Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das Ihnen zur Beratung und zur Beschlußfassung vorgelegt Wird, ist sehr kurz; aber seine Bedeutung ist im Hinblick auf die ihm beigefügte Anlage außerordentlich groß. Ich glaube, ich kann ohne zu übertreiben sagen, daß sich der Bundestag bisher noch mit keinem Gesetzentwurf hat beschäftigen können, der an Bedeutung diesen Gesetzentwurf übertrifft.
Wenn Ihnen dieser Gesetzentwurf mit dem Antrage vorgelegt wird, der Ratifikation des Schumanplans, des Vertrags über die Montanunion zuzustimmen, so lassen Sie mich einige allgemeine Bemerkungen formell-rechtlicher Natur vorausschicken. Dieser Vertrag ist nach monatelanger Beratung durch Delegationen von sechs europäischen Ländern zustande gekommen, die sich ihrerseits wieder mit einer ganzen Anzahl von Sachverständigen laufend beraten haben. Es sind von diesen Delegationen eine Reihe von Punkten bis zu einer Konferenz der Außenminister der sechs Länder zurückgestellt worden. In dieser Außenministerkonferenz, die sich ebenfalls über eine Reihe von Tagen erstreckt hat, ist eine Einigung erzielt worden, die Ihnen nunmehr vorliegt.
Es ist wohl ohne weiteres klar, daß eine solche Verständigung unter sechs europäischen Ländern, die verschiedene Interessen und verschiedene Ansichten haben, erst nach sehr langen Beratungen und auf dem Wege eines gegenseitigen Ausgleichs, einer gegenseitigen Angleichung der Interessen und auf dem Wege der Überzeugung zustande kommt. 'Bei einem solchen Vertragswerk liegt es in der Natur der Sache, daß keiner der Beteiligten seine Ansicht allein hundertprozentig durchsetzen kann. Er darf auch gar nicht davon ausgehen, daß nur seine Ansichten hundertprozentig durchgesetzt werden müßten. Wie jeder Vertrag, so ist dieser Vertrag unter sechs Teilnehmern im Ergebnis ein Kompromiß. Keiner derjenigen, die an den Verhandlungen teilgenommen haben, wird behaupten wollen oder behaupten können, daß das Ergebnis
der Verhandlungen hundertprozentig richtig sei und ihn hundertprozentig befriedige. Man darf bei einem solchen Vertragswerk nicht die Einzelheiten zu sehr für sich betrachten, sondern man muß den zugrunde liegenden Gedanken, den Zweck, der mit dem ganzen Vertragswerk verfolgt wird, betrachten, und muß dann untersuchen, ob die konstruktive Anlage des Ganzen geeignet erscheint, diesen Zweck — wenn man ihn bejaht — zu erreichen.
Meine Damen und Herren, ich glaubte diese Bemerkungen voranschicken zu können, um Ihnen und mit Ihnen der deutschen Öffentlichkeit klarzulegen, warum es bei solchen Verträgen nicht möglich ist, Abänderungsanträge zu diesem oder jenem Artikel oder zu diesem oder jenem Absatz anzubringen. Ich bitte, sich doch vorzustellen, daß in den sechs Parlamenten der beteiligten sechs europäischen Länder vielleicht zu anderen Punkten, aber ebenfalls genau wie das hier der Fall sein wird, Beanstandungen zu diesem oder jenem kommen werden. Wenn auf Grund dieser Beanstandungen die Ratifizierung in der vorgesehenen Frist unterbleiben würde, würde das ganze Vertragswerk nicht nur gefährdet, sondern höchstwahrscheinlich völlig erledigt sein.
Genau wie Sie, meine Damen und Herren, genau wie dieses Hohe Haus stehen die anderen Parlamente vor der gleichen, vielleicht für Europa schicksalhaften Frage: sollen wir unter Zurückstellung dieser oder jener Bedenken zustimmen, oder aber — meine Damen und Herren, das ist nach meiner Meinung die Entscheidung, die Sie zu fällen haben — sollen und können wir die Verantwortung dafür auf uns nehmen, daß dieses Werk scheitert. Ich bitte Sie, von vornherein unter diesem Gesichtspunkt an Ihre ganze Arbeit heranzutreten. Ich bitte Sie weiter, davon überzeugt zu sein, daß die Delegationen und die verschiedenen Organisationen, mit denen die Delegationen aller Länder — aber ich spreche jetzt vornehmlich für die deutsche Delegation — Fühlung genommen haben, während der ganzen Monate den größten Ernst und die größte Gewissenhaftigkeit auf ihre Arbeit verwendet haben. Es liegt mir daran, allen diesen deutschen Stellen, deren Hingabe an die Aufgabe jedes Lob verdient, auch von der Tribüne dieses Hauses den herzlichsten Dank auszusprechen.
Es liegt mir weiter daran, beim Eintritt in die Verhandlungen dem bisherigen französischen Außenminister, Herrn S c h u m a n, zu danken, weil er im Mai 1950 die Kühnheit gehabt hat, mit diesem Vorschlag an Deutschland und an die europäische Öffentlichkeit heranzutreten.
Wenn ich sage: die Kühnheit gehabt hat, so habe ich diesen Ausdruck wohl überlegt gebraucht. Man vergißt nur zu schnell in dieser Zeit, die fast jeden Tag große Veränderungen bringt, wie der Zustand, wie das Ansehen Deutschlands in der Welt noch im Mai des Jahres 1950 gewesen ist. Ich bitte, in Ihre Erinnerung zurückrufen zu dürfen, daß der damalige Vorschlag Herrn Schumans nicht nur in der Welt das größte Aufsehen erregt hat, sondern daß er auch in Deutschland fast uneingeschränkt mit der lebhaftesten Genugtuung begrüßt worden ist.
Es liegt mir auch daran, beim Eintritt in diese Verhandlungen den anderen beteiligten Ländern gegenüber eine Dankespflicht zu erfüllen. Denn die Vertreter der Bundesrepublik sind bei diesen ganzen Verhandlungen in absolut fairer Weise als Gleichberechtigte behandelt worden.
Das, meine Damen und Herren, war im Jahre 1950
noch nicht eine solche Selbstverständlichkeit, mit
der wir es heutzutage zu betrachten gewohnt sind.
Wer sich in den Vertrag vertieft — und es gehört Vertiefung dazu —, der wird erkennen, daß der Aufbau des ganzen Werkes wohl überlegt und in konstruktiver Weise erfolgt ist, daß man bei dem Aufbau nicht lediglich daran gedacht hat, eine Union für Kohle, Eisen und Stahl zu schaffen, sondern daß man daran gedacht hat, hier auch ein Vorbild für etwaige zukünftige weitere Integrationsverhandlungen in Europa zu geben.
Überall finden Sie in den einzelnen Artikeln durchscheinend den Antrieb zur Weiterentwicklung, zur Weiterentwicklung auch was den Kreis der beteiligten Länder angeht. Alle Unterzeichner dieses Vertrages — das ist wiederholt und in sehr nachdrücklicher Weise zum Ausdruck gekommen — würden es begrüßen, wenn auch Großbritannien sich in irgendeiner Form diesem Vertragswerk anschließen würde. Ich bin auch davon überzeugt, daß Großbritannien das tun wird. Ich kann Ihnen sagen, daß mir schon vor längerer Zeit von der britischen Regierung die offizielle Mitteilung gemacht worden ist, daß sie der Montanunion mit größtem Wohlwollen gegenüberstehe und daß sie, sobald der Vertrag ratifiziert sei, untersuchen werde, in welcher Form es für Großbritannien möglich sein würde, mit dieser Montanunion zusammenzuarbeiten.
Die dynamische Natur des ganzen Vertragswerkes bitte ich nicht zu übersehen. Es handelt sich — ich kann das nur nochmals betonen — um eine Konstruktion von dynamischer Natur, die bestimmt ist, über den unmittelbaren Kreis des Teiles der Wirtschaft, der hier geordnet ist, hinauszuwirken. Man ging davon aus, daß, wenn diese sechs europäischen Länder erst einmal gelernt hätten auf einem so außerordentlich wichtigen" wirtschaftlichen Gebiet zusammenzuarbeiten, dann aus dieser gemeinsamen Arbeit sich der Antrieb von selbst ergeben würde, auch auf weiteren Gebieten der Wirtschaft eine Zusammenarbeit herbeizuführen.
Über die wirtschaftliche Natur dieses Vertrags ist von den verschiedenen Seiten verschieden geurteilt worden. Den hundertprozentigen Anhängern einer freien Wirtschaft — ich spreche jetzt nicht von Deutschland, sondern ich spreche ganz allgemein —, den hundertprozentigen Anhängern einer freien, absolut freien Wirtschaft enthielt der Vertrag zuviel Bindung, er enthielt ihnen zuviel von Planung und Möglichkeiten, in die Wirtschaft einzugreifen; denjenigen aber, die für eine hundertprozentige Planung sind, waren die Ansätze zu einer gewissen Lenkung zu gering, sie wollten viel mehr an Planungsrechten. Wenn Sie so die ganzen Stimmen der Kritik, die laut geworden sind, die namentlich auch in Frankreich von seiten der französischen Schwerindustrie laut geworden sind, verfolgen, dann werden Sie sehen, daß dem einen das zuviel, dem andern das gleiche zuwenig ist, so daß man doch wohl glauben darf: es ist denen, die dieses Werk gearbeitet haben, gelungen, das zu finden,
was gefunden werden mußte: ein guter Ausgleich zwischen einander entgegengesetzten Anschauungen.
Ich habe eben von der französischen Schwerindustrie gesprochen. Es ist in der Tat so, daß die französische Schwerindustrie — oder wenigstens maßgebende Teile der französischen Schwerindustrie — mit großer Intensität gegen die Montanunion Sturm laufen und daß sie, wie mir berichtet worden ist, in den letzten Tagen versucht haben, schwerindustrielle Kreise auch der anderen europäischen Länder zusammenzubringen, damit von den Schwerindustrien sowohl Frankreichs wie Deutschlands dieses Werk verneint wird. Ich hoffe, daß die deutschen Kreise sich nicht verlocken lassen, auf diese Rufe der französischen Schwerindustrie zu hören.
Ich sage diese Worte nicht ohne Grund und ohne bestimmten Anhalt dafür. Diejenigen, die auf französicher Seite ausführen, die französische Wirtschaft werde der deutschen Hegemonie ausgeliefert,
gehen mit diesen Behauptungen in ihrem Lande hausieren. Bei Deutschen sagen sie natürlich etwas anderes. Ich bin der Auffassung und des Glaubens, daß die Parlamente der sechs europäischen Länder, die sich mit dieser Montanunion zu beschäftigen haben werden, genau erkennen, worum es sich handelt, daß sie insbesondere auch erkennen, daß der politische Zweck, die politische Bedeutung der Montanunion noch unendlich viel größer ist als der wirtschaftliche Zweck.
So sehr ich auch die wirtschaftliche Bedeutung bejahe, so sehr ich es als gut empfinde, daß für Kohle, Eisen und Stahl in einem Gebiete, das von 167 Millionen Menschen bewohnt wird, ein freier Markt geschaffen wird, so sehr ich es begrüße, daß auf dem Gebiete, das die Montanunion in sich schließt, die Zollschranken fallen, so sehr ich der Auffassung bin, daß dadurch ein wirtschaftlicher Impuls allerersten Ranges und von größter Kraft ausgehen wird, — über alles dies scheint mir die politische Bedeutung noch unendlich viel größer zu sein.
Als im Mai des Jahres 1950 Herr Schuman diesen Vorschlag machte,
ging es ihm in erster Linie darum, die althergebrachten Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland dadurch aus der Welt zu schaffen, daß auf dem Gebiete der Grundstoffindustrien gemeinsam gearbeitet, und daß dadurch jeder Gedanke, einer wolle gegen den andern rüsten, unmöglich würde. Es handelte sich auch darum, psychologisch zu wirken. Wir müssen uns darüber klar sein, daß französische Bevölkerungskreise vielfach noch immer in dem Gedanken leben, daß Deutschland ein eventueller zukünftiger Gegner sein würde. Die psychologische Bedeutung, die Frage der Beruhigung solcher Befürchtungen im eigenen Lande- und die Erweckung des Gefühls der Zusammengehörigkeit zwischen Deutschland und Frankreich waren die politischen Gründe, die Herrn Schuman damals geleitet haben. Aber wie bei wirklich konstruktiven Gedanken hat sich im Laufe der Entwicklung gezeigt, daß in diesem Vorschlag eine solche lebendige Kraft lag, daß man über den ursprünglichen Zweck jetzt schon weit hinausgekommen ist.
Man hat seit dem Mai 1950 erkannt, daß die Integration Europas für alle europäischen Länder eine absolute Notwendigkeit ist, wenn sie überhaupt am Leben bleiben wollen.
Man hat weiter erkannt, daß man die Integration Europas nicht mit Reden, mit Erklärungen herbeiführen kann, sondern daß man sie nur herbeiführen kann
durch gemeinsame Interessen und durch gemeinsames Handeln.
Darin liegt die ganz große Bedeutung dieses Vertrages. Dieser Vertrag nötigt die europäischen
Länder, die ihm angehören, zusammen zu handeln.
Etwas weiteres hat sich im Laufe der Verhandlungen ergeben. Ich glaube, daß wohl zum ersten Mal in der Geschichte, sicher der Geschichte der letzten Jahrhunderte, Länder freiwillig und ohne Zwang auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten wollen,
um diese Souveränität einem supranationalen Gebilde zu übertragen.
Das ist — ich betone das nachdrücklich —, wie mir scheint, ein Vorgang von welthistorischer Bedeutung, ein Vorgang, der das Ende des Nationalismus in all diesen Ländern bedeutet.
Ich bin der festen Überzeugung, daß, wenn dieser Anfang einmal gemacht worden ist, wenn hier sechs europäische Länder, wie ich nochmals betone: freiwillig und ohne Zwang einen Teil ihrer Souveränität
auf ein übergeordnetes Organ übertragen, man dann auch auf anderen Gebieten diesem Vorgang folgen wird und daß damit wirklich der Nationalismus, der Krebsschaden Europas, einen tödlichen Stoß bekommen wird.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, über aller Kritik am einzelnen — ich möchte jetzt auf Einzelheiten nicht eingehen und mir vorbehalten, je nachdem, was hier vorgebracht wird, darauf zurückzukommen — immer im Auge zu halten, daß es sich hier um eine Entscheidung handelt, wie sie in Europa bisher noch niemals getroffen worden ist.
Ein Wort lassen Sie mich noch zum Ruhrstatut und all dem sagen. Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, daß dieser Vertrag nicht ratifiziert wird, ehe bindende Erklärungen der beteiligten Länder — jetzt meine ich nicht die Länder, die den Vertrag unterschrieben haben, sondern überhaupt die am Londoner Abkommen beteiligten Länder - vorliegen, die der Bundesrepublik dieselbe Mög-
lichkeit geben, frei in diese Montanunion einzutreten, wie den anderen.
Das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Ich möchte hier betonen, daß bei den Verhandlungen der Außenministerkonferenz in Paris Frankreich und ebenfalls die anderen Länder, die dort vertreten waren, diese Forderung als berechtigt anerkannt haben und daß die beiden Länder, die auch noch zur Aufhebung dieser Beschränkungen zustimmen müssen, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, mir sofort nach meiner Rückkehr von der Pariser Außenministerkonferenz die Mitteilung haben zugehen lassen, daß sie durchaus für unsere Forderung seien. Die Verhandlungen unter diesen Ländern haben in der Zwischenzeit begonnen. Wir werden von dem Fortgang der Verhandlungen dauernd unterrichtet.
Ich betone nochmals, meine Damen und Herren: Verwenden Sie auf diese Frage nicht zu viel Zeit, denn es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, daß ohne Erfüllung dieser Forderung der Vertrag von der Bundesregierung dem Herrn Bundespräsidenten, nicht unterschrieben werden wird.
Vorläufig möchte ich damit schließen. Ich möchte mich nicht zu sehr in Einzelheiten hineinbegeben, weil ich den Blick der Öffentlichkeit und dieses Hauses nicht von dem großen Ziel, von dem großen Zweck, der mit diesem Vertrag verfolgt wird, ablenken möchte: von dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Europas.