Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir haben das Hinscheiden unserer Kollegin Dr. Elisabeth Orth zu beklagen, die nach langer, schwerer, mit unendlicher Geduld getragener Krankheit gestern morgen in einer Kölner Klinik ihrem Leiden erlegen ist. Elisabeth Orth, dieser warmherzige und kameradschaftliche Mensch, hat gegen eine der schrecklichsten Krankheiten unserer Zeit mit nie versagendem Optimismus angekämpft. Nach vielen Operationen glaubte sie immer wieder, nun habe sie diese Krankheit besiegt. Kaum hatte sie das Krankenhaus verlassen, widmete sie sich wieder ihren Aufgaben im Deutschen Bundestag, dem sie seit 1969 angehörte, und vor allem ihrer Arbeit im Europäischen Parlament, wo ihr Tätigkeitsfeld auf dem Gebiet der Agrarwirtschaft und der allgemeinen Gesellschaftspolitik lag.Elisabeth Orth wurde am 24. März 1921 in Hannover geboren. 1948 promovierte sie zum Doktor der Landwirtschaft. 1963 trat sie der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. 1967 wurde sie Mitglied des Landesvorstandes Schleswig-Holstein und 1968 Mitglied des Parteirats. Sie war Vorsitzende des Landesfrauenausschusses und Mitglied des Bundesfrauenausschusses der SPD. Im Deutschen Bundestag gehörte sie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zeitweilig dem Petitionsausschuß an.Mit 46 Jahren verlor sie ihren Mann. Ihre fünf Kinder haben nun auch die Mutter verloren. Elisabeth Orth hatte sich leidenschaftlich der Politik verschrieben. Es war für sie ein Höhepunkt ihrer politischen Arbeit, als sie 1972 das Direktmandat für den Wahkreis 5 — Rendsburg Neumünster — gewann.Wir gedenken dieser tapferen Frau in Trauer. Ich spreche den Hinterbliebenen und der Fraktion der SPD die herzliche Anteilnahme des ganzen Hauses aus. Der Deutsche Bundestag wird Elisabeth Orth ein ehrendes Andenken bewahren.Wir gedenken der Opfer des schweren Erdbebens in Italien. Den Hinterbliebenen und der Bevölkerung gehört unser ganzes Mitgefühl. Wir sprechen der italienischen Regierung unsere tiefe Anteilnahme aus.Ich danke Ihnen.Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist das Ende der Plenarsitzungen in dieser Woche wie folgt vorgesehen: Dienstag: 21 Uhr, Mittwoch: 19.45 Uhr, Donnerstag: gegen 22 Uhr, Freitag: 15 Uhr. Für Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ist jeweils eine Pause von 13 bis 14 Uhr vorgesehen.Ihnen liegt eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Verwendung der Mittel aus dem Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen, Teil C — Ausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen — durch die Bundesanstalt für ArbeitBezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 25. September 1975
zuständig: Haushaltsausschuß , Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Ausschuß für WirtschaftBetr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften
(Drucksache 7/5072)
zuständig: Auswärtiger Ausschuß , HaushaltsausschußBetr.: Umweltprobleme des Rheins
zuständig: Innenausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß— Ich stelle fest, daß sich kein Widerspruch erhebt. Die Überweisung ist beschlossen.Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf:Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1976
— Drucksachen 7/4100, 7/4629 —Anträge und Berichte des Haushaltsausschusses
Wir kommen zunächst zum Einzelplan 04Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes— Drucksache 7/5034 —Berichterstatter:Abgeordneter EstersAbgeordneter Dr. Riedl Abgeordneter Dr. Dübber
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16792 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung." So steht es in unserer Verfassung. Deshalb ist es auch angemessen, daß wir uns bei der Beratung des Einzelplans 04 die Politik, die diese Regierung unter der Verantwortung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt gemacht hat, betrachten und unser Urteil und unsere Bewertung dazu hier abgeben.Für uns Sozialdemokraten gehören die Regierungserklärungen der Jahre 1969, 1973 und 1974 zusammen. Es ist eine kontinuierliche politische Konzeption. Für uns ist es heute eine Zwischenbilanz, die wir ziehen, eine Zwischenbetrachtung, ob die Politik in diesen Jahren gemäß unseren sozialdemokratischen Grundsätzen gestaltet wurde. Was darauf aufgebaut werden kann, ist eine zweite Frage.Unser Godesberger Programm sagt unter der Überschrift „Die staatliche Ordnung":Der Staat soll Vorbedingungen dafür schaffen, daß der einzelne sich in freier Selbstverantwortung und gesellschaftlicher Verpflichtung entfalten kann.Ganz klar: Der Staat soll Vorbedingungen dafür schaffen. Im Mittelpunkt steht der einzelne, der sich in freier Selbstverantwortung soll entfalten können. Die staatlichen Maßnahmen sind also nicht um ihrer selbst willen zu betrachten, sondern sie sind Hilfsmittel, sind dazu da, daß sich der einzelne Mensch soll entfalten können.Die einzelnen Maßnahmen betrachten wir Sozialdemokraten, wie es unser Godesberger Programm dargestellt hat, unter den Grundwerten des Sozialismus: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und die aus der gemeinsamen Verbundenheit folgende gegenseitige Verpflichtung. Das sind die Grundwerte des sozialistischen Wollens. Meine Damen und Herren, dazu bekennen wir uns, und unter diesem Obergesichtspunkt prüfen wir die einzelnen politischen Maßnahmen.Der einzelne steht nicht allein. Er hat nicht nur einen freundlichen Nachbarn, der ihm gelegentlich hilft. Er steht nicht allein, sondern er weiß und darf wissen, daß er dort, wo wir Sozialdemokraten die Politik bestimmen, in die Gemeinschaft eingebunden ist und ihren Schutz hat, daß sie ihn fördert und ihm die Chancengleichheit mit den anderen Bürgern gibt. Das ist Sozialismus.Wir sehen, daß nun auch die CDU ein Grundsatzprogramm veröffentlicht. Wir lesen es mit großem Interesse. Wir sehen, daß sie sogar die gleichen Worte benützt: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.Es ist interessant, wie die Reaktion darauf ist. „Die Zeit" schreibt am 7. Mai: „Viel Erhabenes, nichts Seichtes". Darunter schreibt sie: „Kaum Unterschiede zum SPD-Oientierungsrahmen.”
Die „Stuttgarter Zeitung" schreibt — und sie hat dabei ganz recht —:
„Der Nachholbedarf an Grundwerten wird gedeckt."Nun, Herr von Weizsäcker und meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie den Mangel erkennen, der in Ihrer Partei ist, den Mangel, von einem gesicherten Boden aus zu handeln, verstehe ich. Aber lassen Sie sich hier sehr nachdrücklich gesagt sein: Es reicht nicht, Worte zu übernehmen,
es reicht nicht, Begriffe zu übernehmen. Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich dabei, daß die Arbeiterbewegung seit über 110 Jahren um Freiheit gekämpft hat,
daß die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften über 110 Jahre aufgewandt haben, um der Freiheit des einzelnen willen.
Sie sind angetreten — Herr Barzel, das wissen Sie doch —,
urn diese Gruppe von Menschen aus einer Situation zu befreien. Das Ganze war ein Freiheitskampf, unter dem die Arbeiterbewegung angetreten ist,
und der Freiheitskampf ist noch nicht zu Ende. Wie kann da jemand die Stirn haben
und versuchen, die deutsche Geschichte so umzudrehen
und zu sagen, daß Freiheit und Sozialismus sich ausschlössen? Wer für Freiheit ist, muß für Sozialismus sein,
muß für das Godesberger Programm sein,
denn über 100 Jahre wurde dafür gekämpft.
— Sie lachen wohl, wenn Sie an das Schicksal des Ahlener Programms denken, nicht wahr, und wenn Sie sich gegenwärtig sind, was man damals taktisch gemacht hat. Man kann auch sagen: man hat einen Schwindel damit gemacht. Dessen hat man sich ja später gerühmt, daß man einen Schwindel gemacht hat. Meine Damen und Herren, tun Sie bitte nicht noch einmal das gleiche. Es wäre schlimm, wenn Sie das noch einmal versuchten!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16793
Dr. Schäfer
Es ist gut, daß der Herr Strauß da ist. Herr Strauß, es ist sehr interessant, was die CSU in ihrem Grundsatzprogramm im März dieses Jahres beschlossen hat. Da hat sie ganz richtig gesagt, ein zukünftiges Europa müsse auch eine europäische Verfassung haben. Aber dann — so ist es in Ihrem außenpolitischen Arbeitskreis ausdrücklich gesagt worden —: die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes solle in eine europäische Verfassung nicht Eingang finden. Meine Damen und Herren, deutlicher geht es gar nicht mehr, wenn Sie zum Ausdruck bringen, daß Sie entgegen dem Gebot des Art. 20 des Grundgesetzes, wo die Sozialstaatsverpflichtung dieser Bundesrepublik ausdrücklich allen Organen aufgegeben ist, von dieser Verpflichtung wegkommen wollen.Unsere Betrachtungsweise — ich fasse es noch einmal zusammen — ist die: alle staatlichen Maßnahmen müssen dem Menschen helfen. Sie sind dazu da, daß der einzelne sich in freier Selbstverantwortung entfalten kann. Der Staat hilft ihm dabei. So heißt es in der Verfassung meines Heimatlandes: „Der Staat hat dem einzelnen dabei zu dienen". Genau das ist unsere Auffassung. Der Staat ist nicht Selbstzweck, sondern er hat dem einzelnen zu dienen.
Diese Regierung ist ebenso wie die vorhergehenden beiden Regierungen von zwei Parteien getragen. Sie haben ein Regierungsprogramm. Seit Bundeskanzler Brandt zusammen mit dem Außenminister Scheel die Koalition gegründet hat, wurde gewissenhaft und zielstrebig an der Verwirklichung der Regierungsprogramme gearbeitet.
Ich werde am Schluß meiner Ausführungen eine Gesamtwertung bringen können.
Glauben Sie mir: der Innenminister Maihofer hat sicher recht, wenn er wiederholt in öffentlichen Ansprachen darauf hinwies, daß diese Zusammenarbeit der beiden Parteien nicht zufällig ist, sondern daß sie Ihren historischen Wert hat und daß sie eine große historische Funktion erfüllt. Das ist nicht das zufällige Summieren von tagespolitischen Gemeinsamkeiten, nicht das, was manche Leute mit einem gewissen Vorrat von Einzelvorhaben glauben umschreiben zu können.
Nein, es ist wesentlich mehr, was hier die beiden Parteien zusammengeführt hat.Natürlich gibt es auch verschiedene Auffassungen; es sind ja zwei Parteien. Wenn nun ein Ressortminister mit einem anderen Ressortminister, der einer anderen Partei angehört, nicht von vornherein einig geht, meinen Sie von der Opposition, da sei für Sie etwas zum Erben drin. Meine Damen undHerren, es ist ganz normal, daß die Ressortminister ihre Auffassungen vertreten und daß darum gerungen wird. Aber Sie haben auch festgestellt, daß dieser Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt und daß ihn dabei nicht nur das Kabinett unterstützt, sondern auch die die Regierung tragenden Parteien, die Sozialdemokratische Partei und die Freie Demokratische Partei.Dann meinen Sie manchmal, so etwas wie einen Gegensatz zwischen dem Parteivorsitzenden Willy Brandt und dein Bundeskanzler konstruieren zu können. Nein, das geht nicht.
Es stört Sie, daß das funktioniert — Sie hätten gern etwas anderes gesehen —: daß ein früherer Bundeskanzler Parteivorsitzender ist. Und erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang an den Parteitag der SPD in Mannheim: Diese Regierung und der Parteivorsitzende werden in vollem Umfang von der Partei unterstützt.
In den Fraktionen ist es genauso. Es gibt kaum eine Fraktionssitzung, in der der Bundeskanzler nicht anwesend ist und Rede und Antwort steht.
— Ja, dieser Bundeskanzler wird von der größten Regierungsfraktion getragen,
und er weicht keiner Frage aus. Ich darf hinzufügen: Wir freuen uns auch, daß dieser Bundeskanzler von der Bevölkerung, von den Betrieben eingeladen wird, um mit ihr bzw. mit ihnen das direkte Gespräch zu führen.
Wir freuen uns, daß der Bundeskanzler das tut, das unmittelbare, direkte Gespräch mit den Bürgern und den Arbeitnehmern in den Betrieben sucht.
— Ja, mit den Leuten, für die wir Politik machen. Es sind ja nicht nur die Arbeiter, sondern es ist das ganze deutsche Volk, für das wir Politik machen.
— Es mag Ihnen vielleicht nicht gefallen, daß der Bundeskanzler eingeladen wird. Wir freuen uns darüber; denn das ist ein Zeichen des Vertrauens.
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16794 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Schäfer
Die entscheidenste Aufgabe, die dieser Regierung in den letzten zwei Jahren gestellt war — und noch gestellt ist —,
bestand darin, die Weltwirtschaftsrezession zu überwinden. Die Regierung hat sich dabei richtig verhalten. Auf Grund der Erkenntnis, daß diese Krise nur in gemeinsamem Bemühen mit den wichtigsten Partnern, mit den anderen großen Industrienationen gemeistert werden kann, hat sich der Bundeskanzler mit dem amerikanischen Präsidenten, dem französischen Staatspräsidenten, dem englischen Premier, dem italienischen
und dem japanischen Ministerpräsidenten getroffen, um in gemeinsamen Beratungen die Maßnahmen zu beschließen, die geeignet erschienen, der Rezession zu begegnen.
Welches Ansehen der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang genießt, wissen wir alle. Wir wissen es zu schätzen, daß er in dem Kreis der internationalen Gesprächspartner nicht nur etwas zu sagen, sondern auch etwas einzubringen hat, vor allem auch an Gestaltungswillen.
Diese Regierung hat dann gehandelt: mit dem Stabilitätsprogramm, dem Konjunkturförderungsprogramm, dem Strukturförderungsprogramm. Die Probleme wurden in Angriff genommen, und heute können wir dankbar feststellen: Wir befinden uns mitten im Aufschwung.
Ich denke, es kann doch niemand — das können nicht einmal Sie, Herr Strauß — heute mehr bezweifeln, daß wir mitten im Aufschwung sind.
Die Zahl der Arbeitslosen geht zurück, insbesondere die Zahl der Kurzarbeiter. Es gibt eine Fülle von schwierigen Fragen, die uns weiterhin begleiten. Da ist die Frage der Umstrukturierung auf dem Konsumsektor, da ist die Frage der Rationalisierung und ihrer Folgen, und da ist die größte und schwierigste Frage, die zur Zeit bei der vierten Welthandelskonferenz in Nairobi hoffentlich einen Schritt weiterkommt, nämlich ob es nicht nur uns, sondern ob es der Industriewelt insgesamt gelingt, in ein echtes partnerschaftliches Verhältnis zu denen zu kommen, die man bislang „Entwicklungsländer" genannt hat. Da entscheidet es sich, ob die Weltwirtschaft eine Struktur bekommt, daß sie geordnet und zuverlässig fundiert weiterarbeiten kann.Es ist interessant, wenn man jetzt die Sachverständigengutachten dazu liest. So sagen die Sachverständigen über das Jahr 1975 folgendes:Die Weltrezession konnte nur durch gleichgerichtetes Handeln aller oder wenigstens jener Länder behoben werden, die im Welthandel großes Gewicht haben. Seit dem Frühjahr 1975, als das Ausmaß der Rezession den Industrieländern deutlich wurde, haben die Regierungen den Spielraum zum Gegensteuern genutzt, den die Erfolge im Kampf gegen Inflation und außenwirtschaftliche Defizite gewährten. Vor allem die Finanzpolitik versuchte, einem weiteren Rückgang der Beschäftigung entgegenzuwirken. Angesicht der noch immer hohen Inflationsraten weitete die Geldpolitik den Finanzierungsspielraum im allgemeinen nur behutsam aus.Die Sachverständigen fahren dann fort:In der Bundesrepublik herrschte 1975 ebenso wie in fast allen anderen westlichen Industrieländern erhebliche Unterbeschäftigung. Die deutsche Wirtschaft hatte zwar stabilitätspolitisch und konjunkturell einen Vorlauf vor dem Ausland, so daß die Wirtschaftspolitik früher als anderswo auf Expansionskurs gehen konnte. Ihre Exportabhängigkeit erwies sich jedoch als zu groß, als daß sie sich der weltweiten Rezession hätte entziehen oder gar im Aufschwung hätte vorangehen können.Meine Damen und Herren, das bestätigt die Richtigkeit der Handlungsweise dieser Bundesregierung.Die Bundesbank beurteilt in ihrem Geschäftsbericht über das Jahr 1975 die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sehr positiv. Sie bestätigt, daß sich die wirtschaftliche Erholung seit dem Sommer 1975 von Monat zu Monat deutlicher durchgesetzt hat. Zur Stabilitätspolitik schreibt die Bundesbank: „Beträchtliche Fortschritte wurden 1975 in der weiteren Eindämmung der Inflationstendenzen erzielt." Die Bundesbank bestätigt den stabilitätsorientierten Kurs der Bundesregierung, der ein schnelles Gegensteuern ermöglichte, ohne, wie die Bundesbank sagt, hieraus das Aufkommen neuer Inflationsherde befürchten zu müssen.Wir fragen uns: Was hat in dieser Zeit die Opposition an Anregungen, an nützlicher Kritik auf den Tisch gelegt?
Was hat sie seit der Sonthofener Rede getan?
— Nichts haben Sie getan, meine Damen und Herren.
„Die Welt" ist ja immer gut über Sie informiert. „Die Welt" schrieb letzte Woche — das ist interessant — unter der Überschrift „Das Programm der Union gegen die Erwerbslosigkeit" — ich will Ihnen wörtlich daraus vorlesen —:In einem der „Welt" vorab bekanntgewordenen vertraulichen Papier, das demnächst allen Bundestagsabgeordneten der Union zugestellt werden soll, schlägt der Planungsstab mögliche konkrete Maßnahmen zur mittelfristigen Lösung des Beschäftigungsproblems vor.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16795
Dr. Schäfer
Gut, darauf ist man gespannt und sagt: Na, endlich! — Jetzt kommt's:Zusammenfassend wird festgestellt, Ziel der Politik müsse es sein, die Tarifpartner wieder in ihre Mitverantwortung für Vollbeschäftigung und stabile Preise einzusetzen, um den verhängnisvollen Kreislauf von Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen zu durchbrechen.Einverstanden, meine Damen und Herren, aber die großen Industriegewerkschaften haben mit ihren Tarifabschlüssen in den letzten Monaten, ihren Part, wie sogar Sie ihn sehen, gespielt.
Jetzt liegt es wohl bei den Kreisen, die die Preise bestimmen, jetzt liegt es bei denjenigen, die die Autopreise erhöhen, die Benzinpreise erhöhen,
jetzt liegt es doch bei den Kreisen, auf die Sie mehr Einfluß haben als wir.
— Meine Damen und Herren, vielen Dank, daß Sie hier einmal deutlich gemacht haben — es war wahrscheinlich ein Versehen —, die Gewerkschaften haben mit ihren Tarifabschlüssen die Vorbedingungen erfüllt. Jetzt liegt es an der anderen Seite, dementsprechend zu handeln.
— Meine Damen und Herren, wenn ich Ihre Zwischenrufe richtig deute, muß ich sagen, entweder wissen Sie es nicht, dann ist es schlimm,
oder Sie stellen es bewußt falsch dar, dann ist es für Sie beschämend.
Meine Damen und Herren, in der Wirtschaftspolitik ist eine der uns vordringlich beschäftigenden Fragen die der Jugendarbeitslosigkeit. Eine qualifizierte Ausbildung für alle Teile der Bevölkerung, für alle und gerade für die Teile, die über die gewerbliche Ausbildung ins Erwerbsleben treten, ist eine Verpflichtung dieses Staates. Dieser Verpflichtung ist dieser Gesamtstaat bisher nicht im erforderlichen Maße nachgekommen. Das trifft alle, den Bund und insbesondere genauso die Länder. Wir wissen, daß eine qualifizierte Ausbildung die entscheidende und beste Voraussetzung für einen gesicherten Arbeitsplatz ist. Wir wissen, daß eine qualifizierte Ausbildung für den einzelnen Menschen persönlich und für die Gesamtheit das Entscheidende ist, um bestehen zu können. Deshalb ist es unser Ziel, die Berufsausbildung bestens auszugestalten.Sie haben eine Große Anfrage eingebracht; die Bundesregierung hat vor wenigen Tagen darauf geantwortet. Ich brauche hier im einzelnen nicht darauf einzugehen. Die Bundesregierung hat ein Programm von 300 Millionen DM zur Förderung von Ausbildungsstätten zur Verfügung gestellt.
Die Bundesregierung und dieser Bundestag haben mit den Stimmen der SPD und FDP das Gesetz über die berufliche Bildung beschlossen. Jetzt wird es an der CDU im Bundesrat liegen, ob auf diesem Gebiet eine konstruktive Lösung möglich ist oder ob durch das Verhalten Ihrer Parteifreunde im Bundesrat die geeigneten Ansätze, um zu helfen, zerstört werden sollen.
Wir stellen dankbar fest, daß im Monat April die Jugendarbeitslosigkeit um 14 % zurückgegangen ist. Es muß unser Bemühen sein, mit diesem Gesetz das Erforderliche in Bewegung zu bringen.
Lassen Sie mich etwas zur Finanzpolitik sagen. In Zeiten der Rezession, also der sinkenden Staatseinnahmen, entstehen der Steuer- und Finanzpolitik besondere Aufgaben. Über dieses Thema spricht man gerne theoretisch, und man entwickelt dann auch theoretisch die richtigen Modelle. Wenn es dann aber darauf ankommt, meine Damen und Herren, den Erkenntnissen gemäß politisch zu handeln, fehlt meistens der Mut; auch dann fehlt sogar der Mut, wenn man nicht einmal die Verantwortung dafür tragen muß, so wie bei Ihnen, Herr Strauß.
Diese Regierung, dieser Bundeskanzler und dieser Finanzminister haben nicht nur den notwendigen Sachverstand, sondern auch den notwendigen politischen Mut, um die politischen Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzpolitik zu treffen, die in dieser Situation zu treffen waren.
Am 1. Januar 1975 traten die Steuerreform und die neue Kindergeldregelung in Kraft. Dadurch sind 14 Milliarden DM jährlich mehr in der Hand der Verbraucher. Ach, wie lebendig waren Sie da, meine Damen und Herren von der Opposition, als das Gesetz einen Monat, zwei Monate in Kraft war; was haben Sie da alles an Fehlern entdeckt! Und wie ist es dann darum still geworden, weil nämlich dieses Gesetz doch mehr Gerechtigkeit gebracht hat und weil die mit den kleinen Einkommen in der Tat entlastet worden sind. Das konnten auch Sie dann nicht mehr bestreiten.Diese Bundesregierung hat eine Konjunkturrücklage gebildet. Sie hat einen sparsamen Haushalt gemacht.
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16796 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Schäfer
Sie hat das Haushaltsstrukturgesetz vorgelegt. Undsie hat Schulden gemacht, meine Damen und Herren.
— Dazu will ich Ihnen gleich das Erforderliche sagen. Sehen Sie, Herr Stücklen, gerade das ist der Punkt, von dem Sie allesamt anscheinend nichts verstehen
oder bei dem Ihnen sogar in der Opposition der Mut fehlt, Ihrer Erkenntnis gemäß zu reden.
Die Bundesbank sagt dazu folgendes:
Unter den Bestimmungsfaktoren der monetären Entwicklung im Jahr 1975 war die Kreditgewährung an die öffentlichen Haushalte der bei weitern wichtigste Faktor.Dann sagt die Bundesbank:Die Ausweitung des Staatsdefizits im Jahr 1975 entsprach der konjunkturellen Lage. Jedenfalls hätte eine geringere Erhöhung des Defizits die wirtschaftliche Erholung verzögert.Sie müssen sich nochmals vergegenwärtigen, was heißt: „Die Ausweitung des Staatsdefizits im Jahr 1975 entsprach der konjunkturellen Lage." Das bedeutet nämlich: Nicht nur auf Grund theoretischer Erkenntnisse, sondern auch auf Grund mutigen politischen Entscheidens ist gehandelt worden.
Weiter sagt die Bundesbank: Jedenfalls hätte eine geringere Erhöhung des Defizits die wirtschaftliche Erholung verzögert. Mein Freund Alex Möller, wohl auch bei Ihnen als Sachverständiger geschätzt, hat eine kleine Schrift verfaßt.
— Ja, Herr Stücklen, da können Sie etwas lernen. Sicher! Deshalb sollten Sie das mal lesen. Das haben Sie bestimmt noch gar nicht gelesen. — Alex Möller hat ein Heftchen mit dem Titel „Die Schulden der öffentlichen Hand — Staatsverschuldung als Instrument der Wirtschaftspolitik" herausgegeben. Dieses Heftchen ist nicht sehr umfangreich; das können Sie lesen.Er beginnt mit den Erkenntnissen von 1886 und Lorenz von Stein und weist das nach, was die Bundesbank in dieser knappen, sauberen Form hier dokumentiert hat. Dann kommt er zu folgendem Schluß, den ich Ihnen vortragen möchte:Das wirtschaftliche Instrument der Staatsverschuldung hat bei der Überwindung der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung, die im Jahr 1974 begonnen hatte, eine entscheidende Rolle gespielt. Ich halte es für besonders schädlich, wenn der rationale und verantwortungsbewußte Einsatz dieses stabilitäts- und beschäftigungspolitisch notwendigen Instruments in der Offentlichkeit als Zerrüttung der öffentlichen Finanzendargestellt wird. Eine solche Umweltverschmutzung ist eine Gefahr für das Volk.
Soweit Alex Möller. Wer sich damit befaßt und davon etwas versteht
— das sind Sie nicht, Herr Reddemann! —,
der muß dieses Urteil übernehmen. Eine Partei wie die CDU — von der CSU will ich ja kaum reden, obwohl es für sie auch ganz gut wäre — sollte sich hier im Hause und außerhalb des Hauses den Erkenntnissen gemäß verhalten.
Sehr interessant ist auch das, was die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute in ihrer Zukunftsperspektive feststellen. Das muß ich Ihnen wörtlich vortragen. Dort heißt es:Schrittmacher bei der Aufwärtsentwicklung werden zunächst die USA und die Bundesrepublik Deutschland sowie Frankreich bleiben.Dann heißt es weiter:Die Impulse für die konjunkturelle Entwicklung im weiteren Verlauf des Jahres sind relativ stark einzuschätzen, da die finanzpolitischen Maßnahmen vor allem in diesem Jahre produktionswirksam werden— das bezieht sich wieder auf denselben Punkt; darauf darf ich Sie noch einmal aufmerksam machen —und die Wirtschaft mit Liquidität reichlich ausgestattet ist. Hinzu kommt die weiterhin steigende Nachfrage des Auslands, nachdem die Konjunktur auch dort angesprungen ist. Die Verstärkung der Nachfrage und Produktion wird die noch immer recht niedrige Kapazitätsauslastung erhöhen. Mit den Lohnabschlüssen, die bei den erwarteten Preissteigerungen eine spürbare Erholung der Gewinne zulassen, ist eine weitere notwendige Voraussetzung— jetzt kommt das Entscheidende —für einen fortgesetzten und nicht mehr vonneuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen abhängigen Anstieg der Investitionen geschaffen.Das heißt, die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute stellen übereinstimmend fest, daß die Regierung alles, was notwendig ist, getan hat, daß neue wirtschaftspolitische Maßnahmen nicht notwendig sind. Daß diese Regierung die Entwicklung sorgfältig beobachten wird und mit der Unterstützung der Fraktionen der SPD und der FDP auch eventuell notwendig werdende Maßnahmen vorschlägt, dessen dürfen Sie gewiß sein.Ich fasse zusammen: In der Wirtschafts- und Finanzpolitik kommen neutrale Sachverständige zu der Feststellung, daß diese Regierung die richtigen Maßnahmen und die ausreichenden Maßnahmen ge-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16797
Dr. Schäfer
troffen hat, um den Aufstieg in die Wege zu leiten und den Aufstieg zu sichern.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum zweiten großen Gebiet kommen, nämlich zu den sozialpolitischen Maßnahmen. Ich habe einleitend schon gesagt, was wir Sozialdemokraten darunter verstehen. Ich will nur sehr kurz zu einzelnen Punkten etwas sagen. Wir messen daran die Maßnahmen, und wir messen daran, ob die Konzeption richtig ist; wir messen daran, ob wir zustimmen oder ob wir verändern.Ich beginne bei den Renten. Seit 1969 sind die Renten um über 100 % gestiegen. Die Kriegsopferrenten sind um 113 % gestiegen. Die Preise sind nicht einmal um die Hälfte gestiegen. Das heißt, daß die Rentenbezieher gesicherte Renten haben. Weil Ihnen diese Erhöhungen nicht passen,
kommen Sie nun mit merkwürdigen Rechenmethoden hierher und wollen vorrechnen, daß die Rente als solche aber gar nicht gesichert sei.
Bundesminister Arendt hat am 20. Februar und am 8. April hier in diesem Hause die Karten auf den Tisch gelegt.
Niemand, der die Verhältnisse kennt, kann ernsthaft in Zweifel ziehen, daß die deutsche Rentenversicherung stabil ist.
Wir haben nicht die Empfehlung des Herrn Katzer übernommen, als er schon im Jahre 1969 davon sprach, statt 18 % müßten 20 % Beitrag erhoben werden. Wir haben bis heute den Beitrag nicht auf 20 % zu erhöhen brauchen. Diese Rentenversicherung ist stabil.Es ist schon eine üble Sache, was Sie da in die Welt setzen, es ist schon eine üble Sache, was Sie hier machen,
den altern Leuten Angst zu machen, den in der Arbeit Stehenden Angst zu machen, als ob sie, wenn sie eines Tages ins Rentenalter kommen, gar keinen Anspruch mehr hätten. Das ist schon ein besonderes Kunststück, das Ihnen vorbehalten bleibt.
Das kann man nicht als Politik bezeichnen.
Das verdient einen eigenen Namen, der nicht parlamentsgemäß ist; deshalb kann ich ihn hier nicht sagen. Sie wissen selbst, wie man sowas kennzeichnen muß.
Wir haben die flexible Altersgrenze eingeführt. Der Bundeskanzler hat hier schon einmal darauf hingewiesen: Es ist ein Stück Freiheit, daß der einzelne nicht nur, vom Staat abhängig, gesagt bekommt, wann er in den Ruhestand gehen kann; es ist ein Stück Freiheit, daß er sagen kann, daß er ohne Einbuße früher in den Ruhestand gehen will. In der letzten Zeit haben wir erlebt, wie diese flexible Altersgrenze stark in Anspruch genommen wurde, und das spricht für das Verantwortungsbewußtsein der in dieser Altersgruppe Stehenden.Wir haben die betrieblichen Renten gesichert; das ist eine ganz wichtige Sache. Es war nämlich so, daß man davon abhängig war: wenn man 15, 20 Jahre in einem Betrieb war und wechseln wollte, konnte man nicht wechseln, weil dann der ganze entstandene Anspruch hinfällig war. Das war für den einzelnen Beschäftigten schlicht und einfach eine Knebelungssituation. Daraus haben wir sie befreit,
indem wir die Betriebsrenten gesichert haben, indem wir den Wechsel — da es die eigene Entscheidung des Menschen sein muß, wo er arbeiten will — ihm ohne die Einbuße in dieser Größenordnung möglich gemacht haben.Wir haben heute bei Krankenhausaufenthalt keine Aussteuerung mehr. Versetzen Sie sich doch in die Lage der Menschen — in Ihrem Bekanntenkreis kennen Sie sicher welche —, die lange krank sind. In welcher fürchterlichen psychologischen Situation ist ein Mensch, der eineinhalb Jahre im Krankenhaus liegen muß, der weiß, daß er noch länger liegen muß und der dann die Leistung der Krankenkasse nicht mehr erhält! Nicht die Zahlen sind erheblich, sondern die Tatsache, daß es in unserer Gesellschaft bislang Menschen gab, die diese Gesellschaft in diese Situation hineinlaufen ließ, ohne ihnen zu helfen.Ehe sich der Bundesarbeitsminister Arendt dessen annahm, hat diese Gesellschaft die Behinderten nicht so behandelt, wie Behinderte es in einer funktionierenden Gesellschaft erwarten können.
Behinderte können erwarten, daß die Gesamtgemeinschaft sie trägt, ihnen hilft, ihnen das Leben lebenswert macht, die Rehabilitation ermöglicht, so daß sie sich wieder selbst entfalten können; ich komme immer zum gleichen Punkt zurück. Wir haben die Politik für die Behinderten mit dem Ziel gemacht, daß sich der einzelne Mensch selbst entfalten kann. Dafür haben wir die Rehabilitationszentren eingerichtet. Ich sage es noch einmal: dem Bundesarbeitsminister Walter Arendt gebührt ganz besonderer Dank und Anerkennung, das in dieser Form gestaltet zu haben. Auch die anderen sozialpolitischen Maßnahmen haben ihren besonderen
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16798 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Schäfer
Stempel und ihre besondere Ausprägung durch Walter Arendt erfahren.Wir haben auch diejenigen, die das Unglück haben, arbeitslos zu sein, aus der dringlichsten Notsituation gelöst, indem wir das Arbeitslosengeld von 55 % auf 68 % erhöht und die Leistung für Kurzarbeiter von 12 Monaten auf 24 Monate erhöht haben. Das heißt, daß diese Gesellschaft denjenigen nicht im Stich läßt, der das Unglück hat, in dieser wirtschaftlichen Situation am schwächeren Hebelarm zu sitzen. Deshalb wurde auch die Sicherung durch das Konkursausfallgeld eingeführt.Wir haben die ganze Betriebssituation verändert, das Betriebsverfassungsgesetz geschaffen und es im Rahmen des Möglichen mit dem Personalvertretungsgesetz auf die öffentliche Verwaltung übertragen, wir haben das Mitbestimmungsgesetz geschaffen. Meine Damen und Herren von der Opposition, dabei erinnert man sich an Ihre Parteitage, als Sie anfingen, auf Ihren Parteitagen auch einmal Politik machen zu wollen!
Früher haben Sie das nicht getan; aber es ist erfreulich, daß Sie es einmal probiert haben. Da haben Sie Beschlüsse zur Mitbestimmung gefaßt, da haben Sie angekündigt, daß Sie mit Anträgen kommen, und nachher haben Sie gerade noch knapp den Aufsprung aufs Trittbrett geschafft, als unser Gesetz schon unter Dach und Fach war.
Aber da wurde aus Ihren Reihen heraus — ich schaue mich gerade um, aber Herr von Bismarck ist nicht da, der dies äußerte — von einem Ermächtigungsgesetz gesprochen.
Wir Sozialdemokraten haben nicht ganz das geschafft, was wir wollten,
aber wir haben die Entwicklung auf die richtige Schiene gebracht,
und wir werden sie verfolgen und werden die Mitverantwortung der Arbeitnehmer am Gesamtbetrieb auch weiterhin stärken.
Das Jugendarbeitsschutzgesetz und die Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt sind große Fortschritte und dienen genau dem, was ich eingangs sagte. Es sind staatliche Maßnahmen, damit der einzelne sich entfalten kann, oder hier: staatliche Maßnahmen, damit der einzelne nicht von anderen einzelnen in eine Situation gebracht wird, die wir nicht haben wollen, oder daß er in dieser Situation gar ausgenützt wird. Daher unsere Bemühungen umHumanisierung der Arbeitswelt. Es ist erfreulich, daß der Forschungsminister hier einen entsprechenden Forschungsauftrag gegeben hat.Wir haben für Familien das Kindergeld und das Wohngeld eingeführt, und wir haben noch etwas Neues hinzugefügt: den Pflegeurlaub bei Krankheit der Kinder, eine notwendige Ergänzung.Auch Landwirte und Selbständige haben wir nicht vergessen. Es gibt nämlich heute Situationen, bei denen wir Sozialdemokraten, die wir uns immer um die schwächsten Teile besonders gekümmert haben, uns mit der Sozialpolitik um die Landwirte und um die Selbständigen kümmern müssen. Ich erinnere mich — es war so ungefähr im Jahre 1963 —, als mein Freund Frehsee den Landwirtschaftssozialplan hier im Hause vortrug. Mit welcher Überheblichkeit haben hier einige Sprecher aus Ihren Reihen das zurückgewiesen: Landwirte sind selbständig und brauchen das nicht! Hören Sie heute einmal in landwirtschaftliche Versammlungen, in landwirtschaftliche Kreise, Herr Ritz, wie dankbar man dort ist, daß diese Maßnahmen in der Zwischenzeit getroffen wurden! Es bleibt Ihnen vorbehalten — wenn Sie je die Möglichkeit dazu hätten —, solches wieder abzuschaffen. Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu.
Lassen Sie mich als ein besonders typisches Kennzeichen sozialdemokratischer Politik sagen: Wir haben Hilfen für die Opfer von Gewaltverbrechen geschaffen.
Wenn diese Gesellschaft nicht in der Lage ist, jeden einzelnen zu schützen, dann wollen wir, daß die Opfer wenigstens im Materiellen eine Hilfe haben. Diese Hilfe haben wir geschaffen.Wir kümmern uns auch gleich um die andere Seite, um denjenigen, der straffällig geworden ist. Es war ein hartes Ringen nicht nur in diesem Hause, nein, auch mit den Ländern, um das neue Strafvollzugsgesetz. Wir wollen nicht, daß derjenige, der straffällig geworden ist, ein Leben lang unter dieser Tatsache leidet, sondern wir wollen ihm die Möglichkeit des Neuanfangens geben. Da ist es notwendig, daß alle Kräfte zusammenstehen.Wir haben große gesellschaftspolitische Entscheidungen durchgesetzt, z. B. das Eherecht. Ich erinnere an die erste Lesung in diesem Hause. Was ist dazu von Ihrer Seite nicht alles gesagt worden! Ich bin froh, daß wir es am Schluß verabschieden konnten — nicht ganz einstimmig. Es ging so schräg durch; die CSU hat im wesentlichen immer noch dagegen gestimmt, und bei der CDU war es auch eine ganze Anzahl von Abgeordneten, die dieses moderne Eherecht nicht mittragen wollten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16799
Dr. Schäfer
Wir wissen, daß wir als Gesetzgeber die Verpflichtung haben, die gesellschaftliche Entwicklung nicht nur zu beobachten,
sondern der gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Entwicklung gemäß solche Gesetze fortzuentwickeln. Das ist die Aufgabe, das ist sehr schwer. Da ist man nicht frei, sondern da ist man gebunden durch die Grundwerte der Verfassung, da ist man gebunden durch die sittlichen Gebote. In diesem Ehegesetz haben die Erkenntnisse und die Anforderungen, die wir an ein solches Gesetz stellen müssen, Ausdruck bekommen. Man kann heute noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob dieses Eherecht in allen Punkten — den Vorstellungen des Gesetzgebers gemäß — den Lebensverhältnissen gerecht wird, aber es wird ihnen auf jeden Fall eher gerecht als die seitherige Lösung.
Sie sehen, wir sind sehr bescheiden. Wir sind überall dort bescheiden, meine Damen und Herren, wo es um die Intimsphäre des Menschen geht, wo wir wissen, daß es auf den einzelnen selbst ankommt, so z. B. beim § 218.
Wir haben § 218 neu gefaßt, und ich bin froh, daß er hier letzte Woche endgültig verabschiedet worden ist. Die Reform des § 218 mit ihrer Einfassung in ein soziales Rahmenwerk ist ein Beispiel dafür, wie wir durch Reformpolitik, durch Reformgesetze Mißstände beheben. Das im Sinne des Lebensschutzes, um den es uns geht, unwirksame alte Strafrecht wurde verändert. Die mit dem sozialen Rahmenwerk verknüpfte strafrechtliche Regelung ermöglicht erst die lebensschützende Funktion des Rechts. Der bedrückende inhumane Zustand, daß ein Gesetz nur auf dem Papier steht, das werdende Leben jedoch in Wahrheit schutzlos läßt und Konfliktbeladene in die Illegalität zwingt, ist beseitigt. Darauf, daß wir das beseitigt haben, sind wir stolz.
Diese neue Ordnung wird mehr Lebensschutz bringen als die alte, die viel Unglück gebracht hat.
Ich sagte vorhin, daß wir Sozialdemokraten dort, wo es um die Intimsphäre geht, bescheiden und zurückhaltend sind. Es fällt mir deshalb ganz besonders auf, daß die CDU gerade in dieser Intimsphäre nach dem Staat ruft, so etwa bei § 218 hinsichtlich der Einrichtung von Gremien. Und bei Kriegsdienstverweigerern können Sie sich überhaupt nicht vorstellen, daß man seinem Gewissen gemäß entscheiden kann, sondern Sie wollen das Gewissen prüfen.
Damit, wie man Gewissen prüft, haben wir ja unsere Erfahrungen gemacht. Auch beim Eherecht fiel es Ihnen sehr schwer, Abschied von der staatlichen Einwirkung zu nehmen. Ich habe allen Ernstes — esfällt mir nicht leicht, das zu sagen — den Eindruck, daß die CDU/CSU dem einzelnen Menschen in dieser Situation nicht traut
und deshalb nach Staat ruft, um ihn in der Intimsphäre zu überwachen, zu beeinflussen, zu bevormunden,
während wir gerade auf diesem Gebiet sagen: Das ist Sache des einzelnen Menschen, und wir wollen seine persönliche Entfaltung.
— Das ist mein Eindruck, Herr Mertes. Ich gebe hier meinen Eindruck wieder, wie er ist. Sie dürfen ihn bereinigen.
Zu den Maßnahmen für Wohnungsbau und Städtebau brauche ich nicht viel zu sagen.
Wir haben diese Aufgabe in Angriff genommen. Wir wissen um den Wert der Wohnung für die Familie. Wir wissen um den Wert der gewachsenen Städte und wollen nicht anstelle der gewachsenen, historisch schön gewachsenen Städte Steinwüsten.
Wir wollen nicht die Verelendung im Zentrum, in der City der Städte, sondern wir wollen sie sanieren.
Und dafür haben wir großzügige Programme eingeleitet. Ich kann Ihnen ganze Listen dessen vorlegen, was bayerische Städte dafür laufend bekommen, bayerische Städte, Herr Stücklen, die dann erfolgreich mit Hilfe der Aktionen dieser Regierung die historischen Stätten erhalten können, und ich denke, daß auch Sie das für gut halten.
Zum Verbraucherschutz will ich nur ein paar Bemerkungen machen, und zwar in zweifacher Hinsicht. Da geht es um die Gruppe derjenigen, die im wirtschaftlichen Vorgang die Schwächsten sind, und da geht es auf der anderen Seite um die Gruppe, die im gesamten Wirtschaftsvorgang eine ganz entscheidende Funktion zu erfüllen hat. Ich erinnere an das Kartellgesetz, an das Abzahlungsgesetz, an das Arzneimittelgesetz und dabei — das muß ich hier im Plenum sagen, weil wir so viele Zuschriften
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16800 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Schäfer
bekommen haben — an die ausreichenden und richtigen Vorschriften bezüglich der Heilmittel.
— Wir haben die Mehrheit, sonst könnten wir es ja nicht beschließen, Herr Stücklen.
Ich erinnere weiter an das Mieterschutzgesetz, und auch das Datenschutzgesetz ist hier zu nennen, das die Persönlichkeitssphäre des einzelnen abschirmen soll. Und vergessen Sie bitte nicht, daß diese Regierung den Mut hatte, das Wirtschaftsstrafrecht in Angriff zu nehmen, um den Whitecollar-Verbrechern endlich beizukommen, um endlich Straftatbestände zu schaffen, aus denen sich die ganz großen Spitzbuben nicht herauswinden können.
In dieser Legislaturperiode ist die Umweltschutzgesetzgebung ein großes Stück vorangekommen. Ich bedaure, daß sich die CDU entgegen der Aussage in ihrer Wahlkampfplattform und entgegen dem, was Herr Carstens in seinem Buch geschrieben hat, nicht in der Lage sah — aus welchen Gründen auch immer —, den erforderlichen Grundgesetzänderungen zuzustimmen. Aber ich anerkenne, daß die CDU im Innenausschuß und hier im Plenum alle diese Gesetze mitgestaltet und mitgetragen hat, und ich halte das für gut so.Ich will trotzdem hier aufzählen, was alles in dieser Zeit geschehen ist. Kurz vorher war es das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, und es war vor einem Jahr das Benzinbleigesetz; da gab es viele Stimmen, und nachher wurde es ganz still. Ich nenne das Immissionsschutzgesetz, das gerade für Nordrhein-Westfalen seine besondere Bedeutung hat, das Abfallbeseitigungsgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz zur Reinhaltung des Wassers, das Wasserabgabengesetz und die Erörterung und Einflußnahme in Sachen Reaktorsicherheit.Gerade hier, meine Damen und Herren, sind wir uns doch hoffentlich darin einig, daß nur der Staat in der Lage ist, diejenigen, die die Luft und das Wasser für sich bei ihrer gewerblichen Produktion in Anspruch nehmen und es verunreinigt weitergeben, zu richtigem Verhalten anzuhalten, damit der einzelne wieder die Grundvoraussetzungen — normale Luft, gesundes Wasser — haben kann. Und weil der Parteivorsitzende Willy Brandt hier sitzt, drängt es sich auf, zu sagen: Als er 1961 danach verlangte, als er sagte, der Himmel über der Ruhr muß wieder blau werden, haben Sie alle gelacht.
Heute kämpfen wir mühsam darum, und wir sind in dieser Legislaturperiode einen guten Schritt weitergekommen.Lassen Sie mich hier sagen: Wir sind dem Bundeskanzler dafür dankbar, daß er die Beratung auf Schloß Gymnich durchgeführt hat, dafür, Herr Bundeskanzler, daß Sie alle — alle Fraktionen, alle beteiligten Wirtschaftskreise — an den Tisch geholt haben. Das ist ein gutes Zeichen der Zusammenarbeit, das ist eine gute Art, politische Entscheidungen vorzubereiten, wo es so sehr darauf ankommt, die richtige Abgrenzung der Interessen zu finden. Herr Bundeskanzler, von dieser Tagung auf Schloß Gymnich gingen wertvolle Impulse aus, und wir konnten, auf dieser Tagung aufbauend, die weiteren Gesetze beschließen.Ich muß hier noch ein Wort sagen, weil beim Umweltschutz eine Besonderheit eine Rolle spielt, nämlich die Fortentwicklung von Wissenschaft und Technik. Hier kommt es entscheidend darauf an, welche Regierung diese Gesetze anwendet, welche Regierung den Mut hat, die notwendigen Verordnungen, die der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik entsprechen, zu erlassen. Wir haben zu dieser Regierung das Vertrauen, daß sie dies tut, und wir wissen, daß es notwendig ist, die Arbeit in diesem Sinne fortzuführen.Meine Damen und Herren, auf dem Gebiet der inneren Sicherheit hat diese Bundesregierung ihren Beitrag geleistet. Sie hat das Bundeskriminalamt ausgebaut. Sie hat den Bundesgrenzschutz zur Polizeireserve ausgebaut. Wir haben die Zusammenarbeit mit den Ländern mit einem einheitlichen Programm gefördert. All Ihr Angstgeschrei, das Sie zwischendurch immer wieder anstimmten, hat doch nicht weitergeführt. Wir haben gerade in diesen Tagen Grund, allen Bediensteten der Sicherheitsbehörden unser Vertrauen und unsere Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die im Interesse der Sicherheit des Bürgers, im Interesse des Staates ihr Leben und ihre Gesundheit einsetzen.
Wir haben die Auseinandersetzung mit den verfassungsfeindlichen Parteien gesucht. Es ist unser Erfolg, daß der Stimmenanteil der NPD 1972 unter 0,5 O/o lag und der der DKP ebenfalls. Das heißt, daß diese Bundesregierung und die Parteien, die diese Regierung tragen, die politische Auseinandersetzung gegen die Gegner dieses Staates mit Erfolg geführt haben, und darauf kommt es letztlich an.
Wir verteidigen diesen Staat. Wir verteidigen ihn mit rechtsstaatlichen Mitteln. Deshalb bedauern wir, daß Sie dem Gesetz über dienstrechtliche Vorschriften, das wir im Oktober hier beschlossen haben, im Bundesrat nicht zugestimmt haben. Wir bedauern das, und wir ermuntern Sie, auf das Gebiet des Rechts zurückzufinden, auf das Gebiet, das das Verfassungsgericht sauber abgegrenzt hat.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nur noch einige Bemerkungen. Diese Bundesregierung hat in der Atlantischen Gemeinschaft die Stellung der Bundesrepublik gefestigt. Die Bundeswehr hat ihren vertraglichen Beitrag geleistet. Ich möchte hier nur auf eines hinweisen, was mir enorm wichtig erscheint, nämlich auf die innenpolitisch entscheidende Frage der Entwicklung der Bundeswehr. Dazu hat der Bundesverteidigungsminister in der Debatte
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Dr. Schäfer
am 15. Januar 1976 einige rhetorische Fragen gestellt, die folgendermaßen lauten:Wann war eine deutsche Armee jemals in Freiheit besser in Staat und Gesellschaft eingebettet? Wann war sie jemals so wie die Bundeswehr ein so natürlicher Teil des Ganzen und von allen Schichten der Bevölkerung getragen wie in unserer Gegenwart?Ist es nicht ungeheuer viel, daß es gelungen ist, daß gute Disziplin und menschliche Würde in einem solchen Maße sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern als sich miteinander vereinbarende Elemente in unserer Bundeswehr anzutreffen sind? Dies ist ein ungeheurer Vorgang!Meine Damen und Herren, das ist eine Entwicklung, wie wir sie uns immer gewünscht haben.
Das ist eine Entwicklung, wie sie nur unter sozialdemokratischer Führung möglich war, unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler Brandt und einem Verteidigungsminister Schmidt, unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler Schmidt und einem sozialdemokratischen Verteidigungsminister Georg Leber.
Ich glaube, es ist kein Zufall, daß Georg Leber ein aktiver Gewerkschafter ist, der diese Weiterentwicklung ermöglichen konnte.
Das ist für die deutsche Gesamtentwicklung ein ganz entscheidender Faktor.
Meine Damen und Herren, wir unterstützen die Bundesregierung in ihrem Bemühen zu einem friedlichen Miteinander der beiden deutschen Staaten zu kommen. Wir wissen, wie schwer das ist. Wir wissen, wie viele kleine Schritte dazu notwendig sind. Die Opposition war bei diesem Bemühen bislang nicht hilfreich. Mir ist keine positive und keine hilfreiche Kritik bekanntgeworden.Wir unterstützen die Europapolitik der Bundesregierung. Wir ermuntern sie, darauf zu drängen, daß der nächste große politische Schritt, nämlich die Direktwahl für das Europäische Parlament, trotz aller außerhalb der Bundesrepublik liegenden Schwierigkeiten doch noch ermöglicht wird.Wir unterstützen die Außenpolitik dieser Regierung. Es gibt keine Alternative zur Politik der Friedenssicherung. Die Bundesrepublik leistet ihren Beitrag zu dieser Politik auf der Basis eigener Sicherheit im Rahmen der NATO in enger Abstimmung mit den Verbündeten. Wir unterstützen nachdrücklich diese Bemühungen.Die Politik der CDU/CSU hätte die Bundesregierung in eine gefährliche Isolation getrieben. Ich erinnere Sie daran, daß Sie sich am 17. Mai 1972 bei der Abstimmung über den Moskauer Vertrag der Stimme enthalten haben, daß Sie gegen denGrundvertrag gestimmt haben, daß Sie beim Abschlußvotum über Helsinki glaubten als einzige politische Kraft in Europa der Regierung empfehlen zu müssen, nicht zuzustimmen. Und Sie haben hier, Herr Carstens, gegen die Polenverträge gestimmt. Sie sollten der Frage nicht ausweichen, Herr Carstens, die ich Ihnen hier ausdrücklich stelle: Was bedeutet der 12. März 1976, die Abstimmung im Bundesrat, für diese CDU/CSU-Opposition im Bundestag?
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat Sie wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß Sie eines Tages vor diese Frage gestellt sein werden, vor die Frage, wann Sie Ihren 30. Juni 1960 haben werden. Sie müssen hier heute deutlich machen, ob die Friedenspolitik der Bundesregierung für die Zukunft auch und gerade auf diesem Gebiet von einer einheitlich getragenen Bunestagsmeinung ausgehen kann.Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen. Die Bundesregierung hat ihre Aufgaben gemeistert. Sie hat Initiative entfaltet. Sie hat das Ansehen der Bundesrepublik gemehrt. Sie hat das Vertrauen nicht nur dieses Hauses, sie hat das Vertrauen des deutschen Volkes.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Carstens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre sicher verlockend, sich mit der Rede des Herrn Kollegen Schäfer im einzelnen auseinanderzusetzen.
Aber ich möchte die Debatte gern auf ihren eigentlichen Gegenstand zurückführen, nämlich auf eine Auseinandersetzung mit der Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung.
Ich möchte mit einigen Bemerkungen zum Regierungsstil des Bundeskanzlers beginnen und eine anerkennende Bemerkung vorausschicken, nämlich die, daß der Bundeskanzler eine sehr große Arbeitslast bewältigt. Er arbeitet nahezu ununterbrochen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, daß es vielleicht besser wäre, wenn er etwas weniger arbeiten und dafür etwas mehr nachdenken würde.
Dann würden ihm manche der schweren Entgleisungen, der Fehlurteile und Fehleinschätzungen, deren er sich schuldig gemacht hat, vielleicht nicht unterlaufen sein.
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16802 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Carstens
Wir müssen immer wieder daran erinnern, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen wir seit über einem Jahr stehen, die schwere Arbeitslosigkeit, die Rezession, die mangelnde Bereitschaft der Wirtschaft zu investieren, ihren Ursprung in der Inflationspolitik der Regierung von SPD und FDP in den Jahren 1969 bis 1973 haben.
Damals wurde der Grund für die spätere Rezession gelegt. Die Erklärung, daß dies alles auf weltweite Einflüsse zurückgehe, ist eine insofern falsche Erklärung, als sie die entscheidende Verantwortung der Bundesregierung für diesen Sachverhalt verschweigt.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auf den sich der Herr Kollege Schäfer eben so oft bezogen hat,
hat in seinem Gutachten vom 24. November 1975 gesagt — ich zitiere —:Es war ein Irrtum, zu glauben, man könne den Beschäftigungsrisiken ausweichen, wenn man der Inflation ihren Lauf ließ.
Meine Damen und Herren, diesem Irrtum des jetzigen Bundeskanzlers und damaligen Bundesfinanzministers Schmidt verdanken über 1 Million deutscher Bürger, daß sie ihren Arbeitsplatz verloren haben,
und verdanken über 20 000 Betriebe, daß sie in dieser Zeit endgültig haben schließen müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wir haben den Sprecher der SPD in Ruhe angehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch mich in Ruhe anhörten.
In ihrer Wahlplattform, die sie gestern der Offentlichkeit übergeben hat, präsentiert sich die SPD dem Wähler als eine Partei der Vollbeschäftigung. Man muß sich fragen, ob dieser Satz den Arbeitnehmern und insbesondere den Arbeitslosen nicht wie Hohn in den Ohren klingt.
Leider — leider! — ist die SPD eine Partei geworden, die Arbeitslosigkeit und damit sozialen Rückschritt bewirkt hat.
Die CDU/CSU hat in den 20 Jahren, in denen sie regierte, bewiesen, daß man beide Ziele des Stabilitätsgesetzes, Vollbeschäftigung und Preisstabilität, gleichzeitig verwirklichen kann.
Damals war die Arbeitslosenquote durchweg unter 1 %, und die Preissteigerungen bewegten sich durchweg unter 2 %.
Wäre die Regierung den Mahnungen der Opposition nach 1969 gefolgt, ihren ständigen Appellen zu mehr Disziplin im Haushalt, zu mehr Preisdisziplin, dann wäre diese schwere Krise an dem deutschen Volk vorübergegangen.
SPD und FDP haben 1969 eine Wirtschaft übernommen, die sich in einer Aufschwungsphase befand.
Sie haben den Aufschwung verspielt.
Man muß alles daransetzen, daß diese Regierung nicht auch den neuen, sich jetzt vorsichtig abzeichnenden Aufschwung verspielt.
Mitte 1975 sagte der Bundeskanzler, er mache sich wegen der finanziellen Lage des Bundes keine Sorgen. Ende des Jahres 1975 hatte der Bund allein für das Jahr 1975 40 Milliarden DM neue Schulden aufgenommen, und für dieses Jahr müssen wir mit einer neuen Schuldenbelastung von 32 Milliarden DM rechnen.
Die Bundesregierung von SPD und FDP hat von ihrer Vorgängerin, von CDU und CSU, einen Bundeshaushalt übernommen, der mit einem Überschuß von 1,9 Milliarden DM abschloß.
Das sind einige Beispiele für fundamentale Fehlurteile des Bundeskanzlers in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik.Aber auf dem Gebiet der Außenpolitik sieht es keineswegs besser aus. Um die Ostpolitik seiner Regierung als erfolgreich präsentieren zu können, erklärte der Bundeskanzler kurzerhand, die sowjetische Invasion in Angola habe mit Entspannung nichts zu tun; denn Angola liege in Afrika, und die Entspannungspolitik beziehe sich auf Europa. Einen folgenschwereren Irrtum als diesen habe ich aus dem Munde eines Regierungschefs selten gehört.
Bis dahin waren sich alle Parteien im Deutschen Bundestag, waren sich alle Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft darüber einig, daß das Schicksal Afrikas von großer, vielleicht entscheidender
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16803
Dr. Carstens
Bedeutung für das Schicksal Europas sein würde. Das ist der wichtigste politische Grund dafür, daß die EWG seit ihrem Bestehen in den 50er Jahren eine Assoziationspolitik mit den afrikanischen Staaten betrieben hat.Den möglichen Eintritt von Kommunisten in die Regierungen von NATO-Staaten bezeichnete Bundeskanzler Schmidt zwar als unerwünscht; aber das sei, so sagte er, keine Katastrophe. Diese merkwürdigen Äußerungen müssen italienische Wähler geradezu als eine Ermutigung ansehen, ihre Stimme der KPI zu geben.
Und was heißt „keine Katastrophe" ? Was werden die Amerikaner tun, wenn in Italien eine kommunistische Regierung die Macht übernimmt? Werden die amerikanischen Stützpunkte in Neapel und an anderen Stellen in Italien bleiben?
Glauben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, daß der deutsche Steuerzahler bereit sein wird, weiterhin Milliardenbeträge über die EWG zur Verfügung zu stellen, damit in Italien ein kommunistisches Regierungsexperiment finanziert wird? Das können Sie doch ernsthaft nicht annehmen.
Deswegen muß man sagen, was andere Staatsmänner, der französische Staatspräsident und der amerikanische Präsident, gesagt haben: Der Eintritt von Kommunisten in die Regierung eines NATO-Staates, insbesondere Italiens, würde zu einer schweren Belastung sowohl der NATO wie der Europäischen Gemeinschaft führen.Kurz darauf unternahm der Bundeskanzler etwas, was ich einen außenpolitischen Rundumschlag nennen möchte. Er sagte, Salazar in Portugal, Franco in Spanien, die Democrazia Cristiana in Italien und de Gaulle in Frankreich seien für die rückständige Gesellschaftsordnung und für das Anwachsen der kommunistischen Parteien in diesen Ländern verantwortlich.Meine Damen und Herren, diese Äußerung ist zunächst sachlich falsch. Ich möchte darauf hinweisen, daß, solange in Italien die Democrazia Cristiana allein regierte, Italien einen phänomenalen wirtschaftlichen Aufschwung nahm.
Erst als sich die Democrazia Cristiana nach links öffnete und die Sozialdemokraten und Sozialisten — —
— Ja, meine Damen und Herren, es gibt bittere Wahrheiten, die hört man nicht gern; das verstehe ich vollkommen.
Aber ich kann sie Ihnen nicht ersparen. — Erst mit der Öffnung nach links begannen die Schwierigkeiten in Italien. Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn sich der Bundeskanzler an seine ihm nahestehenden Parteifreunde in Italien, an die Sozialisten und Sozialdemokraten, gewandt und sie auf ihre schwere Verantwortung für die italienische Regierungskrise hingewiesen hätte.
In Frankreich ist es so, daß Millionen von Franzosen in de Gaulle den großen politischen Führer Frankreichs in diesem Jahrhundert sehen und verehren. Der französische Premierminister Chirac hat in einer Rede vor der Nationalversammlung gesagt, der große deutsche Bundeskanzler von damals — damit war Konrad Adenauer gemeint — und der Führer des freien Frankreich — damit war de Gaulle gemeint — hätten die deutsch-französische Freundschaft besiegelt. Er hat sich sehr verwundert über die Bemerkungen des Bundeskanzlers zum GaullismuF geäußert. Die französische Presse hat in scharfen Worten das Verhalten des Bundeskanzlers kritisiert.Jetzt sagt der Bundeskanzler, wie ich heute gelesen habe, die Behauptungen über eine Verstimmung zwischen Bonn und Paris seien durch den Wahlkampf in der Bundesrepublik motiviert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lassen Sie sich einmal die französischen Zeitungen und lassen Sie sich einmal das Protokoll über die Sitzung der Nationalversammlung vorlegen; dann werden Sie eines Besseren belehrt werden.
In ihrer schon erwähnten Wahlplattform empfiehlt sich die SPD als Partei der Völkerverständigung. Ich kann nur sagen: Wenn der Bundeskanzler so weitermacht, dann wird er das 20jährige Werk der Völkerverständigung, welches wir in den zurückliegenden Jahrzehnten aufgebaut haben, aufs Spiel setzen.
Ich möchte ein paar Worte zur Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung sagen. Die ursächliche Bedeutung der Inflationspolitik von 1969 bis 1973 für die sich anschließende Rezession und Arbeitslosigkeit habe ich schon hervorgehoben. Der Staatsapparat wurde in dieser Zeit in einer Weise aufgebläht, wie wir es nie zuvor gekannt hatten. Eine Flut von Gesetzen strömte auf den Bürger zu; fast
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jedes Gesetz erforderte neue Planstellen beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden.
Es gab niemanden, der darauf achtete, daß auf diese Weise der Staatsanteil am Sozialprodukt rapide anwuchs: von 37 % im Jahre 1969 auf 48% im letzten Jahr.
Planlos wie die Finanzpolitik war auch die Steuerpolitik dieser Regierung. Noch im Jahre 1974 erklärte Herr Apel, der jetzige Finanzminister, niemals werde die SPD einer Mehrwertsteuererhöhung zustimmen, denn die Mehrwertsteuer sei eine sozial ungerechte Steuer, und es wäre ein schlechter Witz, wenn ausgerechnet die Sozialdemokraten diese Steuer erhöhten. Im Jahre 1975 forderte er die Erhöhung dieser Steuer um zwei Punkte, ohne auf seine damaligen Äußerungen überhaupt auch nur mit einem Wort einzugehen.
Die steuerliche Belastung der Wirtschaft und der Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen hat unerträgliche Ausmaße angenommen. Die Wirtschaft zahlt die höchsten ertragsunabhängigen Steuern in ganz Westeuropa. Dem deutschen Arbeitnehmer wird der größte Teil jeder Lohnerhöhung sofort wieder durch Steuern und Abgaben weggenommen.
Im ZDF hat vor einigen Tagen ein Baufacharbeiter, Herr Kollege Ehrenberg, seine Lohntüte vorgelegt und berichtet, daß ihm von 95 DM Lohnerhöhung, die er erhalten hatte, ganze 16 DM verblieben,
denn 83 °/o kassierte der Staat in Form von Steuern und Abgaben.
Herr Kollege Schäfer, Sie haben von der Entlastung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen berichtet. Im empfehle Ihnen, unterhalten Sie sich darüber einmal mit dem Baufacharbeiter, der seine Sorgen im Zweiten Deutschen Fernsehen dem deutschen Fernsehpublikum dargelegt hat.
Meine Damen und Herren, das ist alles typisch für sozialistische Finanzpolitik,
die dem Staat bedenkenlos immer mehr Aufgaben überträgt und den Bürger die Zeche dafür bezahlen läßt.
Nun rühmt sich die Bundesregierung, daß sie das Netz der sozialen Sicherheit geschaffen habe, dessen sich unser Volk erfreut. Der Union wirft der Bundeskanzler vor, sie würde den sozialen Frieden gefährden.
Eine größere Verdrehung von Tatsachen hat man selten erlebt.
Für die CDU/CSU gibt es — ich sage es mit großemNachdruck — keine Freiheit ohne soziale Sicherheit.
Soziale Sicherheit und Freiheit gehören zusammen.
Soziale Sicherheit ist aber etwas vollkommen anderes als eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die wir ablehnen und bekämpfen.
Unser Leitmotiv heißt soziale Marktwirtschaft, und im Zeichen dieses unseres wirtschafts- und sozialpolitischen Leitmotivs haben wir in 20 Jahren ein Netz von Maßnahmen der sozialen Sicherung und Sicherheit geschaffen, von denen ich einige wenige, nur die wichtigsten, hier nennen möchte: die Versorgung der Kriegsopfer; die dynamische Rente, die im Jahre 1957 eingeführt wurde.
Herr Kollege Schäfer hat eben darauf hingewiesen, daß die Renten in den letzten Jahren um 100 °/o gestiegen seien. Herr Kollege Schäfer, Sie sind deswegen gestiegen, weil die Union 1957 die dynamische Rente eingeführt hat und weil Ihre, die von Ihnen getragene Regierung, eine unverantwortliche Inflationspolitik getrieben hat.
Das sind die beiden Elemente, auf denen diese Tatsache beruht.Wir haben die wirtschaftliche Sicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfall 1957 eingeführt,
wir haben 1954 das Kindergeld eingeführt,
wir haben die Arbeitslosenversicherung 1956 ausgebaut; die Mitbestimmung in der Montanindustrie und in den übrigen Betrieben wurde 1951 und 1952 durch CDU/CSU-Regierungen eingeführt; das Bundessozialhilfegesetz,
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Dr. Carstens
das wichtige Gesetz, eine Grundlage der sozialen Sicherung, wurde im Jahre 1962 durch eine Unionsregierung beschlossen
und durch den Bundestag verabschiedet. — Es wurde von der Regierung beschlossen und durch den Bundestag verabschiedet, Herr Kollege Konrad.
Herr Kollege Schäfer, Sie haben eben gesagt: „Wir" — damit meinten Sie offenbar die SPD —„haben das Betriebsverfassungsgesetz geschaffen." Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, daß das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 datiert — und da regierte Ihre Partei in diesem Land nicht!
Ich bestreite nicht, daß die SPD und die FDP mit Unterstützung durch die CDU und die CSU diesem Netz der sozialen Sicherheit einige Maschen hinzugefügt haben.
Aber wenn man das gesamte Bild betrachtet, muß man einfach nüchtern feststellen, daß mehr als 90 % dessen, was wir soziale Sicherheit in unserem Land nennen, von Unions-Regierungen unter Unions-Arbeitsministern — Anton Storch, Theo Blank und Hans Katzer — geschaffen worden sind.
Sie hingegen haben allenfalls vielleicht 5 % des Gesamten hinzugefügt.
Aber unter dieser Regierung aus SPD und FDP ist eine Entwicklung eingetreten,
die wir noch nie vorher festzustellen hatten, eine Entwicklung, die die finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung und überhaupt der Sozialversicherung in Mitleidenschaft zieht.Es hat keinen Zweck, wenn der Herr Kollege Schäfer und andere in diesem Zusammenhang davon sprechen, hier werde „Panikmache" — oder was weiß ich — betrieben.
Mit diesen billigen Tricks werden Sie die deutschen Bürger nicht mehr beeindrucken können!
Sie haben „Panikmache" gerufen, als wir vor den Folgen der Inflation warnten. Sie haben „Panikmache" gerufen, als wir vor der bevorstehenden Arbeitslosigkeit warnten. Sie haben „Panikmache" gerufen, als wir Ihnen sagten, Sie zerrütten die Bundesfinanzen und die öffentlichen Finanzen.Damit, daß Sie jetzt wieder „Panikmache" rufen, bringen Sie das Problem nicht aus der Welt.
Wir beziehen uns auf jene, die es wissen müssen, unter anderem auf den Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger. Er hat davon gesprochen, daß seine finanziellen Reserven, wenn die Entwicklung so weitergeht, in kurzer Zeit aufgebraucht sein werden. Der Vorsitzende dieses Verbands ist Herr Muhr, ein Parteifreund von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, und stellvertretender Vorsitzender des DGB.Ein Wort zur Bildungspolitik: Vor mir liegt der Bericht der Bundesregierung zur Bildungspolitik aus dem Jahr 1970. Darin entwickelt die Bundesregierung die bekannten Zielvorstellungen, daß bis 1980 50 % aller Jungen und Mädchen das Abitur machen sollten und die Hälfte davon ein Hochschulstudium absolvieren solle. Ungeheure Geldmittel sind in dieses Projekt gesteckt worden.Was ist das Ergebnis? Die Hochschulen sind überfüllt. Ein Numerus clausus verhindert den Zugang zu fast allen Fächern.
— Herr Kollege Schweitzer, ich spreche von dem Bildungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1970, und mit ihm setze ich mich auseinander. — Zu Beginn dieses Jahres konnte nur ein Drittel der Bewerber Studienplätze finden. Dabei gibt es schon jetzt Arbeitslosigkeit unter den jungen Akademikern. Auf die jüngeren Jahrgänge in den Schulen kommt ein Leistungsdruck zu, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Väter und Mütter werden zu Hilfslehrern der Nation. Eine Art Verdrängungswettbewerb breitet sich an den Schulen aus.Das alles hat eine Partei bewirkt — das muß man sich vorstellen! —, die die humane, von Leistungszwang und Leistungsdruck freie Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Herr Kollege Schäfer, ich habe mit — wenn Sie so wollen — Andacht gehört, wie Sie davon gesprochen haben, es sei das Ziel der Politik der SPD, den Menschen zu befreien und dem Menschen die Möglichkeit zu geben, sich frei zu entfalten. Bloß: Da, wo Sie konkrete politische Probleme anzupacken und zu lösen haben, bewirken Sie leider häufig das genaue Gegenteil von dem, was Sie vorhaben.
Es war ein Irrweg, zu glauben, daß nur Akademiker dafür vorbestimmt seien, führende Stellungen in Staat und Gesellschaft einzunehmen. Es ist ein, wie ich sagen möchte, tragischer Irrtum, daß ausgerechnet die SPD einer solchen falschen Zielvorstellung verfallen ist. Mit Interessen der Arbeitnehmer hat das alles überhaupt nichts zu tun. Es ist Ausdruck
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ideologischer Zielvorstellungen von Sozialisten, für die ich drei Namen stellvertretend nennen darf: die Herren von Oertzen, von Friedeburg und von Dohnanyi.
Hunderttausende junger Menschen spüren die Folgen dieser verfehlten, von sozialistischen Ideologen eingeleiteten und durchgeführten Bildungspolitik.In ihrer schon mehrfach erwähnten Wahlplattform hat die SPD die Abschaffung des Numerus clausus gefordert.
Meine verehrten Damen und Herren, das hat sie schon einmal getan: 1970 hat sie in ihrer damaligen Wahlplattform die Abschaffung des Numerus clausus für das Jahr 1975 gefordert, und im Jahre 1975 war der Numerus clausus schärfer als jemals vorher. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat denn auch bereits gestern gesagt, daß das, was die SPD jetzt in ihrer Wahlplattform vorschlägt, in ein Chaos bei den Universitäten führte.Dabei haben Bundesregierung, SPD und FDP übersehen, daß der entscheidende Teil unseres Bildungssystems, derjenige Teil, durch den immerhin 75 % der jungen Menschen laufen, das große Gebiet der beruflichen Bildung nämlich,
einer Intensivierung, einer Verbesserung, einer Verstärkung bedürfte. Jahrelang hat sich die Regierung mit Gesetzentwürfen intern, unter sich selbst, herumgeschlagen. Das, was sie uns jetzt vorschlägt und vorlegt, wird nicht das Ziel erreichen, auf das es in erster Linie ankommt, nämlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß mehr Ausbildungsplätze angeboten werden.
Nicht durch eine Verbürokratisierung der beruflichen Bildung schafft man mehr Ausbildungsplätze, sondern dadurch, daß man echte Anreize gibt, allerdings auch dadurch, daß man der Wirtschaft endlich das Vertrauen gibt, welches diese Regierung und vor allem die sie tragende große Partei gerade nicht gegeben haben.
Herr Kollege Schäfer ist auf die Gesundheitspolitik eingegangen. Gestatten Sie mir, auch dazu ein Wort zu sagen. Das ist auch ein sehr lehrreiches Beispiel zu dem Thema „Sozialismus ist gleich freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit".
Mit dem Arzneimittelgesetz, das uns die Regierung vor über einem Jahr vorlegte, wurde der Versuch unternommen, die Verwendung von Naturheilmitteln einzuschränken und abzublocken.
Dieser Versuch ist mißlungen. Die Union hat dafür gesorgt, daß das Gesetz jetzt in einer Fassung verabschiedet worden ist, die diese Gefahr vermeidet.
Frau Bundesministerin Focke verteilt — wie ich annehme: auf Kosten des Steuerzahlers —
eine Broschüre, mit der die Bürger beruhigt werden sollen und in der gesagt wird: Die Naturheilmittel werden bleiben.Meine Damen und Herren, die ursprünglichen Zielsetzungen des Entwurfs waren eindeutig völlig andere.
Der Präsident des Bundesgesundheitsamtes, Herr Professor Fülgraff, hat diese Zielvorstellungen ganz klar ausgesprochen. Die Naturheilmittel seien, so sagte er, Ausdruck eines Sektierertums, und davor müsse man die Bürger schützen. Auf den Einwand, daß doch mehr als die Hälfte der Bürger diese Naturheilmittel und ihre Anwendung wünschten, antwortete Herr Professor Fülgraff — ich zitiere aus dem „Deutschen Ärzteblatt" — folgendes.
— Nein, aber er ist der Präsident des Bundesgesundheitsamtes und von der Frau Ministerin Focke in dieses Amt berufen worden. Herr Fülgraff sagte wörtlich:Die Tatsache, daß die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung die besonderen Heilverfahren wünscht, kann kein Argument sein. Ein weit größerer Prozentsatz wünscht beispielsweise die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Das ist für eine sozialistische Einstellung typisch!
Dem Sozialisten ist es einerlei, was der Bürger wünscht. Dem Bürger wird von Staats wegen verordnet, was er zu wünschen hat.
Herr Kollege Fiebig von der sozialdemokratischen Fraktion hat sich zu dem gleichen Sachverhalt geäußert, und ich möchte gern auch von ihm einige Sätze hier zitieren dürfen, die im „Deutschen Ärzteblatt" abgedruckt sind. Herr Kollege Fiebig von der sozialdemokratischen Fraktion sagt:In letzter Konsequenz würden Professor Fülgraffs Forderungen eine Änderung der Gesellschaftsordnung in der Richtung einer leninistischen Umprägung zur Folge haben. Der Behandlungsauftrag würde dann vom Staat erteilt, der Arzt wäre Erfüllungsgehilfe des Staates und hätte dessen Richtlinien durchzuführen. Der Bürger wäre nur noch ein Mittel des Staates, dieDr. Carstens
ärztliche Fürsorge würde ihm entsprechend derideologischen Zielsetzung zuteil, in bezug aufseine Persönlichkeitsrechte wäre er entmündigt.
Besser kann ich es auch nicht ausdrücken,
als Herr Kollege Fiebig das ausgedrückt hat; aber ich denke, es wird nun deutlich, daß Sozialismus und Unfreiheit wohl etwas miteinander zu tun haben könnten. Ich werde mich diesem Thema nachher noch etwas näher und genauer zuwenden.
Mit absoluter Sicherheit wird nachher jemand von der SPD-Fraktion aufstehen und sagen, das stimme alles nicht, was ich hier gesagt hätte. Das ist leider der Debattenstil,
dessen sich unsere Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion in immer größerem Umfang bedienen. Aber demjenigen, der dann hier sprechen wird, möchte ich in diesem Zusammenhang gern noch ein weiteres Zitat entgegenhalten, mit dem er sich dann freundlicherweise auch auseinandersetzen möchte. Das ist ein Zitat aus einer Rede unseres Kollegen Spitzmüller von der FDP vom 1. April dieses Jahres. Herr Kollege Spitzmüller hat damals gesagt:Die vorgebrachten Bedenken gegen den ursprünglichen Entwurf des Arzneimittelgesetzes waren nicht unbegründet. Schon im Herbst 1974 warnten wir öffentlich davor, die Naturheilmittel durch engherzige Zulassungsvorschriften vom Markt zu verdrängen.Sie können fragen: Warum rede ich so viel über dieses Thema?
Aber ich denke, es gibt kaum ein Thema, welches den Irrweg sozialistischer Zielvorstellungen deutlicher beleuchtet als dies;
denn es kommt noch hinzu, daß die Naturheilmittel die billigsten aller Medikamente sind, die sich auf dem Markt befinden. Es gehört wirklich die ganze Verbohrtheit eines sozialistischen Fanatikers dazu, um ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die Krankenversorgung unter einer Kostenexplosion zusammenzubrechen droht, die billigsten Mittel, die es auf dem Markt gibt, vom Markt zu verdrängen.
Lassen Sie mich einige wenige Worte zur Außenpolitik sagen. Während der Debatte über die Konferenz in Helsinki zur europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit, die vor einem Jahr stattfand, hat die CDU/CSU, mein Kollege Strauß und ich, eindringlich auf die Gefahrensituation hingewiesen, die sich in Afrika, speziell in Angola, abzeichnete. Wir haben davor gewarnt, nach Helsinki zu fahren, die Dokumente zu unterzeichnen und dieses Thema Angola und die damals schon deutlich sichtbare kommunistische und sowjetische Infiltration in Angola einfach zu ignorieren. Der Bundeskanzler hielt uns entgegen: „Wenn wir dem Vorschlag der Union folgten, würde dies unser Land in die Isolierung führen." — Inzwischen hat sich allerdings außerhalb der Bundesregierung in der Welt weitgehend herumgesprochen, wie verhängnisvoll der politische Fehler, den wir damals gekennzeichnet haben, gewesen ist. Präsident Ford sagt, er wolle von Entspannungspolitik nicht mehr sprechen, sondern seine Politik künftig die „Politik des Friedens durch Stärke" nennen. Und sein vermutlicher demokratischer Gegenkandidat, Herr Carter, hat gesagt: Wir — der Westen, die Amerikaner — wurden in Helsinki düpiert.
So stellt sich das Bild heute, nach knapp einem Jahr, dar. Aber damals hieß es: Ihr von der Union versteht nichts von Außenpolitik, ihr würdet unser Land in die Isolierung führen. — Wir hätten, wenn die Bundesregierung unserem Vorschlag gefolgt wäre, die Entwicklung in Angola vielleicht verhindert, meine Damen und Herren.
— Dann reden Sie aber von der Verbohrtheit der Herren Ford und Carter; dann schließen Sie sie gleich in den Vorwurf der Verbohrtheit mit ein. Da befinden Sie sich in allerbester Gesellschaft, Herr Ehrenberg.
Die Entspannungspolitik dieser Regierung litt und leidet unter drei fundamentalen Fehlern. Die Bundesregierung hat von Anfang an verkannt, daß der Osten und der Westen mit dieser Politik unterschiedliche Ziele verfolgten, und hat deswegen Vorgänge ignoriert, z. B. die starke Aufrüstung der Sowjetunion während dieser Jahre, die für das Schicksal unseres Kontinents und unseres Landes von größter Bedeutung sein können. Die Bundesregierung hat zweitens den fundamentalen Fehler gemacht, ihre Ost- und Entspannungspolitik immer in Eile, immer unter Zeitdruck durchzuführen. Der Terminkalender, so hieß es, dürfe nicht durcheinandergebracht werden.Herr Kollege Schäfer, Sie haben hier von den Polen-Verträgen gesprochen. Die Polen-Verträge sind doch ein typisches Beispiel dafür, daß übereilt abgeschlossen worden ist. Denn warum hat die Union die Polen-Verträge im Bundestag abgelehnt und ihnen im Bundesrat zugestimmt? — Weil zwischen der Abstimmung im Bundestag und der Entscheidung im Bundesrat eine wesentliche Verbesserung dieser Verträge durch einen Briefwechsel zwischen den beiden Außenministern erreicht worden ist.
Und das, nachdem der Bundeskanzler hier und ananderer Stelle mehrfach erklärt hatte, an diesen Ver-
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trägen lasse sich überhaupt nichts mehr ändern; er habe selber in jener Nacht in Helsinki verhandelt und habe das Maximum dessen herausgeholt, was man herausholen könne.
— Stimmt eben nicht, sondern es stellte sich heraus, daß das Schicksal der Deutschen, die nach vier Jahren noch nicht zurückgekehrt sind, aber in unser Land ausreisen wollen, zunächst ungeklärt war und erst durch diesen Briefwechsel zwischen den beiden Außenministern geklärt worden ist.
Der Leidtragende der übereilten Entspannungspolitik ist kaum jemand mehr als Berlin. Viele meiner Freunde und ich haben die Bundesregierung in den Jahren 1970, 1971 und 1972 beschworen, den deutsch-sowjetischen Vertrag nicht zu ratifizieren bis sichergestellt sei, daß die Interessen Berlins ausreichend gewahrt würden, bis die unklaren und doppeldeutigen Bestimmungen in der Berlin-Regelung so geklärt seien, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, darauf vertrauen könnten, daß diese Regelung funktionieren werde. Aber nein, das ging nicht, der Terminkalender drohte durcheinanderzukommen. Der Moskauer Vertrag mußte ratifiziert werden. Und jetzt erleben wir es, daß der sowjetische Vertreter bei den Vereinten Nationen, Herr Malik, dagegen protestiert, daß der Präsident des Bundeskartellamtes eine Delegation der Bundesrepublik leitet. In seinem Protest erklärt er, die Anwesenheit des Bundeskartellamtes in Berlin sei illegal. Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis einer überstürzten, einer unvorsichtigen Entspannungspolitik, die die Interessen Berlins vernachlässigt hat. Die Berliner Bevölkerung hat ja der SPD und der FDP bei der letzten Wahl die Quittung dafür gegeben.
Schließlich der dritte Vorwurf. Es bestand von vornherein ein Mißverhältnis zwischen Leistungen und Gegenleistungen in der Ostpolitik. Nachdem die Bundesregierung alle politischen Konzessionen erfüllt hatte, die der Osten von ihr verlangte, ging sie dann schließlich dazu über, sich das Wohlwollen der östlichen Partner durch Geldzahlungen zu erhalten. Allein an die DDR zahlt die Bundesregierung Milliardenbeträge; 400 Millionen DM im Jahr zahlt sie pauschal, ohne Zweckbestimmung.Und dann ereignet sich auf der Leipziger Messe der Fall, daß zwei westdeutsche Journalisten zum Besuch dieser Messe nicht zugelassen werden. Herr Gaus, unser Vertreter in Ost-Berlin, wird beauftragt, dagegen zu protestieren. Meine Damen und Herren, es gelingt ihm nicht, den Protestbrief an den Mann zu bringen. Er versucht es an drei verschiedenen Stellen. Jede dieser Stellen erklärt sich für unzuständig. Könnte man denn nicht wenigstens, so möchte ich fragen, wenn man schon 400 Millionen DM pauschal, ohne Zweckbestimmung an die DDR zahlt, eine Vereinbarung darüber treffen, wo HerrGaus in Zukunft seine Protestbriefe an den Mann bringen kann,
damit dieses unwürdige Schauspiel ein Ende findet?Ich möchte noch einmal ganz klar sagen: Die CDU/CSU ist immer für eine Verbesserung der Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten eingetreten.
Die Bundeskanzler Kiesinger und Erhard sowie der damalige Außenminister Schröder haben auf diesem Gebiet bedeutende Fortschritte erreicht. Das haben Sie inzwischen leider aus Ihrem Gedächtnis gelöscht, meine Damen und Herren.Konrad Adenauer ist es gewesen, der 1955 die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion aufgenommen hat, allerdings unter einer Bedingung, nämlich der, daß die Kriegsgefangenen zurückkehren durften. Als sich die Sowjets weigerten, diese Kriegsgefangenen freizulassen, erhob sich Adenauer und sagte: Wenn Sie diese meine Bedingungen nicht akzeptieren wollen, dann fliege ich morgen nach Bonn zurück. Darauf lenkten die Sowjets ein, die Kriegsgefangenen kamen zurück. Als der letzte Kriegsgefangene gekommen war, nahm Adenauer die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion auf.
Und Adenauer gilt auch bei den osteuropäischen Staaten, auch in Moskau und in Warschau, als derjenige deutsche Staatsmann des 20. Jahrhunderts, der turmhoch über allen anderen steht.
Meine Damen und Herren, hätten doch die Herren Brandt, Schmidt und Genscher in ihren Verhandlungen mit ihren östlichen Partnern einmal gesagt: Wenn Sie diese unsere Bedingung nicht akzeptieren wollen, dann fliegen wir morgen nach Bonn zurück.
Es sähe anders aus um unser Land, es sähe anders aus um die Interessen Deutschlands gegenüber den osteuropäischen Staaten.
Der Bundeskanzler setzt sich in Anzeigen und Reden, die er hält, mit einer These der CDU/CSU auseinander, nämlich der, daß es bei der Wahl im Oktober dieses Jahres um die Alternative Freiheit oder Sozialismus gehe. Er spricht von einer politischen Fälschung, die im Namen Jesu Christi verbreitet werde. Meine Damen und Herren, es ist das erste Mal, daß der Name Jesu Christi in der innenpolitischen Auseinandersetzung der Bundesrepublik
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Deutschland dazu verwendet wird, um den politischen Gegner zu diffamieren. Aber darauf will ich nicht eingehen; das mag der Bundeskanzler mit sich selber abmachen.Ich will nur auf die Argumente des Bundeskanzlers eingehen. Er verweist auf das Netz der sozialen Sicherheit, welches in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen worden sei, und das sei doch ein Beweis dafür, daß Freiheit und Sozialismus keine Gegensätze, sondern sehr wohl miteinander vereinbar seien,
ja, daß das eine die Voraussetzung des anderen sei.
Meine Damen und Herren, nur unterläuft dem Bundeskanzler hier eine entscheidende Verwechslung. Er verwechselt soziale Sicherheit mit Sozialismus.
Es ist merkwürdig, daß ihm diese Verwechslung unterläuft, denn noch vor drei Jahren, als er in Amerika von einem Journalisten interviewt wurde, wies er die Unterstellung, daß er Sozialist sei, mit Entrüstung zurück.
Er sagte nämlich: Ich bin kein Sozialist, ich bin ein Sozialdemokrat. Damals kannte er den Unterschied noch; inzwischen hat er ihn — wahrscheinlich unter dem Druck der linken Kräfte in seiner Partei — vergessen.
Soziale Sicherheit wird von der CDU/CSU bejaht, soziale Gerechtigkeit ist eine der tragenden Leitvorstellungen von uns. Fürsorge für alle Teile der Bevölkerung, Sicherheit im Alter, bei Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit, Chancengerechtigkeit für die jungen Menschen, das alles beziehen wir — ich sagte es schon — in unser Leitbild der sozialen Marktwirtschaft ein.Wir bekämpfen allerdings die Vorstellungen des ideologischen Sozialismus, wie er uns in großen Teilen der SPD entgegentritt,
und wir tun das aus drei Gründen:
erstens weil dieser ideologische Sozialismus in der SPD -- Herr Kollege Wehner, ob Sie sich dazurechnen wollen oder nicht; das zu entscheiden überlasse ich Ihnen —
die wirtschaftliche Freiheit in unserem Lande beseitigen will.
Er will die Banken, die Grundstoffindustrien, ja den Grund und Boden verstaatlichen, meine Damen und Herren!
— Ja, das wollen Sie nicht gerne hören, weil Ihnen das unangenehm ist. Noch wenige Tage vor der bayerischen Landtagswahl traten prominente Mitglieder der bayerischen, der Münchener SPD für die Verstaatlichung von Grund und Boden ein, und die Verstaatlichung der Banken bleibt auf dem Programm
Ihres linken Flügels, obwohl jeder verständige Mensch erkennen muß, daß mit einer der verstaatlichten Banken in der Bundesrepublik Deutschland, der Hessischen Landesbank, wohl das unglückseligste Experiment in der gesamten Bankengeschichte unternommen worden ist.
Andere von Ihnen wollen die Grenzen der Belastbarkeit der Wirtschaft erproben.
Kollege Wehner sagte 1974, „soziale Marktwirtschaft" und „Rechtsstaat" seien verknorpelte Begriffe, aus denen man herauskommen müsse.
Dies allerdings, meine Damen und Herren, ist ein Sozialismus, der nach unserer Vorstellung mit Freiheit in Widerspruch steht, und das werden wir sagen, und daran wird uns niemand hindern, auch der Bundeskanzler nicht.
In letzter Zeit ist man etwas vorsichtiger geworden, aber das hängt damit zusammen, daß sich Wahlen nähern. Vor jeder Wahl werden die sozialistischen Forderungen im Lager der SPD mit gedämpfterem Trommelklang vorgetragen. Und die führenden Vertreter der SPD sagen ja auch ganz offen, daß man gerade jetzt ein bißchen vorsichtig sein muß. Kollege Wehner hat vor kurzem
davon gesprochen, daß die Zeit für strukturelle Änderungen noch nicht reif sei; diese müsse man auf die Zeit nach dem Wahlsieg verschieben,
dann könne man tiefer pflügen.
Ich bin davon überzeugt, daß der deutsche Wähler und der deutsche Bürger Sie an diesem von Ihnen ersehnten Wahlsieg hindern wird.
Senator Franke, ein Mitglied des bremischen Senats, erklärte vor kurzem auf einer Veranstaltung mit bremischen Studenten, er befinde sich in der
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schwierigen Lage, daß er den Kontakt zu den Wählermassen nicht verlieren dürfe, sonst würde er — so wörtlich — ganz andere Wahrheiten sagen.
Herr Steffen, immer noch Mitglied des Bundesvorstands der SPD, bezeichnete in einem 1974 erschienenen Buch den politischen Führer als schwachsinnig, der seine wahren Absichten enthülle, bevor er eine sichere Mehrheit gefunden habe.
Wir erinnern uns wohl auch noch alle daran, daß uns Herr Bahr hier sagte, es gebe gewisse Wahrheiten, die man erst nach gewonnener Wahl aussprechen dürfe.Meine Damen und Herren, kann es denn jemanden wundern, daß unter diesen Umständen das Vertrauen in die SPD dahinschwindet? Dies ist doch ein deutliches Zeichen für die innere Zerrissenheit, die großen inneren Spannungen dieser Partei.Der zweite Grund ist der folgende. Wir stellen fest, daß jener linke sozialistische Flügel in der SPD einen terrorartigen Druck ausübt, um seine Ziele zu erreichen.
— Seien Sie doch einmal still! Ich werde das gleich belegen, Herr Kollege Ehrenberg.
Es wird ein terrorartiger Druck zunächst einmal auf die mehr rechts stehenden Parteifreunde ausgeübt.Frau Helge Pross, eine Professorin an der Universität in Gießen, hat diese Universität vor kurzem verlassen und gesagt, eine angstfreie Diskussion sei dort nicht mehr möglich. Sie hat dann hinzugefügt: Es gibt hier in Gießen eine harte Gruppe von Professoren, die eine sehr einseitige politische Linie verfolgen. Das ist keine kommunistische Gruppe. Man müßte sie als ganz linken Flügel der SPD einstufen.In dem Protokoll der Gründungsversammlung der Fritz-Erler-Gesellschaft heißt es, es gebe ganze Bereiche der SPD, in denen eine Diskussion nicht mehr möglich sei, z. B. in Frankfurt und weitgehend auch in München und in Lübeck. Wer sich der linksextremen und neomarxistischen Auffassung widersetze, werde niedergeschrien oder — wie beispielsweise in Frankfurt — auch existentiell bedroht. — Meine Damen und Herren, das sind nicht meine Worte, sondern die Worte von SPD-Mitgliedern über die inneren Verhältnisse ihrer Partei.Der dritte Grund, weswegen wir diesen Sozialismus bekämpfen, ist, daß er offen das Bündnis mit den Kommunisten ansteuert. Es gibt Beschlüsse der SPD, die die Zusammenarbeit mit den Kommunisten verbieten. Wir alle kennen diese Beschlüsse; wir haben sie alle gelesen. Die Praxis sieht aber anders aus. Im Dachverband der deutschen Studentenschaft, im VDS, arbeiten Kommunisten und Sozialdemokraten zusammen. An zwölf deutschen Universitäten gibt es Aktionsgemeinschaften von Sozialdemokraten und Kommunisten.
An der Universität Bremen ist eine gemeinsame Liste von Hochschullehrern aufgestellt worden, auf der Sozialdemokraten, Kommunisten und StamokapAnhänger gemeinsam vertreten sind. Im Berliner Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft arbeiten Kommunisten und Sozialdemokraten eng zusammen, und es wird gesagt, daß die Kommunisten dort dominierten. Herr Minister Franke, von dem linken Flügel seiner eigenen Partei in Hannover arg bedrängt, erklärte, es gebe Gruppen in der SPD, die dem sehr nahekämen, was in der DDR sei.
Auf der internationalen Szene fordern führende Sozialdemokraten die Zusammenarbeit mit kommunistischen Parteien. Frau Wieczorek-Zeul fordert z. B. eine Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Italiens. Herr Kollege Brandt spricht in diesem Zusammenhang von Informationskontakten. Wer aber die vorsichtigen und immer etwas unpräzisen Aussagen des Kollegen Brandt nun mittlerweile Jahrzehnte hindurch gehört und verfolgt hat, weiß, was sich dahinter verbirgt. Kollege Brandt sagte, es sollte keine Volksfrontbündnisse geben, auch nicht im Europäischen Parlament. Aber ich möchte Herrn Kollegen Brandt fragen, was er von der folgenden Äußerung des italienischen Kommunistenführers Giorgio Amendola hält, die vor kurzem im „stern" in einem Interview vom 4. März 1976 abgedruckt wurde. Damals hat Amendola gesagt:Der Kontakt zwischen den Sozialdemokraten und der KPI findet vor allem im Europäischen Parlament in Straßburg statt.
Der vorige Präsident dieses Parlaments, der deutsche Sozialdemokrat Walter Behrendt, konnte ja auch nur mit unseren Stimmen gewählt werden.
Die hatten wir nicht angeboten, sondern die Sozialdemokraten hatten sich an uns mit der Bitte um Unterstützung gewandt.
Meine Damen und Herren, da muß man sich doch fragen: Was ist die Gegenleistung gewesen, die damals vereinbart worden ist? Hängt etwa die Erklärung des Bundeskanzlers, es sei keine Katastrophe, wenn die italienischen Kommunisten in die Regierung kämen, mit der damaligen Wahlvereinbarung für Herrn Behrendt zusammen?
Wir erinnern uns an die Weltjugendtreffen in Ostberlin und die Verbrüderungsszenen des HerrnWolfgang Roth mit osteuropäischen kommunisti-
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schen Parteien und an verschiedene Szenen, die sich bei Besuchen des Kollegen Wehner in Moskau und Warschau abspielten.Nach all diesen Zitaten, meine Damen und Herren, wird plötzlich auch klarer, warum sich SDP und auch FDP so stark für die Übernahme von Kommunisten in den Staatsdienst einsetzen. Ein Teil von SPD und leider auch von FDP sehen in den Kommunisten kritische Demokraten und wollen sie lieber im Staatsdienst als außerhalb des Staatsdienstes sehen.Meine Damen und Herren, das Verhalten der Bundesregierung in dieser Frage übersteigt doch jedes Fassungsvermögen. Die Deutsche Kommunistische Partei wird von Ostberlin gesteuert. Sie wird von Ostberlin finanziert, übrigens mit dem Geld, welches zuvor aus der Bundesrepublik an die DDR gezahlt worden ist;
Auch das wollen wir einmal ganz klar aussprechen. Die DKP ist eine Kaderpartei, die, wir ihr Vorsitzender hier vor kurzem noch gesagt hat, fest auf dem Boden des Leninismus steht. Sie will das Modell des Sozialismus, wie es in der DDR verwirklicht worden ist, bei uns einführen.Aber nein, — all dies rührt die Bundesregierung nicht. Mitgliedschaft in der DKP soll kein Hinderungsgrund für die Einstellung von Kommunisten in den Staatsdienst sein.Auch dazu ein Zitat, meine Damen und Herren, und zwar von einem Sozialdemokraten, Herrn Horchem, dem Vorsitzenden des Verfassungsschutzamts in Hamburg. Er hat gesagt:Wenn man die für den Fortbestand unseres demokratischen Staates lebensnotwendigen Bereiche wie auswärtiger Dienst, Verteidigung, Justiz und innere Sicherheit der kommunistischen Infiltration überläßt, macht man sie funktionsunfähig und gefährdet so unsere freiheitliche demokratische Ordnung. Langsamen Selbstmord würde es bedeuten, wenn man den Kommunisten das einflußreiche Gebiet der Erziehung als Glacis für ihre Agitation eröffnen würde.Aber die Bundesregierung läßt das alles ungerührt. Da frage ich Sie, meine Damen und Herren: Drängt sich denn nicht die Frage auf, ob es in dieser Auseinandersetzung des Jahre 1976 in Wahrheit und wirklich nicht doch um die Auseinandersetzung zwischen Freiheit auf der einen und Sozialismus auf der anderen Seite geht?
Meine Damen und Herren, im März dieses Jahres hat sich in Hannover die Fritz-Erler-Gesellschaft gebildet, der mehrere tausend Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei angehören. Ich glaube, es ist wichtig, einige Sätze zur Kenntnis des Hohen Hauses zu bringen, die der Vorsitzende dieser Gesellschaft auf der Gründungsversammlung gesprochen hat. Er sagte:Mit Entschiedenheit setzen wir uns für die Notwendigkeit einer schöpferischen Demokratie ein,wie sie aus den Erfahrungen mit der Weimarer Republik vom Grundgesetz gefordert wird. Wir wenden uns auch gegen alle Versuche kommunistischer Unterwanderung und warnen vor den Folgen von Anbiederungen von und gegenüber Kommunisten. Es gibt kein geschichtliches Beispiel für eine dauerhafte Stärkung der demokratischen Freiheit durch ein Bündnis mit Kommunisten.
Politische Extremisten von links und rechts gehören nicht in den öffentlichen Dienst.Und weiter:Wer mit Kommunisten politisch zusammenarbeitet, auch an Universitäten und in Bürgerinitiativen, leugnet sozialdemokratische Erfahrung und verrät den historischen Kampf der SPD um politische Freiheit.
Und weiter:
Wir bekennen uns ausdrücklich zur sozialen Marktwirtschaft und ihren Ausbaumöglichkeiten. Keine Wirtschaftsform hat bisher einen solchen Grad an wirtschaftlicher Versorgung und sozialer Sicherheit gebracht für alle Kreise der Bevölkerung wie gerade diese Wirtschaftsform.Meine Damen und Herren, das sind nicht meine Worte, sondern das sind die Worte eines Mannes, der für Tausende von Sozialdemokraten spricht. Das sind nicht die Worte von CDU und CSU, sondern das sind Worte, die Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mit dem unglücklichen Wort abtun können, hier würden im Namen von Jesus Christus falsche Parolen verbreitet. Herr Bundeskanzler, hier sprechen Bürger, besorgte Bürger unseres Landes, die das höchste Gut, welches wir in Jahrzehnten für uns alle errungen haben, nämlich die Freiheit, nicht durch sozialistische Unterwanderungsversuche aushöhlen und schließlich zerstören lassen wollen.
Die FDP sagt zu alledem, sie verhindere das Schlimmste, indem sie mit der SPD zusammengehe.
Außerdem sagt sie, sie sei offen nach beiden Seiten. Das Bild sieht in Wirklichkeit ganz anders aus. Die FDP ist nicht offen, sondern die FDP ist im Bund und in den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und anderen Ländern fest an die Seite der SPD gebunden. Dies sehe ich nun allerdings als die historische Schuld der FDP an,
daß sie es durch ihr Bündnis mit der SPD ermöglicht,
daß die linken, freiheitsfeindlichen sozialistischen Kräfte in dieser Partei ihr Terrain behaupten, ja, daß sie es weiter ausdehnen können.
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Herr Genscher sagt: Die FDP ist eine Partei, ist die Partei, sagt er, der Freiheit. Gut, aber wenn das so ist, Herr Minister Genscher,
dann müßte die FDP da zu finden sein, wo die Freiheit bedroht ist. Sie müßte in dem Abwehrkampf gegen die Bedrohung der Freiheit stehen.
Statt dessen geht sie
in den Ländern, die ich genannt habe, unentwegt weiter an der Seite der SPD
und ermöglicht freiheitsfeindliche Zustände, von denen ich gesprochen habe.
In Berlin, an der Universität Gießen; ich will nicht alle meine Zitate wiederholen.
Die Reden der Herren Genscher und Friderichs, die sie hier halten, sind teilweise gut. Aber Politiker werden nicht nach ihren Reden beurteilt, sondern nach ihren Taten.
— Ich freue mich, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie dem so lebhaft zustimmen.
Ich möchte Ihnen sagen: wenn Sie auf die Taten der CDU/CSU-Regierungen in den zurückliegenden Jahren im Bund und in den Ländern blicken, dann wird die deutsche Öffentlichkeit zu dem Ergebnis kommen, daß hier von der CDU und der CSU weit mehr geleistet worden ist als von Ihnen im Bund oder in den Ländern.
In dieser gegenwärtigen politischen Landschaft sind CDU und CSU die politische Kraft, die liberale und soziale Ziele in klarer Abgrenzung zu sozialistischer Bevormundung vertreten
und die zugleich die Interessen unseres Volkes nach Osten und nach Westen wahrnehmen.
Die CDU/CSU hat die Bundesregierung mit Mahnungen und Warnungen, mit grundsätzlicher Kritik und konkreten Alternativen auf ihrem Weg begleitet.
Aber die Bundesregierung ist unter Führung desBundeskanzlers unbeirrt von Kritik und Vorschlägen der Opposition ihren, wie wir meinen, falschen Weg in der Finanz-, in der Wirtschafts- und in der Außenpolitik weitergegangen.
Die Verantwortung für die Fehlentscheidungen, die ich auf entscheidenden Feldern der Innen- und Außenpolitik dargelegt habe, trägt deshalb der Bundeskanzler.
Er kann sich aber auch nicht der Verantwortung entziehen, die ihm als stellvertretendem SPD-Vorsitzenden an der Zerrissenheit und Handlungsunfähigkeit seiner Partei zukommt.
Wir wissen, daß sich Bundeskanzler Schmidt immer wieder gern neben seine Partei stellt und manchmal so tut, als habe er mit dieser Partei kaum etwas zu tun.
Aber er bleibt voll verantwortlich für die SPD, in der das Vordringen der Sozialisten nicht dadurch rückgängig gemacht werden kann, daß man übereinkommt, darüber bis zum Wahltag zu schweigen.
Aus Anlaß dieser breit angelegten Debatte über die Regierungspolitik
haben die Bürger, haben die Wähler einen Anspruch darauf, die Tatsachen ungeschminkt zu erfahren. — Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etatberatungen sind nun einmal Anlaß, politische Bilanz zu ziehen, nicht zuletzt in einem Wahljahr. Aber dazu gehört doch wohl auch, daß über Soll und Haben sorgfältig gerechnet und gerichtet wird. Ich habe allerdings den Eindruck, daß bei der leicht geschminkten Vortragsart des Kollegen Carstens
mehr gerichtet als gerechnet wurde.
Besondere Objektivität wird man
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Hoppein einer solchen Auseinandersetzung, bei einer Bestandsaufnahme nach Kassensturz kaum erwarten dürfen.
Die einen werden Erfolgsfanfaren blasen, die anderen werden den
Untergang des christlichen Abendlandes einläuten, ohne allzu viele Gedanken an Rom zu verschwenden. Nun sollte man eine Opposition in dieser Auseinandersetzung auch gar nicht überfordern. Sie will und sie drängt an die Stelle der Regierenden, und darf sich deshalb opponierend an das Rezept halten: Die ganze Richtung paßt uns nicht.
Herr Kollege Carstens hat dem noch den alten Wahlspruch angefügt: Aber wenn in der Bundesrepublik Deutschland einmal die Sonne lacht, dann hat das die CDU/CSU gemacht. Mit der Meteorologie wäre ich hier allerdings doch etwas zurückhaltender und vorsichtiger.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Carstens, zunächst ein Wort zu dem theoretischen Überbau — ich kann auch sagen: zu dem polemischen Schaumbad — der Opposition sagen. Der Wahltag wird ganz offensichtlich mit der in Baden-Württemberg bereits getesteten Formel angesteuert: Freiheit oder Sozialismus.Ich habe den Sozialismus nicht zu verteidigen, denn ich gehöre ganz bestimmt nicht zu seinen Anhängern. Aber was mich an dieser so aufbereiteten Alternative stört, ist Ihre diffamierende Simplifikation.
Sie erinnert fatal an die Gleichung „Sieg oder Bolschewisierung", die Kempowski in seinem bürgerlichen Roman allen noch einmal in Erinnerung gebracht hat. Aber mit dem Schlagwort: „Wir siegen, weil wir siegen müssen", hat es auch schon damals nicht geklappt. Die Sozialdemokraten so schlankweg mit Unfreiheit zu identifizieren oder doch identifizieren zu lassen, ist in meinen Augen ein böser und primitiver politischer Stil.
Nicht nur für die Sozialdemokraten in unserem Lande, sondern auch für die Sozialdemokraten in anderen Ländern, nicht zuletzt in Schweden und Österreich, muß diese Form der Auseinandersetzung beleidigend sein.
Für die deutsche Innenpolitik können die Sozialdemokraten doch nicht nur immer dann geschätzte Demokraten sein, wenn sie sich in einer Koalition mit der CDU/CSU befinden,
ein Umstand, den auch die Freien Demokraten zu beachten haben. Gute Liberale — das haben wir schon einmal von diesem Pult gehört — sind offenbar entweder tote Liberale oder aber solche, die zu Zulieferdiensten für die CDU bereit oder gar zu ihr übergelaufen sind.
Nein, meine Damen und Herren, mit diesem Verhaltensmuster ist uns nicht beizukommen. Ich bekenne mich zum sozialliberalen Bündnis; denn schließlich hat es geholfen, innenpolitisch verkrustete Strukturen aufzubrechen und außenpolitisch die Beziehungen zur Umwelt realitätsbezogen zu gestalten.
Im übrigen hat selbst die Opposition von dieser Koalition profitiert. Ohne die von der sozialliberalen Koalition herbeigeführte Entwicklung wäre die Opposition heute noch in den Denkschablonen der Vergangenheit befangen. In einigen Hirnen und auf einigen Gebieten ist dieser Zustand allerdings immer noch Gegenwart. Es bleibt für die Opposition von A bis Z noch ein weites Feld zu reformieren, bis sich die Opposition wirklich als Reformpartei darstellen kann.Das, was Kollegen wie die Herren Abelein und Althammer zur Außen- und Deutschlandpolitik hier im Parlament formuliert haben und was die Zoglmänner draußen im Lande reden, ist einer antiquierten Vorstellungswelt entnommen, mit der man heute erfolgreiche Politik nicht mehr treiben kann.
Erst wenn sich die Opposition mit den ewig Gestrigen nicht mehr solidarisiert, sondern sich von ihnen distanziert, wird der Weg für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen demokratischen Parteien und Fraktionen in diesem Hause wieder unbefangen und unbelastet sein.
Bis es dahin kommen kann, muß die Opposition deutlich machen, daß gerade auf dem Gebiet der Außen- und Deutschlandpolitik eine Entwicklung vollzogen ist, mit der die CDU/CSU Anschluß an die außenpolitischen Vorstellungen unserer europäischen und atlantischen Partner gewonnen hat. Dies ist eine Politik, die zwar nicht auf die Durchsetzung nationaler Interessen verzichtet, die aber andererseits auch bereit ist, sich in eine multilaterale Konzeption befreundeter und verbündeter Staaten einzufügen,
und die so eine Isolierung vermeidet. Bislang ist die Opposition, wie mir scheint, zu diesem Schritt jedenfalls nicht fähig gewesen.
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16814 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
HoppeMeine Damen und Herren, die Abwendung von diesen überholten Vorstellungen und die Hinwendung zu einer Außen- und Deutschlandpolitik mit Wirklichkeitssinn würde den Fraktionen auch wieder jenes Stück Gemeinsamkeit bringen, das auf diesem Felde der Politik eigentlich unverzichtbar ist.
Die Entscheidung des Bundesrates zu den Polenvereinbarungen könnte dieses signalisiert haben, und doch sind Zweifel wohl noch erlaubt. Wem die Attacken der Opposition im Bundestag noch gegenwärtig sind, wer die taktischen Empfehlungen noch in Erinnerung hat, darf, ja, muß wohl die Frage wagen, ob es sich bei der Polenentscheidung der Opposition im Bundesrat nicht doch eher um einen politischen Unglücksfall als um eine politische Überzeugungstat gehandelt hat.Meine Damen und Herren, noch bin ich jedenfalls nicht frei von der Sorge, daß es der Opposition mehr um die Demonstration der Geschlossenheit als um die Annahme der Verträge ging. Zur Zustimmung im Bundesrat ist es doch wohl nur deshalb gekommen, weil sich einige Regierungschefs nicht dem Diktat der Taktiker unterwerfen wollten, weil sie im Interesse der Sache, im Interesse der Menschen entscheiden wollten. Sie hatten sich von der um Zustimmung ringenden Bundesregierung überzeugen lassen. Eine derartige Überlegung scheint auch durchaus gerechtfertigt; denn schließlich hat die CSU nach der Entscheidung des Bundesrates noch am 18. März neue Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der polnischen Regierung gefordert. Es wäre zu begrüßen, wenn auch dieser Teil der Opposition heute endlich seinen Frieden mit dieser politischen Entscheidung machen würde.
Herr Abgeordneter Hoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ich darf den Kollegen Mertes bitten, auf die Zwischenfrage zu verzichten, damit wir die erste Runde am Vormittag möglichst zügig beenden können.
— Ich widerspreche dem Außenminister ganz gewiß nicht, denn auch der Außenminister kann auf diese Forderung der bayerischen CSU immer wieder nur mit Bestürzung hinweisen, Herr Kollege Mertes.
— Verehrter Herr Kollege Mertes, im Bundesrat konnte der Bundesaußenminister darauf noch garnicht Bezug nehmen, da diese Forderung erst danach erhoben wurde.
Meine Damen und Herren, es wäre aber für die künftige Entwicklung des innenpolitischen Klimas in der Bundesrepublik Deutschland dringend zu wünschen, daß sich diese Kräfte der Opposition behaupten und endgültig durchsetzen, die die CDU/ CSU zur Zustimmung gebracht haben. Dann wird hoffentlich auch die Zeit vorbei sein, in der wir uns weiterhin mit Verdächtigungen und und Unterstellungen begegnen.
Solange es der Kollege Strauß und andere Mitstreiter aber für richtig halten, der Bundesregierung und den Koalitionsparteien vorzuwerfen, sie würden ihre Aufgaben für die Verteidigung der Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und für Berlin nicht bewußt und bestimmt genug erfüllen, ist eine grundlegende Änderung der Haltung der Opposition wirklich nicht überzeugend und glaubwürdig dargetan. Solange bleibt der Weg für eine gedeihliche Zusammenarbeit mit der Opposition versperrt.
Im Gegensatz zu dem, was die Miesmacher immer behaupten, hat die konsequente Fortführung der Ost- und Deutschlandpolitik entscheidend zur Entspannung in Europa beigetragen.
Ihre positiven Folgen für Deutschland sind jedem erkennbar, der überhaupt bereit ist, Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen.
Der ungehinderte Zugang für den Personen- und Güterverkehr von und nach Berlin ist zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden, daß darüber schon niemand mehr spricht. Andere verschweigen es offensichtlich ganz bewußt, weil ihnen diese Erfolge unserer Politik natürlich nicht in ihren Kram und in ihr Konzept passen. Aber allein die Transitstrecken wurden vom Juni 1972 bis zum Dezember 1975 von fast 50 Millionen Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin benutzt.Es ist auch nicht zu leugnen, daß die Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten Fortschritte gemacht hat. Es stellt bereits einen unübersehbaren Wert an sich dar, daß nach Jahren des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens und der Beschimpfung jetzt überhaupt miteinander verhandelt werden kann. Gewiß, Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl existieren noch. Es ist auch schrecklich genug, daß noch immer an dieser Grenze auf Menschen geschossen wird und Menschenleben zu beklagen sind. Es bleibt daher das Ziel unserer Politik, diesen Zustand so schnell wie möglich irgendwie zu über-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16815
Hoppewinden. Dieser Zustand darf uns aber nicht zur Resignation verleiten. Es gilt vielmehr, die Kräfte anzuspannen und sich nachdrücklich für die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Menschen in den beiden deutschen Staaten einzusetzen.
Wir müssen uns deshalb um die Ausweitung des Reiseverkehrs und die Erleichterung der Begegnungen im grenznahen Verkehr bemühen und auf den Abschluß der noch ausstehenden Folgevereinbarungen drängen. Jeder nur denkbare Schritt, der zur Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten führt, muß getan werden. Auch die DDR wird sich in Belgrad fragen lassen müssen, wie ernst sie die in Helsinki vereinbarten Prinzipien nimmt und wie sie es mit deren Realisierung hält.
Angesichts der lang andauernden Konfrontation in der Vergangenheit ist die Entwicklung normaler gut nachbarlicher Beziehungen allerdings nicht über Nacht zu verwirklichen. Es ist deshalb einfach abwegig, bei der Kritik an der Deutschlandpolitik von der Annahme auszugehen, daß der Grundlagenvertrag selbst bereits die Normalisierung gebracht habe. Wir wissen alle, daß der Prozeß der Normalisierung auch und gerade zwischen den beiden deutschen Staaten langwierig sein wird und daß Rückschläge ihn begleiten werden.
Für die weitere Entwicklung einer Politik des Friedens in Europa und in der Welt tragen die beiden deutschen Staaten jedenfalls ein hohes Maß an Verantwortung. Auch die Verantwortlichen in der DDR werden sich auf die Dauer dieser Verpflichtung nicht entziehen können.Freilich bleiben die bis zur Stunde erreichten Verbesserungen noch weit hinter unseren Vorstellungen und Wünschen zurück. Niemand wird dies leugnen. Und niemand kann übersehen, daß es daneben viel Streit und Aggression im Verhältnis zur DDR und zur Sowjetunion gibt — nicht zuletzt um Berlin.Aber es gehört doch schon ein gehöriges Maß an Unverfrorenheit dazu, die Ost- und Deutschlandpolitik fast immer nur so abzuhandeln, wie die Opposition dies tut. Die Dreistigkeit, mit der die Opposition die Deutschlandpolitik attackiert und sie als gescheitert bezeichnet, spekuliert doch wohl mit dem schlechten Gedächtnis des Bürgers und des Wählers und mit der Hoffnung, daß negative Eindrücke des Augenblicks stärker wirken als bereits verbuchte Erfolge.
Unsere Deutschlandpolitik hat den Menschen in den beiden deutschen Staaten gewiß mehr Licht als Schatten gebracht. Ich halte nichts davon, daß Regierung und Opposition gegenseitig Rechnungen aufmachen. Aber wenn die Opposition glaubt, dieBundesregierung auf dem Feld der Deutschlandpolitik ständig prügeln zu können, dann muß sie sich auch einen Spiegel der eigenen Vergangenheit vorhalten lassen:Das Chruschtschow-Ultimatum von 1958 führte über eine aggressive Berlin- und Deutschlandpolitik der Sowjets 1961 zum Bau der Mauer. 1968 eröffnete die Sowjetunion eine neue Offensive zur Durchsetzung ihrer Dreistaatentheorie. Unter Androhung von Repressalien wandten sich die UdSSR und die DDR massiv gegen die Präsenz des Bundes in Berlin und setzten dabei den Hebel an den gefährdeten Zugangswegen an. Gleichzeitig mußten wir mit der Einführung der Straßenbenutzungsgebühr — ich werde darauf nachher noch im Zusammenhang mit einer, wie mir scheint, peinlichen Passage des Herrn Oppositionsvorsitzenden zurückkommen —, mit der Einführung des Visumszwangs, der Visagebühren und der Beförderungsteuer durch die DDR Rückschlag um Rückschlag hinnehmen. Vor willkürlichen Selektionen im Personenverkehr war niemand mehr sicher. Der Zugang der Berliner in ihre natürliche Umgebung, nach Ost-Berlin und in die DDR, war so gut wie völlig unterbunden. Wir befanden uns damals in einem Zustand der Hilflosigkeit und der Ausweglosigkeit.Dies war der Augenblick, in dem die Forderung nach politischen Lösungen immer lauter wurde, und erst die Politik der sozialliberalen Koalition hat diesem Verlangen Rechnung getragen. Erst seit man handfeste Maßnahmen für die Menschen in den beiden deutschen Staaten zu erreichen versucht, wird doch mit dem Verfassungsauftrag, über den wir alle reden und über den die Opposition sonst immer so laut redet, wirklich ernst gemacht.
Wenn es aber darum geht, eine praktische Politik zu treiben, jene Politik auch, die zugleich den Willen zur Einheit der Nation bewahren will und bewahren soll, dann steht die Opposition abseits.
Wenn Sie, Herr Kollege Carstens, heute erneut behaupten, es habe die Möglichkeit zu einem besseren Viermächteabkommen über Berlin gegeben und mit mehr Geduld hätte man Besseres erreicht, dann wissen wir — das sollte auch Herr Kollege Carstens wissen —, daß unsere Verbündeten, die als Signatarmächte während der Verhandlungen mit uns in ständigem Kontakt gestanden haben, das Gegenteil bezeugen.Meine Damen und Herren, Herr Kollege Carstens hat heute die Transitpauschale in übler Weise attackiert. Er warf der Bundesregierung vor, an die DDR eine nicht zweckgebundene Geldleistung zu erbringen. Dabei wird — deshalb habe ich das auslösende Ereignis noch einmal in Erinnerung gebracht — bewußt verschwiegen oder unterdrückt, daß damit die individuellen Belastungen des Bürgers abgelöst worden sind, die jeder einzelne bis zu diesem Zeitpunkt leider hinnehmen mußte. Mir scheint, eine solche Diskussion ist ein peinlicher Vorgang.
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16816 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
HoppeIch kann nur hoffen, daß wir uns in diesen so entscheidenden nationalen Fragen nach dem 3. Oktober — möglichst bereits am 4. Oktober beginnend — wieder in dem Wunsch zusammenfinden können, eine Bestandsaufnahme und eine gemeinsame Eröffnungsbilanz zu machen. Denn, meine Damen und Herren und verehrter Herr Kollege Dr. Carstens, es gibt entsprechende Überlegungen auch in Ihren Reihen. Die Abgeordneten aus Berlin — über Berlin haben Sie ja viel geredet — sind in dieser Frage weiß Gott nicht unterschiedlicher Meinung. Es sind gerade junge Kollegen Ihrer Fraktion, die sich immer wieder die ernste Frage vorlegen, ob wir mit einer solchen Form der Kritik Berlin nicht leer opponieren.
— Herr Kollege Wohlrabe, der Ton macht die Musik.
Wir sind in dieser Frage, was die Kollegen aus Berlin betrifft, weder in der Sache noch in der Form unterschiedlicher Meinung. Ich wäre dankbar, wenn man dann im Bundestag nicht so täte, als sei es doch der Fall.Im internationalen Maßstab hat die Bundesrepublik Deutschland durch ihre ausgewogene Haltung ein erstaunliches Vertrauenskapital ansammeln können.
Nicht zuletzt die auf Entspannung und Friedenssicherung gerichtete Politik der Bundesregierung dürfte dazu beigetragen haben, daß die Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen einstimmig für den Sitz im Sicherheitsrat nominiert wurde. Die konsequente Politik, die eine so eindrucksvolle internationale Anerkennung gefunden hat, ist von dieser Bundesregierung in allen Regionen der Welt gleichermaßen betrieben worden: in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, in Asien und nicht zuletzt auch in Lateinamerika.Die FDP-Fraktion begrüßt diese Kandidatur, da die Mitgliedschaft in jenem Organ der Vereinten Nationen, das für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit bevorzugt verantwortlich ist, zusätzliche Möglichkeiten schafft, für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts zu wirken und für die Wahrung der Menschenrechte einzutreten. Allerdings sollten wir auch an diesem Punkt nicht übersehen, daß es die innenpolitische Landschaft dieser Republik ist, nämlich die politische und wirtschaftliche Stabilität der Bundesrepublik Deutschland, die uns zur weltweit anerkannten konstruktiven Mitwirkung in internationalen Gremien überhaupt erst befähigt.
Was ist nun von den Klagen der Opposition aus der ersten Lesung übriggeblieben, und was müssen wir von den Vorwürfen tatsächlich ernst nehmen?Da ist zunächst einmal die Verschuldungs-Arie, mit der immer wieder die angebliche Unsolidität der Finanzpolitik der Regierung dargetan werden soll. Dabei ist, wie wir ja alle wissen, das Deficit spending ganz gewiß keine Erfindung dieser Regierung oder gar der Sozialdemokraten. Richtig ist, daß sich mit dieser Form der Ausgabenfinanzierung nicht nur die Sozialdemokraten angefreundet haben. Gerade auch die CDU/CSU hat als große christliche Volkspartei immer gern Ansprüche aller Interessengruppen erfüllt und sich die dafür notwendigen Mittel, wenn andere nicht zu bekommen waren, auch am Kapitalmarkt beschafft.
Die Verschuldung der von der CDU/CSU regierten Länder der Bundesrepublik Deutschland spricht dafür eine deutliche Sprache. Billiger Trost wurde überall in der fatalistischen Erkenntnis gesucht, daß es schließlich egal sei, ob man einen oder fünfzig Meter unter der Wasseroberfläche ertrinke. Es hätte eigentlich nicht erst des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministers der Finanzen oder des Rates der Sachverständigen bedurft, um einzusehen, daß die Staatsfinanzen einen so brutalen Zugriff am Kapitalmarkt auf längere Sicht nicht vertragen.Für die Bundesfinanzen ist dabei allerdings zu beachten, daß der Schuldenberg nicht mutwillig aufgehäuft worden ist, sondern das Ergebnis einer antizyklischen Fiskalpolitik ist, einer Politik, mit der den konjunkturellen Einbrüchen entgegengewirkt werden mußte, die fast alle Bereiche der Wirtschaft zu spüren bekamen. Hier ist nicht bedenkenlos aus dem Vollen gewirtschaftet worden, und hier sind nicht auf Teufel komm raus Schulden zu Lasten der nächsten Generation gemacht worden.Ich will in diesem Augenblick gar nicht darüber streiten, ob die wirtschafts- und finanzpolitischen Auswirkungen des Konjunkturtiefs hausgemacht waren oder nicht. Der Streit darüber ist letztlich auch völlig müßig; denn es ist immer die Regierung, die den bitteren Tropfen der Verantwortung voll auszukosten hat. Aber, meine Damen und Herren, sie bekommt dann auch wieder den süßen des Erfolges. Und es sieht so aus, als stelle sich hier der Erfolg schon ein.
Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Opposition alle jene Haushaltsoperationen voll unterstützt hat, mit denen der konjunkturellen Schwäche entgegengewirkt worden ist. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, hätte sie sogar oft gern noch mehr getan. Dies hätte dann jeweils eine noch weit höhere Verschuldung verlangt, als wir sie im Augenblick schon zu verzeichnen haben. Auch so ist der Schuldenberg zu jener bedrohlichen Höhe angewachsen, die schleunigst abgetragen werden muß. Einen an-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16817
Hoppederen Weg zum Ausgleich des Haushalts und seiner Ausgaben als den, den diese Regierung gegangen ist, hätte es auch für die Opposition nicht gegeben.Daß die Regierung mit der Veränderung der problematischen Haushaltsstruktur jetzt tatsächlich Ernst macht, wird aus dem Ergebnis der Etatberatungen deutlich. Im laufenden Jahr ist die Marke für die Kreditaufnahmen merklich unter 24 Milliarden DM gedrückt worden. Die Ordnung der Staatsfinanzen wird damit durch den Haushaltsplan 1976 auf den richtigen Weg gebracht. Das Gerede vom Staatsbankrott wird den Kritikern sehr bald im Halse steckenbleiben.
Das nächste Reizwort heißt dann Steuererhöhung. Nun kann man die Steuern nicht gerade zu den angenehmen Seiten des Lebens rechnen. Aber sie sind doch wohl ein notwendiges Übel, ein Stück Solidarbeitrag der arbeitenden Bevölkerung in einem freiheitlichen Rechtsstaat, der sich das anspruchsvolle Attribut „Sozialstaat" zugelegt hat. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß die Belastung mit Steuern und Abgaben für den einzelnen in unserem Lande schon jetzt nicht von Pappe ist. Wer dennoch glaubt, diese Last erhöhen zu müssen, kann sich zur Begründung einer solchen Maßnahme nicht mit dem einfachen Hinweis auf die Harmonisierung des Mehrwertsteuersatzes in Europa begnügen. Dies gilt um so mehr, als die Zwei-Punkte-Erhöhung dem Verbraucher doch über den Preis präsentiert wird und damit auch die Preisstabilität tangiert ist.Aber der Zielkonflikt zwischen verbesserten Steuereinnahmen oder erneuter Ausweitung der schon jetzt unvertretbar hohen Verschuldung muß gelöst werden. Über diese Alternative ist zu entscheiden, da sich andere Lösungen nicht anbieten. Die Kürzung der Ausgaben in nennenswerter Höhe ist, ausgehend von dem Zahlenwerk des jetzt zur Beschlußfassung vorliegenden Etats, einfach nicht real. Deshalb sollten wir auch nicht mehr darüber diskutieren, ob die Minderausgaben noch weiter heraufgesetzt werden können, als es zum Ausgleich der Personalkosten sowieso noch geschehen muß, die uns das Ergebnis der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gebracht hat. Selbst wenn einem Haushalt von rund 165 Milliarden DM noch weitere Kürzungen über den Haushaltsvollzug aufgebürdet würden, löst das die anstehenden Fragen doch überhaupt nicht. Fairerweise muß dazu auch gesagt werden, daß es bei den bekannten, noch verbleibenden Risiken ebenso gut möglich ist, daß wir am Ende des Jahres erleben, daß die Ausgaben an der einen und anderen Stelle nunmehr zu niedrig veranschlagt sind. Über weitere Einsparungen kann man daher zwar in munteren Reden wohl noch trefflich streiten, zu beschließen sind sie in der Praxis nicht. Die in den Beratungen des Haushaltsausschusses beschlossenen Einsparungen sind nämlich schon drastisch genug ausgefallen. Natürlich wird und kann eine Opposition weitergehende Streichungsanträge im Parlament stellen, um damit der staunenden Öffentlichkeit weiszumachen, daß dieseRegierung und diese Koalitionsfraktionen doch nur aus Verschwendern bestehen.So sind wir dann beim dritten Streitpunkt angekommen. Hinsichtlich der Ausgabenseite des Haushaltes behauptet die Opposition nach wie vor, daß noch nicht alle Reserven ausgeschöpft seien und daß noch Luft im Haushalt vorhanden sei. Die dafür angeführten Argumente klingen allerdings schwach. Meine Damen und Herren, die in der Vergangenheit fehlerhaft bemessenen Ansätze wurden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Jahresrechnung 1975 korrigiert. Der Haushalt ist somit, auch an den neuralgischen Punkten, jetzt maßgeschneidert. Die Höhe der Ansätze orientiert sich an den letzten bekannten Daten. Dies gilt z. B. für alle Personalkosten, für die Zuwendungen an die Bundesanstalt für Arbeit und auch für die Leistungen an die EG. Weil hier angepaßt und rigoros gekürzt wurde, sind daraus auch Konsequenzen für die Bemessung der Minderausgaben zu ziehen. Schließlich kann man die Ergebnisse des Haushaltsvollzuges 1975 immer nur an einer Stelle verwerten. Nachdem man die überhöhten Ansätze, die im vergangenen Jahr zu den Haushaltsresten geführt haben, fühlbar zurückgeschraubt hat, verbietet es sich logischerweise, mit denselben Haushaltsmassen noch einmal bei der Bemessung der Minderausgabe operieren zu wollen. Tut die Opposition dies dennoch, so muß sie sich sagen lassen, daß hier von ihr nur Schaugefechte geführt werden.Ein Musterbeispiel dafür ist auch der Personalhaushalt bzw. die Verminderung der Planstellen. Es ist schon ein bemerkenswertes Ergebnis, daß mit diesem Haushalt rund 1 500 Planstellen mehr in Wegfall kommen, als von der Regierung zunächst vorgesehen, ging doch schließlich schon die Regierungsvorlage von einer Reduzierung um 1 000 Stellen aus. Die Koalitionsfraktionen haben sich mit diesem Zugriff nicht gerade überall beliebt gemacht, aber es war dies nun einmal ein zwingend notwendiger Schritt, um die Personalkosten auf Dauer zu mindern und für längere Zeit auf ein vertretbares Maß zurückzuschrauben.Die Opposition hat zu dieser Maßnahme nicht allzu viel beisteuern können. Sie hat sie mit beschlossen, sich im übrigen aber mit dem Lamento begnügt, daß das alles nicht ausreichend sei und daß mindestens die doppelte Zahl an Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden könne. Meine Damen und Herren, dieses Schattenboxen sollten wir eigentlich nicht länger fortsetzen. Wo Stellenpolster zu erkennen waren, sind sie ausgeräumt worden. Konkrete Hinweise, von welcher Seite auch immer sie kamen, haben stets ihren Niederschlag in Streichungsbeschlüssen des Haushaltsausschusses gefunden. Wenn die Opposition darüber hinaus ohne sachlichen Hintergrund mit allgemeinen Floskeln und pauschalen Urteilen eine weitere Verminderung der Personalausstattung fordert, tut sie dem öffentlichen Dienst insgesamt bestimmt keinen Gefallen. Völlig unberechtigt und vielleicht auch ungewollt stricken wir alle damit wieder an jenem Vorurteil mit, das in den Angehörigen des öffentlichen Dienstes nur die parasitären Büroschläfer sieht. Dem Staatsganzen
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16818 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Hoppedient die Abqualifizierung einer bestimmten Berufsgruppe aber ganz gewiß nicht, und wir sollten uns davor hüten, derartige Fehlentwicklungen immer wieder durch falsche Feststellungen zu begünstigen.Meine Damen und Herren, so wie bei diesem Beispiel verhält es sich mit den Kürzungsanträgen auch in anderen Bereichen. Es steht jedoch insgesamt fest, daß trotz größtmöglicher Sparsamkeit eine weitere Kürzung der Staatsausgaben nicht zu verantworten ist. An diesem Ergebnis führt kein Weg vorbei, auch nicht für die Opposition.
Für die Opposition mag die Stunde der Wahrheit damit schneller als erwünscht gekommen sein. Auch sie muß letztlich erkennen, daß der Ausgabenbedarf des Staates die Grenzen funktionaler Leistungsfähigkeit und sozialstaatlicher Garantie nicht unterschreiten darf. Die dafür notwendigen Deckungsmittel sind aber für 1977 und darüber hinaus ohne Steuererhöhungen nicht zu erlangen.In diesem Zusammenhang zieht auch nicht mehr das Konjunkturargument, das die Opposition bislang vorgebracht hat. Denn inzwischen ist für jeden einsichtig, daß wir 1977 wieder eine florierende Wirtschaft haben werden. Wenn es also überhaupt Steuererhöhungen geben muß, dann ist dafür der Zeitpunkt genau richtig gewählt. Da die Opposition im übrigen immer wieder auf die gefährliche Wirkung der exorbitant angewachsenen Schuldenlast hinweist, müßte sie konsequenterweise auch alle Bemühungen nachhaltig unterstützen, die zu einer Senkung der Nettokreditaufnahme in den nächsten Jahren führen.Es ist deshalb auch nur natürlich, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen die Erhöhung der Mehrwertsteuer als Maßnahme zur Einkommensverbesserung sehr wohl als erwägenswert angesehen hat. Auch die Opposition sollte nicht länger vor dieser Konsequenz zurückschrecken. Auch sie sollte endlich bereit sein, nach besserer Einsicht zu handeln, um so gemeinsam mit der Regierung den Weg in die weitere Verschuldung des Staates zu stoppen. Aber alle Appelle an die bessere Einsicht werden hier ja wohl nicht helfen. Der Wahlkampf verlangt nach Meinung der Opposition sein Kontrastprogramm, und dieses wird sie wohl mit dem Nein zur Steuererhöhung liefern wollen. Sie sollte jedoch bedenken, daß sie schon in wenigen Tagen vor einer veränderten Lage stehen kann.
Vielleicht muß sie sich dann über den Bundesrat selbst wieder korrigieren und die Bundestagsfraktion in ähnlicher Weise desavouieren, wie das bei der Entscheidung über die Polen-Vereinbarungen der Fall gewesen ist.
Es scheint mir jedenfalls an der Zeit zu sein, folgende Überlegungen anzustellen. Scheitert das Berufsbildungsgesetz an dem Abwehrriegel der CDU/ CSU-regierten Länder, weil die Opposition zwar viel über die Schaffung von Ausbildungsplätzen für Jugendliche redet, aber nicht bereit ist, konstruktive Lösungen mit zu tragen,
wenn also diese schlimme Hypothese Wirklichkeit wird, muß der Steuerzahler für die von der CDU/ CSU verhinderte Selbsthilferegelung der Wirtschaft einspringen. Diese für die Allgemeinheit teure Lösung wird dann unerhörte Mittel verschlingen. Das Neinsagerkonsortium der Herren Strauß, Filbinger, Carstens und Dregger wird die dafür notwendigen Beträge kaum durch stramme Haltung und markige Worte ersetzen können.
Auch ein Kalanag wird der Opposition diese Mittel nicht herbeizaubern. Deshalb sollte sie noch einmal sehr ernst über den Finanzbedarf des Staates, über die Struktur eines gesunden Staatshaushalts und über die Notwendigkeit von Steuererhöhungen nachdenken. Bleibt es bei der Dickköpfigkeit, so könnte im Bundesrat das alte Wort einen neuen Inhalt bekommen: Wenn ein starker Arm es will, stehen alle Räder still — zumindest die der Steuergesetzgebung.Meine Damen und Herren, auf diesen Weg sollten wir uns nicht begeben. Mit dem Haushalt 1976 liegt jetzt ein weiterer Teil jenes Konsolidierungsprogramms vor, das mit dem Haushaltsstrukturgesetz und den steuerpolitischen Maßnahmen die Grundlage für eine erfolgreiche Politik im Interesse dieses Staates und unserer Bürger schaffen soll. Die Bundesregierung kann damit gut gerüstet ihre Politik der Reformen, der Entwicklung der Wirtschaftskraft unseres Landes, der Förderung von Bildung und Wissenschaft und der sozialen Sicherung fortsetzen. Die FDP wird sie bei dieser Politik nach Kräften unterstützen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit ein paar Bemerkungen zu den außenpolitischen Ausführungen des Herrn Oppositionsführers, knüpfe dabei aber zunächst an Ausführungen meines Freundes Professor Dr. Schäfer an, der den richtigen und in diesen Zusammenhang gehörenden Hinweis gegeben hat, daß in den sieben Jahren sozialliberaler Gesetzgebungs- und Regierungskoalition eines der Elemente unserer Außenpolitik, nämlich unser Beitrag zum Bündnis, die Bundeswehr, hinsichtlich ihrer Ausstattung, ihrer Ausbildung, ihrer Einbettung in das Verständnis durch die Gesamtgesellschaft und infolgedessen auch hinsichtlich ihres Selbstverständnisses auf einen sehr hohen, bis dahin nicht
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16819
Bundeskanzler Schmidterreichten und im Ausland, im Westen wie imOsten, voll gewürdigten Stand gebracht worden ist.
Ich bitte, das, Herr Professor Carstens, bei all den Bemerkungen nicht zu verkennen, die Sie über, wie Sie es ausdrücken, allzu „leichtgläubige" Entspannungspolitik machen.Sie haben im Zusammenhang mit dem Stichwort Entspannung auf eine Bemerkung hingewiesen — sie wurde nicht korrekt zitiert, aber dem Sinne nach gehört es sicher in diese Debatte hinein —, die ich an irgendeiner Stelle zum Thema Angola gemacht habe. Ich habe mich nicht nur einmal geäußert, sondern mehrere Male, wie sich auch die Bundesregierung, wie sich auch der Außenminister zu diesem Thema mehrfach geäußert haben. Wir haben darauf hingewiesen, daß die Ereignisse dort und die Einmischung von Truppen aus einem anderen Kontinent im Süden Afrikas unsere Besorgnis erwecken. Die Bundesregierung vertritt — ich nehme an, mit Ihrer Zustimmung — eine strikte Politik der Nichteinmischung von außen, was Afrika angeht, aber ebenso — das vermisse ich bei Ihren Stellungnahmen — eine strikte Politik demokratischer Regierung, d. h. Regierungen durch Mehrheiten, die in den afrikanischen Staaten gebildet werden.Im übrigen bleibe ich dabei, daß Ereignisse in Afrika in keiner Weise ein Beweis dafür sind, daß Entspannungspolitik in Europa keinen Sinn habe oder zur Aussichtslosigkeit verurteilt sei. Im Gegenteil, ich schließe daraus, daß es notwendig ist, die Politik der Verständigung, von Europa ausgehend oder über Europa hinaus, auf alle Welt auszubreiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
daß unsere Vorstellung von kooperativer Politik gegenüber anderen Völkern und Staaten und Staatengruppen natürlich auch das Verhältnis zwischen Nord und Süd, zwischen industriellen Staaten und Entwicklungsländern, rohstoffproduzierenden, rohstoffexportierenden Entwicklungsländern einschließen muß.Die sozialliberale Gesetzgebungs- und Regierungskoalition hat vor sieben Jahren die Politik der Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas eingeleitet und seither sehr weit vorangebracht.Herr Professor Carstens hat erneut von der KSZE gesprochen. Gleichzeitig hat er gemeint, eine Äußerung des amerikanischen Präsidenten Ford für sich in Anspruch nehmen zu dürfen. Ich darf noch einmal darauf hinweisen: Herr Präsident Ford war in Helsinki nicht nur anwesend, sondern hat dort bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eine ganz ausschlaggebende Rolle gespielt. Ich erachte es nach wie vor als einen wichtigen Gesichtspunkt dieses Teilergebnisses, welches Helsinki einstweilen ja doch nur darstellt, daß Kanada und die Vereinigten Staaten von Amerika erstens diese Rolle dort im Sinne der Entspannungspolitik gespielt haben und daß zweitens ihre Zugehörigkeit — ohne Qualifikation, ohne Abstriche — zu dem Bemühen um europäische Sicherheit und Zusammenarbeit auch von der Sowjetunion und deren Verbündeten voll anerkannt worden ist.
Sie, Herr Professor Carstens, vertreten die einzige Partei in ganz Europa, die diese Bemühung verurteilt
und die dieser Bemühung — und auch der Beteiligung des amerikanischen Präsidenten — ihr negatives Urteil spricht. Im übrigen haben Sie den amerikanischen Präsidenten inkorrekt zitiert. Er hat die weitere Verwendung des im englischen Sprachgebrauch aus der französischen Sprache übernommenen Wortes „détente" abgelehnt und hat im selben Satz gesagt — und Sie verschweigen das jetzt zum drittenmal in einer Bundestagsdebatte —, die Vereinigten Staaten von Amerika träten für eine „relaxation of tensions" ein. Wenn man es ins Deutsche überträgt, heißt es: für eine Politik der Entspannung der Spannungen.
Sie sollten nicht immer Zitate aus dem Zusammenhang reißen.Herr Professor Carstens, Sie haben sich dagegen gewehrt, daß ich an irgendeiner Stelle in einer Kundgebung mich öffentlich darüber gewundert habe, was alles im Namen Jesu Christi in Deutschland gedruckt werden dürfe. Aber Sie sind es doch, die das hohe C in Ihrer Parteifirma führen!
Jede einzelne Ihrer sogenannten Argumentationshilfen, die wir in unseren Mappen natürlich haben, mit denen wir uns bisweilen auch auseinandersetzen, trägt den Absender „Christlich-Demokratische Union". Zum Christentum gehört aber das Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten!
Wir haben im übrigen die Konferenz von Helsinki, von der Herr Carstens sprach,
benutzt, um durch zusätzliche Vereinbarungen mit Polen — Herr Professor Carstens hat davon gesprochen — die Bedingungen für Verständigung und Zusammenarbeit erheblich zu verbessern. 125 000 Deutsche werden in den kommenden vier Jahren von dort in unser Land ausreisen können. Durch unsere Ostpolitik, seit dem Jahre 1969 begonnen und stetig aufgebaut, war es möglich, z. B. auch den Handel mit den Staaten des Ostens so auszuweiten, daß er nicht nur zu einem tragenden Element der politischen Entwicklung geworden ist, sondern daß er außerdem in einer schweren weltwirtschaftlichen Zeit so gesteigert werden konnte, daß er gegen-
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16820 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundeskanzler Schmidtwärtig ungefähr 300 000 Arbeitsplätze der westdeutschen Industrie beschäftigt.
Wir haben auch -- da Sie von der DDR gesprochen haben — im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten, insbesondere z. B. durch unsere Verkehrsvereinbarungen, tatsächliche, konkrete Verbesserungen für die Bürger erzielt. Im vergangenen Jahr haben rund 15 Millionen Menschen die Transitwege benutzt. Die Zahl der Reisenden aus dem Bundesgebiet in die DDR hat sich im Laufe der letzten fünf Jahre verdoppelt.
Insgesamt sind es jedes Jahr aus West-Berlin und der Bundesrepublik, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, fast 8 Millionen Menschen gewesen.Wir haben die Mauer nicht beseitigt, die zur Zeit Ihrer außenpolitischen Führung errichtet worden ist. Das ist wahr. Aber wir haben doch, wenn auch überwiegend zunächst nur in einseitiger Richtung, in westöstlicher Richtung, Türen hineinmachen können, durch die die Berührung zwischen den Menschen ein und derselben Nation sehr viel häufiger wieder ermöglicht worden ist, als das früher der Fall war.
— Bei Ihrem Zwischenruf kann ich mich an das erinnern, was der damalige Bundeskanzler dem deutschen Volk zum Zeitpunkt der Errichtung der Mauer gesagt hat, nämlich Ruhe sei die erste Bürgerpflicht. Ich weiß das noch sehr genau.
Ich will da nicht rechten. Nur nehme ich für die sozialliberale Koalition und insbesondere für ihren ersten Bundeskanzler und ihren ersten Außenminister in Anspruch, daß sie sich über die uns allen gemeinsame moralische Empörung hinausgehend — sie nicht etwa hinter sich lassend, sondern aus ihr heraus — ernsthaft und, wie das Ausmaß der menschlichen Begegnungen zeigt, das wir inzwischen erreicht haben, erfolgreich um Wiederherstellung menschlicher Berührung in derselben Nation bemüht haben.
Wir sind weit davon entfernt, das gegenwärtige Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander für ideal zu halten, weit entfernt! Aber wir müssen uns auch gegen solch falsche Zeugnisse wie dasjenige von Professor Carstens wehren, wir würden der DDR ohne Zweckbestimmung Geld zahlen.
— Sie wissen doch ganz genau, wann Straßengebühren und dergleichen eingeführt worden sind: Weiß Gott nicht zu unserer Zeit, nicht, als wir die Verantwortung trugen.
Was wir allerdings gemacht haben, ist, diese Artvon finanzieller Belastung dem einzelnen Menschenabgenommen zu haben, damit er nicht davon abgehalten werde, seine Verwandten in der DDR zu besuchen.
Heute aber stellte sich ein Professor des Rechtes hin und sagte, wir leisteten finanziell ohne Zweck an die DDR.
Das ist, Herr Professor Carstens, schlimmer als ein Lapsus. Das ist eine Unredlichkeit, die verdient, angeprangert zu werden.
Dieser kontinuierlichen Politik gegenüber unseren östlichen Nachbarn und unserem uns am nächsten gelegenen und auch vom Herzen her am stärksten umsorgten Nachbarn DDR entspricht eine ebenso konsequente und kontinuierliche Politik in Richtung Westen, in Richtung Atlantisches Bündnis, in Richtung Europäische Gemeinschaft. Das enge Verhältnis zu unseren Partnern im Westen hat ihnen und uns die gemeinsame Bekämpfung der zweiten großen Weltwirtschaftskrise dieses Jahrhunderts erleichtert. Niemals zuvor hat es bei der Bekämpfung globaler Wirtschaftskrisen — und dies ist ja zugleich eine strukturelle Krise der Weltwirtschaft, wenn ich besonders noch einmal auf das Verhältnis zwischen Nord und Süd, zwischen Industriegesellschaften und rohstoffexportierenden Gesellschaften hinweisen darf — ein so weitgehendes, noch keineswegs zureichendes, aber doch sehr viel weiter als früher gehendes Zusammenwirken der beteiligten Staaten gegeben; ein Zusammenwirken, wie es auf seiten des Westens seinen äußeren Ausdruck — zugleich war das aber auch eine wichtige, die innere Entwicklung widerspiegelnde Etappe — in dem Weltwirtschaftstreffen auf Einladung Präsident Giscard d'Estaings in Rambouillet im vorigen Herbst fand. Dergleichen hatte es ja bisher in der Weltgeschichte nicht gegeben. Früher haben sich sogenannte Gipfeltreffen — wie in Jalta, wie in Potsdam, wie in Teheran — auf Machtfragen bezogen. Rambouillet war das erste ökonomische Gipfeltreffen, und wir haben dazu unseren Teil beigetragen. Das wird im Ausland auch positiv quittiert; allerdings nicht von Ihnen, was ich Ihnen nicht übelnehme. Es ist nicht Ihres Amtes, die Leistungen dieser Regierung hervorzuheben. Auf der ganzen Welt wird quittiert, daß wir unseren erheblichen Beitrag zum Erfolg haben leisten können. Es ist wahr: das, was Sie mit dem Wort „Schuldenpolitik“ glossieren, das ja nur herabsetzen soll, war in Wirklichkeit ein Beitrag zur Konjunkturpolitik ganz Europas. Denn wir haben in diesen beiden Krisenjahren unsere Importe aus den europäischen Ländern real angehoben und haben damit zur Beschäftigungskontinuität in unseren Partnerstaaten beigetragen, während umgekehrt unsere Exporte in jene Länder wegen deren wirtschaftlicher Schwäche leider erheblich abgenommen und damit zum Abfall der Beschäftigung unserer Exportindustrie beigetragen haben.Wir haben innerhalb unseres Landes in Hinsicht auf alle vergleichbaren Länder unseren Kampf um Geldwertstabilität sehr erfolgreich geführt, Herr Professor Carstens. Wir haben allerdings zur Her-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16821
Bundeskanzler Schmidtbeiführung des Wiederaufschwungs der deutschen Wirtschaft — in Klammern füge ich hinzu: ich anerkenne, daß Sie heute, für die Opposition sprechend, zum erstenmal, als erster Mann der Opposition, nun auch als Tatsache anerkannt haben, daß sich die deutsche Wirtschaft nach oben entwickelt; Sie haben jedoch hinzugefügt, der Aufschwung sei viel zu kostbar, um ihn denjenigen zu überlassen, die ihn zustande gebracht haben; jetzt müßten Sie ihn übernehmen
Wir haben allerdings in dieser zweiten Weltwirtschaftskrise das akkurate Gegenteil von dem gemacht, was seinerzeit in der ersten Weltwirtschaftskrise wohlmeinende Politiker — jedenfalls der erste der beiden Namen, die ich nennen will, wird von mir verehrt, hoch respektiert — in der Weimarer Demokratie in den frühen 30er Jahren getan haben. Ich rede von den beiden Zentrumspolitikern Heinrich Brüning und von Papen, der anschließend kam. Diese Herren haben damals gemeint, bei weniger Beschäftigung, bei weniger Produktion, bei weniger Aufträgen, infolgedessen weniger Steuereingängen, infolgedessen geringeren Eingängen an Beiträgen zur Sozialversicherung müsse man die Leistungen des Staates kürzen, die Leistungen der Sozialversicherung kürzen. Eine Notverordnung jagte die andere und jagte Deutschland immer noch tiefer in die deflatorische Rezession.Das Deutsche Reich war nicht das einzige Land, das aus mangelnder ökonomischer Erkenntnis jener Jahre diese falsche Politik damals betrieben hat.
Es gab auch andere Länder, die das Gleiche gemacht haben. Ich leite daraus weiß Gott keinen Vorwurf gegenüber denjenigen her, die sich heute als die Söhne oder die Enkel — Herr Ministerpräsident Kohl gebraucht manchmal solche Ausdrücke — der damaligen Führer bezeichnen. Ich leite daraus keinen Vorwurf her. Ich sage nur, man ist mit der ersten Weltwirtschaftskrise der frühen 30er Jahre und ihren katastrophalen wirtschaftlichen, sozialen und innenpolitischen Auswirkungen leider eben nicht fertiggeworden.
— Entschuldigung, jetzt möchte ich Herrn Carstens, den wir genausowenig unterbrochen haben, im Zusammenhang antworten dürfen.
Das Schlimme ist: wir müssen, wenn ich einmal von Amerika, von Roosevelt, absehe, im Innern leider zugeben, daß, zwar mit schrecklichen Zielen und mit schlimmen Instrumenten, letztlich erst Schacht und Hitler die monetär richtige Konsequenz gezogen haben.Wir haben diesmal in einer ähnlichen Lage als Konsequenz aus der damaligen Geschichte — wir haben aus der ersten Weltwirtschaftskrise gelernt — uns die vielen Milliarden, die unsere Arbeitnehmer 1974 und 1975 bei der Sparkasse und bei der Bank gespart haben, die vielen Milliarden, die unsere Rentner gespart haben — sie haben gespart; die Rentner konnten ja auch sparen; es ist ihnen ja auch vorher nie so gut ergangen wie gegenwärtig —, ausgeliehen.
Wir haben uns diese 35 Milliarden DM zusätzlich von Staats wegen geliehen und haben sie zusätzlich ausgegeben, mit vier Konjunkturprogrammen, mit der Einführung des Kindergeldes — da hat sich Herr Carstens vertan, er meinte vorhin, die CDU habe das eingeführt —,
mit der Ausweitung des Arbeitslosengeldes, mit der zeitlichen Erstreckung des Kurzarbeitergeldes. Alle diese Maßnahmen stehen in konträrem Gegensatz zu dem, was in den frühen 30er Jahren geschehen ist. Ich zähle weiter die Investitionszulage auf, die großen Zuschüsse an die Einrichtungen der Sozialversicherung, die Bundesanstalt in Nürnberg, die Landesversicherungsanstalten. So haben wir im Ergebnis durch staatliche Aktivität, durch aktive Finanzpolitik, durch antizyklische Finanzpolitik — die muß nämlich in einer Rezession auch antizyklisch, d. h. so verlaufen, wie wir es gemacht haben — dafür gesorgt, daß der Ausfall an Aufträgen aus dem Ausland, denn der Welthandel ist in zwölf Monaten um 10 °/o geschrumpft, zu einem Teil —ganz ging es nicht — durch zusätzliche Nachfrage hier im Inland ausgeglichen worden ist. Als wir im vorigen Herbst sahen, daß sich daraus der Aufschwung ergeben würde — und heute können Sie, ob Sie den Bundesbankbericht oder was immer nachlesen, feststellen, daß sich alle Kurven zum Teil seit Juli, zum Teil seit August vorigen Jahres nach oben bewegen; so falsch war die Prognose vom vorigen Frühjahr ja auch nicht, daß sich das Blatt im Sommer 1975 wenden würde —,
als wir also im September/ Oktober sahen, daß sich das Blatt wendet, haben wir schon zu jenem frühen Zeitpunkt dafür gesorgt, daß sich niemand darin täuscht, als ob sich die großen zusätzlichen Inanspruchnahmen der Kreditmärkte und die großen zusätzlichen Ausweitungen der Ausgaben des Staates für die Zukunft so fortsetzen würden. Das ist der innere Grund für das Haushaltsstrukturgesetz vom vorigen Herbst, das rechtzeitig beschlossen wurde. Es ist eines der Elemente, Herr Professor Carstens, das zu dem großen Vertrauen der Arbeitnehmer, der Konsumenten und der Unternehmer geführt hat.
Horchen Sie doch einmal nach der Hannoveraner Messe hin. Dies große Vertrauen beseelt heute alle Teile der deutschen Wirtschaft, der deutschen Gesellschaft in die Zukunft.
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16822 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundeskanzler SchmidtWir haben damit einen erheblichen Beitrag zur konjunkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft und insbesondere der Wirtschaft innerhalb des Gemeinsamen Marktes geleistet. Wir wollen auch in Zukunft den westlichen Gemeinschaften, denen wir angehören, dem Atlantischen Bündnis und dem Gemeinsamen Markt, alle die Hilfe leisten, zu der wir imstande sind, wie ja auch das Atlantische Bündnis nicht nur für Berlin, nicht nur für uns, sondern für ganz Europa notwendig ist, um die Sicherheit zu schaffen, innerhalb welcher der europäische Einigungsprozeß ermöglicht werden muß. Wir haben bei diesem europäischen Einigungsprozeß in den zurückliegenden Jahren manches Positive erreicht. Ich darf für alle drei sozialliberalen Bundesregierungen in Anspruch nehmen, daß sie dazu sehr vieles beigetragen haben. Andererseits müssen die Partner der Europäischen Gemeinschaft einander eingestehen — wir haben vor ein paar Wochen darüber gesprochen —, daß unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise und im Gefolge der unterschiedlichen Auswirkungen, die sie auf die Volkswirtschaften, die Gesellschaften und die Staaten der neun EG-Länder gehabt hat, allerdings 1975, vor allen Dingen 1976 der Anschein einer Stagnation eingetreten ist, was ich in allererster Linie auf die Weltwirtschaftsrezession zurückführe. Ohne Ländernamen zu nennen: Wenn manche Staaten z. B. auf Vorschläge für gemeinsame Direktwahlen noch nicht eingehen konnten — und Sie wissen, daß wir auf jeden Vorschlag eingehen konnten und das auch gesagt haben, auch hier vor diesem Parlament gesagt haben —, dann hängt das mit sozialen Situationen, mit innenpolitischen Situationen in jenen Ländern zusammen, für die jene Regierungen verantwortlich sind, und die sind zum Teil wiederum abhängig von zum Teil schlimmen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in jenen Ländern und in bestimmten Regionen jener Länder. Ich will nicht deutlicher sein.Uns liegt sehr daran, daß in Zukunft eine stärkere Koordination und Harmonisierung der ökonomischen Politik in den neun Staaten stattfindet. Wir haben uns dazu immer wieder bereit erklärt. Wir haben auch Vorschläge gemacht.Es ist daher, Herr Professor Carstens, auch nur angemessen, wenn ich darauf hinweise, daß es in jenen relativ problemlosen 60er Jahren, in denen es eine Weltwirtschaftskrise nicht gab, leider auch der CDU/CSU, als sie die Regierung führte, trotz der sehr viel günstigeren Bedingungen nicht möglich gewesen ist, ein höheres Maß an ökonomischer Kooperation innerhalb der EG zu erzielen. Europa wäre mit der Weltwirtschaftskrise vielleicht etwas besser fertig geworden, wenn dieses System ökonomischer Kooperation bereits Ende der 60er Jahre etabliert, eingelaufen und selbstverständlich gewesen wäre, als die Weltinflation losging, die Ölpreise explodierten und das Weltwährungssystem und das Zahlungsbilanzgefüge in der ganzen Welt zerbrachen.Sie haben an Adenauer erinnert. Das soll Ihnen unbenommen sein. Ich will nicht an die Politik des leeren Stuhls erinnern, die es in den 60er Jahren ebenfalls gegeben hat, wenngleich mir das unbenommen sein müßte. Ich will nur sagen: Sie können sich gut erinnern und der Abgeordnete Carstens als damaliger Staatssekretär des Auswärtigen Amtes kann sich besonders genau erinnern, wie schwierig es in jenen Jahren gewesen ist, eine gemeinsame ökonomische Politik in der EG zu verabreden und zu verwirklichen, und daß es zum Beispiel damals nicht möglich war, Großbritannien der Europäischen Gemeinschaft hinzuzufügen, obwohl die Engländer es wollten. Das ist dann erst anderen Personen in mehreren europäischen Regierungen gelungen. Wir brauchen dabei die Person des damaligen deutschen Regierungschefs, nämlich des damaligen Bundeskanzlers Brandt, weiß Gott nicht unerwähnt zu lassen.
Bei aller Besorgnis darüber, daß sich die einzelnen europäischen Volkswirtschaften gegenwärtig auseinanderentwickeln, obwohl sie im Gemeinsamen Markt so eng miteinander verbunden sind und alle voneinander abhängen, gibt es auch positive Aspekte, etwa den Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks. Positive Aspekte gibt es auch in einzelnen Ländern. Nicht nur um Englands willen, sondern auch im Interesse der Gemeinschaft als Ganzer und im Interesse der deutschen Vollbeschäftigung fühle ich mich dadurch sehr ermutigt, daß es nun abermals einer englischen Regierung gelungen ist, etwas fortzusetzen, was ihre Vorgängerin zustande gebracht hat, nämlich einen sich auf zwölf Monate erstreckenden Sozialkontrakt zwischen Regierung und Gewerkschaften, der sicher ganz wesentlich dazu beitragen wird, nun auch in Großbritannien die dort besonders hohe Inflation zu dämpfen. Mich erfüllt das mit einiger Hoffnung; es wird nicht alle Probleme Englands lösen. Aber es trägt zu meiner optimistischen Einschätzung des Ganzen durchaus bei.Lassen Sie mich auch etwas über das Verhältnis zu Frankreich sagen, auf das Sie vorhin angespielt haben. Die deutsch-französische Zusammenarbeit muß, denke ich, nach Ihrer Meinung, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wie auch nach Meinung der Freien Demokratischen Partei und wie nach der Meinung der Sozialdemokratie, immer als eine unverzichtbare Grundlage für das europäische Einigungswerk angesehen werden, so wie wir sie auch früher immer angesehen haben. Ich versichere Ihnen, daß diese Zusammenarbeit intakt ist. Ich bitte Sie, der eigenen Regierung und der Intaktheit dieser Zusammenarbeit nicht in den Rücken zu fallen.
Ich lasse nichts aus von dem, was Herr Professor Carstens gesagt hat, ich will wirklich nichts umgehen. Aber ich darf es dann wohl auch in meinen Zusammenhang stellen.Ich darf darauf hinweisen, daß in den vergangenen Jahren Frankreich und Deutschland mit Erfolg eine sehr parallele Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik getrieben haben, übrigens mit dem Ergebnis — das man drüben in Frankreich wie auch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16823
Bundeskanzler Schmidtbei uns für 1976 jetzt schon ablesen kann —, daß wir im wirtschaftlichen Gesamterfolg sehr nahe beieinander liegen werden. Wenn ich noch die Vereinigten Staaten von Amerika hinzuzähle, haben Sie die drei Länder, die gegenwärtig am stärksten durch ihre eigene wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung die Gesamtkonjunktur der Weltwirtschaft nach oben ziehen.Ich bin sicher, daß man aufpassen muß und nicht zulassen darf, daß die in anderen Teilen der Welt nach wie vor vorherrschende Rezession und Stagnation zu einer allgemeinen Europamüdigkeit führt. Sie wissen — ich sage es an dieser Stelle noch einmal —, daß unsere für die unmittelbare Zukunft geltenden Vorstellungen sind: 1. die Direktwahlen zum Europäischen Parlament heute in zwei Jahren; 2. eine umfassende und verbindliche Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten, wobei alle diejenigen, die ihre wirtschaftlichen Anstrengungen mit denen ihrer Partner gleichrichten, auf volle Unterstützung durch die Gemeinschaft müssen rechnen können; 3. die Realisierung der im Tindemans-Bericht gezogenen Grundlinien für eine europäisches Konzept. An uns wird auf keinem dieser Felder die Möglichkeit scheitern, konstruktive Schritte nach vorn zu tun.Wir erklären heute erneut, daß wir bereit sind, auf allen diesen Feldern auf alles einzugehen, auch wenn es nicht gerade unsere optimalen Vorstellungen treffen sollte, auf das sich die anderen einigen können. An uns scheitert das alles nicht.
Ich will vor allen Dingen auch wiederholen, was ich heute vor einem Monat hier im Deutschen Bundestag in ähnlichem Zusammenhang gesagt habe, nämlich: Die Bundesregierung vertritt die Meinung, daß die Bundesrepublik Deutschland, daß wir alle, daß unser Volk bereit sein muß — wir jedenfalls sind bereit auch zu weiteren finanziellen Opfern zugunsten der Gemeinschaft oder einzelner Partnerstaaten, wenn die parallelen Anstrengungen unserer Partner oder des Partnerstaats tatsächlich dafür sorgen, daß solche Opfer Fortschritt in der europäischen Integration bringen.
Ich beschränke dies ausdrücklich nicht auf die herkömmlichen Felder der Finanzierung des EG-Haushalts oder der verschiedenen Fonds, die es da gibt, sondern ich denke, daß auch andere Felder in Zukunft dafür in Anspruch genommen werden können und sollten.Ich wiederhole wegen des Rundumschlag-Begriffs, den Herr Abgeordneter Carstens hier in die Debatte eingeführt hat, ebenso das, was ich am 8. April hier gesagt habe. Ich warnte jeden davor, in solchem wirtschaftlichen oder in anderem europäischen Zusammenhang eine deutsche Führungsrolle anzustreben. Dies ist die Meinung der ganzen Bundesregierung und auch meine Meinung.
Wir haben eine solche Rolle zu keiner Zeit erstrebt; wir werden das auch in Zukunft nicht tun.
Was wir tun können und was wir tun wollen, ist erstens, daß wir von unseren Partnern nicht mehr an wirtschaftlicher und sozialer Vernunft verlangen als von uns selber, als wir selber hier in diesem Lande zu verwirklichen bereit und in der Lage sind. Zweitens wollen wir hinter keinem EG-Partner zurückstehen, wenn es gilt, in konstruktiver Weise zum Fortschritt in Europa beizutragen.Was die deutsch-französische Freundschaft angeht: die Förderung und Vertiefung der Praktizierung ihrer Grundsätze in vertrauensvoller und loyaler Zusammenarbeit waren und bleiben sowohl für Präsident Giscard d'Estaing als auch für die Bundesregierung und für mich eines der wichtigsten Elemente unserer Politik, gerade weil es durchaus auch zwischen Frankreich und Deutschland auf manchen Feldern divergierende Interessen und divergierende Auffassungen gibt, die zu leugnen, überzumalen oder überzutapezieren niemanden nützen würde.Lassen Sie mich als Erfolge dieser loyalen und vertrauensvollen deutsch-französischen Zusammenarbeit erstens nennen, wie wir seit 1974 mit Hilfe des Europäischen Rats, ungeachtet der Tatsache, daß in diesem Frühjahr auch einmal eine Sitzung stattgefunden hat, die keine nach außen greifbaren Erfolge erbrachte, die Aktivität der Regierungschefs unmittelbar für den europäischen Prozeß mobilisiert haben. Ich füge hier in Klammern ein: ich wäre sehr froh — egal, wer in welchem Lande im einzelnen regiert —, wenn diese regelmäßigen Zusammenkünfte der Regierungschefs wirklich als eine routinemäßige, regelmäßige Sache angesehen würden und sie nicht im Vorwege mit allzu großen Erwartungen auf allzu spektakuläre Ereignisse befrachtet würden.
Enge persönliche Berührung der Verantwortlichen ist in sich ein großer Wert für den Integrationsfortschritt, auch wenn er nicht in jedem einzelnen Treffen in einer Resolution mit drei oder fünf Punkten zum Ausdruck kommt.Zweitens möchte ich nennen: die in unserer Zusammenarbeit herbeigeführten wesentlichen Ausgestaltungen der Korrekturmechanismen zur Finanzverfassung der Gemeinschaft, die letztlich den positiven Ausgang des britischen Referendums erst ermöglicht haben.Ich nenne drittens das französisch-deutsche Zusammenwirken beim Zustandekommen des schon erwähnten Spitzentreffens in Rambouillet und die dort tatsächlich zustande gebrachten weltweit reichenden ökonomischen Absprachen, die eine Gleichrichtung der ökonomischen Politik in den dort vertretenen Ländern bei der Bekämpfung der Rezession tatsächlich zustande gebracht hat.Dieser ständige Kontakt, das große Einvernehmen und die beharrliche Umsetzung des gemeinsam als
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16824 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundeskanzler Schmidtrichtig Erkannten werden — da bin ich ganz zuversichtlich — auch in den kommenden Jahren das Verhältnis zwischen der politischen Führung Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland kennzeichnen. Ich bin fast sicher, daß der Erfolg unserer gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Bestrebungen 1976 uns allen, Ihnen allen, deutlich ins Auge treten wird.Schon diese kurzgefaßte und auf vieles verzichtende Bilanz kann sich, wie ich denke, in unseren beiden Ländern sehen lassen! Und man sollte nicht versuchen, aus wahltaktischen Motiven, die mir durchaus verständlich sind — diese Bemerkung bezieht sich nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland —, sie dadurch zu relativieren, daß Meinungsverschiedenheiten oder Mißverständnisse über Gebühr aufgebauscht werden, die auch vorgekommen sind und weiterhin vorkommen werden.
Nirgendwo auf der Welt ist man vor Rückschlägen gefeit, manchmal ist man an ihnen völlig schuldlos, manchmal ergeben sie sich von außen, manchmal wird man sich auch einen gewissen Anteil an der Verursachung zurechnen lassen müssen.Wenn ich aber gegenwärtig in der Presse Deutschlands oder auch in der Presse Frankreichs lese, eine Erklärung des französischen Staatspräsidenten vom 5. Mai zur französischen Verteidigungspolitik sei Ausdruck einer „tiefen Kluft" zwischen unseren beiden Ländern, dann kommt mir dies allerdings bösartig vor, was die Auslegung angeht. Ich muß dann auch sagen, wie völlig abwegig diese Auslegung ist. Präsident Giscard hat gesagt — ich zitiere die Übersetzung, die mir vorliegt —:Wenn Frankreich jetzt eine kleine Armee hätte. gäbe es in Europa nur noch eine große Armee, nämlich die deutsche, die auf Wehrpflicht beruht. Ich meine, daß es wichtig ist für das militärische Gleichgewicht auf unserem Kontinent, daß die französischen Streitkräfte die gleiche Größenordnung haben wie die andere Streitmacht unseres Kontinents, nämlich die deutsche.Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen sagen, daß ich diesen Gedanken und seine Formulierung seit langer Zeit für richtig halte und daß Herr Präsident Giscard d' Estaing und ich uns über diesen Gedanken und über seine Formulierung seit zwei Jahren einig sind. Es ist auch nicht das erste Mal, daß er das so ausspricht. Nur, in der gegenwärtigen innenpolitischen Atmosphäre beider Länder wird daraus jetzt plötzlich ein Interessengegensatz oder gar eine Kluft gemacht.
Es muß doch in unserem gemeinsamen Verteidigungsinteresse liegen, wenn die französische Staatsführung nun schon seit einiger Zeit zusätzliche Anstrengungen ergriffen hat, um die konventionelle Verteidigungsfähigkeit Frankreichs zu erweitern und auf diese Weise zur konventionellen Verteidigungsfähigkeit ganz Europas beizutragen.Wir wollen uns auch im übrigen, was die anderen Partner in Europa angeht, nicht durch Unterstellungen entfremden lassen. In dem Zusammenhang hören wir ja bisweilen von einigen Ihrer Sprecher — und es schien so, Herr Abgeordneter Dr. Carstens, als wollten auch Sie das zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringen — Angriffe und Beschuldigungen, wir würden uns, wie Sie es nennen, in die inneren Angelegenheiten unserer Partnerstaaten einmischen.Als erstes stelle ich einmal die Frage: Was ist eigentlich der Grund dafür, daß in allen neun europäischen Mitgliedsländern viele Menschen besorgte Blicke über die Grenzen in andere Staaten werfen — nicht nur in einen anderen Staat, sondern in mehrere andere Staaten? Was ist der Grund dafür? Ich denke, der Grund liegt darin, daß, weil der Gemeinsame Markt ein so großer Erfolg geworden ist, in der Tat in zunehmendem Maße die wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Prozesse in dem einen Land gleichzeitig eben auch alle acht übrigen Länder und die Gemeinschaft als Ganzes beeinflussen.Sie haben doch erst vor wenigen Tagen — oder steht das noch kurz bevor? — eine europäische Volkspartei gegründet oder sind im Begriff, sie zu gründen, gemeinsam mit anderen christ-demokratischen Parteien der Mitgliedstaaten und anderen konservativen Parteien.
Das ist doch etwas Gutes. Sie vollziehen da etwas, was z. B. die Sozialdemokraten schon etwas länger, wenn auch nicht unter dem Namen einer gemeinsamen Partei, betrieben haben und was auch die liberalen Parteien Europas nunmehr begonnen haben. Das ist doch etwas Gutes. Es zeigt, daß wir in unserem Integrationsprozeß inzwischen so weit sind, daß es nun langsam so etwas wie europäische Innenpolitik gibt. Sie werden doch, wenn Sie zusammen z. B. mit der italienischen DC, als gemeinsame Partei, in den Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 1978 vor die Wähler Europas treten, doch nicht sechs oder neun verschiedene Parteiprogramme — je eines für die Abteilung Deutschland, für die Abteilung Frankreich, die Abteilung Belgien, die Abteilung Süditalien oder die Abteilung Norditalien — vorlegen, sondern doch wohl ein gemeinsames Programm erarbeiten. Dabei werden Sie doch, nehme ich an, auch abwägen müssen, welche Probleme dort hineingehören. Es werden doch nicht nur abstrakte Probleme sein, Herr von Weizsäcker, nicht nur die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, die Sie nunmehr auch in Ihr Programm hineinschreiben, was ich ausdrücklich begrüße; ich meine das tiefernst, ich komme darauf zurück. Denn damit allein werden doch eine Wahl und eine Gestaltung Europas nicht zu bestreiten sein. Das ist doch nur die sittliche Grundlage, von der aus Sie als europäische Partei politisch konkret handeln müssen und konkrete politische Sorgen in einzelnen Teilen Europas zu behandeln haben werden.
Nun sagen einige Christdemokraten, wir mischten uns dadurch zu sehr in die Belange anderer
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16825
Bundeskanzler SchmidtLänder ein, daß wir einmal gesagt haben — darüber gibt es doch gar nichts zu streiten; das bleibt auch richtig —: In den Ländern, in denen der soziale und demokratische Fortschritt funktioniere, gibt es keine Kommunisten von Belang. Das ist nun weiß Gott eine Wahrheit, die jeder in Deutschland unterschreiben kann.
Das kritisieren Sie als zu scharfe Einmischung. Andererseits sagt Ihr Bundesgeschäftsführer, Herr Professor Biedenkopf, öffentlich, daß die Geschäftsgrundlage der Römischen Verträge, die Geschäftsgrundlage der Europäischen Gemeinschaft in Frage gezogen werde, wenn in bestimmten Ländern möglicherweise bestimmte Parteien an der Regierung beteiligt würden. Ich zweifle, ob das richtig überlegt ist. Ich will es gar nicht kritisieren. Ich will Sie nur bitten, sich doch zu überlegen, ob nicht insoweit wenigstens eine einheitliche Vorstellung geschaffen werden kann, als es selbst Herrn Professor Biedenkopf nicht verboten werden kann, öffentlich darüber nachzudenken, wie innenpolitische Entwicklungen in anderen Partnerstaaten auch uns tangieren. Er muß ja nicht gleich so weit gehen, deswegen die ganzen Römischen Verträge in Frage zu ziehen.
Und er ist ja nicht der einzige. Herr Ministerpräsident Kohl hat sich in Amerika in signifikanter Weise geäußert. Und dann sagt wiederum Ihr Kollege Marx über mich: daß der Bundeskanzler gesagt hat, das' sei aber dann gar keine Katastrophe, dies sei unerhört und zeige, welche Volksfrontneigungen er in Wirklichkeit verfolge.
Die Engländer haben dafür ein Sprichwort, das heißt, Herr Kollege Marx: Take the arguments where you can find them. Sie haben nicht genug nachgesucht. Sie haben nur die billigsten Argumente gefunden, die Sie finden konnten.
Was die in Entstehung begriffene europäische Innenpolitik angeht — sie wird in vielen Ländern, vielleicht auch einmal bei uns im deutschen Volk, noch Schwierigkeiten auslösen —, so wird man sich erst noch daran gewöhnen müssen, daß auch die Partner, die holländisch, dänisch, italienisch, französisch, irisch oder englisch sprechen, ein bißchen bei dem mitzureden haben, was wir Deutschen tun. Ich gestehe Ihnen freimütig — es war auch für mich überraschend —, wir haben in der Bundesregierung ein bißchen überlegt, ob wir und wie wir zu antworten hätten, als damals zwei EG-Regierungen öffentlich verlangten, Deutschland solle noch mehr öffentliche Kredite aufnehmen, als wir es schon taten. Sie von der CDU haben uns darin immer kritisiert, weil Sie unbewußt Anhänger einer deflatorischen Politik waren. Ich will nicht sagen: einer Brüningschen Politik, aber einer deflatorischen Politik mitten in einer Weltkrise.
Aber andere EG-Regierungen, an denen auch Christdemokraten beteiligt sind, haben uns nicht nur hinter den verschlossenen Türen europäischer Ministerräte,
sondern auch öffentlich gemahnt, wir sollten vielmehr umgekehrt noch mehr deficit spending betreiben, noch mehr Kredite aufnehmen, die Staatsausgaben noch mehr ausweiten, weil dies Europa als Ganzem nützen würde. Und andere haben gesagt, wir sollten die Inflation bitte nicht so stark bekämpfen, weil sie da nicht mehr mitkämen. Wir haben uns — ich gestehe das — ein bißchen überlegt, ob wir und wie wir darauf reagieren sollten. Jedenfalls haben wir das ernst genommen, geprüft und mit jenen anderen Regierungen darüber stundenlang gesprochen, ob ihr Ratschlag richtig sei. Wir sind dann diesem Ratschlag zu noch größerem deficit spending nach reiflicher Erwägung, nach Anhörung der Argumente nicht gefolgt. Wir haben uns unsere eigene Meinung bilden müssen. Ich möchte beinahe vorhersagen, daß — so wie hier geschehen, auch in Zukunft — wir europäischen Völker noch unsere Schwierigkeiten mit der europäischen Innenpolitik haben werden, daß unsere Nachbarvölker, unsere Partnerländer, unsere Freunde, unsere Kameraden oder Genossen — oder wie das, je nach Sprachgebrauch und Tradition, in den einzelnen Ländern heißen wird — auch uns, und zwar auch öffentlich, kritisieren werden, und da mag es sodann auch hier oder da deutsche Empfindlichkeiten geben. Ich sehe das voraus.
— Ich habe ja nicht das Gefühl, Kollege Wehner, daß die Regierungsmannschaft zustande kommt. Wir haben ja gehört, daß das nur mit einem Manne allein gehen soll.
Wahrscheinlich liegt es aber daran, daß die übrigen in die Ämter, die sie in einer präsumtiven Regierung von Herrn Ministerpräsidenten Kohl einnehmen sollen, nicht so recht eingeteilt werden können. Ich bin im Augenblick natürlich nicht sicher, ob nun Herr Strauß aspiriert auf ein — wie er hofft —Außenministeramt oder auf das Finanzministeramt oder auf alles zusammen, nicht wahr, vielleicht als Stellvertreter, der die Geschäfte der Bundesregierung führt. Das kann ich mir durchaus vorstellen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang bitte auch daran erinnern dürfen, daß wir einem anderen, uns
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16826 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundeskanzler Schmidtfreundschaftlich verbundenen Land innerhalb der Gemeinschaft in ungewöhnlicher Weise durch einen Währungskredit, wie es ihn in diesem Ausmaß bisher zwischen zwei Staaten nie gegeben hatte, geholfen haben. Wir sind hier auch durchaus zu fernerer Hilfe bereit, immer in Verbindung mit den Vorstellungen oder unter den Voraussetzungen, wie ich sie vorhin genannt habe. Vielleicht trägt diese deutsche finanzielle und währungspolitische Hilfe für andere nicht gerade dazu bei, die Deutschen dort, wo man solche Hilfen empfängt, beliebter zu machen. Es kann auch sein, daß auch die vergleichsweise günstige wirtschaftliche Entwicklung in diesem Lande dazu nicht beiträgt. Um so mehr bin ich froh darüber, zu sehen, wie viele Deutsche gegenwärtig dem Spendenaufruf zugunsten der Opfer des Erdbebens in Italien folgen, und ich möchte darum bitten, daß sich diese Hilfsbereitschaft im deutschen Volke noch verstärken möge.
Bürgerinnen und Bürger, nichtstaatliche Organisationen sind, genauso wie die Bundesregierung selbst, bereit, den Opfern des Erdbebens zu helfen und unsere Hilfe weiterhin auszudehnen.Nun einige Bemerkungen zu den innenpolitischen Teilen in der Rede des Herrn Oppositionsführers. Herr Professor Schäfer hatte ja einen breiten Abriß dessen gegeben, was unter sozialliberaler Gesetzgebung im Laufe der letzten fünf, sechs, sieben Jahre in Deutschland geleistet worden ist. Herr Professor Carstens hat dazu gesagt: Jawohl, auch wir Christdemokraten sind für soziale Sicherheit! Ich bin nicht ganz sicher. Herr Strauß hat ihm nachher gratuliert, aber was Herr Strauß in München gesagt hat und was er im „Bayernkurier" geschrieben hat, klingt ja ein bißchen anders.
Da sprach ja Herr Strauß von der Notwendigkeit des Abbaus sozialer Leistungen bei fortschreitendem Wohlstand. Das ist ja gedruckt, und es ist ihm ja nicht aus Versehen herausgerutscht.
— Nein, das ist kein falsches Zeugnis.
— Sie haben ja noch über eine Woche Zeit zum Zitatenaustausch. Ich habe es mit eigenen Augen gelesen
und ich habe eine brauchbare Brille dabei auf der Nase gehabt.
Ich habe es selbst gelesen.
Aber zurück zu der Bemerkung, die Herr Professor Carstens dazu gemacht hat. Er hat gemeint, für soziale Sicherheit seien Sie ja auch, aber das habe doch mit Sozialismus nichts zu tun.
Nun sage ich Ihnen — nicht meine freidemokratischen Kollegen mit in Anspruch nehmend, nicht für die ganze Koalition sprechend, aber für meine Person darf ich das einmal sagen:
Herr Professor Carstens, Sie haben dabei von der Kriegsopferversorgung gesprochen und gesagt, daß Sie sie geschaffen hätten. Ich kann mich erinnern, daß wir es waren, die dafür sorgten, daß die Kriegerwitwen und die Kriegsopfer mit ihren Renten nun endlich genauso behandelt wurden wie die Invaliden und die Alten in Deutschland.
Für mich war es ein Stück praktischen Sozialismus, diese Gleichstellung endlich ins Werk zu setzen.
Für mich war das gleichzeitig ein Stück Befreiung vieler Menschen, Befreiung von der beschämenden Situation, in der sie sich bis 1969 oder 1970 befanden, hier in Bonn mit ihren Krücken aufmarschieren und dafür demonstrieren zu müssen, daß sich der Bundestag bitte wieder einmal zur „Gratifikation" herablasse.
Sie haben den Numerus clausus verteidigt. Darüber war ich überrascht, Herr Professor Carstens.
— Wenn ich Herrn Professor Carstens in diesem Punkte falsch verstanden haben sollte, werde ich mich sofort revidieren.
Ich bin ja dabei, es zu tun, wenn ich ihn wirklich falsch verstanden habe. Aber dann bitte ich Herrn Professor Carstens, mir durch Zuruf zu bestätigen, daß er — —(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Vielleicht instrammer Haltung! — Weitere Zurufe vonder CDU/CSU)— Jetzt bemüht sich einer, ein möglicherweise überflüssiges Mißverständnis auszuräumen, und man läßt ihn noch nicht einmal ausreden.
Es bedarf nur eines kurzen Zurufes, um mir klarzumachen, daß ich etwas falsch verstanden habe. HerrProfessor Carstens braucht nur zu bestätigen, daß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16827
Bundeskanzler Schmidtauch die CDU/CSU der Meinung ist, der Numerus clausus müsse weg.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Zuruf nicht erfolgt ist.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Carstens?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Herr Bundeskanzler, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich Ihrer Regierung vorgehalten habe, daß sie im Jahre 1970 die Abschaffung des Numerus clausus versprochen hat und im Jahre 1975 der Numerus clausus schärfer als jemals in der Vergangenheit gehandhabt wurde, und daß deswegen Ihre Versprechungen, den Numerus clausus in den nächsten drei Jahren abzuschaffen, unglaubwürdig sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte in drei Punkten antworten, Herr Professor Carstens. Erstens. Ich nehme das gern zur Kenntnis.
Zweitens. Sie haben recht, wir setzen uns schon lange für die Abschaffung des Numerus clausus ein.
— Diese Zwischenrufe sind doch töricht! Gemacht wurde er durch einen Staatsvertrag zwischen elf Ländern, die sich deswegen inzwischen gegenseitig vor dem Karlsruher Verfassungsgericht verklagt haben. Das ist doch die Wahrheit.
Ich füge drittens hinzu, daß mir sehr wohl bewußt ist, daß er durch Bundesgesetzgebung nicht aus der Welt geschafft werden kann, sondern daß es in dieser Hinsicht des immer wiederholten Appells an die Länder bedarf, allerdings dann auch an diejenigen Landesregierungen, die komischerweise für die Entwicklung unserer Schul-, Berufsschul- und Hochschulpolitik offenbar gar keine Verantwortung tragen wollen, obwohl Ihre Parteifreunde dort zum Teil seit zehn Jahren als Kultusminister amtieren. Sie haben ja einige Kultusminister genannt. Sie hätten die anderen mit nennen sollen, Herr Professor Carstens.
— Nein, ich meine z. B. das Land Rheinland-Pfalz, wo vor einem Dutzend Jahren noch einklassige Dorfschulen neu gebaut worden sind.
— Das fällt nicht auf Herrn Kohl, das fällt auf seinen Amtsvorgänger; aber der gehörte der gleichen Partei an.
Man kann gewiß an manchen Erscheinungen, die bei der Bildungsexplosion der letzten zehn Jahre auch vorgekommen sind, vielerlei Kritik üben. Ich gehöre zu denen, die daran vielerlei Kritik üben. Ich würde dies nicht auf A- und B-Länder säuberlich unterteilt tun. Der Oppositionsführer hat hier z. B. von Berufsausbildung gesprochen. Das ist ja im Ernst ein Problem, das das ganze Land angeht. Soweit der Staat mit der Berufsschule daran beteiligt ist, ist es Sache der Länder; soweit die Wirtschaft, das Gewerbe und das Handwerk daran beteiligt sind, ist es zunächst Sache der Betriebe und der Unternehmen; aber soweit es sich um staatlich zu erlassende Berufsbilder handelt — heute heißt es Ausbildungsordnungen —, ist es Sache der Bundesinstanzen.Allerdings bitte ich, dann auch einmal ein bißchen in der eigenen Geschichte zu forschen. Heute vor etwa drei Jahren hat Herr Ministerpräsident Kohl vor dem rheinland-pfälzischen Landtag in einer Regierungserklärung sehr deutlich ausgeführt, daß er das ablehnt, was Sie heute vertreten, nämlich daß der Staat eine zusätzliche Subvention auf die Schultern des Steuerzahlers packen sollte, um die betriebliche Ausbildung zu finanzieren.Nun kann man natürlich nach der zwischenzeitlichen Entwicklung auch manches anders sehen und darf seine eigene Meinung revidieren. Aber ich frage dann Herrn von Weizsäcker, der sich in jüngster Zeit viel mit philosophischen Grundlagen christlicher Politik beschäftigt hat, wie das eigentlich mit dem Subsidiaritätsprinzip zusammenpaßt.
— Zum Numerus clausus habe ich mich sehr klar geäußert. Ich fordere z. B. auch das Land Rheinland-Pfalz auf — das hat ja ebenfalls Hochschulen —, zu antworten, zu reagieren auf unsere Forderung nach Abschaffung des Numerus clausus. Ich will gern hinzufügen, daß ich allerdings glaube, daß gegenwärtig die Fächer der Medizin noch ausgenommen bleiben müssen.Im übrigen meine ich aber, daß vielerlei Berechnungen, die in Deutschland über Hochschulkapazitäten und Studienplätze angestellt werden, höchst künstliche Rechnungen sind. Wenn man nämlich wie in manchen Fabriken, die überbeschäftigt sind,
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16828 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundeskanzler Schmidtauch einmal an einem Hochschulinstitut eine zweite Schicht einführen würde, dann wäre plötzlich doppelt soviel technische Kapazität vorhanden.
Das wichtigere Problem liegt aber auf dem Felde der Berufsausbildung, nicht auf dem Felde der Hochschulverfassung oder der Hochschulreform.
— Die Gesamtheit Ihrer Zurufe, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union, läßt uns, die wir Sie beobachten und Ihnen zuhören, erkennen, daß letztlich bei Ihnen heute die Entscheidung noch nicht getroffen ist, ob Ihre Politik denn wirklich, wie Herr Professor Carstens heute morgen angekündigt, aber nicht wahr gemacht hat, darin besteht, konkrete Alternativen anzubieten, oder ob sie weiterhin, wie Herr Strauß vor zwei Tagen in München ausgeführt hat, in der Sonthofener Strategie bestehen soll, von der er nur bedauert hat, daß er damals nicht noch schärfer gesprochen habe, als es geschehen ist; das ist ja doch wörtlich bei Ihnen zu lesen, Herr Strauß.
— Es wäre ja gut, wenn der Herr Abgeordnete Strauß in diesem Hause genauso reden würde wie zu Hause in Bayern; dann würde sich nämlich seine wahre Auffassung herumsprechen, dann würde sie sich deutlich abbilden.Sie müssen sich bei Ihren Zwischenrufen und Ihrer Gesamtdarstellung, meine Damen und Herren von der CDU, überlegen, ob jene Art der Politik, die im wesentlichen aus einer polemisch gekonnten, polemisch wirksamen Herabsetzung des Gegners unter Verzicht auf eigene Substanz besteht, Ihre Strategie sein soll oder ob Sie nicht im Ernst, auf den Grundwerten der Freiheit, der Solidarität und der Gerechtigkeit fußend, diese nunmehr in konkrete, greifbare, verständliche Politik umzugießen sich anschicken wollen.Der Oppositionsführer hat mir vorgeworfen, ich arbeitete zuviel und dächte nicht genug nach. Bei Ihnen habe ich das Gefühl: weder das eine noch das andere, meine Damen und Herren.
Was soll ich denn davon halten, wenn der Professor des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts hier vorträgt, daß die Bundesregierung an der Weltwirtschaftskrise und der Beschäftigungslosigkeit Schuld sei? Ich bitte Sie! Dergleichen ist doch kein Ergebnis von Nachdenken, sondern bloß das Ergebnis des Anpassens des Oppositionsführers an die Sonthofener Strategie, nichts anderes.
— Sie sehen ja, ich bin ganz schön kampfkräftig; das wird auch so bleiben.
Nun lassen Sie mich ein bißchen auf den roten Faden zu sprechen kommen, der sich durch die Rede des Herrn Oppositionsführers die ganze Zeit, immer hier und dort aufscheinend, hindurchgezogen hat.
— Ja, richtig, Herr Kollege Stücklen, auf die Scheinalternative zwischen Freiheit oder Sozialismus.
Zunächst zum Thema Freiheit, Herr Abgeordneter Stücklen.
— Ja, Sie machen doch dauernd Zwischenrufe. Jetzt will er — —(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU —Stücklen [CDU/CSU] : Sie hören auch nichtmehr gut!)— Herr Stücklen, im Ernst, Sie haben ja auf Ihrem Parteitag eine noch weniger anständige Rede gehalten als der Kollege, der unmittelbar neben Ihnen sitzt.
Das war in der Tat eine Leistung, die nicht jeder vollbringen kann.
In allem Ernst darf ich das sage ich jetzt nichtzu Ihnen, denn Sie wissen es; nur ziehen Sie es vor, es aus Ihrem Bewußtsein zu verdrängen und in Ihrer Rede zu verleugnen; aber für andere, die uns zuhören — zum Thema Freiheit einmal folgendes sagen. Wenn es in Deutschland schließlich und endlich auch allgemeines und gleiches und geheimes Wahlrecht gegeben hat — wäre dies denn wohl ohne die deutsche Sozialdemokratie zustande gebracht worden?
Und wenn es hier seit 60 Jahren Frauenwahlrecht gibt — wer hat es denn wohl zustande gebracht in Deutschland?
Und wenn es hier keine antifreiheitlichen, sogenannten sozialistischen, in Wahrheit aber kommunistischen Bewegungen gibt — auf wessen Arbeit ist dies denn wohl zurückzuführen?
Ich leugne nicht, daß es in allen Teilen des politischen Spektrums Menschen gegeben hat, auch Ihrer Partei zugehörig oder denjenigen, die vor 1945 an der Stelle waren, an der sich heute die CDU oder die CSU befinden, die dazu weiß Gott auch ihre bedeutenden Beiträge geleistet haben. Aber wie kommen Sie eigentlich dazu, unterschwellig die deutsche
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16929
Bundeskanzler SchmidtSozialdemokratie mit der Unfreiheit identifizieren zu wollen?
Der Oppositionsführer hat heute über Berlin gesprochen. Wo wäre denn, Herr Professor Carstens, die Freiheit West-Berlins ohne einen Mann wie Ernst Reuter oder einen Mann wie Willy Brandt?
Gäbe es denn ohne die Sozialdemokratie dieses freiheitliche Grundgesetz und die Bundesrepublik Deutschland, frei wie sie ist, überhaupt?
— Ich sehe, daß die CSU dieses Mal keine Zwischenrufe macht, weil sie seinerzeit eben auch nicht für das Grundgesetz gestimmt hat. Mir ist das völlig klar.
Sie spekulieren mit diesem von Herrn Ministerpräsidenten Filbinger zuerst verwendeten Schlagwort
auf mehrerlei Mißverständnisse beim Publikum. Das erste Mißverständnis, auf das Sie setzen, ist, daß das Wort Sozialismus sowohl als die Zustände in der DDR und in anderen osteuropäischen Staaten kennzeichnend als auch gleichzeitig als die Sozialdemokratie meinend verstanden werden soll.
— Ich bitte, daß der Zwischenruf „Sehr richtig!", der soeben gemacht wurde, in das Protokoll aufgenommen wird.
Nachträglich können Sie den Zwischenruf Ihres Kollegen nicht mehr aus der Welt schaffen, der gesagt hat: Jawohl, sehr richtig, diese Spekulation ist es, die uns dabei leitet. Den kriegen Sie nicht mehr aus der Welt.Sie manipulieren und suggerieren, als ob für Sie und für jedermann, der Ihre Plakate liest, Kommunismus, Zwangsstaat und Sozialdemokratie ein und dasselbe sei und mit ein und demselben Namen belegt werden dürfe. Wenn Sie das nicht meinen — jetzt wende ich mich an diejenigen unter Ihnen, die auch philosophisch denken und sich um die sittliche Begründung ihrer Politik bemühen —, dann bitte ich Herrn Barzel und Herrn von Weizsäcker, mit dieser unanständigen Methode der eigenen Partei aufzuräumen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr gerne.
Darf ich Sie fragen, Herr Bundeskanzler, ob nach Ihrem Parteiprogramm Demokratie erst im Sozialismus erfüllt wird, d. h., oh Sie sich selber entsprechend Ihrem Programm als Sozialist bezeichnen und ob Ihr Programm ein Programm des Sozialismus ist? Wenn man Sie bei Ihrem Namen nennt, sind Sie beleidigt; das vermag ich nicht zu verstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Barzel, ich versuche, Ihnen eine sorgfältig überlegte Antwort zu geben. Aus unserem Grundsatzprogramm geht hervor, daß wir uns zum demokratischen Sozialismus bekennen,
und aus der deutschen Geschichte geht hervor, daß sich die demokratischen Sozialisten in Deutschland seit fast 100 Jahren Sozialdemokraten nennen. Dabei wollen wir auch bleiben. So steht es ja auch über dem Grundsatzprogramm, das Sie zitieren. Wenn Sie uns also mit unserem genauen Namen ansprechen wollen, würde sich zunächst der Name unserer Partei anbieten, nämlich Sozialdemokraten.Wenn Sie das aber als zu eindeutig empfinden und sich gerne noch einen Rest von möglichen Mißverständnissen erlauben wollen, müßte ich Ihnen zugestehen, daß Sie genauso gut legitimiert wären, uns demokratische Sozialisten zu nennen. Nur, jenes Schlagwort von Herrn Filbinger, das ist doch in Wirklichkeit die direkte Anknüpfung an den vorhin in anderem Zusammenhang mit Recht gelobten Konrad Adenauer, der Plakate mit der Aufschrift drukken ließ: „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau."
Sie wissen, daß hier etwas aufzuarbeiten und daß im Bereich Ihrer Partei auch etwas zu verhindern ist,
wo das Schlimmste einstweilen noch nicht eingetreten ist.Sie möchten bitte verstehen, daß das, was Herr Professor Carstens soziale Sicherheit nennt, was wir, die Liberalen und die Sozialdemokraten, gemeinsam das Netz der sozialen Sicherheit nennen, was wir Sozialdemokraten in vielfältiger Form und in vielen Einzelbeispielen ein Stück Sozialismus, freiheitlichen Sozialismus, demokratischen Sozialismus nennen, daß dies für viele Millionen Menschen erst die Freiheit schafft, von der wir gemeinsam reden,
nämlich die Freiheit von Furcht, die Freiheit von materieller Ängstigung, die Befreiung zu eigener, individueller, selbstverantwortlicher Gestaltung des Lebens.Es geschieht ja auch nicht aus Versehen, daß Sie I nun Freiheit und Solidarität und Gerechtigkeit ne-
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16830 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundeskanzler Schmidtbeneinanderstellen. Ich meinte und meine es ernst, daß ich innerlich froh darüber bin
— das war nicht ironisch, um Gottes willen —, daß Sie sich nun, anderthalb Jahrzehnte nachdem die Sozialdemokratie ihr Grundsatzprogramm verabschiedet hat, über das sie viele Jahre mit sich selbst philosophiert und nachgedacht und debattiert hatte, bis sie es 1959 hier in Godesberg beschloß, daß Sie sich in den letzten Jahren zunehmend und neuerdings eben auch in einem Grundsatzprogrammentwurf, wenn ich es richtig verstehe, zu eben den gleichen Grundwerten bekennen. Ich begrüße das. Sie werden sicherlich die Grundwerte in manchem Punkt anders interpretieren, als wir es tun; das unterstelle ich. Aber es sind bei Ihnen dieselben drei Grundwerte, nicht einer weniger und nicht einer mehr. Ich bin deswegen glücklich darüber, weil auf diese Weise etwas zum Ausdruck kommt, was man ansonsten bei manchen Reden, die die Opposition hier im Bundestag hält, vergessen könnte, nämlich daß es einen breiten Konsensus der Demokraten, der anständigen Menschen in unserem Lande gibt.
Um so mehr werden aber die Nachdenklichen bei Ihnen spüren,
daß man dann nicht im Namen des einen dieser drei Grundwerte
das verächtlich zu machen sich bemühen darf, was andere auf allen drei Grundwerten aufbauen.Wissen Sie — jetzt wende ich mich nicht an die beiden Herren, die ich soeben apostrophierte, sondern sage das eher in die andere Himmelsrichtung —, wenn heute viele Menschen in unserem Land und in vielen Staaten, in vielen Nationen der Welt den Kernbegriff der Vorstellung dessen, wie eine Gesellschaft oder wie ein Staat beschaffen sein soll, nämlich den Kernbegriff der Freiheit, so im Munde führen, wie sie es tun, dann werden Sie uns erlauben müssen, an Ihre Konkretisierung zu denken, an die Konkretisierung Ihres Freiheitsbegriffs zur Zeit der Verhaftungen in Spanien und der „Spiegel"-Affäre und bei ähnlicher Gelegenheit.
Ich glaube Ihnen weiß Gott das Bekenntnis zur Freiheit, und ich hoffe, Sie glauben uns unser Bekenntnis zur Freiheit. Ich wünschte, wir brauchten uns nicht gegenseitig vorzuhalten, wer sich wo wann weniger freiheitlich verhalten habe als der andere. Ich füge nur hinzu: Überschriften austauschen, allgemeine Bekenntnisse austauschen ist sicherlich nicht ohne Nutzen. Grundwerte, über die man sich miteinander verständigen kann, sich gegenseitig darzulegen ist sicherlich nicht ohne Sinn, sondern kann Gewinn bringen. Aber in der Politik wird das, was dieser Grundwert oder jene Grundaussage wirklich bedeutet, durch das konkrete Handeln entschieden. Wenn Sie nicht handeln können wie jetzt, weil Sie in der Opposition sitzen und hoffentlich dort sitzen bleiben, dann müssen Sie wenigstens konkret sagen, was Sie denn alternativ machen würden, falls die deutschen Wählerinnen und Wähler Ihnen die Legitimation gäben.
Die Freie Demokratische Partei wird sich sicherlich im Laufe der kommenden Zeit noch überlegen, was sie zu dieser Grundwertdebatte aus ihrer spezifischen liberalen Sicht beitragen will. Ich glaube, die Grundwertdebatte, die jetzt breit in Gang gekommen ist, hat für die Bewahrung des gemeinsamen Bodens, in dem wir alle wurzeln, etwas Nützliches. Ich finde, wir sollten diese Grundwertdebatte bewußt durchaus auch mit diesem Ziel des gemeinsamen Nutzens führen. Ich darf Ihnen dazu einen Autor zitieren, einen deutschen Hochschullehrer, Horst Eberhard Richter, der gesagt hat:Der Freiheitsbegriff ist ein tragendes Element unserer Verfassung, ein Begriff, der über alle politischen Meinungsunterschiede hinweg die demokratischen Kräfte in unserem Lande verbinden muß. Was würde aus unserem Gemeinwesen, wenn dieser Begriff als integrierender Faktor allerersten Ranges entfiele?Das sage ich an die Adresse derjenigen, die meinen, den Freiheitsbegriff exclusiv nur für sich in Anspruch nehmen zu sollen und andere von ihm ausschließen zu sollen. Dies ist nicht nur unredlich, es ist schlimmer, es gefährdet unser Gemeinwesen.
Lassen Sie mich gegen Ende meiner Bemerkungen zu dem, was wir aus dem Munde des Herrn Professor Carstens gehört haben, einen Gedankengang ausführen, der nicht unbedingt von ihm herausgefordert ist, sondern der mir am Herzen liegt. Ich denke, daß sich so wie im vorigen Jahr auch in diesem Jahr viele Millionen Deutsche — ich glaube, im letzten Jahr waren es 16 Millionen, die ihren Urlaub im Ausland verbracht haben; es werden in diesem Jahr sicher nicht weniger, sondern eher mehr sein — abermals draußen ein unmittelbares eigenes Bild von den Verhältnissen anderswo machen können, das ihr persönliches Urteil über die Lebensbedingungen im eigenen Vaterland, in der eigenen Heimat schärfen, jedenfalls beeinflussen wird.Ich bin sicher, daß diese Landsleute dann, wenn sie wieder zu Hause sind, zu der Feststellung gelangen werden, daß unser Land in der Tat über eine außerordentlich hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit einem der höchsten Lebensstandards für den Arbeiter und den Angestellten, für den kleinen Mann in Europa verfügt, über eine der härtesten Währungen der Welt, eines der stabilsten Preisniveaus der Welt, das in den letzten Monaten nur noch von der Schweiz übertroffen wird; daß wir zweitens in der Tat eine ungewöhnliche soziale Stabilität durch ein immer dichter geknüpftes Netz
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Bundeskanzler Schmidtsozialer Sicherungen erreicht haben, das sich in dieser Weltwirtschaftskrise bewährt hat, auch als Unterpfand des Vertrauens bewährt hat, das trotz aller Bemühungen mancher in der deutschen Gesellschaft nicht verlorengegangen ist,
ein Netz der sozialen Sicherheit, das gleichzeitig das Unterpfand für die Entfaltung individueller, persönlicher, realer Freiheit der Millionen und Abermillionen von Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes ist; drittens, daß dies ein Land ist, in dem mit dem Wort von der gesellschaftlichen Solidarität tatsächlich Ernst gemacht wird und in dem infolgedessen auch mit dem Wort von der sozialen Gerechtigkeit Ernst gemacht wird — man kann Vergleiche ziehen, wenn man aus dem Ausland kommt —; viertens, daß wir ein Land sind, in dem — sicher auch unter Inkaufnahme hier und da von Fehlern oder Übertreibungen oder Tempoverlusten oder Tempoübersteigerungen, das mag alles sein — eben doch durch eine Politik stetiger Reform in Gesellschaft und Staat mehr Freiheit, mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit schrittweise verwirklicht werden; und daß dies schließlich — was immer Sie aus momentaner Verstimmung hier und dort ausführen mögen, Herr Professor Carstens — ein Land ist, das wegen seiner aktiven und auf Friedenssicherung gerichteten Verständigungspolitik draußen in der Welt geachtet ist.Das ist sehr viel an positivem Urteil, das sich Deutsche, die nach Hause kommen, über ihr eigenes Land bilden. Ich hoffe sehr, daß der Stolz über das Erreichte nicht Anlaß zur Selbstgefälligkeit, zur Überheblichkeit oder zum Irrtum wird, man bräuchte nichts mehr zu tun.Die sozialliberale Koalition und die Bundesregierung werden diese Politik im Innern wie nach außen beharrlich fortsetzen.Für die Sozialdemokraten darf ich hinzufügen: Wir Sozialdemokraten gehen mit dieser Politik einen Weg, der in die Zukunft weist: als realistische Alternative, als etwas anderes zwischen überlebtem, unmenschlichem Kapitalismus einerseits und freiheittötendem, autoritärem Kommunismus andererseits. Wir halten es für den Irrtum der kommunistisch-marxistisch-leninistischen Bewegungen, es könne Gleichberechtigtung ohne Freiheit geben und man könne Solidarität erzwingen. Wir halten es für den Irrtum des Konservativismus, man könne die rechtlich-politische Freiheit für alle bewahren und doch die ökonomische, die soziale und die kulturelle Freiheit gleichzeitig einer Minderheit vorbehalten.
Wo dieser dritte Weg, von dem ich spreche, gegangen wird, dort werden Kommunisten der verschiedensten Gruppierungen keine Rolle spielen — ähnlich wie in dieser Weltwirtschaftskrise die NPD keine Rolle spielte, die zu Ihrer Zeit in der vorherigen, etwas kleineren, Rezession eine große Rolle gespielt hatte, weil es Ihnen damals eben nicht gelang, das Vertrauen des Mittelstands zu halten, von dem Herr Professor Carstens sprach.
Es ist ein kennzeichnendes Ergebnis der Gesetzgebung und der Politik der sozialliberalen Koalition, daß, durch eine schwere Zeit der wirtschaftlichen Rezession hindurch — deren Ende sich, was auch Professor Carstens zugestanden hat, immer deutlicher abzeichnet —, die Menschen, die Arbeiter, die Angestellten, die Angehörigen des Mittelstandes und der freien Berufe und auch die Unternehmer, ihr Vertrauen in die künftige Kraft und den künftigen Anstand unserer Gesellschaft und unseres Staates nicht weggeworfen, sondern bewahrt haben. — Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Aussprache über den Einzelplan des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes fort. Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Jenninger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir halten es für eine unmögliche Angelegenheit, daß der Etat des Bundeskanzlers beraten wird und der Bundeskanzler dabei nicht anwesend ist.
--- Ich freue mich, daß der Bundeskanzler mittlerweile eingetreten ist und sich im Parlament befindet.
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16832 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. JenningerAber es wäre Ihrem Amte angemessen gewesen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie wie die anderen Kollegen auch pünktlich um 14.30 Uhr im Parlament anwesend gewesen wären.
Meine Damen und Herren, mir scheint, daß die Technik hier oben am Rednerpult nicht hinreichend funktioniert.
Oder war Herr Jenninger zu verstehen?
Wir müssen einen Augenblick warten, denn der Redner muß zu ja verstehen sein.
Ich darf Herrn Abgeordneten Strauß bitten, das Wort zu nehmen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat zu der für ihn günstigsten Stunde 90 Minuten lang eine beachtliche schauspielerische Leistung erbracht
— lieber bayerisches Volkstheater als Hamburger Reeperbahn in diesem Fall, Herr Kollege —;
eine schauspielerische Leistung, die allerdings auch eine starke Verhetzungskomponente hatte, und zwar deshalb, weil hier, abwechselnd mit moralischen Appellen an die Gemeinschaft der Demokraten, zum Teil in ausgesprochenen Worten, zum Teil zwischen den Zeilen und unterschwellig ganz üble Behauptungen oder Unterstellungen gegen die CDU/CSU gemacht wurden.
Wer mit diesem moralischen Anspruch sprechen will, muß sich anders verhalten, als es der Fall gewesen ist.
Ich habe zwar über den Herrn Bundeskanzler gelesen, daß er gerne Kant liest, aber ich habe den Eindruck, daß der Inhalt der Bücher, auf deren Umschlag „Kant" steht, von Wilhelm II. stammen könnte und daß sich der Herr Bundeskanzler gern in der Rolle Friedrichs des Großen, aber in der Ausgabe von Otto Gebühr betätigt.
Er hat hier besonders zwei Dinge herausgehoben; einmal die Frage, auf die wir eine Antwort schuldig sind, wenn auch in der Frage eine zum Teil falsche Behauptung steckt, weil die Frage simplifizierend, d. h. vereinfachend, gestellt ist: Wie kommen Sie dazu, Sozialdemokratie unterschwellig mit Unfreiheit zu identifizieren? Herr Bundeskanzler, es fällt uns im Traum nicht ein, jeden Sozialdemokraten oder das, was man unter demokratischen Sozialisten der Weimarer Republik oder nach demZweiten Weltkrieg kennengelernt hat, auch nur unterschwellig mit Unfreiheit zu identifizieren.Aber hier muß bei dieser Gelegenheit einmal gesagt werden, daß die SPD in weiten Bereichen der Bundesrepublik aus zwei Parteien besteht,
von denen die eine als demokratische Sozialisten sicherlich mit einem etwas starken Anspruch, aber als Demokraten anerkannt werden, von denen die andere aber zum Teil offen ausgesprochene Sympathien zu einer sozialistischen Gemeinschaft der europäischen Nationen und zu einer Art Räterepublik in der Bundesrepublik bekunden.
Die Vorgänge in München, über die Herr Bundesminister Vogel bestens Bescheid weiß, sind kein isolierter Vorgang; sie wiederholen sich auch anderswo. Wenn prominente Mitglieder der SPD mit der Begründung ihren Austritt erklären, daß diese Partei marxistisch geworden ist und daß sich in ihr die Marxisten an der Mehrheit der Parteimitglieder vorbei die wichtigsten Positionen verschafft haben, wenn damit der Austritt eines Ihnen bekannten Sozialdemokraten in einem öffentlich bekanntgewordenen Brief begründet worden ist, dann würden wir als Opposition nicht nur unsere Pflicht, sondern wir würden unsere Schuldigkeit versäumen, wenn wir darauf nicht hinweisen würden.
Gerade weil wir die demokratische Gemeinschaft, den Konsensus der demokratischen Grundwerte wollen, muß der Trennungsstrich gegenüber denen, die andere Vorstellungen über einen anderen Konsensus haben, sehr, sehr deutlich gezogen werden.
Es gibt starke Kräfte in dieser Partei, Herr Bundeskanzler, die eine andere Republik wollen. Die gemäßigten Politiker in dieser Partei wirken doch vielfach als Einzelkämpfer und dienen manchmal auch als Aushängeschild zur Täuschung über die dahinterstehenden Kräfte.
Wenn jetzt dem Bundeskanzler die Ausarbeitung der Wahlplattform übertragen wurde, in der starke hetzerische, demagogische und verleumderische Behauptungen erhoben werden, so wurde hier nur aus der Not eine Tugend gemacht, um die Zerstrittenheit und die mangelnde Einheit — um nicht zu sagen: Gegensätzlichkeit dieser Partei durch diese Art Wahlkampfplattform zu verdecken.
Wenn aber auch in diesem Hause über dieses Grundthema, Freiheit oder Sozialismus, gesprochen wird, dann muß die volle Wahrheit auf den Tisch gelegt werden und nicht nur ein noch schlecht und zum Teil falsch begründeter Teil der Wahrheit. Stimmt es denn nicht, daß die Vorsitzende der Jungsozialisten, die in ihrer Organisation eher zum gemäßigten Flügel zählt, nach Rückkehr von einer
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16833
StraußDDR-Reise über ihre Eindrücke in der DDR erklärt hat, daß es Spaß mache, im sozialistischen Staat zu leben?
In der Sowjetunion erklärte sie gegenüber der russischen Presseagentur Nowosti im November wörtlich — ich zitiere jetzt —:Wir haben in Gesprächen und Diskussionen immer den Eindruck gehabt, daß die Menschen dort fröhlich und entspannt sind und ihre Lebensbedingungen als angenehm empfinden. Wir hatten das Gefühl, daß Sozialismus eine Sache ist, die Freude macht, Spaß macht, und das ist sehr wichtig.Wie sehr hätten wir einmal eine Definition erwarten dürfen, was Sozialismus denn eigentlich ist,
wo die Grenzlinien liegen, was demokratischer Sozialismus ist, was anderer Sozialismus ist, wie weit marxistischer Sozialismus im demokratischen Sozialismus enthalten ist und wie man sich die Trennungslinien zwischen Sozialismus und Kommunismus vorstellt! Von all dem war hier keine Rede. Wir hätten hier einen Beitrag zu einer geistesgeschichtlichen Klärung erwarten dürfen,
die von uns sicherlich gewürdigt worden wäre.Dieselbe Juso-Chefin sprach sich offen für eine Zusammenarbeit mit den italienischen Kommunisten aus. Vor zehn Monaten erklärte sie bei einem Treffen mit dem italienischen Jungkommunistenführer Imboni öffentlich, es bestehe die Notwendigkeit, Initiativen zum gemeinsamen antikapitalistischen Kampf zu entwickeln.
Was heißt denn: gemeinsame Initiativen mit ausländischen Kommunisten zum Kampf für die gemeinsame antikapitalistische Sache?Hier schneiden sich einfach die Linien. Wir machen kein Hehl daraus, daß wir unter einer freien, offenen, mündigen Gesellschaft einen demokratischen Rechtsstaat, parlamentarische Demokratie und soziale Marktwirtschaft verstehen und daß man keine der drei Komponenten aus dieser Einheit herausnehmen kann, ohne daß die beiden anderen ausgehöhlt und allmählich beseitigt werden.
An zahlreichen deutschen Universitäten verbinden sich die Organisationen der Jungsozialisten mit kommunistischen Spartakus-Gruppen und dem pro-kommunistischen SHB, der ursprünglich genauso wie der SDS eine sozialdemokratische Gründung war; nachdem man ihn nicht mehr unter Kontrolle hatte, weil er ins kommunistische Fahrwasser abgeglitten war, mußte man ihn schweren Herzens abstoßen. Das sind Ihre Probleme, Herr Bundeskanzler, das sind die Probleme des Herrn Kollegen Brandt, des Herrn Kollegen Wehner, das sind nicht unsere Probleme.
Wir haben auch unsere Probleme, aber nicht Probleme dieser Art. Auch CDU und CSU sind keine uniformierte Marschkompanie mit geistiger Einheitsausrichtung, auch bei uns gibt es ein breites Spektrum der Meinungen. Aber keine dieser Meinungen steht außerhalb der gemeinsamen Grundordnung der Werte und unseres Konsensus darüber.
Der SPD-Unterbezirk München verlangte am 6. März 1976 die Hinwendung zur konsequenten sozialistischen Politik, was der stellvertretende Vorsitzende der Fritz-Erler-Gesellschaft als Bekenntnis zur Volksfront mit Kommunisten gegen den Geist des Godesberger Programms charakterisiert hat.
So geschehen in den veröffentlichten Dokumenten. Und da haben Sie, Herr Bundeskanzler, die Courage, hier hinzutreten und zu fragen, wie wir es uns erlauben könnten, Sozialdemokraten unterschwellig mit dem Geist der Unfreiheit in Verbindung zu bringen.
Das ist doch ein starkes Stück!Willy Brandt, noch immer oberster Chef der SPD, hat erst dann von einem Skandal gesprochen nicht als sich in München die Dinge so entwickelten, wie hier kurz dargestellt , als die in die Minderheit gedrängten gemäßigten Sozialdemokraten Gespräche mit der CSU suchten. Das war für ihn dann der Skandal, aber nicht das, was sich in dieser Partei seit Jahren zuträgt.
Ist das der Konsensus über gemeinsame Grundwerte? Ist das der Konsensus, den die demokratische Gemeinschaft braucht? Darüber, Herr Bundeskanzler, sollten Sie sich Gedanken machen und die lieber in Ihren Reihen austragen, als hier die Opposition zu beschimpfen.
Erregte Äußerungen über die Flügelbildungen in der SPD hörte man von Herrn Brandt erst, als eine Minderheit von gemäßigten Sozialdemokraten auf Bundesebene die Fritz-Erler-Gesellschaft gründete. Von der linksradikalen Flügelbildung vorher war aus dem Munde des hohen Herrn niemals etwas an Kritik, an Ablehnung oder an schärferen Stellungnahmen zu hören. Das erscheint symbolisch für die Sympathien des SPD-Vorsitzenden. Zumindest aber ist es ein Anzeichen für die Einschätzung der Stärkeverhältnisse zwischen Linksradikalen und Gemäßigten innerhalb der SPD.
An diese Partei hat sich die FDP — leider — auf Gedeih und Verderb gebunden.
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16834 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Strauß— Auch ihr interner Weg scheint immer mehr nach links zu gehen. Siehe ihre Kandidatenaufstellung z. B. in Hamburg, die Koalitionsentscheidung in Hannover, wo sie mit der SPD keine Regierung fertigbringt, mit der CDU keine bilden will und das als unabhängige liberale Politik glorifiziert.
Vom Geschick des früheren FDP-GeneralsekretärsBangemann will ich hier nicht reden. Ihre Hoffnung— das sage ich an die Adresse der FDP —, daß sich das wahltaktisch auszahle, ist nur scheinbar aufgegangen. In Wirklichkeit hat sich diese Rechnung nicht gelohnt.Sie haben, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Stellungnahme, wie sie uns aus dem ZDF bekanntgeworden ist, gesagt: Das Schlimmste ist diese von dem Ministerpräsidenten Filbinger stammende, von Herrn Strauß aufgenommene, von Herrn Ministerpräsident Kohl ebenfalls aufgenommene unredliche, unchristliche Darstellung der Grundalternative, um die es in Deutschland angeblich geht: Hier Freiheit, dort Sozialismus. So wie es da geschieht, ist das so, wie wenn man einem Unbedarften suggerieren will, das sei derselbe Kommunismus, den man in der DDR erlebt, wenn man seine Verwandten besucht, usw.Ich habe Ihnen nur einige Zeugnisse genannt, die doch von einer ziemlich nahen geistigen Verwandtschaft und einer oft herzlich bekundeten Sympathie gewisser SPD-Kreise zu der Art Sozialismus sprechen, wie er in der DDR leider praktiziert wird. Wenn wir davon hier reden, so ist das unser Recht und unsere Pflicht und Schuldigkeit gegenüber der Offentlichkeit.
Ich habe sowohl Namen wie Organisationen genannt. Wenn auch Sie nicht hören können, Herr Kollege Mattick, kann ich nichts dafür.
— Wir wissen doch von den jahrelangen Verbindungen gewisser Kreise der Jungsozialisten mit den Komsomolzen, von den Treffen, die bei allen möglichen Gelegenheiten stattfinden. Sagen Sie doch nicht, das sei nicht wahr!
— Ich habe jetzt das Wort hier und nicht Sie, Herr Kollege.Merkwürdig war auch zu hören, was der Vorsitzende der SPD jüngst in dem sogenannten Frankfurter Gespräch geäußert hat. Dort sagte er: Eine sich so entwickelnde kommunistische Partei — eine, wie er meinte, sich mehr von der Sowjetunion abwendende und mehr der Demokratie zuwendende kommunistische Partei — wird ein noch schwierigerer Partner für die Sozialdemokraten sein als eine sture kommunistische Partei, der gegenüber man völlig eindeutig sagen kann, die und die diktatorischen Zielsetzungen — um nur das eine Kriterium zu nennen — müsse man ablehnen. — Ich wäre der Meinung, daß ein demokratischer Sozialismus überhaupt keine kommunistische Partei als Partner akzeptieren kann.
Denn auch die nach dem Urteil des Kollegen Willy Brandt in Wandlung begriffenen kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs dienen in der politischen Endauswirkung und im strategischen Schlußergebnis einem System der Unfreiheit und der Vorherrschaft der Sowjetunion über ganz Europa.
Wenn Sie noch einen Beweis brauchen — allmählich gibt es ja ganze Bibliotheken an Literatur darüber —, so verweise ich auf eine gemeinsame Vorlage verschiedener Bezirke — Berlin, Hamburg, Westliches Westfalen, Hessen-Süd, Schleswig-Holstein —, vom letzten Jungsozialisten-Kongreß einstimmig angenommen, in der es heißt:Aus dem unvereinbaren Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital erwächst also die Notwendigkeit, daß die arbeitende Bevölkerung die Grundlagen des kapitalistischen Herrschaftssystems, das private Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln, beseitigt und die Entwicklung zum Sozialismus durchsetzt.
Das ist doch das Gedankengut weitester Kreise Ihrer mächtigen und zahlenmäßig starken Jugendorganisation, die damit aber nicht allein steht; es ist ein Gedankengut, das weitgehend auch von Alteren in der Partei geteilt wird.
Ich möchte nicht fragen, was Sie uns vorhalten würden, wenn es auf unserer Seite vergleichbare Entwicklungen, vergleichbare Kreise, Kräfte, Gruppen und Persönlichkeiten gäbe.
— Aus Ihnen spricht doch nur der geradezu spürbare Widerwille, sich mit diesem Thema befassen zu müssen.
Das wollen Sie nicht hören; Sie wollen sich ja Auseinandersetzungen mit sich selber und den Erklärungen aus Ihren eigenen Reihen entziehen. Wir werden sie Ihnen aber nicht ersparen; verlassen Sie sich darauf!
Ich habe von diesem Platz aus in einer meiner letzten Bundestagsreden erklärt, daß ich Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert oder Gustav Noske, um nur einmal zwei zu nennen, immer für echte deutsche Patrioten gehalten habe und auch heute in meiner geschichtlichen Würdigung halte. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß demokratische Sozialisten entweder eines Tages aufhören müssen, Sozialisten zu sein, oder aufhören müssen, sich zur
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16835
StraußFreiheit zu bekennen. Irgendwo geht diese Rechnung eines Tages nicht mehr auf.
Darum haben Sie sich auch in Ihrem Orientierungsrahmen oder in Ihrem Wahlkampfprogramm jeder klaren Definition des Begriffs „demokratischer Sozialismus" entzogen. Sie sind sich nämlich über den inneren Widerspruch, die Unvereinbarkeit dieser zwei Elemente völlig klar, soweit Sie Ihre Ideen nicht vorgeschrieben beziehen und reproduzieren: „His master's voice" — auf Russisch kann ich es nicht.
Sie sollten einmal etwas ernst nehmen. Sie sollten sich mit dem Buch von Professor Friedrich August von Hayek befassen „Der Weg zur Sklaverei".
— Was heißt hier „Oje"? Sind Sie der Meinung, daß man über Nobelpreisträger nur „Oje" sagen kann? Das mag im Eizelfall zutreffen, aber nicht in allen Fällen.
Professor Hayek hat eine große wissenschaftliche Leistung auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften erbracht und dafür erst vor wenigen Jahren den Nobelpreis erhalten. Soviel ich weiß, ist er österreichischer Abkunft, hat vor oder nach der Machtübernahme Hitlers sein Land verlassen und Unterkunft in England gefunden. Man kann ihm also wahrlich nicht etwa unterschwellig faschistische oder nationalsozialistische Sympathien anhängen, wie man das uns gegebenüber dann und wann versucht. Das Buch, das ich zitiere, ist am Ende des Zweiten Weltkrieges geschrieben worden. Jetzt, nach 30 Jahren, ist es ohne jede Änderung, nur mit einem Vorwort von Herrn Milton Friedman, reproduziert worden — ein höchst beachtliches Werk. Statt mit demagogischen Argumenten oder wilden Beschimpfungen aufzutreten, sollten Sie sich einmal damit auseinandersetzen, ob er mit seiner Ende des Krieges, in der Kriegsatmosphäre, in der allgemeinen — natürlich auch antideutschen — Atmosphäre der damaligen Zeit aufgestellten Behauptung recht hat oder nicht, daß der Nationalsozialismus, d. h. die deutsche Ausgabe des Faschismus kein spezifisch deutsches Produkt sei und daß es völlig falsch sei, Sozialismus und Faschismus als Gegensatzpaar darzustellen. Der Kampf unserer Zeit gehe um Freiheit und Liberalität auf der einen Seite und um kollektive Denkformen — er nennt Sozialismus, Marxismus und Kommunismus gemeinsam mit Faschismus und Nationalsozialismus — auf der anderen Seite. Dies ist der wahre Gegensatz.Das schließt nicht aus, daß es in den Reihen der demokratischen Sozialisten eine überzeugte Freiheitsbewegung gibt, von deren Inkonsequenz ich schon gesprochen habe. Das schließt aber auch nicht aus, daß der Sozialismus eine Komponente enthält, die mit Freiheit überhaupt nichts zu tun hat. Hier eine Klärung herbeizuführen, wird allerdings angesichts der bedrohlichen Entwicklung in manchen europäischen Ländern eine große geistesgeschichtliche,moralische und politische Aufgabe unserer Zeit sein.
CDU und CSU sind entschlossen, sich dieser Aufgabe zu stellen. Von der Erfüllung dieser Aufgabe, von diesem Beitrag zur Klärung lassen wir uns auch nicht durch Beschuldigungen, Beschimpfungen, Unterstellungen oder durch pseudomoralische Appelle abhalten, weil wir das unseren Wählern, dem deutschen Volk und Europa schuldig sind.
Der Herr Bundeskanzler hat heute
— in einem freien Parlament kann jeder sitzen, wo er will —
eine bemerkenswert lange Rede über europäische Innenpolitik gehalten. Er meinte wohl damit, daß seine diplomatischen Entgleisungen, dieser außenpolitische Rundumschlag, dieser diplomatische Kahl-hieb der letzten Monate als Beitrag zur innenpolitischen Diskussion Europas gewertet werden könnten. Er sollte sich hier nicht täuschen. Sowohl seine Person als auch sein Auftreten und die von ihm gebrauchten Formulierungen werden bei unseren Nachbarn sehr aufmerksam beobachtet und verfolgt, und sie werden anders gewertet, als er es heute mit seiner Entspannungsrede gegenüber Paris und Rom hat erreichen wollen.
Hier hat sich doch eine — ich werde dies noch in anderem Zusammenhang zeigen — sattsam bekannte Mischung von Unwissenheit, Überheblichkeit, Anrempeleibedürfnis und auch etwas wilhelminischer Großsprecherei zusammengefunden.
— Noch haben wir in diesem Parlament keine Volksfront, d. h., der Redner darf reden.
Ich sage das deshalb, weil ich die Einheitsfront von Jungsozialdemokraten und Kommunisten mit akustischem bis physischem Terror in den letzten Jahren in Versammlungen sattsam oft kennengelernt habe.
Herr Bundeskanzler, in die erwähnte Mischung gehört auch Ihre Behauptung, die Sie heute wider-holt haben, christlich-demokratische Politik oder, wie Sie auch sagen, konservative Politik — zum Teil ist beides identisch, zum Teil nicht — stärke die Macht der Kommunisten. Kommunisten gebe es nur dort, wo die christlichen Demokraten regierten. Ich möchte Sie einmal daran erinnern, daß einer der drei großen sozialistischen Patriarchen in Europa — jedenfalls meinen Brandt, Kreisky und Palme solche Patriarchen zu sein —, Herr Palme, in Schweden nur regieren kann, weil die Kommunisten seine Regierung tolerieren. Er bemüht sich auch immer wieder
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Straußum ihre Unterstützung, weil er sonst seine politischen Vorhaben im Parlament nicht durchsetzen kann.
Seit wann regieren denn die christlichen Demokraten in Schweden?
Herr Bundeskanzler, Sie müssen Ihre Allgemeinbildung hier erheblich verbessern.
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum die Kommunisten in Ländern wie Frankreich, Italien und Portugal — wie es in Spanien ist, wird sich bei der nächsten Wahl zeigen — einen höheren Stimmenanteil haben als z. B. in der Bundesrepublik, in Belgien, Holland, Dänemark, Norwegen, Österreich, in der Schweiz oder wo immer. Dies ist aber kein Thema, über das ich hier heute im einzelnen zu sprechen habe.
— Mir ist gar nichts peinlich. Sie täuschen sich ganz gewaltig über das, was peinlich ist.Ich muß hier eine Unwahrheit zurückweisen. Wenn Sie glauben, daß sozialdemokratische oder sozialistische Politik ein wirksames Gegenmittel gegen den Kommunismus sei, und wenn Sie uns beschuldigen, daß christlich-demokratische Politik zum Kommunismus führe, so muß ich sagen, daß der Weg vorn Sozialismus zum Kommunismus nur ein konsequenter Weg ist.
— Ich spreche jetzt nicht vorn demokratischen Sozialismus, über dessen Ambivalenz und vage Unbeschreibbarkeit ich mich vorher geäußert habe.
— Sie werden sich hierzu noch einiges anhören müssen.Ich möchte hier nur einmal die Frage stellen, ob Ihnen eigentlich bekannt ist, daß in Italien der Vorschlag eines „Compromesso storico", d. h. der Aufnahme der kommunistischen Partei in eine gemeinsame Regierung mit der Democrazia Cristiana kein Vorschlag der Democracia Cristiana ist, sondern daß dies die Strategie der Kommunisten ist, um mit einer temporär begrenzten Regierung mit der Democrazia Cristiana die Macht in diesem Lande in ihre Hand zu bekommen. Ist Ihnen bekannt, daß die organisierte und die nichtorganisierte Linke diesen Staat und seine Gesellschaft bewußt und absichtlich von einer Krise zur anderen weitertreiben.
— Dann sprechen Sie doch einmal mit Vertretern derdeutschen Wirtschaft, die dort unten investieren. Siehaben ja keine Ahnung von den wirklichen Verhältnissen. Sie reden ja daher wie der Blinde vom Licht.
Die Wirtschaft wird immer an die Grenze der Krise, an die Funktionsunfähigkeit herangeführt, weil man auf diesem Wege die Aufnahme der Kommunisten in die italienische Regierung herbeiführen will. Das Ganze wäre nicht notwendig — darauf sollte man eine Antwort bekommen — und überhaupt niemals in die Diskussion gekommen, wenn sich nicht die Sozialistische Partei Italiens, die PSI, die sehr stark ist, die es neben einer unbedeutenden Sozialdemokratischen Partei gibt — auch eine höchstinteressante Entwicklung —, seit Jahr und Tag weigern würde, mit der Democrazia Cristiana und anderen demokratischen Kräften zusammen eine Mehrheitsregierung zu bilden, wozu diese Parteien auf Grund ihrer Stimmstärken durch die Wahlen und im Parlament ohne weiteres fähig wären. Die Einbeziehung der Kommunisten in die italienische Regierung fordern die italienischen Sozialisten und nicht die Democrazia Cristiana.
Auch die jüngsten Auseinandersetzungen innerhalb unserer Schwesterpartei in Italien, mit der wir vielleicht auch manche Meinungsverschiedenheiten haben und innerhalb deren es in dieser Frage auch manche Meinungsunterschiede gibt, zeigen, daß von der Democrazia Cristiana kein einziger Abgeordneter oder Politiker die Hereinnahme der Kommunisten will, kein einziger. Die Hereinnahme der Kommunisten wird dort durch die politische Sabotage der Sozialistischen Partei Italiens gegenüber einer mehrheitsfähigen Regierung betrieben.
Sehen Sie sich einmal das Wahlergebnis in Portugal an! In Portugal würde es reichen, daß die Sozialistische Partei mit der den Sozialdemokraten verwandten, aber nicht unbedingt vergleichbaren Partei der PPD und dem CDS zusammen eine klare demokratische Mehrheitsregierung bilden; sie könnten es. Warum weigert sich Herr Soares, der zwar die italienischen Kommunisten lobt, aber die brutalen portugiesischen Kommunisten verdammt — das habe ich hier schon einmal gesagt; ich wiederhole es, damit kein Irrtum entsteht —, mit den zwei anderen starken demokratischen Parteien im Lande eine arbeitsfähige Regierung zu bilden? Das ist doch die Spur, die von den Sozialisten in Europa in den Ländern gezogen wird.Zur Ablenkung der Aufmerksamkeit von diesen Vorgängen erfindet man den Schwindel, dieses Märchen, daß die Christlichen Demokraten an der Stärkung und am Emporkommen des Kommunismus im Süden und im Westen Europas schuldig seien.
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StraußJa, wenn für Sie Tatsachen nicht verständlich sind, dann sind Sie auch schon ein Produkt sozialistischer Bildungspolitik.
Einem Artikel der „Welt" vom 4. 5. 1976, den ich genauso zitieren darf wie heute morgen Herr Kollege Schäfer, entnehme ich folgendes:Seit Anfang des Jahres werden sowohl Volksfrontüberlegungen wie auch der Einzug von Kommunisten in westeuropäische Regierungen heftig diskutiert. Ausgangspunkt war die Sitzung der Sozialistischen Internationale im Januar in der dänischen Stadt Helsingör. Der französische Sozialistenführer François Mitterand hatte auf diesem Treffen von 18 sozialistischen Parteiführern ein Bündnis seiner Partei mit den französischen Kommunisten als notwendig bezeichnet.Der französische Sozialistenführer bekräftigte auf der Konferenz von Helsingör seine Erwartung, daß sich die westlichen kommunistischen Parteien in ihrer inneren Struktur und politischen Ausrüstung wandeln würden.Die These kennen wir vom Vorsitzenden der SPD. Er sagte einmal, da gebe es allerlei Interessantes. Ein andermal sagte er, man müsse sich das einmal angucken. Er hat ja seine gekonnt naive Ausdrucksweise, wie sie aus der Märchensprache stammt: Oh, wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß'.
Aber wir wissen ja, wohin die Reise auf diesem Gebiet geht.Ich darf hier fortfahren:Damit könnten die Nachteile, so meinte Herr Mitterand, für eine Regierungsbeteiligung für Europa und das Atlantische Bündnis überwunden werden.Hier treffen wir auf verwandte Äußerungen und Gedankengänge des Herrn Bundeskanzlers, der meinte, daß kommunistische Minister in NATO-Staaten — wenn er auch nicht gerade sagte, daß das erfreulich sei keine Katastrophe darstellten, d. h., daß sie damit die Funktionsfähigkeit der NATO in Europa nicht schwächen würden. Ich möchte wissen, wie eine Regierung ihre NATO-Pflichten in Europa angesichts der Entwicklung der militärischen Lage erfüllen kann, wenn wesentliche Mitglieder dieser Regierung in ihrer inneren Einstellung und in ihrer außenpolitischen Bezogenheit der Strategie der Sowjetunion innerlich näherstehen als der Strategie der Amerikaner und der freien europäischen Länder.
Es heißt aber dann weiter in dem Artikel der „Welt" :Diese Auffassung Mitterands wurde in Helsingör auch vom SPD-Vorsitzenden Willy Brandt gestützt. Er sprach vom Einfluß des demokratischen Sozialismus auf die westlichen kommunistischen Parteien und von interessanten Entwicklungen in der kommunistischen Welt.Gleichzeitig bekräftigte Brandt die Notwendigkeit von Informationskontakten der SPD zu kommunistischen Parteien Westeuropas.Da wir ja kein Theorie-Defizit haben, aber es bei Ihnen vorzuliegen scheint,
darf ich Ihnen noch zwei andere prominente Zeugen von Wissenschaftlern, die in Ihrem Namen reden — ich meine hiermit die SPD —, nur in einem kurzen Auszug darlegen.
Ihnen ist doch sicherlich der Name des Professors Peter C. Ludz bekannt, früher Leiter einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Bundesregierung zur Erstellung des sehr umstrittenen Vergleiches DDR/ Bundesrepublik Deutschland, als Anlage damals zum Bericht über die Lage der Nation. Er ist ja heute in dem „intoleranten" Bayern hochdotierter Universitätsprofessor und im übrigen Hauptberater der SPD-Führung in Fragen der Konvergenzpolitik. In einem in der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschehen" der Wochenzeitung „Parlament" erwarteten oder erschienenen Aufsatz über die Gipfelkonferenz der europäischen kommunistischen Parteien schreibt er, daß der europäische Kommunismus sich mehr und mehr Konzepten des demokratischen Sozialismus geöffnet habe. Neue Koalitionen seien nicht nur im parteipolitischen Bereich zwischen Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten entstanden, sondern auch neue Synthesen im ideologischen Feld seien heute denkbar.
Das ist doch ein bekannter Wissenschaftler, der unter dem Firmenschild „SPD", von der Bundesregierung mit Sonderaufgaben betraut, überall als Experte für die innere Entwicklung der sozialistischen Parteien in Europa angesehen wird. Falls die demokratische Öffentlichkeit, so meinte der Herr Professor, für eine solche Entwicklung noch nicht reif sein sollte, wird die Verantwortung dafür vorsorglich auf den innenpolitischen Gegner transformiert. Jetzt kommt ein Zitat:Solche Möglichkeiten— gemeint ist die Koalition zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten —und ideologische Synthesen zwischen Kommunismus und demokratischem Sozialismus— so meint Ludz —würden— das Zitat geht weiter —desto konkretere Züge annehmen, je weniger die etablierten Mitte-Rechts-Parteien die parlamentarischen Demokratien in den europäischen Industriegesellschaften den gesellschaftspolitischen Zwängen anpassen könnten.Dies bedeutet, in Klartext übersetzt, daß eine realistische Politik — denn dies ist mit dem Schlüsselbegriff „gesellschaftspolitische Zwänge" gemeint — mit der Drohung beantwortet wird, daß diese die Sozialdemokraten zur Koalition mit den Kommuni-
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Straußsten zwinge. Eine deutlichere Selbstentlarvung der mittel- und langfristigen Konzeption einer bestimmten Variante sozialistischer Politik aus wissenschaftlichem Munde kann ich mir nicht einmal mehr vorstellen.
Ein anderer wissenschaftlicher Sprecher des demokratischen Sozialismus, mit dem ich einmal mich zu unterhalten und zu diskutieren an der Katholischen Akademie in München die Freude und das Vergnügen hatte, wenn ich mich nicht täusche, Professor von Beyme, Heidelberg, einer der besten Kenner sozialistischer Staaten unter den deutschen Politologen, hat vor einigen Monaten ein bemerkenswertes Buch veröffentlicht. Seine Äußerung ist aufschlußreich für die Langzeitstrategie der Sozialisten, gerade auch derer, die sich in Westeuropa demokratische Sozialisten nennen. Von Beyme läßt zunächst keinen Zweifel, daß seiner Ansicht nach die Unvollkommenheit, die Mißerfolge, die Unattraktivität in den bisherigen sozialistischen Ländern — er nennt sie Übergangsgesellschaften — wenig über den Sozialismus aussagen, weil die sozialistischen Länder noch eine Minderheit im kapitalistischen Weltsystem darstellen. Zumindest der Rest des freien Europas müßte nach seiner Meinung dem Sozialismus als Gestaltungsprinzip für Wirtschaft und Gesellschaft noch zugänglich sein, um zu erfahren, was der Sozialismus wirklich zu bieten vermag.Er beschäftigt sich dann mit der offensichtlichen Unlust der öffentlichen Meinung in den europäischen Ländern im Hinblick auf den Sozialismus. Die mangelnde Leistungs- und Erfinderkraft in den sozialistischen Ländern würde sich in dem Augenblick zugunsten des Sozialismus ändern, in dem — ich zitiere — „der Druck eines kapitalistischen Systems, das im wirtschaftlichen Effizienzbereich erfolgreicher erscheint, nachläßt". Auf deutsch: Erst wenn es den Menschen in der Bundesrepublik und in anderen EG-Ländern so schlecht geht wie den Menschen in sozialistischen Ländern, wird der Sozialismus vom Druck des westlichen Wohlstandes, der westlichen Bewegungs- und Ideenfreiheit erlöst und kann sich wie ein Phönix aus der Asche des bisherigen sozialistischen Alltags in voller Schönheit über die wirkliche Welt erheben.Und ein letztes Zitat. Professor von Beyme schreibt in demselben Buch:Es ist schwer anzugeben, wie viele Länder noch sozialistisch werden müßten, um den tatsächlichen wie vermeintlichen Systemdruck— mit Systemdruck meint er den Druck, den westliche Marktwirtschaften auf die östlichen sozialistischen Planwirtschaften ausübenzu mildern. Man könnte sich jedoch vorstellen, daß hier der Europäischen Gemeinschaft mit ihren asiatischen und afrikanischen zugewandten Ländern eine Schlüsselfunktion in der Umpolung des Weltsystems auf eine sozialistische Prädominanz zukommen wird.
Das sind aber keine kommunistischen Wissenschaftler, die an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin oder an der Karl-Marx-Universität in Leipzig — wenn sie dort so heißen sollte — lehren, sondern das sind westdeutsche Universitätslehrer — der eine in München, der andere in Heidelberg —, die beide als Theoretiker des demokratischen Sozialismus die zukünftige Entwicklung mit den von mir zitierten Formulierungen wissenschaftlich propagieren. Und da wagen Sie, uns zu fragen, wie wir uns herausnehmen könnten, die Frage zu stellen: Freiheit oder Sozialismus?
Ich glaube Ihnen sogar, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Äußerung, kommunistische Minister seien keine Katastrophe für NATO-Staaten — Sie schießen ja immer schnell und falsch aus der Hüfte —, gar nicht einmal so gemeint war, wie sie ausgelegt worden ist. Ihnen wird aber nicht unbekannt geblieben sein — der Sie sich sonst immer gerne als Gegner einer solchen Entwicklung empfohlen, sich in Amerika sogar sehr drastisch in dem Sinne geäußert haben: ich bin Sozialdemokrat und kein Sozialist —, daß die kommunistische Zeitung „Unità" in Italien diese Ihre Äußerung als einen bemerkenswerten Beitrag zur Wandlung der Gesamtsituation in Europa und in der Bundesrepublik bezeichnet hat.
Darüber hätten wir heute von Ihnen gerne mehr gehört.Bei all Ihrer weltmännischen Reputation — dem „Hauch der weiten Welt", mit dem Sie sich umgeben — wird Ihnen nicht unbekannt geblieben sein, daß die Entwicklungen in der Bundesrepublik und in einigen europäischen Ländern bei unseren amerikanischen Freunden immer größere Besorgnis, immer größere Verwunderung und immer größere Unruhe auslösen und daß wir in Europa, wenn dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, vor einer Umpolung des Weltsystems stehen, bei der eine an die Sowjetunion zwar nicht angeschlossene, aber doch an die Sowjetunion im Sinne einer zweiten Bindung angebundene sozialistische Staatengemeinschaft in Europa ihre Funktion in der NATO trotz Bundeswehr und anderer Militärbeiträge nicht mehr erfüllen kann.
Es ist ja sehr bezeichnend, daß Willy Brandt in demselben Interview — „Frankfurter Gespräch" —, von dem ich vorher gesprochen habe, davon sprach, es könne ja gar keine Rede davon sein, daß man etwa „eine einseitige Bindung an die Sowjetunion" eingehen wolle.Wir wollen mit der Sowjetunion gute Nachbarschaft, wirtschaftliche Zusammenarbeit, ein friedliches Nebeneinander; aber wir wollen auch wissen, was in dieser Sowjetunion vor sich geht und welche Pläne die Sowjetunion gegenüber Europa hat.Wir wagen es auch zu sagen, daß die von Ihnen betriebene naive, dilettantisch ausgehandelte Ostpolitik den psychologischen Machtbereich der So-
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Straußwjetunion in Europa natürlich erheblich erweitert und ihren Einfluß verstärkt hat.
Es geht hier nicht um einzelne Fragen der ostpolitischen Verträge. Es geht jetzt auch nicht um die Frage: sind das Anerkennungsverträge oder sind das Umschreibungsverträge? Die größere Schuld der Architekten dieser Politik liegt darin, den Kommunismus in Westeuropa mehr und mehr gesellschaftsfähig gemacht zu haben, auch wenn man sich von ihm organisatorisch und ideologisch distanziert.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben heute Ihre durch nichts zu verteidigende, ich darf schon sagen, unglaublich kurzsichtige, geschichtsblinde und von totaler strategischer Verständnislosigkeit zeugende Behauptung wiederholt, daß die Vorgänge in der übrigen Welt, z. B. in Afrika, überhaupt nichts mit der Entspannungspolitik zu tun hätten. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat in Helsinki stattgefunden. Aber in einem Zeitalter, in dem es für Transportmittel, Nachrichtentechnik und Verkehrstechnik keine Grenzen mehr gibt, in einem Zeitalter, in dem die Erde zu einer kleinen Einheit zusammenschrumpft, ist doch im Gegensatz zu den Verhältnissen in unserer Jugendzeit die europäische Sicherheit nicht mehr ein Problem der Verhältnisse innerhalb Europas.
Die großen machtpolitischen Verschiebungen in der Welt berühren und bedrohen die europäische Sicherheit mehr, als wenn es an der Zonengrenze einmal zu einem gegenseitigen Anknurren oder zu gegenseitigen Beschimpfungen kommt. Bei dem, was in der Welt heute vor sich geht, im Mittelmeerraum, in den afrikanischen wie europäischen Ländern des Mittelmeerraumes, bei dem, was im Bereich Angolas, Mozambiques, auch im Bereich Rhodesiens und Südafrikas vor sich geht, wo die Kaproute zur Diskussion steht, ergeben sich Verschiebungen ungeheuren Ausmaßes. Immer noch werden für Milliarden Dollar oder Rubel Tausende von Tonnen Kriegsmaterial in diese Ecke der Welt verfrachtet, ebenso nach Nordafrika. Und das berührt die europäische Sicherheit nicht? — Herr Bundeskanzler, ich muß Sie fragen: Können Sie, der Sie gern Staatsmann wären, es verantworten, eine solch unglaublich törichte und kurzsichtige Äußerung auch hier noch zu vertreten?
— Herr Wehner, Sie haben mit diesem Zwischenruf, was ich gerne werden wolle, Ihr Niveau wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt.
— Ich kann angesichts der Ausführungen, die ich in den letzten zehn Minuten gemacht habe, einenNiveauvergleich mit Ihnen sehr gern anstellen. Aber das ist völlig überflüssig.
— Nicht so wie Sie.
— Herr Wehner, dafür, daß Sie alt werden, können Sie nichts. Aber dafür, daß Sie so schnell verdummen, können Sie wirklich etwas.
Der Herr Bundeskanzler scheint hier mit seinem Außenminister oder der Außenminister mit seinem Bundeskanzler nicht einverstanden zu sein. Er beteuert zwar immer das Gegenteil — das gehört zur Koalitionsdisziplin —; aber ich möchte trotzdem eine bemerkenswerte Äußerung des Herrn Bundesaußenministers Genscher hier erwähnen, und zwar auch deshalb, weil man ihn sonst dann und wann einmal kritisiert. Sie ist in einem Interview mit der Deutschen Welle am 6. April 1976 gemacht worden, hat also noch hohen Aktualitätswert. Darin hieß es:Die Entspannung, Herr Minister, ist unteilbar; so lautet ein vielzitierter Satz von Ihnen. Zugleich konstatieren Sie, Herr Minister, die Entschlossenheit der Sowjetunion, ihre militärische Macht zu stärken und ihren Einfluß auszuweiten.Wir haben Ihnen in dem Punkt nie widersprochen.— Dann kommt Ihre Antwort auf die Frage. Ich darf die Frage vielleicht ganz verlesen; sonst ist die Antwort nicht verständlich:Schließt das eine das andere eigentlich nicht aus? Unterscheidet sich Ihre Position, wenn auch nur in Nuancen vielleicht, von der des amerikanischen Präsidenten Ford, der den Begriff „Détente" aus seinem Wortschatz gestrichen hat, und von Bundeskanzler Schmidt, der von „Entspannung in vertraglich fixierten Räumen" spricht?Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in der bekannten Weise wieder zwei verschiedene Textstellen nach dem Motto „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen" so ineinander verwoben, daß eine halbe Unwahrheit daraus geworden ist; denn „Détente" und „Relaxation of tension" heißt das gleiche. Aber Präsident Ford sprach davon, daß man nicht mehr das Wort „Détente" in den Mund nimmt, sondern von einer Politik des Friedens, der Stärke spricht.
Es handelte sich bei ihm nicht um eine philologische Reinheitsübung, das aus dem Französischnentlehnte Fremdwort „Détente" etwa durch „Relax-
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Straußation of tension" zu ersetzen, wie uns hier weisgemacht werden soll.
Die Antwort des Herrn Genscher war ganz bezeichnend. Er sagte:Ganz gewiß nicht. Ich bin der Auffassung, daß man bei einem Entspannungsprozeß, an dem die Weltmächte beteiligt sind, das Verhalten der Weltmächte, in diesem Falle also der Sowjetunion, weltweit beurteilen muß
und daß deshalb der Satz gerechtfertigt ist: Entspannung ist unteilbar.Mehr sagen wir ja auch nicht.
Nur sitzen Sie dann neben dem falschen Partner am falschen Tisch und in der falschen Gemeinschaft, denn der Chef Ihrer Regierung hält Entspannung so töricht für teilbar, als ob es eine europäische Sicherheit gäbe, daneben eine Mittelmeersicherheit, daneben eine afrikanische Sicherheit und eine amerikanische Sicherheit. Die Welt ist so klein, daß Sicherheit heute unteilbar ist. Die Unteilbarkeit der Sicherheit bedeutet auch Unteilbarkeit des Entspannungsprozesses.
Wir sind keine Gegner des Entspannungsprozesses, wir wollen aber auch nicht die Esel des Entspannungsprozesses werden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in Ihrer Münchner Rede laut dem mir vorliegenden Bericht sehr empört über die Formel „Sozialismus oder Freiheit" geäußert. Sie sagten, das sei zutiefst unanständig.
Widerlegen sollen Sie es, klären sollen Sie es.
Das ist genau dieselbe unmögliche Methode wie heute morgen, als Sie sagten, die Rede des Kollegen Stücklen in Müchnen sei noch unanständiger gewesen als die meine. Sie sollen den Inhalt widerlegen, sollen widerlegen, was Herr Stücklen gesagt hat.
Die Methode kennen wir allmählich. Wenn wir Vorwürfe erheben, wenn wir Kritik üben, wenn wir fundierte Vorwürfe erheben, begründete Kritik üben, dann heißt es nicht: „Das ist falsch, weil ...", sondern dann heißt es, das sei eine Beschimpfung, eine Diffamierung,
eine Störung des politischens Stiles.
Wir wollen wissen, was an der Rede Stücklens in der Sache falsch ist,
und dann werden Sie scheitern, Herr Bundeskanzler. Darum reden Sie nur von unanständig, eine Kategorisierung, die in Ihrem Munde nach dem, was wir heute gehört haben, sehr merkwürdig wirkt.
Dann meinte der Herr Bundeskanzler — ich zitiere jetzt aus diesem Bericht —, in dem durch die Ostpolitik geschaffenen Klima wäre es sicherlich nicht möglich gewesen, daß eine Mauer gebaut worden wäre: „Ich will damit den vorhergehenden Regierungen keinen Vorwurf machen, aber es ist sicher, daß die jetzige Klimaverbesserung das verhindert hätte."Das ist eine unglaubliche Äußerung, denn nach sechseinhalb Jahren glorreicher Entspannungs- und manchmal Anbiederungspolitik hätte die Mauer doch längst beseitigt werden können, wenn sie in anderem Klima entstanden ist.
Die Mauer hat ein paar Türen oder Fenster bekommen, aber die Mauer ist auch durch automatische Tötungsanlagen bereichert worden,
durch brutalisierte Grenzschutzbrigaden. Man betrachte nur den Vorgang in Kiel mit der unglaublichen Mordlust, die dort zutage getreten ist, aber auch die Tatsache, daß Bluthunde eigens ausgebildet und Hunderttausende von Minen gelegt worden sind; und mit den elektrischen Zäunen, die quer durch unser Land gehen, haben wir mitten in Deutschland KZ-artige Zustände.
Da sagen Sie: „Das wäre bei uns überhaupt nicht passiert." Erstens ist das, da Sie die politische Entwicklung von damals kennen, reiner Unsinn, und zweitens schlagen Sie sich damit selbst, denn wenn Ihre Politik auf diesem Gebiet erfolgreich wäre, würde nichts die DDR hindern, diese Mauer wieder abzubauen und einen echten normalen Entspannungsprozeß durchzuführen. Sie wissen, warum es nicht möglich ist; trotzdem kommt hier wieder der infame Vorwurf, daß unsere frühere Sicherheits- und Außenpolitik die Mauer verschuldet hätte. Dann kommt ein kleiner Rückzieher und dann die Behauptung, bei Ihnen wäre das nicht vorgekommen. Und da reden Sie vom Gemeinsamen, von der Gemeinsamkeit der Demokraten, von der Übereinstimmung. Die müssen Sie als Bundeskanzler erst praktizieren; wir machen dabei gerne mit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist Ihnen die Äußerung des obersten Militärchefs der DDR, des Armeegenerals Hoffmann, bekannt, der ohne Umschweife behauptet, ein Atomkrieg zwischen Ost und West sei für den Sozialismus ein gerechter Krieg? Das erklärte Herr Hoffmann anläßlich des
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Strauß20. Jahrestages der Nationalen Volksarmee vor der Parteihochschule „Karl Marx" in Ostberlin. Die jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug zitiert Hoffmann so:Wir teilen nicht die Auffassung, welche auch fortschrittliche Kräfte in der Friedensbewegung vertreten, wonach im Atomzeitalter ein gerechter Krieg nicht mehr möglich ist bzw. daß der atomare Raketenkrieg nicht mehr die Fortsetzung der Politik des Klassenkampfes darstelle, sondern nur die Atomhölle und den Untergang der Welt.Hoffmann stellte dann auch die Frage, ob eine Revolution ohne Blutvergießen siegreich sein könne. Er gab selbst die Antwort: Die Geschichte kenne bis jetzt keinen einzigen Fall, in dem die sozialistische Revolution zum Sieg geführt worden sei, „ohne daß die Kanonen gesprochen hätten oder ohne daß die Kanonen zumindest gerichtet und geladen gewesen seien".Diese Äußerung, die uns leider nur auszugsweise durch ausländische Nachrichtenagenturen, übernommen von einem Teil der deutschen Presse, bekanntgeworden ist, spricht eine unglaubliche Sprache. Der Armeechef des anderen deutschen Staates, des anderen Teils Deutschlands, bezeichnet also den Atomkrieg als die logische Fortsetzung und das logische Ende des Klassenkampfes und sagt, die Kanonen müßten gerichtet und geladen sein und notfalls in Tätigkeit gesetzt werden, damit die weltrevolutionäre Bewegung auf andere Länder ausgedehnt werden könne. Ist das der Geist der Entspannung? Ist hier der Friede sicherer geworden? Haben wir hier heute eine neue Politik, die zu neuen Ergebnissen führt und damit zu neuen Hoffnungen berechtigt? Das sollen Sie einmal Ihre DDR-Partner bei Verhandlungen fragen! Hier soll einmal eine deutliche Sprache gesprochen werden — statt der Politik des ewigen Nachgebens, Umschreibens, Verharmlosens und Beschönigens, die wir seit Jahren erleben.
Ich möchte schließlich zu zwei Punkten Stellung nehmen, und zwar zu dem, was wir sowohl in früheren Verlautbarungen der SPD auf Wahlkampfplakaten gelesen wie aber auch jetzt in der „Wahlkampfplattform" und, zum Teil umschrieben und verschleiert, in der Rede des Herrn Bundeskanzlers wieder gefunden haben. Er hat ja heute mit mehr Aufgeregtheit als mit echter politischer Leidenschaft gesprochen. Er hat einen bezeichnenden Mangel an Augenmaß zu erkennen gegeben, als er sagte, das sei jetzt die zweitgrößte Weltwirtschaftskrise in diesem Jahrhundert gewesen. Denn das, was sich in den letzten beiden Jahren zugetragen hat, ist doch in den Folgen für die Bundesrepublik nur durch die kumulierte Konsequenz der Fehler und Versäumnisse der Bundesregierung viel stärker spürbar geworden, als es der Natur der Umstände nach notwendig gewesen wäre. Wenn Sie das mit den Vorgängen der Jahre 1930, 1931, 1932 und am Anfang des Jahres 1933 vergleichen, fehlt es einfach an Augenmaß; und wenn es nicht am Augenmaß fehlt, fehlt es an der Ehrlichkeit.
Wir haben in der Debatte immer wieder daran erinnert, daß wir 1969 eine gesicherte Vollbeschäftigung hatten. Ich selber habe in diesem Hohen Haus in vielen Reden und noch öfter außerhalb auf unsere damals erhobene Forderung hingewiesen, daß der Stabilitätspolitik der Vorrang gebühre und die Bekämpfung der Inflation die Voraussetzung für die Verhinderung einer späteren Arbeitslosigkeit sei. In meiner Zeit als Finanzminister, als Sie, Herr Bundeskanzler, noch in der Koalition mit uns waren, habe ich in diesem Zusammenhang von diesem Platz aus, aber auch außerhalb dieses Platzes unzählige Male gesagt, daß nicht nur ich persönlich, sondern auch meine politischen Freunde überzeugte Gegner einer deflatorischen Politik seien.
Ich habe hier ausgeführt, welche verheerenden sozialen und politischen Folgen die deflatorische Politik am Ende der Weimarer Republik — herbeigeführt auch durch Weltwirtschaftskrisen und mit der Folge der Massenarbeitslosigkeit — verursacht hat. Ich scheue mich nicht — auch hier nicht —, zu sagen: Hitler wäre nicht an die Macht gekommen, wenn nicht diese Massenarbeitslosigkeit als Folge der Weltwirtschaftskrise und noch verschärft durch eine deflatorische Politik ihm Millionen von Wählern zugetrieben hätte, die mit dem Nationalsozialismus und seiner späteren Politik nichts gemeinsam hatten und haben wollten. Alles andere ist doch Geschichtsklitterung und eine falsche Darstellung von Ursache und Wirkung, von Ursache und ihren Zusammenhängen.Auch heute sagen Sie wieder, daß die CDU/CSU deflatorischen Überlegungen nahestünde. Niemand gibt Ihnen das Recht, das zu behaupten. Alles, was wir wollten, war, daß Sie 1969/70/71/72 das getan hätten, was Sie heute als fremde Federn auf Ihren Hut stecken, nämlich eine antizyklische Finanzpolitik zu treiben.
Hätte man 1969 nicht die private Nachfrage künstlich hochgejagt, den Staatsverbrauch wider alle Vernunft ausgedehnt, dann wären sowohl der Ausschlag in der Inflationsrate als auch der Rückschlag auf dem Arbeitsmarkt wesentlich geringer ausgefallen.Unsere Stabilitätspolitik war eine Politik der Vollbeschäftigung. Wenn Sie an mehreren Stellen Ihrer Wahlkampfplattform behaupten, daß wir nur widerwillig eine Politik der Vollbeschäftigung betreiben wollten, daß wir die Disziplinierung der Arbeiter durch geplante Arbeitslosigkeit herbeiführen wollten, wie es einmal in einer früheren Verlautbarung hieß, so ist das einfach eine glatte Lüge und eine üble Verleumdung.
Sie haben in den Jahren 1969 und 1970, Herr Bundeskanzler, als Verteidigungsminister Ihre Vorgänger, Herrn Möller und Herrn Schiller, mehrmals ge-
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Straußhindert, die Politik zu ergreifen, die diese beiden Minister gerade in der Finanz- wie in der Wirtschaftspolitik wollten. Sie haben dann selbst als Wirtschafts- und Finanzminister einer prozyklischen Finanzpolitik das Wort geredet.
Erst im Jahre 1973 haben sie schüchterne Klimmzüge gemacht, 1974 haben Sie die ersten Anzeichen gezeigt. Da war der Fehler, daß man die ganze Last auf die Geld- und Kreditpolitik abgeschoben hat, daß man mit diesen irrsinnig hohen Zinsen einen Umverteilungsprozeß unsozialster Art herbeigeführt hat, um das magere Ergebnis von heute als glorreiche Konjunkturpolitik und antizyklische Finanzpolitik ausweisen zu wollen. Genau das Gegenteil ist doch wahr.
Wissen Sie noch, womit Sie früher zwei Prozent Arbeitslosigkeit bezeichnet haben? — Schon als eine „schlimme Fehlentwicklung", drei Prozent als „Katastrophe". Es gab Ihr törichtes Wort „lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit". Sie sind der erste Bundeskanzler, dem auf diesem Gebiet in den letzten Jahren beides und noch mehr gelungen ist.
Hier habe ich das Wahlplakat von 1972: „Warnung vor Strauß und Barzel; sie wollen die Arbeitsplätze gefährden und die Vollbeschäftigung beseitigen".Der einzige, der sie beseitigt hat, waren Sie, Herr Bundeskanzler.
Zum gleichen Lügenbereich gehört es auch, wenn man behauptet, ich hätte gesagt, das Ende des Sozialstaates sei gekommen. Ich habe sehr genau formuliert und weiß, was ich sage. Ich habe gesagt: Die Grenzen des Sozialstaates und des Bildungsstaates sind erreicht und zum Teil überschritten worden.
Wenn man mir vorwirft, gesagt zu haben: „Die Sozialleistungen müßten im Zeichen zunehmenden Wohlstands abgebaut werden", dann gehört das wieder zu diesen schrecklichen Vereinfachungen, Verdrehungen, Verzerrungen und plumpen Halbwahrheiten. Ich bin der Meinung, daß im Zeichen höheren Wohlstands mehr und mehr Bürger bei stabiler Währung und steigendem Realeinkommen — beides ist durch die Politik dieser Regierung verspielt und verscherzt worden — in der Lage wären, einen Teil der Aufwendungen zu übernehmen, damit diese Aufwendungen nicht von der breiten Schicht der Bezieher kleinerer Einkommen für die Reicheren getragen werden müssen, wie wir es heute zum Teil haben.
Wir bekennen uns in vollem Umfang zum Sozialstaat, aber zu einem Sozialstaat der Solidarität, der Subsidiarität und des Gemeinwohls, zu einem Sozialstaat, in dem die Leistung nicht durch sozialistische Gleichmacherei und nivellierende Steuerpläne erdrückt und damit soziale Ungerechtigkeit als soziales Prinzip herausgestellt wird.Schauen Sie, was in Schweden vor sich gegangen ist, wo zwei prominente Vertreter des schwedischen Geisteslebens jetzt ihr Land, das sozialdemokratische Schweden, verlassen haben. Die Verfasserin von Pipi Langstrumpf, weil sie 102 % ihres Einkommens als Steuern zahlen sollte. Ingmar Bergmann sagte: Schluß mit diesem System einer boshaften, grausamen, alles umfassenden Bürokratie, ich verlasse mein Land! Das ist aber nicht kommunistischer Sozialismus, das ist demokratischer Sozialismus!
Beide waren prominente, oft zitierte Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Schwedens, und beide sind zu diesem Urteil auch über die abartigen Entwicklungen des demokratischen Sozialismus nach 40 Jahren Machtausübung gekommen, die mit viel Bürokratie, Schikane, obrigkeitsstaatlicher Unterdrückung im allgemeinen verbunden zu sein pflegt, wenn keine Ablösbarkeit der Macht mehr gegeben ist.Die Ablösbarkeit der Macht ist überhaupt die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie.
Wenn wir solche Ausdrücke wie den von Herrn Kühn hören, die Bundesrepublik wäre nicht mehr regierbar, wenn die CDU/CSU an die Macht käme — ich möchte diesen Witz hier nicht wiederholen, sondern ihn nur in den richtigen' Zusammenhang stellen —, wenn wir vom Mobilisieren der Betriebe, vom Holzen auf den Straßen hören, wenn man davon hört, daß im Fall eines Wahlsieges der CDU/ CSU der soziale Friede nicht gewahrt werden könnte, — ich bin davon überzeugt, daß das demokratische Verantwortungsbewußtsein der Gewerkschaftsführung in Deutschland größer ist als das der hetzerischen Verursacher dieser Parolen.
Es fehlt bloß noch die Geschichte mit dem Sicherheitsrisiko. Was heißt Sicherheitsrisiko? Damit soll das Sicherheitsbedürfnis der Bürger angesprochen werden, das legitim und berechtigt ist. Man will damit unterschwellig andeuten: Eure innere Sicherheit, eure soziale Sicherheit ist nicht mehr in Ordnung. Außerdem wurde Spannung mit der Sowjetunion in Aussicht gestellt. Man droht „unterirdisch" mit Aggressionen gegen die Bundesrepublik, die eintreten könnten, wenn wir an die Regierung kämen. Das heißt nichts anderes, als daß eine versagende Regierung ihre Unablösbarkeit durch diese verleumderischen Parolen erzwingen will.
Damit habe ich wesentliche Gründe genannt, warum die Frage „Freiheit oder Sozialismus" angesichts der jüngsten Geschichte, angesichts der Vorgänge in der Zeitgeschichte, sehr wohl berechtigt gestellt werden kann. Wir verlangen eine Antwort darauf, wir verlangen eine Klärung dieser Frage.
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StraußAber unter dem Gesichtspunkt dieser Frage werden wir auch einen Beitrag zur geistesgeschichtlichen Klarheit leisten. Wenn wir zu diesem Haushalt nein sagen — das darf ich hiermit ankündigen —, dann wollen wir mit diesem Nein auch das Nein zu dieser Politik, die hier getrieben worden ist, zum Ausdruck bringen und bei dieser Gelegenheit auch erklärt haben, warum wir das deutsche Volk von dieser Regierung und den sie tragenden Kräften befreit sehen wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat natürlich eine Menge gesagt, das zwar nicht reizend ist, aber das einen reizt, auf vieles davon einzugehen. Aber ich muß zunächst einer Pflicht genügen.Er hat in seinem Gewebe von Anschuldigungen, Behauptungen und Ordnungsrufen an die Adresse der Sozialdemokraten soeben eine Reihe von Personen eingeknüpft, die nicht hier im Hause sind und die das nicht berichtigen können, aber deren Schuld, wenn man das so nennen darf, er sozusagen den Sozialdemokraten anhängen will, weil er ihnen angebliche Äußerungen in einer Weise aufdrängt, daß die Sozialdemokraten in Sippenverruf gebracht werden. Das ist des Herrn Strauß' Methode. Wir werden sie noch in einigen anderen Zusammenhängen und Überlegungen sehen. Ich habe also hier die Pflicht— so muß ich einmal sagen —, weil man mir die Unterlage gegeben hat, darauf hinzuweisen, daß die Behauptungen, die der Herr Vorredner gegen die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten in der SPD, Frau Wieczorek-Zeul, erhoben hat, seit geraumer Zeit öffentlich widerlegt sind. Ich habe hier zwei im Druck erschienene und jedem zugängliche Feststellungen — sie sind datiert vom 5. und 8. März —, in denen nachgewiesen und durch Abdruck deutlich gemacht worden ist, daß die Behauptungen, die heute von einem so potenten Streiter wie dem soeben hier zum Zuge gekommenen
in einer Weise dargeboten worden sind, als habe er sie soeben erst ausgebrütet.
— Ich denke nicht daran, dem Herrn — — Machen Sie das doch! Nichts davon ist wahr, sage ich Ihnen. Wenn Sie das Theater so weiterführen, richten Sie sich doch nur selbst.
Was Sie brauchen, meine Damen und Herren, ist eine Art Treibjagd-Thema. Das ist alles, was Sie brauchen.
Ich habe gesagt, daß Sie dazu Personen brauchen, die nicht hier sind, die Sie anprangern und denen Sie etwas vorwerfen, was längst widerrufen ist. Sie wollen sie und die übrigen Sozialdemokraten in Sippenverruf bringen.Sie haben hier soeben über zwei schwedische Persönlichkeiten gesprochen. Als Sie hier so nett und so typisch für schwedische Menschen sprachen— verständlich als Ausdruck einer Ihnen völlig fremden Art —, habe ich mir gedacht: Wie müßte das sein, wenn die nette Astrid Lindström oder /und Ingmar Bergman jetzt hier ihrem „Verteidiger" Auge in Auge — aber getrennt, damit sie nicht ... — gegenüberstünden?
Das wäre eine tolle Sache. Die hätten nämlich nichts antworten wollen. Astrid Lindström lebt und arbeitet nach wie vor in Schweden, und als ich kürzlich einige Tage das Glück hatte, dort zu sein, habe ich mir jeden Morgen ihre Kinder-Viertelstunde, die sie nach wie vor bietet, angehört.
Bitte, sie ist eben nicht, wie sozusagen der Geruch hier im Saal zurückbleiben sollte, grollend aus Schweden weggegangen. Sie hat einen Streit; den führt sie aus. Nur, ein Glück, dort kann man das. Was würde hier, wenn Sie das Sagen hätten, mit Leuten passieren, die sich Ihnen gegenüber — —
— Aber sicher, das demonstrieren Sie uns ja hier.Ingmar Bergman hat sich, wie er ausdrücklich sagt, nicht gegen den ihm auch persönlich als Freund sehr vertrauten Olof Palme, den Regierungschef in Schweden, gewendet, sondern gegen — wie er sich ausdrückte — Bürokraten.
— Ja sicher! Das darf man dort, während es hier Majestätsbeleidigung der Unionsschwestern ist, die beide gemeinsam ein U hinten und ein C vorne haben und sich in der Mitte nur unterscheiden durch das D und das S — wegen der verschiedenen großen Persönlichkeiten.
Es ist ja sinnlos, von Ihnen anzunehmen, daß Sie ernste Antworten in an und für sich ernsten Fragen geben, wie es die der hier genannten Personen sind. Denen müßten ja die Ohren klingen, wenn es das gäbe.
— Sicher toll, wie Sie ja auch „toll" sind.Nun will ich Ihnen einmal folgendes sagen. Herr Strauß hat hier ein Recht postuliert, das er ableitet aus dem, was er „demokratische Gemeinschaft", „Gemeinsamkeit" und „Konsensus", „Grund-Konsensus" nennt. Er möge damit selber fertig werden. Wir sind hier in der Bundesrepublik Deutschland, und die hat
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Wehnerein Grundgesetz. Wir werden es dem Herrn Strauß nicht bis an sein Lebensende ankreiden, daß die Partei, die er hier vertritt, die kleinere der beiden Unionsschwestern, damals nicht für das Grundgesetz gestimmt hat. Aber es war so.
Heute ist er um so eifriger. Er ist heute sozusagen der Engel mit dem Flammenschwert — was für ein Engel —,
der genau aufpaßt. Er leitet sein Recht auf die ihm zusagende Bezeichnung und Bewertung der Sozialdemokraten und ihrer Partei, der SPD, aus diesem, wie er das sagt, „Geist demokratischer Gemeinschaft" — das knirscht nur so, diese „Gemeinschaft" — und einem Grund-Konsensus ab.
Was will er? Er will bestimmen, wer so und wer anders zu behandeln ist. Das ist alles, was in diesem Anspruch drinsteckt.Er hat dem Bundeskanzler vorgeworfen, daß er ihm, dem Herrn Strauß, keine passende Definition der verschiedenen Begriffe des „Sozialismus" gegeben habe. Nun will ich Ihnen — sowohl Herrn Strauß als auch all seinen Mit-Sträußen —
einmal etwas sagen.
Unter „Konsensus" versteht der Herr Strauß: Die Sozialdemokraten haben den selbsternannten Richter mit dem „C" vorn und dem „U" hinten nachzuweisen, daß sie für CDU/CSU anerkennbar sind. Dazu gehört, daß die des „Sozialdemokratismus", „Sozialismus" usw. Angeschuldigten zu beweisen haben, die gegen sie aufgetürmten Anschuldigungen seien unberechtigt. Nicht muß ihnen der, der sie erhebt, beweisen, daß er den anderen mit Recht verdonnert, nein, die Angeschuldigten müssen beweisen. Das ist die Auffassung des Herrn Strauß — und nicht nur des Herrn Strauß allein.
Das können die Angeschuldigten nur,
wenn sie sich den selbsternannten Richtern anpassen.Wenn Sie darüber einmal genauer nachdenken
— Nicht Sie, von Ihnen ist nichts zu erwarten. Ich teile den Optimismus meines Freundes, des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, in bezug auf die, die hier bei Ihnen besonders philosophisch orientiert und interessiert seien, nicht. Aber es mag den einen oder anderen aus ganz einfachen Verhältnissen geben, der einmal darüber nachdenkt, weil er anständig sein will und nicht in einen bürgerkriegsähnlichen Zustand hineingeboxt werden will.
Nein, nein: Die Angeschuldigten können das, was sie beweisen sollen und müssen, wenn sie nicht unter Sippenverurteilung
gehalten werden sollen, nur tun, indem sie sich den selbsternannten Richtern anpassen. Das ist Ihre Vorstellung vom Zusammenleben in einer demokratischen Gemeinschaft.
Und nun frage ich Sie: Was ist denn eigentlich vorgegangen, daß Sie plötzlich solche Bedürfnisse haben? Im Wahljahr 1976 haben Sie natürlich Ihre Probleme, wie auch wir unsere Probleme haben. Alle haben ihre Probleme. Wir erleben aus Ihrer Ecke, daß nun sogar die CDU nicht bestreitet — ich zitiere hier vier wörtliche Stellen aus einer CDU- Publikation —:Wir erleben zur Zeit, wie der Konjunkturhimmel sich aufhellt.Erster Satz. Der zweite:Das schwerste Wirtschaftsgewitter seit den 30er Jahren zieht ab.
Das heißt also: Das, was Sie bisher als hausgemacht und nur deutsch dargestellt haben, ist jetzt „das schwerste Wirtschaftsgewitter", das abzieht. Jetzt kommt der dritte Satz:
Auch der Welthandel gibt Anlaß zu einiger Hoffnung. Von den USA gehen Impulse zur Verbesserung der Konjunktur aus.Der letzte, vierte Satz:Die Inflationswelle klingt leicht ab. Vorerst drohen keine besonderen Preisgefahren.Das ist das, was die Christlich-Demokratische Union Fachausschuß Wirtschaft und Finanzen — in dem Kreisverband gesagt hat, in dem ihr sicher sehr schätzenswerter Vorsitzender der einen der beiden Unionsschwestern, und zugleich gemeinsamer Kanzlerkandidat — soll er es lange bleiben! — zum erstenmal zum Bundestag kandidiert. Daraus stammen diese Sätze; ich habe das Ganze hier.
Das sind vier Eingeständnisse, die von der Geschäftsstelle eben dieses Kreisverbandes an Unionsfreunde und -gönner — vor allen Dingen Gönner — gegeben worden sind.
— Nein, wir beschaffen uns das so. Wir lesen mit; ist ja klar. Und da gibt es dann noch folgende Fortsetzung:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16845
WehnerAuf dem Arbeitsmarkt wird sich die Lage zwar nicht verbessern, doch läßt sich schon jetzt erkennen, daß die wirtschaftliche Lage das Wählerverhalten nicht entscheidend beeinflussen wird.Da haben Sie den Punkt, weswegen Sie krampfhaft nach etwas „psychologisch" Wirksamem dreggern und barzeln und suchen.
Und da ist inzwischen die ganze paritätisch zusammengefügte Führungsmannschaft der beiden Unionsschwestern — paritätisch: fünf von der kleinen, fünf von der großen —
mit ihren Führungsköpfen stramm auf Vordermann zu dem sich soeben hier produziert habenden Herrn Strauß gegangen. Das ist alles.Gehen wir wieder zurück zum Wahlkreis des CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerkandidaten. Dort steht weiter:Der konjunkturelle Fahrplan von Bundeskanzler Schmidt wird nur mit einer kleinen Verzögerung eingehalten.Man merkt direkt die Träne, die daran gehängt worden ist. Da die Tatsachen gegen die Behauptungen der CDU/CSU und gegen Ihre Unkenrufe sprechen, manipulieren Sie schon jetzt. Und hier zitiere ich Sie noch einmal wörtlich:Es besteht für die CDU die Gefahr, daß die SPD ihre verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik, deren verheerende Folgen sich erst nach der Wahl herausstellen werden, dem Wähler als Erfolg präsentiert.Stellen Sie sich das einmal vor! Das könnte in Trauerrand erschienen sein:
Es besteht die Gefahr, daß die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik ...In diesem Blatt gibt es dann noch eine Behauptung. Dies sind alles genau zitierte Stellen; ich hüte mich, daran herumzuwischen.
— Hören Sie zu, Sie kriegen hier noch „Argumente", die Sie, wie es in dem Blatt heißt, „verkaufen" können — Sie haben sich ja dieses „Koof-michDeutsch" angeeignet —, „Argumente", die Sie „verkoofen" können.
Da steht:Mit der verfehlten Ostpolitik hat die SPD die letzte Bundestagswahl gewonnen. Mit der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzpolitik will sie die nächste gewinnen.
Ja, aber wie kann die SPD denn nur?! Es heißt weiter:Wir— die CDU —müssen den Wählern klarmachen, daß die deutsche Bevölkerung darüber zu entscheiden hat,— worüber denn nun eigentlich noch?; ich werde es Ihnen sagen —ob dem Sozialismus ein Halt gesetzt werden soll.
Meine Damen und Herren, das heißt: Weil die tatsächliche Politik der Sozialdemokraten schwierige Probleme meistert und darin zuverlässig ist, muß ein Gespenst her, und das Gespenst nennt die CSU /CDU „Sozialismus".
Das heißt, CSU /CDU möchten zurück in die 50er Jahre, in die Zeit, in der sie prophezeiten, es wäre der „Untergang Deutschlands", wenn die SPD — so hieß es damals — die hessische oder die bayerische Landtagswahl gewönne. Ich gehöre zu denen, die von den Tomahawk-Hieben des großen Häuptlings damals nicht selten getroffen worden sind, wenn er auf seinen Kriegspfad ging und dann sagte: „Untergang Deutschlands!"
Was ist es mit dem Gespenst? Die SPD soll mit dem belastet werden, was die Kommunisten „Sozialismus" nennen. Das ist der ganze Trick, mit dem Sie dieses Jahr glauben bestehen zu können.
In Ihren Blättern haben Sie dann ein Rezept. Das Rezept zitiere ich auch noch:Für die Bundestagswahl dürfte von großer Bedeutung sein, welche Partei ihre Argumente besser verkauft und wie festgefügt sie sich den Bundesbürgern präsentiert.Ich frage Sie — ich will mir dieses „Koof-michDeutsch" einmal angewöhnen, das heute das Deutsch aller Semantiker sämtlicher Parteien, auch meiner eigenen, ist —: Was „verkaufen" denn CDU und CSU als das, was sie „Argumente" nennen? Meine Damen und Herren, was Sie „Argumente" nennen, sind Ladenhüter. Dies zum ersten.
Zweitens. Wie „festgefügt präsentieren" Sie sich denn nun? Sie präsentieren sich nur festgefügt gegen die SPD, aber keineswegs für Ihre eigene Regierungsfähigkeit.
Sie gehen auf Vordermann, und dabei halten Sie den Stechschritt ganz schön ein.
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16846 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
WehnerMit dem Schlagwort „Freiheit oder Sozialismus" soll — wem sage ich das — die SPD in einer aufgewühlten Menschenlandschaft verketzert und verteufelt werden.Die Wahrheit ist: Zweimal nach zwei verlorenen Weltkriegen hat die Sozialdemokratie demokratischen Freiheitsraum für dieses unser deutsches Volk gerettet,
nach dem ersten Weltkrieg gegen den Seperatismus vom Westen
und nach dem zweiten Weltkrieg gegen einen Separatismus vom Osten. Für die Weltkriege waren nicht die Sozialdemokraten verantwortlich. Die Sozialdemokraten konnten die von anderen angezettelten, geschürten und zu verantwortenden Weltkriege nicht ungeschehen machen. Das konnte übrigens niemand. Ich würde mich nie zu ähnlichen Behauptungen aufschwingen. Die Sozialdemokraten haben aber zweimal die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß ein Freiheitsraum für unser Volk gerettet werden konnte. Es hätte ja auch viel schlimmer kommen können.
Zur Erinnerung: Der erste Reichspräsident, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, starb am Undank der Vergeßlichen und am Haß der Ewiggestrigen.
Kurt Schumacher, der Kriegsversehrte des ersten Weltkriegs und der Konzentrationslagergepeinigte aus der NS-Zeit, hat, ehe er 1952 die Augen schloß, bitter festgestellt,
erstens, daß es ohne die von der SPD 1946 durchgesetzte Urabstimmung in Berlin
nicht einmal einen freien Teil Berlins gäbe — das ist wahr —;
zweitens, daß aber die schlimmste Versündigung am deutschen Volk nicht von den Siegermächten begangen worden ist,
sondern von denen zugefügt wurde, die bestimmen wollen, wer als Christ bezeichnet oder als Marxist zu bezeichnen und zu behandeln ist.
Es ist Ihre Sucht, dies wiederkehren zu lassen.
1952 schrieb Kurt Schumacher in dieser seiner letzten Niederschrift:
Wenn es nach dem Erkenntnisvermögen und der Haltung der Parteien gegangen wäre, die heute— das war 1952 —die Bundesregierung bilden, vor allem CDU/ CSU und DP, dann wäre ein neuer Rheinbund entstanden, wie ihn mindestens zwei der drei westlichen Alliierten gewollt haben. Nur durch die Sozialdemokraten— so schloß Schumacher —ist ein Grundgesetz zustande gekommen, das diese Bundesregierung überhaupt erst funktionsfähig gemacht hat.
Ich sage Ihnen dazu: Wer mit dieser Lügenalternative „Freiheit oder Sozialismus" Treibjagd machen und gewinnen möchte, d. h. wer die Sozialdemokratie von unserem demokratischen Staat und der Freiheit der Deutschen amputieren will,
der versündigt sich. Wer diese verlogene, diese Nicht-Alternative zum Knüppel macht, der will das, und wenn er es nicht will, ist er ein Mitläufer, wie wir in diesem Volk häufig Mitläufer gehabt haben, die sich dann damit herausgeredet haben.
Sie können es ja mal versuchen.
Wir werden stehen wie Eichen. Sie können uns vom deutschen Volk nicht wegamputieren.
Es sind nicht mehr die 50er Jahre.
Ich habe für mich bedauert, daß der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Freiherr von Weizsäcker, der ja auch Vorsitzender der Grundsatzkommission ist,
leider wieder einmal die Rolle des „Pharisäers vom Dienst" übernommen hat,
indem er diese Strauß-Parole „Freiheit oder Sozialismus" noch mit dem Schlenker versehen und in den letzten zwei Tagen über die Ticker hat gehen lassen: „Schmidt läßt dem Sozialismus seinen Lauf".
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16847
Wehner— Wissen Sie — damit Sie das einmal loswerden —, daß ich Kommunist gewesen bin, habe ich nie geleugnet. Ich werde es mein Lebenlang büßen dank derer, die patentierte Christen sind und sich als solche bezeichnen.
Was den sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt angeht, von dem Herr von Weizsäcker über die Ticker hat gehen lassen, Schmidt lasse dem Sozialismus seinen Lauf, so hat der Bundeskanzler durch seine Politik unser Volk in Wirklichkeit davor bewahrt, daß die ärgsten Auswirkungen kapitalistischer Wirtschaftskrisen in einer Phase dramatischer Veränderungen der Weltwirtschaft rücksichtslos auf die Schultern der kleinen Leute gewälzt werden konnten. Das hat Schmidt als Verdienst.
Meine Damen und Herren, es ist klar, daß diese Debatte zu nichts anderem als zur Darlegung der Unversöhnlichkeit führen wird, nicht nur der Gegensätze, sondern auch Ihres Gemüts, sich mit den Gegensätzen sachlich zu befassen.
Worum es in diesem Streit geht, ist der Charakter unseres Staates Bundesrepublik Deutschland. Sie ist der Staat weder einer Partei noch einer Klasse.
Sie hat nach dem Grundgesetz demokratischer und sozialer Bundesstaat zu sein.
Auf dem Boden des Grundgesetzes, in dem vom Grundgesetz gesteckten Rahmen ringen die Parteien um die nach ihrer Auffassung besten Wege zur Erfüllung des Verfassungsauftrags „demokratischer und sozialer Bundesstaat". Wir werden nie einen Alleinvertretungsanspruch für die Demokratie in Deutschland oder die Bundesrepublik Deutschland für uns verlangen; wir anerkennen aber auch nicht den wie sonst begründeten irgendeiner anderen Partei oder Union.
Es gibt keinen. Da Sie darauf aus sind in der Praxis, sage ich Ihnen: das wird eine Zeit der schwersten Prüfungen für dieses unser Volk und unseren Staat. Ungeachtet dessen, was diesem Volk
aufgepackt worden ist,
ist dieser Staat Bundesrepublik eine Gnade für uns,
hier wirken zu können in dem Sinne, den das Grundgesetz ausgedrückt hat. Nur werden wir ja erleben,was Sie alles daraus zu machen versuchen. Das ist unsere Absage sowohl an einen Alleinvertretungsanspruch als auch an jenes Treibjagdklima, mit dem Sie
den diesjährigen Wahlkampf bewußt eröffnen, für den ich die Befürchtung habe — denken Sie daran, wenn der 3. Oktober vorbei ist —, daß es leider bei der Art, die Sie belieben, auch nicht ganz ohne Blessuren ausgehen wird. Und das wird furchtbar sein für dieses arme Volk.
Ihnen macht das ja nichts aus. Sie haben ja in jeder Tasche sofort nicht nur die fertigen Anklagen, sondern auch Verurteilungen derer, die Sie am liebsten öffentlich an den Pranger stellen möchten.
Das ist Ihre Art.Es tut mir leid, daß ich angesichts der Zeit und dieser Situation nicht auf einige der Fragen sowohl des Herrn Vorredners Strauß als auch noch auf eine des Herrn Carstens zurückkommen kann. Aber dafür wird es wohl noch die eine oder andere spätere Gelegenheit geben. Ich danke für die Geduld.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte über den Haushalt des Bundeskanzlers ist zu einem Teil eine außenpolitische Aussprache geworden. Sie ist zu einem anderen Teil aber auch eine Diskussion über das Verhältnis der demokratischen Parteien in diesem Lande zueinander geworden.Der Herr Abgeordnete Professor Carstens hat heute morgen den Versuch unternommen, einen Beitrag zur Freiheitsdiskussion in diesem Lande zu liefern. Er hat durch sein Bekenntnis zu der jetzt gängigen und offenbar für den Bundestagswahlkampf vorprogrammierten Parole einen Monopolanspruch für seine Partei auf Freiheit erhoben. Meine Damen und Herren, wer Monopolansprüche auf Demokratie, wer Monopolansprüche auf Freiheit erhebt, stellt die anderen demokratischen Parteien außerhalb des Freiheitsspektrums und verletzt damit die Solidarität der Demokraten.
Wir hätten uns gewünscht, Herr Professor Carstens, daß Sie in dieser Debatte Ihre Definition des Freiheitsbegriffes gegeben hätten. Wir, die liberale Partei in der Bundesrepublik Deutschland — Sie
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16848 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister Genscherhaben mich hier als Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei angesprochen —, sehen jede politische Entscheidung allein unter der Fragestellung, ob sie mehr Freiheit für den einzelnen bringt oder nicht. Diese Fragestellung hat unsere Arbeit in siebenjähriger Regierungstätigkeit ausschließlich bestimmt. Wenn Sie diesen Freiheitsbegriff der Liberalen und ihren Anspruch, danach gehandelt zu haben, in Zweifel stellen wollen, dann kommen Sie hier hoch und sagen Sie, welche außenpolitische Entscheidung, welche innenpolitische Entscheidung, welche gesetzliche Entscheidung dieser Koalition je den Freiheitsraum des einzelnen eingeengt hätte.
Sie haben — das ist bezeichnend für Ihr Verständnis vom Verhältnis demokratischer Parteien zueinander, Herr Professor Carstens — davon gesprochen, daß es eine historische Schuld der Liberalen sei, mit den Sozialdemokraten zu koalieren. Wie muß es eigentlich mit Ihrem Demokratieverständnis aussehen, wenn Sie die partnerschaftliche Zusammenarbeit
zweier demokratischer Parteien in dieser Weise diffamieren?
Wie wollen Sie, Herr Professor Carstens, mit einer solchen Einstellung zu einer anderen demokratischen Partei eigentlich je selbst einen Partner für Ihre Politik in diesem Lande finden?
Herr Bundesminister, gestatten Sie einen Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Dr. Carstens?
Bitte schön.
Darf ich Sie daran erinnern, Herr Bundesminister Genscher, daß ich als historische Schuld der FDP bezeichnet habe, daß Sie durch Ihr Bündnis mit der Sozialdemokratie die sozialistischen freiheitsfeindlichen Teile der Sozialdemokratie in ihrer Wirkungsmöglichkeit gefördert haben?
Ich hätte mir gewünscht, Herr Professor Carstens, daß Sie die Zwischenfrage als Gelegenheit genutzt hätten, auf wenigstens eine freiheitsfeindliche Entscheidung dieser Koalition hinzuweisen.
Wenn Sie die Zusammenarbeit zweier demokratischer Parteien in dieser Weise nicht nur diffamieren, sondern geradezu kriminalisieren, wenn Sie eine solche Einstellung gegenüber den Liberalen äußern, dann spiegelt das genau jene Denkweise wider, die Ihre Partei vor einigen Jahren veranlaßte, den Versuch zu unternehmen, mit dem Mehrheitswahlrecht der Liberalen aus der politischen Landschaft auszuschalten.
Nun können Sie über die Sozialdemokratie als Partei des demokratischen Sozialismus eine Menge sagen. Nur eins können Sie nicht bestreiten: daß es nicht zu diesem Mehrheitswahlrecht gekommen ist, ist nicht Ihr Verdienst, sondern das ist an Ihrem damaligen Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, gescheitert.
Mit dieser Forderung nach dem Mehrheitswahlrecht haben Sie eine — wahrlich nicht die einzige — Grundlage für diese Koalition gelegt. Und Sie werden, wenn Sie weiter so reden, eine Menge Befestigungsbalken in diese Koalition einziehen. Das ist Ihre Leistung.
Wenn Sie sich mit einer Partei wie der Freien Demokratischen Partei auseinandersetzen, einer Partei, die als liberale Partei wirklich die umfassendste Alternative zu jeder Form der Unfreiheit ist, dann muß ich Ihnen, Herr Professor Carstens, sagen, daß es wirklich nicht mehr anders als politische Brunnenvergiftung zu bezeichnen ist, wenn Sie erklären: Nun wird plötzlich auch klarer, warum sich SPD und auch FDP so stark für die Übernahme von Kommunisten in den Staatsdienst einsetzen. Ich weise das als eine politische Verleumdung zurück, Herr Professor Carstens.
Sie wissen, daß wir es mit dem Gebot des Grundgesetzes, den Staatsdienst dieses Landes von den Gegnern der Freiheit freizuhalten, sehr ernst nehmen.Falls Sie mit Ihrer Bemerkung den Versuch einer rechtsstaatlichen Regelung des dafür erforderlichen Verfahrens, wie er im Regierungsentwurf vorgelegt wurde, gemeint haben sollten, will ich Ihnen allerdings sagen: Der stärkste Faktor bei der Verteidigung der Freiheit ist die Bewahrung der Regeln des Rechtsstaates. Immer mehr Gerichtsentscheidungen beweisen, daß wir mit unseren Verfahrensvorschlägen auf dem richtigen Wege sind.
Wir nehmen für uns nicht das Monopol der Freiheit und auch nicht das Monopol der Demokratie in Anspruch, weil wir wissen, daß die Demokratie darauf beruht, daß diese drei großen politischen Strömungen, die hier von Sozialdemokraten, CDU/CSU und FDP verkörpert werden, die Stärke, Stabilität und Funktionsfähigkeit unserer Demokratie ausmachen.
Aber wir erwarten, daß auch andere uns das nicht bestreiten.Sehen Sie, Herr Professor Carstens, wir haben uns in unserer Partei nie mit der Frage des Sozialis-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16849
Bundesminister Genschermus als parteiinternem Problem auseinandersetzen müssen. Das ist bei Ihnen schon etwas anders. Denn wenn Sie sich über alle Formen des Sozialismus hier beklagen, müßten Sie auch einmal ein paar Bemerkungen dazu machen, was Sie zu jenen innerhalb und außerhalb Ihrer Partei anerkannten Repräsentanten des christlichen Sozialismus stehen, die ja wohl in Ihrer Partei eine große Rolle gespielt haben. Sie müßten uns einmal sagen, Herr Professor Carstens, wie es denn nun eigentlich mit dem Ahlener Programm ist, wo es heißt:Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.In dem Ahlener Programm verlangen Sie „Planung und Lenkung in der Wirtschaft" auch in normalen Zeiten,was sich auch aus unserer Auffassung ergibt, daß die Bewirtschaftung der Bedarfsdeckung des Volkes zu dienen hat. Diese Planungs- und Lenkungsaufgaben sollen von Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft in Wirtschaftskammern wahrgenommen werden.
Dann verlangen Sie die „Vergesellschaftung des Bergbaues", und Sie verlangen die „Vergesellschaftung der eisenschaffenden Großindustrie".
Nun könnten Sie sagen, Herr Professor Carstens: Das gilt nicht mehr; keine Partei ist davor bewahrt zu irren.
— Herr Stücklen, ich komme gleich darauf. Sehen Sie, ich sage ja nicht, daß alles falsch ist, was die CSU sagt, für die Sie sich jetzt zu Wort melden. Herr Kollege Strauß, dem ich in diesem Punkt ausdrücklich zustimme, hat erklärt, das Ahlener Programm sei ein Irrtum gewesen. Das ist auch meine Meinung; ich stimme ihm darin voll zu. Aber der Generalsekretär der Christlich-Demokratischen Union, Herr Professor Biedenkopf, hat vor einigen Monaten in einem Interview mit dem „Spiegel" erklärt:
„Das Ahlener Programm ist kein Irrtum" — so sagte er im Gegensatz zu Herrn Strauß und mir —, „sondern wesentliche Grundlage der CDU-Politik."
Also, Herr Professor Carstens, führen Sie einmal dieSozialismus-Diskussion in Ihrer Partei, klären Sieauf, wie das dort ist und dann kommen Sie wiedernach oben und sagen etwas über den Umgang von Liberalen mit anderen demokratischen Parteien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer sich heute zu Fragen der deutschen Außenpolitik äußert, muß die Grundfragen und Grundfaktoren der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland erkennen. Der erste Grundfaktor der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist die Erkenntnis, daß in unserem Staat nur ein Teil unseres Volkes lebt und daß wir gehalten sind — das hat nichts mit Alleinvertretungsanspruch zu tun —, bei jeder politischen Entscheidung für unsere deutschen Mitbürger in der DDR mit zu handeln und ihnen das Leben erträglicher zu machen. Das ist die Politik der Bundesregierung.Nun haben Sie, Herr Professor Carstens, heute morgen erklärt, daß besonders Berlin unter der Entspannungspolitik habe leiden müssen. Vor anderthalb Jahren klang das noch anders. Da haben Sie in einer Fernsehdiskussion erklärt, mehr sei beim Viermächteabkommen nicht erreichbar gewesen. Das war Ihre damalige Position. Dann haben Sie weiter gesagt, Sie empfehlen dem Bundeskanzler Schmidt und dem Außenminister Genscher, doch bei Herrn Bundeskanzler Adenauer in die Schule zu gehen und auch einmal die Kraft zu finden, aufzustehen und die Abreise anzudrohen, wenn die andere Seite nicht so wolle, wie wir das gerne möchten. Das heißt, Sie haben hier den Vorwurf erhoben, daß diese Bundesregierung die nationalen Interessen nicht in der ausreichenden Form mit der ausreichenden Verläßlichkeit und mit der ausreichenden Energie verfechte. Meine Damen und Herren, das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf,
ein Vorwurf, der dann noch ungeheuerlicher wird, wenn man sieht, wie sich Ihre Haltung, meine verehrten Kollegen von der CDU/CSU, zur Berlin-Frage darstellt. Sie wissen ja, daß wir zu einem der wichtigen Punkte der Berlin-Politik die Einbeziehung Berlins in die Verträge gemacht haben, die wir abschließen. In diesem Zusammenhang ist es hochinteressant, einmal nachzuprüfen, wie frühere Bundesregierungen diese Frage gehandhabt haben. So ist z. B. der deutsch-sowjetische Konsularvertrag vom 25. April 1958
ohne eine Berlin-Klausel abgeschlossen worden.
Sie haben am 30. Mai 1959
eine Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der UdSSR über kulturellen und technisch-wissenschaftlichen Austausch unterzeichnet, ebenfalls ohne Berlin-Klausel.
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16850 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister Genscher Sie haben ein langfristiges Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr abgeschlossen, ein Abkommen über Allgemeine Fragen des Handels und der Seeschiffahrt und ein Protokoll über den Warenverkehr abgeschlossen, samt und sonders ohne Berlin-Klausel, so daß wir vor der Notwendigkeit standen, eine gegen Berlin gelaufene Vertragspraxis im Interesse Berlins umzukehren, und wir haben das erreicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Sperling?
Bitte sehr!
Kollege Genscher, könnten Sie uns noch dazu sagen, welcher Außenminister damals vergeblich vom Stuhl aufgestanden ist und sich wieder hingesetzt hat?
Ich bin nicht ganz sicher, ob man es so ernst genommen hat, daß ein Außenminister diese Fragen verhandelt hat. Es war jedenfalls ein der CDU/CSU angehörender Außenminister. Es fällt in eine Periode der Nachkriegspolitik, in der die CDU/CSU allein ohne FDP und ohne Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung getragen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie Ihnen aus Ihren Gesprächen mit dem Herrn Bundesminister und dem Herrn Botschafter Lahr bekannt ist, hat die sowjetische Seite während der gesamten Verhandlungsdauer trotz wiederholter Bemühungen unserer Delegierten abgelehnt, Berlin-Klauseln in irgendeiner Fassung — nicht nur in der Fassung „Land Berlin" — in die Verträge aufzunehmen. Bei dieser Haltung der Sowjetunion
— so schreibt der Staatssekretär im Auftrage der Regierung —
gab es für die Bundesregierung keinen anderen Weg als den der Unterzeichnung der Verträge ohne Berlin-Klausel.
Das sollten wir einmal sagen, meine Damen und Herren!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ich darf zunächst das Zitat zu Ende führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie werden meine Auffassung teilen, daß das Zustandekommen der Verträge ohne BerlinKlausel einem Scheitern der Verhandlungen vorzuziehen wäre.
Obwohl auch die Bundesregierung vorgezogen hätte, wenn Berlin in die Verträge mit einbezogen worden wäre, könnte sich die unnachgiebige Haltung der Sowjets in dieser Frage dennoch für die Rechtslage Berlins positiv auswirken.
— So wird vermeldet. —
Sie enthält mittelbar ein Bekenntnis zum internationalen Viermächtestatus von Berlin, auf dem letzten Endes auch die Anwesenheit der drei westlichen Besatzungsmächte in West-Berlin beruht.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eines sagen: Diese Regierung hat nicht und sie wird nicht irgendeinen Vertrag unterzeichnen, in dem nicht die Einbeziehung Berlins geregelt ist. Das ist unsere Berlin-Politik.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes ?
Ja.
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß die von Ihnen genannten Verträge alle v o r den Ostverträgen abgeschlossen wurden, d. h. vor den großen und einseitigen deutschen Konzessionen, die mit diesen Verträgen verbunden waren?
Aber Herr Abgeordneter, das habe ich doch gerade vorgetragen. Das zeigt doch, wie groß die Leistung dieser Regierung war, daß sie diese Fragen mit den Ostverträgen besser regeln konnte, nachdem Sie vorher Terrain vergeben hatten.
Nun ist heute morgen dem Bundeskanzler von dem Herrn Abgeordneten Professor Carstens in einer bestimmten Frage, die ich schon gar nicht mehr in Erinnerung habe, gesagt worden, da sei er der größten Fehleinschätzung, dem größten für einen Regierungschef denkbaren Irrtum unterlegen. Meine Damen und Herren, man muß ganz vorsichtig sein mit solchen Bemerkungen, weil es natürlich für die Bundesregierung legitim ist, sich einmal mit anderen Fehleinschätzungen anderer Regierungen zu befassen.Hier hat es einen Streit über Ursachen und Wirkungen beim Bau der Mauer gegeben. Niemand aus
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16851
Bundesminister Genscherdieser Regierungskoalition hat je behauptet, daß es das Ergebnis Ihrer Politik gewesen sei, daß die Mauer errichtet wurde. Aber wir erklären ganz klar, daß es Ihre Politik jedenfalls nicht hat verhindern können, daß diese Mauer errichtet wurde, und daß es jetzt darum geht, sie dort durchlässiger zu machen, wo man das erreichen kann.
Sie haben heute so sehr auf die Politik der Stärke abgehoben. Ich werde zur Interpretation des Interviews von Herrn Ford hier noch ein Wort sagen. Ich möchte Ihnen nur einmal als Beweis eines folgenschweren Irrtums und als Beweis einer totalen Fehleinschätzung einer politischen Entwicklung etwas aus dem Jahre 1961 zitieren. Alle diejenigen, die sich noch an jenes dramatische Jahr erinnern können,
werden wissen, wie sich im Sommer 1961 immer mehr die Gerüchte verdichteten, es sei eine Abschnürung von Berlin geplant. Vor allen Dingen unsere Mitbürger in der DDR haben sich die Frage vorgelegt: Wird zugemacht werden oder nicht? Sollen wir jetzt gehen oder nicht? Sie haben natürlich auf das vertraut, was Ihnen die damalige Bundesregierung gesagt hat.Die Bundesregierung hat durch eines ihrer Mitglieder am 6. August 1961, eine Woche vor dem Bau der Mauer, folgendes verlauten lassen:Ich liebe keine großen Worte, und vor allem möchte ich nicht pathetisch wirken. Ich kann aber meinen Hörerinnen und Hörern in der Zone die Versicherung geben: Der Weg von und nach Berlin bleibt offen. Das wird das Ergebnis einer vielleicht zeitweilig sehr beunruhigenden Entwicklung sein. Aber es ändert nichts daran, daß das, was in Verträgen festgelegt ist, eingehalten wird, auch in Zukunft.Meine Damen und Herren, das war eine folgenschwere Fehleinschätzung.
Es war Ausdruck einer illusionären Politik, die von der Annahme ausging, man könne mit Stärke allein verhindern, daß ein kommunistisches Regime zu solchen Maßnahmen greift.
Ich hatte dieses Zitat vergessen. Es ist mir in den letzten Wochen in Erinnerung gebracht worden, als ich hier in der Bundesrepublik ein Gespräch mit einem Rentner aus der DDR hatte, der als Ergebnis unserer Politik hier in den freien Teil Deutschlands kam und der mir sagte: Wissen Sie eigentlich, daß ich damals mit meiner Familie, mit meinen Kindern geschwankt habe, ob ich kommen soll oder nicht? Im Vertrauen auf diese Erklärung bin ich geblieben.Ich kann heute reisen, meine Kinder können es nicht. Hätte ich doch nicht geglaubt!Meine Damen und Herren, wenn wir schon über Deutschlandpolitik sprechen, über Wahrnehmung der Interessen der Nation, dann wollen wir auch Irrtümer erkennen, die aus anderen Lagern kommen, und wir wollen nicht die gegenwärtige Regierung diffamieren, der schlechten Wahrnehmung der nationalen Interessen beschuldigen, wenn sie sich bemüht, ein Stück Menschlichkeit mehr in diesen schlimmen Zustand in Deutschland und Europa zu tragen.
— Meine Kollegen, ich bitte um Nachsicht, wenn ich keine Zwischenfragen mehr beantworten möchte.Für mich, meine Damen und Herren, ist das ein Stück Menschlichkeit. Wir alle möchten, daß der Reiseverkehr ganz frei wäre — wer hätte nicht dieses Ziel —; aber wenn Sie der Meinung sind, meine verehrten Kollegen von der CDU/CSU, daß im Verhältnis zu einem kommunistischen Regime, wie es in der DDR herrscht, mehr durchsetzbar wäre, dann muß ich Ihnen die Frage stellen: Warum haben Sie nicht in den 20 Jahren, in denen Sie die Kanzler dieses Landes gestellt haben, diese angeblich möglichen Fortschritte erreicht? Diese Frage müssen Sie beantworten.
Wenn es heute möglich ist, meine Damen und Herren, daß Menschen zu uns kommen und daß wir vor allen Dingen in die andere Richtung reisen können — und ich empfehle Ihnen allen in allen Lagern, sooft wie möglich hinüberzureisen in die DDR; Sie werden dankbar empfangen, weil die Menschen mit jedem Besucher, ob es ein Politiker oder ein Freund oder ein Bekannter oder Verwandter ist, spüren, daß sie nicht vergessen sind; sie warten auf diese Besuche —, dann wollen wir das ganz ernst nehmen, nicht herabsetzen und auch nicht diffamieren.Vor mir liegt ein Argumentationskatalog, überschrieben: „Alternative 1976 — CDU-Argumente zur Außen- und Europapolitik". Dort heißt es:Reisen in die Länder des Ostblocks sind möglich. Aber Osteuropäer können kaum zu uns in den freien Teil der Welt kommen. Der Eiserne Vorhang besteht nach wie vor.Jetzt kommt es, meine Damen und Herren; jetzt wird ein Begriff verwendet für die Öffnung der Reisemöglichkeiten, z. B. in die DDR. Es heißt:Es sind lediglich Devisenschleusen eingebaut worden.
Meine verehrten Damen und Herren, wenn Bürger aus der Bundesrepublik hinüberreisen, um den Menschen drüben ihre Solidarität zu zeigen, dann ist das für mich nicht die Benutzung einer Devisenschleuse, sondern es ist die Benutzung eines Tores von
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16852 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister GenscherDeutschland nach Deutschland, von Europa nach Europa!
Ich würde mir wünschen, daß die Opposition die Kraft fände — auch wenn diese Politik gegen ihren Widerstand durchgesetzt werden mußte —, wie wir die Bürger aufzufordern, soviel wie möglich von diesen Reisemöglichkeiten Gebrauch zu machen
um der Einheit der Nation willen, der wir uns doch alle gemeinsam verpflichtet fühlen.
— Ich bestreite das doch gar nicht, aber hier steht mit Ihrem Emblem — „CDU-Alternative 1976" —, das seien Devisenschleusen. Das ist doch eine Diffamierung der Reisenden als Devisenexporteure in kommunistische Länder! Das steckt doch dahinter!
Meine Damen und Herren, das sind die Fragen, um die es hier geht. Ich hätte hier nicht noch einmal in die Vergangenheit zurückgeschaut, sondern ich hätte lieber von Anfang an über die künftige Politik gesprochen, wenn nicht in einer unverantwortlichen Weise dem Bundeskanzler und mir die nachlässige Wahrnehmung unserer nationalen Interessen unterstellt worden wäre. Da kann ich Ihnen nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen, vor allen Dingen, wenn der Gegner nicht im Glashaus sitzt.
Es ist nach dieser Debatte heute die Frage zu stellen, nachdem Herr Professor Carstens — wie der Bundeskanzler nachgewiesen hat — nur einen Teil der Erklärungen des Präsidenten Ford zitiert hat, ob nun die Christlich-Demokratische Union sich auf den Standpunkt der Verträge stellt,
die ja von der Fortsetzung der Entspannungspolitik ausgehen, und ob Sie bereit sind, diese Entspannungspolitik mitzutragen, die entgegen der heute morgen vorgetragenen Auffassung unverändert von unseren Verbündeten vertreten wird.
— Es kommt auf den Inhalt an, da haben Sie allerdings recht. Deshalb, Herr Kollege Dr. Mertes, können Sie mir sicher zustimmen, daß es für das Ergebnis und den Erfolg unserer Bemühungen um Entspannung und Ausgleich in Europa entscheidend ist, daß wir jeden Schritt, den wir in diesem Bereich tun, in Gemeinschaft und Übereinstimmung mit unseren Partnern im westlichen Verteidigungsbündnis, mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und auf der Grundlage eines handlungsfähigen und starken Bündnisses tun. Das ist genau unsere Konzeption. Ich denke, daß jeder, der sich heute die Position der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis, unseren Beitrag zur westlichen Verteidigung, unseren Beitrag zur Stärkung der europäischen Politik ansieht, erkennen wird, daß es gerade diese Bundesregierung gewesen ist, die die Voraussetzungen für eine realistische, illusionsfreie Entspannungspolitik geschaffen hat, indem sie sich, auf der Grundlage militärischer Stärke und der Einigung im Westen, um Entspannung bemüht hat.
Sie werden nicht daran vorbeikommen, zuzugeben, daß die Bundesregierung für den Prozeß der europäischen Einigung — das widerlegt den Vorwurf, sie habe sich nur der Ostpolitik zugewandt und die Westpolitik verleugnet oder vernachlässigt— wesentliche Beiträge geleistet hat. Der britische Beitritt, der Beitritt Dänemarks und Irlands sind ganz wesentlich das Ergebnis der Bemühungen dieser Regierungskoalition im Rahmen ihrer europäischen Einflußmöglichkeiten. Wir haben es erreicht, daß durch Bildung des Europäischen Rates, durch Zusammenkunft der Regierungschefs ein Maß an Handlungsfähigkeit geschaffen wurde, das nicht voll befriedigen kann, das aber Fortschritte gebracht hat. Vor allen Dingen haben wir durch Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an dem von unseren Partnern längst eingeleiteten Entspannungsprozeß auch erreicht, daß es zu einer europäischen polititischen Zusammenarbeit als Vorstufe einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik gekommen ist. Eine Selbstisolierung und Ausklammerung der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Prozeß hätte nicht nur eine Zusammenarbeit in Europa in den Fragen der Außenpolitik verhindert, sondern sie hätte auch dazu geführt, daß wir von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr mehr in Gegensatz zu den Interessen unserer Hauptverbündeten gekommen wären.
— Herr Kollege Jäger , ich würde es gern nicht wiederholen müssen, aber ich muß es so lange sagen, wie Sie auf Ihren falschen Auffassungen bestehen und diese hier vortragen.
Es ist unverkennbar, daß eine stärkere ökonomische Zusammenarbeit, eine Bemühung um eine Angleichung der Anstrengungen für einen Konjunkturaufschwung nicht nur in der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch mit den anderen Hauptindustrienationen dieser Welt, vor allen Dingen mit den Vereinigten Staaten und Japan, ganz wesentlich auf deutsche Initiative zurückgehen, ganz wesentlich von uns beeinflußt worden sind. Das ist ein Ergebnis des zunehmenden internationalen Vertrauens, das wir erreicht und erlangt haben.Sie werden das auch nicht dadurch in Zweifel ziehen können, daß Sie sich mit kritischen Äußerungen, die unbestrittenermaßen vom Bundeskanzler gemacht worden sind — und wer Kritik übt, dem wird
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Bundesminister GenscherKritik entgegenschallen —, hier auseinandersetzen und fast den Eindruck erwecken, als seien die Beziehungen zu anderen Ländern belastet. Der Bundeskanzler hat völlig recht: Wenn 1978 europäische Wahlen stattfinden werden, werden wir auch Wahlveranstaltungen in anderen Ländern durchführen müssen; dann werden wir dort auch Kritisches zur Politik der dortigen Regierungen sagen müssen, und wir werden Kritik an unserer Politik von Ihren Freunden bei uns hören. Meine Damen und Herren, das zeigt doch nicht, daß wir uns entfremdet haben, sondern es ist ein Beweis dafür, daß wir uns näher gekommen sind mit unseren Sorgen, unseren Nöten, unseren Vorstellungen, unserer Kritik — kurzum, daß wir näher zueinander gerückt sind.
In diesen Fragen gibt es keine Meinungsverschiedenheiten.Herr Kollege Carstens, Sie haben heute morgen — und Herr Kollege Strauß ist dem gefolgt — auf die Frage abgehoben, inwieweit die Entspannungspolitik teilbar ist, inwieweit es möglich ist, hier Entspannung zu haben und dort Konflikt. Ich bin hier auch völlig zu Recht mit der Ausführung zitiert worden, daß Entspannungspolitik unteilbar sei. Das ist das Verständnis des Bundeskanzlers genauso wie das meine. Der Bundeskanzler hatte sich zu der Frage zu äußern, ob man, wenn entspannungsgefährdende Ereignisse in Afrika zu verzeichnen sind, deshalb mögliche Entspannungsschritte in Europa unterlassen sollte. Das sollte man natürlich nicht, meine Damen und Herren, weil es sonst ja Entspannung nur auf einmal und in der ganzen Welt geben könnte. Deshalb gilt für die Bundesregierung der Satz: Entspannungspolitik ist unteilbar;
wer an anderer Stelle der Welt Spannungsursachen schafft, belastet die Entspannungspolitik in ihrer Gesamtheit. Aber wir lassen uns durch diesen Grundsatz nicht daran hindern, Entspannungsschritte dort zu machen, wo sie möglich sind, weil auch hier die Politik des Alles oder Nichts ohne jeden Erfolg wäre und uns nicht weiterbrächte.
Deshalb ist es sehr gekünstelt, meine Damen und Herren, wenn Sie hier den Versuch unternehmen, einen Gegensatz zwischen dem Bundeskanzler und mir zu konstruieren.Ich finde, wenn wir als zweiten Grundsatz unserer Außenpolitik beachten, daß die Bundesrepublik sicher kein Zwerg mehr ist, aber auch keine Großmacht, klingt es ein wenig überheblich, wenn der Abgeordnete Professor Carstens der Meinung ist, dem Ratschlag der Opposition folgend, hätte die Bundesregierung durch ein anderes Verhalten bei der Unterzeichnung der Konferenzdokumente in Helsinki die sowjetische Intervention in Angola verhindern können. Das ist nun wirklich ein Maß an Selbstüberschätzung, das kaum noch zu übertreffen ist.
Ich denke, unsere Aufgabe liegt ganz woanders. Wir als Vertreter einer realistischen Entspannungspolitik, als Regierung und als demokratische Parteien in einem Volk, das in zwei Staaten zu leben gezwungen ist
— natürlich, gezwungen ist, Herr Mertes —, sollten in dieser Eigenschaft die Offentlichkeit in Europa aufklären über Probleme, die sich aus der Entspannungspolitik ergeben können, aber keine Möglichkeit ausschlagen, diese Entspannungspolitik fortzusetzen, um Fortschritte im Interesse der einzelnen Menschen zu erreichen. Denn kein Volk muß ein solches elementares Interesse an der Fortsetzung dieser Entspannungspolitik haben wie unser Volk als ein staatlich geteiltes Volk. Ein Rückfall in den kalten Krieg würde uns, die Deutschen, am stärksten treffen. Das wollen wir nie vergessen!
Und schließlich muß eine Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland wie unsere innere Ordnung auch außenpolitisch freiheitlich-demokratischen Wertvorstellungen verpflichtet sein. Das bedeutet, daß wir gegenüber Verletzungen der Menschenrechte, wo immer sie stattfinden, nicht einäugig sein dürfen, daß wir offen aussprechen müssen, was wir für unmenschlich halten. Und das sagen wir mit aller Klarheit zu dem,
was uns in Deutschland bedrückt. Ich habe noch gestern abend zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Jäger,
daß für mich der Todesstreifen durch Deutschland eine permanente Menschenrechtsverletzung ist.
Nur, meine Damen und Herren, ich will mich über den Vorgang, der sich neulich in Norddeutschland zugetragen hat, nicht ausführlich äußern. Der Herr Kollege Franke hat das getan, indem er die Verantwortlichkeit für den Tod Gartenschlägers — wie immer man die Tat im einzelnen bewerten mag — denjenigen auferlegt hat, die diese unmenschlichen Tötungsanlagen dort errichtet haben. Diejenigen, die die Sendung gestern abend im Fernsehen gesehen haben, werden mit mir empfunden haben, daß es mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun hat, sondern daß es peinlicher Formalismus ist, wenn ein Minister einer deutschen Landesregierung die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Diebstahls gegen diejenigen, die Todesschußanlagen beseitigt haben, vertritt, anstatt daß er sagt, es wird höchste Zeit, daß ein solches Verfahren eingestellt wird. Das können Sie, Herr Professor Carstens, einmal dem Justizminister des Landes sagen, in dem Sie Spitzenkandidat der CDU sind. Es ist der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein. Ich will hoffen, daß
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16854 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister Genschersich der Landtag mit dieser Frage befaßt. Das hat mein Rechtsgefühl zutiefst verletzt. Ich habe das Gefühl, allen andern Zuschauern ist es genauso gegangen.
— Ich kann Ihnen gern das Zitat zur Verfügung stellen. Er ist gefragt worden, ob er die Einleitung des soeben erwähnten Strafverfahrens nicht als peinlich oder merkwürdig empfinde. Darauf hat er geantwortet: Nein.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland — das ist das Vierte, was sie beachten muß — ist ein Staat im Herzen Europas. Das verpflichtet sie, eine aktive europäische Politik zu betreiben. Sie ist ein Staat im Herzen Europas, für den allein die Europäische Gemeinschaft der Ort ist, wo er seine Zukunft gestalten kann, und für den die Europäische Gemeinschaft als eine Gemeinschaft freiheitlicher Staaten auch die politische Heimat ist — auch für die Verwirklichung des Ziels, das wir als Deutsche haben, nämlich einen Zustand des Friedens in Europa zu schaffen, in dem die Deutschen in freier Selbstbestimmung über ihre Einheit entscheiden können. Das ist der Grund, warum deutsche Politiker — nichts anderes hat auch der Bundeskanzler gesagt — hinsichtlich der Frage, ob Kommunisten in Mitgliedstaaten in die Regierung kommen oder nicht, meine Damen und Herren, so empfindlich sind: weil es dem Selbstverständnis einer demokratischen Staatengemeinschaft, weil es dem Selbstverständnis eines freiheitlichen Europa und weil es dem Selbstverständnis eines Freiheitsbündnisses widersprechen würde, wenn Kommunisten den Regierungen irgendeines Mitgliedstaates angehören würden.
Ich denke, daß wir den fünften Faktor, den wir als Deutsche in unserer Außenpolitik zu beachten und zu würdigen haben, nämlich unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, einsetzen müssen, um dieses Europa zu befähigen, seine wirtschaftlichen Probleme zu lösen, weil wir aus eigener schmerzlicher Erfahrung wissen, daß mit wirtschaftlicher Instabilität sehr oft politische Instabilität beginnt. Deshalb ist alles das, was wir in Europa leisten, keine Zahlmeisterei für andere, sondern eine Investition in die freiheitliche Zukunft unseres Volkes.
Das, meine Damen und Herren, ist der Grundsatz unserer Europapolitik, der wir uns verschrieben haben.
Und daß wir diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeithaben, daß wir heute in der Bundesrepublik Deutschland einen Staat haben, der die stabilste wirtschaftliche und politische Ordnung ist,
das ist das Ergebnis einer Politik, Herr Kollege Stücklen, an der die sieben Jahre, in denen wir hier mit den Sozialdemokraten regieren, einen ganz entscheidenden Anteil haben.
Wir gehören ja nicht zu denjenigen, die sagen, alles, was in diesem Lande gut ist, haben wir gemacht
und das Schlechte die anderen.
Aber wir sagen: Wir sind stolz darauf, daß wir in diesen sieben Jahren dazu haben beitragen können, daß in diesem Lande Kommunisten und Faschisten keine politische Chance haben.
Und weil wir das auch als ein Ergebnis gemeinsamer Politik in dieser Koalition betrachten, verbitten wir uns, Herr Professor Carstens, daß Sie diese Zusammenarbeit zweier demokratischer Parteien diffamieren. Das ist meine Antwort an Sie.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte mich zunächst mit wenigen Worten der Intervention des Kollegen Wehner zuwenden. Herr Kollege Wehner, die Beleidigung, die Sie gegen meinen Kollegen Richard von Weizsäcker ausgesprochen haben, gegen einen Mann, den die Nation als Ehrenmann kennt und anerkennt, diese Beleidigung fällt auf Sie selbst zurück.
Wenn Sie es nicht schon wären, hätten Sie über Ihrer Rede rot werden müssen.Herr Kollege Wehner, niemand bestreitet — auch nicht in bezug auf die Zeit nach dem ersten Weltkrieg — den richtig betrachteten historischen — und auch demokratischen — Rang der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Ich bestreite nur, Herr Kollege Wehner, daß ausgerechnet Sie besonders berufen sind, das zu sagen,
denn ich bestreite,
daß Sie damals auf der Seite der Freiheit waren.
Ich möchte mich nun dem Haushalt zuwenden, den wir hier lesen, und zwar dem Haushalt und der Poli-
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Dr. Barzeltik des Herrn Bundeskanzlers, und möchte dies tun, nachdem er gegen Ende seiner langen Rede — das waren 100 Minuten; der Erfolgreiche wird es sicher etwas kürzer machen können —
eine Frage und eine Bitte an mich gerichtet hat. Ich möchte die Antwort darauf geben; und ich hoffe, daß er auch seinerseits die Antworten gibt, um die ich ihn jetzt durch Fragen bitten werde.Er hat heute in seiner langen Rede — ob nun 90 oder 100 Minuten; einverstanden — das Stichwort seines Wahlprogramms, nämlich das „deutsche Modell", nicht benutzt. Das ist erstaunlich; ich werde dazu nachher etwas sagen. Zunächst aber möchte ich zu der Kontroverse kommen, Herr Bundeskanzler.Sie haben hier — wie ich fand, etwas aufgeregt -Ihre Gefühle wegen des — nicht erhobenen — Anspruchs der „Exklusivität" der Freiheit offenbart.
Aber vielleicht, Herr Bundeskanzler, verstehen Sie— oder versuchen einmal, zu verstehen — die Gefühle von uns, wenn wir nun in Ihrem Programm— nicht in irgendeiner Rede — lesen müssen, wie Sie den Exklusivitäts-, den alleinigen Anspruch auf die Werte „sozial", „Sicherheit" und „Frieden" erheben. Dies ist doch der Punkt, von dem hier zu reden sein wird, und das ist doch, Herr Bundeskanzler, zutiefst verletzend.
Da Sie sich dann weigerten, auf meine Frage wegen des Sozialdemokraten und des Sozialisten zu antworten: Nun, ich habe mir Ihr Programm, das Godesberger Programm, zur Hand genommen. Da ist es allerdings erstaunlich, wie diese Begriffe hintereinander und durcheinander verwendet werden. Die Präambel schließt mit dem Wort „demokratischer Sozialismus". Das Programm beginnt mit dem Wort „Die Sozialisten". Dann kommt wieder „der demokratische Sozialismus" ; dann kommt „die Sozialdemokratische Partei Deutschlands". Und dann kommt der Satz, den ich doch heute, Herr Bundeskanzler, aus dem Gedächtnis richtig zitiert habe: „Sozialismus, so heißt es dort, wird nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt."
Das Größere ist also der Sozialismus; Demokratie ist nur noch ein Adjektiv.
Sie müssen verstehen, Herr Bundeskanzler, daß soziale Demokratie und demokratischer Sozialismus nicht nur verbal, sondern auch inhaltlich etwas anderes sind,
und Sie müssen mir schon erlauben, daran zu erinnern, daß diese Formulierung — nämlich: KeineDemokratie ohne Sozialismus, kein Sozialismusohne Demokratie — bekanntlich die Grundthese Rosa Luxemburgs ist, und die soll ja wohl die neue Säulenheilige eines solchen Volksfront-Europa werden.
Davon wird man ja wohl doch noch reden dürfen, zumal sich ja auch internationale Sozialisten von Rang darauf berufen.Meine Damen, meine Herren, wir brauchen keine Belehrung darüber, daß Freiheit nur dort ist, wo soziale Gerechtigkeit blüht; daß Kommunismus und Faschismus keine Chance haben, wo soziale Gerechtigkeit blüht; daß Freiheitsrechte immer mehr vom Papier der Verfassung für alle zur Wirklichkeit des Alltags werden müssen; daß auf den liberalen Rechtsstaat der soziale Rechtsstaat folgen muß; daß allein, wie es heute hieß, sozialer und demokratischer Fortschritt, also demokratische und soziale Gerechtigkeit die Freiheit auch morgen sichert; daß es mehr Freiheit nur durch mehr soziale Gerechtigkeit gibt. Wir hätten uns Ausführungen darüber sparen können, wenn der Bundeskanzler und die anderen Redner — auch der Kollege Wehner — die Freundlichkeit gehabt hätten, sich an die erste Debatte dieses Bundestages — ich sehe dabei den früheren Bundeskanzler Brandt an — zu erinnern. Ich habe damals für die CDU/CSU erklärt — ich möchte es hier vortragen, weil ich glaube, daß dies für den Fortgang dieser Grundwertdiskussion ganz wichtig ist —:Die Leitidee der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union, zweier zunächst der Freiheit verpflichteter Parteien der Mitte, ist: Für uns ist Fortschritt nur da, wo sich der Mensch mit seinen Rechten voller entfalten kann, wo diese Freiheit alltagswirksam in ihrer sozialen Basis so gestärkt wird, daß sie vom Papier der Verfassung zur realen Möglichkeit wird, und nur dort, wo der Mensch seine Verpflichtung für den anderen erkennt, ernst nimmt und verantwortlich verwirklicht. Dieser Maßstab, der reale Freiheitsraum des Menschen, bestimmt unser Urteil in allen Bereichen der Politik.Dies wird dann im einzelnen dargetan. Wir brauchen weder durch die praktische Politik noch durch die Theorie eine Belehrung über das Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit und Freiheit. Herr Bundeskanzler, wir glauben allerdings, daß zwischen Sozialismus und sozialer Gerechtigkeit ein fundamentaler Unterschied besteht. Wir sehen — an Hand der praktischen Ergebnisse der Politik Ihrer Regierung — soziale Gerechtigkeit bei Ihnen weder jetzt noch morgen in den besten Händen. Dies wird hier im einzelnen auszuführen sein.
Nun zu dem berühmten „deutschen Modell" des Herrn Bundeskanzlers. Herr Bundeskanzler, Sie rühmen sich hier eines Modells, das Sie nicht geschaffen, sondern das Sie beschädigt haben,
eines Modells, das Sie, wenn man Ihrem Programm glauben darf, doch beseitigen wollten. Herr Bundes-
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Dr. Barzelkanzler, denken Sie bei Ihrer Exklusivität des Sozialanspruches einmal daran, welche Gefühle verantwortliche Politiker, Wähler, Miglieder der Union haben müssen, wenn Sie uns in eine Ecke stellen, die vergessen machen will, daß wir die Sozialqualität dieses Staates begründet und geschaffen haben. Herr Bundeskanzler, Sie haben — nicht allein, aber überwiegend — mit Ihrer Politik Arbeitslosigkeit produziert, die Sie nun bekämpfen, und stellen dann ausgerechnet gegen uns die — ich kann es nicht anders sagen — gemeine Behauptung auf, wir, die in diesem Lande Vollbeschäftigung aus Krieg und Not herbeigeführt und über 20 Jahre garantiert haben, wollten diese Vollbeschäftigung nicht. Dies ist doch unwahr. Dies ist verletzend.
Es ist doch niederträchtig, wenn diejenigen, die nicht imstande sind, die sozialen Probleme zu lösen, weil die Wirtschaftskraft nicht genügend groß ist, ausgerechnet uns, die wir jene herausragende Sozialqualität der Bundesrepublik Deutschland geschaffen haben, vorwerfen, wir wollten „in das soziale Netz hineinschneiden". Wo denn? Wie denn?
— Dazu hat er ja selbst gesprochen. Sie haben das falsch zitiert, Herr Ehrenberg.
Die Wahrheit ist doch, daß Ihre Politik nicht imstande ist, die Steuerkraft und die Reformkraft zu erbringen, die wir brauchen, um dieses soziale Netz nicht nur zu erhalten, sondern erweitern zu können. Das ist doch die Wahrheit.
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Ehrenberg?
Natürlich, gerne.
Herr Kollege Barzel, darf ich Ihre letzten Worte so verstehen, daß die Steuerkraft mit den von der CDU beantragten Steuersenkungen steigen würde?
Herr Kollege Ehrenberg, der Zusammenhang zwischen Wirtschaftskraft und Steuerpolitik ist Ihnen gegenwärtig, wie ich aus dem Schrifttum weiß. Aber warum verbergen Sie dieses Wissen, wenn Sie hier im Hause auftreten? Sie wissen doch ganz genau, daß zur Stärkung der deutschen Wirtschaftskraft eine Senkung des Staatsanteils notwendig ist, damit wir wieder in eine investive Landschaft kommen. Dies sollte Ihnen doch nicht unbekannt sein.
Aber, Herr Kollege Ehrenberg, vielleicht überlegen Sie einen anderen Satz aus diesem Programm. Da heißt es:Unser dicht geknüpftes Netz sozialer Sicherheitführt zu einer einzigartigen sozialen Stabilität.Das ist doch das Verhöhnen der Lage junger Menschen. Welcher junge Arbeiter oder — noch schlimmer welcher Junge, der arbeiten möchte, welcher Kinderreiche, der Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß, welcher wartende Student fühlt sich nicht durch diese Sätze verhöhnt und, ich würde fast sagen: beleidigt?Diese Wirklichkeit, die Sie verantworten, Herr Bundeskanzler, ist doch nicht das „deutsche Modell", sondern das sind z. B. Beschädigungen an dem Modell, von dem ich gesprochen habe.
Ausgerechnet am 1. Mai und mit deutlichem Blick auf den Druckerstreik erklärten Sie in München — jeder konnte es im Fernsehen verfolgen —: „Hierzulande wird wenig gestreikt."
— Ich komme gleich darauf. Warten Sie ab, ob Sie dann auch noch ja sagen. — Ich fand diese Bemerkung eigentlich etwas makaber im Blick auf den Arbeitskampf, der doch sehr rauh ist und an den offenen Nerv einer freien Gesellschaft geht, wenn es um Information und Meinung geht. Aber, Herr Bundeskanzler, würden Sie vielleicht einmal die Güte haben, im Statistischen Jahrbuch nachschlagen zu lassen, wo Sie feststellen werden, daß in den Zeiten unserer Regierung weniger gestreikt wurde als zu den Zeiten Ihrer Regierung, und zwar sowohl gemessen an verlorenen Arbeitstagen als auch gemessen an betroffenen Betrieben? Das ist doch die Wahrheit.
Warum schließlich verschweigen Sie in Ihrer Bilanz das Soll neben dem Haben, Herr Bundeskanzler? Kein Steuerprüfer, kein Gericht würde das einem Bürger abnehmen. Ist Ihnen erlaubt, was die Bürger nicht dürfen? Welcher Bürger darf dem Staat, wenn er fragt, das Plus und das Minus verschweigen? Wenn nun der Wähler als Bürger den Staat fragt, darf dann der Staat die Wahrheit hinterziehen? Das, meine Damen und Herren, muß man doch fragen.Warum sagen Sie kein Wort zur Hoffnungslosigkeit zu vieler junger Menschen, über die Mittelstandsvernichtung durch Tausende von Konkursen,
über die Finanzkrise? Wer Tatsachen unterschlägt, betrügt! Warum verschweigen Sie den Milliarden-Substanzverlust der Sparer und damit die veränderte Situation des Eigentums in der Bundesrepublik Deutschland?
Warum gehen über das 100-Milliarden-Loch bei den Investitionen hinweg?
Da schütteln Sie den Kopf. Dann wollen wir die„Zeit" hier zur Hand nehmen und uns das Punktfür Punkt vielleicht in der Wirtschaftsdebatte am
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16857
Dr. BarzelDonnerstag ansehen. Warum verschweigen Sie, daß wir nicht nur Arbeitslosigkeit haben, sondern auch 1 Million Arbeitsplätze verloren haben — also Möglichkeiten, morgen wieder Arbeit zu haben —, und das im Angesicht geburtenstarker Jahrgänge, die nun zusätzlich als deutsche Arbeiter mit Hunderttausenden Jahr um Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen?! Warum verschweigen Sie das?Warum gehen Sie über die Lage der Schulen hinweg? Sie sind zwar nicht zuständig, aber Sie haben ja auch sonst über Sachen geredet, für die nicht direkt zuständig sind.
Einen Kanzler geht es doch etwas an, wenn wir zugleich überfüllte Klassen, ausfallende Unterrichtsstunden wegen fehlender Lehrer und arbeitslose junge Lehrer haben. Das geht doch einen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland etwas an.
Meine Damen, meine Herren, das geht Sie — Herr Kollege, ich weiß, warum Sie jetzt rufen — etwas an.Meine Damen und Herren, es geht Sie doch alle etwas an, wenn Sie dem DGB in acht Prüfsteinen vor der Bundestagswahl acht Zusagen gegeben haben, wenn Sie nunmehr aber siebenmal null feststellen, also Fehlanzeige meiden müssen; wenn Sie also auch das dem DGB versprochene Programm nicht durchgesetzt haben und nun der Deutsche Gewerkschaftsbund die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung zur Hauptparole des 1. Mai machen muß. Wieviele Jahre hat es das nicht gegeben!Warum, Herr Bundeskanzler, verschweigen Sie all diese negativen Punkte Ihrer Bilanz? Daß Sie amtiert haben, daß Sie gearbeitet haben, daß Sie Gesetze vorgelegt haben, bestreitet doch gar keiner. Wir bestreiten nur, daß der Erfolg entsprechend Ihren Versprechungen oder entsprechend den Möglichkeiten, die frühere Regierungen bewiesen haben, eingetreten ist.
Deshalb muß ich Ihnen leider sagen: dieses Wahlkampfpapier ist unaufrichtig. Es ist — man muß es beim Namen nennen — ein Dokument, auf dem die Überschrift, die Sie eben selber in anderem Zusammenhang gaben — „Du sollst nicht falsches Zeugnis geben" —, nicht paßt. Dies ist ein Dokument falschen Zeugnisses, ein Dokument der Unredlichkeit.
Wenn Sie sich hier so berühmen, dann sollten Sie einmal nachlesen, was Ihr Hamburger Landsmann Bucerius in diesem Zusammenhang in der „Zeit" vom 9. April — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten gesagt hat. Er sagt:Die Verfehmung der CDU-Wähler ist vorbei. Sie war immer unsinnig. Die Partei Adenauers hat mehr Reformen geschaffen, als die Linke je zustande bringen wird.
Daß die Gesellschaft mehr als 1 Million Arbeitslose ohne Erschütterung erträgt, verdanken wir einem von der CDU geschaffenen Sozialsystem und einer Wirtschaft, die das Geld dafür verdient.
Herr Bundeskanzler, das wird im einzelnen noch in den nächsten Tagen eine größere Rolle spielen. Ich möchte das jetzt zunächst nur noch mit zwei Sätzen — bevor ich auf einen anderen Punkt eingehe — abschließen. Ich möchte für uns folgendes sagen: Wir garantieren entgegen Ihren Verleumdungen die soziale Sicherheit. Und das zweite: Wir haben die Rentenformel geschaffen, um sie zu verwirklichen, nicht um sie zu beseitigen. Daran soll man uns erinnern können.
Bevor Sie sich endgültig und künstlich über Freiheit und Sozialismus aufregen, führen Sie doch mal ein Koalitionsessen über die Frage, warum eigentlich Herr Genscher von der „freiheitlichen Alternative" der FDP spricht! Dann muß es doch irgend was geben, was das bedroht. Reden Sie doch darüber mal miteinander!
Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen hier ein Heftchen mitgebracht; ich werde es Ihnen nachher übergeben. Da finden Sie eine bedeutende Rede Ihres leider — von uns beiden sicher bedauert verstorbenen Landsmannes O. A. Friedrich, des früheren Präsidenten des Bundesverbandes der Arbeitgeber. Ich habe es deshalb mitgebracht, weil in diesem Heftchen — Herausgeber „Wirtschaftsrat der CDU" übrigens — die Uraufführung des Begriffs „deutsches Modell" in der Rede von O. A. Friedrich zu finden ist.
Hier ist das Original von dem Sie nun also eine ziemlich miserable Kopie versuchen herzustellen.
Ich will mich mit dem Plagiat dieses Modells auch gar nicht aufhalten. Denn das muß der Herr Bundeskanzler mit seiner intellektuellen Redlichkeit ausmachen.Der Kollege Wehner, den ich gerade vermisse, wird sich sicher mit Vergnügen einer Debatte erinnern, in der Olaf von Wrangel — da war Herbert Wehner Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in der Großen Koalition — im April 1969 die Bundesrepublik Deutschland als das „Modell für die Wiedervereinigung" bezeichnet hat. So denken wir doch alle, meine ich. Das Grundgesetz ist doch das Modell für uns alle. Da hat damals Herbert Wehner — immerhin im Amt und mit der Rücksicht, die ihm der Zusammenhalt der Großen Koalition gebot — den Kollegen von Wrangel aufs heftigste vermahnt, doch nicht so anspruchsvoll von „Modell" zu reden.Aber das machen Sie nun besser unter sich ab, würde ich sagen.Ich möchte den Herrn Bundeskanzler hier und in aller Form und ganz präzise und konkret fragen:
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16858 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. BarzelBitte schön, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich des „deutschen Modells" berühmen: Was ist der Beitrag der deutschen Sozialisten oder der deutschen Sozialdemokraten oder der demokratischen Sozialisten oder wie immer Sie das bezeichnen wollen, was ist der Beitrag a) zum Konzept dieses Modells, b) zur Wirklichkeit dieses deutschen Modells — ich frage das höflich, aber bestimmt, und ich werde so lange fragen, bis ich eine zutreffende, wahrheitsgemäße und präzise Antwort durch den Bundeskanzler bekomme —, und zu der Frage gehört weiter: c) Wo und wie haben Sie dieses deutsche Modell stabilisiert, und d) : Will nicht Ihre Partei in Wahrheit eine andere Ordnung als die, deren Sie sich jetzt vor den Wählern und für die Wähler berühmen? Das sind meine Fragen.
Ich halte es, gelinde gesagt, für eine gigantische Vermessenheit, wenn sich ausgerechnet der Herr Bundeskanzler, der nicht imstande ist, das Erbe von Adenauer, Erhard und Kiesinger auch nur zu wahren
— immer mit der Ruhe, Sie kommen alle auf Ihre Kosten; Herr Wolfram ganz sicherlich —, nun auf eine deutsche Substanz beruft, die, was die Politik betrifft — ich meine jetzt nicht die Mitbürger —, doch eine Substanz ist, die wir, die CDU/CSU — übrigens auf weiten Strecken mit der FDP; die Gerechtigkeit gebietet, daran zu erinnern —, gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten in Deutschland geschaffen haben,
indem wir dem Fleiß und der Tüchtigkeit der Deutschen Ansporn und Raum gaben. Ich weiß eigentlich nicht, Herr Bundeskanzler, wie weit Sie sich innerlich von der Ideen- und Kampfgemeinschaft Ihrer Partei entfernt haben müssen, wenn Sie sich Grundentscheidungen berühmen, die wir doch gegen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in diesem Hause getroffen haben.
Die fundamentalen Grundentscheidungen der deutschen Nachkriegspolitik — das waren grundsätzliche Weichenstellungen, das waren Reformen, wie substantiell waren und deshalb den Namen verdienen. Viele dieser ordnungspolitischen Wertentscheidungen, die der Bundesrepublik Deutschland — anders als Weimar und anders als Nachbarn — eine veränderte Substanz, ein solideres Fundament, eine herausragende Sozialqualität geben, sind doch überwiegend — es tut mir leid, aber das ist die Wahrheit — gegen das Programm, gegen den Willen und gegen den Widerstand der deutschen Sozialisten von dieser CDU/CSU erkämpft, erstritten und durchgesetzt worden.
— Herr Kollege Ehrenberg, ich bin dabei.Ich denke, zur Substanz gehören, wenn man von „Modell" spricht, nicht nur Ziffern und Zahlen — darauf komme ich auch noch zu sprechen —, gehört zunächst einmal geistige Substanz.
— Zwei lachen. Das ist ganz gut. Das ist ein guter Fortschritt für mich, wenn ich mir überlege, wie es früher auf dieser Seite des Hauses ausgesehen hat, wenn ich hier geredet habe. — Aber ich will Ihnen sagen: In der deutschen Geschichte haben doch, wie niemand bestreiten wird, Konfessionalismus, Rassismus und Revanchismus eine erhebliche Rolle gespielt. Wir können doch die Augen nicht davor verschließen, daß aus solcher Gesinnung in Europa noch Europäer auf Europäer schießen. Wir können doch die Augen nicht davor verschließen, daß wir, die Union, das — als ein Ort der Integration durch Toleranz, die die Lehre der Geschichte begriffen hat --, für Deutschland beseitigt haben. Sie sind aufgerufen, Klassenkampf zu beseitigen, damit es hier friedlicher zugeht.
Wir haben zu dieser Substanz durch Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft beigetragen. Die hat immerhin, Herr Ehrenberg, deutsche Wirtschaftskraft begründet, von der Sie und wir alle bis heute zehren. Aber es muß doch erlaubt sein, in einer Modell-Debatte daran zu erinnern, daß es doch einmal einen Streit Nölting gegen Erhard gegeben hat, in dem wir Soziale Marktwirtschaft und Sie Zentralverwaltungswirtschaft gefordert haben. Das muß doch gesagt werden.
Das alles gehört zu dem „Modell". Wir haben — anders als anderswo — die deutsche Arbeiterschaft mit Partnerschaft und Mitbestimmung in Staat und Gesellschaft integriert und so eben die Sozialqualität begründet, von der ich sprach und um die man uns vielfach beneidet, und das zu einer Zeit, als die deutschen Sozialisten für Sozialisierung stritten und am Klassenkampf festhielten.
— Kommt ja alles.Wir haben mit der dynamischen Rente, mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, mit dem Lastenausgleich, mit dem Wohnungsbau, mit der Familienpolitik, mit der breiteren Streuung des privaten Eigentums, mit dem Arbeitsförderungsgesetz und vielen Dingen mehr, die mein Kollege Carstens heute morgen genannt hat, Deutschland verändert und zur sozialen Heimstatt freier Deutscher gemacht. Das ist die Wahrheit.Herr Bundeskanzler, wenn das, was ich sagte, tragende Elemente dieses deutschen Modells sind, dann bitte: Was hat dazu Ihre Partei an Idee und Wirklichkeit beigetragen?
Wenn Sie das nicht für tragende Elemente halten, dann bitte: Wo sind Ihre tragenden Elemente für jetzt und für morgen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16859
Dr. BarzelIch füge hinzu, nachdem verschiedene Vorredner von Berlin gesprochen haben — ich glaube, daß mein Kollege Marx noch auf diese Dinge eingehen wird —: Hierzu gehört dann auch die Frage: Wäre Berlin noch frei, wären wir es noch, wenn wir nicht unsere Westpolitik, einschließlich der Bundeswehr, mit Tatkraft und Umsicht gegen das Nein der SPD in der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt hätten?
Also, Herr Bundeskanzler, was an diesem deutschen Modell trägt Ihre Handschrift? Das wollen wir einmal wissen. Ist nicht die Wahrheit — das wäre dann die „Nummer kleiner", von der Herr Kollege Brandt sonst immer spricht , daß Sie mit Fleiß und auch mit gutem Willen versucht haben, im Rahmen einer Ordnung, die Sie vorfanden, die deutschen Dinge zu verwalten und zu entwickeln, und daß Sie dabei leider nicht imstande waren, die herausragende wirtschaftliche, politische und soziale Substanz und Qualität unseres Staates zu erhalten? Die mangelnden Chancen junger Menschen, die andauernde Arbeitslosigkeit, die fortbestehende Inflation, der anwachsende Staatsanteil, der anschwellende Bürokratismus, die wachsenden antideutschen Gefühle bei Nachbarn, das sind doch traurige Wirklichkeiten, die Sie verantworten. Kurzum: Sie, wie ich vorher sagte, berühmen sich eines Modells, das Sie nicht geschaffen, sondern beschädigt haben.
Aber es ist noch schlimmer: Sie berühmen sich eines Modells, das Sie in Wahrheit gar nicht wollen. Sie wollen doch nicht wirklich dieses „Modell" mit sozialer Marktwirtschaft, sozialer Partnerschaft und sozialer Eigentumsbildung. Sie wollen doch eine andere Ordnung, die des sozialistischen „Orientierungsrahmens '85". So steht es dort schwarz auf weiß. Dieses gültige und verbindliche Programm Ihrer Partei — ich halte mich nicht auf bei Erklärungen von irgendwem irgendwann, ich nehme dieses Programm zur Hand — will doch aus der Bundesrepublik Deutschland eine Republik des Sozialismus machen.Sie wollen — so steht es dort — die Möglichkeiten staatlicher Politik, gesellschaftliche und wirtschaftliche Abläufe zu beeinflussen und zu steuern, verstärken; Ziffer 2.4.1.
— Sehen Sie! Sie wollen den Handlungsspielraum des Staates gegenüber der privaten Wirtschaft erweitern, Sie suchen geeignete neue Instrumente staatlicher Beeinflussung und Förderung, Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses und wollen die Meldepflicht für Investitionen einführen: Das ist doch die Debatte Nölting gegen Erhard mit neuen Vokabeln.
Das sind doch politische Forderungen, die zur Sozialen Marktwirtschaft passen wie Feuer und Wasser.Mit diesen Forderungen, würden sie erfüllt, würdedie deutsche Wirtschaftskraft durch Gängelei und Bürokratismus erstickt, die Initiative würde erdrosselt, der innenpolitische Kern und die Überlegenheit des „deutschen Modells" wären so dahin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was gilt nun, Ihr Ja zu der von uns geschaffenen Ordnung oder Ihr Ja zum „Orientierungsrahmen '85"? Zweimal ja geht hier nicht. Zweimal ja wäre einmal Lüge; und das wäre einmal zuviel. Wir, meine Damen, meine Herren, werden es nicht zulassen, daß Sie sich hier ordnungspolitisch drücken. „Deutsches Modell" meint Soziale Marktwirtschaft, soziale Partnerschaft, soziale Eigentumsbildung. Wenn Sie das wollen, sagen Sie dazu ja. Ihr „Orientierungsrahmen" meint etwas anderes; er sagt dazu Nein.Dies ist, wie wir sagten, mit dem Haushalt des Kanzlers nach menschlichem Ermessen, wie verschiedene Kollegen hier gesagt haben, die letzte große politische Debatte vor der Entscheidung der Wähler. Deshalb wäre es angezeigt, Rechenschaft zu geben, nicht, Rechthaberei zu betreiben, Herr Kollege. Es gibt drei Maßstäbe für ein gerechtes Urteil. Der eine sind die Versprechen der Koalition, der andere sind die Leistungen früherer Regierungen, und der dritte sind die objektiven Ziele der Verfassung und der Gesetze. Hätten wir eine solide, erfolgreiche Regierung, dann hätten wir hier nicht eine Rede von 85 oder 90 Minuten gehört, sondern an Hand des Versprechenskatalogs der Koalition nur den Rechenschaftsbericht Punkt für Punkt abgehandelt. Genau dies ist nicht geschehen, weil man hier etwas zu verschweigen hat.
Wir werden nicht auf diesen Leim gehen.
Reden wir also von den Sachen, um die es dabei geht. Nachdem Herr Kollege Schäfer heute morgen, mit Recht, auch den Beginn Ihrer Zusammenarbeit im Jahre 1969 einbezogen hat, gehört das hier in die Debatte. Als Sie begannen, bezeugte der frühere Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 noch seinen „Respekt für die Leistungen der letzten zwei Jahrzehnte" und erklärte, von daher „im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander" „mehr Demokratie" wagen zu wollen. Heute verleumden Sie uns als „Sicherheitsrisiko", als Feinde des Friedens, des Fortschritts und der sozialen Sicherheit. Als Sie begannen, suchten Sie die, wie es hieß „kritische Partnerschaft der Kirche", weil — und dies sind Ihre Worte — „unsere Gesellschaft auf ethische Impulse angewiesen" sei, die sich „im solidarischen Dienst am Nächsten beweisen". Heute, meine Damen und meine Herren, von der SPD, verleumden Sie die kirchliche Mahnung an das christliche Gewissen, indem Sie z. B. zu der aufwühlenden und das Leben selbst betreffenden Gewissensfrage des § 218 in Ihrem Wahlprogramm, nicht in irgendeiner flüchtigen Erklärung, sagen — und ich glaube nicht, daß Sie dies im Ernst erklären sollten —, dieses Gewissensproblem sei zu reduzieren auf die, die Reformen nicht nötig hätten, weil sie Geld genug hätten, um den § 218 im Ausland zu umgehen. Wollen Sie damit dem Kardinal Döpfner
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16860 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Barzelentsprechen? Wollen Sie damit dem Anliegen christlicher Gewissen gerecht werden?
Ich glaube, Sie werden selbst merken, auf welch merkwürdigen, bemerkenswert abschüssigen Weg Sie sich in den Wertvorstellungen begeben haben.
Sie versprachen - um Herrn Ehrenberg ein Stichwort zu geben —, die „Preisentwicklung zu dämpfen". Sie versprachen „eine gerechte Vermögenspolitik". Das ist übrigens ein interessanter Punkt. Sie sind doch einer der Autoren dieses Programms. Nach diesem Programm, wenn ich es recht im Kopf habe, wird in der Bundesrepublik Deutschland so manches anerkannt, wir seien aber doch noch eine „Klassengesellschaft", schreiben Sie, weil die Vermögensverteilung nicht gerecht sei.
Warum, verehrter Herr Ehrenberg, legten Sozialdemokraten, wenn das das einzige Argument ist, zu diesem Punkt nicht wenigstens einen Gesetzentwurf vor? Warum erstatten Sie hier Fehlanzeige?
Meine Damen, meine Herren, Sie haben in beiden Punkten das Gegenteil getan.Sie versprachen: „Wir dürfen keine Gesellschaft der verkümmerten Talente werden, jeder muß seine Fähigkeiten entwickeln können." Herr Bundeskanzler, gehen Sie mit diesem Satz heute einmal irgendwohin, wo junge Menschen versammelt sind, die weder eine Arbeit noch einen Studienplatz finden. Wer soll Ihnen noch Ihre Worte glauben, wenn Sie so in Ihrem Programm sprechen?Sie versprachen: „Solidität wird die Richtschnur unserer Finanzpolitik sein." Ich will dem Donnerstag nicht vorgreifen, aber dies, meine Damen, meine Herren, kann doch beim besten Willen nicht gesagt werden. — Lieber Herr Kollege, wenn Sie da nicken: Im Jahre 1979 zahlen wir jede fünfte Mark aus dem Bundeshaushalt für Zinsen und Tilgung. Machen Sie das einmal in Ihrem privaten Haushalt und bezeichnen Sie das dann als solide: Ich glaube, das wird Ihnen niemand abnehmen.
Sie versprachen vieles aus der Bildungspolitik. Bewirkt haben Sie das Durcheinander, die Frustration und eine besorgte Jugend. Was Sie dann zu den Stichworten Bundesbahn, Arbeitsgesetzbuch, Frauenfragen, Bildungsurlaub, sichere Arbeitsplätze, Entwicklungshilfe, Europäisches Jugendwerk, was Sie zu Toleranz und zu Kritik versprachen — dies nehmen wir gar nicht erst in den Mund, meine Damen, meine Herren, denn nichts davon haben Sie verwirklichen können.Dann versprachen Sie, die Mehrwertsteuer nicht erhöhen zu wollen. Dies sei, so Herr Kollege Apel, „unsozial und unseriös".
Meine Damen, meine Herren, das mit dem Pferd scheint doch nachhaltig von Wirkung zu sein.
Das Pferd muß den sozialen Nerv getroffen haben; dies kann nicht anders sein, Herr Kollege.Legt man also den Versprechenskatalog der Koalition als Maßstab an, so kann das Urteil über die Ergebnisse der Arbeit dieser Koalition nur lauten: zuviel versprochen, zuwenig gehalten; zu laut geredet, zuwenig gehandelt; kurzum, es ist Zeit, das zu beenden.
Meine Damen und meine Herren, wenn wir — und dies will ich kurz machen — den anderen Maßstab nähmen, die Leistungen früherer Bundesregierungen, so müßten Sie sich darauf doch ansprechen lassen. Sie wollten alles besser, schöner, moderner und gerechter machen. Meine Damen, meine Herren, Sie haben davon nicht viel erreicht. Es ist vieles schlechter. Ich sehe Risse in den Fundamenten, Fragezeichen hinter dem System unserer sozialen Sicherheit. Sie sollten einmal nachlesen, wenn Sie die Bilanz haben wollen, in Ludwig Erhard und Müller-Armack „Manifest '72", wo der Erfolg Sozialer Marktwirtschaft belegt ist. Ich will hier nicht die Debatte wiederholen, bei der ich in der Eröffnungsbilanz, als Bundeskanzler Kiesinger die Geschäfte an Kanzler Brandt abgab, festgehalten habe, in welcher Situation und mit welchen Ergebnissen Sie diese Geschäfte übernommen haben.Nach diesem Maßstab, dem Erfolg und den Leistungen früherer Bundesregierungen, ist Ihr Ergebnis negativ. Sie haben Ihre Chance gehabt. Sie waren nicht imstande, das Erbe zu wahren. Sie haben den Nutzen des deutschen Volkes nicht gemehrt. Sie wollten das Bessere und haben dabei das Gute vertan. Regieren muß man nicht nur wollen, sondern auch können. Sie können es nicht!
— Kommt schon noch; kommt schon noch!Ich starte nicht in dem Wettbewerb um den Rechthaber der Nation; da sind schon sehr viele unterwegs. Ich möchte nur festhalten, daß ich in der ersten Aussprache über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Brandt erklärt habe:Es hätte Ihnen und uns allen besser angestanden, nicht einen fröhlichen Einstand zu geben, sondern die Anstrengungen zu fordern, die unser Land machen muß, wenn es modern bleiben will. Ich fürchte, diese Politik, die sich zu
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16861
Dr. BarzelBeginn so billig macht, wird uns am Schluß allen zu teuer kommen.So ist es leider gekommen.
In der ersten Aussprache über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt im Mai 1974 habe ich, an Sie gewandt, erklärt:Sie reden nirgendwo von einer Konzeption, von einer Perspektive, vom Sinngehalt ... Der Stabilitätsbegriff schrumpft auf den rein materiellen Stabilitätsbegriff zusammen ... Mit Ihrem Einstand ... haben Sie . . die Führung abgegeben ... Denn die politische Führung behält nur, wer die geistige behält.Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sich fragen sollten, wo Sie Prestige verloren haben, brauchen Sie, glaube ich, nicht weit zu suchen. Viele Bürger sind enttäuscht, weil sie getäuscht wurden.
Sie versprachen den Aufschwung, und es kam andauernde Jugendarbeitslosigkeit. Sie belehrten das Ausland, und Sie schaffen antideutsche Gefühle. Sie erweckten den Eindruck, fast alles sei machbar, wenn man Sie nur ließe, und dann haben Sie im Werkeln und Machen die geistige Führung verloren. Sie haben guten Rat in den Wind geschlagen. Und nun stehen Sie in einer Situation, die Sie, glaube ich, selbst am genauesten empfinden und auf die ich nachher noch einmal zu sprechen kommen will.
— Auf die ich nachher noch einmal zu sprechen kommen will! Erlauben Sie mir, meine Rede so zu halten, wie ich es vorhabe.
Zum dritten Maßstab: In diesem Land regieren nicht irgendwelche Leute, sondern das Grundgesetz und die Gesetze. Und die verpflichten jede Partei und jede Regierung, jede Koalition und jeden Politiker zunächst in der Verfassung auf drei Ziele: die Einheit Deutschlands, die Vereinigung Europas und den Ausbau unseres freiheitlichen sozialen Rechtsstaats. Das Gesetz über Stabilität und Wachstum verpflichtet jedermann auf Vollbeschäftigung, Wachsturn, stabiles Geld und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.Wie sieht es damit aus? Der spektakuläre Vertrag mit der DDR — geschickt auf den Wahltag terminiert, als Frieden gefeiert und gespickt mit Erwartungen auf Freizügigkeit wie mit Hoffnungen auf Menschlichkeit —, dieser schlechte Vertrag hat bisher Deutschland und den Deutschen nicht genutzt.Obwohl Sie, Herr Bundeskanzler, und viele von Ihnen in Sachen Mauerbau und Berlin-Krise Ursache und Wirkung verwechseln, werfe ich Ihnen nicht vor, was Kommunisten zu verantworten haben. Sonst würde ich Ihnen heute vorwerfen, Sie hätten die deutsche Einheit nicht erreicht. Ich sage das nicht: Die blockieren die Kommunisten. Aber werfenSie bitte uns nicht etwas vor, was die Kommunisten zu verantworten haben, etwa die Berlin-Krisen — vergleichen Sie dazu Ihr Papier — und die Mauer, von der eben die Rede war. Jedenfalls halte ich hier fest: Wir sind, entgegen Ihrer Propaganda, der Lösung der deutschen Frage nicht nähergekommen. Diese Frage bleibt auf der Tagesordnung der Geschichte, weil wir e i n Volk sind.
Deshalb werfe ich Ihnen eine Deutschlandpolitik des Verschweigens und mangelnder Initiative vor. Wann und wo — so frage ich — haben Sie die DDR an die Unterschrift von Helsinki erinnert?
Wann und wo haben Sie versucht, die verbindlichen Erklärungen aus Korb III in eine praktische Politik für die Deutschen umzumünzen? Warum, Herr Bundeskanzler, erstatten Sie pflichtwidrig einen Bericht zur Lage der Nation, wo von Ihnen ein Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland gefordert ist? Dazwischen liegen doch Welten!Warum ist die Regierung nicht, wie ihre Vorgänger vor 1969, in einem anderen Bereich Motor der europäischen Vereinigung? Wir haben es doch heute wieder gehört: Man begnügt sich mit der Rolle des Moderators. Man will nicht vorpreschen, man will keine Vorschläge machen. Da kann sich doch nichts bewegen! Früher stand hier der Motor. Diese Moderatorfunktion wird unseren Zielen, unserer Verantwortung und unseren Interessen doch nicht gerecht.
Warum, Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht mit Ihren belgischen, holländischen, luxemburgischen und wahrscheinlich auch mit Ihren italienischen Kollegen, selbst auf die Gefahr hin, in der Minderheit zu bleiben, das zu einem deutschen Antrag auf dieser Gipfelkonferenz verdichtet? Das mit dem allgemeinen Weihrauch nützt doch weder Europa noch dem Verfasser dieses Berichts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was treibt Sie, ausgerechnet Sie, der Sie in Kopenhagen auf der Sozialistenkonferenz — nach Pressemeldungen — noch mannhaft mit Mitterand und gegen Mitterand und Volksfront gestritten haben, die kommunistische Gefahr im freien Europa ich kann es nicht anders sagen — zu verniedlichen? Was treibt Sie dazu, andere Länder öffentlich zu belehren und zu beleidigen und ausgerechnet über solche Fragen einen Streit mit unserer atomaren Schutzmacht USA anzufangen?Ich möchte, weil wir eine zeitungslose Zeit haben, aus der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 10. Mai wenige Sätze zitieren. Da heißt es:In einer Rede zum Überseetag 1976 in Hamburg hat der freidemokratische deutsche Außenminister das Thema eines möglichen Eintritts von Kommunisten in westeuropäische Regierungen in einer Weise angesprochen, die sich von dem
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16862 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Barzelbetonten Herunterspielen, wie es der sozialdemokratische Bundeskanzler pflegt, deutlich abhebt. Während Schmidt dem amerikanischen Magazin „Time" erklärt hat, er halte eine solche Entwicklung nicht für wünschenswert, sehe aber darin keine Katastrophe, erklärte Genscher, weil man vom gemeinsamen Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie ausgehe, müsse in einer kommunistischen Beteiligung an Regierungen von Partnerländern der NATO oder der EG eine schwerwiegende Belastung erblicken. Es gehe hier, so Genscher, um das Selbstverständnis der Gemeinschaft demokratischer Staaten. Er fuhr fort: Wir könen die Gefahr nicht geringschätzen. Wir wissen aus bitterer Erfahrung, daß tiefes Mißtrauen gegenüber demokratischen Bekenntnissen aus kommunistischem Munde angebracht ist.Herr Kollege Genscher, ich danke Ihnen für dieses gute Wort. Ich würde mich nur noch mehr freuen, wenn Sie Ihren Einfluß in der Bundesregierung geltend machen könnten, damit der Herr Bundeskanzler vielleicht seine nicht so klaren Worte und seine unklare Haltung in dieser Frage revidiert. Das ist dringend geboten, meine Damen und Herren!
Der Herr Bundeskanzler hat — ich muß sagen: dies war von den Kunsttricks, die er beherrscht, heute einer der bemerkenswertesten — das Zitat des französischen Staatspräsidenten Giscard über die Notwendigkeit, die französische Armee zu verstärken, weil die deutsche so groß sei, gebracht. Das sind doch Töne, Herr Bundeskanzler, die wir seit über 30 Jahren nicht gehabt haben.
Ich will gar nicht bestreiten, daß Sie das gemacht haben, daß Sie mal mit Präsident Giscard gesprochen haben „Könnt Ihr nicht ein bißchen mehr tun?". Jetzt kommen Sie hierher und sagen ganz geschickt: Das haben wir doch so besprochen!Meine Damen, meine Herren, so ein Wort des französischen Staatspräsidenten hat doch eine Wirkung. Das ist doch wie mit dem Stein, den man ins Wasser wirft: Man weiß nur, daß er drin ist, aber ob und welche Wellen er schlägt, weiß man noch nicht. Das wirkt doch auf die Gefühle der Franzosen und manifestiert bei allen unseren Nachbarn: Hoppla, aufgepaßt, die Deutschen werden wieder ein bißchen, nun ja: vielleicht oberlehrerhaft, um ein Wort des Trägers des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Alfred Grosser, zu gebrauchen.
— Der 8. Mai und alle diese Dinge gehören dazu.Meine Damen, meine Herren, da niemand das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland übersieht und sich ohnehin — wie keinem von uns, der herauskommt, verborgen bleibt — Neid einschleicht wie auch neuerdings der Vorwurf, wir, die Deutschen, scherten schon wieder aus, indem wir uns, anders als andere, nicht an der europäischen Dekadenz delektierten, sollten wir ganz besonders derWahrheit entsprechend handeln, die da lehrt, daß allein Rücksicht, Verständnis und peinliche Achtung der Rechte und Gefühle Kleiner und Schwacher beständiger Ausweis wirklicher Stärke ist.
Statt dessen erzeugt der Bundeskanzler oberlehrerhaft und mit dem Verdacht deutscher Großmannssucht antideutsche Gefühle. Gerade wegen unserer wirtschaftlichen Lage erwartet man doch draußen abgewogene, unaufgeregte, belehrungsfreie, also — wenn Sie so wollen — goldene Kanzlerworte.
Statt dessen erklingt — ich kann es nicht anders sagen — der Mißton wilhelminischen Blechs, und entsprechend tönt es dann auch zurück.
Bevor Sie, Herr Bundeskanzler, dann noch einmal versuchen, uns, die CDU/CSU, für die innenpolitische Lage in anderen europäischen Nachbarländern, wie z, B. Italien, verantwortlich zu machen: Dort regieren Italiener für Italiener, von Italienern gewählt und machen italienische Politik. — Ich werfe Ihnen doch nicht vor, was die britischen Sozialisten tun, um den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Abstieg Großbritanniens zu fördern. Ich werfe Ihnen doch nicht den Grund vor, aus dem George Brown aus der Labour Party ausgetreten ist, nämlich die Beeinträchtigung der Pressefreiheit. Ich werfe Ihnen auch nicht die Zwangsmitgliedschaft vor, die die Labour Party über die Gewerkschaften drüben einzuführen versucht. Das gehört drüben hin. Diskutieren wir hier unsere deutschen Probleme, und binden wir nicht einander solche Dinge ans Bein.
Meine Damen, meine Herren, so bleibt auch nach diesem Maßstab festzuhalten: Sie haben in diesen sechs Jahren und acht Monaten gearbeitet. Sie haben dabei viel guten Willen und Fleiß aufgebracht — wie auch Herr Kollege Carstens heute morgen gesagt hat; das bestreiten wir nicht. Aber gemessen an den objektiven Zielen, die unsere Rechtsordnung stellt — das müssen wir sagen —, ist Ihnen der Erfolg weitgehend versagt geblieben. Keinem dieser Ziele ist die Bundesrepublik Deutschland in Ihrer Regierungszeit näher gekommen. Von einigen dieser Ziele sind wir heute weiter entfernt, so von der Vereinigung Europas, der Vollbeschäftigung und der vermehrten Sozialqualität. Möglichen Fortschritt gab es nicht, Rückschritt ist in vielem zu beobachten. Statt Stabilität haben wir Inflation, statt Vollbeschäftigung Arbeitslosigkeit und statt des Ausbaus des sozialen Rechtsstaats finanzielle Fragezeichen hinter dem System unserer sozialen Sicherheit.Herr Bundeskanzler, Sie kehren den Wirtschaftskanzler so heraus; deshalb muß ein Punkt aus dieser Palette, die im übrigen in den nächsten Tagen zu behandeln sein wird, noch behandelt werden. Ich will es mir einmal einfach machen, indem ich ein Zitat des Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministe-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16863
Dr. Barzelrium Schlecht bringe, der doch deutlich macht, daß es neben dem Konjunktur- auch ein Struktur- und ein Substanzproblem gibt. Herr Schlecht führt aus:Um wieder auf einen angemessenen Beschäftigungsgrad zu kommen — und das wird in den nächsten Jahren nicht wie früher eine Arbeitslosigkeit von weniger als ein Prozent, sondern zwei bis drei Prozent bedeuten —, brauchen wir einen Anstieg des Produktionspotentials von heute 2 auf mittelfristig 3,5 Prozent. Damit schaffen wir mittelfristig wiederum fünf Prozent reales Wirtschaftswachstum. Doch die entscheidende Voraussetzung ist, daß wir bei den realen Investitionen eine Zuwachsrate von durchschnittlich acht Prozent jährlich erreichen. In den letzten fünf Jahren hatten wir praktisch null.Das sind die ehrlichen Worte Ihres Staatssekretärs. Damit haben wir das Strukturproblem genannt und von daher einen Einstieg in die wirtschaftspolitische Debatte.
Wenn wir nun nach den Gründen fragen, dann kommen vom Kanzler immer neue Ausreden. Ich will das nicht wiederholen, was wir hier im September behandelt haben. Nur, wenn Sie sich weiter so ausreden, dann stellt sich natürlich die Frage: Wer regiert hier eigentlich? Wir wenigstens haben nicht die Absicht, mit Ihnen in den Wettbewerb um die Weltmeisterschaft und die Goldmedaille im Erfinden fauler Ausreden zu treten. Das hat gar keinen Zweck. Diese Goldmedaille ist in festen Händen: Helmut Schmidt, Bonn, Bundesrepublik Deutschland.
Wenn ich nach der Methode des Zahlenspiels, das dieses Dokument der SPD kennzeichnet — jetzt gucke ich auch einmal Herrn Börner dabei ein bißchen an; der muß doch Hilfestellung geleistet haben, es kann doch nicht nur das Kanzleramt gewesen sein, wenn man 106 Seiten braucht, um eine schlechte Sache noch irgendwie unter die Leute zu bringen —, Zahlen aufarbeiten würde, dann würde ich folgendes machen: Ich vergleiche die Arbeitslosenquoten von 1965 und 1975. Damals hatten wir 0,6 Prozent Arbeitslose, Frankreich hatte mehr als doppelt so viele, 1,4 Prozent, Großbritannien hatte mehr als doppelt so viele, 1,4 Prozent, die USA 4,6 Prozent. Die Zahlen von 1975 lauten: 4,7 Prozent, 4,5 Prozent, 5,4 Prozent, 8,4 Prozent. Wenn wir jetzt — und jetzt sind wir bei Ihrer Methode — die Steigerungsraten ausrechnen, dann haben wir in diesen zehn Jahren eine Steigerungsrate der Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik Deutschland um 683 Prozent, in Frankreich um 221 Prozent, in Großbritannien um 285 Prozent und in den USA um 82 Prozent. Meine Damen und Herren, mit Zahlen läßt sich trefflich streiten. Jedes Schicksal ist hier eine Sache, die uns angeht, und daran ist nichts zu verniedlichen.
Meine Damen und Herren, wir müssen die Frage stellen: Warum haben wir zuwenig Arbeit, zuwenig Steuereingänge, zuwenig Reformkraft? Die Frage ist doch so zu beantworten: weil die Quelle, die das alles speist, nämlich die Wirtschaftskraft, nicht genügend sprudelt. Statt aber nun die Quelle freizulegen, d. h. die Initiative zu ermuntern, die Leistung zu belohnen, Investitionen anzureizen, Vertrauen zu begründen durch Festhalten an bewährten Prinzipien, statt also die Quelle zu kraftvollerem Sprudeln zu bringen, tun Sie das Gegenteil: Sie werfen Schmutz und Sand und Steine in und auf die Quelle, indem Sie die Steuern erhöhen, die öffentlichen Investitionen zurücknehmen und in Ihrem „Orientierungsrahmen '85" neue Behörden, neue Gängeleien und mehr Staatsanteil fordern. Das ist doch die Lage!
Wen man das dann beim Namen nennt, dann sind Sie beleidigt.
Meine Damen, meine Herren, Sie wollen doch — das ist an dieser Stelle doch evident — nach Ihrem Programm, nicht nach unsren Worten, mehr Sozialismus. Wir wollen nach unserem Programm mehr Freiheit. Warum sollen wir das nicht den Bürgern sagen dürfen?
Meine Damen und Herren, zu dem versuchten Angriff des Bundeskanzlers auf den Kollegen Carstens, daß an allem, die Weltwirtschaft schuld sei, muß ich sagen: Dies ist wirklich zu billig, alle Welt für die unzureichende Lage hier verantwortlich zu machen. Wir leugnen doch nicht, Herr Bundeskanzler, die schwierigere weltwirtschaftliche Situation, wir leugnen auch nicht den Einfluß des Torsos Brüssel; aber das ist doch nicht das Ganze, das ist doch nur ein Teil, ein Teilchen. Zu dem Ganzen gehören der zu hohe Staatsanteil, die Qualität und die Art der Finanzierung der Bundesschulden. Wozu haben Sie sich verschuldet: für neue Aufgaben oder für laufende Rechnung? Dies ist doch zu fragen.
Der Rückgang der Investitionen, des investiven Teils des Bundeshaushalts, Ihre Politik, von den vier Zielen des Stabilitätsgesetzes sich immer eins auszusuchen und das dann manisch anzusteuern, statt die vier, wie sich das gehört, im Auge zu haben, und dann dazu die Verunsicherung des gesellschaftlichen Datenkranzes!
Lesen Sie doch nach: 23. Juli vorigen Jahres, Autor Friderichs, Wirtschaftsminister der Koalition. Da werden Sie doch ordnungspolitische Gründe für den Niedergang wirtschaftlicher Dinge in diesem Lande finden. Entschuldigen Sie sich nicht bei aller Welt!Man muß hinzufügen — es hätte Ihnen, Herr Bundeskanzler, ganz persönlich gut angestanden, dazu ein Wort zu sagen —, daß das Produktionspotential in der Bundesrepublik Deutschland zu veralten droht. „Vergreisung droht", mahnt Professor Giersch.
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16864 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. BarzelNun haben Sie „die Belastbarkeit der Wirtschaft" getestet. Wir alle haben dafür gezahlt, und wir alle spüren, daß wir an der Grenze der Belastbarkeit der Arbeitnehmer hinsichtlich Steuern, Abgaben und Arbeitsplatzrisiko angekommen sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Ich möchte jetzt hier weiterkommen.Wir haben den Vorsprung der Nachkriegszeit in der industriellen Fertigung verloren. Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland müssen die Erwerbstätigen in vielen Fällen eine Einbuße ihres Lebensstandards hinnehmen. Woher nehmen Sie da, Herr Bundeskanzler, den traurigen Mut, hier ein Bild zu malen, in dem von diesem Teil der Wirklichkeit nichts vorkommt? Der Mut der Verzweiflung muß Sie am Brahmsee getroffen haben, meine Damen, meine Herren.
Fragt man nach den wirklichen Gründen, nach den Ursachen, nicht nach den Vorwänden, dann sind drei hier zu nennen.Erstens. Der Bundeskanzler macht eine Politik, in der sich seine Partei mit Mühe wiedererkennt, bestimmt aber nicht heimisch und wohl fühlt.
Zweitens. Die Koalition ist inzwischen ungeliebt und im Zustand gegenseitigen Belauerns bei wachsender Profilsucht der Partner gegeneinander.
— Es ist so.
Drittens. Die ordnungspolitischen Vorstellungen sind lebensfremd. Sie sind ideologisch und nicht sachgerecht. Ich will dies etwas näher behandeln. Ich kann nicht verstehen, wie man zugleich — und das ist doch der Punkt, von dem hier morgen zu reden sein wird — die KP für verfassungsfeindlich erklären kann, aber den öffentlichen Dienst für Verfassungsfeinde öffnet. Warum haben Sie eigentlich aus dem Entwurf Ihres Papiers — wenn wir den richtigen in der Hand hatten — das Wort „Verfassungsfeinde" an zwei Stellen gestrichen? Dies wäre doch ganz interessant zu hören.
Das Bundesverfassungsgericht erst mußte Sie belehren, wo die Grenze für den Gesetzgeber beim Schutz des ungeborenen Lebens ist. Der Bundesrat mußte Ihnen sagen, was es mit Ehe und Familie auf sich hat. Für uns ist Familie keine „Sozialisationsagentur" wie für den Familienbericht 1975 der Bundesregierung, meine Damen, meine Herren.
Diese Worte dort — lesen Sie das nach! — sind keinSoziologismus, das ist Unsinn — und das brutal ,weil das die anthropologischen Bezüge herausoperiert. So entsteht Gewalt. Hier könnte sich Heinrich Böll mit einem guten Buch zu Wort melden!
Die wirkliche Ursache unserer ungenügenden wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Situation — ich will die Debatte des September nicht wiederholen; ich habe das hier ausgeführt — ist nicht eine Kreislaufschwäche, sondern eine Ordnungskrise. Ich habe dies damals im einzelnen ausgeführt. Ich befürchte — lassen Sie mich dies sagen —: Die Verwirklichung Ihres Orientierungsrahmens und der dauerhafte Wiederaufschwung der deutschen Volkswirtschaft sind zwei Dinge, die nicht zusammenpassen. Das wird ja hier wohl noch gesagt sein dürfen.Ich möchte noch eben zu zwei Punkten kommen. In der Wahlkampfplattform der SPD, die ich vorhin skizziert habe, wird am Schluß nicht nur die FDP — bemerkenswerterweise — gelobt, sondern da kriegen auch die Kräfte der Christlichen Soziallehre ein paar gute Striche. Ich weiß nicht, wen Sie damit konkret gemeint haben oder in welcher Perspektive Sie da spekulieren. Ich möchte nur sagen, meine Damen, meine Herren: Auf Christliche Soziallehre werden Sie mich, werden Sie diese CDU/CSU immer ansprechen können; aber doch nicht von einer Partei, die in demselben Papier uns verleumdet; die die Hälfte der Wirklichkeit unterschlägt und Gewissensentscheidungen diffamiert; die weniger tolerant als autoritär auftritt. Dies muß doch gesagt werden.
Nun bedauere ich, daß der Kollege Brandt nicht da ist. Aber da er nicht mehr nur selbst vom „Sicherheitsrisiko" spricht, sondern nun auch dieses Papier diesen Vorwurf parteiamtlich aufnimmt,
möchte ich sagen: Solange der Parteivorsitzende der SPD öffentlich, sozusagen als Alleinunterhalter, vom Sicherheitsrisiko sprach, hat mich das nicht sonderlich erregt, vor allem dann nicht, wenn er dabei in einen Spiegel geguckt haben sollte.
Aber, meine Damen, meine Herren, nachdem nun die Sozialdemokratische Partei Deutschlands diese gegen die CDU/CSU gerichtete Verleumdung übernommen hat, die CDU/CSU, die gegen Ihren Widerstand die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen geschaffen hat, sehe ich mich nun doch genötigt, diese Verleumdung zurückzuweisen. Gucken Sie sich doch die Kollegen hier einmal an: Richard von Weizsäcker haben Sie heute zwischengehabt, mich haben Sie zwischengehabt, Karl Carstens und Herrn Strauß haben Sie zwischengehabt. Wir sind also ein „Sicherheitsrisiko" ? Wer soll denn das glauben? Das glaubt Ihnen niemand in Deutschland. Das glaubt Ihnen niemand in der Welt. Das geht als Verleumdung ein und fällt auf Sie selbst zurück, meine Damen, meine Herren.
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Dr. BarzelEins bekenne ich: Ich bin ein „Risiko" für die Fortdauer dieser Regierung. Ich bin ein „Risiko" für die politische Laufbahn der Herren Brandt, Wehner und Schmidt. Denn ich glaube, daß Bessere in die Verantwortung gehören. Sie sollten, meine Damen, meine Herren, Ihre Partei nicht mit dem Staat verwechseln, indem Sie hier die pflichtmäßige Arbeit der Opposition als ein Risiko für die Sicherheit dieses Staates bezeichnen.
Und deshalb sage ich Ihnen: Wer so spricht, der ist der Arroganz der Macht verfallen, und schon deshalb ist es Zeit zum Wechseln.
Meine Damen, meine Herren von der Koalition, stöhnen Sie nicht über die schwierigen Zeiten. Wenn Sie damit nicht fertigwerden können, würde ich sagen: Gehen Sie! Ludwig Erhard und Konrad Adenauer haben Schwierigeres vorgefunden, sie haben Schwierigeres gemeistert. Wir hatten Hunger und hatten Not, und wir waren geächtet. Kaum ging es bergauf, kam die Korea-Krise. Wir sind mit all diesen Dingen fertiggeworden. Politiker sollten nicht klagen und stöhnen; das meine ich auch ein bißchen an die Adresse des Herrn Bundeskanzlers. Sie sind zum Gestalten da, zum Bessermachen, und wenn Sie das nicht können, wie Sie bewiesen haben: Lassen Sie die Finger davon!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier vom Kollegen Barzel
starke Worte gehört. Es waren in meinen Augen starke Worte eines Beinahe-Kanzlers, der zwar bewiesen hat, daß er die Auseinandersetzung führen kann, dem aber die Wähler die Mehrheit nicht gegeben haben. Das war das Ergebnis der Politik, wie Sie sie für richtig hielten.
Nun verstehe ich natürlich, daß man einen neuen Anlauf unternehmen will.Eines möchte ich hier allerdings zur allgemeinen Form der Auseinandersetzung sagen. Im Laufe der Debatte des heutigen Tages wurde ich an einer bestimmten Stelle daran erinnert, daß in der Osterwoche in Schleswig-Holstein in den Zeitungen ein Bild erschien, das den früheren Ministerpräsidenten, den heutigen Landtagspräsidenten von Schleswig-Holstein, Herrn Lemke, in einer Uniform einer vergangenen Zeit darstellt. Ich habe diese Darstellung sehr bedauert, weil ich das nicht für den richtigen politischen Stil halte. Ich kann aber auch alle Kollegen der Union nur bitten und ihnen wünschen, daß sie selbst nie in die Lage kommen, einen politischen Irrtum von ihren Gegnern so bösartig und so unversöhnlich immer wieder vorgehalten zu bekommen, wie sie es regelmäßig mit dem Kollegen Wehner tun.
Für uns Freie Demokraten ist die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und mit der Vergangenheit unteilbar, und man sollte sich daran gewöhnen, daß wir heute über das sprechen und diskutieren, was in der heutigen Zeit zu tun ist und zu geschehen hat, und nicht die politische Vergangenheit zum Maßstab der heutigen Haltung machen.
Der Kollege Barzel hat hier gesagt, die Erfolgsbilanz dieser Regierung sei nicht vorgelegt worden; es sei nicht abgehakt worden, was diese Koalition sich vorgenommen habe. Ich darf ihn nur daran erinnern, daß es erst vier Wochen her ist, daß in diesem Hause der Bundeskanzler sehr ausgiebig und zu Ihrem Mißfallen die Gesamtbilanz dieser Regierung vorlegen konnte. Und Sie brauchen keine Bange zu haben: Heute, morgen, übermorgen, bis Freitag werden wir diese Erfolgsbilanz dieser Regierung Ressort für Ressort vorlegen, und Sie werden sehen, wieviel in diesen vier Jahren erreicht worden ist,
viel mehr, als Ihnen lieb sein kann.
Mit Recht haben Sie in einem Teil Ihrer Ausführungen auf die Arbeitslosigkeit junger Menschen hingewiesen. Genauso können wir erfreulicherweise feststellen, daß gerade bei den Jugendlichen die Arbeitslosenziffern in der letzten Zeit erheblich zurückgegangen sind. Am Freitag wird allerdings die Union im Bundesrat, wenn es um das Berufsbildungsgesetz geht, die Nagelprobe zu bestehen haben, ob sie immer nur von Jugendarbeitslosigkeit spricht oder aber auch bereit ist, etwas dagegen zu tun. Bisher wollen Sie nichts dagegen tun!
Herr Kollege Barzel, Sie haben in Ihren Ausführungen darauf verwiesen, welche sozialen Leistungen in der Regierungszeit der Union vollbracht worden sind. Wir haben das nie bestritten.
Herr Kollege Carstens hat heute davon gesprochen, 95 0/o aller sozialen Leistungen seien auf die Entscheidungen der Union zurückzuführen. Wie reimt sich aber damit zusammen, daß Sie heute durch die Lande ziehen und beklagen, was an Belastungen daraus entstanden ist?
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16866 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
MischnickEntweder haben Sie auch die Fehler mit gemacht, die Sie heute beklagt haben, oder Sie können nicht ständig so tun, als hätten Sie allein diese Leistungen vollbracht. Beides zu gleicher Zeit geht nicht.
Sie müssen sich für eines von beiden entscheiden.Es wird eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein, zu prüfen, wo Korrekturen vorgenommen werden müssen. Sie von der Union sind es doch gewesen, die bei jedem Ansatz — beispielsweise auch beim Haushaltsstrukturgesetz —, solche Unebenheiten zu beseitigen, sofort das Schlagwort der sozialen Demontage aufgebracht haben. Sie widersprechen sich auch in diesem Sinne immer wieder selbst, wenn Sie dazu Stellung nehmen.Meine Damen und Herren, ich will mich mit den Fragen, die von Ihnen im Zusammenhang mit dem deutschen Modell angesprochen worden sind, jetzt nicht im einzelnen auseinandersetzen. Eines ist doch aber feststellbar. Ihr Bekenntnis zur Freiheit, das ich Ihnen voll abnehme, erfolgt doch immer nur in Form einer Pauschalaussage. Wenn es dann aber um die Entscheidungen im einzelnen, um den § 218, um die Entscheidungsfreiheit der Frau geht, kneifen Sie und sagen nein zu dieser Freiheit. Dies ist doch der Punkt, in dem wir uns unterscheiden.
Wenn es um die Frage der Gewissensprüfung bei den Wehrdienstverweigerern geht, sagen Sie nein zu der vorgeschlagenen Lösung. Als es um die Reform des Eherechts, um die Reform des Strafrechts, um Probleme aus anderen Bereichen, die wir hier miteinander diskutiert haben, ging, haben Sie dann, wenn im Einzelfall konkret ein Votum für die Freiheit abzugeben war, gekniffen. In solchen Situationen sind Sie in der Union in Ihrer Auffassung eben nicht liberal. Das müssen wir immer wieder feststellen.
— Das geht sogar so weit, Herr Kollege Vogel, daß, wie wir vor wenigen Tagen erleben konnten, als im Landesverband Baden-Württemberg die Kandidatenaufstellung zur Diskussion stand, die Nominierung des Vorsitzenden der Jungen Union, Wissmann, mit dem Hinweis auf sein Verhalten im Zusammenhang mit den Polen-Verträgen unterbunden wurde. Dies macht doch deutlich, daß Sie auch im Falle der Polen-Vereinbarungen bis zur Stunde keine politische Entscheidung getroffen haben, sondern das Ganze nur als ein polemisch-taktisches Unterfangen ansehen, um draußen Wähler zu gewinnen.
Wenn das nicht so wäre, müßten Sie doch endlich einmal den Mut haben, jene bösen CSU-Argumente in zweiter Auflage, die sich mit den Polen-Verträgen auseinandergesetzt haben, aus dem Verkehr zu ziehen. Es ist aber Ihre Methode, doppelbödig zuarbeiten, d. h. hier von dieser Stelle aus den Eindruck zu erwecken, man trage diese Politik mit, ja, man wolle sie sogar besser machen, aber draußen in der Bevölkerung die gleiche Politik durch eine Diffamierungskampagne madig zu machen. Auf eine solche Doppelzüngigkeit lassen wir uns nicht ein.
Herr Kollege Carstens, Sie haben hier mehrfach darauf hingewiesen, daß die CDU/CSU in den letzten 20 Jahren bewiesen habe, daß sie sich in Krisensituationen bewährt habe, daß sie solche Situationen nicht nur durchzustehen, sondern besser als wir durchzustehen in der Lage sei. Der Bundesaußenminister hat an einigen ganz konkreten Beispielen Ihnen hier nachgewiesen, daß Sie schwierige Situationen in der Berlin-Frage eben nicht so bestanden haben, wie wir sie bestanden haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß es während Ihrer Regierungszeit war — wenn schon all diese Punkte hier immer wieder in die Debatte eingeführt werden, will ich etwas dazu sagen —, als 1958 nach dem ersten Chruschtschow-Ultimatum Vertreter der Freien Demokraten, die Kollegen Döring, Dehler und ich, bei Ernst Lemmer waren und fragten: Halten Sie eine Trennung der Stadt Berlin durch eine Mauer für möglich und durchführbar? Er erklärte damals, das sei unmöglich, das gebe es nicht. — Das sind doch die Fehlprognosen gewesen.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Mischnick, darf ich Sie vielleicht daran erinnern, daß die Opposition eine besonders ausgedehnte Haushaltsdebatte verlangt, und darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß mit Ausnahme des in den hinteren Bänken weilenden Kollegen Strauß die CSU durch niemand mehr vertreten ist, daß ihr offensichtlich also schon jetzt der Atem ausgeht?
Ach, Herr Kollege Graf Lambsdorff, das ist doch immer so: Die Unionskollegen hören sich ja fast nur das an, was die eigenen Kollegen sagen. Sonst könnte ja ihr vorgefaßtes Meinungsbild in Frage gestellt werden.
Deshalb hören sie bei den anderen gar nicht mehr zu.
Ich darf Sie auch daran erinnern — gerade weil Sie heute so tun, als hätten Sie an den Vereinbarungen mit Polen einen entscheidenden Anteil —, daß Sie in der Union 1959, als der damaligen Alleinregierung der CDU/CSU von Warschau Verhandlungen unter Ausklammerung der Oder-Neiße-Grenze angeboten wurden, nicht bereit waren, auf dieses Verhandlungsangebot einzugehen. Und da haben Sie den Mut, zu sagen, wir schätzten die Dinge
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Mischnickfalsch ein. Sie haben sie, als Sie regiert haben, falsch eingeschätzt.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?
Nach Ihrer reizvollen Parallele zwischen Präsenz und Atem darf ich Sie fragen, ob Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, daß der normale Präsenzgrad Ihrer eigenen Fraktion in diesem Parlament nahezu bei null liegt, und ob Sie daraus schließen wollen, daß der Atem der FDP noch nie dagewesen ist, so daß er gar nicht erst ausgehen konnte?
Herr Kollege Wörner, ich hatte zumindest erwartet, daß Sie als der mögliche, aber jetzt wahrscheinlich nicht in Erscheinung tretende Schattenverteidigungsminister zählen könnten. Wenn Sie das könnten, dann wüßten Sie, daß die FDP- Fraktion prozentual gesehen fast immer stärker anwesend ist, als die Ihrige in diesem Hause vertreten ist. Das wüßten Sie dann ganz genau.
Aber nicht einmal das können Sie ausrechnen, geschweige denn gar Verantwortung übernehmen. Dafür werden wir schon sorgen.
Ich darf hier einen weiteren Punkt ansprechen, den Herr Kollege Carstens heute früh behandelt hat. Er hat einen Ausflug in die Bildungspolitik gemacht.
Wie sich auf die Frage des Bundeskanzlers herausstellte, war das so richtig ein Ausflug ins Blaue hinein. Es hat sich doch ganz deutlich gezeigt, daß genau diese Union, die hier beispielsweise durch den Kollegen Barzel beklagt, es gebe arbeitslose Lehrer, aber darüber werde hier nicht geredet, immer dann, wenn es darum geht, vom Bund her in der Bildungspolitik mehr Möglichkeiten des Einflusses wahrzunehmen, alles blockiert, was in dieser Richtung überhaupt möglich wäre. Das ist doch auch ein Widerspruch in sich.
Herr Kollege Carstens, daß Sie hier eine ausführliche Darlegung der Auseinandersetzungen über das Arzneimittelgesetz gebracht haben, war für mich durchaus verständlich. Nur, die Gefahren, die in diesem Gesetz enthalten waren — dies haben Sie auch selber festgestellt —, waren von den Demokraten rechtzeitig auch hier deutlich gemacht worden. Wir freuen uns, daß Sie dann bereit waren, in Ihrer Fraktion genauso wie die Sozialdemokratengemeinsam alle entsprechenden Punkte zu ändern.
Nur, Herr Kollege Carstens, so zu tun, als sei die Veränderung Ihre Erfindung, ist nicht in Ordnung; aber das verstehe ich ja, weil es offensichtlich auf einen, wie ich sagen muß, sehr guten häuslichen Ratschlag zurückzuführen war. Wenn dieser häusliche Ratschlag auch in der Wirtschaftspolitik so eindeutig und so gut wäre, dann wäre natürlich für manche Debatten hier ein großer Gewinn zu verzeichnen. Das ist aber bis zur Stunde nicht so gewesen.
Ich darf noch einige kurze Bemerkungen zu der Behauptung machen, die vom Kollegen Barzel wiederholt worden ist, daß diese Koalition — und, wie Herr Kollege Carstens meint, insbesondere mit der Duldung durch die Freien Demokraten — Kommunisten geradezu auffordere, wie es hieß, in den Staatsdienst hineinzugehen. Dies, Herr Kollege Carstens, ist wirklich eine böse Unterstellung. Sie haben hier immer wieder dargelegt, daß es in einzelnen Gruppen zwischen SPD und DKP eine Zusammenarbeit gibt und daß die SPD sich damit auseinandersetzt. Das ist mit Recht eine Frage, die von seiten der Sozialdemokraten ernst genommen werden muß und auch ernst genommen wird, wie Sie ja an den Ergebnissen sehen.
Aber daraus nun so unterschwellig die Schlußfolgerung zu ziehen, die sozialliberale Koalition habe nichts Eifrigeres zu tun, als Staatsfeinde in den öffentlichen Dienst hineinzunehmen, — das ist genau die miese Art der Verleumdung des politischen Gegners, gegen die wir uns mit aller Macht verwahren.
— Das ist die Art der Verleumdung, gegen die wir uns wehren müssen und wehren. Denn mit Freien Demokraten und Sozialdemokraten haben Sie in diesem Bundestag nicht erlebt, daß ein Gesetzentwurf eingebracht worden wäre, um diesen Extremisten den Weg zu eröffnen, sondern Sie wissen, daß es uns nur darum geht, sicherzustellen, daß auch in jedem einzelnen Fall die Rechtsstaatlichkeit gewahrt wird, die diese freiheitliche Demokratie auszeichnet. Das gilt für uns in allen Fällen, nicht nur da, wo es uns gerade paßt. Um dies geht es und um nichts anderes.
Der Herr Kollege Strauß hat weite Passagen seiner Rede so gestaltet, daß man manchmal den Eindruck hatte, er spräche zum Etat des italienischen Ministerpräsidenten; er setzte sich ständig mit dortigen Verhältnissen auseinander. Er hat dabei gesagt, daß man doch hier noch reden dürfe und kein Terror stattfinden solle. Daß das Rederecht hier un-
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Mischnickbestritten ist, darüber gibt es doch wohl keinen Zweifel. Was mich allerdings bei seinen Ausführungen verwundert hat, ist, daß er zum Ausdruck brachte, die Entscheidung der FDP, in Hannover eine konstruktive Opposition zu treiben, sei ein Beweis ihres Verbundenseins mit der SPD auf Gedeih und Verderb. Er scheint den Herrn Albrecht, den Ministerpräsidenten von Niedersachsen, gar nicht zur Kenntnis genommen zu haben, der ausdrücklich gesagt hat, für die niedersächsischen CDU- Kollegen seien die Freien Demokraten keine Blockpartei. Vielleicht kann man sich mal bei Ihnen darauf verständigen, daß man wenigstens untereinander weiß, wer was gegen wen sagt.
Das macht doch wieder einmal deutlich, wie Sie versuchen, durch Pauschalurteile abzuwerten. Ich kann dem Kollegen Strauß nur recht geben, wenn er sich vorhin gegen schreckliche Vereinfachung und Verzerrung gewehrt hat. Er aber ist doch derjenige, der am meisten darauf achten muß, daß er nicht ständig verzerrt und schreckliche Vereinfachungen unter das Volk bringt, wie er das hier getan hat.
All das, was Sie heute als die große Abrechnung bezeichnet haben, war doch weiter nichts als der Versuch zu vernebeln, daß diese Regierung und diese Koalition in den letzten vier Jahren fähig waren, in schwierigster Situation die Aufgaben, die sie sich vorgenommen haben, zu bewältigen. Weil Sie das Gegenteil konkret nicht beweisen konnten, haben Sie eine Vernebelungsaktion durchgeführt, indem Sie weitschweifig über Sozialismus diskutierten und dabei Ihren eigenen christlichen Sozialismus aus der Vergangenheit als nicht vorhanden betrachtet wissen wollten.Eins ist für uns feststellbar: Auch diese Diskussion hat wieder einmal gezeigt, daß die Unions-Parteien eher bereit sind, der Schwarzmalerei oder besser gesagt: der reinen Schwarzmalerei eines Franz Josef Strauß zu folgen. Wenn Sie von der Ablösung dieser Regierung sprechen, dann sei Ihnen gesagt: Eine Partei, die voll auf Strauß-Kurs ist, ist kein ablösungsfähiger Partner.
Weitere Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache liegen nicht vor,
— Meine Damen und Herren, seien Sie nicht nervös. Es werden alle noch gemeldeten Redner aufgerufen. Die vorliegenden Wortmeldungen beziehen sich auf die Begründung von Änderungsanträgen zu Einzelplan 04.
Ich rufe nunmehr die Änderungsanträge auf den Drucksachen 7/5152 und 7/5153 auf. Zu dem Antrag auf der Drucksache 7/5152 hat das Wort der Herr Abgeordnete Schröder
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zurückliegende Debatte hat schon deutlich gemacht, wie wenig sorgfältig und sparsam die sogenannte sozialliberale Regierung mit den Steuergeldern unserer Bürger umgegangen ist.
Die Jahre 1969 bis 1976, Herr Kollege von Bülow, werden, haushalts- und finanzpolitisch gesehen, einmal als Epoche der Unsolidität, ja der Verschwendung in die Geschichte unseres Landes eingehen.Der symbolische Ausdruck nicht sparsamer Ausgabengestaltung und der Verschwendung von Steuergeldern unter dieser Regierung ist das neue Kanzleramtsgebäude. Diese Gigantomanie aus Stahl, Glas und Leichtmetall, dieses Grabmal eines unbekannten Architekten belastet den Bundeshaushalt mit 106 Millionen DM Baukosten, mit 10 Millionen DM Einrichtungskosten und rund 3 Millionen DM jährlichen Folgekosten. Die Unterhalts- und Bewirtschaftungskosten steigen gegenüber den bisherigen Aufwendungen in vier verschiedenen, voneinander getrennten Kanzleramtsgebäuden um das Vierfache.Das Konzept, hier ein perfektes Superamt ohne Rücksicht auf finanzielle Auswirkungen hinzusetzen, dokumentiert sich an einer Fülle von Einzelheiten. So gibt es einen abhörsicheren internationalen Konferenzraum für 150 Personen mit Simultan-Dolmetscheranlage für acht Sprachen, die bestenfalls alle paar Jahre einmal benutzt werden kann, obwohl wir im Auswärtigen Amt einen brauchbaren internationalen Konferenzraum haben.
So gibt es weitere zehn Besprechungsräume, Herr Kollege Möllemann, davon zwei mit Schalldämpfung für vertrauliche Gespräche, und obendrein einen 210 Quadratmeter großen Presse- und Informationsraum mit Projektoren, Bandgeräten, Studioausstattung, obwohl die Einrichtungen des Bundespresse- und Informationsamtes dafür auch genügen würden. Außer Rohrpost und vollautomatischer Feuerlöschanlage sowie sage und schreibe 183 Toiletten
ist noch eine technische Leitwarte installiert, an Hand derer das Sicherheitspersonal sämtliche Schritte eines Besuchers von der Einfahrt bis zum Betreten eines der 300 Büroräume auf Monitoren verfolgen kann. Besonders überflüssiger Luxus, meine Damen und Herren, scheint mir die automatische Autowaschanlage mit Werkstatt und Hebebühne sowie der Swimmingpool mit Gegenstromanlage und 13 Duschen zu sein.Der Hang zur Verschwendung bei den Verantwortlichen dieser Regierung zeigt sich auch in anderen Bereichen. So besteht die Flugbereitschaft, die der Bundesregierung jederzeit zur Verfügung steht, jetzt aus einer Luftflotte von 24 Flugzeugen für den eigenen Bedarf.
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Schröder
Ich bin zwar davon überzeugt, daß diese Luftflotte in den nächsten Wochen und Monaten bis zum 3. Oktober in pausenlosem Einsatz ist und voll ausgenutzt wird. Nur, Wohl und Nutzen der Herren dieser Regierung das hat der Kollege Barzel hier vorhin schon deutlich zum Ausdruck gebracht — entsprechen noch lange nicht Wohl und Nutzen unseres Landes und erst recht nicht unserer Steuerzahler.
Der Hang zum selbstgefälligen Aufwand wird auch bei den Auslandsreisen und Regierungsbegegnungen immer sichtbarer. So wurde durch die Beratungen im Haushaltsausschuß und entsprechende Pressemeldungen publik, daß bei der Begegnung mit dem französischen Staatspräsidenten im Februar dieses Jahres allein vier Flugzeuge eingesetzt wurden, um die deutsche Delegation von Bonn nach Nizza zu schaffen. Da diese Gespräche ohnehin im engsten Kreise stattfinden, fragt man sich, warum überhaupt jedesmal ein so riesiger Pulk von Mitarbeitern und sonstigen Personen zu diesen Begegnungen hinzugezogen werden muß.Warum erwähne ich diese Beispiele, meine Damen und Herren?
Nur deshalb, um deutlich zu machen, daß man von anderen, von den Tarifpartnern, von unseren Mitbürgern, von den Steuerzahlern keine Sparsamkeit verlangen kann, wenn man selber nicht mit entsprechendem Beispiel vorangeht.
Sie müssen endlich einmal lernen, daß man mit anvertrauten Geldern noch umsichtiger umgehen muß als mit eigenen. Nehmen Sie sich an unserem unvergessenen Fritz Schäffer ein Beispiel.
Er hat immer so getan, als ob die Staatsgelder, die Steuergelder unserer Mitbürger, die er zu verwalten hatte, sein eigenes Geld wären, und ist entsprechend behutsam damit umgegangen.
Unter das Kapitel Verschwendung unter sogenannter sozialliberaler Regierungsverantwortung im Kanzleramt gehört sodann auch die exorbitante personelle Aufblähung des Kanzleramtes. Waren im Jahre 1968 noch 259 Bedienstete im Kanzleramt beschäftigt, so sind es in diesem Jahr gemäß Stellenplan 454 Beamte, Angestellte und Arbeiter, was einer Steigerung von mehr als 80 % entspricht. Der große „Macher" hat es bis heute nicht vermocht, das Kanzleramt aus der von Ehmke geschaffenen widernatürlichen Rolle eines Superministeriums in die einzig sinnvolle Funktion des Generalsekretariats Globkescher Prägung zurückzuführen.
Ich plädiere nicht zuletzt deshalb für diese notwendige Reform, weil sie mit einer erheblichen Einsparung von Personalstellen, Personalkräften und Personalkosten verbunden wäre.Wie mangelhaft das Bundeskanzleramt seine Primäraufgabe als Koordinierungsstelle für die ministerienübergreifenden politischen Aufgaben wahrnimmt, beleuchtet beispielhaft der Bereich der innerdeutschen Politik. Die Ständige Vertretung in OstBerlin ist aus uns allen bekannten Gründen dem Bundeskanzleramt zugeordnet. Oberkoordinator in allen Angelegenheiten der innerdeutschen Politik ist jedoch andererseits der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke. Bei Fragen des Guthabens- und Unterhaltstransfers und anderen finanziellen Angelegenheiten verhandelt ein Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, ohne daß die Ständige Vertretung in Ost-Berlin davon etwas weiß. Der Abteilungsleiter II des Bundeskanzleramtes führt sogar in West-Berlin Gespräche mit DDR-Vertretern, ohne Herrn Gaus vorher davon etwas mitzuteilen.
Zu einem Gespräch mit dem zuständigen Bundestagskollegen über die Probleme des Ausbaus der Zugangswege nach Berlin lädt der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes ein. In einem der wichtigsten politischen Aufgabenbereiche wie diesem der innerdeutschen Politik laufen die Dinge also völlig un-koordiniert nebeneinander her.
Das gleiche Nichtvorhandensein an notwendiger Koordinierung zeigt sich im Nebeneinanderherlaufen von Sachgebietsplanung und Finanzplanung im Verantwortungsbereich dieser Bundesregierung.Bei der Betrachtung des Bundeskanzleramtes ist es unvermeidbar, auch in diesem Jahr der sogenannten Planungsabteilung einige Bemerkungen zu widmen. Meine Damen und Herren, diese Planungsabteilung im Bundeskanzleramt ist nicht etwa ein Fall von Verfilzung zwischen Partei und Verwaltung, nein, sie ist geradezu ein Ausdruck totaler Symbiose. Da werden mit Blick auf den 3. Oktober dieses Jahres Gutachten und Forschungsaufträge zu folgenden Themen vergeben: „Sind bei der Bevölkerung der Großstädte Besonderheiten in der Reaktion auf die wirtschaftliche Entwicklung, auf gesellschaftliche Veränderungen und auf die Reformpolitik der Bundesregierung zu beobachten?" Oder: „Die sozialen und politischen Einstellungen und Erwartungen der Arbeitnehmer", oder: „Regional gegliederte Daten zur Wirtschafts- und Reformpolitik". Auffallend ist, daß bei diesen und anderen sogenannten Gutachteraufträgen der Auftragnehmer in der überwiegenden Zahl der Fälle immer das Infratest-Institut oder auch die Friedrich-Ebert-Stiftung ist.Für dieses Jahr sind für die Entscheidungsfindung des Bundeskanzlers so „notwendige" Forschungsaufträge wie die folgenden vorgesehen: „Beratung zu Fragen des Wandels einiger grundlegender Normen", oder: „Beratung zu Fragen der Demokratieforschung". Wie wir allerdings heute gesehen haben, komme ich zu dem Ergebnis, daß das notwendig ist. Hier muß ich meine ursprünglich kritische Anmerkung zurückziehen.
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Schröder
Oder: „Beratung über planungsrelevante Forschungsvorhaben in den USA" . Daneben vergibt diese sogenannte Planungsabteilung eine Fülle von Gutachter- und Forschungsaufträgen, die in die Aufgabenstellung bestimmter Bundesministerien hineingehören wie etwa Gutachten über Fragen der Arbeitsmarktlage, der beruflichen Bildung der Sport-und Freizeitpolitik, der Reform des öffentlichen Dienstes und dergleichen mehr.
Man fragt sich, was solche Gutachteraufträge zu Themen wie etwa dem folgenden sollen: „Beratung zu Fragen der Zeitgeschichte und anderer historisch relevanter Vorgänge".
Meine Damen und Herren, die 1,4 Millionen DM, die in dieser Planungsabteilung an Kosten für die Beratung durch wissenschaftliche Sachverständige und Honorarkräfte sowie für Gutachten und Forschungsaufträge zur Verfügung stehen, stellen in Wirklichkeit eine glatte Entlastung des Etats der Sozialdemokratischen Partei zu Lasten des Staatshaushaltes dar.
Diese Spielwiese von Soziologen und Politologen möge gefälligst aus dem Palais Schaumburg in das Erich-Ollenhauer-Haus verlegt werden.
Es dürfte eine der ersten großen Aufgaben eines Bundeskanzlers Helmut Kohl sein, das Bundeskanzleramt wieder zu einer personell reduzierten,
dafür aber straff geführten Koordinierungs- und Schaltstelle der deutschen Politik zu machen und es von allen überflüssigen und sachfremden Aufgaben zu entschlacken.
Meine Damen und Herren, Zweckentfremdung, Aufblähung und Verschwendung sind die Kennzeichen dieses Kanzleretats, den die Opposition deshalb auch aus haushaltspolitischen Gründen ablehnen wird.
Meine
Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schröder hat hier einige der Themen aufgegriffen,
die im Detail bei den Beratungen des Einzelplans 04 und anderer Haushaltspläne im Haushaltsausschuß eingehend erläutert worden sind.
Herr Kollege Schröder, eines will ich Ihnen sagen, in diesem Parlament hat es ausweislich der
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes keine größere Schlamperei im finanziellen Bereich als die seinerzeitige Starfighterbeschaffung gegeben.
Der Bundesrechnungshof hat uns dies ja deutlich bestätigt.
— Herr Kollege Haase, Sie wissen aus den Beratungen des Rechnungsprüfungsausschusses, wie dies gelaufen war. Dort, Herr Kollege Schröder, ging es um Milliardenbeträge, um die es sich hier nicht handelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Möglichkeiten und Grenzen der Großen Koalition für 217 441 DM, Inhaltsanalyse von Tageszeitungen, Studie Fernsehanalysen; gesellschaftspolitische Grundlagen der längerfristigen Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums — 185 000 DM --; zu Fragen der Determinanten der Deutschlandpolitik der DDR; die politische Kritik in der deutschen Studentenschaft. Hier zeigt sich, Herr Kollege Schröder, daß schon seinerzeit die ressortübergreifenden Themen aus dem Bundeskanzleramt finanziert und angeregt worden sind.Ich habe Ihnen schon bei der letzten Beratung dieses Einzelplans gesagt, daß bei früheren Gutachten wesentlich höhere Honorare gezahlt wurden. Sie wissen das. Wir haben das im Detail in den Berichterstattergesprächen geprüft. Was die wesentlich höheren Honorare betrifft, so sitzt ja hier ein Kollege, der bestätigen kann, was er seinerzeit für die Beratung des Bundeskanzlers Kiesinger bekommen hat.
— Natürlich! Das steht ja da.
Nun haben Sie noch empfohlen, die Planungsabteilung im Bundeskanzleramt möge nach dem 3. Oktober in bessere Hände unter einem besseren Chef kommen. Zur Planungsabteilung habe ich schon im vergangenen Jahr sehr deutlich Stellung genommen. Gestützt auf Zitate Ihres Fraktionsvorsitzenden Carstens und auf Kleine Anfragen, die Sie eingebracht haben, habe ich Ihnen seinerzeit vorgehalten, daß zwischen Ihren Forderungen nach mehr Planung in der Politik und nach Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse in politische Konzeptionen einerseits und Ihren grundsätzlichen Einwänden gegen eine Planungsabteilung im Bundeskanzleramt andererseits ein eklatanter Widerspruch besteht.Inzwischen ist auch einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgeworden, welche Anforderungen an Planung von CDU-Landesregierungen, insbesondere
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Estersvon der Regierung in Rheinland-Pfalz unter Ministerpräsident Kohl, den Sie uns hier empfehlen, gestellt werden. Ich will auf die in der Presse diskutierten Umstände des Vertragsabschlusses und auf die Seriosität der beauftragten Firma Wema hier nicht eingehen; das gehört in den Landtag von Rheinland-Pfalz.Interessant ist aber, daß sich die rheinland-pfälzische Landesregierung für 5,2 Millionen DM ein Planungssystem erworben hat, dessen Anforderungen diese Landesregierung wie folgt beschreibt:Zur Entwicklung, Auswahl und Durchsetzung politischer Zielsetzungen müssen daher Wege beschritten werden, die es ermöglichen, die Vielschichtigkeit der Zusammenhänge zwischen politisch relevanten gesellschaftlichen Teilsystemen zu benützen und ihre wechselseitigen Beziehungen systematisch zu analysieren. Um in diesem Sinn brauchbare politische Handlungsalternativen entwickeln und im Hinblick auf die angestrebten Zielsetzungen bewerten und realisieren zu können, sind Planungsmethoden notwendig, die der Verbesserung der Informationsgewinnung zur umfassenden Berücksichtigung gegenwärtig und zukünftig relevanter Tatbestände der politischen Entscheidungssituation, der Informationsverarbeitung zur systematischen Auswahl optimaler Handlungsalternativen für politische Planung und Planungsdurchführung und der Informationsauswertung zur rationellen Realisierung der ausgewählten Alternativen und deren Wirkungskontrolle dienen.
— Doll!
Dieses System ist aber offensichtlich so anspruchsvoll, daß die Landesregierung von Rheinland-Pfalz nach Pressemeldungen
der Öffentlichkeit noch nicht verdeutlichen konnte, wie es aufgebaut ist und wirkt.
Demgegenüber ist die Planungsabteilung des Bundeskanzleramts als Muster an pragmatischem und nüchternem Vorgehen zu bezeichnen. Daran, daß das so ist, Herr Kollege Schröder, haben gerade wir im Haushaltsausschuß mitgewirkt. Sie selber haben ja in den letzten Ausschußberatungen zugeben müssen, daß die Effizienz der Abteilung nicht bestritten werden kann, vielmehr gesteigert wurde. Während in CDU-regierten Ländern noch unter Einsatz großer Summen und vieler Experten nach Planungssystemen gesucht wird, hat die Planungsabteilung im Bundeskanzleramt zu einer von keinem Beobachter bestrittenen nüchternen Arbeit gefunden. Dies ist ganz in unserem Sinne. Das wollten wir erreichen, und das haben wir erreicht.Deswegen werden Sie Verständnis dafür haben, daß wir den Antrag auf Drucksache 7/5152 ablehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu dem Antrag 7/5152 liegen nicht vor. Ich schließe dazu die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Meine Damen und Herren, der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen damit zur Begründung des Antrags auf Drucksache 7/5153. Das Wort hat der Abgeordnete Haase .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Esters, es ist ja rührend, daß Sie sich den Kopf der Landesregierung von Rheinland-Pfalz zerbrechen. Es ist zutreffend: Sie hat mit diesem Institut großen Kummer gehabt. Aber fragen Sie einmal beim Verteidiger nach; der ist der Wema auch auf den Leim gegangen. Ich glaube, diese mißlichen Erfahrungen mit diesem Institut haben wir beide gemacht.Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zur Informationspolitik unserer verehrten Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, unter dem 6. Mai konnte man einem Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung" über die Reaktion der französischen Öffentlichkeit zur Fernsehrede unseres verehrten Kanzlers vom 15. April, in der bekanntlich auch die Franzosen ihre Zensuren von Herrn Schmidt bekommen haben, entnehmen — ich zitiere —:Schmidt wird hier in den Zeitungen seit seiner Einmischung gern als Polizist Europas vorgestellt.Soweit haben wir Deutschen es nun schon wieder gebracht. Man könnte förmlich sagen: Es ist erreicht! Der deutsche Regierungschef in der Meinung der Bundesgenossen der Gendarm Europas; Helmut Schmidt der Gendarm Europas.
Wenn man die Informationspolitik und das öffentliche Auftreten der „Reichsführung" in den letzten Wochen kritisch würdigt, muß man zu dem Schluß kommen: Die Franzosen sind doch scharfe Beobachter und liegen in ihrem Urteil gar nicht mal so schlecht.
Von Washington bis Brüssel und von Rom bis Paris gelang es unserem Bundeskanzler, die Bundesgenossen zu brüskieren und zu verärgern. Aus allen europäischen Hauptstädten kommen negative Kommentare zuhauf. Leider isoliert sich unser Bundeskanzler, und er isoliert auch — was noch schlimmer
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Haase
ist — unser Land. „Helmut Schmidt schafft Deutschland Freunde in der Welt"
— auf seine Art. Wie macht er das? In „Capital" 5/76 wird uns das erläutert. Da heißt es:Helmut Schmidt kennt sich aus in der Kunst des Vervielfachens von Erfolgserlebnissen. Nicht nur am Ziel, schon auf den verschlungenen Pfaden dahin wird wiederholt hurra geschrien. Das multipliziert den Adrenalinausstoß, schützt vor Verkrampfungen der Seele und stimuliert das Selbstgefühl.Meine Damen und Herren, es wird hurra geschrien. Der Autor hat Recht. Der Zeigefinger des Lehrherrn bzw. des Gendarmen wird warnend erhoben, und auf diese Weise werden alte, leider alte Animositäten gegenüber Deutschland wieder erweckt. Das sind doch die Eigenschaften, mit denen sich unsere Altvorderen in der Welt schon immer so sehr beliebt gemacht haben. Man braucht in der jüngeren deutschen Geschichte nicht lange zu suchen — das ist bei Dr. Barzel und Strauß angeklungen —: Wilhelm II. verstand es auch so auf seine Art, die Zahl der Freunde Deutschlands zu mehren. Meine Damen und Herren, damals sollte am deutschen Wesen die Welt genesen.
Heute ist es das deutsche Modell, an dem die Welt genesen soll, obwohl der große Wurf der Reformatoren „Wir schaffen das moderne Deutschland" kläglich danebengegangen ist. Deutsche, ihr könnt stolz sein auf euer Land, auch auf euren Kanzler!
„Das Pulver trocken, das Schwert geschliffen, das Ziel erkannt, die Kräfte gespannt und die Schwarzseher verbannt", so hörte es sich damals in Wilhelms Reden an. Etwas zeitgemäßer, jedoch mit der gleichen Tendenz, tönt es heute aus Kanzlermunde und Presseamt.Vielleicht bemüht sich der Herr Bundeskanzler noch um ein Interview mit der englischen Zeitung „Daily Telegraph", um seine Meinung betr. der Regulierung der Probleme in Südafrika darzulegen. Auch in diesem Fall könnte er an historische Vorbilder anknüpfen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere hier: In seinem berühmten Interview mit dem „Daily Telegraph" vom 28. Oktober 1908 hatte Majestät Wilhelm u. a. auch einen Operationsplan zur Vernichtung der Buren angesprochen. Die Weltöffentlichkeit schwankte damals zwischen homerischem Gelächter
und entsetzter Entrüstung. Ich fürchte, wir haben diesbezüglich bis zum 3. Oktober noch einiges zu gewärtigen und noch manches zu befürchten.
Herr Kollege Haase, wenn Sie etwas enger auf den Antrag kommen würden, würde das der Sache helfen.
Ich werde mich bemühen.Die gestrige Ankündigung des Kanzlers, er wolle im nächsten Jahr den Numerus clausus abschaffen, wohnt doch wohl auf derselben Etage. Nur glaube ich, daß es sich bei dieser Großsprecherei um die Baracke Inland handelt. Ich möchte anregen, daß der Herr Kanzler diese Zusicherung noch besonders garantiert. Wie wäre es mit dem Versprechen, er wolle nicht mehr Schmidt, sondern künftig Meier heißen, wenn die Sache mit dem Numerus clausus nicht klappt? Auch da haben wir ja historische Beispiele, an die anzuknüpfen sich lohnt.
— Herr Kollege Wehner, meine Zeit läßt es nicht zu, sonst müßte ich Ihnen im Zusammenhang mit Ihren Äußerungen von vorhin zum Niedergang der Freiheit in der Weimarer Republik noch einiges sagen. Reizen Sie mich nicht, damit ich darauf nicht doch noch zu sprechen komme!
Was unser Presseamt betrifft, so gab es im Berichtszeitraum kaum etwas zur höheren Ehre unserer Regierenden zu berichten: Massenarbeitslosigkeit, anhaltende Geldentwertung, eine Staatsverschuldung, die gigantische Ausmaße angenommen hat, eine Steuerbelastung des einzelnen, die einem unerträglichen Umfang zustrebt, gespenstische Reformruinen allerorten, einen mitten in der Legislaturperiode aus dem Verkehr gezogenen Bundeskanzler Brandt und eine in sich gespaltene SPD — wahrlich kein Stoff für Erfolgsmeldungen aus dem Hause Bölling!Hier hat man sich nun rührend bemüht, die Situation über die jeweiligen Talsohlen hinweg zu beschönigen. Man versuchte sich in der Sprache der Wehrmachtsberichte aus dem Jahre 1944: die Formulierungskunst war auf siegreiche Rückzüge, kräftesparende Frontbegradigungen abgestellt, man erfand das Null-Wachstum. Es war eine Neuauflage der „entrahmten Frischmilch", diesmal allerdings regierungsamtlich serviert.
Diese Art des Optimismus unserer Regierungssprecher erscheint mir deshalb so sehr gefährlich, weil immer nur die Oberfläche, nicht aber die Frage nach Ursachen und Wirkungen unserer Kümmernisse berührt wird.
Auch der beliebte Hinweis darauf, anderswo seien die Schwierigkeiten ungleich größer, ist ebenso oberflächlicher Trost wie Beweis dafür, daß manchem der Ernst der Lage noch nicht deutlich genug geworden ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16873
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch, freundlicherweise Platz zu nehmen.
Diese Darstellungsweise des Verschönerns und Verharmlosens läßt allemal den Hinweis darauf vermissen, daß der kritische Zustand unseres Landes hervorgerufen worden ist durch eine Folge von Fehleinschätzungen und Fehlverhalten. Ein Volk, dessen Führung jahrelang das Leben in Illusionen gepredigt, jede Form des Wunschdenkens gefördert, die Gültigkeit auch des wirtschaftlichen Einmaleins ständig in Frage gestellt hat, mußte sich zwangsläufig von den Realitäten entfernen.
Die Politik des Presseamtes hat mit dazu beigetragen in unserem Lande den Sinn für die Wirklichkeit abzustumpfen.
Wenn wir heute Entwicklungen im Sozialstaat gegenüberstehen, die wir nicht mehr bezahlen können, wenn wir einen Einbruch unseres Schul-, Hoch-schul- und Bildungswesens erleben, dann doch auch deshalb, weil verlorener Wirklichkeitssinn nüchterne Rechner und Mahner als Miesmacher und Feinde des Fortschritts erscheinen ließ.
Auch im außen- und verteidigungspolitischen Bereich hat man versucht, die Realitäten hinwegzuformulieren. Die Antenne für die Gefahren hat man zu kappen versucht, und der regierungsamtliche Blick bis zum Tellerrand der kommenden Wahl will uns glauben machen, daß sich ein mehr und mehr zusammenziehendes Netz sowjetischer Einkreisung gar nicht so gefährlich ausmacht.
Ansonsten fährt man im Presseamt fort, sich auf dem Pfad der Untugend parteipolitischer Propaganda rüstig weiterzubewegen. Seit Herr Müller, aus der Baracke kommend, vor einigen Jahren die Leitung der Inlandsabteilung übernommen hat, wird dort fast nur noch Parteiarbeit geleistet.
Zur Bundestagswahl hat man sich dieserhalb anscheinend besonders viel vorgenommen. Die Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit in den einzelnen Ressorts der Bundesregierung stiegen von etwa 100 Millionen DM im Jahr 1969 auf nahezu 170 Millionen DM im Etatentwurf 1976.
Allein der operative Inlandstitel des Presseamtes erfährt eine Steigerung um 22% gegenüber dem Vorjahr. Finanzielll kräftig aufmunitioniert, wird man in den kommenden Monaten das Land mit einer Flut von Inseraten und Druckschriften überschwemmen, die nach unseren Erfahrungen unverhüllte parteipolitische Wahlwerbung darstellen werden.
Diese Art der Verschwendung und des Mißbrauchs von Steuergeldern ist nicht neu.
Neu ist nur der Umfang, in dem hier Volksaufklärung und Propaganda betrieben werden soll. Zur Unterstützung der strategischen Wahlkampfplanung der Regierungsparteien wurde eine besondere Arbeitsgruppe, eine Kampfgruppe, im Presseamt eingerichtet. Aus der Zusammensetzung dieser Gruppe und der Geheimhaltung ihrer Einrichtung und ihrer bisherigen Tätigkeit ergibt sich eindeutig ihre Aufgabenstellung.
Die jüngste Idee von Herrn Müller ist die regierungsamtliche Bearbeitung der Kirchenpresse. Dazu schreibt die „Deutsche Tagespost" am 30. 4. — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Werner Müller, Leiter der Abteilung III im BPA und im allgemeinen kurz „der rote Müller" genannt, hatte Ende vergangenen Jahres die Idee, die Kirchenpresse ins Visier zu nehmen.
Seitdem wird der öffentliche Pressespiegel „Kirchenpresse" regelmäßig von den BPA-Abteilungsleitern, gelegentlich auch von der Führung des Hauses selbst, auf ihre Artikel hin untersucht, die geeignet sein könnten, um ihren Autor und mit ihm gleich die ganze betreffende Kirchenzeitung zu „verreißen". Dies zu tun, wird irgend jemand auf dem Dienstwege . Der muß eine Stellungnahme mindestens im Sinne der Bundesregierung, besser noch: im Sinne der SPD abfassen. Dies Ergebnis wird noch einmal zensiert. Dann muß der Autor Papier mit dem persönlich unterzeichneten Begleitschreiben abschicken. Und was er abschikken muß, ist häufig genug das glatte Gegenteil seiner persönlichen Meinung. So jedenfalls erzählen es die Beamten aus dem BPA. Und sie erzählen, daß nicht selten gerade solche Kollegen zum Abfassen von Stellungnahmen „verdonnert" würden, die als kirchentreu, religiös oder wenigstens als der Regierung nicht gerade freundlich gesonnen gelten.
Meine Damen und Herren, ich habe diese einzige Detaildarstellung ausgewählt, weil sie typisch für die Arbeitsmethoden des Bundespresseamtes ist, zumindest, seit Herr Müller dort das Sagen hat.
Die Ouvertüre dieser Wahlkampfoper aus Steuermitteln wurde bereits gespielt. In diesen Tagen erreichte alle Untergliederungen der Sozialdemokratischen Partei ein sechzehnseitiger Katalog des Presseamtes, in dem alle Publikationen des Amtes aufgeführt sind, mit der indirekten Aufforderung, sich — —
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nochmals, Platz zu nehmen, damit der Redner im Hause verstanden wird.
— Frau Kollegin Berger, wenn Sie sich umdrehen, sehen Sie, daß Kollegen aller Fraktionen stehen.
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16874 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dieser Katalog war von der Aufforderung begleitet, sich für den bevorstehenden Wahlkampf zwecks Entlastung der Parteikasse beim Bund einzudecken.
Meine Damen und Herren, wir werden wieder erleben, daß viele Veröffentlichungen direkt ab Druckerei in die reginonalen Geschätfsstellen der Regierungsparteien geliefert werden. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht verwundelich, daß heute selbst großzügige Rechnungshöfe diese Art der Parteienfinanzierung zunehmend als rechtswidrig anprangern.
Mit dieser Methode greift die Bundesregierung in Gestalt der sie tragenden Parteien in die Staatskasse. Sie subventioniert damit über das Wahlkampfkostenerstattungsgesetz hinaus die SPD und die FDP unter Mißachtung der Chancengleichheit offen oder verdeckt, jedenfalls in unzulässiger Weise.
CDU/CSU behalten sich vor, die hier dargestellten Sachverhalte nach der Bundestagswahl einer besonderen Überprüfung, gegebenenfalls durch Gerichte, zu unterziehen.
Kein Verantwortlicher — meine Damen und Herren, man mag gut zuhören — kann sich dann damit herausreden, er habe die Zusammenhänge nicht gekannt. Die Betreffenden sind hiermit gewarnt.
Ich bedaure außerordentlich, daß es nicht gelungen ist, eine Anregung des Kollegen Ahlers aufzugreifen, die Regierungswerbung zumindest in den Wochen vor der Wahl einzustellen.
Die augenblicklich Handhabung der Informationspolitik erscheint mir unerträglich. Sie ist geeignet, elementarste Regeln des demokratischen Zusammenspiels auf das schwerste zu beeinträchtigen.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie auf die Drucksache 7/5153 verweisen. Wir bitten angesichts der dargestellten Sachverhalte, die Ansätze der beiden der Bundesregierung innerhalb des Presseamtes zur Verfügung stehenden Informationstitel um die angegebenen Beiträge herabzusetzen. Ich bitte freundlichst um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Haase, Sie haben sicherlich in der Ihnen eigenen Manier zumindest den ersten Teil dieser Debatte bestritten. Für uns war dies sicherlich nichts Neues. Wir kennen dies. Aber vielleicht haben Sie sich dadurch dafür qualifiziert, daß Sie ernsthaft für die zukünftige Regierungsmannschaft in Erwägung gezogen werden.
Zu dem Bereich des Bundespresseamtes, den Sie angesprochen haben, will ich Ihnen nur einige Dinge nennen.
Der Bundeskanzler hat in dem bekannten Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz dargestellt, daß es unbestritten ist, daß die Bundesregierung am Ende der Legislaturperiode verpflichtet ist, der Bevölkerung die Bilanz ihrer Arbeit und ihrer Leistungen in transparenter Weise darzustellen, und er hat hinzugefügt:
Ich habe aus diesem Grunde auch volles Verständnis dafür gehabt, daß die Regierung des Landes Rheinland-Pfalz ihre Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit in den Haushaltsjahren 1974 und 1975, in die das letzte Jahr der vergangenen Legislaturperiode des Landtags fiel, nicht gekürzt, sondern erhöht hat.
Die CDU stellt an uns Forderungen, das BPA in Wahlkampfabkommen einzubeziehen, auch erst, seit sie in Bonn auf den Oppositionsbänken sitzt. Früher dachte sie ganz anders. 1966 schrieb der damalige Bundesinnenminister Lücke an das Bundesverfassungsgericht — Zitat —:
Wenn Regierungspublikationen für die Regierung und ihre Politik werben und dies auch Regierungsparteien zugute kommt, so liegt diese Wirkung in der Natur der Sache, ist nur logisch und entspricht der Verfassungswirklichkeit. Solche Konsequenzen zugunsten von Parteien als einseitige Parteienprivilegierung oder als reine Propaganda zugunsten der Parteien zu disqualifizieren, ist sachlich und rechtlich nicht haltbar.
Dazu stehen wir.
Der langjährige Regierungssprecher Konrad Adenauers, Felix von Eckhardt, hat erst am 30. April 1976 im „Bericht aus Bonn" auf die Frage nach dem Verhalten des BPA in Wahlkampfzeiten geantwortet — Zitat —:
Das Bundespresseamt wurde von der Opposition beschimpft, weil es angeblich zuviel für die Regierung tat. Aber ein Abkommen darüber hat es nie gegeben.
Auf die weitere Frage, ob das BPA in seiner Arbeit auf den Wahlkampf Rücksicht genommen habe, sagte Felix von Eckhardt:
Es hat noch mehr gearbeitet als sonst. Es hat
natürlich im Hinblick auf die Wahlen sehr viel
die Leistungen der Regierung herausgestellt.
Sie wissen so gut wie ich, Herr Kollege Haase, daß Felix von Eckhardt wußte, wovon er sprach, denn seinerzeit gab es ja noch den unkontrollierten Reptilienfonds, aus dem die unsichtbaren Hilfstruppen finanziert wurden. Wir haben den Reptilienfonds in der Zeit der Großen Koalition offengelegt, und Sie wissen, daß er heute geprüft wird.
Die Bundesregierung hat die Pflicht, jederzeit den Bürger über Ziele, Absichten und Vorhaben zu
Esters
informieren. Die Informationsbroschüren zu einzelnen Sachbereichen können von der Opposition doch wohl nicht als Propaganda abgetan werden, z. B. „Tips für Arbeitnehmer", „Bonner Almanach", „Unser neues Mietrecht", „Jugendservice", „109 Tips für die Frau". Die Reform des Ehe- und Familienrechts muß der Bevölkerung erläutert werden, ebenso die gesetzliche Neuregelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und das Adoptionsrcht.
Anders als CDU-geführte Landesregierungen stellt die Bundesregierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nur Leistungen dar, die sich nachweisen lassen und die der kritische Bürger nachprüfen kann. Mir erscheint es auch legitim, auf unzureichende Informationen — um es ganz vorsichtig auszudrükken — einzelner Landesregierungen gelegentlich einmal nüchtern und sachlich zu antworten, wenn beispielsweise die Bayerische Staatsregierung mit schöner Selbstverständlichkeit Leistungen des Bundes auf ihre Fahnen schreibt.
Schauen Sie sich doch bitte einmal die Anzeigenserien der Bayerischen Staatsregierung und der Landesregierungen des Saarlandes, Schleswig-Holsteins und von Rheinland-Pfalz an, was dort vor den Landtagswahlen als landespolitische Leistungen verkauft wurde! Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, daß die Bundesregierung einmal so weit gehen wird wie die Regierung des Landes Schleswig-Holstein, die unter der ein wenig parteiischen Überschrift „Rote Federn, rote Märchen" eine Anzeigenantwortserie veröffentlichte, die einer politischen Partei doch wohl eher ansteht als einer Regierung, von deren Öffentlichkeitsarbeit sowohl die Haushaltsgesetze als auch das Bundesverfassungsgericht eine gewisse Zurückhaltung verlangen. Ich möchte hier nicht das Gezeter der Kollegen Schröder, Haase und Wohlrabe hören, wenn das BPA eine Anzeigenserie unter dem Titel „Schwarze Seelen — schwarze Legenden" veröffentlichte. Wie unredlich in bezug auf fremde Federn gerade der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz ist, wird aus einer Anzeigenserie deutlich. Dort heißt es:
Dieser Fortschritt ist uns nicht in den Schoß gefallen. Wir haben harte Arbeit geleistet, um in allen Landesteilen gute Lebensverhältnisse zu schaffen und damit die Chancengleichheit zu verwirklichen. Dazu gehört z. B. der auch für die Wirtschaftsentwicklung wichtige Ausbau des Verkehrsnetzes. 1960 gab es in Rheinland-Pfalz erst 150 km Autobahn bzw. vierspurige Straßen. Ende 1971 waren es bereits dreimal soviel, und 1975 werden es 730 km sein.
Das sind Leistungen dieser Bundesregierung im Autobahnbau, die von der Landesregierung als eigene Leistungen verkauft werden. Hier steckt man sich — ein eklantantes Beispiel — fremde Federn an den Hut. Man kann dies auch Propaganda nennen.
Verständlicherweise enthalten Sie sich hierbei dann aller Kommentare, greifen allerdings ständig die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung an. Ich will Ihnen dazu nur dies sagen. Hätten Sie sich in früheren Jahren an dem ausgerichtet, was Sie uns heute im Bund als Leitmotiv geben, so wären Ihnen viele Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes erspart geblieben. Hätten Sie doch in früheren Jahren für derartige Rügen ein ähnlich offenes Ohr gehabt!
Denken Sie einmal an die Vielzahl der Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes, die sich auf Ihre Regierungszeit bezogen. Denken Sie dabei bitte an die Finanzierung der Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise und an die Mobilwerbung. Erinnern Sie sich doch bitte einmal an den mit hohem Kosten hergestellten Film über Finanzpolitik, in dem Franz Josef Strauß im Mittelpunkt stand — damals als Gegengewicht zu Karl Schiller gedacht. Das Geld für diesen Film wurde ausgegeben, aber der Film erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit. Sollten Sie denn wirklich vergessen haben, daß der Reptilienfonds stets gut ausgestattet war, aber erst seit 1967 parlamentarisch kontrolliert wird? Wer in der Vergangenheit auf diesem Gebiet manche Fehlleistungen produziert und Steuergelder im wahrsten Sinne des Wortes verschleudert hat,
sollte eigentlich erfreut feststellen, daß die Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes in den letzten Jahren an Zahl und Gewicht drastisch reduziert werden konnten.
Unsere Bürger wissen die sachliche und nüchterne Informationspolitik der Bundesregierung zu schätzen.
Die Koalitionsfraktionen gehen davon aus, daß diese Politik fortgesetzt wird. Wir werden die Regierung dabei voll unterstützen.
Die ständigen Auslassungen der Opposition zur Öffentlichkeitsarbeit sollten Sie dem Parteivorsitzenden der CDU zuleiten und zur Lektüre wärmstens empfehlen. Man sollte die Bitte an ihn richten, sie politisch umzusetzen. Er wird in Rheinland-Pfalz, der Drehscheibe Europas, wie er es in einer Anzeige genannt hat— mein Kollege Klaus von Dohnanyi kann Ihnen hier eine andere, eine landespolitische Rechnung aufmachen —, in den nächsten Jahren sicherlich entsprechend Zeit dafür haben.
Die Koalitionsfraktionen lehnen aus diesem Grunde den Antrag Umdruck 7/5153 ab und beantragen namentliche Abstimmung über den Einzelplan 04.
MeineDamen und Herren, ich schließe die Aussprache überden Antrag Drucksache 7/5153 und gehe davon aus,
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16876 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausendaß über Ziffer 1 und 2 des Antrags gemeinsam abgestimmt werden kann. Wer dem Antrag Drucksache 7/5153, den der Herr Abgeordnete Haase begründet und zu dem der Herr Abgeordnete Esters gesprochen hat, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Der Antrag auf namentliche Abstimmung über den Einzelplan 04 wird hinreichend unterstützt. Ich eröffne hiermit die namentliche Abstimmung. —Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Insgesamt haben sich 430 Abgeordnete an der Abstimmung beteiligt, 410 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 20 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben 253 Damen und Herren und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 157 Kolleginnen und Kollegen und 7 Berliner Abgeordnete gestimmt.ErgebnisAbgegebene Stimmen 410 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 253 und 13 Berliner Abgeordnete,nein: 157 und 7 Berliner AbgeordneteJaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaackBäuerle BahrBarcheDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BehrendtBiermannBlankBörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt BredlBrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannColletConradi Coppik Dr. CorterierFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters EwenFellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. Focke Franke FrehseeFriedrichGansel GeigerGerlach Gerstl( Passau) GertzenDr. GeßnerGlombigDr. GlotzFrau Dr. Glotz GnädingerGrobecker GrunenbergDr. HaackHaarHaase
Haase HaehserDr. Haenschke HalfmeierHansen Hauck Dr. HauffHenke Herold HöhmannHofmannDr. HoltzHornFrau HuberHuonkerImmer Jahn (Marburg) JaschkeJaunichDr. JensJunghans JunkerKaffkaKaterKernKoblitzKonradKratzDr. KreutzmannKulawig Lambinus LangeLattmannDr. Lauritzen LautenschlagerLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeLöbbertLutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannMeinike MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr.-Ing. OettingOffergeld FreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn PorznerRapp
Rappe
RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau RengerRichterRöhligRohdeSanderSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchirmer SchlagaSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSimon SimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. StienenSuckSundTietjenFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVahlbergVitDr. Vogel VogelsangWalkhoffWaltematheDr. Weber
Wehner Wendt Dr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann WolfWolfram WredeWürtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Dübber EgertGrimmingFrau GrützmannLöfflerMänningMattickDr. SchellenbergFrau Schlei Schwedler SieglerschmidtFDPDr. AchenbachDr. BangemannBaumDr. BögerErtlFrau FunckeGallus GenscherGrüner Hof fie JungKirstKleinert KrallDr. KreibaumDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff Logemann
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16877
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenFrau LüdemannDr. Dr. h. c. MaihoferDr. h. c. Mertes MischnickMöllemann MoerschOlleschOpitzPeters Schleifenbaum Schmidt (Kempten)von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeisNeinCDU/CSUDr. Abelein Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerBaierDr. BarzelDr. Becher
Frau Benedix BergerBiecheleBiehleDr. Blümvon BockelbergBöhm BreidbachBremmBurgerCarstens
Dr. Carstens
Dr. CzajaDammvan Delden Dr. Dollinger Dr. Dregger DreyerEigenEngelsbergerErhard ErnestiEyDr. EyrichFranke
Dr. FranzDr. Fuchs Frau Geier GeisenhoferGerlach GierensteinDr. Gölter Dr. GötzDr. GraßDr. GruhlHaase
Dr. Häfele Dr. HammansHandlosvon HasselHauser Dr. Hauser (Sasbach)Dr. HeckHöcherlHöslDr. HornhuesHorstmeierFrau HürlandDr. HupkaDr. JaegerJäger
Dr. JenningerDr. JobstJostenDr. Klein Dr. KliesingDr. Köhler KösterDr. KraskeDr. Kunz LampersbachLeichtLemmrichDr. Lenz LinkLöherDr. LudaDr. MarxMaucherDr. Mertes Dr. MikatDr. MiltnerMüller Dr. Müller-Hermann Frau Dr. Neumeister NiegelNordlohneDr.-Ing. Oldenstädt OrgaßFrau PackPfeffermannPicardPierothPohlmannRainerReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenDr. RitzRöhnerRommerskirchenRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-WittgensteinHohensteinSchetterFrau SchleicherSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Luneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. Schulze-Vorberg Seiters
SickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungStahlbergDr. Stark Dr. StavenhagenStrauß StücklenSusset de TerraThürk TillmannDr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandVeharFrau VerhülsdonkVogel
VogtVolmerDr. WaffenschmidtDr. WaigelDr. WallmannWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexWindelenWissebachDr. Wittmann
Dr. Wörner Frau Dr. WolfBaron von WrangelDr. Wulff Dr. Zeitel ZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. Gradl Müller
Frau Pieser Straßmeir WohlraheDamit ist der Einzelplan 04 in namentlicher Abstimmung angenommen worden.Wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe in verbundener Beratung auf:Einzelplan 05Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts— Drucksache 7/5035 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Bußmann Abgeordneter HoppeEinzelplan 23Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit— Drucksache 7/5048 —Berichterstatter:Abgeordneter Esters Abgeordneter HoppeEinzelplan 27Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen— Drucksache 7/5050 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Dübber Abgeordneter HoppeHierzu liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/5155 vor.Ich frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob eine Ergänzung der vorgelegten Berichte gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern für die vorgelegten Berichte.Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich. Bevor der Herr Abgeordnete Friedrich mit seinen Ausführungen beginnt, möchte ich noch etwas bemerken: Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß nach namentlichen Abstimmungen nur langsam wieder Ruhe eintritt. Aber wir wollen jetzt in der Debatte fortfahren, und ich bitte Sie daher, entweder Platz zu nehmen oder aber den Plenarsaal zu verlassen, damit die Beratungen ungestört weitergehen können.Bitte, Herr Abgeordneter Friedrich.
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16878 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl ich in der Regel mit der Politik des Bundeskanzlers übereinstimme, mußte ich heute bei einer seiner Bewertungen einen erheblichen Unterschied zu meiner Auffassung feststellen, und zwar als er sagte, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, der Abgeordnete Stücklen, habe die Sozialdemokraten unterschwellig mit Unfreiheit identifiziert. Ich weiß nicht, ob der Bundeskanzler dies aufrechterhalten wird, wenn er die Zeit hat — ich weiß nicht, ob er sie hat —, einmal nachzulesen, was am Sonntag der Abgeordnete Stücklen in München
— ja, Kollege Stücklen, Sie werden gleich eine ganze Menge dazu hören — vorgetragen hat, z. B. auf Seite 14 seiner Rede über die Zersetzung von Moral und Sitte:Der Sozialismus will nicht nur das Wirtschaftssystem ändern; auch die Moral, die überkommene Sittenlehre, hat zu weichen. Sie steht der Verwirklichung des Sozialismus, der Schaffung des jederzeit manipulier- und verplanbaren sosozialistischen Menschen entgegen, weil sie Bindungen schafft, die von staatlicher und gesellschaftlicher Willkür in unerhörtem Maße freimachen können. Schon Lenin hatte den großen Wert der Zerstörung nicht nur der Währung, sondern auch der Moral als Vorbereitung für den Umsturz erkannt.
Dann folgt, wer nach Auffassung des Kollegen Stücklen ein Umstürzler ist, z. B. die Kollegin Berger, die für die Abschaffung des § 218 gestimmt hat, oder der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, da hier das Scheidungsrecht aufgeführt ist, und der Kollege Filbinger. — Ja, Sie lachen über sich selbst, Kollege Stücklen.
Nur, weniger zum Lachen ist, wenn es auf Seite 20 heißt —
- Ja, ich komme dazu, ich bin dabei.
Wenn sich Herr Barzel, Herr Carstens, Herr Strauß die Freiheit nehmen, vom Sozialismus, von Lenin zu sprechen, und alles vermengen, dann nehme ich mir als einer, der dem demokratischen Sozialismus angehört, auch das Recht, dazu zu sprechen.
Damit müssen Sie sich schon abfinden, meine Herren. Dann sagte Stücklen:Daß manche Sozialisten meinen, den Unterschied zwischen einem angeblichen demokratischen und dem undemokratischen Sozialismus machen zu müssen, entspringt weniger dem Drang nach Wahrheit als dem taktischen Bedürfnis, Dinge, die der Bürger als Gefahr erkennt, zu verharmlosen.Danach stellt Herr Stücklen fest: „Es gibt keinen demokratischen Sozialismus." Damit ist die entscheidende Frage, wie in diesem Parlament demokratische Parteien miteinander umgehen, gestellt. Wie soll überhaupt dieser Platz noch ein Platz der Argumentation sein, wenn dem anderen die Redlichkeit seiner Position aberkannt wird?
Dies ist die Grundsatzfrage, nämlich ob parlamentarische Demokratie überhaupt einen Sinn hat.Wenn der Herr Kollege Barzel hierher kommt und sagt, er wisse nicht, welcher Unterschied zwischen Sozialdemokratie und Sozialismus bestehe, kann ich mich nur wundern. Denn sollte der Kollege Dr. Barzel als einer, der aus dem Zentrum kommt und sich einmal im Zentrum leidenschaftlich gegen eine Partei mit dem „C" ausgesprochen hat, vergessen haben, daß die katholische Soziallehre eindeutig zwischen Sozialismus und freiheitlichem Sozialismus unterscheidet? Aber diese Unterscheidung der katholischen Soziallehre können Sie nicht mehr verwenden, weil sonst Ihr Slogan, Ihre Kampfparole, nicht mehr tragbar wäre.Sie sind als christliche Partei nicht mehr fähig, in der Auseinandersetzung mit uns die Definition zu verwenden, deren sich die Kirche, die katholische, die evangelische Kirche, in der Bewertung politischer Strömungen bedient. Dies ist eines der wichtigsten Ergebnisse der heutigen Debatte.
Wenn ich eine Antwort geben darf, dann mit den Worten eines Mannes, der einmal — an dieses Zitat mußte ich mich heute erinnern — 1942 in seinen Reden an deutsche Hörer geantwortet hat, wie er schrieb, auf die Rede eines alternden Fettknaben, Baldur von Schirach, der in Wien Delegationen aus Europa zusammenholte, angeblich um die Freiheit Europas gegen den Sozialismus zu verteidigen. An diese Passage Thomas Manns, die in seinen Werken nachzulesen ist, mußte ich mich heute erinnern,
da Sie meinen, eine Bewegung, die heute nicht mehr aus der Welt wegzudenken ist, verketzern zu können. Das wird dieser Union nicht gelingen. Ein Martin Buber, ein Heimann, ein Tillich, ein Barth, die haben sich nicht nur als Sozialisten bekannt, und sowenig wie das Christentum durch jene erniedrigt werden konnte, die es über Jahrhunderte mißbraucht und eine blutige Spur hinterlassen haben, so wenig kann der Gedanke des Sozialismus durch jene erniedrigt werden,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16879
Friedrichdie ihn mißbrauchen, denn er ist eine große Bewegung der Menschheit.
Deshalb werden wir auch fähig sein, ohne Hysterie und Panikmache, die Sie auszeichnen — was wir heute erlebt haben, war ja nur die Spitze eines Eisbergs, ein Teil dessen, was in den nächsten Monaten auf uns zukommt; Sie werden Ihre Rede als Muster an alle Ortsvereine der CDU/CSU in Bayern schikken, Sie sind dort ja gut organisiert —, die europäischen Probleme mit aller Nüchternheit anzusprechen. Ich lasse mich gerne auf das festlegen, was ich sage. Die Situation in Italien und Frankreich kann man natürlich als Wahlkampfthema behandeln, aber dann wird man unfähig zur Politik.
— Da braucht man nur zu lesen, was von Herrn Strauß festgehalten wurde, wenn er beispielsweise von einem „Rundumschlag" spricht. Ich war in Helsingør dabei.
Was Strauß hier dazu gesagt hat, war frei erfunden. Als Mitterrand da war, war Brandt längst nicht mehr da. Als Soares begann, war er in Ihren Augen ein Volksfrontmann, als Soares mit dem Rücken an der Wand stand und für die Demokratie kämpfte, hat Herr Todenhöfer gefordert, die Unterstützungen für Portugal einzustellen.
Heute meint Herr Strauß, er könne Mario Soares seinen Koalitionspartner aussuchen. Das ist Ihre Vorstellung von internationaler Unbefangenheit, wenn man über andere spricht. So ging es doch die ganze Zeit.
Ich werde jetzt in aller Nüchternheit zur französischen und italienischen Situation etwas feststellen. Es sind fünf Feststellungen:Die Frage einer kommunistischen Beteiligung an Regierungen von EG- und NATO-Staaten stellt sich nur in Italien und Frankreich, sonst nirgendwo, einmal mit 20 %, einmal mit 27 % Anteil der Kommunisten. Zu einer politisch aktuellen Frage wird sie nur dann, wenn die demokratischen Parteien in diesen Ländern eine Politik verschulden, die den kommunistischen Parteien Wähler zuführt.
Kommunistische Parteien werden doch nur dann regierungsfähig, wenn demokratische Parteien infolge Handlungs- und Reformunfähigkeit nicht mehr regierungsfähig sind. Daran führt kein Weg vorbei.
Die zweite Feststellung: Wir bejahen das Prinzip freier Wahlen.
Wenn Kommunisten in freien Wahlen mehrheitsoder regierungsfähig werden, werden wir dies nicht begrüßen, wohl aber respektieren müssen, will man das eigene demokratische Prinzip nicht aufgeben.Die dritte Feststellung: Die kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich — um diese geht es — bemühen sich, einen von Moskau unabhängigen Kurs zu demonstrieren.
Eine ideologische Trennung von Marxismus und Leninismus mit einer klaren Hinwendung zur westeuropäischen Demokratie ist überzeugend nicht erfolgt. Aber es gibt interessante Ansätze in dieser Richtung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte dies zu Ende führen.Es gibt keinen einheitlichen Typus der kommunistischen Partei mehr. Wer die Schwierigkeiten bei der Vorbereitung der Konferenz sieht, muß dies feststellen. Was steckt denn dahinter? Die kommunistischen Parteien Westeuropas haben einsehen müssen, daß die Diktatur des Proletariats als Machtfrage nicht mehr realisierbar ist. Demokraten sollten darüber froh sein und sich nicht immer in die Defensive begeben.
Viertens. Welche Konsequenzen ergeben sich für unsere Sicherheit? Die Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der NATO ist der Wille zur Wahrung der Demokratie. Man kann die Demokratie nicht schützen, indem man demokratische Wählerentscheidungen außer Kraft setzt. Das bedeutet: Eingriffe in die nationale Souveränität -- zum Beispiel Italiens -- scheiden aus.Natürlich können Wahlergebnisse das NATO- Bündnis gefährden und eine Regierung unter Beteiligung der kommunistischen Partei wäre nur begrenzt bündnisfähig. Auch das ist klar. Das heißt: Das Bündnis müßte sich bei einer Beteiligung kommunistischer Minister der neuen Situation anpassen. Es wäre schlimm, wenn die NATO dazu nicht in der Lage wäre. Dann bestände in der Tat die Frage, ob Europa wegen einer kommunistischen Partei in Italien, die 30 % hinter sich hat, kapitulieren muß. Wir beantworten die Frage mit Nein.
— Na, da gehen Sie doch mal zu Herrn Wörner! Der wird Ihnen schon ein bißchen erzählen, welche strategischen Probleme hier anstehen. Sie wissen doch auch sonst eine ganze Menge zu fragen, Herr Kollege Jäger.
Was ist da heute morgen alles durchgeklungen, zum Beispiel in den Ausführungen des Kollegen
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16880 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
FriedrichCarstens: der deutsche Steuerzahler werde prüfen müssen, ob er Kredite gebe! Und Herr Biedenkopf stellt die EG-Grundlage in Frage. Herr Heubl hat es sich sehr leicht gemacht, indem er sagte: Dann werden wir die Beziehungen zur DC abbrechen. Ich nehme an, daß er nicht deshalb in seiner Landesversammlung so schlecht bedient worden ist. Das ist ja ein ganz großes Wort.Die entscheidende Frage, auf die die Union bis heute nicht geantwortet hat, lautet: Sind Sie der Meinung, daß Italien dann aus der Europäischen Gemeinschaft ausgeschlossen werden muß? Wenn Sie das heute andeuten, müssen Sie darlegen, was Sie den einigen hunderttausend Bauern in Bayern und Baden-Württemberg sagen, die sich in ihrer ganzen wirtschaftlichen Existenz auf Italien eingestellt haben. So, wie sich Herr Carstens heute erklärt hat, muß ich annehmen, daß Ihnen die ganze wirtschaftliche Existenz dieser Landwirte gleichgültig ist und daß Sie wieder eine Weltanschauungsfrage höher-stellen.
Interessant ist, wie der Mann, der heute in Amerika als der Spitzenkandidat der Demokraten für das Amt des Präsidenten gilt, zu dieser Frage Stellung genommen hat. Jimmy Carter hat in „Newsweek" folgendes erklärt:Ich halte es für kurzsichtig, öffentlich mit Breschnew und den anderen Führern der Sowjetunion zu verhandeln und uns zugleich zu weigern, politische Führer in einem NATO-Land, die kommunistisch sind, zu verstehen und sich mit ihnen vertraut zu machen. Ich glaube, daß wir die demokratischen Kräfte in Italien nachhaltig unterstützen sollten. Dennoch sollten wir den kommunistischen Führern in Italien nicht die Tür für eine Freundschaft mit uns zuschlagen. Ich hasse es, von vornherein um Italien eine Mauer zu ziehen, falls die Kommunisten erfolgreich sein sollten. Ich persönlich glaube, daß, wenn man jenen starren Standpunkt einnimmt, der an Drohung und Ultimatum grenzt — „Wir schließen euch aus der NATO aus, wenn ihr für kommunistische Führer stimmt" — es die Kommunisten in eine gute Ausgangsposition gegenüber den italienischen Wählern bringt, die dann denken würden: „Wir lassen uns nicht von den Amerikanern sagen, wie wir zu wählen haben."Auf die Frage „Wenn kommunistische Kabinettsmitglieder in einem wichtigen NATO-Land wären, könnten Sie damit leben?" fügte Carter hinzu:Das wäre eine Situation, der wir entgegentreten können, wenn diese Möglichkeit eingetreten ist. Wenn sie eintritt, könnte es besser für uns sein, eine italienische Regierung zu haben, die zumindest teilweise Kommunisten einschließt und mit der westlichen Welt verbunden ist, als eine unwiderruflich in den sowjetischen Machtbereich getriebene.Was heißt dies denn? Hier wird der Unterschied zwischen diesem Land und Amerika deutlich. Es ist heute in der Bundesrepublik nach der Wahl derKampfparole „Freiheit oder Sozialismus" nicht mehr möglich, über diese Frage nach politischen Kriterien zu diskutieren. Dies beweisen die Aussagen von Carter.Vor allem halten wir es für eine Schwäche von Demokraten, angesichts von Kommunisten in Panik auszubrechen. Wie sieht es denn mit den Wahlergebnissen in Europa aus? Bei den letzten Parlamentswahlen erreichten die kommunistischen Parteien in Belgien 3,2 %, in Dänemark 4,2 %, in Frankreich 21,3 %, in Großbritannien 0,1 %,
— das gefällt Ihnen nicht, Herr Marx, wenn einmal die Tatsachen hier auf den Tisch gelegt werden; da können Sie eben nicht mehr mit Ihren Vorurteilen arbeiten —,
in Irland 0,2 %, in Italien 27,2 %, in Luxemburg 9 % und in den Niederlanden 4,46 %. Nimmt man den Anteil der Bundesrepublik dazu, dann werden die Kommunisten in der Europäischen Gemeinschaft keine 7 % erhalten.In den übrigen demokratischen Staaten Europas kamen die Kommunisten in Griechenland auf 9,3 %, in Island auf 18,3 %, in Norwegen auf 1 %, in Portugal auf 14,6 %; in der Türkei ist die KP verboten. Das sind die restlichen NATO-Staaten.Im übrigen Europa sieht es folgendermaßen aus: in Finnland 18,9 %, in Malta 0 %, in Österreich 1,2 %, in Schweden 5,3 %, in der Schweiz 2,5 %.Was sich in der Panikmache der Union
— Panikmache und Hysterie — deutlich macht, ist die Unfähigkeit, mit den Kommunisten, nachdem sie 60 Jahre existieren und im Schnitt in Europa nicht über 10 % hinausgekommen sind, die geistige politische Auseinandersetzung aufzunehmen. Das ist die ganze Schwäche Ihrer Argumentation.
Gefährlich ist für Europa etwas ganz anderes. Gefährlich ist der Versuch, Kommunisten und Sozialdemokraten in ganz Europa, wie Herr Stücklen dies am Sonntag getan hat, in einen Topf zu werfen. Damit soll nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Europa das Tischtuch zwischen den Demokraten zerschnitten und der Konsens unmöglich gemacht werden. Den Slogan — denn mehr ist es ja nicht; dahinter ist ja keine Überzeugung — „Sozialismus oder Freiheit" wenden Sie an auf acht Regierungschefs Europas:
auf Olof Palme in Schweden, auf Jörgensen in Dänemark, auf Nordli in Norwegen, auf Callaghan in Großbritannien, auf Joop den Uyl in den Nieder-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16881
Friedrichlanden, auf Bundeskanzler Kreisky in Osterreich, auf Mintoff in Malta und auf Helmut Schmidt in der Bundesrepublik Deutschland. Die ganze Verlogenheit der Parole „Freiheit oder Sozialismus" wird allein durch diese Namen widerlegt. Mit wem wollen Sie denn die Freiheit Europas verteidigen, wenn nicht mit der Mehrheit derer, die von den Völkern Europas in freien Wahlen beauftragt sind? Der demokratische Sozialismus ist in freien Wahlen in Europa beauftragt worden.
— Halten Sie Olof Palme nicht mehr für einen Europäer, oder haben Sie beim Geographieunterricht gefehlt, als Schweden dran war?
Die Trennung der Sozialdemokraten zu den Kommunisten ist klar. Wir Sozialdemokraten sagen nein zur Diktatur des Proletariats, wir sagen nein zum Postulat des proletarischen Internationalismus mit seinem Alleinvertretungsanspruch, wir müssen den bürokratischen Zentralismus der Kommunisten entschieden ablehnen, was wir immer getan haben, und wir haben immer nein gesagt und sagen nein zum Elite-Denken des Leninismus.
Wir haben vor dem Kommunismus keine Angst, weil wir der Meinung sind — dies hat vor allem Portugal bewiesen —, daß er für die europäischen Völker keine politische Verheißung mehr ist und daß er sich in freien Wahlen nicht durchsetzen kann.
Wir Sozialdemokraten sehen Europa mit dem Fundament der sozialen Demokratie; denn die soziale Demokratie ist für uns die höchste Ausformung der europäischen humanen Idee von Freiheit und Gerechtigkeit; dies sind auch unsere Grundwerte.
Die Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit in einer staatlich-europäischen Ordnung ist unsere geistige Abgrenzung gegenüber den kapitalistischen Ideen, in denen die Freiheit der Wirtschaftsmacht den Anspruch auf Gerechtigkeit überwuchert und zugleich die soziale Verpflichtung des Staates zu ersticken droht.
Wir sehen in Freiheit und Gerechtigkeit unsere Abgrenzung gegenüber dem Kommunismus, der die Freiheit des Menschen oft wie ein bürgerliches Anhängsel behandelt und dadurch den Menschen in seiner Würde reduziert.
Dies ist unser Ziel, wenn wir vom künftigen Europa sprechen.Von dieser Position aus sehen wir heute die Bundesrepublik Deutschland, die mit ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität — daran ist nicht zu zweifeln — heute ein Eckpfeiler der Freiheit Europas ist.
Wo steht die Bundesrepublik heute? Nach sieben Jahren Regierungsverantwortung der SPD /FDPKoalition ist die Bundesrepublik Deutschland im westlichen Bündnis nach den USA das Rückgrat der Atlantischen Allianz bei der Verteidigung Europas, wir sind im Ost-West-Verhältnis nach den USA bedeutendster Partner der Sowjetunion, in der Europäischen Gemeinschaft durch die Verbindung von Wirtschafts-, Währungs- und sozialer Stabilität der krisenüberbrückende Faktor.Im Dialog mit den Ländern der Dritten Welt hat die Bundesrepublik als Großverbraucher und als Partner für Investitionen, aber auch als Staat, der Entwicklungshilfe gibt, großes Gewicht. Wenn wir nach Afrika blicken, so können wir feststellen, daß Afrika von Ihnen so behandelt wird wie sozialdemokratische Regierungen in Europa, was uns nicht wundert. Wenn es nach Ihnen geht, gibt es in Afrika fast kein Land mehr, dem wir Entwicklungshilfe geben können, weil jedes Land von Ihnen schon irgendwann einmal als kommunistisch bezeichnet worden ist.
Herr Todenhöfer besucht Kuba und spricht sich dort positiv zur Entwicklungshilfe aus. Dann fordert er auf, die Entwicklungshilfe für Angola zu sperren, weil dort Kubaner sind.
Das ist die Logik Ihrer Entwicklungshilfe.Die Bundesrepublik hat heute eine neue Situation gefunden, die sich im wesentlichen von der Rolle unterscheidet, die ihr die deutschen Konservativen seit der Gründung des Reiches 1871 gegeben haben. Es war August Bebel, der die Annexion von ElsaßLothringen mit dem Argument ablehnte, dies würde den nächsten Krieg bedeuten. Und seit Bebel hat die SPD den Gedanken einer völkerversöhnenden Außenpolitik vertreten. Sie hat allerdings 98 Jahre warten müssen, ehe sie dieses Prinzip zum Prinzip der deutschen Außenpolitik machen konnte.
— Herr Mertes, die Sozialdemokratie ist, nachdem sie so von Ihnen herausgefordert ist, bereit, Jahr um Jahr, Seite um Seite ihre Geschichte auf den Tisch zu legen und mit der Geschichte der deutschen Konservativen zu vergleichen.
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16882 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
FriedrichFordern Sie uns so nicht heraus! Wenn Sie es aber tun, müssen wir darauf antworten.
— Herr Kollege Mertes, die deutschen Konservativen haben leider nicht mit Konrad Adenauer begonnen. Sonst hätte es einen März 1933 nicht gegeben.
Die deutschen Konservativen gingen nicht von einer konfliktüberbrückenden Rolle des Deutschen Reiches aus,
sondern sie sahen das Deutsche Reich als einen zentralen Machtfaktor. Zum erstenmal versteht sich die Bundesrepublik Deutschland heute als ein konfliktüberbrückender Faktor. Was die Völker Europas heute von der Bundesrepublik Deutschland wünschen, ist, daß sie ein integrierender und nicht ein dominierender Faktor ist, daß sie nicht mit dem Weimarer Argument des Offenhaltens der nationalen Frage in der Undeutlichkeit der Mittel eine dauerhafte Friedenspolitik in Europa gefährdet.
Wenn man die Stimmen zum 3. Oktober dieses Jahres hört, stellt man fest, daß man im Ausland — ob das Schweizer, ob das Franzosen sind oder ob das der Osten Europas ist — diese Koalition wünscht, weil man weiß, daß die FDP und daß die SPD ihre Rolle als Machtfaktor in Europa nicht mißbrauchen werden.
In ihrer Außenpolitik — dazu sollte Herr Marx, wenn er sprechen sollte, oder Ihr Sprecher einmal etwas sagen — befindet sich die Bundesrepublik in voller Übereinstimmung mit ihren Bündnispartnern.
In der Mannheimer Erklärung der CDU wird z. B. Frankreich als Hauptpartner genannt. Wer sich das Kommuniqué der vergangenen Woche ansieht, das Giscard nach den Gesprächen mit Gromyko herausgegeben hat, muß feststellen, daß die französische Regierung dem Satz zugestimmt hat, daß der Entspannung ein dauerhafter Charakter gegeben werden muß. Die französische Regierung hat als erste begonnen, die Schlußakte von Helsinki mit bilateralen Vereinbarungen auszufüllen. Es wird Ihnen also nicht gelingen, einen Unterschied zwischen der Politik der französischen Regierung und der Politik der deutschen Regierung in den Grundfragen der Außenpolitik nachzuweisen.
— Herr Kollege Marx, fragen Sie doch einmal den Kollegen Arndt, der unlängst in Paris war, wie oft er angesprochen worden ist
auf die Wünsche des Kollegen Dregger nach Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der französischen Nuklearmacht! Nur gibt es keinen Franzosen, der bereit wäre, Sie zu beteiligen und diese Ihre Wünsche zu erfüllen. In der einen Frage sind Sie nicht bereit, die Entspannungspolitik zu tragen, in der anderen Frage erhalten Sie von Frankreich nicht das, was Sie wünschen.
Zur Politik der Vereinigten Staaten: Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, werden erklären müssen, wie Sie in der geographischen Lage der Bundesrepublik Deutschland internationale Politik verantworten wollen, wenn nicht gemeinsam mit unseren wichtigsten Bündnispartnern.
Wie wollen Sie das verantworten?
Fragen Sie doch einmal Herrn Kohl! Es ist sehr interessant, die Pressemeldungen über das zu lesen, was er in Washington von sich gegeben hat. Da ist einiges anders als im Wahlkampf hier in der Bundesrepublik Deutschland.Der Wille zur Entspannung wird auch künftig unsere Politik bestimmen. Zu ihr gibt es keine Alternative.
Das ist inzwischen unbestritten. Unbestritten ist auch, daß militärische und wirtschaftliche Sicherheit allein den Demokratien der Industriegesellschaft nicht die Zustimmung der Bürger bringt und daß sie mit militärischem und industriellem Komplex allein die Sicherheit Europas nicht verteidigen werden.
Die Probleme Südeuropas sind soziale Probleme. Dann müssen Sie aber auch die Konsequenzen aus dieser Politik ziehen und in der Sozialpolitik nicht eine Politik anstreben, die die soziale Balance dieses Landes zum Kippen bringt.
- Herr Mertes, ich mache Ihnen einen Vorschlag.Lesen Sie doch einmal, was Ihr Parteifreund Stol-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16883
Friedrichtenberg in der Mai-Nummer der Zeitschrift „Manager" geschrieben hat:
Die Gewinne der Unternehmen müssen erhöht werden, das Steuersystem muß geändert werden. Um das Versicherungssystem der Bundesrepublik zu ändern, soll eine unabhängige Expertengruppe eingesetzt werden. Herr Blüm und Herr Katzer sind gar nicht mehr gefragt. Es ist ja klar, daß Sie den Managern zeigen müssen, was Sie für die Schecks, die Sie sich für den Wahlkampf erhoffen, nachher zu bieten haben. Das müssen Sie doch tun.
— Ja, da fühlen Sie sich getroffen, und Sie fühlen sich zu Recht getroffen. — Wir haben die Bedenken, daß die soziale Balance, die wir in sieben Jahren erreicht haben, kippen wird, wenn Herr Kohl Kanzler wäre und Herr Biedenkopf und Herr Strauß ihm die rechte und die linke Hand führen würden. Dies würde die Balance in diesem Lande kippen.
Wir werten die KSZE positiv, weil die Konferenz in Helsinki zum Test für die außenpolitische Solidarität der neun EG-Länder geworden ist, positiv, weil wichtige Vorbedingungen für eine Zusammenarbeit zwischen Ost und West, aber auch für eine größerere Zusammenarbeit im Westen geschaffen wurden. Alle Teilnehmerstaaten der KSZE, also auch die Sowjetunion, gingen dabei von ihren Maximalforderungen ab. Dies war nicht zuletzt ein Erfolg der Bundesregierung. Dabei haben alle Staaten erkannt, daß es im Moment unlösbare Fragen gibt. Für die Bundesregierung kam es aber darauf an, solche unlösbaren Fragen, z. B. die Wiedervereinigung Deutschlands, offenzuhalten.Die Union versucht nun dem Wort „Entspannung" eine Bedeutung zu unterschieben, die es ihr ermöglichen soll, Entspannungspolitik als Kapitulantentum zu diskreditieren.
Was heißt nun „Entspannung"? Entspannung ist für uns ein Mittel der Begrenzung der Formen des Ost-West-Konflikts. Sie hat nie — das haben wir von Anfang an gesagt — die Chance geboten, den Ost-West-Konflikt als Ganzes zu beenden, aber sie war notwendig, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu begründen, das eine dauerhafte Friedensregelung in Mitteleuropa ermöglicht. In diesem Sinne ver-stehen wir Entspannung als eine Verringerung von Spannung, und wir haben dieses Ziel erreicht.
Es kann in unserer außenpolitischen Konzeption nicht ein „Entweder-Oder" zwischen Westpolitik und Ostpolitik oder Nord-Süd-Politik geben, sondern diese Regierung hat eine der Weltsituation angemessene Gesamtkonzeption der Außenpolitik geschaffen.Wir müssen nun fragen: Was ist denn die Gesamtkonzeption der Union, wer sind ihre Partner? Im Februar 1975 hat der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Richard von Weizsäcker in einem Aufsatz, überschrieben „Chance der Krise", die Sätze geschrieben:Die Staatsführung steht vor gigantischen Aufgaben in der internationalen Politik und in der eigenen Gesellschaft. Die Einsicht der Burger, daß ungeschminkte Vorhersagen und langfristige Zielsetzungen notwendig sind, auch wenn sie eingefahrenen Gewohnheiten widersprechen, ist größer als die Sucht der Wähler nach neuen Versprechungen.Soweit Richard von Weizsäcker.
15 Monate nach dem Niederschreiben dieser Sätze müssen wir fragen: Wo sind denn die ungeschminkten Vorhersagen der Union, wo sind denn ihre langfristigen Zielsetzungen? Aus der Chance der Krise wurde der Rückzug in die Gnade der Stunde der Angst. Das ist Ihr Konzept.Sieben Jahre Opposition
in der Außenpolitik waren sieben Jahre des Neinsagens, waren sieben Jahre der Verweigerung jeder Zusammenarbeit mit der Regierung bei der Wahrnehmung der deutschen Interessen im Ausland.
Sieben Jahre hindurch hat sich die Union an das „Ich sage nein" des CSU-Vorsitzenden und an das „So nicht" des CDU-Vorsitzenden Barzel gehalten, und sieben Jahre haben Sie das Gemälde vom Untergang Deutschlands mit immer düstereren Farben gemalt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ?
Nein, ich möchte zum Schluß kommen, da meine Zeit abläuft.Was Sie nun anbieten, sind zwei Parolen. Die eine: „Freiheit oder Sozialismus". Die andere, von Franz Josef Strauß: „Die Europäer sind total degeneriert."
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16884 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Friedrich— Ja, Franz Josef Strauß: „Die Europäer sind total degeneriert. Sie sind aus der Geschichte ausgetreten." Und erst am Wochenende hat Strauß bestätigt, er habe das nur nicht scharf genug gesagt. Als ich am 25. November von diesem Platz aus sagte,
Strauß sei ein — so würde ich heute sagen — Barockfürst des konservativen Nihilismus, da hat Herr Kohl gefragt: Wie können Sie den Politiker Strauß als einen konservativen Nihilisten bezeichnen?
— Ja, das ist Ihre Vorstellung von Demokratie.
Was ist denn das Wort „Die Europäer sind total degeneriert" anderes als der Spenglersche Nihilismus der 20er Jahre, der Europa dem Radikalismus zugeführt hat?
Wir sehen Europa nicht mit den Augen derer, die meinen, daß Panikmache genügt, um ihnen eine Vollmacht zu geben. Wir sehen Europa als einen Kontinent, der in seiner Verbindung von geistiger, politischer, ökonomischer und sozialer Mobilität nach wie vor der Kontinent der höchsten menschlichen Intensität in dieser Welt ist,
und deshalb sehen wir im Gegensatz zu Strauß, derEuropa keine Chance gibt, eine Chance für Europa.
Die Nation in diesem Europa — sie ist gespalten, aber nicht tot. Die tiefe Wunde, die uns diese Spaltung ist, darf nicht dahin führen, daß uns unser ganzes Empfinden allein diesem Schmerz um die gespaltene Nation ausliefert, denn dies würde uns unmöglich in die Verantwortungsposition führen, die wir einnehmen müssen. So wenig ein einzelnes Volk für sich allein leben kann, so wenig können sich die Deutschen der Bundesrepublik der Pflicht entziehen, ihre politische Aufgabe in der Welt wahrzunehmen. Die Regierung Schmidt /Genscher ist der Pflicht dieser Verantwortung gerecht geworden.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Friedrich, es stimmt gar nicht, daß wir Europa keine Chance geben. Wir geben Europa eine große Chance.
Wir geben Europa sogar eine größere Chance,
wenn Sie im Oktober nicht mehr an die Regierung kommen.
Ich fand Ihre Ausführungen in hohem Maße interessant.
— Ja, ich fand sie interessant. Ich werde gleich einiges dazu sagen.Für Sie ist der Sozialismus, wie Sie sagen, eine große Bewegung voller hehrer Ideale, nur die Praxis habe diese Ideale immer verfälscht. Sie wollen sie dann anscheinend richtig praktizieren. Das Leidige an der sozialistischen Bewegung ist doch gerade, daß sie allüberall dort, wo sie wirklich Gelegenheit hat, praktiziert zu werden, zu Unfreiheit und Inhumanität führt.
Deswegen ist der Gegensatz in der Diskussion „Freiheit oder Sozialismus" in hohem Maße aktuell. Sie haben diesen Gegensatz heute in keiner Weise ausgeräumt.
Ich finde es in hohem Maße bedenklich, wie Sie die Entwicklung zur Beteiligung von Kommunisten an europäischen Regierungen verniedlichen. Sie bauen offensichtlich die Widerstände dagegen jetzt ab.
Sind Sie sich denn letztlich darüber im klaren, wie es mit der Loyalität der Kommunisten steht? Sie beschwören immer, daß es in der Zwischenzeit zu Differenzierungen unter den kommunistischen Parteien gekommen ist. Vielleicht hat die Loyalität gegenüber Moskau um 10 oder 20 % nachgelassen. Aber eine zu 80 % gegenüber Moskau loyale kommunistische Partei ist immer noch eine in hohem Maße gefährliche Angelegenheit und wird damit zu einem Sicherheitsrisiko innerhalb des westlichen Bündnisses.
Lassen Sie mich gerade an die kommunistische Partei erinnern, die der Herr Bundeskanzler, der bei der Beratung des Etats nicht zugegen ist — er hat vielleicht andere Verpflichtungen — —
-- Es lohnt sich vielleicht für den Bundeskanzler nicht, bei der Beratung des Etats für seine eigene Außenpolitik anwesend zu sein. Wenn Sie das so meinen, stimme ich dem sehr gern zu.Die französischen Kommunisten waren nur so lange loyal, bis Hitler in Rußland einmarschiert ist. In den Widerstand gingen sie nämlich erst ab dem 22. Juni 1941. Davor standen sie an einer völlig anderen Front.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16885
Dr. AbeleinEs zeigt das völlig unhistorische Bewußtsein Ihrer maßgeblichen Politiker, daß sie diese Dinge nicht gesehen haben. Das heißt, Sie betreiben nach wie vor eine fahrlässige Politik. Sie haben aus den jüngsten historischen Entwicklungen nichts, aber auch gar nichts gelernt.Nun möchte ich Sie noch einmal auf eine sehr wichtige Unterscheidung aufmerksam machen, anknüpfend an das, was Max Weber hierzu gesagt hat. Es ist die Unterscheidung zwischen „sozial" und „sozialistisch". Eine der großen Irreführungen, die Sie vollführen, liegt darin, daß Sie den Wählern und der Bevölkerung vormachen, „Sozialismus" sei identisch mit „sozial".
Das aber stimmt gerade nicht. Das ist eine uralte Antinomie, die Sie natürlich ständig geschickt kaschieren und deren Verkennung in vielen Köpfen — hauptsächlich der jungen Generation — gespeist aus Idealismus die Vorstellung erweckt, hier gehe es um soziale Gerechtigkeit. Hier geht es um sozialistische Gerechtigkeit. Das ist etwas völlig anderes.
Ich bestreite Ihnen gar nicht, daß Sie das Ideal der Gerechtigkeit anstreben. Aber darüber sind schon große Diskussionen und Auseinandersetzungen im Laufe der menschlichen Geschichte geführt worden. Was Sie suchen, ist eine sozialistische Gerechtigkeit, d. h. eine Gestaltung des menschlichen Daseins unter den Regelungen und Reglementierungen des Kollektivs. Gerade das wollen wir nicht.
Wir wollen der freiverantwortlichen Einzelpersönlichkeit und den natürlichen Gruppierungen wie der Familie eine freie Entwicklung sichern. Ich finde gerade eine Haushaltsdebatte mit diesem übermäßigen Anteil, mit dieser Beanspruchung des Sozialprodukts durch die öffentliche Hand deutet überdeutlich darauf hin, was Sie unter „sozialer Gerechtigkeit" verstehen, nämlich eine Ordnung durch die staatlichen Behörden, ein absolutes Mißtrauen gegenüber den einzelnen Bürgern, die Sie für unfähig halten,
mit dem Geld besser umzugehen, als Sie, die sozialistischen und linksliberalen Mitglieder in dieser Regierung, das für sich beanspruchen.
Sie haben von Wahlgeldern gesprochen, die wir von den Unternehmern erhalten haben. Ich möchte eigentlich nur mit einem Schlenker darauf eingehen. Das ist eigentlich ein Problem, dem Sie sehr viel näher stehen; denn mit zu den größten Unternehmern und Kapitalisten gehören heute die Gewerkschaften, die doch auf Ihrer Seite in der Politik, leider in Außerachtlassung ihrer eigentlichen neutralen Position, die sie einnehmen müßten, stehen. Dort müßten Sie einmal die Frage stellen, wo es zu freiheitlichen Bedrohungen durch die Fusion von Kapital und Vertretung der Arbeitnehmer kommt.Nun möchte ich aber überleiten zu einem anderen Problem, wobei Sie mir die Überleitung sehr leichtgemacht haben, weil Sie nämlich sagten, Herr Friedrich, wir hätten immer schwarzgemalt, hätten sieben Jahre lang vom Untergang Deutschlands geredet, und Deutschland ist sieben Jahre lang nicht untergegangen. Niemand hat das auch behauptet. Aber seit Sie an der Regierung sind, gibt es gewichtige internationale Stimmen, die davon reden, Deutschland als Gesamtes, das Deutsche Reich sei untergegangen. Das heißt, das haben wohl Sie fertiggebracht, während wir hier eine Barriere gehalten haben.Nun lassen Sie mich zu dem kommen, was hauptsächlich Sie, Herr Genscher, gesagt haben. Die Deutschlandpolitik der gegenwärtigen Regierungskoalition der SPD und FDP ist in der Konzeption, im Ansatz und in der Durchführung falsch. Ich behaupte gar nicht, sie sei unredlich. Unredlich ist sie vielleicht in den Köpfen von einigen; der Regierung werfe ich Unredlichkeit überhaupt nicht vor. Diese Politik ist schlicht falsch. Die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung wollte die zweifellos bis in die 60er Jahre hereinreichende, von seiten der Sowjets in Deutschland betriebene Abgrenzung überwinden. Sie wollten im Gegensatz zu der Politik früherer Regierungen eine politische Annäherung zwischen beiden Teilen Deutschlands herbeiführen, die zu menschlichen Erleichterungen führen sollte, hauptsächlich für die Bevölkerung in der DDR. Die deutsche Nation sollte sich nähergebracht werden; sie sollte dadurch gestärkt werden.Wir stellen jetzt fest, daß in der Zwischenzeit, seit Sie an der Regierung sind, ein Ausmaß der Abgrenzung zwischen beiden deutschen Staaten erreicht worden ist, das die Situation vor der Bildung der gegenwärtigen Bundesregierung erheblich übertrifft.
Das werde ich Ihnen nachweisen, Herr Genscher. Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, die Politik der Abgrenzung der DDR und der Sowjetunion zwischen beiden deutschen Staaten zu überwinden oder gar zu mildern. Im Gegenteil: die Maßnahmen der Abgrenzung von seiten der DDR und der Sowjetunion haben seit Bestehen dieser Bundesregierung eine bis dahin völlig ungekannte Steigerung erlebt.Dieser zeitliche Zusammenhang bedeutet keinen zufälligen Zusammenfall, sondern er bedeutet auch einen ursächlichen Zusammenhang. Die Aufgabe wichtiger Grundsätze der Deutschlandpolitik und die Öffnung für die internationale Anerkennung von zwei deutschen Staaten mußte geradezu zwangsläufig zu einer weiteren Entfernung und Entfremdung zwischen den beiden deutschen Staaten führen. Die Bemühungen, auf rein menschlicher Ebene, gleichsam unter der Schwelle der politischen Beziehungen eine größere Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten zu erreichen, sind zweifellos lobenswert, aber die Erfolge, die Sie dadurch
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16886 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. Abeleinerzielt haben, sind völlig unzulänglich geblieben, und gleichzeitig ist festzustellen, daß die Ergebnisse auf der politischen, auf der völkerrechtlichen und der rechtlichen Ebene genau eine gegenteilige Entwicklung durchgemacht haben. Daraus ergibt sich, daß auch Ihre Konzeption der Deutschlandpolitik falsch war. Auch die erheblichen, geradezu phantastischen politischen Vorleistungen, die leichtfertige Weggabe politischer Positionen nur für Erwartungen und Hoffnungen haben es nicht vermocht, die Gegenseite zu einem stärkeren Einlenken in Richtung auf die Wünsche dieser Bundesregierung zu bewegen. Heute bekamen wir wieder eine Demonstration für die völlig falsche Voraussetzung, die Sie bereits zu Beginn dieser Außenpolitik gelegt haben und die darin besteht, daß Sie den Charakter von autoritären sozialistischen Regimen völlig verkennen.
In der Zwischenzeit hat die Bundesregierung manches versäumt — trotz verbaler Ankündigungen von seiten des Bundeskanzlers. Darin liegt ja seine große Stärke. Mit Worten ist er zweifellos der Allergrößte. Aber auch seine Amtsführungen in vorangegangenen Ministerien, die er wahrgenommen hat, waren nicht gerade sehr überzeugend. Er setzt als Bundeskanzler diese Tradition nur noch fort.
Die wenigen noch verbleibenden wirtschaftlichen und finanziellen Mittel zum Nutzen einer Deutschlandpolitik einzusetzen, die dem Zusammenhalt der Nation und wirksamen Erleichterungen für die Menschen und der Realisierung der Menschenrechte in Deutschland dient, haben Sie absolut unterlassen. Im Gegenteil, Sie haben Millionen und Milliarden für Zahlungen in der Zwischenzeit erbracht, ohne auf irgendeinem Gebiet, auch nicht auf politischem, entsprechende Gegenleistungen zu erhalten.Sie, Herr Genscher, haben heute die deutsche Nation beschworen. Sie nötigen mir im übrigen, wenn Sie Ausbrüche der Bekenntnisse hier leisten, immer eine gewisse Bewunderung ab. Ich muß immer wieder feststellen, Herr Genscher, daß Sie eigentlich Positionen hier vertreten, die von uns auch nicht anders vertreten werden oder vertreten worden sind. Aber in Ihren Taten, in dem, was Sie politisch ermöglichen, stehen Sie in einer ganz anderen Front. Was ich Ihnen jetzt sage, können Sie als Kompliment verwerten. Ich bewundere immer wieder die Behendigkeit, mit der Sie verbal unsere Positionen vertreten, faktisch aber hier eine sozialistische Deutschlandpolitik mit tragen, wie Sie taktieren und changieren. Sie verdienen, wenn überhaupt einer in der deutschen Politik, den Titel des Figaro der deutschen Politik.
Die abschüssige Entwicklung für die deutsche Nation während der Phase dieser Regierung gehört zu den unheilvollsten Phasen in der Geschichte der deutschen Nation überhaupt. Diese Entwicklung hat sich lange angekündigt. Sie begann bereits bei derFormulierung des Grundlagenvertrages, bei dem Sie gegenüber der DDR nachgegeben haben. Sie haben Ihre eigenen Forderungen, die deutsche Nation zum Gegenstand des Grundlagenvertrages zu machen, hintenangestellt. Ich erinnere an die immer schwächer werdenden Bekenntnisse zur deutschen Nation, bis dieser Begriff dann in der Regierungserklärung des gegenwärtigen Bundeskanzlers überhaupt nicht mehr aufgetaucht ist. Das deutet darauf hin, daß auf diesem Gebiet von der Bundesregierung schon zu Beginn ihrer Politik nicht viel zu erwarten war und daß auch in Zukunft nicht mehr viel zu erwarten ist.Unter dem Schlagwort — Sie haben es heute wieder beschworen , die Bundesregierung und die Bundesrepublik müßten wieder den Anschluß an die allgemeine internationale Entwicklung gewinnen, haben Sie diese Politik mit initiiert. Heute wurde es wieder gesagt.
Wir hatten doch die internationale Gemeinschaft mit unserer Politik. Es waren doch nur 14 Staaten, hauptsächlich die Staaten des Sowjetblockes, die unsere deutschlandpolitischePosition, unser Deutschlandmodell nicht anerkannt haben. Wir waren doch alle konform mit der ganzen Welt. Sie haben doch diese Gemeinsamkeit ohne jegliche Notwendigkeit leichtfertig aufgegeben.
Sie haben sie dadurch mit aufgegeben, daß Sie bereits in Ihrer ersten Regierungserklärung ohne jegliche Notwendigkeit die sowjetische Theorie von den zwei deutschen Staaten übernommen haben, noch nicht einmal nach vorheriger Konsultation mit unseren engsten westlichen Partnern. Das ist doch die Situation. Nicht wir waren isoliert, sondern Sie treiben jetzt in eine internationale Isolation auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik.
Ihr Bundeskanzler, der von uns nicht gewählt, aber der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist, trägt gegenwärtig sicher nicht mit dazu bei, eine größere Gemeinsamkeit im westlichen Lager zu erreichen. Mit dieser taktlosen und politisch schädlichen Kraftmeierei, die er gegenwärtig betreibt, verstimmt er reihenweise westliche Partner, die wir eigentlich für die Unterstützung unserer Deutschlandpolitik brauchen.
Darf ich eine Frage klären? Ich gehe davon aus, daß ich 20 Minuten Zeit habe. Jetzt sind 15 Minuten um, und ich habe rotes Licht.
Die Fraktion hat 20 Minuten beantragt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16887
Lassen Sie mich kurz auf die Situation an der innerdeutschen Grenze eingehen, ein Thema, das Sie hartnäckig verschweigen. Die innerdeutsche Grenze und Berlin sind letztlich der Maßstab, an dem die innerdeutsche Situation und der Erfolg Ihrer Politik gemessen werden müssen.
Was haben wir in der Zwischenzeit erreicht? Größere Durchlässigkeit der innerdeutschen Grenze, wie Sie das versprochen haben? Wir haben ein nahezu perfektes System der Grenzsicherung und Abgrenzung der beiden deutschen Staaten, bestehend aus doppeltem Stacheldrahtzaun, Metallgitterzaun, Schutzstreifenzaun, Kolonnenwegen, Lichtsperren, Erdbunkern, Beobachtungstümern, Hundelaufanlagen. Es wäre einmal der Mühe wert, im einzelnen aufzuzeigen, mit welcher Perfektion diese Grenze während Ihrer Regierungszeit ausgestaltet worden ist, also während einer Zeit geradezu unglaublicher politischer Vorleistungen und Konzessionen ohne entsprechende Gegenleistung und Zahlungen, die nahezu einem finanziellen Ausverkauf gleichkommen.
Ich lasse nur stichwortartig anklingen, worum es noch weiter geht. Zwangsadoption, ständig, jeden Tag, Schüsse entlang der Zonengrenze. Die Dunkelziffer der Morde ist doch viel größer als das, was die Behörden der Bundesregierung ermitteln. Die Grenze hat ohne Berliner Mauer in der Zwischenzeit über 5,5 Milliarden DM gekostet. Das Traurige und Tragische dabei ist, daß diese Bundesregierung zu diesem Bau, zu dieser Institution der Unmenschlichkeit maßgeblich beigetragen hat,
weil, wie zu vermuten ist, aus diesen Geldern einiges in diese Veranstaltungen der Unmenschlichkeit auf deutschem Territorium geflossen ist. Und wenn Sie, Herr Wehner, jetzt aufmerken, ist das für mich ein sicheres Zeichen dafür, daß ich damit einen ganz wunden Punkt Ihrer politischen Position berührt habe.
Und was macht die Bundesregierung? Sie verniedlicht, spielt herab, äußert gelegentlich einen verbalen Protest, den sie selbst als Routine begreift und nicht mehr ernst nimmt, den deswegen auch die DDR unbeachtet läßt.
Wir sind in der Zwischenzeit der Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten. Und was macht die Bundesregierung? Gar nichts. Sie nutzt diese internationalen Rechtsinstrumente in keiner Weise aus. In der UNO zahlen wir mit die höchsten Beiträge, und in der Zwischenzeit hat die Bundesregierung auch den Ehrgeiz entwickelt, über das Schicksal anderer Länder auf dieser Welt im Sicherheitsrat mit zu entscheiden, zu einem Zeitpunkt, wo sie sich nicht getraut, diese elementaren Probleme der Bevölkerung in unserem eigenen Lande dort zur Sprache zu bringen.
Auch der Fall Gartenschläger hat sie nicht dazu veranlaßt, irgend etwas außer papierenen Protesten zu unternehmen. Ich behaupte gar nicht, daß der getötete Gartenschläger ein großer Held war. Aber verantwortlich und schuldig, und zwar im strafrechtlichen und moralischen Sinn, für diesen menschenrechtswidrigen Zustand sind nicht diejenigen, die die menschenrechtswidrigen Mordanlagen zu beseitigen versuchen, sondern diejenigen, die diese Mordanlagen installiert haben.
Und mitschuldig an diesen Ereignissen macht sich eine Bundesregierung, die nicht mehr als die gegenwärtige unternimmt.
Bezeichnend für die ängstliche und unergiebige Politik dieser Bundesregierung in der deutschen Frage ist auch die Entwicklung des Projekts der Deutschen Nationalstiftung. Überraschend ist die Haltung der Bundesregierung keineswegs. Wir sind bereits durch die Äußerungen des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit der Errichtung des Umweltbundesamtes vorbereitet worden. Damals hat Helmut Schmidt ja bereits zum Ausdruck gebracht, daß er keine weiteren internationalen Streitfälle dieser Art produzieren wolle, woraus sich ergibt, daß sich im Endeffekt seine Auslegung des Viermächteabkommens über Berlin von der sowjetischen zumindest im Hinblick auf die praktischen Ergebnisse nicht sehr wesentlich unterscheidet. Wenn Sie nicht mehr Entschlossenheit zeigen, die Abkommen, um in Ihrer eigenen Terminologie zu sprechen, mit mehr Leben auszufüllen, in diesem Fall auch das Viermächteabkommen, um auf diese Weise die Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin zu stärken, können Sie nicht erwarten, daß unsere westlichen Partner unsere Interessen noch „deutscher" vertreten, als wir selbst es tun.
Einen Satz zu Berlin. Die Situation Berlins ist nicht sicherer geworden. Sie wird tagtäglich — bis auf die letzten Ausgaben des „Neuen Deutschland" — bestritten. Die Folgeverträge zum Grundlagenvertrag, eine der großen Ankündigungen, womit Sie Ihre Vorleistungen zu rechtfertigen versuchen — mir fehlt die Zeit, darauf einzugehen; es genügt, das Ergebnis festzustellen —, sind kläglich. Sie haben bisher nur drei von zahlreichen Abkommen überhaupt verwirklichten können.
Diese Abkommen enthalten großenteils Selbstverständlichkeiten, Unklarheiten, und ein Teil des darin niedergelegten Inhalts ist sogar geeignet, gewisse Positionen nicht zuletzt im Zusammenhang mit Berlin noch weiter zu schwächen.
Herr Abgeordneter, denken Sie an den Schluß.
Ich komme zum Schluß. —Über die finanziellen Auswirkungen wird noch mein Kollege Wohlrabe sprechen. — Welches ist denn unsere Alternative? Das möchte ich noch sagen. In-
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Dr. Abeleinsofern gibt es tatsächlich keine, als wir viele schwerwiegende Fehler dieser Bundesregierung und finanzielle Vorleistungen leider nicht mehr werden rückgängig machen können. Aber wir können wenigstens diese falsche Politik beendigen. Wir können eine Politik der Gespräche, Verhandlungen und Verträge betreiben, die wir auf der Grundlage der Gegenseitigkeit haben wollen. Wir können wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen für die Interessen des deutschen Volkes, Deutschlands, für die deutsche Nation, einsetzen.
— Ich bin am Schluß. — Wir können die internationalen Instrumente stärker einsetzen, als diese Bundesregierung es getan hat. Wir können mehr tun, um die Verträge, das Berlin-Abkommen mit Leben auszufüllen, und zwar in einer Interpretation dieser Verträge in unserem Sinne, die durchaus möglich ist.Das ist es, was wir für den Fall in Aussicht stellen, den wir alle erhoffen, daß wir nach dem 3. Oktober die Regierung stellen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Deutschlandpolitik ist heute schon manches gesagt worden. Ich meine, daß es notwendig ist, noch einmal die Positionen klarzustellen, damit wir uns nicht im Verbalen verlieren, wie es hier beklagt wird. Ich möchte darum nochmals konkretisieren, wie wir dieses Thema sehen. Ich meine, das gehört dazu.Ich stelle an den Anfang meiner Ausführungen die Aussage und bringe dazu auch die Belege, daß die Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition und der Bundesregierung ihre Absichten, die Absichten dieser Regierung, zielstrebig verfolgt und dabei eindeutige Erfolge erreicht hat. Unsere Absicht war es, ein Verhältnis geordneter Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten unter Bedingungen herzustellen, die es uns erlauben, die deutsche Frage über einen Zeitraum von unbestimmter Dauer hinweg wirksam offenzuhalten und durch die Erhaltung und Vermehrung der Verbindungen zwischen den Menschen das Leben der deutschen Nation zu bewahren. Das ist unsere Absicht gewesen, und diese Politik haben wir, meine ich, sehr erfolgreich betrieben.Darf ich einmal darauf abheben, wie in früheren Zeiten das Thema der Deutschlandpolitik im Konkreten dargestellt wurde. Einer unserer Kollegen, der im Jahre 1965 Minister für gesamtdeutsche Fragen war, sagte zu diesem Thema:Die Politik der kleinen Schritte — und darum geht es ja, was uns direkt an die Hand gegeben ist ist keine Wiedervereinigungspolitik, sondern ein bescheidener Versuch, unsere Ausgangsposition nicht zu verschlechtern.Für gesamtdeutsche Fragen war damals der Herr Kollege Mende zuständig, der außerdem meinte, für die großen Schritte, von denen Sie hier immer sprechen, sei erst eine Wiedervereinigungspolitik notwendig, die einzuleiten aber nicht in der Hand der Deutschen läge, sondern eine Sache der vier Großmächte wäre. Nun wissen wir, daß dazwischen noch sehr viel anderes liegt und daß wir unseren Teil dazu beisteuern können. Uns verbleibt es aber, zunächst einmal die Aufgabe zu erfüllen, die deutsche Frage offenzuhalten. Es gibt kein politisches Geschehnis seit 1969, keinen Vertragsabschluß, keine Vereinbarung, bei denen nicht die deutsche Frage in besonderer Weise offengehalten wurde. Diese Verträge konnten an unserer Rechtsposition nichts ändern. Das ist betont, und es wurde, weil es Ihnen nicht in den Kram paßte, von Ihnen geflissentlich unterschlagen. Anstatt daß wir in dieser Frage gemeinsam bemüht waren, haben Sie versucht, diese so wichtige Frage unterzupflügen, um einen Begriff zu gebrauchen, der hier heute schon verwendet wurde.Was wurde damals gefordert, was getan werden sollte? Leider hat sich an den Möglichkeiten nicht viel geändert: Ausweitung des gegenseitigen Reiseverkehrs, Ausbau des Interzonenhandels, intensivere Darstellung Mitteldeutschlands und seiner Probleme in Presse, Funk und Fernsehen,
das Anstreben eines Touristenverkehrs und die Unterstützung des Rentnerreiseverkehrs. Als mittlere Schritte bezeichnete Mende eine Verbesserung der Verkehrsverbindungen durch neue Grenzübergänge, das Ermöglichen eines kleinen Besucherverkehrs an der Zonengrenze, eine Wiederaufnahme der abgebrochenen Amtshilfe, stärkere Aktivierung der Familienzusammenführung. Sehen Sie, so konkret wurde das damals zu Ihrer Zeit als mögliche Aufgabenstellung umrissen.Wir haben uns nicht damit begnügt, das zu umreißen, sondern sind darangegangen und haben versucht, mehr zu tun. Ich glaube, das Ergebnis spricht dafür.Ich will ein Weiteres hinzufügen: Herr Mende hat damals auch gesagt, die Errichtung von paritätisch besetzten gemischten Kommissionen könne eine interessante Aufgabe sein. Inzwischen haben wir als Folge des Grundlagenvertrages für viele Bereiche Kommissionen, in denen Vertreter der Regierung der DDR und Vertreter der Bundesregierung sitzen, um Transitfragen, Verkehrsfragen und all die laufenden Dinge zu behandeln. Die Kommissionen tagen regelmäßig, um die Dinge, die zu beanstanden sind, die als vereinbart gelten und nicht eingehalten werden, klarzustellen, um also Mißstände zu beheben. Sie wirken im Interesse dessen, was zur Zeit möglich ist.Meine Damen und Herren, liebe Freunde — dies an meine eigenen Kollegen gerichtet —, wir haben uns niemals eingebildet und ich glaube, daß muß hier bestätigt werden — oder gar dem Volk versprochen, unsere Politik führe in einer absehbaren Zeit geradezu zwangsläufig zur Wiedervereinigung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16889
Bundesminister Frankeoder zur Selbstbestimmung der Deutschen in den beiden Staaten. Wir haben uns vielmehr an das Wort gehalten, das Bundeskanzler Willy Brandt am 14. Januar 1970 von dieser Stelle ausgesprochen hat. Er hat damals gesagt:Patriotismus verlangt die Erkenntnis dessen, was ist, und den Versuch, immer wieder herauszufinden, was möglich ist; er verlangt den Mut zum Erkennen der Wirklichkeit.Die Wirklichkeit verlangte von uns eine Antwort auf die Frage, ob und wie wir imstande sind, die deutschen Probleme in eine internationale Interessenlage einzubringen, die vom Machtgleichgewicht der Weltmächte bestimmt war und weiterhin bestimmt ist; daran hat sich nichts verändert. Diese vom Machtgleichgewicht bestimmte internationale Interessenlage verlangt uns die Einsicht ab, daß die Dauer der Teilung unseres Landes zeitlich nicht abzusehen ist, daß demzufolge Deutschlandpolitik, wenn sie wirklich der Nation dienen soll, von großen Worten zu praktischen Schritten übergehen müsse, ja, auch zu den kleinen Schritten übergehen müsse.Wir haben diesen Übergang gewagt und vollzogen. Frühere Positionen wie die Leugnung der Staatlichkeit der DDR und die Hallstein-Doktrin mußten revidiert werden. Es blieb nichts anderes übrig, um praktische Deutschlandpolitik betreiben zu können. Das ist auch von der breiten Mehrheit unseres Volkes verstanden und akzeptiert worden. Dieses Verständnis reicht, wie ich es sehe, weit in die Anhängerschaft der CDU/CSU-Opposition hinein.Das Ziel unserer Deutschlandpolitik besteht darin, die deutsche Frage wirksam offenzuhalten. Was ist darunter zu verstehen, und was haben wir erreicht?Wir haben erstens erreicht, daß die politische Aufgabe und die Verpflichtung zur Lösung der deutschen Frage mit unseren eigenen und den Sicherheitsinteressen unserer Verbündeten in Einklang geblieben ist. Damit wurde die elementare Voraussetzung für jede wirksame Politik der Bundesrepublik gesichert.Das Zweite hängt damit eng zusammen: Berlin ist trotz seiner anomalen, gefährlichen Grundsituation sicherer und krisenfester geworden. Das Viermächteabkommen vom 3. September 1971 wäre nicht möglich gewesen, hätten wir nicht unsererseits notwendige Voraussetzungen dafür geschaffen. Kritik am Viermächteabkommen trifft unsere Verbündeten, die in der damaligen Situation das Optimum ausgehandelt und wohl auch zum Nutzen Berlins eine wichtige Vereinbarung herbeigeführt haben. Der jetzt vertraglich gesicherte zivile Zugang nach und von Berlin, die größere Bewegungsfreiheit der Westberliner nach Ost-Berlin und in die DDR, also in ihre unmittelbare Umgebung, die Bestätigung der Bindungen zur Bundesrepublik — all das hat die Lebensfähigkeit der Stadt entscheidend gestärkt und verbessert.Drittens. Wir haben eine Grundlagenregelung für unsere Beziehungen mit der DDR erreicht, bei der die Rechtsverhältnisse Deutschlands gewahrt bleiben konnten. Dies gelang nicht zuletzt deswegen,
weil diese Regelung zur gerade noch rechten Zeit von der Bundesrepublik betrieben wurde.Viertens. Wir haben erreicht, daß die bis 1969 zunehmende Negativtendenz zu immer weiterer Abschnürung der Verbindungen nicht nur gestoppt, sondern auch deutlich in die positive Gegenrichtung umgekehrt wurde. Die Kontakte und Verbindungen haben wieder zugenommen.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit einige Ausführungen zu dem Problem von Mauer und Stacheldraht machen, um das Problem der deutschen Teilung auch in dieser Frage hier sehr deutlich vor Augen zu führen.Am 3. Juli 1945 fixierten sich militärisch die Demarkationslinien zwischen der SBZ und den anderen Zonen in Deutschland. In jahrelanger Verhärtung wurde diese Grenze immer undurchlässiger, bis dieser Prozeß am 13. August 1961 in Berlin abgeschlossen wurde. Das ist nun bald 15 Jahre her. Jeder in unserem Land weiß das. Trotzdem ist es notwendig, dieses Stück Geschichte hier zu erwähnen, und zwar aus folgendem Grund: Die Regierung behauptet nicht, die jetzige Opposition habe Mauer und Stacheldraht gebaut, obwohl sie in deren Regierungszeit entstanden sind. Versuchen Sie also nicht — und sei es nur unterschwellig —, den Eindruck zu erwecken, als seien wir an der Grenze schuld, weil wir sie heute nicht verhindern können.
Sie heben in Ihren Ausführungen immer darauf ab, als bedürfe es nur eines gewissen energischen Auftretens, um diese Mauer verschwinden zu lassen. Ich will Ihnen dazu sagen, wer an dem Schicksal von Herrn Gartenschläger schuldig ist. Es sind jene, die den Eindruck vermitteln, als müsse man nur kühn genug sein, dann gelinge es schon.
Das trägt dazu bei, immer wieder verhängnisvolle Opfer an dieser Grenze herauszufordern. Auch wer gar versucht, diese Leute zu feiern, macht sich schuldig, daß Menschen, die so etwas glauben, solche Taten vollbringen.
Wir versuchen, uns nicht ewig einen Buhmann aufhalsen zu lassen. Es ist schlimm genug, daß es Tote gegeben hat. Aber die Zahl der Toten ist, seitdem wir diese Politik betrieben haben, wesentlich geringer geworden, als sie zu Ihrer Regierungszeit war.
Das sind Erfolge im Interesse der Menschen. Wenn Sie das leugnen, wird deutlich, wie sich unsere Positionen unterscheiden. Wir wollen auf keinen Fall weitere Todesopfer als tragische Folgen und Ergebnisse dieses schlimmen Krieges. Wir wollen versuchen, für die jetzt lebenden Menschen eine
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16890 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister FrankeVeränderung herbeizuführen. Darum werden wir diese Politik weiter betreiben — nicht weil Sie dagegen sind, sondern gerade darum, weil es uns darum geht,
zu versuchen, diese Dinge einigermaßen in Ordnung zu bringen. Was wir versprochen und auch gehalten haben, ist etwas anderes, nämlich trotz Mauer und Stacheldraht daran zu arbeiten, daß die Beziehungen zwischen den Menschen in Deutschland wieder enger werden. Das ist geschehen, und damit haben wir auch etwas gegen die Mauer erreicht, was Sie nicht geschafft haben.Sehen Sie, meine Damen und Herren, jetzt will ich Ihnen noch folgendes sagen — es bleibt Ihnen nicht erspart, damit Sie wirklich erkennen, daß doch etwas geschehen ist; Herr Abelein hat hier wieder so getan, als hätte sich überhaupt nichts verändert, als seien die Dinge schlimmer geworden —:
Wir sehen in diesen Ergebnissen ein ganz wesentliches Element unserer Deutschlandpolitik. Darum haben wir auch immer gesagt: Wer die deutsche Frage wirksam offenhalten will, muß dafür sorgen, daß die Verbindungen zwischen den Menschen hüben und drüben lebendig bleiben.Der Zahlenvergleich spricht eine deutliche Sprache. Zunächst komme ich zum Reiseverkehr von Westdeutschen in die DDR. 1969 waren es 1 100 000, 1975 3 100 000 Reisende. Das bedeutet eine Zunahme um 182 0/0; unter den gegebenen Bedingungen eine beachtliche Entwicklung.
Oder nehmen Sie den Besuchs- und Reiseverkehr von West-Berlinern nach Ost-Berlin und in die DDR. Ich sage es ganz deutlich, damit Sie es genau hören, Sie, die Sie immer Berlin so sehr im Munde führen: 1969 nur in wenigen Ausnahmefällen und zuvor aus besonderen Anlässen bei Passierscheinregelungen; 1975, also sechs Jahre später, 3 200 000 Teilnehmer am Besuchs- und Reiseverkehr. Ich glaube, das ist eine Sprache, die auch die Menschen in Berlin und alle jene verstehen, die es ernst nehmen mit den Dingen, um die es geht. Reisen aus der DDR in dringenden Familienangelegenheiten — das sind nicht die Rentner —: 1969 keine, 1975 waren es immerhin rund 40 000. Das ist eine Zahl, die uns auch nicht genügt, aber es sind Ansätze.Ich weiß, daß Sie sich immer auf die absoluten Daten beziehen und immer noch mehr wollen. Wir auch; nur: Wir müssen einmal damit anfangen. Wir sind über die Entwicklung gewiß nicht begeistert, sondern wir wissen, daß dazu ein langer Atem gehört, wie es hier einmal in einer der ersten Debatten zur Deutschlandfrage gesagt wurde. Sie verlangen jetzt von uns, daß wir kurzatmig an Asthma eingehen sollen, weil nicht auf Anhieb die Forderungen erfüllt werden, die wir stellen. Wir werden Ihnen diesen Gefallen nicht tun, wir werden wirklich über den längeren Atem verfügen.
Lassen Sie mich noch weitere Zahlen nennen, um die Breite des Erreichten deutlich werden zu lassen. Ich komme zunächst zum Telefonverkehr nach Ost-Berlin und in die DDR, der eine besondere Sache ist. 1969 gab es ganze 34 Leitungen, in Berlin gab es keine Leitung. In diesem Jahr 1969 gab es insgesamt 499 000 Gespräche.
1975 — hören Sie hin, Herr Abelein — gab es 719 Leitungen, davon 441 in Berlin. 1975 wurden 9 600 000 Gespräche geführt.Aber das ist alles nichts, das ist ja nach Ihrer Meinung der Zusammenbruch der Deutschlandpolitik. Ich möchte diese Zahlen noch ein wenig verdeutlichen. Nimmt man zu den hier genannten Zahlen für den Reise- und Besuchsverkehr noch die 1 400 000 Tagesaufenthalte von Westdeutschen in Ost-Berlin hinzu, so kommt man auf eine Gesamtzahl von 7 700 000 Besuchern für 1975. Das waren 1975 7 700 000 einzelne Entschlüsse von Bundesbürgern und West-Berlinern, in die DDR oder nach Ost-Berlin zu fahren. Im Durchschnitt waren es etwas über 21 000 Besucher pro Tag. Das sind stolze Zahlen,
die Sie benutzen sollten, um auch für sich selber zu erkennen, daß es sich lohnt, diese Politik wenigstens mit zu begleiten, wenn Sie sie auch nicht für richtig halten.Herr Abelein hat gesagt, das sei insgesamt falsch angelegt. Ich weiß nicht, ob er weiterhin nur fordern wollte. Mir scheint, so ist es. Wir sind der Meinung, es sollte etwas geschehen. Pro Tag wurden im Durchschnitt des vergangenen Jahres 26 000 Telefongespräche in die DDR und nach Ost-Berlin geführt, was das Fünfzehnfache gegenüber 1970 bedeutet.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, warum verschweigen Sie dem Deutschen Bundestag, daß sich die DDR verpflichtet hatte, bis zum Ende des Jahres 1974 den vollautomatischen Telefonverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ganzen DDR einzurichten, und daß bis zum heutigen Tage zwischen der Bundesrepublik Deutschland — wenn wir Berlin einmal ausklammern — und der DDR selber noch keine einzige Direktwahlleitung besteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Daß keine einzige Direktleitung besteht, stimmt überhaupt nicht, Herr Kollege Jäger.
Sie kennen die intensiven Informationen aus deminnerdeutschen Ausschuß gerade zu diesem Thema.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16891
Bundesminister FrankeGerade zu dieser Frage hat es bei der Behandlung des Post-Abkommens am Rande eine Anmerkung gegeben, daß hier in der Tat noch etwas aussteht, was vereinbart ist. Daß noch nicht alles vollkommen ist, gilt auch für andere Bereiche. Aber, entschuldigen Sie, unsere Experten sagen dazu, daß in der Tat eine gewisse technische Nicht-Versiertheit mit als Argument akzeptiert werden müsse. Das heißt nicht, daß wir darauf verzichtet haben. Aber von diesen Telefongesprächen, von denen ich gesprochen habe, wird keines mit der Hand vermittelt, und wenn Sie von Berlin in die DDR direkt telefonieren können, so ist das doch eine qualifizierte Veränderung gegenüber dem umständlichen Verfahren, das vorher war.
Sehen Sie, unter Umständen wird das auch wieder dahin kommen, daß wir uns mit beteiligen, um mehr Kommunikation zustande zu bringen, daß wir versuchen, auch da zu helfen. Ich weiß, daß wir da wieder in den Ruf kommen — —
— Zahlen. Ich will Ihnen einmal etwas dazu sagen, was alles schon bezahlt wurde. Heute hat hier schon einmal eine Rolle gespielt, was alles schon bezahlt wurde. Hier geht es darum, deutschen Menschen, die in der DDR leben um die Sie sich angeblich immer so besonders bemühen, auch gegen den erklärten Widerstand derer, die dort Macht haben, in die Lage zu versetzen, mit uns Kontakt aufzunehmen, sei es direkt oder indirekt. Dafür ist nach meiner Meinung nichts zu schade.
Wenn Sie da Kleinkrämergeist in die Debatte bringen wollen, spricht das gegen Sie. Da kommt gerade wieder ein Mann an, der gern mit falschen Zahlen operiert, um darzutun, daß wir bares Geld in die DDR „schubsen", ohne daß etwas zurückkommt.Natürlich ist die Transit-Pauschalgebühr, die hier heute schon einmal eine Rolle gespielt hat, infolge des größeren Umfangs des Verkehrs höher geworden, und die 400 Millionen DM sind nicht von Berlin abgezogen worden, sondern das wird nach dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen abgerechnet.
Wenn das im Jahr über oder unter 6,5% anders ist, wird das absolut abgerechnet. Früher gab es die Einzelkassierung.
— Ich weiß, was Sie sagen wollen, behalten Sie es für sich!Früher mußte jeder Einzelreisende in die Baracke, seinen Obulus entrichten und bekam dafür eine Quittung. Wir wollten den Verkehr beschleunigen, wir wollen die Unbequemlichkeiten, die Schikanen abbauen, und das gefällt Ihnen anscheinend nicht. Wir können zur Wiederholung kommen; denn die DDR ist sofort bereit, die Einzelkassierung wieder durchzuführen. Möglicherweise bekäme sie dann sogar ein paar Pfennige mehr. Für uns ging es darum, die Reise nach Berlin so bequem und so normal wie nur denkbar zu gestalten, und dazu dienen diese Maßnahmen.
Jetzt können Sie Ihre Frage ruhig stellen!
Herr Bundesminister, wie ich sehe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Abgeordneter Wohlrabe, bitte sehr!
Herr Bundesminister, ich wollte auch unter Bezugnahme auf einen Einwurf, der heute schon zu Beginn der Rede des Herrn Bundeskanzlers zur Debatte stand, fragen, ob die Verhandlungen über die Transit-Gebühren, die Herr Bahr, der dort sitzt, zusammen mit Herrn Kohl geführt hat, und die damit finanziell verbundenen Vereinbarungen dazu geführt haben, daß die Mittel, die wir aus dem Bundeshaushalt zahlen, für die DDR zweckgebunden sind oder nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Mittel sind insofern nicht zweckgebunden, es gab das Bemühen, zu einer Vereinbarung zu kommen. Sie können ruhig triumphieren! Sie haben es damals nicht verhindert, daß sie von jedem einzelnen Transit-Gebühren nehmen konnten,
und Sie haben auch nicht erreichen können, daß die Gelder damals zweckgebunden abgeführt wurden. Was soll denn diese Fragestellung? Sie karten hier jetzt nach und wollen die Zeit Ihrer Versäumnisse durch eine sehr beachtliche Diskussion wettmachen, die aber auch in der Öffentlichkeit keinen Niederschlag finden wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, ich gestatte auch noch eine Zwischenfrage.
Herr Bundesminister, wie erklären Sie sich dann, daß heute morgen der Herr Bundeskanzler dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/ CSU gegenüber erklärte, daß diese Mittel zweckgebunden seien und daß es keine Zahlungen an die DDR gebe, die nicht zweckgebunden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich gibt es auch Zahlungen zum Ausgleich von Leistungen; denn es gibt nicht nur die 400 Millionen DM, die als Durchschnittssumme im Jahr für Transit-Gebühren zu zahlen sind, sondern wir sind auch andere Vereinbarungen eingegangen. Wir haben z. B. auch postdienstliche Leistungen nachgezahlt, zu denen Herr Dollinger damals sagte, daß das Leistungen seien, die noch beglichen werden
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16892 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister Frankemüssen, die längst zurückliegen. Alles das gehört mit in diese Positionen hinein, die Sie dargestellt haben, die aber nicht den Betrag von 7 Milliarden DM ausmachen, wie Sie gesagt haben.
— Das spukt ja herum, auch in der Öffentlichkeit.
— Sie dürfen nicht auskneifen, wenn die Sache peinlich wird. Es ist doch hier so, daß wir dafür tatsächlich auch mehr Leistungen bekommen. Herr Wohlrabe, Sie müssen sich damit vertraut machen, daß wir in der Tat an dieser Politik festhalten werden. Ich bin bereit, jeden Betrag, den man mit Anstand im Vergleich zu ähnlichen Leistungen hier bei uns vertreten kann, auch dorthin zu zahlen, wenn wir dadurch noch mehr, noch bequemere und noch leichtere Verbindungen zustande bekommen.
Mit Fug und Recht können wir nicht nur behaupten, sondern auch belegen, daß infolge der Vertragspolitik, infolge einer geduldigen und zähen Politik der kleinen Schritte, die Kontakte und Verbindungen zwischen den Menschen in Deutschland wieder zugenommen haben. Das hilft nach unserer Meinung der Nation, ihren Zusammenhalt zu bewahren. Es hilft aber auch den einzelnen Menschen, die in ganz persönlicher Weise unter der Trennung zu leiden haben.Ich denke hier vor allem auch an die Probleme der Familienzusammenführung. Im Jahre 1970 — um auch da eine Zahl zu nennen — haben ganze 541 Personen die Erlaubnis zur Ausreise zu ihren Verwandten in die Bundesrepublik bekommen. Im vergangenen Jahr, 1975, waren es 5 499 einzelne Fälle, die geregelt wurden, so daß auch hier ein deutlicher Fortschritt zu sehen ist. Dies waren nicht etwa Übersiedlungen von Rentnern. Sie wissen, daß die Rentner die ersten waren, die ziemlich frei reisen konnten. Mancher mag eine besondere Absicht bei den DDR-Behörden unterstellt haben, warum man sie frei reisen ließ: in der Erwartung, sie würden nur eine Reise antreten. Sie sind aber zum großen Teil wieder zurückgekommen. Hier aber lagen die Einzelfälle erfreulicherweise alle unter dem Rentenalter.Insgesamt, ob beim Verwandtenbesuch, bei einer Touristikreise, beim Sport, bei der Überweisung von Unterhaltszahlungen, beim Telefonanruf, im Handel, beim Informationsaustausch an der Grenze, im Gesundheitswesen, beim Geschenkversand, bei der Familienzusammenführung oder beim Transport von Erbschaftsgut: Vieles ist noch nicht so, wie wir es uns wünschen, aber es ist deutlich besser als noch vor wenigen Jahren. Deshalb müssen wir diese Politik fortsetzen. Es gibt dazu gar keine Alternative, nicht einmal eine Variation, es sei denn, Sie wollen wieder in die Zeit zurückfallen, die wir einst hatten. Wir werden dafür sorgen, daß das nicht einmal jenen passiert, die unsere Politik nicht unterstützen. Auch sie sollen nicht noch einmal das erleben, was war. Es muß besser werden. Deshalb werden wir diese Politik weiterhin betreiben, auch wenn es noch sehr lange dauert.
Dazu gehört, daß sich die Bundesregierung auf das Mögliche konzentriert, daß sie nicht der Versuchung erliegt, der DDR unsere politischen und moralischen Maßstäbe ständig in aller Öffentlichkeit um die Ohren zu schlagen. Ich sage ganz betont: nicht ständig und nicht in der Öffentlichkeit. Die andere Aufgabe hat den Vorrang; denn wir wollen so viele Verbindungen wie nur eben möglich. Das heißt nicht Wohlverhalten
— ersparen Sie sich diese Worte, Herr Jäger ,sondern es geht um das Wesentliche. Ich weiß ja, daß es Ihnen nicht gefällt, daß wir diese Zahlen vorlegen können, die von Jahr zu Jahr besser werden, und wir glauben und hoffen — natürlich mit Ihrer Unterstützung —, noch weitere Veränderungen im Sinne einer noch besseren Lösung herbeiführen zu können.Wir müssen, so wie wir unsere humanitäre und nationale Verantwortung sehen, den Verhandlungspartner DDR zu Selbstkorrekturen bewegen. Das erlegt uns die Verpflichtung auf, die zweckmäßigsten Wege zu gehen, auf denen dies zu erreichen ist. Ich habe Ihnen schildern können, daß wir zu diesen Ergebnissen gekommen sind und uns nicht immer darüber unterhalten mußten, wer nun zu was berechtigt ist. Eine entschiedene und klare Reaktion zur rechten Zeit und bei rechter Gelegenheit ist wirkungsvoller als das Dauerprotestgeschrei, das aus den Reihen der Opposition veranstaltet wird. Wir meinen, die Deutlichmachung unseres Protestes gegen Unmenschlichkeit zur gegebenen Zeit ist wirkungsvoller. Wir werden das auch nie aufgeben. Wir werden uns nie mit dem abfinden, wie es dort ist.Aber das allein genügt nicht. Wir müssen daneben versuchen, weitere Ergebnisse zu erwirken. Und die Bürger wissen sehr wohl zwischen ernsthafter Arbeit und polemischen Forderungen zu unterscheiden, die leider allzuoft ein erschreckendes Maß an Unernst erkennen lassen.
Wer aber glaubt, wegen der maßvollen öffentlichen Sprache der Bundesregierung nehme das Freiheitsbewußtsein unserer Bürger Schaden, enthüllt einen beachtlichen Mangel an Vertrauen in die Stärke und innere Überzeugungskraft unserer Ordnung. Der läßt auch eben solchen Mangel an Vertrauen in die Urteilsfähigkeit unserer Bürger erkennen. Ich wiederhole darum: Die Bürger unseres Landes sind sehr wohl imstande, die Bedingungen, Möglichkeiten und Voraussetzungen unserer pragmatischen Deutschlandpolitik zu verstehen.In diesem Zusammenhang ist auch auf die millionenfachen Besuche und Reisen in die DDR hinzuweisen, die ich als ein Zeichen des Mitbeteiligtseins der Staatsbürger werte. Wir sind dafür, daß so viele Deutsche wie möglich durch eigenen Augenschein ein Bild von der Wirklichkeit in beiden deutschen Staaten bekommen. Wir fürchten den
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16893
Bundesminister FrankeVergleich nicht. So, meine Damen und Herren, verstehen wir unsere Deutschlandpolitik. Wir werden sie weiterbetreiben, auch wenn Sie weiterhin dagegen protestieren. Das bessere Ergebnis steht auf unserer Seite.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Pieser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie, Herr Bundesminister, uns soeben ein Beispiel davon geboten haben, daß es möglich ist, innerhalb dieser Bundesregierung zu konkreten Punkten Aussagen zu machen, dann ist dies, möchte ich sagen, heute abend ein völlig neuer Egon Franke, ein völlig neuer Egon Franke in seiner Aktivität, in seinem Einsatzwillen, den wir oft in Punkten vermißt haben, in denen Sie uns an Ihrer Seite gesehen hätten, um gemeinsame Ziele der Deutschlandpolitik so wie in der Vergangenheit unter früheren Bundesregierungen — zu erreichen.
Diese Gemeinsamkeit haben nicht wir aufgekündigt, sondern sie ist vom Vorsitzenden der Fraktion der SPD, Herrn Wehner, hier in diesem Hohen Hause aufgekündigt worden.
Sie haben gesagt, wir brauchen die Opposition nicht.
Offensichtlich brauchen Sie sie doch. Denn viele Ermahnungen, die aus cien Reihen der Opposition im Hinblick auf Unzulänglichkeiten in der von Ihnen vertretenen Deutschlandpolitik gemacht worden sind, waren ja Anlaß dafür, daß Sie versuchen mußten, weiter zu verhandeln, zu konkreteren, zu klareren Ergebnissen zu kommen. Wenn wir heute von Ihnen bzw. von einem der Vorredner gehört haben, daß es nicht immer möglich sei, diese Ermahnungen in den Fällen, in denen wir uns zu Unrechtstatbeständen des Ostens äußern, an der Stelle unterzubringen, wo sie hingehören, dann gehört das in den Kontext, den der Herr Minister soeben angekündigt hat, als er sagte, es muß um die Deutlichmachung von Protesten gehen. Wir haben heute gehört, daß es Herrn Gaus nicht gelungen ist, eine Stelle zu finden, bei der er einen Protest gegen die jüngsten Ereignisse an der unseligen Teilungslinie in Deutschland habe anbringen können. Vielleicht sollte man einmal darüber sprechen, wo ein solcher Protest vorgebracht werden soll.Die Vorwürfe, die wir dem innerdeutschen Ressort machen denken Sie etwa an die vergangenen Diskussionen in der Fragestunde hier in diesem Hause —, bestehen darin, daß man sich bemüht, durch Leisetreterei, durch Herunterspielen der Ereignisse Wohlverhalten zu zeigen, von dem man sich Ergebnisse verspricht. Wenn wir hier in diesem Hause von den unseligen Zwischenfällen um Gartenschläger hören, ist die Frage zu stellen, was ein „unangemessener Schußwaffengebrauch" ist. Wie sieht denn dieses Ressort die Konsequenz dieser Formulierung? Was verstehen Sie unter einem „angemessenen" Schußwaffengebrauch innerhalb Deutschlands?
Wie steht die Regierung, die sich in diesem Zusammenhang zwar korrekter juristischer Aussagen bedient, zu solchen und gleichen Unrechtstatbeständen in Deutschland — an der Mauer in Berlin, oder an der Demarkationslinie überhaupt? Sie kann sich nicht darüber hinwegsetzen und schlicht und einfach von „Todesfällen" sprechen, so als ob jemand, durch langjährige Krankheit geschwächt, nun zu Tode gekommen sei. Sie muß vielmehr immer wieder in der Weltöffentlichkeit darauf hinweisen, daß hier ein Tatbestand vorliegt, den wir nicht hinnehmen können.Und wenn wir uns in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie sich in der Vergangenheit in Zeiten gemeinsamer Politik, in Zeiten vor allen Dingen, in denen Berlin in seinem Selbstverständnis, in seiner Bewährungs- und Durchhaltebereitschaft hart geprüft wurde, frühere profilierte Politiker dieser Sozialdemokratischen Partei zu den Themen geäußert haben; wenn wir uns erinnern, wie etwa Ernst Reuter in einer Veranstaltung vor der SPD Berlins am 10. April 1953 ausgerufen hat: Die Welt muß noch ganz anders mobilisiert werden, wir müssen unsere Kräfte noch ganz anders sammeln, und wir müssen die Entschlußkraft, die in uns steckt, der Welt und den Gegnern dort drüben noch ganz anders zeigen als bisher; und wenn er sagte: Kein Volk wird sich für ein anderes Volk einsetzen, wenn es nicht mindestens die Überzeugung hat, daß das andere Volk selber das will, wofür man eintreten soll, dann, meine Herren von der SPD, sind wir genau an dem Punkt, den wir heute bei Ihnen immer wieder kritisieren, weil wir die richtige Einstellung dazu vermissen.
Totalitäre Systeme respektieren eben nur Festigkeit, verlangen diese Festigkeit und verlachen jene, die ihnen immer wieder nachgeben. Und dann, wenn Sie, Herr Minister, jetzt wieder in dieser Linie weiterarbeiten wollen und sagen: Vieles, was wir tun, tun wir nicht öffentlich, sondern tun es um des Erfolges willen sehr geheim, mag das für einzelne Punkte Gültigkeit haben, und wir decken diese Punkte, in denen das wirklich angebracht ist. Wir meinen aber, daß Sie das Forum der freien Welt auch besser und stärker und reaktionsschneller nützen sollten, das Forum, das nicht nur für uns, denen es schon zur Verfügung stand, von Bedeutung geworden ist, sondern auch mit unserer oder Ihrer Mithilfe den Trägern des Unrechtssystems im — wie Sie sagen — anderen, im zweiten deutschen Staat geöffnet wurde.So hat in diesem Zusammenhang vieles eine programmatische Aussage, was wir in der vergangenen Legislaturperiode erlebt haben, angefangen bei der Namensänderung Ihres Ressorts von ,,gesamtdeutsch" in „innerdeutsch", d. h. bei einer Be-
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16894 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Frau Pieserschränkung auf Fragen, die unmittelbar hier zu behandeln sind, was eigentlich dem widerspricht, was das Bundesverfassungsgericht Ihnen an Thematik für unser gesamtes Deutschland als Auftrag gegeben hat.Wir kritisieren in diesem Zusammenhang auch, daß Sie von dem, was Sie hier eben so objektiv angeführt haben, nicht immer den Gebrauch machen, den wir uns erwarten müssen, etwa im Bereich Ihrer Informationstätigkeit. Nennen Sie mir eine Information Ihres Hauses, die in Ihrer Regierungszeit publiziert wurde, in der etwas für die seelischen Nöte und Gewissenskonflikte, denen Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder, Pädagogen im Beruf, Wissenschaftler in Lehre und Forschung tagtäglich bis zur Verzweiflung ausgesetzt sind,
gesagt wird! Warum klagt das Regime drüben wohl selbst über die steigende Flucht seiner Bürger in Alkohol, warum gibt es dort wohl die höchste Scheidungsrate Europas?Literarische Werke, die das Ministerium früher gerade zu dieser Situation der seelischen Not der Bevölkerung aufgelegt hatte, etwa mit dem Thema „Für dich blüht kein Baum" oder „Den ich küssen werde", haben Sie als Beispiele einer von der CDU verantworteten Publikationsförderung mit Hohn und Spott übergossen. Ein solches Verständnis vom Miteinander der Menschen und von der ihnen dienenden Politik kann wohl nicht das so häufig beschworene gesamtdeutsche Bewußtsein darstellen.Um Ergebnisse über die Situation der Menschen im anderen Teil Deutschlands zu bekommen, sind Sie dazu übergegangen, drüben Befragungen anzustellen, die von Journalisten oder anderen Menschen durchgeführt werden, die dort nur auf Zeit tätig sind. Und Sie glauben erwarten zu können, daß diejenigen, die dem Unrechtssystem des Ostens weiter ausgeliefert sind, weil sie ja nicht mit den Befragern in die Freiheit zurückgehen können, Ihnen die Antworten geben, die sie in Risiken dem System gegenüber bringen würden. Und dies geben Sie dann als „Information" weiter.Wo bleibt hingegen die „Dokumentation der Verletzungen der Menschenrechte", wo bleibt eine „Information über die Klassenjustiz",
über die „sozialistische Gesetzlichkeit", wann endlich macht die Regierung der Öffentlichkeit die Dokumentation über die politische Verfolgung zugänglich? Die Dokumentation zur Geschichte der politischen Verfolgung in Mitteldeutschland wird im innerdeutschen Ministerium seit einem Jahr unter Verschluß gehalten.
Als Begründung verlautet, die Dokumentation werde gegenwärtig einer wissenschaftlichen Begutachtung unterzogen. Wie lange soll das noch dauern? Ein Veröffentlichungstermin kann deshalb bisher angeblich nicht genannt werden.
Diese Dokumentation umfaßt immerhin mehr als 5 000 Seiten; sie ist im März des vergangenen Jahres von einem der besten Kenner des SSD-Terrors, dem Kölner Publizisten Karl Wilhelm Fricke, nach mehr als zehnjähriger Forschungsarbeit fertiggestellt und dem Ministerium übergeben worden.Wann hört man auf, sich — wie in Ihrer Antwort an den Kollegen Windelen betreffend die Dokumentation über das Unrecht der Vertreibung — auf die von Ihnen selbst berufenen Gutachter zu versteifen und zu sagen, sie seien noch nicht bereit, dieses Thema für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen?Legen Sie die Arbeiten auf den Tisch und berufen Sie sich nicht immer auf solche Argumente; Sie sprechen ja sonst immer den mündigen Bürger an.
Denn Sie, Herr Minister, wären dies vorrangig gerade Ihren eigenen Parteimitgliedern in Mitteldeutschland schuldig, die als treue Sozialdemokraten zu ihrer Partei, zu ihrem früheren Ostbüro in Hannover, zu ihrem früheren Vorsitzenden Kurt Schumacher gestanden haben und die einst das größte Kontingent politischer Häftlinge in der DDR stellten.
Es ist ja, wie wir heute schon angesprochen haben, nicht von ungefähr, daß demokratiebewußte Sozialdemokraten immer neue Vereinigungen gründen; nach einem „Kurt-Schumacher-Kreis" gibt es den „Fritz-Erler-Kreis" weil sich doch offensichtlich eine große Zahl aus Ihren Reihen nicht mehr mit dem, was weite Kreise Ihrer Partei heute vertreten und was zum Teil die Regierung selbst vertritt, identifiziert.Über die Themenkomplexe, zu denen es früher zahlreiche Publikationen Ihres Hauses gab, über das Thema „13. August 1961 — Ulbrichts Mauer — Wir kamen durch", die heute noch immer von Interessenten angefordert werden, aber nicht mehr aufgelegt werden, gibt es nicht einmal Informationen, die den Besuchern Berlins angeboten werden könnten, und selbst die Referenten Ihres Hauses beklagen diesen bedauerlichen Mangel. Vielleicht liegt dies auch darin begründet, daß es offensichtlich als nicht so schlimm erachtet wird, wenn die Zahlen der Berlin-Besucher zurückgehen. Dieses kann gezielt über die Kürzung der Mittel, die für Studienfahrten nach Berlin zur Verfügung stehen, betrieben werden. Diese Sorge haben wir. Deshalb unser Antrag, einen Teil der Mittel, die für Publikationen dieser Art nicht ausgegeben werden, statt dessen dafür zu verwenden, um den Anschauungsunterricht in Berlin wieder in dem gewünschten großen Umfang zu ermöglichen.Sie, Herr Minister, sagten soeben, daß Ihnen darin liege, daß durch eigenen Augenschein ein Bild von der Wirklichkeit in beiden deutschen Staaten vermittelt werden könne. Es können schließlich nicht alle in die DDR fahren, weil sie entweder keine persönliche Verbindung haben oder weil ihnen Reisen über das exorbitant hohe Gegenkosten aufrechnende DDR-Reisebüro — mit Leben und Woh-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16895
Frau Piesernen in Interhotels — nicht erschwinglich sind. Dann sollte man doch wenigstens am Ort Berlin Anschauungsmöglichkeiten in optimalem Maße eröffnen. Man sollte diese Anschauungsmöglichkeiten nicht dadurch, daß die Mittel, die für die Förderung solcher Reisen zur Verfügung gestellt werden, seit 1964 auf einen minimalen Zuschußbetrag eingefroren worden sind, noch zusätzlich gefährden und die Reisen somit nicht nur noch Finanzkräftigeren ermöglichen.
In diesem Zusammenhang muß noch ein Wort über einen Aufgabenbereich gesagt werden, der heute noch nicht angesprochen wurde, nämlich über den der Forschung. In früherer Zeit stand im Mittelpunkt der Arbeit Ihres Hauses der diesem angegliederte Forschungsbeirat. Nach 23 Jahren fruchtbarer Arbeit haben Sie, Herr Minister Franke, diesem Forschungsbeirat das Lebenslicht ausgeblasen. Der Forschungsbeirat war im März 1952 vom damaligen Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, ins Leben gerufen worden. Neben der Grundlagenforschung stand die Frage, wie die sich so gegensätzlich entwickelnden Teile Deutschlands ohne Chaos und Krise gegebenenfalls wieder zusammengefügt werden könnten. Leitschnur war die Überlegung, wie dieses Nebeneinander der Systeme im Interesse des deutschen Zusammenhalts und bei Beachtung beiderseitiger Sachinteressen konstruktiv gestaltet werden könnte.Die von diesem Forschungsbeirat seit 1953 erstatteten Lageberichte der Nation gaben, lange bevor solche Berichte offiziell eingeführt wurden, ein klares Bild über die Situation. Dieser Regierung blieb es vorbehalten, aus dem sich daraus entwickelnden „Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland" einen schlichten „Bericht zur Lage der Nation" zu machen, im ersten Jahr angereichert durch einen „erstaunlichen" Materialienband, in dem wir unter anderem unter dem Stichwort „Mitbestimmung" solche Bemerkungen wie diese lesen konnten: Da in der DDR die Betriebe in volkseigener Hand seien, sei die Mitbestimmung in diesem Teil Deutschlands bereits vollzogen.
In diesem Zusammenhang ist, wie ich glaube, ein Argument, das von Ihrem Hause gegen den Forschungsbeirat angeführt worden ist, strikt von der Hand zu weisen. Es ist gesagt worden, dieser Forschungsbeirat habe in den letzten Jahren seiner Existenz nicht die Ergebnisse gebracht, die man erwartet habe. Natürlich hat er diese Ergebnisse nicht gebracht, denn das politische Bild, unter dem die DDR-Forschung, wie es heute heißt, betrieben wird, hatte sich ja gewandelt. Wandel durch Annäherung galt auch hier. Von einer Forschung, die nicht nur Sachverhalte beschrieb, sondern auch kommentierend Stellung nahm und damit Beurteilungshilfen für diejenigen gab, die sich dieser Gutachten und Forschungsberichte bedienten, war man abgekommen. Man machte die Dinge statt dessen unauffällig, keimfrei, wertfrei: Systembeschreibungen bis hinzur reinen Quellenveröffentlichung von „Osterzeugnissen". Zu diesem Thema der mangelnden Information gehört auch die Tatsache, daß man leider davon ausgehen muß, daß im Bereich der Primärinformation nicht das Bild gezeichnet wird, das wir erwarten können. Herr Minister, ich erinnere an die Diskussion in diesem Hause in den Fragestunden über den diesjährigen DDR-Kalender.
In diesem Zusammenhang ist immerhin interessant, daß man beim Nachforschen über das Zustandekommen dieser „Bilderbuchwelt" mit schönen Bildern hat feststellen können, daß die von Ihnen beauftragten Journalisten außer ihren vermeintlichen Beurteilungsmöglichkeiten auf Grund zweijähriger Tätigkeit im anderen Teil Deutschlands als Journalisten auch Ostpublikationen mit herangezogen haben. So hat beispielsweise in dem Abschnitt über die Situation der Kirchen in der DDR eine Schrift Verwendung gefunden, die von der DDR zur Information der Auslandsjournalisten gedacht ist. Dies ist allerdings eine andere Form der Information, als wir sie von einem Ministerium, das sich seiner gesamtdeutschen Aufgabe verpflichtet fühlt, erwarten.
Wir erwarten von Ihnen, Herr Minister, nichts Unmögliches. Wir erwarten von Ihnen aber eine klare, konkrete und wirklichkeitsnahe Aufklärung des Bürgers. Wir erwarten in diesem Bereich nicht mehr Staat dergestalt, daß freie Träger politischer Bildungsarbeit in ihrem Bereich durch Kürzung der Mittel immer weiter zurückgedrängt werden, dafür aber die dem Ministerium nachgeordnete Bundesanstalt mit der Durchführung eigener Seminare und Bildungsveranstaltungen in die Bresche springt, die dann unter dem Rubrum sogenannter „Topseminare" noch zu der Möglichkeit führen, mit höheren Zuschüssen als mit den simplen Tageszuschüssen in Höhe von 5 und 8 DM zu arbeiten, die sonst für solche Bildungsarbeit gezahlt werden. Zugleich macht man eine Reihe dieser freien Bildungsträger dadurch bewegungsunfähig, daß man ihnen früher zur Verfügung gestellte Mittel für die institutionelle Aufrechterhaltung beschneidet. So ist es z. B. im Bereich der Arbeitsgemeinschaft Staat und Gesellschaft geschehen. Man kündigt Projektförderung an. Vorher aber reduziert man die Institution als solche auf ein Minimum, so daß Projekte nicht mehr durchführbar sind. Dies alles gehört in den Themenkreis hinein, Herr Minister. Grundsätzliche Fragen haben unser Vorsitzender Professor Dr. Carstens und unsere Kollegen, Herr Dr. Barzel und andere, schon mitbenannt. Soviel zum Kontext, wie wir uns im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ein Mehr vorstellen und wünschen könnten, als Sie es uns hier angeboten haben. Für all Ihre begeisterungsfähigen Worte, die einen stärkeren und besseren Einsatz versprechen, würden wir uns gerne engagieren, wenn nicht die Taten dieses Hauses mit diesen Dingen so eklatant auseinanderklafften.Zum anderen möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen. Es ist für mich und mein Demokratieverständnis völlig unmöglich, das weiter zu ertragen,
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Frau Pieserwas Sie als ein Novum in die Bildungsarbeit eingeführt haben, nämlich die Berufung sogenannter Seminarbeobachter, die in Studienseminare hineingehen, um dann über die Ergebnisse der Seminararbeit zu berichten. Das liegt vielleicht in der Richtung, die im neuen Vorspann Ihres Hauses gegeben ist und besagt, daß Sie sich heute nicht mehr zur Vermittlung deutschlandpolitischer Bildungsarbeit, sondern zur Vermittlung der Deutschlandpolitik dieser Regierung berufen fühlen. Das ist eine einseitige Sicht, Herr Minister, mit der wir nicht einverstanden sein können. Zu Deutschland gehört das ganze deutsche Volk. Zu Deutschland gehören auch die Gruppierungen, die heute auf Bundesebene nicht an der Regierung beteiligt, sondern in der Opposition sind. Nicht umsonst gibt aber der Wähler draußen in den Ländern immer stärker und mit stets steigender Tendenz gerade diesen Kräften mehr Gewähr für eine gediegene, solide und damit auch eindeutigere Deutschlandpolitik.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur wenige Sätze zur Korrektur. Etwas darf hier nicht im Raum stehenbleiben. Wahrscheinlich ist es ein Mißverständnis, Frau Kollegin Pieser. Sie haben hier gesagt, daß Journalisten aus der Bundesrepublik, die jetzt in der DDR leben und dort tätig sind, dort Befragungen durchführen, und daß die Ergebnisse nach hier weitergegeben werden. Das trifft auf gar keinen Fall zu. Sie arbeiten dort unter den Bedingungen, die es dort gibt. Es gibt hier Erhebungen von Reisenden, die aus der DDR zurückkommen, bei denen diese danach befragt werden, welche Eindrücke sie haben. Ich sage das aus einem ganz bestimmten Grund und bitte Sie, Verständnis für meine Bemerkung zu haben, daß Sie einer irrigen Information oder einem Mißverständnis unterlegen sind. Ich habe es so verstanden, als hätten Sie hier gesagt, es seien Journalisten aus der Bundesrepublik in der DDR, die dort Befragungen durchführen. Das trifft auf gar keinen Fall zu.
Frau Abgeordnete Pieser, wollen Sie sich noch zu Wort melden?
Herr Minister, hier sind zwei Punkte durcheinandergeraten. Ich habe auf der einen Seite von den Journalisten gesprochen, die die „Bilderbuchtexte" zum DDR-Kalender geschrieben haben, auf der anderen Seite aber von Meinungsumfragen. Diese sind durchgeführt worden. Das wäre aber ein Thema, über das man hier noch mehr sagen könnte und müßte. Sie werden ja auch von Ihrem Hause, von Infratest und anderen gemacht. Auch die Ergebnisse dieser Meinungsumfragen werden der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben, weil sie als „Entscheidungshilfen für die Bundesregierung" deklariert sind und deshalb nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dübber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Versuchung widerstehen, hier die Ausschußberatungen zu wiederholen. Eine zweite Lesung ist dafür nicht da. Ich glaube auch, einer der Gründe dafür, daß das Plenum nicht immer gut besetzt ist, besonders um diese Zeit, liegt darin, daß Ausschußsitzungen wiederholt werden.
Ich nehme nur zwei Stichworte aus den Äußerungen der Frau Vorrednerin auf. Es wird immer wieder beklagt, daß die Bundesregierung nicht mit dem Schicksal der deutschen Teilung vor das „Forum der freien Welt" tritt. Ich weiß nicht, ob man hier wirklich von einem „Forum der freien Welt" sprechen kann. Nach meinem Demokratieverständnis sind von den 150 Staaten, die in den Vereinten Nationen vertreten sind, die überwiegende Mehrheit Staaten mit nicht freiheitlicher Verfassung wie der unseren, und die Chancen, dort die sehr traurigen Händel zwischen Industriestaaten vor mittelamerikanischen oder auch zentralafrikanischen Diktaturen mit Erfolg für unsere praktische Arbeit auszutragen, schätze ich recht gering ein.
Ein weiterer Punkt: das Vertrauen in die Broschüren des Ministeriums. Ich kenne das Ministerium mit seinen Broschüren von meiner Studentenzeit in den 50er Jahren her. Es gibt hier in Bonn ein Lager von Broschüren, wo diese noch heute zu beziehen sind. Das muß bis zu einem gewissen Grade sein und soll auch gemacht werden, aber generell möchte ich sagen: ich begrüße den Tatsachenrechenschaftsbericht, den der innerdeutsche Minister hier gegeben hat, und ziehe ihn der Produktion von Broschüren vor.Ich möchte dann zu dem Antrag etwas sagen, den uns die CDU/CSU bezüglich der Berlin-Reisen vorgelegt hat, wofür Mittel erhöht werden sollen. Ich muß dafür plädieren, diesen Antrag abzulehnen. Ich muß Sie bedauern, Frau Pieser, daß Sie diesen propagandistischen Ladenhüter aus der Werkstatt von Herrn Wohlrabe begründen mußten. Das haben Sie sicher nicht verdient, denn dieser Antrag ist absolut unseriös.
Es soll ein Betrag von 700 000 DM von einem Broschürentitel auf den Titel für Reisen nach Berlin übertragen werden. Wenn man bei dem Reisetitel weitergelesen hätte, hätte man festgestellt, daß dort eine Verpflichtungsermächtigung von 1,2 Millionen DM vorgesehen ist, und wenn man diese dazu-addiert — und diese Verpflichtungsermächtigung soll und wird in diesem Jahr in Anspruch genom-
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Dr. Dübbermen werden —, dann kommt man darauf, daß sogar insgesamt 12,8 Millionen DM zur Verfügung stehen. Das ist mehr, als bei Befolgung Ihres Antrags zur Verfügung stünde.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Pieser?
Bitte!
Herr Kollege Dübber, darf ich Sie fragen, ob es Ihnen entfallen ist, daß ich bereits in den Beratungen der Berichterstatter mit dem Ressort den Antrag gestellt habe, den Sie eben als „aus der Mottenkiste von Herrn Wohlrabe herausgezogen" bezeichnet haben?
Frau Pieser, der Antrag ist dadurch nicht besser geworden, denn es stehen durch Inanspruchnahme der Verpflichtungsermächtigung die Mittel zur Verfügung, um 200 000 Besucher wie bisher nach Berlin zu bringen. Das wird von Ihnen auch nicht bestritten, und das ist nachzulesen auf Seite 20 der Drucksache des Einzelplanes 27, Kapitel 27 02.
Ich will zum Schluß kommen. Ich will hier sagen: Was bei der Förderung der Berlin-Reisen immer noch zu beklagen ist, ist die Tatsache, daß die Länder der Bundesrepublik nur in ganz unterschiedlicher Weise an der Förderung dieser Reisen teilnehmen.
Das betrifft insbesondere das Land Bayern, das sich noch nie daran beteiligt hat. Nun hat es ja in Hannover einen Machtwechsel gegeben, und der Machtwechsel in Hannover hat dazu geführt, daß Niedersachsen seine Mittel gestrichen hat. Wenn Sie etwas in dieser Angelegenheit tun wollen, dann setzen Sie sich bitte dafür ein, daß das rückgängig gemacht wird.
Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn über den Einzelplan 23 draußen im Lande gesprochen wird, verstehen die Menschen meistens nicht, warum sich Entwicklungspolitiker oft so leidenschaftlich über die letzten Dezimalstellen hinter dem Komma streiten. Die Fakten zum Haushalt des Bundesmininsteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind nach weitgehend einmütiger Erörterung im Haushaltsausschuß wie folgt festgesetzt worden: Der Baransatz für 1976 beträgt rund 3 Milliarden DM; die Verpflichtungsermächtigungen für 1976, die das Bild unserer Ausgaben in den nächsten Jahren bestimmen, betragen 3,1 Milliarden DM.Damit hier einmal eine ungefähre Vorstellung von der Größenordnung dieses Haushalts besteht, will ich darauf hinweisen, daß wir seit 1950 bis zu diesem Zeitpunkt fast genau 40 Milliarden DM an öffentlichen Entwicklungsleistungen aufgebracht haben. Vergleichen wir diese Leistungen mit dem Haushalt für 1976, dann haben wir keinen Grund, uns vor der Weltöffentlichkeit kleiner zu machen, als wir in Wirklichkeit sind.Für die finanzielle Zusammenarbeit stehen rund 1,4 Milliarden DM und für die technische Zusammenarbeit rund 395 Millionen DM zur Verfügung. Für 1976 wurden Beiträge für die Weltbanktochter IDA sowie für die Asiatische und Interamerikanische Entwicklungsbank in Höhe von rund 538 Millionen DM auf Schuldscheinverfahren umgestellt.Das atemberaubende Tempo der Veränderungen, die sich in den letzten zwei Jahren zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern vollzogen haben, ist auch an unserer Haushaltspolitik nicht spurlos vorübergegangen. Ich weiß, daß diese Entwicklung mehr Verunsicherung in die Reihen der Opposition hineingetragen hat, als konservativer Denkungsart bekömmlich ist.
Tatsache bleibt trotzdem: Allen Fachleuten ist klar, daß ein direkter Vergleich der BMZ-Etats von 1975 und 1976 nicht möglich ist. Wer vergleichbare Größen gegeneinander stellt, wer also den Nachtragsetat 1975 und die Schuldscheinverpflichtungen in seinem Leistungsvergleich nicht richtig berücksichtigt, der erhält für 1976 eine Steigerung des Einzelplans von 6,3 % gegenüber 1975.Einige Sprecher der Opposition haben sich in der Öffentlichkeit gewaltig angestrengt, diese Leistungen herabzuwürdigen. Ich darf Ihnen versichern: im Haushaltsausschuß waren sich alle Parteien einig, daß wir den richtigen Weg gefunden haben, um unsere finanziellen Verpflichtungen der Dritten Welt gegenüber erfüllen zu können. Entwicklungspolitik ist langfristig angelegt. Wer auf das starrt, was wir jährlich verabschieden, und dann schon meint, er sei ein guter Entwicklungspolitiker, der beweist nur, daß er von den Zusammenhängen der deutschen Entwicklungspolitik wenig versteht.Was haben wir seit 1969 in diesem Bereich geleistet? Wir haben dafür gesorgt, daß aus dem BMZ ein richtiges Ministerium geworden ist
— ja, doch —, indem Kompetenzen, eine weltweit anerkannte Konzeption und das nötige Geld zusammengekommen sind.
Wir haben dafür gesorgt, daß die Gesamtleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Entwicklungsländer im Jahre 1975 den absoluten Rekord von 12,2 Milliarden DM erreicht haben. Damit hat die Bundesrepublik Deutschland 1,17 % ihres Bruttosozialprodukts der Dritten Welt zur Verfügung ge-
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Estersstellt. Dies geschah in einem Jahr, das für unser Land angesichts hoher Arbeitslosenzahlen und wirtschaftlicher Schwierigkeiten kein gutes Jahr war. Wir wissen, daß diese Leistungen von den Regierungen der Entwicklungsländer besonders hoch bewertet werden.Ich will dabei gern einräumen, daß wir die Grundlagen für diese Erfolge gemeinsam geschaffen haben. Jedenfalls haben wir bis 1972 auch noch eine gemeinsame Entwicklungspolitik gemacht. Auch wenn Sie das heute nicht mehr gerne hören, will ich Ihnen folgendes in Erinnerung rufen, was seinerzeit der entwicklungspolitische Sprecher der Opposition von dieser Stelle aus sagte: „Wir sind uns mit der Bundesregierung über die Notwendigkeiten der Weiterentwicklung unserer entwicklungspolitischen Konzeption einig." Aber ich sehe niemanden in der Opposition, der den entwicklungspolitischen Sprecher Walther Leisler Kiep in den letzten Jahren vergessen gemacht hat.Was haben wir weiter geleistet? Wir haben die Qualität unserer Hilfe entscheidend verbessert. 1976 erhalten erstmals über 30 Entwicklungsländer Kapitalhilfe zu günstigen IDA-Konditionen, d. h. 0,75 % Zinsen, 50 Jahre Laufzeit bei 10 tilgungsfreien Jahren. Wir haben dafür gesorgt, daß diese Konditionenverbesserung auch haushaltsmäßig abgesichert ist.Wir haben in den letzten zwei Jahren ein altes Ziel des Haushaltsausschusses erreicht: die Neuordnung im Durchführungsbereich der Technischen Hilfe. Die Geräuschlosigkeit, mit der die neugegründete Gesellschaft für technische Zusammenarbeit arbeitet, ist ein Beweis dafür, daß wir seinerzeit den richtigen Weg gewählt haben. Niemand in der Opposition sollte sich einbilden, diese schwierige Aufgabe sei durch das Geschrei, das wir noch gut in Erinnerung haben, auch nur im geringsten erleichtert worden.Wir haben die Bundesregierung in die Lage versetzt, mehrjährige Hilfszusagen mit den Regierungen der Entwicklungsländer zu vereinbaren. Dies ist ein Schritt zur stärkeren Integration unserer Hilfe in die Entwicklungsplanungen dieser Länder.Wir praktizieren seit einigen Jahren eine neue Rahmenplanung. Der Haushaltsausschuß, der dieses Verfahren mit der Bundesregierung vereinbart hat, wollte dem Parlament dadurch größere Kontroll- und Mitsprachemöglichkeiten bei der Ausgestaltung der deutschen Entwicklungspolitik sichern. Wir haben alle feststellen müssen, daß ein solches Verfahren nur funktioniert, wenn sich Bundesregierung und Parlament aufeinander verlassen können.Ich komme damit zu einem traurigen Kapitel im Verhältnis zwischen Regierung und Opposition, das die Bilanz der vier letzten Jahre etwas verdüstert. Dies hängt mit dem zusammen, was man Verfall an Vertrauen nennen kann. Ist es wirklich Zufall, daß sich alle Vertrauensbrüche eng mit dem Namen Todenhöfer in Verbindung bringen lassen?
Hätte ich mit dem Kollegen Leicht, Picard oderDr. Althammer in der gleichen Weise zusammenarbeiten müssen wie die Kollegen vom Fachausschuß mit dem Sprecher der Opposition, dann hätte der Haushaltsausschuß seine Arbeit überhaupt nicht zu beginnen brauchen.
Wir wissen, daß es dort ein wesentlich anderes Vertrauensverhältnis untereinander gibt.
Wir müssen aus den Vertrauensbrüchen der Vergangenheit sicherlich auch Konsequenzen ziehen. Ich habe Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung dem entwicklungspolitischen Sprecher der Opposition nur noch solche vertraulichen Unterlagen zur Verfügung stellt, von denen sie will, daß sie am nächsten Tag in der Zeitung stehen.Zum Thema Kontrolle und Vertrauen ist in den letzten Wochen eine weitere öffentliche Auseinandersetzung angezettelt worden, zu der ich folgendes sagen will:
Als Haushaltspolitiker halte ich das von der Bundesregierung mit Tunesien vereinbarte Pilot-Projekt für einen bemerkenswerten Vorstoß, wie Schwierigkeiten im Durchführungsbereich unserer Kapitalhilfe zukünftig in den Griff zu bekommen sind. Ich möchte die Bundesregierung in diesem Falle ausdrücklich ermuntern, in dieser Richtung weiterzumachen.Noch eine Bemerkung an die Adresse des Kollegen Todenhöfer: Wie schon so oft, wenn Sie im Trüben gefischt haben, waren Ihre Informationen zum Tunesienprojekt von zweifelhaftem Wert. Ich gebe Ihnen den guten Rat: Gehen Sie beim nächstenmal nicht erst zu Schmidtchen, sondern gleich zu Schmidt, dann brauchen Sie sich hinterher nicht als Sprachrohr unseriöser Informanten mißbraucht zu fühlen.Schließlich wollen wir eine Leistung nicht unerwähnt lassen, die schon lange auf dem internationalen Forderungskatalog der Entwicklungspolitik steht. Ich meine das Kooperationsabkommen auf dem Gebiet des Technologietransfers,
das zwischen BMZ und BMFT unterzeichnet worden ist. Wir haben dazu im Haushaltsausschuß gemeinsam die nötigen finanziellen Grundlagen geschaffen. Manch einem von der Opposition mag das bislang Erreichte für den Augenblick zuwenig sein. Herr Kollege Köhler, Sie haben am Freitag davon gesprochen, so Schritt für Schritt haben wir auch in früheren Jahren die Grundlagen der deutschen Entwicklungspolitik geschaffen. Ich stimme Ihnen zu, daß die Entwicklung angepaßter, vor allem aber arbeitsintensiver Technologien zu einer drängenden Aufgabe unserer Entwicklungspolitik gemacht werden muß.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11 Mai 1976 16899EstersDas bedeutet aber auch, daß wir unserer Offentlichkeit eine Vorstellung davon verschaffen, was wir uns unter derartigen abstrakten Zielen vorstellen. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir inzwischen Projekte gefunden haben, die uns in unserer Bevölkerung breite Zustimmung einbringen werden.Als Haushaltspolitiker weiß ich, wie es um unsere gegenwärtige Finanzlage bestellt ist. Ich weiß auch, welche Ziele sich die Bundesregierung vorgenommen hat. Ich bin deshalb für jeden Ratschlag dankbar, wie wir mehr Geld für den Einzelplan 23 mobilisieren können, ohne daß wir es an anderer Stelle, im innenpolitischen Bereich, einsparen müssen.Natürlich war uns bei den Beratungen im Ausschuß klar, unter welch ungeheuren Druck ein wirtschaftlich so kraftvolles Land wie die Bundesrepublik Deutschland geraten muß, wenn sich die Lage der Entwicklungsländer nicht entscheidend verbessert. Uns allen ist klar, daß es künftig nicht mehr ausreichen wird, sich nur an die Leistungen der Vergangenheit zu erinnern.Als Haushaltspolitiker sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, den Kollegen vom Fachausschuß Ratschläge zu erteilen, wie sie in Konkurrenz mit innenpolitischen Aufgaben den notwendigen Spielraum unserer Entwicklungspolitik sichern. So viel ist jedoch klar: Wir müssen die Qualität unserer Hilfe weiter verbessern, um alle Rationalisierungsreserven auszunutzen. Wir müssen die Effizienz unserer Durchführungsorganisationen weiter steigern. Wir müssen unsere Hilfsmaßnahmen stärker in die Entwicklungsprogramme der Entwicklungsländer einpassen.Dazu sind auch bei uns mehrjährige Planungen erforderlich. Jährliche Regierungsverhandlungen — deren Umfang schon erfreulich zurückgegangen ist — müssen zugunsten längerfristiger Kooperationsabkommen reduziert werden. Ich weiß auch, daß wir uns nach neuen Finanzierungsmodellen umsehen müssen. Auf diesem Gebiet herrscht bei der sonst so rührigen Opposition leider totale Funkstille.
Im Gegenteil! Wo war denn der entwicklungspolitische Sprecher der Opposition im Jahr 1974, als Fraktionskollegen versuchten, den Etat des Entwicklungsministers zugunsten des deutschen Mittelstands zu kürzen? Der Haushaltsausschuß hat diesen Angriff seinerzeit einmütig abgewehrt. Etwas mehr aktive Unterstützung hätten wir uns schon gewünscht, Herr Kollege Todenhöfer, auch wenn es darum geht, unangenehme Wahrheiten vor der deutschen Offentlichkeit zu vertreten.Wir haben uns daran gewöhnt, daß die Opposition alles besser machen will. Nach vier Jahren lautstarker Kritik — vor allem von Ihnen, Herr Todenhöfer — ist es jedoch an der Zeit, daß Sie Ihr Finanzierungskonzept, das Sie möglicherweise einbringen können, darlegen. Warum haben Sie in den letzten vier Jahren nicht einen Teil Ihrer Kraft darauf verwendet, jene Kreise, die Ihnen besonders nahestehen, zu größeren finanziellen Anstrengungen aufzufordern? Es hat eine Zeit gegeben, in der die deutsche Industrie unter sanftem amerikanischem Druck einen Kredit von 1,3 Milliarden DM für Entwicklungshilfe zusammengebracht hat. Hier hätte sich auch für die Opposition ein weites Betätigungsfeld eröffnet. Leider haben wir feststellen müssen, daß Sie außer hohlem Pathos nicht viel für die Länder der Dritten Welt getan haben.
Das ist nämlich der größte Unterschied, der Sie, Herr Kollege Todenhöfer, von Ihrem Vorgänger Kiep unterscheidet. Obwohl Kiep um Schwächen und Fehler der deutschen Entwicklungspolitik wußte, hat er die Regierung nach Kräften unterstützt,
weil Entwicklungspolitik als nationale Aufgabe von allen Parteien gemeinsam getragen worden war und getragen werden sollte.Wenn dagegen Sie, Herr Kollege Todenhöfer, irgendwo auf der Welt ein faules Ei gefunden haben, dann sind Sie damit schwanzwedelnd vor die deutsche Öffentlichkeit gerannt und haben einen Heidenspektakel vollführt.
Ich weiß, Sie haben sich inzwischen eine ganze Sammlung fauler Eier hinter den Spiegel gesteckt, und Sie sind stolz darauf. Solche „Erfolgspolitiker" allerdings, Herr Kollege Todenhöfer, müssen sich nach vier Jahren gefallen lassen, daß sie danach gefragt werden, wozu das ganze Theater gut war.
Als Haushaltspolitiker haben wir gemeinsam einen erheblichen Beitrag zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland geleistet. Ich kann deshalb nur hoffen, daß Sie nachher an dieser Stelle ein Ei legen, über das zu diskutieren sich wirklich lohnt.
Das Wort hat der Abgeordnete Picard.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst eine Bemerkung machen, die nicht zum Einzelplan 23, sondern zum Einzelplan 05 gehört. Ich möchte bedauern, daß das Verfahren, das am heutigen Tage geübt worden ist, zur eigentlichen haushaltspolitischen Betrachtung keine Zeit gelassen hat. Ich möchte empfehlen, daß die Herren Fraktionsgeschäftsführer, die ja solche Verfahren immer festlegen, einmal darüber nachdenken, ob das der Sinn einer Haushaltsberatung gewesen ist.Wir sind so spät, daß ich es mir verkneifen möchte, mehr als wenige knappe Bemerkungen zu machen. Ich möchte ganz kurz auf etwas Bezug nehmen, was Herr Kollege Esters gesagt hat. Herr Kollege Esters, den ich sonst sehr schätze, hat hier, glaube ich, eine gewisse Grenze überschritten, indem
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Picarder gemeint hat, daß Kollege Todenhöfer von Vertrauensbruch zu Vertrauensbruch wandele.
So mußte man das wohl interpretieren. Sie sind zum Schluß so sehr auf Gemeinsamkeit ausgegangen, Herr Esters. Aber wenn man so anfängt, darf man sich nicht wundern, daß die Chance zur Gemeinsamkeit auf diese Weise nicht herzustellen ist.
Ich sehe auch nicht, daß es Aufgabe der Opposition sei, immer blindlings der Regierung zu vertrauen. Wenn ich hier einige sehe, die früher einmal in der Opposition waren, als wir in der Regierung waren, und die wieder in die Opposition kommen werden, wenn wir in der Regierung sein werden,
dann erinnere ich mich daran, daß die nie der Meinung waren, daß eine Regierung, weil sie Regierung ist, Vertrauen verdient, sondern sie waren zu Recht der Meinung, daß eine Regierung von seiten der Opposition Mißtrauen verdiene und Kritik zu erwarten habe. Das ist die Aufgabe der Opposition, nicht blindes Vertrauen.
Soviel als einleitende Bemerkung.Herr Kollege Friedrich, dem ich sehr aufmerksam gelauscht habe — ich persönlich habe die Auffassung, die Rede hätte kürzer sein können; dann wäre sie vielleicht auch besser gewesen —,
hat gemeint, man könne stolz sein auf die Leistungen in der Entwicklungshilfe. Wissen Sie, im Jahre 1969 betrug der Anteil des Entwicklungshilfehaushalts am Gesamthaushalt 2,7 %. Wir haben damals nicht davon geredet, wir haben kein Theater gemacht. Wir waren auch gar nicht der Meinung, man sollte darüber streiten, ob das Ministerium gut oder schlecht war. Wir haben nur festgestellt, daß es ein erheblicher Batzen mehr war, als es heute der Fall ist. Heute beträgt der Anteil 1,8 %. Wir überlassen es den Vorgängern des Herrn Ministers Bahr, darüber nachzudenken, ob sie ein gutes oder ein schlechtes Ministerium geführt haben,
oder ob wir im Haushaltsausschuß das Ministeriumerst zu einem Ministerium gemacht haben. Das istnicht meine Sache; ich will da keine Noten verteilen.Zu dem, was der Kollege Esters zu den Zahlen gesagt hat, möchte ich bemerken: Ich bewundere die Kunst, aus einem Minus ein Plus zu machen.
Das erinnert mich an die Wortschöpfung dieser Regierung und dieses Bundeskanzlers, der nicht nur das Null-, sondern sogar das Minuswachstum erfunden hat. Meine Damen und Herren, solche Taschenspielerkunststückchen werden uns nicht über die bittere Erkenntnis hinweghelfen, daß als Folge der allgemeinen Haushaltsmisere — darüber muß man einmal nachdenken — trotz steigender Haushaltsglobalsumme die Entwicklungshilfe leider gekürzt worden ist. Darüber nachzudenken empfehle ich der Regierung.Nun ein paar Bemerkungen zum Einzelplan 23. Ich fange mit der Öffentlichkeitsarbeit an. Über eine Öffentlichkeitsarbeit, deren Mittelansätze für die Inlandsverwendung erheblich gesteigert wurden, während die zur Auslandsarbeit zur Verfügung stehenden Beträge so gut wie völlig gestrichen wurden, kann sich eine Opposition nicht freuen, weil die Mittel ich beziehe mich wieder auf den Kollegen Esters — bei so breiter Zustimmung der Bevölkerung in einem solchen Ausmaß doch gar nicht nötig sind. Was wird man also mit den Mitteln für die Öffentlichkeitsarbeit machen? Wahlpropaganda!Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt den Eindruck, daß die Reduzierung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit im Ausland und demgegenüber die erhebliche Verstärkung der Mittel für die Inlandsarbeit des Bundespresseamtes und der einzelnen Ministerien doch dazu dienen, die Startchancen der Parteien, die sich um die Gunst des Wählers bewerben, zugunsten einer Regierung, die sich weitgehend der Kritik der Öffentlichkeit ausgesetzt sieht, zu verändern. Das sollte doch nicht —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Bitte sehr, Herr Kollege Stahl!
Herr Kollege Picard, würden Sie mir zustimmen, daß andere Länder im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit wesentlich mehr tun als die Bundesrepublik Deutschland und daß sich selbst Ihre Kollegen — ich glaube, daß das die Auffassung des ganzen Hauses ist darüber einig sind, daß die Öffentlichkeitsarbeit für die Entwicklungshilfe, die sachliche Aufklärung wesentlich erweitert werden muß?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Stahl, daß die sachliche Aufklärung wesentlich erweitert werden muß. Sachliche Aufklärung kann man auf verschiedene Weise machen. Man kann sie auch so machen.
Nur kann man dann darüber streiten, ob das noch sachliche Aufklärung ist, insbesondere wenn man die Adressaten mit berücksichtigt, die das bekommen. Nicht nur der kleine Arbeiter, der ansonsten vielleicht die „Bild-Zeitung" liest, sondern auch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16901
Picardandere Adressaten werden mit Erzeugnissen „sachlich" aufgeklärt, deren sachlicher Aufklärungswert mindestens fragwürdig ist.Es ist ganz interessant, Herr Kollege Stahl, daß wir bei den Haushaltsberatungen nicht in der Lage waren, eine griffige Konzeption dessen zu erfahren, was denn nun mit den wesentlich erhöhten Mitteln der Inlandsarbeit gemacht werden soll. Das lag nicht daran, daß wir nicht gefragt hätten. Vielleicht lag es daran, daß uns die Regierung das Vertrauen nicht geschenkt hat, sie könne uns die Karten offen auf den Tisch legen, wenn sie nicht vielleicht keine sachliche Arbeit damit macht. Das lasse ich offen. Jedenfalls haben wir, als wir einen Entwicklungshilfeanteil von 2,7 % hatten, Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Wenn wir inzwischen nach 20 Jahren Öffentlichkeitsarbeit die breite Zustimmung der Bevölkerung haben, muß man wenigstens einmal darüber nachdenken, ob man ausgerechnet im Wahljahr die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit im Inland beinahe verdoppeln muß. Das ist doch der Punkt meiner Kritik.
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zum Haushalt machen. Wir haben im Haushaltsausschuß, wo wir vieles gemeinsam machen — das liegt in der Natur der Sache — und wenige Punkte kontrovers diskutieren und auch kontrovers abstimmen, ein Lieblingsprojekt einiger Kollegen aus der SPD zu beraten gehabt. Manche meinen, es sei Spielzeug, manche meinen, es sei ernst zu nehmen. Wir waren jedenfalls der Meinung, man könne einen Versuch machen, ob man in der Lage sei, Transportprobleme mit Hilfe von Luftschiffen zu lösen.
Herr Abgeordneter, — —
Frau Präsidentin, ich will wenigstens diesen Gedanken zu Ende führen, dann kommt die nächste Zwischenfrage.
Ich bin für diesen Versuch gewesen, und wir alle in meiner Gruppe waren für diesen Versuch, weil er lediglich einige hunderttausend DM kosten sollte. Dann war von 2,5 Millionen DM die Rede, und inzwischen höre ich — mir scheint, verbindlich, wenn auch nicht offiziell --, daß die 2,5 Millionen DM bei weitem nicht ausreichen.
— Ach nein! Das habe ich mir auch gedacht. Da wir den Herrn Minister hier haben und er noch mit sich schwanger geht, ob er reden soll oder nicht
— er redet —, können wir vielleicht hören, wie hoch
inzwischen die Schätzungen für dieses Projekt sind.
Meine Freunde und ich legen jedenfalls Wert darauf, daß wir hier nicht einer Geschichte aufgesessen sind, weil wir nicht mit massivem Widerstand dagegen waren, die vielleicht doch andere Gründe als sachliche Notwendigkeiten gehabt hat, bis sie in den Haushaltsausschuß kam. Ich will das nur als ernst zu nehmende Warnung ausgesprochen haben.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung machen, und zwar einmal deshalb, weil ich die Arbeit dieser Stiftung für ausgezeichnet halte — dieser Meinung bin nicht nur ich, sondern ich glaube, da sind wir uns alle einig —, aber auch, weil diese Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung in Berlin sitzt und weil wir — so schien es mir, und ich hoffe, daß das noch so ist — uns in diesem Punkt wiederum einig sind, daß man Berlin zu einem Zentrum internationaler Tätigkeit auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe durch die Bundesrepublik werden lassen sollte. Der Beginn ist gemacht. Es gibt Schwierigkeiten. Ich würde die Bundesregierung sehr herzlich und dringend bitten, nicht die gleiche Position zu beziehen wie bei der Nationalstiftung, sondern Berlin als einen integrierten Bestandteil der Bundesrepublik insoweit zu behandeln, daß das internationale Parkett Berlin verstärkt wird. Es darf nicht so getan werden, als wären wir bereit, irgendwelchen Bedenken östlicher Kritiker Rechnung zu tragen.
Wir haben im Haushaltsausschuß eine etwas eigenartige — so könnte man beinahe sagen — Entscheidung getroffen. Wir haben nämlich das Kapital der Deutschen Entwicklungsgesellschaft statt um 30 Millionen DM urn 55 Millionen DM erhöht, ebenso die Verpflichtungsermächtigung. Das ist im Rahmen des Entwicklungshilfe-Etats eigentlich eine Ausnahmeentscheidung gewesen. Wir haben das eifrig diskutiert und sind dann einstimmig zu diesem Entschluß gekommen, weil wir meinen, daß die Deutsche Entwicklungsgesellschaft damit in eine wesentlich bessere Lage versetzt wird, bei der Erschließung von Rohstoffen verstärkt tätig zu werden. Das war wohl der Hintergrund. Diese Gesellschaft arbeitet, soweit ich das zu überblicken vermag, sehr gut.
Es gibt allerdings eine Gefahr: Die Entwicklungsgesellschaft hat die Aufgabe, zur Strukturverbesserung der Entwicklungsländer beizutragen. Das kann und darf aber nicht heißen, daß wir diese Gesellschaft, nun mit einem wesentlich größeren finanziellen Rahmen, auf einem Wege sehen, der nur zu Beteiligungen an Großunternehmen führt. Ich sage das mit Nachdruck. Das würde nicht nur den Absichten bei der Gründung der Entwicklungsgesellschaft entgegenstehen, sondern wäre auch keine gute Leistung für die Entwicklungsländer selber. Ich sage das hier so deutlich, um nicht hinterher vor vollendeten Tatsachen stehen zu müssen.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zur GTZ machen. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit ist, möchte ich sagen, ein gemeinsames Kind des Haushaltsausschusses, sicher beschleunigt auf die Welt gebracht durch die Kritik der Opposition an früheren Verhältnissen. Ich möchte meinen, daß
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Picard
sich diese Konstruktion, soweit man das im Augenblick schon sagen kann, bewährt hat. Ich habe allerdings nach der relativ kurzen Lebenszeit der GTZ ein paar kritische Fragen. Ich frage mich, ob sie genügend Bewegungsfreiheit hat oder ob nicht doch die Gefahr vorhanden ist ich meine, sie sei es —, daß die sehr enge, auch personelle Verflechtung zwischen dem Hause und der Gesellschaft zu einer zu großen Einflußnahme und zu einer zu geringen Eigenständigkeit und Bewegungsfreiheit, zu mehr Abhängigkeit, als notwendig ist, geführt hat. Ich wäre deshalb sehr dankbar, wenn nach dem Anlaufen der Gesellschaft darüber einmal offen vielleicht im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft — gesprochen werden könnte, ob das so ist und ob nicht etwas anderes notwendig wäre.
Da ich soeben über die Kapitalerhöhung der Deutschen Entwicklungsgesellschaft gesprochen habe, möchte ich die Frage stellen — ich persönlich würde sie bejahen —, ob nicht die Kapitalausstattung der GTZ zu gering ist. Ich glaube, das ist eine Frage, die mit der Bewegungsfreiheit und Eigenständigkeit zusammenhängt.
Abschließend eine Bemerkung, auch aus Haushaltssicht, zur Ausrüstungshilfe im Verhältnis zur Entwicklungshilfe: Wir haben in der Ausrüstungshille das eine oder andere Projekt, das früher in der Entwicklungshilfe war, übernommen. Wir haben damit die Zahl der Ausrüstungshilfeempfänger vermehrt, aber auch aus anderen Gründen. Ich sehe, daß das zu Schwierigkeiten führt, und ich meine, daß wir die Kooperation zwischen Auswärtigem Amt und BMZ auch in diesem Bereich zu verstärken hätten, so daß wir nicht Ressort-Eifersüchteleien zu vermuten haben müssen — sie sind in diesem Falle tatsächlich vorhanden gewesen —, die dann zu Ergebnissen führen, die den eigentlichen Effekt der Ausrüstungshilfe ad absurdum führen, da die Mittel zu gering und die Zahl der Empfängerländer zu groß ist.
Bei beidem, sowohl bei der Ausrüstungs- wie bei der Entwicklungshilfe, sind auch die Interessen des eigenen Landes, der Bundesrepublik Deutschland, zu berücksichtigen. Es gibt sicher kein Patentrezept. Ich meine aber, man müßte auch bei der Entwicklungshilfe zwar nicht Wohlverhalten, aber so etwas wie Anerkennung von seiten des Empfängers erwarten dürfen. Das ist in vielen Fällen so, aber nicht in allen.
Die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland geschieht immer weniger auf dem bilateralen und immer mehr auf dem multinationalen Wege. Ich persönlich — ich glaube, ich bin hier mindestens mit meiner Fraktion einig — möchte meinen, wir sollten die Entwicklungshilfe von seiten der Europäischen Gemeinschaft verstärken und sie bilateral reduzieren. Wir sollten sie aber nicht auf dem Wege der Multinationalität, auf dem Wege über VN-Einrichtungen verstärken.
- Das ist ja der Punkt, Herr Kollege Marx: Wir zahlen
allein über den Einzelplan 05 an Einrichtungen der
UN 900 Millionen DM. Angesichts dieser Summen
— da könnte die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung einsetzen — ist es einem deutschen Bürger verdammt schwer klarzumachen, daß wir denjenigen helfen — ihnen die Chance geben, zu sich selbst zu finden und die von ihnen gewünschten Sozial- und Wirtschaftsstrukturen aufzubauen —, die uns bei jeder, aber auch bei jeder Abstimmung im Stich lassen, wenn es einmal darum geht, eigene Vorstellungen zu einer Mehrheit zu führen.
Auf die Dauer, meine Damen und Herren, ist es für den deutschen Bürger, der Einschränkungen hinnehmen muß und auch vielleicht bereit ist, sie hinzunehmen, kein Vergnügen, zu sehen, daß Bereitschaft zur Hilfe — um nicht zu sagen: gute Taten — mit genau dem quittiert wird, was nicht verdient ist. Ich will das nicht besonders drastisch ausdrükken. Herr Kollege Wehner würde das besser können als ich.
Aber Sie verstehen, was ich meine. Hier, meine Damen und Herren, könnte sachliche Aufklärungsarbeit, Herr Kollege Stahl, durchaus von Nutzen sein, sachliche Aufklärungsarbeit aber weniger im Inland, sondern im Ausland. Ich wäre nach wie vor bereit, den vollen Titel der Öffentlichkeitsarbeit zu tragen, wenn das nicht für Inlandsarbeit, sondern, wie das vorher war, für Auslandsarbeit wäre.
Ich komme zurück auf eine abschließende Bemerkung wiederum des Kollegen Esters. Herr Kollege Esters, Gemeinsamkeiten in bestimmten Bereichen der Politik hängen nicht nur von Appellen, die Koalitionsmitglieder hier an das Parlament richten, ab, sondern sie hängen auch von der Bereitschaft ab, Gemeinsamkeiten zu praktizieren. Gemeinsamkeit muß nicht immer „einstimmig" heißen, sondern Gemeinsamkeit kann z. B. heißen: ein wohlabgesprochenes Spiel mit verteilten Rollen. Wenn die Opposition von dieser Regierung in der Entwicklungspolitik insoweit partizipieren könnte und ernst genommen würde, wären wir vielleicht ein Stückchen weiter.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Bahr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16903
Bundesminister BahrHerren! Ich möchte mich zunächst sehr herzlich für das bedanken, was der Kollege Esters gesagt hat.
— Ja.
Ich möchte mich angesichts der vorgeschrittenen Zeit darauf beschränken, einige Bemerkungen zu machen.Herr Kollege Picard, was Sie gesagt haben, kann ich wie folgt beantworten: Ich würde sehr gern ein Verhältnis der Sachlichkeit mit der Opposition aufnehmen. Ich würde mich über eine so sachliche Partnerschaft, wie wir sie soeben skizziert bekommen haben, freuen.Ich darf hier einige Bemerkungen zu den Fragen machen, die Sie gestellt haben. Zunächst zum Thema Öffentlichkeitsarbeit. Ich gehe davon aus, daß wir in der Lage sein werden, Ihnen durch Taten zu beweisen, daß die Erhöhungen für Inlandsarbeit nicht mißbraucht werden in dem Sinne, wie Sie es befürchten.
Sie wissen, wir haben in der nächsten Woche eineSitzung, auf der alle beteiligten Gruppen zusammenkommen werden, um über Programme zu sprechen.
Die Ziffern, die Sie zum Thema Luftschiff genannt haben, kann ich Ihnen nicht bestätigen. Die Preisprüfung hat noch nicht stattgefunden.
Sie beginnt in dieser Woche. Der Haushaltsausschuß und alle Beteiligten wissen, daß alle Zahlen natürlich unter dem Vorbehalt der Preisprüfung stehen. Sie können auch in diesem Punkte sicher sein, daß wir mit aller gebotenen Vorsicht vorgehen.Zu dem, was Sie über die Stiftung für Entwicklungsländer in Berlin gesagt haben, darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, das zu reduzieren, was auf diesem Gebiet in Berlin stattfindet und bisher auch ohne Störungen stattgefunden hat. Wir gedenken nicht, an dieser Praxis etwas zu ändern.Darf ich ein Thema aufgreifen, das Sie im Zusammenhang mit der Deutschen Entwicklungsgesellschaft angesprochen haben. Ich fühle mich mit Ihnen darin einig, daß man aufpassen muß, daß an den dort zur Verfügung gestellten Mitteln nicht zu viele große Unternehmungen partizipieren. Denn in der Tat ist das für mittlere und kleine Unternehmen gegründet worden, und die Erfolge sprechen in dieser Beziehung für sich.Ich wäre nur dankbar, wenn auch Ihr positiver Ansatz für die annähernde Verdoppelung der Kapitalausstattung darin seinen Ausdruck fände, daß Sie dem Haushalt zustimmen, denn mit diesem Haushalt wird das ja verdoppelt.
Sie könnten dann auf diese Wese auch demonstrieren, daß die Bundesregierung gegen die deutsche Wirtschaft nicht so feindlich ist, wie einige Ihrer Sprecher es uns manchmal unterstellen.
Zur GTZ: Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind, daß die GTZ trotz eines schwierigen Anlaufs insgesamt positiv arbeitet. Ich bin der Überzeugung, daß sich die Rechtsform, die wir übrigens entgegen dem Rat einiger Sprecher der Opposition, die eine andere Rechtsform haben wollten, gefunden haben, bewährt hat. Und ich bin der festen Überzeugung, daß es dem entsprechen würde, daß die GTZ so viel Bewegungsfreiheit hat, wie sie braucht. Ich bin auch mit der Idee einer vergrößerten Kapitalausstattung für die GTZ sehr einverstanden.Lassen Sie mich in einigen wesentlichen Punkten einige Bemerkungen zur politischen Situation machen. Ich glaube, daß wir uns künftig mehr als bisher mit einer Situation werden befassen müssen, die sich mit Riesenschritten ankündigt. Wir haben nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler 120 000 Generationen gebraucht, bis die Menschheit die erste Milliarde erreichte. Wir haben 5 Generationen bis zur zweiten Milliarde gebraucht; wir haben 1 Generation bis zur dritten gebraucht und eine halbe Generation bis zur vierten Milliarde. Das heißt, wir werden lange vor dem Jahr 2000 mit der fünften und der sechsten Milliarde Menschen auf dieser Welt zu rechnen haben. Alle Entwicklungsanstrengungen werden wenig nützen, wenn dieses Problem ungelöst bleibt.Ich glaube, daß es auf die Dauer unvertretbar sein wird, daß ein Land auf seine Souveränität pocht, wenn es um den unbegrenzten Zuwachs seiner Bevölkerung geht, aber für die Bewältigung der dadurch entstehenden Probleme an Mitgefühl und Hilfe anderer appelliert.Die Bundesrepublik Deutschland wird bei der Bewältigung dieses Problems nicht in der vordersten Linie zu finden sein. Denn ein Land, dessen Verfassungsgericht seinen Spruch zum § 218 wie bekannt begründet hat, muß sich äußerste Zurückhaltung auferlegen, wenn es von anderen Ländern dazu befragt wird. Wir haben bisher Familienplanung im Rahmen der Vereinten Nationen unterstützt, aber angesichts der dramatischen Entwicklung auf unserem Globus halte ich es für unverantwortlich, künftig mit einem kalten Nein zu antworten, falls ein Land uns direkt und bilateral um Hilfe fragen sollte.
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16904 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister BahrMeine Damen und Herren, es ist in New York bei der 7. Sonderkonferenz gelungen, Kraftproben zu vermeiden. Konfrontationen in mögliche Kooperation umzuwandeln ist das Ziel der jetzt in Nairobi stattfindenden Welthandelskonferenz, und danach wird sich die nächste Phase des Dialogs in Paris bewähren müssen. Ich begrüße deshalb in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß zur UNCTAD-Komferenz und zu damit zusammenhängenden Fragen eine Entschließung eingebracht worden ist. Diese Entschließung ist in dem Ausschuß ohne Kontroverse angenommen worden und hat für die Bundesregierung wertvolle Dienste für ihre Vorbereitung in Nairobi geleistet.Diese Resolution jetzt im Plenum einzubringen bedeutet dreierlei. Erstens: Sie zeigt die Kontinuität der Fraktionen dieses Hauses in wichtigen Fragen. Zweitens: Sie räumt mit jedem Verdacht auf, daß irgend jemand bereit sein könnte, wichtige Grundsätze unseres freiheitlichen wirtschaftlichen Systems aufzugeben. Drittens: Sie wird natürlich ein wichtiger, auch in die Erörterung in Nairobi einzuführender Punkt sein, auf den sich unsere Delegation dort stützen kann. Ich bitte gerade unter dem letztgenannten Gesichtspunkt die Opposition zu überlegen, dieser Entschließung in der nächsten Woche doch noch zuzustimmen. Sie stärkt die deutsche Position.Ein Sprecher der Opposition will erklärtermaßen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit werden. Dies ist legitim, auch wenn der Kollege Kohl gar keine Regierungsmannschaft zusammenstellen will, was ich wiederum auch verstehen kann. Denn wozu sich unnötig Ärger machen? Dieser Kollege hat eine Diskussion in der Presse über kommunistisch orientierte Entwicklungsländer angezettelt. Mir liegt daran, darauf hinzuweisen, daß er seine Argumente nicht im zuständigen Ausschuß vorgetragen, sondern dort wie alle seine Fraktionskollegen ohne Änderung, Einschränkung oder Vorbehalt der Rahmenplanung der Bundesregierung zugestimmt hat. Dies meine Damen und Herren, geht eben nicht gut: nach außen die Regierung für Punkte verteufeln, die man intern akzeptiert.
Hier geht es nicht darum, daß eine solche Politik die Bundesrepublik Deutschland in die internationale Vereinsamung — vor allem auch dem Westen gegenüber — führen würde. Ich finde, es geht um ein Minimum von anständigem Umgang unter Demokraten in diesem Lande,
auch im Wahlkampf.
Ich hoffe also, daß wir uns darin einig sind, daß nicht wir dort die Fahnen einziehen, wo Kommunisten sie aufziehen, daß nicht sie das Feld bestimmen, das wir räumen. Niemand darf die Erfahrungen in Portugal vergessen. Wir sollten uns vor demokratischem Defätismus hüten, auch wenn er sich antikommunistisch gibt.
Wir stehen im südlichen Afrika am Anfang vom Ende des Kolonialismus. Die damit zusammenhängenden Vorgänge werden unsere Aufmerksamkeit in den nächsten Jahren stark beanspruchen. Sie werden unser Volk vielleicht mehr erregen als die meisten früheren Vorgänge dieser Art, denn in Namibia sind die Spuren des früheren Deutsch-Südwestafrika unübersehbar. In Rhodesien wird Krieg geführt, und es hat den Anschein, als ob es zu spät sei, Zimbabwe, den Staat der afrikanischen Mehrheit, auf dem Wege der Verhandlung zu schaffen. Ich habe mich Anfang vergangenen Monats auf einer außenpolitischen Konferenz meiner Partei für eine klare Unterstützung des Mehrheitsprinzips ausgesprochen. Wer sich gegen die Herrschaft der Mehrheit in Afrika ausspricht, verstößt gegen die Idee der Demokratie und gegen den Gang der Geschichte. Wer sich bei uns gegen das Prinzip der Mehrheitsherrschaft in Afrika ausspricht, wird die Geschichte nicht aufhalten, wohl aber der Idee der Demokratie Schaden zufügen. Dabei verstehen wir unter einer auf Recht gegründeten Herrschaft der Mehrheit auch die gesicherten Rechte der Minderheit, denn es gibt im südlichen Afrika auch weiße Afrikaner.Ich verstehe, daß die Befreiungsbewegungen dort als erstes nach Waffen rufen und sie von dem nehmen, der sie ihnen geben will. Ich habe mich voller Überzeugung dafür ausgesprochen, zur Lieferung von Waffen dennoch nein zu sagen, aber unsere Wirtschaftskraft einzusetzen, um durch Taten zu zeigen, auf wessen Seite wir stehen.
Der amerikanische Außenminister hat drei Wochen später in Lusaka die Position seines Landes in ähnlichen Worten umschrieben. Die Konsequenz daraus ist natürlich unsere Bereitschaft, Befreiungsbewegungen dabei zu unterstützen, sich auf ihre künftigen Aufgaben vorzubereiten. Entwicklungshilfe für das südliche Afrika bedeutet heute — dies wird es in den kommenden Monaten immer mehr bedeuten —, dabei zu helfen, den Übergang zur Herrschaft der Mehrheit zu erleichtern. Dabei ist klar, daß wir ebenso wie die Vereinigten Staaten bereit sind, mit anderen zusammen ein Programm der wirtschaftlichen, technischen und Bildungshilfe durchzuführen, um es einem unabhängigen Zimbabwe zu erleichtern, seinen Weg zu gehen. Der amerikanische Außenminister hat übrigens Mozambique 12,5 Millionen Dollar zugesagt, um die wirtschaftlichen Schäden ausgleichen zu helfen, die diesem Land durch seine Maßnahmen gegen das illegale Regime in Rhodesien entstanden sind. Ich bin verwundert, daß er deshalb noch nicht von der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16905
Bundesminister BahrOpposition angegriffen wurde — wegen Unterstützung eines kommunistischen Regimes.
Die Bundesregierung ist nicht so weit gegangen wie der amerikanische Außenminister, dafür aber angegriffen worden. Wir wissen diese Vorzugsbehandlung zu schätzen.
Ich hätte nun eigentlich erwartet, daß auch die Europäische Gemeinschaft von der Opposition angegriffen worden wäre, denn sie hat sich an einer entsprechenden Hilfsaktion für Mozambique beteiligt, und die Bundesregierung hat kein Veto eingelegt. Ich vermisse bisher eine klare Aussage der Union zu diesem wesentlichen aktuellen Komplex der Entwicklungspolitik. Vielleicht ist es für sie zu schwer, sich gegen die Bundesregierung u n d gegen unseren wichtigsten Verbündeten zu stellen. Die Opposition hat Gelegenheit, das im Laufe der Debatte zu korrigieren.Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Bernerkung hinzufügen, die an die Diskussion des heutigen Morgens anknüpft. Die meisten Länder der Dritten Welt erklären von sich, daß sie einen Weg des Sozialismus einschlagen. Die wenigsten erklären sich für einen Weg des Kommunismus oder des Kapitalismus. Diese Situation läßt sich durch keine der Schablonen aus der Welt schaffen, die wir von Sprechern der Opposition im Laufe des heutigen Tages gehört haben. Wir alle wissen, daß der Kommunismus in unserem Lande keine Chance hat, weil die Demokraten — die Sozialdemokraten, die Liberalen, die Christen — die gleiche Aufffasung von elementaren Grundwerten haben und die überwältigende Mehrheit unseres Volkes von diesen Grundwerten überzeugt haben. Die Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Unfreiheit wird also nicht in der Bundesrepublik Deutschland entschieden, denn wenn es darauf ankäme, wäre die Entscheidung bereits gefallen. Diese Auseinandersetzung wird in der Welt entschieden, und die Entscheidung ist offen. Viele Länder der Dritten Welt lehnen einen konservativen Freiheitsbegriff ab, in dessen Namen der Kolonialismus erfolgt ist. Sie haben erfahren und erlitten, daß Freiheit nichts taugt, wenn sie nur die Freiheit der Wenigen, der Privilegierten oder der Starken ist.
Hier ist eine doppelte Mahnung an die Opposition zu richten. Zum einen ist es ihre Sache, andere Staaten — auch in Europa, aber die Mehrzahl der Staaten in der Welt überhaupt — zu beleidigen, indem sie so tut, als gäbe es eine Alternative zwischen Freiheit und Sozialismus. Es käme nicht Gutes für unser Land heraus, wenn diese Alternative zum Markenzeichen unseres Landes würde.Zum anderen: Die meisten Staaten dieser Welt suchen ihren Weg nach sozialistischen Überlegungen. Hier wird die heutige Haltung der deutschenOpposition gefährlich für uns alle. Ihre falsche Al- I ternative erweckt den Eindruck, als ob der Sozialismus der Feind der Freiheit sei. Wer diesen Eindruck erweckt, wird in der weltpolitischen Auseinandersetzung das Gegenteil von dem erreichen, was er erreichen will, denn nur wenn Freiheit und Sozialismus untrennbare Verbündete sind und es im Bewußtsein der Welt bleiben, hat die Freiheit eine Chance.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Esters, Sie haben die vertrauliche Rahmenplanung angesprochen, das war ein Fehler. An dem Abend, an dem Minister Bahr die vertrauliche Rahmenplanung dem Entwicklungsausschuß vorgelegt hat, hat Minister Bahr Journalisten eingeladen
und hat diesen Journalisten ausführlich über die vertrauliche Rahmenplanung berichtet, auch über Einzelheiten, die vertraulich waren.
Er hat Ihnen ferner ein mehrseitiges Papier über diese vertrauliche Rahmenplanung vorgelegt, das er uns verweigert hatte. Meine Damen und Herren, der einzige, der nachweisbar die Vertraulichkeit der Sitzung gebrochen hat, ist dieser Minister selber.
Erst in der Folge zu dem von Minister Bahr in die Öffentlichkeit gebrachten Artikel hat die Opposition überhaupt Stellung genommen. Ihre erste Stellungnahme war ein Protest gegen den Bruch der Vertraulichkeit durch den Entwicklungsminister. Herr Esters, Sie sollten sich in Zukunft bei Ihren Ghostwritern aus dem Ministerium etwas besser informieren.
Wenn hier über Entwicklungspolitik diskutiert wird, dann muß auch etwas über die ständigen Irreführungen durch den zuständigen Minister gesagt werden. Er hat hier wieder eine geboten, indem er gesagt hat, der Rahmenplanung sei zugestimmt worden. Dieser Rahmenplanung ist nicht zugestimmt worden. Diese Rahmenplanung ist zur Kenntnis genommen worden. Wenn der Minister das hier sagt, sagt er die Unwahrheit.
Zweitens. Wir haben — —
Gestatten Sie, Herr Kollege Dr. Todenhöfer, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl ? — Bitte.
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16906 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Herr Kollege Dr. Todenhöfer, würden Sie mir bestätigen, daß bei der Vorlage der Rahmenplanung im Ausschuß von Ihrer Seite keine Kritik kam, sondern im Gegenteil Zustimmung, und daß Sie keinerlei Änderungsanträge in irgendwelcher Form gestellt oder Anregungen gegeben haben?
Darum geht es doch überhaupt nicht, Herr Kollege Stahl,
sondern es geht darum, daß der Minister hier vor diesem Parlament die Unwahrheit gesagt hat, indem er behauptet hat, wir hätten dieser Rahmenplanung zugestimmt.Wir haben eine Dokumentation von 18 Seiten über Unwahrheiten von Entwicklungsminister Bahr vorgelegt. Ich möchte hier nur auf fünf dieser Unwahrheiten — wir könnten viel mehr vorlegen — einmal ansprechen. Seit Entwicklungsminister Bahr im Amt ist, verkündet er die großen Dreieckskooperationen mit den Ölländern — zur großen Freude der Entwicklungsländer und zum großen Erstaunen der Ölländer. Eine der Erfolgsmeldungen, die er durch sein Haus verkünden ließ, hieß: Saudi-Arabiens Zustimmung zu Bonns Konzept der Dreieckskooperation — ein großer Erfolg. Als kurz darauf die saudiarabische Wirtschaftsdelegation nach Bonn kam, war der erste Punkt, den die saudiarabische Delegation von der Tagesordnung streichen ließ, dieser Punkt Dreieckskooperation, weil sie nicht bereit war, darüber zu sprechen.Ich verzichte darauf, hier darzulegen, was mir zu diesem Fragenkomplex der saudiarabische Botschafter persönlich gesagt hat. Es reicht aus, zu wissen, was der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Rohwedder dazu gesagt hat. Er hat gesagt: die Sache wäre zu schön, um wahr zu sein; die Saudis wollten an die Sache überhaupt nicht heran, wir sollten die Geschichte mit den großen Dreiecksgeschäften so schnell wie möglich vergessen.Zweitens. Am 28. März 1976 erklärte Minister Bahr gegenüber „Bild am Sonntag" — ich zitiere —:Um das hier noch einmal deutlich zu sagen: Es gibt zur Zeit keine Entwicklungshilfe an Vietnam, an Mozambique, an Angola, an Kuba, Guinea-Bissau. Da fließt keine Mark hin. Schluß.Zitatende. Das ist sogar, wenn man es ganz wörtlich nähme, richtig. Minister Bahr vergaß in diesem Interview nur hinzuzufügen, daß für Angola, Mozambique und Guinea-Bissau nach seiner eigenen offiziellen Rahmenplanung, was wir auch aus der Presse wissen, für dieses Jahr Zusagen geplant sind. Aber daß da natürlich in der Presse und von den Journalisten niemand durchschaut, daß weiß auch Minister Bahr, und darauf spekuliert er.Drittens. In einem anderen Publikationsorgan wies Minister Bahr, um die öffentliche Kritik an seiner Entwicklungshilfe für kommunistische Staaten zu entkräften, darauf hin, daß auch die USA Vietnam Entwicklungshilfe angeboten hätten.
Dazu telegraphierte die deutsche Botschaft Anfang März 1976 aus Washington: „Aus dem Vietnam-Referat des State Department hörten wir dazu folgendes: Auslandshilfe aus öffentlichen Mitteln sowie jegliche Wirtschaftsbeziehungen zwischen USA und Vietnam sind durch Gesetz verboten."Viertens. Als die Opposition im vergangenen Jahr kritisierte, daß die Bundesregierung auf der 7. Sondergeneralversammlung in New York auf internationaler Ebene ihre Absicht erklärt hatte, 0,7 % des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe zu leisten, während sie national für 1979 nur 0,25 % vorsah, meinte Minister Bahr: Unsere Position ist nicht neu; unsere Position ist durch diese Resolution überhaupt nicht verändert worden. Zur selben Frage erklärte das Bundeswirtschaftsministerium in einer in der „Deutschen Zeitung" veröffentlichten Studie — ich zitiere —:Die Bundesregierung hat erstmals einen solchen Wortlaut akzeptiert. Neu ist vor allem, daß wir uns jetzt zusätzlich auf eine zeitliche Befristung — 1980 — eingelassen haben. Die vorbehaltlose Annahme dieser Ziffer ist unaufrichtig, trägt uns heftige Vorwürfe ein und beeinträchtigt unsere Glaubwürdigkeit.Fünftens. Wie man aus einem Minus ein Plus macht, hat Herr Kollege Picard eben schon dargestellt. Hier geht es um die Behauptung von Minister Bahr, der Entwicklungshilfehaushalt steige um 6,3 %. Gegenüber der OECD, also auf internationaler Ebene, hat die Bundesregierung die richtige „Steigerungsrate" bekanntgegeben, nämlich minus 15,3 %. Sie, Herr Holtz, als Ausschußvorsitzender und Mitglied der SPD haben diese Rechnereien „feinsinnige Rechnereien" genannt, die die Regierung angestellt hat.Wir könnten diesen fünf Beispielen eine große Zahl weiterer Beispiele der ausgeprägten Wahrheitsliebe dieses Ministers anfügen. Aber das Problem ist längst nicht mehr, Minister Bahr einmal bei einer Unwahrheit zu ertappen, das Problem besteht längst darin,
ihn einmal bei der Wahrheit zu ertappen.Minister Bahr ist bekanntlich der Auffassung, daß man in der Demokratie nur — ich zitiere — „wenn möglich" die Wahrheit sagen müsse. Ich meine, wer ein solches Verhältnis zur Wahrheit hat, dürfte in diesem Lande nicht Minister sein.
Wenn wir über Entwicklungspolitik debattieren, muß, wie Herr Minister Bahr das auch zu Recht ge-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16907
Dr. Todenhöfertan hat, etwas zu seiner Vorliebe für kommunistische Länder gesagt werden.
Ich spreche nicht von Bahrs Ostpolitik, nicht von der inzwischen bekanntgewordenen Tatsache, daß es Bahr war, der die letzten Schwierigkeiten des Milliarden-Kredites an Jugoslawien aus dem Weg geräumt hat. Ich spreche auch nicht davon, daß einer seiner ersten Pläne vor der Dreieckskooperation darin bestand, mit der Sowjetunion in der Dritten Welt gemeinsam Entwicklungsprojekte durchzuführen, wobei er den Russen zu verstehen gab, daß das doch eine gute Gelegenheit sei, um miteinander ins Geschäft zu kommen.Hier geht es um die öffentlich immer wieder und auch heute bekräftigte Auffassung von Minister Bahr, Entwicklungshilfe an kommunistische Staaten sei grundsätzlich unproblematisch. Wir sind der Meinung, daß Entwicklungshilfe an kommunistische Länder immer problematisch ist,
und zwar weniger aus entwicklungspolitischen Gründen, als vor allem aus sicherheitspolitischen Gründen,
d. h., daß wir uns mit aller Härte gegen Entwicklungshilfe an kommunistisch orientierte Entwicklungsländer wenden, wenn sich diese in die militärische Globalstrategie der Sowjetunion einordnen oder wenn diese eine aggressive antiwestliche Politik betreiben. Herr Bahr, wie wollen Sie denn eigentlich deutschen Arbeitslosen in diesem Lande klarmachen, daß wir Millionen-Beträge für kommunistische Länder bereitstellen, die von der Sowjetunion Raketen geliefert bekommen und diese Raketen gegen den Westen richten? Wollen Sie wirklich mit Molkereiprojekten gegen sowjetische Panzer antreten? Das kann doch nicht im Ernst Ihre Entwicklungsstrategie sein. Unsere Auffassung ist: Keine Deutsche Mark für sowjetische Vorposten in der Dritten Welt.
Entwicklungsminister Bahr sieht in allen diesen Fällen überhaupt keine Probleme — weder in Angola noch in Somalia noch in Vietnam.
Herr Dr. Todenhöfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Herr Präsident, ich möchte, daß die Debatte nicht so lange geht. Ich habe eine Zwischenfrage zugelassen. Ich möchte nun weiterreden.Für Angola, in dem noch über 10 000 Kubaner stehen und das als Aufmarschgebiet für weitere Kriege im südlichen Afrika gedacht ist, plant Minister Bahr nach Presseberichten noch in diesem Jahr Entwicklungshilfe in Höhe von mehreren Millionen DM. Minister Bahrs offizielles Argument lautet: Auch Kommunisten haben Hunger. — Einverstanden. Nur frage ich mich dann, warum er nach Presseberichten Angola ausgerechnet einen Rundfunksender liefern will.
— Glauben Sie, Herr Wehner, und glaubt denn die Bundesregierung ernsthaft, daß Sie die deutsche Öffentlichkeit, d. h. den deutschen Steuerzahler, für diese Art von geistiger Kost, die über diesen Sender verabreicht werden soll, hinter sich haben?
Herr Wehner, ich könnte mir vorstellen, was aus unserem Land geworden wäre, wenn wir Sie nicht hätten.
In Somalia befinden sich zur Zeit 1 000 russische Militärexperten, 100 sowjetische MIG-Kampfflugzeuge, mehrere Hunderte sowjetischer Panzer, russische Raketen und maritime und terrestrische Stützpunkte für die Sowjetunion. Dieses Land, das sich voll in die militärische Globalstrategie der Sowjetunion eingeordnet hat, enthält nach den Plänen Minister Bahrs ebenfalls deutsche Entwicklungshilfe in Millionenhöhe. Wo immer in Afrika Russen und Kubaner stehen, ist Minister Bahr und sind Sie mit der deutschen Entwicklungshilfe dabei. Das kann nicht die richtige Strategie sein. Wir sind nicht der Auffassung, daß wir überall, wo ein paar russische Militärexperten stehen, herausgehen sollten, aber wir sind in Fällen wie Somalia, wo es sich eindeutig um Vorposten der Sowjetunion handelt, dagegen, weiterhin präsent zu sein.
Ich bringe einen dritten Fall. Auch in Asien sieht Entwicklungsminister Bahr angeblich keine Probleme. Vietnam soll nach den Plänen von Entwicklungsminister Bahr Hilfe in Höhe von mindestens 40 Millionen DM erhalten, sobald die diplomatischen Beziehungen aufgenommen sind. Welche Politik zur Zeit in Hanoi betrieben wird, machte kürzlich die nordvietnamesische Parteizeitung Nhan Dan, „Das Volk", deutlich, als sie schrieb, für die revolutionären Bewegungen sei die Zeit nun sehr gut, um die Regierungen von Singapur, Thailand, Malaysia, Indonesien und den Philippinen zu stürzen. Das ist die Haltung Hanois, die wir mit deutscher Entwicklungshilfe unterstützen werden. Immer wieder ist Minister Bahr mit deutschen Steuergeldern dabei. Für ihn gibt es in keinem dieser Fälle irgendein Problem. Ich kann nur sagen: Langsam wird deutlich, was Minister Bahr meinte, als er bei seinem Amtsantritt als Entwicklungsminister sagte, seine Entwicklungspolitik werde in erster Linie Friedenspolitik sein.
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16908 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Dr. TodenhöferEs wird auch deutlich, daß Minister Bahr unter Frieden etwas anderes versteht als die CDU/CSU.
Meine Damen und Herren, wenn hier über Entwicklungspolitik debattiert wird, dann muß auch etwas über das spezielle Verhältnis dieses Entwicklungsministers zu der von den Entwicklungsländern geforderten planwirtschaftlichen neuen Weltwirtschaftsordnung gesagt werden. Minister Bahr hat das programmatische Ja zu dieser neuen Weltwirtschaftsordnung auf der 7. Sondergeneralversammlung als einen „großen Durchbruch" gefeiert — mit einem gewissen Recht, denn es war Ihnen gelungen, die marktwirtschaftlichen Vorstellungen des Wirtschaftsministers Friderichs und auch des Außenministers Genscher zu unterlaufen.Seit zehn Tagen läuft die 4. Welthandelskonferenz, auf der die programmatischen Beschlüsse der 7. Sondergeneralversammlung in die Praxis umgesetzt werden sollen. Entwicklungsminister Bahr soll nach Presseberichten die deutsche Delegation in der entscheidenden Schlußphase leiten,
in der entschieden wird, ob die Weltwirtschaftsordnung stärker marktwirtschaftlich oder stärker planwirtschaftlich ausgestaltet wird.
Auch Minister Friderichs hat daher gefordert, an der Schlußphase dieser Konferenz teilnehmen zu können. Der Bundeskanzler hat auf diesen Wunsch des Wirtschaftsministers Friderichs Herrn Friderichs geschrieben, er möge doch, um eine Überrepräsentanz der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden, am Schluß der Konferenz in Nairobi noch einmal überprüfen, ob er nicht auf seine Reise verzichten könne.
Ich weiß nicht, wie Minister Friderichs auf diese indirekte Ausladung reagieren wird, aber wir stellen uns die Frage, wie lange es noch geht, bis Friderichs merkt, daß er dem gleichen Schicksal entgegengeht wie Scheel in der Ostpolitik und wie Sie, Herr Außenminister Genscher, auf der 7. Sondergeneralversammlung, als Sie die marktwirtschaftliche Rede hielten und Bahr anschließend die sozialistischen Nägel einschlagen konnte.
Nach sieben Jahren haben die Freien Demokraten, Herr Genscher, in der Außenpolitik und in der Entwicklungspolitik offenbar noch immer nicht begriffen, daß sie das liberale Feigenblatt einer sozialistischen Außen- und Entwicklungspolitik sind, die Egon Bahr hinter dem Rücken der deutschen Be-völkerung und hinter dem Rücken des deutschen Parlaments
und häufig nicht zum Nutzen dieses Volkes, sondern zum Nutzen der sozialistischen Internationale betreibt.
— Ich freue mich, daß Sie diese Auffassung offensichtlich teilen.
Die CDU/CSU — sehr geehrter Herr Wehner, vielleicht können Sie, wenn Sie anderer Auffassung sind, Ihren Einfluß geltend machen —
protestiert daher mit aller Härte dagegen, daß dieser Mann im Namen unseres Landes die Bundesrepublik in der Schlußphase der UNCTAD alleine vertreten kann. Es geht hier um die Neuordnung der Weltwirtschaftsordnung. Diese Aufgabe kann nicht einem Mann überlassen bleiben, der sich den Text der Ostverträge in seinen Grundzügen vom sowjetischen Außenminister Gromyko diktieren ließ.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geisterbeschwörung von Herrn Todenhöfer hat nicht etwa grauenhaftes, greuliches Zittern hinterlassen, sondern heiteres Gelächter, und das ist auch richtig so.
Ich glaube, so wird es auch bei der Öffentlichkeit ankommen,
denn zu absurd, Herr Todenhöfer, sind die Vorwürfe, die Sie hier gemacht haben.Sie werden ja selbst Gelegenheit haben, in Nairobi die sogenannte Schlußphase, die ja im Endeffekt im ganzen Kontex der Verhandlungen keine Schluß-phase sein wird, mitzuerleben, und wir werden uns danach in aller Ruhe wieder sprechen können, wie es geworden ist. Der Wahlkampf ist noch lang, Herr Todenhöfer, und es gibt auch nach dem 28. Mai noch Gelegenheit, in sachlicher Form Ihre Argumente zu entkräften.Im übrigen darf ich Ihnen mitteilen, daß ich Sie dort in Nairobi begrüßen kann und nicht Herr Dr. Friderichs hinkommt. Damit ist auch diese Frage geklärt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16909
Schleifenbaum— Ich hoffe, daß Sie mir als einem Kollegen von Herrn Dr. Friderichs zutrauen, daß ich dort die gleiche liberale Politik vertrete.
Jedenfalls lassen wir uns nicht in diese Kiste hineinlegen, die Sie mit dieser wunderbaren Geisterbeschwörung zimmern wollen.Im übrigen finde ich im Haushaltsplan, um den es jetzt geht, gar keine Geister. Es gibt überhaupt keinen Stellenplan für Ghostwriter. Auch für die Ghostwriter von Herrn Esters, die Sie da zu finden glauben, gibt es keine Stellen im Haushaltplan 23.
Um auf das Thema zurückzukommen: Es geht um Entwicklungspolitik. Die Entwicklungspolitik hat im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit und im Bewußtsein der Mehrheit der Mitglieder dieses Hohen Hauses immer noch nicht den positiven Stellenwert erreicht, den sie verdient — angesichts von Hunger und Armut in der Dritten Welt, angesichts der vielfältigen Abhängigkeiten im Nord-Süd-Verhältnis und — last but not least — angesichts der Chancen einer wirtschaftlichen Kooperation mit der Driten Welt. So finden wir uns heute zu später Stunde wieder nur im kleinen Kreis der ernsthaft Interessierten zusammen.
— verstärkt um die Zwischenrufer vom Dienst. Und ich gebe zu, daß die entwicklungspolitische Klientel seit Herbst vorigen Jahres etwas größer geworden ist.Wir treffen uns hier heute also, um den Einzelplan 23 des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit für das Haushaltsjahr 1976 in zweiter Lesung zu beraten. Der Entwicklungshilfe-Etat sieht für das Jahr 1976 einen Betrag von — wie schon gesagt wurde — rund 3 Milliarden DM vor. Das sind 1,8 % vom Gesamthaushaltsvolumen; das sind weniger als 25 % des Aufwands für die Allgemeine Finanzverwaltung; das sind weniger als 10 % unserer Ausgaben für die Verteidigung.Zähneknirschend akzeptieren die Entwicklungspolitiker aller Fraktionen dieses Hauses die Sachzwänge, die eine Ausweitung des Entwicklungshilfe-Etats noch nicht zulassen. In diesem Zusammenhang stiehlt uns der Plus-Minus-Streit um die Erhöhung oder Verminderung des Einzelplans 23 gegenüber 1975 nur die Zeit.Es bleibt festzustellen, daß die Opposition keine ernsthaften Anläufe genommen hat, um diesen Einzelplan 23 zu erhöhen.
Der Kuchen kann eben nur einmal verteilt werden. Die Größe des Kuchens ist abhängig — —
— Also mein lieber Herr Kollege, ich kenne Sie noch nicht; sehen Sie mir das bitte nach; ich bin erst seit kurzem im Parlament.
Ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, daß Sie beim Einzelplan 23 keine Erhöhungsanträge gestellt, aber in anderem Zusammenhang eine große Zahl von Erhöhungsanträgen mit einer Größenordnung von über 30 Milliarden DM eingebracht haben. Das paßt nicht in Ihr Stabilitätskonzept!
Der Kuchen kann nur einmal verteilt werden. Die Größe des Kuchens ist von den Steuereinnahmen des Staates und von zumutbaren Kreditaufnahmen abhängig. Der Anteil eines jeden Ressorts am Kuchen ist Reflex der Prioritäten im Bewußtsein der Öffentlichkeit. Die im Haushaltsplan eingesetzten Mittel zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über Entwicklungshilfe — darüber ist eben gestritten worden — dürfen deshalb nicht, wie es die Opposition verlangt hat, noch weiter gekürzt werden.Es muß zunehmend Allgemeingut werden, daß Entwicklungshilfe aus humanitären Gründen insbesondere gegenüber den ärmsten Ländern ein sich aus der Solidarität aller Menschen ergebender zwingender Bestandteil unserer Entwicklungspolitik ist. Mit gutem Grund hat Henry Kissinger bei der 4. Welthandelskonferenz in Nairobi am 6. Mai hierauf unter Berufung auf die amerikanische Verfassung hingewiesen.Mit gleichem Nachdruck muß auch deutlich gemacht werden, daß Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung, zum Abbau von Spannungen zu leisten hat, von Spannungen, die sich aus dem zunehmenden sozialen Gefälle zwischen armen und reichen Ländern bzw. aus dem Verharren vieler armer Länder in menschenunwürdigen Lebensverhältnissen ergeben. Wie die jüngsten Ereignisse in Afrika zeigen, strahlen diese Krisen in irgendeiner Form auf uns aus.Schließlich — das wird wohl am wenigsten gesehen — ist eine aktive Entwicklungspolitik unabdingbar für unser eigenes Wirtschaftswachstum. Für einen großen Teil unserer Produkte benötigen wir Rohstoffe aus Entwicklungsländern. Die Basis hierfür gilt es zu sichern. Ein Absatzpotential ungeheueren Ausmaßes bieten die Märkte der Dritten Welt für Produkte der Industrieländer mit hoher Technologie. Wir müssen aber die Entwicklungsländer in die Lage versetzen, diese Produkte auch kaufen zu können. So besehen ist Entwicklungshilfe auch Marketing und Investition in Zukunftsmärkte.
— Herr Präsident, ich fühle mich etwas gestört.
Darf ich bitten, Platz zu nehmen und etwas Ruhe zu bewahren.
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16910 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Diese geläufigen Begriffe unternehmerischen Verhaltens sollten auch für die öffentliche Entwicklungshilfe akzeptiert werden.Die Dimension dieser Problematik ist in diesem Hohen Hause zumindest dem Haushaltsexperten der Opposition, dem CDU-Kollegen Leicht, bisher völlig verschlossen geblieben.
Wie im „Handelsblatt" vom 9. März zu lesen war, plädiert er für mittelfristige Leistungseinschränkungen z. B. auch bei der Entwicklungshilfe. Vor dem Hintergrund der 4. Welthandelskonferenz in Nairobi ist dies der reinste Hohn.
Ich bin jedenfalls der Auffassung, daß die mittelfristige Finanzplanung des Entwicklungshilfeetats sobald wie möglich nach oben korrigiert werden muß.
Ich hoffe, daß dies nächstes Jahr möglich ist. Der Zuwachs unseres Bruttosozialprodukts muß mehr als bisher für die Entwicklung der Dritten Welt verwendet werden in der Form eines global praktizierten Lastenausgleichs. Mir wäre es auch recht, wenn schon auf die millionenfachen Postwurfsendungen des diesjährigen Bundestagswahlkampfs ein „Notopfer Dritte Welt" aufgeklebt würde.Der Entwicklungsgrad und das vordergründige Entwicklungspotential der Entwicklungsländer ist recht unterschiedlich. Die meisten haben die klimatische Benachteiligung gegenüber den Industrieländern des Nordens gemein. Einige haben genügend knappe Rohstoffe; einige haben kaum exportfähige Ressourcen. Einige haben genügend Geld; einige haben sich aussichtslos verschuldet. Einige sind bevölkerungsarm; die meisten leiden an katastrophalem Bevölkerungszuwachs. Allen mangelt es an Know-how, an Technologie und an sozialer Infrastruktur.Entsprechend differenziert muß die Entwicklungshilfe angelegt sein. Sie kann sich nur am Eigenbeitrag und am Selbsthilfewillen der Entwicklungsländer orientieren. Sie wird dann am wirkungsvollsten sein, wenn sie sich an den Grundsätzen einer marktwirtschaftlich orientierten, weltweiten arbeitsteiligen Wettbewerbswirtschaft orientiert. Dies allein setzt die Kräfte des menschlichen Erfindungs- und Einfallsreichstrums frei; dies allein kann die in den Völkern der Entwicklungsländer schlummernden Kräfte mobilisieren.Es ist sicher nicht abwegig, in diesem Zusammenhang auf den erfolgreichen Wiederaufbau unserer nach dem 2. Weltkrieg zerstörten Volkswirtschaft durch Marktwirtschaft hinzuweisen, wie dies Bundesminister Dr. Friderichs am 7. Mai in Nairobi getan hat. Allerdings ist ein Unterschied zur Situation der Dritten Welt zu vermerken. Unser technologischer Wissensstand war durch den Krieg nicht zerstört. Trotzdem brauchten auch wir Subventionen, den Marshall-Plan, um wieder auf die Beine zu kommen.Deshalb können wir bei aller marktwirtschaftlichen Prinzipientreue gegenüber den Entwicklungsländern nicht völlig auf den Subventionscharakter verzichten, abgestuft nach Bedürftigkeit und Entwicklungsgrad. Die Preise für Rohstoffe können im Einzelfall nicht dem völlig freien Spiel der Kräfte des Wettbewerbs oder zum Teil auch der Einkaufskartelle überlassen bleiben.
Folgerichtig hat sich Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs am 7. Mai in Nairobi auch positiv zum Gedanken der Erlösstabilisierung der Rohstoffe ausgesprochen. Ob direkt oder indirekt, ob über den Preis oder über die öffentlichen Haushalte, in irgendeiner Form muß den Entwicklungsländern die Dekkung der Minimalkosten für eine menschenwürdige, soziale Entwicklung zugestanden werden.
Die Finanzierung ökonomischer Fehlleistungen der Entwicklungsländer wider guten Rat zu Lasten der sozialen Entwicklung der Bevölkerung oder die Finanzierung offensiver kriegerischer Auseinandersetzungen mit all den verheerenden Auswirkungen auf die Leistungsbilanzen der betroffenen Völker haben nichts mit der Erfüllung eines moralischen Anspruches der Entwicklungsländer an eine gerechtere — so sagen sie — Weltwirtschaftsordnung zu tun. Deshalb ist Waffengeklirr in Afrika eine schlechte Begleitmusik zur vierten Welthandelskonferenz in Nairobi. Das kann uns aber nicht dazu verführen, wie Herr Kollege Todenhöfer, hinter jedem afrikanischen Busch schon einen Russen zu entdecken, wenn man dort eine sozialistische Wirtschaftsordnung feststellt.
So einfach kann man sich es mit dem Sozialismus inAfrika nicht machen, daß man ihn gleich mit Kommunismus russischer Provenienz in einen Topf wirft.
Im übrigen sollte man das sehr differenziert sehen. Herr Dr. Todenhöfer, ich bin nicht der Anwalt von Herrn Bahr; er wird selbst in der Form, die Ihnen angemessen ist, erwidern. Ich verweise nur darauf, daß viele auch Ägypten schon verloren gaben. Was ist denn Ägypten jetzt? Viele gaben Portugal schon verloren.
Was ist denn jetzt? Herr Dr. Todenhöfer, so einfach kann man es sich wirklich nicht machen!
Ein Schwerpunkt der Tagesordnung in Nairobi ist die Beschleunigung des Technologie-Transfers aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer gewesen. In der Tat sollte diesen Anliegen Vorrang eingeräumt werden, da technisches Know-how mehr als alles andere in der Lage ist, die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Monostrukturen abzubauen und ihre Exportpalette zu diversifizieren.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16911
SchleifenbaumDiese Erkenntnis hat im Haushaltsplan 1976 bereits in zunehmendem Maße Berücksichtigung gefunden. Auf Initiative der Koalitionsfraktionen wurde innerhalb des leider im übrigen limitierten Gesamtvolumens des Einzelplans 23 eine beträchtliche Umschichtung der Haushaltsmittel zugunsten der technischen Zusammenarbeit und zugunsten von verstärkten Beteiligungen an Privatinvestitionen in Entwicklungsländern vorgenommen. Dadurch ist der Aktionsradius der Bundesgesellschaften DEG und GTZ wesentlich erweitert worden. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich die Aktivitäten dieser Gesellschaften
und wird sich auch in Zukunft für eine Aufstockung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen.Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die DEG, die Deutsche Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in zunehmendem Maße deutsche Unternehmen zu Privatinvestitionen mit entwicklungspolitisch erwünschten Zielsetzungen ermutigt. Durch die Beteiligung der DEG an solchen Investitionen wird das politische Investitionsrisiko für den privaten Investor weitgehend ausgeschaltet. Unter einem privatwirtschaftlich ausgerichteten Management erfolgt die Projektauswahl durch die DEG unter dem Gesichtspunkt einer mittelfristig vernünftigen Rendite, so daß die hier aus Steuermitteln beanspruchten Gelder in jeder Beziehung gut angelegt sind.Auch die GTZ, die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, befindet sich in einer dynamischen Aufwärtsentwicklung als Drehschreibe deutscher Industrieerzeugnisse in die Entwicklungsländer. Die Zusammenlegung der Technische-HilfeAktivitäten in einer Gesellschaft trägt nach einer innerbetrieblichen Reorganisation erste Früchte, da der Gesellschaft zunehmend Raum für kaufmännisches Handeln gegeben wird. Wir werden diesen Prozeß weiterhin unterstützen und begrüßen ausdrücklich die sich abzeichnenden Erfolge der GTZ, aus eigener Kraft, durch eigene unternehmerische Initiative, den Geschäftsumfang über den Rahmen der Mittel des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus auszuweiten.Die Förderung des Technologietransfers durch verstärkte Investitionen und Finanzierung von Experten wirkt auch dem bedrohlichen Verschuldungsgrad der Entwicklungsländer entgegen. Das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, in konkrete Überlegungen bezüglich der Umschuldung zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer einzutreten. Insbesondere müssen wir aber unseren aktiven Beitrag dazu leisten, den durch das AKP-Abkommen von Lomé begründeten Modellfall zur Erlösstabilisierung und Marktöffnung über den Kreis der 46 begünstigten Länder aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum hinaus auszudehnen.Unser Eintreten für Marktwirtschaft und Wettbewerb darf auch bezüglich des EG-Agrarmarktes nicht Lippenbekenntnis bleiben. Einfuhrbeschränkungen und Schutzzölle gegenüber tropischen Produkten vertragen sich nicht mit den von uns gegenüber teils überzogenen Forderungen der Dritten Welt vorgetragenen Grundsatzpositionen bezüglich der Revision der bestehenden Weltwirtschaftsordnung. In diesem Zusammenhang darf ich dem Hohen Hause freundlichst empfehlen, den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf der Drucksache 7/5163 wohlwollend aufzunehmen. Ich möchte mich der Anregung anschließen, die soeben schon gegeben wurde, daß die Opposition die Kraft finden möge, Gemeinsamkeit auch in der Öffentlichkeit zu zeigen und hier nicht wider besseres Wissen eine Position einzunehmen, die der Sonthofener Strategie entspricht. Denn im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat man ähnlichen Thesen fast wörtlich zugestimmt.Wenn wir heute den Einzelplan 23 in zweiter Lesung verabschieden, sind wir uns darüber im klaren, daß das Volumen unserer Entwicklungshilfe weit größer ist, als aus diesen Zahlen ersichtlich wird. Zusammen mit der privaten Entwicklungshilfe haben wir 1975 die Marke von 1 % des Bruttosozialprodukts überschritten. Wir hoffen auch für 1976 auf einen ähnlichen Beitrag.Die sozialliberale Regierung hat durch eine realistische, flexible und kooperationsbereite Verhandlungsführung wesentlich dazu beigetragen, die verhärtete Haltung der Länder der Dritten Welt abzubauen und einen nützlichen Nord-Süd-Dialog auf den internationalen Konferenzen einzuleiten. Die FDP-Fraktion vertraut weiterhin der Entwicklungspolitik der Bundesregierung und stimmt dem vorgelegten Einzelplan 23, wie er in den Ausschüssen verabschiedet wurde, zu. Die Beiträge der Opposition zur Entwicklungspolitik, die sich so oft in isolationistischem Dogmenfetischismus erschöpfen, können hierzu keine Alternative sein.
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der etwas kabarettistischen Einlage des Kollegen Todenhöfer möchte ich im Augenblick nur drei Punkte sagen.
— Das darf man ja gar nicht ernst nehmen, sonst müßte man ganz anders reagieren.
Es wäre ja nichts Schlimmes, aber ich stelle jedenfalls fest, daß wir Programme mit der Sowjetunion
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16912 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Bundesminister Bahrin Ländern der Dritten Welt bisher weder gemacht haben noch vorhaben.
So ist auch anders einzuordnen, was Herr Kollege Todenhöfer hier gesagt hat.Zweitens. Ich stelle fest, daß er sich vor einigen Monaten für die Absicht der Bundesregierung, in Vietnam Entwicklungshilfe zu leisten, ausdrücklich und positiv ausgesprochen hat.
Drittens. Was die angebliche Vorliebe angeht, kommunistischen Ländern Entwicklungshilfe zu geben — was von ihm abgelehnt wird —, möchte ich die Opposition herzlich dazu beglückwünschen, daß sie in ihren entwicklungspolitischen Leitlinien nicht den Unsinn aufgenommen hat, den Herr Kollege Todenhöfer der Bundesregierung nahelegt.
Im übrigen: Nach den Erfahrungen, die wir mit seinen Empfehlungen zu Portugal gemacht haben, ist man ziemlich sicher, recht zu haben, wenn man von ihm angegriffen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Todenhöfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich hier nicht auf die pornographische Sprache des Herrn Wehner einlassen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, den Stil in diesem Parlament trotz der vorgeschrittenen Stunde nicht so ausufern zu lassen, daß wir nicht mehr miteinander zu Rande kommen. Ich darf Sie auf allen Seiten des Hauses bitten, sich danach zu richten, damit wir möglichst schnell in einer guten Form zu einem Abschluß kommen. — Das Wort haben Sie, Herr Dr. Todenhöfer.
Zu den drei Punkten, die Minister Bahr genannt hat, folgendes.Erstens. Minister Bahr hat in der Anfangsphase seiner Amtszeit vorgeschlagen — Sie haben es hier genau gehört, er hat gesagt: wir haben es nicht realisiert —, daß man doch mit der Sowjetunion gemeinsam Entwicklungsprojekte in der Dritten Welt durchführen könne. Hier gibt es nichts zurückzunehmen, und Herr Bahr hat dies auch hier nicht dementiert.Ich habe übrigens, Herr Bahr — das muß ich Ihnen gestehen —, eine Passage aus meiner Rede herausgenommen, die sich damit befaßt, mit welchen kabarettistischen Einlagen Sie die Entwicklungshilfe begleiten und mit welchen Doktrinen Sie uns seit Jahren erheitern. Wir haben es im Sinne dieser Debatte herausgelassen.
Es gab in unserer Fraktion sogar die Überlegung,
ob die von Ihnen betriebene Entwicklungspolitik wegen Ihrer ständigen programmatischen Luftsprünge, wegen Ihrer ständigen dogmatischen Unsinnigkeiten überhaupt noch ernst genommen werden könne. Denken Sie doch an die Bahr-Doktrin in Indien! Denken Sie an Ihren Hinweis, die Interventionstheorie gelte nur für Kuba, weil zwischen Kuba und Afrika so ein breites Meer liege! Denken Sie an all den Unsinn, dann würden Sie das hier nicht gesagt haben.Unsere Fraktion hat sich Gedanken gemacht, ob es bei Ihnen nicht sogar angebracht gewesen wäre, das Ministergehalt auf eine D-Mark zu reduzieren. Das wäre die richtige Antwort auf Ihre kabarettistischen Einlagen im Ausschuß gewesen. Ich würde vorschlagen, das Ausschußprotokoll einer Sitzung mit Minister Bahr zu veröffentlichen, damit einmal klar wird, mit welcher „Fachkompetenz" uns dieser Mann im Ausschuß belästigt.
Wenn dieser Antrag auf Kürzung des Ministergehaltes durchgekommen wäre, dann wären wir endlich jener Aussage von Minister Bahr im Deutschen Fernsehen nähergekommen, wo er gesagt hat, daß er insgesamt nur 5 000 DM verdiene.Zweitens: Vietnam. In der Tat hat die CDU/CSU, als der Waffenstillstand in Paris geschlossen wurde, mit die Auffassung vertreten, daß man Nord- und Südvietnam, nachdem der Norden seinen Friedenswillen bekundet hatte, beim Wiederaufbau helfen sollte. Aber inzwischen ist doch diese Geschäftsgrundlage völlig weggefallen. Nordvietnam hat diesen Waffenstillstand doch gebrochen. Sie belohnen doch die Nordvietnamesen, wenn Sie jetzt Entwicklungshilfe geben. Die Geschäftsgrundlage der damaligen Aussage ist, wie gesagt, längst weggefallen. Wenn Sie das hier verschweigen, sagen Sie eben wieder einmal nicht die volle Wahrheit.
— Herr Wehner, ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden uns vielleicht außerhalb dieses Parlaments einmal mit Ihren pornographischen Zwischenrufen beschäftigen müssen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16913
Herr Abgeordneter Dr.
Todenhöfer, wegen dieser Bemerkung rufe ich Sie zur Ordnung.
Und das dritte: Ich darf zu Portugal sagen, daß die CDU/CSU in der Portugal-Frage voll die Linie der Europäischen Gemeinschaft geteilt hat. Wir haben gesagt: Entwicklungshilfe erst dann, wenn gesichert ist, daß sich pluralistische Verhältnisse in Portugal durchsetzen. Und Sie, Herr Minister Bahr, waren es, der vorpreschen wollte und der Entwicklungshilfe bereits dem kommunistischen und dem vorher bestehenden Regime geben wollte.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kommen nunmehr zu den Abstimmungen über die drei gemeinsam behandelten Tagesordnungspunkte.
Ich komme zunächst zur Abstimmung über den Einzelplan 05: Auswärtiges Amt. Wer dem Einzelplan 05 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 05 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzelplan 23: Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wer diesem Einzelplan 23 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Der Einzelplan 23 ist ohne Enthaltungen bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzelplan 27: Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Dazu liegt Ihnen zunächst ein Antrag der Abgeordneten Carstens und Stücklen sowie der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5155 vor. Wird dazu das Wort zur Begründung begehrt? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/5155. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 27. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr Ziffer 5 des Punktes I der Tagesordnung auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache 7/5031 —
Berichterstatter: Abgeordneter Simon
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01: Bundespräsident und Bundespräsidialamt. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? —
Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Ziffer 6 des Punktes I der Tagesordnung auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
— Drucksache 7/5032 —
Berichterstatter: Abgeordneter Wohlrabe Das Wort hat
der Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat natürlich nur dann Sinn, über einen solchen Einzelplan zu verhandeln, wenn wir uns auch alle gemeinsam Mühe geben, den Etat, der unter Haus angeht, in Ruhe und Besonnennenheit zu besprechen. Sonst, so würde ich meinen, sollten wir es nicht tun.
Ich habe mir — auch unter Bezugnahme auf die Diskussionen im Ältestenrat — einige Bemerkungen aufgeschrieben, die ich kurz vortragen möchte. Ich will zu dieser späten Stunde Ihre Mühe nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Aber ich glaube, nachdem es in den vergangenen Jahren guter Brauch war, den Etat des Deutschen Bundestages nicht irgendwann bei Nacht, sondern zu einer angemesse-
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16914 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Wohlrabenen Zeit, in der die Offentlichkeit von den Anliegen des Hauses hört, zu behandeln,
finde ich es sehr bedauerlich, daß die Mehrheit dieses Hauses entgegen der Tradition, ohne triftigen Grund und ohne Not von dieser Übung abgegangen ist. Ich halte es für schlecht, daß wir nunmehr bei Nacht über unsere eigenen Anliegen diskutieren.
— Trotzdem behalte ich mir vor, dieses Verfahren zu kritisieren, denn es sollte unser aller Interesse sein, daß unser eigener Etat im Lichte der Offentlichkeit besprochen wird. Das Ansehen des Hauses ist draußen nicht so gut, daß wir unseren Etat nachts irgendwo in den Geschäftsgang einbuddeln könnten. Das ist meine Meinung.
Ich stehe das letzte Mal als Berichterstatter für den Einzelplan 02 hier. Die Berichterstattung wird in der nächsten Legislaturperiode ein anderer übernehmen.
— Ob Ihnen das gefällt oder nicht, ich spreche hier nicht für SPD, CDU/CSU oder FDP, sondern für alle. Ich habe mich in diesen vier Jahren darum bemüht, für alle zu sprechen. Dies tue ich auch heute abend. Übrigens in Abstimmung mit den Berichterstattern. Darüber sollte hier auch Klarheit bestehen.Lassen Sie mich nun als Berichterstatter zum Einzelplan 02 folgendes sagen, nachdem ich die persönliche Vorbemerkung vorgetragen habe.Auch in dieser Legislaturperiode war die Bevölkerung Zeuge, wie wir mit Zähigkeit und Leidenschaft um die großen und um die weniger groß erscheinenden Probleme in diesem Hause gerungen und darüber diskutiert haben. Regierung und Opposition versuchten gemeinsam, wenn auch kontrovers — oft mit Nüchternheit, oft mit Leidenschaft —, die Probleme, die zur Erörterung anstanden, zu lösen. Ich glaube, daß es uns allen immer darum ging, die Interessen des Bürgers darzustellen und ihnen Rechnung zu tragen. Wir haben uns der positiven wie der negativen Kritik zu stellen.Wir wissen, daß gerade die Frage der Bezahlung der Abgeordneten — um mit einem wichtigen Thema zu beginnen —, also die Frage der Diäten die Bevölkerung draußen im Lande in besonderer Weise bewegt. Meine Damen und Herren, in diese Legislaturperiode fällt das Karlsruher Urteil. Ein Sonderausschuß wird die gewiß nicht einfachen Fragen einer hoffentlich schnellen Lösung zuführen.Selbst die schärfsten Kritiker des Parlaments stimmen darin überein, daß dieser Bundestag ein fleißiger Bundestag war. Die Verwaltung des Hauses hat einige Zahlen veröffentlicht, die ich kurz nennen möchte. In dieser Legislaturperiode sind bisher 678 Gesetzentwürfe eingebracht, rund 450 Gesetze verabschiedet worden, 16 388 Mündliche und Schriftliche Anfragen behandelt und beantwortet, 23 Große Anfragen und 413 Kleine Anfragen gestellt und ebenfalls beantwortet worden. Dies sind recht beachtliche Zahlen, die etwas über unser aller Arbeit aussagen und in einer solchen Debatte genannt werden sollten. Rund 200 Gesetzesvorhaben schlummern noch in irgendeinem Ausschuß, befinden sich in der aktuellen Beratung. Soviel an Zahlen.
— Mancher Gesetzentwurf schlummert — das wissen wir doch alle selbst —, und über manchen wird zügig beraten. Etwas weniger Gesetzentwürfe— dies kann ich wohl für uns alle sagen — würden oft mehr Bürgernähe bedeuten. Wir sollten uns hier nicht überschlagen.
Die Kosten des Parlaments — dies zur finanziellen Situation — sehen so aus. Der Deutsche Bundestag ist im Haushalt 1976 der sparsamste Bundestag, den wir seit Jahren gehabt haben. Das wissen nicht alle draußen im Lande. Es bestehen oft ganz falsche Vorstellungen darüber, wie sich die finanzielle Situation des Deutschen Bundestages im einzelnen darstellt.Die Volksvertretung kostet, um bei der nackten Zahl zu bleiben, einschließlich des Wehrbeauftragten — dieser sei hier einmal als eine sehr segensreiche Institution unseres Hauses besonders erwähnt
rund 240 Millionen DM jährlich. Das ist sicher eine stattliche Summe. Wenn man dies jedoch umrechnet und in Relation zum Gesamtumfang des Etats, nämlich 164 Milliarden DM, setzt, betragen die Kosten des Parlaments genau 0,15 %. Das ist wahrlich nicht zuviel, meine Damen und Herren. Bei einer Bevölkerung von 60 Millionen gibt der Bundesbürger demnach ganze 4 DM für sein Parlament aus und damit für seine wichtigste demokratische Institution. Ich weiß, man kann das auch überspitzt sagen, und lassen Sie es mich zu fortgeschrittener Stunde ruhig formulieren: Das sind noch nicht einmal drei Schachteln Zigaretten oder vielleicht etwas mehr als 4 Liter Benzin. Das hat heute jeder Bürger für seinen Bundestag aufzubringen. Ich würde mich freuen, wenn diese Zahlen bei den Bürgern mehr bekannt würden, weil einfach so viele falsche Vorstellungen bestehen.Der Sparhaushalt des Deutschen Bundestages sieht folgendermaßen aus. Er zeichnet sich durch rigorose Sparmaßnahmen aus, die bis zur Substanz gehen. Dies wird nicht zuletzt deutlich bei den Personalausgaben. Hier wurde kräftig der Rotstift angesetzt. Von 1 657 Mitarbeiterstellen im Jahre 1975 sind nunmehr insgesamt, der Wehrbeauftragte eingeschlossen, 60 gestrichen worden. Das sind rund 4 %. Wir stehen damit in der Spitzengruppe der Personaleinsparungen der einzelnen Haushalte. Eine sehr bedeutsame und beachtliche Leistung!Wir hoffen, daß dadurch die Leistungskraft des Parlaments nicht gemindert wird, daß der Leistungs-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16915
WohlrabeWille erhalten bleibt, so wie er heute von vielen indiesem Hause geradezu beispielhaft erbracht wird.Als Berichterstatter unseres Etats glaube ich im Namen aller Mitglieder des Hauses zu sprechen, wenn ich von dieser Stelle aus den Beamten, den Angestellten und den Arbeitern, aber auch den Mitarbeitern der Abgeordneten besonders herzlichen Dank für die geleistete Arbeit sage, für die Einsatzfreude und für die oft unausbleiblichen Überstunden.
Wir wissen alle, daß die Demokratie ohne diese Einsatzbereitschaft nicht funktionsfähig wäre.Ein Problem, das oft von draußen an uns herangetragen wird und zuweilen böses Blut macht, möchte ich hier ungeschminkt darstellen: die Auslandsreisen von Politikern. Sie werden von einigen Presseorganen hochgespielt und als nicht notwendig angesehen. Dabei muß die Frage aufgeworfen werden, inwieweit sich das Parlament auch draußen —in Europa, in Übersee — darstellen muß, bei der NATO, bei den Europäischen Gemeinschaften, beim Europarat, bei der Westeuropäischen Union oder bei der Interparlamentarischen Union. Ich frage die Kritiker, aber auch jene Kritiker hier im Hause —einer von ihnen war ja besonders tätig —, ob wir z. B. keine Delegierten nach Mexiko schicken und dem anderen Teil Deutschlands, denen dort drüben, die Vertretung unseres Landes allein überlassen sollten. Da wir dies nicht wollen, muß eben auch offensiv deutlich gemacht werden, daß mit Auslandsreisen von Politikern eine notwendige und für Deutschland sehr wichtige Sache wahrgenommen wird.Trotzdem haben wir in Bonn eine verkürzte Arbeit. Dies hat eine haushaltsmäßige Auswirkung. Die Kürzung, die wir hier angesetzt haben, beträgt 350 000 DM. Im Haushaltsjahr 1976 stehen 1 950 000 DM für Auslandsreisen zur Verfügung.Ein weiteres wichtiges Problem sind die Raumfrage und die Sicherheit dieses Hauses. Sie haben bei unseren Beratungen eine erhebliche Rolle gespielt.Die Unterbringung der Abgeordneten ist nicht wesentlich besser geworden. Ich hatte bereits im letzten Haushaltsjahr darüber sprechen können. Vielen Abgeordneten sollte durch die Anmietung des Tulpenfeldes eine bessere räumliche Situation ermöglicht werden. Die zu erwartenden Verbesserungen sind zum Teil noch nicht eingetreten. Gleichwohl ist das Tulpenfeld nach meiner Meinung insgesamt keine glückliche Lösung; denn unter haushaltswirtschaftlichen Aspekten ist die Anmietung ohnehin sehr problematisch. Es ist zu bedenken, daß uns dieses Objekt in diesem und in den folgenden Jahren allein an Miete Jahr für Jahr rund 3 Millionen DM kostet. Darüber hinaus dürfte auch die räumliche Entfernung zu den Arbeitszentren des Parlaments, nämlich dem Plenarsaal und den Ausschußsitzungssälen, in arbeitsökonomischer Beziehung keine Optimallösung darstellen.Ich -- und ich kann jetzt nur für mich sprechen — meine vielmehr — und diesen Vorschlag möchte ichhier machen, zur Überlegung insbesondere für die Mitglieder des Hauses in der nächsten Legislaturperiode —, daß die Errichtung eines neuen Bürohauses in unmittelbarer Nachbarschaft des Abgeordnetenhochhauses notwendig ist. Dies sollte den absoluten Vorrang haben. Alles andere halte ich für nicht so wichtig. Im Zusammenhang hiermit ließe sich dann auch die immer wieder diskutierte Frage der Sicherheitstreppe am zur Zeit bestehenden Neuen Hochhaus — sie ist ja eine Auflage der Fachleute — lösen. Dieses Problem sollte alsbald im Rahmen einer begrenzten Lösung in Angriff genommen werden. Auch unter haushaltstechnischen Gesichtspunkten wäre sicher eine Besserung notwendig. Ich kann deshalb nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß das neu gewählte Parlament diese Frage rechtzeitig und mit persönlichem Engagement annehmen und nicht den Planungsgremien allein überlassen wird.In diesem Zusammenhang lassen Sie mich nods auf ein Problem eingehen, das im Haushaltsausschuß kontrovers behandelt worden ist. Es geht um die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen für die Gebäude und die Liegenschaften des Deutschen Bundestages. Die von der Verwaltung unterbreiteten Vorschläge basieren auf Gutachten von berufener Seite. Den dort gegebenen Hinweisen und Anregungen zur Verbesserung der Sicherheit kann man schwerlich begegnen. Auf der anderen Seite aber frage ich, ob es überhaupt möglich ist, absolute Sicherheit zu gewährleisten. Je mehr Sicherheitsmaßnahmen wir treffen, um so weniger können wir den Anspruch aufrechterhalten, ein freies und offenes Parlament zu sein. Wir würden damit auch der von uns getragenen Verfassungsinstitution einen schlechten Dienst erweisen. Ich warne daher davor, auf diesem Wege weiter zu gehen, als unbedingt erforderlich. Aus einem frei gewählten Parlament sollte man meiner Meinung nach keine Festung machen.
— Ich habe zu den Kritikern gehört, Herr Kollege Kulawig, wenn Sie sich erinnern. — Insofern meine ich, daß man jeweils sehr wohl abwägen sollte, wenn eine neue Maßnahme geplant und vorgeschlagen wird. Ich respektiere die Gutachten. Aber nicht jedes Gutachten muß schon deshalb vollzogen werden, weil es von berufener Stelle als Gutachten auf unseren Tisch kommt.Einen Satz zum leidigen Thema Restaurant. Nach mehr als 25jähriger wechselvoller Geschichte — ich denke an Stullenstreiks und ähnliches — hat es jetzt einen neuen Pächter erhalten. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, daß ein Wechsel eingetreten ist. Die Zukunft wird zeigen, ob sich auch ein Wandel zum Besseren abzeichnet. Freimütig sei allerdings auch dies gesagt: Die Mitarbeiter in diesem Restaurantbetrieb haben sich sehr viel Mühe gegeben; offensichtlich haben die Mißstände bisher bei der Geschäftsführung gelegen.
Unser Dank gilt auch der Firma Jacques Borel, die sozusagen aus dem Stand die Betriebsführung beider Restaurants übernommen hat. Die Gesellschaft wird die Betriebe zunächst bis zum 30. Juni 1977
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Wohlrabeführen. Es ist Sache des neuen Bundestages, dann weiter zu sehen.Ein letzter wichtiger Punkt ist die Öffentlichkeitsarbeit unseres Hauses. Denn alles das, was wir hier machen — und deshalb habe ich auch für eine bessere Debattenzeit gestritten —, hängt davon ab, ob diese Arbeit ankommt und die Bürger wissen, was wir tun. Davon hängt auch die Selbstdarstellung des Deutschen Bundestages ab. Für die Darstellung des Parlaments ist nicht nur seine parlamentarische Arbeit, sondern auch die öffentliche Darstellung des Bundestages von großer Bedeutung.Die Öffentlichkeitsarbeit unseres Hauses vollzieht sich auf zwei Ebenen. Einmal gibt es das Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages, das 1970 seine Arbeit aufgenommen hat. Es unterrichtet die Bürger draußen im Lande. Jeder interessierte Bürger, Schulen, Träger der Erwachsenenbildung und andere Institutionen können sich an das Informationszentrum des Deutschen Bundestages wenden und erhalten dort Informationsmaterial, Faltblätter, Bücher, Film- und Tonbildschauen, Wandzeitungen und Materndienste.Das Präsidium des Deutschen Bundestages fungiert zur Zeit als Beirat für das Presse- und Informationszentrum. Ich rege an, zu prüfen, inwieweit in der nächsten Legislaturperiode dieser Beirat für Öffentlichkeitsarbeit nicht aus der Reihe der Fraktionen und damit der Abgeordneten unmittelbar gestellt werden kann. Für die Vielfältigkeit der Einflüsse und damit auch für die der Publikationen könnte das sicher hilfreich sein.Das gleiche gilt für einen eventuell neu zu schaffenden kleinen Kreis. Wir haben in diesem Etat erstmalig DM 100 000 eingestellt, um besondere Kunstwerke, nicht zu teuer, zu erwerben, etwa für die Gestaltung des Neuen Hochhauses und der Arbeitsräume. Auch hierüber wird zumindest ein Mitglied aus jeder Fraktion mit befinden müssen. Ich wollte nur kurz erwähnen, daß das ein neuer Titel ist, den wir beschlossen haben.Die Demokratie lebt aber vor allem vom unmittelbaren Kontakt des Bürgers zum Parlament. Ein besonderer Dank gilt deshalb den Mitarbeitern des Besucherdienstes in unserem Haus, aber auch den Mitarbeitern, die in unserem Auftrag die vielen Gruppen durch das Bundespresseamt betreuen und die organisatorische Abwicklung übernehmen.
Ich möchte das nicht unerwähnt lassen, denn gerade in diesen Wochen gibt es eine besondere Belastung für viele dieser Kollegen im Bundespresseamt und bei uns im Hause.
— Ich verkneife mir, dazu etwas zu sagen, Andreas von Bülow. Dann wäre ich wieder am Anfang. — Im Schnitt sind im letzten Jahr zu uns nach Bonn immerhin 230 000 bis 240 000 Besucher gekommen. Das bedeutet, daß der Besucherdienst oft mehr als 2 000 Besucher täglich zu betreuen hat. Ich nenne diese Zahl, damit man einfach einmal sieht, wie viele Besucher täglich kommen.So erfreulich diese Zahl ist: Wir stoßen auch hier an die Grenzen einer gewissen Belastbarkeit. Deshalb mußte der Besucherdienst eine Reihe von Maßnahmen ergreifen. Während die Gruppen, die an Plenarsitzungen teilnehmen, früher fast zwei Stunden lang ihre Eindrücke im Parlament sammeln konnten, mußte die Zeit inzwischen auf eine Stunde halbiert werden. Das nach wie vor große Interesse an der Arbeit des Parlaments zeigt sich besonders daran, daß im Augenblick Wartezeiten von durchschnittlich fast einem Jahr in Kauf genommen werden müssen. Die räumliche Situation wollen wir durch den Bau eines eigenen Pavillons für die Besucherbetreuung verbessern, für den wir die dafür notwendigen Mittel eingestellt haben.Ich möchte meine Rede nicht beenden, ohne auf eine weitere erfreuliche Entwicklung hinzuweisen. Als wir den Reichstag in Berlin wieder, wie es die Inschrift des Reichstagsgebäudes sagt, dem deutschen Volke zur Verfügung stellten, da hörten wir viele skeptische Stimmen. Sie meinten, hier sei nur ein teures Mausoleum errichtet worden und mehr nicht. Heute können wir mit Genugtuung feststellen: In Berlin steht kein totes Gebäude, keine historische Fassade. Im Reichstagsgebäude wird sehr hart und viel gearbeitet. Das Reichstagsgebäude in Berlin wurde mit Leben erfüllt.Wenngleich die politische Situation Deutschlands eine volle parlamentarische Nutzung des Gebäudes durch uns nicht zuläßt, so sprechen die folgenden Zahlen eine beredte Sprache. Im vergangenen Jahr tagten die Fraktionen unseres Parlaments fünfmal im Reichstag. Die Zahl der Ausschußsitzungen des Deutschen Bundestages hat zugenommen; sie beträgt jetzt elf. Vierzehnmal traten Ausschüsse des Bundesrates zusammen. Mit gutem Beispiel gingen auch die Bundesländer voran. Achtundsechzigmal tagten Gremien der Bundesländer im Reichstag, legislative wie exekutive Gremien der Länder, z. B. Ministerkonferenzen oder Bund-Länder-Kommissionen, um nur einige zu nennen.Dankenswerterweise wird das Reichstagsgebäude zunehmend auch als Tagungsort von Gremien der Europäischen Gemeinschaft, der EG-Ministerkonferenz, des Präsidiums des Europäischen Parlaments sowie von den Ausschüssen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und seiner Gremien benutzt. Berlin lebt davon — ich sage das auch als Berliner Abgeordneter —, daß europäische Gremien immer wieder ein Zeichen setzen und ihre Verbundenheit mit Berlin bekunden.
Das Reichstagsgebäude wurde wirklich dem deutschen Volke geöffnet; denn wenn ich Ihnen sage, daß allein im Jahre 1975 5 000 Besuchergruppen — das entspricht etwa 125 000 Besuchern — geschlossen durch das Reichstagsgebäude geführt und daß sie darüber hinaus dort in Sondervorträgen auch über die parlamentarische Demokratie, ihre Geschichte informiert worden sind, so ist das allein schon eine gute Sache. Wenn man jedoch die Dauerausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte" hinzunimmt, dann verzeichnen wir den Rekordbe-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16917
Wohlrabesuch von 722 000 Besuchern. 230 000 bis 240 000 Besucher in Bonn und rund 720 000 Besucher in Berlin: Das alles ist eine großartige Sache, die uns allen gelungen ist. Zumindest wird heute niemand mehr sagen können, daß das Reichstagsgebäude kein Leben habe, wenn es auch nicht das Leben ist, für das es ursprünglich einmal gebaut worden ist. Aber die Umstände lassen dies leider im Moment nicht zu.Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sind der Frau Bundestagspräsidentin dankbar dafür, daß sie es ermöglicht hat, die Sonderschauen aus der Parteiengeschichte im Reichstag zu zeigen. Sie bilden eine sinnvolle Ergänzung zu der Hauptausstellung.Allen, die die Entscheidung trafen, im Reichstagsgebäude Berlins zu tagen, gilt unser Dank. Wenn die Politiker nicht vorangehen, kann man von der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Verbänden nicht erwarten, daß sie ihre Verbundenheit mit der alten deutschen Hauptstadt immer wieder unter Beweis stellen. Dies alles ist auch mit den Viermächtevereinbarungen im Einklang. Es hat nichts mit billiger Demonstration zu tun.Am Ende der Legislaturperiode gilt der Appell an alle Parteien, Berlin auch unter diesem Aspekt nicht aus dem Auge zu verlieren und das Recht, immer wieder im Reichstag zusammenzutreten, ohne Pathos, mit Ruhe und Gelassenheit, eben als Selbstverständlichkeit, in Anspruch zu nehmen. Wir wollen nicht provozieren. Ich sage das von dieser Stelle aus denjenigen im Osten, die unsere Motive bewußt oder unbewußt mißverstehen. Aber wir lassen uns auch nicht unsere selbstverständlichen Rechte Stück um Stück mindern.
In Berlin wollen wir, die frei gewählten Volksvertreter aller Parteien, zeigen, daß wir den Verfassungsauftrag ernst nehmen, daß wir, wie es in der Präambel des Grundgesetzes gefordert wird, von dem Willen beseelt sind, unsere nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bußmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mögen mir jetzt noch einige Minuten vergönnt sein; denn es ist fürwahr ein besonderer Anlaß. Es ist die letzte Debatte über einen Haushalt des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode. Das Parlament darf ja auch mal einige Minuten auf seine eigenen Angelegenheiten verwenden.Der Kollege Wohlrabe hat als Berichterstatter schon auf die Fülle von Arbeit hingewiesen, die in diesem fleißigen Parlament geleistet worden ist.Aber ich möchte auch noch einige Dinge nennen, die für die Arbeit dieses Parlaments als Verwaltung unter der Leitung des Präsidiums sprechen. Wir müssen immerhin sehen, wenn wir die Entwicklung der letzten Jahre nehmen, daß wir uns hier in puncto Sparsamkeit entgegen manchem von dem, was die Öffentlichkeit darüber in ihren Gazetten schreibt, vorbildlich verhalten haben. Die Haushaltssteigerungsrate dieses Jahres beträgt 5,52 %. Im vorigen Jahr waren es 4,8 °/o, im Jahr davor 7,58 %.Das bedeutet mehr, als es scheint, weil dieser Haushalt ein reiner Verwaltungshaushalt mit einem sehr hohen Personalkostenanteil ist. Nur etwa 2 bis 3 0/o pro Jahr entfallen auf Investitionen. Das andere sind Verwaltungs- und Personalkosten. Das gilt sowohl für die Verwaltung als auch für die personalgebundenen Kosten der Abgeordneten. Jeder kennt die Steigerungsraten, die sich im öffentlichen Dienst ergeben haben. Hier wurden sie zum guten Teil aufgefangen, und zwar auch deshalb, weil die Gesamtpersonalbesetzung in den letzten Jahren zurückgenommen wurde. Auch dieses Zurücknehmen war hier in der Regel ohne Knirschen möglich.Herr Kollege Wohlrabe, meine Damen und Herren vom Haushaltsausschuß, wir erinnern uns daran, daß in den Kürzungsberatungen in unserem Ausschuß als erstes der Vorschlag der Verwaltung, vertreten durch die Frau Präsidentin, auf dem Tisch lag und dann sehr schnell Einvernehmen über eine Kürzung erzielt wurde, die quer durch alle Besoldungsgruppen ging und die den wirtschaftlichen Notwendigkeiten entsprach, die wir als Parlament insgesamt bei einer sparsamen Staatsverwaltung voraussetzten. Das sollte man sehen. Man muß gleichzeitig auch sehen, daß das Ganze durchaus mit erheblichen Belastungen für die Verwaltung verbunden ist.Nehmen wir z. B. einen Teil dieser Verwaltung, den Wissenschaftlichen Dienst mit ungefähr 400 Beschäftigten! Ich stelle fest, daß dieser Wissenschaftliche Dienst in den letzten drei Jahren immerhin um rund 30 Personalstellen reduziert wurde. Dennoch hat der Wissenschaftliche Dienst in seinem Arbeitsanfall eine ganze Menge mehr geleistet als in den Jahren zuvor. Wenn ich nur die Statistik der Auftragseingänge nehme, so stelle ich fest, daß insgesamt an Aufträgen — meist Arbeiten schwierigeren wissenschaftlichen Inhalts — erfüllt wurden: 2 772 im Jahre 1974; im letzten Jahr waren es 2 932, und in diesem Jahr — die Ursache dafür kennen wir nicht genau — ist der Arbeitsanfall allein im ersten Quartal auf 1 004 Aufträge angestiegen, was sehr ungewöhnlich für die Jahreszeit ist; denn in den Vorjahren waren es jeweils 700 bis 800, nicht aber eine so große Zahl.Ich glaube, denjenigen gebührt Dank, die diese Arbeit für uns übernehmen; denn in der Regel stehen sie unter Zeitdruck und müssen etwas erstellen, was anschließend oft auch das kritische Licht der Offentlichkeit erblickt, indem die Abgeordneten es verwenden, oft auch in durchaus konträren Diskussionen.Das Ganze wäre so nicht möglich gewesen, ohne daß die Spitze dieses Hauses — ich meine hier vor
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Dr. Bußmannallen Dingen die Frau Präsidentin — mit vernünftigen Verwaltungsmaßnahmen angesetzt hätte. Wir haben etwa mit Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Bereich der wissenschaftlichen Abteilung angesetzt. Eine weitere Untersuchung im technischen Bereich, durchgeführt von der Wibera, ist gerade abgeschlossen, was zweifellos dazu führen kann, daß im nächsten Jahr Überlegungen beginnen, wie diese Stellen umgesetzt, gekürzt oder an anderer Stelle sinnvoll verwandt werden können. Noch weitere Bereiche sollen — zum Teil auch auf Vorschlag des Bundesrechnungshofes — in Untersuchungen einbezogen werden, damit dieses Haus wirklich als eines dasteht, das man der Staatsverwaltung insgesamt, wenn nicht als Beispiel, so doch als Vorbild hinstellen kann.Der Herr Kollege Wohlrabe hat schon einiges über Berlin gesagt. Auch das müssen wir sehen. Die Attraktivität des Hauses in Berlin, in dem wir eigentlich tagen möchten, ist Gott sei Dank so gewachsen, daß die Zahl der Besucher dort die Zahl der Besucher hier um das etwa Dreifache übersteigt. Das bedeutet natürlich auch für die Leute dort eine Menge Arbeit. Es gab bisher eine nicht ins Gewicht fallende Reihe von Beschwerden, d. h., die Arbeit wird vorbildlich gemacht. Dafür verdient unsere kleine Truppe dort ihren Dank.
Damit möchte ich auch schon abschließen. Der Dank, der den Berliner Mitarbeitern gebührt, gebührt auch den Mitarbeitern des Deutschen Bundestages und denjenigen, die in den Fraktionen tätig sind. Denn auch hier — das müssen wir einmal in aller Öffentlichkeit sagen, obgleich die heute abend leider ausgeschlossen ist haben wir uns in den letzten Jahren so verhalten, daß die durchschnittlichen Steigerungsraten bei den Zuschüssen, die etwa an die Fraktionen gingen, immer im Rahmen des Gesamthaushalts blieben. Bei den Finanzen der Fraktionen handelt es sich ausschließlich um Verwaltungshaushalte bzw. um fast reine Personalhaushalte. Die Einhaltung der Steigerungsraten war schwer zu verdauen, zum Teil nur mit der Folge erhöhter Kosten für den einzelnen Abgeordneten. Aber auch die Fraktionen haben sich so verhalten, wie es Korporationen von Abgeordneten eigentlich zukommt und gebührt, nämlich im Sinne einer vernünftigen Sparsamkeit und Haushaltswirtschaft. Die Fraktionsangestellten haben sicherlich ebenso dazu beigetragen.Kurzum, am Ende der Haushaltsberatungen einer Legislaturperiode sei der Dank ausgesprochen. Viele von uns werden sich wiedersehen und sich im nächsten Haushalt mit anderen Problemen beschäftigen.Ein Dank mag zu dieser späten Stunde noch in besonderer Form ausgesprochen sein: Da oben auf der Tribüne sitzt jetzt immer noch Frau Milz. Frau Milz hat jede unserer Debatten in diesen vier Jahren von früh bis spät verfolgt.
Frau Milz ist eine sehr ungewöhnliche Erscheinung, und wir freuen uns sicherlich alle über die besondere Aufmerksamkeit, die sie uns schenkt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir Leid, daß ich in diese beinahe freundliche Abendstimmung hinein einige kritische Bemerkungen machen muß. Aber es ist, glaube ich, die einzige Gelegenheit, die einem Mitglied des Hauses geboten ist, dessen Anträge von der Geschäftsordnung dieses Hauses ziemlich schlecht behandelt worden sind.
Ich habe im Mai und Oktober letzten Jahres Anträge auf Begrenzung der Redezeit und zur Umbildung des Ältestenrats ordnungsgemäß mit den erforderlichen Unterschriften eingebracht. Die heutige Debatte war in meinen Augen eine Illustration dafür, daß man über die Frage der Redezeit in diesem Hohen Haus noch einmal sprechen muß.
Nach der Geschäftsordnung hätten diese Anträge auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt und beraten werden müssen, in der der entsprechende Fachbereich beraten wird. Seit Mai hat man dazu keine Gelegenheit gefunden. Anschließend hätten sie einem Ausschuß überwiesen und den Antragstellern hätte die Tagesordnung der Sitzung übermittelt werden müssen, in der die Sache behandelt wird. Sechs Monate nach Überweisung des von uns eingebrachten Antrags hätten wir verlangen können, daß der Ausschuß Bericht über den Stand der Beratungen erstattet.
Nichts dergleichen ist bis heute geschehen.
Statt dessen hat man die Anträge in eine sogenannte Reformkommission des Ältestenrats ohne Hinzuziehung der Antragsteller beraten. In diesem Abwesenheitsverfahren hat man mit den Anträgen kurzen Prozeß gemacht.
— Ist das für ein Mitglied dieses Hauses verboten, Herr Kollege? Oder gibt es hier gewisse sakrosankte Institutionen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Lenz, sind Sie sicher, daß den Anträgen ein besseres Schicksal widerfahren ist als bestimmten Plakaten, die zerrissen wurden und auf denen herumgetrampelt wurde?
Ach, Herr Kollege, es ist in diesem Hause ja auch nicht üblich, Plakate aufzuhängen, die Mitglieder dieses Hauses
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Dr. Lenz
beleidigen. Infolgedessen kann ich für ein gutes Schicksal durchaus garantieren.
— Herr Kollege Schäfer, ich habe keine Möglichkeiten, Ihre Kollegen daran zu hindern, Zwischenfragen anzumelden. Ich könnte sie nicht zulassen. Aber warum sollte ich denn sowas tun?
Im übrigen hat man dem Parlamentarischen Geschäftsführer meiner Fraktion, wenn er sich um die Aufsetzung der Anträge bemüht hat, mitgeteilt, sie könnten aufgesetzt werden — ich bitte, diese elegante Formulierung zu beachten —, wenn wir bereit wären, auf eine mündliche Aussprache zu diesen Anträgen zu verzichten. Nun, wir haben keine Veranlassung, auf uns zustehende geschäftsordnungsmäßige Rechte zu verzichten. Auch Gruppenanträge haben Anspruch auf geschäftsordnungsmäßige Behandlung.
— Herr Kollege, ich würde sagen, die Redezeit wird durch die Zwischenrufe extensiv gestaltet. Ich habe nicht bis heute abend um halb zwölf mit meiner Rede gewartet, um mich jetzt noch von einigen Zwischenrufen zu einer Abkürzung meiner Rede verleiten lassen. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis.
Ich ziehe aus all dem das Fazit, daß die derzeitige Mehrheit im Ältestenrat einen Mangel an Bereitschaft zur Diskussion und zur Reform hat und, kurz gesagt, das Gegenteil von dem praktiziert, was der erste Bundeskanzler dieser Koalition uns versprochen hat: Wir wollen mehr Demokratie wagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte ?
Ich habe von der Mehrheit im Ältestenrat gesprochen, Frau Kollegin Timm. War es denn die Mehrheit oder war es nicht die Mehrheit?
Herr Kollege Lenz, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß es im Ältestenrat in dieser Funktion überhaupt keine Mehrheit geben kann?
Herr Kollege, ich bin nicht Mitglied des Ältestenrats. Ich muß mich darauf verlassen, daß das zutrifft, was mir gesagt wird.
-- Herr Kollege, ich wundere mich, daß Sie sich in dieser Frage so echauffieren. Offenbar haben Sie ein schlechtes Gewissen. Sonst würden Sie sich nicht so aufregen.Lassen Sie mich zum Zweiten kommen.
— Es tut mir leid, Herr Kollege Schäfer!Ich möchte zu einem zweiten Punkt kommen, der sicher auch Ihr Interesse, Herr Kollege Schäfer, in besonderer Weise finden wird. Der Bundestag hat im vergangenen Jahr einstimmig ein Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes verabschiedet, in dem sich der Bundestag das Recht zur Mitsprache bei wichtigen verkehrspolitischen Verordnungen zurückholte. Ich will auf Tempo 100, Bußgeldkatalog und die berühmte Taxiverordnung der Bundesregierung hier nicht noch einmal eingehen, um die Notwendigkeit eines solchen Mitspracherechts zu begründen. Das Haus hat einstimmig beschlossen, sich dieses Mitspracherecht zurückzuholen. Der Bundesrat erhob hiergegen Einspruch, und seitdem hört man von der Angelegenheit nichts mehr.Der Ältestenrat weigert sich, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, damit der Bundestag den Einspruch des Bundesrats überwinden kann. Bei anderen Fragen, meine Damen und Herren, geht das sehr, sehr schnell. Hier liegt offenbar eine unheilige Allianz zwischen der Bürokratie im Bundesverkehrsministerium und den Verkehrsministerien in den Ländern vor, für die sich der Ältestenrat als Schutzschild hergibt.Niemand im Bundestag hat Veranlassung, sich über eine ungemessene Machtausübung des Bundesrats zu beklagen, wenn wir selbst noch nicht einmal bereit sind, den Bundestag in den Stand zu versetzen, seiner parlamentarischen Verantwortung gerecht zu werden.
Ich will es ganz zurückhaltend formulieren: ein motivloseres Zurückweichen der Parlamentsmehrheit vor den Machtansprüchen gleich welcher Bürokratie wird man in der neueren deutschen Parlamentsgeschichte vergeblich suchen müssen.
— Ich bin ziemlich sicher, daß dieser Ausdruck im Zusammenhang mit diesem Problem richtig gewählt war; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß Bundesregierung und Landesregierungen z. B. diese Taxiverordnung in Kenntnis ihres Inhalts beschlossen haben.
Dazu reicht meine Phantasie nicht aus.Wenn dieses Beispiel Schule macht, steht zu befürchten, daß auch bei der Einführung des Personenkennzeichens und der elektronischen Datenverarbeitung durch die Verwaltung nicht das Recht des Bürgers auf eine geschützte Privatsphäre, sondern
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die Bedürfnisse der Verwaltung im Vordergrund der Bemühungen stehen werden.
— Das kann man ruhig einmal ankündigen, Herr Kollege. Manche Sachen kann man gar nicht oft genug sagen.Ich komme zum dritten Punkt. Am 3. Oktober dieses Jahres wird eine neuer Bundestag gewählt. Der neugewählte Bundestag kann nach den Vorschriften der Verfassung erst am 14. Dezember dieses Jahres zusammentreten. Bis dahin amtiert der am 19. November 1972 gewählte Bundestag.
Wir haben dann einen Bundestag, der gewählt ist, aber noch nicht beschließen kann, und einen anderen, der zwar noch beschließen darf, aber dessen demokratische Legitimation durch die zwischenzeitlich erfolgte Wahl eines neuen Bundestages problematisch geworden ist.Nimmt man hinzu, daß der alte Bundestag seine Arbeit im Juli einstellen wird und der neue Bundestag, wenn man die Erfahrungen der Jahre 1972 und 1973 zugrunde legen darf, erst im Januar oder im Februar nächsten Jahres voll arbeitsfähig sein wird, haben wir einen Zeitraum von rund sieben Monaten, in dem der Bundesregierung keine voll arbeitsfähige Volksvertretung gegenüberstehen wird. Diese Aussicht sollte jeden aufrechten Anhänger der parlamentarischen Demokratie schrecken.
Man sollte annehmen, es würde aus diesem Hause die Initiative ergriffen, um diesen schwer zu rechtfertigenden Zustand zu überwinden. Aber bisher ist davon nichts zu merken. Es liegen bis heute keine konkreten Entwürfe dem Hause vor, die dieses von mir angesprochene Problem zu lösen geeignet sind. Ich will über die Gründe dafür hier nicht spekulieren, aber die Verantwortlichkeiten müssen klargestellt werden.Wenn dieses Land von Juli bis Januar des nächsten Jahres kein handlungsfähiges Parlament, sondern nur eine handlungsfähige Regierung besitzt, dann liegt die Verantwortung dafür bei denjenigen, die es mit ihrer Mehrheit in der Hand gehabt hätten, diesen Zustand zu ändern.
— Darüber, was wir machen müssen, haben wir uns noch gar nicht ausgesprochen. Zunächst einmal hätte die Mehrheit die Möglichkeit, dieses Haus zu den Aktionen zu bringen, zu denen die Mehrheit auch sonst normalerweise in der Lage ist.
— Herr Kollege Schäfer, wir werden in dieser Frage die Mehrheit nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie können sich hier nicht hinter der Minderheit verstecken, Sie sind in erster Linie gefordert, Ihnenhat das deutsche Volk — ich kann das nur bedauern — 1972 das Mandat gegeben. Füllen Sie dieses Mandat gefälligst aus!
Es ist mehr die Aufgabe der Mehrheit als der Minderheit, die Stellung und die Handlungsfähigkeit des Bundestages zu bewahren und zu verteidigen, auch wenn dies mit der Aufgabe kurzfristiger Vorteile erkauft werden sollte. Es ist die Sache der Mehrheit zu zeigen, daß sie dieser Aufgabe gerecht zu werden vermag; sonst würde die Verantwortung bei ihr nicht in guten Händen liegen.Ich danke denen, die mir zugehört haben, für ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin natürlich etwas überrascht, daß der Vorsitzende des Rechtsausschusses hier ein paar Dinge vorgetragen hat, die mit der tatsächlichen Lage des Deutschen Bundestages nicht in Übereinstimmung sind.
Wir haben hier im Parlament noch eine Fülle von ganz wichtigen Fragen zur Regelung anstehen, und wir alle würden es im Geschäftsordnungsausschuß sehr begrüßen, wenn wir vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt einmal einen ganzen Tag haben würden, um über Parlamentarismus, Parlament und Parlamentarier sprechen zu können. Ich bedaure es gar nicht, wenn Kolleginnen und Kollegen des Hauses glauben, mit Initiativanträgen eine Bresche schlagen zu können, und so haben sich Herr Lenz und seine Kolleginnen und Kollegen, die diese Anträge unterschrieben haben, wahrscheinlich auch selbst verstanden.Sie wollten auf der einen Seite ganz gern acht Tage vorher die Tagesordnung des Hauses wissen. Dies ist ganz realistisch nicht zu machen; wir haben uns darüber unterhalten. Herr Kollege Dr. Lenz, Sie wollten den Ältestenrat umgestalten, indem Sie alle Ausschußvorsitzenden dort etablieren wollten. Herr Kollege Dr. Lenz, Sie wären dann als Vorsitzender des Rechtsausschusses Mitglied des Ältestenrates geworden. Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, Sie hätten dort keine großen Freuden erlebt; denn Mehrheitsentscheidungen hätten Sie wirklich niemals erlebt. Nur in Übereinstimmung kann man dort über die Belange des Deutschen Bundestages entscheiden.Wir möchten gern folgendes erreichen. Es hat eine Fülle von Problemen gegeben, bei denen sich wirklich Mehrheit und Minderheit in Fragen gegenübergestanden haben, bei denen wir im Interesse der parlamentarischen Demokratie Übereinstimmung erzielen müssen und bei denen wir es fertigbringen müssen, unsere eigenen Spielregeln
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Schulte
zu bestimmen. Ich glaube, das wird uns gelingen; Ihnen wird bald ein ziemlich umfangreiches Kompendium für eine neue Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorliegen. Wir müssen uns darüber hinaus — das darf ich Ihnen als Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung dieses Hauses sagen — über einige Immunitätsregelungen wegen einer leidvollen Vergangenheit miteinander unterhalten. Ich hoffe, daß wir dies in Übereinstimmung machen werden; denn es geht hier nicht um Mehrheiten und Minderheiten.Lassen Sie mich bitte noch etwas zum Ausdruck bringen. Wenn wir miteinander diskutiert haben, hat uns eines bewegt: wir wollten auf der einen Seite auf keinen Fall verhindern, daß die demokratisch zustande gekommene Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag auch in der Lage ist, in den Organen und in den Instanzen den Mehrheitswillen, der hier von der Bevölkerung dokumentiert wird, durchzusetzen; aber auf der anderen Seite sollten zu gleicher Zeit auch die gerechtfertigten Minderheitenrechte entsprechend gewürdigt werden. Herr Kollege Dr. Lenz, ich bitte Sie um folgendes: prüfen Sie einmal das Parlamentsrecht aller demokratischen Parlamente, die es sonst noch um uns herum gibt, und schauen Sie einmal nach, wo es mehr Minderheitenrechte gibt als hier in diesem Bundestag der Bundesrepublik Deutschland! Sie werden sich wundern: wir haben exzessiv Minderheitenrechte vertreten, zum Teil bis an den Grat der Obstruktion hinan, weil wir glauben, daß dies notwendig ist, um parlamentarische Demokratie auch tatsächlich zu praktizieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Porzner?
Bitte sehr!
Herr Lenz hat behauptet, der Ältestenrat habe mit Mehrheit verhindert, daß die Beratung der Anträge zur Änderung zur Geschäftsordnung von Dr. Lenz, Dr. Barzel und Genossen und von Dr. Lenz, Erhard und Genossen erfolgt; das sei mit Mehrheit verhindert worden. War es nicht vielmehr so, daß die Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion im Ältestenrat die Aufsetzung auf die Tagesordnung befürwortet haben, daß das aber auf Anregung eines Mitglieds der CDU im Ältestenrat, das gute Gründe dafür hatte, dann doch nicht geschehen ist?
Herr Porzner, Sie haben mich gefragt. Ich glaube, Sie werden sich erinnern, daß ich Sie heute noch überrascht gefragt habe, warum die Anträge von Herrn Dr. Lenz und seinen Freunden nicht auf der Tagesordnung stünden, da wir doch im Grunde darauf vorbereitet waren, sie heute mitzuerledigen. Wir haben das Angebot gemacht, diese Probleme im Rahmen der Diskussion über die Parlamentsreform in der Parlamentsreform-Kommission und im Ausschuß mitzudiskutieren, und wir haben auch entsprechend dazu eingeladen. Ich glaube, uns darf hier kein Vorwurf gemacht werden.
Gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger?
Herr Kollege Schulte, nur zur Klärung der Frage des Kollegen Porzner: Können Sie bestätigen, daß das, was der Kollege Porzner soeben gesagt hat, in der letzten Sitzung des Ältestenrats in der Tat so abgelaufen ist, daß ich aber für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wiederholt beantragt habe, diese Anträge auf die Tagesordnung zu setzen, und daß ganz speziell Sie es waren, der gesagt hat, man wolle diese Anträge sofort ohne Debatte an den Geschäftsordnungsausschuß geben?
Bitte lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Ich muß das, was Herr Porzner hier über die Aufsetzung erklärt hat, voll bestätigen. Das bedeutet, daß auch Sie als Fraktionskollege von Herrn Dr. Lenz der Auffassung waren, wir sollten darüber keine getrennte Debatte haben.
Ich habe im Ältestenrat mehrfach darauf hingewiesen, daß es zweckmäßiger sei, diese Anträge, die ja das Problem, das wir im Ausschuß behandelt haben, unmittelbar berührten, auch im Zusammenhang mit der Entscheidung und der Lösung dieser Fragen hier im Deutschen Bundestag zu besprechen.
Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht noch einmal auf zwei Punkte hinweisen, die uns leiten müssen: Die Mehrheiten in diesem Hause, die durch den Wähler festgestellt werden, müssen handlungsfähig sein. Die Minderheiten in diesem Hause, die auch durch den Wähler erzeugt werden, müssen respektiert werden. Dies ist eine sehr schwierige Abwägungsfrage. Ihr haben wir uns unterzogen, und ich hoffe, daß wir miteinander die Stunden finden werden, gemeinsam darüber zu befinden, damit unsere Spielregeln in Ordnung sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Dr. Lenz zur Frage der Neuwahl des Bundestages zwingen mich, die Dinge hier richtigzustellen. Der nächste Bundestag wird am 3. Oktober gewählt. Der derzeitige Bundestag geht bis zum 13. Dezember. Das ist richtig. Das, was Herr Lenz darüber gesagt hat, daß die beiden nebeneinander laufen — formell, nicht formell —, ist auch richtig. Nun gab es eine Anregung der Frau Präsidentin, Art. 39 GG zu ändern. Das geht auf eine Anregung von mir in der Verfassungsenquete-Kommission zurück.Sie, Herr Dr. Lenz, hatten zu einer Veranstaltung der von Ihnen geleiteten Parlamentsvereinigung ein-
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Dr. Schäfer
geladen. Wir haben darüber debattiert. Wir beide haben uns persönlich darüber unterhalten. Ich habe folgenden Standpunkt meiner Fraktion vertreten: Wir wollen die Verfassung dahin gehend ändern, daß ein neugewählter Bundestag spätestens nach 30 Tagen zusammentritt und der alte Bundestag damit sein Ende findet. Das haben wir im Grunde genommen alle so vorgesehen.Das Abkürzen einer Legislaturperiode ist verfassungsrechtlich eine sehr schwierige Frage. Verlängern darf man ganz bestimmt nicht; darüber sind wir uns einig.Ich habe Ihnen gesagt, wir sind der Meinung, daß wir das jetzt beschließen sollen. Und es soll inkrafttreten mit Beginn des neuen Bundestages und damit für die zukünftigen Bundestage gelten.Sie, Herr Lenz, haben dann gesagt — wörtlich —: Daran sind wir nicht interessiert. Sie haben gesagt: Wir sind interessiert an der Abkürzung dieser Legislaturperiode im Herbst dieses Jahres. Meine Damen und Herren, da können Sie jetzt nicht hier hergehen und hier sagen, diese Mehrheit hat die Verantwortung dafür. Ich als Sprecher meiner Fraktion habe Ihnen gesagt, wir sind bereit, für die nächsten Legislaturperioden die Verfassung dementsprechend ordnungsgemäß zu ändern. Sie haben daraufhin gesagt, dann sind wir nicht interessiert. Denn dieses Jahr wollen wir die Abkürzung. Doch das ist verfassungsrechtlich eine sehr zweifelhafte Sache. Sie haben hier — ich muß es sehr deutlich machen — den Eindruck zu erwecken versucht, wie wenn die Mehrheit des Hauses, SPD und FDP, dazu nicht willens seien. Und das ist falsch.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Zu den Ausführungen des Kollegen Schulte möchte ich feststellen, daß damit in keinster Weise einer der Punkte widerlegt worden ist, die ich angeschnitten habe.
Zweitens. Zu den Ausführungen des Kollegen Professor Schäfer muß ich sagen, daß das, was er hier vorgetragen hat, außerordentlich erstaunlich ist. Aber auch seine Ausführungen bestätigen zunächst einmal, daß die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nicht bereit ist, für diese Wahlperiode die Sieben-Monate-Frist in einer geeigneten Weise abzukürzen.
Das steht jetzt im Protokoll.
Jawohl, wir sprechen von genau der gleichen Sache. Wir haben hier aus dem Munde von Herrn Schäfer vernommen, daß die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses nicht bereit ist, in Verhandlungen über die Abkürzung dieser Wahlperiode einzutreten. Das steht jetzt fest.
Drittens. Es ist durchaus falsch, Herr Kollege Schäfer, zu behaupten, wir hätten uns versagt, eine derartige Lösung für die nächste Wahlperiode ins Auge zu fassen. Sie wissen genau, daß das nicht wahr ist. Ich bedauere, daß Sie hier derartige Äußerungen getan haben.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache zum Einzelplan 02. Ich darf Sie bitten, jetzt mit mir möglichst noch hier im Hause anwesend zu bleiben, weil wir nach zwei Einzelplänen noch eine Reihe von Abstimmungen ohne Debatten haben, so daß wir die dann sehr zügig zu Ende bringen können.Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 02 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe Ziffer 7 des Punktes I der Tagesordnung auf:Einzelplan 03Bundesrat— Drucksache 7/5033 —Berichterstatter:Abgeordneter Schmitz
Ich danke dem Berichterstatter. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 03 — Bundesrat — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen ohne Enthaltungen angenommen.Ich rufe Punkt IV der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Juli 1975 zur Änderung bestimmter Finanzvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften— Drucksache 7/4684 —Bericht und Antrag des Haushaltsausschusses
— Drucksache 7/5127 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
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Vizepräsident von HasselIch danke dem Berichterstatter. Das Wort wird in der Aussprache nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung über die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift.Ich verbinde die Abstimmung in der zweiten Lesung mit der Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen. — Einstimmig so angenommen.Wir haben alsdann noch über die Ziffer 2 des Ausschußantrages auf Drucksache 7/5127 abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Punkte V, VI, VII, VIII, IX und X der Tagesordnung auf:V. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 10. Juli 1975 zur Änderung bestimmter Vorschriften des Protokolls über die Satzung der Europäischen Investitionsbank— Drucksache 7/5061 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußFinanzausschußHaushaltsausschußVI. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Dezember 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 7/5030 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: FinanzausschußVII. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 9. September 1975 zum Abkommen vom 25. Februar 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit— Drucksache 7/5029 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und SozialordnungVIII. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 7/5101 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
InnenausschußIX. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Sprengstoffrechts-- Drucksache 7/5102 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußX. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. Mai 1975 zur Gründung einer Europäischen Weltraumorganisation
— Drucksache 7/5103 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Forschung und Technologie RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GODas Wort wird nicht begehrt. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über die Überweisungen gemeinsam befinden? — Das ist der Fall. Wer stimmt zu? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt XI der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1974
— Drucksache 7/4978 —Es wird Überweisung an den Haushaltsausschuß empfohlen. — Widerspruch? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt XII der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken— Drucksachen 7/4704, 7/5126 —Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerIch danke dem Berichterstatter. Das Wort wird nicht begehrt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt XIII der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 13/ 75 — Besondere Zollsätze gegenüber Marokko)— Drucksache 7/4816, 7/5137 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. SchachtschabelIch danke dem Berichterstatter. Beschlußfassung ist nicht nötig. Wir nehmen den Bericht zur Kenntnis, da Anträge nicht gestellt worden sind.Ich rufe die Punkte XIV, XV, XVI, XVII, XVIII, XIX, XX, XXI, XXII und XXIII der Tagesordnung auf:XIV. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und
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16924 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976
Vizepräsident von HasselFernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Sichtfeld der Fahrer von Kraftfahrzeugen— Drucksache 7/4542, 7/5011 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmidt
XV. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über ein Referenztarifsystem für die Beförderung von Gütern in der Binnenschiffahrt zwischen den Mitgliedstaaten— Drucksachen 7/4541, 7/5017 — Berichterstatter: Abgeordneter DreyerXVI. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates Nr. 75 /271 /EWG vom 28. April 1975 betreffend das Gemeinschaftsverzeichnis der benachteiligten landwirtschaftlichen Gebiete im Sinne der Richtlinie Nr. 75/ 268 /EWG (Frankreich)— Drucksachen 7/4714, 7/5018 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Riedel-MartinyXVII. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2824/72 über die allgemeinen Regeln für die Finanzierung der Interventionen durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie— Drucksachen 7/4627, 7/5019 —Berichterstatter: Abgeordneter SanderXVIII. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Forschung und Technologie zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für einenBeschluß des Rates zum Abschluß der Vereinbarung über die Durchführung einer europäischen Aktion auf dem Gebiet des Umweltschutzes zum Thema „Forschungsarbeiten über das physikalisch-chemische Verhalten von Schwefeldioxyd in der Atmosphäre" (Aktion 61 a)Beschluß des Rates zum Abschluß der Vereinbarung über die Durchführung einer europäischen Aktion auf dem Gebiet des Umweltschutzes zum Thema „Analyse der organischen Mikroverunreinigungen im Wasser" (Aktion 64 b)— Drucksachen 7/3973, 7/5020Berichterstatter:Abgeordneter Dr.-Ing. LaermannXIX. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Entscheidung des Rates über ergänzende Maßnahmen in der Landwirtschaft im Anschluß an die Aufwertung der Deutschen Mark— Drucksachen 7/4564, 7/5065Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Riede
XX. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Einführung einer Beihilferegelung für Bienenzüchterverbände— Drucksachen 7/4640, 7/5069 — Berichterstatter: Abgeordneter KiechleXXI. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Binnenschiffsgüterverkehr— Drucksache 7/41 16, 7/5076 —Berichterstatter: Abgeordneter MahneXXII. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über eine Aktion zur Umstrukturierung des Sektors der handwerklichen Küstenfischerei— Drucksachen 7/4498, 7/5092 — Berichterstatter: Abgeordneter GrunenbergXXIII. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 240. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 11. Mai 1976 16925
Vizepräsident von HasselVerordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens betreffend den Artikel 2 des Protokolls Nr. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen RepublikVerordnung des Rates zur Erhöhung der Mengen der Gemeinschaftszollkontingente, die durch die Verordnungen (EWG) Nr. 3150/75, 3151/75, 3152/75 und 3153/75 für bestimmte Spinnstoffwaren mit Ursprung in Malta für 1976 eröffnet worden sindVerordnung des Rates zur Erhöhung der für 1976 mit der Verordnung (EWG) Nr. 3145/75 eröffneten Gemeinschaftszollkontingente für bestimmte Textilerzeugnisse der Tarifnummern 55.05 und 55.09 und der Tarifstelle ex 58.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs mit Herkunft aus der TürkeiVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2051/74 des Rates vom 1. August 1974 über die Zollregelung für bestimmte Erzeugnisse mit Ursprung in und Herkunft aus den FaröerVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für 30 000 Stück Färsen und Kühe bestimmter Höhenrassen, nicht zum Schlachten, der Tarifstelle ex 01.02 A II b) 2 bb) des Gemeinsamen ZolltarifsVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftskontingents für 5 000 Stück Stiere, Kühe und Färsen bestimmter Höhenrassen, nicht zum Schlachten, der Tarifstelle ex 01.02 A II b) 2 bb) des Gemeinsamen Zolltarifs— Drucksachen 7/4762, 7/4773, 7/4761, 7/4881, 7/4775, 7/5136 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. SchachtschabelWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern für ihre Arbeit. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist nicht der Fall. Das Haus ist wohl damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. — Ich sehe keinen Widerspruch.Wir kommen dann zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/5011, 7/5017, 7/5018, 7/5019, 7/5020, 7/5065, 7/5069, 7/5076, 7/5092 und 7/5136. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist bei einer Enthaltung ohne Gegenstimmen so beschlossen.Wir sind am Ende unserer heutigen Arbeit angelangt. Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf morgen, Mittwoch, den 12. Mai 1976, 9 Uhr ein.Ich schließe die Sitzung.