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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951 6497 161. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 6498A, 6559C Beschlußfassung des Deutschen Bundestags zum Gesetz über steuerliche Behandlung von Tabakerzeugnissen besonderer Eigenart 6498A Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen 6498A Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen . 6498A Zolltarifgesetz 6498A Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6498A Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts 6498B Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes 6498B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung PR Nr. 50/51 — Kohle — II/51 — zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr, Aachen und Niedersachsen sowie zur Sicherstellung der Deckung des Bedarfs an festen Brennstoffen 6498B Anfrage Nr. 198 der Abg. Strauß u. Gen. betr. Auslieferung deutscher Wertpapiere (Nrn. 2355, 2483 der Drucksachen) . . . 6498B Mitteilung der Bundesregierung betr. Beratung des Gesetzentwurfs über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft (Nr. 2450 der Drucksachen) 6498B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6498D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Nr. 2401 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Fortgang der Beratungen über den Gesetzentwurf betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 2484 der Drucksachen) 6499C zur Geschäftsordnung: von Thadden (DRP) 6498B zur Sache: Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6499C Dr. Henle (CDU) 6502B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 6510C Euler (FDP) 6521C Dr. Bertram (Z) 6525D Albers (CDU) 6532A Henßler (SPD) 6535A Dr. von Merkatz (DP) 6539D Dr. Seelos (BP) 6542B zur Geschäftsordnung: Arndt (SPD) 6545A zur Sache: Dr. Preusker (FDP) 6545B Reimann (KPD) 6547B Tichi (BHE-DG) 6552C Löfflad (WAV) 6553D Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6554C zur Geschäftsordnung: Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 6555B Erler (SPD) 6555B Strauß (CSU) 6555C Ewers (DP) 6555C Ollenhauer (SPD) 6555D zur Abstimmung: Mellies (SPD) 6556A Dr. Preusker (FDP) 6556A Ausschußüberweisungen 6556B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nrn. 2268, 2341, 2432, 2499 der Drucksachen) . 6556C Dr. Spiecker, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Berichterstatter 6556D Beschlußfassung 6557A Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nrn. 2130, 2316, 2433, 2501 der Drucksachen) 6557A Hoogen (CDU), Berichterstatter . . 6557A Beschlußfassung 6557B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Nrn. 2463 und zu 2463 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) 6557C Dr. Hammer (FDP), Berichterstatter 6557D Freidhof (SPD) 6558B Renner (KPD) 6558B, 6558D Abstimmungen 6558A, B Rückblick auf die zweijährige Tätigkeit des Deutschen Bundestags und Wünsche für die Parlamentsferien: Vizepräsident Dr. Schäfer 6559D Nächste Sitzung 6559D Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Günther Henle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Neben der Ruhrbehörde stehen die alliierten Kohle- und Stahlkontrollgruppen sowie die Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde und der Alliierten Hohen Kommission in den deutschen Grundindustrien. Davon gilt ungefähr das gleiche wie von der Ruhrbehörde. Der Verzicht auf alle Funktionen dieser Stellen, die künftig in den Zuständigkeitsbereich der Hohen Behörde fallen, ist in dem Briefe des französischen Außenministers vom 18. April bereits eindeutig ausgesprochen worden. Demnach werden sowohl
    die Zuständigkeit der Alliierten Hohen Kommission auf dem Gebiete von Kohle und Stahl wie auch insbesondere die Kohle- und Stahl-Kontroll-Gruppe spätestens sechs Monate nach der Ernennung der Mitglieder der Hohen Behörde in Fortfall kommen. Der Fortfall auch des wenigen, das dann an Kompetenzen noch bleibt, wie ihn der Beschluß des Bundesrates verlangt hat, dürfte nur eine Zeitfrage sein, über die bei gutem Willen aller Beteiligten ohne weiteres und unschwer eine Verständigung zu er: zielen sein sollte.
    Nicht anders steht es mit den Beschränkungen der Stahlproduktion. Darüber sagt die französische Note, diese Beschränkungen müßten bei dem Inkrafttreten des Schumanplan-Vertrages aufgehoben werden; und es ist eine Eulenspiegelei, dazu zu sagen, das machten aber vielleicht die Amerikaner oder die Engländer nicht mit. Denn alle Welt weiß doch, daß es weniger diese, sondern vor allem die Franzosen waren, die sich bisher gegen die Aufhebung dieser Beschränkungen sträubten.
    Mißlicher hat sich bei uns die bisherige alliierte Neuordnungs- und Entflechtungspolitik insofern ausgewirkt, als sie in einer Reihe von Fragen, so besonders der Einzelgestaltung unserer Betriebe, bei dem wichtigen Problem der Verbundwirtschaft und des Deutschen Kohleverkaufs, zu Festlegungen geführt hat, die von der deutschen Wirtschaft als lästige Hemmungen und Bindungen empfunden werden mußten. So sind wir der Ansicht, daß der Verbund von Kohle und Eisen an der Ruhr etwas Naturgegebenes ist, was die Gegenseite bei den Verhandlungen aber zunächst durchaus nicht gelten lassen wollte, obschon die Verbundwirtschaft ja in allen Ländern geübt wird, wo die natürlichen Voraussetzungen dazu vorliegen, und obschon der Montanunion auch Länder angehören werden, die sogar eine Art doppelter Verbundwirtschaft ihrer Eisenindustrie, nämlich sowohl mit der Kohle als mit dem Erz, aufweisen.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Die Praxis in aller Welt spricht eben eine andere Sprache, als die Doktrinäre der Entflechtung es gelten lassen wollten.

    (Richtig! in der Mitte.)

    Dennoch stießen wir uns in dieser für die Ruhrindustrie so lebenswichtigen Frage an dem Widerstand der Besatzungsstellen. Darüber, daß dann diese Probleme in einen engen Zusammenhang mit dem Schumanplan gerieten, brauchten wir aber eigentlich nicht ärgerlich zu sein. Zwar kann der Umstand, daß bei etwaiger künftiger Abänderung der getroffenen Festlegungen das ausschlaggebende Wort bei der Hohen Behörde liegen soll, uns natürlich nicht voll befriedigen. In bezug auf die Verbundwirtschaft ist es infolge dieses Junktims mit dem Schumanplan und dank der persönlichen Einschaltung des amerikanischen Hohen Kommissars bekanntlich schließlich zu dem Kompromiß gekommen, daß man uns die Verbundwirtschaft für die großen Hüttenwerke wenigstens zu 75 % zugebilligt hat. Das war immerhin eine Art Vorwegerfolg des Schumanplans, wenn auch natürlich kein voller Sieg des Grundsatzes der Verbundwirtschaft. Und einen Grundsatz kann man doch eigentlich nicht nach der Maßgabe von Prozenten als richtig anerkennen.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber es gibt einen Grenzwert!)

    Herr Kollege Schmid, wenn Sie sagen „Es gibt einen Grenzwert", so würde es mich sehr inter-


    (Dr. Henle)

    essieren, von Ihnen als einem Experten der Kohle- und Eisenwirtschaft zu erfahren,

    (lebhafte Heiterkeit und Beifall in der Mitte)

    wo nach Ihrer Ansicht dieser Grenzwert liegt.
    Wegen der Frage des Kohleverkaufs hat man in das Übergangsabkommen dann einen besonderen § 12 eingebaut, der die Schaffung neuer ständiger Organe vorsieht, die eine nachteilige Auswirkung der Auflösung des zentralen Kohleverkaufs verhindern sollen. Man wird nun sehen müssen, wieweit man auf diesem Umwege zum Ziele kommen kann. einem Ziele, das uns zu wichtig ist, als daß wir es bei der einfachen Auflösung belassen könnten.
    Bedenken hat bei uns in Deutschland weiter die im Schumanplanvertrag vorgesehene Regelung für Investitionen wachgerufen, der man insbesondere nachsagt, sie berücksichtige den starken deutschen Nachholebedarf unzureichend oder gar nicht. Dabei sind auf diesem Gebiete die Befugnisse der Hohen Behörde, die im wesentlichen doch wohl nur der Verhinderung unwirtschaftlicher Produktionen dienen sollen, freilich oft beträchtlich übertrieben worden. Die Hohe Behörde hat keineswegs ein Investitionsmonopol. Auch in Zukunft können sich die Unternehmungen eigene Investitionsmittel beschaffen und sie verwenden; sie sind hierin unbeschränkt. Mit unseren Aussichten, fremdes Kapital für Investitionen in der Bundesrepublik zu gewinnen, steht es heute jedoch noch so schlecht, daß die Erschließung von Geldquellen durch die Hohe Behörde für uns eine wichtige Möglichkeit darstellt, den Auswirkungen unseres katastrophalen Kapitalmangels abzuhelfen. Was wesentlich ist, das ist jedenfalls der Fortfall der alliierten Investitionskontrolle für Kohle und Stahl. Auch die entsprechende Kontrolle der OEEC wird in Zukunft nach anderen Grundsätzen zur Anwendung kommen oder doch auf eigentliche Marshallplangelder beschränkt werden müssen, wenn sich ihre Befugnisse nicht mit denen der Hohen Behörde überschneiden sollen.
    Erhebliche Kritik haben dann gerade von seiten der SPD die institutionellen Einrichtungen ausgelöst, die für die Kohle- und Stahlgemeinschaft vorgesehen sind. Weder Zusammensetzung und Befugnisse der Hohen Behörde, noch ,der Ministerrat, noch die Parlamentarische Versammlung haben so, wie sie vorgesehen sind, Gnade in den Augen der Opposition gefunden. Und beim Gerichtshof wird sein sicher sehr bedeutsames Vorhandensein als solches von der Schumanplan-Kritik entweder einfach schamhaft übergangen, oder aber es wird bemängelt, daß er die Würdigung der wirtschaftlichen Tatsachen durch die Hohe Behörde nicht nachprüfen kann.
    Was die Hohe Behörde selbst anlangt, so hat man beanstandet, daß ihr nicht mehr als zwei Mitglieder gleicher Staatsangehörigkeit angehören dürfen. Man hat argumentiert, die Bundesrepublik müsse in Anbetracht ihrer Produktionskraft etwa 40 % der Stimmen und des Einflusses in den Schumanplan-Organisationen beanspruchen können. Das verkennt nun freilich gründlich den Sinn der ganzen Institution, die ja übernational und nicht ein Nebeneinander von Vertretern miteinander rivalisierender nationaler Interessen sein soll.

    (Abg. Dr. Schmid: [Tübingen]:: Ahnungsvoller Engel!)

    -Gerade das Schwergewicht unserer Produktionskraft ist geeignet, uns in stärkerem Maße als die
    kleineren Partner davor zu schützen, daß wir mit unseren besonderen deutschen Belangen im Rahmen des Schumanplans zu kurz kommen könnten. Der Schumanplan-Organismus würde sich geradezu selbst treffen, wenn er die de deutschen Grundindustrien stiefmütterlich behandeln wolle, die einen so wesentlichen Teil seiner gesamten wirtschaftlichen Stoßkraft ausmachen. In ähnlicher Richtung bewegen sich übrigens die Sorgen mancher anderer, z. B. französischer, Kreise, wenn ich auch glaube, daß man in bezug auf die Haltung der französischen Schwerindustrie nicht so weit gehen kann, wie das eben der Herr Bundeskanzler getan hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Jedenfalls gehen die Besorgnisse der Industrien anderer Länder ebenfalls dahin, daß wir Deutschen gerade wegen dieses Schwergewichts unserer Grundindustrien zu einer beherrschenden Rolle im Rahmen der Montanunion gelangen könnten. Das ist natürlich auch falsch gedacht, wie denn überhaupt das ganze Denken dieser Art letztlich das Überbleibsel einer vom nationalen Eigeninteresse ausgehenden Betrachtungsweise ist, die die Gemeinschaft gerade überwinden will, indem sie die Teilinteressen der Einzelnen zum Gesamtinteresse erhebt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Zeigt sie sich dieser Aufgabe gewachsen, so kann kein Raum mehr sein für ein Ausspielen der Gewichte gegeneinander. Freilich erfordert das eine europäische Denkweise, zu der wir uns alle erst erziehen müssen. Man muß aber den Nationalismus schon stark in. den Knochen stecken haben, wenn man glaubt, daß etwas Derartiges nicht erreichbar sei.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Den Sozialisten aller Länder, denen soviel an der von oben her geplanten und gelenkten Wirtschaft liegt, müßte im übrigen die Hohe Behörde doch eigentlich ein Kind so recht nach den Wünschen ihres Herzens sein.

    (Lachen links.)

    Aber nein, wir hören die Befürchtung, sie könnte eine „Institution von Managern" werden, wie denn überhaupt von der gleichen Seite her die Sorge sich zu Wort gemeldet hat, der Schumanplan-Organismus könne die Vergesellschaftung, cl. h. die Sozialisierung, in den einzelnen Ländern hemmen.

    (Zuruf rechts: Da liegt der Hase!)

    Nun, Sozialisierungsparolen konnte der Schumanplan freilich nicht auf seine Fahnen schreiben. Die Hohe Behörde wird es mit sozialisierten und mit privatwirtschaftlich geleiteten Unternehmungen zu tun haben, und niemand weiß, wie sich die Strukturformen der westeuropäischen Wirtschaft in den nächsten 50 Jahren weiterentwickeln werden.

    (Abg. Renner: Gilt das auch für England?)

    Den Schumanplan-Organimus da von vornherein auf eine bestimmte Wirtschaftstheorie festlegen zu wollen, das war allerdings nicht gewollt und wäre gewiß auch ein verfehltes Unterfangen gewesen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Weit eher berechtigt erscheint die Sorge, daß die Hohe Behörde sich allzu leicht in ein Instrument des Dirigismus, wie man in Frankreich sagt, d. h. bürokratischer Kommandowirtschaft von oben her, verwandeln könnte. Ich gestehe Ihnen gerne, daß auch wir keineswegs frei von dieser Besorgnis


    (Dr. Henle)

    sind. Die Hohe Behörde mit ihrer vielleicht etwas zu freigebigen Ausstattung mit weitreichenden Vollmachten und Befugnissen läuft ohne Frage Gefahr, zu einem mehr oder weniger bürokratischen Organismus zu erwachsen. Ein solcher Organismus neigt nur allzu leicht dahin, dann die Wirtschaft zu gängeln und zu bevormunden.

    (Sehr richtig! rechts.)

    In der Wirtschaft besteht aber ,nun einmal der —
    von Nichtwirtschaftlern vielleicht als anmaßend
    empfundene — Glauben, daß bessere Ergebnisse
    erzielt werden, je weniger die Bürokratie hineinredet.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wenn die Internationale Handelskammer in einer Erklärung zum Schumanplan unlängst sagte, die Hohe Behörde solle möglichst wenig Zwang und Sanktionen anwenden und sich gewöhnlich auf Beratung und Veröffentlichung beschränken, so hatte sie, glaube ich, recht. Der Vertrag enthält dann ja auch wenigstens Bestimmungen, die einem zu weitgehenden Dirigismus entgegenwirken sollen. Grundsätzlich sind in ihm wirtschaftslenkende Befugnisse der Hohen Behörde die Ausnahme; im Normalfalle bleibt sie auf eine mehr koordinierende und regulierende Aufgabe beschränkt.
    Wenn ich in diesem Zusammenhange einen Wunsch anmelden darf, so ist es der, daß sich die Hohe Behörde möglichst weitgehend den Art. 48 Abs. 2 des Vertrages zunutze machen möge, der vorsieht, daß sie sich bei der Durchführung der ihr übertragenen Aufgaben der regionalen Verbände bedienen soll, die von den Unternehmen auf der Grundlage der Freiwilligkeit gebildet werden können. Dies scheint mir wichtig, um die Hohe Behörde in möglichst enge Verbindung mit der Wirklichkeit der Industriewirtschaft zu. bringen. Denn sie kann nicht nur gleichsam über den Wolken thronen, um nur hin und wieder zu diesem oder jenem Unternehmen einen Weltraumboten zu entsenden. Sie bedarf notwendigerweise der Bindeglieder, wenn sich zwischen ihr und den Einzelunternehmen ein ständiger und lebendiger Kontakt entwickeln soll, was im Interesse des Gelingens des ganzen Werkes unerläßlich erscheint. Das alles aber nur von einer einzigen Zentralstelle aus bewältigen zu wollen, das ginge über Menschenkraft und müßte notwendigerweise zu einer unzulässigen Aufblähung dieser Zentrale führen, eine Versuchung, der wir die Hohe Behörde schon ganz und gar nicht ausgesetzt sehen möchten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Was den Ministerrat und die Parlamentarische Versammlung anlangt, so scheinen mir beide sehr wichtige Funktionen zu erfüllen, um einer Omnipotenz der Hohen Behörde vorzubeugen und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten den Weg zu ebnen. Den Ministerrat als einen „Triumph des nationalstaatlichen Egoismus" abzutun, das- scheint mir doch eine recht abwegige Übertreibung zu sein. Ebensogut könnte man bei uns den Bundesrat mit einer ähnlich liebevollen Charakterisierung bedenken.

    (Heiterkeit.)

    Daß die Parlamentarische Versammlung kein echtes parlamentarisches Regiment führen kann, sondern sich mit den ihr zugebilligten Kontrollbefugnissen begnügen muß, dürfte zwangsläufig daraus folgen, daß es ja nicht in Frage kommen konnte, heute schon im Rahmen des Schumanplans einen Überstaat zu schaffen. Man kann wirklich nicht auf der einen Seite lamentieren, daß der Schumanplan-Vertrag den Mitgliedern zuviel von ihrer wirtschaftspolitischen Selbständigkeit raube, auf der anderen Seite aber in seinem Rahmen Institutionen fordern, die ihn zum Überstaat erheben würden. Gerade die richtig ausgewogene Mischung von Souveränitätsverzicht und von Schonung der Selbständigkeit der Mitgliedstaaten war das, worauf es beim Abschluß des Vertrages ankam. Die Unterhändler scheinen mir gerade in dieser Hinsicht einen geeigneten Mittelweg gefunden zu haben.
    Schließlich noch ein Wort zum Gerichtshof. Selbstverständlich muß sich seine Zuständigkeit grundsätzlich auf die Rechtsfragen beschränken, und er kann nicht zum Richter über rein wirtschaftspolitische Erwägungen bestellt werden. Er stellt aber doch ein sehr positives Element des Gesamtaufbaus der Organe des Schumanplans gegenüber allen Vergewaltigungsbefürchtungen dar, die bei den Vorsichtigen und Ängstlichen so häufig laut werden. Er sollte deshalb auch als solches bewertet und keineswegs als wertlos abgetan oder beiseite gelassen werden.
    Schließlich wird die Haupttrumpfkarte ausgespielt, nämlich der Schumanplan schaffe ein Superkartell. Just für dieses Argument legt übrigens die Sowjetpresse eine besondere Vorliebe an den Tag, wobei dann natürlich der westliche Monopolkapitalismus im gleichen Atemzuge möglichst nicht fehlen darf.

    (Heiterkeit.)

    In den Reihen unserer Opposition wird das etwas abgewandelt. Da ist dann von „klerikalem, konservativem und kartellistischem Kapitalismus" die Rede, wobei man offenbar glaubt, daß sich hinter dieser Häufung des Buchstaben X automatisch auch eine entsprechende Ansammlung von Geist verberge.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Ausgezeichnet! — Zurufe des Abg. Dr. Schumacher.)

    Zunächst ist nun ein Kartell eine Verständigung unter Produzenten, die durch Beschränkung und geeignete Verteilung der Produktion auf die Absatzmärkte die Erzielung hoher Preise anstrebt. Der Schumanplan aber stellt gerade umgekehrt die Produzenten unter Kontrolle; er will im Interesse der Verbraucher höchstmögliche Produktion zu möglichst niedrigen Preisen sicherstellen,

    (Abg. Rische: Wer das glaubt!)

    und er untersagt ausdrücklich alle Kartellbindungen der eben gekennzeichneten Art. Mit dieser Argumentation ist also, bei Licht besehen, nicht viel anzufangen. Im übrigen verrät aber gerade die von der Opposition geltend gemachte Forderung nach einer unserer Produktionsquote angemessenen höheren Stimmenzahl in der Hohen Behörde eine bemerkenswerte Befangenheit im alten Kartelldenken.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) Bei diesem waren in der Tat — —


    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Einen Augenblick! Hören Sie mich bitte bis zu Ende an, denn jetzt wird es interessant!

    (Heiterkeit.)

    Bei diesem waren in der Tat die Produktionsquoten für das Stimmengewicht maßgebend. Würde
    ein böser Monopolkapitalist das Stimmenverhält-


    (Dr. Henle)

    nis bei der Hohen Behörde in dieser Weise angegriffen haben, so würde er gewiß von der Linken sofort schonungslos verurteilt,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    während sich die gleiche Linke heute mit dem Klagelied des Gretchen aus Goethes „Faust" bescheiden muß:
    Wie konnt ich sonst so tapfer schmälen,
    wenn tät ein armes Mägdlein fehlen! (Lebhafter Beifall und große Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Hinter allen diesen Argumenten, meine Damen und Herren steht letztlich eines: Man will die Verwirklichung des Schumanplan-Vertragswerks politisch nicht. Offenbar paßt es nicht in das politische Gesamtkonzept. Denn die dafür im einzelnen geltend gemachten politischen Gründe sind, wie ich gleich ausführen werde, zu schwach, als daß man ihnen ernsthaft ein Eigengewicht zubilligen könnte. Das war einmal das bekannte „Kleinsteuropa"-
    Argument. Die Montanunion, heißt es da, vollziehe sich ja gar nicht in einem wirklich europäischen Rahmen und könne so auch nicht als wegweisend für eine Einigung Europas gelten. Nun, Einwendungen gegen Kleinstlösungen kann und soll man gewiß erheben, aber doch eigentlich und vor allem nur dann, wenn man etwas Besseres zu bieten hat. Aber wo sind auch nur die leisesten Ansätze dazu? Gerade in Straßburg, diesem wichtigen neuen Mittelpunkt der europäischen Meinungsbildung, hat sich bisher doch eines deutlich herausgestellt, daß nämlich eben nur der Weg der sogenannten Kleinstlösungen, der Schaffung übernationaler Organe unter den dazu bereiten Staaten gangbar ist, wenn Fortschritte erzielt werden sollen.

    (Zurufe von der Mitte: Sehr gut! Sehr richtig!)

    Der Einwand bleibt so im rein Negativen stecken. Im übrigen ist diese sogenannte Kleinstlösung im vorliegenden Falle doch gar nicht so klein; denn es bedeutet schon sehr viel, einen großen einheitlichen Markt für Kohle und Stahl für immerhin 150 Millionen Menschen zu schaffen oder — nach der neuesten Auszählung durch den Herrn Bundeskanzler — sogar für 167 Millionen Menschen.

    (Heiterkeit in der Mitte. — Abg. Rische: Dann ist aber Schluß!)

    Natürlich bedauern auch wir das Fernbleiben Großbritanniens und hoffen lebhaft, wie es vorhin schon der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck brachte, daß es in loserer Form doch noch irgendwie organisch mit der Kohle- und Stahlgemeinschaft in Verbindung kommt. Aber die Engländer mit ihrer Blickrichtung auf die Ozeane und den weltweiten Beziehungen ihres Commonwealth haben ihre besonderen Gründe, eine allzu enge wirtschaftliche Verflechtung mit dem festländischen Europa als Beeinträchtigung ihrer überseeischen Bindungen zu vermeiden. Alle diese Gründe passen für uns hier in der Bundesrepublik, die wir im Herzen des Kontinents sitzen, in keiner Weise. Wir müssen uns mit dem jeweils Erreichbaren zufrieden geben; denn hier gilt der Satz, daß das Bessere des Guten Feind ist.

    (Abg. Rische: Das kleinere Übel! Aber morgen nicht mehr!)

    — Mit nickten, meine Herren von der äußersten Linken! Sie können sich wirklich mal eine neue Grammophonplatte zulegen!

    (Heiterkeit. — Abg. Rische: Weil Sie die Führung beanspruchen wollen!)

    Nichts wäre weniger angebracht, als voller Ungeduld in der Europafrage die These des „Alles oder gar .nichts" zu verfechten. Es geht nun einmal nur in Etappen voran, und Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dabei vollziehen sich die Entwicklungen heute wirklich mit erstaunlicher Schnelligkeit.

    (Abg. Rische: Da liegt der Hase im Pfeffer!)

    Wer hätte denn bei der durch die Abmachungen vom Petersberg endlich erzielten Beendigung der alliierten Demontagepolitik daran gedacht, daß wir heute schon, also kaum l'/2 Jahre später, über die Ratifizierung eines Vertrages beraten, der uns mit den anderen westeuropäischen Ländern auf die gleiche Stufe stellt!

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Wer hätte bei Erlaß des Besatzungsstatuts erwarten können, daß heute schon nicht nur seine Revision, sondern seine Abschaffung zur Debatte steht?!

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Diese Schnellebigkeit unserer Tage darf uns aber nicht dazu verführen, nun geradezu mit Überschallgeschwindigkeit der Entwicklung noch vorauseilen zu wollen und wertvolle -Ansätze zur Schaffung eines geeinten Europas nur deshalb abzulehnen, weil sich dessen restlose Verwirklichung dabei noch nicht vollständig abzeichnet.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Kommt Zeit, kommt Rat, Herr Henle!)

    — Hoffentlich auch für Sie!

    (Heiterkeit. — Abg. Mayer [Stuttgart]: Kann der Lautsprecher nicht abgestellt werden?!)

    Es gibt, so will mir scheinen, besonders zwei Gefahren für einen gesunden Fortschritt bei der Entwicklung unserer politischen Beziehungen zur Umwelt und vor allem zu unseren Nachbarn im Westen: die schon erwähnte Ungeduld und dann das Mißtrauen, das besonders der französischen Politik gegenüber jedwede fruchtbare Zusammenarbeit zur Erreichung gemeinsamer Ziele immer wieder in Frage stellt. Was soll man denn davon halten, wenn wir zu hören bekommen, durch den Schumanplan würden Besatzungsrecht und Besatzungsmacht für 50 Jahre Bestandteil des deutschen Rechts?

    (Abg. Rische: Für zwei Generationen!)

    Eine der für uns positivsten Seiten des Schumanplans liegt ja gerade darin, daß er für die deutschen Grundindustrien das Besatzungsrecht durch das neue Recht der Kohle- und Stahlgemeinschaft ersetzt, das für alle Mitgliedstaaten das gleiche ist. Oder glaubt man, Frankreich oder die Niederlande oder irgendeines der anderen Unionsländer seien bereit, sich freiwillig einem neuen Besatzungsrecht zu unterwerfen, bei dessen Ausübung dann auch die Deutschen mitbestimmend sind?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Gewiß, der Schumanplan-Vertrag läßt nicht automatisch sämtliches Besatzungsrecht bei uns verschwinden, aber er bahnt doch der Ersetzung des Besatzungsrechts durch Vertragsrecht mit den Weg. Die Alternative zur Schumanplan-Regelung ist ja nicht ein völlig freies und unabhängiges, ein in sich selbst ruhendes Deutschland, sondern der Fort-


    (Dr. Henle)

    bestand der bisher bestehenden Bindungen und Kontrollen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das geflissentlich zu übersehen, heißt die Tatbestände verwirren und erinnert auch an das bekannte Verhalten des Vogels Strauß.
    Was nun die 50 Jahre anlangt, so ist es auch hier das ewige Mißtrauen, das eine solche Festlegung auf mehrere Jahrzehnte scheut. Auch beim preußisch-deutschen Zollverein von 1834 hat sich — so sehr er zunächst befehdet wurde - der zugrunde liegende Kerngedanke in dem seither verflossenen Zeitraum doch so vollständig durchgesetzt, daß man heute für das dereinstige Bestehen von Zollgrenzen, z. B. zwischen Hannover und Oldenburg, nur noch ein mildes Lächeln haben kann.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber da gab es doch keine Teilmärkte und keine Teilkompetenzen!)

    — Das haben die Zeitgenossen, Herr Kollege Schmid, damals genau so gesagt.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Nein, Nein!)

    — Die Quellen sind Ihnen zugänglicher als irgend jemandem.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Nein, nein!) Ich empfehle Ihnen eine gründliche Lektüre!


    (Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Umstellungen so grundsätzlicher Art, wie der Schumanplan sie vorsieht, kann man einfach nicht nur auf ein paar Jahre befristen wollen, die dann gerade von den Anfangs- und Übergangsschwierigkeiten angefüllt sein werden

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    und deshalb unmöglich einen verläßlichen Maßstab für die Bewährung des Ganzen abgeben können. Deshalb bin ich durchaus gegen den Abstrich der Null in der Geltungsdauer des Vertrages,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    den der Kollege Dr. Baade mit mehr beredter als überzeugender Feder vor wenigen Tagen in der Presse empfohlen hat.

    (Zuruf von der CDU: Er muß!)

    Den Schumanplan als Instrument der französischen Machtpolitik hinzustellen, in ihm die Weiterführung der französischen Sicherheitspolitik auf deutsche Kosten mit modernen Mitteln sehen zu wollen,

    (Zuruf aus der Mitte: Das sind Schusterparolen!)

    ist schließlich gleichfalls nichts anderes als eine aus Mißtrauen geborene Verzeichnung des wahren politischen Sachverhalts. Darin spukt die alte Schulmeister-These von der sich seit Richelieus Tagen gleich gebliebenen französischen Politik der Spaltung und Niederhaltung Deutschlands. Gewiß, die französische Politik zeigte in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkriege eine nicht unbedenkliche Neigung des Verharrens in Gedankengängen und Zielsetzungen vergangener Zeiten; das ist nicht zu leugnen. Nach den Kostproben deutschen Verhaltens im Zeichen der Hitlerpolitik war das, wenn auch nicht gerade weitsichtig, so doch weiß Gott die verständlichste aller Reaktionen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Aber gerade darin besteht ja die Bedeutung des
    Schumanplans, daß er das deutsch-französische
    Verhältnis nun auf ein völlig neues und ganz anderes Gleis zu schieben sucht,

    (Zuruf von der KPD: Auf ein amerikanisches!) nachdem schon vorher Frankreich entschlossen den Europagedanken als politische Zielsetzung aufgegriffen hatte. Zu erklären, die Franzosen sagten zwar Europa, meinten aber doch nur Frankreich und dessen eigene Interessen, das ist wirklich ein zu einfaches Verfahren, um die alte RichelieuThese angesichts solch bewußten Einlenkens der französischen Politik in neue Bahnen dennoch am Leben zu erhalten. Wir sollten uns vielmehr freuen, daß Frankreichs Politik nicht in den alten eingerosteten Gleisen steckengeblieben ist, sondern daß es uns die Hand zur Zusammenarbeit im Schumanplan geboten und damit eine der großen Initiativen entwickelt hat, denen epochemachende Bedeutung in der Geschichte zukommen kann.


    (Zuruf von der KPD: Aber nicht für das französische Volk; für die französische Rüstungsindustrie!)

    „Aber die Saar!" höre ich Sie schon einwerfen. Gewiß, die französische Saarpolitik der letzten Jahre wurde in jener ersten Nachkriegszeit eingeleitet, die ich eben kurz skizzierte, und sie trägt ihren Stempel. Sie wurde urbi et orbi kundgetan, fand, wenn nicht die Billigung, so doch die Hinnahme der USA-Regierung und derjenigen Englands, j a bis zu einem gewissen Grade deren Unterstützungszusage. So etwas läßt sich nicht so leicht von heute auf morgen einfach wieder abschreiben.

    (Aha! bei der SPD.)

    Das ginge vielleicht in einem totalitären Regime, das bekanntlich zu jeder Schwenkung um 90 oder auch 180 Grad stets fähig ist,

    (Erneute Zurufe von der KPD)

    aber nicht in einer Demokratie, wo sich jeder Kurswechsel erst einmal nach unten hin, im eigenen Volke, durchsetzen und Billigung finden muß.

    (Zuruf von der KPD: Das sieht man an der Saar!)

    Wenn hier eine Aussicht auf einen französischen Sinneswandel besteht, auf eine Revidierung des ursprünglichen, eindeutigen Abtrennungsbestrebens und auf die Bereitschaft zu jener „Entente zwischen Paris und Bonn über die Saar", von der gerade jetzt, am 22. Juni, der General de Gaulle gesprochen hat, so ist klar,

    (anhaltende Zurufe von der KPD)

    daß sich dies nur im Zuge der sich entfaltenden Europapolitik, im Zuge des Zusammenwirkens in der Kohle- und Stahlgemeinschaft und durch Schaffung einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens erreichen läßt, nicht aber, indem man den Franzosen gegenüber ohne Unterlaß ein abgrundtiefes Mißtrauen bekundet.

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    Der Schumanplan entnationalisiert bekanntlich die Grundindustrien des Saargebiets, die bei dem ganzen Streit für die Franzosen das wesentliche Objekt bilden, jedenfalls in dem Sinne, daß sie fortan nicht mehr nur rein deutschen oder nur rein französischen Interessen dienen sollen, wie auch immer die Eigentumsfragen geregelt werden. Das muß sich über kurz oder lang auch auf die Haltung Frankreichs zu dem ganzen Problem der Saar auswirken.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das ist Futurismus, Herr Henle!)



    (Dr. Henle)

    — Wie sagen Sie?

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Das ist Futurismus!)

    — Herr Kollege Schmid, was Sie in diesem Punkte betreiben, das ist — —

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Der Versuch, Sie zum Präsens zu bekehren! — Abg. Dr. Schäfer: Das ist Dadaismus!)

    — das fällt unter das alte Sprichwort: „Blinder Eifer schadet nur!"

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Wie alles braucht auch das seine Zeit. Es kann deshalb schwerlich als der letzte Schluß staatsmännischer Weisheit betrachtet werden, wenn man sich ausgerechnet die Saarfrage ausgesucht hat, um sich ihrer als Sturmbock gegen den Beitritt zum Europarat, als Sturmbock gegen den Schumanplan zu bedienen. In der Kette von lauter schwachen Punkten in dem Kampfe gegen das nun einmal auf den Index gesetzte Schumanplan-Vertragswerk

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

    ist das Argumentieren mit der Saarfrage wohl einer der schwächsten. Der Gedanke liegt nahe, daß es bei seiner Erfindung nach dem alten lateinischen Sprichwort zugegangen sein mag: „Interdum dormitat et bonus Homerus" — manchmal schläft auch der große Homer!

    (Heiterkeit und Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. Renner.)

    — Sie habe ich mit dem Homer nicht gemeint.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Aber die Sache wird nicht dadurch besser, daß man
    sich immer tiefer in den begangenen Fehler verstrickt, die Bundesregierung wegen ihrer wohlüberlegten Haltung in dieser Frage der Pflichtverletzung gegenüber dem deutschen Volk zeiht und androht, uns hier jede Woche eine Saardebatte zu bescheren. Dadurch ruft man in Frankreich nichts
    als Widerstände auf den Plan und erschwert nur
    den schon in Gang gekommenen Umstellungsprozeß
    der Weltmeinung in dieser Frage. Was man mit
    dieser Taktik erreichen kann, sind keine Erfolge in
    einer uns Deutschen allen ans Herz gewachsenen
    Sache, sondern man richtet damit nur Scherben an.
    Wir müssen uns schon herausreißen aus dieser
    Grundhaltung des ewigen Mißtrauens, mit der nicht
    weiterzukommen ist. Denn auch wir können nur
    dann Vertrauen erwarten, wenn wir uns selbst
    nicht ständig von Mißtrauen übermannen lassen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Gewiß konnte die gleich nach dem Kriegsende verkündete französische Zielsetzung auf Heraustrennung des Ruhrgebiets aus dem deutschen Staatsverband und weiter dann die französische Saarpolitik unser Mißtrauen wachrufen. Gewiß kränkt es uns, wenn in Paris bei den Erörterungen über die Möglichkeiten eines deutschen Verteidigungsbeitrags immer wieder Gesichtspunkte laut werden, die ein tiefes Mißtrauen verraten. Wenn Mißtrauen aber nur mit Mißtrauen erwidert wird, ja wenn sich dahinter die ständige Furcht vor hinterlistigen Absichten des Partners verbirgt, dann freilich können wir alle Hoffnungen auf ein geeintes Europa begraben.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Mit diesem Mißtrauen sollte deshalb auf beiden Seiten jetzt gründlich Schluß gemacht werden.

    (Sehr gut! und großer Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das soll natürlich nicht heißen, einer unbegrenzten Vertrauensseligkeit das Wort zu reden. Diese stellt sich zwischen den Völkern so leicht ohnehin nicht ein. Aber es ist zweierlei, ob man eine behutsame und alle Möglichkeiten abwägende Politik betreibt oder ob man durch ständiges Verraten eigenen Mißtrauens einer gleichen Einstellung auf der anderen Seite dauernd neue Nahrung zuführt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es ist nicht von ungefähr, wenn ich mich hier so nachdrücklich darum bemühe, vom notwendigen Vertrauen der Völker zueinander zu reden.

    (Zuruf von der KPD.)

    Wir können hier den Text des Schumanplan-Vertrags von Anfang bis zum Ende auf das gründlichste durchstudieren; er wird uns doch keine
    schlüssige Antwort auf die Frage geben können, ob
    die Anwendung seiner Bestimmungen unserem
    Volke nur Glück und Wohlstand oder Benachteiligung und Hemmung unserer Kräfte bescheren wird.

    (Zuruf von der KPD: Es folgt gewiß die Katastrophe!)

    Denn dabei kommt es zum wesentlichen Teile bei aller Bedeutung der einzelnen Vertragsklauseln nicht auf den Buchstaben der Bestimmungen an, sondern auf den Geist, in dem sie später gehandhabt werden. Nun verläßt sich jedes Volk zwar gerne, wenn auch vielleicht nicht ganz mit Recht, auf den eigenen Geist und vertraut darauf, daß dieser jedenfalls seine eigenen Interessen am besten wird zu wahren wissen. Aber die Sache wird schwierig bei einem Vertrage, bei dem es auf den Geist ankommt, der eine Mehrzahl von Völkern und deren Exponenten in einer Zukunft beherrschen wird, in die uns jede verläßliche Aussicht versperrt bleibt. Da stellt sich dann heraus, daß wir uns letztlich vor ein , schwieriges völkerpsychologisches Problem gestellt sehen, für dessen Beurteilung wir nur die Erfahrungen der Vergangenheit besitzen. Das aber bringt wiederum die Gefahr mit sich, daß wir nach einem halben Säkulum, in dem im alten Europa mehr Verblendung als Verstand zu regieren schien, einer Skepsis anheimfallen, die vor jedwedem kühnen Versuch und Wagnis, wie es der Schumanplan darstellt, zurückschreckt. Skepsis aber bedeutet Mißtrauen; Versuch und Wagnis hingegen sind in ihrem Gelingen durch das Vertrauen in den Erfolg des Unternehmens bedingt. Damit wird klar, daß das Ja oder Nein zum Schumanplan stärkstens dadurch bestimmt ist, ob wir unser Vertrauen bewahrt haben in die Kräfte und in den gesunden Geist der westeuropäischen Völker, ob wir es durch die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit hindurchgerettet haben oder ob wir angesichts der trüben Erfahrungen der Vergangenheit lieber resignieren wollen.
    Die Wahl zwischen den beiden darf uns nicht schwerfallen. Wir treiben schließlich nicht für uns, sondern für die Zukunft des deutschen Volkes Politik. Diese Zukunft wird einmal in der Hand unserer heutigen Jugend liegen. Diese Jugend erwartet aber schon das bißchen Mut und Vertrauen von uns,

    (Beifall bei den Regierungsparteien — Widerspruch bei der KPD)

    die dazu gehören, um das Zögern zu überwinden,
    mit dem die Mitwelt gewöhnlich allen Anläufen
    zum Fortschritt gegenübersteht. Wird unsere
    Politik aber von Skepsis und Resignation diktiert,
    so wird sich unsere Jugend nicht dafür erwärmen
    können. Sie aber soll der Schumanplan als ein


    (Dr. Henle)

    Anfang und erster Anlauf zu größerem Vollbringen anspornen.

    (Abg. Renner: Das größere Vollbringen ist der Krieg!)

    Diese Jugend verlangt von uns auch entschlossene Arbeit am Aufbau eines neuen und geeinten Europas. Dies ist eines der wenigen zugkräftigen Ideale, die wir ihr zu bieten haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie empfindet den heutigen Zustand mit Recht als lächerlich und zeitwidrig. Er ist es auch, sobald wir den Blick einmal über unsere Grundsätzlichkeiten und Streitereien im engen Kreise des alten Europas erheben. Von den USA aus gesehen muß dieses Europa ja so anmuten, wie uns in unseren Jugendtagen einst der Balkan, jener Hexenkessel der nationalen Gegensätze, erschien.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es ist deshalb auch kein Zufall, daß gerade die amerikanische Öffentlichkeit den Schumanplan voriges Jahr enthusiastisch wie einen plötzlichen, unerwarteten Lichtstrahl begrüßt und daß sich die amerikanische Politik um seine Verwirklichung so sehr bemüht hat. In der Welt draußen hat man sich teilweise gewundert und man hat sich gefragt, was denn just die USA dabei zu gewinnen gedächten. Die Frage ist müßig; denn gewichtiger als jeder Gewinn würde der Verlust an Zukunftsaussichten, ja an jedem Vertrauen in die Zukunft sein, den ein Fehlschlag des großen Anlaufs zur Folge hätte. Der Rückschlag, zu dem ein Scheitern des Schumanplans schon vor einem wirklichen Versuch seiner Durchführung, lediglich infolge der Ablehnung seiner Ratifizierung, führen müßte, könnte für die Welt der freien Volker oder doch zumindest der westeuropäischen Völker leicht tödliche Folgen haben.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Wer zu einem solchen Scheitern beitragen will, erforsche deshalb nur recht ernstlich sein Gewissen, ob er das vor der Geschichte, vor der Jugend unseres Volkes und Europas, die diese Folgen tragen mußte, auch verantworten kann.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Die „Rüstungskönige mit Gewissen"! Die müssen erst geboren werden!)

    Das sind denn auch die Erwägungen, die uns dazu bestimmt haben, in dieser für ganz Europa so wichtigen Frage der Bundesregierung unsere Zustimmung nicht zu versagen. Wir danken es ihr vielmehr, wir danken es vor allem der weitschauenden Politik des Herrn Bundeskanzlers, daß sie durch ihre Haltung so entscheidend zum Gelingen des Werkes beigetragen hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Uns erscheint unser Weg klar vorgezeichnet.


    (Zuruf von der KPD: Der Untergang!)

    Wir haben sogleich bei der Bekanntgabe des Schumanplans in ihm die große und zukunftsträchtige Idee erkannt, die er barg, und wir halten an ihr fest. Gewiß, die Verhandlungen waren nicht einfach und bequem, und sie haben uns auch in manchen Punkten Enttäuschungen gebracht; das Vertragswerk mutet uns manches nicht geringe Opfer zu. Aber wir haben uns doch dazu durchgerungen, unser Ja auszusprechen, weil man fähig sein muß, für die Verwirklichung einer großen Idee auch Opfer in Kauf zu nehmen. Uns leitet dabei der große Gedanke des Zusammenschlusses der freien Völker Europas, diese letzte Hoffnung unseres alten kulturtragenden Kontinents. Nur
    durch geschlossenes und vertauensvolles Zusammenstehen vermögen wir die aus dem Osten heraufgezogenen Gefahren zu bannen; das ist unsere letzte Chance,

    (Sehr richtig! bei der KPD und weitere Zurufe von der KPD.)

    das ist geradezu die Hauptaufgabe, die unserer Generation gestellt ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Kohle- und Stahlgemeinschaft aber ist der entscheidende erste Baustein zu diesem Wall, den es zu errichten gilt. Ihm werden weitere folgen müssen. Wenn alle in diesem Geiste an die Verwirklichung des Vertragswerkes herangehen, dann kann dem rechten und mutigen Wollen der Erfolg nicht versagt bleiben. Darauf vertrauen wir.

    (Langanhaltender Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Henle hat sich genau an die im § 87 vorgesehene Rededauer von einer Stunde gehalten. Ich bitte die nachfolgenden Redner, das gleiche zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Schumanplan. Wir hatten es ein wenig eilig mit der Ansetzung des Termins der Debatte über die Ratifikation des Vertragswerks. Vielleicht waren wir dabei sogar ein wenig voreilig. Diese Montanunion sollte doch ein teamwork sein, und bei einem solchen Gemeinschaftswerk sollte man ein bißchen im Gleichtakt mit den andern Vertragspartnern handeln und sich gelegentlich umsehen, ob diese andern nachkommen.

    (Abg. Rische: Ei! Ei!)

    Es ist immer ein wenig peinlich, wenn man der
    Vortrefflichste und der Eifrigste sein will. Gestatten Sie mir, Herr Kollege Henle, Sie zu zitieren:

    (Abg. Dr. Henle: Sehr ehrenvoll!)

    „Blinder Eifer schadet nur"!

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Retourkutsche!)

    Die Maxime steht, glaube ich, auch bei Buchmann, aber ich kenne sie doch durch Sie . . .

    (Heiterkeit.)

    Diese Eile mag und wird eigenen Impulsen des Herrn Bundeskanzlers entsprungen sein,

    (Abg. Renner: Nein, er hat gesagt, die Amerikaner!)

    aber ich glaube, Grund zu der Vermutung zu haben, daß diese Eile auch das Ergebnis von Gesprächen mit dem Herrn Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten von Amerika sein könnte, der ja nicht nur den Herrn Bundeskanzler darauf hingewiesen hat, daß man in den Vereinigten Staaten eine eilige Ratifikation als Beweis des guten Willens der Deutschen erwarte.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Kunze: Falsch!)

    — Es ist nicht immer falsch, solchen Erwägungen und solchen Impulsen nachzugehen, Herr Kunze, so puristisch bin ich gar nicht.

    (Heiterkeit. — Abg. Kunze: Sie zitieren aber doch falsch!)

    Diese Impulse sollten sich aber nie selber genügen
    wollen; und solche Erwägungen und Impulse


    (Dr. Schmid [Tubingen])

    können uns nicht der Verpflichtung entheben, nachzuprüfen, ob der in Aussicht gestellte Vorteil für und für das Ganze wirklich zu erwarten ist und, wenn ein Vorteil da sein sollte, ob der Preis, den man uns dafür abverlangt, nicht zu hoch ist.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat das Vertragswerk der Montanunion gepriesen, und Herr Dr. Henle hat ihn in seinem Lobpreis noch überboten. Beide Herren halten trotz einiger Bedenken — „Opfer seien immer zu bringen" — das Werk für vortrefflich. Sie meinen, das neue Haus sei gut gebaut und habe gleichermaßen und gleich wohnlichen Platz für alle. Sie haben uns mit bewegten Worten — sie sind ja als „revolutionäre Geister" bekannt —

    (Heiterkeit)

    geschildert, welche revolutionäre Großtat es sei, erstmals eine supranationale Instanz geschaffen zu haben, die nationalistischen Mißbrauch der in den Zusammenballungen der Montanindustrien geschaffenen Macht verhindern werde.
    Weiter sagten Sie, darüber hinaus bringe das Vertragswerk dem deutschen Volk unmittelbar oder doch mittelbar politische und höchst achtbare wirtschaftliche Vorteile; und was das Wichtigste sei: Dieses Werk gebe uns beinahe die volle Gleichberechtigung, indem es einen wesentlichen Teil der einseitig ausgeübten Gewalt der Siegermächte abbaue, und insbesondere: Der Weg durch die Montanunion sei der einzige Pfad, der zu diesem hohen Ziele führen könne. Und den Kritikern der Saarpolitik der Bundesregierung hat man gesagt, daß die deutsche Position an der Saar durch den Abschluß des Montanunionvertrags erheblich verbessert werde.
    Und dann kam ein Trumpf — ich glaube, Herr Dr. Henle, Sie haben das Wort von der Trumpfkarte selbst gesprochen —: wir überwänden so, durch eine deutsche Vorleistung, erstmals nationalstaatliche Vorurteile; in den neun Mitgliedern der Hohen Behörde werde die Spezies des homo Europaeensis geboren, und überhaupt, der Montanpakt sei Europa — wenigstens im Embryonalzustand —; wer den Pakt wolle, wolle Europa, wer ihn ablehne, der lehne Europa ab. Und immer wieder hat insbesondere Herr Dr. Henle zu uns im Futurum gesprochen und mir damit die Gelegenheit zu dem Zwischenruf vom Futurismus seiner Politik geboten. Er hat insbesondere dann im Futurum gesprochen, wenn er von heiklen Dingen sprach und wenn er darauf hinwies, was alles uns der durch den Schumanplan zu uns herabgestiegene neue „Geist" bescheren werde. Herr Dr. Henle hat es sich nicht nehmen lassen — wie sollte er auch —, meinen Freund Kurt Schumacher und die SPD heftig zu apostrophieren, und er hat sich als ein Spaßvogel ohnegleichen erwiesen, als er „Die Welt" — ich meine jene Zeitung, die sich so nennt — für eine der Sozialdemokratischen Partei nahestehende Zeitung ausgab. Das hätten Sie den wackeren Mannen in Hamburg nicht antun dürfen.

    (Heiterkeit.)

    Die werden es nun schwerer haben, nach dem, was
    Sie da sagten, sich mit den Herren auseinanderzusetzen, mit denen sie sonst konferieren, denn
    die werden Ihnen das vielleicht glauben — nicht
    die Herren von der „Welt", die wissen es besser,
    aber jene anderen, die Gesprächspartner der Herren
    von der „Welt". Und er hat uns Dogmatismus
    „nachgewiesen" und alle jene schönen anderen Dinge,
    die auf -ismus enden, und er hat uns insbesondere
    Negativismus vorgeworfen. Als ob nicht manches
    sozialdemokratische Nein zu der Politik, die hier
    getrieben worden ist, die Voraussetzung für eine
    positive Lösung deutscher Probleme gewesen wäre!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Als ob nicht schon zu Beginn unseres Gemeinwesens ein SPD-Nein die Möglichkeit zur Bildung eines funktionsfähigen Staates geschaffen hätte!

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Sie scheinen es für möglich zu halten, daß Leute, die sich in ihrem Leben ihr Nein zu gewissen herrschenden Gewalten haben etwas kosten lassen, aus purer Unlust an einigen heute regierenden Leuten nicht anders könnten, als immer nein zu sagen,

    (Abg. Kunze: Das tun wir allerdings!)

    so als handele es sich bei uns um Pennälerfehden!

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Dr. Henle, vergessen Sie nicht den Satz des
    Heiligen Thomas: „Omnis negatio est affirmatio" —
    in jeder Verneinung liegt eine Bejahung verborgen.

    (Abg. Höfler: Das ist ja klerikal!)

    — O, der Heilige Thomas war kein Klerikaler.

    (Heiterkeit.)

    Sehen Sie, Herr Dr. Henle, so wie Sie etwas von den Grenzwerten beim Stahl verstehen, verstehe ich ein ganz klein wenig etwas von diesen Dingen: die Klerikalen waren erst die Epigonen des Heiligen Thomas.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Wenn wir zu diesem oder jenem Ihrer oder anderer Leute Politik nein sagen, so weil unser Ja zu bestimmten Prinzipien und Zielen so leidenschaftlich ist, daß man zu gewissen Surrogaten nein sagen muß, die man uns als das Echte ausgeben will.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Herr Dr. Henle, ich will Ihnen keine Retourkutschen zuschicken.

    (Abg. Dr. Henle: Das haben Sie doch getan!)

    — O, das waren keine Retourkutschen, das waren freundliche Antworten auf Ihre Zwischenbemerkungen.

    (Zuruf von der Mitte: Kinderwagen waren das!)

    Sie fragten, was ich denn von den Grenzwerten bei Eisen und Stahl verstünde — ich beuge mich sehr tief vor Ihrer großen Sachkenntnis in diesen Dingen; ich habe auf diese Branche nicht gelernt —, aber, sehen Sie, eines habe ich im Collegium logicum gelernt, nämlich daß eine voll belastete Maschine, die zu 25 % kaputt gemacht worden ist, nicht zu 100 % laufen kann. Das ist es, was ich mit den Grenzwerten meinte, im Zusammenhang mit den Bemerkungen über das, was man von der Verbundwirtschaft übriggelassen hat. Aber Schluß nun mit diesen Dingen.
    Ich will auf Ihre Argumente eingehen, so wie Sie auf die Argumente der SPD hätten eingehen müssen, von denen Sie ja sagten, sie seien Ihnen so bekannt wie der Katechismus.

    (Heiterkeit.)

    Aber, sehen Sie, Sie lieben es nicht, auf Argumente
    einzugehen, Sie ziehen es vor, zu tadeln oder zu
    witzeln, und das ist keine genügende Methode. Was
    ist denn mit Ihren Argumenten? Was bleibt denn
    übrig, wenn der scharfe Wind der Analyse den
    goldenen Rauch des Mythos weggeblasen hat, den
    man vor den Realitäten hat aufsteigen lassen, die
    sich hinter dem Wort vom Schmanplan verbergen?

    (Zuruf rechts: Neuer Mythos!)



    (Dr. Schmid [Tübingen])

    Ja, man hat versucht, einen Schumanplan-Mythos zu schaffen. Man hat dem Volk nicht nüchtern gesagt: Man verlangt von uns dies und das, und das kostet soviel, und wir wollen es leisten, weil wir annehmen, dafür schätzungsweise dieses und jenes zurückzubekommen, und wir dürfen annehmen, daß wir das zurückbekommen aus den und den Gründen. Man hat nicht gesagt, was denn dabei nun wirklich an Veränderungen der Wirklichkeit vor sich geht, in der wir stehen, und auch nicht, wer über die Masse, die geschaffen worden ist — auch über die Masse an Macht —, verfügt und mit welchen Chancen. Man hat nicht darzulegen versucht, was für Veränderungen der politischen Grundverhältnisse geschaffen werden. Das ist nicht gut. Man kann doch den Schumanplan nicht für sich allein betrachten; man kann ihn doch nur dann richtig werten, wenn man ihn im Koordinatensystem des politischen Grundverhältnisses sieht, in dem sich Europa und vielleicht sogar die Welt befindet.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das ist keine Möglichkeit politischer Diskussion. Das ist Mißbrauch von Stimmungswerten und der
    Lust der Menschen an der Stillung gewisser Gemütsbedürfnisse,

    (Zuruf in der Mitte: Au!)

    ein Mißbrauch zu politischen Zwecken. Das ist so, auch wenn Sie „Au" rufen, verehrter Herr Kollege. Eine solche Methode führt zu nichts Gutem. Die in den Dingen vorhandenen Kräfte sind immer stärker als unsere Wunschbilder, und Surrogate waren auf die Dauer noch nie bekömmlich.
    Was ist zu den Fakten zu sagen? Ich will mich auf das Nichtwirtschaftliche des Problems beschränken; das Wirtschaftliche wird mein Freund Fritz Henßler dartun.
    Zunächst zum politischen, administrativen Aufbau der Montanunion; auch hier werde ich nur einzelne Punkte herausheben.
    Hier ist zuerst die Hohe Behörde zu nennen. Sie ist ein supranationales, zentral funktionierendes Herrschaftsorgan. Sie ist kein internationales, föderatives Kooperations- und Koordinationsorgan. Die Hohe Behörde übt unmittelbar e Gewalt' aus, eine Gewalt, die unmittelbar in die Staaten hineinzuwirken vermag und nicht nur darauf beschränkt ist, auf die Staaten zu wirken. Zwar kann die Hohe Behörde nicht alles; aber sie kann so viel, daß neben ihrer Zuständigkeit auf den Gebieten der Montanwirtschaft und auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens, auf die die Dinge der Montanwirtschaft wirken, alle anderen Kompetenzen untergeordnet erscheinen.

    (Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Wie ist das sonst im Bundesstaat?)

    — Darauf werde ich gleich kommen, Herr Kollege Becker; das ist in der Tat das Problem. —

    (Vizepräsident D r. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)

    Supranationale Behörden können sehr gute Dinge sein, sofern gewisse unerläßliche Voraussetzungen für die Möglichkeit ihres rechten Funktionierens geschaffen sind, und Voraussetzungen dafür, daß solche Dinge funktionieren können, sind z. B. das Vorhandensein eines adäquaten Unterbaus und einer demokratischen Kontrolle von oben.
    Eine andere Frage — und damit komme ich auf das Problem „Bundesstaat und Bundesländer" —: Kann man denn obrigkeitliche Gewalt schaffen, die sich auf Teilgebiete beschränkt, wenn sich deren Maßnahmen auf diesen Teilgebieten in entscheidender Weise auf anderen Gebieten auswirken müssen, auf Gebieten, die anderer Verantwortung und einer anderen Botmäßigkeit unterstehen? Die Hohe Behörde wird Maßnahmen treffen. Diese Maßnahmen wirtschaftlicher Art werden Auswirkungen haben auf dem sozialen Gebiet, auf dem finanziellen Gebiet, auf einer Reihe anderer Gebiete auch, Auswirkungen, denen begegnet werden muß, wenn kein Chaos werden soll. Wer wird diese Auswirkungen auffangen müssen? Der Staat! Der Staat, der auch die Kosten für das wird aufbringen müssen, was durch diese Maßnahmen der Hohen Behörde auf anderen Gebieten als Nebenwirkung ausgelöst werden wird; aber über die Mittel, die er brauchte, um diese Kosten aufzubringen, über den Schlüssel zu diesen Mitteln verfügt nicht er, sondern die Hohe Behörde, die ja allein über diesen Schlüssel, nämlich die Schlüsselindustrien verfügt. Das bedeutet, daß wirtschaftliches Geschehen und — um nur eines zu nennen — soziales Geschehen Gefahr laufen werden zu divergieren. Es fehlt ein einheitlicher Herr über beide Bereiche, der die Kluft schließen könnte; und was in der Aufgliederung der Kompetenz zwischen Hoher Behörde und dem, was den Staaten verbleibt, geschieht, das ist nicht eine gesunde Arbeitsteilung, sondern das ist Anarchie und Gegenläufigkeit!

    (Unruhe und Widerspruch rechts.)

    Wenn eine supranationale Behörde, oder sagen wir: „Autorität" funktionieren soll — wenn man das will, dann müßte die Hohe Behörde sachlich umfassendere Verantwortungen und Kompetenzen haben, als die Hohe Behörde des Schumanplans sie hat. Sie müßte nämlich verpflichtet sein — und dieser Verpflichtung müßten korrespondierende Befugnisse entsprechen —, für die sozialen und finanziellen Folgen ihrer wirtschaftlichen Anordnungen aufzukommen, mit Mitteln, die sie beschaffen muß,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und das kann sie nicht!

    (Sehr wahr! bei der SPD.) Teilverantwortungen und Teilkompetenzen sind in Staat und Überstaat, Herr Kollege Becker, nur möglich, wo ein Teilgebiet in sich ganz geschlossen ist und nicht auf andere wesentliche Gebiete entscheidend Einfluß zu nehmen vermag. Das ist in der Tat das Problem des Bundesstaates, und deswegen wird in jedem Bundesstaat die Lastenverteilung und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so vorgenommen, daß, was der Bund anrichtet, auch der Bund bezahlen muß und nicht etwa die Länder zu bezahlen haben. Nur so geht es. Man kann nicht Stücke herausschneiden; man muß das Zusammenhängende auch unter die Kompetenz und Verantwortung des Zusammenhangs stellen, und das ist in der Montanunion nicht geschehen.

    Ein Weiteres. Die Hohe Behörde trifft ihre Anordnungen autonom. Die Parlamente der Länder haben keinen Einfluß auf sie und kontrollieren ihre Tätigkeit nicht; denn die Versammlung, die der Pakt vorsieht, ist ja kein Parlament und hat ja keine echten parlamentarischen Befugnisse. Auf der anderen Seite aber wirken die Entscheidungen der Hohen Behörde in die Länder hinein, und zwar in wesentlichste Sachgebiete, die nach den Verfassungen der Länder in die Verantwortung der Parlamente und der Regierungen, die diese Parlamente kontrollieren, fallen, und damit, meine Damen und Herren, wird das Grundgesetz auf weiten Gebieten illusorisch. Man kann das wollen


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    und man kann gute Gründe haben, so etwas zu wollen; man muß nur wissen, was man damit will und ob man bereit ist, die Konsequenzen dessen mit zu wollen, was man will.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Regierungstätigkeit und die Tätigkeit des Parlaments werden auf wichtigsten Sachgebieten nichts anderes mehr sein können als bloße Funktionen und Begleiterscheinungen der Taten und Unterlassungen der Hohen Behörde. Eine eigene Wirtschaftspolitik wird in diesem Lande nicht mehr zu treiben sein, sondern nur noch in Abhängigkeit und in Funktion dessen, was die Hohe Behörde als Wirtschaftspolitik haben will.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Nehmen Sie ein Beispiel. Wie haben wir alle, die wir hier sitzen, zu Beginn unserer Tätigkeit geklagt, als man von uns verlangte, den Kohlenpreis zu verändern! Wir haben damals gesagt: ja, was ist denn dann noch mit uns? Können wir denn dann noch eine Wirtschaftspolitik treiben und verantworten, wenn man uns den Kohlenpreis vorschreibt?

    (Zuruf rechts.)

    — Da wird noch viel mehr vorgeschrieben werden, Herr Kollege, als der Kohlenpreis, und nicht nur einmal, sondern viele Male! Man kann das wollen, man kann das für gut halten — nur muß man wissen, was man damit mit wollen muß.

    (Abg. Dr. Tillmanns: Wir wissen es!)

    — Sie wissen das, Herr Dr. Tillmanns; nun, wir wollen einige Gespräche, die wir in Straßburg geführt haben, hier lieber nicht wiederholen.

    (Abg. Dr. Tillmanns: Was ist denn das für eine Art?)

    — Was das für eine Art ist? Ein freundliche Art, auf einen Zwischenruf einzugehen, verehrter Herr Kollege!

    (Heiterkeit.)

    Die Schlüssel zu all diesen Dingen werden künftig in den Händen der 9 Herren sein, die über unsere Schlüsselindustrien gebieten. Dort wird die eigentliche Schlüsselgewalt liegen. Man könnte sagen: das ist gut, Schluß mit eigener Wirtschaftspolitik der Nationen; es lebe der neue Areopag und nieder mit der Selbstbestimmung! So kann man denken. Aber was ist denn die Hohe Behörde, was ist sie denn in Wirklichkeit; was bleibt, wenn man ein bißchen von dem Nimbus wegnimmt, den man um sie gelegt hat? Nun, die Hohe Behörde ist nichts anderes — in der Sprache der Soziologie zu reden — als ein Konvent von Managern — also gerade das, was auf der nationalen Stufe zu überwinden 150 Jahre demokratisch-parlamentarischer Entwicklung notwendig gewesen sind. Will man uns auf dem internationalen, auf dem supranationalen Gebiet nicht um 150 Jahre hinter den demokratischen Stand zurückwerfen, den die Nationen Europas und der neuen Welt seit 11/2 Jahrhunderten geschaffen haben, dann hätte man in erster Linie ein echtes Montanunions-Parlament schaffen müssen,

    (Beifall bei der SPD)

    ein Parlament mit allen echten Kompetenzen eines demokratisch gewählten und insbesondere mit demokratischer Souveränität ausgestatteten Parlamentes, und nicht einen Bastard von Assemblée, der nichts kann und nichts darf. Dann erst hätte man die politische Amputation der nationalen Parlamente hinnehmen können, und ich wäre der erste gewesen, zu sagen, daß man sie hinnehmen solle!
    Aber wir werden dann nach Inkrafttreten der Montanunion nicht mehr das sein, was die Briten mit großem Pathos zu nennen pflegen „nation governed by parliament". Wenn das zu schaffen heute nicht möglich war, dann hätte die Konstruktion des Zuständigkeitskatalogs der Hohen Behörde nicht so gewählt werden dürfen, wie man sie gewählt hat; dann hätte man sich auf ein Koordinationsorgan beschränken müssen, wenn man innerhalb der Möglichkeiten demokratischer Kontrolle bleiben wollte.
    Und nun ein anderes Argument: Die Supranationalität der Hohen Behörde, die das Statut dekretiert, bedeute die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von allen Interessen. Welche Illusion! Die Unabhängigkeit, die das Statut schafft, bedeutet doch keine andere Unabhängigkeit als die Unabhängigkeit des Managers, d. h. die Unabhängigkeit eines Machthabers von parlamentarischer Kontrolle.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Sie löst für sich allein den einzelnen doch nicht aus dem Sog der nationalen Interessen heraus, für deren Vertretung er von seiner Regierung für die Hohe Behörde vorgeschlagen worden ist. Denn die Regierungen werden doch die Kandidaten nicht nach ihrer Fähigkeit zu nationaler Selbstverleugnung aussuchen, sondern nach ihrer Fähigkeit zur Vertretung nationaler Interessen. Herr Monnet wird doch als Vorsitzender der Hohen Behörde den Vater des französischen Nationalplans, des Monnetplans, nicht verleugnen. Der ist doch sein erstes Kind, und die Montanunion soll doch die Ziehmutter dieses Kindes werden!
    Man wird noch nicht dadurch zum Europäer, daß man in eine Behörde delegiert wird, die mit Eisen und Kohle zu tun hat und eine europäische Firmenbezeichnung trägt. Der gemeinsame Zugriff auf deutsche Kohle ist noch nicht Europa!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Europäer im funktionellen Begriff wird man erst dann haben, wenn Behörden, wenn Autoritäten, wenn „europäische" Institutionen dem gewählten Parlament einer europäischen Nation verantwortlich sind.
    Aber durch solche Unterstellungen unter Gesamtparlamente sind doch über die lokalen Interessenkomplexe hinaus die übergeordneten Gemeinsamkeiten entstanden. So sind einmal aus Lothringern, aus Pikarden, aus Bretonen, aus Basken Franzosen geworden und aus Angeln, Sachsen und Schotten Engländer, aus Württembergern, Bayern, Hessen und Preußen Reichsdeutsche. So wie vorher die Länder nichts anderes waren als geographische Begriffe und kulturelle Einheiten, so ist heute die Montanunion und was sie begreift, nichts anderes als ein Wirtschaftsraum, nicht mehr. Ein besonderes Gemeinschaftsbewußtsein, ein besonderes Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung vermag man so nicht zu schaffen. Um europäisch wirken zu können, gehört jede für Europa wirkende obrigkeitliche Gewalt unter echte gesamteuropäische parlamentarische Kontrolle.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Und welche Illusion, zu glauben, daß der Franzose, der Belgier, der Deutsche der Hohen Behörde anders handeln werde denn als Vertreter der Interessen ihrer Nationen. Wenn sie es täten, wie schön wäre dann diese Welt — aber wir sind so weit in Europa leider noch nicht.

    (Zuruf rechts: Aber man muß damit anfangen!)



    (Dr. Schmid [Tübingen])

    Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben. Herr Staatssekretär Hallstein, der diese Dinge kennt, wird Ihnen sagen können, ob dieses Beispiel von mir richtig dargestellt worden ist. Wir haben eine echte Hohe Behörde schon im Leben der Völker: den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag. Seit Beginn seines Wirkens, also seit dem ersten Weltkrieg, hat er mehr als 80 Entscheidungen getroffen, und nur in zwei Fällen hat ein Richter dieses Gerichtshofes gegen die These seiner Nation gestimmt. Die Richter haben fast immer für ihre Nation gestimmt und auch dann, wenn sie dabei allein blieben oder wenn ein Richter, der einem Verbündeten ihrer Nation angehörte, mit ihnen stimmte.

    (Zuruf von der Mitte: Siehe Persien!)

    Nur zweimal ist es anders gewesen, im sogenannten Lotosfall, wo der verehrungswürdige Richter Weiß, ein Franzose, gegen die These seiner Nation gestimmt hat; er wäre allerdings allein geblieben, wenn er es anders gemacht hätte.
    Und in einem anderen Fall, im Prozeß über die deutsch-österreichische Zollunion, hat ein Belgier anders gestimmt, als es der These seiner Regierung entsprach. Diese Leute haben immer für eine Ausnahme gegolten, die man gelegentlich findet, wenn man mit einer stärkeren Laterne als der des Diogenes ausgeht, um Menschen zu suchen. In der letzten Woche noch — in dem persischen Ölstreit — haben der ägyptische und der polnische Richter — eben Richter von Nationen, die ihre Interessen gleichsetzen mit denen der Perser —, gegen die Majorität des Gerichtes gestimmt. Warum haben Sie das getan? Sie fragen: was folgt daraus? — Es geschah so, weil sie sogar als internationale Richter sich als Vertreter ihrer nationalen Interessen fühlten. Wenn das am grünen Holz der Rechtsprechung unter wirklich ehrenhaften Männern geschieht — denn das sind diese Männer —, was kann man dann von Kohle- und Stahlgebietern viel anderes erwarten?

    (Beifall bei der SPD)

    Von Männern, deren Länder teils bekommen, teils
    behalten wollen! Und alle diese Länder wollen
    doch dabei etwas verdienen; denn sie haben alle
    für Arbeit und Brot für ihre Menschen zu sorgen.

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Das kann man ihnen nicht vorwerfen, — und jeder hat das zu tun, 'auf Grund anderer Voraussetzungen.

    (Abg. Etzel [Duisburg]: Es gibt also keine Überwindung des Nationalismus!)

    — Doch, die gibt es, Herr Kollege Etzel, aber man muß es anders anfangen als die Väter der Montanunion.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Man muß dann eine gesamteuropäische politische Gesamtkompetenz schaffen, vor der die überstaatlichen Machthaber gleichermaßen verantwortlich sind, verantwortlich auch für die Reflexwirkungen ihrer Entscheidungen,

    (Beifall bei der SPD)

    so daß das, was auf dem einen Sachgebiet getan wird, auch für das andere mitverantwortet werden muß.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU.)

    Wir dürfen nicht vergessen: 5 von den 6 Ländern der Montanunion wollen unsere Kohle, damit sie der Stahl erzeugen können; sie wollen diesen Stahl
    selber erzeugen —, damit wir Deutschen möglichst wenig davon zu erzeugen brauchen,

    (Zuruf von der Mitte.)

    Wir können ja unseren Bedarf bei ihnen kaufen. Alle fünf wollen etwas von Deutschland; diese fünf wollen nicht etwas einer von dem andern. Das wird auch beim besten Willen der Beteiligten zu einer natürlichen Blockbildung der fünf gegen den einen Deutschen führen. Das ist keinerlei Schande für die Betroffenen; es ist nur eine Feststellung, daß der wahrscheinlichste Fall dafür spricht, daß es tausendmal so gehen wird, und höchstens einmal anders. Gewiß, in dem Vertrag stehen eine ganze Reihe sehr schöner Richtlinien und schöner Prinzipien, die beachtet werden sollen —, aber, meine Damen und Herren, bei Prinzipien muß man immer die Frage stellen: Quis iudicabit — wer wird darüber entscheiden, ob das Prinzip verletzt ist oder nicht? Es wird gerade die Hohe Behörde sein, die diese Prinzipien anzuwenden haben wird ...
    Dann ist noch der Gerichtshof da. Aber dieses Gericht kann ja nach seiner Zuständigkeit über wirtschaftliche Tatbestände nicht entscheiden. Das ist auch ganz richtig so. Es kann Ermessensmißbrauch feststellen, gewiß! Aber auch diese Richter sind doch letzten Endes nur Menschen wie die Männer in der Hohen Behörde.

    (Zuruf von der KPD: Wie im Bundesverfassungsgerichtshof!)

    Es gäbe nur eine Möglichkeit des Zwanges, Entscheidungen auf europäische Art zu treffen. Das wäre dann der Fall, wenn über den Menschen, die zu entscheiden haben, das Damoklesschwert der Vertragskündigung oder der Nichtverlängerung hinge; dann müßten sie sich sehr ernst überlegen, wie sie jeweils entscheiden, denn sie müßten dann unter Umständen fürchten, daß der eine Partner nach einigen Jahren sagen wird: Ich tue nicht mehr mit. Aber bei 50jähriger Laufdauer ist dieser Zwang nicht gegeben. Und wenn man uns von den Revisionsmöglichkeiten spricht, die in dem Vertragswerk stehen: meine Damen und Herren, im Versailler Vertrag gab es auch einen Revisionsartikel 19! Und wann hat man je davon gehört, daß von ihm Gebrauch gemacht worden wäre? Die Majoritäten, die für eine Revision verlangt werden — auch nur dafür, daß ein Revisionsgespräch geführt werden kann —, sind so hoch, daß überhaupt keine Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie je zustande kommen werden, und noch weniger dafür, daß man einstimmig einen Revisionsvertrag schließen wird. Wir sollten diese Dinge realistischer sehen, als sie bisher hier vorgetragen worden sind
    In der Hohen Behörde wird es nicht um reines Europäertum gehen, sondern um den Austrag nationaler Interessen. Dem hätte man bei der Konstruktion der Hohen Behörde Rechnung tragen müssen, einmal bei der Feststellung ihrer Kompetenzen und dann bei der Art der Feststellung der Möglichkeit ihres Funktionierens. Nicht ein supranationales Organ mit unmittelbarer Anordnungsgewalt, sondern ein internationales Kooperations- und Koordinierungsorgan wäre meiner Meinung nach unter den heutigen Verhältnissen das Richtige gewesen. Seine Mitglieder hätte man der Kontrolle der Parlamente unterstellen müssen. Das hätte man verantworten können. Was jetzt geschaffen wurde, kann das Parlament der Nation, die dabei in erster Linie zu g e b en hat, wie ich meine, nicht verantworten. Bedenken Sie — und lesen Sie den Text des Art. 24 des Grundgesetzes nach —, daß Hoheits-


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    rechte nur auf zwischen staatliche Einrichtungen übertragen werden können; aber es steht nichts davon darin, daß Hoheitsrechte durch einfaches Gesetz auf über staatliche Einrichtungen übertragen werden können. Darüber werden wir in zweiter und dritter Lesung noch einiges zu sagen haben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich will noch auf etwas hinweisen. Wenn auf europäischer Ebene ein unkontrolliertes Managertum möglich ist, ja, wenn es nicht nur möglich, sondern das beste ist — warum handeln wir denn nicht auch auf nationaler Ebene so?! Warum begnügen wir uns da auch nicht mit Managern und warum legen wir denn dort die „lästigen und untauglichen" Parlamente nicht weg?! Könnten solche Gedankengänge nicht den Appetit jener reizen, die glauben, auch national käme man mit Managern besser voran als mit Parlamenten?!

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann ist da noch der Ministerrat zu nennen, der geringere und andere Kompetenzen hat als die Hohe Behörde, aber doch recht wichtige Kompetenzen. Es sind für ihn auch Vetorechte vorgesehen, die ihren Nutzen haben mögen. Letzten Endes ist es so: Ein Beschluß kann nur zustande kommen, wenn entweder drei der Kleinen mit Frankreich oder drei der Kleinen mit Deutschland stimmen. Nun, so wie die Interessen liegen, scheint mir die häufigere Eventualität jene werden zu müssen, daß die drei Kleinen nicht mit Deutschland stimmen. Weiter: Deutschland und Frankreich können, wenn sie zusammengehen, von den Kleinen überhaupt nicht überstimmt werden. Und nun, Herr Dr. Henle, knüpfe ich an einen Ihrer Gedankengänge über die Demokratie des Schumanplans an, als Sie von den Kleinen sprachen. Finden Sie es denn so demokratisch, daß die Kleinen nie gegen die beiden Großen angehen können?
    Und schließlich der wichtigste Fall, der Fall des Vetorechts bei der Feststellung der Verwendungsprioritäten und der Verteilungsschlüssel auf die Verbrauchsträger bei Mangellagen; da geht bei dem Veto eines Staates die Entscheidungsgewalt auf die Hohe Behörde zurück. Das heißt: Genau in dem Fall, der uns vital interessiert, ist das deutsche Veto, wenn es von den anderen Staaten nicht akzeptiert wird, ein Stoß ins Leere, und es entscheidet endgültig die Hohe Behörde, in der wir zwei Mitglieder von neun haben.
    Die Parlamentarische Versammlung wurde von Herrn Dr. Henle selber nicht als Parlament im eigentlichen Sinne bezeichnet. Sie ist in der Tat nur etwas, das wie ein Parlament aussieht. Sie ist eine Stelle, die immer nur post factum tätig werden kann, eine Stelle, deren Befugnisse sich im wesentlichen auf die Entgegennahme des Tätigkeitsberichts der Hohen Behörde und auf Diskussionen dieses Tätigkeitsberichts beschränken. Diese Versammlung kann die Hohe Behörde als ganzes abberufen, wenn man dafür eine Zweidrittel-Mehrheit zusammenbekommt. Glauben Sie denn wirklich, daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, etwa auf einen deutschen Antrag ein solche ZweidrittelMehrheit zusammenzubringen?! Herr Kollege Pünder, ich glaube das nicht.

    (Abg. Dr. Pünder: Ich habe gar nichts gesagt!) Das hat nichts zu tun mit krankhaftem Mißtrauen, sondern es ist lediglich ein realistischer Versuch, Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln.

    Man wird sich auch hier klarmachen müssen, daß auch in dieser Versammlung das Behaltenwollen und das Habenwollen die entscheidende Rolle
    spielen wird. Und es scheint mir eine besondere Feinheit bei dieser Beratenden Versammlung zu sein, daß die Franzosen erklärt haben, sie wollten drei ihrer achtzehn Mitglieder aus der Nation der Saarländer nehmen, also Herren, die Herr Hoffmann ihnen vorschlagen wird. Herr Staatssekretär Hallstein hielt das für einen mächtigen Vorteil; die Franzosen hätten dann nur noch 15 Stimmen in der Beratenden Versammlung ... .

    (Lachen und Hört! Hört! bei der SPD.) Wahrlich, wahrlich . . . .


    (Zuruf des Abg. Dr. Tillmanns.)

    Gibt es denn, Herr Tillmanns, einen stärkeren Ausdruck für die gewollte Unteilbarkeit der französisch-saarländischen Union als die Besetzung einer französischen Delegation mit Saardelegierten?!

    (Sehr gut! bei der SPD. — Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Tillmanns.)

    Um die Einheit der Saar und Deutschlands zu manifestieren, haben wir einst bei der EuropaDebatte vorgeschlagen, Saardeutsche in die deutsche Europadelegation aufzunehmen — doch nicht, um die deutsche Position zu schwächen, Herr Tillmanns!
    Und nun der Hohe Gerichtshof. Internationale Gerichte sind eine gute Sache. Ich bedauere, daß man nicht öfter von ihnen Gebrauch macht. Der Gerichtshof der Montanunion sollte aber in seinen Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Seine Hauptfunktion wird sein, die Sanktionen zu bestimmen, mit denen die Anordnungen der Hohen Behörde erzwungen werden sollen, und zu entscheiden, ob im Einzelfall Ermessensmißbrauch vorliegt oder ob die Hohe Behörde im Einzelfall im Rahmen ihrer Kompetenzen gehandelt hat, und einige Dinge mehr. Es ist ihm untersagt, die wirtschaftlichen Tatsachen und die Umstände zu prüfen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, Insoweit also Faktisches zweifelhaft ist, wird der Gerichtshof keine Hilfe sein können. Diese Beschränkung seiner Kompetenz ist natürlich und normal. Ein Gericht kann solche Entscheidungen nicht treffen. Man sollte sich aber dann nicht von diesem Gericht wesentliche Hilfe erhoffen.
    Da gibt es allerdings den Art. 37, in dem es heißt, daß bei Maßnahmen der Hohen Behörde, die tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft eines Landes herbeiführen, die Hohe Behörde angerufen werden kann und, wenn diese nicht abhilft, der Gerichtshof.
    Aber wie soll denn dieser Gerichtshof in einem solchen Fall entscheiden können, wenn er die ökonomischen Tatbestände und Motive, die zur Entscheidung der Hohen Behörde geführt haben, nicht nachprüfen darf?
    Und wenn man auf das Recht zur Prüfung der Behauptung eines Ermessensmißbrauchs hinweist: nach welchen Maßstäben soll denn dieser Exmessensmißbrauch judiziert werden? Jeder, der einmal Richter war, weiß doch, wie schwer es ist, sich darauf zu einigen, nach welchen Maßstäben -bestimmt werden soll, ob eine souveräne Behörde ihre Kompetenz mißbraucht hat oder nicht. Und hier wird es noch viel schwerer sein — einer internationalen Autorität gegenüber, die man von vornherein mit einem strahlenden Prestige umgeben hat!
    Nun gibt es noch einen Beratenden Ausschuß, in dem Konsumenten, Erzeuger, Gewerkschaften usw. vertreten sind. Dieser Ausschuß kann beraten, und


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    Idas nur auf Anforderung. Wichtiger scheint mir die Rolle zu sein, die der Montanunions-Vertrag den Unternehmerverbänden vorbehält. Scheinbar haben diese beschränkte Funktionen. Aber sie haben das Recht, bestimmte Tätigkeiten anzuregen. Sie haben die Möglichkeit, Impulse zu geben und Gutachten zu erstatten, und damit werden im Laufe der Zeit die Syndizi der Verbände über die nationalen Grenzen hinweg die Steuerleute der Hohen Behörde werden können,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    wo es nicht um nationale, sondern um Gruppeninteressen geht.

    (Beifall bei der SPD.)

    In der Denkschrift eines Mannes, der von diesen Dingen etwas weiß, des Dr. Blankenagel aus Düsseldorf, heißt es denn auch ganz folgerichtig: „In der Einschaltung der Verbände liegt auf der anderen Seite eine Chance für sie, ihre Unentbehrlichkeit nachzuweisen."

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ist das nicht trefflich: Dirigismus von oben, von unten temperiert durch die Syndizi?
    Dann ist hier noch ein anderes strukturelles Problem zu untersuchen: Entspricht dem Schema, das auf der übernationalen Ebene geschaffen wird, auf der nationalen Ebene ein angepaßtes System von Institutionen? Man hat viel darüber gestritten — je nach Geschmack —, ob die Montanunion eine dirigistische Wirtschaftsverfassung einleite, also eine Kommandowirtschaft schaffe, oder ob sie nicht vielmehr die freie Wirtschaft in den Sattel heben werde. Manche sagen, man brauche den Dirigismus, gerade um die freie Marktwirtschaft zu ermöglichen. Einer der gescheitesten Franzosen, der über diese Dinge geschrieben hat, Raimond Ar o n , hat darüber einige wirklich lesenswerte Aufsätze veröffentlicht, und ein Mann, den Sie sonst gern zitieren, Herr Röpke, hat das auch getan. Aber wir wollen darüber nicht im einzelnen streiten. Sicher ist es so, daß in Krisenzeiten und in Mangelzeiten die Hohe Behörde als dirigistischer Apparat wirken wird und wirken muß, und dazu ist sie ja mit geschaffen worden. Nach dem Worte Dr. Wagenführs werden Normallagen auf diesem Gebiet höchst seltene Vögel sein. Das Regelmäßige, das „Normale" wird auf diesem Gebiet gerade das Nichtnormale sein, wenn sich nicht sehr bald fundamentale Veränderungen auf diesem Planeten einstellen sollten.
    Nun schafft man einen europäischen Planungsapparat; aber der kann doch nur funktionieren, wenn er einen nationalen Planungsunterbau hat, wenn also auch die nationalen Wirtschaften Planung und Lenkung unterworfen sind. Das ist aber fast nirgends bei den sechs Montanunionländern der Fall, und folglich, fürchte ich, wird die notwendige Verzahnung von oben nach unten fehlen, es wird die Möglichkeit fehlen, unten auszuführen, was oben verfügt wird; es wird so unmöglich sein, etwas wie eine Erfolgskalkulation vorzunehmen, und man wird in den einzelnen Ländern gezwungen sein, dauernd zu organisieren und umzuorganisieren. Die heutige Organisation ist so, als stünden wir vor einem Bundesstaat, dessen Länderverfassungen für die Ausführung der Bundesgesetze nicht den angepaßten administrativen Apparat zur Verfügung habend Das war im übrigen einer der Hauptgründe, warum die Briten sich mit dem supranationalen Schema als solchem, ohne Rücksicht auf den materiellen Inhalt, nicht befreunden konnten. Ich verweise auf die Worte, die Lincoln Evans in der Monatsschrift des Internationalen Bundes freier Gewerkschaften vom April 1951 veröffentlicht hat. Darum scheint mir heute, wenn man das Resultat will, das Sie wollen, Koordination und Kooperation der bessere, sicherere und reibungsloser zum Ziele führende Weg zu sein. Das jetzige Konstruktionsschema kann nicht funktionieren, weil Oberbau und Unterbau nicht aufeinander abgestimmt sind.
    Nun zum zweiten Problem: zu den politischen Vorteilen, die uns der Schumanplan — der Schumanplan in seiner heutigen Gestalt des Montanunionsvertrages vom April d. J. — bringen soll. Ich kann keinen unmittelbaren Vorteil entdecken. Man sprach von Europa. Darüber werde ich nachher etwas sagen. Aber für das andere; für das Unmittelbare, was gilt da? Die Montanunion tut bisher nichts anderes, als uns auf weiten Gebieten die Entscheidungsgewalt zu nehmen; sie unterstellt deutsche vitale Interessen auf Grund freiwilliger Übernahme durch die Deutschen der Entscheidungsgewalt von Organen, die mit einer Mehrheit von Mitgliedern besetzt sind, die notwendigerweise gegenläufige Interessen verfolgen müssen. Wir kämen, sagt man, auf diese Weise aus dem bösen Spiel uns einseitig auferlegter Beschränkungen unserer Produktion durch die Besatzungsmächte heraus. Nun, wo steht denn das im Vertrag? Wo steht denn im Vertrag, daß die Ruhrbehörde, die alliierten Kontrollen, die Kohle- und Stahlkontrollgruppen, die Eingriffe der Alliierten Sicherheitsbehörde, die Beschränkung der Stahlkapazität und der Stahlproduktion verschwinden werden? Das steht nirgends. Man hat uns gesagt, man habe uns versprochen, daß das verschwinden würde. Aber warum hat man denn nicht darauf bestanden, daß dieses Versprechen zu einer rechtlichen Verpflichtung, d. h. zum Vertragsinhalt, gemacht wurde?

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Es sind nicht alle beteiligt!)

    —Diese anderen hätte man j a beiziehen können. —
    Es gibt ja so etwas wie Zusatz- und Ergänzungsprotokolle zu Verträgen. Man hat den Abbau einiger Dinge in Aussicht gestellt — aber doch nur seitens einiger der beteiligten Regierungen — und insbesondere ohne Nennung des Preises, den wir für den Verzicht, den man angeblich bringen will, zu zahlen haben werden.
    Nun, Herr Dr. Henle, ich sagte vorher, Sie hätten recht viel im Futurum gesprochen. Aber dem Futurum gegenüber ist das Präsens immer stärker, und der Vertrag ist im Präsens geschrieben, insbesondere sind es die Verbote des Art. 4! Ich erinnere: Mit der Akzeptierung des Ruhrstatuts haben wir den Preis für eine Verminderung der Demontagen bezahlt. Nach Ihren Worten bezahlen wir jetzt für die Abschaffung des Ruhrstatuts den Preis des Schumanplans. Und ich frage: Was werden wir einmal anbieten müssen, um den Schumanplan loszuwerden?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Man hätte diese Versprechungen doch mindestens vertraglich fixieren müssen. Man hat es unterlassen, und darum sind wir dankbar, daß der Bundesrat und die Gewerkschaften die Regierung an ihre Pflicht erinnert haben. Schon manchmal ist der Herr Bundeskanzler — auch zu unserem Leidwesen — von denen desavouiert worden, auf deren Versprechen er glaubte sich berufen zu


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    können. Ich erinnere an eines seiner Hoffnungsworte bei der letzten Saardebatte: er könne uns sagen, die Saarfrage werde recht bald und in deutschem Sinne gelöst werden. Einen Tag darauf kam die Desavouierung aus Paris.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Und dann: Was geschieht mit der Aufhebung der Ruhrbehörde? Hat man denn schon einmal untersucht, ob die Kompetenzen der Hohen Behörde des Schumanplans nicht mindestens ebenso weit gehen wie die der Ruhrbehörde und ob nicht die Hohe Behörde uns auch Exportquoten für die Kohle auferlegen kann, wie die Ruhrbehörde es getan hat?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Unsere Möglichkeiten, ihre Entscheidungen zu beeinflussen, sind nicht größer, als sie heute bei der Ruhrbehörde sind.
    Es scheint mir zuzeiten besser, einseitige Belastungen auf sich zu nehmen, als reduzierte Belastungen, die man freiwillig nicht auf sich nehmen würde, unter Druck durch Vertrag zu übernehmen. Denn gegen eine einseitig gegen uns geführte Politik können wir uns wehren. Und dann muß der andere ja imstande sein, diese Politik durchzuhalten. Dazu hat er nicht immer Mittel, das kann er nur eine Weile. Und gerade weil man weiß, daß man uns das Besatzungsregime nicht länger einseitig aufzwingen kann, will man uns das Halbe oder den vierten Teil des Besatzungsregimes für 50 Jahre als freiwillige Last übernehmen lassen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das ist keine gute Sache. Denn auch die halbe Last wird uns zu Boden drücken, die ganze aber könnte heute ohne unsere Mitwirkung kein Sieger auf die Dauer mehr aufrechterhalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun zum Kapitel der Gleichberechtigung. Man kann diesen Begriff sehr verschieden interpretieren. Ein auch von Ihnen wohlgeschätzter französischer Schriftsteller, Anatole France, hat es einmal in einer sehr treffenden Weise getan. Er hat gesagt: „Was wollt ihr denn, in unserem republikanischen Frankreich herrscht volle Gleichberechtigung; denn der Millionär und der Bettler werden gleichermaßen bestraft, wenn sie Brot stehlen."

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Formale Gleichheit, formale Gleichberechtigung sind eine schöne Sache. Aber wenn formale Gleichberechtigung nach dem Buchstaben in Diskrepanz mit der Verschiedenheit der Startmöglichkeiten und der materiellen Chancen, sie zu verwirklichen, steht, dann ist sie doch nicht sehr viel wert. Die formale Gleichberechtigung, die uns die Montanunion bringt, hat die Hinnahme materieller Ungleichheiten und die Übernahme zusätzlicher Ungleichheiten zur Voraussetzung, über die mein Freund Henßler noch sprechen wird.
    Da sind zunächst die territorialen Bestimmungen der Montanunion zu nennen. Deutschland gibt seine ganze Montanindustrie in den Pool, alles, was unter seiner Jurisdiktion steht; Frankreich, Belgien, Italien stellen aber nur ihre binnenländische Montanindustrie ab; ihre überseeische bleibt autonom. Diese ist, was den Erzbergbau in Marokko und Belgisch-Kongo anbetrifft, recht bedeutsam. Die französischen und belgischen Erzvorkommen in Afrika können autonom ausgebaut werden. Dort kann frei investiert werden, über die Produkte kann frei verfügt werden. Aber über
    Frankreichs Ansprüche an die Montanunion kommt diesen afrikanischen Erzen unter französischer Jurisdiktion der Koks der Ruhr zugute, der im Namen der Montanunion unserer Wirtschaft entzogen wird. Freilich steht in dem Vertrag: Deutschland solle dort für Kohle und Erze die gleichen Vergünstigungen genießen wie die Kolonialmacht oder der Protektor. Aber die Kolonialmacht oder der Protektor haben die Macht an Ort und Stelle, und das ist wirksamer als das Spiel von Meistbegünstigungsklauseln. „Possession vaut titre" steht im Code civil: Wer besitzt, hat so gut wie einen Rechtstitel in der Hand.
    Das ist fast die gleiche Situation wie die, die man den Deutschen im Plevenplan auf militärischem Gebiet zugedacht hat. Frankreich und die anderen Partner des Plevenplans sollen in den Armeepool nur einen Teil ihrer Wehrmacht geben, den Rest sollen sie zu freier Verfügung behalten. Die Deutschen aber sollen alles hineintun und nichts zu freier Verfügung behalten. Ist denn das Gleichheit, frage ich?
    Und haben wir Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Investitionen? Die Montanunion läßt Investierungen durch Selbstfinanzierung außerhalb ihrer Kontrolle. Finanzierung durch fremde Gelder kann nur erfolgen, nachdem die Hohe Behörde tätig geworden ist.

    (Abg. Euler: Aber nach bestimmten Normen!)

    -- Nun, die französische Montanindustrie, Herr Kollege Euler, ist durch Marshallplangelder und Steuermittel so überinvestiert, daß sie imstande ist, selbst zu verdienen, was sie zur Erweiterung und Rationalisierung ihrer Anlagen investieren muß. Die deutsche Montanindustrie aber hat einen immensen Nachholungsbedarf durch Kriegszerstörung, durch Demontage, durch Unterlassung der Rationalisierung usw. Sie kann, was sie investieren muß, nicht aus sich heraus verdienen. Sie braucht Anleihen. Also stehen wir hier bei formeller Gleichheit ganz und gar im Zustande effektiver Ungleichheit.
    Glauben Sie denn, daß viel Aussicht besteht, in der Hohen Behörde eine Majorität dafür zu finden, daß fremde Gelder in der deutschen Eisenindustrie investiert werden, die der französischen Eisen- und Stahlindustrie die Konkurrenz erschweren könnten? Der Monnetplan ist doch der eigentliche Favorit der Montanunion. Freilich heißt es im Vertrag: Diskriminierungen dürften nicht erfolgen. Aber auch hier frage ich: Wer entscheidet darüber, ob etwas diskriminatorisch ist oder nicht? Letzten Endes doch die Hohe Behörde! Man sagt uns: Es ist doch keine Diskriminierung, wenn der Tatbestand aufrechterhalten wird, daß ihr eben unter schlechteren Bedingungen existieren müßt als die anderen; das ist nun einmal so, das haben wir ja nicht geschaffen. Genau so sagt man uns bei der Diskussion der Verteidigungsfrage: Wir können doch nichts dafür, daß ihr im Osten liegt und das gefährdetste Stück Europas seid; daran sind wir doch nicht schuld. — Natürlich sind die anderen nicht daran schuld. Wenn aber wirklich im einen und im anderen Fall mit gleichen Chancen und gleichen Risiken operiert werden soll, — dann muß man eben zum Ausgleich dieses Handicaps, dem ein Teil unterworfen ist, etwas mehr tun, als man für die favorisierten Nationen tut.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und dann steht im Vertrag der Satz, daß die Hohe Behörde kein Prüfungsrecht bei Vorhaben habe, für die die Bestellung der neuen Anlagen vor


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    dem 1. März 1951 erfolgt ist. Also praktisch können die Franzosen mit dem Ausbau des Monnetplans ihre Stahlkapazität so weit erhöhen, wie sie wollen; denn sie haben ja ihre Anlagen schon vor dem 1. März bestellt. Dagegen können wir nur erweitern, was uns die Konkurrenten gestatten. Wo hätte denn die deutsche Stahlindustrie vor dem 1. März Anlagen bestellen sollen und bestellen können?
    Dann eine andere Frage. Wir haben im Auswärtigen Ausschuß einmal darüber gesprochen —, Herr Kollege Semler war es, der dieses Problem aufgeworfen hat —: Nach welchen Prinzipien sollen denn die Quoten festgestellt werden? Nach den natürlichen Kapazitäten, d. h. nach den Kapazitäten, die in Auswirkung der eigenen wirtschaftlichen Kräfte geschaffen worden sind, d. h. nach dem Stand der französischen Industrie vor der Aufblähung durch die Marshallplangelder und dem Stand der deutschen Industrie vor den Demontagen? Oder sollen die Quoten bestimmt werden nach dem jetzigen politischen, durch Siegergewalt geschaffenen Stand? Das ist doch eine wich~tige Frage, eine Frage, die man hätte klären müssen; und man hat sie nicht geklärt,
    Der Vertrag enthält Bestimmungen über den Zusammenschluß von Unternehmungen. In Deutschland nimmt man jetzt Von Besatzungs wegen Dekonzentrationen Vor. Man spaltet, was früher beieinander war, in eine Vielfalt von Gesellschaften auf, die sieh zum Teil konkurrieren müssen, und jede Rekonzentration ist genehmigungspflichtig. In Frankreich aber wurden in den letzten Monaten mächtige Zusammenballungen in der eisenschaffenden Industrie vorgenommen, und dazuhin ist der französische Kohlenbergbau nationalisiert und damit konzentriert. Die Folge dieses Zustandes wird sein: Frankreich hat alle Vorteile der Konzentration, und Deutschland geht ins Rennen mit allen Nachteilen der Zersplitterung. Das ist doch keine Gleichheit der materiellen Chancen mehr. Da bleibt doch formale Gleichheit nur ein leeres Wort.
    Nun wurde gesagt: Alles das mag sein, aber wir tauschen damit doch etwas Großartiges ein, die Überwindung des engstirnigen Nationalismus, und wir bekommen als Lohn Europa. Freilich, im ersten Manifest, das Robert Schuman der Welt verkündet hat, da standen schöne Worte. Mit den Prinzipien, die diese Worte ausdrücken, bin ich für meinen Teil völlig einverstanden: Internationalisierung der schweren Industrien auf demokratische Weise, mit demokratischen Zielen, auf der Grundlage gleicher Leistung, auf der Grundlage gleicher Startbedingungen und gleicher Chancen. Aber sehen Sie: in der Politik kann man „ja" Oder „nein" nicht zu allgemeinen Prinzipien sagen, sondern nur zu Fakten und zu Zielsetzungen, „Überwindung des nationalstaatlichen Egoismus": ja, von ganzem Herzen ja; und „Hin zu Europa": zweimal ja! Aber was seit der Verkündung des Prinzips und der Ziele des Schumanplans geschehen ist, das gleicht weniger einem Bilde der Idee als einer Karikatur dieser Idee.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zunächst: Ist es all denen, die uns auf die Montanunion, wie sie heute ist — ich betone: heute —
    hindrängten, wirklich um Europa und um Internationalität an und für sich zu tun gewesen? Wollte
    man die Montanunion wirklich in den Dienst der
    europäischen Länder stellen, wobei „europäische
    Idee" heißt: gleiches Recht, gleiche Chancen, gleiche
    Risiken, gleiche Verfügungsmacht, gleiche Verantwortung aller allen gegenüber? Oder hat man nicht
    vielmehr die Europasehnsucht der Menschen dieses Kontinents in den Dienst gewisser Interessen gestellt,

    (Sehr richtig! 'bei der SPD)

    Interessen, die sehr wenig gesamteuropäisches Wollen in sich tragen?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Welches sind denn diese Interessen gewesen, und welche Interessen sind das noch? Man hat von dem dauernden Mißtrauen gesprochen, das man abbauen müsse. Sie haben vollkommen recht, Herr Henle, Miß t r au en an und für sich ist in der Politik eine ebenso schlechte und verhängnisvolle Sache wie Vertrauensseligkeit an und für sich.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dem Vertrauen auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite nicht krankhaftes Mißtrauen. Dem Vertrauen entspricht Wachsamkeit, und wachsam sollten wir auch heute sein. Das gebietet uns, uns so .gut als möglich über alles zu informieren, Was im Spiel steht.
    Frankreich, das früher einen großen Teil seiner Erze nach der Ruhr schickte, um sie dort verhütten zu lassen,

    (Abg. Dr. Preusker: Das ist aber schon sehr, sehr lange her!)

    behält sie seit langer Zeit für sich, Herr Kollege Preusker, um am Stahl zu verdienen, und Stahl heißt ja heute — dafür haben Sie sicher viel Verständnis — auch politische Macht.

    (Zuruf des Abg. Dr. Preusker.)

    So ist die französische Erzausfuhr von 5,7 Millionen t im Jahre 1037 auf 0,12 Millionen t im Jahre 1949 gesunken. Der Import deutscher Kohle aber war 1949 so hoch wie im Jahre 1928. Das kannte man machen, weil durch den Monnetplan — und Herr Monnet ist ja der eigentliche Vater des Schumanplans — die französische Stahlerzeugung von 9,7 Millionen t im Jahre 1929 auf 12,5 Millionen t im Jahre 1952 und darüber hinaus auf 15 Millionen t gesteigert werden soll bei einem Inlandsbedarf von 6 bis 7 Millionen t.

    (Zuruf des Abg. Dr. Preusker.)

    — Das kann man nur machen, Herr Kollege Preusker, wenn man die dafür nötige Kohle zu so niedrigem Preis als möglich herbei zwinge n kann —zu einem Preis, den Man bestimmen kann —, und wenn man sich für den überschüssigen Stahl einen Markt politisch sichern kann.
    Das erinnert mich an ein Gesprächs, das vor 11/2 Jahren in Bernkastel geführt worden ist. Herr Dr. Henle. Sie waren dabei, und Herr Kollege Euler war auch dabei. M. Andre Philipp war dort unser hauptsächlsichster Gesprächspartner. Damals handelte es sich nicht um den Schumanplan, sondern darum, daß er von uns haben wollte, wir sollten der Übernahme der Ruhrkontrolle nach dem Ruhrstatut zustimmen. Dabei führte er u. a. aus — ich habe es mir aufgeschrieben -, die Wirtschaftskommission der UNO habe errechnet, daß die Stahlkapazität Europas in wenigen Jahren in eine enorme Überkapazität umschlagen werde. — Das war vor Korea. —

    (Zuruf des Abg. Euler.)

    Also könnte man doch die deutsche Stahlproduktion sich nicht so entwickeln lassen, wie sie sich
    nach den natürlichen Wirtschaftskräften entwickle;

    (Abg. Euler: Diese Meinung war aber falsch!)



    (Dr. Schmid [Tübingen])

    man müßte ja sonst die französische Kapazität auf den Stand von vor 1939 zurückschrauben. Und er sagte weiter: Es ist uns lieber, und es entspricht auch mehr unseren Vorstellungen von Sicherheit, wenn ihr den Stahl, den ihr nicht produzieren könnt, den ihr aber braucht, von uns kauft, und wenn wir durch die Ruhrbehörde die Kohle bekommen, die wir nötig haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Sehen Sie, darin liegt die Formel, nicht der Idee, aber der Realität der Montanunion.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

    Und dazu noch ein anderes. — Ich kann Ihnen aus Gründen der Courtoisie hier keine Namen nennen. Die Präambel des Gesetzes 75 hat bei diesen Dingen eine große Rolle gespielt. Eine Zeitlang konnten die Franzosen hoffen, daß sie ihre Verbündeten dazu bekommen könnten, das Eigentum an der Ruhr und die Träger der Betriebsführung an der Ruhr international zu bestimmen. Man nannte das „Gestion internationale". Man wollte die Ruhr zu einer Art internationalen Trusts machen. Das ist dann nicht geglückt. Die Präambel des Gesetzes 75 wurde geändert, und die Briten und die Amerikaner erklärten, der deutsche Gesetzgeber solle über das Eigentum der Ruhrindustrie bestimmen. Als so die Hoffnung auf die Internationalisierung der Ruhr begraben werden mußte, zog man den Schumanplan aus der Schublade heraus,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    in der man ihn als Eventualfall 2 bereit hielt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Man spricht immer vom „gemeinsamen Markt". Warum will man denn diesen gemeinsamen Markt nur haben, wo man von ihm profitieren kann! Warum will man nur den gemeinsamen Markt für die Montanerzeugnisse und künftig für die Agrarerzeugnisse? Warum aber will man ihn nicht für Maschinen, nicht für die Erzeugnisse der Chemie und der Elektrotechnik?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es gibt auch noch ein amerikanisches Interesse an diesen Dingen, ein Interesse, das allerdings heute sehr verschieden ist von dem Interesse, das man vor den koreanischen Ereignissen nahm. Vor den koreanischen Ereignissen — wo man Absatzkrisen befürchtete — brauchte man in Europa einen Apparat, der die Produktion drosseln konnte — bei Schonung der in die französische Montanindustrie gesteckten Marshallplangelder; und nach Korea braucht man einen Apparat zur Aufteilung 'der Erzeugnisse der Montanindustrie bei Mangelbedarf, der durch die Rüstung herbeigeführt worden ist. Deswegen hatten und haben die Amerikaner ein Interesse daran, daß wir den Montanunion-Vertrag ratifizieren; es gibt noch manches andere Interesse.

    (Abg. Renner: Krieg und Geld!)

    Wenn man uns vor einigen Tagen gesagt hat: In Amerika denke man nun einmal, die Annahme des Schumanplans durch die Deutschen sei ein Prüfstein für den Grad der Intensität der Option der Deutschen für die Sache der Freiheit und des Westens. Wenn auch der einzelne Amerikaner sich unter dem Schumanplan nicht viel vorstellen könne; er betrachte ihn eben als ein wichtiges Symbol, und es sei gefährlich, ihm dieses Symbol vorzuenthalten,
    Meine Damen und Herren! Wünsche nach Symbolen und die Kraft der Symbole in. allen Ehren und — ohne Ironie sei es gesagt —: Allen Respekt vor dem großen amerikanischen Volk, dem wir so Entscheidendes verdanken — aber all dies kann uns nicht von der Verantwortung und von der Pflicht der Prüfung entbinden, ob das Symbol, das man von uns will, Heil oder Unheil über unser Volk bringt!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Europa — nun, wir werden ja dieses Europa einmal schaffen müssen.

    (Zuruf rechts: Hoffentlich!)

    — Ja, wir werden es schaffen müssen. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein schweres Geschäft, und es genügt nicht, daß man jeden Tag zwanzigmal „Europa" sagt.

    (Zurufe aus der Mitte und rechts. — Abg. Euler: Es genügt auch nicht, daß man immer nein sagt!)

    Europa ist kein Zauberwort, sondern eine Aufgabe!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn man diese Aufgabe lösen will, Herr Kollege Euler, dann muß man zuerst die Voraussetzungen dafür schaffen, daß man mit Aussicht auf Erfolg ans Werk gehen kann. Sehen Sie: Der Bauplatz, auf dem wir das Haus Europa errichten wollen, ist doch noch voll von Trümmerschutt und Gestrüpp. Solange wir das nicht weggeräumt haben, solange wir nicht liquidiert haben, was uns Vergangenheit ist und aus der Vergangenheit in diese Gegenwart hineinwirkt, um Vergangenheit zu verlängern, Herr Euler, hat es doch keinen Sinn, daß wir die Zeichnung vom Reißbrett auf den Baugrund übertragen.

    (Abg. Euler: Sie bekommen die Vergangenheit nur weg, indem Sie die Zukunft bauen!)

    — Herr Euler, dieser Grund liegt sehr tief unten, und man muß sich sehr tief bücken, wenn man diesen Schutt beseitigen will!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Dabei tut einem das Kreuz gelegentlich sehr weh.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Wir bücken uns ja! — Weitere Zurufe von der CDU.)

    Der Schumanplan ist nicht Europa,

    (Zuruf von der CDU: Der Anfang!)

    er ist auch nicht ein Anfang Europas, sondern er ist ein Stück Fortsetzung der Politik der Nachkriegszeit.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sechs Länder sind daran beteiligt. Schauen Sie den Globus an: Das Gebiet dieser Länder ist ja nicht einmal die sonst so belächelte Halbinsel des Kontinents Asien; das ist ja nur ein Kap dieser Halbinsel.

    (Zuruf von der CDU: Man muß anfangen!)

    Die wichtigsten Länder halten sich fern, und sie halten sich aus guten Gründen fern. Wenn Sie glauben, daß der Zusammenschluß dieser sechs Länder auf die Briten und Skandinavier als Magnet wirken würde, dann täuschen Sie sich. Dieser Zusammenschluß wird wie jeder separat integrierte partielle Zusammenschluß separatorisch und abstoßend wirken.

    (Zurufe aus der Mitte und rechts: Nein!)



    (Dr. Schmid [Tübingen])

    — Er wird den Angelsachsen und Skandinaviern das Gesicht noch stärker in die Richtung des Ozeans drehen, als das bisher schon der Fall ist.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Keineswegs! — Weitere Zurufe von der CDU: Nein!)

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Frau
    Dr. Weber [Essen]: Gefällt Ihnen das?)
    — Mir gefällt parlamentarische Kontrolle über Manager, Frau Kollegin Weber. Was mir aber nicht gefällt, ist, daß wir nicht die Anstrengungen leisten, die wir leisten müssen, um den Generalnenner zu schaffen, auf dem wir uns mit den Engländern zusammen zu einem Ganzen addieren könnten!

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Hasemann: Darauf können wir nicht warten!)

    — Wenn Sie sich ein bißchen mehr anstrengen, in Deutschland den Lebensstandard der breiten Massen zu heben, dann geht es rascher, Herr Kollege Hasemann!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn der Weg über die Montanunion wirklich zu einem echten Europa führen könnte, dann wäre kein nationales Opfer zu groß, aber dieser Weg führt nicht nach Europa.

    (Zuruf von der CDU: Das wissen Sie doch gar nicht!)

    Die Realität ist stärker als unsere Wunschbilder; und unsere Wünsche sind erst dann eine Kraft, wenn wir die Voraussetzungen geschaffen haben, ohne die sie nichts anderes sind als Produkte unserer Stimmungen.
    Der Schumanplan macht doch für viele Staaten Europa überflüssig. Wir können doch Europa nur dann wirklich zu Europa machen, wenn alle bereit sind, von ihren nationalen Souveränitäten; von ihren Reichtümern alles hineinzugeben, was nötig ist, damit ein echtes Gesamtding entstehen könne. Das tut doch ein Staat wie ein Privatmann nur dann, wenn er weiß: Nur unter dieser Voraussetzung bekomme ich selbst zurück, was ich brauche.
    — Wenn man ihm aber vorher schon so billig gegeben hat, was ihm zum rechten Preis nur Europa geben könnte, dann sagt er doch: Was brauche ich Europa, was brauche ich die Opfer zu bringen —ohne die Europa nicht geschaffen werden kann —, ich habe ja schon in der Tasche, was mir sonst nur ein Opfer für Europa geben könnte; fahren wir fort, zu bleiben, wie wir sind, und Europa zu deklamieren!