Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn mich nichts von der Wichtigkeit und der Notwendigkeit des Schumanplans überzeugt hätte, dann die Rede des Kollegen Reimann.
Der Herr Bundeskanzler sollte ihm dafür dankbar sein.
Während der Saardebatte hat für unsere Gruppe der Kollege Dr. Ott erklärt, daß wir dem Schumanplan keinesfalls bedingungslos zustimmen können. An dieser unserer Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. Wir betrachten die Saarfrage, wir betrachten die Wiederaufrüstung und auch den Schumanplan wie alle außenpolitischen Probleme nicht aus irgendeiner oppositionellen oder engherzigen parteitaktischen Einstellung, sondern vom Standpunkt unserer Verantwortung, die wir unserem gesamtdeutschen Vaterland gegenüber auch als Heimatvertriebene zu tragen verpflichtet sind. So ist es auch mit unserer Stellungnahme zum Schumanplan.
Der neue Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Christian Fette, hat etwa die Stellungnahme zum Schumanplan umrissen, die auch wir haben.
Er sagte: Wenn ich persönlich ohne Ausweichmöglichkeit vor der Wahl stünde, mit einem glatten Ja oder mit einem glatten Nein zu antworten, dann würde ich trotz der vorhandenen Schwächen mit einem Ja antworten.
Auch ein prominenter Vertreter der SPD-Fraktion, Herr Dr. Baade, hat vorgestern in der „Frankfurter Allgemeinen" erklärt, er sehe in der unbedingten Ablehnung des Schumanplans eine gewisse Gefahr. Man würde die Vereinigten Staaten verstimmen, sagt Dr. Baade, und würde damit die Bewilligung weiterer Mittel für die Marshallplanhilfe gefährden. Dr. Baade glaubt, daß die Situation verfahren sei, und meint deshalb, daß wir innenpolitisch und auch außenpolitisch aus der Sackgasse herauskommen müssen. So denken auch viele Gewerkschaftsführer und viele Menschen im Wirtschaftsleben, auch wenn sie nicht der Regierungsmehrheit angehören.
Dann etwas über den Schumanplan selbst von unserm Standpunkt aus. Der Schumanplan will für Kohle und Stahl auf der Grundlage einer internationalen Arbeitsteilung einen größeren europäischen Markt schaffen und durch Rationalisierung die Kosten für Erzeugung und Verteilung wesentlich senken. Der gemeinsame Markt — das ist heute auch vom Herrn Bundeskanzler festgestellt worden — wird über 167 Millionen Menschen in Westeuropa umfassen und wird nicht nur der Kohle- und der Stahlindustrie, sondern auch ihren Zulieferanten und Abnehmern, dem Handel und Verkehr neuen Aufschwung geben. Zölle und Handelsbeschränkungen werden entfallen, und es darf auch nicht übersehen werden, daß die Facharbeiter die Möglichkeit haben werden sich ganz nach ihrem Wissen in den Arbeitsprozeß einzuschalten.
Außer dieser wirtschaftlichen hat der Schumanplan eine ungeheure politische Bedeutung, die wir nicht übersehen dürfen. Er soll nicht nur ein Friedensinstrument zur Sicherung des Friedens mit Frankreich sein, sondern auch des Friedens in Europa überhaupt.
Nie war die Sehnsucht nach der Sicherung eines dauernden Friedenszustandes zwischen den westlichen Völkern Europas stärker als heute. Auch wenn es in Korea Frieden geben sollte, ist 'die Gefahr, deren Drohung auf uns lastet, noch lange nicht gebannt. Heute ist nur die Frage offen: wie bestehen wir den jetzigen Weltkonflikt als Europäer? Die Not zwingt uns politisch und wirtschaftlich zur Gemeinschaft. Die einzige Chance liegt im Zusammenschluß der Interessen und der Kräfte vor allem im Wirtschaftlichen. Auch der Bundeskanzler hat es heute vormittag ausgeführt: Als Schuman vor einem Jahr mit seinem kühnen Plan hervortrat, konnte niemand darüber im. Zweifel sein, in welchem Verhältnis die deutschen Belastungen und Vorleistungen zu denen anderer Länder stehen würden. Eines aber war damals schon klar: daß der Schumanplan eine gesamteuropäische Arbeit auf weiteste Sicht bedeutet, an der wir trotz aller Vorbelastung als gleichberechtigte Partner teilnehmen können. Schon wenn das Ruhrstatut verschwinden sollte, wäre das ein Positivum des Schumanplans.
Wir dürfen aber auch, meine Frauen und Männer, nicht die Haupteinwände übersehen, die vom deutschen Standpunkt gegen die Beteiligung am Schumanplan mit Recht geltend gemacht werden. Der schwerstwiegende Einwand ist, daß wir die uns nach dem verlorenen Kriege von den Siegern auferlegten Bedingungen nun freiwillig annehmen wollen. Wir stehen deshalb vor der Frage, in welcher Richtung wir uns entscheiden sollen: entweder in der übernationalen, wie es viele wollen', oder aber in der rückläufigen, die auf Wiederherstellung unserer nationalen Unabhängigkeit abzielt; welche aber nach meiner Meinung nur in Etappen erkämpft werden kann. Wir billigen deshalb auch von unserem Standpunkt aus die Stellungnahme des Bundesrates im ersten Teil, in dem es heißt:
Der Bundesrat ist der Auffassung, daß vor der Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes eine verbindliche Zusage aller in Frage kommenden ausländischen Mächte darüber vorliegen muß, daß folgende besatzungsrechtlichen Institutionen und Bestimmungen:
a) Ruhrbehörde,
b) Alliierte Kohle- und Stahlkontrollgruppen,
c) Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde in Kohle- und Stahlwirtschaft,
d) Beschränkung der Stahlkapazität und Stahlproduktion
vollständig fortfallen.
Die Regierung muß alles daransetzen, daß sie von den in Betracht kommenden Mächten vor der Verabschiedung des Schumanplans bindende Zusagen erhält, die diese Forderungen erfüllen.
Eines' muß uns aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, klar sein: daß der Schumanplan nicht allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden darf, sosehr es wichtig erscheint. Wir müssen ihn überall von der politischen Seite betrachten und müssen den anderen Ländern beweisen, daß wir bereit sind, auch Opfer zu bringen, und müssen damit unsern Beitrag zum Frieden leisten. Wir wissen, daß sich alle westeuropäischen Länder darin einig sind, daß die Zukunft und Lebensfähigkeit Europas ohne 'Deutschland undenkbar ist und daß sie nur durch die Zusammenfassung aller produktiven Kräfte gesichert werden kann.
Trotz aller 'unserer Bedenken erkläre ich im Namen meiner Freunde, daß wir an der Beratung des Gesetzes über den Schumanplan aktiv und positiv mitarbeiten wollen, um ihn für 'Deutschland annehmbar zu gestalten. Eines aber spreche ich im Namen meiner Gruppe und meiner Partei ganz offen aus: In dieser ernsten Stunde kann es keine Interessen der Parteien oder Verbände .geben. Sie dürfen nicht stärker sein als die Sorge um die Zukunft unserer Jugend und unseres gemeinsamen Vaterlandes, das Deutschland heißt.