Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bitte noch um einige Minuten! —
Was sind nun einige der Voraussetzungen, die zunächst geschaffen werden müssen? Zunächst eine: Man kann bei dem Grad von Ungleichheit, in dem Deutschland im Verhältnis zu seinen Verhandlungspartnern steht, über nichts anderes verhandeln als über Fragen eines weitgehenden modus vivendi.
Man kann bei dieser Ungleichheit keine Verträge schließen, die die Zukunft eines Volkes auf zwei Generationen festlegen. Denn die Ungleichheit des Grundverhältnisses fließt, ob man will oder nicht, in die Sonderregelungen hinein, über die man Verträge schließt. Darum sollte man in dem Zustand, in dem wir uns heute befinden, Verträge solcher Art, Verträge, die über die Regelung des modus vivendi hinausgehen und endgültige Verhältnisse schaffen sollen, nicht schließen. Denn wenn für uns eines Tages dann die formale Gleichberechtigung kommen sollte, fällt sie ins Leere. Es ist dann doch alles, worauf es ankommt, wenn Freiheit effektiv sein soll, durch diese Sonderregelungen ausgeklammert! Gleichheit Deutschlands bedeutet nichts anderes als Normalisierung des 'deutschen Grundverhältnisses. Sie muß schon eingetreten sein vor dem Eingehen grundlegender und lange Zeiträume festlegender Bestimmungen. Sie darf nicht angesehen werden als etwas, das erst als Auswirkung einer im Zeichen der Ungleichheit eingegangenen Bindung erwartet werden darf.
Sie weisen hin auf die Erfolge, die die Politik des Herrn Bundeskanzlers uns gebracht hat. Natürlich gibt es da Erfolge aufzuweisen!
Aber der Hauptarchitekt dieser Erfolge war die Zeit. Und der größte Erfolg seit 1945 ist eingeheimst worden, noch ehe es die Bundesrepublik gab. Und er kam, als es gelang, den Siegermächten deutlich zu machen, daß eine neue Phase ihrer Besatzungsherrschaft beginnen müsse. Das Produkt war die Bundesrepublik.
— Vielleicht. Vielleicht danken wir Stalin noch mehr, Herr Kollege Ewers.
Das alles stellt uns vor schwierige Situationen. Sie zu meistern ist eine Regierung da. Aber eine gute Politik kann sie nur machen, wenn sie Differenzpunkte klärt und wenn sie Differenzpunkte austrägt, ehe man Bindungen eingeht, die der Partner anders auslegen könnte als man selbst. Unter Umständen bleibt manchmal nichts übrig, als festzustellen, daß es zu bestimmten Dingen — leider — noch nicht Zeit ist.
Es ist hier oft von der Politik der Vorleistungen gesprochen worden. Ich glaube nicht, daß Vorleistungen eine wirksame politische Methode sind. Politisch kommt man nur weiter, wenn man bestimmte Leistungen verspricht und sich dafür bestimmte Gegenleistungen unter gleichem Rechtszwang versprechen läßt. Wer anders verfährt, wird immer erleben, daß die Nachleistung auf sich warten lassen wird. Ich erinnere an die Geschichte des Versailler Vertrages. Auch da war gesagt worden, die deutsche Abrüstung sei eine Vorleistung, das deutsche Minderheitenstatut sei eine Vorleistung usw. usw.; aber die Nachleistung ist nie gekommen. Denn so wie die Staaten nun leider einmal sind, geben sie nur dann etwas auf, wenn ihnen das Aufgeben im Moment der Aufgabe einen Vorteil bringt, aber nicht mehr dann, wenn sie den Vorteil schon vorher eingeheimst haben.
Es empfiehlt sich auch nicht, eine Politik auf etwas abzustellen, das man „Geist des Schumanplans" nennt. Dieser Geist hat nur insoweit eine politische Bedeutung, als er sich in klaren Bestimmungen des Vertrages selber niedergeschlagen hat. Alles andere ist 'Spekulation. Wenn man auch ge-
legentlich im Kassageschäft einen Wechsel diskontieren kann — zu Ultimo wird er präsentiert, unddann muß man bezahlen —, meist unter Verlust.
Was nun den „Neuen Geist" anbetrifft, den der Schumanplan geschaffen haben soll: An der Saar ist davon noch nicht viel zu merken.
Dabei leben wir doch jetzt in den Flitterwochen, und da pflegt solch neuer Geist doch am wirksamsten zu sein. Er scheint mir aber heute schon recht schwach zu wehen, und ich fürchte. daß nach den Flitterwochen diesem neuen Geist der Atem ganz ausgegangen sein wird. Ich erinnere Sie an den Vertrag über den Hafen von Kehl, den jüngst die badische Regierung mit der Republik Frankreich abgeschlossen hat. Sein Inhalt ermutigt nicht zu großen Hoffnungen. Deutlicher. als es dort geschehen ist, kann man doch nicht zum Ausdruck bringen, daß man von der Siegerposition nicht herabzusteigen gedenkt — trotz der Beschwörung des Geistes des Schumanplans!
Ich bin dafür, daß man den Hafen von Straßburg und den von Kehl beide zusammen unter deutschfranzösische Verwaltung stellt; ich bin aber nicht dafür und ich halte es für eine schlechte Sache, nur den Hafen von Kehl unter deutsch-französische Verwaltung zu stellen. Das 'kann nur wollen, wer will, daß Deutschland als Land zweiten Ranges existieren soll. Ich hoffe, daß die Bundesregierung diesem Vertrag ihre Zustimmung nicht geben wird.
Es gibt Spuren, die uns schrecken sollten. Als Präsident Wilson seinen Versailler Vertrag vor dem Senat verteidigte, warfen ihm Senatoren vor: „Wie konntest du eine so schlechte Sache unterschreiben?" — Darauf sagte er: „Getrost, getrost! Ich weiß, daß sehr viele schlechte Sachen in dem Vertrag stehen, aber wir haben den Völkerbund, und im Geist des Völkerbunds werden alle diese schlechten Dinge gegenstandslos werden!"
Meine Damen und Herren, die bösen Dinge im Versailler Vertrag wurden nicht gegenstandslos, aber sie haben den Boden bereitet, auf dem ein Adolf Hitler nach Berlin marschieren konnte!
Und damit will ich zum Schluß kommen: Wir haben Ihnen in Drucksache Nr. 2484 eine Resolution vorgelegt. Ich will sie nicht verlesen. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Resolution nicht nur verlangt, daß vor der Ratifikation bindende Erklärungen über den Abbau bisher einseitig auferlegter alliierter Maßnahmen abgegeben sein müssen, sondern daß darüber hinaus vor der Ratifikation auch Erklärungen abgegeben worden sein müssen, wonach der 'deutsche Investitionsbedarf gesichert sein soll, die Verbundwirtschaft gesichert bleiben soll, ausreichende Zusicherungen über deutsche Verfügung über Kohle und Stahl für die Ausfuhr gegeben werden sollen, und daß die Position des Saargebiets im Zusammenhang mit dem Schumanplan in der Weise, wie es hier verzeichnet ist, klargestellt werden muß. Wir Sozialdemokraten lehnen den Schumanplan so, wie er jetzt ist, ab; aber jene von Ihnen, die glauben, man könnte oder müßte ihn annehmen, die sollten doch mindestens zum Ausdruck bringen, daß er nur ratifiziert werden darf, wenn diese für uns so vitalen
Voraussetzungen hergestellt sind oder ihre Verwirklichung doch zumindest garantiert worden ist. Das ist das Mindeste, was wir tun müssen!