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ID0116102400

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    Deutscher Bundestag — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951 6497 161. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 6498A, 6559C Beschlußfassung des Deutschen Bundestags zum Gesetz über steuerliche Behandlung von Tabakerzeugnissen besonderer Eigenart 6498A Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen 6498A Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen . 6498A Zolltarifgesetz 6498A Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6498A Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts 6498B Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes 6498B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung PR Nr. 50/51 — Kohle — II/51 — zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr, Aachen und Niedersachsen sowie zur Sicherstellung der Deckung des Bedarfs an festen Brennstoffen 6498B Anfrage Nr. 198 der Abg. Strauß u. Gen. betr. Auslieferung deutscher Wertpapiere (Nrn. 2355, 2483 der Drucksachen) . . . 6498B Mitteilung der Bundesregierung betr. Beratung des Gesetzentwurfs über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft (Nr. 2450 der Drucksachen) 6498B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6498D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Nr. 2401 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Fortgang der Beratungen über den Gesetzentwurf betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 2484 der Drucksachen) 6499C zur Geschäftsordnung: von Thadden (DRP) 6498B zur Sache: Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6499C Dr. Henle (CDU) 6502B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 6510C Euler (FDP) 6521C Dr. Bertram (Z) 6525D Albers (CDU) 6532A Henßler (SPD) 6535A Dr. von Merkatz (DP) 6539D Dr. Seelos (BP) 6542B zur Geschäftsordnung: Arndt (SPD) 6545A zur Sache: Dr. Preusker (FDP) 6545B Reimann (KPD) 6547B Tichi (BHE-DG) 6552C Löfflad (WAV) 6553D Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6554C zur Geschäftsordnung: Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 6555B Erler (SPD) 6555B Strauß (CSU) 6555C Ewers (DP) 6555C Ollenhauer (SPD) 6555D zur Abstimmung: Mellies (SPD) 6556A Dr. Preusker (FDP) 6556A Ausschußüberweisungen 6556B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nrn. 2268, 2341, 2432, 2499 der Drucksachen) . 6556C Dr. Spiecker, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Berichterstatter 6556D Beschlußfassung 6557A Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nrn. 2130, 2316, 2433, 2501 der Drucksachen) 6557A Hoogen (CDU), Berichterstatter . . 6557A Beschlußfassung 6557B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Nrn. 2463 und zu 2463 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) 6557C Dr. Hammer (FDP), Berichterstatter 6557D Freidhof (SPD) 6558B Renner (KPD) 6558B, 6558D Abstimmungen 6558A, B Rückblick auf die zweijährige Tätigkeit des Deutschen Bundestags und Wünsche für die Parlamentsferien: Vizepräsident Dr. Schäfer 6559D Nächste Sitzung 6559D Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Helmut Bertram


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte sind eine Fülle von Gesichtspunkten vorgetragen worden, die auch schon in der Öffentlichkeit erörtert worden sind. Ein Gegensatzpaar jedoch, das meiner Ansicht nach von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung dieses Vertragswerkes ist, wurde bisher, soweit ich es verstanden habe, nicht herausgearbeitet. Das ist die Beurteilung der Statik dieses Vertragswerkes einerseits und die Beurteilung seiner Dynamik andererseits. Wenn man die gegenwärtige Situation der Eisen- und Stahlindustrie und der Kohleindustrie in den vertragschließenden Län-


    (Dr. Bertram)

    dern beurteilt und die Bestimmungen des Vertrages auf die gegenwärtige Situation anwendet, dann wird man zu dem Schluß kommen müssen: Tatsächlich sind die Nachteile für Deutschland so groß, daß es sich fragt, ob dieser Vertrag überhaupt angenommen werden könnte. -
    Von deutscher Seite sind eine ganze Reihe von Zahlungen zu leisten: direkter Art die Ausgleichszahlungen und die Investitionshilfe, indirekter Art dadurch, daß wir nicht den vollen Exportpreis für unsere Kohle erhalten, wie er auf dem Weltmarkt üblich ist, sondern einen geringeren Preis, den Preis des zu schaffenden einheitlichen Marktes. Aber diese Zahlungen, die nach oberflächlicher Schätzung einen Betrag von 250 Millionen DM im Jahre ausmachen können, natürlich unter Berücksichtigung der derzeitigen Weltmarktpreise für amerikanische Kohle, können auf der anderen Seite auch uns zugute kommen.
    Was zunächst die Investitionshilfe anlangt, so kann man annehmen, daß ein ganz großer Teil Deutschland wieder zufließen wird. Im Gegenteil, man kann sogar hoffen, daß ein Teil der Investitionshilfe, die die anderen Länder aufzubringen haben, nach Deutschland fließen wird. Nach den Grundgedanken des Plans wird doch die standortgünstigste Industrie auch entsprechend ihrem Nachholebedarf begünstigt werden müssen. Wir haben in Deutschland durch den Zusammenfluß von Ruhr und Rhein und die Möglichkeit der billigen Heranführung von Erz nicht nur Standortvorteile; wir haben auch dadurch, daß die Betriebe einen erheblichen Reparaturbedarf haben, der schnell eine gewaltige Steigerung unserer Produktion erreichen läßt, die günstigsten Voraussetzungen für die Produktionssteigerung. So ist mir der Fall einer Zeche bekannt, in der es durch die Investierung von 11/2 Millionen DM und durch die damit mögliche Erbauung einer Waschkaue ohne weiteres möglich sein wird, eine 20prozentige Produktionssteigerung zu erzielen. Das sind Fälle, wie sie wahrscheinlich in der vergleichbaren Industrie des europäischen Auslandes nicht vorkommen.
    Die Frage der derzeitigen Weltmarktpreise ist, so kritisch sie scheint, vielleicht doch nicht so kritisch, weil wir in der Lage sind, unsere eigenen Kohlenpreise vor Inkrafttreten des Vertragswerks entsprechend anzuheben, so daß auch hier die Differenzen gegenüber dem Weltmarktpreis erheblich geringer werden können und auf der anderen Seite die Erlöse der gesamten Kohlewirtschaft entsprechend gehoben werden können. Nichts hindert uns daran, noch vor Inkrafttreten des Schumanplans entsprechend zu verfahren.
    Bei den Ausgleichszahlungen ist es volkswirtschaftlich so, daß anscheinend das arme Deutschland das reiche Belgien subventioniert. Aber tatsächlich werden wir, auf die Dauer gesehen, dafür auch den belgischen Markt bevorzugt für unsere Kohlenlieferungen eröffnet erhalten, eine Bevorzugung auch gegenüber der englischen Kohleindustrie und vielleicht auch gegenüber polnischen Kohlenlieferungen, und niemand weiß, wie sich die Verhältnisse auf dem Kohlemarkt in Zukunft entwickeln werden.
    Alle diese Abmachungen sind natürlich Wechsel auf die Zukunft, und wir wissen nicht, wie sie sich einmal auszahlen werden. Die Beträge als solche sind aber nicht derart, daß deshalb etwa das Vertragswerk abgelehnt werden müßte. Wir haben uns ferner zu einer ganzen Reihe von Lieferungen und sonstigen Leistungen verpflichtet. Wir werden in dem Vertragswerk verpflichtet, nach den Weisungen der Hohen Behörde unsere Kohle zu liefern. Aber, meine Damen und Herren, wird sich viel an dem gegenwärtigen Zustand ändern? Es ist doch so, daß die derzeitigen Lieferungen an die ausländische, an die französisch-belgische und an die luxemburgische Industrie für die deutsche Industrie ebenso lebensnotwendig wären. Die Mangellage, die Knappheitserscheinungen zeigen sich zum mindesten seit dem Ausbruch der Koreakrise auf allen diesen Märkten. Wenn man davon ausgeht, wird man kaum zu dem Schluß kommen können, daß sich zunächst unter der Herrschaft des Schumanplans eine wesentliche Änderung gegenüber der Handhabung unter der Herrschaft der Moskauer Kohlenklausel oder der Herrschaft der Ruhrbehörde ergeben würde. Ich möchte darauf hinweisen, daß das keine Verschlechterung ist, die uns der Schumanplan bringt, sondern es handelt sich um eine Auswirkung der Verhältnisse, wie sie sich durch die allgemeine politische und wirtschaftliche Situation in den europäischen Nachkriegsverhältnissen zwangsläufig ergeben haben.
    Rein theoretisch könnte man sagen: Wenn jetzt der Schumanplan in Kraft tritt, muß sich sofort eine Verbesserung ergeben. Denn bisher wurde uns befohlen, welche Exportkohlemengen wir abzugeben haben. In Zukunft sollen wir es frei vereinbaren. Aber wer so rechnet, rechnet doch mit unvergleichbaren Größen. Die Tatsachen bestehen darin, daß die Stahlindustrie der mit uns demnächst verbundenen Länder von unseren Kokskohle-Lieferungen abhängig ist und daß wir diese KokskohleLieferungen nicht einstellen können.
    Ein Weg zur Besserung der Situation führt tatsächlich nur über eine Steigerung der Kohleproduktion. Diese Steigerung ist auch an zahlreichen Stellen in Deutschland möglich, wenn die finanzielle Situation der deutschen Kohleindustrie gebessert wird. Wenn die Erlöse besser werden und wenn vor allem entsprechende Mittel zur Investierung zur Verfügung stehen, kann die gesamte Kohleproduktion gesteigert werden, und aus der Steigerung heraus kann sich für uns ein Vorteil auch auf dem Kohlesektor ergeben und wird sich ergeben. An der gegenwärtigen Situation wird sich, soweit ich die Dinge übersehe, sofort nicht viel ändern.
    Betrachten wir auf der anderen Seite die Situation auf dem Stahlmarkt. Ich glaube kaum, daß die anderen Stahlwerke etwa an deutsche Eisenverarbeiter in Zukunft, jedenfalls in der nächsten Zeit, Eisen- und Stahlmaterial abzugeben geneigt sind. Auch wenn keine Diskriminierung mehr vorkommt, auch wenn eine Diskriminierung nach dem Plan unterbleibt, wird trotzdem jeder Erzeuger am liebsten an die traditionellen Käufer liefern und ohne Not nicht von seinen traditionellen Handelswegen abgehen. Da es sich aber um einen einheitlichen Preis handelt, ist nicht anzunehmen, daß sich auf diesem Sektor sowohl zu unseren Gunsten oder zu unseren Lasten etwas ändern wird. Es ist auch nicht anzunehmen, daß etwa deutsche Lieferwerke an ausländische Verarbeiter zusätzliche Mengen liefern werden. Unter der Herrschaft des Planes ist also auf diesem Gebiet zunächst eine Änderung nicht zu erwarten.
    Bei Edelstahl ist die Situation für uns vielleicht etwas günstiger. Gerade in Deutschland ist die Situation sowohl hinsichtlich der Kapazität als auch hinsichtlich der Erzeugungskosten besser als in den anderen Ländern.
    Bei Schrott wird sich eine Kalamität nicht vermeiden lassen. Die Situation ist hier in Deutschland deshalb besonders ungünstig, weil wir infolge


    (Dr. Bertram)

    der Zerstörungen ein wesentlich höheres Schrottangebot haben, als wir es unter normalen Umständen haben 'würden. Unter normalen Umständen entfällt ein bestimmter Anteil des Schrotts auf Neuschrott aus der Walzwerkserzeugung und Eisenverarbeitung und ein bestimmter Anteil auf Altschrott. Bei uns in Deutschland ist dieses Verhältnis völlig verschoben. Unsere Eisensparkasse — so nennt man den Altschrott, der regelmäßig in der Volkswirtschaft anfällt — wird infolge der Kriegszerstörungen über Gebühr angezapft. Der Schrott, der von uns in die anderen Länder geht, bedeutet für uns einen dauernden Eisenverlust. Aber dieser Verlust hat sich schon in den letzten Jahren immer wieder ergeben und wird fortlaufend geringer werden, weil die aus den Zerstörungen anfallenden Schrottmengen bald abgebaut werden und damit die besonders ungünstige statistische Ausgangslage für Deutschland sich von selber bessern wird.

    (Zuruf rechts: Hoffentlich!)

    — Das ist natürlich eine Hoffnung, dürfte aber doch den gegebenen Tatsachen weitgehend entsprechen.
    Ich darf ferner auf die Leistungen eingehen, die w i r zu bewirken haben. So sollen wir zunächst die Zölle und alle Mengenbeschränkungen auf dem Gebiete von Stahl und Kohle aufheben. Diese Leistung ist für uns kein Opfer. Sie ist allerdings wahrscheinlich auch für die anderen kein Opfer, weil die zur Zeit herrschende Knappheit einen wirklich echten gemeinsamen Markt noch gar nicht erwarten läßt. Der Markt wird in der nächsten Zeit so beengt bleiben, wie er zur Zeit ist. Die Aufhebung von Zoll- und Quantitätsbestimmungen auf diesem Gebiete hat keine entscheidende Bedeutung.
    Zur Frage der Aufhebung der Verbundwirtschaft ist zu sagen, daß die Verbundwirtschaft, abgesehen davon, daß ja 75 % der verbrauchten Kohle in eigenen Zechen erzeugt werden kann, technisch erlaubt bleibt und nur eine andere kaufmännische Verrechnungsmethode eingeführt werden müßte. Wenn weiter unser Opfer darin gesehen wird, daß wir die Konzerne auflösen und daß wir insbesondere nicht berechtigt sind, die Konzerne wieder aufzubauen, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß gerade in Deutschland zum Unterschied von den belgischen Betrieben die Konzerne sich insbesondere weitgehend in die Eisenverarbeitung hineinbegeben hatten. In Belgien gibt es, wie Ihnen bekannt sein wird, im wesentlichen die reinen Walzwerke, denen keine Eisenverarbeiter angegliedert sind. Aus der Eisenverarbeitung, die sich die deutschen Konzerne insbesondere 1929 mit Hilfe der Reparationsgelder, die damals aus Amerika zu uns einströmten, angelegt haben, hat unsere eisenschaffende Industrie zusätzliche Gewinne gezogen, die ihr strukturell nicht zustanden, sondern die ihr eben nur dadurch zuflossen, daß sie durch die ausländischen Kapitalien in der Lage war, sich diese Eisenverarbeitung zuzulegen. Ich sehe keinerlei Grund, weshalb wir darüber böse sein sollten, daß diese Eisenverarbeitung von der eisenschaffenden Industrie getrennt wird. Es wird in der Öffentlichkeit immer so getan, als sei das ein großes deutsches Opfer. Es ist nichts anderes als eine Angleichung an die Verhältnisse auf diesem Markt in den anderen europäischen Ländern und gleichzeitig die Förderung einer gesunderen deutschen Industriestruktur.
    Ferner wird als deutsches Opfer die Aufgabe der gemeinschaftlichen Verkaufsorganisation angesehen.
    Hier liegt tatsächlich eine echte und sehr schwierige Problematik vor. Die Franzosen haben ihre Kohleindustrie sozialisiert und haben deshalb eine einheitliche Verkaufsorganisation. Wir sollen in Zukunft eine solche einheitliche Organisation nicht mehr haben dürfen. Die Verhandlungen darüber sind noch nicht abgeschlossen. Ich glaube kaum, daß die Verhandlungen völlig ohne Erfolg bleiben werden. Nach dem, was wir gehört haben, ist jedenfalls damit zu rechnen, daß irgendeine Art gemeinschaftlichen Verkaufs erfolgen wird. Wir dürfen auf der anderen Seite nicht verkennen, daß der gemeinschaftliche deutsche Kohleverkauf sich nicht nur gegenüber dem Inland, sondern auch gegenüber dem Ausland auswirkt. Der Ausländer sieht hier eine zentrale Stelle gewaltiger wirtschaftlicher und damit auch politischer Macht. Sie müssen bedenken, daß praktisch nur von Deutschland Kohle in die Gemeinschaftsländer exportiert werden kann und daß, wenn nur e i n Verkäufer da ist, die Käufer in allen anderen Ländern fürchten, in eine große Abhängigkeit zu geraten. Man wird deshalb den Wunsch der anderen Teilnehmerländer verstehen können und für eine solche ins Auge gefaßte Kompromißlösung Verständnis haben.
    Wenn endlich von uns ein Verbot der Fremdfinanzierung für alle neu zu errichtenden Stahl- und Kohlewerke und für eine Erweiterung dieser Betriebe verlangt wird, so ist dieses Verbot der Fremdfinanzierung doch meiner Ansicht nach wirklich kein Opfer für Deutschland. Wir versuchen in Deutschland händeringend fremd zu finanzieren. Wir versuchen, von Amerika Gelder zu bekommen. Minister Erhard hat uns schon vor Jahren etwas derartiges versprochen. Alle Bemühungen um Zuführung von Fremdmitteln in die Grundstoffindustrie sind mit Ausnahme von unwichtigen Beträgen als völlig gescheitert anzusehen. Wenn man uns also verbietet, ohne Genehmigung der Hohen Behörde fremd zu finanzieren, so ist das für uns kein Opfer, weil es tatsächlich nichts anderes bedeutet als eine Fortsetzung des bestehenden Zustandes. Die Selbstfinanzierung bleibt ja erlaubt.
    Dann kommt hinzu: es ist in Zukunft für Deutschland nicht verboten, fremd zu finanzieren, sondern wir bedürfen nur der Genehmigung der Hohen Behörde; und die Hohe Behörde ist nach den Grundsätzen des Planes verpflichtet, die Mittel entsprechend der besten Ergiebigkeit der Produktionen zu verteilen, wenn einmal Mittel da sein werden. Wenn wir überlegen, wo die höchste Ergiebigkeit der Produktion erreicht wird, so kommt hier praktisch auf dem Kohlesektor nur die deutsche Industrie und auf dem Eisen- und Stahlsektor doch fast ausschließlich die deutsche Industrie in Frage. Die italienische Industrie mußte in den Übergangsbestimmungen einen zusätzlichen Schutz für sich in Anspruch nehmen, weil sie bei den heutigen Knappheitserscheinungen nicht einmal glaubt existieren zu können, und weil sie glaubt selbst bei den heutigen überhöhten Preisen ohne besondere Übergangsvorschrift überhaupt nicht fortbestehen zu können. Das beweist doch deutlich, daß, wenn die Hohe Behörde ihren Aufgaben entsprechend verfährt, diese Investitionsmittel nach Deutschland gelegt werden müssen, wenn überhaupt solche Mittel zur Verfügung stehen werden.
    Dann wird weiter eingewandt, es sei ein Opfer für Deutschland, daß wir uns für 50 Jahre verpflichten. Meine Damen und Herren, die Investierung in der Grundstoffindustrie, die heute durchgeführt wird, wird vielleicht in drei Jahren einen Ertrag abwerfen. Wenn sich also irgendeiner


    (Dr. Bertram)

    der vertragschließenden Staaten damit einverstanden erklären soll, daß in Deutschland große Mittel investiert werden, dann würde bei einer Vertragsdauer von fünf Jahren die Investition gerade beendet sein, ohne daß bisher überhaupt irgend etwas aus den Werken geliefert worden wäre. Und dann würde der Vertrag zu Ende sein. Man kann doch keinem anderen Staat zumuten, mit uns einen so törichten Vertrag zu schließen. Deshalb ist diese Forderung, statt 50 5 Jahre zu sagen, vielleicht für einen Käseladen berechtigt, aber nicht für die eisenschaffende und Kohleindustrie.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Das sind die Bedenken, die man bei statischer Betrachtungsweise dieses ganzen Planes haben muß. Sie scheinen teilweise juristisch oder wirtschaftlich zunächst ein schweres Gewicht zu haben, wiegen aber — und das ist meiner Ansicht nach das Entscheidende — gering gegenüber den dynamischen Kräften, die in diesem Plan drinstecken. Diese nicht futuristischen, sondern dynamischen Kräfte werden sich entweder — und das ist meine Behauptung — sehr schnell auswirken und dem Plan volles Leben verleihen oder sie werden sehr schnell zu einem völligen Scheitern des Planes führen. Deshalb sind diese Fragen der Dynamik hier doch die entscheidenden.
    Zunächst zu dem Argument, die Zergliederung der Kompetenzen führe zur Anarchie. Das ist ja vollkommen richtig, wenn wir nichts anderes tun, als diesen Plan und die Verteilung der Staatsgewalt in den einzelnen Staaten ins Auge fassen. Dann kann man mit Recht oder jedenfalls begründet die Behauptung aufstellen, daß eine solche Zergliederung zur Anarchie oder aber zum Gesamtzusammenschluß führe. So etwas kann nicht stabil bleiben. Solche Organisation hat keine innere Stabilität, sie führt notwendigerweise entweder zu einer Erweiterung, oder sie muß dazu führen, daß sie sich als solche nicht halten kann.
    Diese Tendenz zur sachlichen Ausdehnung ergibt sich zunächst bei der Eisenverarbeitung. Es ist ganz selbstverständlich, daß dann, wenn alle Eisenverarbeiter gleiche Startbedingungen haben und der Markt auch wirklich einigermaßen mit Material befriedigt werden kann, was nach Durchführung der notwendigen Investitionen möglich sein wird, der Protektionismus der einzelnen Handelsabteilungen der betreffenden Regierungen ungleich viel kleiner und viel schwieriger wird, als der Protektionismus heute ist, wo jede noch so unrentable nationale Produktion unter der Fahne des nationalen Interesses subventioniert und geschützt wird. Dieser Protektionismus wird nämlich deshalb so viel schwieriger, weil vergleichbare Startbedingungen da sind und man jederzeit dem Vertragsstaat mitteilen kann: Dein Industriezweig, der beispielsweise Solinger Messerwaren herstellt, arbeitet trotz gleicher Startbedingungen um soundso viel teurer; unterlaßt also bitte den Schutz hier. Der Protektionismus wird von sich aus geringer, und Zölle werden weniger leicht zu halten sein.
    Aber auch die Preise werden zum Weltmarktpreis hin tendieren. Der Ausgleich der Handelsbilanz muß so oder so erfolgen. Wenn ein Land in diesem Gremium, beispielsweise Deutschland, über das Maß dessen, was von ihm verlangt werden kann, einbringt und leistet, dann muß sich das sofort in Störungen der Devisenbilanz niederschlagen. Da in dem Vertragswerk ausdrücklich die Devisenwirtschaft ausgenommen und als nationales Hoheitsrecht vorbehalten ist, müßten
    sich irgendwelche Überleistungen eines Landes in nicht zu behebenden Devisenschwierigkeiten niederschlagen, wie wir es ja jetzt bei der OEEC gesehen haben. Wenn sich nicht wirklich alle Vertragsländer auf Zusammenarbeit in den übrigen Zweigen des Handelsverkehrs einstellten, müßte es sich sofort in der Devisenbilanz zeigen, daß hier etwas nicht in Ordnung ist.
    Der Nachteil der Ausfuhr des Rohstoffes Kohle, den man vielfach bemängelt, indem man sagt, wir sollten nur verarbeitete, veredelte Produkte ausführen, wird im wesentlichen dadurch ausgeglichen, daß wir j a unter der Voraussetzung, daß die Preisgestaltung gerecht geworden sein wird, auch eine volle Gegenleistung in der Form von Rohstoffen, Erzen und Stahlveredelungsprodukten aus den nordafrikanischen Kolonien erhalten. Es ist nicht so, als gäben wir nur Rohstoffe her und bekämen nur verarbeitete Produkte zurück. Nein, wir bekommen auch Rohstoffe, die für die ganze Welt knapp sind, zurück.
    Der gemeinsame Markt kann unter diesen Auspizien von erheblicher Bedeutung werden für die nachfolgenden Industrien. Von deutscher Seite ist ja auch versucht worden, den Plan schon gleich auf die Eisenverarbeitung auszudehnen. Leider ist dieses Projekt zunächst gescheitert, aber in der Tendenz des ganzen Planes liegt notwendigerweise die Ausdehnung auf weitere Gewerbezweige.
    Eine entscheidende Vorfrage des Planes überhaupt liegt natürlich im folgenden: Wenn der Stahlverbrauch in allen europäischen Ländern nicht gesteigert wird, nützt uns auch eine Steigerung der Stahl- und Kohlenerzeugung nichts. Die Steigerung des Stahlverbrauchs ist aber wieder eine Folge des Wohlstandes der Nationen. Es ist nicht so, als wenn mit der Steigerung der Stahlerzeugung auch der Wohlstand stiege, sondern umgekehrt, die Stahlerzeugung und die Kohlenerzeugung müssen steigen, wenn der Gesamtwohlstand sich erhöht. Wenn jede Familie über einen Kühlschrank, ein Auto und ein Eigenheim verfügt, so hat das einen entsprechend höheren Stahlverbrauch zur Folge. Die Wirtschaftspolitik muß also das Ziel haben, den allgemeinen Wohlstand zu heben und dadurch auch den Stahlverbrauch auf das amerikanische Maß zu steigern.
    Die größte Hoffnung, die wir auf wirtschaftlichem Gebiete haben und meiner Ansicht nach mit Recht haben können, ist die Hoffnung auf amerikanische Investitionsgelder. Die Amerikaner haben erhebliche Mengen von Dollars in der französischen Stahlindustrie investiert. Sie würden das wahrscheinlich auch in der deutschen Industrie tun, wenn ihr Zutrauen zu unseren politischen Verhältnissen nicht so gering wäre. Bei einem Zusammenschluß der europäischen Vertragsstaaten des Schumanplans aber haben sie das Vertrauen, daß sich entsprechende Investierungen auch lohnen. Der Begeisterungssturm, der beim Abschluß der Pariser Schumanplanverhandlungen in Amerika getobt hat, ist nicht deshalb ausgebrochen, weil die Amerikaner ihre Dollars, die sie über den Monnetplan in Frankreich investiert haben, nunmehr als gerettet ,angesehen haben. Eine solche Theorie, wie sie eben vorgetragen wurde, geht an der Wirklichkeit völlig vorbei. Die Begeisterung ist deshalb ausgebrochen, weil die Amerikaner gesehen haben, daß die alten Europäer jetzt etwas Kühnes und Neues unternommen haben, dem sie hoffen helfen zu können und in dem sie einen Bundesgenossen im Kampf der freien Welt gegen den Kommunis-


    (Dr. Bertram)

    mus zu finden hoffen. Der Begeisterungssturm resultiert also nicht aus irgendwelchen kleinlichen Motiven wie etwa dem, daß die amerikanischen Interessen in Frankreich nunmehr besser geschützt seien.
    Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß für die Innehaltung der Investitionsrichtlinien des Schumanplans ein Rechtsweg bestehe, und zwar unter dem Gesichtspunkt der besten Ergiebigkeit. Ich sage Ihnen ganz, offen, daß ich von diesem Rechtsweg, so sehr er auch durchkonstruiert ist, nicht allzuviel halte. Wenn nicht das Gewicht der wirtschaftlichen Tatsachen die Hohe Behörde dazu zwingt, sich in ihren Maßnahmen so einzustellen, daß die investierten Gelder tatsächlich den besten Ertrag bringen, dann wird auch kein Gericht, das die Dinge j a erst sehr viel später überprüft, einmal fehlgeleitete Investitionen wieder zurückleiten und einmal gemachte Fehler wieder gutmachen können. Es kommt also gar nicht so sehr auf die Frage an, ob die Richter, wie Herr Professor Schmid eben vortrug, den nötigen Maßstab an den Vertrag anlegen bzw. ob sie als Menschen dieser Aufgabe gewachsen sind. Das ganze Gericht wird nicht die Bedeutung haben, die wir ihm beizumessen geneigt sind. Seine eigentliche Bedeutung wird in der inneren Kraft der Idee, der Integration von Stahl und Kohle liegen. Das ist die Sicherheit, die die Gewähr dafür bietet, daß die investierten Gelder auch an die richtige Stelle fließen. Die Überprüfung durch ein Gericht kann uns keine oder jedenfalls nur eine geringe Sicherheit bieten.
    Meine Damen und Herren! Würden, wie uns wiederholt in Aussicht gestellt worden ist, amerikanische Investitionsgelder in dem Maße nach Deutschland oder überhaupt in den Bereich des Schumanplangebietes fließen, wie es vorgesehen ist, dann würde in Deutschland auch ein Ziel erreichbar sein, das wir jetzt vergeblich zu erreichen suchen, nämlich die Vollbeschäftigung. Wir alle wissen, daß die Erreichung der Vollbeschäftigung entscheidend daran scheitert, daß die Engpässe es uns nicht gestatten, die in den verarbeitenden Industrien vorhandenen Kapazitäten auszunutzen. Wir haben in Deutschland in der verarbeitenden Industrie j a eine erheblich größere Kapazität als in der eisenschaffenden Industrie und in der Kohleindustrie. Wird dieser Engpaß beseitigt, dann wird es auch möglich sein, unseren Produktionsindex wenigstens auf den Stand zu heben, den die anderen Vertragsstaaten schon erreicht haben. Frankreich liegt mit seinem .Produktionsindex ebenso wie Belgien noch weit über dem deutschen. Dieser höhere Produktionsindex der Vertragsstaaten muß sich auf dem Wege über den Schumanplan und die nach Deutschland einströmenden Gelder zwangsläufig auch auf das deutsche Wirtschaftsgebiet auswirken. Damit würde das größte Hindernis, das einer Vollbeschäftigung in Deutschland durch den Engpaß in der eisenschaffenden Industrie und in der Kohlenindustrie bisher entgegengestanden hat, beseitigt sein.
    Auf der andern Seite ist der Aufbau der Hohen Behörde sehr ungewöhnlich. Die Hohe Behörde besteht aus einem Gremium von neun Personen, das, wie man gesagt hat, einen quasi autoritären Charakter hat. Aber, meine Damen und Herren, ist es denn irgendwo im Geschäftsleben anders? Ist es irgendwo im Staatsleben anders? Hat nicht auch die Exekutive einen quasi autoritären Charakter? Wir haben doch selbst in unserem Grundgesetz die Bestimmung, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Wenn man diesen Satz in das Statut der Hohen Behörde hineinschriebe, würde man mit Recht sagen können, die Hohe Behörde habe einen quasi autoritären Charakter. Die Hohe Behörde ist eben nicht mit einem Parlament zu vergleichen, sondern nur mit einer Geschäftsleitung oder, wenn Sie so wollen, mit einer Regierung. Deshalb gehen diese Argumente meiner Ansicht nach ins Leere. Denn in, dieser Behörde muß eine -klare und schnelle Entscheidungsbefugnis verankert sein. Sonst kann sie überhaupt nicht funktionieren. Daß die Überwachung der Hohen Behörde durch parlamentarische Körperschaften nur höchst mangelhaft ist, wissen wir alle. Aber auf der andern Seite ist es zwar so, daß das geregelte Marktgebiet wichtige Auswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft haben kann, daß dieses geregelte Marktgebiet aber doch nicht von einem kompletten parlamentarischen Körper kontrolliert und überwacht werden kann, wie das bei einem Parlament möglich ist, das sämtliche Gebiete, die in einem Volke von Wichtigkeit sind, zu überwachen hat. Wir können doch nicht ein volles Parlament nur für Stahlinteressen errichten. Das wäre so, als wenn wir hier Ausschüsse hätten, die nur aus Stahlinteressenten zusammengesetzt wären. Solche Parlamente würden sicherlich auch ihren Aufgaben nicht gerecht werden können, und zwar schon nicht wegen der Einseitigkeit der Aufgaben, mit denen sie belastet wären.
    Deshalb begrüßen wir auf der andern Seite den starken Einfluß, den die Verbraucher und die Gewerkschaften in der gemeinsamen Versammlung, im beratenden Ausschuß bekommen haben. Der Einfluß der Parlamente in der gemeinsamen Versammlung braucht ja nicht so gering zu sein, wie er im Europarat ist. Der Europarat hat ja infolge seiner fehlerhaften Konstruktion wirklich nichts zu sagen. Die gemeinsame Versammlung hat zwar wenig zu sagen; sie hat aber nicht nichts zu sagen. Sie hat unmittelbare Entscheidungsmöglichkeiten, und solche unmittelbaren Entscheidungsmöglichkeiten gewähren auch in jedem Falle einen direkten politischen Einfluß. Deshalb ist es richtig, daß dieses Organ der gemeinsamen Versammlung geschaffen worden ist.
    Die echte Überstaatlichkeit, die in diesem Vertragswerk vorhanden ist, kann die Quelle zu einem föderalen Aufbau ganz Europas werden. Es ist hier eben auf den Zollverein hingewiesen worden. Dort hat man auch den richtigen Weg gewählt. Man hat eine Funktion des Staatslebens vereinigt und hat diese Sache aus der Vereinigung einer Funktion heraus langsam auf weitere Funktionen wachsen lassen. Hinterher ist man dazu gekommen, daß damit die gesamte Region ausgefüllt worden war. Einen andern Weg kann man gar nicht gehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Gerade der Europarat beweist uns ja, daß der Zusammenschluß von Regionen ohne übergeordnete Gewalt mit Entscheidungsbefugnis in eine Sackgasse führt und uns einer Lösung des uns allen am Herzen liegenden Problems des föderalen Aufbaus einer europäischen Föderation nicht näher bringt. Es ist deshalb auch nicht richtig, daß man sagt: wir verzichten auf Souveränitätsrechte. Hier wird nicht verzichtet, sondern hier werden Souveränitätsrechte koordiniert. Es ist ein ganz gewaltiger Unterschied, ob wir unsere Stahlwerke jetzt auf einen Waggon laden, um mal wirklich bildlich zu sprechen, und sie nach Frankreich transportieren oder ob wir weiter produzieren und weiter


    (Dr. Bertram)

    die Ergebnisse unserer Arbeit benutzen und verarbeiten und uns nur in unseren Entscheidungen zunächst mit anderen Mächten beraten. Wenn dann eine freiwillige Einigung der Erzeuger und Verbraucher nicht zustande kommt, so ist doch die Konstruktion des Planes, dann einer dritten übergeordneten Stelle eine Entscheidungsbefugnis zu geben, letzten Endes etwas ganz anderes, als wenn man auf etwas verzichtet. Dann hat man nicht weniger als vorher, sondern man hat mehr als vorher, weil man auch eine Einflußmöglichkeit auf die Industrien der anderen hat. Eine Zusammenlegung kann man deshalb nicht gut als einen Verzicht auf Souveränitätsrechte bezeichnen.
    Die Frage, die für das Funktionieren des Planes von besonderer Bedeutung sein wird, ist die Arbeiterfrage, die Bergarbeiterfrage in Deutschland. Wir wissen ja alle, daß wir laufend Abgänge von Bergarbeitern haben, die aus den Kohlengruben abwandern. Die Lebensbedingungen der Bergarbeiter sind einfach noch nicht ausreichend; man kann sagen: sie sind häufig auch noch viel zu schlecht. Wenn die Bergarbeiter heute noch in Massenquartieren leben müssen, wenn sie ihre Familien nicht zu sich holen können, dann kann man es wirklich keinem Menschen verübeln, daß er abwandert und sich dort aufhält, wo er mit seiner ganzen Familie zusammenleben kann. Das ist das primitivste Recht, das jeder hat: mit seiner Familie zusammenzuleben.
    Deshalb wird es von besonderer Bedeutung sein, im Ruhrbergbau Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, die eine Arbeit irr diesem Gebiet für den deutschen Arbeiter anziehend machen. Nur dann werden wir überhaupt die Möglichkeit haben, die gemachten Investitionen auch auszunutzen. Nur dann, wenn der deutsche Arbeiter freiwillig bereit ist, die Anlagen, 'die von anderer Seite bei uns finanziert werden sollen, mit seiner Hände Arbeit in Betrieb zu setzen, wird der ganze Schumanplan überhaupt funktionieren können.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Diese Voraussetzung sollten wir nie aus dem Auge verlieren. Ich glaube auch, daß die Hohe Behörde diese Voraussetzung nie aus dem Auge verlieren wird; sie wird sich deshalb in ihren Maßnahmen schon weitgehend danach zu richten haben.
    Es ist darauf hingewiesen worden, daß wir der Hohen Behörde Kartellrechte geben. Es wurde- von Herrn Dr. Henle gesagt, der nationale Egoismus sei ein Überbleibsel. — Ich bin nun ganz anderer Ansicht. Ich bin der Ansicht: der nationale Egoismus ist in Europa so stark wie nur eh und je, und wir haben alle Mittel der Überredung, aber auch der realen politischen Macht nötig, um mit diesem nationalen Egoismus fertig zu werden. Und welches bessere Instrument gibt es gegen den nationalen Egoismus als die erprobten Mittel der internationalen Kartellpolitik? Sie haben ja schon einmal funktioniert, sie haben in der Internationalen Rohstahlgemeinschaft funktioniert, sie haben in der IWCO funktioniert. Ob sie gut funktionierten, ist eine zweite Frage, sie haben jedenfalls funktioniert in Richtung der Brechung nationaler Widerstände.
    Ich sage deshalb: daß als Mittel der Hohen Behörde die Mittel in den Vertrag eingebaut worden sind, die traditionell den Kartellen zustehen, wird man als den überhaupt einzigen Weg ansehen müssen. Ich wüßte jedenfalls keinen anderen Weg, um mit den nationalen Widerständen fertig zu werden. Wenn sich heute die französische Stahlindustrie gegen diese Bestimmungen wehrt, so weiß sie natürlich auch ganz genau, warum sie sich gegen sie wehrt. Sie fühlt sich eben nicht so leistungsfähig, wie sich die deutsche Industrie fühlen kann. Der wesentliche Unterschied ist aber der, daß diese Kartellgesetzgebung nicht auf einen Abstimmungsmodus nach Quoten, nicht auf die üblichen kurzfristigen Zeiträume abgestellt worden ist, sondern daß diese Kartellmittel Hoheitsmittel in der Hand einer unabhängigen Behörde sind.
    Deshalb ist es auch unrichtig zu sagen, diese unabhängige Behörde müßte nach dem Schwergewicht der Produktion zusammengesetzt sein. Nichts könnte falscher sein als das. Wir würden j a laufend die Zusammensetzung ändern müssen, je nach dem, wie sich die Produktion entwickelte, und jeder einzelne Staat würde wieder ein Interesse daran haben, seine Produktion zu bevorzugen, um auf diese Art und Weise in der Hohen Behörde eine stärkere Stimmberechtigung zu bekommen. Es kann also nur das Gegenteil zu einem Erfolg führen, nämlich die Hohe Behörde nach Maßstäben zusammenzusetzen, die man der Bevölkerungszahl, der Landesgröße usw. entnimmt, jedenfalls nach Maßstäben, die sich nicht nach der Größe der nationalen Produktion richten. Ich glaube deshalb, daß man diesen Vorwurf dem Organismus nicht mit Recht machen kann.
    Es ist ferner darauf hingewiesen worden, daß es so außerordentlich bedauerlich sei, daß England und die skandinavischen Länder ausgeschlossen seien. Einmal: ausgeschlossen sind sie j a nicht, und zum zweiten: wenn Sie daran denken, daß im britischen Empire nicht nur in England selbst Stahl erzeugt wird, sondern auch in Südafrika, in Indien — wenn es auch nicht unmittelbar zum britischen Empire gehört — und in Australien, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, daß es für England einen ganz anderen Entschluß bedeutet, sich einer solchen kontinental-europäischen Stahlunion anzuschließen, als für irgendein anderes Land, das nur seine Stahlproduktion, seine eigene Region einzubringen hat. England muß ja berücksichtigen, wie sich ein Anschluß auf seine ganze Weltlage, auf seine weltpolitischen Beziehungen auswirkte. Wenn also gesagt wird, wir schlössen England aus, so liegt doch bei England ein ganz natürliches selbständiges Interessengebiet vor, ähnlich wie das selbständige Interessengebiet der kontinental-europäischen Länder. Aber daraus braucht sich kein Gegensatz zu ergeben. Ganz im Gegenteil! Wenn sich das kontinental-europäische Produktionspotential verbessert und stärkt, dann steigern sich auch die Austauschmöglichkeiten. Die Austauschmöglichkeiten zwischen uns und England wären ja jetzt schon viel größer, wenn wir lieferfähiger wären. Es ist ja eine alte Erfahrung der Handelspolitik, daß der intensivste Warenaustausch zwischen den Ländern besteht, die am höchsten industrialisiert sind. Kommen wir aus der Rückständigkeit, in der wir uns befinden, sowohl was die Arbeitsergiebigkeit anlangt, als was auch die Kleinräumigkeit der Absatzmärkte anlangt, — kommen wir aus dieser Rückständigkeit heraus, so bin ich sicher, daß sich die Austauschmöglichkeiten mit dem englischen Wirtschaftsraum, insgesamt vermehren und nicht verringern werden. Schon deswegen darf man diesen Gesichtspunkt nicht so einseitig sehen, wie er wiederholt vorgetragen worden ist.
    Außerdem können wir auf unserem Kontinent einen anderen Weg nicht gehen. Sollen wir denn etwa deshalb, weil England sein Empire hat, dar-


    (Dr. Bertram)

    auf verzichten, auf dem Kontinent zu rationalisieren? Und was ist denn der ganze Schumanplan anders als eine großzügige internationale Rationalisierungsmaßnahme? Die Frage stellen heißt doch eigentlich auch schon, sie beantworten.
    Es wird ferner darauf hingewiesen, daß sich mit dem Schumanplan eine neutralistische dritte Kraft bilden werde, die dann aus dem großen Wettkampf zwischen Kommunismus und Amerikanismus aus der Neutralität einen unberechtigten Vorteil zu ziehen beabsichtige. Auch dieses Argument kann meiner Ansicht nach in keiner Weise zutreffen. Wir haben es hier 'ja nicht mit politischen Willkürentscheidungen zu tun. Auf dem Gebiet der bloßen Politik kann man nämlich ganz willkürlich so oder so entscheiden; die Fehler solcher willkürlicher Entscheidungen machen sich immer erst später bemerkbar. Auf dem Gebiet der Wirtschaft dagegen würden sich willkürliche Entscheidungen außerordentlich schnell rächen. Wir sind von dem britischen Empire, von seinen Zulieferungen von Rohstoffen so stark abhängig, daß die von mir eben erwähnte volkswirtschaftliche Verflechtung ebenso wie die gegenüber dem amerikanischen Geldgeber jeden Gedanken an einen solchen Neutralismus zur Illusion macht. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird zu einer engeren Verflechtung kommen. Ein autarkes Denken in der Handelspolitik wird, je mehr sich der Schumanplan auszuwirken beginnt, um so unmöglicher werden. Dadurch wird der allgemeine Zusammenschluß gefördert.
    Wenn .nun darauf hingewiesen worden ist, daß uns die Hegemoniestellung einzelner Teilnehmerländer den Anschluß erschweren könnte, so darf ich doch sagen: Unsere eigene Kraft wird durch den Schumanplan und durch die nach Deutschland geleiteten Investitionsgelder zwar gesteigert, aber durch die Rationalisierung der Produktion und die Aufteilung der Produktionsarten auf die einzelnen Länder — das eine Land mag für jenes Stahlprodukt, ' für jenes Gießereiprodukt besser geeignet sein, das andere Land für andere Erzeugnisse — wird sich eine größere gegenseitige Abhängigkeit ergeben. Weil jedes Land von den Erzeugnissen des anderen Landes abhängig ist, wird es infolge dieser Integration und Verflechtung völlig unmöglich sein, irgendwo eine HegemonieStellung anzustreben.
    Die innere Unstabilität der Teilnehmerländer ist als Argument gegen den Schumanplan verwandt worden. Man hat gesagt: Kommunismus in Italien, Kommunismus in Frankreich, nationalistische Mythenbildung in Deutschland ließen es als unzweckmäßig erscheinen, zwischen so unstabilen Ländern einen so langfristigen und schwerwiegenden Vertrag abzuschließen. Ich glaube, diese Bewegungen werden allgemein weit überschätzt. Sie sind doch letzten Endes eine Folge des verlorenen Kriegs, der allgemeinen Notlage. Diese Bewegungen können sich auch neuen Idealen- zuwenden, wenn es uns gelingt, den Schumanplan mit dem Leben zu erfüllen, das wir ihm geben wollen. Nur das Aufstellen neuer Ideale birgt die Wahrscheinlichkeit in sich, daß wir zu stabilen Verhältnissen kommen, keineswegs aber das Verharren im Negativen und das Verharren in der Ablehnung. Daß hier ein solches neues Ideal für die breiteste Bevölkerungsschicht gefunden worden ist, ist doch wohl unbestreitbar. Schon aus diesem Grunde ist eine Hinwendung zu diesem Ideal wahrscheinlich.
    Ich gebe zu, daß die politische Konzeption des Schumanplans kühn ist. Aber es ist eine alte Erfahrung, daß man ohne Risiko auch keinen Erfolg erringt. In einer Aussprache, die ich neulich gehabt hatte, sagte jemand: „Ja, wie kann ich mich aber gegen Rückschläge sichern?" Ich habe ihm darauf gesagt: „Eine Versicherung gegen die Zukunft gibt es nicht; wer nichts riskiert, wird eben untergehen und verlieren." Insofern müssen wir diesen Weg gehen, um aus dem alten Kontinent einen neuen Kontinent zu machen.
    Es ist sicher richtig, daß man, wenn man eilt, mit Weile gehen soll und daß der Unterschied von Mut und Leichtsinn offenbar oft sehr, sehr schwer zu finden ist. Jeder alte Soldat weiß das ja. Ich glaube aber, wenn man die Länge der Vertragsverhandlungen einerseits bedenkt und andererseits sich die Bestimmungen einmal vornimmt und sie untersucht — und ich habe versucht, Ihnen die einzelnen Bestimmungen in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen zu verdeutlichen —, kann man wirklich nicht sagen, daß hier geeilt worden wäre. Es ist alles eingebaut und alles bedacht, was auf diesem komplizierten Marktgebiet bedacht werden mußte. Wir haben meiner Ansicht nach das Recht, Vertrauen in uns selber zu haben, und wir haben das Recht, Vertrauen zu den andern Nationen zu haben. Denn letzten Endes handelt es sich ja nicht um wildfremde und weit entfernte Völkerschaften, sondern es handelt sich um recht verwandte Nationen, die im geistigen Bezirk niemals ihre Verbindung zu uns verloren haben und die nur auf dem wirtschaftlichen Gebiet durch die beiden Weltkriege weit auseinandergerissen sind. Aber diese innere Verwandtschaft zwischen den vertragschließenden Nationen ist doch nicht etwa zerrissen worden. Sie rechtfertigt auch, daß wir Vertrauen in die Handhabung auf beiden Seiten haben. Das ist kein Futurismus, sondern ich glaube, das ist Realismus.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Dieses realistische Vertrauen in unsere Fähigkeiten, das haben wir; wir dürfen aber dieses realistische Vertrauen auch in die Handhabung auf der andern Seite haben.
    Ein Gesichtspunkt, den ich nicht vergessen wollte vorzutragen, ist die Tatsache, daß wir in Deutschland einen föderalistisch aufgebauten Staat haben. Ebenso, wie wir nach oben jetzt einen föderalen Aufbau haben und uns große Mühe geben, daß uns dabei nicht zu viel durch die Lappen geht, müssen wir natürlich auch dafür sorgen, daß der föderale Aufbau zwischen dem Bund und den Bundesländern dabei beachtet wird. Das ist nach dem Gutachten von Professor Kaufmann ja einfach möglich, wenn in den Durchführungsgesetzen die Mitwirkung der Länder — vor allem der hauptbeteiligten Länder und insbesondere von NordrheinWestfalen — gesichert wird. Das braucht hier in diesem Vertragsentwurf nicht vorgesehen zu sein, weil es mit diesem Vertrag an sich nichts zu tun hat. Die Durchführung der Bundesgesetze ist Ländersache, und in dem Durchführungsgesetz, das kommen muß, müßte die Mitwirkung der Länder eben sichergestellt sein.
    Das Ziel des Schumanplans ist letzten Endes, der gequälten europäischen Menschheit Friede zu bringen. Der Nationalismus hat uns in den letzten 70, 80 Jahren so viel Unheil gebracht, daß keine Anstrengung gescheut werden sollte, um ihn wirksam zu bekämpfen. Von selbst bekämpft er sich nicht, sondern wir müssen energisch etwas dazu tun, um ihn zu bekämpfen. Der Weg, den der Schumanplan geht, ist sowohl hinsichtlich der


    (Dr. Bertram)

    l organisatorischen Seite als auch hinsichtlich seiner Einordnung in die weltpolitische Lage richtig angelegt, so daß man annehmen kann, daß er tatsächlich die Grundlage für eine friedlichere Zukunft schafft. Der Schumanplan berücksichtigt in ausreichendem Maße das Gewicht der Vergangenheit, das man ja nicht außer acht lassen darf. Dieser Plan kann die Basis für eine friedliche Periode sein; wenigstens wird er vielleicht ein Schritt zum Frieden sein.
    Die Zukunft ist dunkel. Wir können nur das eine tun, daß wir mit den uns gegebenen Mitteln in der Gegenwart das Beste machen, was eben erreichbar ist. Das wollen wir tun und das sollen wir tun. Die Zukunft wird dadurch vielleicht mitgestaltet; das Entscheidende wird uns Menschen aber nicht allein aus unserer eigenen Tüchtigkeit gegeben, sondern wird uns für eine Dauer von 50 Jahren sicher von anderer Stelle zugemessen werden.

    (Beifall beim Zentrum, bei der CDU und rechts.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Albers.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Johannes Albers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Aufgabe, den Schumanplan in allen seinen Einzelheiten und Auswirkungen zu werten. Ich werde auch nicht dem Herrn Kollegen Schmid antworten. Dies werde ich auch deshalb nicht tun, weil ich nicht über seine Redebegeisterung und auch nicht über seine selbsteigene und sarkastische Rhetorik verfüge. Wir haben ihn ja in den letzten zwei Jahren kennengelernt.
    Seine Kritik versuchte, ein dürftiges Nein zur Vorlage zu finden. Ich sehe die Aufgabe meiner Darlegungen darin, erneut das Positive der Vorlage herauszuheben. Mich und Millionen Mitglieder der christlich-sozialen Arbeiterbewegung des Bundes und des Auslandes interessiert in erster Linie die Frage: Was bringt der Schumanplan den arbeitenden Volksschichten? Ist das, was geschaffen werden soll, wirklich ein kapitalistisches Unternehmen? Ist es ein Riesenkartell? Ist es das, was die Gegner von ihm sagen? Und da meine ich, wer die vorliegenden Unterlagen unvoreingenommen prüft, kann eine solche Feststellung nicht treffen.
    Die Eigentumsverhältnisse an Kohle und Eisen in den einzelnen Ländern werden von dem Vertrag nicht berührt. Ob Kohle und Eisen sich in Privatbesitz oder in Staatsbesitz befinden, ob und wie die Eigentumsfrage in der Zukunft geregelt werden soll, das ist und bleibt ureigenste Aufgabe jedes der beteiligten Länder.

    (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

    In Deutschland steht diese Frage noch zur Entscheidung. Es liegt in unserer Zuständigkeit, in welchem Sinn die Regelung des Eigentums an Kohle und Eisen erfolgen soll. Durch unser Ja zum Schumanplan wird uns die Entscheidung hierfür nicht vorweggenommen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Man wendet ein, daß über die Hohe Behörde ein zu großer Einfluß des Kapitals gegeben sei. Dazu stelle ich fest, daß nach dem Vertrag die Vertreter in den Organen Vertreter der beteiligten Staaten und Völker sein sollen. Darüber, daß es die richtigen Männer und Frauen sind, die neben ihren sachlichen Qualitäten über die notwendige Unabhängigkeit verfügen, haben die Stellen zu entscheiden, die diese Vertreter delegieren. Das sind
    wir, und das ist die Regierung. Wir würden unsere Aufgabe nicht richtig erfüllen, wir würden unsere Aufgabe gegenüber unseren Wählern nicht erfüllen, wenn wir hier nicht klar und eindeutig unsere Pflicht sehen würden.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

    Es ist von großer Bedeutung, daß die Hohe Behörde sich in ihren sachlichen Entscheidungen auf den Beratenden Ausschuß zu stützen hat. Dieser setzt sich zu gleichen Teilen zusammen aus Vertretern der Erzeuger, der Arbeitnehmer und der Verbraucher. Gegenüber Auffassungen, die eine paritätische Besetzung dieses Organs aus Unternehmern und Arbeitnehmern fordern, sehen wir in der Heranziehung der Verbraucher die bessere Lösung. Während wir in Deutschland es noch nicht fertiggebracht haben, ein Organ der überbetrieblichen Mitbestimmung wie den Bundeswirtschaftsrat zu schaffen, ist hier von vornherein in europäischem Rahmen für Kohle und Eisen ein derartiges Organ gebildet worden, das auch den Interessen der Sozialpartner und der Verbraucherschaft Rechnung tragen soll.

    (Abg. Henßler: Beratender Ausschuß, Herr Albers!)

    — Ich spreche ja ausdrücklich vom Beratenden Ausschuß.

    (Abg. Henßler: Nicht bestimmender 'Ausschuß!) Diese Konstruktion kann für Entscheidungen, die wir demnächst in diesem Hause gerade in bezug auf das überbetriebliche Mitbestimmungsrecht zu fällen haben, wertvolle Anregungen geben.

    Wenn ich also zusammenfassend die Struktur und Zusammensetzung der Organe des Schumanplans bewerte, so darf ich feststellen, daß der Plan nicht ein Instrument einseitiger und kapitalistischer Interessen sein kann, sondern ein Zusammenspiel von' Kapital und Arbeit auf europäischer Basis schaffen wird.
    Meine verehrten Damen und Herren, wenn die Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler sich seit mehr als fünf Vierteljahren um die Schaffung des Schumanplans bemühten, so haben sie ja auch einen Auftrag dieses Parlaments erfüllt, ja, ich glaube sagen zu dürfen, der Kanzler hat sogar einen Auftrag der Opposition erfüllt. Ich habe vor mir liegen einen Auszug aus der Rede des Herrn Dr. Schumacher zur Saarfrage vom 10. März 1950 in diesem Hause. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich die markantesten Sätze aus den damaligen Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher wiederholen. Er sagte:
    Man sollte jetzt von unserer Seite den Versuch machen, unter Betonung der europäischen Kooperation und in streng europäischem Rahmen im Geiste der Gemeinsamkeit auf das Ziel einer größtmöglichen wirtschaftlichen Vereinigung Europas loszugehen.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ohne Zweifel ist es eine gute Sache, wenn Frankreich und Deutschland gerade wegen der besonderen Spannung zwischen diesen Ländern und ihren Wirtschaften auch den Anfang bei der konkreten Behandlung dieser Themen machen;

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr schön!)

    denn wenn Frankreich und Deutschland nicht
    die Formel der ökonomischen Symbiose für die
    Zeit nach dem Aufhören des Marshallplans
    finden, dann konkurrieren sie sich mit den 1952


    (Albers)

    vorhandenen europäischen Überkapazitäten in Grund und Boden. Die Völker erzeugen durch eine falsche Politik in Europa eine Arbeitslosigkeit, die dem östlichen Totalitarismus eine vorher noch nie gekannte Chance gibt.
    Darum, meine Damen und Herren, steuern wir auf das Ziel eines Friedensvertrages mit Deutschland. Aber solange er nicht realisiert ist, sollten wir besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet, nicht auf territorialem Gebiet, das Ziel angehen, Anfänge zu schaffen in der gegenseitigen wirtschaftlichen Berücksichtigung der Interessen Frankreichs und Deutschlands durch direkte Fühlungnahme. Mit anderen Worten, ich rede hier einer Initiative zu Verhandlungen mit Frankreich speziell auf wirtschaftspolitischem Gebiet das Wort, Verhandlungen, die größer sind und tiefer gehen als das, was Handelsvertragsabkommen hervorbringen können, die einen französisch-deutschen Freundschaftsvertrag bringen.
    Ich glaube, daß im Schumanplan diese Voraussetzungen für einen deutsch-französischen Friedensvertrag, wie es auch der Herr Dr. Schumacher wünschte, gegeben sind.

    (Beifall bei der CDU.)

    Wenn es aber anders wäre, so muß ich jetzt die Frage stellen, würden dann die Gewerkschaften in einem solch objektiven Verhältnis zum Schuman-plan stehen? Gewiß sind noch Wünsche offen. Wir kennen diese Wünsche: Aufhebung der Diskriminierung aus dem Besatzungsrecht, Aufhebung der Ruhrbehörde und der noch bestehenden Produktionsbeschränkungen. Der Herr Bundeskanzler hat heute früh zu dem Antrag der SPD in mehr oder weniger positiver Weise Stellung genommen. Ich frage Sie: Wird unsere Ausgangsposition besser, wenn wir den Schumanplan ablehnen? Wir meinen, nur durch Mitarbeit, Mitgestaltung und Mitverantwortung bei der europäischen Neuordnung kann unsere Situation auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet verbessert werden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das haben auch die Gewerkschaften in ihrer Stellungnahme mit berücksichtigt und herausgestellt. Gerade die Gewerkschaftsvertreter der anderen fünf am Schumanplan beteiligten Länder — mögen sie aus dem Internationalen Bund der Freien Gewerkschaften oder aus der Christlichen Gewerkschaftsinternationale kommen — haben sich in vorbildlicher und kameradschaftlicher Weise für die Gleichberechtigung Deutschlands eingesetzt. Männer wie Oldenbroek vom Internationalen Bund der Freien Gewerkschaften und Serrarens von der Christlichen Gewerkschafts-Internationale sind uns wohl auch Mitgaranten dafür, daß der Sinn und der Zweck des Schumanplans erfüllt wird.

    (Abg. Dr. von Brentano: Ausgezeichnet!)

    Und wer wollte daran zweifeln, daß die mächtigen internationalen Organisationen der Bergarbeiter und der Metallarbeiter nicht in der Lage wären, einseitige und den europäischen und den Arbeiterinteressen abträgliche Entwicklungen zu verhindern?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    So mächtig die Gewerkschaften aber auch sind, eins vermögen sie nicht: in einem in sich zerrissenen Europa, in dem zu eng gewordenen Rahmen der Nationalwirtschaften auf die Dauer soziale Sicherheit und sozialen Fortschritt zu gewährleisten. Es ist ein untrügliches Zeichen für die gefährliche
    Situation, in der wir uns befinden, daß die Produktivität der europäischen Arbeit kaum noch ein
    Drittel der Produktivität der amerikanischen beträgt. Das liegt doch beileibe nicht an mangelnder
    Tüchtigkeit und mangelndem Fleiß der europäischen und insbesondere der deutschen Arbeiter;
    das liegt doch einzig und allein an der Desorganisation der europäischen Wirtschaft und der zurückgebliebenen technischen Ausrüstung der Betriebe.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Die Überwindung dieses Zustandes erfordert gerade vom Standpunkt der Interessen der breiten Schichten unseres Volkes zwingend die europäische Wirtschaftseinheit. Jetzt wird der Zusammenschluß allen beteiligten Völkern die Chance zum sozialen Fortschritt und zur Wohlfahrt geben können. Die Voraussetzungen dafür, daß dieser Fortschritt wirklich den breitesten Volksschichten zugute kommt, sind durch die heutige starke staats-
    und wirtschaftspolitische Stellung der Arbeitnehmerschaft und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen weit mehr als je gegeben.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Die sich im europäischen Rahmen vollziehende Arbeitsteilung, die Ausnutzung günstiger Standortbedingungen und dazu der leistungssteigernde Wettbewerb sind, wie heute früh schon verschiedentlich betont wurde, die Voraussetzungen für eine größere Kreditwürdigkeit und damit für eine bessere technische Ausrüstung der beteiligten Unternehmen. Damit ist dann aber auch die Gewißheit für eine Erhöhung des Sozialprodukts gegeben. Bei der Verteilung dieses vergrößerten Sozialproduktes befinden sich die Gewerkschaften auf ihrem ureigensten Aufgabengebiet. Überlassen wir also ruhig die Sorgen um die Hebung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, auch die Sorgen um den gerechten Anteil am Sozialprodukt, den Gewerkschaften.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Für die beteiligte Arbeitnehmerschaft ist es natürlich von großem Interesse, zu wissen, inwieweit die neue Gemeinschaft auf ihre Arbeitsbedingungen einwirkt. Dazu ist zu sagen, daß die Fragen der Arbeitsbedingungen und der sozialen Leistungen durch den Schumanplan nicht berührt werden. Eine Verschlechterung der sozialpolitischen Verhältnisse braucht daher nicht befürchtet zu werden, im Gegenteil! Es ist selbstverständlich, daß der Schumanplan mit der Zeit zu einer einheitlichen, fortschrittlicheren europäischen Sozialpolitik führen wird, die auch uns neue Impulse in der sozialpolitischen Gestaltung geben kann und geben wird. Uns Deutschen ist dabei die Aufgabe gestellt, so wie bisher in der Sozialpolitik anregend und führend mitzuwirken, dann aber nicht mehr allein auf dem Gebiete der Bundesrepublik, sondern auf gesamteuropäischem Boden.

    (Beifall bei der CDU.)

    Es kann freilich nicht übersehen werden, daß in den Jahren des Übergangs gewisse wirtschaftliche Schwierigkeiten eintreten können, durch deren Auswirkungen auch die Arbeiterschaft betroffen werden kann. Wir können nun aber mit Befriedigung feststellen, daß der Vertrag für derartige Fälle besondere Schutzmaßnahmen zugunsten der Arbeiterschaft vorsieht. Es ist der Hohen Behörde insbesondere zur verpflichtenden Auflage gemacht,, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um etwa freiwerdende Arbeitskräfte wieder sinnvoll in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Mit dieser Frage beschäftigen sich schon die Gewerkschaften in Belgien.


    (Albers) Ich habe heute morgen in der „Welt der Arbeit" zur Kenntnis nehmen müssen, daß die christlichen Gewerkschaften, die freien Gewerkschaften und die liberalen Gewerkschaften von Belgien in den letzten Tagen zusammengetreten sind, um für ihr Land gerade die Auswirkungen des Schumanplans zu überprüfen und festzustellen, inwieweit die belgische Arbeiterschaft hier miterfaßt wird. Sie wird miterfaßt. Das wissen unsere Freunde in Belgien; aber sie sagen immer wieder klar und deutlich: Wenn wir auch mit diesen Schwierigkeiten zu rechnen haben, wir stehen mit einem positiven Ja zu dem Schumanplan, weil wir von ihm im Laufe der Jahre eine Besserung unserer gesamten sozialen Verhältnisse erwarten.


    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Von größter Wichtigkeit erscheint mir auch die Bestimmung, daß die Hohe Behörde bindende Empfehlungen für die Hebung des Lohnniveaus rückständiger Länder geben kann. Damit wird ein ungezügelter zwischenstaatlicher Konkurrenzkampf auf Kosten der Arbeiter verhindert. Darin scheint mir ein besonders großer Fortschritt zu liegen. Wie oft in der Geschichte wurden berechtigte soziale Ansprüche der Arbeiterschaft mit dem Argument abgelehnt, daß man sich bei der Erfüllung dieser Ansprüche im zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf nicht mehr behaupten könne. Hier ist nun mit dem Gedanken aufgeräumt, daß gesteigerte wirtschaftliche Rentabilität nur durch Verschlechterung der sozialen Bedingungen erkauft werden kann.
    Die Bestimmung des Vertrags, durch welche die Hohe Behörde verpflichtet wird, durch technischen Fortschritt ausgelöste Arbeitslosigkeit zu verhüten oder zu beseitigen, wurde gelegentlich, insbesondere aus französischen Kreisen heraus, als wirtschaftsfeindlich bezeichnet. Dem vermag ich nicht zu folgen. Gewiß ist diese Verpflichtung eine wirtschaftliche Belastung; diese Belastung muß aber von der Wirtschaft getragen werden, weil die Wirtschaft nicht Selbstzweck ist. Der arbeitende Mensch ist nicht mehr Objekt der, Wirtschaft. Die Übernahme von Mitverantwortung für das Schicksal des arbeitenden Menschen durch die Wirtschaft und ihr Eintreten für ihn in schwierigen Zeiten ist so ein Akt der sozialen Gerechtigkeit.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Sie wird letztlich auch die Leistungskraft der Wirtschaft steigern und damit in Wahrheit dem echten Fortschritt dienen. Der neugeschaffene Wirtschaftsgroßraum wird die Sicherung des Arbeitsplatzes und die Wiedereingliederung von Arbeitslosen erleichtern.
    Die im Zusammenhang mit dem Schumanplan vorgesehene Freizügigkeit der Kohle- und Stahlarbeiter innerhalb des ganzen Wirtschaftsbereiches betrachte ich als eine der bedeutungsvollsten Maßnahmen nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht.
    Die internationale Arbeiterbewegung, mag sie sozialistisch oder christlich sein, hat stets für Völkerverständigung und Völkerversöhnung gewirkt. Das war eine ihrer großen Leistungen in der Geschichte. Die Arbeiter der verschiedenen Nationen habén sich nach diesem Kriege wieder als erste die Hand gereicht. Jetzt sollen diesem Verständigungswillen der Arbeiterschaft neue Möglichkeiten erschlossen werden. Die Zusammenarbeit der Kohle- und Stahlarbeiter der verschiedenen Nationalitäten im Rahmen des Schumanplans wird diesem Willen zur Verständigung neue Impulse geben, in der europäischen Arbeiterschaft noch mehr als bisher europäisches Bewußtsein wecken und das Gefühl europäischer Gemeinsamkeit lebendig halten. Ich habe nur den Wunsch zum Ausdruck zu bringen, daß die vorgesehene Freizügigkeit durch die beteiligten Regierungen sehr bald realisiert wird.
    Der Schumanplan läßt gewiß noch einige Wünsche offen. Durch die Mitwirkung der deutschen Gewerkschaftsvertreter sind in letzter Stunde noch einige wichtige Verbesserungen erreicht worden. Im großen und ganzen muß aber der Plan, so wie er jetzt vorliegt, als eine geeignete Grundlage für die erstrebte übernationale Gemeinschaft von Kohle und Eisen angesehen werden. Ich darf dabei mit Freude feststellen, daß die deutschen und die internationalen Gewerkschaftsorganisationen mit 'jener Verantwortung an den Schumanplan herangegangen sind, die sich aus ihrer Pflicht ergab, für die Sicherung des Friedens in Europa zu wirken und dafür einzutreten, daß der Lebensstandard der arbeitenden Menschen auf jene Höhe gebracht wird, die die Arbeiterschaft außerhalb Europas schon vielfach erreicht hat.
    Der Schumanplan erfordert sicherlich von allen beteiligten Völkern noch gewisse Opfer. Diese werden aber nicht vergebens sein. Sie müssen gebracht werden, wenn wir das Fundament für eine bessere Zukunft legen und den Gefahren, die uns bedrohen, entgehen wollen. Ich halte es mit der „Welt der Arbeit", die in ihrer Ausgabe vom 11. Mai dieses Jahres ihre Stellungnahme zusammenfassend wie folgt präzisierte:
    Wenn Chaos und Elend verhindert werden sollen, dann ist es notwendig, daß in allen Ländern Vorurteile aufgegeben werden und auf billige egoistische Erfolge, wie sie sich aus der machtpolitischen Lage darbieten, verzichtet wird. Dann ist es erforderlich, daß entschlossen der Aufbau eines neuen Europa begonnen wird, eines Europa, das seine blutige und tragische Vergangenheit vergißt und alle Gedanken und Handlungen auf die Zukunft richtet.
    Wir wollen durch unser Ja zum Schumanplan unseren Beitrag zur Verwirklichung dieser ersten europäischen Gemeinschaftsorganisation leisten. Wir sind der Auffassung, daß die noch bestehenden diskriminierenden Bestimmungen des Besatzungsstatuts mit dem Wirksamwerden des Vertrages fallen werden. Wenn freilich vor der Ratifizierung des Vertrages durch den Bundestag eine entsprechende Garantieerklärung der Besatzungsmächte verlangt wird, so verkennt man, glaube ich, die Wirkung eines solchen Verlangens. Wir glauben sagen zu müssen, daß dadurch vielleicht gewisse Wege versperrt werden, daß es aber bei uns gerade liegt, durch unser Ja zum Schumanplan den Willen zur europäischen Gemeinschaft unter Beweis zu stellen und den anderen den Weg leichter zu machen.
    Wir geben deshalb dem Gesetzentwurf und dem Schumanplan unsere Zustimmung. Ich bin gewiß, daß die volle Gleichberechtigung der Bundesrepublik Wirkung und Folge dieser Tat und unserer Mitarbeit in der europäischen Gemeinschaft sein wird. Eine Gemeinschaft wird nicht dadurch gebildet, daß man von ihr redet, nicht dadurch, daß man aus Mißtrauen geborene Bedingungen stellt, sondern dadurch, daß man eine Vertrauensbasis schafft und dadurch auch gemeinsame Aufgaben löst. Ich habe für meine Partei, für meine Fraktion, für meine Freunde aus der christlich-sozialen


    (Albers)

    Arbeiterbewegung und für meine Freunde im Ausland, für meine Freunde in der christlichen Gewerkschafts-Internationale nur ein positives Ja, zur Vorlage abzugeben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU und rechts.)