Rede von
Dr.
Günther
Henle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wenn ich hier für die Fraktion der CDU das Wort ergreife, um in dieser so überaus bedeutsamen Aussprache über die Frage der Billigung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unseren Standpunkt darzulegen, so lassen Sie mich eine Feststellung gleich vorweg treffen. Die in der Regierung vertretenen Parteien in diesem Hause sind sich im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung völlig einig in der Erkenntnis des großen Zieles, um das es sich bei der Verwirklichung des Schumanplanes handelt, und in der Entschlossenheit, diese Verwirklichung, soweit es an uns liegt, auch sicherzustellen. Was von den Sprechern der einzelnen Regierungsparteien heute hierzu gesagt wird, gilt daher grundsätzlich für alle Fraktionen der Koalition und in deren aller Namen, ohne daß damit jede Gruppe auf jede einzelne Formulierung festgelegt werden soll. In allem Wesentlichen aber stehen wir einmütig zusammen.
Das bedeutet nicht, daß wir alle hundertprozentige Lobredner des Vertragswerkes sind, das uns vorliegt. Darum handelt es sich auch nicht, sondern es geht um die schicksalsschwere Frage, ob die deutsche Bundesrepublik bereit ist, mit Hand anzulegen bei der Verwirklichung des wohl kühnsten Versuches, der bisher unternommen wurde, um die althergekommene Aufspaltung Europas in nationalstaatliche Einheiten, deren jede bei sich unbedingt Herr im eigenen Hause sein will, zu
überwinden. Diese Überwindung soll dadurch angebahnt werden, daß zunächst einmal auf dein höchst wichtigen wirtschaftlichen Teilgebiet von Erz, Kohle und Stahl dem Grundsatz der Aufspaltung der Grundsatz der Zusammenfassung, dem Gedanken der Gegensätzlichkeit jener der Gemeinsamkeit übergeordnet und damit eine wesentliche Änderung der bisherigen Ordnung der Dinge in Europa angebahnt und herbeigeführt wird. Gewiß ist ein solcher Versuch ein Wagnis, aber wir bekennen uns zu der Notwendigkeit eines solchen Wagnisses. Freilich, gerade weil wir so denken, sind wir nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, genau zu untersuchen, ob die Voraussetzungen des Gelingens in dem uns vorliegenden Vertragstext in höchst erreichbarem Umfange vorliegen.
Dieser Vertragstext ist ein kompliziertes und umfangreiches, für den Nichtfachmann und damit für die weiten Kreise des Volkes schwer lesbares und in bezug auf die Tragweite der einzelnen Bestimmungen nicht leicht zu durchschauendes Werk. Man erwartet natürlich im Lande draußen mit Recht von uns, daß jedenfalls wir Abgeordneten uns diese Bestimmungen sehr genau ansehen und sie auf die Goldwaage legen, um so zu einem verläßlichen Gesamturteil zu kommen. Es ist selbstverständlich, daß wir der uns so obliegenden Pflicht nur gerecht werden können, wenn wir nicht sozusagen von vornherein alles und jedes für restlos befriedigend erklären, was die Unterhändler erreicht und festgelegt haben, sondern auch Kritik üben, wo immer Bestimmungen zu Zweifeln an dem Erfolge des Ganzen Anlaß geben. Eine solche Kritik ist nicht negativ, sondern Kritik im Interesse eines Gelingens des Gesamtwerkes.
Ich betone das, weil sich gerade in dieser Hinsicht, zumal im Ausland, oft Mißverständnisse einstellen. Wir haben das noch dieser Tage deutlich bei der Bewertung der Forderungen gesehen, die der Bundesrat in seiner Sitzung vom 27. Juni im Rahmen des Schumanplanes erhoben hat. Ein Teil der Auslandspresse hat darin eine Opposition gegen die Montanunion als solche oder doch zumindest ein Verzögerungsmanöver sehen wollen. Das scheinen mir irrtümliche Interpretationen zu sein. Weit zutreffender war es, wenn die „New York Times" in einem Leitaufsatz dazu schrieb, der Bundesrat habe ein gutes Beispiel gegeben und seine Vorbehalte seien vom alliierten Standpunkt aus nur von geringerer Bedeutung, da ja die Gleichstellung Deutschlands und die Aufhebung der alliierten Kontrolle wesentliche Elemente des Schumanplanes seien. Um so größere Bedeutung hätten sie freilich, so fügte das große New Yorker Blatt hinzu, vom innerdeutschen Standpunkt aus, um die Opposition gegen den Schumanplan zu überwinden, die — wie das Blatt weiter schreibt — nicht nur von einigen unentwegten Ruhrindustriellen, sondern besonders von den deutschen Sozialisten herrühre.
Was die Ruhrindustriellen anlangt, so glaube ich sagen zu können, daß diese es von vornherein an grundsätzlich positiver Einstellung zum Schumanplan nicht haben fehlen lassen.
Was die Haltung der SPD anlangt, so hat diese freilich die Bekämpfung des- Schumanplan-Vertragswerkes nun leider einmal zur Parteiparole, um nicht zu sagen, zum Dogma erhoben. Dabei ist, wie einer kürzlichen Meldung der der SPD
nahestehenden Zeitung „Die Welt" zu entnehmen war, — —
— Meine Herren, sind Sie so sicher, daß alle Mitarbeiter der „Welt" den Vermerk in der 'Oberschrift von der „Überparteilichkeit" auch gelegentlich einmal selber lesen?
— Ich wollte Ihnen mit dieser Bemerkung ja in
keiner Weise zu nahe treten, Herr Dr. Schumacher!
Meine Damen und Herren! Wie dem auch sei, jedenfalls war einer Meldung dieser Zeitung zu entnehmen, daß es auch bei dem internationalen Kongreß der sozialistischen Parteien in Frankfurt bei dieser Stellungnahme geblieben ist, von dem man vielleicht am ehesten eine gewisse Auflockerung dieser dogmatischen Erstarrung erhoffen konnte. Um die Rolle, die sich die SPD damit selbst zudiktiert hat, ist sie nun freilich nicht zu beneiden. Aber das enthebt uns nicht der Notwendigkeit, uns mit den Argumenten ernsthaft auseinanderzusetzen, die von der linken Seite dieses Hauses gegen die Montanunion ins Feld geführt werden. Wir kennen sie schon im voraus; denn dank der Redekampagne des Herrn Dr. Schumacher füllen sie ja schon einen ganzen Katechismus.
— Nein, ich verhake mich nicht so lange in ein und denselben Gegenstand, Herr Schumacher.
Kritik am Schumanplan ist natürlich in allen beteiligten Ländern laut geworden. Die Koordinierung der Grundindustrien in sechs verschiedenen Staaten mit recht unterschiedlichen Voraussetzungen kann sich nicht ohne Ausgleichsmaßnahmen und Sonderbestimmungen vollziehen, die Kompromisse erfordern, wie das der Herr Bundeskanzler eben bereits ausgeführt hat. Jedes Kompromiß bedeutet aber ein Zurückstecken gegenüber dem für jeden einzelnen Partner an sich Wünschbaren. Ebenso erfordern gemeinsame Anstrengungen zur Erreichung eines bestimmten Zieles auch mancherlei Opfer, die natürlich nach einem, objektiven, für alle Partner gleichmäßig zur Anwendung gelangenden Schlüssel verteilt werden müssen. Das sind an sich Selbstverständlichkeiten.
Was für uns Deutsche die Verwirklichung des Schumanplans in mancher Hinsicht besonders erschwert hat, das .ist unsere heute noch gegebene Unfertigkeit als selbständiger Staat nach dem totalen Zusammenbruch von 1945. Denn diese Unfertigkeit dokumentiert sich für die Grundindustrien besonders in dem Fortbestehen der alliierten Neuordnungs- und Kontrollmaßnahmen innerhalb der Bundesrepublik.
Dabei wirkt sich noch weiter erschwerend aus, daß wir es bei diesen Fragen im Rahmen der Schumanplan-Verhandlungen nur mit Frankreich zu tun hatten, das verständlicherweise nicht in der Lage war, dabei zugleich für seine nicht zur Montanunion gehörenden Partner in den Neuordnungs- und Kontrollorganen verbindliche Erklärungen abzugeben. So war es eine zwangsläufige Folge, daß es in dieser Hinsicht noch eine Reihe offener oder bisher noch nicht abschließend geklärter Punkte gibt. Diese haben dann ja in dem Beschlusse des Bundesrats vom 27. Juni die Hauptrolle gespielt.
Da ist einmal die Ruhrbehörde. An sich gibt es, glaube ich, kaum einen eindrucksvolleren Beweis, in welch starkem Ausmaß uns gerade unser positives Eingehen auf den Schumanplan-Vorschlag vorangebracht hat, als die Tatsache, daß von uns heute schon mit Fug und Recht das Verschwinden der Ruhrbehörde verlangt werden konnte. Gerade von der französischen Regierung selbst, die seinerzeit diejenige war, die die Schaffung der Ruhrbehörde durchsetzte, ist uns die Beseitigung dieser Institution jetzt zugesagt worden.
Man hat dagegen eingewandt, diese Zusage sei nicht endgültig und somit letztlich auch nicht bindend. Demgegenüber möchte ich glauben, daß sich die französische Regierung mit ihrem Briefe an den Herrn Bundeskanzler vom 18. April tatsächlich im Maximalausmaß dessen festgelegt hat, was ihr ohne Verhandlungen mit Washington und London möglich war. Das hat man ihr in London bekanntlich sogar etwas verübelt. Durch den Brief vom 18. April sind die Franzosen im Sinne eines Außerkrafttretens des Ruhrstatuts nach der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle, d. h. also spätestens sechs Monate nach Ernennung der Mitglieder der Hohen Behörde, durchaus bindend festgelegt. Von dieser Festlegung könnte sie nur ein Widerspruch ihrer außerhalb der Montanunion stehenden Partner befreien. Was diese Partner anlangt, so wissen wir bereits aus den Mitteilungen des Herrn Bundeskanzlers im Bundesrat und auch in diesem Hause, daß sie die Zusage gegeben haben, der Auflösung der Ruhrbehörde auch ihrerseits zustimmen zu wollen. So steht deren baldiges Verschwinden in sicherer Aussicht.
Bei dieser Sachlage ist es wohl angezeigt, in die Erinnerung zu rufen, wie heftig Ende 1948 das Aufbegehren in ganz Deutschland war, als die Ruhrbehörde geschaffen wurde
— wir waren damals ja hier noch gar nicht versammelt —,
ja, wie heftig es teilweise — das bezieht sich jetzt auf Sie, Herr Kollege Schmid — noch kritisiert wurde, als sich dann im Zusammenhang mit den Abmachungen vom Petersberg die Bundesregierung bereit fand, deutsche Vertreter in die Ruhrbehörde zu entsenden. Darin wollte manch einer eine Art Kapitulation sehen,
während der Ablauf der Dinge bewiesen hat, meine Damen und Herren von der Linken, daß wir damit dem Schumanplan-Gedanken und darüber hinaus dem Schritt ins Freie den Weg ebneten.
Man macht es sich wahrlich etwas zu bequem, wenn
gegen all das jetzt eingewendet wird, an die Stelle
der Ruhrbehörde solle nun eben die Hohe Behörde
treten, um die Bevormundung des Ruhrgebiets für weitere 50 Jahre zu gewährleisten. Dabei wird denn doch auf ein allzu schlechtes Erinnerungsvermögen spekuliert. Wie hieß es doch 1948? Es hieß, wenn die gesamte westeuropäische Grundindustrie wie ein großer internationaler Pool zusammengefaßt würde und dann alle der gleichen Kontrolle unterworfen würden,
ja, dann ließe sich nicht nur darüber reden,
sondern darin würde sogar ein entscheidender Schritt nach vorwärts liegen;
aber die völlig einseitige Unterwerfung Deutschlands unter solche Kontrollen sei untragbar.
Ja, Herr Dr. Schumacher, so weit sind wir jetzt dank der Politik, die wir betrieben haben, gekommen.
Natürlich war diese einseitige Unterwerfung Deutschlands auf die Dauer untragbar. Wenn sie nun heute aufgehoben werden soll, so ist es nicht der laute Entrüstungssturm gewesen, der eine solche rasche Entwicklung bewirkt hat, sondern die überlegene und kluge Behandlung der ganzen Frage durch den Bundeskanzler Herrn Dr. Adenauer,
der allein schon damit eine staatsmännische Leistung von historischem Ausmaß vollbracht hat.
Die Hohe Behörde mit ihrem übernationalen Charakter und mit der Anfechtbarkeit ihrer Entscheidungen vor einem eigens dazu geschaffenen Gerichtshof ist etwas von der Ruhrbehörde dem Wesen nach so vollkommen Verschiedenes, daß, wer behauptet, sie laufe in der Wirkung auf dasselbe hinaus, die Dinge in ihrem wirklichen Zusammenhang entweder nicht zu übersehen vermag oder sie einfach nicht sehen will.