner Weise vergleichen,

(Heiterkeit. — Erneute Zurufe von der SPD)

aber seine Äußerungen zum Schumanplan haben im Ausland teilweise mit Recht dieselbe Reaktion hervorgerufen, wie es die Äußerungen Wilhelms II. zu diesen Friedenskonferenzen getan haben.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD.)

— Ein bißchen Geschichtsunterricht tut Ihnen recht gut. Verfolgen Sie einmal die Akten der Haager Konferenz!

(Abg. Dr. Greve: Wo haben Sie denn Ihre Kenntnisse her? Aus dem Hofbräuhaus? — Weitere Unruhe bei der SPD. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116103400
Stören Sie doch bitte den Redner nicht!

(Abg. Dr. Greve: Er stört uns, Herr Präsident! — Heiterkeit.)


Dr. Gebhard Seelos (BP):
Rede ID: ID0116103500
Das gilt insbesondere, wenn Sie von Herrn Schumacher Äußerungen hören, wie etwa, daß der Schumanplan eine zweite Kapitulation nach 6 Jahren bedeute, oder der Besuch des Kanzlers in Paris zu diesem Zweck sei ein Ritt über den Bodensee, oder der Vertrag sei die Geburtsurkunde einer neuen prokommunistischen Partei, wobei die USA die Rolle des Standesbeamten spielten — das ist der Jargon des Ostens —,

(Lachen bei der SPD)

oder der Schumanplan sei eine antidemokratische und technokratische Diktatur, gegen die er das deutsche Volk zur Mobilmachung aufrufe.

(Abg. Dr. Greve: Alles richtig, Herr Seelos! — Abg. Dr. Arndt: Sie sollten es mal gut lernen!)

Wer steht denn nun auf Ihrer Seite und auf der Seite von Herrn Schumacher in diesem Haus, im Bundestag?

(Abg. Dr. Greve: Gut, daß S i e nicht dastehen!)

Die Herren Dorls, Richter, Renner, Loritz und Schumacher,

(lebhafter Widerspruch und Lachen bei der SPD)

und draußen die Kommunisten, die Ostzone, Sowjetrußland, die französischen Kommunisten und einige rechtsradikale französische Schwerindustrielle. In was für einer Gesellschaft befindet sich denn Herr Dr. Schumacher? Gibt Ihnen das nicht zu denken, daß die Straße, aufgehetzt von den Kommunisten, gegen den Schumanplan demonstriert und daß unsere Pulte von kommunistischen Schreiben gegen den Schumanplan voll sind!

(Abg. Renner: Sie werden doch noch Minister! — Lachen links.)

Im Europarat war das Stimmenverhältnis für den Schumanplan glaube ich, 80 ,zu 7; nämlich gegen die 7 deutschen sozialistischen Stimmen hat das ganze andere geschlossene Europa — und zu diesem Europa gehören die Sozialisten der anderen europäischen Staaten — den Schumanplan angenommen; auch die englische Labour Party.

(Abg. Dr. Greve: Das besagt für die Richtigkeit dieser 80 Stimmen noch gar nichts!)

— Ich glaube gern, daß alle diese 80 Idioten und Sie die einzigen Intelligenten waren.

(Zuruf von der SPD: Wenn man's so betrachtet, könnte es darauf hinauskommen!)

So hat zum Beispiel der französische Sozialist André Philipp, den Sie zitiert haben, hinreißende und überzeugende Worte zugunsten des Schumanplans gefunden.

(Abg. Dr. Greve: So wie Sie jetzt!)

Es stehen auf der anderen Seite Ihnen gegenüber die Gewerkschaften Deutschlands mit einem bedingten Ja

(Abg. Dr. Greve: Das ist ja gar nicht wahr!)

und die Gewerkschaften Europas. Herr Schumacher hat Sie, die SPD, in eine hoffnungslose Isolierung hineinmanövriert,

(Widerspruch bei der SPD)

und nun wollen Sie mit der Verbissenheit, die gerade Ihrem Führer so eigen ist, Ihre falsche Linie zum Verderben des deutschen Volkes weiterverfolgen.

(Weiterer Widerspruch bei der SPD.)

Es gibt eben in der Politik Männer und Macher.
Männer sind Menschen, die Konzeptionen haben,
die die Probleme sachlich und positiv lösen wollen,

(weitere Zurufe von der SPD)

die die Sache immer über die Partei und Parteitaktik stellen, die mit konstruktiver Mitarbeit Schwierigkeiten zu überwinden suchen und denen vor allem etwas eigen ist: ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl.

(Abg. Dr. Greve: Hier ist doch gar kein Zirkus in der Nähe!)

Macher sind solche Leute, die die Probleme nur unter ihren parteipolitischen Gesichtspunkten sehen, denen es nicht um konstruktive Lösungen geht, sondern nur um zersetzendes Tun und Handeln. Männer und Macher der Politik! Und heute steht gegenüber: Schuman contra Schumacher.

(Lachen bei der SPD.)

Der Kampf und die Diskussion, die sich hier vollziehen, sind deswegen beschämend, weil sie so fernstehen von einer großen Idee, die seit Jahrhunderten uns endlich wieder zu einer Befreiung von unserer nationalen Enge bringt und die uns die


(Dr. Seelos)

Völker Europas wieder sehen läßt, wie wir sie einst im Mittelalter als eine einzige große Völkerfamilie kannten, und weil auch dadurch eine rein materielle Verbesserung in unserem Volke erzielt wird.
Deswegen bekennt sich die Bayernpartei zum Schumanplan. Wir sehen, wie die anderen Redner Bedenken und Besorgnisse äußern. Auch wir fordern mit vollem Nachdruck, wenn diese Spule auch schon einige Male abgespult worden ist, die Beseitigung der Bestimmungen des Ruhrstatuts, der Beschränkungen der Verbundwirtschaft, die Aufrechterhaltung der Kohlenzentrale; wir fordern, daß diese Fragen in der Weise geregelt werden, um die Konkurrenz- und Startbedingungen in Deutschland mit denen der anderen Staaten gleich zu gestalten.
Wenn das geschieht—und nach den Mitteilungen der Bundesregierung, die wir heute bekommen haben, sind ja einige dieser Bedenken schon durch feste Zusagen ausgeräumt —, dann ist unser Bekenntnis zur Idee des Schumanplans durchaus positiv, weil wir mit ihm nicht nur etwas zum Wohle unseres Volkes, sondern auch zum Wohle Europas und der Welt zu tun glauben und weil wir damit den ersten Schritt in eine freie Welt und bessere Zukunft sehen.

(Beifall bei der BP.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116103600
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0116103700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, die Ausführungen, die der Herr Abgeordnete Seelos soeben gemacht hat, auf Staatskosten im „Kötztinger Bayernwaldboten" zu veröffentlichen.

(Heiterkeit. — Erregte Zurufe des Abg. Dr. Seelos.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0116103800
Herr Abgeordneter Arndt, was Sie hier sagten, nehme ich nicht als einen von der Geschäftsordnung vorgesehenen Antrag entgegen.

(Abg. Renner: Es fehlt tier Deckungsvorschlag! — Anhaltende Heiterkeit.)

Wir fahren fort. Das Wort hat der Abg. Preusker.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0116103900
Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß wir die Diskussion mit dem Ernst und der Sachlichkeit weiterführen können, die allein dieser für uns Deutsche so entscheidenden Frage angemessen sein kann.

(Abg. Dr. Greve: Der Zirkus ist inzwischen abgereist!)

Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, in denen es in dem ganzen Haus, glaube ich, sehr wenig Differenzen gibt, so etwa die Fragen der Unvereinbarkeit der Ruhrbehörde, der Unvereinbarkeit der Aufrechterhaltung der Stahlquote und Stahlkontrollgruppen, der Eingriffe des Koblenzer Sicherheitsamtes mit einer europäischen Montanunion. Diese Fragen müssen alle außerhalb des Schuman-plans vorweg aus dem Geist des Überganges von dem Verhältnis von Besatzungsmächten zu Besiegten in das Verhältnis von gleichberechtigten Partnern in Europa gelöst werden.
Aber auch der Schumanplan selbst, so wie er jetzt vor uns liegt und verabschiedet werden soll, wirft eine Reihe von Fragen auf, bei denen Besorgnisse tatsächlich berechtigt sind. Es bedarf der ernsten Prüfung aller Argumente, ob man diese Besorgnisse tatsächlich als so schwerwiegend ansehen muß, daß man deswegen zur Ablehnung eines politisch so außerordentlich zukunftsträchtigen Gedankens kommen muß, oder ob man umgekehrt die Überzeugung hat, daß die Kräfte stark genug sind, um die Entwicklung in eine bessere Zukunft zu führen.

(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

Wenn ich noch einmal vieles von dem an mir vorübergehen lasse, was von der Opposition vorgetragen wurde, so erinnert mich das etwas an die Debatten, die vor der Währungsreform um die Frage stattfanden, ob man denn mit der Währungsreform von dem System der Zwangsbewirtschaftung weg in die freie Wirtschaft, in die Wettbewerbswirtschaft hinein gehen könne. Es war damals auch die Opposition, die glaubte, man könne diesen Mut nicht haben, es seien zu viele Widerstände da, man wisse nicht, wie sich die Preise entwickelten, man wisse nicht, ob genügend Waren vorhanden sein würden, die Arbeitslosigkeit könne sich in katastrophaler Weise entwickeln. Es waren überall Sorgen und Bedenken.
Aber gerade die Kraft und die Leistungsfähigkeit eines ganzen Volkes, die man hier entfesselte, waren es, die alle diese Bedenken binnen kürzester Zeit zu einem Nichts werden ließen, die zu einem bisher doch wirklich erfolgreichen Anstieg der Produktion, der Beschäftigung und letzten Endes auch — das möchte ich gerade in diesem Zusammenhang herausstellen — Wandel in der politischen Situation Deutschlands gegenüber der Welt geführt haben. Glauben Sie denn im Ernst, meine Damen und Herren, daß irgend jemand draußen diesen Faktor Deutschland, wenn er wirtschaftlich noch so aussehen würde wie unmittelbar vor der Währungsreform, mit einem Produktionsindex von 47 % des Jahres 1936, mit all den chaotischen Zuständen eines schwarzen Marktes und einer zurückgestauten Inflation, für wert halten würde, ihn gleichberechtigt — jetzt endlich bar aller Fesseln der Wirtschaft — in eine europäische Wirtschaftsunion aufzunehmen?! Man würde dieses Deutschland doch höchstens als lästigen Ballast, als ein gefährliches Elendsquartier ansehen, aber nicht als einen Partner, den man braucht und auf den man Wert legt. Insofern hängen doch gerade die wirtschaftlichen Eigenleistungen unseres Volkes mit der politischen Beseitigung der Minderberechtigung aufs aller-engste zusammen. Ich möchte deshalb hier auch dem Herrn Professor Carlo Schmid entgegenhalten: es war nicht nur die Zeit, die uns an diesen Punkt geführt hat, sondern es waren nicht zuletzt die eben geschilderten Leistungen, die ein Volk vollbrachte, weil es wieder Kraft und Vertrauen zu sich selbst haben durfte, weil man ihm die Fesseln abgenommen hatte.
Lassen Sie mich damit gleich auf einen Einwand zurückkommen, der von Herrn Professor Schmid in der Diskussion gemacht wurde und sicher ernster Überlegung bedarf. Er sagte: Wenn man nur zu dem Zweck, das, was gegenwärtig ist, die Ruhrbehörde, die Kontrollgruppen, die Eingriffe der Alliierten — das würde ja sicher ohne Schumanplan zunächst noch bleiben und eine weitere Kraftentfaltung, um die uns gegenwärtig so behindernden Engpässe zu überwinden, erschweren —, das alles zu beseitigen, in diese Montanunion hineinginge, obwohl sie nicht ganz eine Zollunion, eine europäische Wirtschaftsunion darstellt, sondern erst auf Teilgebieten zu einer solchen übernationalen Marktgemeinschaft führen soll, könnte aus dieser Beschränkung heraus unter Umständen die Gefahr


(Dr. Preusker)

erwachsen, daß man gar nicht mehr zum Ganzen kommen kann, weil die Widerstände oder die Hindernisse zu groß werden könnten. Er sagte, insbesondere liege diese Gefahr darin, daß die Ausgangspunkte so unterschiedlich seien. Wir hätten zwar jetzt in der Montanunion überall die formale Gleichberechtigung, aber im Materiellen seien die Dinge so, daß wir doch mit einem schweren Handikap, mit dem Handikap von demontierten Produktionszweigen, von Betrieben, die jahrelang nicht in der Lage gewesen seien, sich zu erneuern, in diese Ehe hineingehen würden. Nun, es wird im Leben immer so sein, daß hinter der formellen Gleichberechtigung im Materiellen sehr große Differenzierungen stehen. Das werden Sie einfach nicht verhindern können. Wenn man deswegen, weil man nicht auch im Materiellen die absolute Gleichberechtigung hat, den Mut zu einem Schritt nicht findet — ja, meine Damen und Herren, welcher junge Mann oder welches junge Mädchen sollte dann überhaupt noch den Mut zum Aufbau einer eigenen Existenz, zur Entwicklung seines eigenen Lebensweges finden, wenn sie bloß immer darauf sähen, daß es andere im reiferen Alter gibt, die bereits dies oder jenes erreicht haben? Diese jüngeren Menschen werden deswegen ihre Bemühungen, im Leben etwas voranzubringen, nicht aufstecken; sie werden daraus höchstens die Konsequenz ziehen, mit noch viel größerer Energie an die Aufgabe heranzugehen.
Daran hindert uns doch die Unterschrift unter den Schumanplan in keiner Weise. Ich möchte sogar sagen, die Schaffung der Voraussetzungen, daß wir nicht nur im Formellen, sondern auch im Materiellen wieder gleichberechtigt werden, hat überhaupt nichts mit dem Schumanplan, sondern ausschließlich mit unserer eigenen Energie, unserer eigenen inneren Wirtschafts- und Investitionspolitik zu tun.
Hier gibt es allerdings eine große Sorge, die wir auch der Bundesregierung unterbreiten müssen: Es gilt, mit aller Kraft danach zu streben, endlich den Engpaß, den wir bei Kohle, Stahl und Eisen in der Versorgung und in der Produktionsmöglichkeit aufzuweisen haben, durch Investitionen in allerstärkstem Umfang auszugleichen. Damit werden wir auch ein weiteres schaffen: Wir werden dafür sorgen, daß nicht der stillschweigende Ausgangspunkt aller Reden der Opposition, nämlich die Mangellage auf den Gebieten von Kohle, Eisen und Stahl, eine Dauertatsache wird. Gingen wir davon aus, daß es immer nur diese Mangellage gibt, so würde zweifellos diese Marktgemeinschaft der Montanunion gar nicht zur Funktion gelangen. Dann würde von vornherein der Art. 59 Abs. 3 Wirklichkeit werden, indem praktisch die Hohe Behörde zunächst einmal nichts weiter tut, als auf Grund der derzeitigen Verbrauchs- und Ausfuhrzahlen den einzelnen Regierungen zu überlassen, weiterhin wie bisher zu ,arbeiten.
Das aber ist und kann nicht der Sinn der europäischen Union von Kohle und Stahl sein, sondern sie bekommt im Gegenteil ihren Sinn nur aus den Anstrengungen zur Überwindung der Mangellage. Die Möglichkeiten dazu liegen sowohl bei Kohle wie bei Eisen und Stahl bei uns selbst. Wir müssen auch den Mut haben — das möchte ich hier einmal deutlich aussprechen —, unseren Kohlenbergbau in die Lage zu versetzen, Investitionen nachzuholen, wieder mehr zu fördern, diesen einzigen deutschen Reichtum zu unser aller Vorteil zu mobilisieren und die Kohle nicht zu einem unerhört billigen und unter den Kosten liegenden Preis an die ganze Welt zu verschleudern, sondern sie zu dem Preis zu verkaufen und ihr den Wert zu geben, der ihr am Markt in der ganzen Welt zukommt.

(Sehr richtig! rechts.)

Sehen wir die Dinge so und treiben wir sie in diese Richtung, dann brauchen wir auch nicht die geringste Angst davor zu haben, daß nun Frankreich nach dem Monnet-Plan 15 Millionen t Stahlkapazität erstellen will und wir im Augenblick nur 12 Millionen t Stahlkapazität haben.
Im Jahre 1950 hatte Frankreich überhaupt nur eine Stahlproduktion von 8,7 Millionen t, das ganze Gebiet der Montanunion zusammen 31,7 Millionen t für 160 Millionen Menschen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben auf 135 Millionen Menschen rund 100 Millionen t Stahlverbrauch. In diesem erschütternden Zurückbleiben der alten europäischen Staaten im Pro-Kopf-Verbrauch von Stahl und Eisen kommt am deutlichsten und sinnfälligsten zum Ausdruck, was uns bisher diese Kleinstaaterei, die wir nicht überwinden zu können glaubten, an sozialem Fortschritt, Wohlstand und Glück und auch Frieden gekostet hat. Genau dasselbe gilt auf dem Gebiet der Kohlenförderung. Auch hier kann dieses Europa im Rahmen der Montanunion, die ganze 217,3 Millionen t Förderung gegenüber einem Vielfachen der Vereinigten Staaten von Amerika aufweist, noch unendlich mehr aufnehmen.
Muß es denn so bleiben, wie vorhin der Kollege Albers ausgeführt hat, daß der derzeitige Lebensstandard im Durchschnitt der europäischen Länder, die sich zu der Montanunion zusammenschließen wollen, genau 33 % des Lebensstandards des durchschnittlichen Amerikaners, des amerikanischen Arbeiters beträgt? Nein! Aber überwunden werden diese Zustände nur durch das Niederlegen der wirtschaftlichen Grenzen, durch den gemeinsamen Markt und durch den Mut, den man nun einmal im Denken an die Zukunft zu dieser Sache genau so haben muß wie damals, 1948, zur Niederlegung der Grenzen der Zwangswirtschaft mitten in der Wirtschaft unseres eigenen kleinen Vaterlandes.
Lassen Sie mich zum Schluß — ich möchte jetzt nicht allzusehr auf die Einzelheiten eingehen — noch etwas zu dem von dem Herrn Kollegen Henßler vorgebrachten Argument sagen, daß wir uns im europäischen Außenhandel mit der Einbringung von Kohle und Eisen in die Montanunion der möglichen Überschüsse begeben würden, die wir normalerweise gehabt hätten. Herr Kollege Henßler weiß auch, daß wir gerade seit 1945 im europäischen Außenhandel bisher nur ein Minus gehabt haben und daß dieses Minus im Rahmen der Europäischen Zahlungsunion sogar so angewachsen war, daß wir zweimal hintereinander einen Stopp in der Liberalisierung der Einfuhren vornehmen mußten. Wir haben nur jetzt, in den letzten Monaten, durch eine künstliche Schrumpfung der Außenhandelsumsätze einen Aktivsaldo erreicht. Herr Kollege Henßler, es ist eine unbestrittene Erkenntnis in der nationalökonomischen Wissenschaft, in der Statistik oder was Sie sonst an Erfahrungswerten gelten lassen wollen, daß der Handelsverkehr am allergeringsten zwischen primitiven Volkswirtschaften ausgebildet ist und daß er umso intensiver zum Wohle aller Partner wird, je höher das industrielle, das wirtschaftliche Niveau der Volkswirtschaften ist. Wir werden durch diese Montanunion zwar eine gewisse Umlagerung in unserem Außenhandel erleben; er wird sich dank


(Dr. Preusker)

der Hebung des Lebensstandards, dank der Erhöhung der Stahl- und Kohlenverbrauchsquote in einem viel stärkeren Maße auf Fertigerzeugnisse aller Art verlagern. Ich glaube, daß sich das gerade für Deutschland als ein Land, das weder auf dem Gebiet der Ernährung noch auf dem Gebiet der Rohstoffe gesegnet ist, nur zum Besten auswirken kann.
Der Herr Kollege Schmid hat die Befürchtung ausgesprochen, es werde sehr schwer halten, daß dieser Teilmarkt Kohle und Eisen seinen Durchbruch zur generellen Zollunion, zur gesamten Wirtschaftsunion des westlichen Europa finden könne. An einer anderen Stelle — ich glaube mich ungefähr zu erinnern— hat der Herr Kollege Schmid aber gesagt, die Wirkungskraft der Hohen Behörde müsse so hoch eingeschätzt werden, daß man vermutlich eine eigene Wirtschaftspolitik gar nicht mehr zu treiben vermöge. Ja, das ist doch ein offenbarer Widerspruch. Ich bin auch davon überzeugt, daß die Wirkungskraft, die von dieser Union in den Grundstoffen Kohle und Stahl ausgeht, sehr stark sein wird. Ich bin davon überzeugt, daß sie stark genug sein wird, um wirklich die Fesseln in der Richtung auf die generelle Wirtschaftsunion zu sprengen. Aber an einer Stelle muß man einmal anfangen. Es ist auf alle Fälle richtig, bei Kohle und Eisen als den Grundstoffen anzufangen, ohne die keine moderne Volkswirtschaft leben kann.
Es ist hier an der Frist von 50 Jahren Kritik geübt worden. Wenn Sie schon eine Union wollen, wenn Sie wollen, daß im Rahmen dieser Union sechs Länder bereit sind, sich nach dem Wettbewerb der Kräfte in ihren Grundstoffindustrien zu orientieren, also in Belgien hinzunehmen, daß allmählich andere Wirtschaftszweige an die Stelle des Kohlenbergbaus treten, oder in Italien hinzunehmen, daß andere Wirtschaftszweige an die Stelle des dort etwas künstlich produzierten Stahls treten, dann muß man schon eine längere Dauer der Bindung haben. Sonst kann niemand sich darauf verlassen, daß die Änderungen durchgeführt werden können. Vielleicht liegt dem Ganzen, wenn wir an die Entwicklung seit der Zeit vor der Währungsreform, an das Umschalten auf die freie Wirtschaft, an alle diese Entschlüsse und Ihr (zur SPD) Nein dazu denken, das eine zugrunde: W i r haben nach wie vor das Vertrauen, daß das deutsche Volk, daß die deutschen Arbeiter und die deutschen Unternehmer die Kraft aufbringen, das Leben zu meistern und voranzukommen.
Sie haben offenbar dieses Vertrauen noch nicht oder noch nicht wieder. Ich möchte hoffen, daß Sie sich durch den Eindruck der deutschen Leistungen, die bewundernswert sind, doch noch zu einer Änderung Ihrer Stellung durchringen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116104000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reimann.

(Abg. Dr. Bertram: Auch mal wieder da?)


Max Reimann (KPD):
Rede ID: ID0116104100
Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundeskanzler am 18. April 1951 in Paris seinen Namen unter den Schumanplan setzte, tat er dies, ohne vom Parlament oder seiner Regierung dazu den Auftrag zu haben. Die Unterzeichnung durch ihn erfolgte nach vorheriger Absprache mit den amerikanischen und deutschen Konzern- und Bankherren, deren Beauftragter Dr. Adenauer ist. Damit wurde durch den Herrn Bundeskanzler der erste Schritt zur Einbeziehung der westdeutschen Wirtschaft in die Kriegswirtschaft des Atlantikblocks getan, in der die amerikanischen Imperialisten die Führung haben. Der Schumanplan wurde im Auftrage der amerikanischen Monopolherren zur Wiederaufrüstung Westeuropas geschaffen. Der Einschluß der westdeutschen Kanonenkönige in diesen westeuropäischen Rüstungskonzern und die Vorherrschaft, die die deutschen Imperalisten mit Hilfe des amerikanischen Imperialismus in der Montanunion ausüben, kennzeichnen 'den Schumanplan als ein aggressives Mittel zur Vorbereitung eines neuen Krieges gegen die Sowjetunion und gegen die friedliebenden Völker der Erde.

(Sehr wahr! bei der KPD. — Lachen in der Mitte und rechts.)

Selbst der Herr Bundeskanzler hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß der Atlantikpakt ein agressives Kriegsbündnis gegen die demokratischen Völker des Ostens ist. Der Schumanplan bedeutet somit im Rahmen dieses aggressiven Atlantikpaktes die wirtschaftliche Aufrüstung und Konzentration der gesamten Kriegsproduktion in den Händen der amerikanischen Monopole.
Der französische Außenminister Schuman ist in Wirklichkeit nur die vorgeschobene Puppe mit guten Beziehungen zu Dr. Adenauer und der deutschen Schwerindusrie.

(Abg. Spies: Und was sind Sie?)

Es ist dokumentarisch nachgewiesen, daß, bevor die offizielle Verkündung des Planes durch Schuman erfolgte, dieses Projekt in dem Direktionszimmer des größten Trusts der Welt, der StahlKorporation der USA, ausgeheckt wurde. Der Schumanplan und die Bildung der Montanunion bedeuten die Verwirklichung der Pläne der USA-Imperialisten und ihrer Komplicen; die Schaffung einer Waffenschmiede, die Vereinigung der Kanonenkönige für den Agressionskrieg in Westeuropa. Die Unterzeichnung erfolgte in Paris zur gleichen Zeit, als die stellvertretenden Außenminister tagten, die eine Tagesordnung für eine Außenministerkonferenz festlegen sollten, wie die Sowjetunion dies vorgeschlagen hatte. Die Unterzeichnung des Schumanplans ausgerechnet zu dieser Zeit war ein bewußter Schlag gegen die Pariser Konferenz.

(Abg. Renner: Sehr richtig!)

Es wurden wieder, wie schon so oft, fertige Tatsachen geschaffen und eine Mine gegen die Friedenspolitik der Sowjetunion gelegt.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Der Schumanplan ist daher ein Komplott der Imperialisten gegen den Frieden und ein Instrument zur Entfesselung eines neuen Weltkrieges.
Es ist erst einige Jahre her, daß Herr Dr. Adenauer im Landtag von Nordrhein-Westfalen erklärte, der deutsche Monopolkapitalismus habe sich in seinen eigenen Gesetzen totgelaufen, und es liege im Interesse des deutschen Volkes, daß er nicht mehr zur Macht gelange. Nicht nur das deutsche Volk, sondern alle Völker Europas wissen, daß die deutschen Monopolherren die Schuld an zwei furchtbaren Weltkriegen tragen und Europa mit Leid, Trümmern und Vernichtung überzogen haben. Ich erinnere den Herrn Bundeskanzler an seine eigenen Worte, die er in der 5. Vollsitzung des Landtages von Nordrhein-Westfalen am 4. März 1947 sprach. Es ging damals genau so wie heute um den kostbaren Schatz unseres Volkes, um unsere Kohlengruben. Sie sagten damals:


(Reimann)

Wir wollen, wenn wir die Zusammenballung der großen wirtschaftlichen Macht in wenigen Händen in der Vergangenheit mit Recht mitverantwortlich machen für das Elend, das über das deutsche Volk gekommen ist, auch für die Zukunft verhindern, daß ähnliche Machtzusammenballungen wieder entstehen.

(Abg. Renner: Hört! Hört!)

Derartige Machtzusammenballungen
— so sagte Dr. Adenauer damals —
sind gleich gefährlich für einen Staat und für ein Volk, wo sie auch immer entstehen mögen, . . .
In derselben Rede sagte Dr. Adenauer weiter, daß derjenige, der die Grundstoffindustrie beherrscht, auch jederzeit in der Lage ist, im Interesse eines anderen Landes für sich wirtschaftliche Vorteile hervorzurufen.
Diese Ausführungen von Herrn Dr. Adenauer treffen heute auch vollinhaltlich auf den aggressiven Schumanplan zu. Der Schumanplan ist eine konzentrierte Zusammenfassung der westeuropäischen Rüstungsinteressenten. Warum sind Sie, Herr Bundeskanzler, heute von Ihrem damaligen Standpunkt abgewichen, der entsprechend dem Ahlener Programm und später den Forderungen des Katholikentages in Bochum die Meinung der katholischen Werktätigen ausdrückte? Mit der Unterzeichnung des Schumanplans haben Sie das Ahlener Programm der CDU und die Forderungen der katholischen Menschen auf dem Katholikentag in Bochum mit Füßen getreten.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Gewiß, wer der Vertreter der Monopol- und Bankherren ist, kann nicht die berechtigten Forderungen der katholischen Werktätigen vertreten. Ich erspare mir in diesem Zusammenhang eine Feststellung; dies werden die christlichen Werktätigen selbst tun, die gegen den Schumanplan sind und für den Frieden eintreten, mit denen wir uns im Kampf um den Frieden aufs engste verbunden fühlen.

(Lachen.)

Wer den Schumanplan unterstützt, beabsichtigt nicht, den Frieden zu sichern, sondern den Krieg vorzubereiten.

(Sehr wahr! bei der KPD.)

Eben zu diesem Zweck haben die amerikanischen Imperialisten dem deutschen Imperialismus zu neuem Leben verholfen. Es wird nun auch verständlich, warum das Potsdamer Abkommen durch die amerikanischen Imperialisten und ihre deutschen Helfer gebrochen und bekämpft wurde. Das Potsdamer Abkommen sah ausdrücklich vor, daß der aggressive, kriegstreiberische deutsche Imperialismus nicht wieder erstehen darf, daß die Zechen und Walzwerke Eigentum des deutschen Volkes werden und daß jede Unterstützung zum Wiederauflebenlassen des deutschen Militarismus verboten ist. Indem man das Potsdamer Abkommen brach, beschritt man bewußt den Weg der Wiedergeburt des deutschen Imperialismus.
Was den deutschen Imperialisten in zwei Weltkriegen nicht gelang, nämlich sich die Kohlen- und Erzgruben in Frankreich, Belgien, Luxemburg und Holland für ihre Zwecke dienstbar zu machen, das wurde ihnen mit Hilfe der amerikanischen Monopolherren durch den Schumanplan in die Hände gegeben. Unter der faschistischen Okkupation im letzten Krieg fanden sich vom deutschen Imperialismus gekaufte Elemente, die gegen die einfachsten Lebensinteressen ihrer Völker die Bodenschätze ihrer Länder den Hitlerfaschisten zum Kriege gegen die Sowjetunion zur Verfügung stellten. Diese Handlungsweise brachte über diese Völker unsagbares Leid. Genau dasselbe erleben wir nun, da sich in den dem Schumanplan angeschlossenen Ländern Menschen finden, darunter auch 'deutsche Staatsangehörige, die jetzt dem amerikanischen und deutschen Imperialismus ihre Industrie ausliefern, um dadurch den dritten Weltkrieg vorzubereiten.
In diesem Hause wurde vor einigen Tagen eine Debatte um das Saargebiet geführt. Die Hintergründe dieser Debatte werden klar, wenn man weiß, daß es den deutschen Konzernherren um den Saaranteil von 7 % Kohle und 6 % Stahl in der Montanunion geht. Um die Vorherrschaft der deutschen Konzernherren zu stärken, kämpft man um diesen Anteil, während andererseits die französischen Konzernherren ebenfalls den Kampf um den Saaranteil führen. Die angebliche Anteilnahme der Parteien an der Saarfrage bedeutet nicht einen Kampf, um die Saarbevölkerung in ihrem Streben nach der Wiedervereinigung mit Deutschland zu unterstützen. Sie bedeutet auch keinen Kampf gegen die im Saargebiet herrschende Willkür der französischen Militärs und der separatistischen Regierung Hoffmann. Es handelt sich um nichts anderes als um einen Kampf der Kanonenkönige diesseits und jenseits des Rheins um die Macht in der Montanunion. Die Saarbevölkerung wendet sich deshalb entschieden gegen die Loslösung von Deutschland. Das Saargebiet war deutsch, ist deutsch und wird deutsch bleiben.

(Sehr wahr! bei der KPD. — Zurufe von der Mitte und rechts.)

Die Saarbevölkerung fühlt sich verbunden mit den patriotischen Kräften in Deutschland

(Lachen und Zurufe von der Mitte)

in ihrem Kampf für ein einiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland.

(Beifall bei der KPD. — Anhaltende Zurufe.)

Die Gegner der Einheit Deutschlands versuchen ihre Preisgabe des Saargebiets mit dem Hinweis auf die Oder-Neiße-Friedensgrenze zu begründen.

(Erneute lebhafte Zurufe.)

Tatsache ist jedoch, daß weder in dem Abkommen von Jalta noch im Potsdamer Abkommen von einer Abtrennung des Saargebiets die Rede ist. Das Saargebiet wird in allen Verträgen als ein unveräußerlicher Teil Deutschlands betrachtet.

(Abg. Neumann: Ostpreußen auch!)

Die Festsetzung der Oder-Neiße-Grenze

(Abg. Neumann: Pommern!)

ist jedoch im Potsdamer Abkommen mit den Unterschriften der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion erfolgt

(Zuruf rechts: Blödsinn!)

und wurde nachträglich auch von Frankreich an erkannt. Meine Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Wenn in Polen Pilsudsky und, meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei, auch Sozialdemokraten regieren würden, kein Mensch würde jemals eine solche Forderung erheben, wie Sie dies tun. Das müßten Sie doch wohl auch auf dem sogenannten Sozialistenkongreß in Frankfurt am Main erfahren haben.

(Sehr gut! bei der KPD. — Zuruf von der SPD: Haben Sie sonst noch einen Auftrag? — Heiterkeit.)



(Reimann)

In der Präambel des Schumanplans werden als Ziele dieses Planes die Hebung des Lebensstandards und die Sicherung des Friedens angegeben. Wo aber gibt es in der Welt ein einziges Beispiel dafür, daß Rüstung und höherer Lebensstandard zugleich möglich sind!

(Abg. Dr. Mende: Jetzt war's richtig!)

Wo für den Massentod produziert wird, da bleibt
der Mittagstisch mager, da bleiben keine Mittel
mehr übrig für die Güter, die dem Leben dienen.

(Abg. Neumann: Ostzone!)

Der Schumanplan bedeutet daher ein Herabsinken des Lebensstandards der werktätigen Massen auf eine bisher nicht gekannte Tiefe. Ebenso wenig wird der Frieden mit Panzern und Divisionen aufrechterhalten. Der Frieden kann nur erhalten werden durch Abrüstung

(Abg. Dr. Mende: Wem sagen Sie das?!)

und Umstellung der Wirtschaft auf die Friedensproduktion. Wer das Recht der Völker auf Selbstbestimmung und Souveränität respektiert und achtet, der darf diese Selbstverständlichkeit nicht beschneiden; der darf auch nicht die kostbarsten
Schätze eines Volkes, Stahl und Kohle, einer kleinen Gruppe von Monopolkapitalisten übereignen.

(Zurufe aus der Mitte: Aha, jetzt haben wir's!)

Der Zusammenschluß der westeuropäischen Rüstungsindustrie, wie er auf Befehl der amerikanischen Imperialisten durch den Schumanplan geschaffen wird,

(Abg. Dr. Bertram: Monopolkapitalisten!) bedeutet nicht Sicherung des Friedens, bedeutet kein Glück und keinen Wohlstand für die Bevölkerung in Westdeutschland und für die Völker Europas.


(Zuruf aus der Mitte: Besser lesen!)

Ein solcher Zusammenschluß bedeutet Krieg, die Vernichtung unserer Heimat und unseres Volkes. Die wirtschaftliche Konzentration auf den Krieg bedeutet einen umfassenden Eingriff zum Schaden des Lebensniveaus der Bevölkerung. Nach dem Beispiel von Adolf Hitler werden ebenfalls alle zur Verfügung stehenden Gelder in der Rüstungsindustrie investiert.

(Zuruf von der CDU: Ahnungsloser Engel!)

Die Denkschrift der DGB-Führung vom 12. März 1951 fordert sogar die Investierung der Spar- und Versicherungsgelder in der Grundstoffindustrie,

(Abg. Renner: Hört! Hört!)

also in jenen Industriezweigen, die im Rahmen des Schumanplans für die Rüstung verstärkt werden sollen. Es ist bekannt, daß die westdeutschen Konzernherren wie Herr Henle seit 1945 annähernd 40 Milliarden DM aus der werktätigen Bevölkerung herausgepreßt haben. Zu dieser riesigen Summe kommen noch die Gewinne der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten. Diese doppelte Ausbeutung der westdeutschen Bevölkerung würde durch den Schumanplan noch gesteigert werden.
Durch die Hohe Behörde werden alle Parlamente der Mitgliedsländer ausgeschaltet und ihre Beschlüsse nichtig. Die Montanunion bestimmt: Die in die Hohe Behörde entsandten Mitglieder dürfen keine Parlamentsbeschlüsse ihrer beteiligten Länder verwirklichen. Das bedeutet Zerschlagung aller Souveränitätsrechte

(Zuruf von der Mitte: Wie bei euch!)

und Verzicht auf alle Selbstbestimmungsrechte der Nationen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Selbst eine eigene Gerichtsbarkeit haben sich diese
internationalen Kriegsverbrecher geschaffen. Kein
deutscher Richter hat das Recht, diese Konzernherren wegen ihres kriegsverbrecherischen Verhaltens vor Gericht zu stellen. Damit ist für die Kohle-
und Stahl-Herren in Westdeutschland das Bürgerliche Gesetzbuch aufgehoben; denn der Art. 41
schaltet die staatlichen Gerichte aus. Die Montanunion diktiert, was und wieviel produziert wird,

(Zuruf aus der Mitte: Moskau diktiert!)

wie hoch der Verbrauch sein darf, wohin und wieviel ausgeführt werden soll. Sie entreißt somit den Parlamenten das Bestimmungsrecht über ihre Wirtschaftspolitik. Diese Montanunion kann das Lebensniveau der Massen beliebig zugunsten der Rüstungsproduktion beschränken.
Unter dieses schändliche Vertragswerk setzt der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer seinen Namen, und die Abgeordneten des Bundestages sollen seine Unterschrift nun sanktionieren.

(Zurufe von der Mitte und rechts.)

Es ist bezeichnend, daß im Namen der CDU-Fraktion der Vertreter der Rüstungskonzerne an Rhein und Ruhr, Herr Henle, das Wort ergriff,

(Sehr gut! bei der KPD — erneute Zurufe .von der Mitte und rechts)

um die Interessen und die führende Rolle der deutschen Kanonenkönige in Europa zu begründen.

(Sehr gut! bei der KPD. — Anhaltende Gegenrufe aus der Mitte und von rechts.)

Ich warne jeden Abgeordneten des Hauses (Zurufe aus der Mitte und rechts: Unerhört! — anhaltende Unruhe)

vor diesem Schritt und möchte Sie im Interesse unseres Volkes bitten, sich wohl zu überlegen,

(anhaltende Unruhe — Zurufe rechts: Unglaublich!)

welch hohe Verantwortung Sie für unser Volk und Vaterland haben.

(Beifall bei der KPD.)

Niemand wird Sie, wenn durch die Imperialisten das Unglück für unser Volk vollendet wird, von dieser Verantwortung, die Sie in dieser Stunde tragen, freisprechen.

(Sehr wahr! bei der KPD. Abg. Junglas: Ist doch schwer zu lesen!)

Die Auswirkung des Schumanplans ist weiterhin eine starke Drosselung der Friedensindustrie und eine von den amerikanischen Imperialisten befohlene Lahmlegung des Handels mit unseren natürlichen Handelspartnern im Osten, Süden und Südosten Europas. Wachsende Armut großer Teile des Bürgertums, des Handels und vieler anderer Schichten der westdeutschen Bevölkerung ist die notwendige Folge. Die wirtschaftliche Eingliederung Westdeutschlands in die amerikanischen Kriegspläne mit Hilfe des Schumanplans bedeutet weiterhin eine schwere Belastung der bäuerlichen Bevölkerung.

(Erneute Zurufe aus der Mitte.)

Schon jetzt müssen Zehntausende Obst- und Gemüsebauern ihre Betriebe schließen,

(Zuruf von der CDU: Wo? — Abg. Junglas: In der Ostzone natürlich!)



(Reimann)

weil sie keine Kohle mehr für ihre Treibhäuser bekommen.

(Sehr gut! bei der KPD. — Zurufe: Ostzone!)

Da durch den Schumanplan alle Wirtschaftszweige, die dem friedlichen Bedarf dienen, lahmgelegt werden, erhalten die westdeutschen Bauern keine landwirtschaftlichen Geräte mehr und sind somit nicht in der Lage, eine intensive landwirtschaftliche Bearbeitung des Bodens durchzuführen. Die Verluste, die die westdeutsche Wirtschaft erleidet, wenn der Schumanplan Wirklichkeit werden sollte, sind gar nicht abzusehen. Neben den materiellen Schäden, die die westdeutsche Wirtschaft durch den Schumanplan erleidet, steht ständig riesengroß die Gefahr eines neuen Kriegs vor unserem Volk. Um diese Gefahr abzuwehren, ist die Verhinderung des Schumanplans eine nationale Notwendigkeit und eine vaterländische Verpflichtung.

(Beifall bei der KPD.)

Wer sind die Männer, die eine solche antinationale und unseren nationalen Interessen zuwiderlaufende Politik betreiben? Ein Name verkörpert besonders das Programm des aggressiven deutschen Imperialismus, er heißt Adenauer. Ihm zur Seite stehen die Vertreter jener Koalitionsparteien, die im Bonner Kabinett die Politik des deutschen Imperialismus unter amerikanischem Befehl mitmachen.

(Zuruf: Oderbruch!)

Bedarf es noch des Beweises,

(Zuruf: Nein!)

daß die deutschen Rüstungsindustriellen unmittelbar auch die Politik der Bonner Regierung bestimmen? Hier ein Beispiel: So hat der Verband der westdeutschen Industrie in seinem Memorandum vom 15. März 1951 gefordert, daß zur Durchführung der Remilitarisierung eine — ich zitiere wörtlich — von der Industrie getragene Persönlichkeit als Bundesbeauftragter für Rohstoffragen einzusetzen ist.

(Abg. Renner: Sehr gut!)

Prompt beschloß die Adenauer-Regierung die Einsetzung eines neuen Staatssekretärs, des Herrn Friedrich, und erließ 10 Lenkungsverordnungen, wodurch für alle Rohstoffe eine Zwangswirtschaft eingeführt wird.

(Zuruf: Sie waren doch nicht da!)

Die deutschen Imperialisten können nun über die Rohstoffe nach eigenem Ermessen bestimmen und sie insgesamt in die Rüstungsindustrie leiten. Dasselbe Memorandum fordert die Verteuerung von Milch, Butter, Zucker und die Hinaufsetzung der Umsatzsteuer. Alle diese Maßnahmen wurden von der Adenauer-Regierung prompt durchgeführt, und es wurden dadurch dem Volke weitere 3 Milliarden für den unersättlichen Rachen der Rüstungsmonopole gestohlen.
Ich darf noch einen wirklich eingeweihten Zeugen dafür anführen,

(Zuruf von der CDU: Kurt Müller!)

daß die Bonner Regierung die Geschäfte der westdeutschen Rüstungsfabrikanten, Bankiers und Großgrundbesitzer vertritt. Dieser Zeuge ist kein anderer als ein enger Mitarbeiter Herrn Dr. Adenauers, und zwar der Bundesverkehrsminister Dr. Seebohm. Auf einer Unternehmertagung in Bielefeld erklärte er wörtlich: „Der Schumanplan ist ein
Unternehmerweg, vielleicht der letzte Weg, um die Unternehmerqualitäten gegenüber den sozialistischen Tendenzen zu wahren."

(Abg. Renner: Hört! Hört! — Weiterer Zuruf von der KPD: á la Henle!)

Weiter erklärte er: „Wenn wir dieses Ziel erreichen, erweisen wir dem Unternehmertum der ganzen Welt einen großen Dienst."

(Abg. Renner: Wie er heute morgen hier wieder gesprochen hat!)

Eine bessere Charakterisierung des Schumanplans als einer Montanunion der westeuropäischen Kanonenkönige ist wohl nicht möglich.
In dieser offenen Auslassung wird aber auch den sozialdemokratischen Mitgliedern und besonders den westdeutschen Gewerkschaftlern gezeigt, was es mit dem Schumanplan auf sich hat. Kein Werktätiger wird die Erklärung des neugewählten DGB-Vorsitzenden Fette verstehen, der sich für den Schumanplan und damit, wie Seebohm sagt, für den Unternehmerweg einsetzt.

(Abg. Renner: Sehr gut! — Zuruf von der Mitte: Er hat die Erkenntnis!)

Da dieser Plan nicht nur die Gefahr des Krieges in greifbare Nähe rückt, sondern auch die materielle und rechtliche Lage des werktätigen Volkes ständig verschlechtert, ist es geradezu eine gewerkschaftliche Pflicht, den Schumanplan abzulehnen und gegen die Remilitarisierung einzutreten. Die von der Führung der SPD und des DGB geäußerten Bedenken gegen den Schumanplan sind nicht grundsätzlicher Art, sondern erstrecken sich auf einige äußere Dinge. So führen z. B. Dr. Schumacher und Herr Fette Bedenken gegen die Auflösung des Deutschen Kohleverkaufs ins Feld. Diese Bedenken sind aber auch in der Denkschrift des westdeutschen Unternehmerverbandes nachzulesen.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Die Beibehaltung des Deutschen Kohleverkaufs und der Regionalkartelle gestattet es nämlich den deutschen Imperialisten, ihre Vorherrschaft in der Montanunion durchzusetzen. Die Bedenken Dr. Schumachers und des Herrn Fette sind also die Bedenken der westdeutschen Rüstungsfabrikanten,

(Sehr richtig! bei der KPD)

die mittlerweile durch die amerikanischen Auftraggeber im Sinne der deutschen Imperialisten behoben wurden. Es bedarf also gar keiner Aufregung mehr auf seiten der Sozialdemokratischen Partei.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Hier zeigt sich die enge Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den amerikanischen Imperialisten und die Aufgabe der gesteuerten, wie Sie sich ausdrücken, konstruktiven Opposition Dr. Schumachers.

(Abg. Renner: Sehr gut!)

Durch die Unterstützung der Forderungen der deutschen Monopolherren ist die Führung der SPD und die Leitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes aber auch mitverantwortlich für das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus.

(Sehr wahr! bei der KPD.)

Die Scheinopposition hat in Wirklichkeit nur den Zweck, die Annahme des Schumanplans zu sichern. Gleiche Bedenken wurden nämlich auch beim Marshallplan, bei der Ruhrbehörde, beim Sicherheitsamt und bei anderen Ämtern so lange


(Reimann)

von der SPD geäußert, bis alle diese Zwangseinrichtungen zum Schaden des deutschen Volkes in Kraft gesetzt wurden.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Dann hörten die Bedenken auf; denn die Aufgabe, das Volk vom Widerstand dagegen abzuhalten, war erfüllt. Ich wage zu behaupten, meine Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion: wüßtet ihr nicht, daß hier im Hause schon eine Mehrheit für den Schumanplan vorhanden ist — die Frankfurter Tagung eurer Sozialisten hat es euch gezeigt —, ihr würdet Abgeordnete abkommandieren, um diesen Plan durchzubringen!

(Beifall bei der KPD. — Zurufe von der SPD.)

Denn wie vereinbart sich das? Ihr seid hier gegen
den Schumanplan, und in Frankfurt trägt die
Resolution die Unterschrift Dr. Schumachers, in
der es heißt, daß der Zusammenschluß Westeuropas durch euch Sozialdemokraten gefordert wird.

(Abg. Dr. Hasemann: Bravo! Gott sei Dank! Prima!)

Europa-Union und Schumanplan sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beide kann man nicht voneinander trennen. Wer zur Europa-Union ja sagt, sagt ja zum Schumanplan. Eure Opposition ist nichts anderes, als der werktätigen Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Unter der maßgeblichen Mitarbeit und Mitverantwortung der SPD-Führung und der Leiter des DGB ist die Lage in Westdeutschland für unsere Bevölkerung immer schlechter geworden. Nicht eine einzige nationale, soziale oder politische Forderung der Millionen Gewerkschaftler und SPD-Mitglieder ist in Erfüllung gegangen. Dagegen ist der deutsche Imperialismus wiedererstanden, wird die Wiederaufrüstung des deutschen Militarismus intensiv betrieben und ist die werktätige Bevölkerung weiter denn je von der Verwirklichung ihrer Forderung entfernt.
Die Kommunistische Partei Deutschlands erneuert daher in dieser ernsten Stunde ihre brüderliche Aufforderung an alle sozialdemokratischen Mitglieder, sich mit den Mitgliedern der KPD und mit allen Werktätigen auf das engste zu verbinden. Die erfolgreichen Kampfbeispiele aus dem Saargebiet und aus Westdeutschland sind ein eindeutiger Beweis dafür, daß das Volk seinen Willen durchsetzt, wenn es einig und entschlossen handelt. Die überwiegende Mehrheit unseres Volkes will von dem Schumanplan ebensowenig wissen wie von der Remilitarisierung.

(Zuruf von der -Mitte: Wie von der KPD! — Lachen.)

Es will den Frieden. Das deutsche Volk fühlt sich von niemand anders in seiner Existenz bedroht als von den Kriegsvorbereitungen der deutschen und amerikanischen Imperialisten.

(Sehr gut! bei der KPD. — Zuruf rechts: Und von Stalin!)

Im Bewußtsein unseres Volkes lebt die große Erfahrung, wohin Kriegspakte und aggressive Abkommen führen. Es will darum in Frieden und Ruhe leben. Es will Güter des friedlichen Bedarfs erzeugen und nicht Kohle und Stahl zur Vernichtung von Menschen. Das deutsche Volk ist gewiß, daß es in diesem Streben auf die volle Hilfe und Unterstützung besonders jener Völker rechnen kann, die ebenfalls zwangsweise dem Schumanplan einverleibt werden sollen.
Die Geschichte der letzten Jahrzehnte unseres Volkes lehrt, daß, solange sich die Grundstoffindustrie in den Händen der Imperialisten befindet, für das Volk nur Elend, Krieg und Verderben die Folgen waren. -

(Zuruf von der Mitte: So ist es in Rußland!)

Wir sagen darum der ganzen Bevölkerung: Es gibt einen Ausweg aus dieser Situation,

(Zuruf von der Mitte: Daß die Russen nach Hause gehen!)

daß sich Deutsche aus dem Osten und Westen unserer Heimat zusammensetzen und einen deutschen Standpunkt den alliierten Großmächten darlegen.

(Zuruf rechts: Schicken Sie den Iwan nach Moskau!)

Es gibt unter den Deutschen eine Verständigungsmöglichkeit, um unser Volk aus dieser drohenden neuen Katastrophe herauszuführen. Wir können und müssen uns als Deutsche in dem Wollen einigen, einen Friedensvertrag für Deutschland und den Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland zu erstreben. Dies deshalb, weil die Besatzungstruppen die größte Gefahr für die Erhaltung des Friedens bedeuten.
Wir werden und müssen uns über die Schaffung einer rechtsstaatlichen Ordnung einigen,

(Lachen rechts und in der Mitte)

einer freiheitlichen Regierungsform, über die Frage der Stärke, Bewaffnung und Verteilung der Polizei in ganz Deutschland, über ein Gesetz zum Schutze des Friedens für ganz Deutschland, über die Abgabe einer Erklärung im Namen des deutschen Volkes, die die Remilitarisierung Deutschlands und die. Aufstellung von Armee-Einheiten in jedweder Form verbietet, sowie über eine von deutschen Organisationen und dem ganzen deutschen Volk durchzuführende Kontrolle der Durchführung dieser Erklärung. Wir werden und müssen uns als Deutsche über eine Verfassung für .ganz Deutschland einigen und die Schaffung eines demokratischen Wahlgesetzes für ganz Deutschland vorbereiten.

(Abg. Neumann: Alter Phraseur!)

Sie, meine Herren, setzen diesem Friedenswillen unseres Volkes Widerstand entgegen, einen Widerstand, der Ihnen von den amerikanischen und deutschen Monopolherren angetragen wird. Das deutsche Volk hat seinen Friedenswillen, das Verlangen, die Remilitarisierung nicht durchzuführen, und die Forderung nach einem Friedensvertrag in der Volksbefragung bekundet. Trotz des Polizeigesetzes der Bundesregierung wird die Abstimmung durchgeführt, und 89% der Befragten stimmten gegen die Remilitarisierung und für den Abschluß eines Friedensvertrags.

(Lebhafter Beifall bei der KPD.)

Dieser Wille kommt besonders in der deutschen Jugend zum Ausdruck. Die deutsche Jugend will nicht mehr Soldat werden, sie will nicht mehr für die Interessen in- und ausländischer Konzernherren ihr Blut vergießen. Die deutsche Jugend will sich nicht mehr für die Interessen dieser Herren die Finger blutig machen. Wenn Sie glauben, meine Herren von der Regierung und auch im Parlament, den Willen dieser deutschen Jugend dadurch zu brechen, daß Sie die Freie Deutsche Jugend verbieten, so sage ich Ihnen: Sie irren.

(Sehr gut! bei der KPD.)



(Reimann)

Die deutsche Jugend wird gemeinsam mit der Freien Deutschen Jugend sich den Weg freikämpfen zu Glück und Wohlstand, zum Frieden und zur Einheit unseres Vaterlandes.(Beifall bei der KPD.)

Hierbei wird sie von allen Friedenskämpfern unseres Volkes unterstützt werden. Die Einheit unseres Volkes im Willen, den Frieden 'zu erhalten, wird den Widerstand brechen und alle jene, die einen neuen Krieg vorbereiten, mit Verachtung strafen und sie aus der Nation ausscheiden.

(Beifall bei der KPD. — Abg. Strauß: Wo ist Kurt Müller?)

Die Kommunistische Partei erklärt in aller Offenheit: Wir gehen tapfer, mutig und kühn mit dem Volk den Weg des Kampfes, der den Krieg verhindert und das Ansehen unseres Volkes bei den übrigen Nationen hebt und unser Volk in den Kreis der ,freien Nationen der friedliebenden Menschen der Erde einschalten wird.
Sie, meine Herren, spielen mit einem Verbot der Kommunistischen Partei.

(Zuruf von der Mitte: Es wird die höchste Zeit! — Gegenruf von der KPD: Sie sind ja geistesarm!)

Ich erkläre Ihnen: Bismarck wollte durch ein Sozialistengesetz die alte Sozialdemokratische Partei verbieten.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Er hat es nicht geschafft, er ist selbst dabei zugrunde gegangen.

(Abg. Strauß: Ihr seid ja größenwahnsinnig!)

Hitler wollte im Auftrag 'der Konzernherren die Kommunistische Partei vernichten und die Mitglieder physisch ausrotten, um seinen zweiten Weltkrieg vorzubereiten. Er ist dabei zugrunde gegangen. Jeder, der diesen Schritt, der die Vorbereitung des Krieges bedeutet, wagt, wird ebenso zugrunde gehen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Unser Volk wird leben, unsere deutsche Jugend wird in einem einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschland leben, in einem Vaterland, wo die Konzernherren entmachtet sind,

(Abg. Dr. Hasemann: Und Herr Reimann etwas zu sagen hat!)

wo die Betriebe in den Händen des Volkes liegen und jeder Mensch in Frieden, Wohlstand und Glück arbeitet und lebt. Die deutschen Werktätigen und unser Volk stehen im Kampf für den Frieden gegen den Schumanplan für die Verteidigung ihrer nationalen Rechte nicht allein. Überall in Westeuropa, besonders in Frankreich und Italien, führt das Volk einen erfolgreichen nationalen Kampf gegen seine eigenen, gegen die amerikanischen und deutschen Rüstungsherren.

(Zuruf von der Mitte: Lauter Lügen!)

Es steht wohl außer Zweifel, daß dann, wenn sich unser Volk und insbesondere die Werktätigen im Kampf zusammentun, wie das bisher so oft der Fall gewesen ist, unser deutsches Volk die Sympathie und Unterstützung aller Völker erhält.
Meine Damen und Herren! Eines steht außer Zweifel: Sollte der amerikanische und deutsche Imperialismus es wagen, die Völker noch einmal in
einen Krieg zu jagen, dann steht am Ende die Vernichtung dieser Kriegstreiber und der Sieg der Demokratie.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Jeder deutsche Patriot jedoch wird jetzt seine ganze Kraft zur Verhinderung des Krieges einsetzen, um unserem Volke eine neue Katastrophe zu ersparen. Ich fordere Sie noch einmal auf, wie wir es Ihnen bereits in dem Briefe unserer Fraktion vorgeschlagen haben, diesen Schuman-Kriegsplan im Interesse unseres Volkes und der Erhaltung des Friedens aller Völker 'dieser Erde abzulehnen.

(Lebhafter Beifall 'bei der KPD. — Abg. Strauß: Wo ist Kurt Müller? — Weitere Zurufe von der Mitte. — Abg. Niebergall: Ihr könnt noch was lernen! — Abg. Dr. Mende: Da hapert's mit der deutschen Sprache! Ihr könnt besser Russisch als Deutsch!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116104200
Das Wort hat der Abgeordnete Tichi.

Hans Tichi (WAV):
Rede ID: ID0116104300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn mich nichts von der Wichtigkeit und der Notwendigkeit des Schumanplans überzeugt hätte, dann die Rede des Kollegen Reimann.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

Der Herr Bundeskanzler sollte ihm dafür dankbar sein.

(Zuruf rechts: Daß er heute erschienen ist! — Abg. Strauß: Er wird Ehrenmitglied der Regierung!)

Während der Saardebatte hat für unsere Gruppe der Kollege Dr. Ott erklärt, daß wir dem Schumanplan keinesfalls bedingungslos zustimmen können. An dieser unserer Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. Wir betrachten die Saarfrage, wir betrachten die Wiederaufrüstung und auch den Schumanplan wie alle außenpolitischen Probleme nicht aus irgendeiner oppositionellen oder engherzigen parteitaktischen Einstellung, sondern vom Standpunkt unserer Verantwortung, die wir unserem gesamtdeutschen Vaterland gegenüber auch als Heimatvertriebene zu tragen verpflichtet sind. So ist es auch mit unserer Stellungnahme zum Schumanplan.
Der neue Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Christian Fette, hat etwa die Stellungnahme zum Schumanplan umrissen, die auch wir haben.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Er sagte: Wenn ich persönlich ohne Ausweichmöglichkeit vor der Wahl stünde, mit einem glatten Ja oder mit einem glatten Nein zu antworten, dann würde ich trotz der vorhandenen Schwächen mit einem Ja antworten.

(Zuruf von der KPD: Da haben wir's ja!) Auch ein prominenter Vertreter der SPD-Fraktion, Herr Dr. Baade, hat vorgestern in der „Frankfurter Allgemeinen" erklärt, er sehe in der unbedingten Ablehnung des Schumanplans eine gewisse Gefahr. Man würde die Vereinigten Staaten verstimmen, sagt Dr. Baade, und würde damit die Bewilligung weiterer Mittel für die Marshallplanhilfe gefährden. Dr. Baade glaubt, daß die Situation verfahren sei, und meint deshalb, daß wir innenpolitisch und auch außenpolitisch aus der Sackgasse herauskommen müssen. So denken auch viele Gewerkschaftsführer und viele Menschen im Wirtschaftsleben, auch wenn sie nicht der Regierungsmehrheit angehören.



(Tichi)

Dann etwas über den Schumanplan selbst von unserm Standpunkt aus. Der Schumanplan will für Kohle und Stahl auf der Grundlage einer internationalen Arbeitsteilung einen größeren europäischen Markt schaffen und durch Rationalisierung die Kosten für Erzeugung und Verteilung wesentlich senken. Der gemeinsame Markt — das ist heute auch vom Herrn Bundeskanzler festgestellt worden — wird über 167 Millionen Menschen in Westeuropa umfassen und wird nicht nur der Kohle- und der Stahlindustrie, sondern auch ihren Zulieferanten und Abnehmern, dem Handel und Verkehr neuen Aufschwung geben. Zölle und Handelsbeschränkungen werden entfallen, und es darf auch nicht übersehen werden, daß die Facharbeiter die Möglichkeit haben werden sich ganz nach ihrem Wissen in den Arbeitsprozeß einzuschalten.
Außer dieser wirtschaftlichen hat der Schumanplan eine ungeheure politische Bedeutung, die wir nicht übersehen dürfen. Er soll nicht nur ein Friedensinstrument zur Sicherung des Friedens mit Frankreich sein, sondern auch des Friedens in Europa überhaupt.

(Abg. Frau Strohbach: Glauben Sie das selber?)

Nie war die Sehnsucht nach der Sicherung eines dauernden Friedenszustandes zwischen den westlichen Völkern Europas stärker als heute. Auch wenn es in Korea Frieden geben sollte, ist 'die Gefahr, deren Drohung auf uns lastet, noch lange nicht gebannt. Heute ist nur die Frage offen: wie bestehen wir den jetzigen Weltkonflikt als Europäer? Die Not zwingt uns politisch und wirtschaftlich zur Gemeinschaft. Die einzige Chance liegt im Zusammenschluß der Interessen und der Kräfte vor allem im Wirtschaftlichen. Auch der Bundeskanzler hat es heute vormittag ausgeführt: Als Schuman vor einem Jahr mit seinem kühnen Plan hervortrat, konnte niemand darüber im. Zweifel sein, in welchem Verhältnis die deutschen Belastungen und Vorleistungen zu denen anderer Länder stehen würden. Eines aber war damals schon klar: daß der Schumanplan eine gesamteuropäische Arbeit auf weiteste Sicht bedeutet, an der wir trotz aller Vorbelastung als gleichberechtigte Partner teilnehmen können. Schon wenn das Ruhrstatut verschwinden sollte, wäre das ein Positivum des Schumanplans.
Wir dürfen aber auch, meine Frauen und Männer, nicht die Haupteinwände übersehen, die vom deutschen Standpunkt gegen die Beteiligung am Schumanplan mit Recht geltend gemacht werden. Der schwerstwiegende Einwand ist, daß wir die uns nach dem verlorenen Kriege von den Siegern auferlegten Bedingungen nun freiwillig annehmen wollen. Wir stehen deshalb vor der Frage, in welcher Richtung wir uns entscheiden sollen: entweder in der übernationalen, wie es viele wollen', oder aber in der rückläufigen, die auf Wiederherstellung unserer nationalen Unabhängigkeit abzielt; welche aber nach meiner Meinung nur in Etappen erkämpft werden kann. Wir billigen deshalb auch von unserem Standpunkt aus die Stellungnahme des Bundesrates im ersten Teil, in dem es heißt:
Der Bundesrat ist der Auffassung, daß vor der Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes eine verbindliche Zusage aller in Frage kommenden ausländischen Mächte darüber vorliegen muß, daß folgende besatzungsrechtlichen Institutionen und Bestimmungen:
a) Ruhrbehörde,
b) Alliierte Kohle- und Stahlkontrollgruppen,
c) Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde in Kohle- und Stahlwirtschaft,
d) Beschränkung der Stahlkapazität und Stahlproduktion
vollständig fortfallen.
Die Regierung muß alles daransetzen, daß sie von den in Betracht kommenden Mächten vor der Verabschiedung des Schumanplans bindende Zusagen erhält, die diese Forderungen erfüllen.
Eines' muß uns aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, klar sein: daß der Schumanplan nicht allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden darf, sosehr es wichtig erscheint. Wir müssen ihn überall von der politischen Seite betrachten und müssen den anderen Ländern beweisen, daß wir bereit sind, auch Opfer zu bringen, und müssen damit unsern Beitrag zum Frieden leisten. Wir wissen, daß sich alle westeuropäischen Länder darin einig sind, daß die Zukunft und Lebensfähigkeit Europas ohne 'Deutschland undenkbar ist und daß sie nur durch die Zusammenfassung aller produktiven Kräfte gesichert werden kann.
Trotz aller 'unserer Bedenken erkläre ich im Namen meiner Freunde, daß wir an der Beratung des Gesetzes über den Schumanplan aktiv und positiv mitarbeiten wollen, um ihn für 'Deutschland annehmbar zu gestalten. Eines aber spreche ich im Namen meiner Gruppe und meiner Partei ganz offen aus: In dieser ernsten Stunde kann es keine Interessen der Parteien oder Verbände .geben. Sie dürfen nicht stärker sein als die Sorge um die Zukunft unserer Jugend und unseres gemeinsamen Vaterlandes, das Deutschland heißt.

(Lebhafter Beifall bei der BHE-DG, den Regierungsparteien und rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116104400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Löfflad.

Hans Löfflad (WAV):
Rede ID: ID0116104500
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Meine Freunde und ich von der WAV

(Zurufe rechts: Ohne Loritz?!)

— Ohne Loritz! Wir haben unseren Reimann aus unserer WAV ausgeschlossen! —

(Beifall bei der BHE-DG, in der Mitte und rechts)

sind nach genauer und gewissenhafter Prüfung und Beratung alles Für und Wider zum Schumanplan zu folgender Auffassung gelangt.

(Abg. Renner: Wo bleibt der Ordnungsruf für solche Bemerkungen? Haben Sie nicht verstanden? — Nur ein Rotzjunge kann solche Bemerkung machen!)

Den Schumanplan als Großes und Ganzes, im Hinblick auf Europa gesehen,

(Glocke des Präsidenten)

haben wir beim ersten Auftauchen - —

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116104600
Herr Abgeordneter, es ist üblich, die Rede zu unterbrechen, wenn die Glocke des Präsidenten ertönt.
Herr Abgeordneter Renner, ich habe eben gehört, daß Sie dem Redner den Ausdruck „Rotz-


(Löfflad)

junge" zugerufen haben. Ich rufe Sie deswegen zur Ordnung.

(Zurufe rechts: Raus mit dem Renner! — Euer Verkehrston! — Weitere Zurufe von der Mitte und rechts.)

Ich bitte, fortzufahren.

Hans Löfflad (WAV):
Rede ID: ID0116104700
Den Schumanplan als Großes und Ganzes, im Hinblick auf Europa gesehen, haben wir seit dem ersten Auftauchen dieses Gedankens willkommen geheißen, denn er ist ein weiterer Schritt auf dem Wege zur Vereinigung Europas und Verständigung der europäischen Völker untereinander. Diese Entwicklung mußte ja zwangsläufig einmal kommen. Wenn es Männern gelang, diese Entwicklung zu fördern und schneller vorwärts zu treiben, so ist das außerordentlich zu begrüßen. Niemand in unserem Volk hätte nach dem totalen Zusammenbruch 1945 zu hoffen gewagt, daß es uns nach Ablauf von 5 Jahren möglich sein würde, an der Verwirklichung des Gedankens der Vereinigung Europas selbst mitzuwirken.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Wir anerkennen die Ansätze zum Guten und die Entwicklungsmöglichkeit in der starken Hoffnung, daß die dem Kompromißwerk innewohnende Dynamik nicht zur Entwicklung eines tyrannischen Machtinstrumentes eines westdemokratischen Materialismus führt, sondern daß sich die in dem Vertragswerk verkörperte Rechts- und Geisteskraft nicht nur in Worten und Buchstaben, sondern in Taten bewährt, zur Überwindung der chaotischen Gegenwart und zur Neugestaltung des europäischen Raumes.
Wir streben mit diesem Vertragswerk einen Wohlstand an, aber nicht erst in 50 Jahren, sondern heute und morgen. Ob aber bei der Formulierung des Vertragswerkes, wie es uns vorliegt, ein Wirksamwerden zum Wohle unseres Volkes zu erwarten ist? Wenn wir z. B. die Hohe Behörde ansehen, so kommen wir nicht umhin festzustellen, daß sie mit außerordentlichen und starken Verordnungsgewalten ausgestattet ist. Wir hätten lieber gesehen, wenn man einen großen Teil dieser Verordnungsgewalten einer parlamentarischen Körperschaft übertragen hätte. Die sogenannte Gemeinsame Versammlung hat keine vollparlamentarischen Rechte, und ihr fehlt auch ein formelles Gesetzgebungsverfahren. Darüber hinaus erfolgt die Wahl der Abgeordneten zu dieser Versammlung nicht direkt durch das Volk, sondern durch Benennung durch die parlamentarischen Körperschaften der einzelnen Vertragsstaaten. Der Ministerrat stellt das bundesstaatliche Element dar. Hier vertreten die einzelnen Vertragsstaaten ihre nationalstaatlichen Rechte. Wir befürchten, daß jedes Mitglied dieses Ministerrats keine gesamteuropäischen, sondern die nationalstaatlichen Interessen seines eigenen Landes vertritt, was dem europäischen Gedanken abträglich wäre. Bei dem Beratenden Ausschuß befürchten wir auf Grund seiner Zusammensetzung aus Produzenten, Verbrauchern und Arbeitnehmern, daß sich nach einiger Zeit dieselben Verhältnisse wie beim Mitbestimmungsrecht in unserer Wirtschaft bemerkbar machen.
Hingegen haben wir geringere Bedenken gegen die weitgehenden Befugnisse, die — auf Betreiben der deutschen Delegation — dem Gerichtshof eingeräumt worden sind. Jeder Verwaltungsakt der Hohen Behörde kann durch den Gerichtshof tatsächlich und rechtlich nachgeprüft werden. Besondere Beachtung schenken meine Freunde und ich der allgemeinen Zulassung der Untätigkeitsklage, weil dadurch das Funktionieren der Verwaltung positiv sichergestellt ist.
Zu dem Ganzen jedoch können wir sagen, daß die Durchführung des Schumanplans bis zu einem gewissen Grade ein Experiment sein wird. Wir wissen heute noch nicht, ob sich alle die Hoffnungen, die wir daran knüpfen, auch tatsächlich erfüllen werden und ob das, was uns von der Regierung und den Koalitionsparteien in Aussicht gestellt wurde, auch eintreten wird.
Aus diesem Grunde halten wir eine Vertragsdauer von 50 Jahren, in denen keine Möglichkeit zu einer vorzeitigen Kündigung vorgesehen ist, für zu lang. Es müßte zumindest die Möglichkeit bestehen, nach fünf oder zehn Jahren zu kündigen, falls die jetzt auf das Werk gesetzten Hoffnungen unerfüllbar bleiben. Wir wollen jedoch hoffen, daß es den Kräften, die ernsthaft an der Verwirklichung eines vereinigten Europas arbeiten, gelingt, den Weg weiter zu ebnen und das Werk zu einem guten Abschluß zu bringen zum Segen und Wohl aller hoffenden Menschen in diesem Europa.

(Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116104800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.

Dr. Franz Richter (WAV):
Rede ID: ID0116104900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht die vielen Bedenken wiederholen, die hier schon vorgebracht worden sind. Ich habe im Namen der Sozialistischen Reichspartei zu sagen, daß wir grundsätzlich jede deutsche Zusammenarbeit mit den Nationen unseres europäischen Raumes bejahen, weil sie die deutsche Nation nicht nur als volkliches Individuum, sondern auch als Glied einer europäischen Völkergemeinschaft begreift.
Der Schumanplan, der am heutigen Tage in diesem Hohen Hause zur Debatte steht, bedeutet doch wohl unwidersprochen für jeden, der seine Einzelheiten ernsthaft und kritisch überprüft hat, nicht die gleichberechtigte Eingliederung unserer westdeutschen wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern deren Unterordnung unter die Interessen der Nationen, die im Atlantikpakt zusammengeschlossen sind. In der Verteilung der Stimmen kommt dieser Zustand klar zum Ausdruck. Unterstrichen wird dieser Zustand noch dadurch, daß von französischer Seite, insbesondere von Saarkommissar Grandval, in diesem Zusammenhange schon die Einbeziehung der Saar in unseren westdeutschen Wirtschaftsbereich als Schaffung eines gefährlichen deutschen Übergewichts bezeichnet wurde. Auch hierdurch wird der Wille zur Unterordnung und nicht zur gleichberechtigten Eingliederung dokumentiert. Um wieviel mehr würde dieser französische Widerspruch sich bei einer Wiederherstellung der gesamtdeutschen Wirtschaftseinheit erheben.
Es besteht also die gefährliche Möglichkeit — man kann sie schon Wahrscheinlichkeit nennen —, daß durch eine Annahme des Schumanplans in seiner jetzigen Form den gesamtdeutschen Notwendigkeiten entgegengehandelt wird. Die materielle Unterordnung der westdeutschen wirtschaftlichen Möglichkeiten wird nun zwingend nach sich ziehen die Unterordnung auf der personellen Ebene. Deutlich und konkret gesagt, 'bedeutet das: wir Deutschen stellen unsere materiellen und personellen Möglichkeiten den anderen zu deren Sicherheit zur Verfügung, ohne selbst dafür die


(Dr. Richter [Niedersachsen])

Gewähr zu haben, daß im Falle eines Konfliktes unser Lebensraum und unsere Lebensinteressen entsprechend gewahrt werden. Der bedrohte Raum und das bedrohte Volk sind doch in erster Linie wir. Verlust unseres Raumes aber bedeutet doch auch die Gefährdung des Lebens der westeuropäischen Nationen. Eine materielle und personelle Zusammenarbeit muß deshalb immer abgestellt werden auf die Erhaltung dieses unseres Raumes. Weil der Schumanplan diesen deutschen und letzten Endes doch europäischen Interessen zuwiderhandelt, deshalb können wir ihm nicht zustimmen
Ich darf aber hier noch eine Bemerkung machen. In einer politisch sehr wenig klugen Anwandlung hat vorhin Dr. Seelos vier Namen genannt, und zwar ging er von Dr. Doris über mich bis hinüber zum Abgeordneten Reimann und sagte, daß wir letzten Endes eine Front bilden würden. Ich möchte an dieser Stelle nur, nachdem mir das eben mitgeteilt wurde, Herrn Dr. Seelos eines antworten, etwas, was nämlich das Auswärtige Amt auf die Art und Weise des Herrn Dr. Seelos, sich zu betätigen, einmal gesagt haben soll, nämlich: Man soll Hanswursten ihre Hanswurstiaden lassen!

(Unruhe rechts. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116105000
Herr Abgeordneter Richter, haben Sie mit dem Ausdruck „Hanswurst" ein Mitglied des Hauses gemeint?

(Abg. Dr Richter festgestellt, Herr Präsident, was mir eben mitgeteilt wurde, daß etwas Derartiges einmal über Dr. Seelos gesagt worden sein soll! Mehr habe ich nicht gesagt.)

— Haben Sie sich den Ausdruck selbst zu eigen gemacht?

(Abg. Dr. Richter [Niedersachsen] : Ich habe ihn nur wiedergegeben!)

— Auch in der Wiedergabe liegt zweifellos der Versuch, eine Beleidigung auszusprechen. Ich rufe Sie daher zur Ordnung!
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Damit ist die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 abgeschlossen.
Dazu liegt noch der Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 2484 vor. Wird zur Behandlung dieser Drucksache ein Überweisungsantrag gestellt?

(Abg. Erler: Sofort abstimmen! — Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Zur Geschäftsordnung!)

Herr Abgeordneter Dr. Becker zur Geschäftsordnung!

Dr. Max Becker (FDP):
Rede ID: ID0116105100
Ich beantrage, diesen Antrag der SPD dem Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten sowie dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen, wohin wohl auch der Entwurf über den Schumanplan selbst zu überweisen sein wird.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116105200
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0116105300
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß mit einer Überweisung an den Ausschuß dem sachlichen Inhalt dieses Antrags nicht Rechnung getragen wird. Wir haben heute in aller Ausführlichkeit alle die Fragen diskutiert, die der Antrag behandelt. Ich glaube, daß es der Sinn dieses Antrages gerade ist, vor der Weiterbehandlung des Gesetzentwurfes über den Vertrag zu einer Entscheidung über den in dem Antrag niedergelegten Sachverhalt zu kommen, d. h. die Voraussetzungen für die Weiterbehandlung aufzuzeigen. Wenn wir den Antrag dem Ausschuß überweisen, bedeutet das praktisch, daß wir den Antrag abgelehnt haben.
Ich bitte Sie also, über den Antrag sachlich zu entscheiden, damit man weiß, wie die Verantwortlichkeiten in der weiteren Behandlung verteilt sind.

(Abg. Strauß: Zur Geschäftsordnung!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116105400
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Strauß!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0116105500
Im Namen der Fraktion der CDU/ CSU stelle ich den Antrag, die beiden Drucksachen dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend und dem Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten mitberatend zu überweisen:

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116105600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers zur Geschäftsordnung.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0116105700
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben für den SPD-Antrag Verständnis; aber man kann ihn in der vorliegenden Form heute nicht verabschieden. Die Erledigung des Antrags muß seinem Inhalt nach vor Beginn der zweiten Lesung erfolgen. Diese beginnt aber erst, wenn der Ausschuß über ,die Beratung der Vorlage der Regierung berichtet hat. Ob etwas vorher geschieht und was geschehen kann, das sollte im Ausschuß in Ruhe erwogen werden. Der Ausschuß hat es ja in der Hand, dann, bevor er zu der Vorlage der Regierung Stellung nimmt, dem Bundestag zunächst eine andere Maßnahme vorzuschlagen. Da für diesen Antrag in der Form, wie er heute vorliegt, sich keineswegs eine Mehrheit finden wird, glaube ich, daß es im Sinn und Zweck des SPD-Antrages liegt, ihn auch mit an die Ausschüsse zu überweisen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116105800
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Ollenhauer!

Erich Ollenhauer (SPD):
Rede ID: ID0116105900
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß eine Überweisung des Antrages nicht möglich ist, da sich der Antrag nicht mit der Materie beschäftigt, sondern die Prozedur, die Weiterbehandlung des Entwurfs zum Gegenstand hat. Wir sind deshalb der Meinung, daß keine andere Erledigung möglich ist als die der direkten Abstimmung im Plenum.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116106000
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können die Geschäftsordnungsaussprache nun schließen, nachdem von beiden Seiten die Gründe und Wünsche zum Ausdruck gebracht worden sind.
Wir haben also über die Behandlung der Drucksachen Nr. 2401 und Nr. 2484 abzustimmen. Zu der Drucksache Nr. 2401 — das ist der Gesetzentwurf — ist die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten beantragt.

(Abg. Kunze: Den ersteren federführend! — Zuruf des Abg. Mellies.)

— Bitte, Herr Abgeordneter Mellies, zur Abstimmung!

h) Mellies (SPD): Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten federführend sein muß.

(Widerspruch in der Mitte.)

Es genügt unseres Erachtens nicht, daß die Gesetzesvorlage nur dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen wird. Auch der Rechtsausschuß und der Ausschuß für Sozialpolitik müssen sich damit beschäftigen;

(Abg. Dr. Laforet: Der Rechtsausschuß ist nicht zuständig!)

außerdem dürfte der Ausschuß für Außenhandel in Frage kommen.

(Widerspruch in der Mitte.)

Ich stelle den Antrag, die Vorlage diesen fünf Ausschüssen zu überweisen.

(Abg. Dr. Wuermeling: Verschleppungsmanöver! Das machen wir nicht mit!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116106100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Preusker.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0116106200
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß als federführender Ausschuß nur der Ausschuß für Wirtschaftspolitik in Frage kommen kann. da es sich um die Ratifikation eines Vertrages handelt, bei dem nur noch die materiellen Fragen geprüft zu werden brauchen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Es handelt sich nicht mehr um Einzelheiten.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116106300
Meine Damen und Herren, es handelt sich also bei der Abstimmung zunächst darum, über die Frage zu entscheiden, ) welcher Ausschuß federführend sein soll. Dazu liegen zwei Anträge 'vor, einmal: den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten. zum anderen: den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführend zu bezeichnen. Es ist sehr schwer zu entscheiden, welches der weitergehende Antrag ist. Ich gehe in der Reihenfolge der Antragstellung vor. Es ist zunächst beantragt worden. den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführend zu bezeichnen. Ich bitte diejenigen, die den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß bestimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Damit ist die Federführung und Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik beschlossen.
Es ist weiter beantragt worden, daß sich noch eine Reihe von anderen Ausschüssen mit der Angelegenheit beschäftigen sollen.
Ich bitte diejenigen, die der Überweisung an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Damit ist so beschlossen.
Es ist weiter die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beantragt. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ferner ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik beantragt. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Es ist weiter Überweisung an den Außenhandelsausschuß beantragt worden. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben.. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist also die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß und ferner an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Behandlung des Antrags der SPD, Drucksache Nr. 2484. Dazu ist Ausschußüberweisung beantragt; ich nehme an, das die Überweisung an die gleichen Ausschüsse beantragt wird, an die die Gesetzesvorlage überwiesen ist.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich bitte diejenigen, die diesem Antrage zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist demnach so beschlossen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir haben noch zwei Dinge zu behandeln, die auf die Tagesordnung gesetzt worden sind. Es handelt sich um die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses auf Drucksache Nr. 2499 und Nr. 2501.
Ich rufe zunächst Drucksache Nr. 2499 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nrn. 2268, 2341, 2432 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Minister Dr. Spiecker.
Dr. Spiecker, Minister der Landes NordrheinWestfalen, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat sich heute morgen mit den Anträgen des Bundesrates befaßt, die auf einige Abänderungen zu dem von Ihnen verabschiedeten Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes abzielen. Der Bundesrat ist der Auffassung, daß es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt. Er wollte dies in der Einleitungsformel durch Einfügung der Worte „mit Zustimmung des Bundesrates" ausdrücklich festgestellt wissen. Der Vermittlungsausschuß hat, wie in früheren Fällen, diese Frage nicht entschieden, weil sie nach seiner Auffassung vom Bundespräsidenten bei der Verkündung des Gesetzes und gegebenenfalls vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden ist.
Der Bundesrat war weiterhin der Auffassung, daß die von der Bundesregierung zur Durchführung des Gesetzes zu erlassenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Dieser Auffassung hat sich der Vermittlungsausschuß nicht angeschlossen. Es ist zu keiner Einigung gekommen, da die Stimmen der Bundestagsvertreter gegen die der Bundesratsvertreter standen und der Antrag bei Stimmengleichheit als abgelehnt gelten mußte.
Die Ihnen in Drucksache Nr. 2499 vorliegenden Änderungsvorschläge sind lediglich redaktioneller Art. Ich kann Ihnen eine Begründung im einzelnen ersparen und darf lediglich feststellen, daß diese Vorschläge vom Vermittlungsausschuß ein. stimmig gemacht worden sind. Namens des Vermittlungsausschusses darf ich um einen Beschluß gemäß Drucksache Nr. 2499 bitten.

(Beifall.)



Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116106400
Meine Damen und Herren! Sie haben den Bericht gehört. Ich bitte diejenigen, die etwa gemäß § 9 der Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuß noch das Wort zu Erklärungen wünschen, sich zu melden. Eine Diskussion findet bekanntlich nicht statt. — Das ist nicht der Fall.
Damit kann ich zur Abstimmung übergehen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Wir kommen zur Beratung der Drucksache Nr. 2501:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nrn. 2130, 2316, 2433 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Hoogen.

Matthias Hoogen (CDU):
Rede ID: ID0116106500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt Ihnen die Drucksache Nr. 2501 vor. — Am 15. Juni hat der Bundestag beschlossen, das Gesetz über die Gewerbesteuer abzuändern. Auf Vorschlag der Regierung hat der Bundestag dem § 3 Ziffer 8 des Gewerbesteuergesetzes die Worte „und die einzelne Vereinigung körperschaftsteuerfrei ist" hinzugefügt. Mit dieser Hinzufügung hat es folgende Bewandtnis. Der Bundestag hat versucht, die Bestimmungen über Steuerfreiheit im Körperschaftsteuergesetz und im Gewerbesteuergesetz aufeinander abzustimmen. Der Bundesrat ist der Meinung gewesen, daß das in diesem Falle fehl am Platze ist, weil die eine Bestimmung von Genossenschaften und die andere von Vereinigungen spricht. Der Vermittlungsausschuß ist der Meinung, daß diese Beanstandung des Bundesrats zutreffend ist, und schlägt Ihnen infolgedessen vor, die in der Sitzung des Bundestages am 15. Juni 1951 hinzugefügten Worte, die ich bereits eben erwähnte, nämlich „und die einzelne Vereinigung körperschaftsteuerfrei ist", wiederum zu streichen.
Weiterhin hat der Vermittlungsausschuß beantragt, dem Gesetz über die Änderung der Gewerbesteuer auch die hier im Hause bereits bekannte übliche sogenannte Berlin-Klausel hinzuzufügen. Das ist in der Drucksache, die Ihnen vorliegt, in Ziffer 2 geschehen. Die Klausel ist Ihnen bekannt. Namens des Vermittlungsausschusses habe ich Sie zu bitten, der Drucksache Nr. 2501 in den Ziffern 1 und 2 Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116106600
Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses ihre Zustimmung geben, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Meine Damen und Herren! Es ist mir vom Ausschuß für Sozialpolitik der Wunsch unterbreitet worden, den
Mündlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik über den Entwurf eines Gesetzes über
die einstweilige Gewährung von Teuerungszulagen zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Nr. 2463 und zu Nr. 2463 der Drucksachen),
also das sogenannte Teuerungszulagengesetz, das vom Ausschuß fertiggestellt worden ist, jetzt noch in zweiter und dritter Lesung zu verabschieden.
Ich frage das Haus, ob es zustimmt, daß wir dieses Gesetz noch auf die Tagesordnung setzen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann treten wir in die Beratung ein. Wird das Wort zu einer allgemeinen Aussprache gewünscht?

(Zurufe: Nein!)

Zunächst hat das Wort zur Berichterstattung Herr Abgeordneter Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (FDP):
Rede ID: ID0116106700
Meine Damen und Herren! Sie finden als Unterlage die Drucksache Nr. 2463 in einer alten und in einer neuen Fassung mit Begründung und mit einer Reihe von interessanten Tabellen. Ich bitte, diese mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit nachzublättern.

(Zurufe: Sehr gut!)

Der Zweck des Gesetzes ist, die durch Wegfall von Subventionen eintretenden Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln aufzufangen. Damit steht das Gesetz in direktem Zusammenhang mit dem Rentenzulagengesetz, das uns gestern nachmittag viele Stunden lang beschäftigt hat. Denn es befaßt sich mit den Personengruppen, die durch die Auswirkungen des Rentenzulagengesetzes nicht in die Lage versetzt werden, der Teuerungswelle in ihrem persönlichen Haushalt zu begegnen.
Die Teuerungszulage selbst beträgt 3 DM, für eine vierköpfige Familie also 12 DM. Darin ist außerdem aufgefangen die Preiserhöhung der Grundnahrungsmittel mit 10,23 DM für die offizielle Indexfamilie und mit 8,13 DM für die sogenannte Familie der untersten Einkommenstufe. Ferner ist darin noch eine Spanne von 1,77 oder 3,87 DM für den Auffang etwaiger weiterer Verteuerungen enthalten.
Da nun inzwischen die Subvention für das Konsumbrot fortgeführt wird, ist darin die Auffanggrenze erheblich erhöht, nämlich um weitere 3 DM, d. h. um 4,77 DM für die offizielle Indexfamilie und um 6,87 DM für die Familie nach dem Index der sogenannten untersten Einkommensstufe. Wenn Sie die Drucksachen vergleichen, werden Sie sehen, daß in der ursprünglichen Regierungsvorlage der Katalog der Personen, die Nutznießer des Gesetzes werden, 8 Ziffern enthält und daß in der Ihnen nachher vorgelegten Fassung dieser Katalog auf 5 Ziffern zusammengeschrumpft ist. Wenn Sie jetzt die Ausschußvorlage, die gerade verteilt wird, vergleichen, werden Sie finden, daß wieder eine sechste Ziffer davorgesetzt worden ist. Der Ausschuß hat sich nämlich in Ergänzung und Erweiterung der Regierungsvorlage dazu entschlossen, die Empfänger von Mindestrenten nach § 2 des Rentenzulagengesetzes in den Genuß der Vergünstigung dieses neuen Gesetzes zu bringen.
Im einzelnen hat der Ausschuß folgende Abänderungen der Regierungsvorlage beschlossen. Die
neue Ziffer 1 — das ist also die Personengruppe,
die bisher vom Gesetz nicht erfaßt wurde — lautet:
Renten der Rentenversicherung der Arbeiter

(Invalidenversicherung), der Rentenversicherung der Angestellten (Angestelltenversiche-



(Dr. Hammer)

rung) und der knappschaftlichen Rentenversicherung, ausgenommen vom Knappschaftssold, soweit sie durch das Gesetz über die Gewährung von Zulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen und über Änderungen des Gemeinlastverfahrens (Rentenzulagengesetz — RZG —), § 2, keine Zulage oder eine Zulage unter 3 DM erhalten . . .
Das andere bleibt unverändert. Es ist lediglich eine Reihe von redaktionellen Änderungen notwendig, die durch den Zusatzbeschluß bedingt sind. Ich führe sie jetzt nicht im einzelnen an.
Eine weitere Änderung ist in § 3 erfolgt. Die Rente wird in einem Monatssatz von 3 DM und in einem Tagessatz von 1/30 dieser Summe, cl. h. von 10 Pf., für die Bezieher von Kranken- oder Familiengeld der Unfallversicherung und von Kranken- oder Hausgeld der Krankenversicherung gewährt. Für diese Personengruppen ist in § 3 bestimmt worden:
. wird die Teuerungszulage erst vom Beginn der dritten Woche des Bezuges der unter Ziffer 1 und 2 bezeichneten Leistungen gewährt. Diese Einschränkung gilt nicht für Empfänger von Kranken- oder Hausgeld nach den Vorschriften über die Krankenversicherung der Arbeitslosen.
Im übrigen ist der Ausschuß sich in einer Aussprache über den § 6, an der der Herr Finanzminister sich beteiligt hat, über folgendes klar geworden. Es heißt in § 6 Abs. .2:
Als Einkommen im Sinne des Absatzes 1 gelten Arbeitsengelte, Rentenleistungen und sonstige Nebeneinkünfte.
Einige Vertreter der Opposition haben im Ausschuß darauf hingewiesen, diese Formulierung könne dazu führen, daß man einer Witwe den Verdienst, den sie aus der Vermietung eines Zimmers habe, anrechne. Der Herr Finanzminister hat ausdrücklich erklärt, er denke nicht daran, in den Ausführungsbestimmungen und Anweisungen an seine Behörden eine derartige Pfennigfuchserei zu dulden. Er hat die Besorgnisse der Mitglieder des Ausschusses in jeder Hinsicht zerstreut.
Ich stelle noch fest, daß der Ausschuß die Ihnen vorgelegten Änderungen einstimmig beschlossen hat. Die beiden anderen beteiligten Ausschüsse, der Ausschuß für Lastenausgleich und der Ausschuß für Kriegsopfer, lassen durch mich die gleiche Erklärung abgeben.
Ich bitte Sie im Auftrag des Ausschusses, dem Gesetz zuzustimmen.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116106800
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Freidhof.

Rudolf Freidhof (SPD):
Rede ID: ID0116106900
Meine Damen und Herren! Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit -und die seit langem feststehende Tatsache, daß der heutige Tag der letzte Tag vor den Ferien ist, beschränke ich mich darauf, im Namen der sozialdemokratischen Fraktion eine kurze Erklärung abzugeben. Obwohl das Gesetz Mängel enthält und uns keineswegs befriedigt, haben wir keine Abänderungsanträge gestellt. Wir werden vielmehr diesem Gesetz zustimmen, damit die Auszahlung möglichst rasch erfolgen kann. Wir behalten uns jedoch vor, bei der Wiedereröffnung des Bundestags nach den
Ferien auf dieses Gesetz zurückzukommen, um zu versuchen, das, was wir wünschen, in dieses Gesetz hineinzubringen.
Ich darf noch eine Bemerkung an die Regierung richten.

(Zuruf von der SPD: Keine da!) —Vielleicht liest sie es nach! — Bei diesem und bei anderen Gesetzen haben wir ständig unter Zeitnot gelitten. Was dieses Gesetz bringen sollte, ist seit zwei Monaten in der Öffentlichkeit bekannt. Wir haben es erst gestern morgen auf den Tisch des Hauses gelegt bekommen. Dadurch kamen wir in Zeitdruck und waren nicht mehr in der Lage, das Gesetz so zu beraten, wie es notwendig gewesen wäre. Außerdem ist uns glaubwürdig mitgeteilt worden, daß dieses Gesetz 8 Tage lang im Bundeskanzleramt liegengeblieben ist, bis es dem Bundestag zugeleitet worden ist.


(Hört! Hört! .bei der SPD.)

Ich möchte von dieser Stelle aus an die Regierung die dringende Bitte richten, Gesetzesvorlagen dem Bundestage so rechtzeitig zuzuleiten, daß sie auch richtig beraten werden können.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ein Zustand wie der von uns gerügte ist auf die Dauer unmöglich, und wir wünschen, daß sich die Regierung gegenüber dem Parlament an eine bessere Arbeit gewöhnt.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116107000
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.

(Unruhe.)


Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0116107100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seien Sie unbesorgt: wegen der erbärmlichen zehn Pfennig, die Sie hier pro Tag zu geben gewillt sind, werde ich nicht allzu lange reden.

(Zuruf von der Mitte: Nanu!)

Ich überlasse es den Sozialberechtigten draußen, Ihnen die Antwort zu geben. Wie sie über Ihre Sozialpolitik denken, das habe ich Ihnen ja gestern zu beweisen versucht,

(Abg. Hilbert: Nur versucht!)

und zwar an Hand eines Briefes der Kreisleitung Frankfurt der Vereinigung der Kriegsbeschädigten. Das sind ja keine Kommunisten, wie Sie wohl zugeben müssen.
Also gestatten Sie mir einige Feststellungen. Wir haben gestern mit Rücksicht auf die große Spanne, die tatsächlich zwischen den Leistungen der gesamten Sozialversicherung einschließlich der Kriegsopferversorgung und der Arbeitslosenversicherung und -fürsorge und den Lebenshaltungskosten klafft, den Antrag gestellt, alle derzeit gewährten und laufenden Renten um 30 % zu erhöhen. Die Koalitionsparteien und die bürgerliche Mehrheit dieses Hauses haben den Antrag abgelehnt. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich der Stimme enthalten. Aber ich habe nur noch eine Frage zu stellen, um eine Erklärung, um eine Aufklärung zu bitten. Was bedeutet die Formulierung im § 1 Abs. 1 Ziffer 4 „Unterstützungen der Arbeitslosenfürsorge"? Bin ich recht im Bilde, wenn ich annehme, daß nur die Bezieher von Arbeitslosenfürsorge diese 3 DM zusätzlich bekommen sollen und nicht die Bezieher von Arbeitslosenversicherung? — Darauf hätte ich gerne eine Antwort. Ich bin der Auffassung, daß, wenn damit nur die Unterstützungsempfänger gemeint sind, dieses Gesetz noch katastrophaler und noch minderwertiger wird, als es sowieso schon ist.


(Renner)

Wir werden diesem Gesetz nicht widersprechen. Wir enthalten uns bei der Abstimmung der Stimme. Aber wir geben in dieser letzten Minute vor den großen Ferien die Versicherung ab, daß wir die sechs Wochen Ferien dazu benutzen werden, um den Personenkreis der Kriegsopfer, Sozialrentner und überhaupt aller Sozialberechtigten gebührend aufzuklären über die Hintergründe der volksfeindlichen Politik der Adenauer-Regierung und diese ihre Methode, die darin besteht, daß Sie sie mit Hungerrenten abspeisen, während Sie auf der anderen Seite Milliarden hinauswerfen, um die Kriegsvorbereitungen zu finanzieren.

(Beifall bei der KPD. — Lachen und HuhuRufe in der Mitte und rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116107200
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Aussprache ist damit geschlossen.
Ich rufe nunmehr auf § 1, -

(Abg. Renner: Ich habe doch um eine Antwort von dem Herrn Berichterstatter gebeten! Aber der hüllt sich in Schweigen!)

§ 2,— § 3,—§ 4,—§ 5,—§6,—§7,—§ 8,-
§ 9, — § 10, — § 11, — § 12, — § 13, — Einleitung
und Überschrift. — Das Wort ist nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.

(Abg. Renner: Ich bitte ums Wort!)

— Das Wort hat der Abgeordnete Renner. (Zurufe von der Mitte: Könnt ihr den Lautsprecher nicht abstellen? — Abfahrt!)


Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0116107300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte den Herrn Berichterstatter gebeten, doch einmal ganz kurz Auskunft darüber zu geben, was mit der Ziffer 4 gemeint ist, ob die 3 Mark tatsächlich nur an die Unterstützungsempfänger aus der Arbeitslosenfürsorge oder an die Empfänger von Arbeitslosenversicherungsbezügen gezahlt werden sollen.

(Zurufe von der Mitte.)

— Ich hätte darauf gern eine öffentliche Antwort, da CDU-Zeitungen gestern geschrieben haben, daß die Erwerbslosen schlechthin diese 3 Mark bekämen. Nun, keine Antwort ist auch eine Antwort. Ich stelle also hier fest, daß Sie nur einem verschwindend kleinen Teil der Erwerbslosen die 3 Mark, diese erbärmlichen 10 Pfennig pro Tag, bewilligen.

(Zurufe.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0116107400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Meine Damen und Herren, ich bin gefragt worden, ob der Abstimmung die Ausschußfassung zugrunde gelegen habe. Jeder Abstimmung in der
zweiten Beratung liegt zunächst die Ausschußfassung zugrunde, und es wird dann lediglich über die Abänderungsanträge abgestimmt. Also der voraufgegangenen Abstimmung in zweiter Lesung lag die Ausschußfassung zugrunde.
Ich rufe nun in dritter Beratung auf: § 1, — § 2, —§3,—§4,—§ 5,—§6— ich glaube, ich kann es summarisch machen: bis § 13, — Einleitung und Überschrift.. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Paragraphen sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetz im ganzen zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen und damit verabschiedet.
Meine Damen und Herren, ich habe noch einiges bekanntzugeben. Die CDU-Fraktion teilt mit, daß sie im unmittelbaren Anschluß an die Plenarsitzung eine Fraktionssitzung abhält.
Die für heute angesetzte Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität fällt aus. Die für morgen, Freitag, den 13. Juli 1951, 9 Uhr 30 angesetzte Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität findet statt.
Der Unterausschuß Kriegsgefangene des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten versammelt sich heute, Donnerstag, 18 Uhr 30.
Die Sitzung des Ausschusses für Jugendfürsorge fällt aus.
Damit, meine Damen und Herren, stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung und zugleich am Ende des zweiten Jahres unserer gesetzgeberischen Tätigkeit. Ich will dazu keine langen Bemerkungen machen. Aber ich glaube doch, feststellen zu dürfen, daß diese zwei Jahre den Bundestag, dieses deutsche Parlament, in besonderem Maße in Anspruch genommen haben. Denn er stand vor der Aufgabe, die Wachstumsphasen einer neuen Staatsentwicklung in einem solchen Maße zusammenzudrängen, daß sich daraus für ihn eine unvergleichliche Fülle gesetzgeberischer Arbeiten und die mühevolle Notwendigkeit ihrer ungewöhnlichen Beschleunigung ergeben hat. Infolgedessen, glaube ich, ist diese Pause von sechs Wochen, in die wir jetzt eintreten, eine wohlverdiente Pause. So darf ich denen, für die diese Pause wirkliche Ferien sein werden — wenn das auch vielleicht die wenigsten sein werden —, aber auch denen, die in ihrem Beruf arbeiten oder sonstige Pflichten zu erfüllen haben, und nicht zuletzt denen, die diese Pause der Wiederherstellung ihrer Gesundheit widmen, einen guten Verlauf der Ferien wünschen.

(Beifall im ganzen Hause.)

Ich darf sodann die nächste Sitzung, die 162. Sitzung des Deutschen Bundestages, voraussichtlich für die zweite Septemberwoche einberufen. Der genaue Termin wird den Mitgliedern des Hauses noch bekanntgegeben werden, wenn der Beschluß des Ältestenrates vorliegt. -
Ich schließe die 161. Sitzung des Deutschen Bundestages.