Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich zwei Glückwünsche aussprechen. Am 10. November hatten die Abgeordneten Adams und Sick ihren 60. Geburtstag. Ich beglückwünsche sie auf das herzlichste.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 8/3067 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/3313 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Klein , Coppik
b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrstrafgesetzes
— Drucksache 8/3067 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/3313 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Klein , Coppik
c) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klein , Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Lenz (Bergstraße), Dr. Möller, Dr. Pinger, Dr. Stercken und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines .. . Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 8/2282 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/3313 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Klein , Coppik
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute am Ende eines langen und zeitweise mühsamen Weges, eines Weges, auf dem es der Unionsfraktion gelang, die Regierungsparteien und die Bundesregierung davon zu überzeugen, daß es bei der bisherigen Regelung des § 353 c des Strafgesetzbuches nicht bleiben kann. Schließlich — das dürfen wir mit Befriedigung verzeichnen — hat sich doch die Überzeugungskraft der besseren Argumente durchgesetzt.Die Strafbarkeit der Weitergabe von Geheimnissen, die nicht Staatsgeheimnisse sind, soll sich in Zukunft auf zur Geheimhaltung besonders verpflichtete Personen beschränken. Deshalb sieht der Ihnen vorliegende Entwurf eines Siebzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes die Aufhebung des bisherigen § 353c Abs. 1 des Strafgesetzbuches vor. Es wird damit eine Vorschrift beseitigt, nach der mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden konnte, wer unbefugt Nachrichten, die formell als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnet sind, weitergibt oder veröffentlicht, wobei die Strafverfolgung von einer Ermächtigung der Bundesregierung abhängig ist.Angesichts der Vielfalt der Gegenstände, die der sogenannten formellen Sekretur unterliegen, litt der Straftatbestand unter einem erheblichen Maß an Unbestimmtheit, die dadurch noch verschärft worden ist, daß die Strafverfolgung von einer Ermessensentscheidung der Bundesregierung, ob sie die Ermächtigung erteilen wolle oder nicht, abhängig gemacht wurde.Die Novelle, über die wir jetzt zu beschließen haben, geht auf einen Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurück, über den der Deutsche Bundestag im Dezember vergangenen Jahres in erster Beratung gesprochen hat. Heute sehen wir uns am Ziel und verbuchen damit innerhalb einer Woche
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14612 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Dr. Klein
mit nicht geringer Genugtuung einen zweiten medienpolitischen Erfolg. Nachdem es in der vergangenen Woche gelungen war, einen von der Bundesregierung beabsichtigten Anschlag auf die Freiheit des internationalen Informationsflusses zu vereiteln, fällt nun heute dieser sogenannte Maulkorbparagraph, der in seiner bisherigen Gestalt eine Gefahr für die Presse- und Informationsfreiheit im Inland darstellte. Deshalb war diese Vorschrift auch in den vergangenen Jahren zunehmend in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik geraten.Ich habe von einem langen Weg gesprochen, der bis zum heutigen Tag zurückzulegen war. Es ist daran zu erinnern, daß wir uns bereits in der vergangenen, der siebenten Legislaturperiode um eine Novellierung dieses Gesetzesparagraphen bemüht hatten. Damals war es uns leider nicht gelungen, SPD und FDP von der Notwendigkeit einer Novellierung zu überzeugen.Es war dann, wie gesagt, auch in der laufenden Legislaturperiode wieder die Unionsfraktion, die erneut die Streichung des § 353 c Abs. 1 forderte und die Initiative dazu ergriff. Inzwischen waren sich auch die anderen Fraktionen des Hauses über die Berechtigung des anvisierten Zieles klargeworden. Dennoch war es aus nicht ganz leicht begreiflichen offenkundigen Prestigegründen nicht möglich, unverzüglich in die Beratung des von uns vorgelegten Gesetzentwurfes einzutreten. Wir mußten erst acht Monate warten, bis die Bundesregierung ihrerseits einen in der Sache weitgehend identischen Entwurf vorgelegt hatte, dessen erste Lesung dann im September dieses Jahres stattfand. Danach konnten die Beratungen im Ausschuß zügig voranschreiten.Die inhaltlichen Abweichungen des Regierungsentwurfs von unserem Vorschlag sind vergleichsweise geringfügig, jedenfalls so geringfügig, daß es ohne weiteres möglich gewesen wäre, diese abweichenden Vorstellungen im Rahmen der Beratungen unseres Gesetzentwurfs einzubringen. Eines Gesetzentwurfes seitens der Bundesregierung hätte es wohl nicht bedurft, wenn nicht diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf dem Prinzip bestünden, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, daß nämlich auch die Opposition einmal recht hat.Sie sehen also, es war ein ziemlich langer und mühsamer Weg, bis die Bundesregierung dazu gebracht werden konnte, ernsthaft über die Streichung dieser Vorschrift nachzudenken und dazu dann auch noch eigene Vorschläge zu machen. Diese Vorschläge, die heute Gegenstand unserer Beratung und Beschlußfassung sind, bleiben allerdings in der Qualität nach wie vor um einiges hinter unseren Vorschlägen zurück. So hätte es nach unserer Auffassung beispielsweise nahegelegen, im Zusammenhang mit dieser Novellierung den recht unbestimmten Begriff des öffentlichen Interesses, weil zu weit, zu unbestimmt, durch den von uns vorgeschlagenen Begriff „Interessen des Bundes und der Länder" zu ersetzen. Dazu war die Koalition nicht bereit.Vor allem aber — das bleibt ein entscheidender Punkt der Kritik — soll nach dem Willen des uns jetzt vorliegenden Entwurfs die Ermächtigungsklausel erhalten bleiben. Ein Antrag meiner Fraktion im Ausschuß, diese Klausel zu streichen und damit die Strafverfolgung nicht mehr von im Ermessen oberster Regierungsbehörden stehenden Ermächtigungen abhängig zu machen, ist leider der Ablehnung verfallen. Dadurch jedoch, daß es weiterhin im Ermessen der Bundesregierung bleiben soll, ob jemand mit einem Strafverfahren überzogen wird, ist politischer Manipulation auch in Zukunft Tür und Tor geöffnet. Nur wenn man die Ermächtigungsklausel gestrichen hätte, wäre eine politische Steuerung der Strafverfolgung von vornherein ausgeschlossen gewesen und damit eine einheitliche Handhabung der gesamten in Betracht kommenden Straftatbestände möglich gewesen.Nach der neuen Fassung können sich also auch künftig Fälle wie jener aus der Zeit der Ostverträge wiederholen, als die „Welt" und mit ihr auch andere Zeitungen die sogenannten Bahr-Gromyko-Papiere veröffentlichten, Fälle, die uns noch in durchaus schlechter Erinnerung sind, in denen es zu einer merkwürdig ungleichen Behandlung von bestimmten Personen, insbesondere Journalisten, gekommen war.Daß dies auch in Zukunft so bleiben wird, ist an dieser Vorlage mit Nachdruck zu kritisieren. Wir halten sie also keineswegs für die bestmögliche Lösung. Vielmehr handelt es sich eben um den nach dem derzeitigen Willen der Bundesregierung möglichen Schritt, immerhin um einen Schritt in die richtige Richtung. Mit dem Ergebnis können wir nicht voll zufrieden sein; zufrieden sind wir nur damit, daß es einen gewissen Schritt vorangeht.Die Regierungsvorlage sieht weiter vor, den § 353 c Abs. 2 in den bisherigen § 353 b einzustellen. Das ist eine vernünftige Sache. Unproblematisch ist auch die Einarbeitung und Ergänzung des § 1 des Wehrstrafgesetzes, wodurch eine sachlich nicht gerechtfertigte Anwendungsbeschränkung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes bei Soldaten gegenüber anderen Personengruppen beseitigt werden konnte.Nun kann ich, meine Damen und Herren, nicht schließen, ohne einem gewissen Bedauern darüber Ausdruck zu geben, daß vor allem die FDP unserem Vorschlag nicht auf der ganzen Wegstrecke gefolgt ist, nachdem es ja gerade der engagierte Einsatz von Frau Matthäus-Maier war, der uns auf unserem Wege in nicht geringzuschätzender Weise vorangeholfen hat und der bei uns die Hoffnung hat aufkommen lassen, daß wir uns sogar auf eine große — eben die von der CDU/CSU vorgeschlagene — Lösung hätten einigen können.Bei der Einlösung des Anspruchs jedenfalls, ein Stück mehr freiheitlicher Demokratie zu wagen, hier also einen vergrößerten Freiraum für Journalisten und etwas mehr Informationsfreiheit für den Bürger zu schaffen, hatten wir eigentlich auf die FDP gerechnet. Dabei will ich gar nicht verhehlen, daß wir es — um noch einmal auf den Gegenstand der Beratungen der vergangenen Woche zurückzukommen — natürlich mit großer Genugtuung verzeichnet haben, daß die FDP ganz offensichtlich im Begriff ist, in den großen medienpolitischen Fragen dieser Zeit auf die Linie der Union einzuschwenken.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14613
Dr. Klein
Äußerungen des FDP-Sprechers Gerwald und des Generalsekretärs Verheugen in der „Bild"-Zeitung und der „Welt am Sonntag" lassen jedenfalls diese Hoffnung in uns keimen. Denn in der Tat ist es, wie Herr Verheugen mit Recht gesagt hat, die Aufgabe der Politiker, Informations- und Meinungsfreiheit zu erweitern, und nicht, sich beiden in den Weg zu stellen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, räumt nun auch der vorliegende Gesetzentwurf ein Hindernis hinweg. Die Fraktion der Union stimmt diesem Gesetzentwurf zu, weil die damit gefundene Lösung dem von uns angestrebten Ziel immerhin etwas näherkommt als das geltende Recht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Coppik.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die grundlegenden Ausführungen über Informationsfreiheit, die Herr Kollege Klein hier vorgetragen hat, nicht näher eingehen.
Wir werden uns sicherlich im Zusammenhang mit einigen Problemen, die wir in der Zukunft noch zu bewältigen haben, über dieses Thema eingehend unterhalten, und dann werden wir sehen, welche Position Sie beziehen, wenn es darum geht, die Informationsfreiheit und die Freiheit der Medien gegenüber dem Einfluß mächtiger Interessen zu schützen.Der Geheimschutzparagraph 353 c, über den wir heute sprechen, ist für das Presserecht von Wichtigkeit, ist bedeutsam für die Ausgestaltung der Pressefreiheit. Er wurde in den Medien vor allem anläßlich einiger spektakulärer Einzelfälle sehr intensiv diskutiert. Um so mehr muß es erstaunen, wie wenig Aufmerksamkeit diese Reform, die jetzt vorgenommen wird, in der Offentlichkeit findet. Wenn ich mir die Pressetribüne anschaue, dann erinnert sie mich an einige sehr gehässige Kommentare von Journalisten über die Besetzung des Plenums in diesem Haus.
— Die hören am Bildschirm zu, ja. Sicher. Ich bin mir darüber im klaren, daß die Journalisten über sich selbst solche Kommentare nicht schreiben werden.Die Streichung des Geheimschutzparagraphen 353 c, die wir heute mit dem 17. Strafrechtsänderungsgesetz beschließen, beendet eine jahrzehntelange Diskussion um diese Vorschrift, beseitigt ein undemokratisches Relikt aus unserem Strafrecht und leistet einen Beitrag zum effektiveren Schutz der Pressefreiheit, indem die journalistische Tätigkeit von unvertretbaren strafrechtlichen Risiken entlastet wird.Dem Gesetz liegt die Konzeption zugrunde — Herr Kollege Klein hat das bereits dargestellt —,daß der strafrechtliche Schutz formeller Geheimnisse, die keine Staatsgeheimnisse sind, auf die Personen beschränkt wird, die zu einer besonderen Geheimhaltung verpflichtet sind. Erfährt aber ein Journalist, der ja naturgemäß nicht zu diesem Personenkreis gehört, ohne dabei selbst eine strafbare Handlung zu begehen, von einem Vorkommnis, dessen Veröffentlichung er für angebracht hält, so kann er nach unserer Meinung eben nicht dem zur Geheimhaltung verpflichteten Beamten gleichgestellt werden. Die Presse kann und darf nicht verlängerter Arm der Verwaltung sein und kann auch nicht als solcher strafrechtlich behandelt werden. Die Strafverfolgung von Journalisten kann auch nicht als Korrektiv dienen, um Mängel in der Verwaltung auszugleichen, sei es im Hinblick auf die Vorgänge, die dort passieren, sei es im Hinblick auf unzulängliche Verschwiegenheit und undichte Stellen, die sich dort finden. Der bloße Stempel „Geheim" wird die Pressefreiheit in unserem Land nicht länger einschränken.In den vergangenen Jahrzehnten ist jeweils nur die Opposition für die Streichung des § 353 c eingetreten. Das hat Herr Kollege Klein hier dargestellt. Er hätte aber hinzufügen müssen, daß es immer die Opposition war, und zwar gleichgültig, wer nun gerade die Opposition stellte, ob SPD oder CDU/CSU, und daß es immer die jeweilige Regierung war, die dieser Forderung im Namen der Geheimhaltungserfordernisse entgegentrat. Und da Sie sehr starke Worte über die positive Rolle der CDU/CSU in diesem Zusammenhang hier vorgetragen haben, hätte es zur ganzen Wahrheit gehört, mitzuerwähnen, daß es Zeiten gegeben hat, in denen die SPD in der Opposition war
und die gleichen Forderungen stellte, und es damals
der CSU-Bundesjustizminister Jaeger war, der sich mit aller Vehemenz gegen eine Streichung des § 353 c, selbst des Teils, der für Journalisten relevant ist, gewandt hat, weil dadurch eine empfindliche Lücke in den strafrechtlichen Schutz staatlicher Geheimnisse gerissen würde. Das gehört zur ganzen Wahrheit. Das bedeutet, daß sich in dem Verhalten der jeweiligen Opposition zu dieser Frage durch Ihre Vorschläge nichts Nennenswertes oder besonders Neues ergeben hat.Es ist ja auch kein Zufall, daß zu der Zeit, als die CDU/CSU die Regierung stellte, eine grundlegende Reform des § 353 c ausgeblieben ist. Neu ist allerdings, daß dieses Mal die Bundesregierung selber einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, mit dem die vorliegende Liberalisierung des geltenden Strafrechts bewirkt wird. Wir wissen, daß alle Regierungen, auch demokratische Regierungen, das Bestreben haben, ihre Eingriffsbefugnisse eher zu erweitern als einzuschränken. Deshalb sollte der positive Beitrag der Bundesregierung in dieser Frage des Presserechts ausdrücklich gewürdigt werden.Die Bundesregierung ist im Zusammenhang mit einzelnen spektakulären Fällen der Strafverfolgung
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Coppiknach § 353 c einer erheblichen Kritik ausgesetzt gewesen. Ich glaube, daß die, die damals diese Kritik geübt haben, heute die positive Rolle, die die Bundesregierung bei der Reform dieses Paragraphen gespielt hat, sehr eindeutig zur Kenntnis nehmen sollten.Dem Rechtsausschuß haben zwei Vorschläge von Opposition und Regierung vorgelegen. Die Koalitionsfraktionen haben die Vorschläge der Bundesregierung für sachgerechter gehalten als die dazu unterbreiteten inhaltsähnlichen Oppositionsvorschläge, wobei über die grundsätzliche politische Zielsetzung, Streichung des § 353 c Abs. 1, zwischen allen Fraktionen Einigkeit bestand. Ich glaube, daß das, was zum Schluß noch an Unterschieden zwischen den verschiedenen Vorschlägen vorhanden war, von sehr untergeordneter Bedeutung war. Die Frage, ob man „öffentliche Interessen" oder „Interessen des Bundes und der Länder" sagt, ist für die Praxis von keiner großen Bedeutung. Es gibt aber mittelbare Interessen des Bundes, die sich aus internationalen Verpflichtungen und Abkommen ergeben und die durch die Formulierung „öffentliche Interessen" besser erfaßt werden können als durch Ihren Vorschlag. Was die Frage des Erfordernisses der Verfolgungsermächtigung betrifft, so würde ein Streichen dieses Erfordernisses eine Erweiterung der Strafverfolgung bedeuten. Daher schränkt, was die praktische Auswirkung betrifft, der Vorschlag der Bundesregierung, dem wir im Ausschuß gefolgt sind, die Strafverfolgung gegenüber Ihren Vorschlägen noch weiter ein.Durch die Gesetzesnovelle werden auch Forderungen der autonomen Einrichtungen der bundesdeutschen Presse, etwa des Deutschen Presserates, erfüllt. Wir hoffen, daß die Presse der neuen Rechtssituation in Erfüllung ihres verfassungsgemäßen Auftrags in verantwortungsvoller Weise gerecht wird und die Interessen für und wider die Veröffentlichung einer Nachricht, die in den Bereich des bisherigen § 353 c gefallen wäre, autonom abwägen wird.Die Streichung des § 353 c hatte Folgewirkungen im Bereich des Wehrstrafrechts. Soldaten, die nach dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst Geheimnisse — auch private Geheimnisse aus dem persönlichen Lebensbereich eines anderen — verraten, die sie im Dienst erfahren haben, konnten bisher nur nach § 353 c belangt werden. Nach dem Wegfall dieser Vorschrift mußte insoweit eine Ergänzung des Wehrstrafrechts vorgenommen werden. Insoweit bestand Einstimmigkeit im Ausschuß.Insgesamt gibt das Gesetz den strafrechtlichen Schutz formeller Geheimnisse zwar nicht auf, stellt aber einen wesentlichen Schritt in Richtung auf mehr Transparenz der Verwaltung dar, indem es die strafrechtlichen Risiken für die Presse bei der Ausübung ihrer Kontrollfunktion entscheidend vermindert.Die SPD-Fraktion wird dem Gesetz zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Materie ist zutreffend dargestellt worden. Die Fraktionen befinden sich in einer gewissen Einigkeit. Ich darf vielleicht nur noch bemerken, daß ja wohl jeder hier in der Vergangenheit einmal das Gefühl hatte, daß seine Parteifreunde nicht ganz glücklich operiert haben; für mich jedenfalls trifft das zu. Ich denke, daß die anderen das ähnlich sehen und daß wir deshalb alle zusammen Veranlassung hatten, diesen Punkt klarer zu stellen.Ich bin formal natürlich der Ansicht von Herrn Coppik, daß das Beibehalten der Ermächtigung praktisch — das kann ja gar nicht anders sein — zu einer Einschränkung der Strafverfolgung führt. Ich halte das Instrument dennoch nicht, so möchte ich einmal sagen, für sehr appetitlich. Wir schließen uns deshalb der insoweit gefundenen Fassung nur mit gewissen Bedenken an. Denn es ist schon unangenehm, etwas, was abstrakt strafbar ist, hinsichtlich der Strafverfolgung vom Willen des Betroffenen — gerade in einem so wichtigen Punkt — abhängig zu machen. Als wir vom 12. bis 14. November 1978 unseren Parteitag in Mainz hatten, habe ich mich sehr darüber geärgert, daß die CDU ganz kurz vorher mit dem Gesetzentwurf gekommen war. Wir hatten vor, als erste mit solch einem Gesetzentwurf ganz groß herauszukommen. Wir sollten uns darüber jedoch nicht streiten, sondern uns darüber freuen, daß sich alle Parteien des Hauses hier in gleicher Weise bemüht haben, etwas zu verbessern, das für uns alle sehr wichtig ist.Herr Coppik, Ihre Bemerkung hinsichtlich der Pressetribüne ist mir sehr sympathisch; denn diese Überlegung kommt einem des öfteren, wenn man die dusseligen Kommentare über das leere Plenum liest. Die Herren Journalisten sagen dazu völlig einleuchtend: Ich habe das alles auf meinem Bildschirm und in meinem Lautsprecher. Ich kann nur fragen: Glauben Sie denn, daß die Abgeordneten nicht über diesen Fernseher und diesen Lautsprecher verfügen?
Das bringt die Sache nicht in Ordnung. Aber es gibt Gott sei Dank auch etliche Journalisten, die die Atmosphäre auch — manchmal bin ich versucht zu sagen: gerade — des nicht sehr vollen Plenarsaales schätzen und da atmosphärisch gewisse Eindrücke gewinnen.
Wir wollen uns nicht gegenseitig die Dinge vorrechnen.Das entscheidende ist, daß zum Schluß eine Demokratie mit Sicherheit nicht ohne eine freie Presse bestehen kann, trotz aller Schnitzer, die vorkommen. Weil wir das mindestens so deutlich wie die Presse sehen, haben wir diesen Entwurf in allen Fraktionen des Hauses erarbeitet, und deshalb werden wir diesen Entwurf jetzt so verabschieden. Wir überlegen uns vielleicht, ob an dem einen oder an-
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Kleinertderen Punkt aus den Erfahrungen heraus irgendwann noch eine Nachbesserung erforderlich sein könnte. Ich hoffe, daß es zu derartigen Erfahrungen nicht kommt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des uns vorliegenden Gesetzentwurfs bringen wir eine Diskussion zum Abschluß, die fast so alt wie die Bundesrepublik ist. Der Bundestag hat schon 1952 erstmals einen oppositionellen Antrag beraten, die in Rede stehende Bestimmung zu streichen. Weitere Erörterungen gab es dann im Rahmen der Reform des politischen Strafrechts und im Rahmen der großen Strafrechtsreform. Dabei neigte — das hat Herr Kollege Coppik schon gesagt — meist die jeweilige Opposition der Abschaffung zu, während die jeweilige Bundesregierung im Ergebnis für die Beibehaltung eintrat. Ihre Geschichtsdarstellung, Herr Kollege Klein, war deswegen etwas verkürzt und auch vereinfacht und ist dankenswerterweise durch Herrn Kollegen Coppik ergänzt worden. Einer der ersten, der hierzu seine Stimme erhoben hat, war wiederum Adolf Arndt, der schon 1951 rechtsstaatliche Bedenken geäußert hat.
Dieses althergebrachte Wechselspiel hat die Bundesregierung in diesem Jahr mit der Vorlage eines Entwurfs durchbrochen, der mit den Intentionen des von der Opposition schon früher eingebrachten Entwurfs durchaus übereinstimmt. Das konzediere ich. Allerdings zeigt dies, daß sich diese Bundesregierung in diesem Zusammenhang als lernfähiger als alle ihre Vorgängerinnen erwiesen hat. Im übrigen war der eigene Entwurf nicht eine Frage des Prestiges, sondern wir haben durch Einbringung eines Regierungsentwurfes dem Bundesrat Gelegenheit gegeben, im ersten Durchgang seine Beiträge zu leisten. Wir wollten auf diese Weise die Kritik vermeiden, die uns sonst aus dieser Richtung des Hauses gelegentlich begegnet, wenn wir den Bundesrat im ersten Durchgang nicht zum Zuge kommen lassen.
Ich rufe die Gründe für die Initiative noch einmal stichwortartig in Erinnerung. Der erste war das Erfordernis der rechtsstaatlichen Hygiene, wie ich es nennen möchte. Die Bestimmung wurde außerordentlich selten angewandt. Dem Bundesjustizministerium sind seit 1950 lediglich sechs Fälle bekannt, und es kam nur in zwei Fällen zur Verurteilung. Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man feststellt, daß die Zahl der einschlägigen Vorgänge in den Jahren seit 1950 schon für den ganz normalen Zeitungsleser sicherlich um ein Vielfaches höher gelegen hat, als die Zahlen 6 oder 2 es vermuten lassen. Zweitens war die präventive Wirkung der Vorschrift denkbar gering. Manchmal wurde sogar in versteckter Weise bei der Veröffentlichung ausdrücklich erwähnt, daß man damit dem § 353 c entgegenhandle, beispielsweise durch Abbildung des Stempels. Drittens ist die Erforderlichkeit nicht mehr zu bejahen. Es ist richtig: die Landesverratsbestimmungen und die Bestimmungen über den Geheimnisschutz und auch die fortdauernde Strafbarkeit derjenigen, die zur Wahrung von Geheimnissen persönlich verpflichtet sind, reichen aus.
Ist es aber so, dann gebührt auch nach Meinung der Bundesregierung dem Grundrecht der Meinungs- und der Informationsfreiheit, der Pressefreiheit der Vorrang. Damit wird nicht der Geschwätzigkeit im öffentlichen Dienst das Wort geredet. Im Gegenteil, die Mahnung an die persönlich Verpflichteten, es mit ihrer Pflicht in dieser Richtung besonders ernst zu nehmen, ist wohlbegründet. Im übrigen sind zu solchen Mahnungen diejenigen besonders legitimiert, die ihrerseits nicht die Indiskretion zu den nahezu alltäglichen Instrumenten der Politik rechnen.
Die sind zur Mahnung noch stärker berechtigt.
Im übrigen folgt das, was uns zur gemeinsamen Zustimmung vorliegt, den klassischen Leitlinien moderner, fortschrittlicher Strafrechtspolitik. Die Novelle, die hier von allen Seiten Zustimmung findet, entkriminalisiert nämlich unser Recht, indem sie eine Strafdrohung aufhebt, die zum effektiven Schutz eines Rechtsgutes vor sozialschädlichen Handlungen nichts beiträgt. Sie erhöht die Übersichtlichkeit unseres Rechts und die Voraussehbarkeit seiner Anwendung. Sie erweitert den bürgerlichen Freiraum in einem besonders sensiblen Bereich, nämlich im Bereich der kritischen Begleitung staatlicher Machtausübung durch die Medien.
Wir haben an anderer Stelle, meine sehr verehrten Damen und Herren gerade von der Opposition, um die Durchsetzung dieser Prinzipien, nämlich der Entkriminalisierung und der Liberalisierung, mitunter sogar erbittert gerungen. Um so mehr freue ich mich, daß dies hier alles einhellig geschieht, daß die bei anderer Konstellation sonst gern gehörten Vorwürfe der liberalen Aufweichung, der Staatszerrüttung, des Werteverzehrs, der Werteerschütterung hier nicht erhoben worden sind. Das ist kein schlechtes Zeichen und ein Beispiel, auf das wir in der rechtspolitischen Auseinandersetzung in der Zukunft sicher noch oft und gern zur Beweisführung zurückkommen werden.
Die Bundesregierung begrüßt, daß offensichtlich mit der einstimmigen Billigung dieses Fortschritts zu rechnen ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über den Entwurf eines Siebzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, Drucksache 8/3313. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme kann festgestellt werden.
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Präsident Stücklen Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrstrafgesetzes, Drucksache 8/3313. Ich rufe die Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem die Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir kommen jetzt zu dem von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes, Drucksachen 8/2282 und 8/3313. Es ist dann noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3313 unter Nr. 4, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären.Wir kommen zur Abstimmung über die Drucksachen, die ich genannt habe. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —Meine Damen und Herren, es besteht hier Unklarheit, über was abgestimmt wird. Es wird über Drucksache 8/3313, Beschlußempfehlung des Ausschusses Ziffer 3 abgestimmt. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3313 unter Ziffer 3, den Gesetzentwurf 8/2282 für erledigt zu erklären. Ich wiederhole die Abstimmung darüber. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Jetzt sind alle dafür. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so beschlossen.Nun lasse ich über die Beschlußempfehlung unter Ziffer 4 der Drucksache 8/3313 abstimmen. Der Ausschuß empfiehlt, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine gegenteilige Meinung; es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zumSchutz vor gefährlichen Stoffen
— Drucksache 8/3319 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Bürger in unserem Land sind zutiefst darüber besorgt, daß durch Chemikalien in ihrer täglichen Umwelt ernsthafte Schäden entstehen können. Ereignisse wie die in Seveso, in Hamburg, aber auch jetzt in Kanada, haben uns gezeigt, wie berechtigt solche Sorgen sind und daß sie ernst genommen werden müssen. Unsere Bürger haben einen Anspruch darauf, daß ihre Gesundheit vor der Einwirkung gefährlicher Stoffe in allen Lebensbereichen geschützt wird, und sie haben einen Anspruch darauf, daß uns unsere Umwelt als natürliche Lebensgrundlage erhalten bleibt.Der Schutz der Gesundheit des Menschen und seiner Umwelt ist der tragende Grundgedanke des Gesetzentwurfs, den die Bundesregierung heute einbringt. In der Umgebung des Menschen zu Hause und am Arbeitsplatz sind die Erzeugnisse der Chemie heute tagtäglich eine Realität Ganz sicher hat die Chemie die Lebensbedingungen des Menschen verbessert Noch am Anfang dieses Jahrhunderts hätte niemand voraussehen können, in welchem Maße dies geschehen ist. Auf der anderen Seite steht allerdings fest — das ist nicht zu verkennen, meine Damen und Herren —, daß der technologische Fortschritt der Chemie oft auch mit zusätzlichen Belastungen von Mensch und Umwelt erkauft worden ist. Gerade diese nachteiligen Auswirkungen wurden viel zu lange unterschätzt und sind auch heute noch nicht in ausreichendem Maße bekannt Besonders bedrückend ist hierbei, daß manche Schäden erst nach Jahrzehnten auftreten und sichtbar werden, so daß unsere Kinder und Enkel die Schattenseiten dieses Fortschrittsstrebens erleben werden.Die Sicherung der Gesundheit und der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ist vor diesem Hintergrund ein wichtiges, allgemein anerkanntes politisches Ziel. Die Bundesregierung fühlt sich daher verpflichtet, ein Vorsorgeprinzip zu entwickeln, das diese und künftige Generationen so weit wie möglich vor Schäden durch chemische Stoffe bewahrt.Bisher war es üblich, wenn ein Schaden eintrat, seine Folgen, so gut es ging, zu mildern. Dies reicht aber nicht mehr aus. Wir müssen eine Neuorientierung vornehmen hin zu einer umfassenden, vorausschauenden und vorsorgenden Gesundheits- und Umweltpolitik. Daher hat sich das Bundeskabinett am 6. September des vergangenen Jahres für ein
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14617
Bundesminister Frau HuberChemikaliengesetz entschieden, das alle betroffenen Schutzaspekte — den allgemeinen Gesundheitsschutz, den Arbeitsschutz und den Umweltschutz — gleichermaßen einbezieht. Die fünf am Gesetz beteiligten Ressorts haben unter erheblichem Zeitdruck, um noch in dieser Legislaturperiode eine Verabschiedung des Gesetzes möglich zu machen, den Gesetzentwurf erarbeitet. Am 20. Juni 1979 hat das Bundeskabinett den Entwurf beschlossen.Die Bundesregierung war sich bei der Erstellung dieses Gesetzentwurfs ihrer Möglichkeiten und auch ihrer Grenzen durchaus bewußt. Der infolge des stark gewachsenen Problembewußtseins zu verzeichnenden Erwartungshaltung kann das Chemikaliengesetz aus rechtlichen, aber auch aus praktischen, rein tatsächlichen Gründen, einfach nicht voll entsprechen.Eine vorsorgende Gesundheits- und Umweltpolitik auf diesem Sektor verlangt zusätzliche gestalterische und planerische Maßnahmen und die tatkräftige Mitarbeit aller gesellschaftlichen und staatlichen Kräfte. Nur durch eine enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Verwaltung auf allen Ebenen wird dem Grundanliegen dieses Gesetzentwurfs die Wirksamkeit verschafft, die man sich allgemein von ihm erhofft.In Anlehnung an bereits bestehende Gesetze, die Spezialbereiche chemischer Stoffe regeln, z. B. das Arzneimittelgesetz und das Pflanzenschutzmittelgesetz, sind wir auch hier vom Verursacherprinzip ausgegangen. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, daß der Verursacher für die Kosten der Vermeidung, der Beseitigung oder des Ausgleichs von Gesundheits-und Umweltbelastungen durch chemische Stoffe aufzukommen hat. Folgerichtig hat der Hersteller nicht nur für bereits eingetretene Schäden, sondern auch für die Kosten der vorbeugenden Schutzmaßnahmen vor der Vermarktung aufzukommen.Auf den drei Grundgedanken der Vorsorge, der Kooperation und der Verursachung baut der Gesetzentwurf auf. Er steht damit in Übereinstimmung mit vergleichbaren gesetzlichen Regelungen anderer großer Industrienationen.Auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft wurden auf der Grundlinie dieser Prinzipien Richtlinien erarbeitet, die auf die Ausgestaltung des nationalen Gesetzentwurfs entscheidenden Einfluß hatten. Unter einer Vielzahl von Vorschriften des EG-Rechts, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in deutsches Recht umgesetzt werden, ist besonders die erst im Juni dieses Jahres zum Abschluß gebrachte sechste Änderung der sogenannten 67er Richtlinie über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe hervorzuheben. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß die Bundesrepublik als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft zur Übernahme dieser in Brüssel erarbeiteten Regelungen verpflichtet ist.Der Bundesregierung sind daher bei der Ausgestaltung nationaler Rechtsvorschriften über gefährliche Stoffe enge Grenzen gesetzt. In der öffentlichen Diskussion des Chemikaliengesetzes hat dieser Gesichtspunkt bisher allerdings wenig Beachtung gefunden. Die Kritik am materiellen Inhalt des Gesetzentwurfs und die damit verknüpften Forderungen nach strengeren Vorschriften haben den Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit solcher Forderungen außer acht gelassen. Die entscheidenden Weichen sind in Brüssel gestellt worden, wodurch der Weg in der Frage der Chemikaliengesetzgebung für alle Mitgliedstaaten verbindlich vorgezeichnet wurde.Die Bundesregierung hat die Arbeit an diesem Gesetzentwurf jedoch nicht nur als passives Übernehmen von Vorschriften der EG verstanden. Vielmehr hat sie die sich bietenden Freiräume genutzt, zur Schaffung eigenständiger Regelungen bewußt eingesetzt.Im Ergebnis ist daher ein Gesetzesrahmen entstanden, dessen Anwendungsbereich über den eines reinen Umweltchemikaliengesetzes erheblich hinausreicht. Der Umweltschutzgedanke ist sicherlich ein sehr wichtiger, aber keineswegs der einzige oder der dominierende Grundzug dieses Gesetzes.Ebenso wichtig ist, daß durch dieses Gesetz die Grundlagen für ein modernes Arbeitsschutzrecht und ein bundeseinheitliches Giftrecht gelegt werden.Dennoch stand in der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfs und bei seiner Bewertung durch wissenschaftliche Sachverständige der Umweltschutzgedanke im Vordergrund. Dabei ist u. a. der Vorwurf geäußert worden, die ursprünglich umweltschutzbezogene Konzeption des Gesetzentwurfs sei zugunsten des Gesundheitsschutzes verlassen worden. Abgesehen davon, daß eine negative Apostrophierung des Gesundheitsschutzes unverständlich wäre, halte ich diesen Vorwurf für unbegründet. Eingang gefunden haben hier nicht nur der im Bundesinnenministerium erarbeitete Entwurf für ein Umweltchemikaliengesetz, sondern auch der in meinem Hause erarbeitete Entwurf zu einem Bundesgiftgesetz, das wir dringend brauchen, und die überarbeiteten Regelungen des Arbeitsstoffgesetzes und der Arbeitsstoffverordnung.Wenn man sich vergegenwärtigt, in welch vielfältiger Weise sich die soeben angesprochenen Bereiche überlappen und beeinflussen, wird deutlich, daß ein allein auf die Umwelt ausgerichtetes Chemikaliengesetz ohne Rückkoppelungen zum Gesundheitsschutz eine stumpfe Waffe wäre. Die gleichzeitige und gleichberechtigte Aufnahme und Berücksichtigung aller drei Schutzbereiche war daher aus sachlichen Gründen, zugleich aber auch im Sinne von Überschaubarkeit, Klarheit und Einheitlichkeit, im Interesse unserer Bürger geboten.Mit dieser Konzeption des Gesetzes ergibt sich nun die wünschenswerte enge Verzahnung von Gesundheits- und Umweltschutz. Gerade dadurch erhält das Gesetz seine besondere Bedeutung.Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch nach Inkrafttreten des Chemikaliengesetzes wird eine Grundbelastung des Menschen und seiner Umwelt durch chemische Stoffe bestehenbleiben. Um so wichtiger wird es daher sein, genaue Kenntnisse darüber zu erhalten, ob und in welcher Weise Che-
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14618 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Bundesminister Frau Hubermikalien schädliche Einflüsse auf den Organismus von Mensch und Tier ausüben können. Diese Erkenntnisse müssen für jeden, der mit chemischen Stoffen umgeht, greifbar sein, damit er sein Handeln danach richten kann.Damit komme ich zum Kern des Gesetzentwurfs, nämlich den grundlegenden Bestimmungen zur Überprüfung, Anmeldung, Kennzeichnung und Verpackung gefährlicher Stoffe. Von entscheidender Bedeutung sind dazu die vor der Vermarktung der chemischen Stoffe durchgeführten Prüfungen. Sie bilden die Grundlage für die Bewertung der Wirkungen des betreffenden Stoffes unter den verschiedensten Bedingungen auf Mensch und auf Umwelt. Die Ergebnisse dieser Prüfungen sind dafür maßgebend, welche administrativen Maßnahmen dann getroffen werden müssen. Das Prüfprogramm des Chemikaliengesetzentwurfs steht in Übereinstimmung mit den entsprechenden Regelungen der EG. Es wurde in sehr langen und intensiven Verhandlungen in Brüssel unter Mitarbeit zahlreicher Sachverständiger erarbeitetDie Kritik, die diesem Programm und seinen Durchführungsbedingungen entgegengebracht wurde, muß im Licht der Tatsache gesehen werden, daß sich die Experten des In- und Auslandes in Brüssel auf diesen Umfang der vorgeschriebenen Prüfungen geeinigt haben. In Zukunft — das ist wichtig, meine Damen und Herren —, werden alle EG-Staaten nach diesem gemeinsam erarbeiteten Konzept verfahren und noch nicht in Verkehr gebrachte Chemikalien prüfen und bewerten lassen. Die Anmeldung eines Stoffes in einem EG-Land wird demnach in Zukunft für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Gültigkeit besitzen.Eine wirksame Gesundheits- und Umweltpolitik kann heute nicht mehr isoliert im nationalen Rahmen bestehen. Ihr Erfolg wird wesentlich unter anderem dadurch bestimmt, daß Regelungen mit möglichst weiter internationaler Verbindlichkeit getroffen werden. Nicht nur die Industrie, sondern wir alle haben bei den vielen Importgütern, mit denen wir täglich umgehen, ein vitales Interesse daran, daß chemische Stoffe, die in unseren Nachbarländern angemeldet worden sind und bei uns auf den Markt gebracht werden, den gleichen gesundheits- und umweltpolitischen Anforderungen unterworfen sind wie unsere eigenen Produkte.Welche Anforderungen finden wir nun im Entwurf, und wie ist ihr gesundheits- und umweltpolitischer Wert? Die Ergebnisse der Prüfungen, die vor Vermarktung eines Stoffes durchgeführt werden und im Rahmen der Anmeldung bei einer Behörde vorzulegen sind, sollen ein Urteil darüber erlauben, ob ein Stoff zum Beispiel nach dem Verschlucken, Einatmen oder bei Berührung akut giftig wirkt oder ob Langzeitschäden zu erwarten sind, die erst später auftreten, z. B. Krebserkrankungen oder Erbschäden; auch negative Einflüsse auf die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen und auf das ungeborene Leben werden überprüft. Umfangreiche Prüfvorschriften geben zudem Auskunft über die nachteiligen Veränderungen von Wasser, Boden, Luft sowie an Tieren und an Pflanzen, so daß insgesamt eine Aussage über die Umweltrelevanz von Chemikalien möglich wird. Das gestufte Prüfkonzept, das sich an der jeweiligen Stoffmenge orientiert, war Gegenstand vieler Äußerungen und Verlautbarungen.Der zentrale Punkt einer kontrovers geführten Diskussion war der angeblich zu starre Charakter des Prüfprogramms auf Grund vorgegebener Mengenschwellen. Es wurde unter anderem eine gesetzlich einzurichtende Sachverständigenkommission gefordert, die bei jedem Stoff entscheiden sollte, welche Prüfungen im einzelnen durchzuführen sind. Für besonders gefährliche Stoffe wurde ein Zulassungsverfahren unter Einbeziehung dieser Kommission verlangt.Abgesehen davon, daß ein individuelles Prüfprogramm für jeden einzelnen Stoff im Widerspruch zu bestehenden europäischen Regelungen stünde, stößt ein solches Vorgehen aber auch auf erhebliche praktische Schwierigkeiten. Bei der zu erwartenden Anmeldung von 200 bis 300 Stoffen pro Jahr ist das im Gesetzentwurf enthaltene und demnächst EG-weit verwirklichte Anmeldeverfahren im Hinblick auf den Kostenaufwand, den benötigten Zeitaufwand und die Objektivierung der Entscheidung vorzuziehen. Einer gesetzlich verankerten Sachverständigenkommission bedarf es nicht, weil die Prüfkonzepte genau erarbeitet worden sind.Entsprechende Anträge fanden auch bei den Beratungen im Bundesrat keine Mehrheit Die Bundesregierung befürwortet jedoch ausdrücklich das Einholen sachverständigen Rates dort, wo immer dies nötig sein wird. Hier bieten sich zahlreiche organisatorische Möglichkeiten an.Bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfes ist sichergestellt worden, daß krebserregende, fruchtschädigende oder erbgutverändernde Stoffe einem strengeren Verfahren unterworfen werden. Durch eine Vielzahl ineinandergreifender Eingriffsmöglichkeiten ist ein zusätzlicher Schutz vor gefährlichen Stoffen gewährleistet Durch einen schnellen Zugriff können bestimmte Chemikalien im Hinblick auf ihre Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung einem Verbot oder noch einzeln festzulegenden Beschränkungen unterworfen werden; das gilt auch für alte Stoffe. Dieser Punkt hat ja in der Diskussion ebenfalls eine Rolle gespieltLassen Sie mich im Zusammenhang mit den toxikologischen Prüfungen, die dieser Gesetzentwurf vorsieht, nun noch auf ein Problem eingehen, das zur Zeit stark im Gespräch ist Ich meine die Durchführung von Tierversuchen, die notwendigerweise in Kauf genommen werden müssen, um dem Vorsorgegedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen. Im Entwurf ist vorgesehen, daß Tierversuche immer dort, wo es wissenschaftlich vertretbar ist, durch Versuche mit schmerzfreier Materie ersetzt werden. Zur Zeit — dies muß leider gesagt werden — sind Tierversuche nicht ersetzbar. Die Bundesregierung wird aber alles tun, um die Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu fördern und sicherzustellen, daß Tierversuche im ganzen EG-Raum sobald wie möglich und so weit wie möglich eingeschränkt werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14619
Bundesminister Frau HuberIch möchte nun noch auf ein anderes Problem eingehen. Aus naheliegenden Gründen können Befunde über Chemikalienwirkung an Menschen nicht direkt erhoben werden. Wenn es aber zu Vergiftungsunfällen oder langfristigen Expositionen am Arbeitsplatz kommt, so sollten die Erkenntnisse hierüber gezielt gesammelt und ausgewertet werden. Diese Auswertung stellt neben den Ergebnissen der toxikologischen Prüfungen die zweite Säule für die Bewertung einer Chemikalie dar. Leider wurden diese Möglichkeiten mit Hilfe der Epidemiologie bisher nicht genügend genutzt. Daher bedarf es der gesetzlichen Fixierung einer Meldepflicht für Vergiftungsfälle und Krebserkrankungen durch chemische Stoffe, um die bisherige Situation entscheidend zu verbessern. Leider ist der Bundesrat hier der Auffassung der Bundesregierung nicht gefolgt. Man hat sich für die Streichung des § 19 entschieden. Die weitere Diskussion wird uns nun erst zeigen, ob dieser Verzicht hingenommen werden kann.Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 28. September 1979 zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zahlreiche Änderungsvorschläge gemacht und Anregungen gegeben. Neben redaktionellen Änderungen wurden die Konkretisierung einzelner Vorschriften, die Änderung des Anwendungsbereichs - insbesondere die Erweiterung der giftrechtlichen Vorschriften — und die endgültige Anpassung an die EG-Richtlinie angeregt.Die Bundesregierung ist in ihrer Gegenäußerung in vielen Punkten dem Bundesrat gefolgt Einige Stellungnahmen werden wegen der Eilbedürftigkeit und einiger im Zusammenhang mit der neuen EG-Richtlinie noch offener Fragen erst in den Ausschußberatungen eingebracht werden können. Bei mehreren Vorschlägen konnte die Bundesregierung aus Sachgründen — insbesondere wegen Nichtübereinstimmung mit dem geltenden EG-Recht — nicht zustimmen.Meine Damen und Herren, ich hab mich hier heute morgen ganz bewußt auf einige, und zwar die wichtigsten Probleme dieses Gesetzentwurfes beschränkt. Ich glaube aber, daß die hier vorgetragenen Beispiele zeigen, wie notwendig es ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, um ein Chemikaliengesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Die Lösung der hier anstehenden Probleme erlaubt keinen weiteren Aufschub. Ein Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen in manchen Teilbereichen kann und darf uns nicht davon abhalten, die notwendigen politischen Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen zu ziehen. Der Gesetzentwurf wird auch in Zukunft noch weiterentwickelt und angepaßt werden müssen. Die Basis für verantwortungsvolles Handeln gegenüber unseren Mitbürgern in Sachen Chemikaliensicherheit können wir jedoch schon heute legen. Es gilt, die jetzt gewonnenen Erkenntnisse so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen.
Es ist interfraktionell vereinbart worden, daß diese Debatte mit Kurzbeiträgen besttitten werden soll, und zwar in zwei Runden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem vorliegenden und im Namen der Bundesregierung von Frau Minister Huber erläuterten Gesetzentwurf handelt es sich um ein umfassendes Gesetzesvorhaben, das den Gesundheitsschutz, den Arbeitsschutz und den Umweltschutz zum Ziele hat und dabei gleichzeitig die Belange der Landwirtschaft — das habe ich in Ihren Worten vermißt, Frau Minister Huber — und der chemischen Industrie — die haben Sie erwähnt — berücksichtigen muß. Wie soll das erreicht werden?Nach dem Gesetzestext ist jeder Hersteller oder Importeur chemischer Produkte verpflichtet, chemische Stoffe, die er erstmalig in den Verkehr bringt, bei einer staatlichen Behörde anzumelden. Hierbei hat er Prüfungsunterlagen vorzulegen, die Aufschluß über mögliche Gesundheitsgefährdungen und Umweltbeeinflussungen geben. Ein wichtiger Teil dieses Gesetzentwurfes sind eine besondere Verpackungs- und Kennzeichnungspflicht für alle gefährlichen Stoffe sowie umfangreiche gift- und arbeitsschutzrechtliche Vorschriften. Auch auf diese haben Sie hingewiesen.Im Hinblick auf die aus meiner Sicht vorrangig gesundheitspolitische Bedeutung dieses Gesetzentwurfs — die sich übrigens nach unserer Auffassung durchaus mit der Umweltfrage in Einklang bringen läßt — freue ich mich, Frau Minister Huber, daß die Federführung nach anfänglichen Kompetenzschwierigkeiten innerhalb der Bundesregierung auf das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit übergegangen ist. Ich habe jedoch Bedenken, ob dieses Ministerium, dessen Abteilung Gesundheitswesen durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen und durch die Auswirkungen des Arzneimittelgesetzes sehr stark beansprucht ist, diesen Auftrag in der gebotenen Eile erfüllen kann. Vielleicht, Frau Minister Huber, nehmen Sie für diese Zeit ein paar Umbesetzungen in Ihrem Haus vor: aus der Politischen Abteilung in diesen Bereich. Dann könnte es vielleicht schneller gehen.
Was die Erörterung dieses Gesetzentwurfes in den Ausschußberatungen angeht, so rege ich an, die in § 12 vorgesehene Anmeldestelle beim Bundesgesundheitsamt oder beim Bundesumweltamt anzusiedeln. Unter Umständen wäre auch die Bundesanstalt für Materialprüfung hierfür geeignet. Das entspräche unabhängig von der größeren Zweckdienlichkeit der immer betonten Anregung, in Berlin bereits vorhandene Institutionen zu nützen und zu stärken. Auf jeden Fall wollen wir keine neue Behörde.
Mit der industriellen und zivilisatorischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist eine sprung-
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Dr. Hammanshafte Ausweitung des Einsatzes von Chemikalien für die verschiedensten Verwendungszwecke einhergegangen. Ohne Chemikalien aber, ohne Kunstdünger, ohne Mineraldünger, ohne Pflanzenschutzmittel gäbe es mit Sicherheit in der Welt noch viel mehr Hunger und wäre auch in der westlichen Welt eine Versorgung der Bevölkerung nicht mehr sicherzustellen. Diese und viele andere Errungenschaften haben zwar in hohem Maße zur Verbesserung der Lebensqualität beigetragen; sie haben aber auch nachteilige Wirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt von Mensch und Tier zutage gebracht.Über lange Zeit hin waren nur einige Stoffe wie z. B. Blei, Quecksilber, Arsen, Kohlenteerabkömmlinge sowie Pflanzen und Pilzgifte als gefährlich bekannt. Die Flut neuer chemischer Substanzen auf den Gebieten der Farbstoffe, der Lösungsmittel, Insektizide, Pestizide, Kunststoffe für Haushalt und Bekleidung sowie Verpackung hat die Gesundheit des Menschen und seine Umwelt nicht unberührt gelassen. Schäden im Naturhaushalt durch Umweltkontaminanten und deren Rückwirkungen auf den Gesundheitszustand von Mensch und Tier werden in zunehmendem Maße erkennbar.Kaum eine Woche vergeht, ohne daß irgendwo in der Welt eine Giftkatastrophe gemeldet wird. Denken Sie an den Güterzug in Kanada. Angesichts dieser erschreckenden Beobachtungen erscheint mir bei diesem Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen am wichtigsten, daß es so schnell wie möglich verabschiedet wird. Dies bedeutet eine Konzentration auf das äußerst Notwendige und sofort Praktikable.
Maßstab für dieses Gesetz sollte — das hat auch Frau Minister Huber erwähnt — das in deutsches Recht umzusetzende EG-Recht sein; gemeint ist die Richtlinie, die am 19. Juni dieses Jahres vom Ministerrat verabschiedet wurde. Alles; was über die EG-Richtlinie hinausgeht, sollte entfallen oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.Ich erinnere an die Prüf- und Anmeldepflicht bei alten Stoffen. Unabhängig davon, daß eine Regelung des Problems aller Stoffe in der EG-Richtlinie nicht enthalten ist, haben die betreffenden Hersteller auf Grund der eigenen Erfahrungen bereits Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten getroffen, die teilweise im betriebseigenen Interesse die zur Zeit bestehenden Auflagen weit übertreffen.Nach § 17 können die Herstellung, der Vertrieb oder die Verwendung gefährlicher Stoffe, Zubereitungen oder Erzeugnisse verboten oder beschränkt werden. Derartige Eingriffsregelungen sollten nicht einseitig national getroffen werden, sondern nur EG-umfassend nach entsprechenden Beschlüssen des Ministerrates.Ich will im folgenden kurz einige Passagen des Gesetzes herauspicken. Die Zahl der vorgesehenen Verordnungsermächtigungen ist sehr hoch. Der Inhalt der Verordnungen sollte möglichst schon bei den Ausschußberatungen bekannt sein. Noch besser wäre es, wenn diese Verordnungen in den Gesetzestext eingearbeitet würden. Der Parlamentarier bekommt immer Bauchschmerzen, wenn er eine solche Flut von Ermächtigungen sieht, die seiner Hand entgleiten und auf die er später keinen Einfluß mehr hat. Ich weiß aber aus intensiven Beratungen beim Arzneimittelgesetz und beim Lebensmittelgesetz, daß wir auch hier von Ermächtigungen leider nicht gänzlich werden Abstand nehmen können.Eingehen möchte ich auf das zur Zeit vieldiskutierte Problem der Tierversuche, die für die vorgeschriebenen Prüfungen der Chemikalien gefordert werden. Es ist bekannt, daß nur ein Teil der Ergebnisse aus den Tierversuchen auf den Menschen übertragbar und auch für Menschen gültig ist. In vielen Fällen wird man sich auf bereits vorhandene Ergebnisse bei der Prüfung auf Toxizität einschließlich Teratogenität — d. h. Veränderung der Erbmasse —, Mutagenität — d. h. Veränderungen des Zellguts — oder Kanzerogenese — d. h. Krebserregung - und auf Prüfergebnisse nach dem Arzneimittelgesetz stützen können, die Rückschlüsse auf öko-toxische Eigenschaften zulassen.Ich denke auch an den Krebsschnelltest nach Dr. Bruce N. Ames, Professor der Biologie an der Universität in Berkeley . Ames konnte auf Grund der Ergebnisse Tausender von Experimenten aufzeigen, daß fast alle Chemikalien, die bei Tieren und Menschen Krebs auslösen, auch in Bakterien Mutationen beim wichtigsten biologischen Molekül, der Desoxyribonukleinsäure, hervorrufen. Ich meine, dab wir von dieser Möglichkeit hervorragend Gebrauch machen sollen, um möglichst viele Tiere zu schonen.Ich verweise auf die unwahrscheinlich hohe Zahl von Versuchstieren, die für die Prüfungen benötigt werden sollen. Es sind, so die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Zander auf die schriftliche Frage meines Fraktionskollegen Dr. Laufs, unter Zugrundelegung von nur 300 anzumeldenden Stoffen pro Jahr angeblich 120 000 Ratten, 9 000 Kaninchen und 4 500 Meerschweinchen notwendig. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versichern, daß ich ganz besonders als Biologe diesen Punkt bei den Ausschußberatungen zusammen mit meinen Fraktionsfreunden einer kritischen Überprüfung unterziehen werde. Wir werden es nicht zulassen, daß auch nur ein Tier irgendwo unsinnig oder leichtfertig geopfert wird.
Wir brauchen in diesem Zusammenhang nur auf das geltende Tierschutzgesetz zu verweisen, das wir seinerzeit gemeinsam beschlossen haben, in dem in einer Hierarchie der Werte diese Probleme vernünftig und gerecht geregelt worden sind.
Lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren: Wir sind uns innerhalb der CDU/CSU-Fraktion darüber einig, daß dieses für die Gesundheit unserer Bevölkerung so wichtige Gesetz so schnell wie möglich in eine gestraffte und praktizierbare Form gebracht werden muß. Andererseits werden wir uns bemühen, unsere Mitarbeit in den Beratungen unter die Gesichtspunkte der Gesundheitsvorsorge, der
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Dr. HammansErhaltung der Existenz der mittelständischen Betriebe und der Wahrung gleicher Wettbewerbschancen im industriellen Bereich, im EG-Raum wie auch in der ganzen Welt, zu schaffen. Wir haben unsere Bereitschaft zur schnellen Bearbeitung dadurch bewiesen, daß wir im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit gestern ohne Geschäftsgrundlage einstimmig der Einrichtung eines besonderen Ausschusses zugestimmt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß die Bundesregierung ihren Entwurf zu einem Chemikaliengesetz vorgelegt hat. Die Bundesregierung zieht mit ihren Bemühungen um eine gesetzliche Regelung erfreulicherweise notwendige Konsequenzen aus der Erkenntnis, daß Menschen am Arbeitsplatz, im privaten Bereich und in der Umwelt vor gefährlichen Stoffen geschützt werden müssen. In den letzten Jahren ist die Tatsache immer mehr ins öffentliche Bewußtsein gerückt, daß wir in unserer industrialisierten Welt ständig mit der möglichen Beeinträchtigung unserer Gesundheit durch chemische Stoffe rechnen müssen. Seveso ist noch in aller Munde. Fast täglich wird auch in den deutschen Medien über Beinahekatastrophen und tatsächliche Katastrophen unterschiedlichen Ausmaßes berichtetDas vorliegende Chemikaliengesetz hat eine ähnliche Philosophie wie das vom Bundestag 1976 beschlossene Arzneimittelgesetz: Stoffe müssen zur Prüfung und Zulassung vorgelegt werden. Wir haben bereits erste Erfahrungen mit diesem Arzneimittelgesetz, das federführend vom Gesundheitsministerium erarbeitet worden ist. Darum, Herr Kollege Hammans, sind wir der Auffassung, daß es richtig ist, wegen der Affinität des Chemikaliengesetzes zum Lebensmittelrecht und Arzneimittelgesetz, daß der Gesundheitsminister federführend ist. Wir sind hier anderer Auffassung als Sie.
Wie bei Arzneimitteln sind auch bei anderen Umweltchemikalien grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Beeinträchtigung der Gesundheit zu unterscheiden, erstens durch Unfälle, zweitens durch Kontamination oder Immission bei regulärem Einsatz der betreffenden Stoffe. Mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Unfälle können Anlaß für den Produzenten sein, außer über möglichst gute Sicherheitsvorkehrungen auch über die Frage nachzudenken, ob angesichts des Restrisikos sowie des dauernden Kontaminationsrisikos für die in der Herstellung beschäftigten Personen eine Produktion überhaupt verantwortet werden kann.Hautnäher, obwohl noch immer relativ schwächer im allgemeinen Bewußtsein, ist jedoch das dauernde Risiko, dem wir alle ausgesetzt sind, indem wir über die Luft, das Wasser, die Nahrung, über unsere Kleidung und viele andere zahllose Dinge, mit denen wir täglich umgehen, laufend beträchtliche Mengen von sogenannten Umweltchemikalien aufnehmen.Die Bürger in unserem Lande wissen meist nicht, mit welchen Stoffen sie es auf diese Weise täglich zu tun haben. Ein großer Teil der spürbaren Verunsicherung rührt sicher von diesem Informationsmangel her. Manchmal wissen aber auch zuständige Behörden nicht, um welche Stoffe mit welchem Risiko es sich handelt Die Industrie ihrerseits unterliegt naturgemäß leicht der Versuchung, ein vorhandenes Risiko als kleiner anzunehmen, als es wirklich ist. Unsere Mitbürger verfügen im allgemeinen nicht über zureichenden Sachverstand, der es erst ermöglichen würde, die Wahrung des berechtigten Interesses am Schutz der Gesundheit wahrzunehmen. Wenn also die Industrie nicht selbst sicherstellen kann, daß die Bevölkerung in den umliegenden Gebieten gesundheitlich nicht mehr beeinträchtigt wird, als von dieser selbst nach gründlicher Information und Risikoabwägung als akzeptabel angesehen wird, ergibt sich für den Staat die Notwendigkeit, seinerseits als Sachwalter der gesundheitlichen Interessen der Menschen in unserem Lande tätig zu werden.
Nicht alles, was dem Menschen nützt, ist auch gut für den Menschen. Die ethische Problematik gibt uns zu bedenken, ob unbedingt jede technische Möglichkeit der Chemie unter dem Aspekt, der Wohlstand lasse sich dadurch steigern, genutzt werden soll oder nicht vielmehr auch bedacht werden muß, daß der gesundheitliche Schaden oft größer ist als der materielle Zugewinn.
Herr Kollege Hammans, ich habe den Akzent etwas anders gesetzt als Sie. Wir stimmen Ihnen sicherlich darin zu, daß Kunstdünger für die Ernährung der Menschheit sehr viel gebracht hat, aber wir sind jetzt doch wohl an einem Zeitpunkt angekommen, an dem wir überlegen müssen, was nun entscheidender, was wichtiger ist, der Zuwachs des materiellen Wohlstandes oder die Bewahrung der Gesundheit unserer Menschen. Hier stehen wir vor einem sehr schwierigen Problem, vor einer Gratwanderung. Hoffentlich treffen wir in den Gesetzesberatungen die richtigen Entscheidungen.Ein Chemikaliengesetz hat sicherzustellen, daß der gegenwärtige Kenntnisstand aller für den Gegenstand wichtigen Wissenschaften bei der Produktion und der Verwendung chemischer Stoffe angemessen berücksichtigt wird. Die Aufgabe des Parlaments besteht nach meiner Auffassung darin, kritisch zu prüfen, ob tatsächlich der Stand der gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnis durch den Gesetzentwurf angemessen berücksichtigt wird und ob eine jederzeitige Anpassung des Gesetzes an den sich fortentwickelnden Kenntnisstand möglich ist.Wir Sozialdemokraten jedenfalls unterstützen die Bundesregierung ausdrücklich in ihrem Bemühen, unsere chemische Umwelt transparenter zu machen. Wenn im Gesetzentwurf etwa vorgesehen ist, daß
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14622 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Fiebigdie Bewertung einer Umweltchemikalie u. a. von Untersuchungen über die Fähigkeit eines Stoffes abhängt, das menschliche Erbgut zu ändern, Krebs entstehen zu lassen, die Leibesfrucht zu vergiften oder Mißbildungen der Leibesfrucht hier hervorzurufen, wenn all dies geprüft werden muß, stimmen wir mit der Bundesregierung darin überein, daß die Kenntnis solcher Wirkungen von Umweltchemikalien von eminenter Bedeutung für die Bewertung eines chemischen Stoffes ist.Die Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz von 1976 haben aber ergeben, daß es extrem schwierig ist, auch nur annähernd sichere Aussagen über die genannten Wirkungen beim Menschen zu machen, und dies sogar bei solchen Stoffen, die seit langer Zeit in Gebrauch sind. Wäre es anders, hätte es keinen langen und schwierigen Contergan-Prozeß geben müssen,
wäre Thalidomid überhaupt nicht als Arzneimittel verwandt worden.Wenn auch heute weitgehend unumstritten zu sein scheint, daß ein positiver Zusammenhang zwischen Mutagenese und Karzinogenese besteht, so steht doch gleichzeitig fest, daß unser eigener Organismus selbst fortlaufend Stoffe mit mutagener Wirkung produziert, ohne daß jeder von uns zwangsläufig an Krebs erkrankte. Mit fortschreitender wissenschaftlicher Kenntnis erweisen sich die Zusammenhänge als immer komplexer und erweisen sich viele Testmethoden als immer weniger geeignet, zutreffende Aussagen über zu erwartende Wirkungen beim Menschen zu machen.Nicht anders ist es mit den Tierversuchen. Hielt man sie ursprünglich für im Blick auf die Prüfung der genannten Wirkungen besonders geeignet, so erweist sich nun immer mehr, daß der größte Teil der zahllosen Millionen von Tieren, die jedes Jahr für solche Versuche geopfert werden, für Ergebnisse getötet werden oder sogar qualvoll eingehen, deren Übertragbarkeit auf die Verhältnisse beim Menschen alles andere als gesichert ist.Nur kann ich es, Herr Kollege Hammans, nicht ganz so sehen, wie Sie es dargestellt haben. Tierversuche brauchen wir.
Ich kann nicht sagen, da werden also Millionen von Tieren einfach sinnlos abgeschlachtet oder geopfert.
Wir brauchen Tierversuche. Die Frage ist eben nur, wieweit die Ergebnisse der Tierversuche sich auf die Situation beim Menschen übertragen lassen.
Sicherlich, wir wollen den Protest der Tierschützer hören. Auch wir meinen, daß Tiere nur für solche Versuche geopfert werden dürfen, deren Ergebnisseauf den Menschen übertragbar sind. Wir müssen doch aber auch anerkennen, daß es geeignete Tiermodelle für verschiedene Wirkungen beim Menschen gibt.
— Aber, Herr Kollege Hammans, das Leben des Menschen muß uns doch viel, viel wichtiger sein!
Wir müssen also das Thema unter einer NutzenSchaden-Analyse sehen und auch fragen: Wie steht es mit den Kosten? Ein Beispiel dafür. Wenn man einerseits zum Schutz unserer Kinder eine Vorschrift erläßt, ähnlich wie in den USA, daß Kinderschlafanzüge durch entsprechende Chemikalien schwer entflammbar gemacht werden müssen, und wenn man andererseits feststellt, daß die entsprechenden Chemikalien durch die Haut aufgenommen werden können und bei einigen Tierversuchen mutagene Wirkungen zeigen, dann sieht man sich vor beträchliche Schwierigkeiten gestellt.
Im einen Fall riskiert man, daß soundso viele Kinder vermeidbarerweise durch brennende Kleidung verletzt oder getötet werden; im anderen Fall riskiert man, daß eventuell noch viel mehr Kinder zu einem späteren Zeitpunkt irreparable Gesundheitsschäden erleiden, z. B. Krebs bekommen. Dieses Beispiel zeigt, vor wie schwierigen Aufgaben wir stehen.Darf ich zum Abschluß noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen: Wenn in chemischen Fabriken ein Störfall eintritt, so sind durch eine Katastrophe am ehesten und härtesten die in der Fabrik beschäftigten Arbeitnehmer betroffen. Der Schutz der Arbeitnehmer muß umfassend gewährleistet werden. Im Rahmen des Gesetzentwurfs, der insgesamt einen Schwerpunkt im Arbeitsschutz hat, ist die umfassende Ermächtigung zum Erlaß von Schutzvorschriften, wie sie in § 21 des Entwurfs vorgesehen sind, unbedingt notwendig. Neben dem Unfall- und Gesundheitsschutz muß beim Umgang mit gefährlichen Arbeitsstoffen die Forderung nach einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit unterstrichen werden. Insoweit ist auch dieses Gesetz ein Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens.Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung und sind der Auffassung, daß wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der uns vorliegende Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen, kurz Chemikaliengesetz genannt, ist mit Sicherheit ein ganz wichtiges und weitreichendes Vorhaben dieser Legislaturperiode. Daß ich hierzu nur ganz kurz Stellung nehme, soll nicht an der Bedeutung dieses Gesetzentwurfs gemessen werden, sondern hat seinen Grund darin, daß wir eine erste Lesung halten und erste Lesungen kurz und prägnant sein sollen.Dieses Gesetz greift in viele Lebensbereiche und Wirtschaftsbereiche ein. Mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs befinden wir uns in einem sehr empfindlichen Bereich. Denn in den letzten Jahren sind weltweit eine Entwicklung und gleichzeitig die Erkenntnis in Gang gekommen, daß die immer größer werdende Anzahl neuer chemischer Stoffe zwar viele nützliche Produkte ermöglicht, aber gleichzeitig die Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen erheblich zugenommen haben — Gefahrenmehrung also im Alltag wie bei Störfällen.Wir gehen mit diesem Gesetz daran, diese Gefahrenschwelle zu senken. Erklärtes Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, unsere Umwelt und uns selbst, die wir diese Umwelt zum Leben brauchen, vor den unerwünschten Auswirkungen dieser gefährlichen Stoffe besser als bisher schützen zu können.Die Erfahrungen im Ausland, insbesondere in den Vereinigten Staaten, haben allerdings gezeigt, daß wir uns mit diesem Vorhaben auf einen langen und schwierigen Weg begeben und daß wir hier erst am Anfang einer Gesetzesentwicklung sind. Bereits im Jahr 1970 hat nämlich der amerikanische Kongreß einen Gesetzentwurf zur Kontrolle chemischer Substanzen eingebracht. Aber erst am 1. Januar 1977 ist er in Kraft getreten, und er hat sich bisher als relativ stumpfe Waffe erwiesen, da die entsprechenden Ausführungsbestimmungen fehlen. Man muß sich also klar sein, daß bereits vor der Verabschiedung eines solchen einschneidenden Gesetzes über die praktische Verwirklichung Vorstellungen herrschen und daß und wie es durchgeführt werden kann.Diese Uberlegungen wollte ich voranstellen und denen entgegenhalten, die sich bereits jetzt mit heftiger Kritik gegen diesen Gesetzentwurf aussprechen. Das sind zum einen die, die ein solches Gesetz schon allzu lange vermissen. Ihnen sei gesagt, daß es geradezu zwingend ist, wenn es seine Zeit gebraucht hat, die Mitgliedstaaten der EG mit ihren verschiedenen Gesetzgebungen und Rechtssystemen unter einen Hut zu bringen. Mehrere Jahre lang, von 1975 bis Mitte 1979, hat die Europäische Gemeinschaft die sogenannte 6. Änderungsrichtlinie beraten. Sie ist nach langwierigem Abstimmungsverfahren schließlich zu einem Kompromiß gekommen, der einerseits eine gleichmäßige Prüfung und Anmeldung in allen EG-Mitgliedstaaten gewährleistet, andererseits aber auch den notwendigen Warenfluß innerhalb der EG nicht behindert. Dies bedeutet, meine Damen und Herren, daß sich auch das deutsche Chemikaliengesetz in diesen EG-Rahmen einpassen muß. Ich bin dankbar für das, was Frau Minister Huber dazu gesagt hat.Der deutsche Chemikaliengesetzentwurf ist für uns — mehr oder weniger — eine vorweggenommene Umsetzung der EG-Richtlinie in deutsches Recht. Diese Fakten wird man in Rechnung stellen müssen, wenn man Kritik, die an dem Gesetzentwurf geübt wird, richtig bewerten will. Wir werden die vorgetragene Kritik in den Ausschüssen und vor allem im Unterausschuß sehr sorgfältig zu prüfen haben. Wir werden uns vor Augen halten müssen, daß ein in Italien, Irland oder wo immer in der EG geprüfter und angemeldeter Stoff in der EG frei vermarktet werden kann. Deshalb sollten wesentliche Abweichungen in Form von Unterschreitungen oder Überschreitungen der EG-Norm möglichst vermieden werden. Wir haben zwar durchaus volles Verständnis für diejenigen, welche weit höhere Anforderungen an einen solchen Gesetzentwurf stellen, aber es wäre wenig hilfreich, wenn solche weitergehenden, schärferen Forderungen einseitig ein völlig anderes Konzept beinhalten würden. Ein völlig anderes Konzept können wir nicht verwirklichen; wir sind an die EG gebunden. Wir können auch keine zusätzlichen Regelungen einbauen, die z. B. — über die jetzt schon notwendigen Tierversuche hinaus — Tierversuche in einem Umfang ausdehnen würden, der mit dem Tierschutzgedanken dann in keiner Weise mehr in Einklang stehen würde.Zweifellos hat dieses Gesetz noch viele Fragen offengelassen, und ganz sicher wird es fortgeschrieben werden müssen. Aber es wird nötig sein, dieses Gesetz jetzt in Gang zu bringen, es in Kraft zu setzen. Dabei müssen wir in den Beratungen aufpassen, daß wir es nicht zu perfekt machen. Denn, meine Damen und Herren, wir sind für Industrieansiedlungen in Irland wie im Mezzogiorno, aber nicht unbedingt aus Gründen der Flucht vor deutschem Perfektionismus. Auch daran sollten wir bei den Beratungen im Ausschuß und im Unterausschuß denken.Im Augenblick kommt es darauf an, daß das Chemikaliengesetz mit seinem Inkrafttreten auch wirklich praktiziert werden kann. Dazu gehören Regelungen, die für den Staat und die Betroffenen ausreichend rechtssicher, praktikabel und ökonomisch vertretbar sind. Auch ein Gesundheitspolitiker kann an diesen Grundforderungen nicht vorbeigehen. Ich glaube, daß der Entwurf des Gesetzes diese Grundforderungen erfüllt und gleichzeitig eine wesentliche Verringerung der Risiken, die durch chemische Stoffe für die menschliche Gesundheit und die Umwelt verursacht werden können, bringt.Ich meine deshalb, daß dieser Gesetzentwurf ein wohlabgewogenes Konzept der Regierung ist. Es wird aber zunächst entscheidend darauf ankommen, den Entwurf, so wie er vorliegt, in den Ausschüssen auszuformen. Dabei wird die Kenntnis der Eckwerte oder — noch besser — des geplanten Textes der noch fehlenden Rechtsverordnungen für die Ausschußberatungen eine unerläßliche Voraussetzung sein.
Eine solche Forderung an die Regierung ist berechtigt. Im übrigen haben wir im Gesundheitsausschuß diesbezüglich gute Erfahrungen gesammelt, als wir uns bei der Beratung des Lebensmittelrechts, des
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14624 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
SpitzmüllerArzneimittelgesetzes und der Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen in den Ausschußberatungen bereits über die geplanten Verordnungen jeweils entsprechend kundig gemacht haben. Es ist also nichts Neues, wenn ich die Forderung aufstelle, daß die geplanten Rechtsverordnungen dem Ausschuß bekannt sein müssen.Es wird auch zu prüfen sein, ob die bisher gefundenen Formulierungen sicherstellen, daß Betriebs-und Geschäftsgeheimnisse ausreichend gewahrt bleiben, ein Problem, mit dem wir uns bereits beim Arzneimittelgesetz zu beschäftigen hatten.Noch eine kurze Bemerkung zum Vorblatt dieses Gesetzentwurfs. Hier wird bereits darauf hingewiesen, daß gewaltige Verwaltungskosten für den Staat entstehen. Es wird deshalb zu prüfen sein, ob dies unvermeidbar ist. Es wird Aufgabe des Haushaltsausschusses sein, darüber nachzudenken, ob tatsächlich so viel neue Verwaltungsstellen und eine neue Verwaltungsbehörde erforderlich sind.Letztlich möchte ich auch ansprechen, daß wir uns einmal darüber Gedanken machen sollten, ob es bei den Kostenangaben auf dem Vorblatt nicht gut wäre, wenn nicht nur auf die Kosten hingewiesen würde, die dem Staat — den Ländern, den Gemeinden und dem Bund — entstehen, sondern das Vorblatt auch ausweisen würde, welche Kosten für die Betroffenen, also letztlich den Verbraucher, entstehen.
Ich glaube, wir sollten uns einmal klar machen, daß Gesetze Kosten nicht nur im staatlichen Bereich heraufbeschwören.Den Kritikern des Gesetzentwurfs muß entgegengehalten werden, daß der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige Richtung, ein maßvoller und zu verwirklichender Schritt ist, durch den für manche kleinen und mittleren Betriebe bereits heute sicherlich Belastungen eintreten werden, die die Innovationsbereitschaft sicherlich nicht beflügeln werden. Bei allen Gesetzen haben wir aber auch darauf zu achten, daß wir mittelständische Strukturen unserer Wirtschaft nicht erdrücken, indem wir zuviel an Bürokratie in Gang setzen. Es wird darauf ankommen, auf diesem Neuland erst einmal Erfahrungen zu sammeln und deshalb Schritt für Schritt vorzugehen, so wie es die Bundesregierung, der Bundesrat und wieder die Bundesregierung mit ihren Gegenäußerungen zu den Bundesratsvorstellungen uns mit auf den Weg gegeben haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Riesenhuber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Minister Huber hat in einer sehr sachlichen und abgewogenen Einführungsrede das Gesetz vorgestellt. Nur ein einziger Punkt ist hier angeklungen, der nicht so ganz dazu paßt. Sie hat die ganze Diskussion an den Problemen aufgehängt, wie sie in Seveso und Mississauga entstanden sind. Dies sind in der Tat sehr ernste und außerordentlich spektakuläre Probleme. Sie wären allerdings in der Sache durch eine Störfallverordnung zu regeln, über die die Bundesregierung nachdenkt. Sie hat hierzu, wenn ich mich recht erinnere, seit fünf Jahren die Ermächtigung. Sie müßte nur Konkretes vorlegen. Darüber würden wir sehr gern diskutieren.Die Bundesregierung legt heute das Chemikaliengesetz vor. Sie bringt es ein nach mehrfachen Verzögerungen. Sie bringt es ein nach zahlreichen Differenzen der beteiligten Ressorts. Sie bringt es ein nach einem Wechsel in der Federführung während der Behandlung vom Innenministerium auf das Gesundheitsministerium. Sie bringt das Gesetz zu einem sehr späten Zeitpunkt der Legislaturperiode ein,
an dem eine eingehende und umfassende Behandlung für so einen komplexen und komplizierten Bereich sehr erschwert, wenn nicht sogar unmöglich werden könnte.Der Bundesrat empfiehlt fast 100 Änderungen. Weit über die Hälfte davon werden schon nach derzeitigem Stand von der Bundesregierung übernommen. In mindestens zehn Fällen will die Bundesregierung prüfen, ohne das Prüfergebnis jetzt schon andeuten zu können. Ein Staatssekretär der Bundesregierung bezeichnete das Gesetz als einen ersten Schritt unter dem Vorbehalt, die praktischen Auswirkungen zu erproben. Das Gesetz kommt spät, und das Gesetz kommt unter einem erheblichen Zeitdruck. Es bestehen Zweifel, inwieweit es in der fachlichen Vorbereitung schon ausgegoren ist. Nicht einmal die Kontroverse mit dem eigenen Sachverständigenrat für Umweltfragen konnte die Bundesregierung ausdiskutieren. Wir halten dies für eine ungenügende Bearbeitung eines außerordentlich wichtigen und kritischen Bereichs. Vielleicht besteht ein sinnvoller Ausweg darin, wie Kollege Hammans vorgeschlagen hat, die Verabschiedung des Gesetzes in dieser Periode insbesondere auf den Bereich zu konzentrieren, der durch die EG-Richtlinien abgedeckt ist.Wir halten das Chemikaliengesetz für ein notwendiges und ein wichtiges Gesetz. Es gibt zahlreiche Einzelvorschriften in verschiedensten Bereichen: zu Düngemitteln, für Arzneimittel, für Lebensmittelzusatzstoffe, Futtermittel, Pflanzenschutzmittel, explosionsgefährliche Stoffe, Gifte, Waschmittel, Kosmetika, Benzin und vieles andere mehr. Wir haben seit langem die Gewerbeordnung mit ihren vielfältigen Vorschriften. Wir haben das Bundes-Immissionsschutzgesetz, Regelungen zum Transport gefährlicher chemischer Güter und Unfallverhütungsvorschriften. Dies alles deckt den Bereich nicht voll ab, über den wir heute sprechen. Darüber hinaus ist uns in den letzten Jahren — dies haben Vorredner hier angesprochen — eine neue Art von Gefährdung bewußt geworden: die mögliche langfristige oder häufige Einwirkung von Chemikalien auf Mensch und Umwelt, die Probleme des Abbaus dieser Chemikalien in der natürlichen Umwelt, die Risiken der Anreicherung von Chemikalien in den Nahrungs-
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Dr. Riesenhuberketten, also Chemikalien außerhalb des bestimmungsgemäßen Verbrauchs und des abgeschlossenen Zustands, der im wesentlichen Gegenstand der seitherigen Regelungen war.Der Gesetzentwurf will diese Gefährdungen nach dem Prinzip der Vorsorge und der Eigenverantwortlichkeit der Hersteller einfangen. Beide Grundsätze halten wir für richtig, außerordentlich wichtig und für einen vernünftigen Ansatz. Es ist auch richtig, daß hier der Übergang von einer medienbezogenen zu einer stoffbezogenen Betrachtung in einem wichtigen Bereich des Umweltschutzes vollzogen wird. Aber hier stoßen wir bald an die Grenzen des gesicherten Wissens. Die Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen hat kürzlich — ich glaube, es war auf einer Pressekonferenz im Oktober — darauf hingewiesen, daß wir vermutlich neun Zehntel der in der Umwelt vorhandenen und relevanten Chemikalien noch gar nicht kennen, ganz abgesehen von der Problematik ihrer Auswirkungen, die erst recht nicht zu erfassen sein würden. Eine umfassende Umweltforschung kann uns helfen, unsere Umwelt zunehmend zu verstehen, nicht nur in den einzelnen Abläufen, sondern auch im Zusammenwirken in einem geschlossenen System, in dem der Mensch und seine Arbeit genauso Teile sind wie die gewachsene Natur.Von dem Verständnis dieser Umwelt hängt die Qualität unserer Maßnahmen ab. Hier hat die Bundesregierung in der Tat noch eine Menge aufzuarbeiten. Wenn Kollege Fiebig in seinen Ausführungen gerade darauf hingewiesen hat, daß die Industrie geneigt sein könnte, Risiken geringer einzuschätzen als andere, dann zeigt dies wiederum nur eines und vor allem eines: Diese Frage kann man nicht dadurch lösen, daß man jetzt beliebig strengere Vorschriften erläßt Damit würde man mit einer Granate ins Blaue schießen, anstatt mit einem Pfeil ins Schwarze zu treffen. Es kommt vielmehr darauf an, daß die tatsächlichen und konkreten Gefährdungen durch eine umfassende und präzise Forschung so erfaßt werden, daß wir wissen, was wir mit welchen Mitteln verhindern müssen. Das Wissen und die konkrete Kenntnis der Probleme kann nicht durch eine weiterwachsende Bürokratie und Verwaltung der Problematik ersetzt werden.
Wir haben, um nur ein konkretes Beispiel anzusprechen, in der vergangenen Woche in der Krebsdebatte darüber gesprochen, daß entgegen den Forderungen des Deutschen Bundestages seit 1976 kein neues regionales Krebsregister in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet worden ist. Dies wäre notwendig und ist nur ein Hinweis darauf, daß wir nur durch konkrete Untersuchungen, in diesem Fall durch epidemiologische Untersuchungen, verstehen können, was tatsächlich vorgeht, was gefährdet und was wir verhindern müssen.Wir können dieses Wissen durch eine integrierte Umweltforschung schaffen. Die derzeitige Aufsplitterung der Umweltforschung bei der Bundesregierung auf sechs verschiedene Ressorts ist einem derart umfassenden und übergreifenden Ansatz überhaupt nicht förderlich. In der Sachdebatte, die wirjetzt im Vorfeld der politischen Entscheidungen zu führen haben, zeigt sich auch, daß es außerordentlich hinderlich ist — ich wies darauf hin —, daß die fachliche Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und dem Sachverständigenrat noch nicht ganz abgeschlossen ist. Es geht ja hier nicht um eine Frage von mehr oder weniger Schärfe in der Sache, sondern es geht um die Frage einer unterschiedlich begründeten fachlichen Strategie. So etwas müßte ausdiskutiert sein, bevor man sich politisch mit einer solchen Frage befassen kann. Allerdings bin ich zu dem Eindruck gekommen, daß die Argumente der Bundesregierung durchaus von erheblichem Gewicht sind.Dies sind einige der Schwierigkeiten, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Wir werden trotz dieser Schwierigkeiten nach Kräften dazu beitragen, daß in den kommenden Ausschußberatungen diese Probleme überwunden und in den Griff gebracht werden.Dabei wäre unsere Arbeit leichter und erfolgversprechender zu leisten, wenn es uns gelungen wäre, das Instrument zur Technologiefolgenabschätzung zu schaffen, das meine Fraktion nun in der zweiten Legislaturperiode beantragt hat und zu dem die Regierungskoalitionsparteien uns bis heute die Unterstützung verweigert haben. Wenn es darum geht, derart komplexe Zusammenhänge aufzuarbeiten, dann kann sich das Parlament nicht allein auf den Sachverstand von außenstehenden Stellen oder Sachverständigen verlassen, die immer in Interessenzusammenhängen stehen. Es muß ein eigenes Instrument haben, um diese Probleme auch konsequent und sachlich bewältigen zu können.
Natürlich handelt es sich bei dem Problem, das wir heute behandeln, auch um die Abschätzung von Folgen der Technik in einer zunehmend komplizierten, schwer durchschaubaren und stets gefährdeten Welt. Dies ist eine der großen Aufgaben in dem Umgang mit Technik, die wir in den künftigen Jahren zu lösen haben.Dabei ist es nicht so, als ob Umweltschutz, auch in diesen Bereichen, erst mit den heutigen Beratungen beginne. Wir stehen dabei in einer großen Tradition von Umweltschutz in Deutschland, in einer großen Tradition des technischen Umweltschutzes. Wir haben international einen sehr hohen Rang, nicht nur in den Gesetzen, sondern auch im tatsächlichen und praktischen Schutz von Mensch und Umwelt gegen die Einflüsse des Wirkens unserer Arbeit und unserer Industrie. Dies gilt für den Schutz des Menschen am Arbeitsplatz, es gilt aber auch für den Schutz der Menschen, die hier und insbesondere in den Ballungsgebieten wohnen.Viele Belastungen von Luft und Wasser sind trotz weiteren Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren nicht nur nicht gestiegen, sondern in der Tat zurückgegangen. Der Himmel über der Ruhr ist seit dem Anfang der 60er Jahre in der Tat blauer geworden.Dieser hohe Rang des Umweltschutzes in Deutschland ist nicht dadurch entstanden — und
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Dr. Riesenhuberauch hier haben wir wieder einen kleinen Akzentunterschied, wie Herr Fiebig sagt —, daß dort, wo sich die Industrie weigere, der Staat die Genehmigung zum Schutz seiner Bürger in die Hand nehme, sondern dadurch — und dies war eine Grundidee des Umweltschutzes hier in Deutschland —, daß in einem vernünftigen Zusammenwirken zwischen Behörden und Industrie, zwischen Betreibern und Behörden auf den verschiedensten Ebenen die Probleme vernünftig aufgearbeitet und auf dieser Grundlage gemeinsam Ergebnisse erarbeitet worden sind. Es geht darum, daß wir jetzt hier nicht Vorschriften überstülpen, sondern daß diese Gemeinsamkeit der Arbeit so bewahrt wird, daß die Behörden ihre Ermessensspielräume behalten, daß nicht alles reglementiert wird, was reglementiert werden könnte, und daß hier für einen Betriebsleiter und einen mittelständischen Unternehmer noch überschaubar ist, was er an Vorschriften zu beachten und zu berücksichtigen hat.Das Chemikaliengesetz kann uns helfen, die Risiken von Technik noch sicherer zu beherrschen. Bei vernünftiger Fassung wird es weder die Innovationskraft noch die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Industriewelt beeinträchtigen. Dies ist ein Punkt, auf den wir achten werden; denn davon leben wir in der Tat in einem sehr großen Umfang.Das Gesetz kann auch dazu beitragen, Mißtrauen in die Technik abzubauen, wenn die öffentliche Diskussion dazu verantwortlich geführt wird. Die Unterstellung des Innenministers, die Chemie sei eine tickende Zeitbombe, ist dabei wenig hilfreich. Die Unterstellung, irgendein Verantwortlicher stelle in Deutschland den Umsatz über die menschliche Gesundheit, ist unwahrhaftig und bösartig und ist Gift für eine sachgerechte Diskussion, die wir dringend und entschieden brauchen.Diese sachgerechte Diskussion — auch und gerade mit den kritischen Bürgerinitiativen — ist unsere entscheidende Aufgabe, nicht um den Bürgerinitiativen nach dem Munde zu reden, sondern um in gegenseitigem Respekt die Sache zu klären. Angst vor den Risiken der Technik darf nicht den Mut erschlagen, Technik verantwortlich zu nützen.
Nur verantwortliche Entwicklung von Technik kann die Zukunft unseres Landes sichern und wirkungsvoll zur Linderung der Not in den Entwicklungsländern beitragen. Auch hier haben wir eine große Aufgabe.Auf dieser Grundlage wird meine Fraktion gerne an der Erarbeitung einer tragfähigen Fassung dieses Chemikaliengesetzes mitarbeiten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Konrad.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Notwendigkeit, umfassende Vorschriften über das Inverkehrbringen von Chemikalien zu erlassen oder weiter zu entwickeln, hat dieBundesregierung dankenswerterweise bereits in ihrem Umweltbericht 1976 eindringlich hingewiesen.Ich darf gleich am Anfang ein Wort zum Kollegen Riesenhuber sagen. In Ihren über weite Strecken billigenswerten Ausführungen, die Sie durch so etwas wie polemische Bemerkungen anreichern zu müssen glaubten, haben Sie doch auch zutreffend die Schwierigkeiten hervorgehoben. Sie haben bloß nicht so ganz an der richtigen Stelle nach denen gesucht, die für die Verzögerungen verantwortlich zu machen sind. Regierung und Parlament sind es nicht gewesen.
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat in seinem Umweltgutachten 1978 zwei Komplexe hervorgehoben, die neben den Problemen der herkömmlichen Bereiche der Umweltpolitik in den letzten Jahren in den Vordergrund getreten sind: die Kernenergie und die Umweltchemikalien. Von den Umweltchemikalien sagt der Rat der Sachverständigen:Auch wenn darunter viele Stoffe sind, deren Wirkung und Verbleib in der Umwelt bekannt und/oder nachweislich unbedenklich ist, bleiben die für Mensch und Umwelt entstehenden Probleme derzeit in großem Umfange unbekannt; zuverlässig wirksame Ansätze zur Lösung dieser Probleme sind nicht erkennbar. Vielmehr führen die wissenschaftlichen Anstrengungen auf diesem Gebiet überwiegend zur Aufdeckung neuer Probleme, ohne daß deren Umfang und Bedeutung zugleich angemessen abgeschätzt werden kann. Da die Umweltchemikalien in allen Medien — in der Luft, im Wasser und im Boden — auftauchen, legen sie die Ergänzung der medienbezogenen Umweltstrategien durch stoffbezogene Ansätze der Umweltpolitik nahe.Wird diese Meßlatte an den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen angelegt, so dürfen gerechterweise der Bundesregierung Dank und Anerkennung nicht versagt werden, daß sie — auch zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft in deutsches Recht — den Schritt in gesetzgeberisches Neuland getan hat.Der Entwurf wird nach seiner in § 1 näher umschriebenen Zweckbestimmung in besonderer Weise dem Vorsorgeprinzip gerecht, das das Umweltrecht — zum Schutz der Menschen und der Umwelt — beherrscht.Die grundsätzliche Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf wird dadurch erleichtert, daß der Bundesrat zwar 104 Änderungsvorschläge gemacht oder Prüfungsanregungen gegeben, aber keine durchgreifenden Einwendungen erhoben hat. Sie entbindet aber nicht davon, im Rahmen der ersten Lesung kurze Anmerkungen zu einzelnen Regelungen zu machen und auf Kritik aus der Offentlichkeit einzugehen. Nachdem mein Kollege Fiebig zu den großen Gesichtspunkten des Gesetzentwurfs Stellung ge-
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Konradnommen hat, will ich mehr auf Einzelfragen eingehen.Auch wer sich damit abfinden will, daß das Gesetz als Regelfall für neue Stoffe keine Zulassung, sondern nur eine Anmeldepflicht des Herstellers oder Anmelders vorschreibt, wird die Anmeldefrist von 45 Tagen als sehr kurz, als zu kurz empfinden. Es wird für die Anmeldestelle oder — das ist ein weiteres Problem — für die Bewertungsstellen sehr schwer, vielleicht sogar in manchen Fällen unmöglich sein, innerhalb einer Frist von 45 Tagen die Fehlerhaftigkeit der von Anmeldepflichtigen vorgelegten Unterlagen festzustellen und durch rechtzeitiges Verwaltungshandeln ein gesetzwidriges Inverkehrbringen von Stoffen zu verhindern.Auch die Ausnahmen von der Anmeldepflicht müssen Bedenken erwecken. In den Bestimmungen des § 9 über die zusätzlichen Prüfungsunterlagen, die die Anmeldestelle verlangen kann — nicht: muß —, schimmert durch den Gesetzestext die Handschrift des Verbandes der chemischen Industrie,
so daß — frei nach O'Neill: „Trauer muß so mancher tragen" — nun der umstrittene Stufenplan fröhliche Urständ feiern kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Entschuldigung, ich habe das nicht gesehen. — Unter Voraussetzung der Zeitanrechnung!
Nein, kein Handelsgeschäft!
Na ja, fragen Sie trotzdem. Präsident Stücklen: Bitte schön.
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden: Wollen Sie der Regierung wirklich unterstellen, daß sie sich insofern von der Industrie so weit beeinflussen läßt?
Das ist keine Unterstellung. Was die Einflußnahme anbelangt, bekenne auch ich mich zum Gebot der Zusammenarbeit. Aber an dieser Stelle hätte ich gern mehr Ursprünglichkeit im Gesetzestext gesehen.
Für die unterschiedliche Behandlung neuer und alter Stoffe gibt es gewichtige Gründe. Die Bundesregierung will alte Stoffe — und diese sind selbstverständlich weit in der Überzahl — immerhin dann in die Anmeldepflicht einbeziehen, wenn Anhaltspunkte für ihre Gefährlichkeit vorliegen. Doch ist der Weg über eine Rechtsverordnung zu schwerfällig. Der Bundesrat wünscht überdies eine Einschränkung im Umfang der Prüfungsnachweise.Das Chemikaliengesetz braucht, um seinen Zweck zu erfüllen, ein klares, übersichtliches und leicht zu handhabendes rechtliches Instrumentarium. Soweit endgültige Verbote der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung gefährlicher Stoffe in Frage stehen, ist aber nicht das Verwaltungshandeln von Behörden vorgesehen, vielmehr können sie nur durch zustimmungspflichtige Rechtsverordnung der Bundesregierung erlassen werden. Es muß schon Gefahr im Verzuge gegeben sein, damit die Zustimmung des Bundesrates entbehrlich wird. Dann aber ist die Geltungsdauer der Verordnung auf sechs Monate begrenzt und kann nur mit Zustimmung des Bundesrates verlängert werden. Diese schwerfällige, auch mit rechtlichem Zweifel belastete Regelung des § 17 wird durch die Möglichkeit behördlicher Anordnung nach § 25 zwar ergänzt, aber wiederum gibt es hier eine Befristung auf drei Monate.Wir werden im Gesetzgebungsverfahren sorgfältig prüfen müssen, ob das Instrumentarium, das dem Gesetz Wirkung verschaffen soll, ausreicht. Wir werden unsere Aufmerksamkeit, wie schon erwähnt, auch der Tatsache schenken müssen, daß in wichtigen und zahlreichen Fällen das Gesetz der Ergänzung durch Rechtsverordnungen bedarf. Sie sollten vor der Verabschiedung des Gesetzes vorliegen.Der Bundesrat hat die Erwartung ausgesprochen, daß die Bundesregierung ein oder mehrere Sachverständigengremien beruft. Insofern dürfte eine Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Rates der Sachverständigen vorliegen. In der Tat scheint viel für eine im Gesetz verankerte unabhängige Sachverständigenkommission in der vom Sachverständigenrat einleuchtend begründeten Form, Verfahrensweise und Ausstattung mit Befugnissen zu sprechen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung nur eine unverbindliche Zusage über die Anhörung von Sachverständigen gemacht. Doch hat Staatssekretär Professor Dr. Wolters in einem Interview mit der „Welt" am 29. September 1979 seiner ahnungsvollen Vorstellung Ausdruck verliehen, „daß das Parlament eine positive Einstellung zu einer Sachverständigenkommission hat, wie dies z. B. seinerzeit bei der Verabschiedung des Arzneimittelgesetzes der Fall war".Selbstverständlich wird eine Sachverständigenkommission nur Empfehlungen geben können; die Entscheidung bleibt bei den zuständigen Behörden.
Die Vorarbeiten zum Entwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, haben sich über eine durch die Schwierigkeiten der zu regelnden Materie bedingte sehr lange Zeit erstreckt. Die parallel erforderliche Mitarbeit an der 6. Änderung der EG-Richtlinie von 1967, die gebotene Rücksichtnahme auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen chemischen Industrie, die im Inland offen zu Tage getretenen Gegensätze zwischen Unternehmensinteressen einerseits und Arbeits- und Umwelt-
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Konradschutz andererseits haben einmal mehr das Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie ausgeleuchtet und den Kompromißcharakter des Gesetzes bestimmt. Die Industriegewerkschaft ChemiePapier-Keramik und insbesondere ihr Leiter der Abteilung Umweltschutz beim Hauptvorstand, Gerd Albracht, haben die Interessen der Arbeitnehmer und darüber hinaus die Interessen der Bevölkerung allgemein schon gewahrt, als die Öffentlichkeit und größtenteils auch die Parlamentarier noch nicht genügend aufmerksam geworden waren. Das sollte dankbar gewürdigt werden.
Zum Schluß meines Beitrags möchte auch ich mich der Warnung anschließen, die vielfach bereits ausgesprochen worden ist. Ich benutze dazu Worte von Professor Preussmann, eines Mitglieds des Sachverständigenrates, der in einer Gesprächsrunde der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft" im Frühjahr 1979 wörtlich gesagt hat:Ich möchte noch eine Warnung aussprechen. Ich halte zwar das geplante Chemikaliengesetz für absolut notwendig, aber ich warne aus der Sicht des Wissenschaftlers davor, in der Bevölkerung einen zu hohen Erwartungshorizont zu induzieren. Dieses Gesetz kann nur ein erster Schritt sein. Sobald die Toxikologie neue Ergebnisse erbringt, müssen diese sofort in irgendeiner Form in das Gesetz eingehen. Es wäre wirklich sehr schädlich, wenn in der Öffentlichkeit das Gesetz zu große Hoffnungen wecken würde — denn käme dann nämlich irgendein Zwischenfall, wäre die Enttäuschung um so größer.Wenn wir mit dieser Warnung und Mahnung in die Ausschußberatungen gehen, leisten wir dem eilbedürftigen Gesetzgebungsverfahren und unserer Bevölkerung einen nützlichen Dienst.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Wirkung von neun Zehnteln der in unserer Umwelt vorkommenden Chemikalien ist unbekannt. Jährlich werden 150 Millionen t organische Chemikalien hergestellt, davon 1% Pflanzenschutzmittel. Hinzu kommen 140 Millionen t Kunststoffe, bei denen wir nicht wissen, welche Bestandteile in die Umwelt eingehen, welche Wirkungen sie dort entfalten, wo sie kumulieren und welchen Schaden sie anrichten. Angesichts dieser Tatsache meine ich, daß wir dieses Problem wirklich ernsthaft, intensiv und umfassend behandeln und beraten und dann auch darüber Beschlüsse fassen müssen.Ich möchte Ihnen hier den Vorfall von Gütersloh ins Gedächtnis rufen, bei dem eine Gasflasche, in der eine Chemikalie befördert wurde, undicht wurde und der Inhalt, ein stark stinkendes Tetrahydrothiophen — allein die Begriffsbezeichnung zeigt schon, wie weit sich dieser Bereich von dem normalen Verständnis des Bürgers entfernt hat —, eine Entwicklung einleitete, die zur Folge hatte, daß 35 Menschen evakuiert und im Krankenhaus behandelt werden mußten. Der Giftspezialist der Berliner Gesundheitsbehörde erklärte dazu: Wir wissen erstaunlich wenig über diesen Stoff; ich habe zahlreiche Toxikologen in Berlin und im Bundesgebiet gesprochen, die aber offensichtlich alle ebenfalls keinerlei Erfahrungen mit diesem Gas haben. Nicht einmal in wissenschaftlichen Nachschlagewerken habe man das Stichwort finden können. — Dies ist nur ein kleiner Hinweis auf die unbekannten Wirkungen jener neun Zehntel Chemikalien. Wir stehen hier vor einem wichtigen Nachholproblem. Ich meine, daß die Notwendigkeit der Entwicklung und Verbesserung schneller, zuverlässiger, empfindlicher und kostengünstiger Untersuchungs- und Überwachungsmethoden für uns an erster Stelle stehen muß.Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen, Chemikaliengesetz genannt, stellt einen ersten Einstieg dar. Ich möchte hier an dieser Stelle auch gleich sagen — es ist auch von meinen Vorrednern davor gewarnt worden, bereits jetzt eine Perfektionierung anzustreben —, daß wir mit diesem Gesetz erst Erfahrungen sammeln müssen. Eine Novellierung ist damit bereits vorgegeben. Es ist sicher keine erstrebenswerte Haltung des Gesetzgebers, bei der Beratung und Behandlung eines Gesetzes im Grunde schon vorauszusetzen, daß man diese oder jene Position wieder verändern wird. Aber das Verfahren, über das wir so wenig wissen und zu dem wir erst Erfahrungen sammeln müssen, zwingt uns dazu.Seit 1976 wird an diesem anspruchsvollen Unternehmen gearbeitet. Fünf Jahre lang hat sich das Umweltbundesamt auf nationaler und internationaler Ebene damit beschäftigt. Ich meine, Frau Minister Huber, daß es wirklich prüfenswert wäre, ob nicht das Umweltbundesamt — meine Fraktion möchte dies jedenfalls anregen — an Stelle der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung Anmeldestelle nach dem Umweltchemikaliengesetz werden sollte, und zwar deswegen, weil es eine breite Palette von Erfahrungen im Hinblick auf die vorgesehenen Anmeldeprüfungen einbringen kann.
Ich meine, daß das, was wir mit diesem Gesetz anstreben — ich will die Grundpositionen hier nur ganz kurz anreißen —, nämlich die Erfüllung des Verursacherprinzips und die Zugrundelegung des Prinzips der Produktionsfreiheit mit staatlichen Eingriffsvorbehalten, nicht aber des Prinzips des Produktverbotes mit staatlichem Erlaubnisvorbehalt, das richtige Verfahren ist. Unter dem Gesichtspunkt, alle Möglichkeiten in den Griff zu bekommen, mag ein Zulassungsverfahren wünschenswert erscheinen. Ich meine aber, daß bei einem ersten Schritt, den wir mit diesem Gesetz tun wollen, ein solches Verfahren nicht die Verhältnismäßigkeit zu den Prüfmöglichkeiten, zu den Kostenmöglichkeiten, zur Zeitdauer und damit auch zur Effizienz gewährleistet Wir müssen deshalb meines Erachtens beim Anmeldeverfahren bleiben.
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Wolfgramm
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß es auch noch intensiver Überlegungen darüber bedarf, wie das Kostenproblem für Klein-und Mittelbetriebe gelöst werden soll. Wir legen Wert darauf, daß gerade diese Betriebe, die in einer spezifischen Weise im chemischen Bereich tätig sind, nicht möglicherweise durch die anfallenden Kosten, die schon bei der Grundprüfung den einen oder anderen in Schwierigkeiten bringen könnten, gezwungen werden, ihre Spezifizierungen einzuschränken, aufzugeben oder ihre Innovationen zu begrenzen. Ich begrüße, daß die Bundesregierung hier ein Prüfungsinstitut im Rahmen der Fraunhofer-Gesellschaft vorsieht. Aber ich meine, das wird noch zuwenig sein. Wir werden überlegen müssen, was eventuell durch den Verband, durch die Großen in diesem Verband geschehen kann, uni Hilfe in Form von Kooperationsmöglichkeiten zu leisten.Für meine Fraktion darf ich darauf verweisen, daß wir natürlich wünschen, daß auch alte Stoffe systematisch auf ihre Langzeitwirkungen untersucht werden. Die USA haben in diesem Bereich 18 Risikoklassen geschaffen. Wir sollten, selbst wenn wir das amerikanische Verfahren in dieser Form in vielen Bereichen nicht übernehmen wollen und können, es in diesen Punkten doch ernsthaft prüfen.Auf die Problematik der Tierversuche ist vorhin schon besonders eingegangen worden. Ich meine, daß wir an dieser Stelle nicht nur im Hinblick auf die anstehenden Tierversuche zur Ausführung der Prüfungsverfahren, sondern überhaupt eine Einschränkung der Tierversuche im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ernsthaft anstreben sollten.Der Sachverständigenrat hat grundsätzliche inhaltliche und auch praktische Kritik geübt. Wir werden uns in den Ausschüssen mit seinen Vorschlägen sorgfältig auseinanderzusetzen haben. Es ist sicher sehr wichtig, daß das Prüfverfahren einen aktuellen, einen schnellen und einen praktikablen Weg garantiert; insoweit sind Hinweise gegeben worden. Nach den Ausführungen der Vorredner meine ich, daß auch ein Einvernehmen über die Frage der Einsetzung einer Beratungskommission zu erzielen wäre, die die Prüfmethoden und Inhalte der Grundprüfung nach dem letzten Stand der Wissenschaft regelmäßig fortschreibt.Uns allen und erfreulicherweise allen Beteiligten liegt daran, daß das Gesetz rasch, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Ich darf unterstreichen, daß auch meine Fraktion diesen Wunsch hat. Deswegen werden wir auch sorgfältig zu prüfen haben, ob ein Hearing, das bei dieser komplizierten Materie außerordentlich wünschenswert wäre, das Gesetzgebungsverfahren zeitlich nicht zu sehr verzögern würde. Das müssen wir in den betroffenen Ausschüssen prüfen. Wenn es zeitlich machbar ist, werden wir das gern unterstützen. Aber es darf nicht der Fall eintreten, daß wir mit der Verabschiedung des Gesetzes in Terminschwierigkeiten kommen.Wir werden den Risikobegriff in der Chemie ändern müssen. Es kann nicht mehr nach Heinrich Spoerls Feuerzangenbowle gehen: daß Chemie etwas ist, wo es stinkt und knallt. Damals hat man sich das ganz einfach vorgestellt, so der Chemielehrer imBuch. Dieses Vorhaben ist nicht einfach. Wir begrüßen es, daß ein erster Einstieg gemacht wird. Wir werden alles tun, um es in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Andere Industrieländer haben längst Chemikaliengesetze. Die Bundesrepublik Deutschland, die einige der größten Chemiegiganten beherbergt, hat bis jetzt keins, obwohl sie es besonders nötig hätte. Der Verdacht liegt nahe, daß es gerade die mächtige chemische Industrie ist, die ein solches Gesetz bis heute verhindert bzw. behindert hat Dieser Entwurf verrät denn auch die Handschrift der chemischen Industrie viel stärker als die des Umweltschutzes.Wenn Herr Kollege Rawe vorhin den Kollegen Konrad gefragt hat, ob er denn an eine Beeinflussung glaube, dann möchte ich sagen: Dafür gibt es ganz handfeste Beweise, die auch bekannt sind.
— Mag sein, Herr Konrad. Herr Riesenhuber hat Zweifel, ob dieses Gesetz ausgegoren ist. Ein Gesetz, mit dem sich die Bundesregierungen bereits seit 15 Jahren beschäftigen, halten Sie für immer noch nicht ausgegoren?
Man hat sich damit in den ganzen 15 Jahren auch im Zusammenhang mit der chemischen Industrie beschäftigt. Ich kann Ihre Einlassung nur so verstehen, daß Sie glauben, da wären vielleicht noch weitere 15 Jahre der Verhandlungen zwischen Bundesregierung und chemischer Industrie nötig, bevor wir zu einem vernünftigen Gesetz kommen.
Es war auch sehr viel die Rede von der Bewahrung gleicher Wettbewerbschancen in der Industrie.
Sowohl von Herrn Hammans als auch von Herrn Spitzmüller und zuletzt von Herrn Wolfgramm ist die Frage der mittelständischen Betriebe angesprochen worden. Meine Kollegen, was soll das heißen? Soll das vielleicht heißen, daß ein mittelständischer Betrieb, um ihn zu schützen, nicht ganz so kontrolliert werden soll, oder was soll eigentlich diese Bemerkung mit dem Wettbewerb und der mittelständischen Industrie?
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgramm?
Wenn mir dies nicht von der Redezeit abgezogen wird, bitte.
Herr Kollege Gruhl, ich gehe doch recht in der Annahme, daß Sie meiner Rede zugehört haben. Ich darf Sie fragen, ob Sie etwas dagegen haben, daß die mittelständische Industrie, die stärker durch diese Prüfungen belastet ist als die Großindustrie, durch eigene Kooperationsmodelle, durch die Hilfe der Großindustrie in den Stand gesetzt wird, ein solches Prüfungsverfahren besser zu überstehen?
Steht denn darüber etwas im Gesetz? Man hätte es ja hereinbringen können, wenn man es gewollt hätte.
— Viel Glück dabei!
Wir müssen bemerken, daß zur Zeit 60 000 Stoffe auf dem Markt sind. Jährlich kommen 200 bis 300 Stoffe hinzu. Das chemische Zeitalter begann vor etwa 100 Jahren. Die chemische Industrie ist eine der sogenannten Wachstumsbranchen. Wir können uns also ausrechnen, wenn das mit dem Wachstum der chemischen Industrie so weitergeht, daß wir im nächsten Jahrhundert Hunderttausende von chemischen Stoffen auf dem Markt haben. Darum ist eine solche Behandlung in einem Gesetz höchst dringlich.Ich bin erstaunt über die Bemerkungen, die darauf hinausliefen, es sei wohl nicht mehr die Zeit vorhanden, es in dieser Legislaturperiode in vernünftiger Weise zu verabschieden. Dann sind wir bereits wieder in der nächsten Legislaturperiode.Dabei wird das Gesetz mit viel propagandistischem Aufwand begleitet, der in keinem Verhältnis zur Wirksamkeit der Vorlage steht. Die umweltpolitische Bedeutung wird weit überschätzt, wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits am 19. April dieses Jahres feststellte, indem er sagte: „Ängste vor den Risiken der Chemie scheinen manchmal in unbegrenzte Sicherheitserwartungen in dieses Gesetz umzuschlagen"; Erwartungen, die von der Propaganda der Parteien genährt werden, die sich alle sehr umweltschützerisch gebärden.
Ich möchte hier einige Einzelheiten aus der Stellungnahme des Heimatbundes vorlesen. Er fragt, warum alte Stoffe nicht geprüft werden und warum ein neuer Stoff unmittelbar nach der Anmeldung in den Verkehr gebracht werden darf, ohne daß die Ergebnisse der erst dann einsetzenden amtlichen Prüfungen abzuwarten sind, und sagt dazu:Um dies zu verhindern, sollte das Inverkehrbringen angemeldeter Stoffe zumindest so lange unterbunden werden, „bis die vom Hersteller vorzulegenden Prüfungsunterlagen auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft worden sind".Der neue Gesetzentwurf, so sagt der Heimatbund weiter, enthalte — im Gegensatz zu einer früheren Fassung — nicht mehr die Bestimmung, daß es der Zweck des Gesetzes sei,Wasser, Boden, Luft, biologische Formen und den Naturhaushalt vor umweltgefährlichen Einwirkungen von Chemikalien zu schützen. Dies läßt vermuten, daß die ursprüngliche Intention eines umfassenden Schutzes der Umwelt nicht aufrechterhalten wird; die Gesetzesinitiative soll offensichtlich vorrangig dem Schutz der menschlichen Gesundheit vor gefährlichen Stoffen dienen, der Schutz des Naturhaushalts demgegenüber aber in den Hintergrund treten.Wenn alte Chemikalien ungeprüft bleiben, dann heißt das, daß die Schädlichkeit erst später entdeckt wird, wie z. B. beim Asbest, dessen krebserregende Wirkung man erst nach 30 Jahren bei Frauen entdeckte. Insofern sind die Chemikalien tatsächlich eine „Zeitbombe".Die Stellungnahme des von der Bundesregierung selbst eingesetzten Rates der zwölf wissenschaftlichen Sachverständigen für Umweltfragen ist doch über Seiten hinweg wie eine Ohrfeige für die Bundesregierung. Der Rat sagt mit Recht, der Entwurf müsse sich am skizzierten Anspruch des Gesetzes messen lassen. Er führt aus:Von dem Anspruch des Gesetzes her, Mensch und Umwelt vor subchronisch oder chronisch schädlichen Stoffen zu schützen, läge es nahe, neue Chemikalien grundsätzlich vor dem Inverkehrbringen zu prüfen, nicht erst danach. Das spräche für ein Zulassungsverfahren nach dem Vorbild des Pflanzenschutzgesetzes oder des Arzneimittelgesetzes. Es wäre aber mit Sicherheit innovationshemmend und ökonomisch unvertretbar, alle neuen Chemikalien einer solchen Sperre für das Inverkehrbringen zu unterwerfen.Dabei stehen wir vor dem Problem, daß praktisch die Fülle der Chemikalien, die bereits heute überall verbreitet sind, wollte man sie alle einer Prüfung unterziehen, das Prüfungsverfahren zum Scheitern bringen müßte. Es gebe aber bestimmte Stoffklassen, so sagt der Sachverständigenrat, bei denen schädliche Einzelsubstanzen besonders häufig aufträten. Bei derartigen neuen Stoffen könne es geboten sein, sie erst in Verkehr bringen zu lassen, nachdem sich in den Prüfungen keine Anhaltspunkte einer Schädlichkeit für Mensch und Umwelt ergeben haben. Das ist im Entwurf nicht berücksichtigt worden.Der Sachverständigenrat übt Kritik in vielen Punkten, die ich in der kurzen Zeit nicht anführen kann; er macht aber auch konkrete Vorschläge, die hier zum Teil erwähnt worden sind, so den Vorschlag zur Bildung einer unabhängigen Kommission. Vor allen Dingen ist an den Mengenfestsetzun-
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Dr. Gruhlgen Kritik zu üben, wenn man nur die Gewichtsmengen in Tonnen festlegt, um ein Kriterium für die Notwendigkeit der Überprüfung zu haben.Ich muß leider auf das Zitieren vieler Äußerungen verzichten, die gegen das Gesetz vorgebracht worden sind. Ich sage zum Schluß: Wenn die chemische Industrie weiterhin nach den Gesetzen der Ökonomie arbeiten darf, wobei ihre Expansion gefördert wird, dann kommt eine chemische Verseuchung auf uns zu, die durch kein Gesetz zu beherrschen sein wird, am allerwenigsten durch einen so hilflosen Versuch wie diesen.Wir werden in der zweiten und dritten Lesung sehen, was in den Ausschüssen daraus geworden ist. Ich sage heute hier vor der Öffentlichkeit — die Mitglieder dieses Hauses wissen das ohnehin —, daß dieses Gesetz aus den Ausschüssen keineswegs so herauskommen wird, daß es einen echten Fortschritt auf dem Gebiet der Beherrschung der chemischen Welt sein wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans?
Denn die Zeit arbeitet gegen uns, da, wie ich anfangs sagte,
jährlich Hunderte von neuen Chemikalien auf den Markt kommen und alle Auswirkungen dieses chemischen Zeitalters ja erst im Laufe der Jahre — über Luft, Wasser, pflanzliche Nahrung und tierische Nahrung — direkt auf den Menschen zurückschlagen werden, wobei das Zusammenwirken der Stoffe ja leider nicht einmal durch wissenschaftliche Überprüfungen zu kontrollieren ist; man beschränkt sich immer — man kann fast nicht anders — auf die Untersuchung der Wirkungen einer einzelnen Chemikalie. Ein völlig neues und ungelöstes Problem ist die Überprüfung des Synergetismus, des Zusammenwirkens der verschiedensten Chemikalien in der Umwelt und im menschlichen Körper auf die Gesundheit des Menschen in direkter und in indirekter Form.
Darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen!
Ein Schlußsatz: Darum kann man ein solches Gesetz auch nicht isoliert behandeln. Wir haben es hier vielmehr mit den unabsehbaren Auswirkungen des industriellen Zeitalters, in diesem Falle des chemischen Zeitalters, zu tun.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Kollege Gruhl, ich meine, dieses Haus braucht sich Ihre Vorwürfe nicht zu eigen zu machen und braucht sie nicht auf sich zu beziehen, denn diese Bundesregierung und alle Parteien haben seit 1969 eine in der Welt vorbildliche Umweltschutzgesetzgebung in die Wege geleitet. Wir haben dafür Anteile am Bruttosozialprodukt aufgewendet, die sich im Vergleich zu anderen Industrienationen durchaus sehen lassen können.
— Meine Kollegen, seien Sie bitte nicht so empfindlich. Das ist gar kein Vorwurf an Sie. Wenn Sie an der Regierung gewesen wären, hätten Sie das wahrscheinlich oder sicherlich auch gemacht, vielleicht nicht so wie wir.
— Ich habe Zweifel daran, daß Sie es besser gemacht hätten. Diese Zweifel werden Sie mir zugestehen. Aber, Herr Riesenhuber, vor 1969 gab es in Europa kein Umweltprogramm. Hans-Dietrich Genscher hat 1971 das erste Umweltprogramm Europas vorgelegt.
Wir haben es gemeinsam in die Wege geleitet.
Herr Gruhl, ich nehme jede drängende Forderung in Sachen Umweltschutz gern auf. Aber dann erwarte ich auch, daß Sie sich wirklich ernsthaft mit dem Gegenstand, nämlich mit diesem Gesetz, befassen. Dann hätten Sie einige Äußerungen nicht machen können.
Zu den Altstoffen haben Sie hier auf einer falschen Informationsbasis argumentiert. Und was soll denn der Vorwurf, daß wir 15 Jahre gewartet hätten? Die EG ist doch heute noch nicht fertig.
Der Hinweis auf die anderen Länder ist doch falsch. Die anderen Länder praktizieren doch vorhandene Gesetze überhaupt nicht. Wir kommen sogar, wenn wir das Gesetz in dieser Legislaturperiode verabschieden, vor der EG zu einem Ergebnis.
Also bitte, meine Damen und Herren, keine Vorwürfe, die unberechtigt sind!
Zu einer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gruhl, bitte.
Herr Minister, finden Sie nicht, daß die Selbstbeweihräucherung, die in Ihren ersten Sätzen enthalten war, langsam unerträglich wird?
Nein, Herr Kollege Gruhl, das finde ich nicht, weil ich diese Er-
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Bundesminister Baumfolgsbilanz immer auch mit Selbstkritik verbunden habe. Sie werden kaum eine öffentliche Äußerung von mir — etwa zum Zustand der Umweltmedien — finden, in der ich nicht auch auf die Schwächen und die Lücken und die Fehler, die wir gemacht haben, einginge.
— Bei den Medien, d. h. bei Wasser, Luft, Abfall usw.Meine Damen und Herren, auf keinem anderen Feld des Umweltschutzes werden Umsetzung und Durchsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse so sehr gebraucht wie auf dem Gebiet der Wirkung von Chemikalien. Nirgends ist die Zahl der Stoffe und der Gefährdungen so groß, nirgendwo sind Beispiele für lebensbedrohende Langzeitwirkungen so zahlreich wie hier. In viel stärkerem Maße als bisher muß daher bei der Fortentwicklung des Schutzes vor Umweltchemikalien die intensive Zusammenarbeit mit der Wissenschaft auf allen Ebenen des Gesetzesvollzugs gesucht werden.Ich frage mich auch, ob wir schon alle modernen Formen der Technologiefolgenbewertung entwikkelt haben, die auch etwa das Parlament braucht, um Gesetze vorzubereiten und ihre Wirkung zu kontrollieren.
Ich bin der letzte, der nicht einräumt, daß noch sehr viel auf dem Gebiet der Umweltchemikalien geschehen muß. Ich überschätze - auch Herr Kollege Konrad hat eben darauf hingewiesen — die Wirkung des Gesetzes nicht. Wir sollten in der Öffentlichkeit auch nicht den Eindruck entstehen lassen, daß wir die Gefahren der Umweltchemikalien mit diesem Gesetz umfassend ergreifen und regeln könnten. Dieses Gesetz regelt nur einen Teilaspekt. Es ist — darauf wurde schon hingewiesen — ein Einstieg, ein Beginn, ein Schritt in Neuland. Wir haben vor einigen Jahren ein ähnliches Gesetz beschlossen: das Bundesdatenschutzgesetz, von dem wir ja auch sagen mußten, daß es fortentwickelt werden muß und daß es in Kürze novelliert werden muß.Im übrigen, Herr Kollege Riesenhuber: Die Störfall-Verordnung wird noch im Dezember vorgelegt werden. Wir arbeiten erst seit zwei Jahren an dieser Störfallverordnung. Wir mußten ja schließlich die Erkenntnisse aus Seveso auswerten.
— Wir haben eine allgemeine Ermächtigung im Bundesimmissionsschutzgesetz, die viel weiter geht. Aber die Sensibilität und die Kenntnis solcher Störfallkomplexe, wie sie durch Seveso gegeben worden sind, haben wir erst seit zwei Jahren. Wir haben sie jetzt in die Tat umgesetzt, nämlich in die Vorbereitung der Störfallverordnung. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Abstimmung mit den Ländern, HerrKollege Riesenhuber, nicht einfach war. Ich will das nicht vertiefen.
— Auch die Sache ist sehr schwierig.Zu lang haben wir uns in diesem Land fast ausschließlich mit den Zivilisationsrisiken der Kernenergie beschäftigt. Für viele andere Risikobereiche fehlen noch weitgehend Risikobewußtsein und Fähigkeit zum nüchternen Abwägen unterschiedlicher Risiken. Wissenschaftler in aller Welt fordern seit langem, wirksame Vorsorge gegen chronische Schädigungsmöglichkeiten für Mensch und Umwelt durch bestimmte Chemikalien zu treffen.Akute Vergiftungen haben nach Feststellungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen ihren früheren gesundheitspolitischen Stellenwert weitgehend eingebüßt. Schutzeinrichtungen und moderne Intensivtherapien haben hier wirksame Abhilfe geschaffen. Wir nehmen aber alle Warnungen der Wissenschaft sehr ernst, daß die bisherigen Vorkehrungen nicht ausreichen, den Menschen vor allen denkbaren toxischen Wirkungen zu schützen. Sie, Herr Kollege Gruhl, haben ja soeben selber eingestanden, daß die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Teil eben noch unzureichend sind. Das müssen wir klar sehen.Das Chemikaliengesetz behandelt das bewußte In-Verkehr-Bringen von Chemikalien in die Umwelt. Dies bedeutet immer ein Inkaufnehmen von Risiken, die wir, soweit es wissenschaftliche Erkenntnis zuläßt, minimieren müssen und minimieren werden. Jede praktikable Anregung, wie dieses Ziel zu erreichen ist, wird von uns aufgegriffen werden.Wir wissen von nachteiligen Umweltfolgen. Erinnert sei zum Beispiel an die schädlichen Auswirkungen der inzwischen in ihrer Verwendung stark beschränkten polychlorierten Biphenyle — PCB — sowie Asbest oder Vinylchlorid — lauter Chemikalien, die nicht mehr unkontrolliert auf den Markt gebracht werden dürfen. Bei der üblichen Verwendung gelangen viele Stoffe durch die Luft, durch Gewässer und über den Boden an Kleinlebewesen, Pflanzen, Tiere sowie an den Menschen. Sie kommen damit praktisch in allen Ökosystemen vor und können verheerende Wirkungen haben.Für einige Produkte der chemischen Industrie, z. B. Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel, Sprengstoffe, kennen wir teilweise schon seit langem ein spezielles Zulassungsverfahren und damit im Zusammenhang sehr detaillierte Prüfvorschriften, die jedoch den Umweltschutz bisher kaum berücksichtigen. Die überwiegende Zahl aller in die Umwelt gelangenden Chemikalien unterliegt zur Zeit überhaupt keiner Überprüfung vor der Vermarktung. Diese Stoffe wirken langfristig auf eine große Zahl von Individuen ein, ohne daß sich eine sofort erkennbare Wirkung zeigt. Wirkungen zeigen sich erst nach langer Zeit und sind dann meist nicht mehr heilbar.
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Bundesminister BaumSoll das Risiko von Umweltschäden durch Chemikalien auf ein vertretbares, von der Gesellschaft akzeptierbares Maß, gebracht werden, so muß jede Chemikalie vor ihrer ersten Vermarktung umfassend geprüft und bewertet werden. Dabei wissen wir: Auch die Aussagekraft von Laboruntersuchungen ist begrenzt, ebenso wie die präzise Vorhersage aller denkbaren Umweltschäden. Ich möchte daher davor warnen, sich auf die Prüfung neuer Stoffe zu beschränken, wenn Verdachtsmomente bestehen. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß im Gesetz eine Ermächtigungsvorschrift enthalten ist, die die alten Stoffe umfaßt. Fachleute schätzen, daß bereits zirka 50 000 chemische Substanzen in der Bundesrepublik gehandelt werden. Nur sehr wenige sind bisher ausreichend auf ihre umweltrelevanten Eigenschaften geprüft. Dringlich ist, alle neuen Stoffe, ehe sie mit Mensch und Umwelt in Berührung kommen, ausnahmslos zu überprüfen.Bei den alten Stoffen besteht hinsichtlich der Kenntnis über ihr Wirkungen und über ihr Verhalten in der Umwelt ein sehr großer Nachholbedarf an präzisen wissenschaftlichen Prüfdaten, der möglichst bald abgebaut werden muß. Ich bin mir dabei mit dem Kollegen Hauff dessen bewußt, daß ein Schließen dieser Forschungslücke in Anbetracht der geringen zur Verfügung stehenden Kapazitäten an für Zwecke des Gesetzes eingerichteten Prüflabors und der bisher geringen Zahl sachverständigen Prüfpersonals kurzfristig nicht erreicht werden kann. Dies macht es um so dringlicher, im Rahmen eines sicher noch verbesserungsfähigen Stufenprogramms sofort diejenigen Substanzen auszuwählen, die näher untersucht werden müssen, weil Verdachtsmomente bestehen.Bei einem derartigen Prüfprogramm alter Stoffe können wir nicht auf Erfahrungen und Erkenntnisse von Stellen verzichten, die auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik und im Ausland tätig sind, z. B. die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie oder die amerikanischen oder japanischen Umweltbehörden. In den USA werden von einem besonderen Ausschuß 18 verschiedene Stoffe und Stoffgruppen zur Prüfung vorgeschlagen, die von uns nicht noch einmal überprüft werden müssen. Zur Vermeidung von Doppelarbeit streben wir mit den USA und außerdem mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft ein Übereinkommen mit dem Ziele gemeinsamen Vorgehens bei der Prüfung von Altstoffen an.Dabei muß wegen noch bestehender Unzulänglichkeiten in den Methoden der Vorsorgeuntersuchungen eine regelmäßige Kontrolle des ökologischen Zustands unserer Umwelt in internationaler Zusammenarbeit erfolgen. Dies zeigt, meine Damen und Herren, die akute Gefährdung der lebenswichtigen Ozonschicht durch Treibgase in Sprays, ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit.
— Ich möchte diesen Gedanken nur zu Ende führen,Herr Kollege. — Wir werden die Frage der Verwendung von Fluorkohlenwasserstoff in Sprays erneutprüfen müssen. Es könnte sein, daß durch neue Untersuchungen der US-Akademie der Wissenschaften die Geschäftsgrundlage für die bisherigen Vereinbarungen weggefallen ist. Wenn sich das herausstellen sollte, werden wir nicht zögern, zu handeln.
Bitte, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger.
Herr Bundesinnenminister, hat es zwischen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung bereits eine Fühlungnahme hinsichtlich dieses angestrebten Übereinkommens gegeben, und — wenn ja — mit welchem Inhalt?
Herr Kollege, diese Fühlungnahme hat es bei einem Besuch gegeben, den Staatssekretär Dr. Hartkopf im Oktober in Washington gemacht hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl?
Ja, gern.
Herr Minister, da sie hier dauernd von einem Umweltgesetz sprechen: Können Sie mir die Frage beantworten, warum dann nicht das Innenministerium als Umweltministerium, sondern das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit für dieses Gesetz federführend ist?
Herr Kollege, wir werden das Gesetz nicht an der Federführung, sondern an dem messen, was drinsteht.
Ich sichere zu, daß ich — gemeinsam mit der Kollegin Huber — das Gesetz so vorlegen möchte, daß es strengen Umweltansprüchen genügt. Im übrigen haben wir in der Vorbereitung — auch mit dem Arbeitsministerium — eng zusammengearbeitet. Ich sehe darin, daß die Federführung nicht beim Innenministerium liegt, keinen Nachteil für das Gesetz; denn die Zusammenarbeit war und ist gut.
— Ja.Der vorliegende Gesetzentwurf ist von verschiedenen Seiten teilweise heftig kritisiert worden: Der betroffenen Industrie sind die Anforderungen zu umfangreich. Umgekehrt erscheinen der Wissenschaft die vorgesehenen Prüfungen im Einzelfall nicht ausreichend. Das festgelegte Prüfprogramm entspricht — unter Mitarbeit zahlreicher, international anerkannter Sachverständiger — dem Ergebnis langwieriger Verhandlungen in Brüssel. Umwelt-/Chemikalienrecht ist eben europäisches Recht, meine Damen und Herren. Die 6. Anderungsrichtlinie zu einer EG-Richtlinie aus dem Jahre 1967 bestimmt Grundsätze und Richtung der Prüfanfor-
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Bundesminister Baumderungen, nach denen sich unsere Gesetzgebung zu richten hat.Wenn dieser Sachverhalt auf Kritik der deutschen wissenschaftlichen Forschung stößt, so kann ich das verstehen. Trotz aller Kritik aber ist das durchgesetzte Programm unbestritten ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand. Der Bundesregierung — Frau Kollegin Huber und mir — ist es in mühsamen Verhandlungen mit den anderen acht EG-Partnern endlich gelungen, die erwähnte EG-Chemikalienrichtlinie als Grundlage für eine noch weitergehende weltweite Harmonisierung durchzusetzen. Die Bundesregierung stand in der Gemeinschaft vor der Alternative, die Chemikalienrichtlinie möglichst bald zu einem — wenn auch vorläufigen — Abschluß zu bringen oder aber zu versuchen, weitere Verbesserungen durchzusetzen und dabei in Kauf zu nehmen, daß die Verabschiedung selbst auf unbestimmte Zeit verzögert wird. Wir haben uns in Abwägung zwischen Perfektion und erreichbarer Harmonisierung für Verabschiedung entschieden und zugleich sofort die zweite Stufe der Harmonisierung im Rahmen der OECD durch Erarbeiten der notwendigen Prüfvorschriften eingeleitet.Ich füge noch einen weiteren Punkt an. Niemand in diesem Hohen Hause wird die „Katze im Sack" akzeptieren müssen. Die Grundzüge der wesentlichen Durchführungsbestimmungen, insbesondere für die Prüfvorschriften und für die Regelungen für Altstoffe, werden rechtzeitig für die Ausschußberatungen vorliegen.
Das meinte ich, als ich von der noch ausstehenden Vorlage gesprochen habe. Wohl bei keinem anderen Gesetzentwurf sind internationale Erfahrungen in einem derartigen Maße genutzt und ausgewertet worden. Auf einem so komplexen und für die Riskoforschung neuartigen Gebiet wie dem der Umweltchemikalien und ihrer Langzeitwirkung auf Mensch und Umwelt ist mit weiteren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu rechnen. Ich werde auf jedes von der Wissenschaft nachgewiesene Risiko eingehen und, wenn notwendig, Novellierungen des jetzigen Gesetzestextes vorschlagen. Dies gilt auch für die jetzt noch in den Prüfverfahren vorgesehenen Tierversuche, die so bald wie möglich durch biochemische Untersuchungen mit besserer Treffsicherheit ersetzt werden müssen.Ich möchte allen danken, die an der Vorbereitung des Gesetzes mitgewirkt haben, insbesondere der Wissenschaft, aber auch dem hier schon mehrfach zitierten Sachverständigenrat für Umweltfragen.
Herr Kollege Riesenhuber, daß er anderer Meinung ist, liegt an der Rolle, die er einnimmt. Ich halte es überhaupt nicht für schlecht, daß hier Meinungsunterschiede bestehen. Einen Teil der Vorschläge haben wir aufgenommen, einen anderen Teil konnten wir nicht aufnehmen. Das ist nun einmal so, wenn unabhängige Sachverständigengremien tätig werden und wir als Regierung eine andere Verantwortung übernehmen müssen. Für Chemikalien gilt wiefür alle anderen Umweltrisiken: Penible Vorsorge ist immer besser als nachträgliches Reparieren von Schäden. Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt beim Übergang zum vorsorgenden Umweltschutz.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/3319 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie mitberatend und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975
— Drucksache 8/3056 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/3343 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfram (Erste Beratung 172. Sitzung)
Interfraktionell ist ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Opposition stimmt der vorgeschlagenen zeitlich unbefristeten Verlängerung des Energiesicherungsgesetzes zu. Es soll der Sicherung der Energieversorgung im Falle ernsthafter Störungen dienen und uns auch in den Stand versetzen, den internationalen Verpflichtungen, insbesondere aus den Abmachungen über die internationale Energieagentur, nachzukommen.Die Verlängerung der Geltung dieses Gesetzes ist ein willkommener Anlaß zu einem Rück- und Ausblick auf unsere Versorgungslage, insbesondere mit Mineralöl. Die krisenhafte Zuspitzung der Ölversorgung hält an, ja sie hat sich, ausgehend von den Ereignissen im Iran, in den letzten zwölf Monaten deutlich verschärft. Unablässig drohen Produzenten mit dem Entzug von Ö1 für den Fall, daß irgendwelche politischen Forderungen nicht erfüllt werden. Die politische Dimension unserer Abhängigkeit ist offenkundig. Unsere versorgungsstrategische Abwehr wird indessen dem Ernst und der politischen Bedeutung der Bedrohung noch nicht gerecht. Es fehlt hier namentlich eine hinreichende Unterscheidung zwischen dem der Friedenssicherung dienen-
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Dr. Narjesden Gebot einer schnellstmöglichen Trennung von der OPEC-Ölversorgung und der energie- und wirtschaftspolitischen Notwendigkeit, die deutsche Energieversorgung auf die Nachölzeit vorzubereiten und umzustrukturieren.Wir haben als Opposition an dieser Stelle seit Jahren darauf hingewiesen, daß nur eine große Vorratshaltung Produzenten abschrecken kann, mit dem Lieferstopp zu drohen. Nur so verschaffen wir uns auch die nötige Handlungsfreiheit für die Anpassung an unvorhergesehene Krisenlagen. Die Ereignisse der letzten Tage beweisen die Richtigkeit unserer seit 1974 hier erhobenen Forderungen und Mahnungen.Wir fügen hinzu, daß es auch nicht ausreicht, sich auf den Krisenmechanismus der Internationalen Energie-Agentur zu berufen und zu verlassen. Er deckt nicht alle denkbaren Szenarien von Versorgungsstörungen ab. Er ist kein Ersatz für eine nationale Vorsorgepolitik, sondern deren Koordinator.Auch die bisherigen längerfristigen Maßnahmen zur Minderung der Ölabhängigkeit, insbesondere der Abhängigkeit vom OPEC-Öl, vermögen uns nicht zu überzeugen. Sie leiden sämtlich daran, daß die ausgewiesenen oder unterstellten Zeiträume der Umstrukturierung unserer Energieversorgung zu lang bemessen sind. Sie orientieren sich noch an den überholten Zeithorizonten der Zweiten Fortschreibung des Energieprogrammes, wonach für 1990 noch eine Ölabhängigkeit von 42 % und mehr in Aussicht genommen ist. Ihnen fehlt infolgedessen die der Aktualität und dem Umfang der Bedrohung angepaßte Dringlichkeit. Wir fordern die Bundesregierung deshalb erneut auf, das Deminex-Programm auszuweiten und es neben dem Ziel der Diversifizierung, der Streuung der Bezugsquellen auf Räume außerhalb der OPEC, auch auf die Mitwirkung bei der Erschließung nicht konventionellen Öls auszudehnen.Der Mitteleinsatz wird, weil wir überall sehr spät, wenn nicht zu spät kommen, erheblich sein. Die Entscheidungsprozesse bedürfen, wie es ein kürzlich eingetretener Fall jetzt wieder beweist, der Überprüfung.Auch bei der Einsparpolitik ist eine Beschleunigung des Tempos überfällig. Dies gilt für die Verwendung des Mineralöls im Industriebereich, für den Verkehrssektor und auch für den privaten Wärmemarkt. Die zu erwartenden Rückwirkungen der politisch motivierten, also künstlichen Ölverknappungen auf den Ölpreis und damit auf alle Energiepreise mit ihren schwerwiegenden Folgen für die nationale und die Weltwirtschaft müßten ein zusätzlicher Anlaß zur Beschleunigung der Lösung vom OPEC-Ö1 sein.Wir begrüßen, daß der größte Ölimporteur, die Vereinigten Staaten sich unter dem Eindruck der Irankrise endlich zu weittragenden Maßnahmen entschlossen haben, um sich vom OPEC-Öl zu lösen. Wir sollten und müssen mit den Vereinigten Staaten Schritt halten und uns ebenfalls auf den Zeithorizont 1990 einstellen. Die versorgungsstrategischeLage wird sich nämlich auch für uns grundlegend ändern, wenn die Vereinigten Staaten von einer Versorgung aus OPEC-Quellen unabhängig geworden sind.In dieser Situation muß es erneut als mißlich beklagt werden, daß die Bundesregierung bisher keine umfassende Kohlepolitik vorgelegt hat, so daß insbesondere für die Kohleveredelung die notwendigen und überfälligen Langzeitorientierungen fehlen. Auch dadurch wird der Ersatz von Ö1 behindert. Wir müssen den Mut aufbringen, zu erkennen, daß wir nicht auf die optimale technische Lösung des Jahres 2000 warten können, sondern daß wir unsere Probleme zunächst mit den verfügbaren Technologien der 80er Jahre zu meistern haben. Gerade die auch an die Adresse Europas gerichtete iranische Boykottdrohung der letzten Tage unterstreicht einmal mehr die ganze Tragweite und die möglichen schwerwiegenden Folgen der seit Jahren unterlassenen Entscheidungen zur ausreichenden Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Nicht nur daß schon Engpässe der Stromversorgung in den 80er Jahren erkennbar sind; sondern auch die Feststellung, daß wir uns auf diese Art und Weise selbstverschuldet in der Möglichkeit beschränken, durch verstärkten Einsatz von Strom OPEC-Ö1 zu ersetzen, bedeuten zwei schwerwiegende Anklagen gegen die Politik der Bundesregierung. Denn sie allein trägt die politische Verantwortung für die Folgen des Kernenergiemoratoriums der letzten Jahre.Die Opposition hofft angesichts der Krise der letzten Tage und Wochen mit allem Ernst, daß die gegenwärtige Krise die letzten Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bedrohung unserer Energieversorgung beseitigt. Die Fraktion der CDU/CSU stimmt der unbefristeten Verlängerung des Energiesicherungsgesetzes 1975 in der Annahme zu, daß es hinreichende Vorkehrungen gegen den Mißbrauch der in ihm enthaltenen weittragenden Ermächtigungstatbestände enthält.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten hätten uns gewünscht, daß Herr Dr. Narjes oder ein anderer Oppositionssprecher Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre eine solche Rede gehalten hätte wie heute.
Damals wäre sie zeitgemäß, richtig und am Platze gewesen. Damals sind die Weichen für ein ungehindertes Eindringen des Öls und für einen totalen Verdrängungswettbewerb gegenüber den heimischen Energiequellen, vor allem der Steinkohle, gestellt worden. Damals ist von sozialdemokratischen Sprechern auf die Gefahr der politischen Abhängigkeit vom Importöl hingewiesen worden. Damals ist gesagt worden, Ö1 wird möglicherweise eines Tages als politische Waffe eingesetzt werden. Damals ist erklärt worden, auch diese Primärenergie Öl ist mengenmäßig nicht beliebig verfügbar. Sie und Ihre
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Wolfram
politischen Freunde von der CDU/CSU haben alle Mahnungen in den Wind geschlagen.
Und jetzt, zu einer Zeit, wo es konkrete Energieprogramme gibt, wo sich diese Bundesregierung und die sie tragende sozialliberale Koalition seit zehn Jahren intensiv bemühen, zu diversifizieren, alternative Energiequellen zu erschließen, wo sie der heimischen Kohle wieder den Stellenwert einräumen, der ihr gebührt, wo sie eine Politik „Weg vom Öl" betreiben, da stellen Sie sich hierher und werfen dieser Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition Versäumnisse in der Energiepolitik vor.
Herr Dr. Narjes, Sie machen es sich mit Ihrem Rundumschlag viel zu leicht.Im übrigen ist ihre These in dem von Ihnen bekannten Stil der Verunsicherung, heute von hier aus eine Politik weg vom OPEC-Ö1 zu proklamieren, äußerst gefährlich. Sie wissen ganz genau, daß über 90 % der Ölförderländer dem OPEC-Kartell angehören und daß selbst das Nordsee-Öl unter OPEC-Kriterien auf den Weltenergiemarkt kommt.
Sie wissen ganz genau, daß in der OPEC Staaten sind, die sehr, sehr vernünftig sind. Sie wissen aber auch, daß im OPEC-Kartell andere Staaten sind, die es zu beeinflussen gilt, und zwar nicht mit starken Worten, sondern mit vernünftigen Argumenten, mit dem Nachweis, daß sie besser beraten sind, wenn sie mit den Industrieländern und mit den Energieverbraucherländern zusammenarbeiten und uns nicht die Pistole auf die Brust setzen. Der Stil, den Sie hier propagieren, bringt weitere Gefährdungen, möglicherweise auch für unsere eigene Ölversorgung, mit sich.Ihre Argumentation dient nicht einer internationalen Verständigung und Kooperation.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das „Energiesicherungsgesetz 1975", zunächst auf fünf Jahre befristet, läuft Ende dieses Jahres aus. Bereits bei der zweiten und dritten Lesung des 75er Gesetzes am 5. Dezember 1974 hatte sich die SPD-Fraktion für eine unbefristete Verlängerung des damaligen Gesetzes ausgesprochen. Es waren Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, und Ihr Sprecher Zeyer, die gesagt haben, da werde der Bundesregierung ein Instrument an die Hand gegeben, das sie mißbrauchen könne. Sie waren es, die davor gewarnt haben, dieses Gesetz zu schaffen. Sie waren für die Befristung. Ich freue mich, daß der Lernprozeß so weit gediehen ist, daß Sie heute einer unbefristeten Verlängerung zustimmen.
Wir haben damals das Gesetz auf fünf Jahre befristet, weil wir das Gesetz nicht im Bundesrat scheitern lassen wollten. Der Bundesrat hat ja dann auchzugestimmt. Wir nehmen dankbar zur Kenntnis, daß auch die Mehrheit im Bundesrat heute mit uns der Meinung ist, daß es zu einer unbefristeten Verlängerung des Gesetzes kommen muß.Bei diesem Gesetz handelt es sich um ein Vorsorgegesetz. Von den darin enthaltenen Ermächtigungen der Bundesregierung, Rechtsverordnungen zu erlassen, kann sie grundsätzlich nur mit Zustimmung des Bundesrates Gebrauch machen. Es ist auch klar, daß Bundestag und Bundesrat jederzeit die Aufhebung derartiger Rechtsverordnungen verlangen können.Wir verlängern heute ein Gesetz, von dem wir alle gemeinsam hoffen, daß wir es in seinem materiellen Inhalt nie anwenden müssen. Es ist im Grunde genommen ein seltener Fall in unserer gesetzgeberischen Arbeit. Wir verabschieden ein Gesetz, das in Krisensituationen, die durch einfuhrbedingte Störungen hervorgerufen werden, der Bundesregierung die Möglichkeit gibt, über Rechtsverordnungen durch Vorschriften über Produktion, Transport, Lagerung, Verteilung, Abgabe, Bezug, Verwendung bis hin zur Festsetzung von Höchstpreisen die Marktverhältnisse sämtlicher Energieträger bzw. Energien zu regeln. Die Instrumente sind zugegebenermaßen weitgehend. Diese brauchten von uns zur Zeit weder verschärft noch ausgeweitet zu werden. Ihre Anwendung ist an schwerwiegende Voraussetzungen wie Gefährdung oder Störung der Energieversorung, die durch marktgerechte Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig behoben werden können, geknüpft. Eingriffe müssen möglichst gering gehalten werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.Es ist verständlich, daß derartige Maßnahmen, sollten sie je ergriffen werden müssen, unverzüglich aufzuheben sind, wenn die Störungssituation beseitigt ist.Das Gesetz ist nicht nur eine innerstaatliche Vorsorgemaßnahme. Es erfüllt auch unsere freiwillig eingegangenen internationalen Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaften und auf der Ebene der Internationalen Energieagentur.Es versteht sich von selbst, daß das Gesetz — sollte es im Krisenfall angewandt werden — für den Fall seiner Nichtbeachtung auch scharfe Strafbestimmungen enthält.Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor Jahren, im Zeichen des Energieüberschusses, wäre es sicherlich schwer gewesen, ein solches Gesetz zu begründen. Heute sehen alle Bürgerinnen und Bürger, alle Energieverbraucher, private wie industrielle, die Notwendigkeit einer solchen Vorsorgemaßnahme ein.Ich nutze die Gelegenheit, im Namen meiner Fraktion auch an die Wirtschaft, an die Industrie, zu appellieren, in Abstimmung mit unseren Gewerkschaften vorsorglich in den eigenen Reihen krisenüberwindende Instrumente und Maßnahmen vorzubereiten. Es hat sich schon einmal eine freiwillig geschaffene Clearingstelle der deutschen Mineralölwirtschaft bewährt.
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Wolfram
Ich will heute, im Gegensatz zu meinem Vorredner, Dr. Narjes, nicht der Versuchung unterliegen, eine generelle Energiedebatte zu führen. Ich müßte mich dann vom Thema des vorliegenden Gesetzentwurfs entfernen. Im übrigen werden wir in der nächsten Sitzungswoche Gelegenheit haben, eingehend über die Energiesituation zu sprechen, die Lage auf den Weltenergiemärkten zu analysieren und den Nachweis zu führen, daß die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren am besten mit den weltweiten Energieproblemen fertig geworden ist. Wir werden dann auf die von Ihnen in einem Rundumschlag vorgebrachten Kritiken zurückkommen und Ihnen die sachgerechte Antwort geben.
Ich weiß wie wir alle, daß in Zukunft Risiken auf dem Energiemarkt vorhanden sind. Wir alle wissen, daß wir noch viele Anstrengungen machen müssen, um diese weltweiten Risiken zu minimieren. Deshalb ist es gut und richtig, daß wir die Schwerpunkte unseres Energieprogramms — Energieeinsparungen, Verringerung der Importabhängigkeit, Diversifizierung der Bezugsquellen, Priorität der heimischen Kohle und Entwicklung alternativer Energien — forcieren. Wir legen Wert auf eine umfangreiche Krisenvorsorge, nicht nur in Form dieses Gesetzes mit entsprechenden Instrumenten, sondern auch durch den weiteren Ausbau der nationalen Rohölreserve und der nationalen Kohlenreserve, alles Energiereserven, die zu Zeiten der sozialliberalen Regierungen angelegt worden sind. Daran haben Sie nie gedacht, ja, Sie haben sich sogar lange Zeit dagegen verwahrt.
— Verehrter Herr Kollege, Ihrem Ausbildungsgrad würden bessere Zwischenrufe entsprechen. Aber es ist Ihr Problem, sich auf diesem Niveau zu einem ernsten Thema zu äußern.
Meine Damen und Herren, den Bürgern im Lande, privaten wie industriellen Energieverbrauchern, sichern wir in voller Übereinstimmung mit der Bundesregierung zu, daß Eingriffe mit Hilfe dieses Gesetzes nur in schwerwiegenden Krisenfällen, die wir durch eine vernünftige Politik möglichst vermeiden wollen, vorgenommen werden.Es liegt nicht in unserer Hand, internationale Versorgungsstörungen — vor allem auf dem Mineralölmarkt — zu verhindern. Aber jeder Energieverbraucher kann seinen Beitrag leisten, indem er rationell und sparsamst mit Energie, insbesondere mit Importenergie, umgeht.Wir werden alles tun, um die OPEC-Staaten durch eine vernünftige Außenpolitik davon zu überzeugen, daß wir an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit ihnen interessiert sind, daß wir Kooperation und nicht Konfrontation suchen.Wir werden unseren nationalen und industriellen Beitrag leisten, damit dieses Gesetz mit seinen Instrumenten möglichst nie angewandt werden muß.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird der unbefristeten Verlängerung des Gesetzes zustimmen
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich empfinde es als erfreulich, daß über dieses notwendige Instrument der gesetzlichen Vorsorge für einen Krisenfall, den wir uns keineswegs wünschen, den wir alle nicht wollen, offenbar Übereinstimmung in diesem Hause bei allen Fraktionen besteht. Aber Sie, Herr Kollege Dr. Narjes, haben ja trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmung gleich einige Stichworte für eine Energiekurzdebatte gesetzt, die vielleicht zu anderer Zeit etwas ausgeloteter verlängert werden kann. Im Moment ist mit Blick auf die anstehende zweite und dritte Lesung zur Fortschreibung des Gesetzes festzustellen, daß es nach wie vor eine notwendige Vorsorgemaßnahme darstellt.Wir alle können uns daran erinnern, daß wir die Grundlage für dieses Gesetz als Schnellmaßnahme, als Schnellantwort bereits im November 1973 auf die damalige erste Ölkrise hin konzipiert haben. Damals haben wir es nur für ein Jahr gelten lassen. Aber heute, nach einer Verlängerung um fünf Jahre, muß in der Rückschau festgestellt werden, daß es sinnvoll und notwendig ist, die Geltung des Gesetzes zeitlich unbegrenzt zu verlängern, um der Regierung für den — nicht erhofften und nicht gewünschten — Krisenfall ein Instrumentarium an die Hand zu geben. Denn darin liegt der Sinn des Gesetzes: der Regierung für einen Krisenfall Handlungsmöglichkeiten, Handlungsinstrumente zu geben und — als zweite Aktionslinie — Instrumente zur Verfügung zu stellen, um die Politik der Internationalen Energie-Agentur, die nach dem Ölschock 1973 begründet und aufgebaut wurde, national umsetzen zu können. Aus diesen beiden Gründen, meinen wir — ich darf das für die FDP-Fraktion sagen —, ist die Verlängerung der Geltung dieses Gesetzes nach wie vor notwendig.Nur, Herr Dr. Narjes, zu den flinken Stichworten, mit denen Sie hier die energiepolititsche Debatte eröffnet haben, muß ich doch in zwei, drei Minuten ein paar Anmerkungen machen. Sie müssen sich einmal die Mühe machen, die Ausführungen Ihres Kollegen Russe nachzulesen, die er im Dezember 1974 zu dem gleichen Gesetz gemacht hat. Sie müssen einmal nachlesen, mit welchem Optimismus er dargestellt hat, daß die Krise von 1973 in zwei, drei Jahren vorbei sein werde. Heute malen Sie ganz im Gegenteil ein Langfristkrisengemälde und sprechen von der Nachölzeit — die wir gewiß mit mancherlei Maßnahmen eingeleitet haben. Aber die Langfristigkeit dieser Aussage steht in einem krassen, in einem eklatanten Gegensatz zu den Perspektiven, die von Ihrem Kollegen und von Ihrer Fraktion vor fünf Jahren hier dargelegt wurden.
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ZywietzIch möchte — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — nur einen Satz zitieren:Drei Jahre oder auch fünf Jahre Geltungsdauer— darauf hatte man sich damals verständigt das war unsere Auffassung —müßten doch genügen, um die möglichen Ursachen für die Anwendung dieses Gesetzes durch eine dynamische und erfolgreiche Energiepolitik ad absurdum zu führen.
— Ich habe erwartet, daß Sie das sagen, aber das ist doch diesem Thema überhaupt nicht angemessen. Denn die Stichworte, die hier genannt worden sind, die Kohlepolitik, die Förderung der heimischen Ressourcen, das, was für die Deminex geschehen ist, die Verstromungsgesetze, Bevorratung, Umstrukturierungsprozesse zeigen: Wir haben doch eine Unmenge getan. Daran haben Sie sich überhaupt nicht beteiligt. Sie, Herr Dr. Narjes, waren es, der die Kohlesituation wider den Haushalt und damit auf eine kleinere Größenordnung hin trimmen wollte.
— Das ist doch die zwangsläufige Folge der Aktion, die Sie da politisch einleiten wollten. Das muß man hier doch einmal nüchtern feststellen. Die Förderung nichtnuklearer Energien beispielsweise ist doch in Ihren Leitsätzen als eine fast zu vernachlässigende Nebenstrategie deklariert worden.
Hier jetzt so aufzutreten, als hätten Sie die Impulse gegeben und als hätte die Regierung die Energiepolitik in den letzten fünf Jahren vernachlässigt, heißt wirklich die Fakten auf den Kopf zu stellen. Hier sind die Stichworte richtig gesetzt und die Initiativen eingeleitet worden, über deren Verlängerung und Ausprägung man in aller Sachlichkeit auch weiterhin wird reden können. Die Grundsätze und die Linien stammen von SPD und FDP und keineswegs von der Opposition. Alles, was Sie in dieser Richtung gesagt haben, kann ich nicht akzeptieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber?
Gerne, Herr Kollege Riesenhuber.
Herr Kollege Zywietz, sind Sie bereit, einzuräumen, daß rationelle und sparsame Energieverwendung ebenso wie die Förderung der neuen nichtnuklearen Energiequellen in dem Energieprogramm der CDU einen hervorragenden Platz haben und daß die Aussage, daß allenfalls fünf Prozent unseres Energiebedarfs im Jahr 2000 durch diese neuen nichtnuklearen Energiequellen gedeckt werden können, von der Bundesregierung in der Zweiten Fortschreibung ihres Energieprogramms gemacht worden ist?
Herr Kollege, ich räume gerne ein, daß sie dort einen Platz gefunden haben — aber keinen hervorragenden Platz, wie Sie es bezeichnet haben.
— Sie haben diese Stichworte dort auch mit eingebaut, aber Sie haben auch dieses Programm erst mit einiger zeitlicher Verzögerung und nach den Programmen und Bemühungen von FDP und SPD konzipiert, und viele Passagen klingen geradezu wie abgeschrieben.
Sie sind genau in den Punkten gemildert, die Sie hier angesprochen haben. Darüber können wir ja in der nächsten Woche oder bei Gelegenheit unsere Meinungen noch genauer austauschen. Ich habe den Sachverhalt recht gut im Hinterkopf, weil ich dieses Programm das eine oder andere Mal durchgelesen habe. Ich glaube, ich irre mich nicht, wenn ich sage, daß die genannten Stichworte eben nicht einen hervorragenden Platz in dieser Programmatik einnehmen. Sie nehmen eher einen bescheidenen Platz ein.
Das soll an dieser Stelle und zu dieser Stunde genug zu den inhaltlichen Anmerkungen sein, die Sie in die Debatte eingeführt haben. Ich meine, es wäre nicht richtig gewesen, sie hier heute ganz zu übergehen.
Ich darf abschließend feststellen, daß diese Energieproblematik und das, was man heute abschätzen kann, eine auf lange Zeit, vielleicht auf Jahrzehnte schwer kalkulierbare Situation ist. Wir stehen dafür ein, der Regierung im Rahmen der Möglichkeiten neben einer aktiven präventiven Energiepolitik auch für nationale Maßnahmen — aber immer abgestimmt auf das internationale Feld der Erfordernisse
— ein Handlungsinstrumentarium, wie es dieses Gesetz vorsieht, an die Hand zu geben. In diesem Sinne stimmen wir der Vorlage zu.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich im Namen der Bundesregierung bei den drei Fraktionen des Hauses dafür, daß sie der Vorlage zur Nichtbefristung des Energiesicherungsgesetzes zustimmen. Ich erkläre gerne, Herr Kollege Narjes, daß wir — wie es Herr Wolfram ja auch schon gesagt hat — von den in dem Gesetz enthaltenen Ermächtigungen nur mit äußerster Zurückhaltung Gebrauch machen wollen, also nur, wenn dies unvermeidlich und unbedingt notwendig ist Sollte die Opposition, Herr Kollege Narjes, dieser Absicht zuwiderlaufende Anträge stellen und Anregungen geben, so werde ich
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14639
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffmir erlauben, Sie freundlichst an Ihre heutigen Ausführungen zu erinnern.
Meine Damen und Herren, die Energiedebatte soll in der Tat in vierzehn Tagen geführt werden. Herr Kollege Narjes, wir können dann auch gern über Deminex sprechen. Unsere Zielrichtungen und Zielsetzungen stimmen hier überein. Wir dürfen aber die leider groß gewordenen praktischen Schwierigkeiten einer Welt, die schon verteilt ist, nicht unter den Tisch wischen. Wir müssen uns auch überlegen, in welchen Größenordnungen, finanziell gesehen — Sie haben das letzte Objekt angesprochen —, sich ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland bewegen kann. Den Gernegroß wollen wir miteinander nicht spielen, und finanziell übernehmen können und wollen wir uns auch nicht.Ich bestreite nicht, daß es in den Entscheidungsprozessen Schwierigkeiten geben kann. Aber letzten Endes haben wir alle gesehen, daß bei diesem Projekt Größenordnungen angesprochen waren, die wohl über die Möglichkeiten dessen hinausgehen, was uns zur Verfügung steht.Ich glaube, es ist angesichts der Bemerkungen, die Herr Kollege Narjes gemacht hat, angebracht, dem Hause einige Daten über das zu geben, was sich als energiepolitische und versorgungspolitische Folgerung aus den Entwicklungen dieser Tage im Iran ablesen läßt. Ich denke, man muß die Hintergründe und die Zahlenentwicklung, was Produktion, also Förderung, und Export des Iran im Jahre 1979 angeht, kennen, um sich ein klares Bild über die Größenordnung — die nicht allzugroß ist — der Auswirkungen solcher Entscheidungen zu verschaffen.Die Förderung im Iran ist im ersten Halbjahr 1979 mit 62 Millionen t fast nur noch ein Viertel dessen, was im ersten Halbjahr 1978 gefördert worden ist. Der Export hat im ersten Halbjahr 1978 230 Millionen t betragen; im ersten Halbjahr 1979 waren es noch 48 Millionen t. Die Bundesrepublik hat in den ersten neun Monaten 1978 noch 17 Millionen t importiert; im gleichen Zeitraum 1979 waren es nur noch 8 Millionen t. Der Platz in der Lieferantenliste ist von Nr. 1 im Jahre 1978 auf Nr. 5 im Jahre 1979 zurückgegangen. Eine parallele Entwicklung läßt sich für die Beziehungen zwischen Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika aufzeigen.Das heißt, bedauerlicherweise ist der Anteil der Erdöllieferungen aus Iran auf Grund der dort eingetretenen Förderrückgänge ganz erheblich zurückgegangen. Man sollte das wissen und im Auge behalten, wenn man die jüngsten Entscheidungen auf diesem Gebiet richtig bewerten will.Im übrigen wird natürlich die Entscheidung, wohin Erdöl angelandet wird, nicht am Bohrloch, nicht an der Pumpe und auch nicht am Hafenkai getroffen, sondern letztlich auf dem Schiff, das auf dem Meer schwimmt und seinen Kurs dorthin steuern — und auch ändern — kann, wohin die Ware gebracht werden soll. Auch hier liegt der Entscheidungsspielraum mehr bei der Logistik, beim Transport als bei der Produktion selber.Dennoch haben wir nicht vor, eine Politik zu betreiben, die den Zielen der Politik unserer amerikanischen Freunde zuwiderläuft. Wir haben die maßgeblichen deutschen Mineralölgesellschaften gebeten, sich entsprechend zu verhalten. Die Gesellschaften haben diese Bitte, wie ich glaube, richtig verstanden.Ich habe gestern mit der amerikanischen Regierung vereinbart, daß auf der Sitzung des Gouverneurrates der Internationalen Energie-Agentur, die morgen in Paris stattfindet, die jüngste Entwicklung besprochen wird, daß wir dort im wesentlichen zwei Anträge der Regierung der Vereinigten Staaten unterstützen werden, nämlich eine intensive Diskussion einmal über die Erdölpolitik und Erdöleinsparpolitik des Jahres 1980 und zum zweiten über die Frage zu führen, wie die jetzt vorliegenden Verbrauchsziele für 1980 eigentlich auf dem Hintergrund der weltweiten Fördersituation gesehen werden müssen. Dafür werden wir vermutlich eine Arbeitsgruppe einsetzen. Wir werden auch den Antrag der Vereinigten Staaten unterstützen, die Sitzung des Ministerrates der Internationalen Energieagentur angesichts der dringlicher gewordenen Beschäftigung mit diesen Problemen nach Möglichkeit nicht erst im Januar, sondern im Dezember abzuhalten. Wir haben dies auch einen Teil unserer anderen Partnerländer wissen lassen. Wir werden in enger Abstimmung mit der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere mit der Präsidentschaft der Europäischen Gemeinschaft, die energiepolitische Situation erörtern.
— Mit Sicherheit ist davon auszugehen, meine Damen und Herren, daß dieses Thema auf der Tagung des Europäischen Rats in Dublin eine Rolle spielen muß. Eine gemeinsame Bestandsaufnahme politischer und insbesondere wirtschaftspolitischer Probleme ohne eine Behandlung dieser Fragen ist derzeit nicht denkbar.Ich bedanke mich, daß ich die Gelegenheit gehabt habe, anläßlich dieser Debatte diese aktuellen Informationen dem Hause mitteilen zu können.
Meine Damen und Herren, nach der Vereinbarung soll zwischen 12 und 13 Uhr abgestimmt werden. Ich werde diese Abstimmung jetzt also durchführen. Wir stimmen über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 — Drucksache 8/3056 — ab. Ich bitte die Damen und Herren Parlamentarischen Geschäftsführer, dies mit zu verfolgen.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. i bis 3, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß auf Drucksache 8/3343 empfohlenen Änderung auf. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Wir treten in diedritte Beratungein.
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14640 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Präsident StücklenNach Art. 78 Abs. 3 des Grundgesetzes bedarf das Gesetz zu seiner Annahme der Mehrheit der Mitglieder des Hauses. Das sind 249 Stimmen. Wir müssen deshalb die Abstimmung durch Zählung der Stimmen vornehmen. Bei der gegenwärtigen Besetzung des Hauses läßt sich die erforderliche Mehrheit jedoch möglicherweise ohne Auszählung feststellen. Ich frage meine beiden Schriftführer, ob sie dieser Meinung zustimmen, daß die Mehrheit der Abgeordneten, also mehr als 249 Stimmen, im Saal sind. — Jawohl. Ich frage noch, ob aus dem Hause Einwendungen gegen diese Feststellung des Präsidiums erhoben werden. — Nein. Dann können wir also so verfahren.Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Es ist in der Tat ein erfreuliches Bild.
Gegenprobe, bitte! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig und mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses
Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht zum Ersten Eherechtsreformgesetz— Drucksache 8/3338 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Lenz
b) Beratung der Übersicht 12 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht- Drucksache 8/3316 —
— Ich darf bitten, daß die Damen und Herren, die an den weiteren Beratungen teilnehmen möchten, die Plätze einnehmen. Dies gilt für alle Fraktionen.Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Debatte in der Kurzform durchgeführt werden.Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Lenz, bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Aussprache zu den Streitsachen zu wiederholen, die wir neulich hier geführt haben. Ich möchte nur auf zwei Argumente antworten, die der Herr Kollege Dürr bei dieser Gelegenheit vorgetragen hat.
Sein erstes Argument war, weil wir den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses zum Ersten Eherechtsreformgesetz zugestimmt hätten, müßten wir jetzt auch an seine Seite treten, um seine Verfassungsmäßigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht zu verteidigen.
Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich dazu sagen, es ist in Deutschland bekannt, daß dieses Erste Eherechtsreformgesetz von der Koalition von SPD und FDP gesät, gepflanzt, begossen, gehegt und gepflegt worden ist,
bis es schließlich im Bundesgesetzblatt stand. — Herr Kollege Schäfer, Sie haben es richtig gesagt, wir haben uns nur insofern daran beteiligt, als wir versucht haben, einige der allerschlimmsten Triebe abzurupfen. Aber durch diesen Vorgang, Herr Kollege Schäfer, werden wir noch nicht zu den geistigen Vätern, Hegern und Pflegern dieses Gesetzes.
Selbst wenn wir uns zweitens sachlich mit diesem Gesetz identifizieren würden, was wir nicht tun, wären wir dennoch der Auffassung, wir sollten uns an diesem Verfassungsstreit nicht beteiligen.
Nun hat der Herr Kollege Dürr als Streithelfer den Professor Ernst Benda angerufen, im Hauptberuf Präsident des Bundesverfassungsgerichts, und zwar mit seiner Antrittsvorlesung an der Universität zu Trier. Ich glaube, diese Berufung ist nur teilweise richtig.
Herr Abgeordneter Lenz, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen.
Meine Damen und Herren, ich bitte sehr eindringlich, die Plätze einzunehmen.
Bitte, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Der Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat den Wunsch geäußert, daß sich der Bundestag an Verfassungsstreitigkeiten über Gesetze nicht nur in den sogenannten großen Fällen, sondern auch in den kleinen Fällen beteiligt, daß wir also nicht nur die großen Fische aufspießen sollten, sondern auch die kleinen. Meine Damen und Herren, um den Fall handelt es sich hier aber gar nicht, sondern hier handelt es sich um, wie Herr Benda selber mit Recht gesagt hat, eines jener Gesetze, in denen die Mehrheit des Hauses zur Demonstration vor dem Bundesverfassungsgericht beitritt, um ihre Meinung zu sagen. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß Verfassungsbeschwerden von Staatsbürgern und Vorlagebeschlüsse von Gerichten nicht der geeignete Anlaß für demonstrative Darlegungen seitens der Mehrheit dieses Hauses sind. Wir bitten deshalb, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, Herr Kollege Dr. Lenz, ist in dieser Woche zehn Jahre Vorsitzender des
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DürrRechtsausschusses, und ich erlaube mir, ihm dazu zu gratulieren und ihm für seine stets faire Leitung der Sitzungen des Rechtsausschusses herzlich zu danken.
Herr Kollege Lenz hat mich ein wenig falsch verstanden, wenn er meinte, ich hätte bei der letzten Debatte gesagt, die CDU/CSU müsse den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit beitreten und dafür stimmen. Ich hätte lediglich von den Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion, die dem Ersten Eherechtsreformgesetz — doch sicher im Bewußtsein seiner Verfassungsmäßigkeit — zugestimmt haben, die Konsequenz erwartet, hier auch dafür zu stimmen, daß der Bundestag in diesem Verfahren in Karlsruhe für die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes plädiert.
Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Ich trage es mit Fassung.Das letzte, was Herr Kollege Lenz sagte, war die Unterstellung, der Beitritt des Bundestages zu diesem Verfahren wäre mehr eine Demonstration. Nein, meine Damen und Herren, allein aus der Auswahl der Kollegen, die den Bundestag in Karlsruhe vertreten sollen, ergibt sich, daß es sich hier nicht um eine Demonstration, sondern um die Gelegenheit zu einem Werkstattgespräch zwischen den Mitgliedern des Rechtsausschusses und dem Bundesverfassungsgericht handelt
Herr Abgeordneter Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Herr Kollege Dürr, würden Sie mir wenigstens darin beipflichten, daß ich dieses Zitat aus der hier von Ihnen eingeführten Rede des Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts übernommen habe?
Richtig, ich weiß, daß Herr Professor Benda von der Vertretung des Bundestages als von einer Demonstration gesprochen hat; darin pflichte ich Ihnen bei. Ich sage aber: Das, was wir mit diesem Beitritt wollen, ist keine Demonstration, sondern ausdrücklich die Wahrnehmung einer Gelegenheit zum Werkstattgespräch; denn die möglichst gute Information und die möglichst enge Fühlungnahme zwischen Bundestag und Bundesverfassungsgericht sind wünschenswert und nötig.
Nebenbei gesagt: Daß wir heute noch einmal darüber abstimmen, liegt nicht daran, daß die Rechtspolitiker das beim erstenmal nicht richtig hinbekommen hätten. Es liegt daran, daß das Bundesverfassungsgericht seine mündliche Verhandlung zunächst auf den Problemkreis „Versorgungsausgleich" beschränken wollte; deshalb ist der Bundestag nur den Verfahren beigetreten, die sich um den Versorgungsausgleich drehen. Jetzt ist der Verhandlungsstoff auch auf die übrigen Teile des Ersten Eherechtsreformgesetzes erweitert worden, und da müssen wir logischerweise nachziehen.
Ich bitte nochmals — vielleicht wieder mit wenig Erfolgsaussicht — darum, daß außer den Abgeordneten der Koalition auch diejenigen Abgeordneten der CDU/CSU, die damals dem Ersten Eherechtsreformgesetz zugestimmt haben, für den Beitritt zum Verfahren stimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Doch? Herr Abgeordneter Kleinert, Sie sind von Ihrer Fraktion nicht gemeldet worden. Sie bekommen aber selbstverständlich das Wort. Bitte.
Bei der Begeisterung für die Sache ist dem Kollegen Dürr — was gänzlich ungewöhnlich ist — entgangen, daß ich ihn gebeten hatte, mitzuteilen, daß sich die Freien Demokraten — jedenfalls in diesem Falle — der Auffassung der Sozialdemokraten anschließen
und aus denselben Gründen dafür stimmen werden.
Nun liegen tatsächlich keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu den Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht zum Ersten Eherechtsreformgesetz, Drucksache 8/3338. Kann über die drei Punkte der Beschlußempfehlung gemeinsam abgestimmt werden?
— Gut. Wer den Punkten 1 bis 3 der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 8/3338 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe — Enthaltungen? — Das erste war eindeutig die Mehrheit.
Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 8/3316 zur Ubersicht 12 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Ausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der Übersicht 12 aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Empfehlung ist einstimmig angenommen.Mir wurde gesagt, daß wir nach einer interfraktionellen Vereinbarung nun den Tagesordnungspunkt 16 behandeln wollen.
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14642 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Präsident StücklenIch rufe also den Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Zimmermann, Spranger, Gerlach , Berger (Herne), Biechele, Hartmann, Dr. Bötsch, Regenspurger, Broll, Dr. Laufs, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Langguth, Sick, Krey, Kiechle, Schwarz, Gerster (Mainz), Dr. Wittmann (München), Dr. Kunz (Weiden), Dr. Ritz, Röhner, Neuhaus, Dr. Jobst, Dr. Jenninger, Engelsberger, Dr. Schneider, Graf Huyn, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Waigel, Gerstein und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Waffenrechts— Drucksache 8/3259 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußInterfraktionell ist Kurzdebatte vereinbart worden. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Nein.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist die notwendige und sachliche Konsequenz aus Tatsachen, die sich seit der Ermächtigung im Mai 1978 zum Erlaß einer Aufbewahrungs-und Verpackungsverordnung im Rahmen des Waffenrechts ergeben haben.Der Gesetzentwurf ist auch Ausdruck des Willens der Antragsteller, eine frühere Entscheidung aufzuheben, weil eine geänderte Sachlage das erforderlich macht. Im Mai 1978 hatten noch alle Fraktionen des Deutschen Bundestags dem Antrag der CDU/ CSU zur Ermächtigung zugestimmt. Sie hat sich jedoch in der Zwischenzeit als überflüssig, ja, schädlich erwiesen. Gerade weil frühere Antragsteller nun die Aufhebung dieser Ermächtigung verlangen, müssen gewichtige Gründe dafür sprechen. Das ist in der Tat so. Im übrigen sollte für alle Parteien gelten, daß sie sich niemals hindern lassen sollten, klüger zu werden, statt mit Starrsinn auf einstmals bezogenen Positionen auch dann noch zu beharren, wenn sie sich als überholt erwiesen haben.
Entgegen früheren Annahmen sind Zusammenhänge zwischen ansteigender Kriminalität, Terrorismus, unzureichender Waffenaufbewahrung und Waffendiebstählen nicht beweisbar. Umfangreiche Ermittlungen der Bundesregierung, insbesondere auf Grund einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Waffenrecht und zu Waffendiebstählen, haben ergeben, daß zwar die Zahl der seit 1972 gestohlenen Waffen sehr erheblich ist, daß daraus jedoch keinerlei ernsthafte Gefahren für unsere Sicherheit oder Zusammenhänge mit terroristischen Anschlägen oder Erkenntnisse über unzureichende Sicherung der Waffen folgen. Außerdem hat seit 1976 die Zahl der gestohlenen Waffen abgenommen. Sie werden außerdem nur zu einem geringen Prozentsatz zu Straftaten verwendet.Tatsache ist auch, daß sich der Bundesinnenminister seit Herbst 1976 bis heute ohne Ergebnis bemüht hat, eine Regelung zur Aufbewahrung und Verpackung von Waffen zu erstellen. Sein im Mai 1978 fertiggestellter Entwurf von Aufbewahrungsrichtlinien stieß auf die einhellige und massive Ablehnung aller Betroffenen und vor allem der Sachverständigen. Unverhältnismäßigkeit der Mittel, rechtliche und tatsächliche Unmöglichkeit im Vollzug, verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine extrem bürokratisch-perfektionistische Regelung, die damit verbundenen unzumutbaren baulichen und finanziellen Belastungen für die Betroffenen sowie undurchschaubare und unverständliche Bestimmungen, die noch wesentlich schwieriger als die berühmte Gasrechnung des Herrn Bundeskanzlers zu lesen waren, führten zu einem Sturm der Entrüstung im Land.Schon im August 1978 hat deshalb Staatssekretär Fröhlich auf entsprechende Vorhaltungen der CDU/ CSU erklärt, daß unsere Bedenken gegen diesen Perfektionismus „nicht unberechtigt erscheinen", so daß der Herr Bundesinnenminister die Überprüfung dieser Richtlinien angeordnet habe. Kurz danach wurden diese Richtlinien sang- und klanglos zu Grabe getragen.Auch der zweite Anlauf ist zwischenzeitlich gescheitert. Man hat am 29. November 1978 im Innenausschuß erklärt, zur Vorbereitung dieser Aufbewahrungsverordnung wolle man eine Umfrage bei den Ländern und weitere Ermittlungen durchführen. Bis heute sind die Ergebnisse dieser Ermittlungen im Innenausschuß nicht erörtert worden. Tatsache ist vielmehr, daß der Bundesinnenminister zwischenzeitlich den Versuch aufgegeben hat, diese Aufbewahrungsverordnung noch zu erlassen. Zwar hat man im März dieses Jahres noch einen Versuch unternommen und einen Entwurf dieser Aufbewahrungsverordnung den Verbänden des Waffengewerbes mit der Einladung zu einer entsprechenden Anhörung zugeleitet. In der Anhörung hat sich dann herausgestellt, daß die Regelung als zu kostenintensiv, als zu bürokratisch und als unpraktikabel bewertet wird. Der Widerstand auch der privat Betroffenen war so enorm, daß der Bundesinnenminister — leider wiederum zuerst über die Presse, anstatt die parlamentarischen Gremien zu informieren — bezüglich seines Entwurfs am 14. Juli 1979 gegenüber der „Bonner Rundschau" folgendes erklärte:Da kam mir neulich eine nahezu perfekte Verordnung auf den Tisch über die Aufbewahrung von Waffen. Es war genau geregelt, in welchen Schränken die Jäger und Schützen ihre Waffen aufbewahren und in welchen Kästen sie diese im Auto transportieren müssen. Da hätte man eine riesige Behörde allein dafür gebraucht, die Einhaltung zu kontrollieren.
Ich habe das gestoppt,- er ist ja da fürs Stoppen immer zuständig —auch deswegen, weil ehrenwerte Bürger behandelt werden, als seien sie potentielle Täter.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14643
SprangerDiese Meinung des Bundesinnenministers ist auch unsere Meinung.
Im Unterschied zu ihm ziehen wir jedoch die richtigen Konsequenzen und sind nicht der Meinung, daß diese Ermächtigung beibehalten werden sollte. Er jedoch erhält sie als quasi dauerhaftes Damoklesschwert gegenüber den Betroffenen aufrecht.Ich meine, hieraus sprechen eine gewisse Überheblichkeit, Unbelehrbarkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber Tausenden von Sportschützen, Jägern, sonstigen Waffenbesitzern und dem Waffengewerbe, deren Ungewißheit über die zukünftige Rechtslage zu einer tiefgreifenden Verunsicherung geführt hat, die unerträglich ist. Man kann diese Verunsicherung auch nicht als unverständlich und unerheblich abtun. Das wäre eine Mißachtung vieler staatsbejahender Bürger.Nach § 42 des Waffengesetzes wäre es ohnehin möglich, daß die zuständigen Behörden ohne weiteres eine den Einzelfall regelnde und betreffende dauerhafte und bürgernahe Entscheidung zur Ausgestaltung der Aufbewahrungspflicht für Waffen treffen. Von dieser Möglichkeit sollten die Behörden wieder Gebrauch machen können. Allerdings dürfen auch diese Entscheidungen nicht unter dem Vorbehalt einer unausgefüllten Ermächtigung stehen. Auch das würde zur Verunsicherung der Betroffenen weiter beitragen.Ich glaube auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es mit Sinn und Zweck einer Verordnungsermächtigung nicht vereinbar ist, wenn man sie beibehält, weil man auf veränderte, zukünftige Sachlagen spekuliert oder sich einmal erworbene Machtpositionen erhalten möchte.Nachdem der Bundesinnenminister jahrelang nicht in der Lage war, von dieser Ermächtigung einen sinnvollen Gebrauch zu machen, gibt es nur eine Lösung, nämlich die sofortige Abschaffung dieser untauglichen Ermächtigung. Jetzt nur in Dekkung zu gehen und nichts zu tun in der Absicht, bei späterer, günstiger Gelegenheit doch noch einmal eine solche Verordnung herauszubringen, ist Ausdruck opportunistischer Taktik.
Schließlich darf die stetige Betonung der Freiheitsrechte des Bürgers gegenüber der staatlichen Gewalt nicht einseitig für Linksextremisten gelten. Das gilt erst recht für gesetzestreue Bürger. Es wäre nun Ausdruck der Anerkennung dieser Freiheitsrechte, auch Ausdruck von Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit, diese Ermächtigung, die bisher nur zu bürokratischen Knebelungsversuchen geführt hat, abzuschaffen und es endgültig zu unterlassen, irgendwelche Aufbewahrungsregelungen, seien es Verordnungen, seien es Richtlinien, zu konstruieren. Ich glaube, auch das wäre ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung überquellender Bürokratisierung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Penksy.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ist es nicht ein Witz? Noch bei der letzten Änderung des Waffengesetzes, die am 1. Juli 1978 und nicht im Mai 1978, Herr Kollege Spranger, in Kraft getreten ist, hat die CDU/CSU mit Vehemenz darum gefochten, daß genau die Bestimmung mit in das Gesetz aufgenommen wird, die sie mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf wieder beseitigt haben will. Nachzulesen ist dies in dem von der Fraktion der CDU/CSU vorgelegten Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität wie zum Schutz des inneren Friedens auf Drucksache 8/996. Das ist übrigens eine bombastische Überschrift, hinter der sich eine Reihe sehr zweifelhafter Zielvorstellungen verbargen.Wie aus der Begründung dieses damals eingebrachten Gesetzentwurfs zu ersehen ist, wollte die CDU/CSU bewußt die Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung als Grundlage für Bestimmungen zur sicheren Aufbewahrung von Schußwaffen und Munition schaffen, mit denen nämlich den Herstellern, den Händlern, den Benutzern von Waffen, also den Jägern und Sportschützen etc., rechtsverbindlich eine Verpflichtung auferlegt werden sollte, ganz bestimmte Sicherungsvorkehrungen zu treffen, um sie damit natürlich — auch das muß man wissen — auch im Nichtbeachtungsfalle mit einer Geldbuße bis zu 10 000 DM belegen zu können.Wir haben von seiten der sozialliberalen Koalition damals eine solche Rechtsverordnungsbefugnis nicht für notwendig gehalten, weil das Waffengesetz bereits in der alten Fassung des § 42 Bestimmungen über die Sicherung gegen Abhandenkommen von Waffen enthielt. Diese auch heute noch im Waffengesetz enthaltene Vorschrift haben wir damals wie heute für sinnvoll gehalten, weil sie flexibler gehandhabt werden kann und es auch ermöglicht, hinsichtlich der notwendigen Vorkehrungen den jeweils individuellen Einzelfall zu berücksichtigen. Von dieser Vorschrift ist in erster Linie der Waffenbesitzer angesprochen, der damit auf die Verpflichtung zur sorgfältigen Aufbewahrung hingewiesen wird.Zweitens wird mit dieser Bestimmung die zuständige, also die örtliche Behörde angesprochen, die zur Erfüllung der sich für den Waffenbesitzer aus diesem Gesetz ergebenden Pflichten auch von sich aus die erforderlichen Maßnahmen anordnen kann.Erst drittens ergibt sich für den Bundesminister des Innern aus der Bestimmung des § 51 die Möglichkeit, mit Zustimmung des Bundesrats die zur Durchführung des Gesetzes erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Dieses Instrumentarium ist, wenn es sinnvoll gehandhabt und voll ausgeschöpft wird, auch ausreichend. Dies gilt nach dem damaligen Erkenntnisstand, aber auch heute.Die CDU/CSU war damals jedoch zu dieser Einsicht nicht zu bewegen. Sie hielt partout an ihrem Gesetzesvorschlag fest und drohte damals sogar, an
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14644 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Penskydieser Bestimmung das gesamte Gesetz scheitern zu lassen.
Herr Kollege Dr. Miltner als Sprecher der Union erklärte hierzu in der 81. Sitzung des Deutschen Bundestages unter anderem — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Immer wieder haben auch Diebstähle von Waffen dazu geführt, daß Kriminelle und Terroristen damit Verbrechen begehen. Die CDU/CSU hat daher in einem von ihr eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Terrorismus und Gewaltkriminalität vorgeschlagen, durch Rechtsverordnung Vorschriften zur sicheren Aufbewahrung von Waffen zu erlassen. Dieser Vorschlag wurde ins Waffengesetz aufgenommen.So weit das Zitat.
Wir von seiten der Koalition haben seinerzeit diesem CDU/CSU-Begehren nur deshalb zugestimmt — und zwar, das füge ich hinzu, etwas zähneknirschend —, weil das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Änderung waffenrechtlicher Vorschriften eine Reihe zwingender Ergänzungen enthielt, die im Interesse der Erhöhung der inneren Sicherheit nicht auf die lange Bank geschoben werden konnten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Änderung des Kriegswaffenkontrollgesetzes — ein ganz wichtiges Gesetzeswerk, das in verschiedenen Punkten geändert werden mußte.Um einem allzu leichtfertigen Umgang mit der Rechtsverordnungsermächtigung entgegenzuwirken, habe ich seinerzeit als Berichterstatter in dem Bericht des Innenausschusses eine Bremse dergestalt eingebaut, daß ausdrücklich erwähnt worden ist, daß — und hier zitiere ich wörtlich — „der Bundesminister des Innern vorsorglich" — ich unterstreiche noch einmal: vorsorglich! — „ermächtigt werden , durch Rechtsverordnung Vorschriften fiber die sichere Aufbewahrung von Schußwaffen zu erlassen." Weiter heißt es in dem von mir unterzeichneten Bericht:Das Waffengesetz enthält in seinem § 42 bereits eine allgemeine Verpflichtung der Waffenbesitzer, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um ihre Waffen gegen Diebstahl oder sonstiges Abhandenkommen zu sichern, und ermächtigt ferner die zuständigen Behörden, die zur Erfüllung dieser Pflichten erforderlichen Anordnungen zu treffen.Weiter:Die für den Vollzug des Waffengesetzes zuständigen Behörden der Länder sollen durch Richtlinien— die bereits weitgehend fertiggestellt waren, die ich aber damals noch nicht kannte, muß ich heute einfügen —... angewiesen werden, bestimmte Sicherungsmaßnahmen im Einzelfall anzuordnen. Ob von der Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht werden sollte, kanndann erst entschieden werden, wenn bei der Anwendung der erwähnten Richtlinien ausreichende Erfahrungen gesammelt worden sind.So weit das Zitat aus dem Bericht des Innenausschusses.Das heißt also, um es noch einmal zu konkretisieren: erst als Ultima ratio sollte, wenn überhaupt, von der Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht werden. An dieser Stelle darf ich hinzufügen: es gibt im übrigen im Waffengesetz wie in vielen anderen Gesetzen auch Ermächtigungsvorschriften, die vorsorglich eingebaut sind und von denen vorerst kein Gebrauch gemacht worden ist.Warum zeige ich das alles auf, was als historische Wahrheit in den Unterlagen des Deutschen Bundestages nachzulesen ist? Völlig zu Recht hat in den Verbänden der Jäger, der Sportschützen, der Büchsenmacher und Waffenhändler ein Proteststurm stattgefunden, der sich gegen die beabsichtigten Richtlinien wandte, die von einer Bund-LänderKommission erarbeitet worden waren. Völlig zu Recht, sage ich, weil hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden sollte. Oder um es anders und vielleicht in der diesem Hause angemesseneren Sprache zu sagen: weil eindeutig erkennbar war, daß damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlassen worden ist.
Mit diesem Proteststurm sind natürlich alle Abgeordneten dieses Hauses, insbesondere aber die, die mit dieser Problematik vorwiegend befaßt sind, konfrontiert worden, natürlich auch diejenigen der CDU/CSU. Ich habe es während dieser öffentlich geführten Diskussion nicht gerade als rühmenswerten Stil empfinden können, daß sich die angesprochenen Oppositionspolitiker gegenüber den Vertretern der genannten Fachverbände mit allem Möglichen herausredeten, aber nicht bereit waren, einzugestehen, daß sie diejenigen waren, denen die Bestimmungen nicht scharf genug sein konnten.
Ich sage deshalb, dieses unfaire und opportunistische Verhalten der Opposition nach der Methode „Haltet den Dieb!" ist verwerflich.
Der jetzige Gesetzentwurf ist ebenso von Opportunismus getragen wie der damalige, mit dem die Union im übrigen nicht nur die Einfügung der hier zur Rede stehenden Bestimmung in das Gesetz anstrebte, sondern auch eine Reihe von nicht besonders sinnvollen strafverschärfenden und die Freiheit der Bürger einengenden Bestimmungen in allen möglichen Gesetzen erreichen wollte. Emotion und Opportunismus sind jedoch die schlechtesten Begleiter von verantwortlicher Politik. Das kann man der Opposition nicht oft genug sagen.
Auf Grund zahlreicher Zuschriften, die ich von Verbänden der Jäger, der Schützen und des Waffen-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14645
Penskyhandels erhalten habe, weiß ich ebenso wie aus zahlreichen Gesprächen mit Interessenvertretern aus diesem Bereich, daß man dort bei aller verständlichen Erregung die Probleme anders und sachlicher gesehen hat als die Opposition. Das weiß ich schließlich auch aus meinem eigenen Bereich, da ich selbst ein organisierter Schütze bin.
— Ja. In meiner Bescheidenheit habe ich natürlich nicht gesagt, daß ich auch Schützenkönig bin.
Aber die Verbandsvertreter haben sich in Gesprächen mit mir durchaus beeindruckt gezeigt von der großen Zahl an Waffen und Munition, die aus allen möglichen Bereichen gestohlen und schließlich auch für kriminelle Zwecke verwendet werden. Es ist doch in der Tat eine schlimme Sache, wenn festgestellt werden muß, daß in den Jahren von Juli 1972 bis Ende 1978 rund 20 000 Schußwaffen gestohlen worden sind, wobei rund 14 000 auf den Bereich der privaten Waffenbesitzer entfallen. Von der massenhaft gestohlenen Munition will ich erst gar nicht reden. Besonders schlimm ist es, meine Damen und Herren, daß nach wie vor besonders gefährliche voll- und halbautomatische Waffen aus dem Bereich der Bundeswehr, der Stationierungsstreitkräfte, der Polizei und des Bundesgrenzschutzes entwendet werden.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich komme jetzt zum Schluß, Herr Präsident.
Jeder wird Verständnis dafür haben müssen, und das haben, wie schon gesagt, auch die Verbände der Waffenbesitzer, daß dagegen geeignete Maßnahmen getroffen werden müssen. Hierbei muß aber — um es einmal salopp zu sagen — die Kirche im Dorf bleiben. Der Bundesminister des Innnern war gut beraten, daß er — nicht zuletzt auch auf mein Drängen hin — den überzogenen Richtlinenentwurf aus dem Verkehr gezogen hat. Was in dieser Hinsicht erfolgen müßte, darüber sollten wir uns wirklich in aller Ruhe und Sachlichkeit im Innenausschuß unterhalten. Wir Sozialdemokraten sind auf jeden Fall zur aktiven Mitarbeit bereit, um nach einer ausgewogenen, aber dennoch wirksamen Lösung suchen zu helfen. Das hoffen wir auch von Ihnen, Herr Kollege Spranger.
Das Wort hat der Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Nein, ich bin kein Schütze; ich bin Zwilling, wenn Sie das gemeint haben sollten.
— Beide Seiten gleich gut.Ich glaube, man sollte diesen Antrag der Opposition mit aller Ruhe und ohne große Aufregung betrachten;
denn so viel ist da im Grunde genommen, wie ich sehe, gar nicht drin.Allerdings muß man unterscheiden — und das geht auch in den Begründungen ein wenig durcheinander — zwischen der Frage der Notwendigkeit, eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung beizubehalten, und der ganz anderen Frage, ob nicht schon auf einer früher gegebenen Rechtsgrundlage, dem § 42 des Waffengesetzes, Verwaltungsvorschriften erlassen werden müssen. Ob ein Vollzugsdefizit besteht und wie die Bundesregierung im Interesse der Sache verfährt, sind zwei verschiedene Fragen, die hier im Grunde genommen ein wenig vermischt werden.Der Antrag der Opposition, eine gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung zu streichen, scheint — ich will es so sagen — auf den ersten Blick plausibel, wenn man davon ausgeht, daß innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr von dieser Ermächtigung kein Gebrauch gemacht worden ist. Als viel weniger plausibel erweist sich ein solcher Antrag indessen, wenn man die Entstehungsgeschichte dieser Entwicklung und die Hintergründe des heutigen Antrages der Opposition ein wenig durchleuchtet Ich will das nicht im einzelnen tun, Herr Kollege Pensky hat dazu schon einiges gesagt.Auch ich erinnere daran, daß es der Wunsch der Opposition war, eine Verordnungsermächtigung über die Anordnung bestimmter Schutzvorkehrungen bei der Verpackung und Aufbewahrung von Schußwaffen, Munition und Geschossen im Waffengesetz zu begründen. Auch ich verweise in diesem Zusammenhang auf den von der Opposition eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Terrorismus und Gewaltkriminalität sowie zum Schutze des inneren Friedens vom 5. Juli 1977 und auf die sicherheitspolitische Situation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland damals befunden hat.Es steht außer Zweifel, daß Regelungen, die nach einer solchen Rechtsverodnung des Bundesinnenministers vorgeschrieben werden müßten, sowohl im Bereich der Waffenwirtschaft als auch bei privaten Waffenbesitzern mehr oder weniger einschränkend wirken müssen. Dabei ist allerdings auch die Frage zu stellen — ich halte diese Frage für durchaus berechtigt —, ob die gegenwärtige Situation im Bereich der inneren Sicherheit unseres Landes da-
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14646 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Dr. Wendiggegen spricht, daß sich bundesweit agierende Terroristen bei privaten Waffenbesitzern mit Waffen und Munition versehen. Gleichwohl, meine ich, kann niemand ausschließen — und der Zeitraum, der uns von der Verabschiedung dieses Gesetzes trennt, ist zu kurz —, daß wieder eine Sicherheitslage eintritt, die eine Ausfüllung der Verordnungsermächtigung durch den Bundesinnenminister notwendig macht.Ich könnte mir deshalb vorstellen, daß eine Beibehaltung der Verordnungsermächtigung auch dann notwendig bleibt, wenn der Bundesinnenminister glaubt, im gegenwärtigen Zeitpunkt von ihr keinen Gebrauch machen zu müssen. Wir werden von ihm hierüber entweder hier oder im Innenausschuß noch Näheres hören.Eines aus der Begründung der Opposition ist für mich allerdings überhaupt nicht einleuchtend. Ich vermag nicht nachzuvollziehen, aus welchen Gründen sich Sportschützen und Jäger durch den bloßen Fortbestand einer Verordnungsermächtigung verunsichert fühlen sollten.
— Auch ich kenne die Zuschriften, Herr Kollege Spranger. — Es wäre nicht schwer, eine Fülle anderer Verordnungsermächtigungen aufzuführen, auch aus dem Waffenrecht, von denen die Bundesregierung bzw. der zuständige Bundesinnenminister ebenfalls noch keinen Gebrauch gemacht hat.Der Kern liegt ganz woanders. Es ist doch so, daß die Waffenbesitzer schon nach § 42 des Waffengesetzes verpflichtet sind, die erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Waffendiebstählen zu treffen. Die zuständigen Behörden sind und waren schon vor Einführung der Verordnungsermächtigung in das Waffengesetz ermächtigt, die zur Ausfüllung dieser Pflicht notwendigen Anordnungen zu treffen. Hier allerdings könnte es wirklich zweckmäßig oder sogar notwendig sein, im Interesse einer einheitlichen Handhabung durch die zuständigen Behörden gewisse Richtlinien für den Erlaß solcher Anordnungen zur Hand zu haben. Derartige Richtlinien lägen auch im Interesse der Waffenbesitzer, die dann wüßten, wie sie sich generell einzurichten hätten. Dafür habe ich volles Verständnis.Ob hier ein Vollzugsdefizit des Bundesministers des Innern vorliegt, vermag ich im Augenblick präzise nicht zu übersehen.
Ich stimme dem Kollegen Pensky darin zu, daß wir erst nach Prüfung und Entscheidung dieser Frage darangehen wollten, zu überlegen, ob und inwieweit von der Verordnungsermächtigung wirklich Gebrauch gemacht werden muß. Wie die Sachlage ist, werden wir in den Beratungen des Innenausschusses im einzelnen zu befinden haben. Auch meine Fraktion und ich sind der Auffassung, daß solche Richtlinien die betroffenen Jäger und Waffenbesitzer nicht zu unzumutbaren Aufwendungen zwingen dürfen, die außerhalb jedes Verhältnisses liegen. Diese Überlegungen führen aber, wie ich meine,nicht unbedingt zu dem Ergebnis, die Verordnungsermächtigung in § 6 Abs. 4 Nr. 6 des Waffengesetzes überhaupt zu streichen.Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Opposition gegenüber Jägern und Besitzern von Sportwaffen eine freundliche Geste machen will. Dazu ist ihr Antrag allerdings wenig geeignet, und dazu hat sie als Verursacher einer solchen Vorschrift auch am allerwenigsten Anlaß.
Meine Fraktion stimmt der Überweisung des Entwurfs an den Innenausschuß zu. Auf diese Weise werden wir den notwendigen Überblick erlangen, wie es mit der Notwendigkeit des Erlasses allgemeiner Verwaltungsrichtlinien und ihrer konkreten Ausgestaltung aussieht. Wir werden dabei sicher auch unseren Einfluß geltend machen, daß am Ende solcher Erwägungen nicht unzumutbare Belastungen für den Waffenbesitzer stehen. Mehr ist, wie ich die Dinge im Augenblick sehe, bei der Erörterung des Antrags der Opposition auf Streichung der Verordnungsermächtigung im Waffengesetz gegenwärtig — um es salopp zu sagen — nicht drin.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal mit Zufriedenheit feststellen, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages mit dem Bundesinnenminister darin übereinstimmen, daß von der Rechtsverordnungsermächtigung, die auf Antrag der Opposition in das Waffengesetz aufgenommen worden ist,
nicht Gebrauch gemacht werden soll. Für den Bundesinnenminister ist dies eine Ermutigung, die von ihm getroffene Entscheidung auch in der Zukunft beizubehalten.Diese Entscheidung des Bundesinnenministers hat eine Vorgeschichte. Herr Kollege Pensky hat sie ausführlich dargestellt.Herr Kollege Spranger hat in dieser Debatte einige sehr aufgeregte Worte gefunden. Da war von „Überheblichkeit" die Rede, von „tiefgreifender Verunsicherung", von einer „untauglichen Ermächtigung", von „opportunistischer Taktik", von „bürokratischen Knebelungsversuchen" und von der „notwendigen Bekämpfung überquellender Bürokratisierung". Herr Kollege Spranger, ich meine, Ihr eigenes Tun hätte Sie veranlassen sollen, eine etwas abgewogenere und vernünftigere Sprache zu finden.
Was haben Sie sich denn eigentlich vorgestellt, alsSie unter dem 5. Oktober 1977 sagten: Die Rechtsgrundlagen zur Bekämpfung des Terrorismus rei-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14647
Parl. Staatssekretär von Schoelerchen nicht aus. Deswegen muß eine Änderung des Waffengesetzes her, die Verpflichtung von Waffenbesitzern, ihre Waffen möglichst diebstahlsicher aufzubewahren. Sie haben das dann noch ausführlicher formuliert und in das Gesetz hineingeschrieben. Sie haben gesagt, § 15 des Waffengesetzes — und das war die hier in Rede stehende Ermächtigung — solle u. a. wie folgt neu gefaßt werden:vorzuschreiben, daß Schußwaffen, Munition und Geschosse in bestimmter Weise, insbesondere unter Anwendung bestimmter Schutzvorkehrungen, zu verpacken und aufzubewahren sind.Was haben Sie sich denn vorgestellt, was die Beamten, die mit der Vorbereitung der Ausführung von Gesetzen befaßt sind, damit machen? Sie sind doch sicherlich davon ausgegangen, daß die Beamten überlegen, ob diese Rechtsverordnung, zu der Sie die Bundesregierung ermächtigt haben, ausgefüllt werden soll oder nicht. Das haben die Beamten des Bundesministers des Innern getan. Dabei haben sie sich an der Vorgabe orientiert, die das Parlament ihnen auf Ihren Antrag, Herr Kollege Spranger, gegeben hat. Das Ergebnis dieses Überlegungsprozesses war allerdings bei uns, daß die Durchführung Ihres Antrages zu einer erheblichen Bürokratisierung führen würde, zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des einzelnen Bürgers, der in Anspruch genommen würde. Deswegen hat der Bundesminister des Innern im Juli gesagt: wir machen von dieser Verordnungsermächtigung keinen Gebrauch. Darin stimmen wir überein. Wir sollten uns über diese Übereinstimmung freuen. Aber Sie sollten sich bitte noch einmal überlegen, ob Ihre Worte angesichts Ihres eigenen vorangegangenen Tuns angebracht waren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spranger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß all die Überlegungen, die Sie uns unterstellt bzw. hier bekanntgegeben haben, dann von Ihnen, von der FDP wie von der SPD, in den Ausschußberatungen und bei den Abstimmungen übernommen wurden und daß sich zwischenzeitlich Entwicklungen ergeben haben, die eben zeigen, daß die damalige Ansicht aus verschiedenen Gründen nicht zutreffend war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Spranger, ich habe heute in der Debatte eine neue Erkenntnis über Ihre Position gewonnen. Das hat mich sehr gefreut. Sie haben nämlich gesagt, es stehe einem Parlamentarier gut an, nach einer gewissen Zeit auch frank und frei zu überlegen, ob einmal von ihm getroffene Entscheidungen falsch gewesen seien, und sie gegebenenfalls zu korrigieren. Ich teile diese Meinung. Sie haben gesagt, man müsse nicht starr an früheren Meinungen festhalten. Das ist richtig. Herr Kollege
Spranger, wenn man in einen solchen Prozeß des Nachdenkens eintritt, den Sie offensichtlich durchgemacht haben und der Sie später, wenn auch nur geringfügig später, zu dem gleichen Ergebnis wie uns gebracht hat, dann ist es doch auch erforderlich, daß Sie bei der Darstellung in der Öffentlichkeit diesen Prozeß des Nachdenkens ebenfalls noch erkennen lassen. Die Kampfeslust sollte nicht alle Ihre früheren Überlegungen völlig aus Ihrem Kopf vertreiben. Damit habe ich ein wenig den Zustand umschrieben, in dem Sie heute geredet haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pensky?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, auf die Zwischenfrage des Kollegen Spranger hin darf ich Sie fragen: Haben Sie auch mitbekommen — ich habe es eben schon gesagt —, in welch erpresserischer Weise die CDU/CSU damals gesagt hat, sie werde das gesamte Gesetz torpedieren, wenn wir nicht mitzögen?
— Das ist nicht falsch protokolliert. Es war vielleicht eine Dummheit von uns, die wir einmal begangen haben und bereuen, daß wir uns damals haben erpressen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Pensky, ich kann das im Augenblick von dieser Stelle aus nicht im einzelnen aufklären. Mir scheint es nur wichtig zu sein, daß das Parlament übereinstimmend der Auffassung ist, von der Rechtsverordnungsermächtigung solle kein Gebrauch gemacht werden, und daß der Kollege Spranger gesagt hat: Der Antrag, den wir damals gestellt haben, hat sich nach einer Nachprüfung als nicht richtig herausgestellt; wir sind mittlerweile anderer Meinung. — Das konzediere ich ihm. Ich appelliere nur an ihn, dann, wenn er eine solche Einsicht gewonnen hat, eine etwas behutsamere Sprache zu führen, als das im Augenblick der Fall war.Auch wir sind der Meinung, daß sich in der Zwischenzeit etwas geändert hat. Entgegen der ursprünglichen Ansicht vieler Fachleute hat sich herausgestellt, daß die Zahl der Waffen, die aus Diebstählen herrühren und mit denen neue Straftaten begangen werden, geringer ist, als das ursprünglich angenommen worden war. Der Kollege Spranger hat das dargestellt, die Kollegen Pensky und Wendig ebenfalls. Dies ist richtig und läßt sich mit Zahlen untermauern. Das führt uns zu der Feststellung, daß auch von der sachlichen Notwendigkeit her — unabhängig von der bürokratischen Einengung des einzelnen Bürgers — zur Bekämpfung der Kriminalität im Augenblick ein Bedürfnis, von dieser Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen, nicht besteht. Auch deswegen — nicht nur wegen der
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14648 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Parl. Staatssekretär von Schoelerbürokratischen Probleme, die sich damit für den einzelnen in unzumutbarer Weise ergäben, wenn man es so machte, wie es ursprünglich einmal vorgestellt worden war — werden wir von der Verordnungsermächtigung keinen Gebrauch machen. Ich meine, wenn diese Debatte im Plenum dazu beiträgt, die Diskussion insgesamt etwas zu versachlichen, wird es uns auch gelingen, im Innenausschuß einen Weg zu finden, wie wir das, was wir übereinstimmend wollen — keine Verordnung — im Gesetz zum Ausdruck bringen oder uns jedenfalls auf eine gemeinsame Praxis einigen können.Dabei werden wir auch die Ergebnisse der Gespräche mit den Innenministern der Länder einbringen, in denen wir die Frage auch noch einmal zur Diskussion stellen wollen, ob es nicht sinnvoll ist, sich mit den Ländern auf gemeinsame Verwaltungsvorschriften zu verständigen.In diesem Sinne, so meine ich, können wir gelassen und ruhig einer sachlichen Debatte ins Auge sehen. Wir sollten insbesondere nicht versuchen, diese Debatte hier nur unter dem Gesichtspunkt zu sehen, wie wir da oder dort Punktvorteile erreichen können.Uns sind zwei Dinge sehr ernst. Erstens ist dies die Bekämpfung der Kriminalität. Was dieses Ziel angeht, so hat sich nach Nachprüfung ergeben, daß wir die Rechtsverordnungsermächtigung zur Zeit nicht brauchen. Zweitens ist uns sehr wichtig, daß der Bürger in diesem Lande nicht mit überbürokratisierten Vorstellungen überzogen wird, die seinen Freiheitsraum einschränken. Von diesen Maximen werden wir uns leiten lassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3259 an den Innenausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes
— Drucksache 8/3292 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOWird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Anderweitig liegen auch keine Wortmeldungen vor. — Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/3292 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 bis 15 auf:7. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Marx, Dr. Abelein, Jäger , Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Dr. Gradl, Graf Huyn, Straßmeir, Schmöle, Dr. Hennig und der Fraktion der CDU/CSUWirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der DDR— Anwendung des am 3. Januar 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakts der Vereinten Nationen —— Drucksachen 8/2503, 8/3188 —b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Marx, Dr. Abelein, Jäger , Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Dr. Gradl, Graf Huyn, Straßmeir, Schmöle, Dr. Hennig und der Fraktion der CDU/CSUSelbstbestimmungsrecht des Deutschen Volkes sowie bürgerliche und politische Rechte in der DDR— Anwendung des am 23. März 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakts der Vereinten Nationen —— Drucksachen 8/2504, 8/3188 —8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jäger , Dr. Marx, Dr. Abelein, Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Sauer (Salzgitter), Graf Huyn, Lintner, Straßmeir, Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/CSUVerletzung des Vier-Mächte-Status durch Ost-Berlin— Drucksache 8/3204 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Auswärtiger Ausschuß9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jäger , Graf Huyn, Dr. Abelein, Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Lintner, Sauer (Salzgitter), Schmöle, Dr. Gradl, Dr. Arnold, Dr. Marx, Straßmeir, Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/CSUZustände in den Haftanstalten der DDR— Drucksache 8/3205 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen10. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU3. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR vom 1. August 1979— Drucksache 8/3125 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Auswärtiger Ausschuß
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14649
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Jäger , Dr. Dregger, Graf Huyn, Dr. Kunz (Weiden), Schmöle, Lintner, Baron von Wrangel, Straßmeir, Böhm (Melsungen), Niegel, Würzbach, Dr. Hennig, Röhner und der Fraktion der CDU/CSUVerletzung der Menschenrechte an der innerdeutschen Grenze— Drucksache 8/3326 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Dr. Dregger, Baron von Wrangel, Böhm , Dr. Hennig, Lintner, Graf Huyn, Schmöle, Straßmeir, Würzbach, Niegel, Dr. Kunz (Weiden), Röhner, Jäger (Wangen) und der Fraktion der CDU/CSUVerstärkung und Ausbau der Institutionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte— Drucksache 8/3327 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Auswärtiger Ausschuß RechtsausschußAusschuß für innerdeutsche Beziehungen13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Jäger , Dr. Dregger, Graf Huyn, Schmöle, Lintner, Baron von Wrangel, Straßmeir, Dr. Hennig, Würzbach, Niegel, Dr. Kunz (Weiden), Böhm (Melsungen), Röhner und der Fraktion der CDU/ CSUVerwirklichung des Menschenrechts auf Freizügigkeit für die Deutschen in der DDR— Drucksache 8/3328 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Jäger , Dr. Dregger, Graf Huyn, Schmöle, Lintner, Dr. Hennig, Baron von Wrangel, Straßmeir, Würzbach, Niegel, Dr. Kunz (Weiden), Böhm (Melsungen), Röhner und der Fraktion der CDU/ CSUPresse- und Informationsfreiheit in der DDR— Drucksache 8/3329 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß far innerdeutsche Beziehungen Rechtsausschuß15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hennig, Baron von Wrangel, Graf Huyn, Böhm (Melsungen), Lintner, Graf Strauffenberg, Dr. Abelein, Jäger (Wangen) und der Fraktion der CDU/CSU Sicherheit der Transitreisenden— Drucksachen 8/2570, 8/3340 — Berichterstatter:Abgeordneter Schulze
Interfraktionell ist verbundene Debatte zu den soeben verlesenen Tagesordnungspunkten 7 bis 15 vereinbart worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jäger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 3. Januar und am 23. März 1976 sind die beiden internationalen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Pakt über bürgerliche und politische Rechte, durch den Beitritt des jeweils 35. Mitgliedstaats in Kraft getreten. Zu den Mitgliedstaaten gehören auch die Bundesrepublik Deutschland und die DDR. Für beide Staaten Deutschlands haben die internationalen Menschenrechtspakte damit völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt.Die Pakte in ihren zahlreichen Bestimmungen über einzelne Menschenrechte — vom Recht auf Leben bis hin zum Elternrecht oder zum Streikrecht — ergänzen damit die ebenfalls völkerrechtlich verbindliche Bestimmung in Art. 2 des innerdeutschen Grundlagenvertrags, in dem sich die Vertragspartner zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet haben.Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere beiden Großen Anfragen zur Verwirklichung der Menschenrechtspakte in der DDR den Versuch unternommen, eine Bilanz ihrer Menschenrechtspolitik im innerdeutschen Bereich vorzulegen. Diese Bilanz, die in ihren rechtlichen Darlegungen neben viel propagandistischem Rankenwerk auch so manche zutreffende Feststellung enthält, ist in ihren politischen Aussagen mager, enttäuschend und für die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang im Grunde deprimierend.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Menschenrechte führen sich — so steht es im Vorspruch beider Pakte — auf die Menschenwürde zurück. Sie können daher nicht, wie die kommunistischen Machthaber sie auszulegen belieben, als Klassenrecht behandelt werden. Sie sind Individualrechte, die jedem einzelnen Menschen als Ausfluß seiner Menschenwürde zustehen.
Wenn wir deswegen von Menschenrechten reden, dann müssen wir wissen, daß es um Millionen einzelner Menschenschicksale hinter dem Eisernen Vorhang geht: Es geht um den Häftling in einem der zahlreichen Zuchthäuser des deutschen Archipel GULag, dem nach wie vor mit Brutalität die einfachsten Rechte vorenthalten werden, die einem Häftling nach dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte zustehen; es geht um den einzelnen Arbeiter in einem Betrieb der DDR, der sich nicht wehren kann und schon gar nicht streiken kann, wenn ihm zusätzliche Arbeit ohne Lohnausgleich überbürdet wird, weil die Kollegen von der Nachbarwerkbank z. B. bei den Betriebskampfgruppen Dienst tun müssen und dort bei der Einsatzübung sind; es geht um
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14650 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Jager
den Schüler an einer Schule in der DDR, der als bekennender Christ weiß, daß ihm weiterführende Schulen, Oberschulen, Abitur und Studium verschlossen sind, wenn er sich aktiv zu seiner christlichen Religion bekennt; es geht um das Kind, um die vielen einzelnen Kinder, deren Eltern in den Westen geflohen sind und die nun von linientreuen Pflegeeltern zu strammen Sozialisten erzogen werden sollen; es geht um die junge Frau, die vergebens wieder und wieder zur Kreisbehörde rennt und doch keine Genehmigung für den Besuch ihrer Mutter im Westen erhält, die auf dem Sterbebett liegt; es geht um den Flüchtling, der in Todesangst mit seiner Familie auf der kleinen Plattform eines Heißluftbalions durch den Nachthimmel fliegt, um den Todesstreifen zu überwinden und in die Freiheit zu gelangen; es geht um die Lehrerin, die mit sich ringt, ob sie ihre Schulkinder zum befohlenen Haß gegen den imperialistischen und kapitalistischen Westen, insbesondere die Bundesrepublik, indoktrinieren darf oder nicht. Meine Damen und Herren, diese Reihe ließe sich stundenlang fortsetzen. Es geht um Menschenschicksale in Deutschland, und weil das so ist, tragen wir, dieses frei gewählte Parlament, eine große und schwere Mitverantwortung, die uns dazu veranlaßt hat, diese Debatte durch unsere Großen Anfragen herbeizuführen.
Ich kann es in diesem Zusammenhang nur als eine ausgesprochene Verantwortungslosigkeit bezeichnen, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Großen Anfragen gerade bei einzelnen Menschenrechten 18 unserer Einzelfragen überhaupt nicht beantwortet hat, fünf teilweise nicht, und zwölf weitere Einzelfragen völlig ausweichend beantwortet hat.
In der Tat, wir sind es aus vielen Großen Anfragen gewöhnt, daß diese Bundesregierung versucht, mit oft nebelhaften allgemeinen Ausführungen sich um unsere konkreten Fragen herumzudrücken. Aber wenn es ausgesprochen verantwortungslos ist, dann hier, weil es hier — ich wiederhole es — um Tausende, ja um Hunderttausende von Menschenschicksalen geht, die davon abhängen, ob wenigstens einmal klare Bilanz gezogen und dem deutschen Volk gesagt wird, was in der Menschenrechtssituation im geteilten Deutschland die Wirklichkeit ist.Dabei stellt die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort auf die Große Anfrage mit Recht fest:Die Verpflichtung des Artikels 2 Abs. 1, die im Pakt garantierten Rechte zu gewährleisten, bedeutet, daß der einzelne Vertragsstaat seine Gesetzgebung in Einklang mit den Rechten des Paktes bringen muß, sei es durch inhaltliche Anpassung, sei es durch Aufhebung entgegenstehender oder den Erlaß neuer Gesetze, ferner daß er eine dem Pakt gemäße Auslegung und Anwendung dieser Gesetze im Einzelfall sicherstellen und etwa sonst erforderliche Maßnahmen treffen muß, damit die in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen auch tatsächlich in den Genuß der garantierten Rechte kommen können.Meine Damen und Herren, diese Aussage der Bundesregierung ist der Maßstab, an dem wir Sie und Ihre Politik messen, und das ist die Herausforderung, die Ihnen gestellt war und der Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, sich — das müssen wir leider feststellen — nicht gestellt haben.
Was wohl am erschreckendsten ist, wenn man die Politik der letzten Jahre vor seinem Auge vorüberziehen läßt und wenn man die Antwort der Bundesregierung liest, ist der völlige Mangel an einer eigenen Konzeption der Bundesregierung zur Durchsetzung der Menschenrechte. Es gibt keine solche Konzeption; Sie werden die ganze lange Antwort der Bundesregierung nach einer solchen Konzeption völlig vergebens absuchen.
Dabei hat es seitens dieser Regierung einmal anders geklungen. Das liegt allerdings schon fünf Jahre zurück. Da gab es eine andere Große Anfrage der CDU/CSU zur Situation im geteilten Deutschland und auch zu den Menschenrechten. Damals antwortete die Bundesregierung — ich darf wiederum zitieren —:Nach Auffassung der Bundesregierung ist es nicht ausreichend, daß die formelle Rechtsordnung eines Staates den rechtlichen Anforderungen des Menschenrechtsschutzes der Vereinten Nationen genügt. Es muß vielmehr auf die Rechtswirklichkeit abgestellt werden. So erklärte— die Bundesregierung zitiert ihn nun selber —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es bedarf nicht nur der formellen Anerkennung der Menschenrechte, sondern ihrer praktischen Durchsetzung und Anwendung, um den äußeren Maßnahmen zur Friedenswahrung auch innere Festigkeit und Überzeugungskraft zu verleihen. Hier geht es um elementare Rechte, die überall in der Welt gelten müssen, in Europa — und ich meine, in allen seinen Teilen — nicht weniger als in anderen Kontinenten.So damals, vor fünf Jahren, der Bundesaußenminister Genscher.Heute klingt es anders. Heute wird der Fetisch der sogenannten Entspannungspolitik beschworen — und das ist eigentlich der einzige rote Faden, den man in den allgemeinen Aussagen der Antwort der Bundesregierung feststellen kann —, der Fetisch einer sogenannten Entspannungspolitik, die, wie es dort heißt, nicht durch Vertretung der Menschenrechte gefährdest werden darf.
Meine Damen und Herren, ich stelle dagegen fest: Ohne Achtung der Menschenrechte gibt es keine
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14651
Jager
Entspannungs- und keine Friedenspolitik in der Welt!
Dabei wissen wir uns in vollem Einklang mit Papst Johannes Paul II., der in seiner Enzyklika „Redemptor Hominis" klar und deutlich erklärt hat: Letztlich führt sich der Frieden zurück auf die Achtung der unverletzlichen Menschenrechte. — Das ist eine klare und eindeutige Aussage, und ich meine, wir sollten diese Aussage ernst nehmen.Die Regierung macht in ihrer Antwort auf die Großen Anfragen sogar eine ganz ähnliche Aussage, wie man denn überhaupt bei der Lektüre manchmal den Eindruck hat, daß in dieser Antwort der Bundesregierung zwei Handschriften am Werk waren, die sich bei den jeweiligen Abschnitten in verschiedener Intensität durchgesetzt haben.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie uns festhalten: Entspannungspolitik ohne Achtung der Menschenrechte ist im Endergebnis AppeasementPolitik und führt zur Kapitulation des Rechtsstaats vor Gewalt und Unrecht.
Klar ist — das möchte ich als positiv festhalten; darüber besteht Einigkeit mit der Bundesregierung, wenigstens in der rechtlichen Beurteilung —, daß die Geltendmachung der Menschenrechte keine unerlaubte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates ist. Insoweit sind wir einig.Aber wo bleiben die Konsequenzen aus dieser erfreulichen Einsicht der Bundesregierung? Geschehen, um die Menschenrechte durchzusetzen, ist seitens der Bundesregierung nichts. Ich sage Ihnen: Es ist eine törichte Ausrede, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage gebraucht, wenn sie sagt — ich zitiere —:Die Durchsetzung der Menschenrechte dient ausschließlich der einzelnen Person. Deshalb ist die Menschenrechtspolitik für die Bundesregierung kein Instrument, um anderen Staaten die eigene Staats- und Gesellschaftsordnung aufzudrängen. Menschliche Erleichterungen sind ein wichtiges Element der Politik der Bundesrepublik Deutschland.Diese totale Verwechslung der Menschenrechte mit den sogenannten menschlichen Erleichterungen lassen wir dieser Bundesregierung nicht durchgehen.
Menschenrechte sind Rechte des Menschen gegen seinen Staat. Erleichterungen sind kleine oder größere Schritte auf dem Weg dahin. Wir sollten klar und deutlich sehen, daß wir zwar auch das eine tun müssen — daran führt gar kein Weg vorbei; auch wir unterstützen menschliche Erleichterungen aller Art —, aber diese menschlichen Erleichterungen die Menschenrechte nicht ersetzen.
Nur wenn die gewährt sind, haben wir die Voraussetzung für echte Entspannung und für echte Friedenspolitik.
Zwei besonders auffällige Beispiele für die Leisetreterei, mit der die Bundesregierung in der Menschenrechtspolitik arbeitet: Das eine ist die Situation der DDR auf dem Gebiet der Behandlung der Arbeitnehmer. Es gab in Deutschland noch keinen Ausbeuterstaat, der die Arbeitnehmer dermaßen geknebelt und ihrer einfachsten und schlichtesten Rechte beraubt hätte wie die DDR seit nunmehr 30 Jahren. Und das wird im Herbst 1979 auch noch mit großem Pomp gefeiert.
Noch nie und nirgendwo war der deutsche Arbeitnehmer seiner Rechte auf freie Bildung von Gewerkschaften,
auf Streik, auf freie Wahl seines Arbeitsplatzes so sehr beraubt wie durch die Politik der DDR.
— Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe Ihre Unruhe sehr wohl. Denn Ihre Untätigkeit beweist doch bloß, daß Sie, die Sie Arbeitnehmerpartei sein wollen, für 17 Millionen deutsche Arbeitnehmer in der DDR bisher nicht genug getan haben. Deswegen haben Sie sich heute mit Recht Vorwürfe zu machen.
Ein Beispiel dafür kann ich Ihnen aus einer regierungsamtlichen Drucksache, den Informationen des Herrn Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, vorführen, der in der neuesten Ausgabe seiner Informationen über die sogenannten Gewerkschaftswahlen in der DDR schreibt, und zwar ohne Anführungszeichen,
ohne Kommentar und ohne jeden Hinweis:Mitte Oktober begannen in der DDR Gewerkschaftswahlen, bei denen die 8,7 Millionen FDGB-Angehörigen ihre Vertrauensleute bzw. die gewerkschaftlichen Leitungen neu bestimmen.Und wie zum Hohn dieser Arbeitnehmer heißt es am Schluß:Die Wahlen zu diesen Gremien erfolgen in der Regel direkt und geheim— geheim! —auf der Grundlage einer einheitlichen Kandidatenliste mit verbindlicher Reihenfolge.
Meine Damen und Herren, wenn eine Bundesregierung mit der Wahrheit im geteilten Deutschland soumgeht, dann ist es kein Wunder, daß gerade die Ar-
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Jäger
beitnehmer drüben kein Vertrauen mehr in die Menschenrechtspolitik dieser Regierung setzen können.
Das andere ist die außerordentlich unbefriedigende Behandlung des Themas „Möglichkeiten der Ausreise aus der DDR". Der frühere Bundeskanzler Brandt hat in seinen 20 Punkten von Kassel bereits klar und deutlich zum Ausdruck gebracht,
daß das Ziel der Freizügigkeit eine der entscheidenden Grundlagen der innerdeutschen Vereinbarungen sein müsse, die er mit der DDR vorbereite. Meine Damen und Herren, was ist, so frage ich Sie, an Konzeption zu diesem Thema vorgelegt worden? Wo sind denn die Vorschläge der Bundesregierung für die allmähliche Überführung des Zustands des gegenwärtigen totalen Abgesperrt-Seins in einen Zustand der allmählichen Durchlässigkeit der innerdeutschen Grenze?Wir dagegen haben dazu einen Antrag vorgelegt, mit dem ein alter Plan der Union, nämlich der Stufenplan zur allmählichen Überwindung der Undurchlässigkeit der innerdeutschen Grenze, wieder einmal auf den Tisch dieses Hauses kommt. Wir werden ja sehen, meine Damen und Herren von der Koalition, ob Sie auch diesen Antrag wiederum ablehnen. Wenn Sie das tun — wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten —, dann würden Sie einen neuen Beweis dafür erbringen, daß Sie nicht in der Lage sind, die entscheidenden Grundlagen jener Politik heute noch nachzuvollziehen, geschweige denn in die Tat umzusetzen, die Ihr Parteivorsitzender und früherer Bundeskanzler seinerzeit sogar als ein wesentliches Ziel seiner damaligen Politik proklamiert und ausgesprochen hat. Ich meine, es ist dringend an der Zeit, daß dieses Millionen Deutschen drüben auf den Nägeln brennende Problem endlich einmal — daß es nicht über Nacht gelöst werden kann, wissen wir auch — ernsthaft angepackt wird.
Das aber haben Sie bis heute nicht getan.
Es geht schließlich völlig an der Sache vorbei, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Großen Anfragen davor warnt, die Menschenrechte, wie es dort so schön heißt, „innenpolitisch zu mißbrauchen". Meine Damen und Herren, das ist doch ein billiger Trick, mit dem man die Menschenrechtsproblematik der innenpolitischen Diskussion entziehen möchte. Genauso gut könnten Sie erklären, der hohe Wert des Rechtsguts „sozialer Friede" verbiete es, Sozialpolitik durch eine Diskussion innenpolitisch zu mißbrauchen. Das wäre in einem wichtigen Bereich der Innenpolitik das Entsprechende. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Gerade weil es nicht um abstrakte Rechtsnormen und Dogmen, sondern um Millionen einzelner Menschen und ihre Schicksale geht, ist es die Pflicht der Opposition, die Regierung anzumahnen und zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie ihre Pflicht nicht tut.Meine Damen und Herren, nun kommt das traurigste Kapitel:
Diese Bundesregierung ist selber kaum noch in der Lage, für die Menschenrechte wirkungsvsoll einzutreten, weil sie sich durch die Politik der vergangenen Jahre selbst in einen zunehmenden Erfolgszwang hineingebracht hat.
Es ist doch so, daß es in Deutschland auf diesem Gebiet keine Mißerfolgsmeldungen mehr geben darf. Deswegen werden Aktionen, bei denen der Erfolg nicht auf der Straße liegt oder bei denen er nicht durch Steuer-Millionen erkauft werden kann, gar nicht erst angefangen, weil man das Bekenntnis scheut, daß es schwierig sei oder daß eben da und dort im Moment noch kein Erfolg sichtbar sei. Vertragsverletzungen werden doch heute nicht angeprangert, sondern heruntergespielt, Menschenrechtsverletzungen nicht laut der Weltöffentlichkeit mitgeteilt, sondern eher totgeschwiegen. Einer meiner Kollegen hat das, was sich hier abspielt, neulich einmal eine Komplizenschaft der Verdunkelung genannt.
Selbst wenn man nicht so weit gehen will, ist es sicher, daß diese Politik die Selbstverurteilung zum untätigen Schweigen gegenüber dem Unrecht einer Diktatur in Ost-Berlin ist.
Das gilt auch für andere Bereiche der Deutschlandpolitik. Lassen Sie mich hier nur noch eines erwähnen, das in unmittelbarem Zusammenhang mit den Menschenrechten steht, nämlich mit dem Kernstück der Deutschlandpolitik, der Selbstbestimmung. Der Art. 1 beider Menschenrechtspakte postuliert übereinstimmend das Selbstbestimmungsrecht der Völker; darin ist klar und deutlich ausgesprochen, daß dies eine völkerrechtliche Verpflichtung aller Vertragsstaaten ist. Dieses Selbstbestimmungsrecht — wenn Sie so wollen: das Menschenrecht des ganzen deutschen Volkes — ist für uns ein ganz entscheidender zentraler Punkt. Was dazu rechtlich gesagt worden ist, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, bestätigt unsere Auffassung. Da sind wir gar nicht auseinander. Das ist vielleicht noch der am wenigsten zu tadelnde Teil der Antwort, die die Bundesregierung auf unsere Großen Anfragen gegeben hat. Nur frage ich Sie: Wo bleiben auch hier die Konsequenzen? Von diesem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes wird doch nicht einmal mehr geredet, es sei denn einmal im Jahr vom deutschen Außenminister in einer formelhaften Erklärung vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Aber sonst hört man davon nichts mehr.
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Es gibt ein gutes Gegenbeispiel dafür, wie man es anders machen kann. Es gibt ein höchst umstrittenes Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes. Die Palästinenser reden unaufhörlich in der ganzen Welt und mit großer Überzeugungskraft und Lautstärke davon, und sie haben es dazu gebracht, daß heute Regierungen über Regierungen bereit sind, dieses Selbstbestimmungrecht anzuerkennen und zu unterstützen, und daraus ist schon beträchtlicher Druck auf die israelische Regierung entstanden.
Wir Deutsche, die wir ein von den entscheidenden Staaten unbestrittenes Selbstbestimmungsrecht haben, reden nicht einmal mehr davon.
Wer in der Welt, so frage ich Sie, soll uns Deutsche denn in der Wahrnehmung unseres Selbstbestimmungsrechts übertreffen,
welche Völker sollen denn davon reden, wenn nicht einmal unsere eigene Regierung es tut?
— Herr Kollege Wehner, in Menschenrechtsfragen streite ich mich mit Ihnen nicht über Geschmacksfragen.Aber wir stellen nicht nur Fragen, sondern wir stellen klare und eindeutige Forderungen an diese Bundesregierung. Ich möchte sie hier in sieben Punkten aufzählen.Wir fordern erstens, daß diese Bundesregierung endlich ein geschlossenes Konzept für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts und aller Menschenrechte in ganz Deutschland und in der DDR entwickelt. Das ist das Mindeste und das Bescheidenste, was wir von dieser Regierung verlangen können.
Zweitens. Wir fordern, daß endlich die Weltöffentlichkeit umfassend über die ständigen schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Behörden der DDR informiert und daß mit der Politik des Totschweigens ein Ende gemacht wird.
Drittens. Wir fordern, daß die Bevölkerung in der DDR umfassend und besser als bisher über ihre Menschenrechte informiert und dabei auch die Hilfe unserer Massenmedien, die ja Gott sei Dank weit in die DDR hineinreichen, in Anspruch genommen wird.Viertens. Wir fordern einen besonders intensiven und nachdrücklichen Kampf der Bundesregierung mit politischen Mitteln gegen die Verfolgung von Menschen durch Behörden der DDR bloß deswegen, weil sie sich auf ihre Menschenrechte berufen undz. B. die Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland beantragen.Fünftens. Wir fordern praktische Solidarität mit Menschen und Bürgerrechtskämpfern in der DDR durch moralische, publizistische, politische und auch materielle Unterstützung dieser Menschen selbst, ihrer Angehörigen und ihrer Familien.
Sechstens. Wir fordern den Vorrang für die Behandlung der Menschenrechte und ihrer Verletzung bei dem Folgetreffen der KSZE im Sommer nächsten Jahres in Madrid.Siebtens. Wir fordern den Ausbau und die Aufwertung der bestehenden Institutionen der Vereinten Nationen und die Schaffung neuer Institutionen der Vereinten Nationen wie etwa einen Hohen Kommissar und einen Menschenrechtsgerichtshof. Dazu liegt ein Antrag vor, den meine Kollegen nachher noch im einzelnen begründen werden.Darüber hinaus haben wir konkrete Anträge gestellt. Wir fordern den Deutschen Bundestag auf, durch Unterstützung dieser Anträge eine aktive Menschenrechtspolitik zu fördern und zu unterstützen.Damit hat die CDU/CSU bewiesen, daß sie nicht nur Kritik übt, sondern daß sie eine Alternative vorgelegt.
Wir halten uns an das Wort des großen Menschenrechtskämpfers Sacharow, der in diesen Tagen in einer Menschenrechtszeitschrift erklärt hat: „Die Verteidigung der Menschenrechte, das ist der klare Weg zur Vereinigung der Menschen in unserer verwirrten Welt, der Weg zur Linderung der Leiden."
Die Bundesregierung des Kanzlers und des angeblichen Machers Schmidt hat sich durch ihre Politik der Leisetreterei, die vor jedem Stirnrunzeln der SED-Machthaber zurückweicht und zu schwerstem Unrecht und Vertragsbruch schweigt, selbst jeder Handlungsfreiheit zur Durchsetzung der Menschenrechte beraubt. Wir werden uns deshalb nicht darüber wundern, wenn diese Regierung und die sie stützenden Koalitionsfraktionen SPD und FDP unsere Vorschläge mit der gewohnten Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit zurückweisen und in ihrer unverantwortlichen Untätigkeit verharren werden. Das bedeutet aber: nur eine neue, von der Union getragene Bundesregierung, der die Menschenrechte wieder vorrangige Verpflichtung zum Handeln bedeuten,
ist in der Lage, die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen für alle Deutschen mit Leben zu erfüllen. Gerade die junge Generation in der DDR, so hat es Nico Hübner in seiner Dankrede anläßlich der Überreichung des Adenauer-Freiheitspreises durch Franz Josef Strauß zum Ausdruck gebracht, wartet darauf — ich zitiere —, „daß die gesamte Poli-
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tik in der Bundesrepublik Deutschland zur moralischen Stütze der Deutschen in der DDR wird". Lassen wir uns vom Mut und von der Ausdauer dieser Menschenrechtskämpfer in der DDR anstecken! Handeln wir, damit für die Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang die Menschenrechte, die uns selbstverständlicher Alltag sind, Stück um Stück Wirklichkeit werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Rede des Herrn Jäger wirft doch die Frage auf: Hat denn die große Oppositionsfraktion wirklich niemanden, der in der Lage ist, mit einem gewissen Maß an Sachkunde und Sachlichkeit zu einer so schwierigen Frage zu sprechen?
Gibt es denn bei Ihnen niemanden, der sich der Mühe unterzieht, zu dieser Frage so viel an Sachkunde zusammenzutragen, daß er hier zu argumentieren versteht? Gibt es denn niemanden bei Ihnen, der uns vor der unerhörten Zumutung bewahrt,
den Deutschen zu empfehlen, eine Politik nach den Maßstäben der PLO zu machen?
— Er hat es hier gesagt.
— Das ist sicherlich nicht möglich. Denn wie soll er eigentlich, Herr Kollege Wehner, in anderer Weise die Verlegenheit offenbar machen, in die ihn diese Frage bringt?
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt
die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt diesen Antworten zu,
in der Form und in der Sache. Sie sind eine nüchterne Darstellung der Gegebenheiten und der Möglichkeiten, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben.
Die Antworten auf die Großen Anfragen beweisen Augenmaß für das Notwendige
und Augenmaß für das, was möglich ist. Wir haben mit dem Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, dargetan und ausgedrückt, daß diese Zustimmung von beiden Fraktionen getragen wird, die diese Bundesregierung tragen und unterstützen.Die ruhige Sorgfalt und die Genauigkeit, mit der die Bundesregierung die Fragen, die Sie gestellt haben, beantwortet, unterscheidet sich wohltuend von der eifernden Aufgeregtheit, mit der Sie in der Form und in der Sache versuchen, ein schwieriges Thema hier zur Erörterung zu stellen.
Die sich schon überschlagende Mischung von Großen Anfragen und von Anträgen zeigt doch nur genau das, was Sie gerade bei der Bundesregierung beanstanden wollen.
Eine Konzeption, eine klare Linie, die Sie auf einen einfachen Nenner zu bringen vermöchten, haben Sie gar nicht.
Sie tun nur so, als hätten Sie eine Linie, aber Sie machen sich da etwas vor. Denn das, was wir dazu bisher von Ihrer Seite — nicht nur eben, sondern überhaupt in den letzten Jahren — gehört haben,
beweist doch nur eines. Sie versuchen nicht einmal, an ein schwieriges Thema mit der Sorgfalt und mit der Genauigkeit heranzugehen, die dem Thema wohl angemessen wären.
Sie fordern hier — der Herr Jäger hat das wieder getan — Inititativen gegenüber der DDR. Meine Damen und Herren, ich wünschte, in Zeiten, in denen Sie die Möglichkeit hatten, Initiativen zu ergreifen, hätte es so viele und so erfolgreiche Initiativen zugunsten der Menschen in Deutschland gegeben, wie sie diese Regierung und diese Koalition in den letzten zehn Jahren ergriffen hat.
Sie fordern Konzeptionen und fordern Stufenpläne.
Ich wünschte, es hätte zu Zeiten, wo Sie die Möglichkeit dazu und die Verantwortung dafür gehabthaben, so viele geradlinige und sorgsame Bemühun-
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gen, Überlegungen und Schritte gegeben, wie sie diese Bundesregierung seit nunmehr zehn Jahren in aller Sorgfalt, in aller Bedachtsamkeit und mit ansehnlichen Erfolgen unternommen hat.
Sie klagen in der Begründung Ihrer Großen Anfrage, zwei Jahre nach Inkrafttreten der Menschenrechtspakte hätten die Regierungen nichts zustande gebracht, und deswegen müßten Sie jetzt danach fragen. Was sind eigentlich Ihre Maßstäbe? Die Vereinten Nationen haben zwei Jahrzehnte dazu gebraucht, um diese Menschenrechtspakte zustandezubringen. Und Sie wollen sie nach zwei Jahren in der ganzen Welt schon verwirklicht und durchgesetzt haben!
Wie wirklichkeits- und wie lebensfremd ist eigentlich Ihr Herangehen an diese Sache?!
Sie fordern hier Initiativen in den Vereinten Nationen. Warum verschweigen Sie eigentlich, daß es der Sozialdemokrat Gustav Heinemann gewesen ist,
der schon vor elf Jahren in der Großen Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Teheran zum erstenmal mit guter Begründung und überzeugenden Darlegungen vor dem Forum der Vereinten Nationen die Einsetzung eines Hohen Kommissars für Menschenrechte gefordert und damit überhaupt erst in die Debatte der Vereinten Nationen eingeführt hat? Warum verschweigen Sie denn, daß der Außenminister dieser Bundesregierung, HansDietrich Genscher, seit Jahr und Tag vor dem Forum der Vereinten Nationen mit Nachdruck und hervorragender Begründung dafür eintritt, daß wir in den Vereinten Nationen einen Menschenrechtsgerichtshof bekommen? Meine Damen und Herren, damit, daß Sie sich hier hinstellen und sagen, daß Sie das nun nach vielen Jahren endlich aufgegriffen und als Forderungen an die Bundesregierung stellten und das Ihre Konzeption sei, offenbaren Sie ein Maß von Überheblichkeit, das nicht alltäglich in diesem Hause ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Bitte sehr.
Herr Kollege Jahn, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Bundesaußenminister dem Innerdeutschen Ausschuß erst vor kurzem auf ausdrückliches Befragen hin erklärt hat, daß er aus verschiedenen Gründen, die er uns dann im einzelnen dargelegt hat, bis zur Stunde davon abgesehen habe, eine Initiative zur Einführung eines solchen Menschenrechtsgerichtshofs vorzulegen, und daß deswegen Ihre Behauptung unrichtig ist, dies sei eine Initiative der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen?
Ich verstehe nicht, was Sie mit dieser Frage eigentlich wollen.
— Ich habe darauf hingewiesen, daß die Forderung nach einem internationalen Menschenrechtsgerichtshof in die Debatte der Vereinten Nationen von dem Außenminister dieser Bundesregierung, HansDietrich Genscher, eingeführt worden ist. Dieses nenne ich eine Initiative.
Davon ist überhaupt nichts zurückzunehmen. Wenn Sie dies in die Frage, ob dies in einen förmlichen Antrag gekleidet werden solle, ummünzen wollen, werde ich darauf noch zu sprechen kommen, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Art, politische Fragen in den Vereinten Nationen zu behandeln, sinnvoll ist.
Meine Damen und Herren, hier muß die Frage gestellt werden: Was wollen Sie eigentlich mit diesen Großen Anfragen bewirken? Wollen Sie hier den großen Knüppel schwingen, um damit Ihre Auffassungen in der Deutschlandpolitik deutlich zu machen, oder wollen Sie eine sachgerechte Auseinandersetzung an Hand der Tatsachen und der tatsächlichen Möglichkeiten, von denen man in der internationalen Menschenrechtsdiskussion ausgehen muß?Es ist einfach, neue Organe der Vereinten Nationen zu fordern.
Aber Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß niemandem damit gedient ist, wenn Sie einfach einen Antrag stellen, ohne daß Sie durch gehörige und gründliche Vorbereitung einigermaßen sicher sein können, dafür eine ausreichende Mehrheit in den Vereinten Nationen zu finden.
Dort geht es nicht nach dem Prinzip zu, vom dem Sie hier gerne die Menschen glauben machen wollen, es sei das richtige: daß es nur darauf ankomme, ordentlich Lärm zu schlagen, und damit komme man schon zu einem Ergebnis. Dort kommt es vielmehr darauf an, sich mit Sorgfalt um Zusammenarbeit, um Zustimmung, um Unterstützung und auf diese Weise um Mehrheiten zu bemühen.
Davon, dieses zu akzeptieren, sind Sie weit entfernt. Davon, einmal sorgsam zu prüfen, wie wir solche Überlegungen in den Vereinten Nationen weiterbringen können, sind Sie weit entfernt. Sie sind auch
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deswegen davon weit entfernt, weil Sie sich offensichtlich nicht entschließen können, selber in dieser so schwierigen internationalen Debatte dazu beizutragen, einen glaubwürdigen Standort zu finden.
Denn dies, meine Damen und Herren, ist der eigentliche Kern der Frage.Ich wiederhole: Was wollen Sie mit Ihrer Sammlung von Großen Anfragen und Anträgen eigentlich bewirken? Wollen Sie damit nichts anderes, als unter dem Vorwand der Menschenrechtsdiskussion eine streitige politische Auseinandersetzung mit der DDR führen? Sind die Menschenrechtspakte, auf die Sie hier in Ihrer Großen Anfrage Bezug genommen haben, für Sie nur eine Gebrauchsanweisung,
nach der Sie meinen, die Rolle des Anklägers spielen und die DDR auf die Anklagebank setzen zu können?
Sagen Sie bitte, was Sie mit Ihrem Verfahren wollen.Ich sage Ihnen, daß Sie mit dieser Methode zwar sicherlich den Beifall derer bekommen werden, um deren Beifall Sie offensichtlich bemüht sind. Ich sage Ihnen aber genauso, daß Sie in der Menschenrechtsdebatte, in den Bemühungen, hier etwas zu verwirklichen, mit dieser Methode überhaupt keinen Millimeter weiterkommen werden.
Wer sich die Entwicklung der internationalen Debatte über Menschenrechte in der vergangenen dreißig Jahren, seit der Verständigung auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, ansieht, der wird nicht bestreiten können, daß es seither beachtenswerte und eindrucksvolle Fortschritte gibt, er wird aber auch nicht bestreiten können, daß diese Fortschritte niemals mit der Methode erreicht worden sind, die Sie hier anwenden: mit Lärm, mit Streit, mit Anklagen, mit Vorwürfen, sondern immer nur mit sehr geduldigem, sehr langwierigem und mühseligem Bemühen um Verständigung.
Wenn Sie meinen, Sie sollten oder könnten gar die Bundesregierung davon abbringen, ihre Beteiligung an der internationalen Menschenrechtsdebatte und die innerdeutsche Führung der Menschenrechtsdebatte in der bisherigen Form beizubehalten, wenn Sie meinen, Sie könnten und sollten die Bundesregierung in die Rolle des Anklägers drängen, so weisen wie dies — nehmen Sie das zur Kenntnis — mit aller Klarheit und Entschiedenheitzurück. Die Bundesregierung darf sich auf einen solchen Weg, wie er von Ihnen empfohlen wird, niemals einlassen, wenn und solange sie es ernst meint mit der Verwirklichung der Menschenrechte.
Sie zerstören mit Ihren Methoden im Grunde doch jede Möglichkeit einer seriösen internationalen Diskussion.
Daran aber wollen wir nicht mitwirken.
Wenn Sie dem einzelnen Menschen wirklich helfen wollen, müssen Sie überlegen, welche Möglichkeiten in der internationalen Menschenrechtsdiskussion gegeben sind, die Sie nutzen können, wo Sie Zustimmung und Unterstützung bei anderen finden können.Es gibt in der bisherigen Diskussion — ich nehme nur die letzten dreißig Jahre — um die Durchsetzung, um die Anerkennung der Menschenrechte kein einziges Beispiel dafür, daß eine Seite — gleich, in welcher Auseinandersetzung, in Europa oder sonst irgendwo in der Welt — dadurch etwas bewirkt hätte, daß sie sich selber in eine Anklägerrolle begibt und versucht, diejenige Seite, von der sie etwas verändert sehen will, auf die Anklagebank zu setzen. Alles, was erreicht werden konnte, alles, was erreichbar ist, geschah dadurch und kann dadurch geschehen, daß man sich in Ruhe über die Möglichkeiten verständigt und daß man in Ruhe auf diejenigen einwirkt, mit denen man unterschiedliche Auffassungen auszutragen hat. Fortschritte konnten, können und werden auch in Zukunft nur erreichbar sein, wenn Sie Tatsachen anerkennen, und zwar jene, auf die es in der Menschenrechtsdebatte wesentlich ankommt. Wenn Sie Anspruch darauf erheben, daß wir eine sachgemäße Debatte miteinander führen, muß ich Sie schon bitten, daß Sie zunächst einmal eine Reihe von Tatsachen zur Kenntnis nehmen und auch bei den Überlegungen, die Sie selber darüber anstellen, was geschehen könne, zugrunde legen. Es sind im Grunde sehr einfache Tatsachen, aber es scheint mir notwendig zu sein, sie zu nennen.Erstens. Die Verwirklichung von Menschenrechten ist ungeachtet aller internationaler Verpflichtungen, die es gibt, nach wie vor unmittelbar allein in die Gewalt und in die Verantwortung der einzelnen Staaten gegeben. Es gibt keine übergeordnete, überstaatliche Macht oder Ordnung, die einzelne souveräne Staaten zu bestimmten Verhaltensweisen zwingen kann. Das gilt auch für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDRZweitens. Darüber, wie Menschenrechte zu verwirklichen sind, welche Rechtsstellung sie dem einzelnen Menschen geben, welche Bedeutung sie für den einzelnen haben sollen, bestehen in der internationalen Diskussion grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen. Unser Menschenrechtsverständnis, wie es im Grundgesetz zum Aus-
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druck kommt und in dem wir uns mit den Staaten mit freiheitlich-demokratisch-parlamentarischer Ordnung, wie wir sie für richtig halten, in Übereinstimmung befinden, wird von der Mehrheit der Staaten dieser Welt nicht geteilt. Es gibt nicht nur das andere, von dem dortigen Verständnis bestimmte Grundrechtsverständnis kommunistisch regierter Staaten. Es gibt auch jenes drängende Fordern nach der Verwirklichung von Menschenrechten in der Dritten Welt, für die sich die Frage nach der Verwirklichung von Menschenrechten sehr bald auf das Recht reduziert, frei von Not und frei von Hunger leben zu können.Ich habe spätestens an dem Tage die unbedingte und manchmal, wenn wir ehrlich sind, auch etwas überhebliche Bewertung des eigenen Grundrechts-und Freiheitsrechtsverständnisses in Zweifel ziehen müssen, an dem in einer Diskussion in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen einer der Delegierten im Rahmen einer Grundsatzdiskussion über die Frage, was Menschenrechte sind, uns entgegenhielt: „Ein leerer Bauch hat keine Ohren."Ich denke, wenn man fragt, wie selbstgerecht man eigentlich das eigene Verständnis von Menschenrechten und ihrer Verwirklichung zum Maßstab aller Auseinandersetzungen machen darf, dann darf man nicht nur darüber nachdenken, sondern muß wohl auch zu dem Ergebnis kommen, daß die Durchsetzung des eigenen Maßstabs in dieser Welt noch langer und mühsamer Anstrengungen bedarf. Aber eine Schlußfolgerung ist daraus doch wohl auch zwingend zu ziehen: In einer Welt, in der wir so sehr viele unterschiedliche Bewertungen des Begriffs der Menschenrechte haben, gehört sicherlich zu den zu berücksichtigenden Tatsachen, daß keiner, keine Seite, keine Gruppe der jeweils anderen Seite ihr eigenes Menschenrechtsverständnis aufzwingen kann.
Das heißt, wenn wir weiterkommen wollen, wenn wir für das Menschenrechtsverständnis unserer Seite werben wollen, wenn wir wollen, daß in größeren Zusammenhängen diskutiert und angenommen wird, dann brauchen wir mehr Bemühungen mit dem Ziel, daß darüber in Ruhe miteinander geredet wird. Da müssen wir uns schon der Mühe unterziehen, die bisher zustande gekommenen internationalen Verträge, die Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, als eine Chance zu begreifen, auf dieser Grundlage ebenso sorgsam um Fortschritte bemüht zu sein, wie es in den vergangenen 30 Jahren gelungen ist, Fortschritte zu erzielen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Bitte.
Herr Kollege Jahn, haben Sie bei dem, was Sie eben ausführten, eigentlich nicht bedacht, daß auch die sozialistischen Staaten einschließlich der DDR jenem Satz in der Präambel der beiden Menschenrechtspakte zugestimmt haben, in dem es heißt „Die Erkenntnis, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten ... , und daß damit, auch wenn es die sozialistischen Staaten heute anders darstellen, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Einigkeit darüber bestand, daß jedenfalls der kollektivistische Menschenrechtsbegriff nicht der Menschenrechtsbegriff dieser Pakte ist?
Wenn Sie so fragen, dann machen Sie nur eine Peinlichkeit offenbar: daß Sie nämlich nicht einmal den Versuch gemacht haben, sich darüber klarzuwerden, unter wie schwierigen Bedingungen Verträge dieser Art im Bereiche der Vereinten Nationen überhaupt nur zustande kommen.
Viertens: Verträge in der Art der internationalen Menschenrechtspakte können bei den Bemühungen, Menschenrechte durchzusetzen und zu verwirklichen, nur dann weiterhelfen — das scheint mir eine weitere Tatsache zu sein, über die gesprochen werden muß —, wenn sie von einer Politik der Entspannung getragen werden. Man kann das auf eine polemische Formel bringen und sich damit den Weg für eine sorgfältige Weiterführung der Diskussion selber verbauen, wenn man sagt: ohne Menschenrechte keine Entspannung.Ich sage Ihnen: Nur unter einer Politik der Entspannung und des Zustandekommens der Bereitschaft aller beteiligten Seiten, nicht aufeinander loszuschlagen, sondern miteinander zu reden, gibt es eine ernsthafte Chance dafür, auch in der Frage der Verwirklichung der Menschenrechte Schritt für Schritt etwas zu entwickeln.
Wer Verträge dazu mißbraucht, um vorhandene Unterschiede zu plakatieren, wer sie dazu mißbraucht, um ohnehin vorhandene Unterschiede in den Vordergrund der Auseinandersetzung zu stellen, der macht eben diese Verträge untauglich als Mittel für den Fortschritt in der Verwirklichung von Menschenrechten.
Das, was ich hier allgemein gesagt habe, gilt auch gegenüber der DDR.Ich frage Sie jetzt in allem Ernst: Was versprechen Sie sich denn eigentlich davon, wenn Sie in dieser Form unter Berufung auf die Verträge in der Art, wie das hier vorhin geschehen ist, gegen die DDR polemisieren?
Wir wissen — und niemand macht sich darüber irgendwelche irrigen Vorstellungen; weder bei Ihnen noch bei uns —, daß es schwerwiegende Unterschiede in der Beurteilung von Menschenrechts-
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fragen zwischen den beiden deutschen Staaten gibt.
— Das ist keine Verharmlosungsformel, sondern der Versuch, von der Polemik zu einer nüchternen Betrachtung zu kommen.
Wenn Sie sich diesem Versuch entziehen wollen, ist das Ihre Sache. Ich werbe dafür, daß Sie die ständige Polemik endlich einmal fallenlassen und sich der Sache stellen.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle — aber müssen wir uns das eigentlich immer selber bestätigen —, daß wir in unserer Beurteilung von Menschenrechten und ihrer Verwirklichung unserer Sache absolut sicher sind. Müssen wir immer wieder sagen, daß das, was auf der anderen Seite nach unserer Überzeugung falsch ist, in den Vordergrund der Auseinandersetzung gestellt werden soll?Ich frage Sie: Wie soll es denn eigentlich, wenn Sie diese Bedürfnisse befriedigt haben, weitergehen in dem Bemühen, mit diesem Staat, mit jedem anderen Staat in dieser schwierigen Frage eine Auseinandersetzung zu führen? Schaffen Sie denn die Voraussetzungen dafür, indem Sie in dieser Weise die Beschimpfungen und Vorwürfe als einzigen Diskussionsbeitrag hier, bis zum Überdruß immer wiederholen?
Ich will versuchen, Ihnen das an einem Beispiel deutlich zu machen. Wie gesagt: Wir brauchen die Verträge, wir brauchen die Pakte. Wir müssen sie nutzen, und wir müssen die Chancen, die in ihnen stecken, für das Werben und für das Durchsetzen eigener Überzeugungen auch verwirklichen. Die Menschenrechtspakte, die Sie zur Grundlage Ihrer Großen Anfragen gemacht haben, sehen dafür als internationale Verträge bestimmte Verfahren vor: die Staatenberichte sowie die Staatenbeschwerde dann, wenn der Staat, der dem Pakt beigetreten ist, sich dem unterwerfen will. Dies hat die DDR — wie viele andere Staaten auch — nicht getan. Sie sehen ferner die Individualbeschwerde für einzelne Bürger vor, wenn der Staat sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt hat.Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Augenblick abschweifen.
Ich sage jetzt nur für mich und nicht für meine Fraktion: Ich bedaure, daß sich die Bundesregierung bisher nicht hat entschließen können, dem Fakultativprotokoll des Menschenrechtspakts beizutreten. Der Einwand, daß man damit andere Verfahren behindern oder erschweren würde, vermag mich nicht zu überzeugen.Dieses ist in meinen Augen juristische Haarspalterei. Die Ordnung dieses Staates kann sich jedem internationalen Verfahren stellen. Ich wünschte, die Bundesregierung wäre bereit, in dieser Frage ihre Position noch einmal zu überdenken, damit wir nicht nur die Möglichkeit des Verfahrens von Einzelbeschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof haben, sondern daß wir diese Möglichkeit auch im Bereich der Vereinten Nationen in aller Form eröffnen. Wir würden damit ein Beispiel geben, wir würden damit einen Maßstab setzen, wir würden damit der internationalen Diskussion eine Hilfe geben. Das sollten wir nicht so leicht nehmen.Aber zurück zu der Frage: Was kann man aus den Pakten machen? Die DDR hat — ich sage es noch einmal — wie die Mehrzahl der anderen Staaten die Staatenbeschwerde nicht akzeptiert. Sie hat also auf der Grundlage des Paktes die Möglichkeit, gegen sie in aller Form Beschwerde vor dem Menschenrechtsausschuß zu erheben, nicht eröffnet. Sie können das bedauern.
Sie können sich darum bemühen, eine Überprüfung und Änderung dieses Standpunktes herbeizuführen. Aber solange dieser Zustand besteht, müssen Sie, wenn Sie in ihrem Bemühen glaubhaft bleiben wollen, diese Entscheidung achten.Die Bundesregierung darf sich jedenfalls nicht, wie Sie es verlangen, dazu verleiten lassen, dieses international geregelte Verfahren zu unterlaufen, indem sie ihre Kritik in einem nicht vorgesehenen Verfahren durch die Hintertür einbringt und damit versucht, die Verträge selber wieder in Frage zu stellen. Ich kann nicht dazu raten, daß eine solche Empfehlung aufgenommen wird.Die Möglichkeiten der Verträge in vollem Umfang zu nutzen bedeutet, sie in vollem Umfang da zu nutzen, wo die Verträge eine Voraussetzung dafür bieten, und nicht darüber hinaus den Versuch zu machen, sie zu unterlaufen, weil dies letzten Endes dazu führen muß, daß auch diese Verträge auf die Dauer keine geeignete Grundlage für eine ernsthafte Bemühung um die Verwirklichung der Menschenrechte bleiben können.
Ich kann der Bundesregierung nur empfehlen, bei ihren bisherigen Entscheidungen zu bleiben. Sie hat aus ihrer eigenen Auffassung aus ihrer Bewertung gegenüber der DDR, gegenüber anderen Staaten, mit denen sie in der Frage der Verwirklichung der Menschenrechte unterschiedliche Auffassungen hat, nie einen Hehl gemacht. Dies ist auch in Ordnung. Auch dabei kann sie unserer vollen Unterstützung sicher sein.Die Bundesregierung muß aber in ihrem Bemühen fortfahren, unter sorgsamer Beachtung der vorgegebenen internationalen Möglichkeiten an der Durchsetzung der Menschenrechte, an der Durchsetzung von mehr Anerkennung und mehr Verwirklichung der Menschenrechte weiterzuarbeiten. Meine Damen und Herren, sie soll, was das innerdeutsche Verhältnis anbelangt, außerdem dabei
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bleiben, durch den schrittweisen Ausbau und die Weiterentwicklung der Beziehungen zur DDR für die tatsächliche Lage der Menschen in unserem Lande Fortschritte und immer wieder Fortschritte zu erlangen; denn auch das ist ein Stück wahre, aber auch ein Stück wahrhaftige Menschenrechtspolitik.
Sie müssen sich fragen lassen, ob Sie diese Bundesregierung weiter dafür schelten wollen oder ob Sie sich nun endlich einmal dazu bequemen wollen, sich den tatsächlichen Möglichkeiten, die es für unser Land, für unsere Bundesregierung in der internationalen Menschenrechtsdiskussion gibt, zu stellen und damit auseinanderzusetzen. Sie müssen sich, so meine ich, dringend mit der Frage beschäftigen, wie lange Sie noch damit fortfahren wollen, Nachdenken und sorgfältiges Bemühen um das Herausfinden der Stellen, an denen Fortschritte möglich sind, dadurch zu ersetzen, daß Sie wie jemand, der nachts durch den dunklen Wald läuft, ständig laut singen, laut rufen und laut schimpfen.
Dies ist kein Ersatz für die Notwendigkeit, sich der Mühsal zu stellen, die die Weiterentwicklung der Menschenrechte gerade in der Auseinandersetzung zwischen Staaten nun einmal darstellt.Uns wäre wohler, wir könnten in einen Wettbewerb mit Ihnen darüber eintreten, herauszufinden, was der beste Weg ist. Aber das, was Sie hier als Alternative anbieten, ist weniger als das, es ist nicht einmal ein Ersatz, über den ernsthaft miteinander zu reden sich lohnt.
Meine Damen und Herren, unser Weg ist,
der Bundesregierung dabei die Hilfe zu geben, die sie nötig hat,
auf dem Weg fortzufahren, den sie bisher gegangen ist, sie darin zu bestärken, sich durch nichts davon abbringen zu lassen, und sie dabei zu unterstützen, für die Deutschen in beiden deutschen Staaten die Menschenrechte zu verwirklichen, wie das in den vergangenen zehn Jahren in einer Weise möglich gewesen ist, wie es vorher von Ihnen weder zustande gebracht worden noch auch für möglich gehalten worden ist.
Daß anderes, daß mehr, daß Besseres möglich ist, das hat die Arbeit dieser Koalition in den vergangenen zehn Jahren bewiesen, und sie wird das auch weiterhin tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kampf um die Grundfreiheiten und Menschenrechte ist zugleich auch immer ein bestimmender Inhalt der Geschichte des Liberalismus gewesen.
Die gewonnene Erfahrung lehrt, daß bei diesen Bemühungen alle Erfolge nur durch Konsequenz, Glaubwürdigkeit, Solidarität und durch die unbeirrbare Entschlossenheit, Konflikte zu begrenzen und die internationale Zusammenarbeit zu stärken, zu erzielen sind.
Für unsere aktuelle Menschenrechtspolitik bedeutet das, daß sie nur dann praktische Erfolge bringt, wenn sie auf jede ideologische Einäugigkeit verzichtet und wenn sie nicht als Mittel zur innenpolitischen Profilierung mißbraucht wird. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir im Deutschen Bundestag uns nicht gegenseitig versichern müssen, daß die in unserer Verfassung niedergelegten Grundrechte Ausgangspunkt, Antrieb und Ziel allen politischen Handelns der hier versammelten demokratischen Parteien sind.Deshalb geht es heute ja auch gar nicht um die Frage, wie wir zu den Grundrechten stehen, sondern darum, auf welche Weise am nachhaltigsten auf die Verwirklichung der Menschenrechte auch jenseits der innerdeutschen Grenze und damit im zweiten deutschen Staat Einfluß genommen werden kann. Diese Frage stellt sich seit 30 Jahren, und sie hat bislang keine befriedigende Antwort finden können. Die schlimmste Phase allerdings liegt, wie mir scheint, hinter uns, nämlich die Phase der Sprachlosigkeit. Jahrzehntelang unterblieb jede konkrete Aussprache, und die Regierung der DDR brauchte sich der Frage der Menschenrechte und der Menschenrechtsverletzungen überhaupt nicht zu stellen.
Nach dem denkbar unpolitischen Motto von Morgenstern, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf", übten sich bei uns viele in der seltsamen Kunst, die machtpolitischen Realitäten jenseits der deutschdeutschen Grenze schlicht zu verdrängen. Es gab keine von beiden Seiten akzeptierte Grundlage, auf der eindeutige politische Messungen vorgenommen werden konnten,Das hat sich spürbar erst geändert, als die von der SPD und der FDP getragene Bundesregierung eine Politik der Verständigung und Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas und mit der DDR auf vertragliche Fundamente stellte. Dabei wurden die Menschenrechte nicht ausgeklammert. Ausdrücklich hervorgehoben werden sie im Art. 2 des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
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14660 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
HoppeDas brachte zwar noch keinen faktischen Fortschritt per se. Aber es war doch eine von beiden Seiten unterschriebene Zielvorgabe, die uns definitiv den Weg bei den konkreten Verbesserungen für die Menschen wies. Niemand wird leugnen wollen, daß die durch die Vertragspolitik möglich gewordenen menschlichen Begegnungen und vor allem die starke Zunahme von Familienzusammenführungen Jahr um Jahr mehr Menschen in die Lage versetzten, Grundrechte für sich wahrzunehmen.Dennoch: Zufriedengeben wir uns mit dem Erreichten nicht. Wir können es nicht, solange in der DDR grundlegende Freiheitsrechte abgeschnürt werden, wie das Recht auf Freizügigkeit bis hin zur Meinungsfreiheit und zum Recht auf freie Ausreise.
Doch unsere kritische und zugleich auf Verbesserungen drängende Haltung wird nur dann praktischen Nutzen für die betroffenen Menschen in der DDR haben, wenn wir nicht anmaßend und auftrumpfend, verehrter Herr Jäger, sondern sehr realistisch und in dem eng gespannten Rahmen der vorgegebenen Möglichkeiten handeln. Dieser Rahmen erhält nun einmal seine Abmessungen unter anderem dadurch, daß die DDR ein souveräner Staat ist und daß die kommunistische Ideologie die klassischen Freiheitsrechte weitgehend auf weltanschaulich zweckgebundene Mitwirkungsrechte der Bürger reduziert hat.Es gehört zu den politischen Realitäten unseres Jahrhunderts, daß mitten durch Deutschland jene Grenze verläuft, die nicht nur eine Nation und Europa teilt, sondern auch den Freiheitsbegriff. Im Westen geht es hierbei um die individuellen Rechte des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat, im Osten dagegen um die gesellschaftliche Mitwirkung des Individuums.Diesen Systemgegensatz können wir aber nicht aus der Welt schaffen, ohne die Welt selbst aus den Angeln zu heben.
Aber wir können bei Einschränkungen der Menschenrechte sehr wohl ungeschminkt unsere Meinung sagen und Abhilfe fordern.
Die FDP tut das ohne jede Leisetreterei.Als relativ junges Beispiel nenne ich unsere Reaktion auf die rigorose Verschärfung der Staatsschutzbestimmungen vom 1. August 1979.
Dieser überdimensionierte Maulkorb, der da zur Unterdrückung der Meinungs- und Informationsfreiheit über die Bürger gestülpt wurde, signalisiert die große Unsicherheit der DDR-Regierung gerade denen gegenüber, deren Interessen sie zu vertreten vorgibt.Aber, meine Damen und Herren, mit einem Entschließungsantrag, wie er von der Oppositionsfraktion zu diesem Thema vorgelegt wird, ist doch nichts gewonnen und nichts zu bewegen. Doch was ich an der Großen Anfrage der CDU/CSU in Sachen Menschenrechte so sehr schätze, ist ihre Ableitung von den Ergebnissen der erfolgreichen Politik der sozialliberalen Koalition. Meine Damen und Herren, die Grundlagen für diese Aktion der Opposition mußten von uns — gegen den Widerstand dieser Opposition — erst geschaffen werden.
Da geht es um die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, und da sind die Prinzipien der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, und im weiteren Sinne gehören wohl auch der Grundlagenvertrag und der Beitritt zur UNO dazu. Diese Übereinkünfte haben uns, haben aber ebenso die DDR nachdrücklich in die Pflicht genommen, auch und gerade in Sachen Menschenrechte. In die Pflicht nehmen heißt zwar noch nicht Bewältigung der vorgegebenen Aufgabe, aber es besagt, daß alle Staaten, die sich durch ihr Ja zu den Prinzipien der Schlußakte von Helsinki und durch die Unterzeichnung der internationalen Menschenrechtspakte verpflichtet haben, ihr Handeln oder Nichthandeln immer wieder an diesen Grundsätzen messen lassen müssen. Nachdem sich dabei der Grundsatz durchgesetzt hat, daß die Verwirklichung der Menschenrechte nicht nur eine wichtige, sondern auch eine legitime Aufgabe der internationalen Politik ist, kann die DDR auch nicht mehr ernsthaft über angebliche Einmischungen in ihre inneren Angelegenheiten klagen, wenn ihr Menschenrechtsverletzungen vorgehalten werden.Diese allmählich verbesserte Ausgangslage für eine wirksame Menschenrechtspolitik mußte in der Bundesrepublik Deutschland allerdings im sozialliberalen Alleingang geschaffen werden. Die CDU/ CSU war gegen alles, auf was sie sich heute beruft.
Meine Damen und Herren, Sie berufen sich zwar auf die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, aber das Nein zum Beitritt zu den Vereinten Nationen war Ihnen sogar das Opfer des Fraktionsvorsitzenden Dr. Barzel wert.
Die CDU/CSU beruft sich zwar auf den Grundlagenvertrag mit der DDR, aber sie unternahm alles, um ihn zu verhindern.
Diese Grundhaltung besteht in weiten Kreisen derOpposition bis heute leider fort. Deshalb — des-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14661
Hoppehalb! —, meine Damen und Herren, sind Sie zu den Fußkranken der Deutschlandpolitik geworden.
Darunter leiden besonders Ihre politischen Freunde in Berlin.
Zwar hat sich der verehrte Kollege von Weizsäcker daran gemacht, diesen Rückstand aufzuholen; er predigt kritische Vernunft. Aber was bewirkt das, solange Ihre Neinsager jeden vernünftigen Ansatz immer wieder zunichte machen?
Die CDU/CSU beruft sich zwar auf die Ergebnisse der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa,
aber sie war weit und breit der einzige politische Faktor, der sich aus diesem umfassenden internationalen Dialog abgemeldet hatte.
Meine Damen und Herren, wer erinnert sich nicht noch an Ihre Forderung, das KSZE-Dokument mit den dort niedergelegten Feststellungen zu den Menschenrechten auf keinen Fall zu unterzeichnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Bitte, Herr Präsident. Vizepräsident Dr. von Weizsäcker: Bitte.
Herr Kollege Hoppe, wären Sie wenigstens so freundlich, dem Hause zu sagen, warum und gegen welche Teile die CDU/CSU seinerzeit Bedenken erhoben hat, also zu sagen, daß jedenfalls das Prinzip sieben über die Menschenrechte und die Inhalte des Korbes III nicht auf unsere Kritik gestoßen sind, allenfalls, daß wir gesagt haben, es sei noch zu wenig, was man herausgeholt hat?
Verehrter Herr Jäger, die Opposition hat damals — Sie tun es offenbar noch heute — nur Bedrohungen gesehen. Sie reagierte ängstlich und defensiv wie ein kleiner, verschreckter Michel. Heute fühlt sie sich offensichtlich wieder stark füreine parlamentarische Initiative, und dabei hantiert sie recht ausgiebig mit jenem Instrumentarium, das nach ihrer schriftlich niedergelegten Wertung lediglich Moskau dienen sollte.
Mir scheint, das ist ein sehr deutliches Eingeständnis der damaligen Fehleinschätzung.
Ich sprach zu Beginn davon, daß wir gegenüber Verletzungen der Menschenrechte nicht einäugig sein dürfen, um nicht unglaubwürdig zu werden. Die Freien Demokraten treten deshalb für die Menschenrechte überall in der Welt ein. Dieser Grundsatz findet u. a. seinen Ausdruck in unserer Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof bei den Vereinten Nationen. Wir sind dem Außenminister dankbar,
daß er diese Initiative in die Vereinten Nationen hineingetragen hat.Wir fragen nicht, wer die Menschenrechte verletzt, sondern wo sie verletzt werden und wie den Opfern geholfen werden kann. Wir sind in Helsinki und in Belgrad für die Einhaltung der Menschenrechte eingetreten. Wir nennen die Verletzungen der Menschenrechte in der DDR beim Namen und drängen auf Abhilfe, wir schweigen nicht zur Folter in Lateinamerika, nicht zu den psychiatrischen Sonderbehandlungen für Regimekritiker in der Sowjetunion,
nicht zur menschenrechtsverletzenden Apartheidspolitik in Südafrika und auch nicht zum Völkermord in Kambodscha. Verehrter Herr Kollege Jäger, ich spreche hier für die Fraktion der Freien Demokraten und für niemanden sonst.
Es gibt bei uns auch vor Ort keine schönfärberischen Beteuerungen. Ich kann mich jedenfalls an keinen Fall erinnern, in dem ein Vertreter der Bundesregierung beispielsweise im Ostblock den Menschen zugerufen hätte, sie sollten weiter dafür sorgen, daß die Freiheit in ihrem Lande „erhalten bleibe". Wir haben uns eine solche Peinlichkeit nicht geleistet.
Es ist auch keinem Freien Demokraten eingefallen, eine Militärdiktatur als „notwendig geworden" zu bezeichnen. Daß dies einer Ihrer stellvertretenden Vorsitzenden ausgerechnet am Tag der Menschenrechte, am 9. Dezember 1977, tat, ist besonders pikant. Aber die These, eine Machtübernahme der Militärs könne beim Versagen der Politiker notwendig werden, ist in der Unions-Fraktion wohl gängig, denn auch der Kollege Dr. Dregger hat sie übernommen. Doch ist es für jeden Demokraten eine indisku-
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Hoppetable Denkkategorie, daß in politischen Krisensituationen die Militärs am Zuge seien.
Wer so daherredet, eignet sich schwerlich zum selbstgerechten Ankläger in Sachen Menschenrechtsverletzung, wo immer sie zu beklagen sind.
Nun vermisse ich auch einen Widerspruch zu dem Versuch, Rudolph Bahro nach seiner Isolierung und Inhaftierung in der DDR auch in der Bundesrepublik Deutschland mundtot zu machen. Dem niedersächsischen Minister Hasselmann ist es, wie mir scheint, gelungen, in seiner kurzen Erklärung vom 5. November gleich eine Mehrheit von politischen Dummheiten zu begehen. Er hat Bahros Auftreten bei dem Kongreß der Grünen als „Einmischung in die Angelegenheiten der Bundesrepublik" bezeichnet, und damit allen klar war, daß er sich nicht versprochen hat, fügte er unter Bezugnahme auf Bahro den Satz an, die Bundesrepublik sei „kein Tummelplatz für Asylbewerber" aller Art. Für diese abwegigen Äußerungen hat sich Herr Hasselmann allenfalls einen Orden von Herrn Honecker verdient. Niemand griff da korrigierend ein. Dabei müssen sie einsehen — Sie werden es ja auch tun —, daß Sie drauf und dran sind, sich durch solche fragwürdigen „Notizen aus der Provinz" selbst den Boden zu entziehen, von dem aus Sie über Menschenrechtsverletzungen im anderen Teil Deutschlands richten.Wer nicht selbstkritisch und sensibel für die Fragwürdigkeiten hierzulande bleibt und zugleich über Menschenrechtsverletzungen beim Nachbarn klagt, der verhält sich biblisch im schlechten Sinne: er will nur den Splitter im Auge des anderen wahrhaben.Noch einmal: der Einsatz für Menschenrechte verträgt keine Selbstherrlichkeit und kein hohles Pathos. Er setzt die Bereitschaft zum kritischen Dialog voraus und die Fähigkeit zur Beharrlichkeit und Nüchternheit im Umgang mit den Ansprechpartnern.Wir Freien Demokraten werden auf diesen einzig erfolgversprechenden Stil auch gegenüber der DDR Wert legen. Wir wissen, die Lage der Menschenrechte wird sich nur bei einem Fortgang der Entspannungspolitik verbessern. Alle Verhandlungen und Gespräche haben für uns das Ziel, die Situation der Menschen in Deutschland zu erleichtern und durch verstärkte menschliche Begegnungen dem Zusammenhalt der Nation zu dienen. Dies ist der Weg, den wir gehen. Er soll uns zu mehr Menschlichkeit und mehr Menschenwürde für alle Deutschen führen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Die Bundesregierung hat Ende September ihre sehr sorgfältig ausgearbeitete und gewissenhaft durchgeführte Beantwortung der Großen Anfragen der Opposition zu den internationalen Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen von 1966 dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Die Bundesregierung bediente sich dabei der Sorgfalt, zu der sie verpflichtet ist. Sie hat die von mir dankbar begrüßte große Zahl der Fragen — über 120 Fragen — zum Anlaß genommen, einmal in aller Deutlichkeit und für jedermann verständlich Antworten darauf zu geben, die diesem Thema angemessen sind und ihm gerecht werden.Die Antwort war gleichzeitig ein Versuch, einen Beitrag zu der so oft beschworenen Gemeinschaft hier im Hause zu leisten, die Fragen, die uns alle angehen, ganz gleich wo wir stehen mögen, sachlich zu behandeln. Aber dieser Versuch, dieses Angebot zugleich hat wieder dazu geführt — nicht etwa zu meiner Überrraschung; ich habe kaum etwas anderes erwartet —, daß in der altbekannten Art und Weise die Debatte eingeleitet wurde. Es ist wirklich an der Zeit, daß Sie auf seiten der Opposition wenigstens bemüht sind, dem Thema gemäß ebenfalls den notwendigen Ernst aufzubringen, damit wir uns nicht untereinander hier noch über Dinge streiten, die eigentlich zwischen uns nicht streitig sein sollten.Dem Bundestag liegen außer dieser Antwort zugleich eine Reihe von Anträgen vor, welche mit dem Thema der Großen Anfragen direkt in Beziehung stehen. Ich möchte sie in meine Erläuterung zur schriftlichen Antwort der Bundesregierung gleich mit einbeziehen.Bei einer Debatte wie dieser ist es nützlich, zunächst einmal festzuhalten, worüber nicht gestritten zu werden braucht — wir können es auch, wenn es sein muß; ich mache dieses Angebot; ich denke, Sie können das annehmen —: Das sind einmal Tatsachen, Rechtsnormen ebenso wie reale Tatbestände in der DDR — ob sie uns passen oder nicht, sie sind da —, die nach unserer rechtlichen Überzeugung nicht mit den Rechten und Freiheiten in Einklang stehen, wie sie in den beiden Pakten der Vereinten Nationen, namentlich in dem über bürgerliche und politische Rechte, niedergelegt sind. Von solchen Tatsachen und Tatbeständen ist sowohl in den Anfragen wie auch in der Antwort hinlänglich die Rede, ebenso davon, wie sie nach unserer Auslegung der Menschenrechtspakte zu bewerten sind. Darüber brauchen wir hier nicht zu streiten und zu debattieren.Ich gehe ferner davon aus, daß Regierung und Opposition, Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktion, eine gemeinsame Überzeugung hinsichtlich dessen haben, was die Menschenrechte und Grundfreiheiten eigentlich sind, woher sie kommen und wozu sie da sind. Zwischen den Unterzeichnerstaaten der internationalen Menschenrechtspakte besteht in dieser Hinsicht bekanntlich keine Übereinstimmung. Auch dieses Wissen gehört dazu, wenn man dieses Instrumentarium bemühen will, um spezielle Probleme, die uns hier bewegen, lösen zu wollen. Darauf macht die Bundesregierung in ihrer Antwort mehrfach aufmerksam, auch im Hinblick auf jene, die aus guten Gründen und im Eifer meinen, daß sie die Dinge nicht so genau zu studieren brau-
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Bundesminister Frankechen, sich einfach nur der Überschrift hingeben und meinen, damit das ganze Problem erfaßt zu haben.Unsere Überzeugung möchte ich — ich denke, mit Ihrer Zustimmung — so zusammenfassen:Erstens: Die Menschenrechte und Grundfreiheiten ergeben sich aus der dem Menschen innewohnenden Würde. Sie sind aller staatlichen Gewalt vorgegeben. Sie sind kein gesellschaftlich gewährtes Privileg, sondern die Gesellschaft und ihre staatlichen Organisationen haben sie zu respektieren und zu schützen. Das ist unsere Position; die haben wir jederzeit vertreten. Meine Damen und Herren von der Opposition, befleißigen Sie sich doch bitte, unter Zugrundelegung dieser Tatsachen eine so gewichtige Diskussion zu führen, wo es um die Menschenrechte für alle Menschen gehen sollte! Wir könnten einen großartigen Beitrag durch das Beispiel leisten, das wir hier zu diesem Thema setzen.
Zweitens sind wir der Überzeugung, daß die Achtung der so verstandenen Menschenrechte und Grundfreiheiten die beste Garantie für das Wohlergehen der Völker im Innern und das friedliche Zusammenleben der Staaten untereinander bildet. Den letzten Teil des Satzes möchte ich wiederum unter Hinweis auf unsere schriftliche Antwort besonders unterstreichen: sie ist die beste Garantie für das Wohlergehen der Völker im Innern und das friedliche Zusammenleben der Staaten untereinander. Es heißt in der Antwort:Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ein wesentlicher Faktor für den Frieden und Fundament der Entspannung ist.Herr Kollege Jäger — sie wurden irrtümlicherweise häufig als „Doktor" bemüht —,
Sie haben von den roten Fahnen der angeblichen Entspannungspolitik gesprochen. Nein, ich kenne die Tatsachen genauer und befleißige mich, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen. Sie haben immer von der angeblichen Entspannungspolitik gesprochen.
Meine Damen und Herren, wer dieses Gelungene an praktischer Politik so einordnet, der hat nicht erfaßt, daß wir dankbar dafür zu sein haben, daß wir hier jetzt über 30 Jahre einen friedensähnlichen Zustand in Deutschland haben
und daß wir alle unseren Beitrag dazu haben leisten müssen, auch indem wir uns manchmal etwas zu sagen verkneifen, was der eine oder andere sagen möchte; denn unsere Verantwortung ist in besonderer Weise geprägt.Meine Damen und Herren, damit Sie dazu noch etwas hören: ich rede zu diesem Thema auch als einer, der hier in Deutschland erlebt hat, wie das aussah, als Menschenrechte und Menschenwürde mitFüßen getreten wurden. Ich habe das zu spüren bekommen und weiß daher, wie behutsam man mit diesem hohen Gut umzugehen hat, um wirklich Stabilität in die errungenen Menschenrechte und Menschenwürde zu bringen, nicht nur für uns; denn wir leben in einem Raum, in dem wir darüber zu bestimmen haben. Ich komme noch einmal darauf zurück: Es geht auch darum, ein Beispiel zu setzen. Ich bitte sehr darum, das mit dem genügenden Ernst zu betreiben.
Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Für den Frieden ist die Entspannungspolitik, d. h. die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, ein wesentlicher Faktor. Das lassen wir uns nicht nehmen, auch wenn Sie hier noch so sehr Phrasen bemühen und meinen, Formeln vortragen zu sollen, die mich fatal an eine Zeit der politischen Diskussion erinnern, als ich noch ein ganz junger Mann in der deutschen Republik der Weimarer Zeit war. Ich sage das mit dieser Leidenschaftlichkeit, weil ich meinen Teil dazu beitragen möchte, daß sich diese unselige Zeit nie wiederholen möge.
Lassen Sie uns den Versuch machen, sehr ernsthaft über diese Dinge zu sprechen.Meine Damen und Herren, meine beiden Aussagen, daß die Menschenrechte und die Wahrung der Menschenrechte die beste Voraussetzung für die Entspannungspolitik und auch für die Sicherung des Friedens und der menschenrechtlichen Lage in Europa sind, gehören zusammen. Sie bringen zum Ausdruck, daß die Bundesregierung in der Entspannungspolitik das effektivste Mittel sieht, um ihrem Ziel, der weitestgehenden Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, näherzukommen.Erfahrungsgemäß wird die Debatte im Bundestag immer dann kontrovers, wenn die Methodenfrage zur Sprache kommt. Wie können wir unseren gemeinsamen Überzeugungen am wirkungsvollsten dienen? Das ist immer das Problem, das hier kontrovers diskutiert wird.Bevor ich mich diesem Thema zuwende, möchte ich versuchen, die breite Übereinstimmung in dieser Frage vielleicht noch ein Stückchen zu erweitern. Auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist doch sicher eines offensichtlich: Bei den Menschenrechten geht es um den einzelnen Menschen,
um sein Wohl und Wehe. Das ist ihr eigentlicher Sinn, nicht nur die Vertretung von Prinzipien unter Außerachtlassung des Problems, wie sich diese Diskussion in der jeweils aktuellen Situation auf den einzelnen auswirkt. Wenn das so ist, folgt daraus: Würden wir die Verwirklichung der Menschenrechte prinzipiell ohne Rücksicht darauf verfolgen, ob es mehr einzelnen Menschen nützt oder schadet, würden wir dem Sinn der Menschenrechte zuwiderhandeln.Ich beurteile das Wirken meiner Freunde und mein Wirken auch danach, ob ich mir nur ein Fern-
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Bundesminister Frankeziel gesetzt habe oder ob ich zu dessen Erreichung entsprechend diesem Prinzip schon in der Gegenwart etwas bewirken kann.Es ist geradezu erbärmlich, daß Sie so tun, als hätten sich die Dinge während der Zeit der sozialliberalen Koalition verschlechtert.
Herr Jäger, Sie haben diese Antwort von mir herausgefordert. Ich habe hier auch in einer Zeit gesessen, in der Ihre Partei die Regierung führte. Nach 20 Jahren hatten wir den Zustand erreicht, daß eine fast völlige Abschnürung erfolgt war.
— Ich mache Ihnen daraus gar keine Vorwürfe —:Das war Ihr Konzept. Es war Ihr Stufenplan, der dazuführte, daß die Treppe dann gar nicht mehr dawar.
Meine Damen und Herren, wenn Sie es hören wollen, muß Ihnen das einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden: Auch Sie setzen auf die Formel, auf die ein alter Herr gesetzt hat, der mit der Vergeßlichkeit der Menschen Politik machen wollte.
Das können Sie bei uns nicht. erreichen. Wir fühlen uns verpflichtet. Darum sprechen wir auch in dieser Deutlichkeit.Meine Damen und Herren, unser Eintreten für die Menschenrechte muß deshalb mit der Bereitschaft verbunden sein, dem Gebot der Menschlichkeit zu dienen, wo immer wir die Gelegenheit und die Möglichkeit dazu haben. Wegen der engen Verschwisterung von Menschenrechten und Menschlichkeit geht es nicht an, die Menschenrechte als politisches Instrument oder gar als politische Waffe zu benutzen. Dies ist die Auffassung der Bundesregierung. Ich meine, es müßte auch Christlichen Demokraten möglich sein, dem beizupflichten.Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Die Frage, wie wir die Achtung der Menschenrechte fördern können, erfordert nicht nur einen Verzicht darauf, sie zu einem politischen Instrument zu machen, sie erfordert vielmehr eine Antwort, die vor der Humanität, vor unser aller Menschenpflicht bestehen können muß. Die Menschenpflicht gebietet uns, die Linderung oder Behebung der konkreten aktuellen Not des einzelnen Menschen zumindest gleichwertig neben die Verfolgung politischer Zwecke zu setzen.Gerade wir Deutschen mit unserer jüngsten politischen Vergangenheit können und dürfen uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß die angeblich höheren politischen Zwecke und Prinzipien von vornherein und selbstverständlich den Vorrang vor dem einzelnen Menschen, auch wenn er sich in einer noch so besonderen Not- oder Zwangslage befindet, genießen. Für die Bundesregierung möchte ich ausdrücklich sagen: Dieser Standpunkt kann, darf und wird niemals der unsere sein.Von dieser Position her sehen wir uns moralisch berechtigt, im Zusammenhang mit den Menschenrechten, die ein wertvolles Prinzip darstellen, das Zweckgebotene zu tun. Das heißt, daß wir in Fragen der Durchsetzung und Reklamation der Menschenrechte bewußt den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund unserer Erwägungen stellen. Wir müssen die Frage, wie wir mit der größtmöglichen Erfolgschance in der größtmöglichen Zahl von Fällen der Menschlichkeit einen Dienst erweisen können, mit aller Nüchternheit und ohne Emotion prüfen.Die Opposition hat letzte Woche, wohl mit Blick auf diese Debatte, Anträge eingebracht, deren Schwergewicht zum Teil bei der Empfehlung liegt, die Bundesregierung solle sich der Methode des direkten bilateralen Gesprächs mit der DDR bedienen, sie solle die Themen gleichsam frontal angehen, indem sie mit der DDR darüber in Verhandlungen eintritt — besser gesagt: einzutreten versucht. Denn natürlich weiß auch die Opposition sehr genau, daß die DDR es ablehnt, über ihre eigene Abschaffung mit uns zu verhandeln. Das gilt für das Thema Grenzbefestigungsanlagen ebenso sehr wie für das Thema der Freiheit der Ausreise aus der DDR. Es ist doch geradezu absurd, hier immer so zu tun, als komme es nur darauf an, welche Themen wir mit der DDR diskutieren wollen. Zum Diskutieren gehören bekanntlich zwei, und da machen Sie die Rechnung ohne den Wirt.Was also verspricht sich die Opposition eigentlich, wenn sie die Bundesregierung zu solchen Verhandlungen sozusagen losschicken will? Einen weiteren Beweis für das, was wir alle sowieso schon wissen? Was wäre damit gewonnen? Und vor allem: Brächte uns das auch nur einen Schritt weiter auf dem Weg, die Grenzen wenigstens durchlässiger zu machen? Wie oft sich die Bundesregierung die Frage auch stellt, statt auf die Frontalmethode kommt sie immer wieder zurück auf die Methode des Interessenausgleichs, nur auf diese Methode — und dies eben aus Gründen der Zweckmäßigkeit. Denn alles, was an Besserungen und Erleichterungen der innerdeutschen Situation und für Berlin in den letzten zehn Jahren erreicht wurde, haben wir mit dieser und nur mit dieser Methode erreichen können.
Um es rundheraus zu sagen: Auch durch noch so prinzipientreue oder prinzipientreu erscheinende Begründungen lassen wir uns von dem pragmatischen Weg und Ansatz nicht abbringen.Im übrigen — ich bin immer noch bei den Anträgen der Opposition — wäre es nicht unwichtig, zu wissen, ob nun auch die Opposition allmählich von der neunmalklugen Doppelstrategie abrückt, die man uns lange angeraten hat, nämlich Sprechen und Verhandeln mit der DDR und gleichzeitig Anprangern der DDR und konfrontatives Fordern in der Öffentlichkeit. Das konnte und kann in der Tat niemals funktionieren. Die Bundesregierung hat sich denn auch gehütet, diesem „Rat" — jetzt sage ich das einmal in Anführungsstrichen; weil Sie sich gern dieser rhetorischen Floskel bedienen, will ich sie auch einmal benutzen — zu folgen.
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Bundesminister FrankeIn unserer schriftlichen Antwort haben wir unsere Auffassung zu Art. 2 des Grundlagenvertrages dargestellt. Er schreibt für beide Seiten vor, sich nach den in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Zielen und Prinzipien zu richten. Art. 2 unterstreicht das Recht sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der DDR, sich mit der Wahrung der Menschenrechte in dem jeweils anderen Staat zu befassen. Insoweit enthalten die Empfehlungen der Opposition, welche die Bundesregierung auf den Weg des Art. 2 verweisen, keineswegs etwa das Ansinnen an die Bundesregierung, sie solle sich vertragswidrig in die inneren Angelegenheiten der DDR einmischen. Das wollen wir immerhin festhalten.Auf der anderen Seite ignoriert die Opposition, was die Bundesregierung an anderer Stelle, bei den Menschenrechtspakten, bemerkt hat. Der angesprochene Vertragspartner unterliegt keiner Einlassungspflicht.
Überhaupt ist es für uns alle hier — und ich glaube, auch für die Offentlichkeit — heilsam, wenn wir uns klarmachen, welche Handhaben die Menschenrechtspakte bieten, unserer Auslegung gemäß andere zu kritisieren, zu mahnen oder gar zur Selbstkorrektur zu veranlassen. Ich brauche das hier nicht im einzelnen auszuführen; das ist nachzulesen auf Seite 2 der Drucksache mit der Antwort der Bundesregierung. Kurz — und immer noch übertrieben positiv — ausgedrückt: Die Handhaben sind bescheiden.Diesem Eindruck scheint sich auch die Opposition nicht verschließen zu können. So erklärt sich ihr Antrag über — so heißt es wörtlich — Verstärkung und Ausbau der Institutionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte. Die Erkenntnis ist, so scheint es, bei der Prüfung unserer Antwort gewachsen: So, wie man sich das bisher gedacht hat, geht es nicht. Man muß erst das Instrumentarium schaffen, das man benutzen will. Sicherlich können wir darüber reden. Der hier ebenfalls zur Debatte stehende Antrag, der zu diesen Fragen etwas Besonderes aussagt, wird für den Vertreter des Auswärtigen Amtes sicherlich Veranlassung sein, sich bei Bedarf dazu zu äußern.Allerdings weist die Bundesregierung von sich aus darauf hin, daß die Menschenrechtspakte völkerrechtliche Verträge sind und daß — wie bei anderen Verträgen auch — die Möglichkeit besteht, wegen Vertragsverletzungen bei dem anderen Vertragspartner vorstellig zu werden. Damit sind wir wieder auf dem bilateralen, dem zweiseitigen Weg. Zu einem zweiseitigen Gespräch — das möchte ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen; dies wird niemanden erstaunen — gehören freilich zwei. Ein Gespräch wird so lange nicht zustande kommen, wie nur die eine Seite redet und etwa an rechtliche Verpflichtungen erinnert und die andere Seite sich taub stellt oder partout nicht mit sich reden läßt. Das ist die Wirklichkeit. Meine Damen und Herren, die schönsten Vorschläge und Anregungen nutzen nichts, wenn die andere Seite auf ihrer Interessenlage besteht und sich nicht dazu bequemt, darauf einzugehen.
— Sie wissen ja gar nicht, wie oft wir das schon gemacht haben. Wir kommen dabei interessanterweise immer wieder zu Ergebnissen. Das halten Sie nicht für möglich, aber wir schaffen das, weil wir nämlich politisch tätig sind und nicht nur Phrasen dreschen. Die andere Seite weiß das auch genau, und wir verständigen uns. Sie profitieren doch ebenfalls von den Ergebnissen. Ich freue mich, daß auch Sie neuerdings Ihre Freunde auffordern, in größerer Zahl in die DDR zu reisen und all die Möglichkeiten, die wir vertraglich vereinbart haben, mit zu nutzen. Ich finde, das ist schon ein großartiges Ergebnis. Nun leugnen Sie doch nicht, daß wir tatsächlich etwas erreicht haben!
— Auf das Geld komme ich auch noch zu sprechen. Sie sind ein Kleinkrämer. Sie zahlen jeden Preis, wenn Sie im Süden Kurtaxen oder ähnliches bezahlen müssen, um Sonne zu kaufen. Sie reden viel von den deutschen Brüdern und deutschen Schwestern. Wenn wir aber Straßen bauen, damit wir auch bequem nach Berlin fahren können, fangen Sie an nachzurechnen.
Unser neuestes Ergebnis — auch das will ich gleich vorwegnehmen — hat Sie ja wieder auf die Palme gebracht.
— Sie können mich doch nicht unterbrechen. Ich weiß, daß Ihnen das letzte Ergebnis nicht paßt. Sie müssen dies aber immer wieder hören, denn es wurmt Sie, daß wir diese Erfolge haben.
Sie haben Ihre kostbare Zeit verpaßt. Wollen Sie die Erfolge immer noch leugnen?
Mein lieber Herr Jäger, fragen Sie einmal Ihre Kollegen, die immer schön bestätigen, daß wieder ein_ mal ein Menschenpaar zum Glück gebracht wurde, und das tausendfach und häufiger im Jahr. Sie müssen das bitte alles im Zusammenhang sehen. Das eine kann nicht von dem anderen getrennt werden. Sie haben zwanzig Jahre lang geredet und nichts bewirkt. Jetzt haben wir Hunderte von Vereinbarungen in einzelnen Fragen, die das Leben der Menschen in beiden Teilen Deutschlands berühren und erleichtern.Zu dem Geld nun noch einmal eines: Wir zahlen jene 50 Millionen DM jetzt als Pauschalbetrag, damit die Autoreisenden in die DDR nicht die
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Bundesminister FrankeSchwelle benutzen können, zu sagen: Weil uns das 10 oder 25 DM Straßenbenutzungsgebühr kostet, fahren wir nicht mehr dorthin. — Deshalb haben wir die Zahlungen in einer Pauschalsumme übernommen. 25 % unserer Bevölkerung haben ständige Kontakte zur DDR, und es sind nicht die Wohlhabendsten, die diese Kontakte pflegen. Ich denke, es ist auch ein Akt solidarischer Verpflichtung, wenn wir uns an den zusätzlichen Belastungen, die diesen Menschen entstehen, beteiligen. Meine Damen und Herren, provozieren Sie doch nicht Erinnerungen an vergangene Zeiten, in denen wir einmal Panzer und Munition gekauft haben, die es gar nicht gab. Erinnern Sie sich doch einmal an die Zeiten, in denen Sie politische Preise für ganz komische Bereiche gezahlt haben!
Ich meine nicht Sie persönlich, denn Sie waren noch gar nicht dabei. Die Erinnerung an diese Zeiten wird aber immer notwendiger sein.Meine Damen und Herren, ich bin durch Ihre Zwischenrufe eben dazu verleitet worden, das hier in aller Deutlichkeit zu sagen. Aber ich will, um in der Sache weiterzukommen, jetzt zu den Dingen im einzelnen sprechen, die uns bewegen.In der Tat ist es im innerdeutschen Verhältnis so, daß grundsätzliche Unterschiede zwischen uns und der DDR weit auseinanderliegende Interessen ohne gemeinsame Grundnenner hervorbringen. Solche Interessen ohne gemeinsamen Grundnenner müssen wir dann in einem Kompromiß gegeneinander aufwiegen. Das Schwierige dabei und auch bei der nachträglichen Bewertung besteht darin, daß solche Interessen miteinander in Beziehung gebracht werden müssen, die von Hause aus nichts miteinander zu tun haben.Es ist der Entspannungspolitik zu danken, daß diese Methode für das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten überhaupt Anwendung finden kann. Dadurch ist es gelungen, für das Leben vieler Deutschen wesentliche Erleichterungen durchzusetzen und sie damit auch bei der Ausübung ihrer Menschenrechte zu unterstützen. Diese Fortschritte sind erzielt worden, weil wir eben die Menschenrechtsfrage nicht frontal angehen, sondern so, daß den Interessen einzelner Menschen gedient wird. Das jedenfalls hat sich als die effektivste Methode erwiesen.Das jüngste Beispiel für den Interessenausgleich liegt erst wenige Wochen zurück — ich habe Ihnen das eben dargestellt —, das Abkommen vom 31. Oktober 1979, das die gegenseitige Befreiung von der Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer bzw. der Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen und Omnibusse zum Inhalt hat, sowie das Protokoll über die Vereinbarung einer Pauschalabgeltung von Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen aus der Bundesrepublik. Um es auf den Punkt, um den es hier geht, zuzuspitzen: Während die Opposition die Bundesregierung auffordert, sie solle mit der DDR über den Abbau der DDR-Grenzsicherungsanlagen verhandeln, bringt die Bundesregierung ein Zwischenergebnis zustande, durch das die Grenze praktisch durchlässiger wird,
nämlich durch Abbau der Schwelle der individuellen Straßenbenutzungsgebühr für West-Berliner und Westdeutsche.Sie müssen dieses Thema der Kosten einmal in Berlin ansprechen. Für die Tagesbesucher, die in den Ostteil der Stadt fahren und bisher jedesmal 10 DM berappen mußten, übernehmen wir diesen Betrag jetzt. Ist das nicht vertretbar? Das ist gut angelegtes Geld, wenn man Deutschlandpolitik, wie Sie immer so sagen, ernst nimmt und das, was möglich ist, jetzt auch praktiziert.
— Natürlich kriegen die Geld dafür. Sie nehmen es. Aber wollen Sie denn daran menschliche Begegnungen scheitern lassen? Ich habe Ihnen Beispiele genannt, und ich stehe dazu: Das sind Investitionen in Deutschlandpolitik, wie wir sie verstehen. Straßenbau und die Erhaltung von Bekanntschaften dienen dem Zusammengehörigkeitsgefühl mehr als plakative Reden und Demonstrationen hier, die drüben gar nichts bewegen.
In Verbindung mit dem, was ich nannte, haben wir außerdem erreicht, daß die DDR im grenznahen Bereich für weitere 1200 000 Bewohner der Bundesrepublik die erleichterte Einreise in die DDR ermöglicht. Damit gibt es auf unserer Seite wiederum Angebote, die wahrgenommen werden müssen. Ich bitte Sie, gemeinsam dafür zu wirken, daß diese Gelegenheiten genutzt werden.Es scheint bei uns Leute zu geben, die sich die Köpfe heiß rechnen, um herauszufinden, daß der vereinbarte künftige Verzicht auf die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Lkw und Omnibusse der DDR keinerlei Mindereinnahmen verursacht. Da brauchen sie gar nicht lange zu rechnen. Das kann ich nur bestätigen, das ist nämlich nicht falsch. Die wollen das nicht bezahlen. Aber wir wollen, daß möglichst viele Menschen reisen. Da das nicht anders zu machen ist, beteiligen wir uns daran. Das Ergebnis nehmen Sie ja schließlich auch für sich in Anspruch.Das Befreiungsabkommen und die dazu nötigen hiesigen Voraussetzungen wurden von uns vor allem deshalb angestrebt, um im Interesse unseres gewerblichen Straßengüterverkehrs bisher bestehende Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Das ist gelungen, wenn auch das Gewerbe, wie ich höre, weiterhin Grund zu klagen sieht. Aber wer hat schon einmal eine Lobby gesehen, die sich durch eine Maßnahme von Vater Staat voll zufriedengestellt sieht?Zum anderen haben wir die Pauschalierung erreicht, und zwar auf volle zehn Jahre. Die Pauschale zahlt der Steuerzahler, also die Allgemeinheit, zugunsten derjenigen, die die Reise- und Besuchsmöglichkeiten in die DDR wahrnehmen. Ich finde, das ist richtig und in Ordnung. 75 % der Bundesbürger un-
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Bundesminister Franketerhalten keine privaten Kontakte und Verbindungen in die DDR. Das eine Viertel, welches die Verbindung durch Reisen hält, kann von der Allgemeinheit schon erwarten, in seinen finanziellen Aufwendungen entlastet zu werden. Es handelt sich — ich wiederhole es — um einen jährlichen Betrag von 50 Millionen DM. Das bedeutet, auf jeden Bundesbürger entfällt weniger als eine Mark zur Entlastung derjenigen von uns, die bei ihrer Reise in die DDR bislang im Durchschnitt 10 DM an Straßenbenutzungsgebühren zu entrichten haben. Ich glaube, das ist eine Anforderung, die man vertreten kann.Für die Pauschalierung als solche sprechen noch zwei weitere gewichtige Gründe. Wir haben jetzt im Bereich der Straßenbenutzungsgebühren auf zehn Jahre eine eindeutige Vertragslage mit der DDR. Die hatten wir bisher nicht. Die DDR wäre nicht gehindert gewesen, wie es bisher war, für alle Kategorien von Fahrzeugen — für Lkws, Busse wie Pkws — die Gebühren nach Bedarf zu erhöhen. Dadurch, daß sie sich durch die Vereinbarung mit uns gebunden hat, kommt ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Stabilisierungselement in die innerdeutschen Verkehrsverhältnisse.Das ist das eine. Zum anderen erhoffen wir uns von der Pauschalabgeltung der bisher individuell erhobenen Gebühren einen Ermunterungseffekt bei denjenigen, die hin und wieder die Gelegenheit haben, sei es nach Ost-Berlin, sei es in die DDR zu fahren. Das gilt insbesondere für die Tagesreisen von West-Berlinern und im grenznahen Verkehr, der ja — ich sagte es schon — vom Kreis der Berechtigten her eine beachtliche Ausweitung erfahren wird.Daß dies keine falsche Rechnung ist, will ich Ihnen, meine Damen und Herren, demonstrieren. Als es durch unsere Vereinbarung möglich wurde, mit dem eigenen Pkw in die DDR zu fahren, fuhren im Jahre 1971 87 000 Pkws in die DDR. Innerhalb von sechs Jahren steigerte sich diese Zahl auf 870000. Das ist eine beachtliche Steigerung — ich denke, wir sollten das sehen —, und zwar eine Steigerung um mehr als 900 %. Wenn wir nun auch noch die Individualbelastung abnehmen, wie wir das auch schon beim Transitverkehr gemacht haben, werden die Straßen mehr in Anspruch genommen. Ich denke, es ist unser gemeinsames Ziel, die Begegnung zu erleichtern. Dann hören Sie auf mit Ihrem krämerhaften Verhalten!Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf ein Thema eingehen, das in den letzten Wochen häufiger diskutiert wurde: die Einführung der Abrüstungs- bzw. Rüstungskontrollthematik in die innerdeutschen Gespräche. Ich bin der Meinung, wir sollten da nicht so zugeknöpft sein, wie Herr Kollege Mertes es vorschlägt. Warum sollten wir zu diesem Thema nicht ebenso Standpunkte und Beurteilungen mit der DDR austauschen, wie wir das mit anderen Ländern des Warschauer Pakts auch tun?Außerdem: Im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag von 1972 haben wir mit der DDR vereinbart, uns gegenseitig zu konsultieren — ich zitiere wörtlich — „über Fragen von beiderseitigem Interesse, insbesondere solche, die für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung sind".Beiderseitiges Interesse an Sicherheitsfragen bedeutet, daß jeder dem anderen ein gleiches Interesse an Sicherheit und Abrüstung zubilligt, ein gleiches Interesse und ein gleiches Recht auf Sicherheit. Auf dieser Basis sind Gespräche wie die, die zwischen Staatssekretär van Well und dem Ständigen Vertreter der DDR, Moldt, geführt werden, nützlich; denn wenn Fortschritte zu einem stabileren militärischen Gleichgewicht in Europa erzielt werden sollen, und zwar Fortschritte nicht durch Auf-, sondern Abrüstung und durch vereinbarte Begrenzung, dann muß auf beiden Seiten das Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse des anderen zunehmen. Hier, so glaube ich, liegt im Gespräch der beiden deutschen Staaten untereinander ein echter Nutzen. Hier können sie den beiden Bündnissen, denen sie angehören, die jeweils ihre Sicherheit garantieren, einen Dienst erweisen.Es geht dabei, wie gesagt, um gegenseitige Information, um den Austausch von Standpunkten und Beurteilungen, nicht um Verhandlungen mit dem Ziel, zu Vereinbarungen zu gelangen. Das ist Aufgabe der Bündnisse, Wenn die beiden deutschen Staaten solches versuchen wollten, würden sie sich nicht nur Mißverständnissen auf beiden Seiten aussetzen, sondern sich auch schlichtweg übernehmen.Ganz zum Schluß, aber nicht abgehoben von der derzeitigen Diskussionslage, möchte ich die Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß die innerdeutschen Beziehungen, wie die Entspannung in Europa überhaupt, mehr Stabilität besitzen, als es, oberflächlich betrachtet, manchmal scheinen mag. Hierauf können die beiden deutschen Staaten bauen. Die Aussicht auf relative Entspannung, auf Stabilität in Europa sichert beiden Staaten die Möglichkeit, die vertraglich vereinbarte Politik der Normalisierung fortzuführen. Darum wird die Bundesregierung alles tun, was dieser Zielsetzung dient.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Herr Jahn hier davon gesprochen hat, daß die Antwort der Bundesregierung auf unsere Großen Anfragen ein Dokument der Nüchternheit gewesen sei, so können wir dazu nur sagen: Es ist wohl vielmehr ein Dokument der Ernüchterung nach zehn Jahren des Mißerfolgs in einer Politik,
zehn Jahre, seitdem SPD und FDP hier im freien Teil Deutschlands das vollzogen haben, was sie damals als Machtwechsel bezeichnet haben.
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14668 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Graf HuynWir können heute Bilanz ziehen
über zehn Jahre Deutschlandpolitik dieser Koalition. Meine Herren von der SPD, Sie können ja Ihre eigenen Maßstäbe anlegen. Es war Ihr damaliger Bundeskanzler Willy Brandt, der in seinem ersten Bericht zur Lage der Nation am 14. Januar 1970 von diesem Platz aus erklärt hat, „daß die Bundesregierung nur dann über vieles mit sich reden lassen wird, wenn dabei gleichzeitig auch Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland herauskommen".
— Ja, hören Sie nur zu. Er hat gesagt:
... ein Vertrag zwischen der DDR und uns darf nicht, darf nie zu einer Nebelwand werden, hinter der alle die Menschen belastenden Tatbestände unverändert blieben.Meine Damen und Herren, heute müssen wir fragen: Was ist denn für die Menschen drüben herausgekommen? Tatsache ist doch, daß in dem Zwangsarbeiter- und Mauernstaat, der sich Deutsche Demokratische Republik nennt, die Rechte der Menschen noch nie so mit Füßen getreten worden sind wie heute. Wenn Herr Jahn von diesem Platz aus erklärt, unser Menschenrechtsverständnis werde von der Mehrheit der Welt nicht geteilt, insbesondere nicht von den kommunistischen Staaten, obwohl sie die Menschenrechtspakte ratifiziert haben, und wenn er meint, man könne aus formaljuristischen Gründen nichts dagegen tun, dann muß ich ihn fragen: Herr Jahn, hätten Sie etwa auch gegen die Diktatur eines Adolf Hitler mit diesen Argumenten und mit diesen Worten argumentiert?
Die Lage für die Menschen hat sich nicht verbessert, sie hat sich verschlechtert.
Wir können feststellen, daß die Verletzung des Menschenrechts in den Staaten des sogenannten real existierenden Sozialismus systemimmanent ist — von Vietnam über Äthiopien bis nach Mozambique und Angola und selbstverständlich von der Sowjetunion über die mittelosteuropäischen Satellitenstaaten bis hin zur DDR.
Gerade vor wenigen Tagen sind in der Tschechoslowakei Menschen verurteilt worden, sind in Polen Menschen festgenommen worden. Herr Jahn, ich kann nur sagen: Sie fallen diesen Menschen in den Rücken, wenn Sie so argumentieren, wie Sie es gerade hier getan haben.
Das einzige „Verbrechen" dieser Menschen bestand darin, daß sie versucht haben, Ansätze jener Menschenrechte für sich in Anspruch zu nehmen, zu deren Einhaltung sich eben ihre kommunistischen Regime vor aller Welt feierlich verpflichtet haben. Aber nirgends werden die Menschen mit solchemZynismus und solcher Brutalität unterdrückt wie in Mitteldeutschland.Natürlich geht es, Herr Bundesminister Franke, hier um den einzelnen Menschen, sicher. Nur, was ist für den einzelnen Menschen drüben erreicht worden? Am 1. August dieses Jahres — ausgerechnet am 1. August! — konnte man im „Neuen Deutschland" lesen:Die DDR tut alles, um ihren Beitrag zur Verwirklichung der Schlußakte von Helsinki als Ganzes zu leisten.Meine Damen und Herren, dies ausgerechnet an jenem selben 1. August, an dem das verschärfte Staatsschutzrecht von Ost-Berlin in Kraft gesetzt wurde!
Durch dieses sogenannte 3. Strafrechtsänderungsgesetz wird noch der letzte Rest von Freiheitsraum der mitteldeutschen Bevölkerung
geknebelt. Die international üblichen journalistischen Tätigkeiten werden zu einem kriminellen Delikt gestempelt. Wer Nachrichten weitergibt, die nicht der Geheimhaltung unterliegen, kann Freiheitsstrafen bis zu zwölf Jahren erhalten.
Ja, selbst ein Rentner aus Mitteldeutschland, der sich etwa in einem Brief über seine schlechte Rente beklagt, kann mit drei Jahren Gefängnis bestraft werden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung hier nicht hinter dem Europäischen Parlament zurücksteht, das vor wenigen Wochen diese Gesetzgebung als — ich zitiere wörtlich — „menschenunwürdig" bezeichnet hat.
Wir erwarten auch, daß sie die Unterzeichnerstaaten der Internationalen Menschenrechtskonvention sowie die Signatarmächte von Helsinki offiziell über diese Verletzungen der eingegangenen Verpflichtungen unterrichtet.
Auch wenn wir die Lage der politischen Häftlinge betrachten, müssen wir feststellen, daß sie sich in diesen Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert hat.
Einst sangen die KZ-Häftlinge des Nationalsozialismus bei ihrer zermürbenden Zwangsarbeit das „Moorsoldatenlied", das mit folgendem Refrain endet:Wir sind die Moorsoldaten und wandern mit dem Spaten ins Moor, ins Moor.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14669
Graf HuynNachdem nun in Mitteldeutschland die braunen von den roten Faschisten abgelöst worden sind, singen die politischen Häftlinge das Lied nach derselben Melodie mit dem Refrain:Es ist das Zuchthaus Cottbus Symbol des Sozialismusin Aktion.Im diesjährigen Jahresbericht von „Amnesty International" heißt es über Cottbus u. a.: Schläge durch Aufsichtspersonen kamen immer häufiger vor. Viele wurden mit nur einer heißen Mahlzeit alle drei Tage in Sonderhaft gehalten. Im Januar 1978 verweigerte eine Anzahl von Insassen dieses Gefängnisses die Arbeit mit der Begründung, daß Arbeit für Gefangene offiziell als freiwillig gilt. Die Gefängnisverwaltung soll folgendermaßen reagiert haben: Sie reduzierte die Essensrationen der Gefangenen, erlaubte ihnen lediglich, Unterwäsche und Socken zu tragen, und zwang sie, in dieser Bekleidung Schnee zu schaufeln.
Einige der Gefangenen sollen immer wieder geschlagen worden sein, wobei sie gebrochene Schlüsselbeine, gebrochene Kiefer, ausgeschlagene Zähne und in einem Fall eine gerissene Niere davontrugen.
— Herr Marx, Sie haben recht: nicht in Chile, sondern in Deutschland. Aber davon hört man hier leider nur allzuwenig.In einem mir vorliegenden Brief, unterzeichnet von zwei ehemaligen Häftlingen aus Cottbus, heißt es wörtlich:Die Zustände in den DDR-Zuchthäusern 1979 spiegeln durchaus nicht eine Bereitschaft zur Entspannung und zu größerer Respektierung der ursprünglichsten Menschenrechte wider, sondern zeugen nach wie vor eher vom Gegenteil. Es muß wieder einmal gesagt werden: Unsere bundesdeutschen ernst zu nehmenden Massenmedien greifen begierig jede Verletzung der Menschenwürde bei der Behandlung von Terroristen im eigenen Lande auf und berichten seitenlang über Ungerechtigkeiten in fremden Ländern. Aber wer publiziert über die menschenverachtenden Zustände in den DDR-Gefängnissen für politisch Andersdenkende? In Cottbus hat es eine Selbstverbrennung gegeben. Wer berichtet davon? In Cottbus ist ein politischer Häftling an Herzinfarkt verstorben, nur weil von den Wachmannschaften jegliche medizinische Soforthilfe verweigert wurde. Wer berichtet darüber? In Cottbus hat ein weiterer politischer Gefangener Selbstmord begangen. Ist das auch so unwichtig, daß man einfach darüber hinweggehen kann?Soweit die ehemaligen Häftlinge. Mir liegen ähnliche Berichte aus dem Zuchthaus Brandenburg und aus der Strafanstalt Naumburg vor.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist sehr gut, wenn bei uns in der Presse die Namen Prominenter genannt werden, denn damit wird ihnen geholfen, ob es Nico Hübner war, ob es Sacharow ist, ob es Vaclav Havel ist. Aber es geht hier auch um die Tausenden von Unbekannten!
Dadurch, meine lieben Freunde, daß wir ihre Namen nennen, können wir vielen unschuldigen Menschen helfen.Zu Recht hat Nico Hübner vor wenigen Tagen erklärt, es sei unanständig von Bahro gewesen, einfach schlicht zu sagen, er sei drüben in der Haft gut behandelt worden, ohne die Begründung hinzuzufügen, nämlich weil er durch die westlichen Veröffentlichungen ein Prominenter geworden war. Neben ihm, so fügte Nico Hübner hinzu, habe es auch Selbstmorde gegeben.Ein besonders übles Kapitel ist die wirtschaftliche Ausbeutung der politischen Gefangenen. Nico Hübner beispielsweise, der in Bützow-Dreibergen 13 Monate lang in der Tischlerei arbeitete, bekam für diese lange Zeit ganze 375 Mark ausgezahlt. Für einen Hungerlohn im wahrsten Sinn des Wortes müssen politische Häftlinge etwa Practica-Spiegelreflexkameras oder SVIT-Hängelampen herstellen. Dies muß bei uns weit mehr bekannt werden, damit nicht westliche Firmen solche Waren mit gutem Gewissen im freien Teil Europas vertreiben können,
zumal wenn man erfährt, daß solche Gegenstände von 14- bis 16jährigen etwa im Jugendzuchthaus Halle im Akkord hergestellt werden müssen,
in Akkordarbeit, die sonst von den Propagandisten der „sozialistischen Errungenschaften" natürlich als kapitalistische Schmach verachtet wird.Herr Bundesminister Franke, Sie haben hier zwar gesprochen, aber Sie haben nicht sehr viel gesagt. Ich fordere Sie in aller Form auf, vor diesem Hohen Haus einmal ein klares Wort zu der von Ost-Berlin verfügten sogenannten Amnestie zu sagen. Wie viele politische Häftlinge sind denn nun eigentlich in die Freiheit entlassen worden? Oder werden sie nur in das KZ, das sich DDR nennt, entlassen? Und müssen sie dann zusätzlich noch von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft werden? Wieviel haben Sie denn für Nico Hübner oder für Herrn Bahro zusätzlich bezahlt — wie man aus Ihrem Haus hören kann?
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb am 7. November 1979 zur Amnestie:Die in regelmäßigen Abständen erfolgenden Massenamnestien in der DDR zeigen, daß sich dort immer wieder derartige Massen von Strafgefangenen ansammeln, daß der Strafvollzug die damit verbundenen Probleme nicht mehr bewältigen kann. Dies wird durch Hälftlingsberichte aus den letzten Jahren bestätigt. Wie ein übergefräßiges Tier spuckt das Strafrechtssy-
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14670 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Graf Huynstem der DDR von Zeit zu Zeit die Nahrung, die es nicht mehr verdauen kann, wieder aus. Ohne diese elementare Reaktion müßte das Tier an Verstopfung zugrunde gehen.Damit zeigt sich eine weitere Seite des Problems der Amnestien in der DDR. Würde der Strafvollzug in der DDR nicht in regelmäßigen Abständen die Lager wieder räumen , so könnte er keine Neuzugänge mehr verarbeiten ... Die Amnestien sind daher nicht Ergebnisse reiner Humanität und auch nicht nur Aktionen zur Entlastung von Überschuß, sondern geradezu die für die Fortexistenz des Strafrechtssystems der DDR lebensnotwendige Voraussetzung.Soweit die „Frankfurter Allgemeine Zeitung".Wenn hier von Freikauf gesprochen wird, dann halten Sie uns immer entgegen, Herr Franke, dies sei ja eine Praxis, die von CDU/CSU-geführten Regierungen begonnen worden sei.
Nur, es gibt hier einen grundlegenden Unterschied. Früher mußten wir zahlen. Denn es gab weder staatsrechtliche Beziehungen zwischen Bonn und Ost-Berlin noch einen Grundlagenvertrag oder andere Verträge.
Es gab keine Menschenrechtskonvention, die von Ost-Berlin feierlich unterzeichnet worden ist. Es gab auch kein von den SED-Machthabern unterzeichnetes Helsinki-Protokoll und auch keine Versprechungen eines deutschen Bundeskanzlers, Herr Franke, daß für diese Menschen etwas herauskommen werde, wenn man über andere Dinge mit sich reden lasse. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut!)Am schändlichsten ist es jedoch, daß die SED-Machthaber, nicht nur in ihrem eigenen Machtbereich die ihnen unbequemen Menschen jagen, sondern daß sie auch in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn Deutsche einfangen lassen, sie nach Mitteldeutschland kostenlos überstellen
und dann für die Auslieferung in den freien Teil Deutschlands aus unseren Steuergeldern als Kopfquote fünf- und sechsstellige Beträge kassieren, die im Staatssäckel der Ost-Berliner Unterdrücker verschwinden.Ich fordere die Bundesregierung auf, die Regierungen der Tschechoslowakei, Polens und Ungarns zu fragen, wie lange sie diese schlecht bezahlten Hilfsgefängniswärterdienste noch für ihre sozialistischen Brüder in Ost-Berlin betreiben wollen. Am liebsten freilich würden die SED-Machthaber gleich Pauschalbeträge wie für die Straßenbenutzungsgebühren kassieren.Wenn der damalige Bundeskanzler Brandt 1970 von der Nebelwand gesprochen hat,
„hinter der die Menschen belastenden Tatbestände nicht unverändert liegenbleiben" — ich zitiere Ihren abgedankten Bundeskanzler, Herr Kollege —, so muß ich die Bundesregierung heute bezichtigen, diese Nebelwand selbst mit aufzurichten, damit der Eindruck entsteht, heute zahle niemand mehr etwa Straßenbenutzungsgebühren. In Wirklichkeit ist es doch so, daß sie heute nicht mehr von den Benutzern, sondern von allen Bürgern des freien Teils Deutschlands bezahlt werden. Für zehn Jahre kann die Bundesregierung ja heute jedem in Deutschland sagen: Mit zehn Mark sind Sie dabei!Der Herr Bundeskanzler hat ja vor, noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl mit Herrn Honecker zu sprechen. Der Herr Bundeskanzler soll das tun. Nachdem die Regierung dieser Koalition dem Zonenregime internationale Anerkennung verschafft hat, ist es auch ihre Pflicht, die Konsequenzen daraus zu ziehen und das Beste daraus zu machen. Aber der deutsche Bundeskanzler muß dann auch den Mut haben, diejenigen Punkte auf die Tagesordnung zu setzen, auf die es im gespaltenen Deutschland ankommt: zum einen die Abschaffung des Schießbefehls — hierzu gehören natürlich auch die Todesautomaten —, zum anderen die Abschaffung oder zumindest die Herabsetzung der Altersgrenze für Besuche im Westen.Oder will der Bundeskanzler nur über Veterinärabkommen oder, wie Sie, Herr Franke, wieder vorgeschlagen haben, über Sicherheitsfragen sprechen, die einzig und allein auf die Ebene der Ost-WestAbrüstungsgespräche
und nicht auf die Ebene innerdeutscher Gespräche gehören?
Wer allerdings meint, man könne den Ost-Berliner Machthabern solche Tagesordnungspunkte nicht zumuten, macht sich eben jener Selbstfinnlandisierung schuldig, die der amerikanische Sicherheitsberater Brzezinski der Bundesregierung vorgeworfen hat.
Meine Damen und Herren, die Alternative zu einer Politik der Vorleistungen ist eine Politik der Leistung und Gegenleistung Zug um Zug. In der Frage der Menschenrechte gibt es keine Einmischung in innere Angelegenheiten, zumal Deutschland für uns immer eine innere Angelegenheit ist. Dies gebietet uns nicht nur der Auftrag des Grundgesetzes, das gebietet uns unser Gewissen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlaga.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Jäger, das, was Sie gebracht haben, war zwar nicht lustig, aber manches
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14671
Schlagavon dem blieb doch zum Karikieren übrig. Am Anfang sprachen Sie so im Solschenizyn-Sound,
dann im Sound der „Nationalzeitung" und des „Deutschland-Magazins", und dann — oh Wunder! — waren Sie auf einmal wie die „Welt der Arbeit". Die wissen nur noch nichts von ihrem Glück, daß Sie sich inzwischen als freier Mitarbeiter eingeschlichen haben.
Sie, Herr Huyn, haben in der Form einer Zeitung gesprochen, die es schon lange nicht mehr gibt, und Hitler in einen entsprechenden Zusammenhang gebracht, ohne zu wissen, daß das, worüber wir heute hier sprechen, worum wir seit mehr als 40 Jahren ringen, ja gerade durch Hitler verursacht ist. Das vergessen Sie in Ihren Reihen offensichtlich immer wieder.
Ich meine, daß Sie möglicherweise mit den falschen Häftlingen gesprochen haben. Daß in den Haftanstalten drüben keine rosigen Zustände herrschen, ist niemandem von uns neu. Daß es kein Hotelaufenthalt ist, wissen wir; das ist es bei uns auch nicht.
— Hören Sie doch einmal bis zum Schluß zu. Sie werden noch einiges zu hören kriegen. — Im übrigen: Was den Verdienst in den Haftanstalten dort angeht, so ist er bei uns auch nicht viel höher.
So wie Sie hier agitieren,
ganz gleich, ob Sie das sind oder ob das Graf Huyn ist, werden Sie in Zukunft kaum noch einen Häftling freibekommen. Das wollte ich Ihnen zur Kenntnis geben.
Es ist wirklich erstaunlich, wie kaltschnäuzig und aberwitzig Sie hier als Opposition auftreten, nachdem Sie 20 Jahre lang nichts getan und 20 Jahre kostbarster Zeit verplempert haben.
Diese Zeit hat sich auch in einer hier und da schon feststellbaren Entfremdung zwischen Menschen in unserem und in dem anderen Land niedergeschlagen.
Das geschieht nach zehn Jahren destruktiver Opposition gerade auf deutschlandpolitischem Gebiet.
Sie reden, Sie protestieren, und Sie resolutionieren, aber Sie bewegen nichts und haben auch in der Vergangenheit nichts bewegt.
Sie wollen ausgerechnet die Bundesregierung, die auf diesem Gebiet Erhebliches geleistet hat,
darüber belehren — das haben Sie die ganze Zeit getan —, was sie zu tun hat, wie sie etwas zu tun hat, warum sie etwas so und nicht anders zu tun hat, was sie falsch gemacht hat. Merken Sie gar nicht, wie sehr Sie sich dabei blamieren?Sie haben zu allen ost- oder deutschlandpolitischen Initiativen in der Vergangenheit nein gesagt. Sie haben zu KSZE nein gesagt, Sie haben zu den Ostverträgen nein gesagt, und Sie haben zu einem großen Teil zum Beitritt der beiden deutschen Staaten zu den Vereinten Nationen nein gesagt.
Deswegen halte ich das für anmaßend und schizophren, was Sie hier heute veranstalten. Sie haben sich geweigert, den Baum der Entspannung zu pflanzen, aber Sie verlangen nun zuerst die Äpfel von diesem Baum.
Statt mitzuhelfen, die bedeutenden Erfolge der Bundesregierung auf diesem deutschlandpolitischen Gebiet
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14672 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Schlagain der Öffentlichkeit publik zu machen, sagen Sie nach wie vor zu allem nein, klagen die Bundesregierung zu Unrecht an und treiben die totale Obstruktion. Das liegt natürlich in der Strategie Ihres Kanzlerkandidaten. Sonthofen mag zwar Weimar sein,
aber Sie können sicher sein, daß Bonn niemals Weimar wird. Es mag auch sein, daß es in Ihren Reihen den einen oder anderen sehr, sehr Konservativen oder Reaktionären gibt, der sich mit oder ohne Absicht mit einem der letzten Stalinisten die Bälle zuwirft.
— Wissen Sie, wir erleben das oft an der Basis, und das erleben Sie auch. Sie werden z. B. aufgefordert, an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. Wenn an dieser Podiumsdiskussion unter anderem auch ein DKP-Mensch teilnimmt und Sie das erfahren, bleiben Sie fern, spielen nicht mit und überlassen uns den Part. Wir setzen uns mit denen gerade in den Fragen hart auseinander, die hier heute zur Debatte stehen.
Hinterher werden wir dann von Ihnen auch noch beschimpft und diffamiert, daß wir so verfahren sind. Und hier im Deutschen Bundestag tadeln oder diffamieren Sie uns, weil wir uns angeblich nicht genug mit jenen Kräften kritisch auseinandergesetzt haben, um die es hier geht, bei denen wir mehr Menschenrechte erreichen wollen. Sie haben sieben Anträge eingebracht — ich finde das außerordentlich aufgeblasen —, und Sie haben nichts ausgelassen, was geeignet ist, ein bißchen oder auch ein bißchen viel Porzellan zu zerschlagen.Da geht es unter anderem um den Antrag 8/3205 hinsichtlich der Zustände in den Haftanstalten der DDR. Die Bundesregierung, die im übrigen eine sehr gute, eine sehr fundierte Antwort gegeben hat,
verweist darauf, daß sie gerade in diesem sensiblen Bereich — ich wiederhole es: gerade in diesem sehr sensiblen Bereich — im Wege besonderer Bemühungen in sehr vielen, nämlich in 12 500, Fällen helfen konnte. Würden wir Ihrem Antrag 8/3205 folgen, ginge ab sofort nichts mehr.Bezüglich der Sensibilität, von der ich sprach, weise ich auf das Spektakel, auf jenen Jahrmarkt hin, der noch vor wenigen Wochen gerade um Nico Hübner gemacht worden ist. Nicht wir waren es, die das veranlaßt haben.
Da müssen Sie zumindest einmal bei einem IhrerProtektoren, bei Herrn Springer, nachfragen, wiedas im einzelnen gelaufen ist. Ich wage es zu bezweifeln, ob die in der DDR noch Einsitzenden davon besonderen Vorteil haben werden.Wir Sozialdemokraten stellen die Hilfe im Einzelfall aus Prinzip selbstverständlich über die propagandistische Anklage gegen die DDR. Was Sie tun, das können wir nicht gutheißen. Deshalb werden und müssen wir unter anderem den Antrag, von dem ich hier sprach, ablehnen. Sie können weiter über die Verhältnisse klagen, über die Haftverhältnisse und das, was da zu den genannten Menschenrechtspakten in Widerspruch steht; Sie können es auf den Seiten 12 und 15 nachlesen. Sicher sind das Verstöße, das bestreitet niemand.
Wenn in der Antwort der Bundesregierung unter anderem steht, daß alle Rechtspflegeorgane bei Strafverfahren der „Durchführung der sozialistischen Gesetzlichkeit" zu dienen haben — wußten Sie das nicht? Das ist natürlich Parteilichkeit. Das verstößt gegen die Menschenrechtspakte. Das ist überhaupt kein Zweifel.Wir sehen aber keine Möglichkeit — das ist für uns genauso bitter wie für viele andere in diesem Land und außerhalb des Landes —, diesen Kern des DDR-Staats- und -Rechtsverständnisses mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu ändern. Das können Sie übrigens in der Präambel zum Grundvertrag nachlesen. In Abs. 5 steht das ganz genau.Die Opposition will das — das ist das Erbe des Hitler-Krieges; das sollten Sie nie bei Ihren Agitationen und bei Ihrer Opposition und bei Ihren Diskussionen vergessen —, die Opposition will das mit friedlichen Mitteln aushebeln können oder wollen? Vielleicht mit der sogenannten Vehikeltheorie, indem Sie Diskussionen um oder für Menschenrechte operativ, offensiv, strategisch, bis hin zu unter Umständen gefährlichen Unruhen in der DDR führen, um dann die Menschen dort so wie 1953 oder wie 1956 in Budapest oder 1968 in Prag — schließlich doch ihrem Schicksal überlassen zu müssen?
— Das scheint mir doch in der Konsequenz zumindest — wenn Sie es nicht beabsichtigen, so doch in der Konsequenz — in Ihren Anträgen liegen zu können.
Sie haben auf dem Gebiet nichts hinzugelernt. Das hat bisher jede deutschlandpolitische Debatte bewiesen.Auch wir sind ungeduldig. Wir sind sehr ungeduldig, etwas zu verändern, hin zu mehr Menschenrechten, nicht nur in der DDR, in der ganzen Welt. Da gibt es so viel zu tun. Nur wir zügeln uns und wir mühen uns dabei um Augenmaß und um das jeweils
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SchlagaMachbare. Ich habe den Verdacht, daß Sie Ihr Engagement und Ihre Ungeduld schauspielern.
Wo läge denn auch — entschuldigen Sie —, wo läge denn auch wohl das Ungeduldsmotiv bei Konservativen?
Wir können uns darüber im Ausschuß unterhalten. Allerdings, wissen Sie, so unbedarft sind Sie natürlich nicht, daß Sie nicht wissen müßten, daß das, was wir vorhaben, ein langer, ein sehr langer Weg, ein sehr schwerer Weg ist.
Mindestens genauso lang ist der Weg zur nur teilweisen Durchsetzung der Menschenrechte, die in den beiden Pakten niedergelegt sind. Trotzdem verlängern Sie als Opposition diesen sehr langen Prozeß noch zusätzlich dadurch — das, meine ich, scheint mir das Kernstück des Unterschieds zwischen Ihrer und unserer Deutschlandpolitik zu sein —, daß Sie zu laut und zu militant und zu wenig verständnisvoll für die besondere deutsch-deutsche Problematik sind.
Die Opposition weiß, daß es laut Pakt für bürgerliche und politische Rechte zwar eine Berichtspflicht gibt, daß aber nichts, daß gar nichts letztlich einklagbar ist, auch nicht bei dem von Ihnen in dem Antrag geforderten Menschenrechtsgerichtshof. Darüber werden wir uns zu gegebener Zeit unterhalten müssen.Im Zusammenhang mit der KSZE meinen viele u. a. auch, in Helsinki stünde ein Amtsgericht, und man könne dahin gehen und dort Menschenrechte reklamieren und einklagen. Dem ist sicher nicht so, gerade bei denen nicht so, die dem widersprochen oder ihre Stimme nicht gegeben haben.
Es gibt auch, was die Pakte betrifft, die Möglichkeit einer Staatenbeschwerde nach Art. 41, dem aber die DDR, wie Herr Jahn schon gesagt hat, nicht beigetreten ist. Deswegen kann sie niemand dort hinzitieren und kann mit ihr dort über das, was in der DDR geschieht, rechten.
Allerdings sind wir der Meinung, daß es einem Staat — also auch der DDR — niemals gleichgültig sein kann und niemals gleichgültig sein wird, sein Verhalten vor einer kritischen Weltöffentlichkeit rechtfertigen zu müssen. Das muß die DDR aber tun,wenn sie ihren Staatenbericht abgibt. Und den hat sie ja inzwischen abgegeben.
Ich will noch eines betonen, und das gilt, was unsere Politik gegenüber der DDR betrifft.
Nur unter Beachtung der realen politischen Situation — und das sollten Sie eben besonders beachten — kann eine Politik der Verankerung und des Ausbaues von Menschenrechten praktiziert werden.
Das sind kleine Schritte, das wissen wir. Das sind kleine Erfolge. In der Summe ist das eine bedeutsame Veränderung.
Das wird aber nicht erreicht durch spektakuläre und propagandistische Forderungen, wie Sie sie gerade eben zum Ausdruck gebracht haben, sehr verehrter Herr Kollege Huyn.Wir Sozialdemokraten brauchen nicht belehrt zu werden, was Menschenrechte sind und wie man sie woanders unter Umständen auch umsetzt. Wir haben in unserer langen Geschichte erlebt,
daß das Inanspruchnehmendürfen von Menschenrechten oft nur dann möglich ist, wenn bestimmte soziale und politische Voraussetzungen erreicht sind. Das können in der Regel ganz einfache Dinge sein: das ist schon Essen und Trinken, das ist Kleidung, das ist ein Dach über dem Kopf, das ist die Chance, Lesen und Schreiben zu lernen und damit schon manchem anderen überlegen zu sein. Oder das ist, daß man Arbeit hat. Ich meine, daß unser Denken über Menschenrechte häufig genug ein eurozentrisches ist
— wir mögen ja sehr unterschiedlicher Meinungsein, aber Sie dürfen das nicht immer so laut sagen —,
daß unser Menschenrechtsdenken doch oft von satten europäischen Kategorien geprägt ist.
Die Welt hat durchaus unterschiedliche Vorstellungen von Menschenrechten. Da gibt es gewachsene ethische und religiös bedingte; da gibt es sozial bedingte.
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14674 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Einen Augenblick, bitte! Herr Abgeordneter Graf Huyn, Sie haben eben gesprochen. Ich gebe Ihnen gern noch einmal das Wort, wenn Sie sich zu Wort melden. Aber jetzt lassen Sie, bitte schön, den Redner sprechen.
Ich wiederhole: Es gibt in der Welt unterschiedliche Vorstellungen von Menschenrechten, eben ethisch und religiös gewachsene oder sozial bedingte. Es gibt in der Welt Menschen, die sich vor Hunger kaum Gedanken darum machen, ob es Pressefreiheit gibt oder nicht. Ich wünschte, daß erst einmal der Hunger beseitigt wird, damit sie sich dann auch um die Pressefreiheit in ihrem Lande mühen können. Oder was interessiert es jemanden, wie man bestimmte Unterdrückungsmechanismen bekämpft, wenn ihm z. B. seine Religion sagt — das gibt es ja bei immerhin über 600 Millionen Menschen in dieser Welt —, daß jeder in seine soziale Schicht hineingeboren wird und dort zu bleiben hat?
Oder wer weiß denn etwas vom Recht auf körperliche Unversehrtheit, für den das grausame Beschneiden z. B. von Mädchen eine unabdingbare Kulthandlung ist?
Ich glaube, wir haben noch eine große Menge Aufklärung zu leisten, um in der Welt überhaupt den Boden für gleiche Rechte und Menschenrechte für alle zu schaffen. Wir wollen ja Menschenrechte für alle und wissen, daß es ein langer Weg ist. Es ist schon ein enormer Erfolg, daß die UN überhaupt diese Menschenrechtspakte zustandegebracht haben. Wir mühen uns mit allen, die guten Willens sind, sie mit friedlichen Mitteln — das versteht sich von selbst — durchzusetzen.
Die DDR hat in ihrem Bereich sicher noch viel nachzuholen. Ich sage hier in aller Deutlichkeit, dieser Staat — ich spreche von der DDR — muß in erster Linie das barbarische Töten an seinen Grenzen - ein Handeln fernab von jeder sittlichen Einsicht — einstellen! Aber mit den Mitteln, mit denen Sie das erreichen wollen, werden Sie es nicht schaffen.
— Darüber werden wir uns an Ort und Stelle unterhalten.
Die Menschenrechte verwirklichen wir durch die Erhaltung des Friedens und durch eine Entspannungspolitik, wie wir sie seit Jahren betreiben, und zwar erfolgreich. Wir haben tausendfältige menschenrechtliche Erleichterungen in der DDR zustande gebracht, die Sie zu keinem Zeitpunkt zustande gebracht haben.
Wir halten es für richtig und erfolgversprechend, wenn die Bundesregierung wegen der deutsch-deutschen Besonderheiten genau prüft, wie sie sich im Interesse weiterer menschlicher Erleichterungen und damit im Interesse der Entwicklung der Achtung der Menschenrechte in diesem Gebiet gegenüber der DDR in jedem einzelnen Fall zu verhalten hat. Diese Verantwortung sind wir uns und unseren Mitmenschen in der DDR schuldig. Aber der Theaterdonner, den Sie hier, nicht erst heute, gerade was die Deutschlandpolitik anbetrifft, aufführen, ist mit Sicherheit das falsche Mittel, um Menschenrechte und menschliche Erleichterungen in der DDR zu verwirklichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.
Frau Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen, sehr geehrte Herren von der Opposition — ich sehe leider keine Dame —, schriftlich auf Ihre beiden Großen Anfragen geantwortet — wie sich das gehört! Schärfen in der Beurteilung der Menschenrechtssituation in der Deutschen Demokratischen Republik wurden dabei vermieden, damit wir uns gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik nicht die Möglichkeit zur Lösung humanitärer Einzelfälle verbauen. Polemik war in dieser Antwort nicht am Platz; denn sie könnte die Hilfe für einzelne Menschen erschweren.Andererseits können wir unsere Beurteilung der Verhältnisse in der DDR keinesfalls großzügiger auslegen, als wir es an anderen Punkten dieser Welt, anderen Staaten gegenüber tun. So weit, so gut.
Trotzdem hat sich Staatssekretär Gaus in Ost-Berlin anhören müssen, daß die Deutsche Demokratische Republik schon unsere sehr maßvollen Äußerungen als Anmaßung und als grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik betrachtet. Ebenso wie Staatssekretär Gaus sollten wir diese Auslegung zurückweisen. Wir lassen uns nicht verbieten, die Verwirklichung der Menschenrechte in den verschiedensten Staaten dieser Welt zu beobachten, zu beurteilen, zu bewerten, von niemandem — auch nicht von der DDR! Dies ist keine Einmischung in innere Angelegenheiten! Gewiß, in mancher Situation schaut man nicht gern in den Spiegel, schon gar nicht, wenn einem ein anderer diesen Spiegel vorhält.
Dies aber wollen wir in diesem Fall tun, wenn Sie so wollen, sehr geehrte Herren von der Opposition, in gutnachbarlicher Manier. Sie gebrauchen diese Formulierung in einem Ihrer Anträge — hervorragend, ich komme noch darauf. Wir betrachten das wirklich nicht als Einmischung in innere Angelegenheiten
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14675
Ludewigder Deutschen Demokratischen Republik. Noch einmal: Die Bundesregierung und der Bundestag achten die Unabhängigkeit der DDR in äußeren und inneren Angelegenheiten. Dem widerspricht es aber nicht, wenn wir festsellen, daß Menschenrechtsverletzungen die politischen Beziehungen beider deutscher Staaten außerordentlich belasten.
Wenn aber von Ihnen, Herr Jäger, Formulierungen wie „Untätigkeit der Regierungsfraktion" gebraucht werden, geht das kerzengerade an den Dingen vorbei. Wenn Sie, Graf Huyn, anklagen, wenn Sie Einzelheiten nennen, wenn Sie Zustände im Zuchthaus Cottbus anprangern, gerade so, als hätten die Bundesregierung oder die Regierungsfraktionen dafür die Verantwortung zu tragen,
dann ist das auch eine Überspitzung, die in der Öffentlichkeit völlig falsche Bilder erzeugt.
Gut war es aber, daß Sie aufgezählt haben, was es alles noch nicht gegeben hat, solange die CDU die Regierung geführt hat. Das letzte, der Tief stand in den Beziehungen, der Tiefstand der Ratlosigkeit waren mit der Aufforderung erreicht, zum Gedenken an die Deutschen jenseits der Zonengrenze damals Kerzen in die Fenster zu stellen.
Gott sei Dank sind wir, sicher durch gemeinsame Arbeit, inzwischen zu einem ganz anderen Stand gekommen.
— Die Regierung hat zu der Zeit nichts anderes gewußt.
Herr Kollege Ludewig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Ludewig, können Sie mir vielleicht Auskunft darüber geben, welcher Partei der Gesamtdeutsche Minister angehörte, als die CDU regierte?
Ich weiß nicht, ob wir jetzt in der Schulstunde sind und der Lehrer im Parkett steht und der Schüler hier oben. Ich weiß, daß jene Aufforderung vom Kuratorium Unteilbares Deutschland gekommen ist. Wer zu dieser Zeit Gesamtdeutscher Minister war, weiß ich nicht. Ich glaube aber, diese Aufforderung war zur Zeit des Gesamtdeutschen Ministers Barzel.
Laut ADN-Meldung vom 12. November 1979 wurde am 10. November an der Grenzübergangsstelle Staaken ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland „wegen Mißbrauchs des Transitabkommens auf frischer Tat gestellt und festgenommen". So die Meldung. Das ist wieder ein Fall, der uns sicher nicht erfreut, der aber wie alle vorigen auf seine Rechtmäßigkeit überprüft wird. Das können wir heute! Das ist aber auf keinen Fall eine Gelegenheit, die Situation auf den Transitwegen so darzustellen, wie die Opposition das tut. Die Praxis der letzten Jahre hat bewiesen, daß die Sicherheit der Transitwege gewährleistet ist. Die Bundesregierung hat durchgesetzt, daß auch Flüchtlinge die Transitwege benutzen können, es sei denn, sie hätten Straftaten gegen das Leben, die Gesundheit oder das Eigentum begangen. Im übrigen ist die Offentlichkeit durch die Bundesregierung immer wieder in bezug auf gefährdete Personenkreise unterrichtet worden, denen von der Benutzung der Transitwege dringend abzuraten ist.Die Zunahme des Transitverkehrs durch die Deutsche Demokratische Republik nach West-Berlin steht in krassem Gegensatz zu den Behauptungen der Opposition. 10 Millionen Transitreisende sprechen für sich. Ich möchte an dieser Stelle — es lohnt sich — weitere Zahlen nennen. Sie, meine Damen und Herren, mögen sie gelesen haben, aber die deutsche Offentlichkeit kann eigentlich nicht oft genug darüber informiert und gleichzeitig auch nicht oft genug aufgefordert werden, von allen Möglichkeiten des Reiseverkehrs in die Deutsche Demokratische Republik Gebrauch zu machen.Von Januar bis September 1979 sind 14,6 Millionen Transitreisende in beiden Richtungen, von und nach Berlin, gezählt worden. Aus der Bundesrepublik sind in der gleichen Zeit 2,903 Millionen Reisende in die Deutsche Demokratische Republik und durch die DDR in dritte Länder gefahren. In dieser Zahl sind Tagesaufenthalte im grenznahen Bereich enthalten; dies sind 362 000 Personen. Jährlich halten sich ca. 1,4 Millionen Westdeutsche für jeweils einen Tag in Ost-Berlin auf. Der Berliner Senat schätzt die Zahl von Bewohnern aus Berlin , die nach Ost-Berlin und in die DDR fahren, auf ca. 3,26 Millionen im Jahre 1978, von Januar bis September 1979 auf ca. 2,25 Millionen. Aus der DDR kamen in die Bundesrepublik Deutschland von Januar bis September 1979 1,083 Millionen Rentner. In dringenden Familienangelegenheiten konnten 32 000 DDR-Bewohner in das Bundesgebiet — ohne West-Berlin — einreisen.Ich will nicht verschweigen, daß diese Zahlen gegenüber dem Vorjahr, also gegenüber dem Jahr 1978, etwas geringer geworden sind.
Man wird nicht ausschließen können, daß hier eine gewisse Normalisierung eingetreten ist. Die Zahlen bleiben eindrucksvoll genug. Trotzdem wollen wir prüfen, ob möglicherweise auch eine gewisse Zurückhaltung der Dienststellen in der DDR gewisse Unlust und Verdrossenheit bei Besuchern hervorruft. Wir wollen nicht müde werden, insbesondere die Bewohner des Zonenrandgebiets zu Tagesauf-
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Ludewigenthalten und damit zur Pflege gutnachbarlicher Beziehungen zu ermuntern, wie das in diesem Jahr zu Beginn der Ferienzeit von unserer Seite und z. B. auch von seiten der niedersächsischen Landesregierung aus geschehen istDie Situation der politischen Häftlinge in den Haftanstalten der DDR ist sicher schwer genug. Humanisierung der Haftbedingungen wird, soweit uns dies möglich ist, über die Ständige Vertretung immer wieder versucht. Vermittlung von Rechtsschutz ist sicherlich nur ein Teil davon, aber ein nicht unbedeutender. Bemühungen um vorzeitige Entlassung, Freikauf genannt — und dieser nicht nur bei prominenten Häftlingen —, ist ein anderer Teil. Über dieses Thema sollte aber, so wie das bisher unter allen Bundesregierungen — auch unter den von Ihnen geführten — geschehen ist, weniger geredet als gehandelt werden. Den Häftlingen in der DDR wäre damit besser gedient als mit sprachlichen Kraftakten!Zum 3. Strafrechtsänderungsgesetzt der DDR vom 1. August 1979 eine Vorbemerkung. Laut Ihrem Antrag soll die Bundesregierung nun — ich zitiere wörtlich — „ihre ... gut nachbarlichen Beziehungen zur DDR ... nutzen", um eine Aufhebung des Strafrechtsänderungsgesetzes zu erreichen. Daß wir gutnachbarliche Beziehungen zur DDR unterhalten, höre ich in diesem Antrag von der Opposition zum erstenmal! Das läßt hoffen!
Zur Sache selbst ist dies zu sagen: Gegen die am 1. August 1979 in Kraft getretenen Verschärfungen der Strafrechtsbestimmungen habe ich mich schon früher gewandt Nach wie vor bin ich der Meinung, daß es der DDR nicht gelingen wird, durch noch so drakonische Strafbestimmungen ihren Bürgern einen überdimensionierten Maulkorb vorzuhängen. Die Entwicklung der Besuchszahlen zeigt, daß auch die Verschärfung der Staatsschutzbestimmungen nicht zu einem wesentlichen Nachlassen von Kontakten, von Gesprächen mit den Menschen in der DDR geführt hat, jedenfalls nicht so gravierend, wie es möglicherweise die Absicht der Gegenseite war.Ich komme zur Presse- und Informationsfreiheit in der DDR. Aus Ihrem Antrag möchte ich nur einmal den Punkt C 2 herausgreifen. Wir sollen „bekräftigen, daß es in der Bundesrepublik Deutschland wie bisher keine grundgesetzwidrigen oder vertragswidrigen Eingriffe in die Recht und Freiheiten von deutschen Journalisten aus der DDR geben wird". Es ist erfreulich, daß die Opposition in diesem Punkt dazugelernt hat! Ich erinnere mich noch gut an die Aktuelle Stunde vom 26. April dieses Jahres, in der wir dieses Problem hier schon einmal behandelt haben. Damals forderten Sie Sanktionen. Es hieß beinahe: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sie riefen nach Gegenmaßnahmen. Wir mußten Ihnen damals sagen: Gleiches mit Gleichem vergelten verbietet sich nach unserem Grundgesetz und nach unserer Auffassung von Presse- und Informationsfreiheit. Die bei uns tätigen Journalisten aus der DDR sind nach unserer Auffassung eben keine Ausländer, sondern Deutsche und genießen als solche die in Art. 5 festgelegten Grundrechte. Dies war und dies ist unser Standpunkt, von dem wir keinen Zentimeter abrükken. Deshalb brauchen wir die Bundesregierung auch nicht aufzufordern, zu bekräftigen, daß es bei uns keine grundgesetzwidrigen Eingriffe in die Rechte und Freiheiten von Journalisten aus der DDR geben wird.Natürlich war das damals am 11. April 1979 eine Verletzung des Grundlagenvertrages und zugleich eine Verletzung der Schlußakte von Helsinki. Dementsprechend ist darauf reagiert worden. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Dänemark sind damals— neben unserer Intervention — bei der DDR auf unsere Bemühen hin vorstellig geworden. Dies war meines Erachtens eine richtige, eine angemessene Reaktion. Wir können nichts erzwingen. Wir werden weiterhin unsere liberale Auffassung von Pressefreiheit dagegenstellen und unser Möglichstes tun.Ihrer Forderung unter Punkt C 3 nach Erstellung eines Weißbuches, das ja dann in den nächsten Jahren weitere nach sich ziehen würde, kann ich nicht zustimmen, sehr geehrte Damen und Herren.
Wir sind gerade dabei, Bürokratismus auch in der Bundesverwaltung abzubauen. Darüber werden wir demnächst zu sprechen haben. Wir bemühen uns, das Berichtsunwesen abzubauen. Und nun kommen Sie daher und verlangen von der Bundesregierung ein weiteres Weißbuch.
Die Logik kann ich nicht nachvollziehen.
— Ich bleibe dabei, Herr Kunz.Allgemein möchte ich hier noch bemerken, daß es richtig ist, wenn wir uns grundsätzlich über die meisten von Ihnen und in Ihren Anfragen und Anträgen angesprochenen Themen unterhalten. Die Frage ist nur, mit welcher Zielsetzung dies geschieht. Wichtig ist doch, daß wir uns nicht an den Zustand, nicht an die politischen Verhältnisse, nicht an die reale Alltagssituation der Menschen drüben und das, was im Augenblick die Situation in der DDR verhärtet, gewöhnen wollen.Wir müssen durch zähes Verhandeln, durch möglichst viele Verträge über Detailprobleme langfristig dafür sorgen, daß sich die Situation dort für den einzelnen Menschen verändert, verbessert. Wir müssen aber lernen, bei diesen Vertragsverhandlungen eine gewisse Gelassenheit an den Tag zu legen. Das haben sie heute weiß Gott nicht getan.
Wir müssen berücksichtigen, daß wir bei jedem Vertrag, den wir mit einem totalitären Staat schließen— und um einen solchen handelt es sich ja wohl —,
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Ludewigmit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen haben, die uns bei der Durchführung von Verträgen mit demokratischen Staaten weitgehend unbekannt bleiben.Deshalb legen wir Ihnen — gewissermaßen als Antwort oder als Kompromißvorschlag oder auch als Eingehen auf Ihre teils begründeten und größtenteils unbegründeten Besorgnisse — unseren Entschließungsantrag vor. Bitte, stimmen Sie ihm zu, wenn wir feststellen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik im Grundlagenvertrag zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet haben. Stimmen Sie uns zu, wenn wir sagen, die Bundesrepublik und die Deutsche Demokratische Republik sind Vertragspartner der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, wie sie 1976 in Kraft getreten sind. Beide deutschen Staaten haben ihren Willen bekundet, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten.Stimmen Sie uns zu, wenn wir sagen, wir alle bedauern, daß die Rechtsordnung und die Praxis der Deutschen Demokratischen Republik dem nicht entspricht.Wir alle stellen gemeinsam fest, daß schon die menschlichen Erleichterungen ein außerordentlich wichtiges Element in unseren Entspannungs- und Friedensbemühungen sind. Wir alle sind davon überzeugt, daß nur die Fortführung dieser unserer Entspannungspolitik dem einzelnen Menschen dient und die menschenrechtliche Lage in Europa verbessert. Wir alle begrüßen die Entschlossenheit der Bundesregierung, zur Verbesserung der Lage der Menschen in der DDR durch Ausschöpfen aller rechtlichen und politischen Möglichkeiten beizutragen. Wir wollen das bereits Erreichte sichern und weitere praktische Erfolge in humanitärer Hinsicht anstreben.Wenn Sie dann noch den Ziffern 7 und 8 unseres Entschließungsantrages zustimmen — der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß unsere Vertragspolitik Bestandteil der europäischen Entspannung ist und daß sie fortentwickelt werden muß; der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen —, dann ist sich dieses Haus einig.Daß die Bundesregierung in ihren Anstrengungen nicht nachläßt, wird für mich dokumentiert durch den Abschluß des inzwischen unterschriebenen Kraftfahrzeugsteuerbefreiungsabkommens und durch das Protokoll über die Pauschalierung der Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftfahrzeuge. Beide Vereinbarungen wurden am 31. Oktober 1979 in Berlin unterzeichnet. Sie werden für die weitere Entwicklung des Straßenverkehrs mit der DDR von großer Bedeutung sein. Insbesondere wird der Wegfall der Straßenbenutzungsgebühren, so hoffen wir, den Reiseverkehr beleben, vor allem im grenznahen Bereich und nach Berlin.Ganz besonders erfreulich — darauf wollte ich auch noch einmal hinweisen — ist in diesem Zusammenhang eine weitere Neuregelung. Bundesminister Franke hat bereits darauf hingewiesen. Ich wiederhole das trotzdem, denn es ist noch weitgehendunbekannt geblieben: Es hat eine Änderung in der Zugehörigkeit von Gemeinden gegeben. Aus den zonengrenznahen Kreisen sind im Zuge der sogenannten Verwaltungs- und Gebietsreform, die in verschiedenen Bundesländern durchgeführt worden ist, Gemeinden ausgegliedert worden, deren Bewohner zu Tagesaufenthalten im grenznahen Verkehr berechtigt waren. Die Bewohner dieser Gemeinden, die nun zu weiter weg von der Zonengrenze gelegenen Kreisen gehören, sollten auch zukünftig besuchsberechtigt bleiben. Der Bundesregierung lag bei ihren Verhandlungen daran, auch die Kreise, in welche diese Gemeinden nun eingegliedert worden sind, ganz in den grenznahen Verkehr einzubeziehen.Die Deutsche Demokratische Republik hat von sich aus inzwischen festgelegt, daß zusätzlich zu dem Streifen entlang der sogenannten Zonengrenze die Landkreise Hannover, Holzminden, MarburgBiedenkopf, Main-Kinzig-Kreis und Soltau-Fallingbostel in den grenznahen Verkehr einbezogen werden. Damit wird für mehr als 1 Million Bundesbürger die Möglichkeit eröffnet, zu Tagesaufenthalten in grenznahe Kreise der DDR einzureisen. Ich hoffe sehr, daß damit der Rückgang der Besucherzahlen gerade in diesem Bereich aufgefangen werden kann. Diese allerneueste weitere Verbesserung zeigt erneut, daß die Politik der kleinen Schritte wesentlich besser ist als eine Politik der großen Worte.
Die Bundesregierung hat bisher nach bestem Wissen und Gewissen alles getan, was in ihren Kräften steht, um den Menschen in der DDR zu helfen. Darauf vertrauen wir Freien Demokraten auch weiterhin, wie wir das in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck gebracht haben.Trotz gegensätzlicher Auffassungen in einigen der angesprochenen Fragen bitte auch ich Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, um Ihre Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag, der anschließend im einzelnen noch von einem Koalitionskollegen vorgetragen wird. Es wäre gut, wenn Sie auf diese Art und Weise die Verbundenheit in diesen großen Fragen, die uns bewegen, die Fragen der deutschdeutschen Beziehungen, dokumentieren würden. Ich glaube, das wäre ein guter Beschluß. Wir stehen hinter der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete von Weizsäcker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierung wird auf keine Weise darum herumkommen, immer wieder von der Opposition gerade dann gedrängt zu werden, wenn es um die Menschenrechte im geteilten Deutschland geht. Das kann nicht ohne Heftigkeit und mitunter auch nicht ohne Bitterkeit vor sich gehen. Dazu ist die Wunde zu groß, die die Lage gerade
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14678 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Dr. von Weizsäckerder Menschenrechte im geteilten Deutschland für uns alle darstellt.Ich möchte gern aus ganz aktuellem Anlaß über das, was von seiten der DDR zu Menschenrechtsfragen zu spüren ist, einen Beitrag zu unserer Debatte leisten. Ich möchte mich, gerade weil wir die Menschenrechte als eine universelle Aufgabe ansehen und weil die Gemeinschaft der Völker und Nationen sich nicht damit begnügen kann, die Menschenrechte nur der innerstaatlichen Verantwortung zu überlassen,
besonders auf denjenigen von unseren Anträgen beziehen, der sich mit den Einrichtungen der Vereinten Nationen befaßt, die es zu stärken gilt, um die Menschenrechte besser zu schützen.Wir haben auch im innerdeutschen Beziehungsfeld täglich Anlaß, darauf hinzuweisen. Heute früh wurde wieder ein westdeutscher Teilnehmer an einem Lehrerfortbildungsseminar rechtswidrig daran gehindert, den anderen Teil der Stadt Berlin zu betreten, als er mit seiner Gruppe einen verabredeten Termin im Ost-Berliner „Haus des Lehrers" wahrnehmen wollte.
Auch ihm lagen und liegen die Menschenrechte besonders am Herzen. Dieser Vorgang wirkt geradezu wie ein Bemühen der Machthaber in Ost-Berlin, uns auch aus Anlaß unserer heutigen Debatte daran zu erinnern, wie aktuell sie ist.
Die beiden deutschen Teilstaaten sind seit einigen Jahren Mitglieder der Vereinten Nationen. Es geht dort nicht nur um unsere nationalen Ziele, um die offene deutsche Frage, sondern die Mitgliedschaft nimmt uns auch in verstärktem Maße für die Aufgaben in die Pflicht, die sich zur Ordnung des Zusammenlebens der Völker und der Menschheit stellen.Hier nehmen die Menschenrechte einen hervorragenden Rang ein. Unsere Mitgliedschaft kann daher auch nicht die Konsequenzen haben, Verletzungen solcher Rechte zu verschweigen, unter denen Deutsche zu leiden haben.
Immer wieder hört man aus Ost-Berlin, man verstehe sich dort als treues Mitglied der Vereinten Nationen, streng bedacht auf die Einhaltung der internationalen Regeln. Nun hat der Weltsicherheitsrat gerade mit schärfsten Worten die jüngsten Ereignisse in Teheran verurteilt. Die amtliche Berichterstattung in der DDR dagegen informiert ihre Bevölkerung darüber gar nicht. Sie beschränkt sich im Zusammenhang mit dem Iran auf Kritik am Westen, vor allem an Washington und Bonn. Neuerdings — gerade heute — verteidigt sogar die Ost-Berliner Presse ausdrücklich die Geiselnahme.
Wie will sich denn nun die DDR in ihrer künftigen Rolle als nichtständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates bewähren,
wenn sie sich mit ihrem Verhalten in so deutlichen Gegensatz zu dem stellt, was dieses Gremium gerade in diesen Tagen zum Schutze von Menschen wenigstens versucht?
Es ist die universelle Aufgabe der elementaren Rechte des Menschen, die mir Veranlassung gibt, im Zusammenhang mit unserem diesbezüglichen Antrag zur Stärkung der Institution der Vereinigten Nationen ein paar Worte zur Lage im Iran zu sagen. Es geht uns in dieser Debatte natürlich nicht um eine Bewertung der politischen Beziehungen zwischen Iran und Ländern der westlichen Welt. Im Zusammenhang mit unserer Debatte geht es ausschließlich um die Besetzung der amerikanischen Botschaft, um die Geiselnahmen unschuldiger und unter einem besonderen Schutz stehender Menschen und um den erpresserischen Versuch, die Auslieferung eines Schwerkranken zu erwirken. Dies ist ein in der Geschichte der Neuzeit einmaliger flagranter Verstoß gegen die elementaren Rechte des Menschen und gegen die ältesten Regeln des Zusammenlebens der Völker.
Er stellt eine wahrhaft universelle Herausforderung der Völkergemeinschaft dar. Wir können ihn nicht übergehen, wenn wir über die Rechte der Menschen sprechen.Nicht erst das moderne Völkerrecht hat sich um den Schutz und um die Immunität ausländischer Missionen im Gastland bemüht. Es sind vielmehr Erfahrungen und Konventionen, die schon aus dem Altertum stammen.
Das Recht des Gastes ist heilig. Der Parlamentär, der Unterhändler, wird respektiert. Auch im wildesten Konflikt wird noch die weiße Fahne geachtet und geschützt. Daraus sind die Vorrechte der Diplomaten entstanden. Dies sind gar nicht Privilegien einer bevorrechtigten Kaste. Sie drücken auch nicht Zustimmung oder Stellungnahme zu den politischen Verhältnissen im Gastland aus, aber sie verkörpern die Bedingungen dafür, daß ein Minimum von Beziehungen aufrechterhalten werden kann, ein Minimum, das man vor allem dann braucht, wenn Spannungen und Krisen das Feld beherrschen.
Ein Angriff auf diese Grundregeln kann von der Völkergemeinschaft nicht hingenommen werden. Den Bruch dieser Regeln durchgehen zu lassen und sich ihrem erpresserischen Ziel zu beugen, das würde einen Rückfall hinter die ersten Fortschritte menschlicher Kultur bedeuten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14679
Dr. von WeizsäckerWir sind deshalb den Verantwortlichen in den Vereinigten Staaten dafür dankbar, daß ihre Haltung sowohl Besonnenheit wie Festigkeit kennzeichnet. Auch wir sind mit aufgerufen, uns im Rahmen unserer Kräfte zur Abwehr dieses Angriffs auf elementare Rechte der Menschen und Völker einzusetzen. Wir fordern auch die Bundesregierung auf, unsere Bereitschaft hierzu über bloße Worte der Sympathie hinaus zu bekräftigen. Hier ist für niemanden ein Platz, die eigene Position auf Kosten der unmittelbar Betroffenen entweder herauszuhalten oder gar zu stärken. Ich unterstelle das auch niemandem in der Bundesregierung. Aber da im Zusammenhang etwa mit der Ölversorgung Fragen in der amerikanischen Öffentlichkeit laut werden, sind Klarstellungen angebracht. Ich möchte dazu beitragen, denn wir sind alle die Betroffenen von dem, was in Teheran geschieht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Horn?
Bitte!
Herr Dr. von Weizsäcker, kennen Sie den Brief, den der Bundeskanzler gerade an diesem Tag dem amerikanischen Präsidenten Carter geschrieben hat und der genau das zum Inhalt hat, was Sie jetzt halb im Tone des Vorwurfs angesprochen haben?
Ich habe den Brief bisher nicht zur Kenntnis bekommen. Wenn er heute veröffentlicht worden ist, dann bin ich Ihnen für den Hinweis dankbar. Was Ihre Vorstellung betrifft, es handle sich um den Ton des Vorwurfs, so bitte ich Sie, doch besser zuzuhören.
Diese Frage ist viel zu ernst, als daß Sie hier den Versuch unternehmen sollten, entweder Gräben aufzureißen oder gegenseitige Profilierungen anzubieten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Bitte sehr, aber das wird dann die letzte sein.
Herr von Weizsäcker, würden Sie so nett sein und dem Hause bestätigen, daß die von Ihnen erwartete Position der Bundesregierung von Graf Lambsdorff heute morgen hier im Hause genau in dieser Form in aller Offentlichkeit dargelegt worden ist?
Ich bin Ihnen für diesen Hinweis dankbar. Ich habe diese Bemerkungen nicht gehört, nehme sie aber selbstverständlich gerne zur Kenntnis. Ich habe ja gesagt, ich möchte meinerseits einen Beitrag dazu leisten,
daß von keiner Seite der Eindruck entsteht, hier sei irgend jemand am Werk, sich Vorteile zu verschaffen oder sich herauszuhalten.
Eines muß ich allerdings hinzufügen: Besser wäre es gewesen, wenn die Bundesregierung mit diesen Bemerkungen nicht erst heute herausgekommen wäre, nachdem gestern der Leitartikel in der „New York Times" solche Fragen offenbar an unsere Adresse hat stellen müssen.
Mit Dankbarkeit registrieren wir auch eine wachsende Zahl von Stimmen, die aus dem Islam kommen.
— Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, darf ich vielleicht fortfahren und wiederholen, daß wir mit Dankbarkeit die Stimmen registrieren, die aus dem Islam kommen. Mit Recht und mit Empörung weisen diese Stimmen die Vorstellung zurück, als habe die Entwicklung in Teheran ihre Wurzeln in der mohammedanischen Religion. Es ehrt den Mut und den Glauben des ägyptischen Staatspräsidenten,
wie er aus seiner Oberzeugung heraus öffentlich und eindeutig zu den Ereignissen in Teheran Stellung genommen hat.
Wir Europäer haben in unserer Geschichte manche schrecklichen Kriege mit Mohammedanern ausgefochten. Aber wir haben von den Vertretern des Islam auch Großes gelernt: ihr Beispiel der Gastfreundschaft, ihren Respekt vor Schwachen, ihre Umgangsformen, ihre Toleranz im Wettstreit der Wissenschaften. So mancher Abendländer wurde davon im Morgenland beeindruckt und beschämt. Der Koran enthält ja wesentliche Anweisungen nicht so sehr für eine dogmatische Theologie als vielmehr für die ethischen Regeln des Zusammenlebens im persönlichen und im sozialen Bereich.Tag für Tag wird die Welt mit Bildern aus Teheran überflutet. Sie zeigen die von Fanatismus und Haß verzerrten Gesichter junger und alter Frauen und Männer. Ich meine, wir dürfen uns bei ihrem Anblick nicht in eine Erregung gegen sie versetzen lassen. Vielmehr müssen wir erkennen, daß ja sie selbst
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Dr. von Weizsäckerdie Opfer einer gewissenlosen Aufpeitschung sind. Mit ihrer Würde und vor allem mit ihren Hoffnungen und Gefühlen wird Schindluder getrieben. Es wird die bekannte Methode verwandt, Gefühle gegen einen äußeren Feind zu mobilisieren, um damit eine Solidarität aufrecht und lebendig zu erhalten, die von innen her abzubröckeln droht. Was hier unter Anleitung und Duldung der derzeitigen Führung im Iran geschieht, ist ein Verbrechen vor allem gegen diese aufgepeitschten eigenen Menschen selbst.
Niemand sollte sich in die inneren Angelegenheiten einmischen. Niemand sollte darauf spekulieren, dort selbst vielleicht bald politische Erbschaften antreten zu können.
Auch sollten wir das schwerwiegende Problem nicht verkennen, mit dem sich der Iran auseinanderzusetzen hat, daß nämlich dort gleichzeitig zwei Entwicklungen oft gegeneinander verlaufen: die Anpassung an technische Entwicklungen der modernen Zeit einerseits und andererseits der tiefe Drang, sich auf Grund eigener religiöser und kultureller Überlieferungen von einem Eurozentrismus und von der westlichen Welt zu lösen. Aber gerade für das Zusammenleben unterschiedlicher Traditionen und Kulturen ist der uneingeschränkte Respekt des Schutzes der Abgesandten in fremden Ländern notwendig. Es geht nicht nur um die Beziehungen der Völker und daher um die Stärkung der Einrichtungen in den Vereinten Nationen, sondern es beginnt mit der Achtung vor der Würde und dem Recht des Menschen.Gerade unter dem Eindruck der Straßenbilder aus Teheran sollten wir an alle Verantwortlichen appellieren, sich der Emotionalisierung oder gar der planmäßigen Erziehung zu Feindbildern zu enthalten. Die Führung in Ost-Berlin kann dazu einen sehr konkreten Beitrag leisten, wenn sie nämlich eigene amtliche Friedensworte und Friedensappelle zum Anlaß nimmt, um aus ihrem Wehrkundeunterricht den Aufbau eines Feindbildes endlich und endgültig zu streichen.
Das wäre ein Beitrag, an dem gemessen werden kann, wie es mit der Achtung der Menschenrechte im geteilten Deutschland steht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schlei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr von Weizsäcker hat dem erstaunten Plenum innerhalb einer deutschlandpolitischen Debatte einen Iran-Beitrag geleistet. Das ist insofern wundersam, als durch die Inflation von Anträgen, Entschließungen und Anfragen die Opposition selbst wollte, daß wir eine menschenrechtliche, deutschlandbezogene Debatte führen.Nun sollten wir uns alle bemühen, Herr von Weizsäcker, im Geist der Ring-Parabel zu denken, zu arbeiten und Politik zu machen. Aber es ist natürlich ungewöhnlich für Berliner, die Sie ja in Zukunft besonders vertreten wollen, innerhalb dieser von Ihnen geforderten Debatte nicht Antwort auf ihre Fragen zu finden, sondern Antwort auf das, was im Iran geschieht und was uns alle zutiefst erschüttert.
Wohl gebe ich Ihrem Gedanken recht, daß Menschenrecht unteilbar ist, ähnlich wie Frieden unteilbar ist. Aber es spricht doch für die Fasson Ihrer Fraktion, Ihrer Fraktionsgemeinschaft, daß so etwas geschehen kann. Es spricht auch für die Fasson Ihrer Fraktion —
— Es ist keine Fasson, wenn man eine Debatte beantragt, herbeigeführt und thematisiert hat und dann das Debattenthema nicht spontan, sondern in vorbereiteter Rede verlassen wird.
— Ich höre Ihnen immer sehr gut zu, und mein Entsetzen kommt zum Teil daher, daß ich Ihnen so genau zuhöre.
Dies bezieht sich jetzt auch auf das, was ein Berliner zu sagen hat, wenn er an seine Bürger in beiden Teilen der Stadt denkt, die wirklich lebhaft erfahren haben, wie sich im Verlaufe der durch die sozialliberale Koalition gestalteten Politik ihre menschenrechtliche Situation — und zwar auf beiden Seiten— verändert hat. Es ist mehr Menschenrecht, wenn ein Sohn aus Westberlin seine kranke Mutter in Ost-Berlin besuchen kann. Das ist nicht nur mehr Menschenrecht für den in Ost-Berlin, sondern auch für den in Berlin . Es ist mehr Menschenrecht, wenn ich nicht 24 Stunden im Schnee stehen muß, um einen Schein zu bekommen, mit dem ich in den Ostteil der Stadt gehen kann, sondern wenn ich jetzt mit dem Auto — wenn ich will, dreißigmal im Jahr— meine Verwandten besuchen kann und, weil die Kosten niedriger geworden sind, auch für wenige Stunden in den Ostteil der Stadt fahren kann, um einen Krankenhausbesuch, um einen Friedhofsbesuch zu machen. Dies kann jetzt jeder Rentner, der ja weiterhin mit 1 Mark und mit 10 Mark rechnen muß, dreißigmal im Jahre tun. Das tun die Berliner auch, und somit sind sie ganz besonders Treuhänder des Erhalts der Einheit der Nation. Diese Treuhänder des Erhalts der Einheit der Nation danken dieser Bundesregierung für ihre Politik, die die Mühsal des Dialogs übernommen hat, für die Politik, die Erfolge gebracht hat, für die Politik, die weiterhin Erfolge bringen wird, und für die Politik, die notwendig ist, damit im Frieden Verbesserungen eintreten.Wir wollen keine Geschichtsklitterung. So müssen wir auch sagen, Graf Huyn, daß Ihr Ausspruch, noch niemals seien die Belange der arbeitenden Menschen so stark mit Füßen getreten worden,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14681
Frau Schleifalsch ist. Vergessen Sie doch nicht die Bauarbeiter des 17. Juni! Vergessen Sie doch nicht die Bürger in Ost und West vom 13. August. Das ist doch im Augenblick keine vergleichbare Situation mehr. Oder ich müßte die Intelligenzfrage stellen, die Frage, ob es die Intelligenz ist, die Sie nicht erkennen läßt, daß sich Situationen verändert haben, wenn auch nicht so, wie wir es wünschen.Damit kommen wir zur Methode der Auseinandersetzung. Es ist doch nicht so, daß wir unterschiedliche Auffassungen über Menschenrecht haben. Dieser Eindruck wird doch nur hervorgerufen; er trifft doch gar nicht zu. Wir sind uns doch einig: Es geht um die Methode, wie ich Menschenrecht wirksam zugunsten des einzelnen durchsetzen kann.
Jeder Bürger kann doch feststellen, daß dies in den letzten zehn Jahren besser gelungen ist, als das vorher der Fall war. Das zu erkennen, bedarf es keines hohen Intelligenzgrades. Dies ist erfahrbar, statistisch nachweisbar, ist mit Zahlen zu belegen, obwohl die Statistik und die einzelne Zahl niemals menschliches Glück und menschliches Elend beschreiben kann.Ich finde, Ihre Fraktion hat keine Fasson, wenn sie das Thema Menschenrechte als Munition gegen diese Bundesregierung benutzt. Das eignet sich nicht dafür.
Es geht nur ganz einfach um die Methode, darum, wie ich es durchsetzen kann. Da haben Sie uns weder eine Methode vorgelebt, vorgemacht, noch habe ich heute irgendeine Anregung zu einer zu handhabenden Methode bekommen.
— Ich höre zu, Herr Jäger. Ihre Methode hatte eine ganz klare Linie; sie hieß: Vorführen der DDR
in ihrer tragischen, ungeschickten Situation —
jetzt fasse ich die Belange der Bevölkerung und das, was die Regierung tut, zusammen —, und Ihre Methode hieß: Vorführen dieser Bundesregierung. Sie wollten vorführen. Das ist Ihnen natürlich total mißlungen, Herr Jäger. Ich kann Herrn Kohl, Ihren Fraktionsvorsitzenden, nur beglückwünschen, daß er sich dieses tragische Zeug hier nicht anhören mußte.
Es gehört natürlich zur Fasson der Fraktion, daß Ihr Fraktionsvorsitzender nicht da ist.
— Herr Jäger, alles auch weiterhin ohne Anführungszeichen, damit wir uns gut verstehen.Aber eines kann ich Ihnen bescheinigen: Ich habe noch nie eine Rede gehört, die es so geschickt verstand, keine einzige Lehrformel auszulassen, wie Ihnen das heute gelungen ist.
Die Parole, die wir seit Sonthofen kennen, ist von Herrn Stoiber, diesem Ritter Bleichenwang des Alpengebiets, wieder dieser Tage entsprungen. Er hat Strauß-schädigende Einfälle — wie Jungenten, die man mit zuviel Grünfutter füttert. So hat er in diesen Tagen wieder das Thema Konfrontation ausgegeben, obwohl das Bemühen vieler Ihrer Fraktion — auch was dieses Gebiet angeht — nicht auf Konfrontation ausgerichtet ist.Ich möchte einmal mit Dank sagen, daß Einfälle zugunsten der Menschen drüben unter anderem aus der Berliner CDU gekommen sind. Mir wurde gesagt, daß es vor vielen, vielen Jahren Herrn Straßmeirs Idee war, die Straßenbenutzungsgebühren zu pauschalieren. Sehen Sie: Das ist eine konstruktive Mitarbeit. Wir sollten uns alle anstrengen, das einzubringen, was denkbar ist, um dann gemeinsam zu versuchen, das Denkbare auch realisierbar werden zu lassen.
Lassen Sie mich ganz bewußt nach dem christlichen Ansatz dieser Politik fragen. Denn christlicher Ansatz und Menschenrecht gehören auch schon im Sinne der Ringparabel für mich zusammen.
Ist es nicht grundsätzlich christlicher Ansatz, den Dialog zu führen, und hat nicht Martin Buber aus Zusammenfügung christlicher und jüdischer Gedanken das Dialogprinzip nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, sondern als grundsätzliches Prinzip formuliert? Wie anders als im Dialog wollen Sie mit einem gesellschaftspolitisch grundsätzlich anders angelegten System und einem ganz anderen Machtblock zur. Verständigung kommen?So frage ich Sie: Wann werden Sie endlich anfangen, die Dialogbereitschaft zu zeigen, die dann auch zu einer Dialogfähigkeit kommt?
Das ist doch kein Genius, der einen nachts überkommt. Dialog ist in einem harten Training zu erwerben. Das geht bis in die Sprache hinein. Wenn Sie einmal einige Reden von heute analysieren, werden Sie weniger christlichen Sprachgebrauch als militanten Sprachgebrauch darin finden.
Ich bitte Sie um unserer Nation willen herzlich — wir sind uns einig, daß wir mit allen Kräften die Einheit unserer Nation wollen —: Lassen Sie uns doch mehr dialogfähig werden! Das fängt beim Denken an und geht bis in die Sprache.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
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14682 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Jäger hat hier heute schon so viel von sich gegeben; dabei wollen wir es belassen.
— Lieber Herr Kittelmann, solche Themen, um Dialog zu üben, sind in unserem gemeinsamen Ausschuß auf jeder Tagesordnung.
In einem Ausschuß hat man auch die Zeit, dies dann zu tun.
Sie kennen mich lange genug und wissen, daß ich auch in diesem Ausschuß ein Dialogpartner bin. Tun Sie doch nicht so, als ob das nicht der Fall ist!
Es folgt ein letztes Wort. Ihnen allen, ob nördlich oder südlich des Weißwurstäquators, gehen die Worte „Verträge werden gehalten" immer leicht von den Lippen; Sie sagen es wegen Ihrer Gymnasialbildung im Küchenlatein. Aber Graf Huyn, wenn ich höre, daß Sie der Bundesregierung nicht zugestehen, über Friedens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik zu sprechen, halten Sie die Verträge nicht; denn in der politischen Konsultation, beschrieben durch die Erklärung bei der Unterzeichnung, steht expressis verbis — ich ahme Sie nach, obwohl ohne Abitur —, daß dies ein Inhalt des Vertrags, ergo eine Aufgabe ist. Wer könnte eine Bundesregierung im übrigen hindern, dies zu tun, selbst wenn es nicht darin stehen würde? Diese Bundesregierung spricht mit allen Staaten im Warschauer Pakt über solche Dinge. Warum soll sie dies dort, wo die Verhandlungssprache Deutsch ist, nicht tun? Dies ist nicht zu begreifen, da wir uns Gott sei Dank bei aller Getrenntheit der Systeme darin einig sind,
daß von keinem der deutschen Staaten jemals wieder ein Krieg ausgehen sollte.
Also ist es logisch, daß dann auch das, was zum Krieg gehört: Bewaffnung, Aufrüstung und Nachrüstung, ein Gesprächsthema zwischen beiden deutschen Staaten zu sein hat.
— Ob Sie „Hört! Hört!" schreien oder es besser unterlassen, ist hier Nebensache.
Wir werden es sicherlich tun, und es wird zum besseren Verständnis der Menschen in beiden deutschen Staaten führen, wenn ihre Regierungen auch
diese Mühsal des Dialogs zu einem so schwierigen Kapitel nicht unterlassen. Das erwarten die Bürger in beiden deutschen Staaten.
Ich bitte die Bundesregierung, in ihrer mühseligen, erfolgreichen Politik für die Menschen in beiden Teilen unseres gespaltenen Deutschlands fortzufahren, und ich danke noch einmal für die präzise Beantwortung der beiden Großen Anfragen. In Sprache, Gedankenführung und grundsätzlicher Ausführung ist diese Antwort der Bundesregierung eine vorbildliche Antwort.
Das Wort hat der Abgeordnete Straßmeir.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Schlei, Ihre Eingangsbemerkungen über unseren Kollegen von Weizsäcker haben mich erschrecken lassen. Wir haben eine gute Anzahl von gemeinsamen Diskussionen hier und auch in Berlin hinter uns gebracht. Aber es ist mir völlig unverständlich, wie gerade Sie als Berlinerin, wo wir in einer aktuellen Debatte über die Menschenrechte sind, nicht Verständnis dafür haben, daß wir zwar an erster Stelle über unsere deutschen Probleme reden, aber auch für die eintreten, die mit dafür gesorgt haben, daß Sie gerade in Berlin die Menschenrechte heute noch genießen können.
Eine zweite Bemerkung! Ich möchte mir auch herzlich verbitten, daß Sie in Anspruch nehmen, die Bevölkerung Berlins sei Zeuge für Ihre sozialdemokratische Deutschlandpolitik. Dies ist eine Politik, die wir alle gemeinsam, soweit es irgend geht, in Berlin und für Berlin, aber auch für ganz Deutschland zu vertreten haben.Aber wenn Sie schon zur Zeugenschaft aufrufen, dann frage ich Sie: Wo sind denn die 62 % Zustimmung der Berliner Bürger, die Sie einst in den Wahlergebnissen hatten, geblieben? Heute haben Sie noch knapp 42 % zu verteidigen. Ich glaube, es gibt keine bessere Möglichkeit, zu dokumentieren, wie Ihre Politik von den Berlinern beurteilt wird.
Aber gehen wir auf das eigentliche Thema zurück! Berlin ist wohl der einzige Ort in der Welt, an dem es in einer großartigen politischen Anstrengung gelungen ist, hinter dem Eisernen Vorhang Menschenrechte und politische Bürgerrechte zu verwirklichen und zu bewahren.Unser Antrag über die Verletzung des VierMächte-Status durch die DDR paßt schon deshalb in die Landschaft dieser Debatte, weil Berlin nicht nur ein Symbol für die Teilung Deutschlands ist — und für unseren Anspruch, diese zu überwinden —, sondern weil es wegen der andauernden Auseinandersetzung um Berlin auch darum geht, für zwei Millionen Bürger in dieser Stadt auch künftig die politischen Freiheitsrechte und die Menschenrechte zu bewahren. Das ist auch das Thema des heutigen Tages.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14683
StraßmeirPankow und Moskau haben sich gegen Berlin eine weitgehend abgestimmte Taktik zugelegt. Sie geht darauf aus, zunächst einmal den Ostsektor total in die DDR zu integrieren, den Vier-Mächte-Status ausschließlich auf West-Berlin anzuwenden und die Trennung Berlins vom. Bund durch Aushöhlung und Revision des Viermächteabkommens zu erreichen.Die DDR hat in einer langen Kette von Verstößen gegen den Vier-Mächte-Status den Versuch unternommen, den Sowjetsektor von Berlin zu ihrer Hauptstadt zu machen. Das beginnt mit so scheinbar kleinen Maßnahmen wie der Umbenennung des Magistrats in „Magistrat der Hauptstadt der DDR —Berlin" oder dem Fortfall des Verordnungsblattes für Großberlin, weil man sagt, die Gesetze gelten in der ganzen DDR einschließlich Berlin, also braucht man kein besonderes Verordnungsblatt mehr für den Sowjetsektor.Das führt dann so weit, daß wir jetzt am 28. Juni 1979 die Änderung des DDR-Wahlgesetzes zu verzeichnen hatten. Nunmehr werden die 66 Abgeordneten der Volkskammer, die aus Berlin kommen, nicht mehr von der Stadtverordnetenversammlung ernannt, sondern sie werden in der gleichen Weise wie alle anderen Abgeordneten der Volkskammer bestimmt. Diese Maßnahme der DDR steht in eklatantem Widerspruch zu den Vereinbarungen und Beschlüssen der Vier Mächte einschließlich der Sowjetunion aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, so wie sie in dem Viermächteabkommen von 1971 bestätigt worden sind.
Dieser letzte Vorgang war der Anlaß für unseren Antrag Drucksache 8/3204. Mit ihm fordern wir — und ich hoffe, der Deutsche Bundestag — die Bundesregierung auf, bei den westlichen Schutzmächten in Berlin darauf hinzuwirken, daß sie alles in ihrer Macht Stehende tun — ich sage: aber auch alles in ihrer Macht Stehende —, um die Sowjetunion zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Einhaltung des Viermächteabkommens zu veranlassen. Ich sage Ihnen auch, was ich dazu meine: Die Genügsamkeit im diplomatischen Protest und die Verschiebung des Abschlusses des Konsularabkommens zwischen den USA und der DDR um wenige Wochen waren dafür, glaube ich, etwas zu wenig.
Die Freiheit Berlins und seine gesicherte Zukunft beruhen auf drei Elementen: dem ungebrochenen Selbstbehauptungswillen seiner Bürger, den Sicherheitsgarantien der alliierten Schutzmächte und der unauflöslichen Verbundenheit Berlins mit dem übrigen Bundesgebiet.
— Ich fülle das aus, ich leite ab; wenn Ihnen das ungelegen kommt, können wir uns auch in Spiralen unterhalten. — Das bedeutet neben dem wirtschaftlichen und politischen Engagement des Bundes allgemein vor allem auch das Engagement der Bundesregierung. Denn niemand kann erwarten, daß die Alliierten deutscher handeln als die Deutschen selbst.
Genau hier beschert uns die Bundesregierung eine Enttäuschung nach der anderen. Wir sind gegen die Politik der Nadelstiche, der Schikanen, der ungerechtfertigten Proteste nahezu immun; aber wir haben kein Verständnis dafür, wenn in unserem Bemühen, Rechte wahrzunehmen und die Bindungen an den Bund auszubauen, eine Nationalstiftung in Berlin nicht einmal mehr in der Anbindung an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz möglich sein soll, wenn die Bundesregierung bei den grotesken Anschuldigungen in der gemeinsamen Dokumentation der DDR und der Sowjetunion über angebliche Verstöße der Bundesrepublik Deutschland gegen das Viermächteabkommen nicht einmal mehr Rechtsverwahrung einlegt,
wenn der Bundeskanzler z. B. — jetzt antworte ich auf Ihre Frage im Zusammenhang mit der Problematik von Bundesbehörden — von der Sinnlosigkeit spricht, neue Messingschilder anzubringen, wenn der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Vorfeld der Übernahme des Vorsitzes im Bundesrat durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin vom „Draufsatteln auf das Viermächteabkommen" spricht. Ich frage Sie: Wer eigentlich hat uns ernsthaft daran gehindert — das Recht nicht und die Alliierten nicht —, die Berliner Abgeordneten für das Europäische Parlament letztlich direkt wählen zu lassen?Wir von der CDU/CSU wehren uns gegen das mangelnde Engagement der Bundesregierung und vor allen Dingen gegen ihre oftmals nicht angebrachte Rücksichtnahme gegenüber der Sowjetunion. Ein signifikantes Beispiel dafür war der Besuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Hua Guofeng.
Berlin, meine Damen und Herren, bemüht sich seit eh und je, daß auswärtige Besucher der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere Staatsgäste, ihren Weg auch nach Berlin nehmen, weil dies unsere Zugehörigkeit zum Bund unterstreicht. Viele haben das getan, darunter die britische Königin und Präsident Carter. Wir haben das mit Dankbarkeit zu verzeichnen. Die Bundesregierung hat aber keinerlei Anstalten getroffen, den chinesischen Gast nach Berlin einzuladen. Was waren denn die Gründe? Nach den Äußerungen Huas war er dazu bereit. Der Senat von Berlin hat nach der Bekundung des Senators Heimann im zuständigen Berliner Parlamentsausschuß den Wusch an die Bundesregierung herangetragen, auch wenn Frau Hamm-Brücher, die Staatsministerin des Auswärtigen, davon nichts wissen will.
Und nach der Aussage von Frau Hamm-Brücher hat es auch keine direkte und keine indirekte Intervention der Sowjetunion gegeben.
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14684 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
StraßmeirWenn also die Chinesen es wollten, die Berliner es wünschten und die Russen nicht förmlich interveniert haben, frage ich: Was waren dann die Gründe? Genügt für die Bundesregierung nunmehr schon die Annahme, die Sowjetunion könnte verärgert reagieren, um eine solche Einladung zu unterlassen?
Meine Damen und Herren, niemand kann der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland vorschreiben, mit wem sie freundschaftliche Beziehungen unterhalten, die gegen niemanden gerichtet sind. Übertriebene Rücksichtnahmen, so meine ich, sind deshalb nicht angebracht.
Wenn wir uns bemühen, das Selbstbestimmungsrecht für das deutsche Volk zu erlangen, wenn wir mehr Menschenrechte oder menschliche Erleichterungen für die Mitbürger im anderen Teil Deutschlands fordern, stehen uns im Grunde zwei Instrumente zur Durchsetzung unserer Politik zur Verfügung, z. B. — ich sage das ganz bewußt — die Wirtschaftkraft der Bundesrepublik Deutschland und — das gehört unauflöslich dazu — die politisch engagierte Wahrnehmung des uns zur Seite stehenden Rechts.
Ein Beispiel dafür, wie die Bundesregierung beide Positionen fahrlässig vernachlässigt hat, sind die Verkehrsvereinbarungen vom 31. Oktober 1979. Straßenbenutzungsgebühren sind an sich etwas Unzeitgemäßes, Räuberisches. Das ist die Ausgangslage.
— Jetzt passen Sie doch einmal auf! — Wenn sie schon nicht generell abwehrbar sind,
gibt es gegen ihre Pauschalierung im gesamtdeutschen Interesse keinen grundlegenden Einwand. Die Pauschalierung der Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen, die ein Mehr an Begegnung bringen kann, ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Bundesregierung in diesem Zusammenhang über zusätzliche Sicherheiten für den Besucherverkehr verbindliche Vereinbarungen trifft.
So, wie in diesem Fall verhandelt worden ist, gibt es eben keine Gewähr dafür, daß die DDR in ihrer Abgrenzungsmanie in der Gewißheit einer jährlichen Einnahme von 50 Millionen DM unabhängig von der künftigen Zahl der Besucher nicht durch Schikanen und administrative Maßnahmen den Besucherstrom, den wir uns wünschen, drosselt. Oder kann die Bundesregierung vielleicht erklären, wann für sie beispielsweise die Geschäftsgrundlage für die Zahlung entfallen würde?Mit ihrer Initiative zur Kraftfahrzeugsteuernovelle hat die CDU/CSU zwei Ziele angestrebt — das war unsere Initiative, und was haben Sie dann daraus gemacht? —:Erstens. DDR-Lkw im Wechselverkehr sollten nur so lange der Besteuerung unterliegen, wie die DDR unsere Lastkraftwagen mit Straßenbenutzungsgebühren belegt.Zweitens. In der Gestaltung innerdeutscher Beziehungen sollte erstmals dem Prinzip der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung Geltung verschafft werden.
Was haben Sie daraus gemacht? Sie haben zunächst ein Abkommen geschlossen, wonach die DDR und die Bundesrepublik Deutschland bei Lkw im Wechselverkehr und Reisebussen gegenseitig auf Gebühren und Steuern verzichten. So weit, so gut. Dies wäre ein Verhandlungsergebnis gewesen, mit dem man sich hätte sehen lassen können: Die pieken uns nicht, wir pieken sie nicht — dann ist es in Ordnung.Aber was haben Sie gemacht? Da die Bundesrepublik Deutschland bislang auf Steuereinnahmen in diesem Bereich verzichtet hat, bedeutet diese Regelung nun für die DDR einen Einnahmenausfall in Höhe von 12 bis 15 Millionen DM. Nun vereinbart aber die Bundesregierung eine Pauschale für einen anderen Teil des Verkehrs, für die Pkw, in Höhe von jährlich 50 Millionen DM, bei zehnjähriger Laufzeit. Für den Aufwand von bisher 42 Millionen DM, den der Herr Bundesminister Franke angeführt hat,
gibt es überhaupt keinen schlüssigen Beweis. Bei großzügiger Berechnung können die Pkw-Fahrer und die Fahrer der Reiseomnibusse im Jahresdurchschnitt maximal 30 Millionen DM gezahlt haben. Und so liegt eben die Vermutung allzu nahe, daß die Bundesregierung der DDR bei dieser Pauschalierung den Einnahmeausfall aus den Lkw-Gebühren in Höhe von 12 Millionen DM und eine nicht begründete Steigerungsrate in Höhe von 8 Millionen DM, insgesamt also 20 Millionen DM, als Geschenk draufgelegt hat. Meine Damen und Herren, darüber sollten wir doch einmal reden dürfen. Das ist doch Geld des deutschen Steuerzahlers, den wir hier zu vertreten haben.
Wenn dieses Verhandlungsergebnis — wirtschaftlich überzahlt, rechtlich nicht gesichert —
von Staatssekretär Gaus als der größte Verhandlungserfolg seit Abschluß des Grundlagenvertrages gefeiert wird
— da folgen Ihnen selbst Ihre Genossen nicht, Herr Kollege Franke —, dann können Sie von der Opposition nicht erwarten, daß sie dieser Art von Berlin-und Deutschlandpolitik auch noch freudig akklamiert.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14685
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jung.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In ihrer Großen Anfrage und in jedem ihrer Anträge bezieht sich die CDU/CSU schon fast penetrant auf die Vereinten Nationen und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, so als ob Sie den Beitritt zu den Vereinten Nationen der sozialliberalen Koalition abgerungen hätten
— Herr Jäger, Sie können ruhig blöken, aber das sage ich Ihnen jetzt noch einmal —, als ob gerade Sie die KSZE-Vereinbarungen erfunden und durchgesetzt hätten.
— Herr Jäger, man kann gar nicht oft genug daran erinnern, daß gerade Sie von der CDU/CSU es waren, die die sozialliberale Bundesregierung aufgefordert haben, den Vereinten Nationen nicht beizutreten und die KSZE-Schlußakte von Helsinki nicht zu unterschreiben; denn in Ihrem Antrag haben Sie die Ergebnisse der Konferenz als — ich zitiere wörtlich— „Instrument zur Durchsetzung langfristiger sowjetischer Ziele, insbesondere in ganz Deutschland" bezeichnet. Heute beziehen Sie sich Antrag für Antrag darauf.
— Ja, das sind ja immer die Sprüche: pacta sunt servanda.
Doch, diese Sprüche höre ich oft, „allein mir fehlt der Glaube". Nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir — das wurde schon gesagt — auf dem von uns eingeschlagenen Weg zwar langsam, aber Schritt für Schritt — ich gebe zu, es sind kleine Schritte — weiterkommen.Sie haben in dem Antrag gesagt, die KSZE laufe den elementaren Interessen des Westens in Europa zuwider. Der jetzige Kanzlerkandidat der CDU/ CSU, Franz Josef Strauß, hat sich sogar dazu verstiegen, die KSZE-Konferenz mit den Ereignissen der Jahre 1938/39 zu vergleichen und dies als ein „gigantisches München" bezeichnet. Da kann es einen nicht wundern, daß bei diesem „Stoffbern" durch die Geschichte seine Subalternen mit Geschichtsklitterei zum Thema Nationalsozialismus und Sozialismus folgen.Vorhin wurde von einem Kollegen der CDU/CSU in einem Zwischenruf gesagt, daß die Situation bis 1957 besser war als die Situation, die wir in bezug auf die Freizügigkeit nach der Ostpolitik erreicht haben. Nun gut, er hat ausdrücklich gesagt: bis 1957. Ich stelle die Gegenfrage: Was ist denn unter Ihrer absoluten Alleinherrschaft in den Jahren 1957 bis1961 geschehen? Und was ist denn am Schluß dieser absoluten Alleinherrschaft im Jahre 1961 mit dem Mauerbau geschehen?
— Herr Becher, natürlich waren wir da, aber wir waren doch nicht in der Koalition. Herr Becher, begehen Sie doch keine Geschichtsklitterung!
— Zum Beispiel in der Zeit von 1957 bis 1961. Damit wir hier ein klein bißchen geschichtlichen Nachhilfeunterricht erteilen: In der Zeit des Mauerbaus waren Sie hier allein in der Verantwortung. Das muß klar und deutlich gesagt werden.
— Herr Kollege Berger, es geht doch hier um einen Zwischenruf von Ihnen und um die geschichtliche Wahrheit. Daß Sie Geschichtsklitterei betreiben, wurde doch eben deutlich. Die Zeit von 1957 bis 1961 haben Sie doch allein in der Regierung verbracht.
— Wo waren Sie, Herr Kollege, und Ihre Kollegen von der CDU/CSU denn, als es anschließend darum ging, tatsächlich Fortschritte für die Menschen zu erreichen? Sie haben die Verträge mit Moskau und Warschau bekämpft. Sie haben den Grundlagenvertrag mit der DDR abgelehnt. Gut, das ist Ihr Recht. Dann müssen Sie es uns aber auch zurechnen und dies akzeptieren, wenn wir mit diesen Verträgen und mit diesen Vereinbarungen Erfolge erzielen. Mit dem Grundlagenvertrag ist es überhaupt erst wieder — ich betone das Wort „wieder" — möglich geworden, in unserem Lande im Rahmen der Menschlichkeit Schritt für Schritt voranzukommen.Die Opposition hat auf eine geradezu verbissene Weise — ich habe das schon gesagt — versucht, die Bundesregierung von der Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa abzuhalten. Ich betone es noch einmal: Es gibt kaum ein bedrückenderes Dokument als den Antrag der Opposition vom 25. Juli 1975, der praktisch einer Aufforderung zur internationalen Isolierung der Bundesrepublik gleichkam.Meine Damen und Herren, das war nun aber keine einmalige Fehlleistung, denn es paßt nahtlos zu dem ebenfalls unvergessenen Versuch der Opposition, die Bundesrepublik Deutschland vom Beitritt zu den Vereinten Nationen abzuhalten. Mein Kollege Hoppe hat schon darauf verwiesen, daß Sie darüber sogar damals Ihren Fraktionsvorsitzenden stolpern ließen.
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14686 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
JungIhre ständige Zitierung der KSZE und der Vereinten Nationen in den heute zur Beratung anstehenden Anträgen und der Großen Anfrage
ist entweder Augenwischerei oder frommer Selbstbetrug. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die sozialliberale Bundesregierung mit ihrer Friedens- und Ostpolitik seit 1969 aktive Menschenrechtspolitik betreibt — und dies stets gegen Ihren Widerstand. Wir, die Koalition — und besonders die liberale Fraktion —, sind nämlich der Auffassung — mittlerweile möchte ich sogar sagen: im Einklang mit den Damen und Herren der CDU/CSU, wenn das alles richtig ist, was heute gesagt wurde —, daß es ohne Menschenrechte keine Sicherheit, keine Freiheit und keinen vertrauenswürdigen Frieden geben kann.Ich möchte einmal daran erinnern, daß es Bundesaußenminister Genscher war, der auf einem unserer Parteitage ausgeführt hat:Die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte ist für uns Liberale in unserem Selbstverständnis verwurzelt. Deshalb treten wir überall für die Menschenrechte ein.Es ist kein Zufall, daß die Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof der Vereinten Nationen — sie findet sich heute in einem Ihrer Anträge wieder — ein einstimmiger Beschluß unseres Parteitags in Freiburg ist. Dahinter steht die Forderung nach einer Objektivierung dieser Frage. Gerade weil für uns die Menschenrechte von so zentraler Bedeutung sind, müssen wir in der politischen Diskussion unseres Landes verhindern, daß sie als Instrument zu einer Neuauflage des Kalten Krieges oder als Mittel zur innenpolitischen Profilierung mißbraucht werden.
Weil wir weltweit für die Menschenrechte eintreten, hüten wir uns auch vor jener ideologischen Einäugigkeit, die erst fragt, wer die Menschenrechte verletzt hat, und dann entscheidet, ob man dagegen auftritt oder nicht. Wir fragen nach dem Verletzten und kämpfen für sein Recht — gleichgültig, wo.
Damit komme ich zu dem Antrag der CDU/CSU betreffend Verstärkung und Ausbau der Institutionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte. Damit rennen Sie offene Türen ein.Seit dem von Ihnen bekämpften Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen im Jahre 1973 hat die Bundesregierung bei allen Anstrengungen dieser Organisation zur Verwirklichung der Menschenrechte in allen damit befaßten Gremien wesentlich mitgearbeitet. Wir haben die beiden großen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen von 1966 im Jahre 1973 als einer der ersten europäischen Staaten ratifiziert. Seit 1974 arbeitet die Bundesrepublik in dem wichtigsten menschenrechtlichen Gremium der Vereinten Nationen, der Menschenrechtskommission mit, der sie seither mit einer einjährigen Unterbrechung ununterbrochen angehört hat. Dem nach dem Bürgerrechtspakt gebildeten Menschenrechtsausschuß gehört ein deutscher Sachverständiger seit Beginn seiner Tätigkeit an. Einem weiteren wichtigen Organ der Vereinten Nationen in diesem Bereich, dem Ausschuß nach der Konvention zur Beseitigung der Rassendiskriminierung, gehört ein deutscher Sachverständiger seit 1970 ohne Unterbrechung an.In unserer politischen Erklärung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen haben die Menschenrechte und die Frage ihrer weltweiten Durchsetzung und Implementierung immer den hervorragendsten Platz eingenommen. In der Generalversammlung hat Bundesminister Genscher bereits im Jahre 1976 zum erstenmal den Gedanken der Errichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs der Vereinten Nationen skizziert, eine Forderung, die Sie heute in Ihrem Antrag erheben. Wir haben die Forderung nach Errichtung einer solchen Institution seither weiter erhoben. In der diesjährigen Generalversammlung hat Bundesminister Genscher dazu gesagt — ich darf mit Genehmigung der Präsidentin wörtlich zitieren —:Auch wenn heute noch bei Vielen Bedenken gegen die Schaffung eines Menschenrechtsgerichtshofs der Vereinten Nationen bestehen, so bin ich überzeugt, langfristig wird sich überall die Einsicht durchsetzen, daß ein solcher Gerichtshof allein der Sicherung der Menschenrechte dient und nicht gegen irgendein Land gerichtet ist.Die Verwirklichung dieses Gedankens, der bei westlich orientierten Staaten, aber zunehmend auch bei einer Reihe von Ländern der Dritten Welt auf Sympathie stößt, würde die vielfachen Bestrebungen im Bereich der Vereinten Nationen krönen, die auf die Verstärkung und den Ausbau des menschenrechtlichen Schutzes in den Vereinten Nationen zielen. Bei diesen Bestrebungen wirken wir aktiv mit, zum Teil mit eigenen Initiativen oder im Rahmen von Initiativen der Neun.Die praktische Arbeit erfordert Geduld und Zähigkeit. Wir müssen der Situation Rechnung tragen, die heute die weltweite Auseinandersetzung über die Menschenrechte bestimmt. Die Phase der Kodifizierung der Menschenrechte ist im wesentlichen abgeschlossen. In einem langen und schwierigen Verhandlungsprozeß ist es gelungen, in den beiden großen Menschenrechtspakten, die ich vorhin erwähnte, einen Grundbestand menschenrechtlicher Normen völkerrechtlich zu kodifizieren. Jetzt geht die Auseinandersetzung um die weltweite Anwendung und Durchsetzung dieser Rechte.Hier wird gerungen um unterschiedliche Interpretationen, unterschiedliche Vorstellungen über die Möglichkeit der internationalen Gemeinschaft, diese Rechte zu implementieren. Wir müssen uns mit der bekannten menschenrechtlichen Position des Ostens auseinandersetzen. Wir sehen uns der Auffassung vieler Staaten der Dritten Welt gegenüber, die den sozialen und wirtschaftlichen Rechten einen besonderen Vorrang geben wollen. Ich darf
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14687
Jungdaran erinnern, daß im Zusammenhang mit der Aushandlung des Lomé-II-Abkommens von den 54 Staaten der Dritten Welt außerordentliche Schwierigkeiten gemacht wurden — obwohl dieses Abkommen ihnen eindeutig zugute kommt —, weil die westlichen Vertreter, die Vertreter der Gemeinschaft immer wieder versuchten, die Menschenrechte in diesem Abkommen zu verankern. Dennoch haben die Staaten Schwierigkeiten gemacht — weil sie eben unterschiedliche Interpretationen vertreten und weil sie insbesondere eine Einmischung in ihre innerstaatlichen Angelegenheiten befürchtet haben. Ich sage das nur, um klarzumachen, welche Schwierigkeiten bei der Behandlung dieser Fragen im Bereich der Vereinten Nationen immer wieder entstehen.
Unter unserer Präsidentschaft haben die Neun zum 30. Jahrestag der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Dezember des vergangenen Jahres ihre Position in der Generalversammlung der Vereinten Nationen dargelegt. Dabei sind wir für das Prinzip eingetreten, das sich international immer mehr durchgesetzt hat: Die Förderung und Wahrung der Menschenrechte ist eine legitime internationale Aufgabe geworden. Kein Staat kann sich der kritischen Aufmerksamkeit der Völkergemeinschaft entziehen, besonders wenn es um schwerwiegende und dauernde Verletzungen der Menschenrechte geht.Hier möchte ich bei allem Respekt vor dem Kollegen von Weizsäcker meine Verwunderung über seine Ausführungen über den Iran ausdrücken. Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß die Bundesregierung — ebenso wie er — in diesen Vorgängen einen eklatanten Völkerrechtsbruch, eklatante Verstöße gegen die Menschenrechte sieht.Ich darf daran erinnern, daß Graf Lambsdorff heute früh um 7.18 Uhr im Deutschlandfunk bereits betont hat, „daß es sich hier um eine völkerrechtswidrige Besetzung handelt, daß wir in einer solchen Situation unsere Freunde unterstützen", Herr Straßmeir, „die uns auch in schwierigen Situationen unterstützt haben". Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß diese Bundesregierung nicht voll auf dem Boden des Rechts steht.
Meine Damen und Herren, ich bitte darum, den Redner fortfahren zu lassen.
Ich habe mir das Recht genommen, über die Themen zu reden, zu denen ich reden will. Deswegen bin ich auf das eingegangen, was Herr von Weizsäcker über die Situation im Iran ausgebreitet hat.
Ich wollte Herrn von Weizsäcker darauf hinweisen,Herr Kollege Pfeffermann, damit das ganz klar ist,daß heute unter seiner, der Präsidentschaft des Herrn Kollegen von Weizsäcker, also Graf Lambsdorff ausweislich des Protokolls das, was ich eben zitierte, von dieser Stelle aus diesem Hohen Hause gesagt hat, nämlich daß wir gemeinsam dafür zu sorgen haben, daß der völkerrechtswidrige Zustand „schleunigst wieder beendet wird". Ich habe Verständnis dafür, daß Herr von Weizsäcker im Zusammenhang mit Geschäftsordnungsfragen dies vielleicht überhört haben mag.Ich wollte in diesem Zusammenhang hier deutlich machen, daß die Bundesregierung und wir als sozialliberale Koalition mit unseren Verbündeten beharrlich dafür kämpfen werden, daß besonders die in der Menschenrechtskommission vorhandenen Ansätze zur Behandlung von Menschenrechtsverletzungen weiter ausgebaut werden. Wir sind sowohl dort als auch in anderen Gremien der Vereinten Nationen initiativ geworden, um immer mehr Staaten zu bewegen, den beiden großen Menschenrechtspakten beizutreten und den dort vorgesehenen Kontrollmechanismen dadurch zu umfassenderer Wirksamkeit zu verhelfen.Auch bei der Schaffung von Verfahren zur Erhöhung des menschenrechtlichen Schutzes in der Sonderorganisation der Vereinten Nationen befinden wir uns unter den Initiatoren. Wir unterstützen in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten alle Bestrebungen, die auf eine Verstärkung der Menschenrechtsabteilung des UN-Sekretariats hinzielen.Allerdings finden unsere Bemühungen eine Grenze in den in den Vereinten Nationen vorhandenen Mehrheitsverhältnissen. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Sie finden auch ihre Grenze in der Blocksolidarität der Ungebundenen. Wir richten daher unsere Aktivität darauf aus, bei möglichst vielen Staaten der Dritten Welt Verständnis für unsere menschenrechtlichen Anliegen zu wecken und damit die Bereitschaft zu erzeugen, unsere Bestrebungen in Richtung auf einen institutionellen Ausbau des Menschenrechtsschutzes in den Vereinten Nationen zu unterstützen.Ich darf zusammenfassen: Die Verwirklichung der Menschenrechte ist ein wesentliches Ziel der Politik der sozialliberalen Koalition und ihrer Bundesregierung. Dieses Ziel wird im Rahmen ihrer Entspannungspolitik angestrebt. Weil die Durchsetzung der Menschenrechte den Interessen der einzelnen Menschen dient, sind menschliche Erleichterungen ein wichtiges Element der Politik der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist die Menschenrechtspolitik für die Bundesregierung kein Instrument, um anderen Staaten die eigene Staats- und Gesellschaftsordnung aufzudrängen. Menschliche Erleichterungen sind ein wichtiges Element der Politik der Bundesrepublik Deutschland.Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mögen das bescheiden nennen. Wir nehmen das dann ganz gerne hin. Ich darf Ihnen aber für die Freien Demokraten sagen: Wir werden diese be-
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14688 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Jungscheidene Politik, die aber bisher auch zu Erfolgen geführt hat, mit allem Nachdruck unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jung, bitte, nehmen Sie zur Kenntnis — wir haben es oft genug gesagt —, daß die Union Verträge auch dann respektiert, wenn wir sie aus guten Gründen bei ihrem Zustandekommen abgelehnt haben.Lassen Sie mich im Blick auf die Ostverträge noch eines hinzufügen: Mittlerweile sind wir es, die die Ostverträge in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dagegen verteidigen müssen, daß Sie und Ihre Freunde bei der Interpretation dieser Verträge nicht mehr die deutsche, sondern die sowjetische oder die polnische Lesart übernommen haben. Ich erinnere Sie nur an die Manipulationsversuche im Rahmen des Umsatzsteuergesetzes.
Meine Damen und Herren, wenn am Anfang der jetzt zu Ende gehenden 70er Jahre bei einer deutschlandpolitschen Auseinandersetzung von den Vertretern der CDU/CSU gesagt worden wäre, ein Jahrzehnt später stünden im Deutschen Bundestag Anträge von CDU und CSU zur Debatte mit dem Ziel, erstens die Bundesregierung zu veranlassen, mit der DDR über den Abbau von damals noch gar nicht gekannten mörderischen Todesautomaten an der innerdeutschen Grenze, die Aufhebung des Schießbefehls und die Beseitigung der Minenfelder an der innerdeutschen Grenze zu verhandeln — wie es heute mit unserem Antrag auf Drucksache 8/3326 geschieht — und zweitens mit der DDR über bescheidene Stufenpläne zur Ermöglichung eines Besuchsverkehrs und der Freizügigkeit in West-OstRichtung in Deutschland zu beginnen — so will es die Drucksache 8/3328 —, dann wäre damals derjenige, der dies vorausgesagt hätte, als böser Kalter Krieger und als Schwarzmaler verschrien worden, dem jedes Vertrauen in die neue Ära deutsch-deutschen Miteinanders fehle.
Damals tönte in der Euphorie der sogenannten neuen Ostpolitik Willy Brandt, er befände sich mit seiner Koalition auf dem Wege dahin, wo nicht mehr geschossen werde. Egon Bahr sagte kurz vor der Bundestagswahl des Jahres 1972, daß der Schießbefehl hinfällig werde, wenn der Grundvertrag erst unterschrieben worden sei.
Schließlich tönte es aus den Reihen der SPD, manhabe handfeste Informationen dafür, daß die DDRden unmenschlichen Schießbefehl nach der Ratifizierung der Verträge nicht mehr praktizieren werde.
Heute wissen es alle Einsichtigen, die Getäuschten und die Enttäuschten, daß die DDR nicht um einer Vertragspolitik willen, die das Ziel hat, die Lebensverhältnisse im geteilten Deutschland zu erleichtern, zu Zugeständnissen bei menschlichen Erleichterungen bereit ist, sondern einzig und allein hin und wieder auf Grund ihrer wirtschaftlichen Situation gezwungen ist, solche menschlichen Erleichterungen gegen D-Mark zu verkaufen.
Anders brächte sie ihre sozialistischen Volkswirtschaftspläne überhaupt nicht mehr über die Runde.Bei der auf Abgrenzung bedachten DDR fehlt damit die Grundvoraussetzung zu der Art von Deutschlandpolitik, die Sie bei der Inangriffnahme dieser Deutschlandpolitik, die Sie vor zehn Jahren begonnen haben, vorausgesetzt hatten.
Unter der Tarnbezeichnung „Entspannungspolitik" betreibt die DDR systematisch Geldschneiderei und den Griff ins Portemonaie der westdeutschen Steuerzahler.
Die jüngsten Vereinbarungen über die Pauschalierung der Straßenbenutzungsgebühren, von Staatssekretär Gaus hochtrabend als das wohl bedeutendste Abkommen mit der DDR seit dem Grundlagenvertrag bezeichnet, haben einmal mehr deutlich gemacht, daß die Bundesregierung vor den Forderungen der DDR kapituliert und ihr Nachgeben obendrein als Erfolg hochzujubeln versucht.
Der Kollege Straßmeir hat die unglaubliche Art und Weise, in der dieses Ergebnis zustande gekommen ist, hier eindeutig geschildert. Da die DDR, wie wir wissen, nicht an einem Besucherstrom aus dem Westen, sondern allein an dem Geld interessiert ist, kann sie jetzt, nachdem ihr für 10 Jahre die jährliche Summe von 50 Millionen DM garantiert worden ist, mit systematischen Schikanen bei der Ein- und der Ausreise den zu Reisen in den grenznahen Bereich der DDR berechtigten Bürgern der Bundesrepublik Deutschland diese Reisen derartig vermiesen, daß sie diese Reisen lieber unterlassen.Herr Bundesminister Franke, sie haben soeben, als Kollege Straßmeir Sie auf diesen Punkt ansprach, mit dem Kopf geschüttelt. Ich habe den Eindruck, daß Ihnen dieser Fallstrick bei dem neuen Abkommen überhaupt erst jetzt bewußt geworden ist.
Die Straßenbenutzungsgebühren jedenfalls werden so oder so kassiert. Egal, wie viele Fahrzeuge tatsächlich die innerdeutsche Grenze passieren — Hauptsache, die Kasse der DDR stimmt!
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14689
Böhm
Wir wissen, daß schon bisher weniger als 7 % der zu Reisen in den grenznahen Bereich der DDR Berechtigten auch tatsächlich in die DDR gefahren sind. Wenn nun auch die reisewilligen Bürger der Bundesrepublik Deutschland ihre Straßenbenutzungsgebühren nicht mehr persönlich beim DDR-Grenzposten entrichten müssen, sondern die Bundesregierung das pauschal auf Kosten des Steuerzahlers übernimmt, bleiben doch immer noch die Ausgaben für den Zwangsumtausch und die Visa-gebühren, die über die möglichen Schikanen hinaus eine zusätzliche finanzielle Schranke bei der Fahrt in die DDR darstellen.Diese Politik und ihre Ergebnisse als „Fortschritte bei der Entspannung" und als „Beitrag zur Normalisierung" zu bezeichnen, ist sachlich falsch, denn es ist eben nicht „normal", Straßenbenutzungsgebühren zu zahlen — individuell oder pauschal —, Zwangsumtausch zu leisten und Visagebühren zu entrichten, wenn man von Deutschland nach Deutschland reisen will.
Angesichts dieser Verhandlungsergebnisse muß man fragen, ob sie durch Dilettantismus bei der Verhandlungsführung der Bundesregierung verursacht sind oder ob hinter ihnen nicht doch die Konzeption sichtbar wird, der DDR so viel D-Mark wie nur irgend möglich zuzuschanzen. Damit sind wir beim Kern der deutschlandpolitischen Überlegungen dieser Bundesregierung, deren Konzept auf der Vorstellung vom „Wandel durch Annäherung" und auf der Überlegung basiert, durch wirtschaftliche Leistungen an die DDR und an den Ostblock insgesamt diesen Wandel dort zu bewirken und auf diesem Wege zur Entspannung zu kommen.In diese Grundkonzeption gehört dann in der Tat eine Nachgiebigkeit gegenüber der DDR selbst dann, wenn diese geschlossene Verträge aushöhlt und bricht. Denn das, was Sie Entspannung nennen, soll und darf auf keinen Fall gefährdet werden.In aller Eindeutigkeit hat der 1975 aus der DDR ausgewiesene „Spiegel"-Korrespondent Mettke nach der Bundestagswahl 1976 im sozialdemokratischen Parteiorgan „Vorwärts" diese Konzeption dargestellt, als er verlangte, die DDR durch Politik bewohnbarer zu machen, und schrieb — ich zitiere aus dem „Vorwärts" —.Dazu gehört es, zwischen und vor Wahlen ohne Rücksicht auf Union und Erler-Gesellschaft vernehmlich zu sagen, daß man eine starke DDR will, keine schwache, und eine selbstbewußte SED-Führung, keine ängstliche. Dazu gehört für Sozialdemokraten, daß der Verteufelung von Kommunisten, zumal im eigenen Lande, Einhalt geboten wird. Dazu gehört, der DDR notfalls auch ohne politische Gegenleistung Verbesserungen ihrer ökonomischen Infrastruktur zu finanzieren und vielleicht eines Tages eine Autobahn womöglich auch dann zu subventionieren, wenn sie, ohne West-Berlin zu berühren, „nur" von Magdeburg nach Leipzig führt.Die DDR wird das dankbar zur Kenntnis nehmen. Nur, eines wird sie nicht tun: wenn sie weiß, daß hier so gedacht wird, sich wandeln, damit uns die Annäherung möglich wird.
Um des Wandels durch Annäherung willen aber schonen SPD und FDP die DDR trotz zahlreicher unfreundlicher Akte. Darum denken sie immer wieder darüber nach, welche weitergehenden Leistungen für die DDR wohl interessant sein könnten. Staatssekretär Gaus dachte dabei, wie wir alle wissen, schon bis zur DDR-eigenen Staatsbürgerschaft.Die Konzeption des Wandels durch Annäherung ist zwar — das gestehe ich Ihnen zu — in sich schlüssig. Aber sie ist falsch. Sie geht von einer Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des sozialistischen Systems und seiner Ideologiebezogenheit aus. Die der DDR entgegengebrachten wirtschaftlichen Leistungen fördern dort nämlich nicht die innere Reform des Systems, sondern stützen die sozialistischen Wirtschaftsstrukturen und ermöglichen, wenn auch mit Ach und Krach, die Durchführung der sozialistischen Volkswirtschaftspläne.
So wird die wirtschaftliche Überlegenheit der Bundesrepublik, die diese dank ihres marktwirtschaftlichen Systems hat, unter deutschlandpolitischen Gesichtspunkten nicht zur Geltung gebracht.Genau das Gegenteil der Konzeption der Bundesregierung wäre richtig, nämlich durch die Verweigerung überzogener wirtschaftlicher und finanzieller Leistungen an ein sichtbar bankrottes sozialistisches System die Notwendigkeit der Reformen dort zu bewirken. Diese Reformen können nur so beschaffen sein, daß sie marktwirtschaftliche, d. h. erfolgreiche, Elemente einführen. Diese wiederum sind zwangsläufig Entwicklungen hin zu den politischen Voraussetzungen für eine tatsächliche Entspannungspolitik, die diesen Namen verdient.
Aber solange man vom demokratischen Sozialismus träumt, den es im innerdeutschen Bereich zu verwirklichen gilt, werden Sie für diese Vorstellungen kein Verständnis haben.
Geradezu absurd ist das in diesem Zusammenhang immer wieder vorgebrachte Argument der Bundesregierung — und das kam natürlich auch heute —, man könne der DDR nicht vorschreiben, wie sie ihre Ordnung im Inneren gestalte.
Vertragspolitik bedeutet doch gerade, den jeweiligen Vertragspartner, gleichgültig, wer es ist, zu Maßnahmen oder zu einer Politik zu veranlassen, die er ohne die Verträge, also ohne das Einwirken von außen, in seinem Inneren aus welchen Grund auch immer nicht ergreifen würde.
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14690 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Böhm
Die vom Westen abgepreßten Zahlungen gehen schließlich auch in die innere Gestaltung der DDR ein, wenn auch allein und ausschließlich zur Stabilisierung des kommunistischen politisch-ökonomischen Systems. Das tun sie so lange, wie ihnen nicht Gegenleistungen gegenüberstehen, die tatsächliche Reformen in der DDR bewirken könnten, wie sie unsere heute hier vorgelegten Anträge im Ansatz aufzeigen.Fest steht: 30 Jahre nach ihrer Gründung hält sich die DDR nur durch die Zahlungen aus dem Westen ökonomisch mit Müh und Not über Wasser. Die politische und wirtschaftliche Situation ist so, daß auch zehn Jahre nach Beginn der sogenannten neuen Ostpolitik die DDR nicht von sich aus willens ist, auch nur bescheidene Schritte in Richtung auf Freizügigkeit für ihre Bürger zu gehen. Darum flüchten diese Bürger im Ballon, als Taucher, in selbstkonstruierten Unterseebooten, mit Segelflugzeugen, mit Tricks und Täuschungen, mit Umwegen über die ganze Welt oder setzen sich der Gefahr aus, von den mörderischen Dumdumgeschossen der SM-70-Todesautomaten an der innerdeutschen Grenze zerfetzt zu werden.
Kilometer um Kilometer an der innerdeutschen Grenze hat die DDR im letzten Jahrzehnt mit jenen unmenschlichen Todesautomaten bestückt, deren entsetzliche Wirkung den international geächteten Dumdumgeschossen entspricht.Über den Tod des 27jährigen Flüchtlings Hans Friedrich Franck, der beim Übersteigen des Metallgitterzauns eine der dort angebrachten Selbstschulanlagen auslöste, ist im ärztlichen Bericht zu lesen, daß Franck trotz intensivster Bemühungen seitens der Ärzte sowie aller an seiner Rettung beteiligten Personen nicht am Leben erhalten werden konnte. Die unregelmäßig geformten, scharfkantigen und gezackten Metallsplitter des Sprengkörpers, die in ihrer Wirkung einem Dumdumgeschoß gleichkämen, wenn nicht dieses überträfen, hätten den Verletzten so zerfetzt, daß dies selbst sein junger Organismus nicht verkraften konnte, und der junge Mensch starb.Unübertroffen, meine Damen und Herren, der Zynismus, mit dem der Verteidigungsminister der DDR, Armeegeneral Hoffmann, die Opfer der Todesautomaten, des Schießbefehls und der Minenfelder mit den Verkehrstoten in der Bundesrepublik und der DDR vergleicht und darüber hinaus feststellt — ich zitiere —:Wer sich in klarer Kenntnis der Lebensgefährlichkeit seines Tuns an unseren Grenzsicherungsanlagen vergreift, riskiert nun eben einmal Kopf und Kragen.Hoffmann erklärte in diesem Zusammenhang weiter — ich zitiere ihn —:Wer von einem Zehn-Meter-Turm springt, obwohl er weiß, daß im Becken kein Wasser ist, der soll, falls er überlebt, nicht nachträglich noch den Bademeister dafür verantwortlich machen, der ihn gewarnt hat und vor Schaden bewahren wollte.
Als unser Kollege Schröder die Bundesregierung fragte, in welcher Form sie die DDR an ihre Pflichten zu erinnern gedenke, die sich aus der Unterschrift der DDR unter die Deklaration der Haager Konvention ergäben, die Dumdumgeschosse eindeutig verbiete, erklärte die Bundesregierung — ich zitiere —:Die Haager Erklärung vom 29. Juli 1899 betreffend das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder plattdrücken, ist, wie es dort ausdrücklich heißt, für die vertragschließenden Mächte nur bindend im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren von ihnen. Im übrigen— so die Bundesregierung —richten sich die Schußapparate SM 70 gerade gegen Bewohner der DDR selbst.
Ich bitte das Hohe Haus, dies hier zur Kenntnis zu nehmen, und erspare mir jeden weiteren Kommentar.Wir haben vorhin vom Kollegen Jahn gehört, daß er uns vorwirft, wir würden die DDR beschimpfen. Es ist doch die DDR, die innerhalb Deutschlands schimpfliche Zustände geschaffen hat, die so sind, daß ihre Beschreibung von Ihnen so ausgelegt wird, als würden wir die DDR beschimpfen. Es ist schlimm, wenn Sie diese Tatsachenschilderung hier als Beschimpfung der DDR darstellen.
Die menschenrechtswidrigen Zustände an der innerdeutschen Grenze müssen endlich wieder in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gebracht werden. Die Entwicklungen im Reiseverkehr in die DDR, die für teures Geld erkauft worden sind und erkauft werden, dürfen nicht länger Alibi für das Verschweigen der Wirklichkeit an der innerdeutschen Demarkationslinie sein.
Die Bundesregierung hat sich bei ihren Verhandlungen mit der DDR unter einen unheilvollen Erfolgszwang gesetzt. Wer aber unter Erfolgszwang steht, ist für Verhandlungen mit kommunistischen Regimen ungeeignet. Ehrlicher wäre ès, auch die Mißerfolge bei und nach Verhandlungen mit der DDR deutlich darzustellen, statt der Diskussion innerhalb der Bundesrepublik dadurch zu entfliehen, daß die angebliche Alternativlosigkeit der Politik der Bundesregierung behauptet und anmaßend verkündet wird, die Alternative zu dieser Art von sogenannter Friedenspolitik sei die kriegerische Auseinandersetzung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14691
Böhm
Um zu Wahrheit, Klarheit und Ehrlichkeit in der Deutschlandpolitik zurückzukehren — und darum appelliere ich an Sie —, verlangen wir in unseren beiden Anträgen regelmäßige Berichte der Bundesregierung über ihre Erfolge und Mißerfolge bei den Bemühungen um Freizügigkeit in Deutschland und mehr Menschlichkeit an der innerdeutschen Grenze. In der Weltöffentlichkeit und in der deutschen Offentlichkeit würde die realistische Einschätzung der deutschlandpolitischen Möglichkeiten wachsen und ein Schritt weg von den Illusionen getan.Über die Zukunft Deutschlands — das wissen wir alle — wird weltweit nachgedacht. Die deutsche Frage und die Wiedervereinigung bleiben auf der Tagesordnung, ob es Herbert Wehner und Willy Brandt wollen oder nicht. Unsere europäischen Nachbarvölker, die ein natürliches Verhältnis zu sich selbst und für ihre Nation haben, glauben es uns im übrigen ohnehin nicht und würden es uns auch nicht glauben, daß wir die Wiedervereinigung aufgegeben hätten. Die Politik Adenauers hat deutlich gemacht, daß uns Freiheit vor Einheit geht, und das nicht zuletzt deswegen,
weil wir dadurch den Landsleuten in Mitteldeutschland die Option auf Freiheit, Selbstbestimmungsrecht, Menschenrechte und schließlich auf Wiedervereinigung offenhalten wollen.
Ein geteiltes Land darf seinen Nachbarn nicht bequem sein, und wenn es das ist, stimmt etwas nicht in diesem Volk. Entweder hat es sich dann selbst aufgegeben, oder es ist dabei, sich aufzugeben, oder es täuscht seine Nachbarn, oder es wird falsch regiert.
Deutschlandpolitik ist — so gesehen — mehr als Menschenrechtspolitik, so wichtig dies auch ist. Wir Deutschen haben sicherlich die Pflicht, für die Menschenrechte in Südamerika, in Afrika und überall in der Welt einzutreten, aber in allererster Linie doch wohl für das Menschenrecht unserer Mitbürger in Leipzig, in Erfurt und in Magdeburg. Denn wer — wenn nicht wir — ist dazu berufen, für unsere Landsleute einzutreten, weil wir eines Volkes sind und weil wir ein gemeinsames Vaterland haben?
Ich erteile der Abgeordneten Frau Balser das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit meinem Vorredner in einem Punkt jedenfalls überein, nämlich daß mehr Menschlichkeit an der Grenze, die mitten durch das alte Deutschland führt, herrschen sollte. Das aber, Herr Kollege Böhm, ist von seiten meiner Fraktionsfreunde ja schon vorher eindeutig ausgeführt worden, und das zumindest sollte in diesem Hause überhaupt nicht strittig sein.Mit Ihren anderen Überlegungen haben Sie, glaube ich, mindestens die Menschen im anderen Teil unseres Landes, in der DDR, nicht gerade in Rechnung gestellt, wenn Sie nämlich von einer Verweigerungspolitik ausgehen,
wenn Sie sozusagen die gesamte innerdeutsche Zusammenarbeit auf dem Sektor der Wirtschaft einfrieren lassen wollen
— genau das haben Sie gesagt — und meinen, damit könne man das Regime drüben zum Zusammenbruch bringen. Das ist — jedenfalls nach meiner Meinung — eine absolute Illusion
und es geht auf Kosten der Menschen, die dort leben.
Ich weise auch strikt zurück, was Sie eingangs gesagt haben, daß bei der Interpretation der Verträge nicht mehr die deutsche, sondern die sowjetische Lesart vorherrsche. Dies ist nun wirklich so unsinnig,
daß es kaum lohnt, sich hiermit auseinanderzusetzen.
Sie haben von der „Tarnbezeichnung der Entspannungspolitik" gesprochen, die nach allgemeiner Übereinkunft in den letzten Jahren den Frieden in unserem Land mitten in Europa und in Europa insgesamt gefestigt hat. Wie kann man so etwas als „Tarnbezeichnung" ansehen? Ich glaube, Sie sind weit weg von dem, was sich politisch hier bei uns und darüber hinaus abspielt, und sehen vor allem nicht, wie die Politik, die die sozialliberale Koalition betreibt, in der Welt eigentlich beurteilt wird.
Aber lassen Sie mich zu etwas anderem übergehen. Ich habe mich bei dieser Debatte, die für mich ohnehin etwas neu ist, sehr darüber gewundert
— Sie auch —, daß z. B. der Kollege Straßmeir weitgehend aufgerechnet hat, was es denn nun alles kostet, wenn man zu Transitverbesserungen, zur Möglichkeit des Reisens in die DDR überhaupt, kommt. Anscheinend sind Ihnen die Gelder, die hier aufge-
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14692 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Frau Dr. Balserwendet werden, um Verbesserungen zu erzielen, so furchtbar wichtig, daß man hier überall den Rechenstift anlegen muß. Das ist sehr bedauerlich.
— Nun ja, so kann man es auch sehen.
Ich habe ohnehin den Eindruck — wenn Sie mir erlauben, das noch zu sagen —, daß einige der Kollegen an einem Realitätswahrnehmungsschwund leiden.
Als Beispiel — damit endlich nach einer so langen Debatte vielleicht auch einmal wieder gelacht werden kann — führe ich nur an, daß der sehr verehrte Kollege Graf Huyn hier immer nur „meine Herren" gesagt hat, während eine Präsidentin hinter ihm saß und auch sonst noch einige Damen im Saal waren.
So ähnlich ist das eben mit der Einschätzung dessen, was im anderen Teil Deutschlands vor sich geht. Dort wird gar nichts zusammenbrechen, wenn wir hier wirtschaftliche Verbindungen einstellen, sondern die Dinge werden sich im Gegenteil verhärten. Genau das sollte nun vermieden werden. Ich meine, es ist richtig, davon auszugehen, was der Herr Minister Franke hier gesagt hat, daß die Methode des Interessenausgleichs die ist, die man anwenden muß, und nicht die Methode des absoluten Abschneidens, die Sie im Grunde empfehlen, obgleich es sich um innerdeutsche Politik handelt. Nur so werden wir meines Erachtens — und so ist die Meinung meiner politischen Freunde — hier weiterkommen. Dies ist dann wohl die Art und Weise, in der wir versuchen müssen, uns mit den Anträgen, die Sie uns zahlreich vorgelegt haben, auseinanderzusetzen.Für mich waren die Anträge, auf die ich mich hier eigentlich konzentrieren wollte, nämlich die, die sich mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der DDR befassen, in allererster Linie eine Faktenaufzählung statt eines Verfahrensvorschlags. Sie haben aufgezählt, welche Fakten allseits bekannt sind. Sie haben aufgezählt, was die Bundesregierung tun sollte, dies alles steht aber — das mag eine zeitliche Überschneidung gewesen sein — sehr ausführlich begründet und im einzelnen dargetan unter Bezugnahme auf genau dieselben Quellen, die auch Sie anführen, in der ausführlichen Antwort der Bundesregierung. Von daher meine ich, es wird die Hauptaufgabe in den Auseinandersetzungen in den Ausschüssen sein, die Antwort der Bundesregierung im einzelnen abzuklopfen; denn Sie, meine sehr verehrten Herren Kollegen, haben — wenigstens für mich nicht ersichtlich — nirgends einen Punkt beigetragen, an dem man die innerdeutsche Politik nun gemeinsam weiter entwickeln könnte, sondern Sie haben die Bundesregierung angegriffen, die ihrerseitshierzu aber sehr viel vorgeschlagen und ohnehin in den letzten Jahren betrieben hat.Dazu gehört z. B. folgender Punkt. Sie fordern Pressefreiheit und Informationsfreiheit, natürlich. Jedermann weiß, daß es dies in der Deutschen Demokratischen Republik nicht gibt. Die Bundesregierung sagt, um diese Dinge zu ändern, muß man in international abgestimmten Verhandlungen weiterkommen. Wenn Sie diese vielen Unterlagen, die Sie vielleicht gar nicht so genau zur Kenntnis genommen haben — ich habe mich darum bemüht —, genauer gelesen hätten, dann hätten Sie wahrscheinlich bemerkt, daß die DDR bei dem Staatenbericht, den sie bereits 1977 vorgelegt hat, genau zu diesem Punkt sehr wenig sagt. Sie ist hier eines schlechten Gewissens, so möchte ich es einmal ausdrücken. Aber es ist doch auch zu sehen, daß die nicht vorhandene Pressefreiheit in der DDR eine partielle Sache ist. Wir wissen alle miteinander, daß sich die Leute da drüben Abend für Abend für Abend die westdeutsche Tagesschau ansehen und von daher, was das Fernsehen anlangt, durchaus informiert sind und möglicherweise auch verfolgen, was hier geschieht.
Jedenfalls sind sie nach meiner Kenntnis über vieles besser informiert als umgekehrt — leider, muß ich sagen — die Bürger der Bundesrepublik Deutschland über das, was sich in der DDR eigentlich abspielt.
Es wäre wichtig für die Weiterführung der Politik in unserem Lande, daß die Bürger in unserem Lande die Möglichkeiten, die geschaffen worden sind, nämlich die Reisen in die DDR, mehr ausnutzen, als es bislang noch geschieht, obgleich die Zahlen ja sehr bemerkenswert sind. Die Folgerung aus dieser Situation ist ja u. a. auch folgende: Der Bundesrepublik, der Politik der Koalition ist immerhin gelungen — was vorher nicht gelungen war —, Journalisten in die DDR zu kriegen. Wir wissen, daß 19 Journalisten in der DDR zugelassen sind
und daß sechs aus der DDR hier bei uns sind. Das ist ein unausgewogenes Verhältnis, aber das ist eine Sache von drüben. Die Journalisten, die dort sind und Bericht erstatten, haben auch eine andere Funktion, als nur dort anwesend zu sein oder irgendwie das Regime da drüben zu verändern. Diese Funktion genau haben sie nicht. Sie haben die Funktion der objektiven Berichterstattung, wie das gutem Journalismus entspricht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14693
Frau Dr. BalserAls Journalist hat jeder seine Funktion, und das ist die einer objektiven Berichterstattung, wenigstens nach meinem Verständnis.
Eine objektive Berichterstattung findet ja weitgehend statt. Sie finden ja auch hier bei uns die Sendungen. Sie hat dazu noch folgende Funktionen, erstens einmal, daß bei uns die Analyse über das, was in der DDR vonstatten geht, leichter wird, und zweitens, daß auch mehr Verständnis für die Situation, die drüben besteht, geweckt werden kann.
Ich glaube, daß es an diesem Verständnis weitgehend mangelt und daß man im Laufe der Zeit etwas mehr Verständnis für die Menschen, die dort drüben leben müssen — die haben sich das genausowenig ausgesucht wie wir —, aufbringen müßte.Natürlich ist zu bedauern, daß die Presse- und Informationsrechte in der DDR keineswegs vollständig wahrgenommen werden können. Es wird eine weitere Aufgabe sein, hier einiges zu entwickeln.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Bitte schön.
Frau Kollegin, teilen Sie meine Auffassung, daß unser Antrag allein schon deswegen gerechtfertigt ist, weil die DDR bis zum heutigen Tage keine ihrer vertragswidrigen Einschränkungen der journalistischen Freiheit drüben, die im Verlauf der letzten Jahre geschehen sind, rückgängig gemacht hat?
Ich teile Ihre Überlegung, daß zu bedauern ist, daß die DDR in diesem Jahr noch eine weitere Einschränkung vorgenommen hat. Soweit ich informiert bin, ist bislang gleichwohl nichts Gravierendes erfolgt.
Ich darf jetzt vielleicht weitersprechen. — Meines Erachtens kommt es in Zukunft darauf an, dem, worum die Bundesregierung in ihrer Antwort eigentlich bittet und worauf ich von seiten der Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion sehr wenig Resonanz gehört habe, zu entsprechen. Die Bundesregierung bittet doch bei den anstehenden schwierigen Verhandlungen, die zur Verbesserung beitragen können, darum, die Situation nicht dadurch zu erschweren, daß man jemand auf die Anklagebank setzt, sprich: die Situation in der DDR.
Sie bittet weiter darum und regt an, mit der Öffentlichkeit in internationalen Verhandlungen die Probleme zu erörtern und sie ansonsten etwas außen vorzulassen. Sie spricht von den neuen Ansätzen, die mit den Menschenrechtspakten gegeben sind. Jeder, der die Geschichte auf diesem Gebiet ein bißchen überblickt, weiß, daß weit mehr als 100 Jahre um Menschenrechte gekämpft und gerungen worden ist, und wird eigentlich davon ausgehen können, daß man das nicht heute und sofort wird erledigen können.
Meines Erachtens ist die Tradition der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland sowieso nicht sehr ausgeprägt vorhanden. Immerhin haben ja Ihre Anträge u. a. auch den Erfolg, daß wir alle miteinander ein bißchen mehr darüber reden und nachdenken. Gleichwohl ist in der Bundesrepublik Deutschland — um die Geschichtskenntnisse ein wenig aufzubessern oder auch nur wieder wachzurufen; Sie haben sie ja sicher — eine Tradition der Menschenrechte sehr wohl vorhanden. Es muß uns aber gelingen, dies auch bewußter zu machen. Wenn Sie wieder einmal in Berlin im Reichstagsgebäude sind, dann schauen Sie sich doch dort einmal um. Sie werden in der Ausstellung dort einiges dazu finden, u. a. eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die dort zu besichtigen ist. Selbige stammt aus dem Jahre 1834 und ist ein erstes Zeugnis der Arbeiterbewegung in Deutschland.
Dies ist in die Beratungen von 1848 eingegangen. Das kann man, wenn man sich historisch mit den Dingen beschäftigt, alles nachlesen. Wir haben eine Tradition, aber wir haben kein selbstverständliches Bewußtsein für Menschenrechte wie die Vereinigten Staaten und — in anderer Form — England oder Frankreich. Folglich sollten wir in einen Dialog eintreten, der hier auch weiterhilft, der uns gemeinsam zu Lösungen führen kann und der sicherlich auch dazu beitragen wird, Menschenrechte als ein konstituierendes Element eines Staatswesens zu sehen, und zwar in den Unterschiedlichkeiten, die heute vorhanden sind.
Wer die öffentliche Meinungsbildung aufmerksam verfolgt, konnte vor einiger Zeit in der FAZ lesen, daß die Menschenrechtsdebatte in der Sowjetunion unter ganz anderen Vorzeichen angefangen hat, weil man eine ganz andere Einstellung hatte, in der Zeitschrift Nowy Mir und sonstwo. Dies alles aber tun Sie ja hier nicht. Sie decken mit Ihren Angriffen und Meinungen alles zu und sagen, die Vorschläge der Bundesregierung und der Koalition seien am falschen Ende angefangen. Wir sollten lieber versuchen den Dialog voranzubringen und die friedenssichernde Funktion der Menschenrechte für die gesamte Menschheit zu erhalten, die sie nach unserem Verständnis auch ursprünglich hatte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hennig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß wir hier eine deutschlandpolitische Debatte führen. Ich finde das eine gute Sache. Diese Debatte würden wir nicht führen, wenn die Opposition diese Anträge und diese Großen Anfragen nicht gestellt hätte. Sonst hätten wir es — aus der Sicht der Koalitionsparteien — mit die-
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14694 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Dr. Hennigser Ihnen schon etwas lästig gewordenen Pflichtübung einer Debatte über den Bericht zur Lage der Nation im Januar — oder wann immer der erstattet wird — genügen lassen. Dies reicht uns nicht. Deswegen haben wir heute eine zusätzliche Debatte über diese wichtige Thematik.
Ich möchte im Rahmen dieser Debatte auf zwei Punkte zu sprechen kommen, die mir besonders wichtig zu sein scheinen. Der erste ist unser Antrag zum Thema Sicherheit der Transitreisenden. Wir haben diesen Antrag seinerzeit aus begründetem Anlaß gestellt. Dieser Anlaß war nicht der Fall Jablonski. Es wäre falsch, das so zu sehen. Anlaß war vielmehr eine offizielle Mitteilung des Gesamtdeutschen Ministeriums — ich bitte um Nachsicht, Herr Minister, daß ich noch die alte Terminologie benutze —, des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, daß die Sendung „Kontraste" des „ZDF" am 25. Januar dieses Jahres „irrtümlich" gewesen sei. Diese Sendung hatte korrekt über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Verhaftungen von DDRFlüchlingen auf den Transitstrecken berichtet. Das war der Anlaß. Das möchte ich zunächst einmal richtigstellen, da es in dem Bericht des Kollegen Schulze heißt, der Anlaß sei der Fall Jablonski gewesen. Dies war er in unseren Augen nicht. Wir haben das zwar mit aufgenommen, aber Anlaß war diese, wie sich später herausstellte, unkorrekte Pressemitteilung aus dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen.Ich möchte mit wenigen Worten den Inhalt dieses Antrags über die Sicherheit der Transitreisenden, dessen Ablehnung Sie hier einfach empfehlen, in Erinnerung bringen. Punkt 1: Die Offentlichkeit soll umfassend und konkret über die Geheimabsprachen mit der DDR zum Transitabkommen aufgeklärt werden. In Punkt 2 unseres Antrages heißt es, dem Parlament und der Offentlichkeit solle mitgeteilt werden, ob und inwieweit seit dem Abschluß des Transitabkommens eine Veränderung gegenüber dem damaligen Stand der Vereinbarungen und Abreden eingetreten ist bzw. ob und in welchem Maße die DDR nicht bereit ist, ihre damaligen Zusagen einzuhalten.Die Antwort der Koalition auf diesen Antrag von uns: Ablehnung.
So einfach machen Sie sich das, indem Sie einen so wohlbegründeten Antrag niederstimmen. Ich finde, daß das keine sehr angemessene Behandlung unseres wichtigen und konkreten Antrages ist.Meine Damen und Herren, es gibt — und das ist das Ergebnis unserer Beratungen im Ausschuß — sechs vertrauliche Protokollvermerke — ich muß dies leider erwähnen, weil dies bestritten wird —, und es gibt eine geheime Protokollnotiz zu diesem Transitabkommen. Die Offentlichkeit ist darübernicht in der erforderlichen Weise unterrichtet. Dasist der Sachverhalt.
Wir haben 1971 im Ausschuß gesagt — deswegen ist es kein Geheimnisbruch, daß ich dies hier erwähne —, dies solle der Offentlichkeit inhaltlich bekanntgemacht werden. Das haben wir in diesem Zusammenhang einvernehmlich vorgehabt.
Ich frage Sie, Herr Kollege Schulze, der Sie hier so lebhaft Zwischenrufe machen, — —
— Mit der Erwähnung des Merkblattes haben Sie mir ein gutes Stichwort gegeben. Ich frage Sie sehr konkret — Sie werden das gleich ebenso konkret beantworten können —: Hat zu diesem Komplex vor dem Fall Jablonski, der bekanntlich um die Jahreswende 1978/79 war, etwas in dem Merkblatt gestanden? Ja oder nein? Dazu können Sie, wie gesagt, gleich antworten. Ich sage Ihnen: Von 1972 bis 1979 hat zu dem Komplex militärische Personen in Ihren Merkblättern nichts gestanden, Herr Minister Franke.
— Wenn das falsch sein sollte, können Sie das gleich richtigstellen. Ich glaube, ich bin ziemlich genau über diesen Sachverhalt unterrichtet.Sie haben dann in der Begründung hier gesagt, Herr Schulze, die Bundesregierung habe die Öffentlichkeit ausreichend unterrichtet, so daß möglicherweise gefährdete Personen gewarnt seien. Dies war eben sieben Jahre lang genau nicht der Fall. Vor allen Dingen militärische Personen haben das Ihren Merkblättern nicht entnehmen können. Im übrigen müsse man sich, so schreiben Sie, auch an die mit der Regierung der DDR vereinbarte Vertraulichkeit halten. — Ja, was denn nun? Wollen Sie die Öffentlichkeit unterrichten, oder wollen Sie die Vertraulichkeit wahren? Das ist ein Widerspruch, in den Sie sich selber dort gesetzt haben.
Meine Damen und Herren, der Kern dieses Antrags ist die Frage — und zu der gibt es in der Tat begründeten Anlaß —: Dürfen Flüchtlinge aus der DDR, die nach dem 1. Januar 1972 geflüchtet sind, die Transitwege benutzen, oder dürfen sie es nicht? Als die Verabredung im Jahre 1971 getroffen wurde, war die Auskunft: sie dürfen. So sind wir damals unterrichtet worden. Nach dem Ergebnis unserer Ausschußberatungen aber hat die DDR inzwischen ihr 1971 gegebenes Zugeständnis zurückgenommen. Seitdem ist der Sachverhalt: sie dürfen nicht, nur daß die DDR „großzügigerweise" in der Praxis ein bißchen anders verfährt. Das ist der Kern unseres Antrags, und diesen Antrag lehnen Sie hier einfach ab. Finden Sie das angemessen? Ich kann nur sagen: Ich finde das überhaupt nicht angemessen. Wenn
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14695
Dr. Hennighier die Tatsache zu verzeichnen ist, daß die DDR in einem Kernpunkt des Transitabkommens ihre Haltung verändert und das, was sie damals zugestanden hat, jetzt nicht mehr zuläßt, sollte man darüber die Offentlichkeit umfassend aufklären und nicht den Mantel der Vertraulichkeit darüber decken.
Ich erinnere Sie daran, daß Egon Bahr zur Zeit der Ratifizierung dieses Abkommens gesagt hat: Wenn die irgendwann einmal etwas daran verändern sollten, wenn sie es wagen sollten, an der Sicherheit des Transitverkehrs etwas zu ändern, dann wackelt die Wand. So die Formulierung Ihres Bundesgeschäftsführers. Nun frage ich Sie: Wann hat da eine Wand gewackelt?
Ich habe nichts davon bemerkt, und selbst mit den feinsten seismographischen Geräten werden Sie das nicht haben wahrnehmen können. Dies ist ein Punkt, über den hier doch gesprochen werden muß.
— Das können Sie mit dem Hinweis auf die Transitreisen, die erfolgreich abgelaufen sind, nicht unter den Tisch wischen, sondern dies ist der Punkt, über den hier zu sprechen ist.Meine Damen und Herren, ich möchte in der mir verbleibenden Zeit auf einen zweiten Punkt zu sprechen kommen. Deutschlandpolitische Debatte ist das Thema heute. Da ist es natürlich interessant, was zu diesem Thema die Sozialdemokratische Partei Deutschlands auf ihrem Bundesparteitag, den sie jetzt in Berlin durchzuführen sich anschickt, sagen wird, was sie dort an Anträgen auf den Tisch des Hauses gelegt hat.Es ist nicht meine Sache, daß Sie am 7. Dezember beschließen wollen: „Aufrüstung steht dem Frieden entgegen" und dann am 11. Dezember in Brüssel einen andersartigen Beschluß fassen wollen. Das müssen Sie in Ihrer Brust miteinander vereinbaren. Wenn das meine Partei täte, hätte ich gegen einen solchen zynischen Umgang mit Parteitagsbeschlüssen einiges einzuwenden.
Zum Thema der heutigen Debatte ist festzuhalten, daß Sie in dem dicken Buch der Anträge zu Ihrem Bundesparteitag 971 Anträge dokumentiert haben, von denen sich ganze fünf mit der Thematik dieser deutschlandpolitischen Debatte auseinandersetzen.
Wenn Sie sagen, das stehe dort nicht auf der Tagesordnung, dann kann ich Ihnen nur sagen: Die Punkte Südafrika, Nicaragua oder Namibia stehen dort auch nicht auf der Tagesordnung, aber dazu wissen Siewesentlich mehr Anträge in der alten Reichshauptstadt Berlin vorzulegen.
Meine Damen und Herren, lassen wie uns doch einmal zwei, drei Minuten lang angucken, was Sie dort zur Verabschiedung empfehlen! Dort sagen Sie zunächst einmal — und dies ist nicht ein Antrag irgendeines Ortsverbandes, sondern der Antrag Ihres Bundesvorstandes; Sie sollten wirklich noch einmal prüfen, ob Sie es so beschließen können, wie Sie es empfehlen;
— das muß ich bis dahin dieser Partei überlassen, aber sie müssen es mir überlassen, mich damit kritisch auseinanderzusetzen —,
die deutsche Spaltung sei das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges gewesen. Ich will ja gar nicht bestreiten, daß der mit ursächlich dafür war. Wenn Sie aber die andere Hälfte der Wahrheit verschweigen, nämlich daß zu der deutschen Spaltung auch sowjetrussische Politik beigetragen hat, wird daraus unter dem Strich eben nicht die ganze Wahrheit. Das möchte ich Ihnen als erstes sagen.
— Herr Wehner, wenn Sie das als Schwätzen bezeichnen, so ist das Ihre Art der politischen Auseinandersetzung.Ich möchte einen zweiten wichtigen Punkt hinzufügen. Sie sprechen hier ganz allgemein von „westlichen Partnern" und stellen dem den Satz gegenüber, das Verhältnis zur Sowjetunion sei von zentraler Bedeutung. Die Sowjetunion ist überhaupt der einzige Staat, der dort konkret mit Namen angesprochen wird.
Zum Thema Berlin-Politik sagen sie, die Berlin-Politik könne nicht darin bestehen, die Tragfähigkeit der europäischen Entspannung demonstrativ in Berlin zu testen.
Wenn ich mir diesen Wortlaut richtig auf der Zunge zergehen lasse, heißt doch wohl nach dem Sprachgebrauch, den wir täglich im „Neuen Deutschland" zur Kenntnis nehmen müssen, daß zusätzliche Institutionen des Bundes in Berlin nicht mehr angesiedelt werden sollen. Das ist die Politk, die der Bundesvorstand der SPD hier zur Annahme empfiehlt. Herr Wehner, ich spreche ja nicht von Hessen-Süd. Ich könnte das auch tun; dort wird zwischen „Bürgern der DDR" und „Bürgern der BRD" unterschieden. Übrigens haben Sie auch in einer Stellungnahme Ihres Bundesvorstands zum Thema Bahro
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14696 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Dr. Hennigund zum Thema Hübner von „DDR-Bürgern" gesprochen. Was meinen Sie damit eigentlich mit dem Blick auf die gemeinsame Staatsbürgerschaft, die wir doch haben?Der Kernpunkt — deswegen schneide ich das eigentlich an — ist, daß Sie hier in diesem Antrag des Bundesvorstandes eine Aussage zur Rechtsqualität der innerdeutschen Grenze machen. Das ist für mich ein ganz ernster Punkt. Sie stellen dort eine Gleichartigkeit zwischen allen Grenzen in Europa her, die im Moskauer Vertrag, im Warschauer Vertrag und im Grundlagenvertrag garantiert seien. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der Oder-Neiße-Grenze und auch von der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten.
Das ist nun ein Punkt, wo es ernst wird. Wenn Sie sagen, die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark, die Grenze zwischen Deutschland und der Sowjetunion, die Grenze zwischen Deutschland und Polen und die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR hätten dieselbe Qualität, muß ich Ihnen sagen, daß dies eine Politik ist, die mit dem, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, in gar keiner Weise in Übereinstimmung zu bringen ist.
Meine Damen und Herren, wir alle haben ein kurzes Gedächtnis. Deshalb möchte ich einige Sätze zitieren, die das Bundesverfassungsgericht uns allen zu dieser Thematik ins Stammbuch geschrieben hat. Es sagt:Es gibt Grenzen verschiedener rechtlicher Qualität: Verwaltungsgrenzen, Demarkationsgrenzen, Grenzen von Interessensphären, eine Grenze des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, die Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937, staatsrechtliche Grenzen und hier wiederum solche, die den Gesamtstaat einschließen, und solche, die innerhalb eines Gesamtstaates Gliedstaaten voneinander trennen. Daß in Art. 3 Abs. 2— des Grundlagenvertrages —eine staatsrechtliche Grenze gemeint ist, ergibt sich unzweideutig aus dem übrigen Inhalt des Vertrags ...
— Ich werde mich nicht davon ablenken lassen, dieses Zitat, das für Sie peinlich ist, Herr Wehner, zu Ende zu bringen.
Ich zitiere weiter: Für die Frage, ob die Anerkennung der Grenzezwischen den beiden deutschen Staaten als Staatsgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist entscheidend die Qualifizierung als staatsrechtliche Grenze zwischen zwei Staaten, deren „Besonderheit" ist, daß sie auf dem Fundament des noch existierenden Staates „Deutschland als Ganzes" existieren, daß es sich also um eine staatsrechtliche Grenze handelt ähnlich denen, die zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland verlaufen.Der entscheidende Satz ist folgender:Sie ist in der oben gegebenen Qualifizierung mit dem Grundgesetz vereinbar.So wörtlich das Bundesverfassungsgericht.
— Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. — Diese Grenze wollen Sie jetzt gleichsetzen mit der Grenze zwischen Deutschland und Dänemark, mit allen anderen Grenzen in Europa.
— Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands diese bindenden Sprüche des Bundesverfassungsgerichts als Senf bezeichnet.
Ich glaube, das spricht in der Tat für sich selbst.
Das Wort hat der Abgeordnete Hofmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf kurz auf das eingehen, was Herr Dr. Hennig eben zu der Grenze gesagt hat. Ich kann nicht ganz glauben, daß die innerdeutsche Grenze eine Grenze wie zwischen zwei Bundesländern sei. Ich empfehle dem Verfassungsgericht, das das geschrieben hat, geradezu, sich einmal die Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg und die Grenze zwischen Bayern und der DDR anzusehen. Das stimmt auch überhaupt nicht mit dem überein, was der Kollege Böhm äußerst anschaulich geschildert hat: wie nämlich das Sterben an dieser innerdeutschen Grenze vor sich geht. Er hat das sehr anschaulich, sehr plausibel gemacht.Er hat nur eines vergessen — das kam in seinen Ausführungen zumindest nicht deutlich genug zum Ausdruck —: An dieser Grenze wird nicht erst gestorben, seitdem wir in Bonn eine sozialliberale Re-
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Hofmann
gierung haben. Es wurde schon viele, viele Jahre davor gestorben.
— Das ist nun der schlimmste Zwischenruf, den Sie machen konnten. Sie können mir nicht einreden, daß mit der Schlußakte von Helsinki und mit dem Grundlagenvertrag an der Grenze schlechter gestorben würde als ohne.
— Nein. Töten ist töten, ob Sie das mit oder ohne Vertrag tun. Das ändert am Töten oder Sterben überhaupt nichts. Es ist bedauerlich, daß man einer sich christlich nennenden Partei so etwas sagen muß.
— Es ist ein ganz makabres Spiel, das Sie treiben.
Sie zwingen mich geradezu, Zahlen zu nennen, die zeigen, wie es tatsächlich ausgesehen hat. Es schaudert mich, das zu tun. Aber ich muß das nun machen, nachdem Sie diesen Zwischenruf gemacht haben.
— Ich weiß, das ist Ihnen unangenehm.
— Wissen Sie, ich kenne Sie sehr gut. Und wenn Sie den ersten Abschnitt auf der ersten Seite Ihres Antrages lesen, so werden Sie feststellen, daß dort bereits Zahlen genannt sind. Darauf bin ich freilich vorbereitet.Von 1961 bis 1969 starben an den Grenzen insgesamt — nicht nur innerdeutsche Grenze, auch Berlin, Mauer — 147 Menschen, deren Opfer wir beklagen; in einem gleichen Zeitraum, von 1970 bis zum 31. Juli 1979, 30 Menschen insgesamt.
Können wir uns nicht wenigstens darauf einigen, daß wir sagen: Jeder Tote an der innerdeutschen Grenze ist ein Toter zuviel? Können wir uns darauf nicht einigen?
— Selbstverständlich. Vorhin ist Ihnen auch sehr deutlich gesagt worden, wer diese Grenze verursacht hat. Das wollen Sie nie zur Ken ntnis nehmen.Aber lassen Sie mich zu den beiden Forderungen Ihres Antrages kommen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, alsbald in Gespräche mit der DDR-Regierung einzutreten ...Das ist schon ein gewaltiger Fortschritt für Sie. Vor 15 Jahren wäre so etwas nicht möglich gewesen. Da hieß es noch: Mit denen sprechen wir nicht!Die Gespräche mit der DDR sollen geführt werden „mit dem Ziel, sie dazu zu bewegen, alle unmittelbar gegen das menschliche Leben gerichteten Maßnahmen an der innerdeutschen Grenze einzustellen".Dieser Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, geht ins Leere. Die Bundesregierung tut bereits, was hier gefordert wird. Was fehlt, ist die notwendige Bereitschaft der Antragsteller, endlich zur Kenntnis zu nehmen, was bereits und noch ständig geschieht.Die zweite Aufforderung lautet:Die Bundesregierung wird aufgefordert, über Entwicklung und Fortgang dieser Gespräche jährlich im Rahmen des Berichts zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland zu berichten.Das ist nicht hilfreich. Das erschwert diese Gespräche und Bemühungen. Bei solchen Forderungen geht es wohl weniger um Menschen, dafür mehr um Schlagzeilen.Ich halte auch gar nichts davon, daß eine gelungene Flucht bombastisch vermarktet wird. Noch schlimmer ist es, wenn die Stellen an der Grenze angegeben werden, wo die Flucht glückte, und das Wie der Flucht in Einzelheiten geschildert wird.
Wenn unsere Medien die Fluchtwege breittreten, wird dabei kaum an Menschen gedacht.
Hat man je überlegt, daß man auch damit Menschen gefährden kann? Ich denke dabei nicht an diejenigen, die sich schon fest zur Flucht entschlossen haben. Ich denke dabei auch an die Soldaten der Nationalen Volksarmee im Grenzdienst, die die Flucht nicht gesehen oder nicht zur Kenntnis genommen haben.Wem hilft denn solch ein Bericht? Hüten wir uns doch davor, am Schicksal des anderen, am Nächsten hochzuklettern, um daran vielleicht noch deutschlandpolitisches Profil zu gewinnen.
Mit solchen Mitteln würde auch nicht die deutschlandpolitische Einfallslosigkeit der CDU in ihrer 20jährigen Regierungszeit übertüncht. Was also brächte solch ein Bericht? Nichts.Sie haben 20 Jahre lang eine Deutschlandpolitik betrieben, in der es um alles oder nichts ging. Wir
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14698 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Hofmann
alle wissen: Wer diese Forderung stellt, bleibt beim Nichts.Sie sind heute nicht bereit, zu sehen, was erreicht wurde. Wer alles schwarz sieht, sieht eben nichts mehr. Sie sehen nicht, daß wir das Sperrgebiet innerhalb der DDR zur Grenze hin vor dem Grundlagenvertrag mit einer Breite von fünf Kilometern hatten; jetzt sind es 500 Meter Breite. Die Deutschen innerhalb der DDR können sich nun in diesem Bereich mit ihren Verwandten und Bekannten treffen und sie besuchen. Das sind mehr Rechte, die sie erhalten haben.Von den neun Straßenübergängen wurden vier erst seit dem Grundlagenvertrag geöffnet. Damit haben wir diese Grenze etwas durchlässiger gemacht.Seit Juli 1973 haben wir 2,3 Millionen Besuche im Rahmen des grenznahen Reiseverkehrs zu verzeichnen. Das Gespräch, diese bindende Klammer, kann aufgenommen und fortgeführt werden. Dieses Auseinanderleben, das Entfremden der Menschen der beiden Teile Deutschlands wird damit verhindert. Genau den Preis wollten wir nicht zahlen, daß sich diese beiden Teile weiter auseinanderleben, bis die letzten Bindungen gefallen sind.
Jeder Besuch im grenznahen Verkehr bringt mehr menschliche Begegnung, ist mehr wert als all Ihre papierene Antragsflut hier im Deutschen Bundestag.Wir werden uns daher von Ihren Anträgen nicht beirren lassen und weiterhin eine Deutschlandpolitik betreiben, die Schritt für Schritt den Menschen unseres Landes zugute kommt.
Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Abgeordnete Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die konkreteste Aussage auf seiten der Regierungskoalition während dieser langen Debatte stammt eigentlich aus dem Zwischenruf vom Fraktionsvorsitzenden Wehner, der schlicht und einfach die Grundlagen des Grundgesetzes und die darauf beruhenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts als „Senf" bezeichnet hat.
Ich will an diesem Ausdruck nicht herumspielen. Ich meine aber doch, daß damit eigentlich die Katze aus dem Sack gelassen worden ist. Genauso kommt es auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfragen und Anträge der Opposition zum Ausdruck.
Diese Antwort und die übrigen Bemerkungen sind sehr bemerkenswert. Sie zeigen, daß die Bundesregierung gar nicht mehr darüber spricht, welchePolitik sie treibt. Sie läßt sich nur noch darüber aus, was sie nicht zu tun wagt.
Zwar legt die Bundesregierung dann immer in kernigen Sätzen dar, welche Fülle von theoretischen und praktischen Ansatzpunkten und Rechtspositionen es für eine aktive Deutschlandpolitik gibt, aber hinterher stellt sie immer wieder kleinlaut und stereotyp fest: „Die Bundesregierung hat aber zu prüfen, inwieweit durch eine Wahrnehmung der ihr gegebenen rechtlichen Möglichkeiten die Aussichten für einen Erfolg verschlechtert würden.” Und daneben kommt dann gleich wieder die Bemerkung: ,Art. 2 des Grundlagenvertrages unterstreiche das Recht der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, sich mit der Wahrung der Menschenrechte in dem jeweils anderen Staat zu befassen".Meine Damen und Herren, mit solchen Feststellungen wollen Sie doch wohl eine Entschlossenheit vortäuschen, die in Ihrer Politik überhaupt nicht existiert. Nehmen Sie sich doch bitte diese richtigen Einsichten zu Herzen, nehmen Sie aber dann diese Ihre Rechte auch wahr, denn eigentlich weiß jeder Bürger draußen im Lande, daß Rechte, die nicht gepflegt werden, in Vergessenheit geraten und schließlich untergehen.
Meine Damen und Herren, es ist im übrigen gar keine alleinige Erkenntnis der Opposition, daß die Bundesregierung zur Wahrung dieser Rechte zuwenig tut. Kein geringerer als das prominente Berliner FDP-Mitglied, der ehemalige Justizsenator in Berlin, Hermann Oxfort, hat erst in diesen Tagen ausgerufen:Wer Entspannung damit verbindet, daß er zum Leisetreter wird, muß mit unserem entschiedenen Widerstand rechnen.Da hat er wohl jene in der FDP und in der SPD gemeint, die diese Zusammenhinge überhaupt noch sehen.Daß er damit nicht uns gemeint haben kann, meine Damen und Herren, ergibt sich auch aus der weiteren Pressemeldung, die da lautet:Scharfe Kritik übte der Redner — also Oxfort —in diesem Zusammenhang am SPD-Fraktionsvorsitzenden Wehner und dessen Bemerkung, er könne das Wort „Wiedervereinigung" schon nicht mehr hören.
Meine Damen und Herren, an alledem muß deshalb etwas sein; sonst würden sich die Warnungen und die Mahnungen prominentester Vertreter aus Ihren eigenen Reihen in letzter Zeit nicht derart häufen.Selbst Carlo Schmid hat erst diese Woche erklärt:Vor dem Ersten Weltkrieg verhüllten die Franzosen die Straßburger Statue in Paris mit einemTrauerflor. Mit welcher Gelassenheit nehmen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14699
Lintnerwir es hin, daß ein beträchtlicher Teil von deutschem Boden nicht mehr deutsch ist!Auch hier hat er sicher nicht uns gemeint. Das war wohl an die eigene Adresse gerichtet.
— Herr Kollege Wehner, ich glaube richtig zitiert zu haben.
Jedenfalls war es so wörtlich angeführt.Wir befinden uns daher in einer sehr prominenten Gesellschaft aus Ihren eigenen Reihen, wenn wir Ihr Vorgehen in der Deutschlandpolitik kritisieren.
Das alles zeigt auch, daß die Ost- und Deutschlandpolitik die Bundesrepublik eben nicht wieder „an die Realitäten heranführt", wie das Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Ehmke im Februar 1979 gemeint hat. Das Merkmal dieser Politik ist vielmehr, daß Sie die Realitäten — im wahrsten Sinne des Wortes — links liegen lassen. Ihre Politik ist starr und reaktionslos geworden.
Meine Damen und Herren, die Realitäten sind mehr als alarmierend. Da ist etwa die schonungslose Hetze der DDR überall in der Welt gegen uns. Da ist die konsequente Erziehung zum Haß auf die Bundesrepublik innerhalb der DDR. Da sind die erbarmungslose Einkerkerung politisch andersdenkender Landsleute und die offene Mißachtung elementarster Menschenrechte. Besonders betroffen war ich davon, daß einer Ihrer Redner diese Sachverhalte mit dem Ausdruck geschildert hat, in den Zuchthäusern der DDR seien „keine rosigen Zustände". Ich glaube, das sagt über den Stellenwert, den Sie diesen Dingen zumessen, mehr aus als vieles andere.
Dabei muß ich es darüber hinaus als beschämend bezeichnen, daß von der Bundesregierung bisher noch kein einziges offizielles Wort der Mahnung an die DDR etwa deswegen gerichtet worden ist, weil trotz der großen Ankündigung der Amnestie in der DDR — angeblich sollten ja 25 000 Häftlinge die Freiheit erhalten — bisher nur zwei Häftlinge — und das waren prominente — in die Freiheit entlassen worden sind.Meine Damen und Herren, Realität ist eben auch— selbst dann, wenn Sie, Herr Kollege Hofmann, das nur halb akzeptieren wollen — die Tatsache, daß die innerdeutsche Grenze über die Jahre mitleidloser und perfekter geworden ist. Die Zahlen der Todesfälle dort sind nur deshalb zurückgegangen, weil natürlich niemand mehr das Himmelfahrtskommando einer Überwindung dieser Grenze auf sich nehmenwill. Aber von alledem wird von Ihnen eigentlich nur noch bei solchen Debatten geredet, und dann nur halbherzig.Ziel Ihrer Politik sollte es — so Ehmke — sein, eine „Entkrampfung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR" einzuleiten. Aber vor lauter Floskeln und unkritischer Selbstbeweihräucherung merken Sie schon gar nicht mehr, daß Sie Verkrampfungen ja erst geschaffen haben. So ist z. B. die Tatsache, daß Sie ein Pochen auf Gegenseitigkeit in den innerdeutschen Verhandlungen als der Entspannung nicht förderlich hinstellen, eine solche unnötige Verkrampfung.
Deshalb stößt man ja auch praktisch überall, wohin man sieht, auf ungerechtfertigte Überleistungen der Bundesregierung an die DDR.Die Bilanz erschreckender ungeschützter Großzügigkeit müßte doch eigentlich nicht nur uns, sondern auch Sie selbst nachdenklich machen.
— Ich bin gerade dabei, Herr Kollege.
— Ja, in meinem Manuskript steht jetzt: Erlauben Sie mir deshalb, einen kleinen Ausschnitt aus dieser Bilanz vorzutragen.In den Verkehrsvereinbarungen von 1978 haben Sie der Pauschalierung der Transitgebühren zugestimmt. Für die Dauer von 10 Jahren wird die DDR von der Bundesrepublik jährlich 500 Millionen DM erhalten, und das sind nach den allen bekannten Zahlen rund 100 Millionen DM jährlich zuviel. Deshalb wächst sich die t Überzahlung in diesen 10 Jahren immerhin zu einem Geschenk von 1 Milliarde DM an die DDR aus. Es handelt sich dabei um eine grundlose Leistung. Sie haben nämlich zugleich — was vielleicht der i-Punkt des Ganzen ist — die damals noch vorhandene Kontrollmöglichkeit durch den Verzicht auf die sogenannte Korrekturklausel abgeschafft.Oder nehmen wir die „Zahlung für Pfusch", wie ein Nachrichtendienst die Vorgänge um die Reparatur der Interzonenautobahn Helmstedt-Berlin nannte. 260 Millionen DM haben Sie der DDR dafür gezahlt, daß der vorhandene über 40 Jahre alte kaputte Beton einfach mit Asphalt übergossen wurde. Meine Damen und Herren, die DDR hatte sich zum „Ausbau nach westlichem Standard" verpflichtet! In Bonn aber liegen — ich zitiere wörtlich aus diesem Dienst— „Berichte" — so soll dazu das innerdeutsche Ministerium erklärt haben — „über echte Mängel bei der Reparatur bisher noch gar nicht vor". — Bei dieser Haltung ist ja wohl davon auszugehen, daß derartige Berichte auch nie an dieses Ohr gelangen werden.Ohne jede Qualiltätsspezifizierung haben Sie für den Ausbau der Station Herleshausen-Wartha und für andere Maßnahmen der DDR 500 Millionen DM versprochen. Ich fühle mich gar nicht als Prophet,
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14700 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Lintnerwenn ich vorhersage, daß es hier ähnlich zugehen wird, daß Sie hier ähnlich zuviel gezahlt haben, wie es sich bei den anderen Maßnahmen heute schon herausgestellt hat.Oder nehmen wir die neuesten Vereinbarungen, Herr Kollege Schulze.
— Ich bedanke mich dafür! Ich glaube, aus Ihrem Munde kann ich das fast als Kompliment auffassen.
Aber an sich zeigt das nur, daß Ihnen allmählich die Sachargumente ausgehen, wenn Sie zu solchen Reimen greifen müssen.
Aber lassen Sie mich in der konkreten Aufzählung fortfahren.
— Sie wollten doch die konkrete Aufzählungl
Nehmen wir also die neuesten Vereinbarungen über die Straßenbenutzungsgebühren, die hier heute schon einige Male angesprochen worden sind. Bei realistischen Rechnungen kommt man auf eine berechtigte Zahlung von insgesamt 30 Millionen DM im Jahr. Sie aber haben 50 Millionen jährlich gleich für die Dauer von zehn Jahren versprochen.
„Brücken der Verständigung" würden durch den Grundlagenvertrag und all die anderen Vereinbarungen geschlagen werden. So hat jedenfalls der Kollege Kurt Mattick im Februar 1973 im Deutschen Bundestag seiner Hoffnung Ausdruck verliehen.
Dafür sind auch wir. Aber das Fundament dieser Brücken muß verläßlich sein. Vor allem müssen zwei Fahrbahnen — eine in jeder Richtung — vorhanden sein. Es gibt wenig Verläßlicheres als verbriefte Rechte, sei es in völkerrechtlich gültigen multilateralen Verträgen, sei es in Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der DDRSie aber denaturieren diese rechtlichen Positionen zum bloßen verbalen Akt ohne jegliche Durchschlagskraft. Auf den Fahrbahnen dieser Brücke häufen Sie zudem noch Geldberge auf, die alsbald den Durchgang blockieren könnten, zumindest dann, wenn Sie beispielsweise wegen der drückenden Steuerlasten auf dem Rücken des Bundesbürgers auf diesem Gebiet langsamer treten müssen und die von Ihnen angebotene Schraube ohne Ende der DDR wieder entwinden wollen.Ich bin sicher, daß die Bevölkerung für diese Politik der großzügigen Geldgeschenke kein Verständnis hat. Wir wissen uns daher mit dieser Bevölkerung in unserem Land einig, wenn wir diese Freigebigkeit als unverantwortlich und auch als kurzatmig ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulze.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst mit dem CDU/CSU-Antrag zur Sicherheit auf den Transitwegen beschäftigen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14701
Schulze
Herr Kollege Hennig, ich habe Ihre Rede hier nicht mehr verstanden.
Ich habe nämlich schon gemerkt, daß Sie im Ausschuß nach den ganzen Erörterungen eigentlich überlegt haben: Können Sie nun Ihren Antrag noch aufrechterhalten — Sie haben das nämlich alles inzwischen eingesehen —, oder können Sie das nicht? Und dann sind Sie plötzlich auf die Idee gekommen: Wenn ich den Antrag jetzt nicht aufrechterhalte, dann habe ich — natürlich wider bessere Einsicht — im Bundestag ein Argument weniger. Herr Hennig, Sie wissen genau: Der Transitverkehr funktioniert auf der Basis des Viermächteabkommens und des Transitvertrages, und er funktioniert reibungslos. Sie wissen genau, daß Festnahmen nur nach Art. 16 des Transitabkommens erfolgen, mit den beiden Ausnahmen, die auch hier schon einmal erörtert worden sind, die wir im Ausschuß mehrere Male hin- und hergewendet haben und die die Bundesregierung in den Informationsschriften — Sie kennen sie doch alle — immer wieder erläutert.
— Aber, vorher nicht?
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14702 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
— Sie beanstanden das also. Dann schaffen Sie es doch einmal ab! Zum Beispiel nach Italien haben Sie doch die besten Kontakte. Ich weiß gar nicht, warum Ihnen das bisher nicht gelungen ist. Auch zu einigen anderen Ländern haben Sie gute Kontakte.
Wenn Sie hier in der Debatte das diffamieren, was bisher erreicht worden ist, so kann ich nur wiederholen: Sie haben 20 Jahre lang Zeit gehabt, und in diesen 20 Jahren haben Sie auch nicht ein Minimum bewegt. Die Situation in der Stadt — dies sage ich nochmals als Berliner — war so kritisch zugespitzt, daß die Leute abgewandert sind. Dies alles geschah unter Ihrer Regie.
Da hat es keine Reise- und Besuchsmöglichkeiten gegeben. Da hat es kein Telefon und keinen vernünftigen Transitverkehr gegeben. Das wissen Sie doch alles. Sie kritisieren nun alles, was wir geschaffen haben. Manchmal kommt mir das so vor, als machten Sie Politik nach dem Motto: Die Krämerseelen sollen leben, und Politik ist nicht für den Menschen da. Dies sollten Sie sich einmal ernsthaft überlegen.Ich möchte eine weitere Bemerkung anfügen. Als Herr Jäger seine Begründungsrede gehalten hat, habe ich mich gewundert, wie der Herr Präsident, der hier von 14 bis 16 Uhr präsidiert hat, so stillgehalten hat. Diesem müssen wegen der Linie, die hier angeschlagen worden ist, fürchterlich die Ohren geklungen haben, da gerade er sich besonders bemüht hat, in Berlin die CDU auf einen Normalkurs — das sage ich aus meiner Einschätzung — zu bringen. Das muß ihm fürchterlich peinlich gewesen sein, und wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür gewesen, daß er hier eine Rede über die Menschenrechtsverletzungen im Iran gehalten hat.
Ich kann das auch alles nur so bedauern; aber ich kann auch nur bedauern, daß der Kollege Weizsäkker, der Mitglied unseres Parlaments und auch immer noch des Parlaments in Berlin ist — ich hoffe immer noch, daß er endlich seine Zusage einhält, die er gegeben hat — —
— Das gehört alles zur Sache, Herr Jäger. Der Herr Kollege Weizsäcker hat dann die Flucht angetreten; das kann ich alles verstehen. Mit der Fraktion wäre mir auch nicht sehr viel wohler.
Ich kann als Berliner über diese Debatte, so wie ich sie erlebt habe, nur folgendes sagen. Man stellt auch fest: Ihre Großen fehlen alle, die sind irgendwo alle aushäusig. Wahrscheinlich ertragen die Ihren Stil hier auch schon nicht mehr, den Sie hier vorlegen.
Ich will auch sagen, daß ich mich als Berliner ein bißchen darüber ärgere, wie hier so über das Fell der Stadt geredet wird. Da gibt es bei Ihnen zwei Varianten. Die eine Variante hat ein Kollege von Ihnen — das ist auch ein CDU-Mann, ich schätze ihn sehr — am 19. Juni ausgesprochen, als er sagte: Bereitschaft auf beiden Seiten, sich gegenseitig als Deutsche zu respektieren und näherzukommen. Dazu gehört Verträglichkeit — ich möchte mal bitten, daß Sie hinhören, Herr Jäger —, dazu gehört Verträglichkeit, das heißt das bewußte Sich-darauf-Einlassen auf Gegenseitigkeit, auch anderes Denken zu tolerieren und Feinddenken aufzugeben. — Dies war ein Kollege von Ihnen am 19. Juni 1979.
Ich möchte das Fazit aus der bisherigen Debatte folgendermaßen ziehen. Bei Herrn Jäger klang es so an: wenn wir schon nicht sofort die Wiedervereinigung hier im Parlament beschließen können, dann müßten wir uns wohl die Frage stellen, ob man nicht sinnvollerweise mal in die DDR einmarschiert. Herr Jäger wäre sicher ein guter Oberkommandierender dafür.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14703
Das Wort hat nun Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Sätze des Kollegen Schulze muß ich für die CDU/CSU entschieden zurückweisen. Dies ist eine unglaubliche Unterstellung, und die lassen wir uns nicht gefallen.
Ich glaube, es ist nicht gut, am Ende einer solchen Debatte mit infamen Mitteln zu arbeiten in der Annahme, daß wir nicht imstande sind, dies dann auch zu beantworten.
— Herr Wehner, auf Sie komme ich gleich noch zu sprechen.Nun ein Wort noch zur Methode. Es scheint Ihnen doch nicht zu passen, daß wir Sie immer wieder an die Verantwortung erinnern, die Sie als Bundesregierung haben.
Deswegen scheinen Sie auch immerzu bei jeder Großen Anfrage sich darüber zu beklagen, daß wir überhaupt Anfragen und Anträge in diesem Hause einbringen.Ich möchte auch ausdrücklich noch einmal festhalten, daß der Kollege Straßmeir und andere Kollegen sich gar nicht grundsätzlich, Herr Kollege Franke, gegen Pauschalen ausgesprochen haben. Nur gegen die Überzahlung und gegen die mangelnde Absicherung sprechen wir uns aus. Das ist wieder die Schlampigkeit, mit der Sie Verträge schließen.
Herr Kollege Wehner, Sie meldeten sich vorher schon durch Zwischenrufe. Aber mich hat es doch sehr nachdenklich gestimmt, wenn Sie, wenn der Kollege Hennig aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert, dies als „Senf' und „Geschwätz" bezeichnen.
Ich glaube, dies ist eine unglaubliche Herabwürdigung des obersten Gerichts und unseres Grundgesetzes,
dem wir unsere Freiheit verdanken, aber auch die Tatsache verdanken, daß wir die Freiheit haben, für alle Deutschen zu sprechen, Herr Kollege Wehner.
— Wenn Sie gerührt sind, kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kollege Wehner, dies berührt uns in hohem Maße. Es wäre gut, wenn Sie das richtigstellten, statt sich hier aufzuregen.
Ich möchte auch noch ein Wort zur Abrüstungsdiskussion sagen. Herr Kollege Lintner hat mich selber zitiert. Wenn es hier etwas zu bereden gibt, dann behandeln Sie doch einmal das Thema Kampfgruppen, Erziehung zum Haß, Minen und Militarisierung in der DDR. Machen Sie das einmal zum Thema innerdeutscher Verhandlungen. Das wäre doch ein wichtiger Punkt, über den man dort dann reden könnte.
Sie können ja mal eine Kassette hier laufen lassen. Immer wieder dieses „20 Jahre ist nichts geschehen"! Herr Wehner, Sie waren in den 20 Jahren sogar selber Bundesminister. Lassen Sie mich nur eines hier sagen: jedes Jahrzehnt hat natürlich seine besonderen Notwendigkeiten gehabt. In diesen 20 Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland ihre Aufwertung erfahren, ist ins westliche Bündnis — gegen Ihren Willen, meine Damen und Herren — eingetreten. Wenn Sie so argumentieren, wir hätten der KSZE nicht zugestimmt, hätten den Ostverträgen nicht zugestimmt, dann müßten Sie heute aus der NATO austreten und die Sicherheit aufgeben. Das wäre doch die logische Konsequenz der Argumentation, der Sie sich heute hier bedient haben; das ist doch so.
— Ach, Herr Wehner, wir haben das Friedensgebot zu einem Zeitpunkt sehr hochgehalten und haben den Gewaltverzicht in den 60er Jahren glaubwürdig dargestellt. Ich setzte dies jetzt mal bewußt in Beziehung zur Aufwertung der SWAPO durch die Sozialistische Internationale und die SPD.
Dies ist nämlich eine Herabsetzung des Gewaltverzichts, den wir damals ausgesprochen haben.Neulich hat — und das war in einer offenen Sitzung — der Kollege Hoppe plötzlich die Gemeinsamkeit beschworen. Dies klang in einigen Diskussionsbeiträgen heute abend an. Meine Damen und Herren, Gemeinsamkeit in Grundfragen der Nation ist eine hervorragende Sache, aber glauben Sie doch nicht, daß sich die CDU/CSU zu einem Akklamtionsverein herabwürdigen läßt. Wir sind auch nicht die Staffage für eine abgewirtschaftete Bundesregierung.
Ich möchte auch ausdrücklich sagen, daß die CDU/ CSU nicht im Schmollwinkel sitzt, sondern wir bieten der Regierungskoalition mit unseren Anträgen ja geradezu ein Stück Gemeinsamkeit an. Wenn Sie sie ablehnen, dann wollen Sie diese Gemeinsamkeit nicht.
Diesen Schluß müssen wir dann daraus ziehen.
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14704 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Baron von Wrangel— Herr Kollege Wehner, ich freue mich ja, daß Sie nun sehr erregt endlich an dieser Debatte teilnehmen.
Immerhin ist das für die Debatte wichtig; denn wenn Sie erregt sind, liegen wir meistens mit dem, was wir sagen, richtig.
Ich möchte nur noch einmal das unterstreichen, was Herr Kollege Richard von Weizsäcker im Zusammenhang mit den Einlassungen des Bundesaußenministers vor den Vereinten Nationen gesagt hat — ich denke hier insbesondere an die Errichtung des Menschenrechtsgerichtshofs —, und Ihnen sagen, wir haben schon sehr früh von dieser Stelle aus dem Bundesaußenminister ermutigt, in der Frage des Menschenrechtsgerichtshofs den Versuch zu machen, voranzukommen. Aber wir haben dann ja von Mitgliedern der Linken in diesem Hause gehört, daß es dafür keine Mehrheiten gebe. Ich glaube, es ist nun doch Aufgabe der Bundesregierung, alles in ihrer Kraft Stehende zu tun, um auch das wirtschaftliche Gewicht der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen, damit die notwendigen Mehrheiten für solche Pläne zustande kommen. Deswegen haben wir heute auch diesen Antrag hier vorgelegt.Meine Damen und Herren, damals, beim Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen, waren Sie es doch, die erklärten, man werde das Forum der Welt für die deutsche Sache nützen. Nutzen Sie doch jetzt dieses Forum für unsere Sache, insbesondere zu einer Zeit, da die DDR Mitglied des Weltsicherheitsrates ist! Ergreifen Sie doch diese Gelegenheit, und prangern Sie doch vor dem Weltforum die menschenrechtswidrigen Praktiken der DDR an! Hier ist doch ein Instrumentarium innerdeutscher Politik vorhanden, das Sie nutzen könnten.
Meine Damen und Herren, ich möchte einige Sätze zu dem Antrag sagen, der sich mit der Journalistenvereinbarung befaßt. Was Sie einst als erfolgreiche Vereinbarung über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten in der DDR gepriesen haben, ist inzwischen zu einem faktischen Berufsverbot degeneriert.
Weil Sie vertrauensselig auch diese Vereinbarung nicht abgesichert hatten, mußten Sie es hinnehmen, daß dieses sogenannte Paradestück der Vertragspolitik durch restriktive Verordnungen und Gesetze zu einer leeren Hülle verkommen ist.
Journalisten werden reihenweise ausgewiesen, verwarnt, behindert oder gar nicht erst akkreditiert. Das „Spiegel"-Büro blieb geschlossen.Nun fragen wir doch zu Recht: Wie hat denn die Bundesregierung reagiert?
Sie zeigte sich kleinmütig, sie beschränkte sich aufverbale Proteste. Dabei blieb es, und auch die DDRblieb bei ihren rechtswidrigen Praktiken. Eine solche Politik verwirkt doch, wenn sie so fortgesetzt wird, den Anspruch auf jede Art der Glaubwürdigkeit.
Verhandlungen über einen Austausch von Büchern und Zeitschriften im Interesse der Informationsfreiheit, wie sie im Grundlagenvertrag zugesagt wurden, finden erst gar nicht statt. Ein Veterinärabkommen mit der DDR ist sicherlich nützlich. Aber ungleich wichtiger wäre ein Abkommen über Möglichkeiten der freien Information. Die Informationsfreihet ist eine der wesentlichen geistigen und politischen Brücken für die Menschen, die in unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen im geteilten Deutschland leben müssen. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, hier endlich ein vernünftiges und den Menschen dienendes Konzept zu entwickeln, und das, glaube ich, ist notwendig.Die innerdeutsche Politik — dies möchte ich ausdrücklich sagen — gerät doch, wenn an einem Tag eine innerdeutsche Vereinbarung getroffen wird, von der Sie sagen, sie sei die wichtigste nach dem Abschluß des Grundlagenvertrages, und am nächsten Tag dann Honecker droht, daß dies alles zur Disposition gestellt wird, wenn der Breschnew-Vorschlag nicht angenommen wird, in die Gefahr, zu einem Spielball sowjetischer Machtpolitik zu werden.
Auch dies, glaube ich, müssen wir am Schluß in die Debatte einführen.Deshalb bitte ich Sie im Namen der CDU/CSU-Fraktion: Überdenken Sie doch einmal diese Ihre Politik! Machen Sie einen neuen Ansatz, und wenn Sie einen neuen Ansatz machen, dann wird es vielleicht an Gemeinsamkeiten nicht fehlen.
Meine Damen und Herren, als zweitletzter Redner hat nun der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß noch einige Dinge sagen, denn ich wurde angesprochen. Es ist darum notwendig, hier zu antworten, damit es nicht im Raum bleibt. Zuletzt sagten Sie, Herr Kollege von Wrangel, die Bundesregierung müsse ein Konzept entwickeln, daß menschendienenden Charakter habe. Ich habe versucht, während meiner Ausführungen bis ins Detail zu schildern, wie wir das jetzt schon praktizieren. Wir brauchen doch kein Konzept mehr zu entwickeln, wir handhaben das so. Objektiverweise muß auch jeder von Ihnen sagen — —
— Sie sagen: gesammelte Ratlosigkeit. Es ist erschreckend, daß Sie das immer noch nicht kapiert
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14705
Bundesminister Frankehaben. Glücklicherweise wird alles, was hier gesagt ist, im Protokoll festgehalten, so daß Sie noch mal Muße haben, nachzulesen. Ich habe immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, daß Sie das dann schaffen werden. Wir haben gar nicht oft Neues zu sagen. Es genügt, daß wir dabei bleiben. Das stört Sie ja so.Auf der anderen Seite werde ich immer wieder durch die vielen, vielen Zuschriften bestätigt, in denen Tausende ihre Dankbarkeit ausdrücken. Auch all das wollen Sie nicht haben.Lassen Sie mich doch nun einmal zu dem kommen, was hier so eine breite Rolle gespielt hat, nämlich diese Frage der angeblichen Überzahlung an die DDR. Ich will noch einmal versuchen, klar zu machen, welche Erfolge, welche Dinge wir durch diese Vereinbarung in der Tat erreicht haben. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich einmal damit beschäftigt hätten. Sie haben sich nur mit dem Geld beschäftigt.Es ging zunächst einmal um die Befreiung unserer Lastkraftwagen und Busse von der Straßenbenutzungsgebühr, um bisher bestehende Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Das ist der Punkt eins. Das ist mit dieser kombinierten Vereinbarung erreicht.
— Lassen Sie mich noch das aussprechen, das gehört alles zusammen, was hier erreicht ist. Sie wissen auch, daß man in der Politik gerade dann, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die eine ganz andere Grundauffassung von vielen Dingen der staatlichen Ordnung und der Wirtschaftsordnung haben, die Dinge im kausalen Zusammenhang sehen muß. Dazu müssen Sie sich schon bequemen. Sie können sich nicht nur das aussuchen, was in Ihre Richtung paßt. Sie müssen das nehmen, was jetzt Wirklichkeit ist.Dazu gehört die Pauschalierung als Mittel zur Förderung des privaten Autoreiseverkehrs nach Ost-Berlin und in die DDR. Dies ist eine Forderung, die Sie mal persönlich erhoben haben. Nun ist es geschehen, und jetzt sagen Sie: Ihr zahlt aber zuviel. Dann haben wir gesagt, das wird auf zehn Jahre gemacht. Wir haben die Transitgebühren erhöht, und wir zahlen gegenüber der früheren Zeit einige Millionen mehr an die DDR, und zwar auch im Hinblick auf die Fertigstellung der Autobahn Berlin–Hamburg. Wir haben aus der Erfahrung zu berichten, daß ein größeres Angebot an Reisemöglichkeiten auch tatsächlich in Anspruch genommen wird. Ich habe vorhin die Zahlen genannt, die besagen, daß innerhalb von sechs Jahren die privaten Autoreisen von 87 000 auf 870 000 angestiegen sind.Wenn wir jetzt hinzunehmen, daß sich ein größeres Einzugsgebiet ergibt für den grenznahen Verkehr, von dem bisher erst zehn Prozent der Berechtigten Gebrauch machen, Vergrößerung nämlich durch Hinzufügung von weiteren 1,2 Millionen Berechtigten, die nur von dem Angebot Gebrauch machen müssen — die Pauschalsumme liegt fest, und dies ist der DDR bekannt —, dann wollen Sie doch nur das Erreichte schmälern, indem Sie alles durchirgendwelche Darstellungen verunsichern, die am Kern vorbeigehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Bundesminister, darf ich Sie angesichts Ihrer Feststellungen klipp und klar fragen: Hat die Bundesregierung bei den Verhandlungen über die Pauschalierung der Straßennutzungsgebühren von der DDR eine Sicherungsklausel gegen Schikanen zur Drückung der Verkehrszahlen gefordert, und wenn ja, mit welcher Begründung hat die DDR dies zurückgewiesen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben mit der DDR Verhandlungen geführt, in der Absicht uns zu verständigen. Wir haben dabei nicht versucht, alle möglichen Klauseln einzubauen, die für einen Störungsfall einmal ausschlaggebend sein sollten.
Wir haben dafür ein Instrumentarium geschaffen. Wir haben eine Verkehrskommission, wir haben eine Grenzkommission, wir haben eine Transitkommission. Alle Dinge, die sich in der Praxis nachteilig entwickeln, werden dort angesprochen und abgestellt, wenn es sich in der Tat aus der Vereinbarung ergibt. Wir haben es schon vielfach gehabt. Ich habe die Frage beantwortet; außerdem müssen wir mit der Zeit klarkommen.
— Nein, ich spreche ja auch nicht nach außen, wie Sie das machen. Mir ist das egal; ich spreche auch noch nachts um 12 Uhr dazu, wenn das Fernsehen überhaupt abgeschaltet hat. Aber das macht mir nichts. Mir geht es um die Sache.Meine Damen und Herren, die Festlegung der Pauschale auf zehn Jahre bedeutet keine einseitige Gebührenerhöhung. Das gehört alles dazu. Schließlich verbilligt und vereinfacht die pauschale Abgeltung der bisher individuell erhobenen Straßenbenutzungsgebühren das Reisen in die DDR. Das ist also eine Ermunterung all derer, die aufgerufen sind, sich zu betätigen. Ich hätte Sie gern einmal dagegen argumentieren hören. Statt dessen verlangen Sie eine rechnerische Begründung der 50-MillionenPauschale. Eine exakte Begründung — meine Damen und Herren, das wissen Sie genau — ist einfach deswegen unmöglich, weil wir auf Schätzungen angewiesen sind. Es wird auf seiten der Bundesrepublik niemand kontrolliert und danach befragt, wie weit er in die DDR reisen will. Wir haben die Freizügigkeit. Wir wissen, daß die Sätze unterschiedlich sind. Sie reichten von 10 bis 25 DM. Wir waren auf Schätzungen angewiesen.
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14706 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Bundesminister Franke— Doch. Passen Sie einmal auf, ich werde Ihnen das hier sagen. — Daher müssen wir mit Durchschnittswerten rechnen. Außerdem können jetzt noch viel mehr Bürger als bisher — die Zahl wird steigen — im grenznahen Bereich von den Pkw-Reisemöglichkeiten Gebrauch machen. Wie soll man das rechnerisch eigentlich ermitteln? Wir sind auf Schätzungen angewiesen.Aber einmal angenommen, eine solche Rechnung ergäbe, daß die DDR dabei tatsächlich einen Schritt in Höhe von einigen Millionen DM zu ihren Gunsten machte: Was besagt denn das? Ich sage und habe immer gesagt, wir sollten mit Geld vieles zu tun versuchen, was mehr Menschlichkeit auch auf der anderen Seite bringen kann.
Außerdem bin ich da in großartiger Gesellschaft. Ich werde Ihnen das gleich noch zu Ihrer Überraschung mitteilen. Hoffentlich erinnern sich einige Kollegen von Ihnen daran, daß sie Mitglied in der Redaktionskommission waren, in der sie so etwas aufgeschrieben haben.Was würden Sie denn sagen, meine Damen und Herren, wenn sich folgendes dabei ergibt? Passen Sie auf, jetzt kommt das! Auseinandersetzen müssen Sie sich nicht mit uns, sondern mit denjenigen, die folgendes zu Papier gebracht haben. Damit Sie die Adresse noch genauer kennen, deute ich nur an, welche Drucksache das war: Es war Drucksache Nr. 400; Anlage zu Punkt 23 der Tagesordnung des soundsovielten Landesparteitages in Berlin. Passen Sie auf, was dort steht:Um der Menschen willen befürwortet die Berliner CDU ... eine Politik des großzügigen Einsatzes der materiellen Leistungsfähigkeit des Westens, damit die Durchsetzung von mehr Grundrechten und mehr Grundfreiheiten in der DDR dauerhaft gefördert und die Position Berlins verbessert wird.
Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn nur eigentlich? Auf der einen Seite fordern Sie zum Großzügigen auf — und dabei bleibt es, daß tatsächlich der Begriff einer gewissen Großzügigkeit angewandt werden kann —, und auf der anderen Seite fangen Sie wieder an und sagen: Das ist überzahlt.
Meine Damen und Herren, ich kann Sie ja verstehen. Sehen Sie einmal, ich habe 20 Jahre auch dort gesessen und wollte an der Regierung beteiligt sein. Was hat das wehgetan, daß Sie immer „herrschten", im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben das Geschäft jetzt noch nicht einmal zehn Jahre mitgemacht. Sie werden sich noch viel Zeit nehmen müssen, bis Sie es lernen, eine richtige Opposition zu sein.
Auch das hat es in dieser Zeit gegeben — wenn ich das einmal sagen darf —: Wir waren eine Oppositionspartei; als es um Deutschlandpolitik ging, haben wir Sozialdemokraten durch einen Mann, denSie so gern schmähen, Wehner, hier eine Rede halten lassen, um die Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik in einer Zeit zu betonen, in der es nicht ausreichte, philosophische Betrachtungen anzustellen, sondern in der es um die Praxis ging.
Dieses bringen Sie überhaupt nicht fertig. Sie entwickeln sich inzwischen zu Krämern, die nachrechnen und versuchen, die Dinge nach inländischen Tarifen zu behandeln.
Einmal verhalten Sie sich so, wie es Ihnen in den Kram paßt, ein andermal kritisieren Sie. Aber so sind Sie entlarvt, und dazu werde ich auch in Zukunft beitragen.
mit der Sie über diese Fragen hinweggegangen sind, war schockierend. Das möchte ich gerade Ihnen, Herr Jäger, ganz deutlich sagen.Ich darf an Sie zwei Fragen richten. Was können die Menschen in der DDR von Ihnen eigentlich erwarten? Was können die Menschen in Deutschland von Ihnen erwarten, um die Zusammengehörigkeit der Deutschen in beiden Teilen Deutschlands zu stärken? Diese Fragen müßten von Ihnen einmal beantwortet werden. Dann hätten wir einen Ansatzpunkt, gemeinsam über die anstehenden Fragen nachzudenken und zu diskutieren.Mich hat auch schockiert, Herr Kollege Jäger, was Sie zur Situation der Arbeitnehmer gesagt und welche Vergleiche Sie angestellt haben. Haben Sie sich nie damit befaßt, wie die Situation der Arbeitnehmer vor 100 Jahren aussah, als die Arbeiterbewegung entstand, und davor? Haben Sie sich nie da-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14707
Büchler
mit befaßt, wie das im sogenannten Dritten Reich war?
— Nein, aber Sie haben so komische Parallelen gezogen, die unverantwortlich sind. Das muß man doch sehen. Ansonsten ist in dieser Debatte von Ihrer Seite aus nichts drin gewesen. In bezug auf die deutschlandpolitischen Fragen kann man bei Ihnen nur einen Verlust an Realitätssinn feststellen.Ich darf darauf hinweisen, daß es einen Text zur Deutschlandpolitik gibt, der damals noch vom Bun- desministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegeben worden ist. Darin sind die Ziele aufgelistet, die damals Bundeskanzler Kiesinger angestrebt hat. Wir können diese Punkte zum großen Teil abhaken. Ihnen aber möchte ich sagen: Wenn ich vergleiche, was Sie damals durch diesen Bundeskanzler mit vertreten haben und was Sie heute sagen, so muß ich zu dem Ergebnis kommen, daß das eine Rückentwicklung hinter diese Jahre ist. Darum geht es.
Die Fraktionen der SPD und der FDP haben einen Entschließungsantrag eingebracht, den ich zum Schluß dieser Debatte ganz kurz begründen möchte. Zunächst einmal basiert dieser Entschließungsantrag auf drei Grundtatsachen.Erstens. Die beiden deutschen Staaten haben sich freiwillig, verpflichtend und völkerrechtlich bindend den in den Menschrechtspakten von 1966 gesetzten Normen für einen umfassenden menschenrechtlichen Schutz unterworfen. Der Menschenrechtspakt der Vereinten Nationen, in deren Vollversammlung die beiden deutschen Staaten seit 1973 Mitglieder sind, trat am 3. Januar 1976 in Kraft.Zweitens. In Art. 2 des Grundlagenvertrages vom 21. Dezember 1972 haben sich die beiden deutschen Staaten zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet.Drittens. Die beiden deutschen Staaten haben in der Schlußakte von Helsinki vom 1. August 1975 ihren Willen bekundet, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten.An diesen völkerrechtlich bindenden Normen und Vereinbarungen orientiert sich unsere Politik.Zwei unverzichtbare Konsequenzen dieser Vereinbarungen sind für uns:Erstens. Die Verwirklichung und Wahrung der Menschenrechte ist ein wesentliches Ziel unserer Politik. Wir unterstützen daher die Auffassung der Bundesregierung, daß die Verwirklichung der Menschenrechte eine legitime Aufgabe der internationalen Politik ist.Zweitens. Die Verwirklichung der Menschenrechte dient den Interessen der einzelnen Menschen. Die Durchsetzung der Menschenrechte hat Sinn und Legitimation nur im Hinblick auf menschliche Erleichterungen. Für uns ist die Menschenrechtspolitik daher kein Instrument, um der DDRoder anderen Staaten eine andere, unsere Staats-und Gesellschaftsordnung aufzudrängen. Die Menschenrechte sind weder an ein bestimmtes gesellschaftliches System gebunden noch hängen sie von einem bestimmten System ab.Wenn sie unserem Antrag zustimmen würden, den wir an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen vorschlagen, wäre das eine Grundlage, um auf einem anderen Niveau und mit besseren Voraussetzungen in eine neue Diskussion über die Menschenrechte einzutreten.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Ende der Debatte angelangt.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 7 bis 15. Ich rufe zunächst im Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 7 die Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 8/3361 zu den Großen Anfragen auf. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/3361 an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen. Wer dafür ist, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Zu den Tagesordnungspunkten 8 bis 14 hat der Ältestenrat die Überweisung an die Ausschüsse vorgeschlagen. Die Überweisungsvorschläge mit der Änderung, daß bei Tagesordnungspunkt 10 die Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß entfällt, können sie aus der Tagesordnung ersehen. Wer mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden ist, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 8/3340 zu Tagesordnungspunkt 15 betr. Sicherheit der Transitreisenden. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Abgeordneten Dr. Hennig, Baron von Wrangel, Graf Huyn und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2570 abzulehnen. Wer entsprechend beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist mit Mehrheit so beschlossen.Meine Damen und Herren, damit sind die Tagesordnungspunkte 7 bis 15 erledigt. Punkt 16 der Tagesordnung wurde schon behandelt.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"— Drucksache 8/3293 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschuß genial!, § 96 GO
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14708 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
Vizepräsident LeberDas Wort zur Einbringung hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
— Meine Damen und Herren, es wäre hilfreich, wenn etwas Ruhe im Saale herrschte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute vor fast genau acht Jahren wurde die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder ins Leben gerufen, eine vom Bund errichtete öffentlich-rechtliche Stiftung, der die Aufgabe übertragen ist, den Opfern der größten Arzneimittelkatastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik, der uns allen noch in wacher Erinnerung gebliebenen Contergan-Katastrophe, die sich vor 20 Jahren ereignete, zu helfen.Unter uns leben heute über 2 600 junge Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen.
Die Ältesten von ihnen sind bereits oder werden in diesen Monaten volljährig.Wer von Ihnen die Ereignisse der damaligen Zeit und die schweren juristischen Auseinandersetzungen der Eltern der geschädigten Kinder mit der Herstellerfirma des Schlafmittels „Contergan" verfolgt hat, weiß, daß ohne die zusätzliche Hilfe des Bundes diesen Kindern nicht die Unterstützung zuteil geworden wäre, die man als angemessen bezeichnen kann. Die von der Herstellerfirma seinerzeit auf der Grundlage eines privaten Vergleichs zur Verfügung gestellten 100 Millionen DM waren nach Auffassung der Bundesregierung nicht ausreichend, um den Bedürfnissen der Betroffenen in angemessenem Umfang und auf Dauer gerecht zu werden. Es zeichnete sich damals ab, daß die Durchführung des Vergleichs zu Schwierigkeiten führen würde, die voraussichtlich ohne staatliche Hilfe nicht zu überwinden waren.Das, meine Damen und Herren, war der Hauptgrund für die Entscheidung der Bundesregierung, eine zusätzliche öffentliche Hilfe zur Verfügung zu stellen und dafür zu sorgen, daß diese Hilfe auch dauerhaft ist. Die Bundesregierung hat in die 1971 zu diesem Zweck errichtete Stiftung zusätzlich zu den von der Herstellerfirma gezahlten Entschädigungsleistungen bis heute 150 Millionen DM eingebracht, mit der Zweckbestimmung, daß 100 Millionen DM für direkte Hilfen vorgesehen werden und weitere 50 Millionen DM für institutionelle Förderungsmaßnahmen zugunsten aller Behinderten, insbesondere behinderter Kinder und Jugendlicher, zu verwenden sind. Die Kinder haben im Einzelfall von der Stiftung Kapitalentschädigungen zwischen 1000 DM und 25 000 DM erhalten. Soweit es sich nicht um leichte Fälle handelt, haben sie einen zusätzlichen Anspruch auf eine lebenslange Rente je nach Schwere der Behinderung zwischen 125 und 562 DM monatlich. Weit mehr als die Hälfte, nämlich 60 der Betroffenen, sind voll erwerbsunfähig und erhalten die Höchstrente von 562 DMMit der Errichtung der Stiftung und damit der Übernahme der Entschädigungsregulierung durchdie öffentliche Hand hat der Bund eine Verpflichtung übernommen, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 8. Juli 1976 dahin gehend konkretisiert worden ist, daß der Gesetzgeber durch die Herausnahme des Schadensbereiches aus dem privat-autonomen Regelungsbereich und die Überführung in den öffentlich-rechtlichen auch die Verantwortung übernommen hat, in Zukunft auch darüber zu wachen, daß die Leistungen der Stiftung, sei es in Form von Rentenerhöhungen oder in sonstiger Weise, der übernommenen Verantwortung gerecht werden. Die Bundesregierung bekennt sich zu dieser Verpflichtung.Das dem Deutschen Bundestag vorliegende Änderungsgesetz zum Stiftungsgesetz sieht eine lineare Erhöhung der Renten zum 1. Januar 1980 um 13 % vor. Damit soll der Entwicklung der Lebenshaltungskosten in den letzten drei Jahren seit der letzten Rentenerhöhung im Jahre 1976 Rechnung getragen werden.Eine weitere Zielsetzung des Gesetzentwurfes ist die finanzielle Absicherung der Rentenleistungen auch für die Zukunft. Hierfür sollen dem Stiftungskapital in den nächsten Jahren weitere 90 Millionen DM zugeführt werden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß sich der Kapitalbedarf der Stiftung für Entschädigungsleistungen an Contergan-Kinder seit Errichtung der Stiftung entgegen ursprünglichen Schätzungen wesentlich erhöht hat. Da das Gesetz für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen keine Ausschlußfrist kennt, können auch heute noch berechtigte Ansprüche angemeldet werden. Etwa 260 zusätzliche Neuanmeldungen sind in den letzten Jahren von der medizinischen Kommission der Stiftung anerkannt worden. Dies ist einer der wesentlichen Gründe für übernommene zusätzliche finanzielle Verpflichtungen durch die Stiftung. Diese Entwicklung war bei der Verabschiedung des Stiftungsgesetzes nicht vorhersehbar.Schließlich sieht der Gesetzentwurf eine Erhöhung des Kapitalstocks für institutionelle Förderungsmaßnahmen vor. Der hierfür bestimmte Teil des Stiftungsvermögens soll in den nächsten vier Jahren um weitere 50 Millionen DM aufgestockt werden, allerdings mit der Maßgabe, daß der Kapitalstock selbst nicht aufgezehrt werden darf und nur die Erträgnisse aus diesen Mitteln für Förderungsmaßnahmen eingesetzt werden dürfen.Die Bundesregierung erwartet, daß die für diesen Bereich vorgesehenen Kapitalmittel dazu beitragen werden, zumindest einen Teil des vorliegenden Antragsüberhanges in den nächsten Jahren abzubauen. Die Stiftung soll auch in die Lage versetzt werden, einen wesentlichen Beitrag zum Jahr der Behinderten zu leisten, das die Vereinten Nationen für 1980/ 81 ausgerufen haben. Insgesamt wird der Bund bis 1984 170 Millionen DM zusätzlich in die Stiftung einbringen.Meine Damen und Herren, dies sind die Schwerpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfes. Wegen des Termins für die vorgesehenen Leistungsverbesserungen am 1. Januar 1980 wäre ich dem Deutschen
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Parl. Staatssekretär ZanderBundestag und den Ausschüssen für eine zügige Behandlung sehr dankbar.
Ich danke für die Begründung und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rentenleistungen, welche die Stiftung für behinderte Kinder gewährt, werden nicht jährlich den Entwicklungen angepaßt. Die letzte Erhöhung erfolgte im August 1976. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht deshalb eine Anhebung der Renten um 13 % für die Contergan-geschädigten Jugendlichen vor. Das Stiftungskapital soll in den nächsten Jahren erhöht werden, damit die Rentenzahlungen auch gesichert bleiben. Gleichzeitig sollen auch die Mittel für Teil 3 der Stiftung aufgestockt werden, uni die Möglichkeiten der institutionellen Förderung durch die Stiftung insbesondere im Jahre 1981, dem Jahr der Behinderten, zu verbessern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, wir sollten heute bei Gelegenheit dieser Kurzdebatte auch einmal die Frage stellen: Wie ist die heutige Situation der Betroffenen? Es sind, wie in der Drucksache ausgeführt wird, 2667 junge Menschen, die ihr Leben mit erheblichen Fehlbildungen meistern müssen. Bei 60 % der Betroffenen beträgt der Grad der Behinderung 100 %. Die Ereignisse um die Contergan-Schäden liegen nun beinahe zwei Jahrzehnte zurück. Die Kinder sind zu jungen Menschen herangewachsen. Sie suchen einen Arbeitsplatz oder bereiten sich intensiv auf einen Platz im Arbeitsleben vor; ein Teil von ihnen ist auch bereits eingegliedert. Das Selbstwertgefühl eines Behinderten wird wesentlich gestärkt, wenn seine Eingliederung geglückt ist. Deshalb ist für ihn der Beruf mehr als nur Broterwerb. Wie Eltern berichten, war es oft schwierig, für die meist mehrfach Behinderten einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Trotz großen Verständnisses seitens der meisten Arbeitgeber sollen sich auch gewisse Schutzbestimmungen des Schwerbehindertengesetzes hemmend ausgewirkt haben, vor allem die Kündigungsvorschriften bei der Einstellung von Auszubildenden.
Diskutiert wird unter den Eltern auch die Frage, ob man es nicht versäumt habe, neue geeignete Berufsbilder zu schaffen. Die Verpflichtung des öffentlichen Dienstes zu Zahlung der Ausgleichsabgabe im neuen Schwerbehindertenrecht hat nach Erfahrungsberichten keine spürbare Verbesserung bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen gebracht. Geeignete Plätze waren meist besetzt. Eine weitere Schwierigkeit ist auch der Umstand, daß Schwerst-
und Mehrfachbehinderte trotz qualifizierter Ausbildung im Wettbewerb mit Nichtbehinderten nicht immer bestehen können.
Auf Grund dieser gesammelten Erfahrungen scheint es mir erforderlich, daß sich der Ausschuß mit den Eingliederungsproblemen besonders auch dieser Behindertengruppe eingehend befaßt. Auch zeigt sich mehr und mehr — die steigende Zahl arbeitsloser Behinderter beweist es —, daß die Hilfen für bestimmte Gruppen von Schwerstbehinderten zur Eingliederung in das Arbeitsleben erweitert und ergänzt werden müssen. Auch der Alltag und die Umwelt haben Kummer bereitet. Wir dürfen deshalb, so meine ich, nicht müde werden, zum einen die Mitbürger aufzuklären und zu informieren und zum anderen auch die technischen Barrieren abzubauen.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Anhebung der Renten und werden den Gesetzentwurf unverzüglich im Ausschuß beraten. Aber mit diesen materiellen Verbesserungen darf es nicht sein Bewenden haben. Wir müssen uns weiterhin um das Schicksal der Betroffenen kümmern. Es gilt auch in der Zukunft, Anregungen zu geben, Anstöße zu vermitteln und Zusatzinstrumente zu schaffen, damit möglichst alle einen Dauerarbeitsplatz finden können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder". Von den Vorrednern ist schon gesagt worden, daß diese Stiftung 1971 gegründet wurde. Damals ging es darum, den Contergan-geschädigten Kindern schnelle und unbürokratische Hilfe zu gewähren, um ihnen weitere langwierige Prozesse zu ersparen.Mit der jetzt geplanten Änderung soll zum einen eine 13%ige Rentenerhöhung ab 1. Januar 1980 erreicht werden; die letzte Erhöhung, damals um 25 %, gab es 1976. Zum anderen soll sie die Rentenleistungen für die Rentenlaufzeit sichern und gleichzeitig den Kapitalstock für institutionelle Förderungsmaßnahmen erhöhen. Deswegen will der Bund auch groß einsteigen und seine bisher einbegrachte Einlage von 150 Millionen DM in den nächsten Jahren um weitere 170 Millionen DM aufstocken.
Bei der Errichtung der Stiftung wurde diese mit einem Vermögen von 200 Millionen DM ausgestattet; der Betrag wurde je zur Hälfte von der Chemie Grünenthal und vom Bund aufgebracht. 150 Millionen DM waren für Leistungen im Zusammenhang mit den Contergan-Fällen zweckbestimmt, und 50 Millionen standen für institutionelle Förderungsmaßnahmen zugunsten aller Behinderten zur Verfügung, damit auch an diesem Punkt und durch diese Stiftung deutlich gemacht würde, daß bei aller besonderen Tragik der Contergan-Katastrophe unsere Gesellschaft generell ihrer Verantwortung gegenüber behinderten Mitbürgern gerecht werden will.Es ist bemerkenswert — und ich drücke das sehr vorsichtig aus —, daß nach der Begründung des Gesetzentwurfes Zinsverluste auch daraus entstanden sind, daß der eine Treuhänder der Firma Grünenthal 50 Millionen DM so zögernd überwiesen hat, daß die Mittel nicht rechtzeitig aufgebracht werden konn-
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Kuhlweinten, so daß der Bund auch für einen Teil dieser Zinsverluste einspringen muß. Es wäre sicher eine Diskussion wert, wie weit diese Firma, aber auch andere ihrer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung in solchen Situationen auch wirklich gerecht werden.Bundesregierung und Bundestag gingen 1971 und 1976 davon aus, daß die durch Contergan geschädigten Kinder durch die Stiftung besser gestellt werden sollen, als dies bei einer Abwicklung des Vergleichs mit der Firma Grünenthal möglich gewesen wäre. Deshalb ist es natürlich logisch, daß eine angemessene Erhöhung der Renten und der Kapitalabfindung dann in Betracht gezogen werden muß, wenn die vorgesehenen Leistungen dem Ziel des Gesetzes, nämlich den Betroffenen wirksame Hilfe zu bringen, nicht mehr entsprechen.Die wirtschaftliche Entwicklung seit 1976 erfordert eine Aufstockung, die wenigstens die Preissteigerungen ausgleicht. Damit werden wir auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1976 gerecht, das in seiner Begründung unter anderem ausführt, daß es dem Gesetzgeber obliege, auch in Zukunft darüber zu wachen, daß die Leistungen der Stiftung, sei es in Form von Rentenerhöhungen oder in sonstiger Weise, der übernommenen Verantwortung gerecht werden.Allerdings — lassen Sie mich auch das hier ganz deutlich sagen — bedrückt uns nach wie vor ein wenig, daß außerhalb dieses Hauses der Eindruck entstehen könnte, bei diesem Gesetz handle es sich um eine Bevorzugung der durch Contergan geschädigten Kinder gegenüber allen anderen behinderten Kindern. Deshalb soll in dieser Debatte eine kurze Bilanz der Verbesserungen für behinderte Kinder nicht fehlen, die die sozialliberale Koalition in den letzten zehn Jahren durchgesetzt hat. Ich nenne nur einige Beispiele, etwa die gesetzliche Unfallversicherung für Kindergartenkinder, Schüler und Studenten, den Rechtsanspruch auf Untersuchung zur Früherkennung von Krankheiten, die eine normale körperliche, geistige oder seelische Entwicklung der Kinder gefährden, Verbesserungen materieller Art und für die schulische und berufliche Rehabilitation im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes, auch den Anspruch auf medizinische Rehabilitation nach dem Reha-Angleichungsgesetz im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auch für mitversicherte Kinder.Alle medizinischen, schulischen, beruflichen, und sozialen Rehabilitationsmaßnahmen stehen behinderten Kindern und Jugendlichen kostenlos zur Verfügung. Und mit dem Gesetz über die Sozialversicherung für Behinderte ist auch ein erster Schritt zur sozialen Alterssicherung der von Jugend an Behinderten gemacht worden, die bislang kaum Möglichkeiten hatten, einen eigenen Rentenanspruch zu erwerben.Durch die Aufstockung des Stiftungsvermögens für institutionelle Förderungsmaßnahmen in diesem Gesetz werden die Zinsen von weiteren 50 Millionen DM zur Verfügung stehen, die schwerpunktmäßig für den Bau von Wohnheimen für Behinderte in Verbindung mit Werkstätten, für Tagesstätten undfür Freizeit- und Erholungsmaßnahmen verwendet werden sollen. Die Förderung erstreckt sich auf Forschungsvorhaben ebenso wie auf den behindertengerechten Ausbau von Schwimmbädern bis hin zur Entwicklung von Pkw-Prototypen, die besonderen Behinderungen, auch Behinderungen von durch Contergan geschädigten Kindern, gerecht werden sollen.Diese unvollständige Aufzählung soll nur das Spektrum andeuten, in dem die institutionelle Förderung aus dieser Stiftung bereits gegriffen hat bzw. auch in Zukunft greifen soll.Insgesamt können wir heute feststellen, daß sich die Lage der Behinderten durch die schrittweise Verwirklichung des Aktionsprogramms zur Rehabilitation entscheidend verbessert hat.Dennoch bleibt sehr viel zu tun. Darüber sind wir uns schon einmal hier in einer Aussprache über eine Große Anfrage der Unionsfraktion einig gewesen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf diese Große Anfrage die Fortschreibung des Aktionsprogramms angekündigt. Der Deutsche Bundestag hat in diesen Tagen durch die Voten seiner Ausschüsse für Arbeit und Sozialordnung und, Herr Kollege Burger, für Jugend, Familie und Gesundheit, zum Ausdruck gebracht, welche der noch vorhandenen Probleme vorrangig gelöst werden müssen. Dabei wird man sicher auch für die Zukunft Überlegungen anstellen müssen, wie dieses Modell der lebenslangen Rente für behinderte Kinder aus Conterganfällen auf von Jugend an Erwerbsunfähige mit anderen Behinderungen ausgeweitet werden kann. Wir sind uns der finanziellen Dimensionen dieses Problems bewußt. Aber wenn man diesen einmal eingeschlagenen Weg treu dem Finalitätsprinzip — nicht dem Kausalitätsprinzip — weitergehen will, wird man sicher auch Überlegungen anstellen müssen, wie man anderen Gruppen von Behinderten in Zukunft besser gerecht werden kann, vor allem solchen Behinderten, die von Anfang an keinem Beruf nachgehen können.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden unsere Arbeit zur weiteren Verbesserung der Lage der Behinderten und zur weiteren Ausgestaltung der Rehabilitation mit diesem Gesetz und mit weiteren Initiativen fortsetzen. Wir sollten alle bereit sein, schon jetzt einen konstruktiven Beitrag zum Internationalen Jahr der Behinderten 1981 zu leisten.Meine Fraktion stimmt der Überweisung des Gesetzes an den federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu und bittet — sie verspricht dies auch — um beschleunigte Behandlung, damit die Rentenerhöhung zum 1. Januar 1980 in Kraft treten kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Debatte zur ersten Lesung ist durch grundsätzliche Aussagen zum Thema des Ge-
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Eimer
setzes, über grundsätzliche Ausgangspositionen der Fraktionen und über die Zielrichtung, die bei den Beratungen in den Ausschüssen eingenommen werden soll, gekennzeichnet. Dies bringt normalerweise einen Vorteil für den letzten Redner, kann man doch zu den Äußerungen Stellung nehmen, die von den Kollegen vorher getan wurden. Dieser Vorteil kehrt sich aber ins Gegenteil um, wenn Vorredner alles Wesentliche zu dem Gesetz gesagt haben und wenn — wie hier — Gegensätze beim besten Willen nicht erkennbar sind. Ich nehme diesen Nachteil als Redner gern hin und bin für die Gemeinsamkeit zwischen den Fraktionen sehr dankbar.Die Beträge, um die die Bundesregierung ihren bisherigen Anteil an der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" — ursprünglich waren es 100 Millionen DM, 1976 wurde dieser Betrag auf 150 Millionen DM erhöht — nun weiter erhöhen will, und zwar um 170 Millionen DM auf 320 Millionen DM, sprechen für sich. Das ist gegenüber dem heutigen Anteil eine mehr als 100 %ige Erhöhung und gegenüber der ursprünglichen Einlage eine Erhöhung auf 320 %.Von diesen 170 Millionen DM werden — das wurde bereits gesagt — im Verlauf der nächsten vier Jahre 120 Millionen DM für den Teil II der Stiftung, also für die Steigerung der Renten um zirka 13 vorgesehen. Besonders wichtig ist mir aber, daß — im Gegensatz zu 1976 — im Laufe von fünf Jahren 50 Millionen DM für Teil III, also für die institutionelle Förderung, bereitgestellt werden. Wie wichtig diese Förderung ist, mag man daran sehen, daß die sogenannten Contergan-Kinder mittlerweile in die Rolle von Erwachsenen hineinwachsen und für diesen und in diesem neuen Lebensabschnitt Hilfe zur Selbsthilfe nötig haben. Die zur Verfügung stehende Masse soll also für Schulungsmaßnahmen von Betroffenen, von Angehörigen und von Reha-Fachkräften, für die Erarbeitung und Verteilung von Informationsmaterial und die Unterstützung medizinischer, pädagogischer, beruflicher und sozialer Fördermaßnahmen Verwendung finden. Weiter soll dieses Geld für die Finanzierung der Beratung Behinderter durch Selbsthilfeverbände auf Bundes- und Landesebene Verwendung finden.Da dies alles unstrittig ist und allgemein begrüßt wurde, bleibt mir also nichts anderes übrig, als unsere Bereitschaft zu bekunden, dieses Gesetz möglichst schnell und möglichst zügig zu beraten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1980
— Drucksache 8/3306 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft, zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
— Drucksache 8/3274 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Haltung gegenüber dem vorliegenden Gesetzentwurf, der auf die Abschaffung der mit der Überschreitung der Regelstudienzeiten und Meldefristen verbundenen Sanktionen abzielt, kann man am besten als ein nachdenkliches Ja definieren. Deswegen können wir im Unterschied zur Koalition auch nicht ohne Diskussion zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen vielmehr, wenn wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen, fragen, ob mit dem sich abzeichnenden Beschluß wirklich wesentliche Probleme der Hochschulen gelöst werden und ob es nicht andere, mindestens genauso veränderungsbedürftige Regelungen des Hochschulrahmengesetzes gibt, die in dieser Gesetzesnovellierung ebenfalls angesprochen werden müßten, ohne das Vorhaben insgesamt zu gefährden.Wir nehmen aus folgenden Gründen von dem Instrument der Zwangsexmatrikulation Abschied.Erstens. Die Zwangsexmatrikulation als ein Instrument der Straffung und Effektivierung der Studiengänge in Ergänzung zur Regelstudienzeit greift offenbar nicht. Sie kann und darf nur auf Studiengänge Anwendung finden, die bereits reformiert sind und die Einhaltung der jeweils festgelegten Regelstudenzeiten ermöglichen.Zweitens. Die angesprochenen Regelungen erzeugen selbstverständlich einen gewissen psychologischen Druck. Wer das leugnen wollte, würde den Charakter dieser Maßnahmen mißverstehen. Ich möchte mich nicht auf die Diskussion einlassen, ob dieser Druck zumutbar ist und im Interesse der Studenten selbst liegt oder ob er etwa unerträgliche
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14712 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979
RüheStudienbedingungen erzeugt, wie das nicht wenige empfinden. Im April dieses Jahres hat der sozialdemokratische Berliner Senatsdirektor Professor Jäkkel in der SPD-Zeitschrift „Bildung und Politik" dazu folgendes festgestellt:Angesichts dieser vielfältigen Möglichkeiten, ein Studium, dessen Regelstudienzeit beispielsweise neun Semester beträgt, auf 13 Semester oder mehr auszudehnen, erscheint die vom Hochschulrahmengesetz postulierte Sanktionsdrohung als ein bloßer Papiertiger. Der Bundesgesetzgeber hätte auf diese Sanktion, sieht man vom dem extremen Mißbrauchsfall eines Scheinstudiums einmal ab, beruhigt verzichten können.So sagte der sozialdemokratische Senatsdirektor, und dem kann man sich aus heutiger Sicht nur anschließen.Es scheint mir eine Reihe erheblich stärker wirkender Faktoren zu geben, denen der Student ohnehin ausgesetzt ist. Ich denke etwa an die Situation auf dem akademischen Arbeitsmarkt und an die Förderungshöchstdauer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Entscheidend ist hier lediglich, daß der Druck auf eine Bestimmung zurückzuführen ist, die für ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Studienreform voranzutreiben, offensichtlich nicht taugt. Insofern ist dieser Druck überflüssig und sollte im Sinne einer Entkrampfung der Diskussion beseitigt werden.Wir dürfen nun aber nicht so tun, als ob mit der Abschaffung der Zwangsexmatrikulation wesentliche Probleme der Hochschulen gelöst seien. Wir dürfen insbesondere die Reform der Studiengänge nicht aus den Augen verlieren. Es ist richtig, daß die Regelstudienzeit von vier Jahren, die nur in besonders begründeten Fällen überschritten werden kann, und damit auch die Verpflichtung zur Studienreform unangetastet bleiben muß. Ich möchte noch einmal Herrn Jäckel zitieren:Die Regelstudienzeit zielt nicht auf eine dirigistische Begrenzung der Studienzeit, sondern auf eine sinnvolle Neuordnung der Studiengänge. Sie ist nicht zuletzt notwendig, um für jede neue Studentengeneration das offenbar zunehmend belastende und gerade psychisch belastende Orientierungsdefizit abzubauen und den beschwerlichen Weg durch das Fachstudium an einer Massenuniversität gangbarer zu machen.Es muß unbedingt verhindert werden, daß die Abschaffung der Sanktionen beim Überschreiten der Regelstudienzeit als ein Signal für die freie Fahrt zu längeren Studienzeiten begriffen wird. Insofern muß vor Beiträgen gewarnt werden, wie sie jüngst der Hamburger Wissenschaftssenator Professor Sinn angesprochen hat, der gefordert hat, die Studienzeiten in allen Fächern zu verlängern. Ich meine, eine solche Äußerung ist ein Skandal. Sie geht in eklatanter Weise an der Realität, an den eigentlichen Erfordernissen der Reform der akademischen Studiengänge vorbei.
Hauptaufgabe der Studienreform muß es nach unserer Ansicht sein, allen Studenten ein wissenschaftsorientiertes, aber auch ein an den Erfordernissen der Praxis ausgerichtetes Studium in einer angemessenen Zeit zu ermöglichen. Nicht die Verlängerung, eine Überfrachtung des Studiums mit zusätzlichen speziellen Inhalten, sondern eine sinnvolle Verkürzung der Studienzeiten ist nötig. Eine zeitgemäße Ausbildung des akademischen Nachwuchses — darin sollten wir uns eigentlich einig sein — kann nicht darin bestehen, das Berufseintrittsalter zugunsten noch längerer Verweildauer auf den Universitäten möglichst lange hinauszuschieben. Die Absolventen müssen — sie wollen das in der Regel auch, wie die Forderung nach stärker praxisbezogenem Studium beweist — möglichst früh mit den Anforderungen der Praxis konfrontiert werden. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Hochschulausbildung mit längerer Verweildauer zwangsläufig besser wird. In der Tat zeigt die Überalterung der deutschen Studenten — insbesondere auch im internationalen Vergleich —, wie wichtig eine das Studium deutlich verkürzende Studienreform ist. Dazu hat sich auch etwa 1974 der jetzige Bundeskanzler geäußert. Sozialdemokratische Kollegen sollten ein solches Zitat einmal zur Hand nehmen — für die Ausschußberatungen, die nun in Zukunft anstehen.Wir meinen, daß man die Freiheit eines nichtreformierten Studiums — das zudem noch von der Illusion gekennzeichnet ist, den Studenten alle nur denkbaren Facetten eines Studienfaches umfassend vermitteln zu können — heute nur noch als die Freiheit definieren kann, auf dem angestammten Studienplatz ein gesegnetes Alter zu erreichen. Aus der Humboldtschen Freiheit des Studiums darf nicht länger nur die Freiheit werden, alt zu werden an den deutschen Universitäten. Das ist doch wohl eine Pervertierung des Begriffs der akademischen Freiheit. Da verkennt man, daß sich überlange Studienzeiten negativ auf die Zukunftschancen unseres akademischen Nachwuchses auswirken.Aus dieser Sicht richten wir an unsere Kollegen von der SPD und der FDP die Forderung, sich dieses Themas im Zusammenhang mit der anstehenden Gesetzesnovellierung anzunehmen. Ich möchte diese Ansicht noch mit einem Wort von Hans Dichgans verdeutlichen, der sich in den vergangenen Jahren in besonderer Weise um dieses Thema gekümmert hat: Die längste Studienzeit der Welt, aufgestockt auf die längste Schulzeit der Welt, das führt zu einer spektakulären Überalterung. Der Vorteil zusätzlicher Kenntnisse, zusätzlicher Fähigkeiten, welchen die längere Ausbildung in dem einen oder anderen Falle bringen mag, wird mehr als ausgeglichen durch den Verlust an Spontaneität und Kreativität — die unvermeidliche Folge des allzulangen Festhaltens in der Position eines Schülers, der sich nur am Gängelband seines Lehrers bewegen kann.Wenn man die Diskussion so führt, wie wir das tun wollen, dann kann und muß man den Studenten auch klarmachen, daß das eine Diskussion in ihrem ureigensten Interesse ist, daß gerade die Studentenschaft unter diesen überlangen Studienzeiten, unter dem verspäteten Eintritt in den Beruf zu leiden hat.
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RüheVon daher hoffen wir auf eine Unterstützung für die Diskussion, die wir führen wollen.Ich möchte noch einen letzten Aspekt zur Verkürzung der Studienzeit ansprechen. Sie wissen, daß im Bereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes die Mittel nur für die Höchstförderungsdauer zur Verfügung gestellt werden. Die Höchstförderungsdauer liegt ausnahmslos im Bereich der Regelstudienzeiten. Was aber — so frage ich Sie — ist davon zu halten, daß die arbeitsintensivste Phase des Studiums für einen großen Teil der BAföG-Empfänger nicht abgesichert werden kann, weil diese Studenten nicht innerhalb der Höchstförderungsdauer zu einem Abschluß gelangen können. Diese Auswirkung einer verschleppten Studienreform kann man nur als sozial sehr ungerecht bezeichnen, weil sie die Kinder begüteter Familien in geringerem Maße trifft. Deswegen sollte man über Folgewirkungen einer bloßen Streichung der Bestimmungen, um die es hier geht, in diesem Zusammenhang nachdenken.Es gibt aber auch weitere Punkte des Hochschulrahmengesetzes, die im Zusammenhang mit dieser Novellierung angesprochen werden können, ohne das Projekt insgesamt zu gefährden. Ich kann das hier nur stichwortartig tun.Die Gesamthochschule als ein organisatorisches Leitmodell der Neuordnung des Hochschulwesens hat sich nicht bewährt. Ein auf Differenzierung und Kooperation ausgerichtetes Hochschulsystem entspricht besser den wissenschaftlichen und beruflichen Anforderungen einer differenzierten Gesellschaft. Frage an Sie: können wir nicht auch in diesem Punkt eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes vornehmen?Der zweite Punkt bezieht sich auf die umstrittene Regelung der Diplomierung und Nachdiplomierung nach § 18 des Hochschulrahmengesetzes. Auch hier würde ein Beschluß des Bundestages zur Änderung des Gesetzes sicherlich hilfreich sein.Ein weiterer Punkt ist die Frage der Mitwirkung der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten: § 38. Eine weitere Frage ist, ob im Rahmen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses den wissenschaftlichen Mitarbeitern die Möglichkeit zur Promotion eingeräumt werden sollte.Ich meine, dies sind Punkte, die wir im Zusammenhang mit dieser Novellierung durchaus klären könnten.Ich darf zum Abschluß feststellen, daß zwar über den vorliegenden Gesetzentwurf Einmütigkeit herrscht, aber das Gefühl bleibt, daß mit dieser Maßnahme seitens des Gesetzgebers quasi auch ein Stück Ohnmacht gegenüber der eigentlichen Aufgabe, nämlich der Beschleunigung der Studienreformvorhaben, dokumentiert wird. Wir wollen, daß diese zentrale Aufgabe der Hochschulpolitik, nämlich die Studienreform, angepackt wird; denn nur eine solche Neuordnung des Hochschulwesens führt zu Studiengängen, die den Anforderungen in einer modernen akademischen Ausbildung gerecht werden, führt damit zu einer Verbesserung der Zukunftschancen unserer Hochschulabsolventen, sie garantiert langfristig den Freiraum, die Hochschulausbildung durch Auslandsstudium, fächerübergreifendes Studium und politische Bildung sinnvoll und eigenverantwortlich zu ergänzen. Letztlich sichert diese Studienreform die Wettbewerbsfähigkeit des akademischen Nachwuchses im internationalen Vergleich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rühe, wir sind bei der gesamten Auseinandersetzung um das Hochschulrahmengesetz an einem Punkt angelangt, wo sich wohl zeigen wird, daß wir in wesentlichen Punkten auf einer gemeinsamen Linie argumentieren. Nach dem, was Sie sagten, Herr Kollege Rühe, scheint es mir fast so, als ob Sie Angst davor hätten, daß wir ein Zuviel an Konsens haben. Ich wundere mich darüber sehr. Ich glaube, dieser Gesetzentwurf zeigt, daß wir in einigen Punkten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben.Lassen Sie mich aber doch an zwei Punkten noch einmal kurz auf Ihre Ausführungen zurückkommen. Sie haben zunächst plastisch dargestellt, die Beseitigung der Verklammerung von Zwangsexmatrikulation und Regelstudienzeit würde freie Fahrt für Studienzeitverlängerung bedeuten. Herr Kollege Rühe, dies ist natürlich nicht richtig. Dies ist weder unser Ziel, noch war es das Ziel des Hochschulrahmengesetzes, noch wird es die Folge sein, wenn wir in diesem Punkt das Hochschulrahmengesetz Andern. Nach § 10 des Hochschulrahmengesetzes ist nur vorgesehen, daß die Vorschriften über die Studiendauer von vier Jahren jedenfalls als Soll-Vorschriften bleiben werden; sie sind unangetastet. Zweitens werden die Studienplätze für Studienwillige selbstverständlich nicht blockiert werden, wenn wir dies ändern. Die Festsetzung der Zulassungszahlen stellt beispielsweise für Studienanfänger auf die Regelstudienzeit, nicht aber auf die Studiendauer ab. Dies muß man deutlich sehen. Im übrigen müßte man noch hinzufügen, daß gerade Studenten höherer Semester, Herr Kollege Rühe, die Hochschuleinrichtungen sehr viel weniger benutzen, die Einrichtungen also von daher gesehen auch sehr viel weniger belastet werden.Dies sind alles Tatsachen, über die man reden muß. Klar ist jedenfalls, daß keiner von uns — auch nicht Herr Sinn; vielleicht lesen Sie das nach — will, daß etwa die Studiendauer verlängert wird. Das können Sie aus keiner der Erklärungen von Herrn Senator Sinn herauslesen. Dies ist sicherlich falsch. Sie werden ja auch das Protokoll des Bundesrates gelesen haben; daraus wird das auch noch einmal sehr deutlich.Wenn wir jetzt daran gehen, die Zwangsexmatrikulation wegen Überschreitung der Regelstudienzeiten abzuschaffen, dann verstehe ich das, Herr Kollege Rühe, als Signal in drei Richtungen. Erstens als ein Signal an die studierende Jugend. Seit Januar 1976, seitdem das Hochschulrahmengesetz in Kraft ist, und in der Diskussion um das Hochschul-
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Weisskirchen
rahmengesetz zuvor war das Thema Regelstudienzeit und Zwangsexmatrikulation angstbesetzt insbesondere von Studenten diskutiert worden. Es galt ihnen als ein Zeichen für den Versuch, die Kritik der Wissenschaften umzuschmieden in ein Instrument der stromlinienförmigen Anpassung. Diese Beurteilung ist jedenfalls auch nicht ganz einfach von der Hand zu weisen.Mit dem jetzt vorgesehenen Gesetz machen wir deutlich: Staatliche Entscheidungen sind überprüfbar, staatliche Entscheidungen sind änderbar und werden auch vom Parlament in den Dialog mit der kritischen Hochschulöffentlichkeit hineingezogen. Ich hoffe, daß dieses Gesetz von der studierenden Jugend verstanden wird als ein Beitrag zum Abbau bürokratischer Reglementierungen, die im Grunde nur die Angst von Sicherheitsfanatikern vor der Freiheit von Lehre, Forschung und Studium, die die akademische Arbeit zum Leben braucht wie der Mensch die Luft zum Atmen, ausdrücken.Ein Zweites: Diese Gesetzesänderung ist, über die Studentenschaften hinaus, an alle Hochschulangehörigen gerichtet. Der entscheidende Kern des Hochschulrahmengesetzes war doch die Hoffnung darauf, daß die Reform der Studieninhalte vorangebracht werden könnte, und damit die Hoffnung auf ein überschaubares und sinnvolles Studium. Dieser Prozeß ist im Gange.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kann nun endlich der Blick freigemacht werden auf die wirkliche Aufgabe der Hochschulen, auf die wirlichen Aufgaben der Fachbereiche in den Hochschulen, berufsfeldbezogene Erkenntnisse und disziplinüberschreitende Inhalte in ein auf Zeit gegliedertes Studium einzubeziehen. Dieser Dialog, der jetzt an den Hochschulen in Gang gekommen ist, ist der schwierigste Teil der Aufgabe, vor der die Fachbereiche stehen und die dort verhandelt wird.Da geht es um manches Eingemachte, insbesondere auf der Seite der Lehrenden. Da wird es aber auch darum gehen, gesellschaftliche Anforderungen bei den Studieninhalten durchzusetzen, damit, wie es in § 7 des Hochschulrahmengesetzes heißt, der Student oder die Studentin „zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt wird".Ein Drittes. Das Hochschulrahmengesetz war ein ganz schwieriger Kompromiß. Ich war noch nicht daran beteiligt. Wir alle — das verstehe ich als an die Fraktionen gerichtet – hatten uns zu diesem Kompromiß durchgerungen, um die Einheitlichkeit des Hochschulwesens zu wahren. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, daß der gute Wille des Bundesgesetzgebers, auf diese Kompromisse einzugehen, nicht in allen Landeshochschulgesetzen zu entsprechenden Regelungen geführt hat. Den einschneidensten Fall von hochschulrahmengesetzwidrigen Landesanpassungen müssen wir
als Sozialdemokraten darin sehen, daß dasBayerische Hochschulgesetz nicht für alle berufsqualifizierenden Abschlüsse von Hochschuleinrichtungen, d. h. auch von Fachhochschulen, den Diplomgrad vergibt. Dies ist einer der schwierigsten Punkte.
Übrigens ist diese negative Regelung — wie ich es sehe — auf Grund einer Klage eines Betroffenen nun auch vor Gericht anhängig.Herr Kollege Rühe, Sie haben noch einiges andere genannt.Wenn ich die drei Probleme, die dazu geführt haben, daß das Hochschulrahmengesetz geändert werden soll, bewerten darf, meine ich, wir hätten uns offen gezeigt, aus Fehlern zu lernen, die in der Vergangenheit geschehen sind. „Wir", das sind Bildungspolitiker von SPD und FDP, das sind auch Bildungspolitiker der Union.Wenn ich das an der kontroversen Debatte messe, die wir hier vor einer Woche um die Gesamtschule und deren Abschlüsse geführt haben, hoffe ich aus diesem Vorrang etwas mehr an Zuversicht schöpfen zu dürfen, was die kooperative Vernunft des Föderalismus anbelangt, die wir doch alle so dringend benötigen. Immerhin hat der Bundesrat den vorliegenden Gesetzentwurf mit 10 Ja-Stimmen ohne Gegenstimme beschlossen. Allein Bayern hielt es für nötig, sich der Stimme zu enthalten.Ich habe eine Bitte an uns alle: Überladen wir, wenn wir jetzt an die Auseinandersetzungen im Ausschuß gehen, doch bitte dieses Gesetz, Herr Kollege Rühe, nicht mit Zusätzlichem. Wir sollten nicht noch einiges von dem, was Sie, Herr Kollege Rühe, genannt haben, draufsatteln. Auch wir hätten Interesse daran, noch einiges draufzusatteln. Ich erinnere an die verfaßte Studentenschaft, ich erinnere an das Ordnungsrecht, ich erinnere daran, daß nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts Erweiterungen der Mitbestimmung möglich sein könnten. Dies alles sind Punkte, die auch wir gern noch mit hineinbringen möchten. Nur, Herr Kollege Rühe, seien wir doch ehrlich: Wenn wir dies alles noch mit einpacken und draufsatteln würden auf dieses magere Pferdchen, dann würde es zusammenbrechen.
Das können wir doch beide nicht wollen. Wir jedenfalls stellen die Punkte, die ich genannt habe, im Interesse der Sache zurück. Wir wollen das vorliegende Gesetz nicht durch Überfrachtung beschädigen.Selbstverständlich wird die Beratung im Ausschuß einzelne Gesichtspunkte dieses Vorhabens deutlicher machen. Wir sind da offen und werden über alles reden, Herr Kollege Rühe. Dennoch habe ich eine herzliche Bitte an uns: Mäßigen wir uns doch alle mit unseren Wünschen und Ansprüchen, damit wir ein Stück der Glaubwürdigkeit, die wir in dieser Auseinandersetzung verloren haben — übrigens wir alle —, insbesondere gegenüber den Studierenden, wieder zurückgewinnen können! Deshalb bitte ich uns alle, also auch Sie: Konzentrieren
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wir uns auf das, was unter uns jetzt konsensfähig ist!
Das Wort hat Herr Dr. Maihofer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abend die punktuelle Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, mit der die Zwangsexmatrikulation bei Überschreitung der Regelstudienzeit beseitigt wird.Wir Liberalen könnten frohe Genugtuung darüber empfinden, daß sich nun endlich allgemein die vernünftige Einsicht durchsetzt, aus der wir uns von Anfang an ebenso erbittert wie vergeblich gegen diese Zwangsexmatrikulation gewandt haben. Nicht nur, weil wir als Liberale von solchen Disziplinierungsinstrumenten gegenüber mündigen Menschen grundsätzlich nichts halten, sondern weil wir eine solche Zwangsexmatrikulation für ein untaugliches Mittel zur Erreichung der beiden mit ihr erstrebten Ziele schon damals hielten: der Beschleunigung der inhaltlichen Studienreform und der Schaffung neuer Hochschulkapazitäten. Davon war ja überall die Rede. Deshalb habe ich schon bei der Beratung des Regierungsentwurfs im Jahre 1973 diese Sanktionsregelung als „unnützen Aufwand" bezeichnet, der „so gut wie keinen Einfluß auf die Kapazitäten für Studienanfänger habe".Mit unseren Warnungen vor dieser ebenso unvernünftigen wie unwirksamen Regelung standen wir damals leider allein und in völligem Gegensatz — ich kann es mir nicht ersparen, daran zu erinnern, wo ich Sie, Herr Kollege Pfeifer, gerade so vor mir sehe — zu der seinerzeit vorherrschenden Auffassung auch in der CDU/CSU, daß — ich zitiere — „Regelstudienzeiten nur im. Zusammenhang mit Sanktionsmechanismen wirksam zur Linderung des Numerus clausus beitragen könnten", wie der damalige und heutige bildungspolitische Sprecher der Oppositionsfraktion noch 1974 erklärt hat. Mit Enttäuschung mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß zuletzt im Vermittlungsausschuß selbst die von uns in den Bundestagsberatungen durchgesetzte bescheidene Liberalisierung dieser unseligen Sanktionsregelung wieder auf eine automatische Zwangsexmatrikulation zurückgeführt wurde.Nun, die nachfolgenden Erfahrungen überstiegen selbst unsere schlimmsten Erwartungen. Sie haben inzwischen auch von seiten der Kultusminister der Länder zu der ernüchternden Feststellung geführt: „Daß die Exmatrikulation von Altstudenten keine Studienplätze für Anfänger schafft und die Studenten nur verunsichert hat". So Minister Engler im Januar dieses Jahres. Noch drastischer formuliert der zuständige Senator Hamburgs, Professor Sinn, der hier schon mehrfach zitiert worden ist, im April dieses Jahres das Fazit kurz und bündig:Wir haben also eine Bestimmung, die erstensnicht greift, die zweitens keiner will,. die drittens verunsichert statt motiviert, die viertensdem Zweck, um dessentwillen sie erfunden wurde, nämlich Kapazitäten freizusetzen, nicht genügt, und die fünftens, statt unsere jungen Mitbürger zur Selbstverantwortung und Selbstbestimmung zu erziehen, in Verschulung, Apathie und Protest gegen den Staat drängt.Ausdruck dieser hier sich ankündigenden Umbesinnung ist der vorliegende Gesetzentwurf. Wir begrüßen als Liberale diese überfällige Vorlage. Um die beschleunigte Novellierung nicht zu gefährden, verzichten wir ausdrücklich darauf, dieses Gesetz mit anderen Punkten zu befrachten. Hier befinde ich mich in voller Übereinstimmung mit Herrn Weisskirchen, auch wir würden gerne hiermit eine Reform dieser Reform in weiteren uns dringend erscheinenden Punkten verbinden, etwa in der Frage der verfaßten Studentenschaft, der Zulassungsregelung usw.Dennoch scheinen uns bei den Beratungen grundsätzliche Klärungen zumindest in drei Hinsichten erforderlich.Erstens. Ist es überhaupt weiter sachangemessen, nach der vorgeschlagenen Beseitigung der Zwangsexmatrikulation von dem generellen Schematismus von Regelstudienzeiten auszugehen? Müssen nicht doch Äußerungen gerade auch von seiten der Nächstzuständigen hierzu ernster genommen werden als bisher? Ich verweise auf die Äußerung von Herrn Kultusminister Braun, Schleswig-Holstein, der „auf Prüfungsfristen am liebsten ganz verzichten will" und erklärt:Wir müssen von der Verwaltungsseite her alles vermeiden, was zu einer Überreglementierung führt. Ein genereller Vierjahresschematismus wäre reinste Willkür.Ich erinnere hierzu aber auch an die ein differenzierteres Instrumentarium fordernde Äußerung von Frau Kultusminister Laurien, Rheinland-Pfalz, die erklärte:Daß in allen Studiengängen die von der Sache her notwendige Regelstudienzeit gewährt wird und daß wir nicht den Studiengängen und den Studenten eine abstrakte Frist aufstülpen.
Würde alledem, so frage ich, nicht eine differenzierte Richtstudienzeit ohne große gesetzgeberische Änderungen besser gerecht? Diese Lösung hatten wir schon bei den Beratungen in den Jahren 1973 und 1974 gefordert.Zweitens. Ist mit der Abschaffung der Zwangsexmatrikulation — hier treffe ich mich mit einigen Bemerkungen von Herrn Rühe — überhaupt der wesentliche Hinderungsgrund für ein Voranschreiten der inhaltlichen Studienreform beseitigt? Liegt nicht auch und gerade in der aufrechterhaltenen bürokratischen Prozedur das entscheidende Hindernis für wirkliche Fortschritte, die doch allein aus einer in den Hochschulen selbst zu leistenden permanenten Reform der Studieninhalte und damit des sogenannten Lehrstoffs, also aus der ständigen Weiterentwicklung des jeweiligen Wissensgebiets hervorgehen können? Sind hierzu — ich meine, dies
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Dr. Dr. h. c. Maihofermüssen wir uns fragen — die unverändert gebliebenen rigiden Methoden der Studienreform überhaupt tauglich? Dies fragt sich in diesen Tagen auch ein so unverdächtiger Sachverständiger wie Herr Professor Kaltefleiter. Produzieren wir sonst nicht Studienreform für die Welt von heute jeweils nach dem Stande von gestern?Drittens und letztens. Kann es eigentlich damit sein Bewenden haben, daß wir mit der jetzt vorgesehenen Regelung die Zwangsexmatrikulation nicht etwa abschaffen, wie man so schön hört, sondern lediglich zur Ländersache machen? Wie will man dies nach den von allen Seiten ohne Unterschied der politischen Couleur vorgetragenen durchschlagenden Bedenken gegen Zwangsexmatrikulation in der Sache eigentlich noch rechtfertigen? Müssen wir nicht, wenn schon rechtlich eine Bundeseinheitlichkeit in dieser Frage nicht zu erreichen ist, die von einem der Kultusminister als „Krebsschaden" an unserem Hochschulrahmengesetz — so Herr Professor Sinn — bezeichnet wird, diese Frage zumindest politisch dadurch lösen, daß wir von Bundesseite darauf hinwirken, daß diese nachhaltigste Zerstörung des Reformklimas an unseren Hochschulen nicht doch hier oder dort auf Länderebene weiterwuchert? Beeinträchtigte dies in seiner allgemeinen Folgewirkung doch das politische Klima in unseren Universitäten überhaupt, weshalb uns nicht gleichgültig sein kann, wie sich die einzelnen Länder in dieser Frage verhalten.Ich meine, man muß sich wohl auch von seiten der Politik endlich darüber deutlicher Rechenschaft geben, daß es hier um mehr geht als nur um die Demotivation der Studenten auf eben dem Felde, auf dem sie mehr denn irgendwo sonst mit als Teilnehmer an Wissenschaft gefordert sind, nämlich der inhaltlichen Studienreform. Dazu können sie wirklich — zumindest die späten Semester, wie wir ja bei allen Reformbemühungen gesehen haben — Entscheidendes mit beitragen.Ich meine, es geht auch um einen ersten Schritt, der sich ausbreitenden diffusen Emotion, von der auch Herr Weisskirchen gesprochen hat, gerade unter den politisch Engagierten an unseren Hochschulen entgegenzuwirken, die sich heute in ein gefährliches Verdikt gegen alles Etablierte hineinzusteigern droht; deren Gründe wir auch durch solche Fehlregelungen wie diese Zwangsexmatrikulation sehenden Auges mit geschaffen haben.Dies sind die Vorzeichen, unter denen wir die kommenden Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs sehen, für dessen Überweisung in die Ausschüsse und ebenso beschleunigte wie gründliche Beratung wir heute unsere Stimme geben.
Das Wort hat Herr Bundesminister Schmude.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die überwiegende Mehrheit der politischen Kräfte unseres Landes ist bereit, die Zwangsexmatrikulation bei der Überschreitung der Regelstudienzeiten zu beseitigen. Der Bundesrat hat die dazu erforderliche Änderung des Hochschulrahmengesetzes nahezu einstimmig, nämlich mit den Stimmen von zehn Bundesländer, beschlossen. Die Bundesregierung stimmt dem Gesetzentwurf zu, und ich hoffe, daß der Entwurf des Bundesrates im Bundestag hier eine breite Mehrheit findet und rasch verabschiedet wird. Ich begrüße es ausdrücklich, Herr Rühe, daß Sie auch die Unterstützung Ihrer Fraktion dazu heute angekündigt haben. Mitte Oktober haben Sie in einem Artikel im „Deutschland-Union-Dienst" noch die Fragwürdigkeit dieser Gesetzesnovelle sehr betont, so daß es etwas unklar war, ob Sie sie mit unterstützen würden.Alle Verantwortlichen in Bund und Ländern haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß die fortdauernden Diskussionen um die Zwangsexmatrikulation die Studienreform — um diese geht es der Bundesregierung vor allem — zu erschweren drohen. Viele Studenten empfinden die Zwangsexmatrikulation als persönliche Bedrohung, ob sie ein „Papiertiger' ist, wie von einigen gesagt wird, oder nicht. Diese Sanktionsregelung, die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade die Studienreformarbeit beschleunigen sollte, ist so dauernden Mißdeutungen ausgesetzt. Sie kann Fortschritte in der Studienreform erschweren, und zwar auch dadurch, daß sie manchmal als Alibi für die Untätigkeit herangezogen wird.Die bisher erreichte breite Übereinstimmung eröffnet die Chance, die Sanktionsregelung noch in dieser Legislaturperiode abzuschaffen, vorausgesetzt allerdings, daß sich die Initiative auf diesen Punkt beschränkt. Bei jedem weiteren „Draufsatteln" wäre das Scheitern programmiert. Herr Rühe, die Punkte, die Sie hier noch angeführt haben, wären bestenfalls — oder sagen wir gleich: schlimmstenfalls — geeignet, die Beratungen bis in den Sommer nächsten Jahres hineinzuziehen, ohne daß ein Ergebnis dabei herauskommt. Ich warne mit Herrn Weisskirchen dringend davor, „draufzusatteln". Wer das tut, bringt das Unternehmen zum Scheitern.
Wenn wir die Bereitschaft der Hochschulen, sich in der Studienreform zu engagieren, glaubhaft stärken wollen, dann kommt es darauf an, daß alle Länder die Änderung des Hochschulrahmengesetzes nun auch umgehend in ihren Landeshochschulgesetzen nachvollziehen. Bayern ist als einziges Bundesland offenbar nicht bereit, diese Möglichkeit zu nutzen.
- Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Pfeifer, hat sein Landeshochschulgesetz am letzten Donnerstag mit der ausdrücklichen Erklärung der Landesregierung verabschiedet, in diesem Punkt schnellstens nachzuziehen, sobald wir hier gearbeitet haben. Die warten auf uns.Aber Bayerns Kultusminister Maier hat vor kurzem erklärt, daß die Zwangsexmatrikulation ein wichtiger Beitrag zur Kapazitätserweiterung sei
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14717
Bundesminister Dr. Schmudeund daß Bayern deswegen an der Sanktionsregelung festhalten werde. Gerade dieses Kapazitätsargument wollen alle anderen Bundesländer nicht gelten lassen. Sie weisen in der Begründung des Gesetzentwurfes ausdrücklich darauf hin, daß Studienanfänger andere Studienplätze brauchen als diejenigen, die durch Studienabgänger freigemacht werden.Ich sage dazu mit allem Nachdruck und greife auf, Herr Kollege Maihofer, was Sie gesagt haben: Die Bundesregierung erwartet, daß alle Bundesländer — auch Bayern — einheitlich die Landeshochschulgesetze im gleichen Sinne ändern. In dieser Erwartung hat die Bundesregierung ihre zustimmende Stellungnahme abgegeben. Ich erinnere die Länder — um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen — noch einmal an die Verantwortung, die sie mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs übernommen haben.Verzicht auf Sanktionen heißt allerdings nicht Verzicht auf Regelstudienzeit. Sie ist weiterhin notwendig als wichtiges Orientierungsdatum für Hochschullehrer und Studenten. Sie gibt durch die Möglichkeit der Verlängerung bei ausdrücklicher Begründung auch den Spielraum, in Einzelfällen über diese vier Jahre hinauszugehen.Die wachsende Spezialisierung der Hochschullehrer in der Forschung ist auf die Erstausbildung der Studenten durchgeschlagen. Die Regelstudienzeit ist die Aufforderung, durch Strukturierung und wertende Auswahl im Studium dieses Spezialwissen wieder in ein überschaubares, zeitlich bemessenes Lehrangebot zu bringen. Das geht allerdings nicht in der Weise, daß man die bisherige Stoffülle lediglich in eine kürzere Studienzeit zwängt. Die Regelstudienzeit richtet sich in erster Linie an die Hochschullehrer. Sie sind aufgefordert, das ständig anwachsende Fachwissen zu überprüfen: Was soll bis zu einem ersten berufqualifizierenden Abschluß vermittelt werden, was gehört in ein wissenschaftlich besonders anspruchsvolles Aufbaustudium, was soll Gegenstand der Weiterbildung werden?Regelstudienzeiten sind in nahezu allen ausländischen Hochschulsystemen selbstverständlich, ohne daß die Wissenschaftlichkeit in der Ausbildung in Frage gestellt wird. Wir wissen, daß unsere Studenten im internationalen Vergleich zu lange studieren und zu spät ins Berufsleben eintreten. Das wollen wir nach wie vor ändern.
Überlange Studienzeiten sind nur in Ausnahmefällen den Studenten anzulasten. Sie sind, wie die hohe Zahl der Fachwechsler und Studienabbrecher beweist, vor allem ein Symptom für Mängel im Studienangebot.Wenn wir den unfruchtbaren Streit um die Zwangsexmatrikulation beenden, können wir um so nachdrücklicher verlangen, daß die Mitglieder der Hochschulen ihre Verantwortung in der Studienreform wahrnehmen. In der Studienreform sind zwar von einzelnen Hochschulen und Fachbereichen viele wichtige Vorarbeiten geleistet worden, auf die zurückgegriffen und auf denen aufgebaut werden kann. Der notwendige Durchbruch auf breiter Front steht aber noch aus.Die Ständige Kommission für die Studienreform hat den Entwurf der „Grundsätze für Studium und Prüfung" vor zwei Monaten verabschiedet. Damit sind wir zumindest in der überregionalen Studienreform einen erheblichen Schritt vorangekommen. Aber die überregionalen Studienreformkommissionen — das möchte ich bei dieser Gelegenheit hervorheben — können den Hochschulen, den Fachbereichen die Reformarbeit nicht abnehmen. Sie können nur ein Forum der Verständigung zwischen Hochschulen, Staat und Berufspraxis sein.Andererseits sind die Sorgen der Hochschulen unbegründet, durch die Studienreformkommissionen würde ihr eigener Gestaltungsspielraum zu sehr eingeengt werden. Die Studienreformkommissionen werden ihre Empfehlungen vielmehr auf Eckwerte beschränken und damit den wünschenswerten Raum für Vielfalt und Wettbewerb abstekken.Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat der Beseitigung der Zwangsexmatrikulation zugestimmt, weil es ihr darum geht, daß die Studienreformarbeit wieder in Gang gebracht wird und die verhärteten Fronten aufgebrochen werden. Wenn diese Initiative der Länder zu einem Erfolg führt — und das wollen wir alle —, so ist das ein Angebot an die Hochschulen. Es ist zugleich eine Verpflichtung zu raschen und sachlich überzeugenden Ergebnissen in der Studienreform.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. — Dazu höre ich und sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung— Drucksache 8/3077 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/3346 —Berichterstatter: Abgeordneter Zink
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift, auf. Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.
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Vizepräsident Frau Renger Wir treten in diedritte Beratungein.Auch hier wird das Wort nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tabaksteuergesetzes
— Drucksache 8/3114 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/3349 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Meyer zu Bentrup
Der Herr Berichterstatter wünscht nicht das Wort.Wir treten in die Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung ein. Ich rufe die §§ 1 bis 29, Einleitung und Überschrift, auf. Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Auch hier wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist gegen eine Enthaltung angenommen.Es liegt noch eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/3349 unter Nr. 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 22 und 23 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Engelsberger, Dr. Kreile, Dr. Warnke, Dr. Narjes, Dr. Waigel, Röhner, Dr. Jobst, Dr. Kunz , Pohlmann, Dr. Voss, Niegel, Regenspurger, Kiechle, Haberl, Frau Fischer, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes— Drucksache 8/3298 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschußErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kaffee- und Teesteuergesetzes— Drucksache 8/3297 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOAuch hier wird das Wort nicht begehrt.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen an die aus der Tagesordnung ersichtlichen Ausschüsse vor. — Auch hiergegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. November 1979, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.