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ID0116102000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951 6497 161. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. Juli 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 6498A, 6559C Beschlußfassung des Deutschen Bundestags zum Gesetz über steuerliche Behandlung von Tabakerzeugnissen besonderer Eigenart 6498A Gesetz zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen 6498A Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen . 6498A Zolltarifgesetz 6498A Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6498A Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts 6498B Gesetz zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes 6498B Vorlage des Entwurfs einer Verordnung PR Nr. 50/51 — Kohle — II/51 — zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr, Aachen und Niedersachsen sowie zur Sicherstellung der Deckung des Bedarfs an festen Brennstoffen 6498B Anfrage Nr. 198 der Abg. Strauß u. Gen. betr. Auslieferung deutscher Wertpapiere (Nrn. 2355, 2483 der Drucksachen) . . . 6498B Mitteilung der Bundesregierung betr. Beratung des Gesetzentwurfs über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft (Nr. 2450 der Drucksachen) 6498B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6498D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Nr. 2401 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Fortgang der Beratungen über den Gesetzentwurf betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Nr. 2484 der Drucksachen) 6499C zur Geschäftsordnung: von Thadden (DRP) 6498B zur Sache: Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6499C Dr. Henle (CDU) 6502B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 6510C Euler (FDP) 6521C Dr. Bertram (Z) 6525D Albers (CDU) 6532A Henßler (SPD) 6535A Dr. von Merkatz (DP) 6539D Dr. Seelos (BP) 6542B zur Geschäftsordnung: Arndt (SPD) 6545A zur Sache: Dr. Preusker (FDP) 6545B Reimann (KPD) 6547B Tichi (BHE-DG) 6552C Löfflad (WAV) 6553D Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6554C zur Geschäftsordnung: Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 6555B Erler (SPD) 6555B Strauß (CSU) 6555C Ewers (DP) 6555C Ollenhauer (SPD) 6555D zur Abstimmung: Mellies (SPD) 6556A Dr. Preusker (FDP) 6556A Ausschußüberweisungen 6556B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nrn. 2268, 2341, 2432, 2499 der Drucksachen) . 6556C Dr. Spiecker, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Berichterstatter 6556D Beschlußfassung 6557A Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nrn. 2130, 2316, 2433, 2501 der Drucksachen) 6557A Hoogen (CDU), Berichterstatter . . 6557A Beschlußfassung 6557B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Nrn. 2463 und zu 2463 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) 6557C Dr. Hammer (FDP), Berichterstatter 6557D Freidhof (SPD) 6558B Renner (KPD) 6558B, 6558D Abstimmungen 6558A, B Rückblick auf die zweijährige Tätigkeit des Deutschen Bundestags und Wünsche für die Parlamentsferien: Vizepräsident Dr. Schäfer 6559D Nächste Sitzung 6559D Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bitte noch um einige Minuten! —
    Was sind nun einige der Voraussetzungen, die zunächst geschaffen werden müssen? Zunächst eine: Man kann bei dem Grad von Ungleichheit, in dem Deutschland im Verhältnis zu seinen Verhandlungspartnern steht, über nichts anderes verhandeln als über Fragen eines weitgehenden modus vivendi.
    Man kann bei dieser Ungleichheit keine Verträge schließen, die die Zukunft eines Volkes auf zwei Generationen festlegen. Denn die Ungleichheit des Grundverhältnisses fließt, ob man will oder nicht, in die Sonderregelungen hinein, über die man Verträge schließt. Darum sollte man in dem Zustand, in dem wir uns heute befinden, Verträge solcher Art, Verträge, die über die Regelung des modus vivendi hinausgehen und endgültige Verhältnisse schaffen sollen, nicht schließen. Denn wenn für uns eines Tages dann die formale Gleichberechtigung kommen sollte, fällt sie ins Leere. Es ist dann doch alles, worauf es ankommt, wenn Freiheit effektiv sein soll, durch diese Sonderregelungen ausgeklammert! Gleichheit Deutschlands bedeutet nichts anderes als Normalisierung des 'deutschen Grundverhältnisses. Sie muß schon eingetreten sein vor dem Eingehen grundlegender und lange Zeiträume festlegender Bestimmungen. Sie darf nicht angesehen werden als etwas, das erst als Auswirkung einer im Zeichen der Ungleichheit eingegangenen Bindung erwartet werden darf.
    Sie weisen hin auf die Erfolge, die die Politik des Herrn Bundeskanzlers uns gebracht hat. Natürlich gibt es da Erfolge aufzuweisen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber der Hauptarchitekt dieser Erfolge war die Zeit. Und der größte Erfolg seit 1945 ist eingeheimst worden, noch ehe es die Bundesrepublik gab. Und er kam, als es gelang, den Siegermächten deutlich zu machen, daß eine neue Phase ihrer Besatzungsherrschaft beginnen müsse. Das Produkt war die Bundesrepublik.

    (Abg. Ewers: Das danken wir Stalin!)

    — Vielleicht. Vielleicht danken wir Stalin noch mehr, Herr Kollege Ewers.
    Das alles stellt uns vor schwierige Situationen. Sie zu meistern ist eine Regierung da. Aber eine gute Politik kann sie nur machen, wenn sie Differenzpunkte klärt und wenn sie Differenzpunkte austrägt, ehe man Bindungen eingeht, die der Partner anders auslegen könnte als man selbst. Unter Umständen bleibt manchmal nichts übrig, als festzustellen, daß es zu bestimmten Dingen — leider — noch nicht Zeit ist.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Bis es zu spät ist!)

    Es ist hier oft von der Politik der Vorleistungen gesprochen worden. Ich glaube nicht, daß Vorleistungen eine wirksame politische Methode sind. Politisch kommt man nur weiter, wenn man bestimmte Leistungen verspricht und sich dafür bestimmte Gegenleistungen unter gleichem Rechtszwang versprechen läßt. Wer anders verfährt, wird immer erleben, daß die Nachleistung auf sich warten lassen wird. Ich erinnere an die Geschichte des Versailler Vertrages. Auch da war gesagt worden, die deutsche Abrüstung sei eine Vorleistung, das deutsche Minderheitenstatut sei eine Vorleistung usw. usw.; aber die Nachleistung ist nie gekommen. Denn so wie die Staaten nun leider einmal sind, geben sie nur dann etwas auf, wenn ihnen das Aufgeben im Moment der Aufgabe einen Vorteil bringt, aber nicht mehr dann, wenn sie den Vorteil schon vorher eingeheimst haben.
    Es empfiehlt sich auch nicht, eine Politik auf etwas abzustellen, das man „Geist des Schumanplans" nennt. Dieser Geist hat nur insoweit eine politische Bedeutung, als er sich in klaren Bestimmungen des Vertrages selber niedergeschlagen hat. Alles andere ist 'Spekulation. Wenn man auch ge-


    (Dr. Schmid [Tübingen])

    legentlich im Kassageschäft einen Wechsel diskontieren kann — zu Ultimo wird er präsentiert, unddann muß man bezahlen —, meist unter Verlust.
    Was nun den „Neuen Geist" anbetrifft, den der Schumanplan geschaffen haben soll: An der Saar ist davon noch nicht viel zu merken.

    (Aha! bei der CDU.)

    Dabei leben wir doch jetzt in den Flitterwochen, und da pflegt solch neuer Geist doch am wirksamsten zu sein. Er scheint mir aber heute schon recht schwach zu wehen, und ich fürchte. daß nach den Flitterwochen diesem neuen Geist der Atem ganz ausgegangen sein wird. Ich erinnere Sie an den Vertrag über den Hafen von Kehl, den jüngst die badische Regierung mit der Republik Frankreich abgeschlossen hat. Sein Inhalt ermutigt nicht zu großen Hoffnungen. Deutlicher. als es dort geschehen ist, kann man doch nicht zum Ausdruck bringen, daß man von der Siegerposition nicht herabzusteigen gedenkt — trotz der Beschwörung des Geistes des Schumanplans!(Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich bin dafür, daß man den Hafen von Straßburg und den von Kehl beide zusammen unter deutschfranzösische Verwaltung stellt; ich bin aber nicht dafür und ich halte es für eine schlechte Sache, nur den Hafen von Kehl unter deutsch-französische Verwaltung zu stellen. Das 'kann nur wollen, wer will, daß Deutschland als Land zweiten Ranges existieren soll. Ich hoffe, daß die Bundesregierung diesem Vertrag ihre Zustimmung nicht geben wird.
    Es gibt Spuren, die uns schrecken sollten. Als Präsident Wilson seinen Versailler Vertrag vor dem Senat verteidigte, warfen ihm Senatoren vor: „Wie konntest du eine so schlechte Sache unterschreiben?" — Darauf sagte er: „Getrost, getrost! Ich weiß, daß sehr viele schlechte Sachen in dem Vertrag stehen, aber wir haben den Völkerbund, und im Geist des Völkerbunds werden alle diese schlechten Dinge gegenstandslos werden!"

    (Abg. Renner: Dasselbe gilt für den Atlantikpakt!)

    Meine Damen und Herren, die bösen Dinge im Versailler Vertrag wurden nicht gegenstandslos, aber sie haben den Boden bereitet, auf dem ein Adolf Hitler nach Berlin marschieren konnte!
    Und damit will ich zum Schluß kommen: Wir haben Ihnen in Drucksache Nr. 2484 eine Resolution vorgelegt. Ich will sie nicht verlesen. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Resolution nicht nur verlangt, daß vor der Ratifikation bindende Erklärungen über den Abbau bisher einseitig auferlegter alliierter Maßnahmen abgegeben sein müssen, sondern daß darüber hinaus vor der Ratifikation auch Erklärungen abgegeben worden sein müssen, wonach der 'deutsche Investitionsbedarf gesichert sein soll, die Verbundwirtschaft gesichert bleiben soll, ausreichende Zusicherungen über deutsche Verfügung über Kohle und Stahl für die Ausfuhr gegeben werden sollen, und daß die Position des Saargebiets im Zusammenhang mit dem Schumanplan in der Weise, wie es hier verzeichnet ist, klargestellt werden muß. Wir Sozialdemokraten lehnen den Schumanplan so, wie er jetzt ist, ab; aber jene von Ihnen, die glauben, man könnte oder müßte ihn annehmen, die sollten doch mindestens zum Ausdruck bringen, daß er nur ratifiziert werden darf, wenn diese für uns so vitalen
    Voraussetzungen hergestellt sind oder ihre Verwirklichung doch zumindest garantiert worden ist. Das ist das Mindeste, was wir tun müssen!

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von August-Martin Euler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Schmid waren von demselben großen Widerspruch durchzogen, der die gesamte sozialdemokratische Außenpolitik kennzeichnet. Auf der einen Seite werden die weitestgespannten Forderungen gestellt: gleiches Recht, gleiche Chance, gleiche Verfügungsmacht, darüber hinaus Ausgleich der Vorzüge favorisierter Nationen zugunsten der weniger begünstigten. Auf der andern Seite wird hinsichtlich der Wirklichkeit und der heute in Europa lebenden Menschen erklärt, daß sie alle mit der Austragung nationaler Interessen beschäftigt sind und in der Meinung befangen bleiben, einer könne nur auf Kosten des andern etwas erlangen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, darin liegt die ungeheure Spannung zwischen einer außerordentlichen Forderung und einer Wirklichkeit, die dieser Forderung auf das härteste widerstreitet. Dieser Widerspruch wird überflogen. Vieles klingt außerordentlich verlockend. Es bleibt aber doch der grundlegende Widerspruch, der verhindert, daß die Darlegungen überzeugen.
    Die Ausführungen des Kollegen Schmid überfliegen deshalb auch die europäische Tragik, in der wir uns befinden. Diese Tragik erhebt heute wieder drohender denn je ihr schretkendes Gesicht. Sie entspringt der Gefahr, daß die europäischen Völker, befangen in den furchtbaren Erlebnissen des letzten Krieges, befangen in den Regelungen vorläufiger Art, die die Sieger diesem Kriege folgen ließen, befangen in den Gefühlen des Mißtrauens und des Trotzes, die- sowohl dem Krieg als auch seinen interimistischen Abschlußregelungen entsprangen, der Stimme der Vernunft nur widerstrebend folgen, daß die europäischen Völker dieser Stimme der Vernunft nur allzu zögernd nachkommen können, sodaß ganz unterbleibt oder jedenfalls zu spät geschieht, was erforderlich wäre, um die Not zu wenden.
    Erst damit kommt man in die Mitte der Problematik, die diesem Schumanplan anhaftet. Wir wissen sehr wohl, was notwendig wäre. Millionen von Menschen in allen europäischen Ländern tragen es im Herzen. Die Probeabstimmungen in Breisach und in Castrop-Rauxel haben es mit der großen Mehrheit von 90 % bewiesen, und ich bin der Auffassung, wenn entsprechende Abstimmungen in andern europäischen Ländern stattfinden würden, würden sie zu keinem andern Ergebnis führen als dem der vorbehaltlosen Bejahung des Bundes der europäischen Völker, der Vereinigten Staaten von Europa. Die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den verschiedenen europäischen Ländern wünscht ein Europa, das nicht nur eine wirtschaftliche Einheit, ein einheitlicher Markt ist, sondern darüber hinaus eine politische Einheit. Das ist die Notwendigkeit der Zeit, die in die Herzen vieler Menschen geschrieben ist, es möge eine Ausschreibung zu einer europäischen Konstituante stattfinden, damit eine Verfassung für einen europäischen Bundesstaat Wirklichkeit werde.


    (Euler)

    Wenn man von dieser Notwendigkeit ausgeht, dann kennzeichnet allerdings den Schumanplan ein tragisches Zurückbleiben in dreierlei Hinsicht. Er führt zu keiner politischen Einheit Europas, er stellt keine wirtschaftliche Einheit für die ganze Breite des wirtschaftlichen Lebens dar. Er ist nur eine wirtschaftliche Gemeinschaft für die wirtschaftlichen Schlüsselprodukte Kohle, Eisen und Stahl, und auch dies nur für sechs der europäischen Länder. Niemand bedauert mehr als wir dieses Zurückbleiben des Schumanplans hinter der europäischen Notwendigkeit. Eine Kritik, die ideell auf der Höhe der Zeit steht, kann nur eine solche sein, die das Zurückbleiben des Schumanplans hinter den eigentlichen Notwendigkeiten dieser Zeit feststellt und den Bund der europäischen Völker ins Auge faßt. Das tut wohl auch die sozialdemokratische Kritik am Schumanplan; aber sie kommt dann zu einer völlig anderen Antwort, und zwar aus einer falschen Einschätzung der Realität, eben jener europäischen Tragik, von der ich eben sprach.
    Wenn man die Frage stellt, ob die Erkenntnis des Zurückbleibens des Schumanplans hinter dem in Europa Notwendigen uns nun zu seiner Verneinung führen soll oder ob umgekehrt diese Erkenntnis der Stachel sein soll, der uns die Verwirklichung des Plans wollen läßt, damit er selbst ein Schrittmacher der weiteren Integration Europas, ein Schrittmacher der wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas werden könne, so bejahen wir den Schumanplan als Stufe auf dem steilen Weg zur europäischen Einheit, die nicht mit Negationen, mit immer neuen Verneinungen und trotzigen Abwendungen gewonnen werden kann. Wir wollen ihn als Anfang einer Bewegung zur europäischen Einheit hin. Wir betrachten ihn nicht als statisches Element für 50 Jahre in einer für 50 Jahre unverändert bleibenden Welt, sondern als dynamischen Faktor, als eine dynamische Potenz, deren Wirksamwerden die Chancen erhöht, daß sich die Bewegung zu dem einen Europa hin beschleunigt.
    Darin liegt der grundlegende Unterschied in der Auffassung nicht nur meiner Freunde, sondern überhaupt wohl der Regierungsparteien und der von ihnen getragenen Regierung gegenüber der Betrachtungsweise der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie beharrt auf einer statischen Betrachtungsweise, die der doktrinären Starrheit dieser Partei auf allen Lebensgebieten entspricht. Da werden Verhältnisse von heute als unwandelbare Gegebenheiten genommen, da werden die Realitäten als fixe, unwandelbare Größen genommen, und das ist besonders unangebracht in einer Zeit schnellster Wandelbarkeit der Verhältnisse, in einer Zeit, in der alles den Charakter des Vorläufigen trägt, in der die Veränderungen der realen Gegebenheiten sich so schnell vollziehen, daß ihnen die Bewußtseinsänderungen kaum zu folgen vermögen. Herr Dr. Schumacher hat kürzlich in Frankfurt auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Internationale diesen für unsere Zeit durchaus charakteristischen Sachverhalt festgehalten, indem er sagte, daß die Bewußtseinsveränderungen der meisten weit hinter den schnellen Entwicklungen der äußeren Verhältnisse zurückbleiben. Das Bewußtsein kann die Veränderungen gar nicht schnell genug realisieren. Das war eine Selbsterkenntnis, die nicht
    von Selbstironie frei war.
    Die statische Betrachtungsweise der Sozialdemokratie gegenüber dem Schumanplan führt so weit, daß auch die im Vertragswerk liegenden Wandlungsmöglichkeiten nicht bemerkt oder jedenfalls unterschätzt werden. Bei durchgreifenden Änderungen der Verhältnisse wird das Gesamtinteresse trotz der erschwerten Bedingungen des Art. 96 eine große Revision ebenso erzwingen wie in dem Fall, daß sich die Unzulänglichkeit des Instruments an den jetzigen Verhältnissen offenbaren sollte. Man kann nicht den Vergleich mit dem Versailler Friedensvertrag, einem einseitigen Diktat, anführen. Hier handelt es sich doch um ein Vertragsinstrument, mit dem eine enorm in die Lebenswirklichkeit eines jeden Volkes eingreifende neue wirtschaftliche Gemeinschaft geschaffen wird. Die Gemeinschaft eines großen europäischen Marktes mit 160 Millionen Verbrauchern, aufs Spiel zu setzen, sie der segensreichen Möglichkeiten, die sie bietet, zu berauben, wird niemand geneigt sein. Vielmehr werden alle Beteiligten das tun, was erforderlich ist, um das Vertragsinstrument den Lebensverhältnissen anzupassen, damit dieser europäische Markt zu seiner stärksten Auswirkung kommen kann. Man wird doch davon ausgehen dürfen, daß der Vertrag von allen beteiligten Staaten als ein kühner Versuch betrachtet wird, etwas sicherzustellen, ohne das die europäischen Völker überhaupt nicht mehr zu einem anständigen Leben kommen können, nämlich die Produktivität und den Lebensstandard aller europäischen Völker gemeinsam zu heben. Wir wissen, in dem zerklüfteten Europa kann nur ein einheitlicher Markt mit seiner potenzierenden Wirkung das volle Potential der europäischen gewerblichen Tätigkeit zur Entfaltung bringen, das ja heute bei weitem nicht erreicht ist, sondern erst durch ungeheure Investitionen, für die Europa allein nicht die Mittel hat, geschaffen werden kann. Wir wissen von einem großen Beispiel des neunzehnten Jahrhunderts, wir wissen von dem Deutschen Zollverein, was es bedeutet, eine Markteinheit zu schaffen, die weit umfassender, weit größer ist als das, was vorher an Einzelmärkten vorhanden war. Es tritt eine Vervielfältigung der wirtschaftlichen Austausch- und dadurch der wirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten auf, eine Potenzierung, deren Verlust zu riskieren sich die europäischen Völker einfach nicht leisten können. Es kommt hinzu, daß die Lebensbedingungen in den nächsten Jahren am Ende noch schwerer für sie werden, als sie es heute sind, weil besondere Anforderungen der Wirklichkeit, die man nicht willkürlich abschieben kann, befriedigt werden müssen. Diese Anforderungen sind gekennzeichnet durch die ungeheure Existenzbedrohung aus dem Osten und die Notwendigkeit, das zu tun, was erforderlich ist, um dieser Existenzbedrohung nicht in jedem Augenblick zum Opfer zu fallen. Das sind die Gründe, die einen starken Einfluß auf die europäische Entwicklung ausüben werden, einen Einfluß, der dazu führen wird, daß sich ein Gemeininteresse herausbildet, wie es unter den jetzigen Umständen vor der Wirksamkeit der Montanunion noch gar nicht denkbar ist; denn dieses Gemeininteresse bedarf zu seiner Bewährung einer Praxis in gemeinsamen Institutionen, die geschaffen sind, damit man in Begegnung und Aussprache die gemeinsamen Probleme einer Lösung zuführt. Dieses Gemeininteresse wird selbst bei vorsichtigster Einschätzung ein maßgebender Faktor der weiteren europäischen Entwicklung sein. Das Gemeininteresse würdè allerdings gar nicht entstehen können, wenn aus der Angst einer statischen Betrachtungsweise heraus, wie wir sie soeben aus den Darlegungen des Kollegen Schmid erneut von der Sozialdemokratie gehört haben, von einer langen Vertragsdauer Abstand genommen worden wäre.


    (Euler)

    Die fünfzigjährige Vertragsdauer soll doch folgendes besagen: Richtet euch von vornherein darauf ein, daß die Einheit des europäischen Marktes zumindest in der Gebietsausdehnung der jetzigen sechs Staaten nicht ein unverbindlicher Versuch sein soll, der bei der ersten besten Gelegenheit wieder abgebrochen wird. Richtet euch vielmehr darauf ein, daß es sich um eine auf Dauer angelegte Errungenschaft handelt, deren befriedigender Effekt gerade dann eintritt, wenn alle Vertragschließenden im Bewußtsein der prinzipiellen Unwiderruflichkeit des Zusammenschlusses ihn zum Anliegen ihrer gemeinsamen Wohlfahrt machen. tag ist allein die Einstellung, aus der die positive europäische Zielstrebigkeit entspringt, von der wir allerdings erhoffen, daß sie in wesentlich kürzerer Zeit als in 50 Jahren die Montanunion in der gesamtwirtschaftlichen und politischen Union der europäischen Völker wird aufgehen lassen. Das Wort von der „einen Null zu viel im Schuman-plan", das Professor Baade in diesen Tagen prägte, wird von uns deshalb in gewisser Weise auf genommen. Möge die fünfzigjährige Vertragsdauer als Zeichen des Entschlusses der Vertragschließenden, diese europäische Minimalbindung nicht mehr aufzugeben, dazu beitragen, daß über die qualitative und gebietliche Ausdehnung des europäischen Marktes und über das Hinzutreten einer politischen Konstitution für Europa in fünf Jahren der Vertrag über die Montanunion überholt sei!
    Eine solche Entwicklung wird nur möglich sein, wenn mit Teilstücken begonnen wird, nicht aber diese Teilstücke abgelehnt werden, weil man zunächst darauf wartet, etwas hundertprozentig Perfektes und Umfassendes zu schaffen. Mit diesem Rezept des Alles auf einmal kann Europa nicht geschaffen werden. „Alles oder nichts" ist in der Wirklichkeit niemals das Prinzip einer Erfolgsentwicklung in Vertrauen, wie sie Europa allein braucht. Eine Unterschrift, die aus diesen Anschauungen, wie ich sie entwickelte, geleistet wird, ist keine unehrliche Unterschrift, sondern eine Unterschrift aus europäischer Verpflichtung, eine Unterschrift aus dem Willen, daß die Montanunion ihren Zweck als Schrittmacher für Europa möglichst schnell erfülle. Ich sage deshalb erneut: Wir betrachten die Montanunion als einen Anfang auf dem Wege und als ein Mittel zu dem größeren Ziel, dem einigen bündischen Europa.
    Wer diese dynamische Betrachtungsweise teilt. weil er weiß, daß die Entwicklung immer bestimmt wird durch die geistigen Energien und seelischen Kräfte, die durch ein Ereignis entbunden werden und der Schumanplan bedeutet die Entbindung außerordentlicher innerer Kräfte in allen europäischen Ländern auf Europa hin der ist keineswegs genötigt, zu behaupten, daß der Schumanplan vollkommen sei. Wir leugnen keineswegs, daß er Risiken, ja erhebliche Risiken einschließt. Wir sind uns bewußt, daß er Schwierigkeiten der Anpassung mit sich bringen wird. Aber wo gibt das Leben ganzen Völkern oder nur dem einzelnen große Chancen zugleich mit einem Garantieschein, daß man aller Sorgen, Mühen und Gefahren enthoben sei? Nur der sozialistische Illusionismus gaukelt den Menschen vor, daß es sich lohne, den Irrlichtern hundertprozentiger Patentlösungen nachzulaufen, und wenn man aus diesem Glauben dazu kommt, das, was im Augenblick zu realisieren ist, zu verneinen, eben weil man warten will, bis das Vollkommene möglich sei, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird man das Vollkommene oder auch nur das Bessere niemals erreichen,

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    sondern dann versinkt die Entwicklung in der Lethargie, die, wenn sie sich durchsetzt, die Skepsis hinterläßt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist doch eine ungeheure Gefahr, die man im heutigen Europa nicht übersehen kann: die Lethargie, die Müdigkeit, die die graue Spinne Skepsis schon erzeugt hat. Wie groß ist die Gefahr, daß das Notwendige nicht geschieht! Ja, was hätte alles geschehen müssen und viel früher geschehen müssen, als es geschah, soweit es überhaupt geschehen ist, wenn das Notwendige die Richtschnur für die Verwirklichung in der Politik wäre! Das Notwendige ist es nur insoweit, als es von Menschen mit Herz und Geist und Willen durchgesetzt wird und nicht von Menschen in der abergläubischen Anhänglichkeit daran, daß nur das Vollkommene getan werden dürfe, sondern von Menschen, die wissen, daß man sich bescheiden muß mit dem, was möglich ist. Die Politik ist die Kunst des Möglichen. Erst als man versuchte, daraus etwas anderes zu machen, was darauf hinauslief, mit dem Unmöglichen zu spielen, da begann die ganz katastrophale Entwicklung für unser deutsches Volk.
    Wir sind uns bewußt, daß der Vertrag keine wesentlichen Ansätze einer brauchbaren europäischen Verfassung enthält. Seine Institutionen sind dafür allzu spezifisch auf einen beschränkten wirtschaftlichen Zweck zugeschnitten. Aber dieser Wirtschaftliche Zweck der Vereinheitlichung und Potenzierung des europäischen Marktes zunächst für die wichtigsten Güter der Grundstoffindustrien kann gar nicht überschätzt werden. Ein Krieg zwischen den Vertragspartnern ist allein schon wegen der Markteinheit und der Gemeinschaft für die Grundstoffindustrien in Zukunft ausgeschlossen. Diese Gewißheit allein gibt eine neue Vertrauensbasis, die in der Vergangenheit zwischen den sechs vertragschließenden Völkern niemals bestand. Sie wird durch Institutionen gestützt, die nach objektiven, richterlicher Kontrolle unterworfenen Normen arbeiten' Die richterliche Kontrolle, die das Vertragswerk vorsieht, wird von der sozialistischen Kritik kaum erwähnt oder wird mit Bemerkungen der Art abgetan, daß auch die Richter in den richterlichen Institutionen nicht über ihre nationalistischen Auffassungen hinwegspringen könnten. Wenn aus dieser Auffassung die Konsequenz gezogen wird, daß es eben nicht möglich sei, die nationalstaatliche Trennung und die entscheidende Bestimmtheit durch das nationalstaatliche Interesse in den europäischen Menschen zu überwinden, dann muß man auch konsequent sein und sagen, daß Europa niemals möglich sein wird.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Das würde aber zugleich bedeuten, daß man eingesteht, man müsse immer in der nationalstaatlichen
    Zerrissenheit in Europa verharren, die das europäische Schicksal nur äußerst trübe erscheinen läßt.

    (Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Oder doch zurück nach Reuß-Schleiz-Greiz-Lobenstein!)

    Diese ganze Haltung paßt sehr schlecht zu dem Eindruck, den der deutsche Sozialismus erwecken möchte, als sei nämlich der Vertrag ein Machwerk französischer Machtpolitik und ein Mittel zur Aufrechterhaltung der französischen Hegemonie. Die beste Widerlegung dieser deutsch-sozialistischen Auslegung stellen jene französischen Stimmen dar, die im Gegenteil befürchten, daß mit- diesem Vertrag der deutschen Schwerindustrie der Weg zur Beherrschung Europas eröffnet werde. Unter den


    (Euler)

    Materialien, mit denen wir uns beschäftigten, befand sich erfreulicherweise auch eine Entschließung der Industrie- und Handelskammer Metz, also der Handelskammer des Wahlkreises; aus dem der französische Außenminister Schuman stammt. Die Auslassung der Industrie- und Handelskammer Metz kann in den furchtbaren Erwartungen, die man vom französischen Interessenstandpunkt aus hinsichtlich der Montanunion haben müsse, in keiner Weise durch die Befürchtungen der deutschen Sozialdemokratie übertroffen werden.
    In Wahrheit verhält es sich mit der Gefahr der französischen Hegemoniepolitik mittels der Montanunion derart, daß Frankreich in keinem Gremium der Montanunion stärker vertreten ist als Deutschland. Aus der Stimmzuteilung an die anderen Länder wird geschlossen, Deutschland finde sich einer Überlegenheit aller anderen gegenüber. Die fünf anderen würden sich, wie Kollege Schmid eben sagte, immer auf Kasten Deutschlands einigen. Sie würden sich immer darin einig sein, daß sie von Deutschland etwas wollen. Diese Blockbildung sei nicht zu verhindern. Damit wird unterstellt, erstens, daß in den Organen der Montanunion nicht nach dem sachgebotenen Interesse abgestimmt werde, zum zweiten, daß ein europäisches Gemeininteresse überhaupt nicht drängend hervortreten könne, und zum dritten, daß eine politische Gruppierung gegen Deutschland, wie sie als Folge des zweiten Weltkrieges entstanden ist, einen niemals wieder aufhebbaren Tatbestand 'darstelle.

    (Sehr gut! bei 'der FDP.)

    Wenn man sich die Gruppierung gegen Deutschland als unaufhebbar vorstellt, so zeugt das von nichts anderem als von einem geradezu an Verfolgungswahn grenzenden Mißtrauenskomplex der deutschen Sozialdemokratie.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wie schnell wandeln sich Gruppierungen im internationalen Leben. Sobald der einheitliche Markt hergestellt ist, wird sich zudem das neue Gemeininteresse mit seinen unerläßlichen Forderungen bei allen bemerkbar machen.

    (Präsident Dr. Ehlers übernimmt den Vorsitz.)

    Wenn man dieses Gemeininteresse als nicht der Entwicklung fähig bezeichnet, dann findet man sich wieder im Bann jenes absolut statischen Denkens, das für die SPD so überaus bezeichnend ist.
    Es ist seltsam, wie sich die Sozialdemokratie auch im übrigen in ihrer Kritik widerspricht. Auf der einen Seite wendet man sich dagegen, daß der Vertrag angeblich ein Superkartell begründe; auf der anderen Seite fordert man aber die Stimmenquote ebenso, als sollte er ein Superkartell schaffen.
    Uns scheint folgendes wesentlich zu sein: daß durch den Vertrag für ein ungeheuer wichtiges wirtschaftliches Teilgebiet zunächst einmal Institutionen geschaffen werden, die das sachliche Austragen der Konflikte in Begegnung und Aussprache ermöglichen. Diese Neuordnung mit ihren Institutionen zum Zweck der Markteinheit wird, davon 'sind wir überzeugt, Schule machen. Sie wird sich als dringendes Bedürfnis in der Energiewirtschaft, in der Verkehrswirtschaft und in anderen Zweigen des Wirtschaftslebens melden. Sie wird damit ihre materielle Ausweitung haben. Auch da sind wir der Auffassung, daß man das, was zunächst möglich ist, nicht deshalb unterlassen sollte,
    weil in Zukunft vielleicht mehr möglich sein könnte. Dieses Mehr der Zukunft wird ja gerade dadurch herbeigeführt, daß man das Geringere der Gegenwart zunächst einmal in Richtung des Mehrs der Zukunft in Bewegung setzt.
    Wir sind auch davon überzeugt, daß das Gebiet der Montan-Union eine gebietliche Ausweitung erfahren wird durch Hinzutritt weiterer Länder. Ja, wir beginnen zunächst einmal — man kann es so nennen — als Kleinsteuropa, obwohl dieses Kleinsteuropa, eine Markteinheit mit 160 Millionen Menschen, schon eine ungeheure Potenzier rung der wirtschaftlichen Produktions- und Austauschmöglichkeiten zuläßt. Aber es ist ja nicht in unsere Wahl gestellt, ob wir die anderen europäischen Länder dabei haben oder nicht. Sie sind herzlich eingeladen. Wenn sie, wie beispielsweise die nordischen Länder, mit Rücksicht auf gewisse sowjetische Gegebenheiten glauben, zunächst einmal der Montan-Union nicht beitreten zu sollen, — nun, man kann sie in die Vereinigung ja nicht hineinnötigen.
    England steht nach seiner traditionellen Betrachtungsweise Europa viel zu selbständig gegenüber. als daß die Anschauung, mit seiner Kohle, mit seinem Stahl in eine supranationale Gemeinschaft hineinzugehen, nun schnell von ihm gefaßt werden könnte. Die Europäische Montan-Union bedeutet für die englische Politik überhaupt eine grundlegende Änderung der europäischen Aspekte. Es bedeutet für England einen völlig neuen Tatbestand, und von Europa her gesehen, weiß ich nicht, ob es im Augenblick wünschenswert wäre, die Anlaufprobleme Europas nun mit der überaus schweren Problematik des englischen Empires zu belasten. Wahrscheinlich wird es doch noch für längere Zeit so bleiben, daß aus guten Gründen, die in der besonderen englischen Lage und in der Verkettung Englands mit seinem Commonwealth liegen, dieses England mit seinem Commonwealth einen besonderen Platz und eine besondere Gemeinschaft behaupten möchte.
    Für uns sind jedenfalls derartige Beschränkungen, wie sie sich zunächst ergeben, keine Hinderungsgründe, die Montanunion zu beginnen, weil wir wissen: sie bleibt wesentlich als ein ungeheuer wichtiger Entwicklungsfaktor für die Organisation der Vereinigten Staaten von Europa, die wir anstreben. Die Montan-Union ist nur eine Station auf dem Weg zu diesem Ziel.
    Wir sagen prinzipiell Ja zu dem Vertrag, aber wir sagen nicht Ja zu Instrumenten der Diskriminierung, die aus den siegerstaatlichen Regelungen der Nachkriegszeit stammen. Wir haben vom Bundeskanzler gehört — und das war von vornherein die Einstellung wohl aller Regierungsparteien zu diesem Vertragsprojekt —, daß es schon vor über einem Jahr die deutsche Ansicht war, mit der Ratifizierung dieses Vertrages, spätestens aber mit dem Wirksamwerden des einheitlichen Marktes, müßten diese Entrechtungsinstrumente der sieger staatlichen Politik der Nachkriegszeit wegfallen: die Ruhrbehörde, die Beschränkung der Stahlquote und der Stahlkapazität, die Kontrollgruppen für Eisen, Stahl und Kohle und dazu die Eingriffsrechte des Sicherheitsamtes in Koblenz. Mit der Verwirklichung des inzwischen gegebenen Versprechens der französischen Regierung durch alle beteiligten Mächte ist ja, wie wir gehört haben, erfreulicherweise mit absoluter Sicherheit zu rechnen. Wir sind der Auffassung, daß gerade durch die Beseitigung der deutschen Diskriminie-


    (Euler)

    rungen der Entfaltung der europäischen Wirklichkeit in der Richtung, die alle europäischen Völker benötigen; der beste Dienst geleistet wird.
    Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein paar Worte zu dem Saarproblem sagen. Wir sind uns alle darüber einig: die deutsche Rechtsauffassung ist bei allen Fraktionen hier im Hause dieselbe. Wohl aber müssen wir uns alle darauf einstellen, wie es denn möglich sein soll, daß diese deutsche Rechtsauffassung — daß nämlich die Saar Bestandteil Deutschlands sei — nun von den anderen Mächten anerkannt wird. Ich glaube, auch da ist die Linie der Regierungspolitik die allein erfolgreiche. Wenn wir auf dem miserablen Terrain einer rein nationalstaatlich-machtpolitischen Betrachtungsweise der Vergangenheit bleiben, können wir Deutschen, glaube ich, nicht hoffen, mit unserer Rechtsauffassung bei den demokratischen Mächten durchzudringen.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Gerade in dem Maße, wie wir daran mitarbeiten, daß in Europa unter den Völkern — zunächst einmal außerhalb des sowjetischen Einflußbereiches — lediglich die Vorstellungen des Völkerrechts gelten, zu dem auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker gehört, in dem Maße, in dem nichts anderes als diese Auffassungen des Rechts in Europa Geltung beanspruchen können, kann uns von den anderen Mächten — auch gerade von Frankreich — nicht die Anerkennung des deutschen Rechtes auf die Saar versagt werden.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Diejenigen, die von einem ideell verständigen Standpunkt aus eine überspitzte Kritik an unserer außenpolitischen Entwicklung üben, leisten uns keinen Dienst. Es ist nicht so, daß ihr Nein produktiv wäre. Es ist nicht so, daß das sozialdemokratische Nein die Voraussetzung für manchen der bisher erzielten Erfolge in der Außenpolitik gewesen wäre. Das ist eine anhebende sozialistische Geschichtsklitterung: Wohl aber ist es so, daß die Politik der Verneinung, die Politik der Negation, wie sie von der Sozialdemokratie betrieben wird, in wachsendem Maße Mißtrauen gegen die gesamte neue deutsche Politik im Auslande erregt, zum mindesten Mißtrauen insoweit weckt, als sich die anderen Völker besorgt fragen, wie lange das deutsche Volk einem solchen agitatorischen Trommelfeuer, einer solchen agitatorischen Verlockung zum Übernationalismus wohl widerstehen mag. Es wird von daher eine Unsicherheit in die Beurteilung unserer Verhältnisse hineingetragen, die der gesamtdeutschen Entwicklung gerade im Hinblick auf die Beseitigung des Mißtrauens in der Welt und in dem Hervorbringen einer positiven Einstellung gegenüber Deutschland eher schädlich als vorteilhaft ist.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben vorhin von dem Kollegen Schmid die ganze negative Einstellung gegenüber der Montan-Union mit vielen Argumenten gehört. Wer sich einmal in den vergangenen Wochen mit der Feststellung befaßt hat, wie die Einstellung der deutschen Öffentlichkeit — darunter Publizisten, Wissenschaftler und angesehenste Wirtschaftler — in der Zeit vor dem Deutschen Zollverein in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, finden wir viele von den Argumenten, die heute vorgetragen werden. Es wurde damals gesagt, daß der Deutsche Zollverein ein Hindernis auf dem Wege zur deutschen Einheit sei. Nun, man hört, wie Herr Dr. Schumacher oder wie Herr Carlo Schmid heute verkündet, daß die Montan-Union ein Hindernis auf dem Wege zur europäischen Einheit sei. In der damaligen Zeit wurden vor allem die Gesichtspunkte der Konkurrenzangst in den Vordergrund geschoben, die Gesichtspunkte, aus denen die Menschen dazu kamen, vor einer Entwicklung zu warnen, die nur mit wirtschaftlichen Nachteilen und Schädigungen für alle Beteiligten verbunden sein könne. Wir lesen in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" vom 27. April 1832 eine Erklärung der Stuttgarter und Cannstatter Fabrikanten, die einleitend die Überlegenheit der preußischen Industrie schildert und dann fortfährt:
    Daher müßte unsere kaum aufblühende Industrie in Wolle, Baumwolle, Seide, Stahl- und
    Eisenwaren durch jene mächtige Konkurrenz
    unausbleiblich in der Geburt erstickt werden.
    Als das sächsisch-preußische Zollabkommen getroffen war, fürchteten die Leipziger Kaufleute für ihre Existenz. Mit der Abnahme des englischen Geschäfts sagten sie den Untergang der Leipziger Messen voraus. Als schließlich nach sorgsamer Abwägung der beiderseitigen Vor- und Nachteile der Vertrag zwischen Sachsen und Preußen abgeschlossen wurde, erhob sich in Sachsen ein Sturm der Entrüstung — so liest man in damaligen Schilderungen —, dem sich sogar die Industrie anschloß. Man sprach von Preisgabe der Landesinteressen. Und der sächsische Finanzminister von Zeschau wurde bei seiner Rückkehr aus Berlin fast gesteinigt. Ein Plakat, das an jeder Straßenecke angeschlagen war, beschuldigte ihn. Sachsen für Geld und Orden verkauft zu haben.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir finden auch in der heutigen Kritik viel, was darauf angelegt ist, die Politiker, die sich für die MontanUnion einsetzen, in den Augen des deutschen Volkes zu diffamieren, als verträten sie die deutschen Interessen nicht mit genügender Festigkeit. Ich glaube, daß sich gerade auch bei der MontanUnion bewähren wird, was in den Jahren nach dem Deutschen Zollverein so stark hervortrat, daß sich nämlich die Schaffung eines großen einheitlichen Marktes, der Wegfall aller Handelsbarrikaden und Zollschranken, der Wegfall der künstlichen Hindernisse, die jetzt in Europa die Produktivität und den Lebenstandard senken, in einer außerordentlichen Potenzierung der europäischen Beschäftigungs- und Austauschmöglichkeiten in allen europäischen Ländern auswirken wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)