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ID0116102200

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    7. Bertram.: 1
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    Deutscher Bundestag — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951 6497 161. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 6498A, 6559C Beschlußfassung des Deutschen Bundestags zum Gesetz über steuerliche Behandlung von Tabakerzeugnissen besonderer Eigenart 6498A Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen 6498A Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen . 6498A Zolltarifgesetz 6498A Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6498A Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts 6498B Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes 6498B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung PR Nr. 50/51 — Kohle — II/51 — zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr, Aachen und Niedersachsen sowie zur Sicherstellung der Deckung des Bedarfs an festen Brennstoffen 6498B Anfrage Nr. 198 der Abg. Strauß u. Gen. betr. Auslieferung deutscher Wertpapiere (Nrn. 2355, 2483 der Drucksachen) . . . 6498B Mitteilung der Bundesregierung betr. Beratung des Gesetzentwurfs über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft (Nr. 2450 der Drucksachen) 6498B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6498D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Nr. 2401 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Fortgang der Beratungen über den Gesetzentwurf betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 2484 der Drucksachen) 6499C zur Geschäftsordnung: von Thadden (DRP) 6498B zur Sache: Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6499C Dr. Henle (CDU) 6502B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 6510C Euler (FDP) 6521C Dr. Bertram (Z) 6525D Albers (CDU) 6532A Henßler (SPD) 6535A Dr. von Merkatz (DP) 6539D Dr. Seelos (BP) 6542B zur Geschäftsordnung: Arndt (SPD) 6545A zur Sache: Dr. Preusker (FDP) 6545B Reimann (KPD) 6547B Tichi (BHE-DG) 6552C Löfflad (WAV) 6553D Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6554C zur Geschäftsordnung: Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 6555B Erler (SPD) 6555B Strauß (CSU) 6555C Ewers (DP) 6555C Ollenhauer (SPD) 6555D zur Abstimmung: Mellies (SPD) 6556A Dr. Preusker (FDP) 6556A Ausschußüberweisungen 6556B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nrn. 2268, 2341, 2432, 2499 der Drucksachen) . 6556C Dr. Spiecker, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Berichterstatter 6556D Beschlußfassung 6557A Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nrn. 2130, 2316, 2433, 2501 der Drucksachen) 6557A Hoogen (CDU), Berichterstatter . . 6557A Beschlußfassung 6557B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Nrn. 2463 und zu 2463 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) 6557C Dr. Hammer (FDP), Berichterstatter 6557D Freidhof (SPD) 6558B Renner (KPD) 6558B, 6558D Abstimmungen 6558A, B Rückblick auf die zweijährige Tätigkeit des Deutschen Bundestags und Wünsche für die Parlamentsferien: Vizepräsident Dr. Schäfer 6559D Nächste Sitzung 6559D Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von August-Martin Euler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Schmid waren von demselben großen Widerspruch durchzogen, der die gesamte sozialdemokratische Außenpolitik kennzeichnet. Auf der einen Seite werden die weitestgespannten Forderungen gestellt: gleiches Recht, gleiche Chance, gleiche Verfügungsmacht, darüber hinaus Ausgleich der Vorzüge favorisierter Nationen zugunsten der weniger begünstigten. Auf der andern Seite wird hinsichtlich der Wirklichkeit und der heute in Europa lebenden Menschen erklärt, daß sie alle mit der Austragung nationaler Interessen beschäftigt sind und in der Meinung befangen bleiben, einer könne nur auf Kosten des andern etwas erlangen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, darin liegt die ungeheure Spannung zwischen einer außerordentlichen Forderung und einer Wirklichkeit, die dieser Forderung auf das härteste widerstreitet. Dieser Widerspruch wird überflogen. Vieles klingt außerordentlich verlockend. Es bleibt aber doch der grundlegende Widerspruch, der verhindert, daß die Darlegungen überzeugen.
    Die Ausführungen des Kollegen Schmid überfliegen deshalb auch die europäische Tragik, in der wir uns befinden. Diese Tragik erhebt heute wieder drohender denn je ihr schretkendes Gesicht. Sie entspringt der Gefahr, daß die europäischen Völker, befangen in den furchtbaren Erlebnissen des letzten Krieges, befangen in den Regelungen vorläufiger Art, die die Sieger diesem Kriege folgen ließen, befangen in den Gefühlen des Mißtrauens und des Trotzes, die- sowohl dem Krieg als auch seinen interimistischen Abschlußregelungen entsprangen, der Stimme der Vernunft nur widerstrebend folgen, daß die europäischen Völker dieser Stimme der Vernunft nur allzu zögernd nachkommen können, sodaß ganz unterbleibt oder jedenfalls zu spät geschieht, was erforderlich wäre, um die Not zu wenden.
    Erst damit kommt man in die Mitte der Problematik, die diesem Schumanplan anhaftet. Wir wissen sehr wohl, was notwendig wäre. Millionen von Menschen in allen europäischen Ländern tragen es im Herzen. Die Probeabstimmungen in Breisach und in Castrop-Rauxel haben es mit der großen Mehrheit von 90 % bewiesen, und ich bin der Auffassung, wenn entsprechende Abstimmungen in andern europäischen Ländern stattfinden würden, würden sie zu keinem andern Ergebnis führen als dem der vorbehaltlosen Bejahung des Bundes der europäischen Völker, der Vereinigten Staaten von Europa. Die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den verschiedenen europäischen Ländern wünscht ein Europa, das nicht nur eine wirtschaftliche Einheit, ein einheitlicher Markt ist, sondern darüber hinaus eine politische Einheit. Das ist die Notwendigkeit der Zeit, die in die Herzen vieler Menschen geschrieben ist, es möge eine Ausschreibung zu einer europäischen Konstituante stattfinden, damit eine Verfassung für einen europäischen Bundesstaat Wirklichkeit werde.


    (Euler)

    Wenn man von dieser Notwendigkeit ausgeht, dann kennzeichnet allerdings den Schumanplan ein tragisches Zurückbleiben in dreierlei Hinsicht. Er führt zu keiner politischen Einheit Europas, er stellt keine wirtschaftliche Einheit für die ganze Breite des wirtschaftlichen Lebens dar. Er ist nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft für die wirtschaftlichen Schlüsselprodukte Kohle, Eisen und Stahl, und auch dies nur für sechs der europäischen Länder. Niemand bedauert mehr als wir dieses Zurückbleiben des Schumanplans hinter der europäischen Notwendigkeit. Eine Kritik, die ideell auf der Höhe der Zeit steht, kann nur eine solche sein, die das Zurückbleiben des Schumanplans hinter den eigentlichen Notwendigkeiten dieser Zeit feststellt und den Bund der europäischen Völker ins Auge faßt. Das tut wohl auch die sozialdemokratische Kritik am Schumanplan; aber sie kommt dann zu einer völlig anderen Antwort, und zwar aus einer falschen Einschätzung der Realität, eben jener europäischen Tragik, von der ich eben sprach.
    Wenn man die Frage stellt, ob die Erkenntnis des Zurückbleibens des Schumanplans hinter dem in Europa Notwendigen uns nun zu seiner Verneinung führen soll oder ob umgekehrt diese Erkenntnis der Stachel sein soll, der uns die Verwirklichung des Plans wollen läßt, damit er selbst ein Schrittmacher der weiteren Integration Europas, ein Schrittmacher der wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas werden könne, so bejahen wir den Schumanplan als Stufe auf dem steilen Weg zur europäischen Einheit, die nicht mit Negationen, mit immer neuen Verneinungen und trotzigen Abwendungen gewonnen werden kann. Wir wollen ihn als Anfang einer Bewegung zur europäischen Einheit hin. Wir betrachten ihn nicht als statisches Element für 50 Jahre in einer für 50 Jahre unverändert bleibenden Welt, sondern als dynamischen Faktor, als eine dynamische Potenz, deren Wirksamwerden die Chancen erhöht, daß sich die Bewegung zu dem einen Europa hin beschleunigt.
    Darin liegt der grundlegende Unterschied in der Auffassung nicht nur meiner Freunde, sondern überhaupt wohl der Regierungsparteien und der von ihnen getragenen Regierung gegenüber der Betrachtungsweise der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie beharrt auf einer statischen Betrachtungsweise, die der doktrinären Starrheit dieser Partei auf allen Lebensgebieten entspricht. Da werden Verhältnisse von heute als unwandelbare Gegebenheiten genommen, da werden die Realitäten als fixe, unwandelbare Größen genommen, und das ist besonders unangebracht in einer Zeit schnellster Wandelbarkeit der Verhältnisse, in einer Zeit, in der alles den Charakter des Vorläufigen trägt, in der die Veränderungen der realen Gegebenheiten sich so schnell vollziehen, daß ihnen die Bewußtseinsänderungen kaum zu folgen vermögen. Herr Dr. Schumacher hat kürzlich in Frankfurt auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Internationale diesen für unsere Zeit durchaus charakteristischen Sachverhalt festgehalten, indem er sagte, daß die Bewußtseinsveränderungen der meisten weit hinter den schnellen Entwicklungen der äußeren Verhältnisse zurückbleiben. Das Bewußtsein kann die Veränderungen gar nicht schnell genug realisieren. Das war eine Selbsterkenntnis, die nicht
    von Selbstironie frei war.
    Die statische Betrachtungsweise der Sozialdemokratie gegenüber dem Schumanplan führt so weit, daß auch die im Vertragswerk liegenden Wandlungsmöglichkeiten nicht bemerkt oder jedenfalls unterschätzt werden. Bei durchgreifenden Änderungen der Verhältnisse wird das Gesamtinteresse trotz der erschwerten Bedingungen des Art. 96 eine große Revision ebenso erzwingen wie in dem Fall, daß sich die Unzulänglichkeit des Instruments an den jetzigen Verhältnissen offenbaren sollte. Man kann nicht den Vergleich mit dem Versailler Friedensvertrag, einem einseitigen Diktat, anführen. Hier handelt es sich doch um ein Vertragsinstrument, mit dem eine enorm in die Lebenswirklichkeit eines jeden Volkes eingreifende neue wirtschaftliche Gemeinschaft geschaffen wird. Die Gemeinschaft eines großen europäischen Marktes mit 160 Millionen Verbrauchern, aufs Spiel zu setzen, sie der segensreichen Möglichkeiten, die sie bietet, zu berauben, wird niemand geneigt sein. Vielmehr werden alle Beteiligten das tun, was erforderlich ist, um das Vertragsinstrument den Lebensverhältnissen anzupassen, damit dieser europäische Markt zu seiner stärksten Auswirkung kommen kann. Man wird doch davon ausgehen dürfen, daß der Vertrag von allen beteiligten Staaten als ein kühner Versuch betrachtet wird, etwas sicherzustellen, ohne das die europäischen Völker überhaupt nicht mehr zu einem anständigen Leben kommen können, nämlich die Produktivität und den Lebensstandard aller europäischen Völker gemeinsam zu heben. Wir wissen, in dem zerklüfteten Europa kann nur ein einheitlicher Markt mit seiner potenzierenden Wirkung das volle Potential der europäischen gewerblichen Tätigkeit zur Entfaltung bringen, das ja heute bei weitem nicht erreicht ist, sondern erst durch ungeheure Investitionen, für die Europa allein nicht die Mittel hat, geschaffen werden kann. Wir wissen von einem großen Beispiel des neunzehnten Jahrhunderts, wir wissen von dem Deutschen Zollverein, was es bedeutet, eine Markteinheit zu schaffen, die weit umfassender, weit größer ist als das, was vorher an Einzelmärkten vorhanden war. Es tritt eine Vervielfältigung der wirtschaftlichen Austausch- und dadurch der wirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten auf, eine Potenzierung, deren Verlust zu riskieren sich die europäischen Völker einfach nicht leisten können. Es kommt hinzu, daß die Lebensbedingungen in den nächsten Jahren am Ende noch schwerer für sie werden, als sie es heute sind, weil besondere Anforderungen der Wirklichkeit, die man nicht willkürlich abschieben kann, befriedigt werden müssen. Diese Anforderungen sind gekennzeichnet durch die ungeheure Existenzbedrohung aus dem Osten und die Notwendigkeit, das zu tun, was erforderlich ist, um dieser Existenzbedrohung nicht in jedem Augenblick zum Opfer zu fallen. Das sind die Gründe, die einen starken Einfluß auf die europäische Entwicklung ausüben werden, einen Einfluß, der dazu führen wird, daß sich ein Gemeininteresse herausbildet, wie es unter den jetzigen Umständen vor der Wirksamkeit der Montanunion noch gar nicht denkbar ist; denn dieses Gemeininteresse bedarf zu seiner Bewährung einer Praxis in gemeinsamen Institutionen, die geschaffen sind, damit man in Begegnung und Aussprache die gemeinsamen Probleme einer Lösung zuführt. Dieses Gemeininteresse wird selbst bei vorsichtigster Einschätzung ein maßgebender Faktor der weiteren europäischen Entwicklung sein. Das Gemeininteresse würdè allerdings gar nicht entstehen können, wenn aus der Angst einer statischen Betrachtungsweise heraus, wie wir sie soeben aus den Darlegungen des Kollegen Schmid erneut von der Sozialdemokratie gehört haben, von einer langen Vertragsdauer Abstand genommen worden wäre.


    (Euler)

    Die fünfzigjährige Vertragsdauer soll doch folgendes besagen: Richtet euch von vornherein darauf ein, daß die Einheit des europäischen Marktes zumindest in der Gebietsausdehnung der jetzigen sechs Staaten nicht ein unverbindlicher Versuch sein soll, der bei der ersten besten Gelegenheit wieder abgebrochen wird. Richtet euch vielmehr darauf ein, daß es sich um eine auf Dauer angelegte Errungenschaft handelt, deren befriedigender Effekt gerade dann eintritt, wenn alle Vertragschließenden im Bewußtsein der prinzipiellen Unwiderruflichkeit des Zusammenschlusses ihn zum Anliegen ihrer gemeinsamen Wohlfahrt machen. tag ist allein die Einstellung, aus der die positive europäische Zielstrebigkeit entspringt, von der wir allerdings erhoffen, daß sie in wesentlich kürzerer Zeit als in 50 Jahren die Montanunion in der gesamtwirtschaftlichen und politischen Union der europäischen Völker wird aufgehen lassen. Das Wort von der „einen Null zu viel im Schuman-plan", das Professor Baade in diesen Tagen prägte, wird von uns deshalb in gewisser Weise auf genommen. Möge die fünfzigjährige Vertragsdauer als Zeichen des Entschlusses der Vertragschließenden, diese europäische Minimalbindung nicht mehr aufzugeben, dazu beitragen, daß über die qualitative und gebietliche Ausdehnung des europäischen Marktes und über das Hinzutreten einer politischen Konstitution für Europa in fünf Jahren der Vertrag über die Montanunion überholt sei!
    Eine solche Entwicklung wird nur möglich sein, wenn mit Teilstücken begonnen wird, nicht aber diese Teilstücke abgelehnt werden, weil man zunächst darauf wartet, etwas hundertprozentig Perfektes und Umfassendes zu schaffen. Mit diesem Rezept des Alles auf einmal kann Europa nicht geschaffen werden. „Alles oder nichts" ist in der Wirklichkeit niemals das Prinzip einer Erfolgsentwicklung in Vertrauen, wie sie Europa allein braucht. Eine Unterschrift, die aus diesen Anschauungen, wie ich sie entwickelte, geleistet wird, ist keine unehrliche Unterschrift, sondern eine Unterschrift aus europäischer Verpflichtung, eine Unterschrift aus dem Willen, daß die Montanunion ihren Zweck als Schrittmacher für Europa möglichst schnell erfülle. Ich sage deshalb erneut: Wir betrachten die Montanunion als einen Anfang auf dem Wege und als ein Mittel zu dem größeren Ziel, dem einigen bündischen Europa.
    Wer diese dynamische Betrachtungsweise teilt. weil er weiß, daß die Entwicklung immer bestimmt wird durch die geistigen Energien und seelischen Kräfte, die durch ein Ereignis entbunden werden und der Schumanplan bedeutet die Entbindung außerordentlicher innerer Kräfte in allen europäischen Ländern auf Europa hin der ist keineswegs genötigt, zu behaupten, daß der Schumanplan vollkommen sei. Wir leugnen keineswegs, daß er Risiken, ja erhebliche Risiken einschließt. Wir sind uns bewußt, daß er Schwierigkeiten der Anpassung mit sich bringen wird. Aber wo gibt das Leben ganzen Völkern oder nur dem einzelnen große Chancen zugleich mit einem Garantieschein, daß man aller Sorgen, Mühen und Gefahren enthoben sei? Nur der sozialistische Illusionismus gaukelt den Menschen vor, daß es sich lohne, den Irrlichtern hundertprozentiger Patentlösungen nachzulaufen, und wenn man aus diesem Glauben dazu kommt, das, was im Augenblick zu realisieren ist, zu verneinen, eben weil man warten will, bis das Vollkommene möglich sei, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird man das Vollkommene oder auch nur das Bessere niemals erreichen,

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    sondern dann versinkt die Entwicklung in der Lethargie, die, wenn sie sich durchsetzt, die Skepsis hinterläßt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist doch eine ungeheure Gefahr, die man im heutigen Europa nicht übersehen kann: die Lethargie, die Müdigkeit, die die graue Spinne Skepsis schon erzeugt hat. Wie groß ist die Gefahr, daß das Notwendige nicht geschieht! Ja, was hätte alles geschehen müssen und viel früher geschehen müssen, als es geschah, soweit es überhaupt geschehen ist, wenn das Notwendige die Richtschnur für die Verwirklichung in der Politik wäre! Das Notwendige ist es nur insoweit, als es von Menschen mit Herz und Geist und Willen durchgesetzt wird und nicht von Menschen in der abergläubischen Anhänglichkeit daran, daß nur das Vollkommene getan werden dürfe, sondern von Menschen, die wissen, daß man sich bescheiden muß mit dem, was möglich ist. Die Politik ist die Kunst des Möglichen. Erst als man versuchte, daraus etwas anderes zu machen, was darauf hinauslief, mit dem Unmöglichen zu spielen, da begann die ganz katastrophale Entwicklung für unser deutsches Volk.
    Wir sind uns bewußt, daß der Vertrag keine wesentlichen Ansätze einer brauchbaren europäischen Verfassung enthält. Seine Institutionen sind dafür allzu spezifisch auf einen beschränkten wirtschaftlichen Zweck zugeschnitten. Aber dieser Wirtschaftliche Zweck der Vereinheitlichung und Potenzierung des europäischen Marktes zunächst für die wichtigsten Güter der Grundstoffindustrien kann gar nicht überschätzt werden. Ein Krieg zwischen den Vertragspartnern ist allein schon wegen der Markteinheit und der Gemeinschaft für die Grundstoffindustrien in Zukunft ausgeschlossen. Diese Gewißheit allein gibt eine neue Vertrauensbasis, die in der Vergangenheit zwischen den sechs vertragschließenden Völkern niemals bestand. Sie wird durch Institutionen gestützt, die nach objektiven, richterlicher Kontrolle unterworfenen Normen arbeiten' Die richterliche Kontrolle, die das Vertragswerk vorsieht, wird von der sozialistischen Kritik kaum erwähnt oder wird mit Bemerkungen der Art abgetan, daß auch die Richter in den richterlichen Institutionen nicht über ihre nationalistischen Auffassungen hinwegspringen könnten. Wenn aus dieser Auffassung die Konsequenz gezogen wird, daß es eben nicht möglich sei, die nationalstaatliche Trennung und die entscheidende Bestimmtheit durch das nationalstaatliche Interesse in den europäischen Menschen zu überwinden, dann muß man auch konsequent sein und sagen, daß Europa niemals möglich sein wird.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Das würde aber zugleich bedeuten, daß man eingesteht, man müsse immer in der nationalstaatlichen
    Zerrissenheit in Europa verharren, die das europäische Schicksal nur äußerst trübe erscheinen läßt.

    (Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Oder doch zurück nach Reuß-Schleiz-Greiz-Lobenstein!)

    Diese ganze Haltung paßt sehr schlecht zu dem Eindruck, den der deutsche Sozialismus erwecken möchte, als sei nämlich der Vertrag ein Machwerk französischer Machtpolitik und ein Mittel zur Aufrechterhaltung der französischen Hegemonie. Die beste Widerlegung dieser deutsch-sozialistischen Auslegung stellen jene französischen Stimmen dar, die im Gegenteil befürchten, daß mit- diesem Vertrag der deutschen Schwerindustrie der Weg zur Beherrschung Europas eröffnet werde. Unter den


    (Euler)

    Materialien, mit denen wir uns beschäftigten, befand sich erfreulicherweise auch eine Entschließung der Industrie- und Handelskammer Metz, also der Handelskammer des Wahlkreises; aus dem der französische Außenminister Schuman stammt. Die Auslassung der Industrie- und Handelskammer Metz kann in den furchtbaren Erwartungen, die man vom französischen Interessenstandpunkt aus hinsichtlich der Montanunion haben müsse, in keiner Weise durch die Befürchtungen der deutschen Sozialdemokratie übertroffen werden.
    In Wahrheit verhält es sich mit der Gefahr der französischen Hegemoniepolitik mittels der Montanunion derart, daß Frankreich in keinem Gremium der Montanunion stärker vertreten ist als Deutschland. Aus der Stimmzuteilung an die anderen Länder wird geschlossen, Deutschland finde sich einer Überlegenheit aller anderen gegenüber. Die fünf anderen würden sich, wie Kollege Schmid eben sagte, immer auf Kasten Deutschlands einigen. Sie würden sich immer darin einig sein, daß sie von Deutschland etwas wollen. Diese Blockbildung sei nicht zu verhindern. Damit wird unterstellt, erstens, daß in den Organen der Montanunion nicht nach dem sachgebotenen Interesse abgestimmt werde, zum zweiten, daß ein europäisches Gemeininteresse überhaupt nicht drängend hervortreten könne, und zum dritten, daß eine politische Gruppierung gegen Deutschland, wie sie als Folge des zweiten Weltkrieges entstanden ist, einen niemals wieder aufhebbaren Tatbestand 'darstelle.

    (Sehr gut! bei 'der FDP.)

    Wenn man sich die Gruppierung gegen Deutschland als unaufhebbar vorstellt, so zeugt das von nichts anderem als von einem geradezu an Verfolgungswahn grenzenden Mißtrauenskomplex der deutschen Sozialdemokratie.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wie schnell wandeln sich Gruppierungen im internationalen Leben. Sobald der einheitliche Markt hergestellt ist, wird sich zudem das neue Gemeininteresse mit seinen unerläßlichen Forderungen bei allen bemerkbar machen.

    (Präsident Dr. Ehlers übernimmt den Vorsitz.)

    Wenn man dieses Gemeininteresse als nicht der Entwicklung fähig bezeichnet, dann findet man sich wieder im Bann jenes absolut statischen Denkens, das für die SPD so überaus bezeichnend ist.
    Es ist seltsam, wie sich die Sozialdemokratie auch im übrigen in ihrer Kritik widerspricht. Auf der einen Seite wendet man sich dagegen, daß der Vertrag angeblich ein Superkartell begründe; auf der anderen Seite fordert man aber die Stimmenquote ebenso, als sollte er ein Superkartell schaffen.
    Uns scheint folgendes wesentlich zu sein: daß durch den Vertrag für ein ungeheuer wichtiges wirtschaftliches Teilgebiet zunächst einmal Institutionen geschaffen werden, die das sachliche Austragen der Konflikte in Begegnung und Aussprache ermöglichen. Diese Neuordnung mit ihren Institutionen zum Zweck der Markteinheit wird, davon 'sind wir überzeugt, Schule machen. Sie wird sich als dringendes Bedürfnis in der Energiewirtschaft, in der Verkehrswirtschaft und in anderen Zweigen des Wirtschaftslebens melden. Sie wird damit ihre materielle Ausweitung haben. Auch da sind wir der Auffassung, daß man das, was zunächst möglich ist, nicht deshalb unterlassen sollte,
    weil in Zukunft vielleicht mehr möglich sein könnte. Dieses Mehr der Zukunft wird ja gerade dadurch herbeigeführt, daß man das Geringere der Gegenwart zunächst einmal in Richtung des Mehrs der Zukunft in Bewegung setzt.
    Wir sind auch davon überzeugt, daß das Gebiet der Montan-Union eine gebietliche Ausweitung erfahren wird durch Hinzutritt weiterer Länder. Ja, wir beginnen zunächst einmal — man kann es so nennen — als Kleinsteuropa, obwohl dieses Kleinsteuropa, eine Markteinheit mit 160 Millionen Menschen, schon eine ungeheure Potenzier rung der wirtschaftlichen Produktions- und Austauschmöglichkeiten zuläßt. Aber es ist ja nicht in unsere Wahl gestellt, ob wir die anderen europäischen Länder dabei haben oder nicht. Sie sind herzlich eingeladen. Wenn sie, wie beispielsweise die nordischen Länder, mit Rücksicht auf gewisse sowjetische Gegebenheiten glauben, zunächst einmal der Montan-Union nicht beitreten zu sollen, — nun, man kann sie in die Vereinigung ja nicht hineinnötigen.
    England steht nach seiner traditionellen Betrachtungsweise Europa viel zu selbständig gegenüber. als daß die Anschauung, mit seiner Kohle, mit seinem Stahl in eine supranationale Gemeinschaft hineinzugehen, nun schnell von ihm gefaßt werden könnte. Die Europäische Montan-Union bedeutet für die englische Politik überhaupt eine grundlegende Änderung der europäischen Aspekte. Es bedeutet für England einen völlig neuen Tatbestand, und von Europa her gesehen, weiß ich nicht, ob es im Augenblick wünschenswert wäre, die Anlaufprobleme Europas nun mit der überaus schweren Problematik des englischen Empires zu belasten. Wahrscheinlich wird es doch noch für längere Zeit so bleiben, daß aus guten Gründen, die in der besonderen englischen Lage und in der Verkettung Englands mit seinem Commonwealth liegen, dieses England mit seinem Commonwealth einen besonderen Platz und eine besondere Gemeinschaft behaupten möchte.
    Für uns sind jedenfalls derartige Beschränkungen, wie sie sich zunächst ergeben, keine Hinderungsgründe, die Montanunion zu beginnen, weil wir wissen: sie bleibt wesentlich als ein ungeheuer wichtiger Entwicklungsfaktor für die Organisation der Vereinigten Staaten von Europa, die wir anstreben. Die Montan-Union ist nur eine Station auf dem Weg zu diesem Ziel.
    Wir sagen prinzipiell Ja zu dem Vertrag, aber wir sagen nicht Ja zu Instrumenten der Diskriminierung, die aus den siegerstaatlichen Regelungen der Nachkriegszeit stammen. Wir haben vom Bundeskanzler gehört — und das war von vornherein die Einstellung wohl aller Regierungsparteien zu diesem Vertragsprojekt —, daß es schon vor über einem Jahr die deutsche Ansicht war, mit der Ratifizierung dieses Vertrages, spätestens aber mit dem Wirksamwerden des einheitlichen Marktes, müßten diese Entrechtungsinstrumente der sieger staatlichen Politik der Nachkriegszeit wegfallen: die Ruhrbehörde, die Beschränkung der Stahlquote und der Stahlkapazität, die Kontrollgruppen für Eisen, Stahl und Kohle und dazu die Eingriffsrechte des Sicherheitsamtes in Koblenz. Mit der Verwirklichung des inzwischen gegebenen Versprechens der französischen Regierung durch alle beteiligten Mächte ist ja, wie wir gehört haben, erfreulicherweise mit absoluter Sicherheit zu rechnen. Wir sind der Auffassung, daß gerade durch die Beseitigung der deutschen Diskriminie-


    (Euler)

    rungen der Entfaltung der europäischen Wirklichkeit in der Richtung, die alle europäischen Völker benötigen; der beste Dienst geleistet wird.
    Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein paar Worte zu dem Saarproblem sagen. Wir sind uns alle darüber einig: die deutsche Rechtsauffassung ist bei allen Fraktionen hier im Hause dieselbe. Wohl aber müssen wir uns alle darauf einstellen, wie es denn möglich sein soll, daß diese deutsche Rechtsauffassung — daß nämlich die Saar Bestandteil Deutschlands sei — nun von den anderen Mächten anerkannt wird. Ich glaube, auch da ist die Linie der Regierungspolitik die allein erfolgreiche. Wenn wir auf dem miserablen Terrain einer rein nationalstaatlich-machtpolitischen Betrachtungsweise der Vergangenheit bleiben, können wir Deutschen, glaube ich, nicht hoffen, mit unserer Rechtsauffassung bei den demokratischen Mächten durchzudringen.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Gerade in dem Maße, wie wir daran mitarbeiten, daß in Europa unter den Völkern — zunächst einmal außerhalb des sowjetischen Einflußbereiches — lediglich die Vorstellungen des Völkerrechts gelten, zu dem auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker gehört, in dem Maße, in dem nichts anderes als diese Auffassungen des Rechts in Europa Geltung beanspruchen können, kann uns von den anderen Mächten — auch gerade von Frankreich — nicht die Anerkennung des deutschen Rechtes auf die Saar versagt werden.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Diejenigen, die von einem ideell verständigen Standpunkt aus eine überspitzte Kritik an unserer außenpolitischen Entwicklung üben, leisten uns keinen Dienst. Es ist nicht so, daß ihr Nein produktiv wäre. Es ist nicht so, daß das sozialdemokratische Nein die Voraussetzung für manchen der bisher erzielten Erfolge in der Außenpolitik gewesen wäre. Das ist eine anhebende sozialistische Geschichtsklitterung: Wohl aber ist es so, daß die Politik der Verneinung, die Politik der Negation, wie sie von der Sozialdemokratie betrieben wird, in wachsendem Maße Mißtrauen gegen die gesamte neue deutsche Politik im Auslande erregt, zum mindesten Mißtrauen insoweit weckt, als sich die anderen Völker besorgt fragen, wie lange das deutsche Volk einem solchen agitatorischen Trommelfeuer, einer solchen agitatorischen Verlockung zum Übernationalismus wohl widerstehen mag. Es wird von daher eine Unsicherheit in die Beurteilung unserer Verhältnisse hineingetragen, die der gesamtdeutschen Entwicklung gerade im Hinblick auf die Beseitigung des Mißtrauens in der Welt und in dem Hervorbringen einer positiven Einstellung gegenüber Deutschland eher schädlich als vorteilhaft ist.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben vorhin von dem Kollegen Schmid die ganze negative Einstellung gegenüber der Montan-Union mit vielen Argumenten gehört. Wer sich einmal in den vergangenen Wochen mit der Feststellung befaßt hat, wie die Einstellung der deutschen Öffentlichkeit — darunter Publizisten, Wissenschaftler und angesehenste Wirtschaftler — in der Zeit vor dem Deutschen Zollverein in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, finden wir viele von den Argumenten, die heute vorgetragen werden. Es wurde damals gesagt, daß der Deutsche Zollverein ein Hindernis auf dem Wege zur deutschen Einheit sei. Nun, man hört, wie Herr Dr. Schumacher oder wie Herr Carlo Schmid heute verkündet, daß die Montan-Union ein Hindernis auf dem Wege zur europäischen Einheit sei. In der damaligen Zeit wurden vor allem die Gesichtspunkte der Konkurrenzangst in den Vordergrund geschoben, die Gesichtspunkte, aus denen die Menschen dazu kamen, vor einer Entwicklung zu warnen, die nur mit wirtschaftlichen Nachteilen und Schädigungen für alle Beteiligten verbunden sein könne. Wir lesen in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" vom 27. April 1832 eine Erklärung der Stuttgarter und Cannstatter Fabrikanten, die einleitend die Überlegenheit der preußischen Industrie schildert und dann fortfährt:
    Daher müßte unsere kaum aufblühende Industrie in Wolle, Baumwolle, Seide, Stahl- und
    Eisenwaren durch jene mächtige Konkurrenz
    unausbleiblich in der Geburt erstickt werden.
    Als das sächsisch-preußische Zollabkommen getroffen war, fürchteten die Leipziger Kaufleute für ihre Existenz. Mit der Abnahme des englischen Geschäfts sagten sie den Untergang der Leipziger Messen voraus. Als schließlich nach sorgsamer Abwägung der beiderseitigen Vor- und Nachteile der Vertrag zwischen Sachsen und Preußen abgeschlossen wurde, erhob sich in Sachsen ein Sturm der Entrüstung — so liest man in damaligen Schilderungen —, dem sich sogar die Industrie anschloß. Man sprach von Preisgabe der Landesinteressen. Und der sächsische Finanzminister von Zeschau wurde bei seiner Rückkehr aus Berlin fast gesteinigt. Ein Plakat, das an jeder Straßenecke angeschlagen war, beschuldigte ihn. Sachsen für Geld und Orden verkauft zu haben.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir finden auch in der heutigen Kritik viel, was darauf angelegt ist, die Politiker, die sich für die MontanUnion einsetzen, in den Augen des deutschen Volkes zu diffamieren, als verträten sie die deutschen Interessen nicht mit genügender Festigkeit. Ich glaube, daß sich gerade auch bei der MontanUnion bewähren wird, was in den Jahren nach dem Deutschen Zollverein so stark hervortrat, daß sich nämlich die Schaffung eines großen einheitlichen Marktes, der Wegfall aller Handelsbarrikaden und Zollschranken, der Wegfall der künstlichen Hindernisse, die jetzt in Europa die Produktivität und den Lebenstandard senken, in einer außerordentlichen Potenzierung der europäischen Beschäftigungs- und Austauschmöglichkeiten in allen europäischen Ländern auswirken wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordordnete Dr. Bertram.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Bertram


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte sind eine Fülle von Gesichtspunkten vorgetragen worden, die auch schon in der Öffentlichkeit erörtert worden sind. Ein Gegensatzpaar jedoch, das meiner Ansicht nach von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung dieses Vertragswerkes ist, wurde bisher, soweit ich es verstanden habe, nicht herausgearbeitet. Das ist die Beurteilung der Statik dieses Vertragswerkes einerseits und die Beurteilung seiner Dynamik andererseits. Wenn man die gegenwärtige Situation der Eisen- und Stahlindustrie und der Kohleindustrie in den vertragschließenden Län-


    (Dr. Bertram)

    dern beurteilt und die Bestimmungen des Vertrages auf die gegenwärtige Situation anwendet, dann wird man zu dem Schluß kommen müssen: Tatsächlich sind die Nachteile für Deutschland so groß, daß es sich fragt, ob dieser Vertrag überhaupt angenommen werden könnte. -
    Von deutscher Seite sind eine ganze Reihe von Zahlungen zu leisten: direkter Art die Ausgleichszahlungen und die Investitionshilfe, indirekter Art dadurch, daß wir nicht den vollen Exportpreis für unsere Kohle erhalten, wie er auf dem Weltmarkt üblich ist, sondern einen geringeren Preis, den Preis des zu schaffenden einheitlichen Marktes. Aber diese Zahlungen, die nach oberflächlicher Schätzung einen Betrag von 250 Millionen DM im Jahre ausmachen können, natürlich unter Berücksichtigung der derzeitigen Weltmarktpreise für amerikanische Kohle, können auf der anderen Seite auch uns zugute kommen.
    Was zunächst die Investitionshilfe anlangt, so kann man annehmen, daß ein ganz großer Teil Deutschland wieder zufließen wird. Im Gegenteil, man kann sogar hoffen, daß ein Teil der Investitionshilfe, die die anderen Länder aufzubringen haben, nach Deutschland fließen wird. Nach den Grundgedanken des Plans wird doch die standortgünstigste Industrie auch entsprechend ihrem Nachholebedarf begünstigt werden müssen. Wir haben in Deutschland durch den Zusammenfluß von Ruhr und Rhein und die Möglichkeit der billigen Heranführung von Erz nicht nur Standortvorteile; wir haben auch dadurch, daß die Betriebe einen erheblichen Reparaturbedarf haben, der schnell eine gewaltige Steigerung unserer Produktion erreichen läßt, die günstigsten Voraussetzungen für die Produktionssteigerung. So ist mir der Fall einer Zeche bekannt, in der es durch die Investierung von 11/2 Millionen DM und durch die damit mögliche Erbauung einer Waschkaue ohne weiteres möglich sein wird, eine 20prozentige Produktionssteigerung zu erzielen. Das sind Fälle, wie sie wahrscheinlich in der vergleichbaren Industrie des europäischen Auslandes nicht vorkommen.
    Die Frage der derzeitigen Weltmarktpreise ist, so kritisch sie scheint, vielleicht doch nicht so kritisch, weil wir in der Lage sind, unsere eigenen Kohlenpreise vor Inkrafttreten des Vertragswerks entsprechend anzuheben, so daß auch hier die Differenzen gegenüber dem Weltmarktpreis erheblich geringer werden können und auf der anderen Seite die Erlöse der gesamten Kohlewirtschaft entsprechend gehoben werden können. Nichts hindert uns daran, noch vor Inkrafttreten des Schumanplans entsprechend zu verfahren.
    Bei den Ausgleichszahlungen ist es volkswirtschaftlich so, daß anscheinend das arme Deutschland das reiche Belgien subventioniert. Aber tatsächlich werden wir, auf die Dauer gesehen, dafür auch den belgischen Markt bevorzugt für unsere Kohlenlieferungen eröffnet erhalten, eine Bevorzugung auch gegenüber der englischen Kohleindustrie und vielleicht auch gegenüber polnischen Kohlenlieferungen, und niemand weiß, wie sich die Verhältnisse auf dem Kohlemarkt in Zukunft entwickeln werden.
    Alle diese Abmachungen sind natürlich Wechsel auf die Zukunft, und wir wissen nicht, wie sie sich einmal auszahlen werden. Die Beträge als solche sind aber nicht derart, daß deshalb etwa das Vertragswerk abgelehnt werden müßte. Wir haben uns ferner zu einer ganzen Reihe von Lieferungen und sonstigen Leistungen verpflichtet. Wir werden in dem Vertragswerk verpflichtet, nach den Weisungen der Hohen Behörde unsere Kohle zu liefern. Aber, meine Damen und Herren, wird sich viel an dem gegenwärtigen Zustand ändern? Es ist doch so, daß die derzeitigen Lieferungen an die ausländische, an die französisch-belgische und an die luxemburgische Industrie für die deutsche Industrie ebenso lebensnotwendig wären. Die Mangellage, die Knappheitserscheinungen zeigen sich zum mindesten seit dem Ausbruch der Koreakrise auf allen diesen Märkten. Wenn man davon ausgeht, wird man kaum zu dem Schluß kommen können, daß sich zunächst unter der Herrschaft des Schumanplans eine wesentliche Änderung gegenüber der Handhabung unter der Herrschaft der Moskauer Kohlenklausel oder der Herrschaft der Ruhrbehörde ergeben würde. Ich möchte darauf hinweisen, daß das keine Verschlechterung ist, die uns der Schumanplan bringt, sondern es handelt sich um eine Auswirkung der Verhältnisse, wie sie sich durch die allgemeine politische und wirtschaftliche Situation in den europäischen Nachkriegsverhältnissen zwangsläufig ergeben haben.
    Rein theoretisch könnte man sagen: Wenn jetzt der Schumanplan in Kraft tritt, muß sich sofort eine Verbesserung ergeben. Denn bisher wurde uns befohlen, welche Exportkohlemengen wir abzugeben haben. In Zukunft sollen wir es frei vereinbaren. Aber wer so rechnet, rechnet doch mit unvergleichbaren Größen. Die Tatsachen bestehen darin, daß die Stahlindustrie der mit uns demnächst verbundenen Länder von unseren Kokskohle-Lieferungen abhängig ist und daß wir diese KokskohleLieferungen nicht einstellen können.
    Ein Weg zur Besserung der Situation führt tatsächlich nur über eine Steigerung der Kohleproduktion. Diese Steigerung ist auch an zahlreichen Stellen in Deutschland möglich, wenn die finanzielle Situation der deutschen Kohleindustrie gebessert wird. Wenn die Erlöse besser werden und wenn vor allem entsprechende Mittel zur Investierung zur Verfügung stehen, kann die gesamte Kohleproduktion gesteigert werden, und aus der Steigerung heraus kann sich für uns ein Vorteil auch auf dem Kohlesektor ergeben und wird sich ergeben. An der gegenwärtigen Situation wird sich, soweit ich die Dinge übersehe, sofort nicht viel ändern.
    Betrachten wir auf der anderen Seite die Situation auf dem Stahlmarkt. Ich glaube kaum, daß die anderen Stahlwerke etwa an deutsche Eisenverarbeiter in Zukunft, jedenfalls in der nächsten Zeit, Eisen- und Stahlmaterial abzugeben geneigt sind. Auch wenn keine Diskriminierung mehr vorkommt, auch wenn eine Diskriminierung nach dem Plan unterbleibt, wird trotzdem jeder Erzeuger am liebsten an die traditionellen Käufer liefern und ohne Not nicht von seinen traditionellen Handelswegen abgehen. Da es sich aber um einen einheitlichen Preis handelt, ist nicht anzunehmen, daß sich auf diesem Sektor sowohl zu unseren Gunsten oder zu unseren Lasten etwas ändern wird. Es ist auch nicht anzunehmen, daß etwa deutsche Lieferwerke an ausländische Verarbeiter zusätzliche Mengen liefern werden. Unter der Herrschaft des Planes ist also auf diesem Gebiet zunächst eine Änderung nicht zu erwarten.
    Bei Edelstahl ist die Situation für uns vielleicht etwas günstiger. Gerade in Deutschland ist die Situation sowohl hinsichtlich der Kapazität als auch hinsichtlich der Erzeugungskosten besser als in den anderen Ländern.
    Bei Schrott wird sich eine Kalamität nicht vermeiden lassen. Die Situation ist hier in Deutschland deshalb besonders ungünstig, weil wir infolge


    (Dr. Bertram)

    der Zerstörungen ein wesentlich höheres Schrottangebot haben, als wir es unter normalen Umständen haben 'würden. Unter normalen Umständen entfällt ein bestimmter Anteil des Schrotts auf Neuschrott aus der Walzwerkserzeugung und Eisenverarbeitung und ein bestimmter Anteil auf Altschrott. Bei uns in Deutschland ist dieses Verhältnis völlig verschoben. Unsere Eisensparkasse — so nennt man den Altschrott, der regelmäßig in der Volkswirtschaft anfällt — wird infolge der Kriegszerstörungen über Gebühr angezapft. Der Schrott, der von uns in die anderen Länder geht, bedeutet für uns einen dauernden Eisenverlust. Aber dieser Verlust hat sich schon in den letzten Jahren immer wieder ergeben und wird fortlaufend geringer werden, weil die aus den Zerstörungen anfallenden Schrottmengen bald abgebaut werden und damit die besonders ungünstige statistische Ausgangslage für Deutschland sich von selber bessern wird.

    (Zuruf rechts: Hoffentlich!)

    — Das ist natürlich eine Hoffnung, dürfte aber doch den gegebenen Tatsachen weitgehend entsprechen.
    Ich darf ferner auf die Leistungen eingehen, die w i r zu bewirken haben. So sollen wir zunächst die Zölle und alle Mengenbeschränkungen auf dem Gebiete von Stahl und Kohle aufheben. Diese Leistung ist für uns kein Opfer. Sie ist allerdings wahrscheinlich auch für die anderen kein Opfer, weil die zur Zeit herrschende Knappheit einen wirklich echten gemeinsamen Markt noch gar nicht erwarten läßt. Der Markt wird in der nächsten Zeit so beengt bleiben, wie er zur Zeit ist. Die Aufhebung von Zoll- und Quantitätsbestimmungen auf diesem Gebiete hat keine entscheidende Bedeutung.
    Zur Frage der Aufhebung der Verbundwirtschaft ist zu sagen, daß die Verbundwirtschaft, abgesehen davon, daß ja 75 % der verbrauchten Kohle in eigenen Zechen erzeugt werden kann, technisch erlaubt bleibt und nur eine andere kaufmännische Verrechnungsmethode eingeführt werden müßte. Wenn weiter unser Opfer darin gesehen wird, daß wir die Konzerne auflösen und daß wir insbesondere nicht berechtigt sind, die Konzerne wieder aufzubauen, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß gerade in Deutschland zum Unterschied von den belgischen Betrieben die Konzerne sich insbesondere weitgehend in die Eisenverarbeitung hineinbegeben hatten. In Belgien gibt es, wie Ihnen bekannt sein wird, im wesentlichen die reinen Walzwerke, denen keine Eisenverarbeiter angegliedert sind. Aus der Eisenverarbeitung, die sich die deutschen Konzerne insbesondere 1929 mit Hilfe der Reparationsgelder, die damals aus Amerika zu uns einströmten, angelegt haben, hat unsere eisenschaffende Industrie zusätzliche Gewinne gezogen, die ihr strukturell nicht zustanden, sondern die ihr eben nur dadurch zuflossen, daß sie durch die ausländischen Kapitalien in der Lage war, sich diese Eisenverarbeitung zuzulegen. Ich sehe keinerlei Grund, weshalb wir darüber böse sein sollten, daß diese Eisenverarbeitung von der eisenschaffenden Industrie getrennt wird. Es wird in der Öffentlichkeit immer so getan, als sei das ein großes deutsches Opfer. Es ist nichts anderes als eine Angleichung an die Verhältnisse auf diesem Markt in den anderen europäischen Ländern und gleichzeitig die Förderung einer gesunderen deutschen Industriestruktur.
    Ferner wird als deutsches Opfer die Aufgabe der gemeinschaftlichen Verkaufsorganisation angesehen.
    Hier liegt tatsächlich eine echte und sehr schwierige Problematik vor. Die Franzosen haben ihre Kohleindustrie sozialisiert und haben deshalb eine einheitliche Verkaufsorganisation. Wir sollen in Zukunft eine solche einheitliche Organisation nicht mehr haben dürfen. Die Verhandlungen darüber sind noch nicht abgeschlossen. Ich glaube kaum, daß die Verhandlungen völlig ohne Erfolg bleiben werden. Nach dem, was wir gehört haben, ist jedenfalls damit zu rechnen, daß irgendeine Art gemeinschaftlichen Verkaufs erfolgen wird. Wir dürfen auf der anderen Seite nicht verkennen, daß der gemeinschaftliche deutsche Kohleverkauf sich nicht nur gegenüber dem Inland, sondern auch gegenüber dem Ausland auswirkt. Der Ausländer sieht hier eine zentrale Stelle gewaltiger wirtschaftlicher und damit auch politischer Macht. Sie müssen bedenken, daß praktisch nur von Deutschland Kohle in die Gemeinschaftsländer exportiert werden kann und daß, wenn nur e i n Verkäufer da ist, die Käufer in allen anderen Ländern fürchten, in eine große Abhängigkeit zu geraten. Man wird deshalb den Wunsch der anderen Teilnehmerländer verstehen können und für eine solche ins Auge gefaßte Kompromißlösung Verständnis haben.
    Wenn endlich von uns ein Verbot der Fremdfinanzierung für alle neu zu errichtenden Stahl- und Kohlewerke und für eine Erweiterung dieser Betriebe verlangt wird, so ist dieses Verbot der Fremdfinanzierung doch meiner Ansicht nach wirklich kein Opfer für Deutschland. Wir versuchen in Deutschland händeringend fremd zu finanzieren. Wir versuchen, von Amerika Gelder zu bekommen. Minister Erhard hat uns schon vor Jahren etwas derartiges versprochen. Alle Bemühungen um Zuführung von Fremdmitteln in die Grundstoffindustrie sind mit Ausnahme von unwichtigen Beträgen als völlig gescheitert anzusehen. Wenn man uns also verbietet, ohne Genehmigung der Hohen Behörde fremd zu finanzieren, so ist das für uns kein Opfer, weil es tatsächlich nichts anderes bedeutet als eine Fortsetzung des bestehenden Zustandes. Die Selbstfinanzierung bleibt ja erlaubt.
    Dann kommt hinzu: es ist in Zukunft für Deutschland nicht verboten, fremd zu finanzieren, sondern wir bedürfen nur der Genehmigung der Hohen Behörde; und die Hohe Behörde ist nach den Grundsätzen des Planes verpflichtet, die Mittel entsprechend der besten Ergiebigkeit der Produktionen zu verteilen, wenn einmal Mittel da sein werden. Wenn wir überlegen, wo die höchste Ergiebigkeit der Produktion erreicht wird, so kommt hier praktisch auf dem Kohlesektor nur die deutsche Industrie und auf dem Eisen- und Stahlsektor doch fast ausschließlich die deutsche Industrie in Frage. Die italienische Industrie mußte in den Übergangsbestimmungen einen zusätzlichen Schutz für sich in Anspruch nehmen, weil sie bei den heutigen Knappheitserscheinungen nicht einmal glaubt existieren zu können, und weil sie glaubt selbst bei den heutigen überhöhten Preisen ohne besondere Übergangsvorschrift überhaupt nicht fortbestehen zu können. Das beweist doch deutlich, daß, wenn die Hohe Behörde ihren Aufgaben entsprechend verfährt, diese Investitionsmittel nach Deutschland gelegt werden müssen, wenn überhaupt solche Mittel zur Verfügung stehen werden.
    Dann wird weiter eingewandt, es sei ein Opfer für Deutschland, daß wir uns für 50 Jahre verpflichten. Meine Damen und Herren, die Investierung in der Grundstoffindustrie, die heute durchgeführt wird, wird vielleicht in drei Jahren einen Ertrag abwerfen. Wenn sich also irgendeiner


    (Dr. Bertram)

    der vertragschließenden Staaten damit einverstanden erklären soll, daß in Deutschland große Mittel investiert werden, dann würde bei einer Vertragsdauer von fünf Jahren die Investition gerade beendet sein, ohne daß bisher überhaupt irgend etwas aus den Werken geliefert worden wäre. Und dann würde der Vertrag zu Ende sein. Man kann doch keinem anderen Staat zumuten, mit uns einen so törichten Vertrag zu schließen. Deshalb ist diese Forderung, statt 50 5 Jahre zu sagen, vielleicht für einen Käseladen berechtigt, aber nicht für die eisenschaffende und Kohleindustrie.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Das sind die Bedenken, die man bei statischer Betrachtungsweise dieses ganzen Planes haben muß. Sie scheinen teilweise juristisch oder wirtschaftlich zunächst ein schweres Gewicht zu haben, wiegen aber — und das ist meiner Ansicht nach das Entscheidende — gering gegenüber den dynamischen Kräften, die in diesem Plan drinstecken. Diese nicht futuristischen, sondern dynamischen Kräfte werden sich entweder — und das ist meine Behauptung — sehr schnell auswirken und dem Plan volles Leben verleihen oder sie werden sehr schnell zu einem völligen Scheitern des Planes führen. Deshalb sind diese Fragen der Dynamik hier doch die entscheidenden.
    Zunächst zu dem Argument, die Zergliederung der Kompetenzen führe zur Anarchie. Das ist ja vollkommen richtig, wenn wir nichts anderes tun, als diesen Plan und die Verteilung der Staatsgewalt in den einzelnen Staaten ins Auge fassen. Dann kann man mit Recht oder jedenfalls begründet die Behauptung aufstellen, daß eine solche Zergliederung zur Anarchie oder aber zum Gesamtzusammenschluß führe. So etwas kann nicht stabil bleiben. Solche Organisation hat keine innere Stabilität, sie führt notwendigerweise entweder zu einer Erweiterung, oder sie muß dazu führen, daß sie sich als solche nicht halten kann.
    Diese Tendenz zur sachlichen Ausdehnung ergibt sich zunächst bei der Eisenverarbeitung. Es ist ganz selbstverständlich, daß dann, wenn alle Eisenverarbeiter gleiche Startbedingungen haben und der Markt auch wirklich einigermaßen mit Material befriedigt werden kann, was nach Durchführung der notwendigen Investitionen möglich sein wird, der Protektionismus der einzelnen Handelsabteilungen der betreffenden Regierungen ungleich viel kleiner und viel schwieriger wird, als der Protektionismus heute ist, wo jede noch so unrentable nationale Produktion unter der Fahne des nationalen Interesses subventioniert und geschützt wird. Dieser Protektionismus wird nämlich deshalb so viel schwieriger, weil vergleichbare Startbedingungen da sind und man jederzeit dem Vertragsstaat mitteilen kann: Dein Industriezweig, der beispielsweise Solinger Messerwaren herstellt, arbeitet trotz gleicher Startbedingungen um soundso viel teurer; unterlaßt also bitte den Schutz hier. Der Protektionismus wird von sich aus geringer, und Zölle werden weniger leicht zu halten sein.
    Aber auch die Preise werden zum Weltmarktpreis hin tendieren. Der Ausgleich der Handelsbilanz muß so oder so erfolgen. Wenn ein Land in diesem Gremium, beispielsweise Deutschland, über das Maß dessen, was von ihm verlangt werden kann, einbringt und leistet, dann muß sich das sofort in Störungen der Devisenbilanz niederschlagen. Da in dem Vertragswerk ausdrücklich die Devisenwirtschaft ausgenommen und als nationales Hoheitsrecht vorbehalten ist, müßten
    sich irgendwelche Überleistungen eines Landes in nicht zu behebenden Devisenschwierigkeiten niederschlagen, wie wir es ja jetzt bei der OEEC gesehen haben. Wenn sich nicht wirklich alle Vertragsländer auf Zusammenarbeit in den übrigen Zweigen des Handelsverkehrs einstellten, müßte es sich sofort in der Devisenbilanz zeigen, daß hier etwas nicht in Ordnung ist.
    Der Nachteil der Ausfuhr des Rohstoffes Kohle, den man vielfach bemängelt, indem man sagt, wir sollten nur verarbeitete, veredelte Produkte ausführen, wird im wesentlichen dadurch ausgeglichen, daß wir j a unter der Voraussetzung, daß die Preisgestaltung gerecht geworden sein wird, auch eine volle Gegenleistung in der Form von Rohstoffen, Erzen und Stahlveredelungsprodukten aus den nordafrikanischen Kolonien erhalten. Es ist nicht so, als gäben wir nur Rohstoffe her und bekämen nur verarbeitete Produkte zurück. Nein, wir bekommen auch Rohstoffe, die für die ganze Welt knapp sind, zurück.
    Der gemeinsame Markt kann unter diesen Auspizien von erheblicher Bedeutung werden für die nachfolgenden Industrien. Von deutscher Seite ist ja auch versucht worden, den Plan schon gleich auf die Eisenverarbeitung auszudehnen. Leider ist dieses Projekt zunächst gescheitert, aber in der Tendenz des ganzen Planes liegt notwendigerweise die Ausdehnung auf weitere Gewerbezweige.
    Eine entscheidende Vorfrage des Planes überhaupt liegt natürlich im folgenden: Wenn der Stahlverbrauch in allen europäischen Ländern nicht gesteigert wird, nützt uns auch eine Steigerung der Stahl- und Kohlenerzeugung nichts. Die Steigerung des Stahlverbrauchs ist aber wieder eine Folge des Wohlstandes der Nationen. Es ist nicht so, als wenn mit der Steigerung der Stahlerzeugung auch der Wohlstand stiege, sondern umgekehrt, die Stahlerzeugung und die Kohlenerzeugung müssen steigen, wenn der Gesamtwohlstand sich erhöht. Wenn jede Familie über einen Kühlschrank, ein Auto und ein Eigenheim verfügt, so hat das einen entsprechend höheren Stahlverbrauch zur Folge. Die Wirtschaftspolitik muß also das Ziel haben, den allgemeinen Wohlstand zu heben und dadurch auch den Stahlverbrauch auf das amerikanische Maß zu steigern.
    Die größte Hoffnung, die wir auf wirtschaftlichem Gebiete haben und meiner Ansicht nach mit Recht haben können, ist die Hoffnung auf amerikanische Investitionsgelder. Die Amerikaner haben erhebliche Mengen von Dollars in der französischen Stahlindustrie investiert. Sie würden das wahrscheinlich auch in der deutschen Industrie tun, wenn ihr Zutrauen zu unseren politischen Verhältnissen nicht so gering wäre. Bei einem Zusammenschluß der europäischen Vertragsstaaten des Schumanplans aber haben sie das Vertrauen, daß sich entsprechende Investierungen auch lohnen. Der Begeisterungssturm, der beim Abschluß der Pariser Schumanplanverhandlungen in Amerika getobt hat, ist nicht deshalb ausgebrochen, weil die Amerikaner ihre Dollars, die sie über den Monnetplan in Frankreich investiert haben, nunmehr als gerettet ,angesehen haben. Eine solche Theorie, wie sie eben vorgetragen wurde, geht an der Wirklichkeit völlig vorbei. Die Begeisterung ist deshalb ausgebrochen, weil die Amerikaner gesehen haben, daß die alten Europäer jetzt etwas Kühnes und Neues unternommen haben, dem sie hoffen helfen zu können und in dem sie einen Bundesgenossen im Kampf der freien Welt gegen den Kommunis-


    (Dr. Bertram)

    mus zu finden hoffen. Der Begeisterungssturm resultiert also nicht aus irgendwelchen kleinlichen Motiven wie etwa dem, daß die amerikanischen Interessen in Frankreich nunmehr besser geschützt seien.
    Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß für die Innehaltung der Investitionsrichtlinien des Schumanplans ein Rechtsweg bestehe, und zwar unter dem Gesichtspunkt der besten Ergiebigkeit. Ich sage Ihnen ganz, offen, daß ich von diesem Rechtsweg, so sehr er auch durchkonstruiert ist, nicht allzuviel halte. Wenn nicht das Gewicht der wirtschaftlichen Tatsachen die Hohe Behörde dazu zwingt, sich in ihren Maßnahmen so einzustellen, daß die investierten Gelder tatsächlich den besten Ertrag bringen, dann wird auch kein Gericht, das die Dinge j a erst sehr viel später überprüft, einmal fehlgeleitete Investitionen wieder zurückleiten und einmal gemachte Fehler wieder gutmachen können. Es kommt also gar nicht so sehr auf die Frage an, ob die Richter, wie Herr Professor Schmid eben vortrug, den nötigen Maßstab an den Vertrag anlegen bzw. ob sie als Menschen dieser Aufgabe gewachsen sind. Das ganze Gericht wird nicht die Bedeutung haben, die wir ihm beizumessen geneigt sind. Seine eigentliche Bedeutung wird in der inneren Kraft der Idee, der Integration von Stahl und Kohle liegen. Das ist die Sicherheit, die die Gewähr dafür bietet, daß die investierten Gelder auch an die richtige Stelle fließen. Die Überprüfung durch ein Gericht kann uns keine oder jedenfalls nur eine geringe Sicherheit bieten.
    Meine Damen und Herren! Würden, wie uns wiederholt in Aussicht gestellt worden ist, amerikanische Investitionsgelder in dem Maße nach Deutschland oder überhaupt in den Bereich des Schumanplangebietes fließen, wie es vorgesehen ist, dann würde in Deutschland auch ein Ziel erreichbar sein, das wir jetzt vergeblich zu erreichen suchen, nämlich die Vollbeschäftigung. Wir alle wissen, daß die Erreichung der Vollbeschäftigung entscheidend daran scheitert, daß die Engpässe es uns nicht gestatten, die in den verarbeitenden Industrien vorhandenen Kapazitäten auszunutzen. Wir haben in Deutschland in der verarbeitenden Industrie j a eine erheblich größere Kapazität als in der eisenschaffenden Industrie und in der Kohleindustrie. Wird dieser Engpaß beseitigt, dann wird es auch möglich sein, unseren Produktionsindex wenigstens auf den Stand zu heben, den die anderen Vertragsstaaten schon erreicht haben. Frankreich liegt mit seinem .Produktionsindex ebenso wie Belgien noch weit über dem deutschen. Dieser höhere Produktionsindex der Vertragsstaaten muß sich auf dem Wege über den Schumanplan und die nach Deutschland einströmenden Gelder zwangsläufig auch auf das deutsche Wirtschaftsgebiet auswirken. Damit würde das größte Hindernis, das einer Vollbeschäftigung in Deutschland durch den Engpaß in der eisenschaffenden Industrie und in der Kohlenindustrie bisher entgegengestanden hat, beseitigt sein.
    Auf der andern Seite ist der Aufbau der Hohen Behörde sehr ungewöhnlich. Die Hohe Behörde besteht aus einem Gremium von neun Personen, das, wie man gesagt hat, einen quasi autoritären Charakter hat. Aber, meine Damen und Herren, ist es denn irgendwo im Geschäftsleben anders? Ist es irgendwo im Staatsleben anders? Hat nicht auch die Exekutive einen quasi autoritären Charakter? Wir haben doch selbst in unserem Grundgesetz die Bestimmung, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Wenn man diesen Satz in das Statut der Hohen Behörde hineinschriebe, würde man mit Recht sagen können, die Hohe Behörde habe einen quasi autoritären Charakter. Die Hohe Behörde ist eben nicht mit einem Parlament zu vergleichen, sondern nur mit einer Geschäftsleitung oder, wenn Sie so wollen, mit einer Regierung. Deshalb gehen diese Argumente meiner Ansicht nach ins Leere. Denn in, dieser Behörde muß eine -klare und schnelle Entscheidungsbefugnis verankert sein. Sonst kann sie überhaupt nicht funktionieren. Daß die Überwachung der Hohen Behörde durch parlamentarische Körperschaften nur höchst mangelhaft ist, wissen wir alle. Aber auf der andern Seite ist es zwar so, daß das geregelte Marktgebiet wichtige Auswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft haben kann, daß dieses geregelte Marktgebiet aber doch nicht von einem kompletten parlamentarischen Körper kontrolliert und überwacht werden kann, wie das bei einem Parlament möglich ist, das sämtliche Gebiete, die in einem Volke von Wichtigkeit sind, zu überwachen hat. Wir können doch nicht ein volles Parlament nur für Stahlinteressen errichten. Das wäre so, als wenn wir hier Ausschüsse hätten, die nur aus Stahlinteressenten zusammengesetzt wären. Solche Parlamente würden sicherlich auch ihren Aufgaben nicht gerecht werden können, und zwar schon nicht wegen der Einseitigkeit der Aufgaben, mit denen sie belastet wären.
    Deshalb begrüßen wir auf der andern Seite den starken Einfluß, den die Verbraucher und die Gewerkschaften in der gemeinsamen Versammlung, im beratenden Ausschuß bekommen haben. Der Einfluß der Parlamente in der gemeinsamen Versammlung braucht ja nicht so gering zu sein, wie er im Europarat ist. Der Europarat hat ja infolge seiner fehlerhaften Konstruktion wirklich nichts zu sagen. Die gemeinsame Versammlung hat zwar wenig zu sagen; sie hat aber nicht nichts zu sagen. Sie hat unmittelbare Entscheidungsmöglichkeiten, und solche unmittelbaren Entscheidungsmöglichkeiten gewähren auch in jedem Falle einen direkten politischen Einfluß. Deshalb ist es richtig, daß dieses Organ der gemeinsamen Versammlung geschaffen worden ist.
    Die echte Überstaatlichkeit, die in diesem Vertragswerk vorhanden ist, kann die Quelle zu einem föderalen Aufbau ganz Europas werden. Es ist hier eben auf den Zollverein hingewiesen worden. Dort hat man auch den richtigen Weg gewählt. Man hat eine Funktion des Staatslebens vereinigt und hat diese Sache aus der Vereinigung einer Funktion heraus langsam auf weitere Funktionen wachsen lassen. Hinterher ist man dazu gekommen, daß damit die gesamte Region ausgefüllt worden war. Einen andern Weg kann man gar nicht gehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Gerade der Europarat beweist uns ja, daß der Zusammenschluß von Regionen ohne übergeordnete Gewalt mit Entscheidungsbefugnis in eine Sackgasse führt und uns einer Lösung des uns allen am Herzen liegenden Problems des föderalen Aufbaus einer europäischen Föderation nicht näher bringt. Es ist deshalb auch nicht richtig, daß man sagt: wir verzichten auf Souveränitätsrechte. Hier wird nicht verzichtet, sondern hier werden Souveränitätsrechte koordiniert. Es ist ein ganz gewaltiger Unterschied, ob wir unsere Stahlwerke jetzt auf einen Waggon laden, um mal wirklich bildlich zu sprechen, und sie nach Frankreich transportieren oder ob wir weiter produzieren und weiter


    (Dr. Bertram)

    die Ergebnisse unserer Arbeit benutzen und verarbeiten und uns nur in unseren Entscheidungen zunächst mit anderen Mächten beraten. Wenn dann eine freiwillige Einigung der Erzeuger und Verbraucher nicht zustande kommt, so ist doch die Konstruktion des Planes, dann einer dritten übergeordneten Stelle eine Entscheidungsbefugnis zu geben, letzten Endes etwas ganz anderes, als wenn man auf etwas verzichtet. Dann hat man nicht weniger als vorher, sondern man hat mehr als vorher, weil man auch eine Einflußmöglichkeit auf die Industrien der anderen hat. Eine Zusammenlegung kann man deshalb nicht gut als einen Verzicht auf Souveränitätsrechte bezeichnen.
    Die Frage, die für das Funktionieren des Planes von besonderer Bedeutung sein wird, ist die Arbeiterfrage, die Bergarbeiterfrage in Deutschland. Wir wissen ja alle, daß wir laufend Abgänge von Bergarbeitern haben, die aus den Kohlengruben abwandern. Die Lebensbedingungen der Bergarbeiter sind einfach noch nicht ausreichend; man kann sagen: sie sind häufig auch noch viel zu schlecht. Wenn die Bergarbeiter heute noch in Massenquartieren leben müssen, wenn sie ihre Familien nicht zu sich holen können, dann kann man es wirklich keinem Menschen verübeln, daß er abwandert und sich dort aufhält, wo er mit seiner ganzen Familie zusammenleben kann. Das ist das primitivste Recht, das jeder hat: mit seiner Familie zusammenzuleben.
    Deshalb wird es von besonderer Bedeutung sein, im Ruhrbergbau Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, die eine Arbeit irr diesem Gebiet für den deutschen Arbeiter anziehend machen. Nur dann werden wir überhaupt die Möglichkeit haben, die gemachten Investitionen auch auszunutzen. Nur dann, wenn der deutsche Arbeiter freiwillig bereit ist, die Anlagen, 'die von anderer Seite bei uns finanziert werden sollen, mit seiner Hände Arbeit in Betrieb zu setzen, wird der ganze Schumanplan überhaupt funktionieren können.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Diese Voraussetzung sollten wir nie aus dem Auge verlieren. Ich glaube auch, daß die Hohe Behörde diese Voraussetzung nie aus dem Auge verlieren wird; sie wird sich deshalb in ihren Maßnahmen schon weitgehend danach zu richten haben.
    Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir der Hohen Behörde Kartellrechte geben. Es wurde- von Herrn Dr. Henle gesagt, der nationale Egoismus sei ein Überbleibsel. — Ich bin nun ganz anderer Ansicht. Ich bin der Ansicht: der nationale Egoismus ist in Europa so stark wie nur eh und je, und wir haben alle Mittel der Überredung, aber auch der realen politischen Macht nötig, um mit diesem nationalen Egoismus fertig zu werden. Und welches bessere Instrument gibt es gegen den nationalen Egoismus als die erprobten Mittel der internationalen Kartellpolitik? Sie haben ja schon einmal funktioniert, sie haben in der Internationalen Rohstahlgemeinschaft funktioniert, sie haben in der IWCO funktioniert. Ob sie gut funktionierten, ist eine zweite Frage, sie haben jedenfalls funktioniert in Richtung der Brechung nationaler Widerstände.
    Ich sage deshalb: daß als Mittel der Hohen Behörde die Mittel in den Vertrag eingebaut worden sind, die traditionell den Kartellen zustehen, wird man als den überhaupt einzigen Weg ansehen müssen. Ich wüßte jedenfalls keinen anderen Weg, um mit den nationalen Widerständen fertig zu werden. Wenn sich heute die französische Stahlindustrie gegen diese Bestimmungen wehrt, so weiß sie natürlich auch ganz genau, warum sie sich gegen sie wehrt. Sie fühlt sich eben nicht so leistungsfähig, wie sich die deutsche Industrie fühlen kann. Der wesentliche Unterschied ist aber der, daß diese Kartellgesetzgebung nicht auf einen Abstimmungsmodus nach Quoten, nicht auf die üblichen kurzfristigen Zeiträume abgestellt worden ist, sondern daß diese Kartellmittel Hoheitsmittel in der Hand einer unabhängigen Behörde sind.
    Deshalb ist es auch unrichtig zu sagen, diese unabhängige Behörde müßte nach dem Schwergewicht der Produktion zusammengesetzt sein. Nichts könnte falscher sein als das. Wir würden j a laufend die Zusammensetzung ändern müssen, je nach dem, wie sich die Produktion entwickelte, und jeder einzelne Staat würde wieder ein Interesse daran haben, seine Produktion zu bevorzugen, um auf diese Art und Weise in der Hohen Behörde eine stärkere Stimmberechtigung zu bekommen. Es kann also nur das Gegenteil zu einem Erfolg führen, nämlich die Hohe Behörde nach Maßstäben zusammenzusetzen, die man der Bevölkerungszahl, der Landesgröße usw. entnimmt, jedenfalls nach Maßstäben, die sich nicht nach der Größe der nationalen Produktion richten. Ich glaube deshalb, daß man diesen Vorwurf dem Organismus nicht mit Recht machen kann.
    Es ist ferner darauf hingewiesen worden, daß es so außerordentlich bedauerlich sei, daß England und die skandinavischen Länder ausgeschlossen seien. Einmal: ausgeschlossen sind sie j a nicht, und zum zweiten: wenn Sie daran denken, daß im britischen Empire nicht nur in England selbst Stahl erzeugt wird, sondern auch in Südafrika, in Indien — wenn es auch nicht unmittelbar zum britischen Empire gehört — und in Australien, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, daß es für England einen ganz anderen Entschluß bedeutet, sich einer solchen kontinental-europäischen Stahlunion anzuschließen, als für irgendein anderes Land, das nur seine Stahlproduktion, seine eigene Region einzubringen hat. England muß ja berücksichtigen, wie sich ein Anschluß auf seine ganze Weltlage, auf seine weltpolitischen Beziehungen auswirkte. Wenn also gesagt wird, wir schlössen England aus, so liegt doch bei England ein ganz natürliches selbständiges Interessengebiet vor, ähnlich wie das selbständige Interessengebiet der kontinental-europäischen Länder. Aber daraus braucht sich kein Gegensatz zu ergeben. Ganz im Gegenteil! Wenn sich das kontinental-europäische Produktionspotential verbessert und stärkt, dann steigern sich auch die Austauschmöglichkeiten. Die Austauschmöglichkeiten zwischen uns und England wären ja jetzt schon viel größer, wenn wir lieferfähiger wären. Es ist ja eine alte Erfahrung der Handelspolitik, daß der intensivste Warenaustausch zwischen den Ländern besteht, die am höchsten industrialisiert sind. Kommen wir aus der Rückständigkeit, in der wir uns befinden, sowohl was die Arbeitsergiebigkeit anlangt, als was auch die Kleinräumigkeit der Absatzmärkte anlangt, — kommen wir aus dieser Rückständigkeit heraus, so bin ich sicher, daß sich die Austauschmöglichkeiten mit dem englischen Wirtschaftsraum, insgesamt vermehren und nicht verringern werden. Schon deswegen darf man diesen Gesichtspunkt nicht so einseitig sehen, wie er wiederholt vorgetragen worden ist.
    Außerdem können wir auf unserem Kontinent einen anderen Weg nicht gehen. Sollen wir denn etwa deshalb, weil England sein Empire hat, dar-


    (Dr. Bertram)

    auf verzichten, auf dem Kontinent zu rationalisieren? Und was ist denn der ganze Schumanplan anders als eine großzügige internationale Rationalisierungsmaßnahme? Die Frage stellen heißt doch eigentlich auch schon, sie beantworten.
    Es wird ferner darauf hingewiesen, daß sich mit dem Schumanplan eine neutralistische dritte Kraft bilden werde, die dann aus dem großen Wettkampf zwischen Kommunismus und Amerikanismus aus der Neutralität einen unberechtigten Vorteil zu ziehen beabsichtige. Auch dieses Argument kann meiner Ansicht nach in keiner Weise zutreffen. Wir haben es hier 'ja nicht mit politischen Willkürentscheidungen zu tun. Auf dem Gebiet der bloßen Politik kann man nämlich ganz willkürlich so oder so entscheiden; die Fehler solcher willkürlicher Entscheidungen machen sich immer erst später bemerkbar. Auf dem Gebiet der Wirtschaft dagegen würden sich willkürliche Entscheidungen außerordentlich schnell rächen. Wir sind von dem britischen Empire, von seinen Zulieferungen von Rohstoffen so stark abhängig, daß die von mir eben erwähnte volkswirtschaftliche Verflechtung ebenso wie die gegenüber dem amerikanischen Geldgeber jeden Gedanken an einen solchen Neutralismus zur Illusion macht. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird zu einer engeren Verflechtung kommen. Ein autarkes Denken in der Handelspolitik wird, je mehr sich der Schumanplan auszuwirken beginnt, um so unmöglicher werden. Dadurch wird der allgemeine Zusammenschluß gefördert.
    Wenn .nun darauf hingewiesen worden ist, daß uns die Hegemoniestellung einzelner Teilnehmerländer den Anschluß erschweren könnte, so darf ich doch sagen: Unsere eigene Kraft wird durch den Schumanplan und durch die nach Deutschland geleiteten Investitionsgelder zwar gesteigert, aber durch die Rationalisierung der Produktion und die Aufteilung der Produktionsarten auf die einzelnen Länder — das eine Land mag für jenes Stahlprodukt, ' für jenes Gießereiprodukt besser geeignet sein, das andere Land für andere Erzeugnisse — wird sich eine größere gegenseitige Abhängigkeit ergeben. Weil jedes Land von den Erzeugnissen des anderen Landes abhängig ist, wird es infolge dieser Integration und Verflechtung völlig unmöglich sein, irgendwo eine HegemonieStellung anzustreben.
    Die innere Unstabilität der Teilnehmerländer ist als Argument gegen den Schumanplan verwandt worden. Man hat gesagt: Kommunismus in Italien, Kommunismus in Frankreich, nationalistische Mythenbildung in Deutschland ließen es als unzweckmäßig erscheinen, zwischen so unstabilen Ländern einen so langfristigen und schwerwiegenden Vertrag abzuschließen. Ich glaube, diese Bewegungen werden allgemein weit überschätzt. Sie sind doch letzten Endes eine Folge des verlorenen Kriegs, der allgemeinen Notlage. Diese Bewegungen können sich auch neuen Idealen- zuwenden, wenn es uns gelingt, den Schumanplan mit dem Leben zu erfüllen, das wir ihm geben wollen. Nur das Aufstellen neuer Ideale birgt die Wahrscheinlichkeit in sich, daß wir zu stabilen Verhältnissen kommen, keineswegs aber das Verharren im Negativen und das Verharren in der Ablehnung. Daß hier ein solches neues Ideal für die breiteste Bevölkerungsschicht gefunden worden ist, ist doch wohl unbestreitbar. Schon aus diesem Grunde ist eine Hinwendung zu diesem Ideal wahrscheinlich.
    Ich gebe zu, daß die politische Konzeption des Schumanplans kühn ist. Aber es ist eine alte Erfahrung, daß man ohne Risiko auch keinen Erfolg erringt. In einer Aussprache, die ich neulich gehabt hatte, sagte jemand: „Ja, wie kann ich mich aber gegen Rückschläge sichern?" Ich habe ihm darauf gesagt: „Eine Versicherung gegen die Zukunft gibt es nicht; wer nichts riskiert, wird eben untergehen und verlieren." Insofern müssen wir diesen Weg gehen, um aus dem alten Kontinent einen neuen Kontinent zu machen.
    Es ist sicher richtig, daß man, wenn man eilt, mit Weile gehen soll und daß der Unterschied von Mut und Leichtsinn offenbar oft sehr, sehr schwer zu finden ist. Jeder alte Soldat weiß das ja. Ich glaube aber, wenn man die Länge der Vertragsverhandlungen einerseits bedenkt und andererseits sich die Bestimmungen einmal vornimmt und sie untersucht — und ich habe versucht, Ihnen die einzelnen Bestimmungen in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen zu verdeutlichen —, kann man wirklich nicht sagen, daß hier geeilt worden wäre. Es ist alles eingebaut und alles bedacht, was auf diesem komplizierten Marktgebiet bedacht werden mußte. Wir haben meiner Ansicht nach das Recht, Vertrauen in uns selber zu haben, und wir haben das Recht, Vertrauen zu den andern Nationen zu haben. Denn letzten Endes handelt es sich ja nicht um wildfremde und weit entfernte Völkerschaften, sondern es handelt sich um recht verwandte Nationen, die im geistigen Bezirk niemals ihre Verbindung zu uns verloren haben und die nur auf dem wirtschaftlichen Gebiet durch die beiden Weltkriege weit auseinandergerissen sind. Aber diese innere Verwandtschaft zwischen den vertragschließenden Nationen ist doch nicht etwa zerrissen worden. Sie rechtfertigt auch, daß wir Vertrauen in die Handhabung auf beiden Seiten haben. Das ist kein Futurismus, sondern ich glaube, das ist Realismus.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Dieses realistische Vertrauen in unsere Fähigkeiten, das haben wir; wir dürfen aber dieses realistische Vertrauen auch in die Handhabung auf der andern Seite haben.
    Ein Gesichtspunkt, den ich nicht vergessen wollte vorzutragen, ist die Tatsache, daß wir in Deutschland einen föderalistisch aufgebauten Staat haben. Ebenso, wie wir nach oben jetzt einen föderalen Aufbau haben und uns große Mühe geben, daß uns dabei nicht zu viel durch die Lappen geht, müssen wir natürlich auch dafür sorgen, daß der föderale Aufbau zwischen dem Bund und den Bundesländern dabei beachtet wird. Das ist nach dem Gutachten von Professor Kaufmann ja einfach möglich, wenn in den Durchführungsgesetzen die Mitwirkung der Länder — vor allem der hauptbeteiligten Länder und insbesondere von NordrheinWestfalen — gesichert wird. Das braucht hier in diesem Vertragsentwurf nicht vorgesehen zu sein, weil es mit diesem Vertrag an sich nichts zu tun hat. Die Durchführung der Bundesgesetze ist Ländersache, und in dem Durchführungsgesetz, das kommen muß, müßte die Mitwirkung der Länder eben sichergestellt sein.
    Das Ziel des Schumanplans ist letzten Endes, der gequälten europäischen Menschheit Friede zu bringen. Der Nationalismus hat uns in den letzten 70, 80 Jahren so viel Unheil gebracht, daß keine Anstrengung gescheut werden sollte, um ihn wirksam zu bekämpfen. Von selbst bekämpft er sich nicht, sondern wir müssen energisch etwas dazu tun, um ihn zu bekämpfen. Der Weg, den der Schumanplan geht, ist sowohl hinsichtlich der


    (Dr. Bertram)

    l organisatorischen Seite als auch hinsichtlich seiner Einordnung in die weltpolitische Lage richtig angelegt, so daß man annehmen kann, daß er tatsächlich die Grundlage für eine friedlichere Zukunft schafft. Der Schumanplan berücksichtigt in ausreichendem Maße das Gewicht der Vergangenheit, das man ja nicht außer acht lassen darf. Dieser Plan kann die Basis für eine friedliche Periode sein; wenigstens wird er vielleicht ein Schritt zum Frieden sein.
    Die Zukunft ist dunkel. Wir können nur das eine tun, daß wir mit den uns gegebenen Mitteln in der Gegenwart das Beste machen, was eben erreichbar ist. Das wollen wir tun und das sollen wir tun. Die Zukunft wird dadurch vielleicht mitgestaltet; das Entscheidende wird uns Menschen aber nicht allein aus unserer eigenen Tüchtigkeit gegeben, sondern wird uns für eine Dauer von 50 Jahren sicher von anderer Stelle zugemessen werden.

    (Beifall beim Zentrum, bei der CDU und rechts.)