Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt kaum ein Geschlecht, das im Laufe der menschlichen Entwicklung so wie wir den Wechsel der historischen Gegebenheiten in der kurzen Spanne seines Lebens durchschritten hat. Einmal Sieger, dann Besiegte, Monarchie, Demokratie, Diktatur und wieder Demokratie! Wir waren Zeugen der tragischen Entwicklung, wie ein großer Kontinent, der jahrhundertelang die Geschicke der Welt bestimmte, in einem Menschenalter die Führung verloren hat. In wirtschaftlicher Hinsicht haben wir den Glanz der freien Weltwirtschaft vor dem ersten Weltkrieg gesehen, dann die Zwangswirtschaft, Abkapselung und Hemmungen durch diktatorische Mächte. Wir mußten die Zerreißung gegebener Wirtschaftsräume durch menschliche Willkür miterleben, nach dem ersten Weltkrieg von Österreich-Ungarn, nach dem zweiten Weltkrieg von Deutschland. Es ist aber nun interessant, hier zu sehen, daß sich nach wenigen Jahren diese künstlich gebildeten Wirtschaftsgebiete, allerdings mit vielen Kapitalfehlleitungen, wieder erholt haben. Wenn sich also die Wirtschaft eines Landes selbst so ungünstigen Gegebenheiten anpassen kann, nimmt sie im Falle des Zusammenschlusses von kleineren Staaten zu einem großen Wirtschaftsgebiet erfahrungsgemäß einen ungeheuren Aufschwung, wie das schon einige Male im Hinblick auf den Zollverein betont worden ist. In unserer Zeit vollends sind große Wirtschaftsgebiete eine absolute Notwendigkeit. Die Vereinigten Staaten von Amerika besitzen, gerechnet nach der Bevölkerungszahl, ein Vielfaches an wirtschaftlicher Potenz gegenüber dem zerrissenen Europa.
Wenn nun in Europa der Gedanke auftaucht, auf einem wirtschaftlichen Teilausschnitt das Wirtschaftsgebiet zu vergrößern, wie dies der Schumanplan tut, dann liegt es nahe, auf ähnlich günstige Wirkungen rechnen zu können, wie sie bei den bestehenden Wirtschaftsgroßräumen vorhanden sind. Deswegen befriedigen auch die Ausführungen von Professor Schmid und der anderen Redner der SPD in keiner Weise, weil sie das Positive des Schumanplans nicht sehen wollen, sondern sich geradezu in all die möglichen Gefahren verbeißen, die drohen können. Wenn man so eingestellt ist, dann können wir nicht mehr spazieren gehen und frische Luft schöpfen, weil uns ein tollwütiger Hund anfallen kann; dann können wir nicht mehr auf dem Bürgersteig gehen, weil ein Lastwagen vielleicht herauffahren kann;
dann können wir schließlich kaum mehr im Bundestag sitzen, weil die Decke einmal herunterfallen könnte.
Das Negative hat die Reden der SPD bestimmt, aus denen die negative Haltung von Herrn Dr. Schumacher zu allen Fragen sprach. Wo bleibt da noch Treu und Glauben in der Welt,
wo bleibt der Ausgleich von Gegensätzen, die naturgemäß nun einmal in der Welt bestehen?
Ich habe aufgezeigt, wie früher in verantwortungsloser Weise durch einen Federstrich Wirtschaftseinheiten zerrissen worden sind und sich trotzdem rasch erholt haben. Wie unverständlich aber wird da der Widerstand gegen eine Regelung, die in analogen Fällen der Wirtschaft allen Beteiligten größten Auftrieb gab! Es liegt in dieser Angst das Eingeständnis eines uns früher unbekannten Minderwertigkeitsgefühls gegenüber der eigenen deutschen Leistung. Warum wollen wir nicht mehr wagen, unter einigermaßen gleichen Bedingungen einen wirtschaftlichen Wettstreit aufzunehmen, den wir in früheren Zeiten doch meist zu unseren Gunsten entschieden haben? Wenn man bedenkt, daß der wirtschaftliche Verlust des Weltkrieges, der durch die ständigen Kämpfe und Rivalitäten in Europa hervorgerufen worden ist, für Deutschland etwa 40 % seines Nationalvermögens
oder einige 180 Milliarden Goldmark betragen hat, dann kann man es nicht verstehen, daß man jetzt wegen Beträgen, die zunächst eine Belastung von nicht 100 Millionen D-Mark bringen, oder aus der Furcht, nicht genau so - viel an dem allgemeinen Aufschwung zu profitieren wie vielleicht Frankreich mit seiner zugegebenerweise bedeutend moderneren Stahl- und Eisenindustrie, sich gegen den Plan wenden zu müssen glaubt. In Frage steht noch nicht einmal ein Promille des Verlustes, der durch einen Krieg in Europa hervorgerufen werden könnte. Man sieht nur dieses Promille und sieht nicht den möglichen Riesenverlust, der aus einer Ablehnung dann mit viel stärkerer Wahrscheinlichkeit droht.
Es ist auch verwunderlich, daß sich gerade die SPD so sehr gegen die Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten sträubt, die in ihren Anfängen stets internationale Gedanken und die Überwindung einer engen nationalen Sicht betont hat. Es ist für mich kein Argument, wenn Professor Schmid sagt, daß ich wenige souveräne Rechte nicht aufgeben will, weil ich mehr souveräne Rechte aufgeben sollte.
Ferner ist es doch eine leere Drohung, wenn Professor Schmid sagt, daß der Block der fünf anderen Länder sich zur Vernichtung Deutschlands verbindet oder daß der Schumanplan die Fortsetzung der Unterdrückungspolitik nach dem zweiten Weltkrieg sei oder daß die freiwillige Übernahme eines solchen Vertrags wie ein Besatzungsstatut wirke, das uns erdrücke. Was sind das alles für Zeichen und Äußerungen der reinen Negation, die jeden Fortschritt zum Positiven verhindert? Gerade als Föderalist muß ich doch darauf hinweisen, daß sich die SPD mit dieser Einstellung, nichts an Souveränität und an nationalen Rechten und Vorteilen abgeben zu wollen, zu europäischen Partikularisten deklariert.
Der Haltung der SPD entspricht drüben auf der anderen Seite die Haltung der französischen Rechtsradikalen,
die vom Schumanplan als von einem wirtschaftlichen Sedan oder einem deutschen Börsencoup im Dienste des deutschen Imperialismus und des zukünftigen deutschen Europas sprechen. Stellen Sie diese Äußerungen den Äußerungen gegenüber, die ich jetzt aus der Rede von Professor Schmid zitiert habe, dann sieht man hier gerade eine eklatante Ähnlichkeit.
Schließlich müssen wir in Deutschland auch bedenken, daß wir nicht auf alle Zeiten die Unterstützung der USA haben, um den derzeitigen europäischen Partikularismus finanzieren zu können. Die Amerikaner könnten sich vielleicht einmal aus politischen Gründen oder aus wirtschaftlichem Zwang dazu entschließen, nicht mehr den Milliarden-Strom nach Europa fließen zu lassen. Dann mag es zu spät sein, Maßnahmen zu treffen, die nur als Ergebnis einer langen Entwicklung gedeihlich sind und für die das nötige Kapital nicht auf Anhieb aufzubringen ist. Zur Zeit allerdings scheinen die Geldgeber der Welt, die USA, gewillt zu sein, gewisse Kapitalien zu investieren, wenn Europa in der Gestaltung seiner bisher so zerrissenen Wirtschaft Vernunft beweist, d. h. einen Weg einschlägt, der mit dem Schumanplan seinen Anfang nimmt.
Sicherlich könnte man nun nach dem Vorsprung, den Frankreich mit ERP-Geldern im Ausbau seiner Stahlindustrie hat, fordern, daß man die künftigen Kredite für die Schumanplan-Organisation hauptsächlich nach Deutschland lenkt — wie es auch der SPD-Antrag verlangt —, um ihm die gleichen Start- und Konkurrenzbedingungen zu geben. Es ist aber ein unmögliches Verlangen, wie es die SPD in geradezu naiver Weise in der Form anzubringen sucht, die Zuweisungen sämtlicher in nächster Zeit zur Verfügung gestellten internationalen Kredite an Deutschland als Bedingung der Unterzeichnung zu fordern, wie das wiederholt in öffentlichen Äußerungen, wenn auch nicht in der Formulierung des heutigen Antrags, geschehen ist. Das Drohen mit der Nicht-Unterzeichnung, wenn man nicht die und die Bedingungen erfüllt, ist eine gefährliche Waffe. Wir sollten uns diese Manöver, die in der Ära Wilhelms II. gang und gäbe waren, endlich abgewöhnen, insbesondere, nachdem wir zwei Kriege mit Glanz und Gloria verloren haben.
Deutschland ist für Europa nicht absolut unentbehrlich. Es kann aber Europa sehr nützlich sein; und unsere Argumentation muß dahin gehen, diesen Nutzen, den Europa von der Mitarbeit Deutschlands hat, zu beweisen. Das tut man mit Taten und nicht mit Negationen, man tut es mit einem Bekenntnis zu gemeinschaftlicher Arbeit. Es wäre ein entsetzliches Unglück für Deutschland, wenn sich die Welt von uns zurückziehen würde und Deutschland in seiner Menschenfülle und Not allein ließe.
Wenn man wenigstens das Gefühl hätte, daß sich die SPD aus nationalen oder aus wirtschaftlichen Gründen gegen den Schumanplan wehrt, dann könnte man ihre Haltung noch einigermaßen verstehen und achten. Leider muß man aus der ganzen Art der Ablehnung die Überzeugung gewinnen, daß die SPD diesen Schritt zu Europa vor allem ablehnt, um andere innenpolitische Interessen und Kontroversen gegen die bestehende, ihr so verhaßte Regierung auszutragen und ihr Schwierigkeiten zu bereiten.
Anlaß zu dieser Annahme gibt schon der langsame Wandel in der Militarisierungsfrage, ferner die Art, wie Sie sich anläßlich des Beitritts zum Straßburger Europarat betragen haben. Sie haben sich damals so sehr dagegen gewehrt. Der Europarat war für uns vor einem Jahr von großer politischer Bedeutung, weil die Weltmeinung es nicht verstanden hätte, wenn wir von dem Angebot der Rückkehr in die europäische Völkerfamilie keinen Gebrauch gemacht hätten, noch dazu, da man damals aus dem Europarat eine Art europäischen Föderativstaat wachsen lassen wollte. Schon nach einem Jahr ist die Bedeutung des Europarats stark gesunken. Seine Entschlüsse spielen heute nicht mehr die Rolle wie vor einem Jahr. Heute noch würde aber die Verärgerung eine Rolle spielen, die wir in der ganzen Welt erregt hätten, wenn wir damals nicht eingetreten wären.
Auch der Schumanplan kann in ein oder zwei Jahren durch andere Fakten ein anderes Gesicht und ein anderes Gewicht bekommen. Heute aber bedeutet er in der Meinung der Welt einen wesentlichen Schritt hin zur Befriedung Europas.
Es ist auffallend, daß die Schumanplan-Verhandlungen dreiviertel Jahre unter Zuziehung von Vertretern der SPD vor sich gehen konnten, bis man plötzlich aus den Reihen der SPD in so prononcierter Weise die Offensive gegen den Schumanplan aufgenommen hat, nämlich in dem Zeitpunkt, als
er sich zu einem großen entscheidenden Werk für die Versöhnung Frankreichs und Deutschlands, für die Gleichberechtigung Deutschlands, für die Kräftigung Europas und als ein bedeutender außenpolitischer Erfolg der Bundesregierung abzuzeichnen begann.
Das Verhalten der SPD erinnert sehr an das Verhalten in früheren Friedens- und Abrüstungskonferenzen, wie z. B. im Haag in den Jahren 1899 und 1906. Kaum eine der damals beteiligten Großmächte hatte die ernste Absicht abzurüsten, und Deutschland hatte ganz gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung seiner Rüstung. Aber Deutschland allein hatte in geradezu plumper Weise seinen Willen, nicht abzurüsten, verkündet und es dadurch den anderen Mächten leicht gemacht, ihrerseits die Schuld am Mißlingen der Abrüstungskonferenzen auf Deutschland zu schieben und damals den Grund für die Mär zu legen, daß Deutschland den Krieg bewußt vorbereite.
Insbesondere hat Kaiser Wilhelm II. durch ganz
törichte Bemerkungen diesen Eindruck verstärkt.
Ich möchte nun nicht Herrn Schumacher mit Kaiser Wilhelm II. in irgendeiner Weise vergleichen,
aber seine Äußerungen zum Schumanplan haben im Ausland teilweise mit Recht dieselbe Reaktion hervorgerufen, wie es die Äußerungen Wilhelms II. zu diesen Friedenskonferenzen getan haben.
— Ein bißchen Geschichtsunterricht tut Ihnen recht gut. Verfolgen Sie einmal die Akten der Haager Konferenz!