Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Zu Zielsetzungen, jawohl.
Wir haben hier vor uns die Aufgabe, zu einem Ratifikationsgesetz Stellung zu nehmen, also zu einem Gesetz, zu dem man nur ja oder nein sagen kann. Wir haben deshalb die Fakten zu prüfen, die in dem Vertragswerk enthalten sind. Herr Kollege Schmid hat die These aufgestellt, mit dem
Schumanplan werde eine Fortsetzung der Politik betrieben, die bereits nach dem ersten Weltkriege gegen uns durchgeführt worden ist. Ich muß dieser Feststellung gegenüber ,sagen, daß es nicht recht ersichtlich ist, wieso aus der Konstruktion dieses Vertrages eine Aufrechterhaltung jeher rein machtpolitischen Prinzipien gefolgert werden könnte.
Der Herr Kollege Schmid hat ferner gesagt, daß die Erfolge der Außenpolitik der Bundesregierung eine Frucht der Zeit gewesen seien, sozusagen nach dem Spruch: „Was Natur und Zeit getan, das sieht man dann_ als Besserung an!" Ich möchte dieser Auffassung von einer passiven Entwicklung lebhaft widersprechen.
Ferner sind von ihm Einwendungen gegen den supranationalen Charakter des Vertragswerkes gemacht worden, d. h. gegen den überstaatlichen Charakter. Er wünschte, an die Stelle dieser Hohen Behörde und ihrer Organe mit übernationalem Charakter ein Organ der Kooperation gesetzt zu sehen, und wünschte außerdem einen hinreichenden demokratischen Unterbau. Ich möchte demgegenüber geltend machen, daß gerade die Ablösung der nur zwischenstaatlichen Konstruktion durch eine überstaatliche Konstruktion als ein Vorteil, als ein neuer Weg angesehen werden kann.
Der Herr Kollege Schmid hat ferner den Einwand erhoben, daß es nach Art. 24 des Grundgesetzes nur möglich sei, Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Vereinigung zu übertragen, daß aber die Übertragung auf überstaatliche Organisationen nicht möglich sei. Auch dieser These möchte ich im einzelnen widersprechen. Darauf
komme ich noch.
Vor allem ist von der Opposition die Frage aufgeworfen worden: Was bekommen wir dafür, daß wir uns auf dieses Vertragswerk einlassen? Welches ist der Vorteil, der sich für uns ergibt? — Mit keinem Wort ist in der heutigen Diskussion der Vorteil des einheitlichen Marktes überhaupt auch nur erwähnt worden. Auf die Dynamik der Verhältnisse ist man kaum eingegangen, und mit keiner Bemerkung ist man auf die Erlangung von Mitteln für Investitionen, auf die Möglichkeit, unsere Industrien auf modernen Stand zu bringen, was gerade zu den Hauptzielen und Hauptvorteilen des Vertragswerkes gehört, eingegangen. Wenn man schon die Frage stellt: „Was habt ihr davon, was gewinnt ihr für das, was ihr an Hoheitsrechten aufgebt?", dann müßte auch eine klare Analyse dieser Tatsachen des Gewinns des einheitlichen Marktes und der Möglichkeit, Investitionen zu erhalten, gemacht werden.
Doch nun zu den Einzelheiten. Dabei möchte ich zum juristischen Teil des Vertrags Stellung nehmen. Auf den Einwand, man könne nach Art. 24 des Grundgesetzes Hoheitsrechte nur auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, möchte ich nicht antworten, daß es sich bei diesem Argument nur um eine juristische Haarspalterei handele, sondern auf die Ausführungen Bezug nehmen, die Professor Erich Kaufmann vor dem Bundesrat gemacht hat. Professor Kaufmann hat nachgewiesen, daß es des Art. 24 im Grundgesetz gar nicht bedürfe, um Hoheitsrechte zu übertragen. Er hat auf einfache, im Völkerrecht längst bekannte Beispiele hingewiesen; z. B. wird, wenn ein Vertrag über eine Schiedsgerichtsbarkeit geschlossen wird, ein Hoheitsrecht, die Justizhoheit,
auf eine über dem Staat stehende Autorität übertragen. Denken Sie auch an die Rheinschiffahrtsakte, nach der an die Stelle eines nordrhein-westfälischen Oberlandesgerichts die Rheinschiffahrtskommission, also eine rechtsprechende und verwaltende Instanz tritt, oder denken Sie an Verträge, wie sie bei Bevölkerungsumsiedlungen geschlossen werden. Im Völkerrecht ist längst bekannt, daß man Hoheitsrechte auf ein überstaatliches Organ übertragen kann.
Professor Kaufmann hat ferner nachgewiesen, daß der Art. 32 des Grundgesetzes die Pflege der auswärtigen Beziehungen der ausschließlichen Kompetenz des Bundes zuweist. Die technische Durchführung dieser Pflege der auswärtigen Beziehungen ist im Art. 59 geregelt, in dem das alleinige Recht des Bundespräsidenten zur völkerrechtlichen Vertretung und die Rechte der gesetzgebenden Körperschaften, das Erfordernis ihrer Zustimmung zu internationalen Verträgen festgesetzt sind. Dieser Art. 59 praktiziert technisch den Art. 32. Ferner ist auf Art. 73 des Grundgesetzes hinzuweisen, nach welchem die Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten zur ausschließlichen Kompetenz des Bundes gehört. Hieraus ergibt sich, daß der Begriff der auswärtigen Beziehungen, der auswärtigen Angelegenheiten elastisch ist, daß alle Möglichkeiten, die dazu dienen, die Integration in einem größeren Verband internationaler Zusammenarbeit zu fördern, zu den auswärtigen Beziehungen gehören, und daß es daher auch dann, wenn Art. 24 nicht in der Verfassung stünde, durchaus in der Kompetenz des Bundes läge, Hoheitsrechte auf eine supranationale Organisation zu übertragen.
Ich möchte nun zu dem Begriff des Supranationalen Stellung nehmen. Das Wort ist nicht schön. Man sollte es ersetzen durch den Begriff des Überstaatlichen. Bei der Montanunion handelt es sich um eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Um es einfach auszudrücken: Der neue Weg, der hier eingeschlagen wird, ist nicht ein internationaler, auf dem man durch vertragliche Bindung — bei unabhängig bleibenden Staaten ohne Übertragung von Hoheitsrechten — eine Organisation errichtet wie es etwa der Völkerbund war, sondern hier wird ein teilweiser Bundesstaat errichtet, in dem die Hohe Behörde der Regierungsinstanz, der Ministerrat etwa dem Bundesrat, die gemeinsame Versammlung etwa dem Parlament und der beratende Ausschuß, der noch neben der Hohen Behörde steht, etwa einem Wirtschaftsrat entspricht. Hierbei ist darauf hinzuweisen, daß es eine solche teilweise Organisation eines Wirtschaftsstaats — hier wird ein Bundesstaat für das Gebiet Kohle und Stahl errichtet — nicht zuläßt, eine Organisationsform zu wählen wie sie ein Gesamtgefüge notwendig machte. Es ist ein Unterschied, ob ich mich bundesstaatlich, verfassungsrechtlich auf einem Teilgebiet einige, wie es damals auch beim Abschluß des Zollvereins geschehen ist, oder ob ich eine gesamtpolitische Organisation schaffe.
Aus diesem Grund ist die supranationale, also die von der Opposition angegriffene Kompetenz der Hohen Behörde nur außerordentlich unvollkommen ausgebildet worden. Das föderative Element überwiegt bei weitem. Der Ministerrat ist gerade das auf diesem Teilgebiet notwendige Organ, um, wie es in Art. 26 des Vertrags heißt, die Interessen der Staaten mit den Interessen der Montangemeinschaft zu harmonisieren. Wir dürfen uns über-
haupt, glaube ich, die Übertragung der Hoheitsrechte an die Hohe Behörde nicht im Sinne einer Weitergabe von bestehenden Rechten vorstellen, sondern es handelt sich um die Neubegründung von Rechten. Es ist gar keine eigentliche Übertragung. Diese Fusion bedeutet, daß man an Stelle von deutschen, französischen, italienischen, luxemburgischen, belgischen und holländischen Hoheitsrechten ein europäisches Hoheitsrecht neu schafft. Es ist auch in einem Bundesstaat so, daß die Hoheitsgewalt der Zentrale etwas Neues, konstitutiv Neugeschaffenes ist gegenüber den untergehenden Souveränitätsrechten der Gliedstaaten.
Dieser Weg ist, glaube ich, die einzige Möglichkeit, um aus der bloßen Deklamation des europäischen Gedankens zu einer praktischen Tat hinüberzugelangen. Es geht hier um gemeinsame Interessen, um gemeinsames Handeln und letzthin dann auch um einen gemeinsamen Geist. Wenn man nicht daran glauben kann, daß dieser gemeinsame Geist und die Dynamik, die in dem Vertragswerk zum Ausdruck kommen, doch eines Tages dazu führen können, die Integration im europäischen Zusammenhang auf einer höheren Ebene zu vollziehen, wenn man hier Vorstellungen aus der Machtpolitik des 19. Jahrhunderts in den Vordergrund stellt und es bei aller nüchternen Prüfung im gegenwärtigen Zustand für überhaupt noch nicht möglich hält, solch eine Organisation zustande zu bringen, dann verneint man eben doch in der Praxis die Möglichkeit eines europäischen Zusammenschlusses. Darum ist nicht herumzukommen. Wenn man einen wirklichen europäischen Bundesstaat schaffen will, dann muß dies das Ende des nationalen Egoismus sein.
Dabei ist es zweifellos — und 'ich Möchte hier den Wunsch meiner politischen Freunde angelegentlich in den Vordergrund stellen — unsere besondere Pflicht, mit aller Nüchternheit die Fakten eingehend zu prüfen. Alles, was bisher in dieser Beziehung vorgetragen worden ist, trägt in sich ein spekulatives Element und in keiner Weise den Beweis. Wenn Sie uns vorwerfen, es sei ein „goldener Nebel von Illusionen aufgeblasen worden", so möchte ich demgegenüber mit dem gleichen Recht betonen: Ihr Pessimismus, Ihre nur negative Auslegung des Vertragswerks ist doch auch nichts anderes als irgendeine Spekulation. Unsere Pflicht in den nächsten Wochen und Monaten ist es, endlich aus der negativen oder positiven Spekulation zu einer wirklichen Analyse der Tatsachen zu kommen.
Nun wurde weiter gesagt, es fehle hier an dem demokratischen Unterbau. Sehen wir uns doch einmal an, was die gemeinsame Versammlung zu tun hat. Sie hat die parlamentarische Kontrolle. Ich gebe zu, es ist schwierig, das Recht, die Hohe Behörde zu stürzen, jenes Mißtrauensvotum praktikabel zu machen. Dennoch, solche internationalen Gremien haben es an sich, daß 'die Voten eines solchen Parlaments zu einem sehr viel empfindlicheren Reagieren all derer führen werden, an die sie gerichtet sind. Im übrigen ist dafür Sorge getragen, daß die immer noch bestehenden und nicht zu übergehenden nationalen Belange im Ministerrat in gradueller Verschiedenheit zum Ausdruck kommen können. Insbesondere ist ein Abstimmungsverfahren vorgesehen, das eine Majorisierung unseres Landes bei lebenswichtigen Fragen verhindert.
Gewiß, die Gesetzgebungskompetenz liegt nicht bei der gemeinsamen Versammlung. Wenn sie aber da läge, könnte man im Sinne der Argumentation der Opposition eher sagen, daß damit ein Zuviel gegeben sei; denn gerade weil wir eben nur auf einem Teilgebiet zu jener Gemeinschaft gekommen sind, ist es eben unmöglich, auf diesem Teilgebiet die Gesetzgebungsgewalt in die Gemeinschaft hineinzuverlegen. Die Gesetzgebungsgewalt muß bei den Paktstaaten der Gemeinschaft bleiben. Das ist eine Einschränkung im Sinne jener Sicherungen, die die Opposition gefordert hat, damit eine nationale Wirtschaftspolitik noch möglich bleibt.
Ein Gebiet wird hierbei stets außer acht gelassen. Die hohe Bedeutung der Gerichtsbarkeit. Sie füllt die Lücke der nicht vollkommen entwickelten parlamentarischen Kontrolle aus. Es- ist nicht so, wie es heute morgen dargestellt wurde, daß dieses Gericht die wirtschaftlichen Tatsachen nicht überprüfen könne. Das Gericht kann die wirtschaftlichen Tatsachen — ich denke hier an die Anfechtungsklage gegenüber den Beschlüssen der Hohen Behörde — durchaus überprüfen, d. h. die einzelnen Elemente, die zu einer Beschlußfassung der Hohen Behörde geführt haben. Dabei kann es allerdings nicht das Zusammenfügen der wirtschaftlichen Tatsachen, auf Grund dessen die Hohe Behörde ihren Beschluß gefaßt hat, überprüfen. Das heißt: das Gericht kann nicht die Ermessensfrage überprüfen, wie die Hohe Behörde diese einzelnen wirtschaftlichen Fakten kombiniert hat. Nur dann kann das Gericht auch diese Tatsachen und auch diesen Vorgang überprüfen, wenn es sich um einen Ermessensmißbrauch handelt.
Ein wichtiges Ventil aber ist bei der Diskussion völlig unbeachtet geblieben. Gegenüber dem Prinzip des Art. 33, das die Nachprüfungskompetenz des Gerichts auf den Ermessensmißbrauch beschränkt, ist in allen Fragen, in denen die vitalen Interessen eines Landes berührt werden, gemäß Art. 37 eine Nachprüfung auch der materiellen wirtschaftlichen Entscheidungsgründe der Hohen Behörde möglich. Gerade für Deutschland kann man
angesichts der Lage, in der wir uns nun einmal befinden — das Vorhandensein dieses Gerichtshofes als eine außerordentlich wichtige Sicherung betrachten. Bei der Diskussion heute morgen sind diese wohlbedachten Vertragsbestimmungen nicht gebührend berücksichtigt worden.
Dann wird immer mit der Behauptung operiert, es sei keine Revisionsklausel vorgesehen. Ich muß dem widersprechen. Im Art. 95, wenn ich ihn recht im Kopf habe, ist die sogenannte kleine Revision und in Art. 96 die große Revision vorgesehen. Gewiß, sie ist schwer durchführbar. Wenn ich die Herren von der Opposition richtig verstanden habe, so fehlt ihnen die Kündigungsklausel. Wenn man aber einen Vertrag über die Schaffung eines bundesstaatsähnlichen Gebildes schließen will, dann ist es ausgeschlossen, etwa bloß einen kurzen Zeitraum des Experimentes vorzusehen. Es gehört zum Wesen völkerrechtlicher Verträge, die in sich ein Verfassungsrecht setzen, wie das hier beim Schumanplan der Fall ist, daß lange Fristen für ihre Existenz gelten. Wenn Herr Professor Baade schreibt, daß man eine Null zuviel gemacht hätte, daß dieser Vertrag auf 5 Jahre hätte befristet werden müssen, so möchte ich darauf folgendes erwidern: aus den Durchführungsbestimmungen ergibt sich, daß der Schumanplan tatsächlich erst in fünf Jahren in Kraft tritt. Damit ist ja alles das ge-
wahrt, was Herr Professor Baade in seinem Artikel in dieser Hinsicht gefordert hat.
Wenn ich so die Argumente der Opposition, die selbstverständlich einer genauen Analyse im Ausschuß bedürfen, wenigstens, was die juristische Seite betrifft, Revue passieren lasse, dann kommt es mir so vor, als sei doch der Grund der Ablehnung auf einem anderen Gebiet zu suchen, als bringe man gewisse Argumente vor, die einer wirklichen Analyse nicht standhalten können. Der Verlauf der Debatte heute hat in keinem Punkt etwas wirklich Schlüssiges gegen das Vertragswerk ergeben.
Zum Abschluß darf ich nur noch auf eines hinweisen. Es wurde die Behauptung aufgestellt, daß ein konstruktives Nein die Dinge fördern könnte. Das klingt sehr gut. Es ist gewiß richtig, daß in der Politik wie im Leben überhaupt ein Prüfen der Kraft, nein zu sagen, ein Charaktertest ist. Es ist leichter ja als nein zu sagen. Mit einer Formulierung wie „konstruktives Nein" wird also eine gewisse Überzeugung aus der Lebenserfahrung heraus angesprochen. Dennoch ist diese Formulierung angesichts unserer deutschen Situation so falsch wie nur irgend möglich. Hätten wir damals, 1948, als es um die Frage ging, die Londoner Empfehlungen zu schlucken oder nicht, ein „konstruktives Nein" gesagt, dann säßen wir heute noch in Trizonesien. Ich weiß nicht, ob eine solche Labilität bei den Verhältnissen unseres Landes, bei unserer Nähe der Auseinandersetzung der Welt mit dem Bolschewismus angebracht ist. Auch das sollte einmal mit tiefer Verantwortung geprüft werden. Es kommt in unserer Lage immer darauf an, die Positionen zu gewinnen, aus denen heraus wir um unser gutes Recht kämpfen können. Es wäre nichts falscher als zu behaupten, in dieser Situation flögen uns die außerpolitischen Erfolge zu wie die gebratenen Tauben in den offenen Mund. Passivität in unserer Lage dürfte überaus verderblich sein. Wir haben hier etwas zu gestalten.
Insofern glaube ich, daß Prinzipien und Ideen — hier in bezug auf die Neukonstruktion einer europäischen Ordnung — auch Fakten sind. Auch wir haben bei dieser Neukonstruktion unseren Beitrag zu leisten, allerdings nicht in Form irgendeiner Vorleistung, mit der wir deutsche Belange preisgeben würden. Eine Politik der Vorleistungen, der Nachgiebigkeit, des leichten Ja wird von meinen politischen Freunden niemals gebilligt werden, aber eine Politik der Aktivität, der Dynamik und der Konstruktion einer wirklichen Zukunft wird von uns mit ganzem Herzen bejaht. Wir hoffen, -daß eine eingehende Prüfung dieses Vertragswerks die Einwendungen der Opposition zerstreuen wird.