Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß wir die Diskussion mit dem Ernst und der Sachlichkeit weiterführen können, die allein dieser für uns Deutsche so entscheidenden Frage angemessen sein kann.
Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, in denen es in dem ganzen Haus, glaube ich, sehr wenig Differenzen gibt, so etwa die Fragen der Unvereinbarkeit der Ruhrbehörde, der Unvereinbarkeit der Aufrechterhaltung der Stahlquote und Stahlkontrollgruppen, der Eingriffe des Koblenzer Sicherheitsamtes mit einer europäischen Montanunion. Diese Fragen müssen alle außerhalb des Schuman-plans vorweg aus dem Geist des Überganges von dem Verhältnis von Besatzungsmächten zu Besiegten in das Verhältnis von gleichberechtigten Partnern in Europa gelöst werden.
Aber auch der Schumanplan selbst, so wie er jetzt vor uns liegt und verabschiedet werden soll, wirft eine Reihe von Fragen auf, bei denen Besorgnisse tatsächlich berechtigt sind. Es bedarf der ernsten Prüfung aller Argumente, ob man diese Besorgnisse tatsächlich als so schwerwiegend ansehen muß, daß man deswegen zur Ablehnung eines politisch so außerordentlich zukunftsträchtigen Gedankens kommen muß, oder ob man umgekehrt die Überzeugung hat, daß die Kräfte stark genug sind, um die Entwicklung in eine bessere Zukunft zu führen.
Wenn ich noch einmal vieles von dem an mir vorübergehen lasse, was von der Opposition vorgetragen wurde, so erinnert mich das etwas an die Debatten, die vor der Währungsreform um die Frage stattfanden, ob man denn mit der Währungsreform von dem System der Zwangsbewirtschaftung weg in die freie Wirtschaft, in die Wettbewerbswirtschaft hinein gehen könne. Es war damals auch die Opposition, die glaubte, man könne diesen Mut nicht haben, es seien zu viele Widerstände da, man wisse nicht, wie sich die Preise entwickelten, man wisse nicht, ob genügend Waren vorhanden sein würden, die Arbeitslosigkeit könne sich in katastrophaler Weise entwickeln. Es waren überall Sorgen und Bedenken.
Aber gerade die Kraft und die Leistungsfähigkeit eines ganzen Volkes, die man hier entfesselte, waren es, die alle diese Bedenken binnen kürzester Zeit zu einem Nichts werden ließen, die zu einem bisher doch wirklich erfolgreichen Anstieg der Produktion, der Beschäftigung und letzten Endes auch — das möchte ich gerade in diesem Zusammenhang herausstellen — Wandel in der politischen Situation Deutschlands gegenüber der Welt geführt haben. Glauben Sie denn im Ernst, meine Damen und Herren, daß irgend jemand draußen diesen Faktor Deutschland, wenn er wirtschaftlich noch so aussehen würde wie unmittelbar vor der Währungsreform, mit einem Produktionsindex von 47 % des Jahres 1936, mit all den chaotischen Zuständen eines schwarzen Marktes und einer zurückgestauten Inflation, für wert halten würde, ihn gleichberechtigt — jetzt endlich bar aller Fesseln der Wirtschaft — in eine europäische Wirtschaftsunion aufzunehmen?! Man würde dieses Deutschland doch höchstens als lästigen Ballast, als ein gefährliches Elendsquartier ansehen, aber nicht als einen Partner, den man braucht und auf den man Wert legt. Insofern hängen doch gerade die wirtschaftlichen Eigenleistungen unseres Volkes mit der politischen Beseitigung der Minderberechtigung aufs aller-engste zusammen. Ich möchte deshalb hier auch dem Herrn Professor Carlo Schmid entgegenhalten: es war nicht nur die Zeit, die uns an diesen Punkt geführt hat, sondern es waren nicht zuletzt die eben geschilderten Leistungen, die ein Volk vollbrachte, weil es wieder Kraft und Vertrauen zu sich selbst haben durfte, weil man ihm die Fesseln abgenommen hatte.
Lassen Sie mich damit gleich auf einen Einwand zurückkommen, der von Herrn Professor Schmid in der Diskussion gemacht wurde und sicher ernster Überlegung bedarf. Er sagte: Wenn man nur zu dem Zweck, das, was gegenwärtig ist, die Ruhrbehörde, die Kontrollgruppen, die Eingriffe der Alliierten — das würde ja sicher ohne Schumanplan zunächst noch bleiben und eine weitere Kraftentfaltung, um die uns gegenwärtig so behindernden Engpässe zu überwinden, erschweren —, das alles zu beseitigen, in diese Montanunion hineinginge, obwohl sie nicht ganz eine Zollunion, eine europäische Wirtschaftsunion darstellt, sondern erst auf Teilgebieten zu einer solchen übernationalen Marktgemeinschaft führen soll, könnte aus dieser Beschränkung heraus unter Umständen die Gefahr
erwachsen, daß man gar nicht mehr zum Ganzen kommen kann, weil die Widerstände oder die Hindernisse zu groß werden könnten. Er sagte, insbesondere liege diese Gefahr darin, daß die Ausgangspunkte so unterschiedlich seien. Wir hätten zwar jetzt in der Montanunion überall die formale Gleichberechtigung, aber im Materiellen seien die Dinge so, daß wir doch mit einem schweren Handikap, mit dem Handikap von demontierten Produktionszweigen, von Betrieben, die jahrelang nicht in der Lage gewesen seien, sich zu erneuern, in diese Ehe hineingehen würden. Nun, es wird im Leben immer so sein, daß hinter der formellen Gleichberechtigung im Materiellen sehr große Differenzierungen stehen. Das werden Sie einfach nicht verhindern können. Wenn man deswegen, weil man nicht auch im Materiellen die absolute Gleichberechtigung hat, den Mut zu einem Schritt nicht findet — ja, meine Damen und Herren, welcher junge Mann oder welches junge Mädchen sollte dann überhaupt noch den Mut zum Aufbau einer eigenen Existenz, zur Entwicklung seines eigenen Lebensweges finden, wenn sie bloß immer darauf sähen, daß es andere im reiferen Alter gibt, die bereits dies oder jenes erreicht haben? Diese jüngeren Menschen werden deswegen ihre Bemühungen, im Leben etwas voranzubringen, nicht aufstecken; sie werden daraus höchstens die Konsequenz ziehen, mit noch viel größerer Energie an die Aufgabe heranzugehen.
Daran hindert uns doch die Unterschrift unter den Schumanplan in keiner Weise. Ich möchte sogar sagen, die Schaffung der Voraussetzungen, daß wir nicht nur im Formellen, sondern auch im Materiellen wieder gleichberechtigt werden, hat überhaupt nichts mit dem Schumanplan, sondern ausschließlich mit unserer eigenen Energie, unserer eigenen inneren Wirtschafts- und Investitionspolitik zu tun.
Hier gibt es allerdings eine große Sorge, die wir auch der Bundesregierung unterbreiten müssen: Es gilt, mit aller Kraft danach zu streben, endlich den Engpaß, den wir bei Kohle, Stahl und Eisen in der Versorgung und in der Produktionsmöglichkeit aufzuweisen haben, durch Investitionen in allerstärkstem Umfang auszugleichen. Damit werden wir auch ein weiteres schaffen: Wir werden dafür sorgen, daß nicht der stillschweigende Ausgangspunkt aller Reden der Opposition, nämlich die Mangellage auf den Gebieten von Kohle, Eisen und Stahl, eine Dauertatsache wird. Gingen wir davon aus, daß es immer nur diese Mangellage gibt, so würde zweifellos diese Marktgemeinschaft der Montanunion gar nicht zur Funktion gelangen. Dann würde von vornherein der Art. 59 Abs. 3 Wirklichkeit werden, indem praktisch die Hohe Behörde zunächst einmal nichts weiter tut, als auf Grund der derzeitigen Verbrauchs- und Ausfuhrzahlen den einzelnen Regierungen zu überlassen, weiterhin wie bisher zu ,arbeiten.
Das aber ist und kann nicht der Sinn der europäischen Union von Kohle und Stahl sein, sondern sie bekommt im Gegenteil ihren Sinn nur aus den Anstrengungen zur Überwindung der Mangellage. Die Möglichkeiten dazu liegen sowohl bei Kohle wie bei Eisen und Stahl bei uns selbst. Wir müssen auch den Mut haben — das möchte ich hier einmal deutlich aussprechen —, unseren Kohlenbergbau in die Lage zu versetzen, Investitionen nachzuholen, wieder mehr zu fördern, diesen einzigen deutschen Reichtum zu unser aller Vorteil zu mobilisieren und die Kohle nicht zu einem unerhört billigen und unter den Kosten liegenden Preis an die ganze Welt zu verschleudern, sondern sie zu dem Preis zu verkaufen und ihr den Wert zu geben, der ihr am Markt in der ganzen Welt zukommt.
Sehen wir die Dinge so und treiben wir sie in diese Richtung, dann brauchen wir auch nicht die geringste Angst davor zu haben, daß nun Frankreich nach dem Monnet-Plan 15 Millionen t Stahlkapazität erstellen will und wir im Augenblick nur 12 Millionen t Stahlkapazität haben.
Im Jahre 1950 hatte Frankreich überhaupt nur eine Stahlproduktion von 8,7 Millionen t, das ganze Gebiet der Montanunion zusammen 31,7 Millionen t für 160 Millionen Menschen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben auf 135 Millionen Menschen rund 100 Millionen t Stahlverbrauch. In diesem erschütternden Zurückbleiben der alten europäischen Staaten im Pro-Kopf-Verbrauch von Stahl und Eisen kommt am deutlichsten und sinnfälligsten zum Ausdruck, was uns bisher diese Kleinstaaterei, die wir nicht überwinden zu können glaubten, an sozialem Fortschritt, Wohlstand und Glück und auch Frieden gekostet hat. Genau dasselbe gilt auf dem Gebiet der Kohlenförderung. Auch hier kann dieses Europa im Rahmen der Montanunion, die ganze 217,3 Millionen t Förderung gegenüber einem Vielfachen der Vereinigten Staaten von Amerika aufweist, noch unendlich mehr aufnehmen.
Muß es denn so bleiben, wie vorhin der Kollege Albers ausgeführt hat, daß der derzeitige Lebensstandard im Durchschnitt der europäischen Länder, die sich zu der Montanunion zusammenschließen wollen, genau 33 % des Lebensstandards des durchschnittlichen Amerikaners, des amerikanischen Arbeiters beträgt? Nein! Aber überwunden werden diese Zustände nur durch das Niederlegen der wirtschaftlichen Grenzen, durch den gemeinsamen Markt und durch den Mut, den man nun einmal im Denken an die Zukunft zu dieser Sache genau so haben muß wie damals, 1948, zur Niederlegung der Grenzen der Zwangswirtschaft mitten in der Wirtschaft unseres eigenen kleinen Vaterlandes.
Lassen Sie mich zum Schluß — ich möchte jetzt nicht allzusehr auf die Einzelheiten eingehen — noch etwas zu dem von dem Herrn Kollegen Henßler vorgebrachten Argument sagen, daß wir uns im europäischen Außenhandel mit der Einbringung von Kohle und Eisen in die Montanunion der möglichen Überschüsse begeben würden, die wir normalerweise gehabt hätten. Herr Kollege Henßler weiß auch, daß wir gerade seit 1945 im europäischen Außenhandel bisher nur ein Minus gehabt haben und daß dieses Minus im Rahmen der Europäischen Zahlungsunion sogar so angewachsen war, daß wir zweimal hintereinander einen Stopp in der Liberalisierung der Einfuhren vornehmen mußten. Wir haben nur jetzt, in den letzten Monaten, durch eine künstliche Schrumpfung der Außenhandelsumsätze einen Aktivsaldo erreicht. Herr Kollege Henßler, es ist eine unbestrittene Erkenntnis in der nationalökonomischen Wissenschaft, in der Statistik oder was Sie sonst an Erfahrungswerten gelten lassen wollen, daß der Handelsverkehr am allergeringsten zwischen primitiven Volkswirtschaften ausgebildet ist und daß er umso intensiver zum Wohle aller Partner wird, je höher das industrielle, das wirtschaftliche Niveau der Volkswirtschaften ist. Wir werden durch diese Montanunion zwar eine gewisse Umlagerung in unserem Außenhandel erleben; er wird sich dank
der Hebung des Lebensstandards, dank der Erhöhung der Stahl- und Kohlenverbrauchsquote in einem viel stärkeren Maße auf Fertigerzeugnisse aller Art verlagern. Ich glaube, daß sich das gerade für Deutschland als ein Land, das weder auf dem Gebiet der Ernährung noch auf dem Gebiet der Rohstoffe gesegnet ist, nur zum Besten auswirken kann.
Der Herr Kollege Schmid hat die Befürchtung ausgesprochen, es werde sehr schwer halten, daß dieser Teilmarkt Kohle und Eisen seinen Durchbruch zur generellen Zollunion, zur gesamten Wirtschaftsunion des westlichen Europa finden könne. An einer anderen Stelle — ich glaube mich ungefähr zu erinnern— hat der Herr Kollege Schmid aber gesagt, die Wirkungskraft der Hohen Behörde müsse so hoch eingeschätzt werden, daß man vermutlich eine eigene Wirtschaftspolitik gar nicht mehr zu treiben vermöge. Ja, das ist doch ein offenbarer Widerspruch. Ich bin auch davon überzeugt, daß die Wirkungskraft, die von dieser Union in den Grundstoffen Kohle und Stahl ausgeht, sehr stark sein wird. Ich bin davon überzeugt, daß sie stark genug sein wird, um wirklich die Fesseln in der Richtung auf die generelle Wirtschaftsunion zu sprengen. Aber an einer Stelle muß man einmal anfangen. Es ist auf alle Fälle richtig, bei Kohle und Eisen als den Grundstoffen anzufangen, ohne die keine moderne Volkswirtschaft leben kann.
Es ist hier an der Frist von 50 Jahren Kritik geübt worden. Wenn Sie schon eine Union wollen, wenn Sie wollen, daß im Rahmen dieser Union sechs Länder bereit sind, sich nach dem Wettbewerb der Kräfte in ihren Grundstoffindustrien zu orientieren, also in Belgien hinzunehmen, daß allmählich andere Wirtschaftszweige an die Stelle des Kohlenbergbaus treten, oder in Italien hinzunehmen, daß andere Wirtschaftszweige an die Stelle des dort etwas künstlich produzierten Stahls treten, dann muß man schon eine längere Dauer der Bindung haben. Sonst kann niemand sich darauf verlassen, daß die Änderungen durchgeführt werden können. Vielleicht liegt dem Ganzen, wenn wir an die Entwicklung seit der Zeit vor der Währungsreform, an das Umschalten auf die freie Wirtschaft, an alle diese Entschlüsse und Ihr Nein dazu denken, das eine zugrunde: W i r haben nach wie vor das Vertrauen, daß das deutsche Volk, daß die deutschen Arbeiter und die deutschen Unternehmer die Kraft aufbringen, das Leben zu meistern und voranzukommen.
Sie haben offenbar dieses Vertrauen noch nicht oder noch nicht wieder. Ich möchte hoffen, daß Sie sich durch den Eindruck der deutschen Leistungen, die bewundernswert sind, doch noch zu einer Änderung Ihrer Stellung durchringen werden.