Lassen Sie mich kurz auf die Situation an der innerdeutschen Grenze eingehen, ein Thema, das Sie hartnäckig verschweigen. Die innerdeutsche Grenze und Berlin sind letztlich der Maßstab, an dem die innerdeutsche Situation und der Erfolg Ihrer Politik gemessen werden müssen.
Was haben wir in der Zwischenzeit erreicht? Größere Durchlässigkeit der innerdeutschen Grenze, wie Sie das versprochen haben? Wir haben ein nahezu perfektes System der Grenzsicherung und Abgrenzung der beiden deutschen Staaten, bestehend aus doppeltem Stacheldrahtzaun, Metallgitterzaun, Schutzstreifenzaun, Kolonnenwegen, Lichtsperren, Erdbunkern, Beobachtungstümern, Hundelaufanlagen. Es wäre einmal der Mühe wert, im einzelnen aufzuzeigen, mit welcher Perfektion diese Grenze während Ihrer Regierungszeit ausgestaltet worden ist, also während einer Zeit geradezu unglaublicher politischer Vorleistungen und Konzessionen ohne entsprechende Gegenleistung und Zahlungen, die nahezu einem finanziellen Ausverkauf gleichkommen.
Ich lasse nur stichwortartig anklingen, worum es noch weiter geht. Zwangsadoption, ständig, jeden Tag, Schüsse entlang der Zonengrenze. Die Dunkelziffer der Morde ist doch viel größer als das, was die Behörden der Bundesregierung ermitteln. Die Grenze hat ohne Berliner Mauer in der Zwischenzeit über 5,5 Milliarden DM gekostet. Das Traurige und Tragische dabei ist, daß diese Bundesregierung zu diesem Bau, zu dieser Institution der Unmenschlichkeit maßgeblich beigetragen hat,
weil, wie zu vermuten ist, aus diesen Geldern einiges in diese Veranstaltungen der Unmenschlichkeit auf deutschem Territorium geflossen ist. Und wenn Sie, Herr Wehner, jetzt aufmerken, ist das für mich ein sicheres Zeichen dafür, daß ich damit einen ganz wunden Punkt Ihrer politischen Position berührt habe.
Und was macht die Bundesregierung? Sie verniedlicht, spielt herab, äußert gelegentlich einen verbalen Protest, den sie selbst als Routine begreift und nicht mehr ernst nimmt, den deswegen auch die DDR unbeachtet läßt.
Wir sind in der Zwischenzeit der Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten. Und was macht die Bundesregierung? Gar nichts. Sie nutzt diese internationalen Rechtsinstrumente in keiner Weise aus. In der UNO zahlen wir mit die höchsten Beiträge, und in der Zwischenzeit hat die Bundesregierung auch den Ehrgeiz entwickelt, über das Schicksal anderer Länder auf dieser Welt im Sicherheitsrat mit zu entscheiden, zu einem Zeitpunkt, wo sie sich nicht getraut, diese elementaren Probleme der Bevölkerung in unserem eigenen Lande dort zur Sprache zu bringen.
Auch der Fall Gartenschläger hat sie nicht dazu veranlaßt, irgend etwas außer papierenen Protesten zu unternehmen. Ich behaupte gar nicht, daß der getötete Gartenschläger ein großer Held war. Aber verantwortlich und schuldig, und zwar im strafrechtlichen und moralischen Sinn, für diesen menschenrechtswidrigen Zustand sind nicht diejenigen, die die menschenrechtswidrigen Mordanlagen zu beseitigen versuchen, sondern diejenigen, die diese Mordanlagen installiert haben.
Und mitschuldig an diesen Ereignissen macht sich eine Bundesregierung, die nicht mehr als die gegenwärtige unternimmt.
Bezeichnend für die ängstliche und unergiebige Politik dieser Bundesregierung in der deutschen Frage ist auch die Entwicklung des Projekts der Deutschen Nationalstiftung. Überraschend ist die Haltung der Bundesregierung keineswegs. Wir sind bereits durch die Äußerungen des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit der Errichtung des Umweltbundesamtes vorbereitet worden. Damals hat Helmut Schmidt ja bereits zum Ausdruck gebracht, daß er keine weiteren internationalen Streitfälle dieser Art produzieren wolle, woraus sich ergibt, daß sich im Endeffekt seine Auslegung des Viermächteabkommens über Berlin von der sowjetischen zumindest im Hinblick auf die praktischen Ergebnisse nicht sehr wesentlich unterscheidet. Wenn Sie nicht mehr Entschlossenheit zeigen, die Abkommen, um in Ihrer eigenen Terminologie zu sprechen, mit mehr Leben auszufüllen, in diesem Fall auch das Viermächteabkommen, um auf diese Weise die Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin zu stärken, können Sie nicht erwarten, daß unsere westlichen Partner unsere Interessen noch „deutscher" vertreten, als wir selbst es tun.
Einen Satz zu Berlin. Die Situation Berlins ist nicht sicherer geworden. Sie wird tagtäglich — bis auf die letzten Ausgaben des „Neuen Deutschland" — bestritten. Die Folgeverträge zum Grundlagenvertrag, eine der großen Ankündigungen, womit Sie Ihre Vorleistungen zu rechtfertigen versuchen — mir fehlt die Zeit, darauf einzugehen; es genügt, das Ergebnis festzustellen —, sind kläglich. Sie haben bisher nur drei von zahlreichen Abkommen überhaupt verwirklichten können.
Diese Abkommen enthalten großenteils Selbstverständlichkeiten, Unklarheiten, und ein Teil des darin niedergelegten Inhalts ist sogar geeignet, gewisse Positionen nicht zuletzt im Zusammenhang mit Berlin noch weiter zu schwächen.