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    Plenarprotokoll 8/186 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 186. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Adams und Sick 14611A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/3067 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 8/3313 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrstrafgesetzes — Drucksache 8/3067 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 8/3313 — in Verbindung mit Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klein (Göttingen), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Lenz (Bergstraße), Dr. Möller, Dr. Pinger, Dr. Stercken und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 8/2282 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 8/3313 — Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU . . . . 14611 C Coppik SPD 14613A Kleinert FDP 14614 C Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . . 14615A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) — Drucksache 8/3319 — Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 14616 C Dr. Hammans CDU/CSU 14619 C Fiebig SPD 14621 A Spitzmüller FDP 14623A Dr. Riesenhuber CDU/CSU 14624 B Konrad SPD 14626 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 14628B Dr. Gruhl, fraktionslos 14629 C Baum, Bundesminister BMI 14631 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 — Drucksache 8/3056 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 8/3343 — Dr. Narjes CDU/CSU 14634 D Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . 14635 D Zywietz FDP 14637 C Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 14638 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht zum Ersten Eherechtsreformgesetz — Drucksache 8/3338 — in Verbindung mit Beratung der Ubersicht 12 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/3316 — Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 14640B Dürr SPD 14640 D Kleinert FDP 14641 C Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Zimmermann, Spranger, Gerlach (Obernau), Berger (Herne), Biechele, Hartmann, Dr. Bötsch, Regenspurger, Broll, Dr. Laufs, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Langguth, Sick, Krey, Kiechele, Schwarz, Gerster (Mainz), Dr. Wittmann (München), Dr. Kunz (Weiden), Dr. Ritz, Röhner, Neuhaus, Dr. Jobst, Dr. Jenninger, Engelsberger, Dr. Schneider, Graf Huyn, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Waigel, Gerstein und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waffenrechts — Drucksache 8/3259 — Spranger CDU/CSU 14642 A Pensky SPD 14643 C Dr. Wendig FDP 14645 C von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI . 14646 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes — Drucksache 8/3292 — 14648 B Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Marx, Dr. Abelein, Jäger (Wangen), Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Dr. Gradl, Graf Huyn, Straßmeir, Schmöle, Dr. Hennig und der Fraktion der CDU/CSU Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in der DDR — Anwendung des am 3. Januar 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakts der Vereinten Nationen —— Drucksachen 8/2503, 8/3188 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Marx, Dr. Abelein, Jäger (Wangen), Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Dr. Gradl, Graf Huyn, Straßmeir, Schmöle, Dr. Hennig und der Fraktion der CDU/CSU Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Volkes sowie bürgerliche und politische Rechte in der DDR — Anwendung des am 23. März 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakts der Vereinten Nationen —— Drucksachen 8/2504, 8/3188 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Jäger (Wangen), Dr. Marx, Dr. Abelein, Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Sauer (Salzgitter), Graf Huyn, Lintner, Straßmeir, Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/ CSU Verletzung des Vier-Mächte-Status durch Ost-Berlin — Drucksache 8/3204 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Jäger (Wangen), Graf Huyn, Dr. Abelein, Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Lintner, Sauer (Salzgitter), Schmöle, Dr. Gradl, Dr. Arnold, Dr. Marx, Straßmeir, Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/CSU Zustände in den Haftanstalten der DDR — Drucksache 8/3205 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU 3. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR vom 1. August 1979 — Drucksache 8/3125 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Jäger (Wangen), Dr. Dregger, Graf Huyn, Dr. Kunz (Weiden), Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 III Schmöle, Lintner, Baron von Wrangel, Straßmeir, Böhm (Melsungen), Niegel, Würzbach, Dr. Hennig, Röhner und der Fraktion der CDU/CSU Verletzung der Menschenrechte an der innerdeutschen Grenze — Drucksache 8/3326 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Dr. Dregger, Baron von Wrangel, Böhm (Melsungen), Dr. Hennig, Lintner, Graf Huyn, Schmöle, Straßmeir, Würzbach, Niegel, Dr. Kunz (Weiden), Röhner, Jäger (Wangen) und der Fraktion der CDU/CSU Verstärkung und Ausbau der Institutionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte — Drucksache 8/3327 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Jäger (Wangen), Dr. Dregger, Graf Huyn, Schmöle, Lintner, Baron von Wrangel, Straßmeir, Dr. Hennig, Würzbach, Niegel, Dr. Kunz (Weiden), Böhm (Melsungen), Röhner und der Fraktion der CDU/CSU Verwirklichung des Menschenrechts auf Freizügigkeit für die Deutschen in der DDR — Drucksache 8/3328 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Jäger (Wangen), Dr. Dregger, Graf Huyn, Schmöle, Lintner, Dr. Hennig, Baron von Wrangel, Straßmeir, Würzbach, Niegel, Dr. Kunz (Weiden), Böhm (Melsungen), Röhner und der Fraktion der CDU/CSU Presse- und Informationsfreiheit in der DDR — Drucksache 8/3329 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hennig, Baron von Wrangel, Graf Huyn, Böhm (Melsungen), Lintner, Graf Stauffenberg, Dr. Abelein, Jäger (Wangen) und der Fraktion der CDU/CSU Sicherheit der Transitreisenden — Drucksachen 8/2570, 8/3340 — Jäger (Wangen) CDU/CSU 14649 C Jahn (Marburg) SPD 14654 A Hoppe FDP 14659 C Franke, Bundesminister BMB . 14662 B, 14704 D Graf Huyn CDU/CSU 14667 D Schlaga SPD 14670 D Ludewig FDP 14674 C Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 14677 D Frau Schlei SPD 14680 B Straßmeir CDU/CSU 14682 C Jung FDP 14685 A Böhm (Melsungen) CDU/CSU 14688 A Frau Dr. Balser SPD 14691 B Dr. Hennig CDU/CSU 14693 D Hofmann (Kronach) SPD 14696 D Lintner CDU/CSU 14698 B Schulze (Berlin) SPD 14700 D Baron von Wrangel CDU/CSU 14703 A Büchler (Hof) SPD 14706 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung ,,Hilfswerk für behinderte Kinder" — Drucksache 8/3293 — Zander, Parl. Staatssekretär BMJFG . 14708 A Burger CDU/CSU 14709 A Kuhlwein SPD 14709 C Eimer (Fürth) FDP 14710 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1980 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1980) — Drucksache 8/3306 — 14711 C Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes — Drucksache 8/3274 — Rühe CDU/CSU 14711 D Weisskirchen (Wiesloch) SPD 14713 C Dr. Dr. h. c. Maihofer FDP 14715 A Dr. Schmude, Bundesminister BMBW . 14715 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung — Drucksache 8/3077 — IV Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 8/3346 — 14717 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Tabaksteuergesetzes (TabStG 1980) — Drucksache 8/3114 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 8/3349 — 14718 A Erste Beratung des von den Abgeordneten Engelsberger, Dr. Kreile, Dr. Warnke, Dr. Narjes, Dr. Waigel, Röhner, Dr. Jobst, Dr. Kunz (Weiden), Pohlmann, Dr. Voss, Niegel, Regenspurger, Kiechle, Haberl, Frau Fischer, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 8/3298 — 14718 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kaffee-und Teesteuergesetzes — Drucksache 8/3297 — 14718 C Nächste Sitzung 14718 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14719* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. November 1979 14611 186. Sitzung Bonn, den 15. November 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 175. Sitzung, Seite IV, linke Spalte: Unter Anlage 9 ist statt „Susset (SPD)” zu lesen: „Susset (CDU/ CSU)” Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 16. 11. Dr. Aigner* 16. 11. Alber* 16. 11. Dr. Bangemann* 16. 11. Biechele 16. 11. Blumenfeld* 16. 11. Brandt* 16. 11. Dr. Ehrenberg 15. 11. Ey 16. 11. Fellermaier* 16. 11. Frau Dr. Focke* 16. 11. Friedrich (Würzburg) * 16. 11. Dr. Früh* 16. 11. Dr. Fuchs* 16. 11. Haberl 16. 11. Hansen 16. 11. von Hassel* 16. 11. Immer (Altenkirchen) 16. 11. Katzer 16. 11. Dr. Klepsch* 16. 11. Dr. Köhler (Duisburg) * 16. 11. Kroll-Schlüter 15. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lagershausen 16. 11. Lange* 16. 11. Lücker* 16. 11. Luster* 16. 11. Müller (Mülheim) 16. 11. Dr. Müller-Hermann * 16. 11. Offergeld 16. 11. Pfeifer 15. 11. Dr. Pfennig* 16. 11. Porzner 16. 11. Rosenthal 16. 11. Frau Schleicher* 16. 11. Schröder (Luneburg) 15. 11. Dr. Schwencke (Nienburg) * 16. 11. Seefeld* 16. 11. Sieglerschmidt* 16. 11. Stöckl 16. 11. Dr. Todenhöfer 16. 11. Frau Tübler 16. 11. Frau Dr. Walz* 16. 11. Wawrzik* 16. 11. Werner 16. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Die Bundesregierung hat Ende September ihre sehr sorgfältig ausgearbeitete und gewissenhaft durchgeführte Beantwortung der Großen Anfragen der Opposition zu den internationalen Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen von 1966 dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Die Bundesregierung bediente sich dabei der Sorgfalt, zu der sie verpflichtet ist. Sie hat die von mir dankbar begrüßte große Zahl der Fragen — über 120 Fragen — zum Anlaß genommen, einmal in aller Deutlichkeit und für jedermann verständlich Antworten darauf zu geben, die diesem Thema angemessen sind und ihm gerecht werden.
    Die Antwort war gleichzeitig ein Versuch, einen Beitrag zu der so oft beschworenen Gemeinschaft hier im Hause zu leisten, die Fragen, die uns alle angehen, ganz gleich wo wir stehen mögen, sachlich zu behandeln. Aber dieser Versuch, dieses Angebot zugleich hat wieder dazu geführt — nicht etwa zu meiner Überrraschung; ich habe kaum etwas anderes erwartet —, daß in der altbekannten Art und Weise die Debatte eingeleitet wurde. Es ist wirklich an der Zeit, daß Sie auf seiten der Opposition wenigstens bemüht sind, dem Thema gemäß ebenfalls den notwendigen Ernst aufzubringen, damit wir uns nicht untereinander hier noch über Dinge streiten, die eigentlich zwischen uns nicht streitig sein sollten.
    Dem Bundestag liegen außer dieser Antwort zugleich eine Reihe von Anträgen vor, welche mit dem Thema der Großen Anfragen direkt in Beziehung stehen. Ich möchte sie in meine Erläuterung zur schriftlichen Antwort der Bundesregierung gleich mit einbeziehen.
    Bei einer Debatte wie dieser ist es nützlich, zunächst einmal festzuhalten, worüber nicht gestritten zu werden braucht — wir können es auch, wenn es sein muß; ich mache dieses Angebot; ich denke, Sie können das annehmen —: Das sind einmal Tatsachen, Rechtsnormen ebenso wie reale Tatbestände in der DDR — ob sie uns passen oder nicht, sie sind da —, die nach unserer rechtlichen Überzeugung nicht mit den Rechten und Freiheiten in Einklang stehen, wie sie in den beiden Pakten der Vereinten Nationen, namentlich in dem über bürgerliche und politische Rechte, niedergelegt sind. Von solchen Tatsachen und Tatbeständen ist sowohl in den Anfragen wie auch in der Antwort hinlänglich die Rede, ebenso davon, wie sie nach unserer Auslegung der Menschenrechtspakte zu bewerten sind. Darüber brauchen wir hier nicht zu streiten und zu debattieren.
    Ich gehe ferner davon aus, daß Regierung und Opposition, Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktion, eine gemeinsame Überzeugung hinsichtlich dessen haben, was die Menschenrechte und Grundfreiheiten eigentlich sind, woher sie kommen und wozu sie da sind. Zwischen den Unterzeichnerstaaten der internationalen Menschenrechtspakte besteht in dieser Hinsicht bekanntlich keine Übereinstimmung. Auch dieses Wissen gehört dazu, wenn man dieses Instrumentarium bemühen will, um spezielle Probleme, die uns hier bewegen, lösen zu wollen. Darauf macht die Bundesregierung in ihrer Antwort mehrfach aufmerksam, auch im Hinblick auf jene, die aus guten Gründen und im Eifer meinen, daß sie die Dinge nicht so genau zu studieren brau-



    Bundesminister Franke
    chen, sich einfach nur der Überschrift hingeben und meinen, damit das ganze Problem erfaßt zu haben.
    Unsere Überzeugung möchte ich — ich denke, mit Ihrer Zustimmung — so zusammenfassen:
    Erstens: Die Menschenrechte und Grundfreiheiten ergeben sich aus der dem Menschen innewohnenden Würde. Sie sind aller staatlichen Gewalt vorgegeben. Sie sind kein gesellschaftlich gewährtes Privileg, sondern die Gesellschaft und ihre staatlichen Organisationen haben sie zu respektieren und zu schützen. Das ist unsere Position; die haben wir jederzeit vertreten. Meine Damen und Herren von der Opposition, befleißigen Sie sich doch bitte, unter Zugrundelegung dieser Tatsachen eine so gewichtige Diskussion zu führen, wo es um die Menschenrechte für alle Menschen gehen sollte! Wir könnten einen großartigen Beitrag durch das Beispiel leisten, das wir hier zu diesem Thema setzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Indem wir uns für die Menschen einsetzen!)

    Zweitens sind wir der Überzeugung, daß die Achtung der so verstandenen Menschenrechte und Grundfreiheiten die beste Garantie für das Wohlergehen der Völker im Innern und das friedliche Zusammenleben der Staaten untereinander bildet. Den letzten Teil des Satzes möchte ich wiederum unter Hinweis auf unsere schriftliche Antwort besonders unterstreichen: sie ist die beste Garantie für das Wohlergehen der Völker im Innern und das friedliche Zusammenleben der Staaten untereinander. Es heißt in der Antwort:
    Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ein wesentlicher Faktor für den Frieden und Fundament der Entspannung ist.
    Herr Kollege Jäger — sie wurden irrtümlicherweise häufig als „Doktor" bemüht —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Professor"!)

    Sie haben von den roten Fahnen der angeblichen Entspannungspolitik gesprochen. Nein, ich kenne die Tatsachen genauer und befleißige mich, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen. Sie haben immer von der angeblichen Entspannungspolitik gesprochen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wer dieses Gelungene an praktischer Politik so einordnet, der hat nicht erfaßt, daß wir dankbar dafür zu sein haben, daß wir hier jetzt über 30 Jahre einen friedensähnlichen Zustand in Deutschland haben

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    und daß wir alle unseren Beitrag dazu haben leisten müssen, auch indem wir uns manchmal etwas zu sagen verkneifen, was der eine oder andere sagen möchte; denn unsere Verantwortung ist in besonderer Weise geprägt.
    Meine Damen und Herren, damit Sie dazu noch etwas hören: ich rede zu diesem Thema auch als einer, der hier in Deutschland erlebt hat, wie das aussah, als Menschenrechte und Menschenwürde mit
    Füßen getreten wurden. Ich habe das zu spüren bekommen und weiß daher, wie behutsam man mit diesem hohen Gut umzugehen hat, um wirklich Stabilität in die errungenen Menschenrechte und Menschenwürde zu bringen, nicht nur für uns; denn wir leben in einem Raum, in dem wir darüber zu bestimmen haben. Ich komme noch einmal darauf zurück: Es geht auch darum, ein Beispiel zu setzen. Ich bitte sehr darum, das mit dem genügenden Ernst zu betreiben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Für den Frieden ist die Entspannungspolitik, d. h. die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, ein wesentlicher Faktor. Das lassen wir uns nicht nehmen, auch wenn Sie hier noch so sehr Phrasen bemühen und meinen, Formeln vortragen zu sollen, die mich fatal an eine Zeit der politischen Diskussion erinnern, als ich noch ein ganz junger Mann in der deutschen Republik der Weimarer Zeit war. Ich sage das mit dieser Leidenschaftlichkeit, weil ich meinen Teil dazu beitragen möchte, daß sich diese unselige Zeit nie wiederholen möge.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Lassen Sie uns den Versuch machen, sehr ernsthaft über diese Dinge zu sprechen.
    Meine Damen und Herren, meine beiden Aussagen, daß die Menschenrechte und die Wahrung der Menschenrechte die beste Voraussetzung für die Entspannungspolitik und auch für die Sicherung des Friedens und der menschenrechtlichen Lage in Europa sind, gehören zusammen. Sie bringen zum Ausdruck, daß die Bundesregierung in der Entspannungspolitik das effektivste Mittel sieht, um ihrem Ziel, der weitestgehenden Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, näherzukommen.
    Erfahrungsgemäß wird die Debatte im Bundestag immer dann kontrovers, wenn die Methodenfrage zur Sprache kommt. Wie können wir unseren gemeinsamen Überzeugungen am wirkungsvollsten dienen? Das ist immer das Problem, das hier kontrovers diskutiert wird.
    Bevor ich mich diesem Thema zuwende, möchte ich versuchen, die breite Übereinstimmung in dieser Frage vielleicht noch ein Stückchen zu erweitern. Auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist doch sicher eines offensichtlich: Bei den Menschenrechten geht es um den einzelnen Menschen,

    (Zustimmung des Abg. Wehner [SPD])

    um sein Wohl und Wehe. Das ist ihr eigentlicher Sinn, nicht nur die Vertretung von Prinzipien unter Außerachtlassung des Problems, wie sich diese Diskussion in der jeweils aktuellen Situation auf den einzelnen auswirkt. Wenn das so ist, folgt daraus: Würden wir die Verwirklichung der Menschenrechte prinzipiell ohne Rücksicht darauf verfolgen, ob es mehr einzelnen Menschen nützt oder schadet, würden wir dem Sinn der Menschenrechte zuwiderhandeln.
    Ich beurteile das Wirken meiner Freunde und mein Wirken auch danach, ob ich mir nur ein Fern-



    Bundesminister Franke
    ziel gesetzt habe oder ob ich zu dessen Erreichung entsprechend diesem Prinzip schon in der Gegenwart etwas bewirken kann.
    Es ist geradezu erbärmlich, daß Sie so tun, als hätten sich die Dinge während der Zeit der sozialliberalen Koalition verschlechtert.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Herr Jäger, Sie haben diese Antwort von mir herausgefordert. Ich habe hier auch in einer Zeit gesessen, in der Ihre Partei die Regierung führte. Nach 20 Jahren hatten wir den Zustand erreicht, daß eine fast völlige Abschnürung erfolgt war.

    (Zustimmung bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    — Ich mache Ihnen daraus gar keine Vorwürfe —:
    Das war Ihr Konzept. Es war Ihr Stufenplan, der dazu
    führte, daß die Treppe dann gar nicht mehr da
    war.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wenn Sie es hören wollen, muß Ihnen das einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden: Auch Sie setzen auf die Formel, auf die ein alter Herr gesetzt hat, der mit der Vergeßlichkeit der Menschen Politik machen wollte.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Das können Sie bei uns nicht. erreichen. Wir fühlen uns verpflichtet. Darum sprechen wir auch in dieser Deutlichkeit.
    Meine Damen und Herren, unser Eintreten für die Menschenrechte muß deshalb mit der Bereitschaft verbunden sein, dem Gebot der Menschlichkeit zu dienen, wo immer wir die Gelegenheit und die Möglichkeit dazu haben. Wegen der engen Verschwisterung von Menschenrechten und Menschlichkeit geht es nicht an, die Menschenrechte als politisches Instrument oder gar als politische Waffe zu benutzen. Dies ist die Auffassung der Bundesregierung. Ich meine, es müßte auch Christlichen Demokraten möglich sein, dem beizupflichten.
    Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Die Frage, wie wir die Achtung der Menschenrechte fördern können, erfordert nicht nur einen Verzicht darauf, sie zu einem politischen Instrument zu machen, sie erfordert vielmehr eine Antwort, die vor der Humanität, vor unser aller Menschenpflicht bestehen können muß. Die Menschenpflicht gebietet uns, die Linderung oder Behebung der konkreten aktuellen Not des einzelnen Menschen zumindest gleichwertig neben die Verfolgung politischer Zwecke zu setzen.
    Gerade wir Deutschen mit unserer jüngsten politischen Vergangenheit können und dürfen uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß die angeblich höheren politischen Zwecke und Prinzipien von vornherein und selbstverständlich den Vorrang vor dem einzelnen Menschen, auch wenn er sich in einer noch so besonderen Not- oder Zwangslage befindet, genießen. Für die Bundesregierung möchte ich ausdrücklich sagen: Dieser Standpunkt kann, darf und wird niemals der unsere sein.
    Von dieser Position her sehen wir uns moralisch berechtigt, im Zusammenhang mit den Menschenrechten, die ein wertvolles Prinzip darstellen, das Zweckgebotene zu tun. Das heißt, daß wir in Fragen der Durchsetzung und Reklamation der Menschenrechte bewußt den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund unserer Erwägungen stellen. Wir müssen die Frage, wie wir mit der größtmöglichen Erfolgschance in der größtmöglichen Zahl von Fällen der Menschlichkeit einen Dienst erweisen können, mit aller Nüchternheit und ohne Emotion prüfen.
    Die Opposition hat letzte Woche, wohl mit Blick auf diese Debatte, Anträge eingebracht, deren Schwergewicht zum Teil bei der Empfehlung liegt, die Bundesregierung solle sich der Methode des direkten bilateralen Gesprächs mit der DDR bedienen, sie solle die Themen gleichsam frontal angehen, indem sie mit der DDR darüber in Verhandlungen eintritt — besser gesagt: einzutreten versucht. Denn natürlich weiß auch die Opposition sehr genau, daß die DDR es ablehnt, über ihre eigene Abschaffung mit uns zu verhandeln. Das gilt für das Thema Grenzbefestigungsanlagen ebenso sehr wie für das Thema der Freiheit der Ausreise aus der DDR. Es ist doch geradezu absurd, hier immer so zu tun, als komme es nur darauf an, welche Themen wir mit der DDR diskutieren wollen. Zum Diskutieren gehören bekanntlich zwei, und da machen Sie die Rechnung ohne den Wirt.
    Was also verspricht sich die Opposition eigentlich, wenn sie die Bundesregierung zu solchen Verhandlungen sozusagen losschicken will? Einen weiteren Beweis für das, was wir alle sowieso schon wissen? Was wäre damit gewonnen? Und vor allem: Brächte uns das auch nur einen Schritt weiter auf dem Weg, die Grenzen wenigstens durchlässiger zu machen? Wie oft sich die Bundesregierung die Frage auch stellt, statt auf die Frontalmethode kommt sie immer wieder zurück auf die Methode des Interessenausgleichs, nur auf diese Methode — und dies eben aus Gründen der Zweckmäßigkeit. Denn alles, was an Besserungen und Erleichterungen der innerdeutschen Situation und für Berlin in den letzten zehn Jahren erreicht wurde, haben wir mit dieser und nur mit dieser Methode erreichen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Um es rundheraus zu sagen: Auch durch noch so prinzipientreue oder prinzipientreu erscheinende Begründungen lassen wir uns von dem pragmatischen Weg und Ansatz nicht abbringen.
    Im übrigen — ich bin immer noch bei den Anträgen der Opposition — wäre es nicht unwichtig, zu wissen, ob nun auch die Opposition allmählich von der neunmalklugen Doppelstrategie abrückt, die man uns lange angeraten hat, nämlich Sprechen und Verhandeln mit der DDR und gleichzeitig Anprangern der DDR und konfrontatives Fordern in der Öffentlichkeit. Das konnte und kann in der Tat niemals funktionieren. Die Bundesregierung hat sich denn auch gehütet, diesem „Rat" — jetzt sage ich das einmal in Anführungsstrichen; weil Sie sich gern dieser rhetorischen Floskel bedienen, will ich sie auch einmal benutzen — zu folgen.



    Bundesminister Franke
    In unserer schriftlichen Antwort haben wir unsere Auffassung zu Art. 2 des Grundlagenvertrages dargestellt. Er schreibt für beide Seiten vor, sich nach den in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Zielen und Prinzipien zu richten. Art. 2 unterstreicht das Recht sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der DDR, sich mit der Wahrung der Menschenrechte in dem jeweils anderen Staat zu befassen. Insoweit enthalten die Empfehlungen der Opposition, welche die Bundesregierung auf den Weg des Art. 2 verweisen, keineswegs etwa das Ansinnen an die Bundesregierung, sie solle sich vertragswidrig in die inneren Angelegenheiten der DDR einmischen. Das wollen wir immerhin festhalten.
    Auf der anderen Seite ignoriert die Opposition, was die Bundesregierung an anderer Stelle, bei den Menschenrechtspakten, bemerkt hat. Der angesprochene Vertragspartner unterliegt keiner Einlassungspflicht.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das ist übrigens sachlich falsch!)

    Überhaupt ist es für uns alle hier — und ich glaube, auch für die Offentlichkeit — heilsam, wenn wir uns klarmachen, welche Handhaben die Menschenrechtspakte bieten, unserer Auslegung gemäß andere zu kritisieren, zu mahnen oder gar zur Selbstkorrektur zu veranlassen. Ich brauche das hier nicht im einzelnen auszuführen; das ist nachzulesen auf Seite 2 der Drucksache mit der Antwort der Bundesregierung. Kurz — und immer noch übertrieben positiv — ausgedrückt: Die Handhaben sind bescheiden.
    Diesem Eindruck scheint sich auch die Opposition nicht verschließen zu können. So erklärt sich ihr Antrag über — so heißt es wörtlich — Verstärkung und Ausbau der Institutionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte. Die Erkenntnis ist, so scheint es, bei der Prüfung unserer Antwort gewachsen: So, wie man sich das bisher gedacht hat, geht es nicht. Man muß erst das Instrumentarium schaffen, das man benutzen will. Sicherlich können wir darüber reden. Der hier ebenfalls zur Debatte stehende Antrag, der zu diesen Fragen etwas Besonderes aussagt, wird für den Vertreter des Auswärtigen Amtes sicherlich Veranlassung sein, sich bei Bedarf dazu zu äußern.
    Allerdings weist die Bundesregierung von sich aus darauf hin, daß die Menschenrechtspakte völkerrechtliche Verträge sind und daß — wie bei anderen Verträgen auch — die Möglichkeit besteht, wegen Vertragsverletzungen bei dem anderen Vertragspartner vorstellig zu werden. Damit sind wir wieder auf dem bilateralen, dem zweiseitigen Weg. Zu einem zweiseitigen Gespräch — das möchte ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen; dies wird niemanden erstaunen — gehören freilich zwei. Ein Gespräch wird so lange nicht zustande kommen, wie nur die eine Seite redet und etwa an rechtliche Verpflichtungen erinnert und die andere Seite sich taub stellt oder partout nicht mit sich reden läßt. Das ist die Wirklichkeit. Meine Damen und Herren, die schönsten Vorschläge und Anregungen nutzen nichts, wenn die andere Seite auf ihrer Interessenlage besteht und sich nicht dazu bequemt, darauf einzugehen.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das müssen Sie mal machen!)

    — Sie wissen ja gar nicht, wie oft wir das schon gemacht haben. Wir kommen dabei interessanterweise immer wieder zu Ergebnissen. Das halten Sie nicht für möglich, aber wir schaffen das, weil wir nämlich politisch tätig sind und nicht nur Phrasen dreschen. Die andere Seite weiß das auch genau, und wir verständigen uns. Sie profitieren doch ebenfalls von den Ergebnissen. Ich freue mich, daß auch Sie neuerdings Ihre Freunde auffordern, in größerer Zahl in die DDR zu reisen und all die Möglichkeiten, die wir vertraglich vereinbart haben, mit zu nutzen. Ich finde, das ist schon ein großartiges Ergebnis. Nun leugnen Sie doch nicht, daß wir tatsächlich etwas erreicht haben!

    (Zuruf von der CDU: Wieviel Geld zahlen Sie?)

    — Auf das Geld komme ich auch noch zu sprechen. Sie sind ein Kleinkrämer. Sie zahlen jeden Preis, wenn Sie im Süden Kurtaxen oder ähnliches bezahlen müssen, um Sonne zu kaufen. Sie reden viel von den deutschen Brüdern und deutschen Schwestern. Wenn wir aber Straßen bauen, damit wir auch bequem nach Berlin fahren können, fangen Sie an nachzurechnen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Geschenke verteilen Sie!)

    Unser neuestes Ergebnis — auch das will ich gleich vorwegnehmen — hat Sie ja wieder auf die Palme gebracht.

    (Dr. Abelein [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn, was Sie reden!)

    — Sie können mich doch nicht unterbrechen. Ich weiß, daß Ihnen das letzte Ergebnis nicht paßt. Sie müssen dies aber immer wieder hören, denn es wurmt Sie, daß wir diese Erfolge haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ja unerhört!)

    Sie haben Ihre kostbare Zeit verpaßt. Wollen Sie die Erfolge immer noch leugnen?

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Sie meinen das doch nicht im Ernst?)

    Mein lieber Herr Jäger, fragen Sie einmal Ihre Kollegen, die immer schön bestätigen, daß wieder ein_ mal ein Menschenpaar zum Glück gebracht wurde, und das tausendfach und häufiger im Jahr. Sie müssen das bitte alles im Zusammenhang sehen. Das eine kann nicht von dem anderen getrennt werden. Sie haben zwanzig Jahre lang geredet und nichts bewirkt. Jetzt haben wir Hunderte von Vereinbarungen in einzelnen Fragen, die das Leben der Menschen in beiden Teilen Deutschlands berühren und erleichtern.
    Zu dem Geld nun noch einmal eines: Wir zahlen jene 50 Millionen DM jetzt als Pauschalbetrag, damit die Autoreisenden in die DDR nicht die



    Bundesminister Franke
    Schwelle benutzen können, zu sagen: Weil uns das 10 oder 25 DM Straßenbenutzungsgebühr kostet, fahren wir nicht mehr dorthin. — Deshalb haben wir die Zahlungen in einer Pauschalsumme übernommen. 25 % unserer Bevölkerung haben ständige Kontakte zur DDR, und es sind nicht die Wohlhabendsten, die diese Kontakte pflegen. Ich denke, es ist auch ein Akt solidarischer Verpflichtung, wenn wir uns an den zusätzlichen Belastungen, die diesen Menschen entstehen, beteiligen. Meine Damen und Herren, provozieren Sie doch nicht Erinnerungen an vergangene Zeiten, in denen wir einmal Panzer und Munition gekauft haben, die es gar nicht gab. Erinnern Sie sich doch einmal an die Zeiten, in denen Sie politische Preise für ganz komische Bereiche gezahlt haben!

    (Beifall bei der SPD)

    Ich meine nicht Sie persönlich, denn Sie waren noch gar nicht dabei. Die Erinnerung an diese Zeiten wird aber immer notwendiger sein.
    Meine Damen und Herren, ich bin durch Ihre Zwischenrufe eben dazu verleitet worden, das hier in aller Deutlichkeit zu sagen. Aber ich will, um in der Sache weiterzukommen, jetzt zu den Dingen im einzelnen sprechen, die uns bewegen.
    In der Tat ist es im innerdeutschen Verhältnis so, daß grundsätzliche Unterschiede zwischen uns und der DDR weit auseinanderliegende Interessen ohne gemeinsame Grundnenner hervorbringen. Solche Interessen ohne gemeinsamen Grundnenner müssen wir dann in einem Kompromiß gegeneinander aufwiegen. Das Schwierige dabei und auch bei der nachträglichen Bewertung besteht darin, daß solche Interessen miteinander in Beziehung gebracht werden müssen, die von Hause aus nichts miteinander zu tun haben.
    Es ist der Entspannungspolitik zu danken, daß diese Methode für das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten überhaupt Anwendung finden kann. Dadurch ist es gelungen, für das Leben vieler Deutschen wesentliche Erleichterungen durchzusetzen und sie damit auch bei der Ausübung ihrer Menschenrechte zu unterstützen. Diese Fortschritte sind erzielt worden, weil wir eben die Menschenrechtsfrage nicht frontal angehen, sondern so, daß den Interessen einzelner Menschen gedient wird. Das jedenfalls hat sich als die effektivste Methode erwiesen.
    Das jüngste Beispiel für den Interessenausgleich liegt erst wenige Wochen zurück — ich habe Ihnen das eben dargestellt —, das Abkommen vom 31. Oktober 1979, das die gegenseitige Befreiung von der Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer bzw. der Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen und Omnibusse zum Inhalt hat, sowie das Protokoll über die Vereinbarung einer Pauschalabgeltung von Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen aus der Bundesrepublik. Um es auf den Punkt, um den es hier geht, zuzuspitzen: Während die Opposition die Bundesregierung auffordert, sie solle mit der DDR über den Abbau der DDR-Grenzsicherungsanlagen verhandeln, bringt die Bundesregierung ein Zwischenergebnis zustande, durch das die Grenze praktisch durchlässiger wird,

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Unerhört, so etwas zu sagen!)

    nämlich durch Abbau der Schwelle der individuellen Straßenbenutzungsgebühr für West-Berliner und Westdeutsche.
    Sie müssen dieses Thema der Kosten einmal in Berlin ansprechen. Für die Tagesbesucher, die in den Ostteil der Stadt fahren und bisher jedesmal 10 DM berappen mußten, übernehmen wir diesen Betrag jetzt. Ist das nicht vertretbar? Das ist gut angelegtes Geld, wenn man Deutschlandpolitik, wie Sie immer so sagen, ernst nimmt und das, was möglich ist, jetzt auch praktiziert.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Natürlich kriegen die Geld dafür. Sie nehmen es. Aber wollen Sie denn daran menschliche Begegnungen scheitern lassen? Ich habe Ihnen Beispiele genannt, und ich stehe dazu: Das sind Investitionen in Deutschlandpolitik, wie wir sie verstehen. Straßenbau und die Erhaltung von Bekanntschaften dienen dem Zusammengehörigkeitsgefühl mehr als plakative Reden und Demonstrationen hier, die drüben gar nichts bewegen.

    (Beifall bei der SPD)

    In Verbindung mit dem, was ich nannte, haben wir außerdem erreicht, daß die DDR im grenznahen Bereich für weitere 1200 000 Bewohner der Bundesrepublik die erleichterte Einreise in die DDR ermöglicht. Damit gibt es auf unserer Seite wiederum Angebote, die wahrgenommen werden müssen. Ich bitte Sie, gemeinsam dafür zu wirken, daß diese Gelegenheiten genutzt werden.
    Es scheint bei uns Leute zu geben, die sich die Köpfe heiß rechnen, um herauszufinden, daß der vereinbarte künftige Verzicht auf die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Lkw und Omnibusse der DDR keinerlei Mindereinnahmen verursacht. Da brauchen sie gar nicht lange zu rechnen. Das kann ich nur bestätigen, das ist nämlich nicht falsch. Die wollen das nicht bezahlen. Aber wir wollen, daß möglichst viele Menschen reisen. Da das nicht anders zu machen ist, beteiligen wir uns daran. Das Ergebnis nehmen Sie ja schließlich auch für sich in Anspruch.
    Das Befreiungsabkommen und die dazu nötigen hiesigen Voraussetzungen wurden von uns vor allem deshalb angestrebt, um im Interesse unseres gewerblichen Straßengüterverkehrs bisher bestehende Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Das ist gelungen, wenn auch das Gewerbe, wie ich höre, weiterhin Grund zu klagen sieht. Aber wer hat schon einmal eine Lobby gesehen, die sich durch eine Maßnahme von Vater Staat voll zufriedengestellt sieht?
    Zum anderen haben wir die Pauschalierung erreicht, und zwar auf volle zehn Jahre. Die Pauschale zahlt der Steuerzahler, also die Allgemeinheit, zugunsten derjenigen, die die Reise- und Besuchsmöglichkeiten in die DDR wahrnehmen. Ich finde, das ist richtig und in Ordnung. 75 % der Bundesbürger un-



    Bundesminister Franke
    terhalten keine privaten Kontakte und Verbindungen in die DDR. Das eine Viertel, welches die Verbindung durch Reisen hält, kann von der Allgemeinheit schon erwarten, in seinen finanziellen Aufwendungen entlastet zu werden. Es handelt sich — ich wiederhole es — um einen jährlichen Betrag von 50 Millionen DM. Das bedeutet, auf jeden Bundesbürger entfällt weniger als eine Mark zur Entlastung derjenigen von uns, die bei ihrer Reise in die DDR bislang im Durchschnitt 10 DM an Straßenbenutzungsgebühren zu entrichten haben. Ich glaube, das ist eine Anforderung, die man vertreten kann.
    Für die Pauschalierung als solche sprechen noch zwei weitere gewichtige Gründe. Wir haben jetzt im Bereich der Straßenbenutzungsgebühren auf zehn Jahre eine eindeutige Vertragslage mit der DDR. Die hatten wir bisher nicht. Die DDR wäre nicht gehindert gewesen, wie es bisher war, für alle Kategorien von Fahrzeugen — für Lkws, Busse wie Pkws — die Gebühren nach Bedarf zu erhöhen. Dadurch, daß sie sich durch die Vereinbarung mit uns gebunden hat, kommt ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Stabilisierungselement in die innerdeutschen Verkehrsverhältnisse.
    Das ist das eine. Zum anderen erhoffen wir uns von der Pauschalabgeltung der bisher individuell erhobenen Gebühren einen Ermunterungseffekt bei denjenigen, die hin und wieder die Gelegenheit haben, sei es nach Ost-Berlin, sei es in die DDR zu fahren. Das gilt insbesondere für die Tagesreisen von West-Berlinern und im grenznahen Verkehr, der ja — ich sagte es schon — vom Kreis der Berechtigten her eine beachtliche Ausweitung erfahren wird.
    Daß dies keine falsche Rechnung ist, will ich Ihnen, meine Damen und Herren, demonstrieren. Als es durch unsere Vereinbarung möglich wurde, mit dem eigenen Pkw in die DDR zu fahren, fuhren im Jahre 1971 87 000 Pkws in die DDR. Innerhalb von sechs Jahren steigerte sich diese Zahl auf 870000. Das ist eine beachtliche Steigerung — ich denke, wir sollten das sehen —, und zwar eine Steigerung um mehr als 900 %. Wenn wir nun auch noch die Individualbelastung abnehmen, wie wir das auch schon beim Transitverkehr gemacht haben, werden die Straßen mehr in Anspruch genommen. Ich denke, es ist unser gemeinsames Ziel, die Begegnung zu erleichtern. Dann hören Sie auf mit Ihrem krämerhaften Verhalten!
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf ein Thema eingehen, das in den letzten Wochen häufiger diskutiert wurde: die Einführung der Abrüstungs- bzw. Rüstungskontrollthematik in die innerdeutschen Gespräche. Ich bin der Meinung, wir sollten da nicht so zugeknöpft sein, wie Herr Kollege Mertes es vorschlägt. Warum sollten wir zu diesem Thema nicht ebenso Standpunkte und Beurteilungen mit der DDR austauschen, wie wir das mit anderen Ländern des Warschauer Pakts auch tun?
    Außerdem: Im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag von 1972 haben wir mit der DDR vereinbart, uns gegenseitig zu konsultieren — ich zitiere wörtlich — „über Fragen von beiderseitigem Interesse, insbesondere solche, die für die Sicherung des Friedens in Europa von Bedeutung sind".
    Beiderseitiges Interesse an Sicherheitsfragen bedeutet, daß jeder dem anderen ein gleiches Interesse an Sicherheit und Abrüstung zubilligt, ein gleiches Interesse und ein gleiches Recht auf Sicherheit. Auf dieser Basis sind Gespräche wie die, die zwischen Staatssekretär van Well und dem Ständigen Vertreter der DDR, Moldt, geführt werden, nützlich; denn wenn Fortschritte zu einem stabileren militärischen Gleichgewicht in Europa erzielt werden sollen, und zwar Fortschritte nicht durch Auf-, sondern Abrüstung und durch vereinbarte Begrenzung, dann muß auf beiden Seiten das Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse des anderen zunehmen. Hier, so glaube ich, liegt im Gespräch der beiden deutschen Staaten untereinander ein echter Nutzen. Hier können sie den beiden Bündnissen, denen sie angehören, die jeweils ihre Sicherheit garantieren, einen Dienst erweisen.
    Es geht dabei, wie gesagt, um gegenseitige Information, um den Austausch von Standpunkten und Beurteilungen, nicht um Verhandlungen mit dem Ziel, zu Vereinbarungen zu gelangen. Das ist Aufgabe der Bündnisse, Wenn die beiden deutschen Staaten solches versuchen wollten, würden sie sich nicht nur Mißverständnissen auf beiden Seiten aussetzen, sondern sich auch schlichtweg übernehmen.
    Ganz zum Schluß, aber nicht abgehoben von der derzeitigen Diskussionslage, möchte ich die Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß die innerdeutschen Beziehungen, wie die Entspannung in Europa überhaupt, mehr Stabilität besitzen, als es, oberflächlich betrachtet, manchmal scheinen mag. Hierauf können die beiden deutschen Staaten bauen. Die Aussicht auf relative Entspannung, auf Stabilität in Europa sichert beiden Staaten die Möglichkeit, die vertraglich vereinbarte Politik der Normalisierung fortzuführen. Darum wird die Bundesregierung alles tun, was dieser Zielsetzung dient.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Graf Hans Huyn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Herr Jahn hier davon gesprochen hat, daß die Antwort der Bundesregierung auf unsere Großen Anfragen ein Dokument der Nüchternheit gewesen sei, so können wir dazu nur sagen: Es ist wohl vielmehr ein Dokument der Ernüchterung nach zehn Jahren des Mißerfolgs in einer Politik,

    (Zuruf von der SPD: Jetzt geht die Leier wieder los! — Weitere Zurufe von der SPD)

    zehn Jahre, seitdem SPD und FDP hier im freien Teil Deutschlands das vollzogen haben, was sie damals als Machtwechsel bezeichnet haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)




    Graf Huyn
    Wir können heute Bilanz ziehen

    (Zuruf von der SPD: Welch ein Glück!)

    über zehn Jahre Deutschlandpolitik dieser Koalition. Meine Herren von der SPD, Sie können ja Ihre eigenen Maßstäbe anlegen. Es war Ihr damaliger Bundeskanzler Willy Brandt, der in seinem ersten Bericht zur Lage der Nation am 14. Januar 1970 von diesem Platz aus erklärt hat, „daß die Bundesregierung nur dann über vieles mit sich reden lassen wird, wenn dabei gleichzeitig auch Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland herauskommen".

    (Zuruf von der SPD: Jawohl!) — Ja, hören Sie nur zu. Er hat gesagt:

    ... ein Vertrag zwischen der DDR und uns darf nicht, darf nie zu einer Nebelwand werden, hinter der alle die Menschen belastenden Tatbestände unverändert blieben.
    Meine Damen und Herren, heute müssen wir fragen: Was ist denn für die Menschen drüben herausgekommen? Tatsache ist doch, daß in dem Zwangsarbeiter- und Mauernstaat, der sich Deutsche Demokratische Republik nennt, die Rechte der Menschen noch nie so mit Füßen getreten worden sind wie heute. Wenn Herr Jahn von diesem Platz aus erklärt, unser Menschenrechtsverständnis werde von der Mehrheit der Welt nicht geteilt, insbesondere nicht von den kommunistischen Staaten, obwohl sie die Menschenrechtspakte ratifiziert haben, und wenn er meint, man könne aus formaljuristischen Gründen nichts dagegen tun, dann muß ich ihn fragen: Herr Jahn, hätten Sie etwa auch gegen die Diktatur eines Adolf Hitler mit diesen Argumenten und mit diesen Worten argumentiert?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Lage für die Menschen hat sich nicht verbessert, sie hat sich verschlechtert.

    (Zuruf von der SPD: Da freut ihr euch?)

    Wir können feststellen, daß die Verletzung des Menschenrechts in den Staaten des sogenannten real existierenden Sozialismus systemimmanent ist — von Vietnam über Äthiopien bis nach Mozambique und Angola und selbstverständlich von der Sowjetunion über die mittelosteuropäischen Satellitenstaaten bis hin zur DDR.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    Gerade vor wenigen Tagen sind in der Tschechoslowakei Menschen verurteilt worden, sind in Polen Menschen festgenommen worden. Herr Jahn, ich kann nur sagen: Sie fallen diesen Menschen in den Rücken, wenn Sie so argumentieren, wie Sie es gerade hier getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das einzige „Verbrechen" dieser Menschen bestand darin, daß sie versucht haben, Ansätze jener Menschenrechte für sich in Anspruch zu nehmen, zu deren Einhaltung sich eben ihre kommunistischen Regime vor aller Welt feierlich verpflichtet haben. Aber nirgends werden die Menschen mit solchem
    Zynismus und solcher Brutalität unterdrückt wie in Mitteldeutschland.
    Natürlich geht es, Herr Bundesminister Franke, hier um den einzelnen Menschen, sicher. Nur, was ist für den einzelnen Menschen drüben erreicht worden? Am 1. August dieses Jahres — ausgerechnet am 1. August! — konnte man im „Neuen Deutschland" lesen:
    Die DDR tut alles, um ihren Beitrag zur Verwirklichung der Schlußakte von Helsinki als Ganzes zu leisten.
    Meine Damen und Herren, dies ausgerechnet an jenem selben 1. August, an dem das verschärfte Staatsschutzrecht von Ost-Berlin in Kraft gesetzt wurde!

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Eine Verhöhnung der KSZE!)

    Durch dieses sogenannte 3. Strafrechtsänderungsgesetz wird noch der letzte Rest von Freiheitsraum der mitteldeutschen Bevölkerung

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Eingedrückt!)

    geknebelt. Die international üblichen journalistischen Tätigkeiten werden zu einem kriminellen Delikt gestempelt. Wer Nachrichten weitergibt, die nicht der Geheimhaltung unterliegen, kann Freiheitsstrafen bis zu zwölf Jahren erhalten.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    Ja, selbst ein Rentner aus Mitteldeutschland, der sich etwa in einem Brief über seine schlechte Rente beklagt, kann mit drei Jahren Gefängnis bestraft werden.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung hier nicht hinter dem Europäischen Parlament zurücksteht, das vor wenigen Wochen diese Gesetzgebung als — ich zitiere wörtlich — „menschenunwürdig" bezeichnet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir erwarten auch, daß sie die Unterzeichnerstaaten der Internationalen Menschenrechtskonvention sowie die Signatarmächte von Helsinki offiziell über diese Verletzungen der eingegangenen Verpflichtungen unterrichtet.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Auch wenn wir die Lage der politischen Häftlinge betrachten, müssen wir feststellen, daß sie sich in diesen Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert hat.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    Einst sangen die KZ-Häftlinge des Nationalsozialismus bei ihrer zermürbenden Zwangsarbeit das „Moorsoldatenlied", das mit folgendem Refrain endet:
    Wir sind die Moorsoldaten und wandern mit dem Spaten ins Moor, ins Moor.



    Graf Huyn
    Nachdem nun in Mitteldeutschland die braunen von den roten Faschisten abgelöst worden sind, singen die politischen Häftlinge das Lied nach derselben Melodie mit dem Refrain:
    Es ist das Zuchthaus Cottbus Symbol des Sozialismus
    in Aktion.
    Im diesjährigen Jahresbericht von „Amnesty International" heißt es über Cottbus u. a.: Schläge durch Aufsichtspersonen kamen immer häufiger vor. Viele wurden mit nur einer heißen Mahlzeit alle drei Tage in Sonderhaft gehalten. Im Januar 1978 verweigerte eine Anzahl von Insassen dieses Gefängnisses die Arbeit mit der Begründung, daß Arbeit für Gefangene offiziell als freiwillig gilt. Die Gefängnisverwaltung soll folgendermaßen reagiert haben: Sie reduzierte die Essensrationen der Gefangenen, erlaubte ihnen lediglich, Unterwäsche und Socken zu tragen, und zwang sie, in dieser Bekleidung Schnee zu schaufeln.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hörtl Hört!)

    Einige der Gefangenen sollen immer wieder geschlagen worden sein, wobei sie gebrochene Schlüsselbeine, gebrochene Kiefer, ausgeschlagene Zähne und in einem Fall eine gerissene Niere davontrugen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Und das nicht in Chile, sondern in Deutschland!)

    — Herr Marx, Sie haben recht: nicht in Chile, sondern in Deutschland. Aber davon hört man hier leider nur allzuwenig.
    In einem mir vorliegenden Brief, unterzeichnet von zwei ehemaligen Häftlingen aus Cottbus, heißt es wörtlich:
    Die Zustände in den DDR-Zuchthäusern 1979 spiegeln durchaus nicht eine Bereitschaft zur Entspannung und zu größerer Respektierung der ursprünglichsten Menschenrechte wider, sondern zeugen nach wie vor eher vom Gegenteil. Es muß wieder einmal gesagt werden: Unsere bundesdeutschen ernst zu nehmenden Massenmedien greifen begierig jede Verletzung der Menschenwürde bei der Behandlung von Terroristen im eigenen Lande auf und berichten seitenlang über Ungerechtigkeiten in fremden Ländern. Aber wer publiziert über die menschenverachtenden Zustände in den DDR-Gefängnissen für politisch Andersdenkende? In Cottbus hat es eine Selbstverbrennung gegeben. Wer berichtet davon? In Cottbus ist ein politischer Häftling an Herzinfarkt verstorben, nur weil von den Wachmannschaften jegliche medizinische Soforthilfe verweigert wurde. Wer berichtet darüber? In Cottbus hat ein weiterer politischer Gefangener Selbstmord begangen. Ist das auch so unwichtig, daß man einfach darüber hinweggehen kann?
    Soweit die ehemaligen Häftlinge. Mir liegen ähnliche Berichte aus dem Zuchthaus Brandenburg und aus der Strafanstalt Naumburg vor.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist sehr gut, wenn bei uns in der Presse die Namen Prominenter genannt werden, denn damit wird ihnen geholfen, ob es Nico Hübner war, ob es Sacharow ist, ob es Vaclav Havel ist. Aber es geht hier auch um die Tausenden von Unbekannten!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dadurch, meine lieben Freunde, daß wir ihre Namen nennen, können wir vielen unschuldigen Menschen helfen.
    Zu Recht hat Nico Hübner vor wenigen Tagen erklärt, es sei unanständig von Bahro gewesen, einfach schlicht zu sagen, er sei drüben in der Haft gut behandelt worden, ohne die Begründung hinzuzufügen, nämlich weil er durch die westlichen Veröffentlichungen ein Prominenter geworden war. Neben ihm, so fügte Nico Hübner hinzu, habe es auch Selbstmorde gegeben.
    Ein besonders übles Kapitel ist die wirtschaftliche Ausbeutung der politischen Gefangenen. Nico Hübner beispielsweise, der in Bützow-Dreibergen 13 Monate lang in der Tischlerei arbeitete, bekam für diese lange Zeit ganze 375 Mark ausgezahlt. Für einen Hungerlohn im wahrsten Sinn des Wortes müssen politische Häftlinge etwa Practica-Spiegelreflexkameras oder SVIT-Hängelampen herstellen. Dies muß bei uns weit mehr bekannt werden, damit nicht westliche Firmen solche Waren mit gutem Gewissen im freien Teil Europas vertreiben können,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Das geschieht doch!)

    zumal wenn man erfährt, daß solche Gegenstände von 14- bis 16jährigen etwa im Jugendzuchthaus Halle im Akkord hergestellt werden müssen,

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    in Akkordarbeit, die sonst von den Propagandisten der „sozialistischen Errungenschaften" natürlich als kapitalistische Schmach verachtet wird.
    Herr Bundesminister Franke, Sie haben hier zwar gesprochen, aber Sie haben nicht sehr viel gesagt. Ich fordere Sie in aller Form auf, vor diesem Hohen Haus einmal ein klares Wort zu der von Ost-Berlin verfügten sogenannten Amnestie zu sagen. Wie viele politische Häftlinge sind denn nun eigentlich in die Freiheit entlassen worden? Oder werden sie nur in das KZ, das sich DDR nennt, entlassen? Und müssen sie dann zusätzlich noch von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft werden? Wieviel haben Sie denn für Nico Hübner oder für Herrn Bahro zusätzlich bezahlt — wie man aus Ihrem Haus hören kann?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Menschenfreund!)

    Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb am 7. November 1979 zur Amnestie:
    Die in regelmäßigen Abständen erfolgenden Massenamnestien in der DDR zeigen, daß sich dort immer wieder derartige Massen von Strafgefangenen ansammeln, daß der Strafvollzug die damit verbundenen Probleme nicht mehr bewältigen kann. Dies wird durch Hälftlingsberichte aus den letzten Jahren bestätigt. Wie ein übergefräßiges Tier spuckt das Strafrechtssy-



    Graf Huyn
    stem der DDR von Zeit zu Zeit die Nahrung, die es nicht mehr verdauen kann, wieder aus. Ohne diese elementare Reaktion müßte das Tier an Verstopfung zugrunde gehen.
    Damit zeigt sich eine weitere Seite des Problems der Amnestien in der DDR. Würde der Strafvollzug in der DDR nicht in regelmäßigen Abständen die Lager wieder räumen (dieser Ausdruck aus der Kaufhaus-Branche erhält hier einen makabren Doppelsinn), so könnte er keine Neuzugänge mehr verarbeiten ... Die Amnestien sind daher nicht Ergebnisse reiner Humanität und auch nicht nur Aktionen zur Entlastung von Überschuß, sondern geradezu die für die Fortexistenz des Strafrechtssystems der DDR lebensnotwendige Voraussetzung.
    Soweit die „Frankfurter Allgemeine Zeitung".
    Wenn hier von Freikauf gesprochen wird, dann halten Sie uns immer entgegen, Herr Franke, dies sei ja eine Praxis, die von CDU/CSU-geführten Regierungen begonnen worden sei.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Unter anderen Verträgen!)

    Nur, es gibt hier einen grundlegenden Unterschied. Früher mußten wir zahlen. Denn es gab weder staatsrechtliche Beziehungen zwischen Bonn und Ost-Berlin noch einen Grundlagenvertrag oder andere Verträge.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: So ist es doch!)

    Es gab keine Menschenrechtskonvention, die von Ost-Berlin feierlich unterzeichnet worden ist. Es gab auch kein von den SED-Machthabern unterzeichnetes Helsinki-Protokoll und auch keine Versprechungen eines deutschen Bundeskanzlers, Herr Franke, daß für diese Menschen etwas herauskommen werde, wenn man über andere Dinge mit sich reden lasse. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut!)
    Am schändlichsten ist es jedoch, daß die SED-Machthaber, nicht nur in ihrem eigenen Machtbereich die ihnen unbequemen Menschen jagen, sondern daß sie auch in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn Deutsche einfangen lassen, sie nach Mitteldeutschland kostenlos überstellen

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    und dann für die Auslieferung in den freien Teil Deutschlands aus unseren Steuergeldern als Kopfquote fünf- und sechsstellige Beträge kassieren, die im Staatssäckel der Ost-Berliner Unterdrücker verschwinden.
    Ich fordere die Bundesregierung auf, die Regierungen der Tschechoslowakei, Polens und Ungarns zu fragen, wie lange sie diese schlecht bezahlten Hilfsgefängniswärterdienste noch für ihre sozialistischen Brüder in Ost-Berlin betreiben wollen. Am liebsten freilich würden die SED-Machthaber gleich Pauschalbeträge wie für die Straßenbenutzungsgebühren kassieren.
    Wenn der damalige Bundeskanzler Brandt 1970 von der Nebelwand gesprochen hat,

    (Zuruf von der SPD: Welches Rezept haben Sie denn?)

    „hinter der die Menschen belastenden Tatbestände nicht unverändert liegenbleiben" — ich zitiere Ihren abgedankten Bundeskanzler, Herr Kollege —, so muß ich die Bundesregierung heute bezichtigen, diese Nebelwand selbst mit aufzurichten, damit der Eindruck entsteht, heute zahle niemand mehr etwa Straßenbenutzungsgebühren. In Wirklichkeit ist es doch so, daß sie heute nicht mehr von den Benutzern, sondern von allen Bürgern des freien Teils Deutschlands bezahlt werden. Für zehn Jahre kann die Bundesregierung ja heute jedem in Deutschland sagen: Mit zehn Mark sind Sie dabei!
    Der Herr Bundeskanzler hat ja vor, noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl mit Herrn Honecker zu sprechen. Der Herr Bundeskanzler soll das tun. Nachdem die Regierung dieser Koalition dem Zonenregime internationale Anerkennung verschafft hat, ist es auch ihre Pflicht, die Konsequenzen daraus zu ziehen und das Beste daraus zu machen. Aber der deutsche Bundeskanzler muß dann auch den Mut haben, diejenigen Punkte auf die Tagesordnung zu setzen, auf die es im gespaltenen Deutschland ankommt: zum einen die Abschaffung des Schießbefehls — hierzu gehören natürlich auch die Todesautomaten —, zum anderen die Abschaffung oder zumindest die Herabsetzung der Altersgrenze für Besuche im Westen.
    Oder will der Bundeskanzler nur über Veterinärabkommen oder, wie Sie, Herr Franke, wieder vorgeschlagen haben, über Sicherheitsfragen sprechen, die einzig und allein auf die Ebene der Ost-WestAbrüstungsgespräche

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    und nicht auf die Ebene innerdeutscher Gespräche gehören?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer allerdings meint, man könne den Ost-Berliner Machthabern solche Tagesordnungspunkte nicht zumuten, macht sich eben jener Selbstfinnlandisierung schuldig, die der amerikanische Sicherheitsberater Brzezinski der Bundesregierung vorgeworfen hat.

    (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es! Sehr gut! — Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, die Alternative zu einer Politik der Vorleistungen ist eine Politik der Leistung und Gegenleistung Zug um Zug. In der Frage der Menschenrechte gibt es keine Einmischung in innere Angelegenheiten, zumal Deutschland für uns immer eine innere Angelegenheit ist. Dies gebietet uns nicht nur der Auftrag des Grundgesetzes, das gebietet uns unser Gewissen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)