Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Schumanplan. Wir hatten es ein wenig eilig mit der Ansetzung des Termins der Debatte über die Ratifikation des Vertragswerks. Vielleicht waren wir dabei sogar ein wenig voreilig. Diese Montanunion sollte doch ein teamwork sein, und bei einem solchen Gemeinschaftswerk sollte man ein bißchen im Gleichtakt mit den andern Vertragspartnern handeln und sich gelegentlich umsehen, ob diese andern nachkommen.
Es ist immer ein wenig peinlich, wenn man der
Vortrefflichste und der Eifrigste sein will. Gestatten Sie mir, Herr Kollege Henle, Sie zu zitieren:
„Blinder Eifer schadet nur"!
Die Maxime steht, glaube ich, auch bei Buchmann, aber ich kenne sie doch durch Sie . . .
Diese Eile mag und wird eigenen Impulsen des Herrn Bundeskanzlers entsprungen sein,
aber ich glaube, Grund zu der Vermutung zu haben, daß diese Eile auch das Ergebnis von Gesprächen mit dem Herrn Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten von Amerika sein könnte, der ja nicht nur den Herrn Bundeskanzler darauf hingewiesen hat, daß man in den Vereinigten Staaten eine eilige Ratifikation als Beweis des guten Willens der Deutschen erwarte.
— Es ist nicht immer falsch, solchen Erwägungen und solchen Impulsen nachzugehen, Herr Kunze, so puristisch bin ich gar nicht.
Diese Impulse sollten sich aber nie selber genügen
wollen; und solche Erwägungen und Impulse
können uns nicht der Verpflichtung entheben, nachzuprüfen, ob der in Aussicht gestellte Vorteil für und für das Ganze wirklich zu erwarten ist und, wenn ein Vorteil da sein sollte, ob der Preis, den man uns dafür abverlangt, nicht zu hoch ist.
Der Herr Bundeskanzler hat das Vertragswerk der Montanunion gepriesen, und Herr Dr. Henle hat ihn in seinem Lobpreis noch überboten. Beide Herren halten trotz einiger Bedenken — „Opfer seien immer zu bringen" — das Werk für vortrefflich. Sie meinen, das neue Haus sei gut gebaut und habe gleichermaßen und gleich wohnlichen Platz für alle. Sie haben uns mit bewegten Worten — sie sind ja als „revolutionäre Geister" bekannt —
geschildert, welche revolutionäre Großtat es sei, erstmals eine supranationale Instanz geschaffen zu haben, die nationalistischen Mißbrauch der in den Zusammenballungen der Montanindustrien geschaffenen Macht verhindern werde.
Weiter sagten Sie, darüber hinaus bringe das Vertragswerk dem deutschen Volk unmittelbar oder doch mittelbar politische und höchst achtbare wirtschaftliche Vorteile; und was das Wichtigste sei: Dieses Werk gebe uns beinahe die volle Gleichberechtigung, indem es einen wesentlichen Teil der einseitig ausgeübten Gewalt der Siegermächte abbaue, und insbesondere: Der Weg durch die Montanunion sei der einzige Pfad, der zu diesem hohen Ziele führen könne. Und den Kritikern der Saarpolitik der Bundesregierung hat man gesagt, daß die deutsche Position an der Saar durch den Abschluß des Montanunionvertrags erheblich verbessert werde.
Und dann kam ein Trumpf — ich glaube, Herr Dr. Henle, Sie haben das Wort von der Trumpfkarte selbst gesprochen —: wir überwänden so, durch eine deutsche Vorleistung, erstmals nationalstaatliche Vorurteile; in den neun Mitgliedern der Hohen Behörde werde die Spezies des homo Europaeensis geboren, und überhaupt, der Montanpakt sei Europa — wenigstens im Embryonalzustand —; wer den Pakt wolle, wolle Europa, wer ihn ablehne, der lehne Europa ab. Und immer wieder hat insbesondere Herr Dr. Henle zu uns im Futurum gesprochen und mir damit die Gelegenheit zu dem Zwischenruf vom Futurismus seiner Politik geboten. Er hat insbesondere dann im Futurum gesprochen, wenn er von heiklen Dingen sprach und wenn er darauf hinwies, was alles uns der durch den Schumanplan zu uns herabgestiegene neue „Geist" bescheren werde. Herr Dr. Henle hat es sich nicht nehmen lassen — wie sollte er auch —, meinen Freund Kurt Schumacher und die SPD heftig zu apostrophieren, und er hat sich als ein Spaßvogel ohnegleichen erwiesen, als er „Die Welt" — ich meine jene Zeitung, die sich so nennt — für eine der Sozialdemokratischen Partei nahestehende Zeitung ausgab. Das hätten Sie den wackeren Mannen in Hamburg nicht antun dürfen.
Die werden es nun schwerer haben, nach dem, was
Sie da sagten, sich mit den Herren auseinanderzusetzen, mit denen sie sonst konferieren, denn
die werden Ihnen das vielleicht glauben — nicht
die Herren von der „Welt", die wissen es besser,
aber jene anderen, die Gesprächspartner der Herren
von der „Welt". Und er hat uns Dogmatismus
„nachgewiesen" und alle jene schönen anderen Dinge,
die auf -ismus enden, und er hat uns insbesondere
Negativismus vorgeworfen. Als ob nicht manches
sozialdemokratische Nein zu der Politik, die hier
getrieben worden ist, die Voraussetzung für eine
positive Lösung deutscher Probleme gewesen wäre!
Als ob nicht schon zu Beginn unseres Gemeinwesens ein SPD-Nein die Möglichkeit zur Bildung eines funktionsfähigen Staates geschaffen hätte!
Sie scheinen es für möglich zu halten, daß Leute, die sich in ihrem Leben ihr Nein zu gewissen herrschenden Gewalten haben etwas kosten lassen, aus purer Unlust an einigen heute regierenden Leuten nicht anders könnten, als immer nein zu sagen,
so als handele es sich bei uns um Pennälerfehden!
Herr Dr. Henle, vergessen Sie nicht den Satz des
Heiligen Thomas: „Omnis negatio est affirmatio" —
in jeder Verneinung liegt eine Bejahung verborgen.
— O, der Heilige Thomas war kein Klerikaler.
Sehen Sie, Herr Dr. Henle, so wie Sie etwas von den Grenzwerten beim Stahl verstehen, verstehe ich ein ganz klein wenig etwas von diesen Dingen: die Klerikalen waren erst die Epigonen des Heiligen Thomas.
Wenn wir zu diesem oder jenem Ihrer oder anderer Leute Politik nein sagen, so weil unser Ja zu bestimmten Prinzipien und Zielen so leidenschaftlich ist, daß man zu gewissen Surrogaten nein sagen muß, die man uns als das Echte ausgeben will.
Herr Dr. Henle, ich will Ihnen keine Retourkutschen zuschicken.
— O, das waren keine Retourkutschen, das waren freundliche Antworten auf Ihre Zwischenbemerkungen.
Sie fragten, was ich denn von den Grenzwerten bei Eisen und Stahl verstünde — ich beuge mich sehr tief vor Ihrer großen Sachkenntnis in diesen Dingen; ich habe auf diese Branche nicht gelernt —, aber, sehen Sie, eines habe ich im Collegium logicum gelernt, nämlich daß eine voll belastete Maschine, die zu 25 % kaputt gemacht worden ist, nicht zu 100 % laufen kann. Das ist es, was ich mit den Grenzwerten meinte, im Zusammenhang mit den Bemerkungen über das, was man von der Verbundwirtschaft übriggelassen hat. Aber Schluß nun mit diesen Dingen.
Ich will auf Ihre Argumente eingehen, so wie Sie auf die Argumente der SPD hätten eingehen müssen, von denen Sie ja sagten, sie seien Ihnen so bekannt wie der Katechismus.
Aber, sehen Sie, Sie lieben es nicht, auf Argumente
einzugehen, Sie ziehen es vor, zu tadeln oder zu
witzeln, und das ist keine genügende Methode. Was
ist denn mit Ihren Argumenten? Was bleibt denn
übrig, wenn der scharfe Wind der Analyse den
goldenen Rauch des Mythos weggeblasen hat, den
man vor den Realitäten hat aufsteigen lassen, die
sich hinter dem Wort vom Schmanplan verbergen?
Ja, man hat versucht, einen Schumanplan-Mythos zu schaffen. Man hat dem Volk nicht nüchtern gesagt: Man verlangt von uns dies und das, und das kostet soviel, und wir wollen es leisten, weil wir annehmen, dafür schätzungsweise dieses und jenes zurückzubekommen, und wir dürfen annehmen, daß wir das zurückbekommen aus den und den Gründen. Man hat nicht gesagt, was denn dabei nun wirklich an Veränderungen der Wirklichkeit vor sich geht, in der wir stehen, und auch nicht, wer über die Masse, die geschaffen worden ist — auch über die Masse an Macht —, verfügt und mit welchen Chancen. Man hat nicht darzulegen versucht, was für Veränderungen der politischen Grundverhältnisse geschaffen werden. Das ist nicht gut. Man kann doch den Schumanplan nicht für sich allein betrachten; man kann ihn doch nur dann richtig werten, wenn man ihn im Koordinatensystem des politischen Grundverhältnisses sieht, in dem sich Europa und vielleicht sogar die Welt befindet.
Das ist keine Möglichkeit politischer Diskussion. Das ist Mißbrauch von Stimmungswerten und der
Lust der Menschen an der Stillung gewisser Gemütsbedürfnisse,
ein Mißbrauch zu politischen Zwecken. Das ist so, auch wenn Sie „Au" rufen, verehrter Herr Kollege. Eine solche Methode führt zu nichts Gutem. Die in den Dingen vorhandenen Kräfte sind immer stärker als unsere Wunschbilder, und Surrogate waren auf die Dauer noch nie bekömmlich.
Was ist zu den Fakten zu sagen? Ich will mich auf das Nichtwirtschaftliche des Problems beschränken; das Wirtschaftliche wird mein Freund Fritz Henßler dartun.
Zunächst zum politischen, administrativen Aufbau der Montanunion; auch hier werde ich nur einzelne Punkte herausheben.
Hier ist zuerst die Hohe Behörde zu nennen. Sie ist ein supranationales, zentral funktionierendes Herrschaftsorgan. Sie ist kein internationales, föderatives Kooperations- und Koordinationsorgan. Die Hohe Behörde übt unmittelbar e Gewalt' aus, eine Gewalt, die unmittelbar in die Staaten hineinzuwirken vermag und nicht nur darauf beschränkt ist, auf die Staaten zu wirken. Zwar kann die Hohe Behörde nicht alles; aber sie kann so viel, daß neben ihrer Zuständigkeit auf den Gebieten der Montanwirtschaft und auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens, auf die die Dinge der Montanwirtschaft wirken, alle anderen Kompetenzen untergeordnet erscheinen.
— Darauf werde ich gleich kommen, Herr Kollege Becker; das ist in der Tat das Problem. —
Supranationale Behörden können sehr gute Dinge sein, sofern gewisse unerläßliche Voraussetzungen für die Möglichkeit ihres rechten Funktionierens geschaffen sind, und Voraussetzungen dafür, daß solche Dinge funktionieren können, sind z. B. das Vorhandensein eines adäquaten Unterbaus und einer demokratischen Kontrolle von oben.
Eine andere Frage — und damit komme ich auf das Problem „Bundesstaat und Bundesländer" —: Kann man denn obrigkeitliche Gewalt schaffen, die sich auf Teilgebiete beschränkt, wenn sich deren Maßnahmen auf diesen Teilgebieten in entscheidender Weise auf anderen Gebieten auswirken müssen, auf Gebieten, die anderer Verantwortung und einer anderen Botmäßigkeit unterstehen? Die Hohe Behörde wird Maßnahmen treffen. Diese Maßnahmen wirtschaftlicher Art werden Auswirkungen haben auf dem sozialen Gebiet, auf dem finanziellen Gebiet, auf einer Reihe anderer Gebiete auch, Auswirkungen, denen begegnet werden muß, wenn kein Chaos werden soll. Wer wird diese Auswirkungen auffangen müssen? Der Staat! Der Staat, der auch die Kosten für das wird aufbringen müssen, was durch diese Maßnahmen der Hohen Behörde auf anderen Gebieten als Nebenwirkung ausgelöst werden wird; aber über die Mittel, die er brauchte, um diese Kosten aufzubringen, über den Schlüssel zu diesen Mitteln verfügt nicht er, sondern die Hohe Behörde, die ja allein über diesen Schlüssel, nämlich die Schlüsselindustrien verfügt. Das bedeutet, daß wirtschaftliches Geschehen und — um nur eines zu nennen — soziales Geschehen Gefahr laufen werden zu divergieren. Es fehlt ein einheitlicher Herr über beide Bereiche, der die Kluft schließen könnte; und was in der Aufgliederung der Kompetenz zwischen Hoher Behörde und dem, was den Staaten verbleibt, geschieht, das ist nicht eine gesunde Arbeitsteilung, sondern das ist Anarchie und Gegenläufigkeit!
Wenn eine supranationale Behörde, oder sagen wir: „Autorität" funktionieren soll — wenn man das will, dann müßte die Hohe Behörde sachlich umfassendere Verantwortungen und Kompetenzen haben, als die Hohe Behörde des Schumanplans sie hat. Sie müßte nämlich verpflichtet sein — und dieser Verpflichtung müßten korrespondierende Befugnisse entsprechen —, für die sozialen und finanziellen Folgen ihrer wirtschaftlichen Anordnungen aufzukommen, mit Mitteln, die sie beschaffen muß,
und das kann sie nicht!
Teilverantwortungen und Teilkompetenzen sind in Staat und Überstaat, Herr Kollege Becker, nur möglich, wo ein Teilgebiet in sich ganz geschlossen ist und nicht auf andere wesentliche Gebiete entscheidend Einfluß zu nehmen vermag. Das ist in der Tat das Problem des Bundesstaates, und deswegen wird in jedem Bundesstaat die Lastenverteilung und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern so vorgenommen, daß, was der Bund anrichtet, auch der Bund bezahlen muß und nicht etwa die Länder zu bezahlen haben. Nur so geht es. Man kann nicht Stücke herausschneiden; man muß das Zusammenhängende auch unter die Kompetenz und Verantwortung des Zusammenhangs stellen, und das ist in der Montanunion nicht geschehen.
Ein Weiteres. Die Hohe Behörde trifft ihre Anordnungen autonom. Die Parlamente der Länder haben keinen Einfluß auf sie und kontrollieren ihre Tätigkeit nicht; denn die Versammlung, die der Pakt vorsieht, ist ja kein Parlament und hat ja keine echten parlamentarischen Befugnisse. Auf der anderen Seite aber wirken die Entscheidungen der Hohen Behörde in die Länder hinein, und zwar in wesentlichste Sachgebiete, die nach den Verfassungen der Länder in die Verantwortung der Parlamente und der Regierungen, die diese Parlamente kontrollieren, fallen, und damit, meine Damen und Herren, wird das Grundgesetz auf weiten Gebieten illusorisch. Man kann das wollen
und man kann gute Gründe haben, so etwas zu wollen; man muß nur wissen, was man damit will und ob man bereit ist, die Konsequenzen dessen mit zu wollen, was man will.
Die Regierungstätigkeit und die Tätigkeit des Parlaments werden auf wichtigsten Sachgebieten nichts anderes mehr sein können als bloße Funktionen und Begleiterscheinungen der Taten und Unterlassungen der Hohen Behörde. Eine eigene Wirtschaftspolitik wird in diesem Lande nicht mehr zu treiben sein, sondern nur noch in Abhängigkeit und in Funktion dessen, was die Hohe Behörde als Wirtschaftspolitik haben will.
Nehmen Sie ein Beispiel. Wie haben wir alle, die wir hier sitzen, zu Beginn unserer Tätigkeit geklagt, als man von uns verlangte, den Kohlenpreis zu verändern! Wir haben damals gesagt: ja, was ist denn dann noch mit uns? Können wir denn dann noch eine Wirtschaftspolitik treiben und verantworten, wenn man uns den Kohlenpreis vorschreibt?
— Da wird noch viel mehr vorgeschrieben werden, Herr Kollege, als der Kohlenpreis, und nicht nur einmal, sondern viele Male! Man kann das wollen, man kann das für gut halten — nur muß man wissen, was man damit mit wollen muß.
— Sie wissen das, Herr Dr. Tillmanns; nun, wir wollen einige Gespräche, die wir in Straßburg geführt haben, hier lieber nicht wiederholen.
— Was das für eine Art ist? Ein freundliche Art, auf einen Zwischenruf einzugehen, verehrter Herr Kollege!
Die Schlüssel zu all diesen Dingen werden künftig in den Händen der 9 Herren sein, die über unsere Schlüsselindustrien gebieten. Dort wird die eigentliche Schlüsselgewalt liegen. Man könnte sagen: das ist gut, Schluß mit eigener Wirtschaftspolitik der Nationen; es lebe der neue Areopag und nieder mit der Selbstbestimmung! So kann man denken. Aber was ist denn die Hohe Behörde, was ist sie denn in Wirklichkeit; was bleibt, wenn man ein bißchen von dem Nimbus wegnimmt, den man um sie gelegt hat? Nun, die Hohe Behörde ist nichts anderes — in der Sprache der Soziologie zu reden — als ein Konvent von Managern — also gerade das, was auf der nationalen Stufe zu überwinden 150 Jahre demokratisch-parlamentarischer Entwicklung notwendig gewesen sind. Will man uns auf dem internationalen, auf dem supranationalen Gebiet nicht um 150 Jahre hinter den demokratischen Stand zurückwerfen, den die Nationen Europas und der neuen Welt seit 11/2 Jahrhunderten geschaffen haben, dann hätte man in erster Linie ein echtes Montanunions-Parlament schaffen müssen,
ein Parlament mit allen echten Kompetenzen eines demokratisch gewählten und insbesondere mit demokratischer Souveränität ausgestatteten Parlamentes, und nicht einen Bastard von Assemblée, der nichts kann und nichts darf. Dann erst hätte man die politische Amputation der nationalen Parlamente hinnehmen können, und ich wäre der erste gewesen, zu sagen, daß man sie hinnehmen solle!
Aber wir werden dann nach Inkrafttreten der Montanunion nicht mehr das sein, was die Briten mit großem Pathos zu nennen pflegen „nation governed by parliament". Wenn das zu schaffen heute nicht möglich war, dann hätte die Konstruktion des Zuständigkeitskatalogs der Hohen Behörde nicht so gewählt werden dürfen, wie man sie gewählt hat; dann hätte man sich auf ein Koordinationsorgan beschränken müssen, wenn man innerhalb der Möglichkeiten demokratischer Kontrolle bleiben wollte.
Und nun ein anderes Argument: Die Supranationalität der Hohen Behörde, die das Statut dekretiert, bedeute die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von allen Interessen. Welche Illusion! Die Unabhängigkeit, die das Statut schafft, bedeutet doch keine andere Unabhängigkeit als die Unabhängigkeit des Managers, d. h. die Unabhängigkeit eines Machthabers von parlamentarischer Kontrolle.
Sie löst für sich allein den einzelnen doch nicht aus dem Sog der nationalen Interessen heraus, für deren Vertretung er von seiner Regierung für die Hohe Behörde vorgeschlagen worden ist. Denn die Regierungen werden doch die Kandidaten nicht nach ihrer Fähigkeit zu nationaler Selbstverleugnung aussuchen, sondern nach ihrer Fähigkeit zur Vertretung nationaler Interessen. Herr Monnet wird doch als Vorsitzender der Hohen Behörde den Vater des französischen Nationalplans, des Monnetplans, nicht verleugnen. Der ist doch sein erstes Kind, und die Montanunion soll doch die Ziehmutter dieses Kindes werden!
Man wird noch nicht dadurch zum Europäer, daß man in eine Behörde delegiert wird, die mit Eisen und Kohle zu tun hat und eine europäische Firmenbezeichnung trägt. Der gemeinsame Zugriff auf deutsche Kohle ist noch nicht Europa!
Europäer im funktionellen Begriff wird man erst dann haben, wenn Behörden, wenn Autoritäten, wenn „europäische" Institutionen dem gewählten Parlament einer europäischen Nation verantwortlich sind.
Aber durch solche Unterstellungen unter Gesamtparlamente sind doch über die lokalen Interessenkomplexe hinaus die übergeordneten Gemeinsamkeiten entstanden. So sind einmal aus Lothringern, aus Pikarden, aus Bretonen, aus Basken Franzosen geworden und aus Angeln, Sachsen und Schotten Engländer, aus Württembergern, Bayern, Hessen und Preußen Reichsdeutsche. So wie vorher die Länder nichts anderes waren als geographische Begriffe und kulturelle Einheiten, so ist heute die Montanunion und was sie begreift, nichts anderes als ein Wirtschaftsraum, nicht mehr. Ein besonderes Gemeinschaftsbewußtsein, ein besonderes Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung vermag man so nicht zu schaffen. Um europäisch wirken zu können, gehört jede für Europa wirkende obrigkeitliche Gewalt unter echte gesamteuropäische parlamentarische Kontrolle.
Und welche Illusion, zu glauben, daß der Franzose, der Belgier, der Deutsche der Hohen Behörde anders handeln werde denn als Vertreter der Interessen ihrer Nationen. Wenn sie es täten, wie schön wäre dann diese Welt — aber wir sind so weit in Europa leider noch nicht.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben. Herr Staatssekretär Hallstein, der diese Dinge kennt, wird Ihnen sagen können, ob dieses Beispiel von mir richtig dargestellt worden ist. Wir haben eine echte Hohe Behörde schon im Leben der Völker: den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag. Seit Beginn seines Wirkens, also seit dem ersten Weltkrieg, hat er mehr als 80 Entscheidungen getroffen, und nur in zwei Fällen hat ein Richter dieses Gerichtshofes gegen die These seiner Nation gestimmt. Die Richter haben fast immer für ihre Nation gestimmt und auch dann, wenn sie dabei allein blieben oder wenn ein Richter, der einem Verbündeten ihrer Nation angehörte, mit ihnen stimmte.
Nur zweimal ist es anders gewesen, im sogenannten Lotosfall, wo der verehrungswürdige Richter Weiß, ein Franzose, gegen die These seiner Nation gestimmt hat; er wäre allerdings allein geblieben, wenn er es anders gemacht hätte.
Und in einem anderen Fall, im Prozeß über die deutsch-österreichische Zollunion, hat ein Belgier anders gestimmt, als es der These seiner Regierung entsprach. Diese Leute haben immer für eine Ausnahme gegolten, die man gelegentlich findet, wenn man mit einer stärkeren Laterne als der des Diogenes ausgeht, um Menschen zu suchen. In der letzten Woche noch — in dem persischen Ölstreit — haben der ägyptische und der polnische Richter — eben Richter von Nationen, die ihre Interessen gleichsetzen mit denen der Perser —, gegen die Majorität des Gerichtes gestimmt. Warum haben Sie das getan? Sie fragen: was folgt daraus? — Es geschah so, weil sie sogar als internationale Richter sich als Vertreter ihrer nationalen Interessen fühlten. Wenn das am grünen Holz der Rechtsprechung unter wirklich ehrenhaften Männern geschieht — denn das sind diese Männer —, was kann man dann von Kohle- und Stahlgebietern viel anderes erwarten?
Von Männern, deren Länder teils bekommen, teils
behalten wollen! Und alle diese Länder wollen
doch dabei etwas verdienen; denn sie haben alle
für Arbeit und Brot für ihre Menschen zu sorgen.
— Das kann man ihnen nicht vorwerfen, — und jeder hat das zu tun, 'auf Grund anderer Voraussetzungen.
— Doch, die gibt es, Herr Kollege Etzel, aber man muß es anders anfangen als die Väter der Montanunion.
Man muß dann eine gesamteuropäische politische Gesamtkompetenz schaffen, vor der die überstaatlichen Machthaber gleichermaßen verantwortlich sind, verantwortlich auch für die Reflexwirkungen ihrer Entscheidungen,
so daß das, was auf dem einen Sachgebiet getan wird, auch für das andere mitverantwortet werden muß.
Wir dürfen nicht vergessen: 5 von den 6 Ländern der Montanunion wollen unsere Kohle, damit sie der Stahl erzeugen können; sie wollen diesen Stahl
selber erzeugen —, damit wir Deutschen möglichst wenig davon zu erzeugen brauchen,
Wir können ja unseren Bedarf bei ihnen kaufen. Alle fünf wollen etwas von Deutschland; diese fünf wollen nicht etwas einer von dem andern. Das wird auch beim besten Willen der Beteiligten zu einer natürlichen Blockbildung der fünf gegen den einen Deutschen führen. Das ist keinerlei Schande für die Betroffenen; es ist nur eine Feststellung, daß der wahrscheinlichste Fall dafür spricht, daß es tausendmal so gehen wird, und höchstens einmal anders. Gewiß, in dem Vertrag stehen eine ganze Reihe sehr schöner Richtlinien und schöner Prinzipien, die beachtet werden sollen —, aber, meine Damen und Herren, bei Prinzipien muß man immer die Frage stellen: Quis iudicabit — wer wird darüber entscheiden, ob das Prinzip verletzt ist oder nicht? Es wird gerade die Hohe Behörde sein, die diese Prinzipien anzuwenden haben wird ...
Dann ist noch der Gerichtshof da. Aber dieses Gericht kann ja nach seiner Zuständigkeit über wirtschaftliche Tatbestände nicht entscheiden. Das ist auch ganz richtig so. Es kann Ermessensmißbrauch feststellen, gewiß! Aber auch diese Richter sind doch letzten Endes nur Menschen wie die Männer in der Hohen Behörde.
Es gäbe nur eine Möglichkeit des Zwanges, Entscheidungen auf europäische Art zu treffen. Das wäre dann der Fall, wenn über den Menschen, die zu entscheiden haben, das Damoklesschwert der Vertragskündigung oder der Nichtverlängerung hinge; dann müßten sie sich sehr ernst überlegen, wie sie jeweils entscheiden, denn sie müßten dann unter Umständen fürchten, daß der eine Partner nach einigen Jahren sagen wird: Ich tue nicht mehr mit. Aber bei 50jähriger Laufdauer ist dieser Zwang nicht gegeben. Und wenn man uns von den Revisionsmöglichkeiten spricht, die in dem Vertragswerk stehen: meine Damen und Herren, im Versailler Vertrag gab es auch einen Revisionsartikel 19! Und wann hat man je davon gehört, daß von ihm Gebrauch gemacht worden wäre? Die Majoritäten, die für eine Revision verlangt werden — auch nur dafür, daß ein Revisionsgespräch geführt werden kann —, sind so hoch, daß überhaupt keine Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie je zustande kommen werden, und noch weniger dafür, daß man einstimmig einen Revisionsvertrag schließen wird. Wir sollten diese Dinge realistischer sehen, als sie bisher hier vorgetragen worden sind
In der Hohen Behörde wird es nicht um reines Europäertum gehen, sondern um den Austrag nationaler Interessen. Dem hätte man bei der Konstruktion der Hohen Behörde Rechnung tragen müssen, einmal bei der Feststellung ihrer Kompetenzen und dann bei der Art der Feststellung der Möglichkeit ihres Funktionierens. Nicht ein supranationales Organ mit unmittelbarer Anordnungsgewalt, sondern ein internationales Kooperations- und Koordinierungsorgan wäre meiner Meinung nach unter den heutigen Verhältnissen das Richtige gewesen. Seine Mitglieder hätte man der Kontrolle der Parlamente unterstellen müssen. Das hätte man verantworten können. Was jetzt geschaffen wurde, kann das Parlament der Nation, die dabei in erster Linie zu g e b en hat, wie ich meine, nicht verantworten. Bedenken Sie — und lesen Sie den Text des Art. 24 des Grundgesetzes nach —, daß Hoheits-
rechte nur auf zwischen staatliche Einrichtungen übertragen werden können; aber es steht nichts davon darin, daß Hoheitsrechte durch einfaches Gesetz auf über staatliche Einrichtungen übertragen werden können. Darüber werden wir in zweiter und dritter Lesung noch einiges zu sagen haben.
Ich will noch auf etwas hinweisen. Wenn auf europäischer Ebene ein unkontrolliertes Managertum möglich ist, ja, wenn es nicht nur möglich, sondern das beste ist — warum handeln wir denn nicht auch auf nationaler Ebene so?! Warum begnügen wir uns da auch nicht mit Managern und warum legen wir denn dort die „lästigen und untauglichen" Parlamente nicht weg?! Könnten solche Gedankengänge nicht den Appetit jener reizen, die glauben, auch national käme man mit Managern besser voran als mit Parlamenten?!
Dann ist da noch der Ministerrat zu nennen, der geringere und andere Kompetenzen hat als die Hohe Behörde, aber doch recht wichtige Kompetenzen. Es sind für ihn auch Vetorechte vorgesehen, die ihren Nutzen haben mögen. Letzten Endes ist es so: Ein Beschluß kann nur zustande kommen, wenn entweder drei der Kleinen mit Frankreich oder drei der Kleinen mit Deutschland stimmen. Nun, so wie die Interessen liegen, scheint mir die häufigere Eventualität jene werden zu müssen, daß die drei Kleinen nicht mit Deutschland stimmen. Weiter: Deutschland und Frankreich können, wenn sie zusammengehen, von den Kleinen überhaupt nicht überstimmt werden. Und nun, Herr Dr. Henle, knüpfe ich an einen Ihrer Gedankengänge über die Demokratie des Schumanplans an, als Sie von den Kleinen sprachen. Finden Sie es denn so demokratisch, daß die Kleinen nie gegen die beiden Großen angehen können?
Und schließlich der wichtigste Fall, der Fall des Vetorechts bei der Feststellung der Verwendungsprioritäten und der Verteilungsschlüssel auf die Verbrauchsträger bei Mangellagen; da geht bei dem Veto eines Staates die Entscheidungsgewalt auf die Hohe Behörde zurück. Das heißt: Genau in dem Fall, der uns vital interessiert, ist das deutsche Veto, wenn es von den anderen Staaten nicht akzeptiert wird, ein Stoß ins Leere, und es entscheidet endgültig die Hohe Behörde, in der wir zwei Mitglieder von neun haben.
Die Parlamentarische Versammlung wurde von Herrn Dr. Henle selber nicht als Parlament im eigentlichen Sinne bezeichnet. Sie ist in der Tat nur etwas, das wie ein Parlament aussieht. Sie ist eine Stelle, die immer nur post factum tätig werden kann, eine Stelle, deren Befugnisse sich im wesentlichen auf die Entgegennahme des Tätigkeitsberichts der Hohen Behörde und auf Diskussionen dieses Tätigkeitsberichts beschränken. Diese Versammlung kann die Hohe Behörde als ganzes abberufen, wenn man dafür eine Zweidrittel-Mehrheit zusammenbekommt. Glauben Sie denn wirklich, daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, etwa auf einen deutschen Antrag ein solche ZweidrittelMehrheit zusammenzubringen?! Herr Kollege Pünder, ich glaube das nicht.
Das hat nichts zu tun mit krankhaftem Mißtrauen, sondern es ist lediglich ein realistischer Versuch, Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln.
Man wird sich auch hier klarmachen müssen, daß auch in dieser Versammlung das Behaltenwollen und das Habenwollen die entscheidende Rolle
spielen wird. Und es scheint mir eine besondere Feinheit bei dieser Beratenden Versammlung zu sein, daß die Franzosen erklärt haben, sie wollten drei ihrer achtzehn Mitglieder aus der Nation der Saarländer nehmen, also Herren, die Herr Hoffmann ihnen vorschlagen wird. Herr Staatssekretär Hallstein hielt das für einen mächtigen Vorteil; die Franzosen hätten dann nur noch 15 Stimmen in der Beratenden Versammlung ... .
Wahrlich, wahrlich . . . .
Gibt es denn, Herr Tillmanns, einen stärkeren Ausdruck für die gewollte Unteilbarkeit der französisch-saarländischen Union als die Besetzung einer französischen Delegation mit Saardelegierten?!
Um die Einheit der Saar und Deutschlands zu manifestieren, haben wir einst bei der EuropaDebatte vorgeschlagen, Saardeutsche in die deutsche Europadelegation aufzunehmen — doch nicht, um die deutsche Position zu schwächen, Herr Tillmanns!
Und nun der Hohe Gerichtshof. Internationale Gerichte sind eine gute Sache. Ich bedauere, daß man nicht öfter von ihnen Gebrauch macht. Der Gerichtshof der Montanunion sollte aber in seinen Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Seine Hauptfunktion wird sein, die Sanktionen zu bestimmen, mit denen die Anordnungen der Hohen Behörde erzwungen werden sollen, und zu entscheiden, ob im Einzelfall Ermessensmißbrauch vorliegt oder ob die Hohe Behörde im Einzelfall im Rahmen ihrer Kompetenzen gehandelt hat, und einige Dinge mehr. Es ist ihm untersagt, die wirtschaftlichen Tatsachen und die Umstände zu prüfen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, Insoweit also Faktisches zweifelhaft ist, wird der Gerichtshof keine Hilfe sein können. Diese Beschränkung seiner Kompetenz ist natürlich und normal. Ein Gericht kann solche Entscheidungen nicht treffen. Man sollte sich aber dann nicht von diesem Gericht wesentliche Hilfe erhoffen.
Da gibt es allerdings den Art. 37, in dem es heißt, daß bei Maßnahmen der Hohen Behörde, die tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft eines Landes herbeiführen, die Hohe Behörde angerufen werden kann und, wenn diese nicht abhilft, der Gerichtshof.
Aber wie soll denn dieser Gerichtshof in einem solchen Fall entscheiden können, wenn er die ökonomischen Tatbestände und Motive, die zur Entscheidung der Hohen Behörde geführt haben, nicht nachprüfen darf?
Und wenn man auf das Recht zur Prüfung der Behauptung eines Ermessensmißbrauchs hinweist: nach welchen Maßstäben soll denn dieser Exmessensmißbrauch judiziert werden? Jeder, der einmal Richter war, weiß doch, wie schwer es ist, sich darauf zu einigen, nach welchen Maßstäben -bestimmt werden soll, ob eine souveräne Behörde ihre Kompetenz mißbraucht hat oder nicht. Und hier wird es noch viel schwerer sein — einer internationalen Autorität gegenüber, die man von vornherein mit einem strahlenden Prestige umgeben hat!
Nun gibt es noch einen Beratenden Ausschuß, in dem Konsumenten, Erzeuger, Gewerkschaften usw. vertreten sind. Dieser Ausschuß kann beraten, und
Idas nur auf Anforderung. Wichtiger scheint mir die Rolle zu sein, die der Montanunions-Vertrag den Unternehmerverbänden vorbehält. Scheinbar haben diese beschränkte Funktionen. Aber sie haben das Recht, bestimmte Tätigkeiten anzuregen. Sie haben die Möglichkeit, Impulse zu geben und Gutachten zu erstatten, und damit werden im Laufe der Zeit die Syndizi der Verbände über die nationalen Grenzen hinweg die Steuerleute der Hohen Behörde werden können,
wo es nicht um nationale, sondern um Gruppeninteressen geht.
In der Denkschrift eines Mannes, der von diesen Dingen etwas weiß, des Dr. Blankenagel aus Düsseldorf, heißt es denn auch ganz folgerichtig: „In der Einschaltung der Verbände liegt auf der anderen Seite eine Chance für sie, ihre Unentbehrlichkeit nachzuweisen."
Ist das nicht trefflich: Dirigismus von oben, von unten temperiert durch die Syndizi?
Dann ist hier noch ein anderes strukturelles Problem zu untersuchen: Entspricht dem Schema, das auf der übernationalen Ebene geschaffen wird, auf der nationalen Ebene ein angepaßtes System von Institutionen? Man hat viel darüber gestritten — je nach Geschmack —, ob die Montanunion eine dirigistische Wirtschaftsverfassung einleite, also eine Kommandowirtschaft schaffe, oder ob sie nicht vielmehr die freie Wirtschaft in den Sattel heben werde. Manche sagen, man brauche den Dirigismus, gerade um die freie Marktwirtschaft zu ermöglichen. Einer der gescheitesten Franzosen, der über diese Dinge geschrieben hat, Raimond Ar o n , hat darüber einige wirklich lesenswerte Aufsätze veröffentlicht, und ein Mann, den Sie sonst gern zitieren, Herr Röpke, hat das auch getan. Aber wir wollen darüber nicht im einzelnen streiten. Sicher ist es so, daß in Krisenzeiten und in Mangelzeiten die Hohe Behörde als dirigistischer Apparat wirken wird und wirken muß, und dazu ist sie ja mit geschaffen worden. Nach dem Worte Dr. Wagenführs werden Normallagen auf diesem Gebiet höchst seltene Vögel sein. Das Regelmäßige, das „Normale" wird auf diesem Gebiet gerade das Nichtnormale sein, wenn sich nicht sehr bald fundamentale Veränderungen auf diesem Planeten einstellen sollten.
Nun schafft man einen europäischen Planungsapparat; aber der kann doch nur funktionieren, wenn er einen nationalen Planungsunterbau hat, wenn also auch die nationalen Wirtschaften Planung und Lenkung unterworfen sind. Das ist aber fast nirgends bei den sechs Montanunionländern der Fall, und folglich, fürchte ich, wird die notwendige Verzahnung von oben nach unten fehlen, es wird die Möglichkeit fehlen, unten auszuführen, was oben verfügt wird; es wird so unmöglich sein, etwas wie eine Erfolgskalkulation vorzunehmen, und man wird in den einzelnen Ländern gezwungen sein, dauernd zu organisieren und umzuorganisieren. Die heutige Organisation ist so, als stünden wir vor einem Bundesstaat, dessen Länderverfassungen für die Ausführung der Bundesgesetze nicht den angepaßten administrativen Apparat zur Verfügung habend Das war im übrigen einer der Hauptgründe, warum die Briten sich mit dem supranationalen Schema als solchem, ohne Rücksicht auf den materiellen Inhalt, nicht befreunden konnten. Ich verweise auf die Worte, die Lincoln Evans in der Monatsschrift des Internationalen Bundes freier Gewerkschaften vom April 1951 veröffentlicht hat. Darum scheint mir heute, wenn man das Resultat will, das Sie wollen, Koordination und Kooperation der bessere, sicherere und reibungsloser zum Ziele führende Weg zu sein. Das jetzige Konstruktionsschema kann nicht funktionieren, weil Oberbau und Unterbau nicht aufeinander abgestimmt sind.
Nun zum zweiten Problem: zu den politischen Vorteilen, die uns der Schumanplan — der Schumanplan in seiner heutigen Gestalt des Montanunionsvertrages vom April d. J. — bringen soll. Ich kann keinen unmittelbaren Vorteil entdecken. Man sprach von Europa. Darüber werde ich nachher etwas sagen. Aber für das andere; für das Unmittelbare, was gilt da? Die Montanunion tut bisher nichts anderes, als uns auf weiten Gebieten die Entscheidungsgewalt zu nehmen; sie unterstellt deutsche vitale Interessen auf Grund freiwilliger Übernahme durch die Deutschen der Entscheidungsgewalt von Organen, die mit einer Mehrheit von Mitgliedern besetzt sind, die notwendigerweise gegenläufige Interessen verfolgen müssen. Wir kämen, sagt man, auf diese Weise aus dem bösen Spiel uns einseitig auferlegter Beschränkungen unserer Produktion durch die Besatzungsmächte heraus. Nun, wo steht denn das im Vertrag? Wo steht denn im Vertrag, daß die Ruhrbehörde, die alliierten Kontrollen, die Kohle- und Stahlkontrollgruppen, die Eingriffe der Alliierten Sicherheitsbehörde, die Beschränkung der Stahlkapazität und der Stahlproduktion verschwinden werden? Das steht nirgends. Man hat uns gesagt, man habe uns versprochen, daß das verschwinden würde. Aber warum hat man denn nicht darauf bestanden, daß dieses Versprechen zu einer rechtlichen Verpflichtung, d. h. zum Vertragsinhalt, gemacht wurde?
—Diese anderen hätte man j a beiziehen können. —
Es gibt ja so etwas wie Zusatz- und Ergänzungsprotokolle zu Verträgen. Man hat den Abbau einiger Dinge in Aussicht gestellt — aber doch nur seitens einiger der beteiligten Regierungen — und insbesondere ohne Nennung des Preises, den wir für den Verzicht, den man angeblich bringen will, zu zahlen haben werden.
Nun, Herr Dr. Henle, ich sagte vorher, Sie hätten recht viel im Futurum gesprochen. Aber dem Futurum gegenüber ist das Präsens immer stärker, und der Vertrag ist im Präsens geschrieben, insbesondere sind es die Verbote des Art. 4! Ich erinnere: Mit der Akzeptierung des Ruhrstatuts haben wir den Preis für eine Verminderung der Demontagen bezahlt. Nach Ihren Worten bezahlen wir jetzt für die Abschaffung des Ruhrstatuts den Preis des Schumanplans. Und ich frage: Was werden wir einmal anbieten müssen, um den Schumanplan loszuwerden?
Man hätte diese Versprechungen doch mindestens vertraglich fixieren müssen. Man hat es unterlassen, und darum sind wir dankbar, daß der Bundesrat und die Gewerkschaften die Regierung an ihre Pflicht erinnert haben. Schon manchmal ist der Herr Bundeskanzler — auch zu unserem Leidwesen — von denen desavouiert worden, auf deren Versprechen er glaubte sich berufen zu
können. Ich erinnere an eines seiner Hoffnungsworte bei der letzten Saardebatte: er könne uns sagen, die Saarfrage werde recht bald und in deutschem Sinne gelöst werden. Einen Tag darauf kam die Desavouierung aus Paris.
Und dann: Was geschieht mit der Aufhebung der Ruhrbehörde? Hat man denn schon einmal untersucht, ob die Kompetenzen der Hohen Behörde des Schumanplans nicht mindestens ebenso weit gehen wie die der Ruhrbehörde und ob nicht die Hohe Behörde uns auch Exportquoten für die Kohle auferlegen kann, wie die Ruhrbehörde es getan hat?
Unsere Möglichkeiten, ihre Entscheidungen zu beeinflussen, sind nicht größer, als sie heute bei der Ruhrbehörde sind.
Es scheint mir zuzeiten besser, einseitige Belastungen auf sich zu nehmen, als reduzierte Belastungen, die man freiwillig nicht auf sich nehmen würde, unter Druck durch Vertrag zu übernehmen. Denn gegen eine einseitig gegen uns geführte Politik können wir uns wehren. Und dann muß der andere ja imstande sein, diese Politik durchzuhalten. Dazu hat er nicht immer Mittel, das kann er nur eine Weile. Und gerade weil man weiß, daß man uns das Besatzungsregime nicht länger einseitig aufzwingen kann, will man uns das Halbe oder den vierten Teil des Besatzungsregimes für 50 Jahre als freiwillige Last übernehmen lassen.
Das ist keine gute Sache. Denn auch die halbe Last wird uns zu Boden drücken, die ganze aber könnte heute ohne unsere Mitwirkung kein Sieger auf die Dauer mehr aufrechterhalten.
Nun zum Kapitel der Gleichberechtigung. Man kann diesen Begriff sehr verschieden interpretieren. Ein auch von Ihnen wohlgeschätzter französischer Schriftsteller, Anatole France, hat es einmal in einer sehr treffenden Weise getan. Er hat gesagt: „Was wollt ihr denn, in unserem republikanischen Frankreich herrscht volle Gleichberechtigung; denn der Millionär und der Bettler werden gleichermaßen bestraft, wenn sie Brot stehlen."
Formale Gleichheit, formale Gleichberechtigung sind eine schöne Sache. Aber wenn formale Gleichberechtigung nach dem Buchstaben in Diskrepanz mit der Verschiedenheit der Startmöglichkeiten und der materiellen Chancen, sie zu verwirklichen, steht, dann ist sie doch nicht sehr viel wert. Die formale Gleichberechtigung, die uns die Montanunion bringt, hat die Hinnahme materieller Ungleichheiten und die Übernahme zusätzlicher Ungleichheiten zur Voraussetzung, über die mein Freund Henßler noch sprechen wird.
Da sind zunächst die territorialen Bestimmungen der Montanunion zu nennen. Deutschland gibt seine ganze Montanindustrie in den Pool, alles, was unter seiner Jurisdiktion steht; Frankreich, Belgien, Italien stellen aber nur ihre binnenländische Montanindustrie ab; ihre überseeische bleibt autonom. Diese ist, was den Erzbergbau in Marokko und Belgisch-Kongo anbetrifft, recht bedeutsam. Die französischen und belgischen Erzvorkommen in Afrika können autonom ausgebaut werden. Dort kann frei investiert werden, über die Produkte kann frei verfügt werden. Aber über
Frankreichs Ansprüche an die Montanunion kommt diesen afrikanischen Erzen unter französischer Jurisdiktion der Koks der Ruhr zugute, der im Namen der Montanunion unserer Wirtschaft entzogen wird. Freilich steht in dem Vertrag: Deutschland solle dort für Kohle und Erze die gleichen Vergünstigungen genießen wie die Kolonialmacht oder der Protektor. Aber die Kolonialmacht oder der Protektor haben die Macht an Ort und Stelle, und das ist wirksamer als das Spiel von Meistbegünstigungsklauseln. „Possession vaut titre" steht im Code civil: Wer besitzt, hat so gut wie einen Rechtstitel in der Hand.
Das ist fast die gleiche Situation wie die, die man den Deutschen im Plevenplan auf militärischem Gebiet zugedacht hat. Frankreich und die anderen Partner des Plevenplans sollen in den Armeepool nur einen Teil ihrer Wehrmacht geben, den Rest sollen sie zu freier Verfügung behalten. Die Deutschen aber sollen alles hineintun und nichts zu freier Verfügung behalten. Ist denn das Gleichheit, frage ich?
Und haben wir Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Investitionen? Die Montanunion läßt Investierungen durch Selbstfinanzierung außerhalb ihrer Kontrolle. Finanzierung durch fremde Gelder kann nur erfolgen, nachdem die Hohe Behörde tätig geworden ist.
-- Nun, die französische Montanindustrie, Herr Kollege Euler, ist durch Marshallplangelder und Steuermittel so überinvestiert, daß sie imstande ist, selbst zu verdienen, was sie zur Erweiterung und Rationalisierung ihrer Anlagen investieren muß. Die deutsche Montanindustrie aber hat einen immensen Nachholungsbedarf durch Kriegszerstörung, durch Demontage, durch Unterlassung der Rationalisierung usw. Sie kann, was sie investieren muß, nicht aus sich heraus verdienen. Sie braucht Anleihen. Also stehen wir hier bei formeller Gleichheit ganz und gar im Zustande effektiver Ungleichheit.
Glauben Sie denn, daß viel Aussicht besteht, in der Hohen Behörde eine Majorität dafür zu finden, daß fremde Gelder in der deutschen Eisenindustrie investiert werden, die der französischen Eisen- und Stahlindustrie die Konkurrenz erschweren könnten? Der Monnetplan ist doch der eigentliche Favorit der Montanunion. Freilich heißt es im Vertrag: Diskriminierungen dürften nicht erfolgen. Aber auch hier frage ich: Wer entscheidet darüber, ob etwas diskriminatorisch ist oder nicht? Letzten Endes doch die Hohe Behörde! Man sagt uns: Es ist doch keine Diskriminierung, wenn der Tatbestand aufrechterhalten wird, daß ihr eben unter schlechteren Bedingungen existieren müßt als die anderen; das ist nun einmal so, das haben wir ja nicht geschaffen. Genau so sagt man uns bei der Diskussion der Verteidigungsfrage: Wir können doch nichts dafür, daß ihr im Osten liegt und das gefährdetste Stück Europas seid; daran sind wir doch nicht schuld. — Natürlich sind die anderen nicht daran schuld. Wenn aber wirklich im einen und im anderen Fall mit gleichen Chancen und gleichen Risiken operiert werden soll, — dann muß man eben zum Ausgleich dieses Handicaps, dem ein Teil unterworfen ist, etwas mehr tun, als man für die favorisierten Nationen tut.
Und dann steht im Vertrag der Satz, daß die Hohe Behörde kein Prüfungsrecht bei Vorhaben habe, für die die Bestellung der neuen Anlagen vor
dem 1. März 1951 erfolgt ist. Also praktisch können die Franzosen mit dem Ausbau des Monnetplans ihre Stahlkapazität so weit erhöhen, wie sie wollen; denn sie haben ja ihre Anlagen schon vor dem 1. März bestellt. Dagegen können wir nur erweitern, was uns die Konkurrenten gestatten. Wo hätte denn die deutsche Stahlindustrie vor dem 1. März Anlagen bestellen sollen und bestellen können?
Dann eine andere Frage. Wir haben im Auswärtigen Ausschuß einmal darüber gesprochen —, Herr Kollege Semler war es, der dieses Problem aufgeworfen hat —: Nach welchen Prinzipien sollen denn die Quoten festgestellt werden? Nach den natürlichen Kapazitäten, d. h. nach den Kapazitäten, die in Auswirkung der eigenen wirtschaftlichen Kräfte geschaffen worden sind, d. h. nach dem Stand der französischen Industrie vor der Aufblähung durch die Marshallplangelder und dem Stand der deutschen Industrie vor den Demontagen? Oder sollen die Quoten bestimmt werden nach dem jetzigen politischen, durch Siegergewalt geschaffenen Stand? Das ist doch eine wich~tige Frage, eine Frage, die man hätte klären müssen; und man hat sie nicht geklärt,
Der Vertrag enthält Bestimmungen über den Zusammenschluß von Unternehmungen. In Deutschland nimmt man jetzt Von Besatzungs wegen Dekonzentrationen Vor. Man spaltet, was früher beieinander war, in eine Vielfalt von Gesellschaften auf, die sieh zum Teil konkurrieren müssen, und jede Rekonzentration ist genehmigungspflichtig. In Frankreich aber wurden in den letzten Monaten mächtige Zusammenballungen in der eisenschaffenden Industrie vorgenommen, und dazuhin ist der französische Kohlenbergbau nationalisiert und damit konzentriert. Die Folge dieses Zustandes wird sein: Frankreich hat alle Vorteile der Konzentration, und Deutschland geht ins Rennen mit allen Nachteilen der Zersplitterung. Das ist doch keine Gleichheit der materiellen Chancen mehr. Da bleibt doch formale Gleichheit nur ein leeres Wort.
Nun wurde gesagt: Alles das mag sein, aber wir tauschen damit doch etwas Großartiges ein, die Überwindung des engstirnigen Nationalismus, und wir bekommen als Lohn Europa. Freilich, im ersten Manifest, das Robert Schuman der Welt verkündet hat, da standen schöne Worte. Mit den Prinzipien, die diese Worte ausdrücken, bin ich für meinen Teil völlig einverstanden: Internationalisierung der schweren Industrien auf demokratische Weise, mit demokratischen Zielen, auf der Grundlage gleicher Leistung, auf der Grundlage gleicher Startbedingungen und gleicher Chancen. Aber sehen Sie: in der Politik kann man „ja" Oder „nein" nicht zu allgemeinen Prinzipien sagen, sondern nur zu Fakten und zu Zielsetzungen, „Überwindung des nationalstaatlichen Egoismus": ja, von ganzem Herzen ja; und „Hin zu Europa": zweimal ja! Aber was seit der Verkündung des Prinzips und der Ziele des Schumanplans geschehen ist, das gleicht weniger einem Bilde der Idee als einer Karikatur dieser Idee.
Zunächst: Ist es all denen, die uns auf die Montanunion, wie sie heute ist — ich betone: heute —
hindrängten, wirklich um Europa und um Internationalität an und für sich zu tun gewesen? Wollte
man die Montanunion wirklich in den Dienst der
europäischen Länder stellen, wobei „europäische
Idee" heißt: gleiches Recht, gleiche Chancen, gleiche
Risiken, gleiche Verfügungsmacht, gleiche Verantwortung aller allen gegenüber? Oder hat man nicht
vielmehr die Europasehnsucht der Menschen dieses Kontinents in den Dienst gewisser Interessen gestellt,
Interessen, die sehr wenig gesamteuropäisches Wollen in sich tragen?
Welches sind denn diese Interessen gewesen, und welche Interessen sind das noch? Man hat von dem dauernden Mißtrauen gesprochen, das man abbauen müsse. Sie haben vollkommen recht, Herr Henle, Miß t r au en an und für sich ist in der Politik eine ebenso schlechte und verhängnisvolle Sache wie Vertrauensseligkeit an und für sich.
Dem Vertrauen auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite nicht krankhaftes Mißtrauen. Dem Vertrauen entspricht Wachsamkeit, und wachsam sollten wir auch heute sein. Das gebietet uns, uns so .gut als möglich über alles zu informieren, Was im Spiel steht.
Frankreich, das früher einen großen Teil seiner Erze nach der Ruhr schickte, um sie dort verhütten zu lassen,
behält sie seit langer Zeit für sich, Herr Kollege Preusker, um am Stahl zu verdienen, und Stahl heißt ja heute — dafür haben Sie sicher viel Verständnis — auch politische Macht.
So ist die französische Erzausfuhr von 5,7 Millionen t im Jahre 1037 auf 0,12 Millionen t im Jahre 1949 gesunken. Der Import deutscher Kohle aber war 1949 so hoch wie im Jahre 1928. Das kannte man machen, weil durch den Monnetplan — und Herr Monnet ist ja der eigentliche Vater des Schumanplans — die französische Stahlerzeugung von 9,7 Millionen t im Jahre 1929 auf 12,5 Millionen t im Jahre 1952 und darüber hinaus auf 15 Millionen t gesteigert werden soll bei einem Inlandsbedarf von 6 bis 7 Millionen t.
— Das kann man nur machen, Herr Kollege Preusker, wenn man die dafür nötige Kohle zu so niedrigem Preis als möglich herbei zwinge n kann —zu einem Preis, den Man bestimmen kann —, und wenn man sich für den überschüssigen Stahl einen Markt politisch sichern kann.
Das erinnert mich an ein Gesprächs, das vor 11/2 Jahren in Bernkastel geführt worden ist. Herr Dr. Henle. Sie waren dabei, und Herr Kollege Euler war auch dabei. M. Andre Philipp war dort unser hauptsächlsichster Gesprächspartner. Damals handelte es sich nicht um den Schumanplan, sondern darum, daß er von uns haben wollte, wir sollten der Übernahme der Ruhrkontrolle nach dem Ruhrstatut zustimmen. Dabei führte er u. a. aus — ich habe es mir aufgeschrieben -, die Wirtschaftskommission der UNO habe errechnet, daß die Stahlkapazität Europas in wenigen Jahren in eine enorme Überkapazität umschlagen werde. — Das war vor Korea. —
Also könnte man doch die deutsche Stahlproduktion sich nicht so entwickeln lassen, wie sie sich
nach den natürlichen Wirtschaftskräften entwickle;
man müßte ja sonst die französische Kapazität auf den Stand von vor 1939 zurückschrauben. Und er sagte weiter: Es ist uns lieber, und es entspricht auch mehr unseren Vorstellungen von Sicherheit, wenn ihr den Stahl, den ihr nicht produzieren könnt, den ihr aber braucht, von uns kauft, und wenn wir durch die Ruhrbehörde die Kohle bekommen, die wir nötig haben.
Sehen Sie, darin liegt die Formel, nicht der Idee, aber der Realität der Montanunion.
Und dazu noch ein anderes. — Ich kann Ihnen aus Gründen der Courtoisie hier keine Namen nennen. Die Präambel des Gesetzes 75 hat bei diesen Dingen eine große Rolle gespielt. Eine Zeitlang konnten die Franzosen hoffen, daß sie ihre Verbündeten dazu bekommen könnten, das Eigentum an der Ruhr und die Träger der Betriebsführung an der Ruhr international zu bestimmen. Man nannte das „Gestion internationale". Man wollte die Ruhr zu einer Art internationalen Trusts machen. Das ist dann nicht geglückt. Die Präambel des Gesetzes 75 wurde geändert, und die Briten und die Amerikaner erklärten, der deutsche Gesetzgeber solle über das Eigentum der Ruhrindustrie bestimmen. Als so die Hoffnung auf die Internationalisierung der Ruhr begraben werden mußte, zog man den Schumanplan aus der Schublade heraus,
in der man ihn als Eventualfall 2 bereit hielt.
Man spricht immer vom „gemeinsamen Markt". Warum will man denn diesen gemeinsamen Markt nur haben, wo man von ihm profitieren kann! Warum will man nur den gemeinsamen Markt für die Montanerzeugnisse und künftig für die Agrarerzeugnisse? Warum aber will man ihn nicht für Maschinen, nicht für die Erzeugnisse der Chemie und der Elektrotechnik?
Es gibt auch noch ein amerikanisches Interesse an diesen Dingen, ein Interesse, das allerdings heute sehr verschieden ist von dem Interesse, das man vor den koreanischen Ereignissen nahm. Vor den koreanischen Ereignissen — wo man Absatzkrisen befürchtete — brauchte man in Europa einen Apparat, der die Produktion drosseln konnte — bei Schonung der in die französische Montanindustrie gesteckten Marshallplangelder; und nach Korea braucht man einen Apparat zur Aufteilung 'der Erzeugnisse der Montanindustrie bei Mangelbedarf, der durch die Rüstung herbeigeführt worden ist. Deswegen hatten und haben die Amerikaner ein Interesse daran, daß wir den Montanunion-Vertrag ratifizieren; es gibt noch manches andere Interesse.
Wenn man uns vor einigen Tagen gesagt hat: In Amerika denke man nun einmal, die Annahme des Schumanplans durch die Deutschen sei ein Prüfstein für den Grad der Intensität der Option der Deutschen für die Sache der Freiheit und des Westens. Wenn auch der einzelne Amerikaner sich unter dem Schumanplan nicht viel vorstellen könne; er betrachte ihn eben als ein wichtiges Symbol, und es sei gefährlich, ihm dieses Symbol vorzuenthalten,
Meine Damen und Herren! Wünsche nach Symbolen und die Kraft der Symbole in. allen Ehren und — ohne Ironie sei es gesagt —: Allen Respekt vor dem großen amerikanischen Volk, dem wir so Entscheidendes verdanken — aber all dies kann uns nicht von der Verantwortung und von der Pflicht der Prüfung entbinden, ob das Symbol, das man von uns will, Heil oder Unheil über unser Volk bringt!
Europa — nun, wir werden ja dieses Europa einmal schaffen müssen.
— Ja, wir werden es schaffen müssen. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein schweres Geschäft, und es genügt nicht, daß man jeden Tag zwanzigmal „Europa" sagt.
Europa ist kein Zauberwort, sondern eine Aufgabe!
Wenn man diese Aufgabe lösen will, Herr Kollege Euler, dann muß man zuerst die Voraussetzungen dafür schaffen, daß man mit Aussicht auf Erfolg ans Werk gehen kann. Sehen Sie: Der Bauplatz, auf dem wir das Haus Europa errichten wollen, ist doch noch voll von Trümmerschutt und Gestrüpp. Solange wir das nicht weggeräumt haben, solange wir nicht liquidiert haben, was uns Vergangenheit ist und aus der Vergangenheit in diese Gegenwart hineinwirkt, um Vergangenheit zu verlängern, Herr Euler, hat es doch keinen Sinn, daß wir die Zeichnung vom Reißbrett auf den Baugrund übertragen.
— Herr Euler, dieser Grund liegt sehr tief unten, und man muß sich sehr tief bücken, wenn man diesen Schutt beseitigen will!
Dabei tut einem das Kreuz gelegentlich sehr weh.
Der Schumanplan ist nicht Europa,
er ist auch nicht ein Anfang Europas, sondern er ist ein Stück Fortsetzung der Politik der Nachkriegszeit.
Sechs Länder sind daran beteiligt. Schauen Sie den Globus an: Das Gebiet dieser Länder ist ja nicht einmal die sonst so belächelte Halbinsel des Kontinents Asien; das ist ja nur ein Kap dieser Halbinsel.
Die wichtigsten Länder halten sich fern, und sie halten sich aus guten Gründen fern. Wenn Sie glauben, daß der Zusammenschluß dieser sechs Länder auf die Briten und Skandinavier als Magnet wirken würde, dann täuschen Sie sich. Dieser Zusammenschluß wird wie jeder separat integrierte partielle Zusammenschluß separatorisch und abstoßend wirken.
— Er wird den Angelsachsen und Skandinaviern das Gesicht noch stärker in die Richtung des Ozeans drehen, als das bisher schon der Fall ist.
(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Frau
Dr. Weber [Essen]: Gefällt Ihnen das?)
— Mir gefällt parlamentarische Kontrolle über Manager, Frau Kollegin Weber. Was mir aber nicht gefällt, ist, daß wir nicht die Anstrengungen leisten, die wir leisten müssen, um den Generalnenner zu schaffen, auf dem wir uns mit den Engländern zusammen zu einem Ganzen addieren könnten!
— Wenn Sie sich ein bißchen mehr anstrengen, in Deutschland den Lebensstandard der breiten Massen zu heben, dann geht es rascher, Herr Kollege Hasemann!
Wenn der Weg über die Montanunion wirklich zu einem echten Europa führen könnte, dann wäre kein nationales Opfer zu groß, aber dieser Weg führt nicht nach Europa.
Die Realität ist stärker als unsere Wunschbilder; und unsere Wünsche sind erst dann eine Kraft, wenn wir die Voraussetzungen geschaffen haben, ohne die sie nichts anderes sind als Produkte unserer Stimmungen.
Der Schumanplan macht doch für viele Staaten Europa überflüssig. Wir können doch Europa nur dann wirklich zu Europa machen, wenn alle bereit sind, von ihren nationalen Souveränitäten; von ihren Reichtümern alles hineinzugeben, was nötig ist, damit ein echtes Gesamtding entstehen könne. Das tut doch ein Staat wie ein Privatmann nur dann, wenn er weiß: Nur unter dieser Voraussetzung bekomme ich selbst zurück, was ich brauche.
— Wenn man ihm aber vorher schon so billig gegeben hat, was ihm zum rechten Preis nur Europa geben könnte, dann sagt er doch: Was brauche ich Europa, was brauche ich die Opfer zu bringen —ohne die Europa nicht geschaffen werden kann —, ich habe ja schon in der Tasche, was mir sonst nur ein Opfer für Europa geben könnte; fahren wir fort, zu bleiben, wie wir sind, und Europa zu deklamieren!