Protokoll:
3031

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 3

  • date_rangeSitzungsnummer: 31

  • date_rangeDatum: 13. Juni 1958

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:17 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 31. Sitzung Bonn, 13. Juni 1958 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (SPD) (Drucksache 303) — Zweite Beratung — Metzger (SPD) 1695 B Dr. Schröder, Bundesminister . 1708 D, 1742 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 1712 D Dürr (FDP) . . . . . . . . . 1717 A Euler (DP) 1718 D Dr. Mommer (SPD) 1721 B Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . . 1734 A Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) 1737 A Dr. Arndt (SPD) . . . . . . . . 1738 A Erler (SPD) 1743 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 1746 A Namentliche Abstimmung 1746 C Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht: Antrag der Bundesregierung gegen die Regierung des Landes Hessen wegen Verletzung der Pflicht zur Bundestreue; Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 437); Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht: Antrag der Bundesregierung auf verfassungsrechtliche Prüfung des hamburgischen Gesetzes betr. die Volksbefragung über Atomwaffen; Mündlicher Beruht des Rechtsausschusses (Drucksache 438) Hoogen (CDU/CSU) 1748 A Wittrock (SPD) 1748 B Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 1749 D Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) 1750 B Nächste Sitzung 1752 C Anlage 1753 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1695 31. Sitzung Bonn, den 13. Juni 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 30. 6. Bading 13. 6. Dr. Bärsch 15. 6. Baur (Augsburg) 13. 6. Berendsen 13. 6. Berger 13. 6. Frau Berger-Heise 30. 6. Bergmann 13. 6. Birkelbach 13. 6. Dr. Birrenbach 14. 6. Fürst von Bismarck 13. 6. Dr. Bucerius 13. 6. Burgemeister 3. 7. Demmelmeier 13. 6. Dr. Deist 13. 6. Deringer 13. 6. Frau Döhring (Stuttgart) 21. 6. Döring (Düsseldorf) 13. 6. Eilers (Oldenburg) 13. 6. Etzenbach 13. 6. Frehsee 13. 6. Dr. Frey 21. 6. Dr. Friedensburg 13. 6. Dr. Furler 21. 6. Gaßmann 21. 6. Geiger (München) 14. 6. Glüsing (Dithmarschen) 13. 6. Dr. Gossel 13. 6. Hackethal 13. 6. Häussler 30. 6. Dr. Dr. Heinemann 13. 6. Hübner 13. 6. Illerhaus 13. 6. Jahn (Marburg) 14. 6. Kalbitzer 13. 6. Dr. Kempfler 13. 6. Dr. Königswarter 13. 6. Dr. Kopf 13. 6. Frau Dr. Kuchtner 14. 6. Kühlthau 16. 6. Kühn (Köln) 13. 6. Kunze 15. 6. Leber 13. 6. Lenz (Brühl) 13. 6. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 6. Dr. Maier (Stuttgart) 13. 6. Margulies 13. 6. Marx 16. 6. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Dr. Maxsein 13. 6. Mensing 28. 6. Frau Meyer-Laule 14. 6. Müller-Hermann 14. 6. Nieberg 13. 6. Frau Niggemeyer 12. 7. Oetzel 13. 6. Ollenhauer 14. 6. Frau Dr. Pannhoff 14. 6. Paul 14. 6. Peters 13. 6. Pietscher 16. 6. Frau Pitz-Savelsberg 15. 6. Dr. Preiß 30. 6. Pütz 13. 6. Ramms 21. 6. Rasch 25. 6. Frau Dr. Rehling 13. 6. Ruf 30. 6. Sander 20. 6. Scheel 13. 6. Dr. Schellenberg 14. 6. Scheppmann 13. 6. Dr. Schmid (Frankfurt) 13. 6. Schneider (Hamburg) 13. 6. Dr. Schneider (Saarbrücken) 13. 6. Schoettle 19. 7. Dr. Schranz 13. 6. Schultz 13. 6. Dr. Serres 13. 6. Seuffert 13..6. Siebel 20. 6. Simpfendörfer 13. 6. Spies (Brücken) 13. 6. Dr. Starke 13. 6. Stauch 13. 6. Stierle 13. 6. Dr. Storm (Duisburg) 13. 6. Storm (Meischenstorf) 13. 6. Sträter 30. 6. Struve 30. 6. Wagner 13. 6. Dr. Wahl 13. 6. Walpert 13. 6. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 13. 6. Weber (Georgenau) 13. 6. Dr. Weber (Koblenz) 13. 6. Wehner 14. 6. Weimer 17. 6. Dr. Werber 13. 6. Dr. Winter 13. 6. Dr. Wolff (Denzlingen) 13. 6. Zoglmann 13. 6.
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0303100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf:
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (Drucksache 303) (Erste Beratung 26. Sitzung.)
Auf Grund der §§ 80 Abs. 3 und 83 der Geschäftsordnung wird die Beratung und anschließend die Abstimmung über alle Paragraphen verbunden und der Gesetzentwurf in einer gemeinsamen Aussprache erörtert.
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0303100100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind politische Gründe, die die SPD-Fraktion zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr veranlaßt haben; ich sage ausdrücklich: politische Gründe und keine parteitaktischen Gründe,

(Lachen in der Mitte)

das heißt also: Gründe des allgemeinen Wohls.

(Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren von der CDU, Sie geben dieser Aussprache sofort wieder die richtige Ouvertüre,

(Lachen bei der CDU/CSU)

indem Sie die Beweggründe Ihres politischen Gegners von vornherein verdächtigen.

(Abg. Rasner: Nein, belächeln!)

Das ist eine schlechte Sache und zeugt nicht von einem guten Gewissen.

(Beifall bei der SPD. Lachen und Zurufe von der Mitte.)

Die juristischen Gründe, die bei dieser Frage auch eine Rolle spielen, sind mehr oder weniger deshalb in die Debatte hineingekommen, weil sich die Bundesregierung und die Regierungspartei hinter sie verschanzt haben. Für uns aber ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt die Sorge um unser Volk.

(Abg. Hilbert: Um den Wahlkampf!)

— Sie können das glauben oder nicht. Ich meine, es wäre gut, wenn wir uns politisch ein bißchen ernster nähmen

(Sehr richtig! und Beifall in der Mitte)

und wenn man das, was von Menschen, die Glaubwürdigkeit verdienen, gesagt wird, nicht einfach mit einem höhnischen Lächeln abtäte, wie das hier von Männern und Frauen — das muß ich zu meinem großen Bedauern feststellen geschieht.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

Wir können nicht einsehen, daß die atomare Ausrüstung notwendig ist. Es wäre aber längst nicht das schlimmste, wenn es nur um die Frage ginge, ob sie notwendig oder nicht notwendig ist. Dann könnte man sich zur Not mit einer solchen Sache abfinden. Wir sind aber der Auffassung, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr darüber hinaus eine lebensgefährliche Angelegenheit für unser Volk ist.

(Beifall bei der SPD.)

Wir sind deswegen der Meinung, daß wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, in dieser Sache tätig zu werden, und zwar um unseres Volkes willen. Es ist nicht so, wie es hier dargestellt wird, daß wir die atomare Ausrüstung brauchen, um unsere Verteidigung sicherzustellen. Es kann — unter den wirklichen Sachverständigen besteht darüber kein Zweifel — gar keine Frage sein, daß mit Atombomben eine Verteidigung nicht gewährleistet werden kann, daß im Gegenteil mit Atombomben alles das, was wir verteidigen wollen, zerstört wird.
Daß hier so oft in einer sehr leichten Weise über das Problem gesprochen wird, hängt wohl auch damit zusammen, daß es viele Menschen gibt, deren Vorstellungskraft nicht ausreicht, sich klarzumachen, was der Gebrauch von Atombomben bedeutet. Es gibt auch Menschen — Herr Barzel ist ein Beispiel dafür —, die Mangel an Vorstellungskraft mit Mut und Tapferkeit verwechseln. Es ist keineswegs Tapferkeit, wenn man sich im Brustton der Überzeugung für die atomare Bewaffnung einsetzt, sondern es ist ein Mangel an Vorstellungskraft insofern, als man offenbar nicht weiß, welche Folgen eintreten, wenn wir diesen Schritt gehen.
1696 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Metzger
Darum geht es, daß man sich das klarmacht und daß man aus Verantwortungsgefühl die notwendigen Konsequenzen daraus zieht.
In dieser Welt stehen sich heute immer noch zwei große Blöcke gegenüber, die atomar so aufgerüstet sind, daß es möglich ist, mit diesen Massenvernichtungswaffen die ganze Erde in die Luft zu sprengen. Es ist einfach nicht wahr, daß man es aus Gründen der Abschreckung nötig habe, auch die Bundeswehr, d. h. die Streitkräfte eines Teils Deutschlands und im Gefolge damit das ganze Deutschland atomar auszurüsten, um Abschreckung zu erzielen. Die Abschreckung ist durch das, was im Augenblick vorhanden ist, völlig gewährleistet

(Zuruf von der Mitte: Absolut?)

— ja, absolut gewährleistet —; denn jede Seite weiß, daß die andere sie mit den vorhandenen Atomwaffen restlos vernichten kann.
Ich glaube, es wäre gut, sich darüber einige Gedanken zu machen. Die Abschreckung mag eine gewisse Zeit ihre Wirkung tun. Glauben Sie aber im Ernst, daß die Menschheit auf die Dauer unter der Geißel der Abschreckung leben kann? Die Abschrekkung geht doch davon aus, daß sich der andere — rational, verstandesmäßig—klarmacht, was der Ausbruch eines atomaren Krieges bedeutet. Ich gebe Ihnen zu: wenn die ratio, wenn der Verstand die Herrschaft hat, wird keiner den Mut haben anzufangen, und es wird keiner den Mut haben, einen atomaren Krieg zu führen. Insofern hat die Abschreckung sicher eine gewisse Bedeutung. Aber wir alle wissen aus der Geschichte, daß sie nicht nur mit rationalen, sondern auch mit irrationalen Gründen gemacht wird. Je länger diese ungeheure Spannung dauert, um so mehr werden die irrationalen Antriebe den Ausschlag geben, und eines schönen Tages wird diese Maschinerie in Gang gesetzt werden, ohne daß man die rationalen Gründe noch entscheidend sein läßt. Die Angst und alles, was damit zusammenhängt, werden auf die Dauer gesehen viel größer sein. Die Menschheit wird diese Spannung nicht ertragen können. Die Sicherheit, von der Sie reden, wird gerade dann nicht gewährleistet sein. Unsere Sicherheit wird auf diese Weise restlos verlorengehen.
Wenn es aber so ist, daß wir die Abschreckung, die im Augenblick durch die Atomwaffen auf beiden Seiten vorhanden ist, auf die Dauer nicht durchhalten können, stehen wir doch vor der Frage, was wir tun können, um diese Spannung zu vermindern. Das heißt, wir können nur dafür sorgen, daß so schnell wie möglich abgerüstet wird. Da muß man sich doch ,die ernsthafte Frage vorlegen, ob man Abrüstung ernsthaft betreiben kann, indem man den Schrecken, der schon groß genug ist, noch vergrößert,

(Sehr wahr! bei der SPD)

indem man die Angst in der Welt noch vergrößert, wobei man die Hoffnung hat oder zu haben vorgibt, daß man nun zu einer generellen Abrüstung kommen könnte. Es ist sehr schön und hört sich glänzend an, wenn der Herr Bundeskanzler und
wenn die Bundesregierung erklären: Die SPD will ja nur die nichtatomare Bewaffnung, wir wollen viel mehr, wir wollen die weltweite Abrüstung. Sehr schön und gut! Wer will die nicht? Aber es ist doch ein Selbstbetrug, wenn man so tut, als ob man die weltweite Abrüstung auf einen Schlag erreichen könnte und als ob man vorher noch alles Mögliche tun könnte, um dieser Abrüstung entgegenzuwirken.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Es ist doch gar kein Zweifel: Diese Abrüstung kann bei unseren komplizierten Verhältnissen nur dadurch verwirklicht werden, daß wir einmal an irgendeinem Zipfel anfangen. Sie tun das genaue Gegenteil. Sie fangen nicht an einem Zipfel an, sondern Sie vermehren den Schrecken, Sie vermehren die Angst, Sie vermehren die Abwehr auf der anderen Seite. Sie tun damit das genaue Gegenteil von dem, was Sie behaupten. Sie leisten nicht Sicherheit, sondern Sie vermindern die Sicherheit unseres Volkes. Weltweite Abrüstung, jawohl! Aber dann muß man in konkreten Aktionen zeigen, daß man sie ernsthaft will. Das heißt, man muß irgendwo beginnen und darf nicht das Gegenteil tun.
Die Bundesregierung tut aber das Gegenteil. Der Deutschland-Union-Dienst hat sich jetzt wieder einmal zu diesem Problem in einer Weise geäußert, wie wir sie nun ja allmählich kennen. Es wird davon gesprochen, daß die SPD mit der Atomfrage nur die Bevölkerung hinter sich bringen wolle. Das ist die alte Behauptung, die soeben in Ihren Zwischenrufen wieder zum Ausdruck kam. Dann wird gesagt, die SPD lehne die Außen- und Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung und der CDU/CSU ab, wisse jedoch nach wie vor nicht, was sie an deren Stelle setzen solle.

(Abg. Rasner: Völlig richtig!)

Herr Kiesinger hat uns vor einiger Zeit hier erklärt, daß Sie kein Programm für die Wiedervereinigung haben und daß das von Fall zu Fall geklärt werden muß. Wenn Sie zugehört haben — und Sie hatten oft genug dazu Gelegenheit, auch die Herrschaften vom Deutschland-Union-Dienst —, konnten Sie vernehmen, daß wir eine Vorstellung davon haben, wie man zur Wiedervereinigung kommen kann.

(Abg. Kiesinger: Sie machen die Rechnung nur ohne den Wirt!)

Sie können meinetwegen sagen, daß Sie mit diesem Weg nicht einverstanden sind, daß Sie ihn für falsch halten.

(Abg. Kiesinger: Nein, die Russen sind nicht einverstanden!)

Aber es ist unlauter, wenn hier gesagt wird, die Sozialdemokratische Partei habe keinen Weg zu zeigen. Dann muß man sich schon die Mühe machen, sich mit diesem Weg auseinanderzusetzen. Und das tun Sie gerade nicht.

(Beifall bei der SPD.)

Ich habe gesagt, es kommt darauf an, daß man an einem Zipfel anfängt, daß man anfängt, von
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1697
Metzger
neuem Vertrauen zu schaffen. Wenn wir sagen, dieses Vertrauen muß in der Weise geschaffen werden, daß man sich zusammensetzt, daß man miteinander verhandelt, dann ist es der Herr Innenminister, der davon spricht, daß die Opposition gegenüber den Sowjets in Raten kapitulieren will.

(Abg. Rasner: Gute Formulierung!)

Was ist das für eine Redensart von einem Regierungsmitglied, das die Pflicht hätte, objektiv zu sein, und das alles andere als die Aufgabe hätte, in einem amtlichen Bulletin in dieser üblen Weise Parteipolitik zu treiben.

(Beifall bei der SPD.)

Wir haben dargetan, daß man mit den Verhandlungen beginnen muß, und wir sind der Meinung gewesen -- im Einklang mit einigen Ihrer Freunde, die mir das erklärt haben —, daß der Rapacki-Plan z. B. eine Möglichkeit gäbe, mit diesen Verhandlungen zu beginnen. Wir haben keineswegs gesagt, daß das ein Evangelium sei, ein Dogma sei. Wir haben aber gesagt, daß das eine Basis ist, von der man ausgehen kann. Auch das haben Sie abgelehnt und haben damit die Wiedervereinigung noch viel weiter unmöglich gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)

Sie haben dafür gesorgt, daß die Angst, die mit der atomaren Ausrüstung zusammenhängt, gesteigert wird — nicht die Angst, die angeblich von uns hervorgerufen wird, sondern die Angst bei den Menschen in der Regierung auf beiden Seiten der Linie. Auf beiden Seiten besteht doch diese Angst, und sie wird eines schönen Tages das auslösende Moment sein.
Und Sie haben dabei etwas anderes noch getan, etwas, worauf Kennan in seinen Rundfunkvorträgen aufmerksam gemacht hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer?)

— Kennan; er wird Ihnen bekannt sein, Herr Dr. Martin.

(Abg. Dr. Martin: Ja!)

Vielleicht haben Sie sogar die Vorträge gelesen; ich weiß es nicht.

(Abg. Dr. Martin: Ja, habe ich!)

Kennan sagt in einem seiner Vorträge, daß die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik zur Folge hat, daß die DDR und die sogenannten Satellitenstaaten gleichfalls atomar ausgerüstet werden.

(Abg. Pelster: Sind sie ja längst!)

— Das ist Ihre Behauptung, die zunächst einmal bewiesen werden müßte; und wenn sie es sind, dann sind sie erst als Folge unserer atomaren Handlungen aufgerüstet worden. — Kennan weist darauf hin, daß die atomare Aufrüstung dieser Staaten, der kleinen Staaten jenseits der eisernen Linie, bedeutet, daß die Sowjetrussen denen gar nicht die Atomwaffen allein überlassen können — denn soviel Zutrauen haben sie nicht —, daß die Sowjetrussen selber diese Atomwaffen in Besitz haben müssen, bedienen müssen, an diesen Stellen, in diesen Gebieten; und das bedeutet, daß die Russen in diesen Gebieten fixiert werden, daß sie niemals mehr aus diesen Gebieten hinausgehen werden.
Und das ist die Folge Ihrer Politik: daß Sie die Russen an unserer Zonengrenze, bis in Deutschland hinein, für alle Zeiten festhalten und die Möglichkeit, im Wege der Verhandlungen dieses Gebiet von fremden Truppen frei zu bekommen, immer geringer wird.

(Zuruf von der CDU/CSU Glaubt Ihr ja selber nicht!)

Ich glaube, gerade auch die große Zahl der Abgeordneten der CDU/CSU hätte Veranlassung, einmal über dieses Problem nachzudenken. Ich bin davon überzeugt, daß viele von Ihnen diesen Gedanken überhaupt noch nicht erwogen haben.

(Oh-Rufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

Die atomare Ausrüstung bedeutet also, daß wir eine weitere Verhärtung herbeiführen, anstatt daß wir den Mut haben, eine verdünnte Zone zu schaffen, und damit eben den Zipfel in die Hand nehmen, bei dem man anfangen muß, um die allgemeine Abrüstung durchzuführen.
Stattdessen, meine Damen und Herren, beschließen Sie die atomare Aufrüstung und erklären, das Volk habe Ihnen dazu die Vollmacht gegeben. Sie tun so, als wenn Sie davon überzeugt wären, daß das Volk auf Ihrer Seite steht.
Nun, meine Damen und Herren, wenn das so wäre, kann ich nur die Frage stellen: Warum lassen Sie es dann nicht zu, daß dieses Volk gefragt wird?

(Zustimmung bei der SPD.)

Warum wollen Sie verhindern, daß unser Volk zu einer Frage, die über sein Sein oder Nichtsein entscheidet, gehört wird, daß das Volk die Möglichkeit hat, sich dazu zu äußern? Wir behaupten — und wir haben dafür Beweise erbracht —, daß Sie im Wahlkampf das Volk getäuscht haben.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Sie haben zunächst einmal nicht davon gesprochen. daß Sie die Absicht haben, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen, und Sie haben da, wo diese Behauptung aufgetaucht ist, sie ganz ausdrücklich abgestritten.

(Erneute Zustimmung bei der SPD.)

Sie haben also in einem Wahlkampf das Volk in einer Weise getäuscht, wie wir es noch nicht sehr oft erlebt haben.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Leider wahr! Zurufe von der CDU/CSU.)

Und jetzt, meine Damen und Herren, verschanzen Sie sich hinter juristischen Vorwänden. Deswegen sind wir gezwungen, uns auch mit den juristischen Fragen auseinanderzusetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Verfassung ist kein „juristischer Vorwand"!)

1698 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Metzger
— Ja, zur Verfassung werde ich reden. Was verstehen Sie schon von der Verfassung!

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie zur Verfassung stehen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist eine Unverschämtheit! Eitelkeit ist auch eine „christliche Tugend" ! — Weitere Zurufe.)

Sie stellen also die Behauptung auf, amtliche Volksbefragungen seien verfassungswidrig. Wer diese Behauptung aufstellt, der muß sie auch beweisen. Bei Ihnen liegt die Beweislast.

(Abg. Schütz [München] : Ja, natürlich!)

Denn darüber gibt es gar keinen Zweifel, daß in Demokratien prima facie, auf den ersten Anschein die Vermutung dafür besteht, daß das Volk die Möglichkeit hat, sich zu äußern, daß das Volk zum allermindesten amtlich befragt werden kann. Wir brauchen uns nur einmal in den demokratischen Ländern unserer europäischen Umgebung und darüber hinaus umzusehen.

(Abg. Kiesinger: „Und darüber hinaus"!)

Da stellen wir fest, daß die Volksbefragung in diesen Ländern auch das ist bereits dargetan worden — auch dann, wenn sie in der Verfassung nicht wörtlich verankert ist, in vieler Beziehung bereits praktiziert wird. Ich kann Ihnen viele Länder nennen: Norwegen, Schweden, Belgien. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern. Es gibt ein einziges Land in Europa, das in seiner Verfassung die Volksbefragung verboten hat, und dieses Land ist Spanien.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Hu-Rufe bei der CDU/CSU.)

— Die Zuneigung ist manchmal sehr groß, wie wir ja wissen. Wir haben dafür auch Beweise.
Was nun unsere eigene Praxis in der Bundesrepublik anlangt, so können wir sagen, daß wir in der Frage der Volksbefragungen Praxis haben. Wir haben in der ersten Beratung bereits dargelegt, daß amtliche Volksbefragungen in der Bundesrepublik stattgefunden haben, daß sie von der Regierung gebilligt worden sind und daß sie von führenden CDU-Politikern auch in hohen amtlichen Stellungen nicht nur geduldet, sondern gefördert worden sind.

(Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr! — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ein klassisches Beispiel — aber das ist nur eins von vielen — ist das von Castrop-Rauxel, ein Beispiel, das dem Herrn Innenminister außerordentlich unangenehm ist.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Der Herr Innenminister versucht daher, diesen Präzedenzfall auf eine ganz eigenartige Weise aus der Welt zu schaffen. Er behauptet nämlich, das sei im Jahre 1950 gewesen, und damals sei die Bundesregierung in ihrer Souveränität noch beträchtlich beschränkt gewesen. Ich muß sagen: man kann sich nur wundern, wenn man von einem Innenminister
eine solche Begründung hört. Zunächst einmal muß ich fragen: Ist denn die Souveränität der Bundesrepublik heute vollständig wiederhergestellt? Wir brauchen nur in die Verträge zu schauen und können juristisch nachweisen, daß das nicht der Fall ist.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ach, Herr Dr. Martin, tun Sie doch nicht so! Sie wohnen doch ganz in der Nähe. Sie brauchen nur an einen Fall aus der letzten Zeit zu denken. In Oberroßbach im Kreise Friedberg hat ein amerikanischer Offizier den Wald einer ganzen Gemeinde abholzen lassen. Im letzten Augenblick ist es gelungen, noch einen kleinen Rest einstweilen zu retten. Und als ein sowjetischer Minister hierher flog, war die Bundesregierung nicht in der Lage, ihm die Möglichkeit dazu zu verschaffen; da mußte das Hoheitsrecht der Bundesrepublik durch die ehemaligen Besatzungsmächte ausgeübt werden.

(Zuruf von der SPD: Schöne Souveränität!)

Es ist wirklich die Frage: wo ist denn unsere perfekte Souveränität heute?

(Sehr gut! bei der SPD.)

Aber ich glaube, das ist gar nicht einmal der entscheidende Gesichtspunkt.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ach, wir könnten Beispiele über Beispiele bringen. Ich will mich beschränken und will nicht so weitschweifig werden. Ich glaube also noch nicht einmal, daß das der ausschlaggebende Gesichtspunkt ist.
Meine Damen und Herren! Wenn die Verfassung im Jahre 1950 wegen mangelnder Souveränität angeblich nicht gegolten hat, wie kann dann der Herr Innenminister der Meinung sein, daß sie heute gilt? Und wenn das Grundgesetz heute gilt, warum hat es im Jahre 1950 nicht gelten sollen? Das ist doch die Frage, die uns der Herr Innenminister beantworten müßte, und um diese Frage hat er sich mit der faulen Ausrede gedrückt, wir seien damals noch nicht souverän gewesen.

(Abg. Erler: Souveränität bringt für ihn weniger Rechte für den Bürger!)

— Ja!
Wir sind der Meinung, die Anlage unseres Grundgesetzes schafft dem Parlament bereits die Möglichkeit, sich die Informationen zu beschaffen, die es für notwendig hält, und auf dem Wege, den es für richtig hält. Das gehört mit zur Souveränität des Parlaments, und wer anders denkt, beschneidet die Souveränität des Parlaments, und zwar freiwillig.

(Beifall bei der SPD.)

Auf diesem Wege sind Sie, das tun Sie, und das tut der Herr Verfassungsminister.
Aber es gibt auch in der Rechtslehre genügend Auffassungen, die unsere Meinung decken. Professor Dr. Friedrich von der Harvard-Universität z. B hat
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1699
Metzger
in seinem Buch „Der Verfassungsstaat der Neuzeit" geschrieben:
In Theorie und Praxis
— das deckt sich mit dem, was ich ausgeführt habe —
ist die moderne Demokratie gekennzeichnet durch ein System des direkten Handelns des Volkes als Alternative neben allen repräsentativen Systemen.
Es wird also hier absolut deutlich gemacht: Das System mag noch so repräsentativ sein, die Möglichkeit des Handelns des Volkes ist dabei nicht ausgeschlossen. Das ergibt sich aus den allgemeinen Prinzipien der Demokratie, auch aus den Grundsätzen unserer demokratischen Verfassung.
Nun, wie führt die Bundesregierung und wie führen die Redner der CDU den Beweis dafür, daß trotz alledem unser Grundgesetz die informatorische Befragung unseres Volkes verbietet? Es wird geltend gemacht, daß der Schöpfer des Grundgesetzes die plebiszitären Möglichkeiten bewußt eingeschränkt habe. Der Herr Innenminister hat darüber hinaus auf einer Bundespressekonferenz erklärt, die Verfassung kenne in bewußter Abkehr von früheren Verfassungsformen die unmittelbar plebiszitäre Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk überhaupt nicht. Er hat also sogar bestritten, daß solche plebiszitären Möglichkeiten überhaupt bestehen. Es kann nachgelesen werden im Bulletin vorn 29. Mai 1958, Seite 964. Er hat hinzugefügt, daß Volksbefragungen eine Form des Plebiszits und daher unzulässig seien.
Das ist also die Basis des Beweises dafür, daß Volksbefragungen verfassungswidrig seien. Wir müssen dem einmal nachgehen und feststellen, was an diesen Behauptungen dran ist. Wenn wir das ominöse sogenannte Rechtsgutachten des Innen-und des Justizministeriums lesen — in der letzten Beratung ist es uns ja noch vorenthalten worden , können wir nur sagen: das ist eine Begründung, die man als ausgesprochen gequält bezeichnen muß. Eine ganze Reihe von Juristen haben zum Ausdruck gebracht, wie enttäuschend die Beweisführung ist, die man hier bringt und die im Grunde genommen genau das enthält, was uns der Herr Innenminister auch vorgesetzt hat.
Wie verhält es sich damit? Richtig ist zunächst einmal, daß das Grundgesetz Volksbegehren und Volksentscheid nur in einem Artikel, dem Art. 29, geregelt hat. Das betrifft die Neugliederung der Länder der Bundesrepublik. Aber auch die Volksbefragung in den Übergangsbestimmungen, im Art. 118, ist als Volksentscheid durch den einfachen Gesetzgeber ausgestaltet worden.
Und nun kommt eine ganz ulkige Begründung der sogenannten Rechtsgutachter der Ministerien. Sie sagen, als argumentum e contrario sei anzunehmen, daß Volksbefragungen nur da, wo sie ausdrücklich geregelt sind, zugelassen sind, weil das Wort Volksbefragung so behandelt worden ist, daß man es als Volksentscheid ausgestaltete durch den einfachen Gesetzgeber wohlgemerkt, nicht durch den Verfassungsgesetzgeber! Der einfache Gesetzgeber
hätte genauso gut die Möglichkeit gehabt, die Volksbefragung anders auszugestalten. Das stand in seiner Freiheit, dazu hatte er kraft seiner Souveränität die Möglichkeit, je nachdem, wie er es für zweckmäßig und für richtig gehalten hätte. Aus dieser Tatsache läßt sich kein juristisches Argument, jedenfalls kein juristisches Argument im Sinne der Bundesregierung ableiten.
Aber auf alle Fälle gibt es in unserem Grundgesetz die Möglichkeit der rechtlich relevanten Äußerung und der Mitwirkung des Volkes. An dieser Tatsache können wir zunächst einmal nicht vorbeigehen.
Nun wird auf die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates Bezug genommen. Man sagt: Man muß die Motive des Verfassungsgesetzgebers prüfen, und wenn man diese Motive prüft, kommt man zu dem Ergebnis, daß Volksbefragungen verfassungswidrig sind. Man muß schon auf die Motive zurückgehen, weil man in der Verfassung selbst nichts Rechtes findet, um solche Beweise zu erbringen. Kein Zweifel, im Parlamentarischen Rat ist über die Frage des Plebiszits, d. h. des Volksbegehrens und des Volksentscheids, gesprochen worden. Im Parlamentarischen Rat gab es verschiedene Meinungen, und man ist dann dazu gekommen, daß unser Grundgesetz das Plebiszit in einem beschränkten Umfang zuläßt. Das ist richtig.
Aber es geht nicht an, daß man jetzt nur die Äußerungen herauszupft, die einem im besonderen Maße gefallen. Aber auch wenn wir diese Äußerungen einmal kritisch prüfen, sehen wir, daß sie für die Meinung der Bundesregierung gar nichts, eher das genaue Gegenteil ergeben. Der damalige Abgeordnete Heuss hat z. B. erklärt:
Das Volksbegehren, die Volksinitiative ist in der Zeit der Vermassung und Entwurzelung in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen.
Das hat er in der Plenarsitzung vom 9. September 1948 erklärt.
Nun hätte man den sogenannten Gutachtern der Ministerien anempfehlen müssen, diese Äußerung, auf die sie sich beziehen, einmal genauer zu lesen. Darin steht nämlich: „Das Volksbegehren, die Volksinitiative ist . . .". Gerade das ist der springende Punkt, den die Bundesregierung verwischen will. Hier geht es um die Frage der Volksinitiative. Man hat damals mit einem gewissen Recht gesagt, man wolle nicht, daß aus der Initiative des Volkes jede beliebige Frage behandelt und dann demagogisch ausgeschlachtet werden kann, man wolle nicht, daß das Volk in der Gesetzgebung, in der Ausübung der Staatsgewalt die Initiative ergreifen kann.
Nun sagt aber die Regierung — das ist wieder so ein Sprung, mit dem sie sich über die Verlegenheit hinweghelfen will —: Das Plebiszit umfaßt auch amtliche Volksbefragungen; denn wir müssen das Plebiszit im weiteren politischen und soziologischen Sinn auffassen. Die Frage des Plebiszits ist keine soziologische, sondern eine juristische Frage, sie muß juristisch untersucht werden. Das Plebi-
1700 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Metzger
szit im Sinne des Volksbegehrens und des Volksentscheids geht eben davon aus, wie der Abgeordnete Heuss richtig gesagt hat, daß das Volk die Initiative ergreift.
Aber die Volksbefragung, wie wir sie hier beantragt haben, will das genaue Gegenteil. Da geht es nicht um die Volksinitiative, da geht es um die Initiative des souveränen Parlaments. Hier haben wir allein die Frage zu prüfen: hat das Parlament das Recht, sich auch auf diese Weise zu informieren, oder hat es das Recht nicht? Hat also im Gegensatz zum Plebiszit nicht das Volk, sondern das Parlament die Initiative? Das ist die Frage, um die es sich hier handelt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Es ist gar kein Zweifel, daß das Parlament dieses Recht der Initiative hat. Wir müssen eben sauber unterscheiden. Der Herr Innenminister hat beim letztenmal mit seinen juristischen Kenntnissen renommiert und anderen vorgeworfen, daß sie nicht richtig zitiert hätten und keine guten Juristen seien.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Die beste Eigenschaft eines Juristen ist, Herr Innenminister, daß er sauber unterscheiden kann.

(Beifall bei der SPD.)

Das haben Sie nicht getan. Nicht nur auf diesem
juristischen Gebiet, sondern auch sonst können Sie
nicht sauber unterscheiden. Das ist eine besondere
B) Eigenschaft von Ihnen.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen Sie auch noch lernen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das werde ich Ihnen noch nachweisen.
Wir haben zu unterscheiden zwischen der informatorischen Volksbefragung und der unmittelbaren Volksgesetzgebung. Wenn die Herren Juristen aus dem Ministerium die Rechtslehre einmal genau studiert hätten, hätten sie diese Unterscheidung getroffen. Sie ist sogar schon im Parlamentarischen Rat gemacht worden. Auch dort ist von der unmittelbaren Volksgesetzgebung gesprochen worden. Das hätte man ebenfalls nachlesen können, wenn man nur gewollt hätte. Der grundsätzliche Unterschied besteht eben darin, daß bei der informatorischen Volksbefragung — ich habe es schon gesagt — erstens nicht der Bürger, sondern das Parlament aktiv wird und zweitens der Bürger keine Staatsgewalt ausübt. So steht es im Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes, wo es heißt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Wir können deswegen auch die Frage beiseite lassen, wie die Worte „Wahlen und Abstimmungen" auszulegen sind; denn es geht eben nicht um die Frage der Ausübung der Staatsgewalt, obwohl das Mehrzahlwort „Abstimmungen" sehr wohl auch Überlegungen in bezug auf die unmittelbare Volksgesetzgebung zuließe.
Aber diese Frage kann ich beiseite lassen; sie interessiert uns hier nicht. Hier geht es eben nicht um die Ausübung der Staatsgewalt, wie sie im
Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Hier geht es um die informatorische Volksbefragung. — Herr Kollege, das können Sie, glaube ich, gar nicht bestreiten. Und wenn Sie noch so sehr bedenklich den Kopf schütteln, als Jurist müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, zugeben, daß das so ist und gar nicht anders sein kann.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Unter Juristen gibt es gewisse Grundsätze, die unstreitig sind, und dies ist einer der unstreitigen Grundsätze.
Nun sagt uns die Regierung - und hier ist die
Fürsorge der Regierung für unser Volk ganz besonders rührend , es sei eine undemokratische Zumutung, das ganze Volk amtlich zu einer unverbindlichen Meinungsäußerung aufzufordern. Man sagt, auch daraus ergebe sich, daß eine solche informatorische Volksbefragung verfassungswidrig sei.
Zunächst einmal gibt es keinen Zweifel darüber, daß die Befragung des Volkes rechtlich unverbindlich ist. Aber auch hier gilt es wieder zu unterscheiden. Zweifellos bindet die Äußerung des Volkes in dieser Frage weder den Bundestag noch die Regierung rechtlich. Aber rechtliche Unverbindlichkeit bedeutet noch längst nicht absolute Unverbindlichkeit. Es gibt auch eine moralische Verbindlichkeit, meine Damen und Herren, und davon sollten Sie eigentlich etwas wissen. Wenn das Volk sich in einer solchen Frage, in einer Frage auf Leben und Tod, in einer Frage seiner eigenen Existenz äußert, dann möchte ich die Regierung, dann möchte ich das Parlament, dann möchte ich die Regierungspartei sehen, die glauben, daran einfach vorbeigehen zu können. Eine solche Äußerung ist mindestens ein Appell an das Gewissen und an die Gewissenhaftigkeit. Wenn über 70 % des deutschen Volkes gegen die atomare Aufrüstung und gegen das sind, was sich daraus ergibt, dann kann, glaube ich, ein Parlament nicht einfach so tun, als wenn es das nicht gäbe. Dann kann man sich nicht dahinter verschanzen, es sei eine undemokratische Zumutung, das Volk über diese Frage zu hören.
Noch viel weniger ist es möglich, sich zu der Äußerung zu versteigen — und dies hat ausgerechnet Herr Kollege Ho o g en getan, den ich aus dem Rechtsausschuß als einen sachlichen, ruhigen Mann schätze und den ich gern weiter so schätzen möchte —, unser Gesetzentwurf sei ein Appell an die Verantwortungslosigkeit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist er auch! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich glaube, es ist einfach nicht fair, in dieser Weise zu reden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es gibt keinen Zweifel, die rechtliche Verantwortung bleibt beim Parlament und bei der Regierung. Daraus, daß wir die Meinung des Volkes hören wollen, zu folgern, wir appellierten an die Verantwortungslosigkeit, das ist — Herr Kollege Hoogen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen das sage - Demagogie.

(Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1701
Metzger
Ich betone also noch einmal: Wenn unser Volk die Möglichkeit bekommt, sich zu äußern - wir haben ja schon sehr viele Äußerungen —, dann kann man diese Äußerung nicht als etwas Unverbindliches abtun. Sie ist rechtlich nicht verbindlich. Aber ich wiederhole: es gibt hier auch eine moralische Verbindlichkeit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

— Daß Sie da ausgerechnet „Aha" sagen, ist immerhin kennzeichnend.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist für Ihre Absichten kennzeichnend!)

Das ist ein gewisses Indiz dafür, was bei Ihnen so alles vorgeht.
Herr Barzel hat geäußert, das Grundgesetz bestimme selbst die Gebiete, über die der Bund Gesetze erlassen dürfe, und zu diesen Gebieten gehöre nicht das Recht zu unverbindlichen Volksbefragungen. Auch da bin ich über die juristische Begriffsverwirrung erstaunt. Es geht um die Gebiete, auf denen der Bund Gesetze erlassen darf. Hier geht es um das Gebiet der Bewaffnung und der auswärtigen Politik. Die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet ist ohne Zweifel gegeben; die haben Sie ja sogar geschaffen. Soweit die Bewaffnung in Frage steht, stand diese Zuständigkeit des Bundes ursprünglich nicht im Grundgesetz. Sie berufen sich auf das, was seinerzeit hei der Formulierung des Grundgesetzes geschehen ist. Sie lassen völlig außer acht, daß Sie Ihre damalige Geisteshaltung längst aufgegeben, daß Sie das Grundgesetz längst in entscheidenden Fragen genau in sein Gegenteil verkehrt haben.

(Beifall bei der SPD.)

Wie gesagt, Herr Barzel meint, die Gebiete seien nicht geregelt — sie sind geregelt! —, und er meint, zu diesen Gebieten gehöre nicht das Recht zu unverbindlichen Volksbefragungen. Wenn ich auf einem gewissen Gebiet die Zuständigkeit habe, dann muß ich mich fragen, wie ich diese Zuständigkeit wahrnehmen kann. Die Frage, ob ich das Recht der Volksbefragung habe, hängt mit der Frage zusammen, wie ich dieses Recht ausüben kann. Wie kann ich mir zum Beispiel bei der atomaren Aufrüstung die notwendigen Informationen verschaffen? Wie kann ich mir die Sachkenntnis verschaffen? Wie kann ich mir ein Bild von der Meinung des Volkes verschaffen? Wie kann ich dafür sorgen, daß ich auch weiß, wie das Volk denkt, damit nicht da oben eine Regierung auf dem Präsentierteller sitzt und macht, was sie will und völlig gegen das Volk arbeitet?

(Abg. Rasner: Haben wir eigentlich ein Parlament?)

- Auch das Parlament sollte auf das Volk hören, Herr Rasner, wenn Sie das noch nicht wissen. Aber das ist Ihnen ja längst nicht eingegangen, das wissen wir alle.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Schütz: Das Volk hat nur nie auf Sie gehört!)

— Das Volk ist getäuscht worden, ich habe es Ihnen
gesagt, Herr Schütz.

(Beifall bei der SPD.)

An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorüber, und an dieser Täuschung haben Sie sich alle beteiligt, auch Sie, Herr Schütz.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Jetzt werden Sie drollig!)

Herr Barzel hat ein anderes Argument gebracht; lauter komische Argumente. Er sagt nämlich, das Rechtsinstitut der Volksbefragung sei durch Hitler am 14. Juni 1933 eingeführt worden und sei mißbraucht worden. Daß Hitler ein solches Institut eingeführt hat, daß er es auch mißbraucht hat, darüber besteht kein Streit.

(Abg. Rasner: Das ist ja immerhin etwas wert!)

Aber, meine Damen und Herren, Hitler hat z. B. auch die Wahlen mißbraucht, er hat auch die Gesetzgebung mißbraucht. Sind Sie deswegen der Meinung, daß es in einer Demokratie keine Wahlen und keine Gesetzgebung mehr geben darf? Das ist doch kein Argument; das richtet sich doch selbst. Die Tatsache, daß Hitler eine Volksbefragung durchgeführt hat, eine Volksbefragung übrigens, die darin bestand, daß vollendete Tatsachen vom Volk durch Kopfnicken gebilligt werden sollten, sagt doch nichts gegen das Rechtsinstitut selbst,

(Sehr wahr! bei der SPD)

wie überhaupt ein Mißbrauch einer Sache nicht gegen die Sache spricht, sondern nur gegen den Mißbrauch.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Wenn Sie gegen den Mißbrauch sprechen, dann bin ich einverstanden. Aber das haben Sie ja nicht getan, sondern Sie haben gegen das Institut selbst gesprochen. Ob eine Volksbefragung demokratisch ist oder nicht, das hängt von ihrer demokratischen Ausgestaltung und Handhabung ab,

(Zuruf von der CDU/CSU: Und das entscheidet die SPD!)

d. h. von Ihnen in erster Linie und von uns allen. Da kommen wir auf sehr heikle Fragen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

und da muß ich die Frage stellen: Sind Sie denn gewillt, so etwas demokratisch durchführen zu lassen, wenn das Bundesverfassungsgericht entschieden hat? Wir haben ja bereits Beweise. Da gibt es einen Bundespostminister. Er heißt nicht mehr Lemmer. Wenn er Lemmer hieße, hätten wir das bestimmt nicht erlebt, denn der weiß noch, was Demokratie ist. Aber der neue Bundespostminister hat sich eine Methode der Einschüchterung erlaubt, die schon mehr als bedenklich ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Der Bundespostminister hat einen Erlaß herausgegeben, in dem er gesagt hat, daß die Vorbereitung der Abstimmung über die atomare Abrüstung disziplinarwidrig sei. Er hat seinen 700 000 Bediensteten

Metzger
angekündigt, daß sie in der Gefahr sind, disziplinar verfolgt zu werden, weil sie ihr staatsbürgerliches Recht der freien Meinungsäußerung ausüben.

(Zurufe von der SPD: Pfui! —Nazimethoden!)

Ich muß sagen, das ist etwas so Ungeheuerliches, wie wir es seit dem Verschwinden der nationalsozialistischen Zeit noch nicht erlebt haben. Das ist das erste Mal.

(Beifall bei der SPD.)

Wir haben alle Veranlassung, das sehr deutlich zu sagen und deutlich zu machen, wie es sich denn mit den demokratischen Rechten und mit der demokratischen Handhabung unserer Institutionen eigentlich verhält.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Ich habe nicht gehört, daß der Herr Verfassungsminister dazu auch nur einen Ton gesagt hätte. Es hat sehr massiven Drucks der Gewerkschaften und der Bediensteten selbst bedurft, um diese Verfügung etwas abzumildern. Aber im Grunde besagt sie genau dasselbe wie vorher. Der Zweck, der erreicht werden sollte, ist weithin erreicht. Man hat die Staatsbürger, die zufällig bei der Bundespost sind, eingeschüchtert, und man hat damit die freie Meinungsäußerung unterbunden.
Solche Methoden kennen wir auf staatlichem Gebiet, auf privatem Gebiet, aber auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Da gibt es z. B. die Firma Dunlop in Hanau. Die Betriebsleitung war geneigt, der Volksbefragung eine Unterstützung zu gewähren. Was war die Folge? Aufträge bis hinüber nach England sind suspendiert worden; es war auch angedroht worden, daß sie suspendiert werden. Es gibt auch wirtschaftlichen Druck, und es gibt privaten Druck, den man auf sehr feine, aber auch auf sehr grobe Weise ausüben kann.

(Abg. Rasner: Wie in Hamburg! — anhaltende Gegenrufe von der CDU/CSU)

und von diesem Druck in unserer Bundesrepublik können wir einiges erzählen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

Noch eine andere Sache! Sie gehört mehr in das Gebiet der Hanswurstiaden; aber sie hat dennoch einen ernsten Hintergrund. Es gibt hier in unserem Bundestag einen Abgeordneten Dr. Löhr, der sich folgendes geleistet hat: Er hat sich an den hessischen Staatsgerichtshof gewandt und hat den Magistrat von Darmstadt wegen der Volksbefragungsangelegenheit angeklagt.

(Zuruf von der Mitte: Vernünftig!)

Und auf was hat er sich bezogen? Auf den § 38 des
Gesetzes über den Staatsgerichtshof! Dort heißt es:
Jedermann kann den Staatsgerichtshof anrufen, um die Strafverfolgung wegen eines auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmens
jeder Jurist weiß, was das bedeutet -
gegen den Schuldigen zu erzwingen.
Herr Dr. Löhr will also gegen den Oberbürgermeister, gegen den Magistrat der Stadt Darmstadt ein
Strafverfahren wegen Verfassungsbruchs, wegen eines Unternehmens zum Bruch der Verfassung eingeleitet haben. Ich kann nur sagen: Dieses Denunziantentum unter Abgeordneten ist eine höchst bedauerliche Angelegenheit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und anhaltende Gegenrufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wenn wir schon nach dem Staatsanwalt rufen, um unsere Meinungsverschiedenheiten über die Verfassung auszutragen, dann sind wir bereits sehr weit. Da werde ich in penetranter Weise an die Sitzung erinnert, in der auch die Frage aufgeworfen wurde, ob man nicht sehr bald einige von uns vor den Kadi und vor den Staatsanwalt bringen sollte, als einige der Meinung waren, jawohl, das sei nötig.

(Beifall bei der SPD. Abg. Rasner: Wenn sie gegen die Verfassung arbeiten, ja! — Große Unruhe.)

Herr Dr. Löhr hat es in Gestalt einer Hanswurstiade gemacht; aber er hat den Anfang damit gemacht. Er hat das, was hier angedeutet worden ist, bereits in lie Wirklichkeit umgesetzt.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich kann nur sagen, Sie hätten Veranlassung, mit diesem Ihrem Fraktionskollegen einmal sehr deutlich zu reden. Ich glaube nicht, daß er Ihnen einen guten Dienst erwiesen hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das geht Sie einen Schmarren an!)

— Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Vielleicht nehmen Sie auch einmal einen guten Rat an. Das könnte Ihnen nichts schaden.

(Beifall bei der SPD.)

Die Bundesregierung verlangt aber in einem Nachtrag zum Bundeshaushalt zusätzlich drei Millionen, um die Propaganda für ihre atomare Aufrüstung zu betreiben. Auf der anderen Seite werden Haussuchungen in München veranstaltet,

(Zuruf von der CDU/CSU: Und in Kassel!)

verbietet der Innenminister von Rheinland-Pfalz die Sammlung für den Ausschuß gegen den Atomtod. Es wird also alles inhibiert, was überhaupt inhibiert werden kann. Die Bundesregierung allein aber verlangt drei Millionen für diesen einen Nachtrag, abgesehen von allem anderen, was sonst auf diesem Gebiet schon geschehen ist.
Ich darf zu dem juristischen Schluß kommen, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, zu beweisen, daß unser Grundgesetz informatorische Volksbefragungen verbiete, daß sie nicht gestattet seien.
In einer Anmerkung will ich - um zu zeigen, wie weit sehr ernsthafte Juristen gehen — noch folgendes sagen: Professor Dr. Ridder aus Frankfurt hat in einem Aufsatz in der Juristenzeitung 1958 Seite 322 ff. sogar den Standpunkt vertreten, daß das Parlament überhaupt nicht die Kompetenz hat, eine atomare Bewaffnung zu beschließen. Ich will nicht auf alle Fragen der Völkerrechtswidrig-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1703
Metzger
keit eingehen; darüber ist schon gesprochen worden. Er sieht das Problem von einem anderen Gesichtspunkt aus: daß das Parlament eben gar nicht die Kompetenz habe, über eine solche Sache zu entscheiden, weil das eine Vorfrage der Verfassung sei, die als selbstverständlich vorausgegeben sei. Über diese Frage könne nur das Volk entscheiden, das bei Verabschiedung des Grundgesetzes nicht gefragt worden sei. — Bekanntlich hat das Volk das Grundgesetz nicht beschlossen.

(Abg. Rasner: Halten Sie das für richtig?)

— Ich referiere nur, was Professor Ridder gesagt hat.

(Abg. Rasner: Ach so!)

— Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie einmal zur Kenntnis nähmen, daß es sehr ernsthafte Juristen gibt, die noch viel weiter gehen als ich.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Aber Sie halten es nicht für gut!? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Diese Sachverständigen bringen immerhin juristische Begründungen, über die man nachdenken sollte. Das Nachdenken, Herr Kollege Rasner, ist schon eine sehr gute Angelegenheit.

(Abg. Rasner: Wir sind ja gerade dabei!)

Es wäre gut, wenn Sie nicht nur so in Betrieb machten, sondern wenn Sie auch einmal nachdächten.

(Beifall bei der SPD.)

Der Herr Bundesinnenminister hat uns erklärt —und er hat es überall gesagt —, daß er und die Bundesregierung bei der Entscheidung der hier anstehenden Frage sich in erster Linie um den Schutz der Verfassung kümmern würden und daß die Bundesregierung entschlossen sei, alles zu tun, um die Verfassung zu schützen. Er hat sich sogar dazu hinreißen lassen, unseren Gesetzentwurf als eine Demontage der Verfassung durch die Hintertür zu bezeichnen.

(Abg. Rasner: Sehr gut!)

— Ach, Sie können „Sehr gut" sagen! Sie verstehen ja von Verfassungsdingen nichts, Herr Rasner.

(Lachen und Zurufe von der Mitte. — Abg. Majonica: Aber wir beneiden Sie um Ihre Kenntnisse!)

Ich wiederhole jetzt, was Ihr eigener Innenminister gesagt hat, der einmal erklärt hat, daß man erst einmal die Dinge juristisch klären müsse. Ich wiederhole nur, was von dieser Seite gekommen ist. Dazu kann ich Ihnen nur das eine sagen: solange über eine solche Frage Meinungsverschiedenheiten, begründete Meinungsverschiedenheiten bestehen — ich will jetzt gar nicht sagen, welche Meinung die richtige ist —, so lange kann ein Minister, der die Pflicht zur Objektivität hat, der ja ein Amt hat, sich nicht erdreisten, zu erklären, daß jemand, der eine Meinung vertritt, die der seinen nicht entspricht, die Verfassung durch die Hintertür demontieren will. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Das ist seine Pflicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ein Bundesinnenminister, der so oft bewiesen hat, daß er die Verfassung je nach Bedarf auslegen kann,

(Pfui-Rufe von der CDU/CSU) sollte mit solchen Äußerungen vorsichtig sein.


(Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich wiederhole es: ein Innenminister, der gezeigt hat, daß er die Verfassung je nach Bedarf auslegen kann,

(Beifall bei der SPD — fortgesetzte PfuiRufe von der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

der hat zuviel getan oder nichts getan, als daß er in dieser Frage unbedingt glaubwürdig wäre.

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0303100200
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe in dieser frühen Morgenstunde.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0303100300
Nicht wir, sondern Herr Kollege Dr. Bucher hat in der ersten Beratung nachgewiesen, wie oft der Herr Innenminister Veranlassung gehabt hätte, auf Grund der Verfassung einzuschreiten. Er hat es nicht getan, er hat die Dinge gewähren lassen, er hat sie zum Teil sogar unterstützt. Ich will nur einige Stichworte nennen: „Neues Abendland" und „Abendländische Akademie".

(Beifall bei der SPD. — Oh-Rufe von der Mitte.)

— Ja, da rufen Sie „Oh". Da interessiert Sie auf einmal der Geist der Verfassung nicht mehr. Oder ich erinnere an den Herrn Wenger mit seiner Rede in Tauberbischofsheim. Das sind doch Worte gewesen, die sich an der Grenze des Landes- und Hochverrats bewegt haben.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich kann nur fragen: Hat der Herr Innenminister
auch nur einen Pieps getan! Nichts hat er gesagt!
Oder ich erinnere an die Bestimmungen des Grundgesetzes selbst. Da gibt es den Art. 21. Darin ist gesagt, daß die Parteien verpflichtet sind, über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft abzulegen.

(Abg. Pelster: Tun Sie das auch einmal!)

— Wir tun es. Aber das ist ja gar nicht die Frage. Herr Kollege, Sie haben offenbar die Frage noch gar nicht verstanden. Hier geht es darum, daß ein Gesetz gemacht werden muß, das dies regelt.

(Abg. Rasner: Aber doch nicht der Innenminister!)

— Natürlich der Innenminister!

(Abg. Rasner: W i r machen die Gesetze!)

— Schön, dann hätten Sie es ja machen können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben Sie denn keinen Antrag eingebracht?)

1704 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Metzger
Der Herr Innenminister erklärt uns, er habe jetzt glücklich eine Kommission beauftragt, die sich mit dieser Frage beschäftige. Ich kann nur sagen: das ist ein faule Ausrede. Acht Jahre lang haben wir Zeit gehabt, dieses Gesetz zu schaffen, und die Regierung hat acht Jahre lang Zeit gehabt, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Das Gesetz ist bereits durch den ehemaligen Innenminister Dr. Heinemann vorbereitet gewesen. Es liegt in den Schubladen des Innenministeriums, und das Innenministerium hat die Frage mit vollem Bewußtsein verschleppt. Nun hat der Herr Innenminister glücklich eine Kommission beauftragt. Gut, Herr Innenminister, wenn Sie so dafür sind, daß der Geist der Verfassung und der Wortlaut der Verfassung befolgt werden, dann handeln Sie doch entsprechend und tun Sie doch Ihre Pflichten als Verfassungsminister! Aber ich merke nichts davon.
Da gibt es noch einen anderen Punkt, den Art. 29, der die Neugliederung der Länder des Bundesgebietes betrifft. In diesem Artikel stehen einige Muß-Bestimmungen. Eine solche Muß-Bestimmung ist die Vorschrift, daß die Neugliederung zu erfolgen hat. Es gibt auch eine Soll-Bestimmung, für die Frage der Fristen. Der Herr Innenminister - ich will kein scharfes Wort gebrauchen - beruft sich darauf, daß, was die Frist anlange, nur eine SollBestimmung da sei und daß er deswegen Zeit habe. Auch eine Soll-Bestimmung ist für einen Innenminister bindend. Das sollten Sie sich einmal gesagt sein lassen. Das entspricht nicht nur dem Geist der Verfassung, das entspricht sogar dem Wortlaut der Verfassung.

(Zustimmung bei der SPD.)

Herr Innenminister, wo ist die Befolgung des Wortlauts der Verfassung? Sie drücken sich um diese Frage, Sie haben in dieser Frage nichts getan. Sie haben zwar — das war eine „undemokratische Zumutung" an das Volk — das Volk gehört, Sie haben sehr deutliche Meinungsäußerungen gehört, aber diese Meinungsäußerungen interessierten Sie nicht. Die Soll-Bestimmung wird so behandelt, als ob sie nicht da sei. Das ist die Verfassungstreue dieser Regierung, und das ist auch die Verfassungstreue dieser Regierungsparteien.
Wir haben jetzt wieder ein anderes Beispiel. Der Herr Innenminister hat in „schöner Objektivität" seine parteipolitisch-hetzerische Rede im Bulletin, in einem amtlichen Blatt, drucken lassen. In diesem amtlichen Blatt spricht er z. B. auch von der Gesellschaftsordnung, und er tut so, als ob die Ordnung, die er vertritt, die er für richtig hält, die nach dem Grundgesetz einzig mögliche sei. Er polemisiert gegen eine Entschließung unseres Parteitages, in der steht, daß das deutsche Volk ohne die Überwindung der Teilung Deutschlands nicht in freier Selbstbestimmung eine Gesellschaftsordnung bauen könne — ja, hören Sie, was wir für „furchtbare Dinge" verlangen —, damit allen Mitbürgern die volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit, gleiche Startbedingungen, gleiche Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gewährleistet werden. So „verbrecherisch" ist die SPD, daß sie solche Dinge fordert. Und was
sagt der Herr Innenminister? Er sagt: Sehen wir einmal ab von der unerhöhten Geringschätzung unserer im Grundgesetz festgelegten Ordnung. — Wenn man solche Dinge verlangt, dann ist das für den Herrn Innenminister bereits eine „unerhörte Geringschätzung" unseres Grundgesetzes. Da sehen wir, wie dieser Innenminister unser Grundgesetz auffaßt. Ich würde Ihnen den dringenden Rat geben, das Grundgesetz einmal genau zu lesen. Vielleicht werden Sie erschrecken, wenn ich Ihnen jetzt folgendes sage. Es gibt nämlich einen Artikel im Grundgesetz — den Art. 15 —, in dem sogar das furchtbare Wort „Gemeineigentum" steht. Offenbar haben Sie davon noch nicht Kenntnis genommen. Denn alles, was in der Richtung geht, ist für Sie schon Hoch- und Landesverrat und wer weiß was alles. Und eine Partei, die in der Richtung Erwägungen anstellt und die daran denkt, die Situation des gesamten Volkes zu verbessern, ist für Sie eine verabscheuungswürdige Partei, die man so behandelt, wie Sie glauben es tun zu dürfen. Da kann man doch nur fragen: wo kommt das moralische Recht eines solchen Mannes her, uns vorzuwerfen, wir demontierten die Verfassung durch die Hintertüre? Wenn sie demontiert wird, dann sind die Handwerksmeister bereits tüchtig am Werk!

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Was soll das heißen?)

Ich darf auch folgendes einmal zitieren. In einem deutschen Verwaltungsblatt steht der Artikel eines Regierungsrats. Er ist kein so harmloser Mann, wie ihn der Herr Innenminister in der ersten Beratung hingestellt hat. Wir alle, die wir die Wehrgesetze usw. beraten haben, wissen, daß er in den Ausschüssen eine ganz beachtliche Rolle gespielt hat und daß er mehr zu sagen hat, als sein Titel besagt. Dieser Mann, der also immerhin eine höchst verantwortliche Stellung in der Verwaltung, in der Regierung dieser Bundesrepublik hat, schreibt unter anderem:
Sie
— die Verfassung, das Grundgesetz —
läßt den verantwortlichen Organen im entscheidenden Augenblick
— Sie können sich zurechtmachen, welcher das ist —
keine andere Wahl, als sich über die Verfassung hinwegzusetzen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Haben Sie einen Ton davon gehört, daß der Herr Innenminister dagegen ein Wort gepiepst hat?

(Heiterkeit.)

Er hat diesen Mann hier verteidigt. Er hat gesagt: Der hat das im Verwaltungsblatt geschrieben und ist kein wichtiger Beamter. Als ob das ein entscheidender Gesichtspunkt wäre, ob es ein wichtiger oder unwichtiger Beamter ist! So unwichtig ist er nicht. Aber es ist ein Beamter in einem Ministerium, der etwas Derartiges geschrieben hat, und der Herr Innenminister hat praktisch das hier noch
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1705
Metzger
verteidigt, er hat jedenfalls kein Wort dagegen gesprochen. Glauben Sie, meine Damen und Herren, zu einem solchen Minister hätten wir noch das Zutrauen, daß er den Schutz der Verfassung gewährleistet? Ich sage: nein!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica: Aber wir haben das Vertrauen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Der Herr Innenminister hat auch emphatisch erklärt, den Anfang des Weges, den wir hier zu beschreiten vorhätten, den kennten wir; aber das Ende vermöchten wir nicht zu überblicken. Nun, auch dazu ist ganz einfach zu sagen: was sollen denn diese düsteren Drohungen, was sollen denn diese düsteren Worte? Wenn das Parlament durch Gesetz beschließt, daß ein ordnungsgemäßes Verfahren, eine Befragung des Volkes, stattfindet, wo soll da das nicht zu überblickende Ende sein? Wenn durch Gesetz geregelt ist, daß das Volk gehört wird, dann wird eine Meinungsäußerung des Volkes herauskommen. Das schreckliche Ende wird dann höchstens darin bestehen, daß das Volk anderer Meinung als die Regierung ist; das ist aber auch alles.

(Beifall bei der SPD.)

Das schreckliche Ende könnte vielleicht sogar darin bestehen — wir sind immer noch hoffnungsvoll —, daß dieses Parlament einen schlicht gefaßten Beschluß — kein Gesetz — auf Grund der Meinungsäußerung des Volkes noch einmal sehr gewissenhaft überprüft und dann vielleicht einsieht, daß andere Wege auch noch Wege sind.

(Zuruf von der SPD: Das soll nicht sein!)

Aber gerade das will man verhindern, und deswegen soll das Volk nicht gehört werden.
Sie meinen, wir wüßten das Ende des Weges nicht. Ich kann Ihnen sagen: Ihren Anfang — die atomare Bewaffnung der Bundeswehr — kennen Sie; aber das Ende, das daraus folgt, kennen Sie nicht.

(Beifall bei der SPD.)

Oder besser gesagt: wenn man diese Vorstellungsgabe hat, die vielen von Ihnen abgeht, dann weiß man — in diesem Falle haben wir in der Tat Angst, weil wir es wissen —, daß in einigen Jahren nicht nur dieses Deutschland, sondern daß dieses Europa und ein großer Teil der Welt einfach schlechthin vernichtet, weggewischt werden. Das ist doch die Frage, vor der wir stehen. Wir sollten nicht so tun, als wenn wir es mit irgendeiner nebensächlichen Frage aus dem vorigen Jahrhundert zu tun hätten. Wir leben in einer Zeit, in einer technischen Entwicklung, die Möglichkeiten schrecklichster Art bietet, wie es sie nie gegeben hat. Sie machen doch den Fehler, daß Sie diese neuen Möglichkeiten überhaupt nicht real ins Auge fassen. Sie tun doch so, als wenn man in alten Geleisen weiterfahren könnte. Aber das kann man eben nicht.

(Abg. Cillien: So etwas Dummes müssen Sie nicht sagen!)

— Warum soll das dumm sein? Ich behaupte, Sie haben die Tatsache noch nicht real erkannt, daß es
Waffen gibt, mit denen man nicht verteidigen kann, mit denen man nur alles das vernichten kann, was man angeblich verteidigen will.

(Zuruf von der Mitte: Ja natürlich, das wissen wir doch genauso gut!)

— Wenn Sie das wissen, dann müssen Sie die Konsequenzen ziehen, und das tun Sie nicht; darin liegt das Nichtrealisieren.

(Beifall bei der SPD.)

Der Herr Bundesaußenminister hat auf einer Pressekonferenz an Pfingsten im Odenwald — er will es heute nicht mehr ganz wahrhaben, aber es ist doch so — erklärt: Die Regierung wird die Volksbefragung durchführen, falls das Bundesverfassungsgericht sie für recht erklärt. Ich will dabei offenlassen, in welcher Weise die Regierung die Volksbefragung dann durchführen wollte. Herr Kollege Dr. Mommer hat da schon sehr konkrete und veranlaßte Befürchtungen angeführt. Aber diese Frage will ich hier nicht erörtern. Ich will nur einmal herausstellen, daß der Herr Bundesaußenminister durch diese Worte zu erkennen gibt, daß auch die Möglichkeit besteht, daß das Bundesverfassungsgericht anders entscheidet als die Regierung. Sie nicken mit dem Kopf.
Wenn aber diese Möglichkeit besteht, wie kann dann ein Innenminister, ein Verfassungsminister, den politisch Andersdenkenden, seinen politischen Gegnern, den Vorwurf machen, daß sie die Verfassung durch die Hintertür demontieren wollten? Da wird doch erneut klar, wie ungeheuerlich das ist, was hier an propagandistischen Phrasen in diesen Saal hineingeschleudert wird.

(Beifall bei der SPD. — Sehr richtig! und Händeklatschen in der Mitte. — Zurufe von der Mitte.)

— Ich glaube, Sie werden mir keinen Widerspruch nachweisen können. Da müssen Sie erst einmal hier heraufkommen und müßten mir das nachweisen. Das können Sie nicht. Ich kann Ihnen an Hand des Protokolls nachweisen, was für Ungeheuerlichkeiten von Ihren verantwortlichen Leuten gesagt worden sind.
Ich glaube also, daß der Bundesinnenminister die ihm kraft seines Amtes auferlegte Objektivität in diesem Falle und in vielen anderen Fällen weit überschritten hat. Ich sage auch, daß er bewußt demagogisch gehandelt hat.
Herr Wilhelmi hat hier in der ersten Beratung einen guten Ansatz gemacht. Er hat erklärt ich zitiere wörtlich —: Wir haben nie gesagt, daß Ihr Gesetzentwurf gegen den Geist der Demokratie schlechthin verstößt. — Das war zunächst seine Meinung. Das mit dem „nie" stimmte zwar nicht. Herr Barzel und Herr Schröder hatten vorher schon ganz andere Dinge gesagt; aber Herr Wilhelmi jedenfalls hat die Meinung vertreten, daß unser Gesetzentwurf nicht gegen den Geist der Demokratie schlechthin verstößt. Sein junger Kollege Barzel, der ja der Mann der „Tapferkeit" ist, hat den Mut besessen, folgendes zu sagen: Ihr Gesetzentwurf — damit schließt er sich wörtlich dem Herrn Schröder
1706 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Metzger
an — ist ein Anschlag auf den demokratischen Rechtsstaat, auf die Demokratie und auf die Verfassung.

(Abg. Rasner: Das war milde ausgedrückt!)

— Ach, Herr Rasner, Sie müssen doch nicht immer beweisen, daß Sie von genau dem gleichen Kaliber sind; das wissen wir doch längst.

(Beifall bei der SPD.)

Er hat also die Meinungsverschiedenheit in einer verfassungsrechtlichen Frage als einen Anschlag auf die Verfassung gekennzeichnet. Damit hat dieser junge Parlamentarier bereits gezeigt, in welcher Weise er seine parlamentarische Laufbahn im Bundestag beginnen will.
Herr Wilhelmi hatte, wie gesagt, zunächst einen völlig anderen Standpunkt vertreten; aber im Laufe seiner Rede ist auch er ins Feuer gekommen. Da zeigte sich, wie leicht man sich verrennen kann. Herr Wilhelmi hat nämlich am Schluß seiner Rede erklärt, daß wir uns an der Grenze der Opposition zur Obstruktion und zur staatsfeindlichen Partei befänden.
Ich muß Herrn Wilhelmi als Juristen fragen, wie er das, was er zuerst gesagt hat, mit dem logisch vereinbaren will, was er nachher gesagt hat, ganz zu schweigen von der Ungeheuerlichkeit, die auch darin steckt.
Sie reden immer von Unklarheiten. Wenn man Ihnen Unklarheiten aufdecken wollte, könnte man stundenlang sprechen und Ihnen vorhalten, was da so alles verzapft wird.

(Abg. Majonica: Herr Metzger, es geht das Gerücht, daß Sie Jura studiert haben! Stimmt das?)

Ach, meinen Sie doch nicht, daß Sie ein ganz Schlauer seien. Sie haben schon oft bewiesen, daß dazu einiges zu sagen wäre!

(Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

Solche Behauptungen, wie sie Herr Wilhelmi am Schluß seiner Ausführungen einer Partei gegenüber aufgestellt hat, die aus größter Sorge um das Schicksal unseres Volkes handelt, sind einfach ungeheuerlich. Meine Damen und Herren, Sie sollten sich einmal folgendes klarmachen. Wenn man einen politischen Gegner, einen Andersdenkenden damit bekämpft, daß man nicht seine Argumente widerlegt, sondern ihn bezüglich seiner Motive verdächtigt, handelt man schon so, wie man in der Demokratie nicht handeln darf. Das aber tun Sie. Sie erklären nämlich, die SPD handle gar nicht aus Sorge um das Volk, sondern die SPD handle nur deshalb so, weil sie die Wahl verloren habe, weil sie verärgert sei, weil sie sich rächen wolle. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Tiefstand der Betrachtung einer ernsten Sache!

(Zuruf von der Mitte: Ihre Verleumdungen! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

Ich kann da nur fragen: Wenn man dem anderen
solche Motive zutraut, wie sind dann die eigenen
Motive? Können Sie sich überhaupt nicht mehr
vorstellen, daß eine Partei, daß Politiker politische Entscheidungen wirklich aus der Sache heraus und aus ernster Sorge um ihr Volk treffen? Können Sie sich das wirklich nicht mehr vorstellen?

(Zurufe von der Mitte.)

Es sitzen hier unter Ihnen eine Reihe von Männern und Frauen, die ich nicht erst seit heute, sondern seit vielen Jahren kenne und mit denen ich im Kirchenkampf der Nazizeit zusammengestanden habe. Mindestens an diese möchte ich appellieren: Bitte, überlegt euch einmal, ob ihr in dieser Weise handeln dürft, ob ihr in dieser Weise, wie das vorhin geschehen ist, einen Mann verhöhnen dürft, der erklärt hat, daß uns die Sorge um unser Volk treibe. Ich appelliere gerade an die ehemaligen Kampfgenossen der Nazizeit, einer Zeit, in der die Bekennende Kirche wirklich einen Kampf geführt hat, bei dem allerdings einige von denen, die heute das große Wort führen, gefehlt haben.
Sie sagen, wir hätten nur diese niedrigen parteitaktischen Motive. Ich frage Sie: Was sagen Sie aber zu den vielen anderen, die in der gleichen Weise argumentieren wie wir, die in der gleichen Weise leidenschaftlich darum kämpfen, daß eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr verhindert wird, was sagen Sie zu den 18 Göttingern, was sagen Sie zu der großen Zahl von Wissenschaftlern, von Schriftstellern, von Ärzten, von Theologen, von Künstlern? Wollen Sie das einfach auch als taktisch minderwertig abtun? Haben Sie nicht Veranlassung, doch einmal ein bißchen zu prüfen und sich zu überlegen: Wenn so hervorragende Menschen — wenn Sie schon uns Sozialdemokraten für minderwertig halten! — sich darüber Gedanken machen und zu diesen Schlußfolgerungen kommen, dann muß doch etwas dran sein! Das kann man doch nicht einfach so abtun, wie Sie das machen. Dann müssen wir doch einmal sehen, was von höchst beachtlicher Stelle alles gesagt worden ist. Ich rede von dem, was etwa die Evangelische Kirche gesagt hat. Der Herr Bundesinnenminister macht es sich wieder einmal bequem, der Herr Bundesinnenminister spricht einfach von Schwarmgeisterei und verdammt damit ganze Synoden. In der nationalsozialistischen Zeit gab es die Synode von Barmen. Da wurde die Barmer Erklärung verfaßt und abgegeben. Damals hat viel Mut dazu gehört, das zu tun. Ich bin davon überzeugt, der Herr Innenminister hätte auch das als Schwarmgeisterei abgetan.

(Beifall bei der SPD.)

Einer der Hauptverfasser der Barmer Erklärung ist der Professor der Theologie Vogel gewesen, derselbe Mann, der sich auf der letzten Synode gegen die atomare Bewaffnung gewendet hat. Und was tut man in dem amtlichen Bulletin, in diesem höchst „objektiven" Regierungsblatt? Da gibt man einen Bericht über die letzte Synode in Berlin und da redet man in suffisanter Weise von dem ostzonalen Dekan Vogel und wertet ihn damit ab.

(Pfuirufe von der SPD.)

Daß dieser Mann, der übrigens auch eine Professur an der Freien Universität hat, noch den Mut hat,
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1707
Metzger
an der ostzonalen Universität zu lehren, müßten Sie ihm eigentlich als Verdienst anrechnen.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Statt dessen wird in dieser diffamierenden, abwertenden Weise von dem „ostzonalen Dekan" gesprochen. Das ist die „objektive" Berichterstattung des Bulletins. Das ist keine objektive Berichterstattung, das ist Brunnenvergiftung.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte auf die Schwarmgeisterei zurückkommen. Der Schwarmgeisterei haben sich dann sehr viele schuldig gemacht. Der Bischof Dibelius — für diejenigen, die es nicht wissen: er ist der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland — hat z. B. auf der Synode in einer sehr ausführlichen Rede erklärt, daß ein atomarer Krieg nicht nur, wie manche meinen, Selbstmord sei, sondern daß er Massenmord an fremden Völkern und am eigenen Volk sei. Das ist natürlich nach der Auffassung des Herrn Innenministers Schwarmgeisterei, das versteht sich von selbst.

(Abg. Wacher: Aber Herr Metzger, nehmen Sie sich selbst ernst mit solchen Sachen?)

Ich wollte, Sie würden das ernst nehmen, was ich hier vorbringe.
Bereits im Jahre 1956 hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland folgendes erklärt. Damals war unter den Schwarmgeistern z. B. auch unser Kollege Dr. Wilhelmi. Ich weiß nicht genau, ob auch unser Kollege Dr. Gerstenmaier, unser Bundestagspräsident, mit dabeigewesen ist. Es ist möglich, aber ich weiß es im Augenblick nicht genau. Damals ist erklärt worden, daß uns das Evangelium verwehrt, mit der Wissenschaft Götzendienst zu treiben und sie zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu mißbrauchen, „die durch keinen Zweck geheiligt werden können". Die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln kann nach der bereits im Jahre 1956 abgegebenen Erklärung der Synode durch keinen Zweck geheiligt werden. Schwarmgeisterei, Herr Innenminister? Wollen Sie eine ganze Synode der Schwarmgeisterei bezichtigen? Sie sind dazu imstande, ich weiß es.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit!)

Das ist keine Frechheit, das sind Tatsachen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das eine Logik?)

— Ja, von Logik scheinen Sie nicht viel zu verstehen. Wenn Sie einmal die Logik dieses Satzes erkennen würden, würden Sie sehen, daß Ihre Stellung jedenfalls vom Standpunkt der Synode aus höchst bedenklich ist. Die Herren Kollegen Gerstenmaier und Wilhelmi haben auf der Synode sehr deutlich gehört, wie sehr ernste Männer und Frauen ernst darüber redeten, und waren, auch wenn sie eine andere Auffassung hatten, stärkstens davon beeindruckt. Sie haben dem Ausdruck verliehen. Und hier stellt man sich hin und sagt, wenn eine solche Auffassung vertreten wird, daß das gegen die demokratische Verfassung sei, daß das
an der Grenze von Opposition zur Obstruktion sei, daß das die Zerstörung unseres demokratischen Staates sei usw. Ich muß sagen, man sollte doch da die intellektuelle und die moralische Redlichkeit besitzen, das, was man dort erkannt und gesagt hat, auch hier auf dem politischen Parkett sehr deutlich zu sagen.
Man sollte auch nicht erklären, wie das ausgerechnet von der Christlich-Demokratischen Union getan wird, daß das, was die Kirche sagt, uns hier alles gar nicht interessiert, daß hier politisch zu reden sei und daß die Kirche in einem ganz anderen Raum zu leben habe und daß deswegen solche Zitate, nämlich dann, wenn sie einem unangenehm sind, hier nichts verloren hätten. Meine Damen und Herren, wenn die Kirche und die Vertreter der Kirche sich um diese Fragen mühen, tun sie es ja nicht, um in den luftleeren Raum hineinzureden; dann tun sie es ja, um dem Volk einen Liebesdienst zu erweisen; dann tun sie es, damit es gehört wird; dann tun sie es, damit die Gewissen geschärft werden. Und wir sollten uns wirklich die Gewissen schärfen lassen. Die Kirche hat ja auch sonst in den politischen Raum hineingeredet. In der Nazizeit hat sie gegen die Judenverfolgung und gegen die Konzentrationslager und gegen vieles andere Stellung genommen. Damals sind viele von Ihnen — nicht alle, aber viele von Ihnen — durchaus der Meinung gewesen, daß das möglich und nötig sei. Diese Möglichkeit ist in der Barmer Erklärung ausdrücklich in Anspruch genommen worden. Wenn die Kirche heute redet und wenn Ihnen das nicht in das politische Konzept paßt, dann ist das auf einmal Schwarmgeisterei, dann soll das auf diese Weise abgetan werden. Meine Damen und Herren, ich glaube, so kann man nicht handeln! Wenn wir über die uns hier beschäftigende Frage sprechen, dann ist sie eine politische Frage, dann ist sie, wie wir gesehen haben, eine juristische Frage; aber sie ist auch eine moralisch-sittliche und religiöse Frage. Und das sollten Sie nicht außer acht lassen.
Herr Wilhelmi hat in seiner Rede u. a. auch gesagt, daß in der außenpolitischen Debatte von uns niemals der Vorwurf gekommen sei, daß Sie — das heißt also, der Bundeskanzler und Sie — den Atomtod wollten, daß aber draußen in den Aktionen diese Behauptung aufgestellt worden sei. Nun, meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz klipp und klar sagen: wir haben nie gesagt, daß Sie den Atomtod wollten; wir haben immer gesagt, daß Ihre Politik objektiverweise die Gefahr des Atomkrieges heraufbeschwört.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das ist etwas völlig Verschiedenes! Und ich darf Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren: das haben wir nicht nur hier im Bundestag, das haben wir nicht nur vor unseren eigenen Bürgern und vor unseren Wahlberechtigten gesagt, das haben wir auch da gesagt, wo es nicht so ganz einfach ist. Herr Kollege Schmid ist in Polen gewesen, Herr Kollege Kalbitzer ist jenseits des Eisernen Vorhangs gewesen, ich bin im letzten Jahr in der Tschechoslowakei, ich bin in Rumänien gewesen. Dort werden Sie überall die überzeugte Meinung

Metzger
finden, daß der Bundeskanzler den Atomkrieg vorbereite und daß er ihn wolle. Ich will Ihnen — —

(Erregte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, jetzt hören Sie doch erst einmal zu! Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen wollte.

(Abg. Rasner: Doch, das wissen wir vorher!)

— So, Sie wissen das; aber Sie sind nicht bereit, es zu honorieren. — Ich will Ihnen sagen: Wir alle haben damals den Leuten, mit denen wir sehr lebhafte Diskussionen hatten — und keine ganz einfachen Diskussionen! — immer wieder gesagt, daß wir davon überzeugt sind, daß der Bundeskanzler und die Bundesregierung nicht den Krieg wollen. Nebenbei bemerkt: wenn Sie wollen, können Sie das sogar hören. Ich habe in Rumänien zum Schluß noch eine Pressekonferenz gegeben, die auf Band aufgenommen worden ist, auf dem alles das steht, und Sie könnten das hören, Dem Herrn Außenminister habe ich übrigens angeboten, daß ich ihm einmal über meine Erfahrungen hinter dem Eisernen Vorhang berichte. Da hat er mir auch zugesagt — wir sind ja aus einer Stadt —, daß er Weihnachten zu mir käme und sich den Bericht erstatten ließe. Ich warte heute noch auf diese Möglichkeit der Aussprache. Ich glaube, er hätte hier die Möglichkeit, zu erfahren, was ihm andere nicht sagen können, weil sie gar nicht die Möglichkeit haben. Und so geht es anderen von uns auch. Das ist die Art der „Zusammenarbeit", von der immer geredet wird. Sie wollen ja von uns gar nichts hören, und wenn es noch so sachdienlich und nötig ist.
Also, meine Damen und Herren, ich stelle fest: wir haben nicht nur hier in Deutschland immer wieder erklärt, daß wir der Bundesregierung nicht unterstellen, daß sie den Krieg oder gar den Atomkrieg will. Wir haben sogar das Gegenteil gesagt. Ich wollte, meine Damen und Herren, der Bundeskanzler würde nur die Hälfte dieser Loyalität an den Tag leeren; dann würde es in dieser Bundesrepublik anders aussehen.

(Beifall bei der SPD.)

Was tut aber der Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren? Ich rede jetzt gar nicht von dem letzten Wahlkampf; ich rede von dem, was sich in diesen Tagen ereignet hat. Sie konnten gestern in der „Süddeutschen Zeitung" lesen, daß der Herr Bundeskanzler in Düsseldorf erklärt hat: Die SPD gefährdet alles, was geschaffen worden ist. Sie w i 1 1 eine Politik und einen Weg, an dessen Ende die sowjetisch-russische Herrschaft über Westeuropa oder ein atomarer Krieg steht.

(Zuruf von der SPD: Das ist glatte Verleumdung! — Pfui-Rufe bei der SPD.)

Der Herr Bundeskanzler erklärt: Die SPD will die Bolschewisierung Deutschlands, die SPD will den atomaren Krieg.
Da muß ich Sie fragen: Wo ist denn da die Loyalität, und wo ist die üble Verleumdung? Hier spricht
ein ganz niedriger Parteipolitiker, aber kein Staatsmann!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Sie werden vielleicht verstehen, meine Damen und Herren, daß wir mehr und mehr zu der Überzeugung kommen, daß unter diesen Umständen ein solcher Bundeskanzler, der nur stur seine Parteilinie und nur sein eigenes Interesse unter Ausschluß eines Teils des Volkes sieht, ein Unglück für unser Volk ist.

(Beifall bei der SPD. Pfui-Rufe und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich weiß, was ich sage, und habe es bedacht.

(Erneute Pfui-Rufe und Zurufe von der CDU/CSU.)

Die Bundesregierung hat auf Kosten unserer Mitbürger ein Plakat herausgebracht, in dem das Wort steht: Wir dürfen uns durch falsche Propheten nicht irremachen lassen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich finde, man sollte mit der Verwendung von Worten aus der Bibel vorsichtig sein.

(Abg. Frau Dr. Schwarzhaupt: Ja, das meine ich auch!)

Das ist eine schlechte Sache, und damit leistet man keinen guten politischen Dienst. Aber ich darf Ihnen zum Schluß vielleicht einmal den genauen Wortlaut sagen. Das Wort steht im Matthäus-Evangelium, Kapitel 7, Vers 15. Da heißt es: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) inwendig aber sind sie reißende Wölfe!"


(Anhaltender Beifall bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0303100400
Der allgemeine Beifall zu einem Zitat aus der Bibel ist, scheint mir, etwas besonders Bemerkenswertes.

(Heiterkeit.)

Wir haben eine lange Rednerliste. Ich darf Sie also bitten, die Redner mit Aufmerksamkeit anzuhören, damit sich die Beratung heute nicht bis ins Unendliche hinzieht.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303100500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorredner hat eine ganze Reihe von geradezu unqualifizierbaren Angriffen gegen die Bundesregierung, den Herrn Bundeskanzler und mich erhoben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Ich werde auf diese Angriffe, soweit sie im öffentlichen Interesse eine Antwort verlangen, im Laufe der Debatte eingehen, und ich hoffe, daß ich das mit größerer Höflichkeit als der tun werde, mit der diese Angriffe plaziert worden sind.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1709
Bundesminister Dr. Schröder
Ich möchte mich jetzt zunächst nicht so sehr der verfassungsrechtlichen Seite der Volksbefragungsaktion widmen,

(Zuruf von der SPD: Warum?)

sondern vielmehr einige Streiflichter auf ihren Hintergrund richten. In diesen Tagen hat der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofes gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Walter Fisch eine aufschlußreiche öffentliche Verhandlung geführt. Aus den bei Fisch vorgefundenen Dokumenten geht hervor, daß sich die westdeutschen Kommunisten in ihrer Untergrundtätigkeit neben dem Aufbau eines geheimen Parteiapparats in erster Linie die Verhinderung der Atomaufrüstung und der Errichtung von Raketenabschußbasen, die Entfachung einer sozialen Unzufriedenheit unter der Arbeiterschaft und schließlich die Durchsetzung der SPD mit KPD-Leuten zum Ziel gesetzt haben.

(Hört! Hört! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Das können Sie der SPD doch nicht zum Vorwurf machen! — Weitere Zurufe links.)

Das Urteil gegen Fisch ist vor einer Stunde in Karlsruhe verkündet worden. Er ist wegen hochverräterischen Unternehmens zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Prozeßverlauf hat wieder einmal einen tiefen Einblick in die kommunistische Zielsetzung und die kommunistische Arbeitsweise gewährt. Wir alle, meine Damen und Herren, tun gut daran, die Lehren aus diesem Prozeß ernst zu nehmen.
Ich glaube, daß sich ein wirkliches Urteil über die Gefährlichkeit der Volksbefragungsaktion nur dann gewinnen läßt, wenn man den Hintergrund kennt, auf dem sie sich abspielt. Das erfordert einen kurzen Blick auf die kommunistische Vorgeschichte dieser Aktion. Zur Taktik der kommunistischen Parteien gehört es, zur Erreichung ihrer strategischen Ziele, nämlich des Umsturzes der Gesellschaftsordnung in den nichtkommunistischen Staaten und der Errichtung der Diktatur des Proletariats, breite Volksschichten für begrenzte politische Ziele zu gewinnen. Für diesen Zweck benutzt die Kommunistische Partei Hilfsorganisationen, die bestimmte Aufgaben auf einzelnen Interessengebieten erfüllen sollen.

(Zurufe von der SPD. — Abg. Erlen Eine Zwischenfrage!)

— Ich bedaure, daß ich während dieses Vortrages keine Zwischenfrage zulassen kann.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mommer: Das glaube ich, Sie unverschämter Bursche! — Weitere erregte Zurufe von der SPD: Das glauben wir!)

— Ich stehe Ihnen anschließend zur Verfügung.

(Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD: Unverschämte Verleumdung! — Alter Nazi! — Die SPD-Fraktion verläßt mit wenigen Ausnahmen den Saal. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0303100600
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Bundesinnenminister von einem geschäftsordnungsmäßigen Recht Gebrauch macht, dann müssen Sie das akzeptieren. Ich bitte auf alle Fälle um Ruhe, damit wir die Sitzung fortführen können.

(Zuruf des Abg. Dr. Menzel. — Gegenrufe von der Mitte.)

— Herr Abgeordneter Dr. Menzel, ich darf auch Sie um Ruhe bitten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303100700
Für diesen Zweck benutzt die Kommunistische Partei Hilfsorganisationen, die bestimmte Aufgaben auf einzelnen Interessengebieten erfüllen sollen, z. B. Friedensarbeit, Kulturarbeit und Frauenarbeit.

(Zuruf von der SPD: Welche Organisationen?)

Eine der wichtigsten und wirksamsten Organisationen dieser Art ist seit Jahren die kommunistische Weltfriedensbewegung, die den aufrichtigen Wunsch aller Menschen nach einem dauerhaften Frieden für kommunistische Zwecke ausnutzt und deshalb auch zuerst als Träger des Kampfes gegen die atomare Rüstung außerhalb Deutschlands vorgeschoben worden ist. Schon 1950 hat der kommunistische „Weltfriedensrat" eine großangelegte Kampagne für das Verbot der damals nur in amerikanischen Händen befindlichen Atomwaffen begonnen. Etwa gleichzeitig sind in fast allen Ländern der freien Welt nationale kommunistische Friedenskomitees entstanden, die sich dieser ersten Atomkampagne anschlossen. In der Bundesrepublik handelte es sich um das „Westdeutsche Friedenskomitee", später „Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland" genannt. Diese kommunistische Friedensbewegung bezweckte, die kommunistischen Aggressionsabsichten zu tarnen und die westliche Abwehrbereitschaft zu schwächen. In Wahrheit lehnt die kommunistische Ideologie den Pazifismus — man muß hier betonen: im eigenen Machtbereich — als reaktionär ab. Die kommunistische „Weltfriedensbewegung" führte mehrere große Unterschriftensammlungen durch, die sich für das absolute Verbot aller Atomwaffen einsetzten. So die Appelle von Stockholm am 19. März 1950, von Berlin am 26 Februar 1951 und von Wien am 19. Januar 1955. Der kommunistische „Weltfriedensrat" veranstaltet im nächsten Monat in Stockholm einen „Kongreß für Abrüstung und internationale Zusammenarbeit". Dem Vorbereitungsausschuß dieser Stockholmer kommunistischen Veranstaltung gehört bedauerlicherweise ein evangelischer Kirchenpräsident aus der Bundesrepublik an.

(Abg. Dr. Menzel: Namen nennen!)

Ab 1950 haben die Kommunisten die Frage der deutschen Wiederbewaffnung zu einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit gemacht. Ausgerichtet auf die Linie der sowjetischen Außenpolitik und Propaganda sind auf allen Kongressen des Weltfriedensrats besondere Resolutionen gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik gefaßt worden. In diesem Sinne betätigte sich neben dem „Weltfriedensrat" die „Internationale kommunistische Wider-
1710 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Bundesminister Dr. Schröder standskämpferbewegung" FIR. Die kommunistischen Hilfsorganisationen in der Bundesrepublik bildeten 1951 den sogenannten „Hauptausschuß für Volksbefragung". Dort wurden führende Funktionäre und zahlreiche Mitglieder der kommunistischen Hilfsorganisationen der Bundesrepublik zusammengefaßt. Aus der Sowjetzone wurde diese Organisation mit allen möglichen Mitteln unterstützt.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits in der Bundestagsdebatte vom 24. April darauf hingewiesen, daß sich der Bundestag, dieses Hohe Haus schon vor fast genau sieben Jahren, nämlich am 26. April 1951 mit dieser kommunistischen Volksbefragungsaktion zu befassen gehabt hat. Ich habe damals vor allem den SPD-Abgeordneten Wehner zitiert, der 1951 die Ablehnung der KP-Aktion durch die SPD mit den Worten begründet hat: „Sehen Sie, eine Regierung ist doch verpflichtet, Leute, die Panik kaltblütig organisieren, in die Schranken zurückzuweisen."

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Damals, meine Damen und Herren, lebte allerdings Dr. Schumacher noch.
Im Jahre 1954 hat der damalige 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die führenden Funktionäre des Hauptausschusses zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Als nun 1957 die Diskussion über eine mögliche atomare Bewaffnung der Bundeswehr begann, war das für die Kommunisten der Anlaß, mit all ihren Tarn- und Hilfsorganisationen eine großangelegte Agitation zu beginnen. Sie lief wieder parallel zu sowjetischen Erklärungen. Auf der 33. Tagung des ZK der SED im Oktober 1957 forderte Grotewohl dazu auf, eine Volksbewegung gegen die Atomrüstung zu gründen. Er erklärte:
Von unaufschiebbarer Dringlichkeit ist die Entfaltung einer umfassenden Friedensbewegung, einer Volksbewegung gegen die atomare Aufrüstung. Dabei müssen die fortschrittlichen Arbeiter, alle Funktionäre und Organisationen der Arbeiterklasse in Westdeutschland die Initiative ergreifen. Und die Arbeiterklasse darf ein gebührendes und für den Erfolg entscheidendes Gewicht in dieser großen Kampfbewegung für die Sicherheit des Friedens einnehmen. Unsere Aufgabe besteht darin, diesen sich entfaltenden fortschrittlichen Kräften der Arbeiterklasse bei dieser Entwicklung zu helfen, sie zu kräftigen und zum Kampf zu befähigen.
Die gleichen Forderungen wurden auf der 34. Tagung des Zentralkomitees der SED am 27. Dezember 1957 erhoben.
Das Zentralkomitee der illegalen KPD rief am 18. Januar 1958 zu einer Volksbefragung gegen die atomare Aufrüstung auf. Am Vorabend der Bundestagsdebatte vom 23. Januar 1958 forderte Grotewohl zu einem Volksentscheid darüber auf, ob beide Teile Deutschlands einer atomwaffenfreien Zone angehören sollten. Max Reimann, der erste Sekretär des ZK der illegalen KPD erklärte am
24. .Januar 1958 über den „Freiheitssender 904", die illegale KP werde diesen Vorschlag unterstützen, die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik lasse sich nicht mehr allein durch parlamentarische Mittel verhindern.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Am 2. Februar hieß es im sogenannten Deutschlandsender:
Es ist zweifellos zu erwarten, daß die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften ... gegen die Atomtodpolitik ... in allen Städten und Dörfern Sturm laufen und einen Volksentscheid organisieren.
Auf der 35. Tagung des ZK der SED im Februar 1958 wurde erneut betont, daß die Organisationen der SBZ die „friedliebenden Kräfte" der Bundesrepublik dabei unterstützen müßten, eine Volksbefragung gegen die atomare Aufrüstung herbeizuführen.
Die Losung „Volksentscheid" nahm in der kommunistischen Propaganda an die Adresse der SPD und der Gewerkschaften einen immer größeren Raum ein.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

In einem von der illegalen KP-Organisation in Düsseldorf herausgebrachten Flugblatt an die SPD wird bereits am 5. Februar 1958 eine örtlich begrenzte Volksbefragung angeregt. Von Ende Februar 1958 an griff die kommunistische Hetzaktion auf Industriebetriebe über. An verschiedenen Orten gab es kurze und wilde Streiks. Als Anstifter solcher Streiks konnten bei Henschel in Kassel, bei Büssing in Braunschweig und in einem Teilhafengebiet von Hamburg einwandfrei die dort tätigen illegalen KP-Betriebsgruppen festgestellt werden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wie wir wissen, meine Damen und Herren, ist vom Zentralkomitee der SED die grundsätzliche Weisung für die Führung dieser Kampagne ergangen, alle kommunistischen Hilfsorganisationen im Bundesgebiet hätten die Koordinierung der „Friedenskräfte" der Sowjetzone mit dem „Arbeitsausschuß Kampf dem Atomtod" der sozialdemokratischen Opposition sowie mit den von den kommunistischen Hilfsorganisationen gegründeten Aktionsgemeinschaften anzustreben. Neue derartige Aktionsgemeinschaften sollten auf Landes-, Kreis- und Ortsebene in der Bundesrepublik gebildet werden, damit — und das ist nun der politisch relevante Gesichtspunkt — „der Mann auf der Straße" nicht mehr zwischen den von der parlamentarischen Opposition und den von den kommunistischen Hilfsorganisationen gegründeten Ausschüssen unterscheiden könne.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Im Sinne dieser Weisung verstärkten seit Dezember 1957 alle kommunistischen Hilfsorganisationen ihre Agitation gegen eine atomare Bewaffnung der Bundesrepublik und bemühten sich, insbesondere Verbindungen zu den Sozialdemokraten, zu den Gewerkschaften aufzunehmen. Die von diesen Kräften
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1711
Bundesminister Dr. Schröder
eröffnete oder unterstützte Kampagne „Kampf dem Atomtod" sowie den Ende Februar 1958 veröffentlichten Appell von 44 Universitäts- und Hochschulprofessoren der Bundesrepublik an die Gewerkschaften versuchten die Kommunisten ihren Zielen nutzbar zu machen.
Die am 30. März 1958 vorgenommene Gründung der „Aktionsgemeinschaft gegen die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik" durch den „Fränkischen Kreis" ist in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben. Andere kommunistische Hilfsorganisationen riefen im Laufe der Monate April und Mai ähnliche Ausschüsse ins Leben. Die soeben erwähnte „Aktionsgemeinschaft gegen die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik" wurde vom „Fränkischen Kreis" Ende März in Frankfurt gegründet. Der „Fränkische Kreis" ist eine von dem kommunistischen „Demokratischen Kulturbund Deutschlands" (DKBD) finanzierte und gesteuerte Nebenorganisation.

(Zuruf von der SPD: Wieviel Mitglieder haben denn die?)

Nach außen hin zeichnet für diesen Kreis der Würzburger Universitätsprofessor Dr. Franz Paul Schneider, führendes Mitglied verschiedener kommunistischer Hilfsorganisationen, u. a. des „Weltfriedensrates". Um der Neugründung den Anschein politischer Neutralität und zugleich eine möglichst breite Grundlage zu geben, gewann man die Initiatorin des Appells der 44 Professoren an die Gewerkschaften, Professor Dr. Renate Riemeck, zur Mitarbeit. An der Gründungskonferenz nahmen 66 Personen teil. Die Hälfte davon wurden als Gewerkschaftsfunktionäre bezeichnet. Dem „Fränkischen Kreis" gelang es damit, seinen bisherigen Wirkungskreis — in Kreisen der Intelligenz — zu erweitern und auf die Arbeiterschaft auszudehnen, was ein alter Wunsch seiner kommunistischen Funktionäre war.

(Zuruf von der SPD: Wieviel Mitglieder hat er?)

Die Mitgliederliste des „Zentralen Arbeitsausschusses", der von der Aktionsgemeinschaft gebildet wurde, zeigt, daß es dem „Fränkischen Kreis" gelungen ist, namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie ich annehme, irrezuführen. Die „Aktionsgemeinschaft" fungiert im übrigen als Träger des „Ständigen Kongresses gegen die Atomaufrüstung", der, wie es heißt, Intellektuelle, Betriebsräte, Bauern, Frauen und Jugendliche zu einer Tagung eingeladen hat, die am 14. und 15. dieses Monats in Gelsenkirchen stattfinden soll.
Wie weit die Verwirrung gediehen ist, zeigt, daß das führende Blatt der Sozialdemokraten, der „Vorwärts", in seiner Ausgabe von heute in einem Aufsatz, der überschrieben ist „Aufstand des Gewissens" und sich auf Seite 5 findet, harmlos auf diese Veranstaltung hinweist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Entsprechend den kommunistischen Absichten, zahlreiche neue Aktionsgemeinschaften zu bilden, damit nicht mehr zwischen den Arbeitsausschüssen, die die Sozialdemokraten gegründet haben, und den kommunistischen Organisationen unterschieden werden könne, wurden ins Leben gerufen: am 20. April 1958 in Hannover ein „Komitee Volkskunstschaffender gegen den Atomtod", Ende April in Köln, Düsseldorf, Duisburg und anderen Orten „Arbeitsgemeinschaften gegen die atomare Aufrüstung" vom „Bund der Deutschen", am 27. April die „Arbeitsgemeinschaft Bayern-Kampf dem Atomtod" vom kommunistischen Landesfriedenskomitee Bayern.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ebenso wie die kommunistischen Hilfsorganisationen sind auch die kommunistisch beeinflußten neutralistischen und nationalistischen Kreise in die Aktion eingeschaltet. So führt zum Beispiel der „Deutsche Klub 1954" eine „Antiatomkampagne". Er hat nach dem Anlaufen der Aktion „Kampf dem Atomtod" seine Bemühungen verstärkt. Als Geschäftsführer ist Karl Graf von Westfalen und als Hilfskräfte sind die ehemaligen Funktionäre Paul Neuhöfer vom „Bund der Deutschen" und Hans Blank von der Kommunistischen Partei tätig. Der „Deutsche Klub 1954" wendet sich vor allem an bestimmte bürgerliche und kirchliche Kreise.
Der unter sowjetzonalem Einfluß stehende und im wesentlichen auch von sowjetzonalen Stellen finanzierte „Bund für deutsche Einheit e. V.", der seinen Anhang hauptsächlich in nationalistischen Kreisen sieht, unterstützt seit April 1958 offen die Aktion „Kampf dem Atomtod".
An der kommunistisch gesteuerten Atomtodkampagne beteiligen sich ferner die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)", das „Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland" — Herausgeber des weit gestreuten Blaubuchs gegen die Atomrüstung in Westdeutschland —, die „Westdeutsche Frauenfriedensbewegung" und der eben erwähnte „Bund der Deutschen" . Hinzu kommt eine große Anzahl von Neugründungen — Komitees, Arbeitsgemeinschaften, Ausschüsse usw. — auf Bundes-, Landes- und Kreisebene.
Vor dem Hintergrund dieser kommunistisch gelenkten Großaktion gewinnt ein kleiner Einzelfall symptomatische Bedeutung. Die Gemeindevertretung in F. — ich begnüge mich mal mit dem Anfangsbuchstaben des Ortes — hat beschlossen, eine Volksbefragung gegen die atomare Aufrüstung unter allen Umständen durchzuführen, und zwar auch gegen anderslautende Weisung der Aufsichtsbehörde; ein Verhalten, das zeigt, wie sich die kommunistischen Aufstandsparolen auszuwirken beginnen. Es wurde festgestellt, daß der Anstoß zu diesem Vorgehen von einem örtlich bekannten Kommunisten ausgegangen ist.

(Zuruf von der SPD: Wieviel Prozent hatten denn die Kommunisten bei den letzten Wahlen? — Weitere Zurufe von der SPD.)

Bemerkenswert ist ferner, daß, nachdem Max Reimann am 24. März 1958 im „Freiheitssender 904"
ausgerufen hatte: „Der nationale Notstand gebietet
1712 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Bundesminister Dr. Schröder
den nationalen Widerstand", die Opposition im Bundestag — —

(Abg. Dr. Menzel: Nennen Sie doch mal die Gemeinde! — Anhaltende Zurufe von der SPD.)

— Es tut mir leid, den Satz muß ich wiederholen, weil er leider wegen der Störungen nicht allgemein verständlich war.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bemerkenswert ist ferner, daß, nachdem Max Reimann am 24. März 1958 im „Freiheitssender 904" ausgerufen hatte: „Der nationale Notstand gebietet den nationalen Widerstand", die Opposition am 25. März eine Regierung des nationalen Notstands forderte.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Wiederum einen Tag später, am 26. März, schrieb der SPD-Pressedienst: „Das . . . Ja zur atomaren Bewaffnung ... ist der nationale Notstand".

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassend folgendes feststellen:
1. Der Kommunismus hat seit langem seine Absicht erkennen lassen, durch Verbreitung von atomarer Massenangst das Ordnungsgefüge der Bundesrepublik zu erschüttern und den Freiheitswillen unserer Bevölkerung zu lähmen. Die von den Kommunisten erdachten Schlagworte und Parolen werden nicht dadurch ungefährlich, daß sie auch von legalen Gegnern der Bundesregierung verwendet werden.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wer, meine Damen und Herren, ob bewußt oder unbewußt, gutgläubig oder bösgläubig, mit seinem Willen oder ohne seinen Willen in diese Kampagne verstrickt wird, spielt das Spiel unserer gemeinsamen Gegner.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Beifall, den die Volksbefragungskampagne im kommunistischen Machtbereich findet, muß doch ein Warnsignal für uns alle sein.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

2. Die Bundesregierung wehrt sich entschieden dagegen, daß durch die Volksbefragungsaktion eine Demontage der Verfassung durch die Hintertür eingeleitet wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Versuch, diese Aktion dahin zu verharmlosen, daß es sich ja nur um statistische Feststellungen —das ist in Hamburg gesagt worden - oder gar um demoskopische Meinungsforschung handele, muß als Irreführung abgelehnt werden.

(Sehr gut! in der Mitte.)

In der gefährdeten Lage, in der sich unser Vaterland befindet, gibt es kaum ein wichtigeres Gebiet als das der Stabilisierung der parlamentarischen Demokratie,

(erneute Zustimmung in der Mitte)

und zwar in der vom Grundgesetz geprägten repräsentativen Form.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Zerstörung der Autorität des gewählten Parlaments beschwört Entwicklungen herauf, denen wir unser junges Staatswesen unter keinen Umständen aussetzen dürfen.
Deshalb richte ich noch einmal an diejenigen Träger der Volksbefragungsaktion, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und sich mit uns für die Verteidigung der grundgesetzlichen Ordnung verantwortlich fühlen, mit allem Ernst den Appell, die Volksbefragungskampagne einzustellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es gibt in unserem Rechtsstaat genügend verfassungsmäßige Mittel der politischen Willensbildung und der Durchsetzung des politischen Willens in den vorgeschriebenen parlamentarischen Bahnen. Die Volksbefragungsaktion gehört aber nicht dazu.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Hier gilt es, den Anfängen zu wehren. Ich bitte das Hohe Haus, die Bundesregierung bei ihrer Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung mit aller Kraft zu unterstützen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0303100800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0303100900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Metzger hat seine Rede damit begonnen, daß er sagte, die Anti-Atomkampagne der Opposition habe keinerlei parteitaktischen Hintergrund. Ich möchte Herrn Kollegen Metzger an das erinnern, was unlängst auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Stuttgart gesagt worden ist. Mir liegt der gedruckte Bericht mit der Rede des verehrten Kollegen Professor Carlo Schmid vor. Das, was er dort gesagt hat, entkräftet nicht nur das, was Herr Metzger hier vorgetragen hat, sondern beweist das Gegenteil, daß es nämlich einen parteipolitischen Hintergrund Ihrer Absichten gibt.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten dieses Zitat verlesen. Professor Carlo Schmid sagt:
Man kann nicht zu jeder Zeit jedes Ding zum Problem erheben, das heute zu lösen ist. Heute gibt es ein Problem Nr. 1, und das heißt: Wie bringt man die Atombombe zum Verschwinden? Demgegenüber sind die anderen Dinge zweitrangig. Und wenn wir darauf den rechten Akzent legen, werden wir die Massen hinter uns bringen. Dann werden auch Leute, die mit diesem oder jenem in unserem Programm vielleicht nicht einverstanden sind, sagen: Entscheidend ist, daß die Sozialdemokraten die Partei werden, die regiert.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1713
Dr. Barzel
Der Herr Kollege Metzger hat zum zweiten den furchtbaren Satz gesprochen, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr lebensgefährlich sei. Ich frage die Opposition, ob nicht vielmehr ihr Nein in der Wehrfrage lebensgefährlich für unser Volk ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Warum reden Sie nicht von der Gefährlichkeit der Waffen und der Absicht der Sowjetunion?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Antiatomkampagne der Opposition trägt doch nicht nur innenpolitisch. Unordnung und Unruhe in unser Volk. Die Antiatomkampagne vollzieht sich nicht nur, wie wir eben gehört haben, in bedenklicher Nähe der Kommunisten. Die Antiatomkampagne schwächt doch auch den Verteidigungswillen unseres Volkes, und sie schwächt damit die Aussichten für Abrüstung und Wiedervereinigung.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Glaubt denn die Opposition, daß Moskau noch bereit sein würde zum Gespräch über die internationale kontrollierte Abrüstung — die wir doch alle wollen —, wenn wir ihren Weg gehen, also einseitig und ohne Gegenleistung auf die zur Kriegsverhinderung notwendigen Waffen verzichten?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mommer: Was Sie sich über die Rolle der Bundesrepublik einbilden! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Die östliche Politik in dieser Frage läßt sich doch in einem Satz zusammenfassen. Herr Chruschtschow ruft uns im Grunde nichts anderes zu als dies: Warum wollt ihr eigentlich moderne Waffen, wo wir Sowjets doch davon schon genug haben?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Wir sichern den Frieden und die Freiheit nicht durch einseitigen Verteidigungsverzicht. Ganz im Gegenteil, wer jetzt einseitig und ohne Gegenleistung abrüstet, zerstört nicht nur die Einheit des Westens, sondern gefährdet damit zugleich die Abrüstung, die Entspannung und die Wiedervereinigung.
Dieser Auffassung sind nicht nur wir. Sie haben gelesen, was in der Schweiz durch Ihre Kollegen, durch die Schweizer Sozialisten, verlautbart worden ist. Für den Fall, daß Sie es nicht gelesen haben, darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vielleicht einige Sätze daraus vortragen

(Zuruf von der SPD: Zitieren Sie auch Bevan!)

— ich komme gleich auf das Labour-Weißbuch zu sprechen —:
Mit großer Sorge nehmen wir zur Kenntnis, daß sich in unserem Land eine Richtung abzeichnet, welche in Verkennung aller Realitäten und in leider nur allzu deutlicher Imitation der innenpolitisch bedingten Kampagne in der deutschen Bundesrepublik eine Bewegung gegen den Atomtod einleitet, die nichts anderes sein
kann als ein Versuch zur Wehrlosmachung der freien Völker. Dabei ist festzustellen, daß die kommunistischen Mächte vor konventionellen und Kernwaffen strotzen. Die Erfahrungen lehren uns, daß die völkerunterdrückenden und weltherrschaftslüsternen Kommunisten nur dann verhindert werden, neue Aggressionen auszulösen, wenn ihnen in der freien Welt ein mindestens gleichwertiges Kernwaffenpotential gegenübersteht. Wir müssen es als ein Verhängnis betrachten, wenn die Geschlossenheit der schweizerischen Arbeiterschaft durch eine Bewegung gestört würde, die sich in ihrer defaitistischen Wirkung einseitig gegen den Westen richtet und dadurch jene Gefahren erst recht heraufbeschwören hilft, die sie irrtümlicherweise zu bannen vermeint.
So weit die Schweizer Sozialdemokraten.
Ich bin soeben nach der Stellungnahme der Labour Party gefragt worden. Sie wissen, daß die Labour Party ein Weißbuch herausgegeben hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz daraus zitieren. Es heißt dort:
So sehr jeder vernünftige Mensch die Wasserstoffbombe verabscheut, so ist doch das britische Volk durchaus gewahr, daß Großbritannien seine eigene atomare Abschreckung bis zu dem Zeitpunkt nicht ausrangieren kann oder darf, bis alle anderen Nationen das gleiche tun.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Eschmann: Es gibt auch noch andere Stellen in dem Weißbuch!)

— Ich würde Ihnen empfehlen, verehrter Herr Kollege Eschmann, einen Artikel nachzulesen, dén der Schweizer Theologe Dr. Emil Brunner kürzlich unter der Überschrift geschrieben hat: „Pazifismus als Kriegsursache."

(Abg. Eschmann: Zitatsammlung!)

— Ich habe dieses Zitat deshalb so gut gefunden, weil es mich an das Wort von Kurt Schumacher erinnerte, das da heißt: „Schwäche ist Kriegsanziehung".

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Eschmann: Das haben wir doch schon einmal erlebt!)

Herr Kollege Metzger hat hier ausgeführt, daß die Sozialdemokraten kein Vertrauen zu dem Herrn Innenminister haben könnten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition: Das wissen wir. Aber darauf kommt es doch gar nicht an! Entscheidend ist: Wir haben das Vertrauen zu dem Herrn Innenminister, und wir sind ihm dankbar für diese klare Sprache.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Der Herr Kollege Metzger hat den Herrn Bundeskanzler als einen „niedrigen Parteipolitiker" und als ein „Unglück" für unser Volk bezeichnet.

(Pfui-Rufe und Rufe: Unerhört! von der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Er hat es ja begründet!)

1714 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. 'Juni 1958
Dr. Barzel
Wir glauben, daß diese Rede des Kollegen Metzger
niedrige Parteipolitik und ein Unglück für unser
Volk war. Unser Bundeskanzler ist ein Staatsmann,

(Abg. Dr. Mommer: „Gröfaz" !) bitte? —


(Abg. Dr. Mommer: „Gröfaz" !)

den die Welt anerkennt und um den sie uns beneidet; und Ihr ganzer Ärger geht ja nur darum, daß Sie nicht eine so überzeugende Persönlichkeit vorzuzeigen imstande sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Kollege Metzger hat weiter geglaubt ausführen zu sollen, bei der Bundestagswahl sei das deutsche Volk getäuscht worden. Diese These ist schon in der ersten Lesung widerlegt worden. Sie empfinden es also als eine Täuschung, wenn unser Volk über Ihre sozialistischen Absichten klar sieht und deshalb zu Ihrer Politik nein und zu unserer Politik ja sagt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Das ist eine Fortsetzung der Beleidigung der Mehrheit unseres Volkes. Mir liegt hier der „Vorwärts" vom 16. Mai vor, in dem in bezug auf die Bundestagswahl der Satz steht: „Die Mehrheit des Volkes hatte es jedoch offenbar vorgezogen, andere denken zu lassen." Das ist eine Beleidigung der Mehrheit unseres Volkes, das genau gewußt hat, wen und was es wählte.

(Zuruf von der DP: Wiegelei ist das!)

Herr Kollege Metzger hat dann einige Rechtsausführungen gemacht. Er hat zunächst auf die Verfassungsverhältnisse in Norwegen hingewiesen. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß wir in Deutschland sind, wo unser Grundgesetz gilt. Norwegen hat eine Verfassung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ist eine konstitutionelle Monarchie. Der Kampf um die Erweiterung und Demokratisierung dieser Verfassung ist noch nicht am Ende. Außerdem hat Norwegen nicht unsere Erfahrungen Ich würde Ihnen gerne — ich will es aber nicht tun, weil die Zeit heute morgen nicht zu lange in Anspruch genommen werden soll — etwas über die Erfahrungen vorlesen, z. B. das, was der verehrte frühere preußische Innenminister Severing in seinen Lebenserinnerungen über die Erfahrungen mit diesen Dingen geschrieben hat.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Der Herr Kollege Metzger hat dann behauptet, der Herr Innenminister lege die Verfassung je nach seinem Bedarf aus. Ich will gar nicht sagen, daß das eine unglaubliche Behauptung ist. Aber ich sage: Ihr Vorwurf trifft genau das, was Sie selbst tun. Sie haben einen Grundsatz bei allen Argumenten in der ersten Lesung und auch heute wieder angewandt; ich stelle allerdings fest, der Herr Kollege Dr. Arndt hat sich in der ersten Lesung davon distanziert. Sie haben im Grunde in Übereinstimmung mit dem, was der Kollege Bucher gesagt hat ausgeführt, was nicht verboten sei, das sei erlaubt. Sie haben also aus der Fülle des Gemüts

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

eine Bundeskompetenz behauptet. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einer gutachtlichen Stellungnahme der SPD-Fraktion vom 18. Oktober 1952, einer gutachtlichen Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht, einige Sätze verlesen, die Sie wahrscheinlich darüber aufklären werden, daß Sie heute eine andere Stellung als früher beziehen:

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Preusker.) Letzten Endes.

— heißt es dort —
bedeutet dies nichts anderes als die simple These, dem gesetzgebenden Organ sei alles erlaubt, was ihm die Verfassung nicht verbiete. Ein Satz, der im demokratischen Verfassungsstaat mit Recht für den Bürger gilt, wird hier zu Lasten und zum Nachteil des Bürgers auf ein Staatsorgan übertragen. Das fundamentale Prinzip des demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungsstaates ist jedoch das entgegengesetzte. Dem Verfassungsorgan und auch dem gesetzgebenden
— das ist hier gesperrt gedruckt —
ist nur zu tun erlaubt, wozu sie von der Verfassung ermächtigt sind. Heinrich Triepel hat dieses Prinzip durch die berühmte Formulierung ausgedrückt, daß eine jede Kompetenz an der. Hand des Rechtes bewiesen werden muß, andernfalls auch die gesetzgebende Gewalt einen Staatsstreich unternimmt.
Ich möchte diese Sätze in die Erinnerung der sozialdemokratischen Verfassungsjuristen zurückrufen.

(Abg. Hoogen: „Gezeichnet: Ollenhauer"!)

Als auf ein weiteres Argument ist hier auf Castrop-Rauxel hingewiesen worden. Wir haben diese Vorgänge geprüft. .Der Herr Innenminister hat schon während der ersten Lesung vorgetragen, daß er diesen Vorgang beanstandet haben würde, wenn er damals im Amt gewesen wäre. Es war eine örtliche, von der Europäischen Bewegung veranstaltete Maßnahme, der die örtlichen Instanzen hilfreich und sympathisch gegenüberstanden. Es war also keine Volksbefragung, die amtlich im ganzen Bundesgebiet durchgeführt worden ist. Gegenstand der Befragung war nicht eine vom Bundestag getroffene und zwischen den Parteien strittige Entscheidung. Der Vorgang ist also gar kein Präjudiz, ganz abgesehen davon, daß unsere Verfassung sicher nicht aus Präjudizien insbesondere nicht aus eventuell verfassungswidrigen — entwickelt werden kann.
Eine dritte Gruppe von Argumenten hat die Opposition heute wie auch in der ersten Lesung aus einer Vermischung der Begriffe Volksentscheid, Volksbegehren, Volksbefragung und Meinungsforschung entwickelt. Wir legen deshalb heute Wert darauf, diese Begriffe noch einmal ganz kurz klarzulegen.
Der Volksentscheid ist nach unserem Grundgesetz eine Abstimmung des Volkes, durch die unmittelbar eine Frage geregelt wird. Der Volksent-
Deutscher Bundestag — 3 Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1715
Dr. Barzel
scheid ist nur für die Fragen der innergebietlichen Neuordnung vorgesehen.
Das Volksbegehren ist nach unserem Grundgesetz das Auslösen einer Initiativeunmittelbar durch das Volk selbst; es ist wiederum nur für die Fragen der innergebietlichen Neuordnung vorgesehen.
Diese beiden Rechtsinstitute galten in der Weimarer Verfassung auch. Sie hatten einen weiteren Anwendungskreis.
Dagegen ist die Volksbefragung — wir haben das in der ersten Lesung ausführlich vorgetragen — von Hitler in Deutschland eingeführt worden. Art. 118 des Grundgesetzes sieht sie für einen Ausnahmefall der innergebietlichen Neuordnung vor. Dieser Art. 118 ist vom Bundesgesetzgeber ebenso wie vom Bundesverfassungsgericht — das hat der Herr Kollege Metzger eben nicht gesagt - immer als ein Volksentscheid angesehen worden, weil in der Demokratie das Volk der Souverän sei, und der Souverän entscheide, wenn immer er sich äußere.
Die Volksbefragung im Sinne des Gesetzentwurfs der SPD — also die unverbindliche —, die sogenannte unverbindliche informatorische Befragung des Volkes über eine politische Grundsatzfrage — dieses Rechtinstitut gibt es nach dem Grundgesetz aus guten Gründen nicht.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ob es durch Ergänzung des Grundgesetzes eingeführt werden könnte, ist in der Staatslehre strittig. Aber ein solcher Antrag liegt nicht vor.
Etwas ganz anderes als die amtliche Volksbefragung, das Volksbegehren und der Volksentscheid — das wird von Ihnen bewußt durcheinander gebracht sind die privaten Maßnahmen der Meinungsforschung. Die Tätigkeit der demoskopischen Institute ist nicht amtlich. Sie ist in der Zahl der Befragten beschränkt und in der Methode und der Zielsetzung grundverschieden vom Vorhaben der Opposition. Der Entwurf der Opposition will eine amtliche Äußerung des ganzen Staatsvolkes nach vorangegangener Kampagne. Die Demoskopie will eine private Äußerung einzelner Staatsbürger ohne vorhergegangene politische Kampagne. Der Entwurf der Opposition will Meinung machen, Meinung beeinflussen, und am Schluß soll diese Meinung, wie wir eben wieder gehört haben, auch moralische und politische Folgerungen haben. Die Demoskopie will vorhandene Meinungen feststellen. Das sind grundsätzliche Unterschiede.
Deshalb sagt Theodor Eschenburg meines Erachtens mit Recht — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Wer das Volk auf diese Weise befragt, will nicht eine Information, sondern trachtet nach einer wirksamen Entscheidung des Volkes. Das aber will das Grundgesetz gerade nicht. Die Volksbefragung über politische Grundsatzfragen ist das Trojanische Pferd der Kommunisten.
Deshalb stellen wir heute erneut fest: Dieser Entwurf ist nicht nur verfassungswidrig, weil das
Grundgesetz uns kein Recht gibt, ihn zu verabschieden. Ich frage die Opposition, wo konkret eine Verfassungsnorm steht, an Hand deren Sie die Zuständigkeit zum Erlaß dieses Gesetzes dartun können. Dieser Entwurf ist aber auch verfassungswidrig, weil seine Absicht verfassungswidrig ist, nämlich die Bundesregierung zu stürzen außerhalb des konstruktiven Mißtrauensvotums, durch Kampagnen, durch Aufwiegelung und gegebenenfalls . durch Streik.
Ich möchte nun noch einige wenige Sätze über das sagen, was in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Lesung passiert ist. Das, was passiert ist, gibt uns doch allen Anlaß zu sagen: Hände weg von dieser bedenklichen Aktion!

(Beifall in der Mitte.)

Da sind zunächst in drei hessischen Gemeinden, in den Gemeinden Blessenbach, Niedershausen und Odersbach, Volksbefragungsaktionen durchgeführt worden. Wir haben das einmal nachgeprüft und festgestellt, daß in keiner dieser drei Gemeinden eine Abstimmung nach den Bestimmungen von Wahlgesetz und Wahlordnung durchgeführt wurde;

(Hört! Hört! in der Mitte)

es gab keine Wahllokale, in denen geheim hätte abgestimmt werden können.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Die Gemeindevertretungen hatten vielmehr den Wahlberechtigten vor der Abstimmung ein Rundschreiben ins Haus geschickt, in dem sie aufgefordert wurden, sich im Stadthaus in eine Liste einzuzeichnen, um dadurch die Unterstützung dieser Aktion kundzutun. Als sich nur wenige Prozent eintrugen, wurde ein neuer Beschluß gefaßt. Beauftragte des Herrn Bürgermeisters gingen dann in die Wohnungen der Wahlberechtigten, um die Unterschriften zu sammeln.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Das, meine Damen und Herren, ist ein Vorgeschmack von „freien, geheimen" Vorgängen. Von der Wahrung unserer Verfassung in diesem Zusammenhange — —

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0303101000
Herr Kollege Barzel, haben Sie schon einmal etwas von einem Petitionsrecht gehört?

(Lachen in der Mitte.)

Haben Sie schon einmal von Massenpetitionen gehört, die in Form von Unterschriftslisten unserem Petitionsausschuß oder den Petitionsausschüssen der Landtage zugehen? Haben Sie schon einmal etwas davon gehört, daß es verfassungsrechtlich völlig unstreitig ist, daß auch eine Gemeinde ein Petitionsrecht hat? Sind Sie nicht auch der Überzeugung, daß Ihre gefährlichen Ausführungen geeignet sind, dieses Petitionsrecht als ein verfassungsmäßiges Recht des Staatsbürgers zu unterhöhlen?

(Lachen und Zurufe von der Mitte.)

1716 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0303101100
Herr Kollege Wittrock, Sie haben es für richtig gehalten, ein Argument in die Debatte zu werfen, das Ihre juristischen Sprecher bisher nicht hineingeworfen haben, weil sie selber nichts davon halten, nämlich aus Art. 17 des Grundgesetzes, der vom Petitionsrecht handelt, diese Kompetenz herzuleiten. Sie wissen aber, daß sich der Katalog der Gesetzgebungszuständigkeiten in Art. 70 und den folgenden und nicht vorne im Grundgesetz befindet. Das Petitionsrecht, Herr Kollege Wittrock, ist unbestritten; es ist ein Recht der Bürger und auch einer Mehrzahl von Bürgern, sich an die zuständigen Körperschaften zu wenden; die Initiative geht dabei von ihnen aus. Was Sie hier wollen, ist eine von oben gesteuerte Aktion; das ist genau das Gegenteil einer privaten Petition.

(Beifall in der Mitte. — Zurufe links.)

Wenn eine Gemeinde eine Petition machen will, dann soll sie sie in der demokratischen Form einer geheimen Abstimmung und nicht in der Weise machen, daß sie Leute in die Wohnungen schickt.

(Zurufe links.)

Was ist noch passiert? In der Sozialdemokratie ist es offensichtlich auch sehr umstritten, ob der Antrag, der hier vorliegt, dem Grundgesetz gemäß ist. Mir liegt der „Vorwärts" vor, der die Anträge zum SPD-Parteitag enthält. Da gibt es einen Antrag Nr. 9 eines Kreisverbandes, der den Parteitag ersucht hat, „eine Grundgesetzänderung herbeizuführen, um diese Volksbefragung zu ermöglichen".

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0303101200
Darf ich aus Ihren kritischen Bemerkungen zu den Petitionen in den hessischen Gemein-
den schließen, daß Sie nunmehr, weil Sie eine geheime, ordnungsmäßige Befragung wünschen, dem hier vorliegenden Antrag, der eine geheime Volksbefragung will, zustimmen werden?

(Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der Mitte.)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0303101300
Hochverehrter Herr Kollege Erler! Das, was in Hessen passiert ist, war eben keine Petition, sondern das lief unter der „Firma", unter der all das läuft: „Volksbefragungsund Antiatom-Aktion".

(Zurufe links.)

Außerdem ist inzwischen eine sehr interessante Übereinstimmung zwischen Ihnen - der linken Opposition — und sehr rechtsradikalen Kreisen festzustellen. Die Strasser-Partei hat ihre sämtlichen Mit. glieder verpflichtet, sich an einem eventuellen Volksbegehren oder einer Volksbefragung gegen die Atombewaffung zu beteiligen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Zur Sache selbst liegt mir ein Bericht aus Essen vor, wonach unser verehrter Kollege Behrisch, dessen Worte über die Dinge in Ungarn wir alle noch im Ohr haben, sich erneut einige aufschlußreiche Sätze erlaubt hat. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich sie hier. Ich würde midi freuen, wenn der Kollege Behrisch dartäte, daß das, was hier steht, nicht seine Meinung ist. Herr Behrisch
hat nach diesem Bericht aus Essen am 28. Mai in einer Kundgebung im Saalbau gesagt:
Nehmen wir an, die Russen kommen und überrollen uns und besetzen Europa bis nach Portugal. Was können sie schon dem Christen nehmen? Das Haus, das Heim, die Habe, doch alles Dinge, die niemand mitnehmen kann, weil das Totenhemd keine Taschen hat.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ich möchte dem Herrn Kollegen Behrisch doch sagen, daß Haus, Heim, Habe und Geld Dinge sind, die auch in einer christlichen Wertordnung einen Wert darstellen. Und ein zweites möchte ich ihm sagen: wenn die Bolschewisten kommen, könnten sie dem Christen auch das äußere Leben nehmen. Sie könnten vor allen Dingen einen Zustand herbeiführen, in dem bewußt versucht wird, die Seelen zu töten, die Seelen der Kinder zu töten oder ein menschenunwürdiges Leben, ein christlich unwürdiges Leben herbeizuführen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Zu dem, was im Zusammenhang mit dieser Aktion alles passiert, möchte ich Ihnen noch etwas anderes vortragen. Eine bekannte Illustrierte hat vor kurzer Zeit zwei prominente Filmschauspielerinnen, Frau Maria Schell und Frau Barbara Rutting, zu der Frage der Atombewaffnung „interviewt". Beide Schauspielerinnen haben entrüstet gesagt: Das darf man doch nicht machen.
Auf Grund dieser Interviews hat eine Zeitschrift einen offenen Brief einer Dame gegen diese beiden-Filmschauspielerinnen veröffentlicht. Was ist nun gestern passiert? Die Dame, die diesen offenen Brief geschrieben hat, erhielt folgendes Telegramm, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier verlese:
Ich erlaube mir, Ihnen zur Kenntnis zu geben, daß ich Frau Maria Schell und Frau Barbara Rutting ständig vertrete. Sie schreiben an meine Mandantinnen in der Mai-Ausgabe der von Ihnen redigierten Zeitschrift einen offenen Brief. Dabei beziehen Sie sich auf die Stellungnahmen, die meine Mandantinnen in der Frage der Atombewaffnung gegenüber Zeitungen und Illustrierten abgegeben haben sollen. Bitte, nehmen Sie zur Kenntnis, meine Mandantinnen haben keinerlei Stellungnahmen abgegeben. Die Veröffentlichungen sind erfunden. Unter den gegebenen Umständen kann ich verzichten, auf Ihre Argumentation einzugehen. Beide Mandantinnen sind nicht von der Art, daß sie sich über wichtige Dinge in Schlagworten äußern.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Rechtsanwalt

(Lebhafter Beifall in der Mitte.)

Alles das, der heutige Gang der Debatte, die Rede des Kollegen Metzger, die nicht vorhandene rechtliche Argumentation zeigen uns erneut, daß diese Politik der Volksbefragungen nicht in unsere freiheitliche demokratische Ordnung paßt, daß sie Un-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1717
Dr. Barzel
ordnung und Unruhe bewirkt, daß sie zugleich unsere außenpolitischen Ziele und unsere außenpolitische Handlungsfreiheit beeinträchtigt.
Deshalb lehnen wir diesen Entwurf ab. Wir lehnen ihn ab, weil wir kein Recht haben, ja zu ihm zu sagen; wir lehnen ihn ab aus rechtspolitischen Gründen; und wir lehnen ihn ab, weil uns die bisherigen Vorgänge in dieser Kampagne bereits reichlich genügen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0303101400
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303101500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Innern hat in seinen Ausführungen der Sozialdemokratischen Partei unterstellt, sie komme kommunistischen Zielsetzungen entgegen und sei so hatte es den Sinn — mithin bewußt oder unbewußt Helfershelfer des Bolschewismus.
Wir Freien Demokraten sind entschiedenste Gegner der Sozialdemokratischen Partei auf vielen politischen Gebieten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na! — Nur nicht in Düsseldorf!)

Gerade deshalb halten wir es für unwürdig, wenn solche Unterstellungen in diesem Hause vorgebracht werden über eine Partei, mit der die Christlich-Demokratische Union sich immerhin in Berlin, in Bremen und in Baden-Württemberg in Landesregierungen in der Koalition befindet.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Die Sozialdemokratische Partei hat ihre staatspolitische und nationale Zuverlässigkeit in den Jahren nach 1945, wie wir Freien Demokraten glauben, so bewiesen, daß sie sie von niemand in Zweifel ziehen zu lassen braucht.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Wir Freien Demokraten halten die SPD in staatspolitischen und nationalen Fragen für mindestens genauso zuverlässig wie die CDU.

(Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD.)

Wir sind auch der Meinung, daß solche Unterstellungen wie die des Herrn Bundesministers des Innern geeignet sind, die Glaubwürdigkeit von Zusicherungen der Bundesregierung herabzusetzen, auch sie sei in gesamtdeutschen und außenpolitischen Fragen an einer gemeinsamen Politik genauso interessiert wie die Opposition.

(Erneute Zustimmung bei der FDP und der SPD.)

Meine Damen und Herren! Der Sprecher der Freien Demokraten in der Aussprache zur ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs, der Abgeordnete Dr. Bucher, hat die Stellungnahme unserer Fraktion bereits klar und deutlich dargelegt. Wir sind unverändert der Ansicht, daß der Entwurf nicht aus verfassungsrechtlichen, aber aus verfassungspolitischen Gründen abgelehnt werden sollte. Eigentlich hätte es ja zur heutigen Debatte überhaupt nicht zu kommen brauchen. Die CDU'CSUFraktion hat in der ersten Lesung erklärt, sie sei einstimmig der Ansicht ihrer Experten gefolgt, daß dieser Entwurf verfassungswidrig sei,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist er auch!)

und jedermann hatte den Eindruck, diese Fraktion werde in einer zweiten Lesung, die sich sofort an die erste Lesung anschließe, den Gesetzentwurf nach dem Motto behandeln: „Fort, werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!" und werde den Gesetzentwurf sofort ablehnen.

(Abg. Pelster: Das wollen Sie ja auch!)

Aber was hat die CDU/CSU-Fraktion getan? Sie — nicht die SPD oder die FDP oder eine andere Partei — hat der zweiten Lesung widersprochen. Ist dieser Widerspruch — das muß man sich doch insbesondere angesichts der heute von Regierungsseite erfolgten Ausführungen fragen — gemacht worden, um der Mehrheitsfraktion dieses Hauses tiefschürfende staatsrechtliche Meditationen zu ermöglichen, oder ist dies nicht vielmehr aus anderen Gründen geschehen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als wäre es der Mehrheitspartei nicht unlieb, wenn sich die Debatte in der Öffentlichkeit mehr auf die Frage der Zulässigkeit der Volksbefragung über die atomare Ausrüstung zuspitzt, als daß sich eine Diskussion über die Hauptfrage, nämlich über die Frage der atomaren Bewaffnung selber, entspinnt.

(Zustimmung bei der FDP und bei der SPD.)

Es ist heute bereits darauf hingewiesen worden, daß in der Debatte über diesen Volksbefragungsentwurf ein Mischmasch aus den Begriffen „Volksabstimmung" und „Volksbefragung" gemacht worden ist, ein Mischmasch, von dem auch das Gutachten der Bundesministerien des Innern und der Justiz durchaus nicht frei ist. Nun, über die Qualität dieses Gutachtens wird an anderer Stelle, bei der Haushaltsberatung, noch zu reden sein. Die Qualität des Gutachtens ist keineswegs überwältigend.
Die Volksabstimmung besagt doch, daß der parlamentarische Gesetzgeber durch das Volk als Gesetzgeber ersetzt werden soll.
Bei der Volksbefragung soll lediglich der parlamentarische Gesetzgeber, der seine Stellung behält, durch Willensäußerungen des Volkes informiert werden. Eine Volksbefragung, wie sie die SPD vorhat, hat also keine konstitutive Wirkung. Dies hat nach unserer Ansicht den Nachteil, daß am Tage nach einer Volksabstimmung allerhand Rechenkunststücke möglich sind, daß jede Seite herumgeheimnissen kann: Was haben denn eigentlich die gewollt, die gestern nicht zur Wahl gegangen sind? Solche Kunststücke führen im allgemeinen zu dem Ergebnis, daß beide Teile behaupten, gewonnen zu haben.
Sicher hat eine Volksbefragung keine rechtlichen Konsequenzen. Ob sie aber eine moralische Verbindlichkeit begründet? In dieser Frage sind wir
1718 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dürr
nicht so optimistisch wie Herr Kollege Metzger. Wir sind hier der Meinung, daß ein eindeutiges Ergebnis bei der Volksbefragung nicht auf Grund moralischer Verbindlichkeit zu Konsequenzen führen muß. Ich erlaube mir, unsern Bundesvorsitzenden Reinhold Maier zu zitieren, der einmal gefragt hat: Was muß denn in der Bundesrepublik passieren, bis etwas passiert?!

(Zustimmung bei der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Hinzu kommt, daß die Stimmabgabe des Bürgers abgewertet wird, wenn sie ohne rechtliche Auswirkung bleibt.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Wenn ein Bürger bei einer Volksbefragung am Sonntag seine staatsbürgerliche Pflicht, wie er meint, erfüllt, ins Wahllokal geht und am Montag erfährt, rechtlich sei seine Stimmabgabe durchaus unverbindlich gewesen, kann man es ihm wohl kaum verübeln, wenn er nach der Volksbefragung sagt: Es hat doch keinen Zweck, ins Wahllokal zu gehen; die machen doch, was sie wollen! Dann wird er bei der nächsten Wahl, bei einer Bundestags-, einer Landtags- oder Gemeinderatswahl der Wahlurne fernbleiben. Das wäre eine Nebenfolge, die wir aus verfassungspolitischen Gründen keineswegs in Kauf nehmen wollen.

(Beifall bei der FDP. — Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Voraussetzung einer Willensäußerung des Volkes, sei es bei einer Volksabstimmung, sei es bei einer Volksbefragung, ist, daß dieses Volk ausreichend und sachlich über die Sachfragen informiert wird. Die Auswirkungen der Atombomben von Hiroschima und Nagasaki sind uns bekannt. Umstritten ist aber die Fernwirkung durch radioaktive Verseuchung. Die Meinung der Wissenschaftler ist hier nicht völlig einheitlich. Auf der einen Seite steht das Göttinger Manifest, steht die Ansicht Albert Schweitzers. Auf der andern Seite stehen vereinzelte amerikanische Wissenschaftler und unser Kollege Pascual Jordan. Bei seinen Betrachtungen über das Leben im Untergrund bin ich allerdings im Zweifel, ob er sie mehr als Wissenschaftler oder als Bundestagskandidat geschrieben hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Meine Damen und Herren, man braucht mehr als Verharmlosungen, wie sie in den Worten „modernste Waffen" und „saubere Bomben" zum Ausdruck kommen. Wir Freien Demokraten sind gleichermaßen gegen Verniedlichung wie gegen Panikmache. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung zu sachlicher Untersuchung und Information der Bevölkerung verpflichtet ist. Diesem Ziel dient auch unser Antrag betreffend Zunahme der Mißgeburten, der gestern von diesem Hause erfreulicherweise einmütig angenommen worden ist. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Informationspflicht der Bundesregierung nicht nur in den Zeiten vor Volksbefragungen, sondern stets und ständig gilt. Ich verkneife es mir, darüber nähere Ausführungen zu machen, daß manchmal nicht nur das Volk, sondern
auch dieses Hohe Haus nicht besonders ausgiebig informiert wird.
Wir sind nicht gegen die Volksbefragung, um zu vermeiden, daß wir Freien Demokraten, so wie es der SPD heute geschehen ist, wieder einmal als bewußte oder unbewußte Helfer des Kommunismus bezeichnet werden. Wir sind es aus unseren eigenen Überlegungen heraus und haben uns bei unseren Überlegungen wenig um den sowjetzonalen Rundfunk oder die dortige Presse geschert. Jeder, der eine Politik nach seinem eigenen Gewissen und aus seiner eigenen Überzeugung betreibt, ist bei uns dann und wann in Gefahr, einmal von der Sowjetzone her gelobt zu werden.

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Das wir allerdings nicht dauernd von drüben gelobt werden, dafür sorgen wir durch unsere Überzeugung und durch die von uns verfolgte Politik schon selber. Wenn wir aber in unsere Überlegung, was wir tun und wie wir uns in der Politik verhalten sollen, als wesentlichen Gesichtspunkt die Frage hineinbringen: Was tun wir, um nicht von der Sowjetzone oder gar von Moskau gelobt zu werden?, dann laufen wir eben Gefahr, nur noch Reaktionen auf Aktionen von drüben zu setzen und uns dadurch der eigenen Initiative zu begeben.

(Beifall bei der FDP und der SPD.)

Wir Freien Demokraten sind gegen die Volksbefragung. Es wäre falsch, deshalb zu vermuten, daß wir in unserer Gegnerschaft gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik schwankend geworden wären. Unser Ziel verfolgen wir so entschieden wie eh und je. Zur Erreichung dieses Zieles halten wir aber eine Volksbefragung, wie sie die SPD vorschlägt, nicht für das geeignete Mittel.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0303101600
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

(Abg. Blachstein: Die Abschiedsrede, Herr Euler?!)


August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0303101700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben innerhalb weniger Minuten erlebt, daß der Kollege Metzger den Bundeskanzler als einen verhängnisvollen Politiker, als ein Unglück für unser Volk bezeichnete und daß die sozialdemokratische Fraktion diesen Saal verließ, nur weil der Herr Bundesminister Schröder nicht bereit war, eine Frage des Kollegen Erler zu beantworten.

(Zurufe von der SPD: Das stimmt doch gar nicht! Sie wissen genau, weshalb!)

Das zeigt auf der einen Seite eine geradezu krankhafte Überempfindlichkeit und auf der anderen Seite eine völlig falsche Einschätzung der persönlichen und politischen Realitäten, soweit sie Ihnen nicht angenehm sind.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja gar nicht wahr, Herr Euler!)


Euler
Damit verschaffen Sie sich keinen Nutzen, sondern Sie sorgen mit solchen Urteilen wie dem, daß der Bundeskanzler ein Unglück für unser Volk sei, gerade dafür, daß unser Volk gegen Sie jenes gesunde Mißtrauen behält, das erforderlich ist, damit Sie, solange Sie diese Meinungen haben, in diesem Hause nicht zur Mehrheit kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, unter diesem Gesichtspunkt kann man Ihre Urteile, Ihre Verstiegenheiten, wie Sie sie hier zum besten geben, durchaus begrüßen, wenn man nicht befürchten müßte,

(Zurufe von der SPD)

daß eben diese Urteile bei vielen Menschen innere
Verwüstungen anrichten, die nicht im Sinne des
Gemeinwohls liegen, und deshalb bedauern wir es.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0303101800
Herr Euler, haben Sie nicht gehört, warum ich den Herrn Bundeskanzler als ein Unglück für unser Volk bezeichnete? Haben Sie nicht die Äußerung gehört, die er vorher gemacht hat und die volksvergiftend wirken muß? Haben Sie das nicht zur Kenntnis genommen?

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0303101900
Natürlich, Herr Kollege Metzger, habe ich Ihre Begründung gehört. Aber gerade diese Begründung war ein Beweis dafür, wie verstiegen Ihr Urteil ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Denn die Einzelheiten, die Sie angeführt haben, sehr geehrter Herr Kollege Metzger, sind in Anbetracht der gesamten Regierungsleistung seit 1949 so ungewichtig, daß Sie keinerlei Aussicht haben, Ihr Urteil damit glaubhaft zu begründen. Das eben fühlt die gesamte Öffentlichkeit.

(Abg. Metzger meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Kollege Metzger, es ist aussichtslos, daß Sie in diesem Punkt noch weitere Fragen an mich richten. Sie würden sich einen größeren Dienst leisten, wenn Sie anerkennten, daß die von den Regierungsparteien seit 1949 getragenen Regierungen Adenauer in Deutschland aus einem Nichts eine in der ganzen Welt respektierte Demokratie hergestellt haben, die Gott sei Dank so beständig ist, daß mit Fehlentwicklungen, wie wir sie in anderen Ländern immer wieder erlebt haben und erleben, nicht gerechnet zu werden braucht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese Regierungen Adenauer haben es fertiggebracht, Deutschland gleichberechtigt in die Völker der westlichen Welt einzubauen. Und wenn wir das Mißtrauen der anderen Völker, ja ihren Haß wenige Jahre nach dem Kriege restlos überwunden haben und man heute in den westlichen Ländern eine Stimmung findet — ob in Luxemburg, in Belgien, in Holland oder in anderen Ländern, die unter der Politik des „Dritten Reiches" schwer gelitten haben —, die nicht als deutschfeindlich, sondern
als deutschfreundlich bezeichnet werden muß, dann ist das die Folge des Wirkens dieser Regierungen und des Ansehens, das sie der neuen deutschen Demokratie mit einer klaren, beständigen Regierungspolitik geschaffen haben, mit einer Politik, die keinerlei Mißverständnissen ausgesetzt war und die deshalb Vertrauen erzeugte, weil sie aus einem festen vertrauensvollen Bemühen kam. Nur diese Politik hat uns den Frieden bis heute gesichert, und sie wird ihn weiter sichern. Nur diese Politik hat uns den Freiheitszustand beschert, dessen wir uns heute zu erfreuen haben. Und nur sie hat einen Wohlstand geschaffen, von dem die SPD vor einigen Jahren noch überzeugt war, daß er durch eine liberale Politik überhaupt nicht zu erzielen sei.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren von der SPD, diese Gründe sind es, die klar sehen lassen, daß Sie sich durch nichts mehr schaden als mit Urteilen, mit denen Sie glauben, den Herrn Bundeskanzler abqualifizieren zu können. Aber der Fehler in Ihrem Denken geht ja sehr viel tiefer. Das allein ist die Ursache, warum wir in diesem Hause eine so verschiedene Sprache sprechen, daß man bald befürchten muß, es bestehen keine Verständigungsmöglichkeiten mehr.
Man liest den Aufruf führender Sozialdemokraten der Schweiz, man liest die Auslassungen belgischer Sozialisten zu den Themen, die uns heute hier angehen, man liest die Äußerungen französischer und englischer Sozialisten, — sie sind allesamt von völlig anderen außen- und. wehrpolitischen Auffassungen als denen der SPD getragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt Ihnen das eigentlich nicht zu denken? Zeigt sich da nicht, daß nicht wir, die Vertreter der Regierungsmehrheit, mit unseren Überlegungen und mit unserer Politik vereinsamt sind, sondern daß Sie gegenüber den Sozialisten der westlichen Welt jetzt schon in den Bereich einer hoffnungslosen Isolation gekommen sind?

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Blachstein: Was Sie für Sorgen haben!)

— Ja, was für Sorgen Sie nicht haben!
Ich darf aus diesem Aufruf führender Sozialdemokraten der Schweiz, den die Mitglieder der Regierungsparteien in diesem Bundestag Wort für Wort unterschreiben können, noch einige wichtige Sätze vorlesen, weil sie die Probleme klarstellen, und zwar auch im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Dürr von der Fraktion der Freien Demokraten. Wir müssen immer wieder klarstellen: das Problem, um das es geht, besteht nicht darin, daß der eine von uns den Frieden will, der andere nicht,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

daß der eine ohne Atombombe auskommen möchte, der andere nicht. Wir möchten gemeinsam erreichen, daß der Frieden sichergestellt bleibt und daß es einer deutschen Teilnahme an der atomaren Aufrüstung überhaupt nicht bedarf. Die Frage ist nur:
1720 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Euler
Welches ist der richtige Weg, um dieses Ziel zu erreichen?

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Sagen Sie es mal!)

Man muß die Fragen richtig formulieren.

(Zuruf von der SPD.)

— Ja, ich will Ihre Neugierde befriedigen, indem
ich aus dem Aufruf der führenden Sozialdemokraten
der Schweiz mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einige Sätze vorlese. Da heißt es:
Wir nehmen für uns in Anspruch, sowohl den konventionellen wie den Atomkrieg nicht minder zu verabscheuen als andere. Wir verabscheuen ihn nicht minder als diejenigen, die sich in ihrem Wunschdenken den Tatsachen und Erfahrungen des Kalten Krieges verschließen. Diese Erfahrungen lehren uns, daß der völkerunterdrückende und weltherrschaftslüsterne Osten nur dann verhindert wird, neue Aggressionen auszulösen und die Wasserstoffbombe in die Waagschale der Entscheidung zu werfen, wenn ihm in der freien Welt — in der Bewaffnung der Vereinigten Staaten, Englands und der NATO — ein mindestens ebenbürtiges Kernwaffenpotential gegenübersteht.
Und es heißt dann weiter:
Wir lehnen ... den Versuch, die Frage der Bewaffnung der schweizerischen Armee den eidgenössischen Räten zu entziehen und sie zum Gegenstand gefühlsmäßig unterbauter politischer Feldzüge zu machen, entschieden ab. Vom Bundesrat und den zuständigen Organen der Armee erwarten wir, daß sie sich darüber aussprechen, wie sie sich angesichts der heutigen technischen Entwicklung die Ausrüstung der Armee vorstellen. Erachtet man die Landesverteidigung weiterhin als nötig — und wir tun es —, dann ist es unsere Pflicht, dem Soldaten diejenigen Abwehrmittel in die Hand zu geben, ohne die er zum vornherein sowohl psychologisch wie materiell verloren wäre. Wir verkennen — soweit es sich nicht um Kommunisten handelt — keineswegs die humanitären Motive derjenigen, deren Ansichten über die äußerst komplexe Atomfrage sich mit den unsern nicht decken. Aber wir sind nicht bereit, jenen totalitären Kräften Handlangerdienste zu leisten, deren unverhüllte Absicht es seit langem ist, den Westen in lähmende Furcht und im Gefolge davon in die selbstmörderische Resignation zu treiben.
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist genau die Betrachtungsweise, die wir hegen. Sie stimmt mit der unsrigen überein. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, diesen Realismus pflegten — den Sie als Regierungspartei pflegen müßten —, dann würden wir uns nicht so weit auseinander finden, wie das im Augenblick der Fall ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wir wissen, daß unsere Auffassungen auf festem Grunde stehen. Wir wissen, daß Sie, falls Sie die
Regierungsverantwortung bekämen, diese Auffassungen für Ihre praktische Politik übernehmen und nach ihnen handeln müßten. Wir sind dewegen weit von der Gefahr entfernt, uns durch dialektische Scheingründe in Verwirrung bringen zu lassen. Aber wir haben mehr zu tun, als dafür zu sorgen, daß wir nicht selbst der Verwirrung anheimfallen. Wir haben dafür zu sorgen, daß unser Volk nicht einer methodisch geschürten Verwirrung zum Opfer fällt. Darum geht es.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Ein Mittel der methodisch geschürten Verwirrung sind gerade die Volksbegehren, die Volksentscheide und die Volksbefragungen, die in Wahrheit nichts anderes sind als Volksentscheide unter einem neuartigen Namen, einem Namen, den es im Jahre 1948/49 noch nicht gab. Da hatte man Volksbefragungen noch nicht exerziert, während man Volksbegehren und Volksentscheide aus den verschiedensten Demokratien kannte.
Es ist eine Tatsache, die schließlich auch Herr Kollege Metzger nicht bestreiten konnte, daß sich damals im Parlamentarischen Rat die Vertreter aller Parteien dahin einig gewesen sind, daß man der zukünftigen Demokratie erstens eine stabile Exekutive geben müsse und daß man zweitens den Demagogen die besonderen Mittel der Volksverwirrung, als die sich Volksbegehren und Volksentscheide gerade in der Weimarer Demokratie erwiesen hatten, entziehen müsse. Wenn wir die Zeit seit 1948 überblicken und die Motive unserer Verfassungsväter, die leider erst nach dem Scheitern der Weimarer Demokratie in die Lage kamen, eine fester gefügte Demokratie zu bauen, an Hand der Erfahrungen würdigen, die wir seit zehn Jahren in Deutschland gemacht haben und die in anderen Ländern mit, ich möchte sagen, chaotisch entarteten Formen der parlamentarischen Demokratie gemacht worden sind, dann müssen wir sagen: Die Männer, die uns 1948 eine Demokratie mit stabiler Exekutive gegeben haben, waren gut beraten, und wir wären ihrer nicht würdig, wenn wir heute davon abwichen und unsere guten Erfahrungen mit ihren guten Auffassungen verleugneten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben schon häufig erlebt, daß die SPD in diesem Hause in bestimmten Fragen mit Entschiedenheit die Aufassung vertreten hat, die Regierung irre nicht nur in ihrem politischen Wollen, sondern sie bediene sich staatsrechtlicher Begründungen, die verfassungswidrig seien, und sie erstrebe Zwecke, die mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen seien. Wir erinnern uns an zahlreiche Debatten, in denen die Sozialdemokratie die Bundesregierung mit größtem Nachdruck, noch ehe ein Prozeß vor dem Verfassungsgerichtshof ausgetragen war, der Verfassungswidrigkeit ihrer Auffassungen und ihrer praktischen Verhaltensweise bezichtigte. In den Prozessen unterlag die Opposition; die sozialdemokratischen Kritiker hatten nicht recht behalten. Sie hatten sich von dem Verfassungsgericht sagen lassen müssen, daß die Regierung nicht falsch beraten gewesen war.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1721
Euler
Wir vertrauen auch in dieser Sache darauf, daß das Bundesverfassungsgericht einen Entscheid fallen muß, der nach allen Argumenten, die aus der Verfassung und aus der politischen Wirklichkeit zu entnehmen sind, kaum den Erwartungen der Opposition entsprechen wird. Die Auffassung der SPD war auch heute wieder ersichtlich schlecht begründet, wenn man auch der SPD zubilligen kann, daß sie alles in allem nach wochenlangen Bemühungen wohl die relativ besten Gründe hier hat vortragen lassen, die in dieser schlechten Sache überhaupt zu finden waren.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Wir wissen, was wir unserem Volke schuldig sind in einer Zeit, in der leider nicht allein wir, sondern alle Völker, die heute von sowjetischen Einflüssen frei sind, fortgesetzt in der Gefahr sind, nicht nur Gegenstand kriegerischer Aggressionen zu werden, sondern — was velleicht für die nächsten Jahre bedeutungsvoller wird — in den Ausstrahlungsbereich erpresserischer Taktiken zu kommen. Wir haben nicht nur zu beachten, daß der westdeutsche demokratische Staat, der repräsentativ für ganz Deutschland ist und auch die Menschen in Mitteldeutschland nach ihrem inneren Willen vertritt, nicht Opfer eines kriegerischen Angriffs der Sowjetunion wird, daß niemals eine Lage eintreten kann, in der sich die Sowjets einbilden dürfen, sie könnten eine Aggression mit geringem Risiko, mit geringen Kosten unternehmen. Nein, noch wichtiger ist es, zu verhindern, daß wir in den Bereich einer erpresserischen Politik der Sowjets ohne direkte kriegerische Aggression hineinkommen.
Wir wissen, daß wir dieses Ziel nur erreichen werden, wenn wir in fester Geschlossenheit mit der gesamten westlichen Welt bleiben, wenn wir alles dafür tun, daß das westliche Abwehrbündnis zur Erhaltung des Friedens wirklich leistungsfähig bleibt. Wenn es nur auf diese Weise möglich ist, Westdeutschland in Frieden zu halten, sicher bewahrt vor sowjetischen Aggressionen und Erpressungen, dann ist es auch nur diese Politik, die eine friedliche Wiedervereinigung zu erzielen vermag.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0303102000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0303102100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang der Auseinandersetzung über eine Volksbefragung stand dieser Beschluß vom 25. März, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten. Wir Sozialdemokraten — und nicht nur wir — halten diesen Beschluß für einen der verhängnisvollsten Beschlüsse, die je in einem deutschen Parlament gefaßt worden sind.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Pelster: Das ist eure Sache!)

Wir halten ihn für verhängnisvoll für die Sicherheit
unseres Volkes, das, wenn es so weitergeht, damit
rechnen muß, daß dieses Land im Ernstfall von den
eigenen Atomwaffen zerstört wird, die auf beiden Seiten und von beiden Seiten her schießen.

(Zuruf des Abg. Euler.)

Wir halten diesen Entschluß für verhängnisvoll für das Ziel unserer Politik, das — nach den Lippendiensten, die Sie, Herr Euler, und andere immer noch leisten — das oberste Ziel unserer Politik sein soll, nämlich die Wiedervereinigung. Diese Wiedervereinigung erhält durch das, was hier geschieht, und dadurch, daß diese Politik ein Beitrag zum allgemeinen Wettrüsten in der Welt ist und den Lauf in die Katastrophe beschleunigt, einen schweren Schlag. Daher ist dieser Beschluß verhängnisvoll nicht nur für uns Deutsche und für die Europäer, sondern für die ganze Menschheit.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Sie haben mit diesem Beschluß vorn 25. März eine Kettenreaktion der Aufrüstung ausgelöst. Sie können sich ja nicht einbilden, daß es dabei bleiben wird, daß Sie auf dieser Seite der Zonengrenze — unserer östlichen Grenze — Atomkanonen auffahren. Auf der anderen Seite werden auch welche aufgefahren werden. Dann wollen Sie es sich immer so billig machen: Die Russen können den Unzuverlässigen ja gar keine solchen Waffen geben. Dabei sollten Sie aber wissen, daß sie es genauso wie die Amerikaner machen könnten, die Ihnen zwar die Kanonen, aber zunächst einmal nicht die Zünder zu den Granaten geben. Das könnten die Russen auch mit taktischen Atomwaffen bei der SED und deren Volksarmee machen. Das können sie auch bei den Polen, bei den Tschechen und bei allen anderen Satellitenstaaten machen. Das ist die Kettenreaktion, die Sie durch Ihren Beschluß vom 25. März hervorgerufen haben. Was die Menschheit und wir insbesondere hier im geteilten Deutschland in dieser Situation brauchen, ist aber eine umgekehrte Kettenreaktion, eine Kettenreaktion, die zur Abrüstung und nicht zu gesteigerter atomarer Aufrüstung hinführt.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Das wollen wir auch!)

Da droht Verhängnis für unser Volk. Es ist nicht das erstemal, daß wir Sozialdemokraten mahnen, warnen, ja, manchmal sogar flehen: Deutsches Volk, paß doch dieses Mal auf! Wie oft haben wir gesagt, daß wir uns in Machtrausch hineinbegeben, in die Gefahr, daß schließlich geschossen wird, daß schließlich der Krieg kommt. O ja, Sie sind wieder ganz und gar in dieser Entwicklung zur Macht und zum Machtrausch.

(Zuruf.)

— Natürlich nicht, um sie anzuwenden; ich komme nachher noch darauf. Niemals ist diese Macht aufgebaut worden, um sie anzuwenden, immer nur, um den Frieden zu sichern. Aber am Schluß standen der Krieg und die Katastrophe für unser Volk, zweimal in unserem Jahrhundert.
Wir glauben, wenn sich eine solche Entwicklung anbahnt, dann ist es oberste Pflicht eines guten Deutschen, Widerstand zu leisten. Wir wollen Widerstand leisten.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Mommer
Wir werden die Mittel ausschöpfen, die uns zur Verfügung stehen, um diesen Widerstand zu leisten, Herr Innenminister.

(Zuruf von der Mitte: Und die Verfassung?)

— Die Verfassung ist da, und wir glauben, daß wir im Rahmen dieser Verfassung Widerstand leisten können, daß wir dazu nicht aus dieser Verfassung herauszugehen brauchen.

(Zuruf von der Mitte: Das hören wir gerne!)

Die Ausrüstung mit Atomwaffen, die Sie beschlossen haben, ist ja nur der vorläufig letzte Schritt auf dem Wege, den Sie bereit sind zu gehen, den Sie gewillt sind um jeden Preis zu gehen, nämlich auf dem Wege zur Entwicklung dieses deutschen Teilstaates Westdeutschland zu einer atomaren Großmacht. Das ist das oberste Ziel ihrer Politik, nicht die Wiedervereinigung.

(Beifall bei der SPD.)

Aus diesem deutschen Teilstaat eine atomare Großmacht machen, das ist das oberste Bestreben, das Sie heute noch kennen.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Sie wissen, daß das nicht stimmt! — Abg. Rasner: Hier ist doch kein Wahlkampfforum!)

— Wir sitzen hier fast neun Jahre miteinander in diesem Hause, man beobachtet einander und weiß, welches die letzten Triebkräfte sind. Ich werde Ihnen nachher noch einige Argumente dazu liefern.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Und die Verträge? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Vertragsbruch?)

— Die Verträge sind vorläufig. In ihnen haben Sie auf die Produktion der Atomwaffen verzichtet. Bei den letzten Sitzungen hier im Bundestag haben wir doch festgestellt — und der Herr Bundesverteidigungsminister hat das zugegeben —, daß man jetzt schon dabei ist, diesen Vertrag, in dem der Verzicht auf die Herstellung der Waffen steht, zu umgehen und über das Rüstungsdreieck nicht nur zu dem Gebrauch der Waffen — den der Bundeskanzler 1955, als es um die Ratifizierung der Verträge ging, noch abgestritten hat —, sondern jetzt auch schon zu der Produktion dieser Waffen zu kommen, und dann wird der Weg weitergehen. Ich werde nachher noch einiges dazu sagen.
Es war kein leichtes für Sie, in der Bundesrepublik diese Politik zu betreiben. Es bedurfte vorsichtiger Schritte, um langsam aber sicher auf dem Wege zu dieser atomaren Großmacht weiterzukommen. Und es bedurfte einer bestimmten Methode der Menschenführung, um das Resultat zu erzielen. In diesem Volke war nach dem letzten Machtrausch und dem furchtbaren Resultat dieses Machtrausches die Abneigung gegen solche Politik riesengroß. Der Herr Bundeskanzler mußte einsehen, daß man da nur langsam vorwärtskommen konnte. Unser Bundeskanzler hat ein inniges Verhältnis zur Macht, und er hat Sinn dafür, was Macht bedeutet. Hätte er nur so ein inniges Verhältnis zur Demokratie, wie er es zur Macht und zur militärischen Macht hat.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf links: Und zur Wahrheit!)

Zur Demokratie hat er nur das Verhältnis des Opportunisten, der sagt: Grundsatz hin, Grundsatz her, aber es gibt so politische Notwendigkeiten des Augenblicks, und an diese Notwendigkeiten muß man sich anpassen.
Er sah eine Chance, durch das Zerwürfnis der Sieger wieder zu militärischer Macht hier im geteilten Deutschland zu kommen, und er war entschlossen, die Chance zu nützen. Es stellte sich aber die Frage: wie sage ich es meinem Volke? Wie kann man eine solche Politik verkaufen? Wie kann man diese Menschen, die nicht wollen, daran gewöhnen? — Er war sich bewußt, daß er gegen den Wind kreuzen mußte.
Herr Barzel hat hier gesagt, die CDU habe einen ungeheuren Mut bewiesen, indem sie eine solche Politik betrieben habe. Nein, Herr Kollege Barzel, Mut haben Sie nicht dabei bewiesen, wohl viel List, das muß ich anerkennen, viel List haben Sie dabei bewiesen

(Beifall bei der SPD)

und auch viel Kenntnis der Massenpsychologie. Sie haben wirklich gewußt, wie man so etwas macht, ein Volk gegen seinen Willen und all seine Gefühle, die auf jüngster Erfahrung basieren, herumzubekommen zu einer solchen Politik.

(Zustimmung bei der SPD.)

Es ist oft geschildert worden, wie das seit 1950 vor sich gegangen ist. Ich will nur kurz wiederholen, wie das jetzt bei der atomaren Bewaffnung gelaufen ist. Wie war das denn? Da stand doch am Anfang, also noch 1955, der klare Verzicht auf den Besitz, die Fabrikation und den Gebrauch solcher Waffen. Das haben wir in den Diskussionen hier klargestellt. Herr Adenauer sagte: Unser Verzicht auf Besitz und Gebrauch, das ist unser Beitrag zum Frieden und zur Abrüstung. Dann sagte man: Ja, wir bleiben bei dem Verzicht, aber wenn man es recht besieht mit diesen Atomwaffen, gibt es da ja zweierlei, einmal die großen Dinger, die wir nicht wollen — die man auch heute angeblich noch nicht will —, und dann gibt es die kleineren, die eigentlich nur fortentwickelte Artillerie sind, und sogar die wollen wir nicht; also: wir verzichten weiter.
Dann fing man an, davon zu sprechen, daß man ja nun der NATO beigetreten sei und daß sich aus dem Bündnis bestimmte Verpflichtungen ergäben. In der nächsten Phase gab es dann einzelne Vorreiter, die kühne Vorstöße machten und sagten, im Grunde müßte man doch, wenn die andere Seite usw., schließlich auch solche Waffen haben. Sie wurden zurückgepfiffen und sie wurden dementiert, die da die Vorpostengefechte machten.
Dann kam die Wahl. Man mußte nun Stellung nehmen, denn man wurde danach gefragt. Sie haben recht: über Atombewaffnung ist im Wahl-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1723
Dr. Mommer
kampf gesprochen worden. Dafür haben wir Sozialdemokraten gesorgt.

(Zuruf von der Mitte: Und wie!)

Wenn wir nicht dafür sorgten, daß über die Atombewaffnung gesprochen wird, dann würden Sie das als eine reine Verwaltungsangelegenheit behandeln.

(Beifall bei der SPD.)

Dann würde die Bevölkerung in den Glauben gewiegt, daß es sich da nur um moderne Bewaffnung handelt, so wie wir früher weniger schießende Maschinengewehre hatten und jetzt ein bißchen mehr schießende. So würde das dem Volke dargestellt, wenn nicht die Opposition da wäre, um die Wahrheit über diese Dinge zu verbreiten.
Sehen Sie, wie das im Wahlkampf war, das spielt hier immer wieder eine Rolle. Sie behaupten, den Wahlkampf mit dieser Politik geführt zu haben und daß Sie das Volk über das in Kenntnis gesetzt hätten, was Sie schon vor der Wahl beabsichtigten. Aber da gibt es nun einmal solche Texte, um die Sie nicht herumkommen: „Christlich-Demokratische Union Deutschlands, Sonderrednerdienst für Außenpolitik im Wahlkampf, ein außen- und wehrpolitischer Leitfaden für den Gebrauch im Bundestagswahlkampf 1957, CDU-Bundesgeschäftsstelle, Bonn, Nassestraße 2." Ich zitiere nur ganz kurz einen Satz:
Die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wird also
- und dann gesperrt gedruckt —nicht von der CDU angestrebt.
„Die Ausrüstung" — ich wiederhole: die Ausrüstung — „der Bundeswehr mit Atomwaffen wird also nicht von der CDU angestrebt." Das war der Leitfaden

(Zuruf von der Mitte: Besteht unverändert weiter!)

für den Wahlkampf, den Sie Ihren Parteirednern mit auf den Weg gaben.

(Zuruf von der Mitte: Stimmt heute noch!)

So war der Stand der Dinge zur Zeit der Bundestagswahlkampfes.

(Zuruf von der Mitte: Ist er heute noch!)

Dann ging es weiter. Sie waren schon vor dem Bundestagswahlkampf bereit, diese atomare Bewaffnung zu betreiben. Das ist nun mal ein Prozeß, und man kann die atomare Ausrüstung der Bundeswehr nicht von heute auf morgen verwirklichen. Bei der Planung waren Sie schon lange vor dem Wahlkampf. Am Tage nach der Wahl fingen Sie schon an, Matadore zu bestellen, die man militärisch sinnvoll — was man da beim Militär sinnvoll nennt — nur mit atomaren Sprengköpfen verwenden kann. Es gehört zu dieser ganzen Methode der Menschenführung — besser sollte man sagen: -verführung -, Fakten zu schaffen, immer daran zu arbeiten, erst sehr spät davon zu sprechen und zuzugeben, wenn sich die Menschen schon weitgehend an die neue Entwicklung gewöhnt haben.
Dann ging es weiter, dann kam die ideologische Offensive. Vorher hatte man gesagt: Wir leisten einen Beitrag zum Frieden und zur Abrüstung. So ist es in unseren Protokollen zu lesen, gesprochen aus dem Munde des Bundeskanzlers. Vorher war unser Verzicht ein Beitrag zu Frieden und zu Abrüstung. Jetzt hieß es: Wir brauchen das, um den Frieden zu bewahren und um zur Abrüstung zu kommen. Wie war das soeben, Herr Barzel? „Wenn man Abrüstungsgespräche will, dann muß man atomare Rüstung in der Bundesrepublik machen" —sagt uns Herr Barzel —, „sonst sagen die Russen doch: Na, da brauchen wir keine Abrüstungsgespräche zu machen, wenn die Deutschen schon abgerüstet haben." So hat uns Herr Barzel gerade erst berichtet. Also zuerst Frieden durch Verzicht auf Atomwaffen, nachher Frieden durch Anschaffung von Atomwaffen in der Bundesrepublik.
Ja, ja, und dann setzt bald der ganze Propagandaapparat ein, der jetzt erst langsam auf Touren kommt. Da steht uns noch etwas bevor in der Bundesrepublik. Wie die Steuergelder verwendet werden, um die Bundesbürger davon zu überzeugen, daß Sicherheit nur in Atomwaffen liege! Da werden wir noch etwas erleben. In diesen Tagen haben wir im Haushaltsausschuß gesehen, wie mit einer begrüßenswerten Offenherzigkeit z. B. zusätzliche 3 Millionen DM in die zuständigen Propagandafonds hineingesetzt werden. Es wird mit Offenheit gesagt: Das ist wegen der letzten Debatten, die wir im Bundestag über die Atomwaffen gehabt haben. Unser Volk muß über die Gefahren, die ihm drohen, aufgeklärt werden,

(Zurufe von der Mitte: Selbstverständlich!)

muß darüber aufgeklärt werden, wie sehr wir diese Atomwaffen brauchen. Ja, das tat auch der Goebbels mit seinem Propagandaministerium;

(Beifall bei der SPD)

der klärte das Volk auch über die Gefahren auf, die ihm aus dem Osten drohten, und wie nötig es die Aufrüstung brauchte, um — ich entsinne mich noch dessen persönlich — die Türen sicher zu machen, daß da keiner einbrechen könnte. So sah das aus, und so geht es wieder.

(Abg. Rasner: Gibt es die Gefahr aus dem Osten oder nicht?)

Der Prozeß, von dem ich zeigte, wie man so etwas Schritt für Schritt, Stück für Stück macht, ist noch nicht am Ende. Am 25. März haben wir aus dem früheren Ausspruch des Herrn Bundeskanzlers „Wir verzichten auf Besitz, Produktion und Gebrauch" nur das Wort „Gebrauch" gestrichen. Wir sind dabei, „Produktion" zu streichen. Schließlich kommt dann auch der letzte Akt.
Ach, es war seltsam, als Herr Kiesinger nach der großen Debatte hier heraufging und erklärte: Wir wollen zwar die modernsten Waffen, aber nur die ganz kleinen. „Nur die ganz kleinen"! Es hat mich, wenn ich auch einmal einen Spaß in so ernsten Dingen machen darf, an jene gute Frau erinnert, die auf das Standesamt kam und sagte, sie
1724 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Mommer
müsse ein kleines Kind von ihrer Tochter anmelden; es sei zwar unehelich, aber nur ein ganz kleines.
Nun, Herr Kiesinger, sagte: Wir brauchen die modernsten Waffen, um uns verteidigen zu können; aber wir wollen nur die ganz kleinen modernsten Waffen. Vorläufig! Vorläufig, meine Damen und Herren! Wir werden sehen, wie es darum in einem Jahr stehen wird.
Sie haben das Volk immer in diese Politik hineingelistet. Das ist Ihnen gelungen. Aber es ist falsch zu sagen, daß Sie die Wahl wegen dieser Militärpolitik gewonnen hätten.

(Zurufe von der Mitte.)

Alle Ihre Redner, die da in den Wahlkampf gezogen sind, wissen sehr gut, daß Sie nicht wegen, sondern trotz dieser Politik den Wahlkampf gewonnen haben.

(Erneute Zurufe von der Mitte.)

Sie wissen sehr wohl, daß der, der den Wahlkampf gewonnen hat, Ihr Kühlschrankminister und nicht Ihr Kanonenminister war.

(Zurufe von der Mitte.)

Wollen Sie dafür noch eine Bestätigung, so schauen Sie bloß darauf: Wer ist denn nachher Vizekanzler geworden und dafür belohnt worden, daß er im Wahlkampf so kräftig gezogen hat?

(Zuruf von der Mitte: Die Leistung entscheidet eben!)

Bei der Atombewaffnung, meine Herren, ist nun der Widerstand größer, als Sie erwartet hatten, größer, als er bei den früheren Schritten der Wiederaufrüstung in unserem Lande war. Sie stellen fest: Nicht nur die Masse der Namenlosen ist es, die sich da zur Wehr setzt, die die Gefahr spürt, mehr spürt, als sie sie verstandesmäßig überschauen kann, sondern auch die Männer des Geistes stehen auf. Darüber waren Sie sehr erschrocken. Diese Männer des Geistes — etwa alles Mitglieder der Kommunistischen Partei? Herr Schröder, von Schweitzer über die Göttinger Professoren und, wie sie alle in der Welt heißen — „besorgen alle bewußt oder unbewußt die Geschäfte des Bolschewismus!"

(Zuruf.)

— Der Papst auch; ja, der ist auch verdächtig. Der Verfassungsschutz unseres Innenministers wird ihn vielleicht auch unter Beobachtung nehmen.
Nun, meine Damen und Herren, diese Männer des Geistes, die Göttinger, die sagten sehr schlicht — man muß solche Sätze wiederholen, glaube ich; wir sollten sie uns einprägen; selten werden so klare Sätze von solch wissenden Männern gesprochen -: Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet.

(Beifall bei der SPD.)

Dann kommt der eigentliche politisch relevanteste Satz:
Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichneten bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.

(Zuruf von der Mitte: Erfunden haben Sie es!)

— „Erfunden haben Sie es", diesen Zwischenruf müssen wir hier festhalten.
Weil der Widerstand so groß ist, der Widerstand der Namenlosen und der Männer des Geistes,

(Abg. Dr. Hellwig: Und der Filmschauspielerinnen!)

darum müssen Sie jetzt große Gegenaktionen organisieren.

(Abg. Rasner: Tun wir gar nicht!)

So schätzen Sie immerhin die Kampagne ein, daß Sie in dieser Woche in den Haushalt zu den vielen Millionen, die für die Propagandafonds schon drinstehen, noch weitere 3 Millionen für Aufklärung in Verteidigungsfragen — es heißt, glaube ich, „Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen" — eingesetzt haben, daß Sie zusätzlich 3,6 Millionen DM in den Reptilienfonds des Herrn Bundeskanzlers eingesetzt haben, die sicherlich weitgehend denselben Zwecken dienen werden.

(Abg. Rasner: Nehmen Sie Herrn Ritzel nichts vorweg, Herr Mommer!)

Das Ziel Nr. 1, das oberste Ziel Ihrer Politik ist, aus dieser Bundesrepublik eine Atomgroßmacht zu machen.

(Lachen in der Mitte. — Abg. Rasner: Sie wissen ja genau, daß das nicht stimmt!)

— Ich sage umgekehrt, Sie wissen ganz genau, daß es stimmt. Wir sprechen uns in ein paar Jahren wieder.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben die NATO bis heute nicht verstanden und Sie wollen Sie nicht verstehen!)

Wir sprechen uns wieder, so haben Sie gesprochen, als wir Ihnen 1955 sagten: Ja, heute machen Sie es so und in kurzer Zeit wollen Sie dann Atomwaffen, war das Verleumdung. Dann reagierten Sie mit dem Lachen, mit dem Sie heute antworten, wenn wir Ihnen sagen, in Zukunft wollen Sie die 4. oder 5. Atomgroßmacht in dem großen Atomklub werden.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn man einmal auf dieser Bahn der Macht ist und da süchtig geworden ist, ist es schwer, wieder einen Stopp zu finden. Weil das Ihr oberstes Ziel ist, darum müssen Sie den Rat der Göttinger und der Humanisten und der Christen beiseite schieben, darum müssen Sie vorläufig taktische Atomrüstung machen.

(Abg. Dr. Hellwig: Auch der Filmschauspielerinnen!)

Weil Sie aus der Bundesrepublik eine Atommacht
machen wollen, mußte der Rapacki-Plan zu Fall
gebracht werden. Darum wird das Nein am ersten
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1725
Dr. Mommer
Tage ausgesprochen und bekommen die Experten dill zweiten Tage den Auftrag, sich um Argumente zu bemühen. Am Anfang steht hier in Bonn in der Behandlung des Rapacki-Plans das Nein. Das läßt sich doch dokumentarisch nachweisen. Es ist sehr einfach zu begreifen, warum dieses Nein dasteht. Eingehen auf diesen Plan heißt nicht, ihn annehmen. Das heißt, ihn als Ausgangspunkt für Verhandlungen benützen. Eingehen auf den Plan und da, wo man glaubt — und ich glaube, es gab Anlaß dazu
daß er unzulänglich ist und daß die Verzichte auf der einen und der anderen Seite nicht gut verteilt sind, auf eine Abänderung hinwirken, heißt, auf den Plan verzichten, aus der Bundesrepublik eine atomare Großmacht zu machen. Darum muß der Rapacki-Plan fallen, gleichviel, was damit aus Polen wird, gleichviel, was damit aus der Wiedervereinigung wird, gleichviel, was damit aus der Abrüstung wird, gleichviel, was damit aus der vom Wettrüsten geplagten Menschheit wird.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica: Das ist eine Wahlversammlung in Hintertupfingen, was Sie da machen, Herr Mommer!)

Unser Ziel Nr. 1, unser sozialdemokratisches Ziel ist Frieden und demokratische Freiheit,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das können Sie nicht einmal Ihren Funktionären erzählen, was Sie hier dem Bundestag erzählen!)

ist Freiheit und Sicherheit für das ganze deutsche Volk. Erinnern Sie sich gelegentlich daran, daß 18 Millionen von diesem Volk jenseits der Zonengrenze leben und daß wir um deren Sicherheit auch besorgt sein müssen.

(Abg. Rasner: Das brauchen Sie uns doch hier nicht zu sagen!)

Für das ganze deutsche Volk, für diese Freiheit und Sicherheit des ganzen deutschen Volkes sind zahllose Sozialdemokraten in der Vergangenheit in die KZ.s gegangen, in die Gefängnisse und in die Zuchthäuser, Herr Innenminister!

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Wir nicht?)

Wenn Sie Garantien brauchen für die demokratische Zuverlässigkeit, dann prüfen Sie einmal die Männer und Frauen, die hier sitzen, wo die waren, als es gefährlich war, für die Freiheit zu streiten,

(Sehr gut! bei der SPD)

wie die da alles geopfert und alles riskiert haben. Und dann kommt da so ein junger Mann, so ein anmaßender junger Mann her und will uns Nachhilfeunterricht in Demokratie geben!

(Stürmischer anhaltender Beifall bei der SPD. — Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Hellwig: Es fragt sich nur, wer hier der „anmaßende junge Mann" ist!)

Sie wagen es, uns die Absicht zu unterstellen, das Grundgesetz zu untergraben, uns zu radikalisieren, uns dem Kommunismus anzunähern!

(Lebhafte Pfui-Rufe bei der SPD.)

Vor dem Hintergrund einer fast hundertjährigen sozialdemokratischen Geschichte erscheinen Sie da als ein erbärmlicher Agitator im nordrhein-westfälischen Wahlkampf, Herr Innenminister.

(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.)

— Ja, ja; Ihre Auffassung über Demokratie haben wir ja gestern mal wieder kennengelernt. Da hören Sie mal zu in der CDU-Fraktion; das richtet sich gegen Sie, was der Herr Bundeskanzler da gemacht hat mit dem Kabinettsbeschluß, durch den ein gefährdeter Außenminister seine Position wieder restauriert erhalten sollte.

(Abg. Rasner: Ach du lieber Gott!)

Kritik an einem Minister ist „Schädigung nationaler Interessen", meine Herren; und Sie haben das getan! In Ihrer Fraktion wurde er kritisiert, und der Stock wurde von Ihrem Chef gezeigt gegen Ihre Fraktion, nicht einmal gegen die unsere.

(Abg. Rasner: Ach, sind Sie heute billig!)

Aber das ist seine Konzeption von der Demokratie.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Kritik an seiner Politik und an seinem Außenminister, der sich ja so ausgezeichnet hat durch Phantasie

(Heiterkeit bei der SPD)

und glorreiche Ergebnisse in den Jahren, in denen er die außenpolitischen Geschäfte geführt hat — Kritik an ihm ist „Schädigung der nationalen Interessen". Sehen Sie, Sie sind da gar nicht so weit von uns weg. Bei uns sagt er dann gleich: „Die wagen es, anderer Auffassung zu sein als ich. Das kann nur in den Bolschewismus führen!" Passen Sie auf! Wenn Sie einen Minister kritisieren, dann kommen auch Sie in die Gefahrenzone hinein.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Drei minus, sagen wir mal!)

Sehen Sie Ihr Chef hat ein lockeres Verhältnis zur Demokratie.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Und hier, meine Damen und Herren, geht es ja auch immer um die deutsche Frage, um die Wiedervereinigung. Ihr Chef hat ein lockeres Verhältnis zur Frage ganz Deutschlands,

(Beifall bei der SPD und bei der FDP)

zur Frage der Wiedervereinigung. In gesamtdeutschen Fragen ist er so unzuverlässig wie sein Wahlverwandter Paul Wilhelm Wenger.

(Abg. Rasner: Sie können nur beleidigen, nicht argumentieren, Herr Mommer!)

So unzuverlässig wie sein Wahlverwandter Paul Wilhelm Wenger!

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich gehe gar nicht zurück in jene Zeit da, 1923 und so; wir können näher dranbleiben, was da alles los gewesen ist.

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Horn: Seien Sie ja vorsichtig!)

1726 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Mommer
Das haben wir doch erlebt, wie es um die Saar ging und wie der Bundeskanzler bereit war, wegen der Aufrüstung auch auf die Saar zu verzichten,

(Beifall bei der SPD und bei der FDP — Erneuter Zuruf von der CDU/CSU: Seien Sie ja vorsichtig!)

und wie der Bundeskanzler bereit war, und nicht nur bereit war, sondern wie er es getan hat: wie er wegen der Aufrüstung auf Verhandlungsangebote wie 1952 nicht einging,

(Zuruf von der CDU/CSU: Der alte Unfug!)

und wie froh Sie wären, wenn Herr Mikojan noch einmal mit einer solchen Note käme, wie wir sie am 10. März 1952 bekommen haben. Und das ist ja das großartige Resultat Ihrer Politik der Stärke, nicht wahr, daß man heute den Preis für die Wiedervereinigung kaum noch sieht, daß Sie ratlos dasitzen und nicht sagen können, wie Sie da überhaupt weiter operieren wollen.

(Abg. Dr. Heck [Rottweil]: Wie haben Sie den Notenwechsel beurteilt? Doch genau gleich! — Zuruf rechts: Daß Sie hier frei reden können, das ist das Verdienst!)

— Ach, Sie Schlauberger! Wie war das denn? Hatte der Herr Bundeskanzler schon eine starke, bewaffnete Bundesrepublik gemacht, als wir hier zuerst zusammenkamen und frei miteinander sprachen? Wie ist das denn alles gekommen?

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wo liegt denn heute diese Sicherung der Freiheit, die wir hier haben? Etwa in den Divisionen, die der Herr Bundeskanzler inzwischen aufgebaut hat? Die liegt in etwas ganz anderem.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Und nun tun Sie doch nicht immer so primitiv, als wären wir dafür, daß man der Militärmacht des Bolschewismus nichts entgegenzusetzen brauchte! Wo ist das je gesagt worden?

(Zurufe von der CDU/CSU: Heinemann!)

Hier hat eben einer Ihrer Redner gesagt: Wir wollten, daß die Amerikaner ihre Atomwaffen ins Meer würfen!

(Zuruf des Abg. Rasner.)

— Ach, Herr Rasner, geben Sie sich die Mühe und lesen Sie durch, was dazu fast einstimmig auf dem Parteitag der SPD in Stuttgart beschlossen worden ist und was die verantwortlichen Leiter unserer Partei dort zu dieser Frage gesagt haben!

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Lesen Sie das einmal durch; dann wissen Sie, welche Vorstellungen wir davon haben, welche Bedeutung militärischen Dingen zukommt und welche Bedeutung ihnen nicht zukommt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Und dann denken Sie mal wieder über die Strategie des Westens nach, die Sie so eifrig mitmachen, bei der Sie der beste Schüler in der europäischen Klasse sind,

(Heiterkeit links—Zurufe in der Mitte und rechts)

die aber ihre großen, ihre sehr großen Mängel hat.

(Abg. Schneider [Bremerhaven] : Und wie steht es mit der Strategie des Ostens, Herr Mommer?)

Sie konzentrieren Ihre Kräfte an einer Front, an der der Gegner offensichtlich nicht die Absicht hat, seinen Hauptangriff — wenn überhaupt jemals — zu führen.

(Abg. Majonica: Verniedlichung der Sowjetunion! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber dieser Feind, den Sie so fürchten, den wir fürchten und der unsere Freiheit nicht zerstören soll, konzentriert seine Kräfte an einer ganz anderen Front und erringt da Sieg um Sieg, in Asien und in Afrika, und Sie jagen ihm mit der Politik, die Sie da betreiben, die Hasen in die Küche!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Schmücker: Wenn die Bundesrepublik die schwächste Stelle wäre, würden sie ihre Kräfte hier nicht konzentrieren! Sie widersprechen sich ja! — Weitere Zurufe. — Gegenruf von der SPD: Nur keine Ablenkungsmanöver! Glocke des Präsidenten.)

Ich will hier keine ausgedehnte Debatte darüber entfesseln, aber ich muß Ihnen sagen: wir sind erschrocken über die Entwicklung in unserm Lande.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch! — Weitere Zurufe.)

Wir sind erschrocken über diese Entwicklung zur Machtpolitik und zur Beteiligung an dem Kollektivwahn des atomaren Wettrüstens.

(Abg. Lenze [Attendorn] : Das ist üble Demagogie! Das ist keine Machtpolitik, mein lieber Mommer!)

Darüber sind wir besorgt, und Sie glauben es ja in Wirklichkeit, daß wir besorgt sind, und Sie sehen ja draußen die Menschen und wissen, daß diese Menschen überall, wo sie zusammenkommen, in der Universität oder in der Synode, in einer Versammlung oder in ihrem Betrieb, sich Sorgen machen, berechtigte Sorgen darüber, wohin das führt, woran wir uns jetzt beteiligen, nämlich dieses atomare Wettrüsten.
Weil wir dadurch in einer so besonderen Situation sind, darum haben wir Sozialdemokraten erstmals den Vorschlag gemacht, einmal das Volk nach seiner Meinung zu fragen.

(Abg. Dr. Dittrich: Das haben wir im vergangenen Jahr getan!)

Und tun Sie doch nicht so, als ob wir den Wortlaut oder auch nur die Praxis unseres Grundgesetzes und unserer demokratischen Einrichtungen ändern wollten. Das wollen wir doch gar nicht!

(Abg. Rasner: Ein bißchen manipulieren!)

Wir wollen hier zum erstenmal in einer ungewöhnlichen, gefährlichen Situation einen ungewöhnlichen, aber nach unserer Verfassung möglichen Schritt tun

(Sehr wahr! bei der SPD)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1727
Dr. Mommer
und das Volk nach seiner Meinung fragen. Und Sie weinen dann Krokodilstränen der Sorge um unsere demokratische Verfassung!

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ach, unser so besorgter Innenminister! Wie der sein Grundgesetz hütet! Wie der besorgt ist darüber, daß die Sozialdemokratie jetzt darangeht, das Grundgesetz zu demontieren und den Kommunisten in die Hände zu arbeiten! Dazu noch ein Wort, da wir gerade einmal dabei sind. Herr Innenminister, Ihre Brandrede, die Sie eben hier gehalten haben, war eine Landtags-Wahlkampfrede.

(Zurufe von der Mitte: Als was würden Sie denn Ihre Rede bezeichnen? — Weitere Zurufe von der Mitte.)

— Das war eine Landtags-Wahlkampfrede mit dem Ziel, das Sie immer verfolgen, wenn es ans Wählen geht, nämlich jedesmal die Kommunisten möglichst mit den Sozialdemokraten zu identifizieren.

(Abg. Wacher [Hof]: Das tun Sie doch selber, Herr Mommer! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

— Haben Sie keine Angst, ich komme darauf! — Das ist die alte Masche: diese sozialdemokratische Partei möglichst mit den Kommunisten zu identifizieren und dann von der Infiltration der Kommunisten bei uns reden und davon, wie sie dabei Erfolg haben.

(Zurufe von der Mitte: Allerdings!)

Sie wissen sehr wohl — und wenn Sie ehrlich wären, würden Sie das auch zugeben —, daß es diese Infiltration nicht gibt. Es gibt Versuche der Infiltration.

(Anhaltende Zurufe von der Mitte.)

— Jawohl, die gibt es, aber Resultate werden Sie vergeblich suchen. Ich will Ihnen eines sagen.

(Abg. Majonica: Was war denn Ihre Rede?)

— Ach, Herr Majonica, aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen dies sagen: Wo immer sich bei uns jemand präsentiert, der angeblich dasselbe will wie wir und dessen demokratische „Papiere"

(Zurufe von der CDU/CSU: Papiere?)

nicht in Ordnung sind, sei es wegen rechtsradikaler oder linksradikaler Tendenzen, fliegt er achtkantig am ersten Tag hinaus. Das ist unsere Politik.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Was heißt denn Papiere? — Weitere Zurufe von der Mitte.)

Wir haben auch einen Ausschuß gegen den Atomtod in meinem Wahlkreis, und als sich dort Kommunisten und Rechtsradikale melden wollten, da war es selbstverständlich, daß wir wie immer sagten: Euer Platz ist draußen; ihr seid unsere Gegner! Das gilt auch dann, wenn zufällig einmal in der Behauptung, daß zweimal zwei vier sei, beide dasselbe sagen.
Wie ist das eigentlich damit? Darf man so etwas nicht sagen? Ist das demokratisch kompromittierend, wenn jemand, der kein Demokrat ist, zufällig einmal etwas Ähnliches oder dasselbe sagt?

(Zurufe von der CDU/CSU.)

- Warten Sie ab! Wir haben gestern hier im
Hause sang- und klanglos einen Gesetzentwurf in den Ausschuß geschickt. Es geht darum, diese Annexion Südbadens oder Badens überhaupt durch die bösen Schwaben rückgängig zu machen. Darunter stehen eine ganze Menge — ich glaube, über hundert — Unterschriften Ihrer Fraktion, auch eine Unterschrift aus unserer Fraktion.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Warum nicht? Hindert es die CDU-Kollegen aus Baden sehr, daß die „Kommunisten" auch für die Wiederherstellung des Landes Baden sind?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP. — Abg. Metzger: Was sagen Sie nun, Herr Dr. Wuermeling? — Abg. Dr. Wuermeling: Daß es auf die Motive ankommt! — Abg. Metzger: Jawohl, gerade das! — Lachen bei der SPD.)

Doch zum Thema. Der Herr Innenminister möchte uns hier in die seltsame Logik hineinmanövrieren, daß es eine Atomgefahr und die Gefahr des Atomtodes deshalb nicht gebe, weil die Kommunisten sagen, es gebe eine Atomgefahr.

(Zuruf rechts: Reden Sie doch nicht so albern! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das war der Sinn seiner Rede, und das werden Sie wissen, wenn Sie zugehört haben. Wenn man bewiesen habe, daß die Kommunisten auch so etwas wollen, dann brauche man sich mit der Sache selbst nicht mehr zu befassen. Das war der Sinn seiner Ausführungen. Das war seine Logik.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Wie primitiv! Anhaltende Unruhe in der Mitte.)

— Ja, ja — —

(Zurufe von der SPD: Das hat der Herr Innenminister gesagt! — Abg. Rasner: Ist Ihr Soll bald erfüllt?)

— Nein, Sie müssen noch einiges ertragen, Herr Rasner! Ich kann verstehen, daß Sie das alles nicht gern hören.

(Erneuter Zuruf des Abg. Rasner.)

— Das will ich Ihnen sagen. Die Sozialdemokratische Partei spielt und hat in der Bundesrepublik gespielt die Rolle gerade des wirksamsten Kämpfers gegen den Kommunismus. Setzen Sie sich nicht immer aufs hohe Roß, vor allem auch nicht wegen der Zukunft! Gott sei Dank haben wir die Kommunisten nun wirklich in der Bundesrepublik unter Kontrolle. Eine Gefahr von innen ist ernstlich nicht gegeben. Die wäre noch geringer, wenn Sie nicht die Dummheit begangen hätten, eine Sekte in die Illegalität zu schicken.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Aber ob das immer so sein wird, wissen Sie nicht.
1728 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Mommer
Dann sollten Sie sich doch vergegenwärtigen, daß ein Schutzwall gegen den Kommunismus in der ganzen Welt in den demokratischen sozialistischen Parteien gegeben ist.

(Beifall bei der SPD.)

Da, wo es demokratische sozialistische Parteien gibt, die dafür sorgen, daß man auch an die andere Sicherheit denkt, nämlich an die soziale Sicherheit, wo es Parteien gibt, die Sie hier zwingen, vor der Wahl Rentenreformgesetze zu machen, und die dafür sorgen, daß die Verhältnisse in unseren westlichen Demokratien auch sozial erträglich sind, werden die westlichen Demokratien immun gegen die innere Gefahr des Kommunismus, die die größte Gefahr ist.

(Abg. Rasner: Spaak!)

Nicht die Waffen des Kommunismus werden in Zukunft die größte Gefahr sein, sondern die kommunistische ideologische Offensive.

(Abg. Rasner: Deshalb arbeiten wir mit diesen Parteien auch so gut zusammen, Herr Mommer!)

Dann heißt es auch einmal: herunter von dem hohen Roß, meine Herren, auf das auch unser Bundesschatzminister gestern gestiegen ist, als er sagte, wie herrlich weit wir es gebracht haben mit unserer freien Marktwirtschaft. Gut, einverstanden, damit sieht es gut aus. Aber dann blickte er so voller Verachtung und Hochmut auf den anderen Teil Deutschlands herunter.
Ich habe in der vorigen Woche CDU-Redner gehört, die von der Sowjetunion noch sagten, in ein paar Jahren werde sie wegen ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusammenbrechen:

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Das sagt man in der CDU zu einer Zeit, da ein Mr. Allan Dulles, der Bruder des anderen genialen Diplomaten, Dulles, erklärt: Die Zuwachsrate der russischen Volkswirtschaft ist heute seit einigen Jahren größer als die amerikanische. Meine Herren, wir sollten uns wirklich einmal überlegen, wie wir in Zukunft mit den Gefahren fertig werden, die da auf uns zukommen.

(Beifall bei der SPD.)

Und was meinen Sie, wie Sie dann die Sozialdemokratische Partei mit ihrer Verankerung in unserer Arbeiterschaft brauchen! Dann werden wir wieder über solche Äußerungen reden, wie sie dieser Minister hier heute gemacht hat.

(Abg. Rasner: Es werden immer weniger Wähler!)

Ich muß hier auch noch einige andere Argumente aus der Diskussion zurückweisen. Herr Barzel hat sich gefreut — das kann ich verstehen —, daß sich da ein paar Schweizer Sozialdemokraten für die atomare Bewaffnung ausgesprochen haben.

(Abg. Rasner: „Ein paar" ist gut! Der Gewerkschaftsvorsitzende und der Parlamentspräsident! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Nun warten Sie mal. Ich will Ihnen ja jetzt erzählen, wie die Gesamtsituation wirklich ist. Ihr Regierungsblatt, die Neue Zürcher Zeitung,

(Lachen bei der SPD)

bringt am 12. Juni einen Bericht, worin der Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Nationalrat Walter Bringolf, einen Ordnungsruf an zweierlei Leute der sozialistischen Partei der Schweiz erteilt, einmal an die, die Herr Barzel zitiert hat und die da forsch-schweizerisch Atomrüstung machen wollen, und auf der anderen Seite an eine Gruppe, die sich dagegen aufgetan hat, die, bevor sich der Parteivorstand am 21. Juni mit den Dingen befassen wird, in der anderen Richtung sagt: Auf gar keinen Fall Atomwaffen!

(Abg. Rasner: Gibt es da auch Parteidiktatur?)

So ist die wirkliche Situation in der schweizerischen sozialdemokratischen Partei. Diese Partei wird darüber beraten, welche Politik in der Schweiz zu befolgen sei.
Lassen Sie mich diese Gelegenheit ergreifen, um einmal ein Wort über gute Schweizer Ratschläge für unsere deutsche Sicherheit und Wehrpolitik zu sagen. Das ist seit langem ein leidiges Kapitel. Sie können es einfacher haben, Herr Barzel. Halten Sie uns doch z. B. Herrn Goedhard oder auch Herrn Spaak und andere Sozialisten aus den BeneluxLändern entgegen. Sie haben recht, diese Leute sind für atomare Bewaffnung. Sie treten ein für Raketenbasen. Und ich habe einen großen Respekt vor diesen Leuten, wenn sie für sich selbst die Konsequenzen daraus ziehen, daß sie diese Waffen und Raketenbasen, die Atombombenmagnete sind, wie man weiß, für sich selbst haben wollen. Nun, das ist eine ehrliche Haltung. Wenn ich so höre, wie kürzlich ein Herr Bretscher auf einer großen Diskussion in London über Probleme des Disengagement die Schweizer Neutralität und die Verdienste dieser Neutralität preist — wie moralisch das sei —, wenn ich höre, wie er uns empfiehlt, auf keinen Fall, auch nicht um der Wiedervereinigung willen, auf Gedanken des Disengagement einzugehen, nun, dann muß ich sagen, solche Schweizer Stimmen sind unappetitlich für uns.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, die Zeit ist vorgeschritten. In einer solchen Debatte gäbe es so unendlich viel zu sagen. Ich muß auf vieles verzichten, was ich mir vorgenommen hatte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schade!)

— Ja, schön, gut! Das ist ein Stichwort. Da haben Sie etwas angerichtet.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Jetzt muß ich Ihnen nämlich folgendes sagen. Mein Freund Metzger hat schon gesagt: Wir sagen nie — auch draußen nicht, im Osten und im Westen nicht —, daß Sie und daß diese Bundesregierung
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1729
Dr. Mommer
den Krieg wollten, daß Sie Atomwaffen wollten, um damit anzugreifen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na! Na! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir sagen: Es ist unsere Überzeugung, daß Sie dazu doch zu einsichtig sind, daß Sie dazu viel zu genau wissen, was so etwas heute gerade für uns bedeuten würde. Unsere These ist immer die, daß Sie eine Politik machen, die zwar nicht auf den Krieg abzielt, die ihn aber herbeiführt. Das ist unsere politische These.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Da bestehen immerhin einige Unterschiede. Wenn Sie — das hat Herr Metzger schon gesagt — so fair wären, von uns zu sagen, daß wir zwar eine andere Sicherheitspolitik verträten, daß es aber nicht unsere Absicht sei, den Bolschewismus ins Land zu holen, dann könnten wir besser miteinander reden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das sagen wir!)

Wir sagen also, daß es nicht das Ziel Ihrer Politik ist, die Atomwaffen einzusetzen. Eigentlich muß man sagen „nicht mehr". Man braucht nur nachzulesen, was darüber in den Jahren 1950 bis 1952 gesagt worden ist, als man noch an die Stärke glaubte, als man noch meinte, man könne durch NATO und Aufrüstung in der Bundesrepublik stärker werden als die Russen und diese zum Rückzug zwingen, dadurch die Wiedervereinigung erreichen und Osteuropa neu ordnen. Da sah die Sache noch ganz anders aus. Aus jener Periode sind verständlicherweise in dem Bewußtsein bzw. dem Unterbewußtsein einiger unserer Kollegen hier einige Rückstände geblieben. Darf ich zitieren?

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber bitte!)

Herr von Manteuffel-Szoege ist ein Mann, der gerade auch meine persönliche Hochachtung genießt. Aber Sie entsinnen sich, was er hier gesagt hat, als wir über die atomare Bewaffnung sprachen. Jawohl. sagte er, die Atombomben muß man gegen das Böse auch einsetzen. Das war doch wohl seine Formulierung. Oder sollen wir es wörtlich aus dem Protokoll heraussuchen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat etwas anderes gesagt! — Gegenruf von der SPD: „Das Böse ausrotten", hat er gesagt!)

Bei Ihnen sitzt da ein großer Atomexperte, der Herr Pascual Jordan, der Professor, der in seinen Schriften

(Zuruf von der SPD: Der Maulwurf!)

— der Maulwurf, jawohl! — sagt, man könne sich sehr wohl vorstellen, daß die Menschheit in Zukunft auch einmal fünf Jahre unter der Erde lebe, his sich der Atomgestank da oben verzogen habe. Er sagt: Nun, was macht es schon, wenn durch einen Atomkrieg die Menschheit auf ein Tausendstel reduziert wird? Zweitausend Jahre später ist das von denen, die übrigblieben, wieder aufgeholt. Ja, was würden Sie machen, wenn in der SPD-
Fraktion jemand etwas Ähnliches oder Vergleichbares geschrieben hätte?

(Beifall bei der SPD.)

Ich will Ihnen sagen, was Sie gemacht haben. Sie haben, um ein Gegengewicht gegen die Göttinger zu haben, diesen Mann mit diesen Schriften, mit diesen Auffassungen, in dieses Hohe Haus geholt. Das haben Sie getan.
Und schließlich noch eins, meine Damen und Herren. Dieser Tage sind wir alle ein wenig entsetzt gewesen. Da ist noch ein Kollege, der unsere Hochschätzung, in diesem Fall sogar unsere ganz besondere sozialdemokratische Hochschätzung genießt. Das ist der Professor B ö h m.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Sehr schlimm? Nein, das ist sehr ehrenvoll für Professor Böhm, Herr Bundesfamilienminister, das ist sehr ehrenvoll für ihn. Denn dieser Mann hat Mut bewiesen, auch in Ihrer Fraktion. Ja, wenn es ein Abkommen über die Wiedergutmachung mit Israel gibt, so ist das weitgehend sein Verdienst. Schon deswegen, wegen dieses Mutes und wegen dieser Leistung, genießt er unsere Hochschätzung. Aber was ist da passiert? Auf einer Versammlung in Frankfurt, wo unser Kollege Böhm — —

(Zurufe von der CDU/CSU: Sie sollten gleich die Berichtigung vorlesen!)

- Ich lese jetzt vor aus dem „Stadtanzeiger", zitiert in der „Welt", und da heißt es:

(Abg. Majonica: Lange dementiert!)

Wir haben es nicht für möglich gehalten; aber niemand, den wir fragten, wagte, es zu Jementieren.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Gut, kommen Sie gleich rauf mit dem Dementi von Professor Böhm.

(Abg. Majonica: Das Dementi hat in der Zeitung gestanden!)

— Mir ist es nicht vor die Augen gekommen.

(Abg. Majonica: Dann müssen Sie die Zeitungen lesen!)

— Ich lese die Zeitungen, Herr Majonica. Die habe ich morgens schon gelesen, wenn Sie aufstehen.

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Majonica: Dann lesen Sie die falschen Zeitungen, Herr Mommer!)

— Nun hören Sie mal zu.

(Abg. Majonica: Das hat vorgestern in der „Welt" gestanden! — Anhaltende Zurufe der CDU/CSU.)

Ich will gar nichts Böses über Professor Böhm sagen. Ich hatte die Absicht, folgendes zu sagen. Was Herr Böhm da gesagt hat,

(Zurufe von der CDU/CSU: Das hat er doch nicht gesagt!)

1730 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Mommer
das muß ganz besonderen Umständen zuzuschreiben sein. In ruhiger Überlegung würde er das sicher nicht sagen.

(Abg. Schmücker: Da weiß er ganz genau, daß das nicht stimmt!)

— Darf ich bitten, mir schnell das Dementi raufzureichen. Dann verlese ich das Dementi. Mir liegt an der Fairneß, gerade wenn es darum geht, sich mit einem Mann wie Professor Böhm auseinanderzusetzen. Ich habe ein paar Tage hintereinander diese Sache verfolgt — —

(Abg. Dr. Menzel überreicht dem Redner eine Zeitung. — Abg. Majonica: Tief Luft holen, nachdenken, und dann weiter! — Abg. Dr. Menzel: Ja, wir denken erst nach!)

Meine letzten an ihre persönliche Adresse gerichteten Sätze sind das einzige, was in diesem ganzen Bericht richtig wiedergegeben ist. Der Bericht zeigt, daß ich die Herren ganz zutreffend beurteilt habe.
Und vorher heißt es:
Gleich nach den ersten Sätzen der Herren war mir klar, daß ich nicht Studenten vor mir hatte, denen es um die Sache ging, sondern ein versiertes Team von Funktionären, ganz offensichtlich aus der Ecke des Ohne-mich-Nationalismus, mit antiamerikanischen Ressentiments, die darauf abzielten, Worte zu verdrehen und Brunnen zu vergiften. Man kann nichts daran ändern, daß es unter Politikern solche hartgesottenen Taktiker gibt. Ich glaubte aber Studenten vor mir zu haben, und bei jungen Menschen empört mich ein solcher Kaltsinn und ein solches Verdrehen der moralischen Gewichte und der Wahrheit. In dieser Empörung habe ich ihnen gesagt, was ich von einer solchen politischen Heuchelei und ihren Trägern halte.
Jetzt habe ich wohl den entscheidenden Absatz zitiert. Ich sehe da kein Dementi dessen, was ich jetzt einmal aus der Darstellung des Kölner Stadtanzeigers zitieren muß.

(Abg. Dr. Hellwig: Das ist Ihre Wertschätzung! — Abg. Majonica: Ich freue mich, daß ich sie nicht besitze! —Zuruf von der CDU/ CSU: Unappetitlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich sehe in diesem Dementi keine Stelle, die sich auf das bezieht, was hier gesagt worden ist. Da ist etwas über das Thema gesagt, das uns heute angeht — darum bin ich auf diese Sache doch nur zu sprechen gekommen —, nämlich über das Thema der Atomwaffen und der Atomwaffenverwendung. Ist es richtig oder ist es nicht richtig — das ist hier nicht dementiert —, daß Professor Böhm den Einsatz der Atombomben gegen ein verbrecherisches Volk gebilligt hat? Das müßte einmal klargestellt werden,

(Abg. Schmücker: Wenn Sie Herrn Böhm so schätzen, warum haben Sie dann nicht mit ihm gesprochen?)

und dann wollen wir weiter mit ihm darüber reden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind Methoden!)

Ich freue mich ja darüber, wenn es nicht gesagt worden ist

(Zuruf von der CDU/CSU: Freuen Sie sich, es ist nicht gesagt worden!)

und hier statt dreier Kollegen zwei dastehen, die sich zur Anwendung der Atombombe bekennen, nämlich unser Kollege Manteuffel-Szoege und der Kollege Pascual Jordan. Die bleiben stehen, und ich sehe,

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

wie das aus dem Unterbewußten hervorquillt und wie das, was man mit klarem Verstand gar nicht sagen und billigen kann, dann doch noch brodelt: die Gewaltanwendung und die Anwendung auch der schrecklichsten Waffen.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Barzel sprach von Mut. Mutig haben Sie gekämpft und das Volk für sich gewonnen. Nur über die atomare Bewaffnung haben Sie möglichst nicht gesprochen, und gerade da hätten Sie Gelegenheit gehabt,

(Zurufe von der Mitte)

Mut zu beweisen, und Sie haben die Gelegenheit jetzt wieder.

(Zuruf von der CDU/CSU: Halten Sie sich doch auch ans Thema; er hat sich auch daran gehalten!)

Sie hätten im vorigen Herbst die Möglichkeit gehabt, mutig vor das Volk zu treten, wenn Sie der inneren Überzeugung gewesen wären, daß atomare Waffen in diesem geteilten Lande notwendig seien, um die Freiheit diesseits der Atomkriegsgrenze zu bewahren. Wenn Sie dieser inneren Überzeugung wären, dann hätten Sie vor dieses Volk treten müssen und hätten sagen müssen: Wollt ihr die Freiheit behalten? Wenn ihr sie wollt, dann müßt ihr uns zustimmen, dann müßt ihr uns das Mandat zur atomaren Bewaffnung geben. So tritt ein mutiger Demokrat vor sein Volk.
Es gibt einen noch lebenden Staatsmann

(Zurufe von der CDU/CSU)

— ja, einen Staatsmann —, der trat vor sein Volk und versprach nichts anderes als Blut und Tränen, wenn man die Freiheit bewahren wolle.

(Erneute Zurufe von der Mitte.)

Diesen Mut haben Sie nicht bewiesen. Sie haben gekniffen, Sie haben gelistet und das Volk in der Frage der atomaren Aufrüstung hintergangen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Stürmische Gegenrufe von den Regierungsparteien.)

Hier haben Sie eine zweite Gelegenheit, Mut zu beweisen. Wenn Sie der Meinung sind, daß die atomare Bewaffnung unvermeidlich notwendig für
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1711
Dr. Mommer
unsere Fortexistenz ist, dann stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu und verfechten Sie Ihre Sache vor dem Volk!

(Beifall hei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Das tun wir.)

Beweisen Sie ihm Ihre These, und dann müssen Sie ja eine Mehrheit bekommen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Darauf können Sie sich verlassen! — 1961, Herr Mommer! — Anhaltende Zurufe von den Regierungsparteien. — Gegenrufe von der SPD.)

Aber dieser Mut fehlt Ihnen wieder. Sie kneifen auch diesmal, und es zeigt sich wieder einmal, daß Machtpolitik — besonders atomare Machtpolitik — nur schwer mit Demokratie vereinbar ist.

(Lebhafter Beifall hei der SPD. - Unruhe.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0303102200
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303102300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verkürze ungern die Möglichkeit meiner politischen Freunde, in dieser Debatte ihre Auffassung in aller Gründlichkeit vorzutragen; aber ich werde hier auf das Podium gerufen durch den geradezu unerhörten Angriff,

(lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien — Stürmische Gegenrufe von der SPD — Abg. Rasner: Das war kein Angriff, das war Pöbelei!)

den sich Herr Mommer gegen den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland geleistet hat.

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Buh-Rufe bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, Herr Mommer hat den schlechten Geschmack bewiesen, dem Sinn nach zu sagen, der Herr Bundeskanzler sei im gesamtdeutschen Sinne unzuverlässig.

(Abg. Dr. Mommer: Jawohl, das ist sehr richtig, dazu stehe ich! — Erregte Zurufe von der CDU/CSU. — Große Unruhe.)

— Herr Mommer bekennt sich dazu.

(Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien: Pfui! — Pfui Teufel! — Abg. Dr. Wuermeling: Schmutzige Verleumdung! — Gegenrufe von der SPD.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0303102400
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303102500
Meine Damen und Herren, wenn dies der Angriff auf einen einzelnen Mann wäre, könnte man ihn vielleicht sogar mit Achselzucken auf seinen Urhebern sitzen lassen. Dies ist aber ein Angriff auf die legale Regierung dieses Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Auf den „Führer"!)

Dies ist ein Angriff auf eine Regierung, die das von ihr mitgeschaffene Grundgesetz beschworen hat. Vielleicht bringe ich Ihnen einmal in Ihr Gedächtnis — das offenbar etwas kurz ist —, was in der Präambel zu diesem Grundgesetz steht.

(Zurufe von der SPD.) Da steht zu lesen:

Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Sie haben die Stirn, meine Damen und Herren, einer Regierung, die auf dieses Grundgesetz vereidigt ist, die gesamtdeutsche Zuverlässigkeit abzusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU. Zuruf von der SPD: Aber Sie können sich Ihre Verleumdungen leisten! —Abg. Lange [Essen]: Sind Sie der Meinung, daß Ihre Regierungspolitik mit dem Grundgesetz übereinstimmt? — Weitere Zurufe.)

Meine Damen und Herren, der Vorwurf der nationalen Unzuverlässigkeit ist mit das Niedrigste, was in einem Parlament erhoben werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

Ich weise diesen Vorwurf auf die Bundesregierung und den Bundeskanzler mit allem Nachdruck zurück.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Lange [Essen]: Herr Schröder, haben Sie die Reden von Adenauer vergessen? — Weitere Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, Sie sollten nicht gegen jeden von uns — —

(Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Lange [Essen] : Sie sollten sich schämen, Herr Schröder! — Glocke des Präsidenten.)

— Es handelt sich um Ihre Sätze, nicht um meine.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, Sie polemisieren hier gegen Reden, die Sie lieber hätten anhören sollen. Wenn Sie meine Rede, die Ihnen im Protokoll zur Verfügung steht, nachlesen, dann werden Sie sehen, daß sie nichts von dem enthält, was hier drüben jemand aus den Reihen der Jungdemokraten — —

(Abg. Dr. Arndt: „Jemand"?! Sie Lümmel!) — Ich wehre mich dagegen — —


(Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0303102600
Einen Augenblick, Herr Bundesminister.
1732 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Vizepräsident Dr. Preusker
Meine Damen und Herren, ich bitte urn Ruhe. Es geht zweifellos um ein sehr erregendes und aufregendes Thema. Ich bitte trotzdem, die Auseinandersetzung, die sicher auf beiden Seiten mit der Schärfe des Wortes geführt wird, in Ruhe und Ordnung anzuhören. Es hat jeder die Möglichkeit, sich hinterher zu den Argumenten des Gegners zu Wort zu melden und dazu Stellung zu nehmen.
Bitte, lassen Sie den Herrn Bundesminister jetzt fortfahren!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303102700
Meine Damen und Herren, ich wehre mich dagegen, daß dort von dem Kollegen Dürr wenn ich nicht irre, dem Vorsitzenden der Jungdemokraten, wie ich gerade im Handbuch gesehen habe,

(Aha-Rufe von der SPD)

— lassen Sie mich zu Ende sprechen! —, der Vorwurf erhoben wird, wir machten unwürdige Unterstellungen gegen die SPD, und daß er eine Art Ehrenerklärung für die SPD glaubt abgeben zu müssen. Die SPD mag sich selbst überlegen, ob sie das nötig zu haben glaubt.
Aber dann kommt Herr Kollege Mommer her und wirft mir nach dieser unerhörten Serie von Angriffen, die zunächst der Herr Kollege Metzger gestartet hatte, vor, ich vergösse hier Krokodilstränen um das Grundgesetz. In demselben Atemzug wird gesagt, es sei eine Dummheit, eine verfassungswidrige Partei in die Illegalität zu treiben. Herr Kollege Mommer,

(Zurufe von der SPD: Das hat er nicht gesagt! — Abg. Dr. Menzel: Eine Serie von Dummheiten!)

das sind dieselben Leute, die das Nichteinhalten der Verfassung glauben kritisieren zu können. Die KP ist eine illegale Partei gewesen, eine verfassungswidrige Partei.

(Abg. Dr. Menzel: Ihr Amtsvorgänger war ganz anderer Meinung!)

Dann machen Sie sich bitte die Mühe, wenn Sie mich kritisieren, den Art. 21 des Grundgesetzes zu lesen, was da über verfassungswidrige Parteien steht, und bezeichnen Sie nicht einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts als eine Dummheit, durch die eine Partei in die Illegalität gedrängt worden sei!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Sie haben hier im Grunde gegen zwei Reden oder Aufsätze von mir polemisiert. Beide liegen Ihnen im Wortlaut vor. Der Aufsatz, den ich gestern im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht habe, ist weit davon entfernt, parteipolitische Propaganda darzustellen.

(Gelächter und Zurufe von der SPD.)

Das kann nur jemand sagen, der ihn nicht von Anfang bis Ende gelesen hat. Ich bin berechtigt und verpflichtet, den Scheinwerfer auf die sehr gefährliche, ich sage das offen, die sehr gefährliche Entschließung zu richten, die Sie auf Ihrem Parteitag in Stuttgart gefaßt haben.

(Abg. Lange [Essen]: Für wen gefährlich?)

Das hat mit Parteipolitik überhaupt nichts zu tun.

(Zurufe von der SPD.)

— Hoffentlich wissen Sie überhaupt, von welcher Entschließung ich spreche, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. Zurufe links.)

Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es ein Verbrechen wäre — ich gehe so weit, dies zu sagen —, die Wiedervereinigungsfrage mit parteipolitischen Akzenten zu versehen. Dagegen wehre ich mich. Leider ist das in der Entschließung geschehen, die Sie dort gefaßt haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich doch die Mühe machten, meine sehr sorgfältig erwogenen Ausführungen darüber zu lesen.

(Zurufe von der SPD.)

Dann kommen wir vielleicht dazu, sie zu diskutieren, und dann werden Sie einsehen, daß hinter diesen Ausführungen die ganz, ganz große Sorge steckt, die mich treibt, daß wir dieses Anliegen, das wir überhaupt nur gemeinsam und nicht durch eine Kapitulation in Raten erreichen können, dadurch kaputtmachen und gefährden, daß wir es parteipolitisch akzentuieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Seume: Nachdem Sie es zehn Jahre vernachlässigt haben!)

Sie haben zweitens gegen meine Rede polemisiert. Zu meinem Bedauern muß ich feststellen, daß Sie diese Rede gar nicht gehört haben. Ich war vorhin erst beim dritten oder vierten Satz, da glaubten Sie schon den ganzen Inhalt der Rede zu kennen.

(Widerspruch von der SPD. — Abg. Heiland: Sind Sie aber hellseherisch begabt!)

— Hellseherische Begabung, Herr Kollege Heiland, ist eine großartige Sache. Ich habe sie nicht. Sollte sie in Ihren Reihen stärker verbreitet sein, kann ich nur sagen: herzlichen Glückwunsch!

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Es mag sein, Herr Kollege Mommer, daß Sie die Rede ganz gehört haben; das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich bitte die anderen, die dann in dieser harten Weise polemisieren, sie einmal Wort für Wort nachzulesen. Seien Sie sicher, sie ist Wort für Wort sehr sorgfältig überlegt.

(Abg. Wittrock: Sie haben mit Ihrer Rede einen großen Teil des deutschen Volkes diffamiert!)

- Das kann nur jemand sagen, Herr Kollege Wittrock, der sie nicht gehört hat, auf dem Flur konnten Sie sie nicht hören.

(Abg. Wittrock: Ich habe sie draußen gehört!)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1733
Bundesminister Dr. Schröder
Darin steht, daß wir jede Auseinandersetzung in den Formen der parlamentarischen Demokratie, die bei uns eine repräsentative Prägung hat, ertragen können und ertragen müssen, daß aber das Allergefährlichste, was es für ein Staatswesen gibt, das gerade erst dabei ist, sich in einer ungeheuer gefährdeten Welt einigermaßen zu stabilisieren, ist, von den geschriebenen Formen des Rechts abzuweichen. Soll ich in diesem Augenblick noch einmal den Blick auf unser Nachbarland richten? Meine Damen und Herren, wenn es erst gelungen ist, durch außerparlamentarische Aktionen die Autorität des gewählten Parlaments zu zerstören, dann ruft das Volk nach neuen Autoritäten; das haben wir gerade erlebt.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Kollege Mommer hat sich zu der Formulierung verstiegen, die CDU lebe im Machtrausch — er meinte wohlgemerkt nicht im Parteimachtrausch, sondern im nationalen Machtrausch —, und Westdeutschland sollte nach unserem Willen atomare Großmacht werden. Ich weiß nicht, worauf Herr Mommer eine solche Auffassung glaubt stützen zu können.

(Zuruf von der Mitte: Eine Behauptung! — Abg. Dr. Mommer: Ich bin seit neun Jahren hier!)

— Die neun Jahre, Herr Kollege Mommer, sollten Ihnen einen wesentlich bescheideneren Eindruck von den deutschen Möglichkeiten und den deutschen Ambitionen vermittelt haben.

(Abg. Schmidt [Hamburg] : Den sollten Sie haben!)

Das deutsche Volk ist noch nie in seiner Geschichte so schwer geschlagen gewesen wie wir 1945.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich sage Ihnen sehr offen, daß ich häufig darüber nachdenke, ob wir überhaupt in der Lage sind, die Doppelaufgabe zu erfüllen, die uns in unserer Zeit vom Schicksal gestellt ist, hier einen parlamentarisch-demokratischen Staat zu etablieren und zu festigen — das hat es nämlich, wie Sie vielleicht wissen, in Deutschland mit Festigkeit noch nicht gegeben — und gleichzeitig trotz eines Vielparteienstaates, trotz des ungeheuren Parteihaders, der natürlich seine hohen Wogen auch in dieses Haus wirft, das Maß von Einigkeit und Festigkeit aufzubringen, das für die Lösung der nationalen Schicksalsaufgabe — nämlich Deutschland seine alte Gestalt wiederzugeben — erforderlich ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich sage Ihnen nochmals: diesem Ziel werden Sie nicht dadurch dienen, daß Sie uns vorwerfen, wir täuschten das Volk, wir begingen Untreue an Steuergeldern, wir begingen Betrug, sondern dieser Aufgabe werden Sie bei aller Notwendigkeit parteipolitischer Auseinandersetzungen nur dienen können, wenn Sie sich auf jenes Minimum nationaler
Gemeinsamkeit mit uns nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis zusammenfinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Das wollen Sie nicht!)

Dazu gehört eins: das ist die Nichtgefährdung der parlamentarischen Demokratie, das ist die Stabilisierung des Grundgesetzes, das wir zu verteidigen haben, und das ist die Nichtzerstörung der Ausgangsposition.
Ich sage Ihnen noch einmal: lassen Sie sich in eine Kampagne ein, deren Generalstabsplan in anderen Köpfen längst vorgedacht ist, lassen Sie sich in eine solche Kampagne verstricken, dann dienen Sie nicht dem Ziele der Stabilisierung der deutschen Ausgangsposition, die die einzige — die einzige! — Hoffnung aller Deutschen ist. Deswegen schließe ich damit, daß ich Ihnen sage: lassen Sie ab von der Volksbefragungskampagne!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303102800
Meine Damen und Herren, auf der Rednerliste steht unter anderem der Abgeordnete Metzger. Soll das eine Erklärung nach § 36 oder nach § 35 oder zur Sache sein?

(Abg. Metzger: Ich kann Ihnen jetzt nicht genau sagen, welcher Paragraph in Frage kommt; es ist nur eine Erklärung!)

— Eine Erklärung nach § 35 gibt es nur nach Schluß der Beratung. Eine Erklärung nach § 36 muß vorher schriftlich fixiert sein. Es stehen nämlich noch andere Herren auf der Rednerliste. Deswegen muß ich das klarstellen.

(Zuruf von der Mitte: Die Geschäftsordnung muß man doch kennen!)

— Bitte, meine Herren, regen Sie sich nicht auf,
denken Sie an die Gefahr von Kreislaufstörungen!

(Abg. Metzger: Zur Sache!)

— Gut, dann haben Sie das Wort zur Sache.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0303102900
Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie können ganz froh sein, daß ich diese Erklärung abgebe, und Sie brauchen sich nicht darüber aufzuregen. Mir ist vorhin nach meiner Rede von Herrn Staatssekretär Dr. Steinmetz gesagt worden, daß, als diese Maulkorbverfügung des Bundespostministeriums hinausging, der Herr Bundespostminister Stücklen nicht anwesend gewesen ist. Ich erkläre deshalb, daß die Vorwürfe, die ich in dieser Richtung erhoben habe, sich nicht gegen den Herrn Bundespostminister selbst richten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303103000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zimmermann.

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID0303103100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß der Herr Kollege Metzger diese Erklärung abgegeben hat. Ich darf die Darstellung des Sachverhalts noch ein wenig ergänzen. Der Herr
1734 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Zimmermann
Bundespostminister hat veranlaßt, daß diese Anordnung revidiert wurde. Die neue Fassung hat dann die einstimmige Zustimmung des Hauptpersonalrates der Bundespost gefunden. Es wäre also gut gewesen, wenn sich der Abgeordnete Metzger vorher vergewissert hätte, bevor er einen so scharfen Angriff auf den Bundespostminister startete.
Ich möchte jetzt aber noch auf einige seiner Argumente eingehen. Er hat zur strategischen Lage erklärt, es sei einfach nicht wahr, daß eine Abschreckung auch hier nötig sei; was an atomaren Waffen vorhanden sei, genüge vollständig.

(Unruhe.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303103200
Ich bitte, sich nicht so laut zu unterhalten, damit der Redner zu Gehör kommen kann.

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID0303103300
Er hat also gemeint, das, was an atomaren Waffen vorhanden sei, genüge vollständig. Nun, ich finde es einfach immer wieder phantastisch, mit welcher grenzenlosen Naivität die SPD über die amerikanische Außenpolitik urteilt. Sie tut so, als wäre es uns möglich, den Amerikanern zu sagen: Das müßt ihr so machen, das dürft ihr nicht tun, und ihr seid natürlich für unsere Sicherheit verantwortlich. Es ist besonders hübsch, wenn das eine Partei tut, die in den letzten Jahren aber auch alles, was ihr nur möglich war, getan hat, um die Bündnisverträge, die die Bundesregierung mit Billigung der Mehrheit des Hauses auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika geschlossen hat, zu attakieren; sie hat sie stets in diesem Hause abgelehnt.
In dem inkriminierten Wehrgutachten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands findet sich der Satz: Solange diese Ziele — die Abrüstung und andere — noch nicht erreicht sind, besteht die einzige Sicherheit für den freien Teil des deutschen Volkes in einem militärisch ausgewogenen Kräfteverhältnis zwischen Ost und West. Ich glaube, niemand in diesem Hause — auch niemand von der Opposition — wird sagen können, daß dieses Kräfteverhältnis heute ausgewogen sei. Sie kennen genauso gut wie wir die grandiose Überlegenheit auf dem Gebiet der konventionellen Streitkräfte jenseits des Eisernen Vorhanges, wo allein in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands heute so viele sowjetische Divisionen wie Nordatlantik-Streitkräfte in Mitteleuropa stehen, während daneben und dahinter schon in den ersten 48 Stunden das Vierfache von dem an Divisionen verfügbar ist, was heute zum Schutz dieses Europas von den NATO-Streitkräften in Mitteleuropa gestellt wird. Es ist also keineswegs ein ausgewogenes Verhältnis vorhanden. Genau das führt die NATO, die Politik der Bundesregierung und die Politik der Mehrheit dieses Hauses zu der Konsequenz, daß mit allen Mitteln die Überrollung dieses europäischen Teils durch einen potentiellen Gegner verhindert werden muß.

(Zuruf von der SPD: Glauben Sie denn, zu diesem Ausgleich zu kommen?)

Nachdem die deutsche Sozialdemokratie in den letzten Jahren verzweifelt nach einer Wehrkonzeption gesucht hat und auf die Frage, welches denn ihre wehrpolitische Konzeption sei, immer wieder die Antwort schuldig bleiben mußte, hat sie jetzt in Stuttgart eine solche Konzeption entwickelt. Dort ist gesagt worden, es genüge, wenn ein Freiwilligenheer in der Bundesrepublik Deutschland so stark sei, daß es möglichen Streitkräften aus der sovv jetisch besetzten Zone gewachsen sei. Daraus spricht wieder die grenzenlose Naivität in dem politisch-strategischen Denken der deutschen Sozialdemokratie. Es ist doch gar keine Frage, daß es darum nicht geht. Vielmehr geht es darum, daß jenseits des Eisernen Vorhanges eine aggressive und totalitäre Macht steht, die die Bedrohung aus der sowjetisch besetzten Zone durch deren Streitkräfte durch das Gesamtpotential vervielfacht, das sie auf einer Frontlänge von 1500 km stehen hat.
Man kann eben nicht immer nur auf den allerschwersten und allerletzten Fall abstellen, wie Sie es ständig tun, wenn Sie sagen: Es gibt schon genug Atomwaffen auf der westlichen Seite, und diese Atomwaffen sind ja dazu da, uns in Europa zu schützen. Ich empfehle Ihnen sehr, daß Sie einmal die Ausführungen lesen, die Henry Kissinger zu diesem Thema gemacht hat, der noch nicht die offizielle amerikanische Auffassung und auch nicht eine offiziöse, aber immerhin eine Auffassung wiedergibt, die einmal die Auffassung der Vereinigten Staaten von Amerika sein könnte. Da steht über die Abhängigkeit Europas von den Vereinigten Staaten folgendes:
Bei der Errichtung von Raketenbasen auf dem europäischen Kontinent geht es in Wahrheit um ein ganz anderes Problem. Sie werden nicht für die Verteidigung Amerikas, sondern für die Verteidigung Europas benötigt. Wesentlich sind sie eben deshalb, weil die Europäer sich sträuben, sie zu akzeptieren. Denn je schneller und vernichtender die Geschosse werden, um so mehr wird jedes Land sich sträuben, seine eigene Existenz für irgend etwas anderes aufs Spiel zu setzen als die Abwehr einer unmittelbaren Bedrohung seines Weiterlebens. Wie Europa sich sträubt, an einem totalen Krieg für die Verteidigung der USA teilzunehmen,
— und jetzt sagt Kissinger in Klammern: „das wäre der einzige vernünftige Grund für die Ablehnung der Raketenrampen" —
so wird auch Amerika sich sträuben, für die Verteidigung Europas die totale Zerstörung des eigenen Landes zu riskieren. Unsere NATO-Verbündeten sollten sich durchaus angespornt fühlen, an der Entwicklung einer Strategie mitzuwirken, welche die Vereinigten Staaten nicht zwingt, zwischen auf der einen Seite dem totalen Krieg und auf der anderen Seite der Passivität bei der Verteidigung Europas zu wählen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daraus geht nicht mehr und nicht weniger hervor als die Tatsache, daß man nicht hier im Deutschen Bundestag und nicht bei den Sozialdemokraten in Stuttgart eine Politik machen kann, die das unberücksichtig
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1735
Zimmermann
läßt, was die Vereinigten Staaten zu tun in der Lage sind, und daß man hier nicht nach Wünschen, sondern nach den Realitäten der amerikanischen Verteidigungspolitik sich zu richten haben wird.
Wir haben in den letzten Tagen in einer großen deutschen Wochenzeitung Berichte über die Reise gelesen, die Carl Friedrich von Weizsäcker nach den Vereinigten Staaten unternommen hat. Carl Friedrich von Weizsäcker, einer der Initiatoren des Göttinger Manifests und ein Mann, dessen überragende geistige und wissenschaftliche Fähigkeiten sicherlich im ganzen Hause uneingeschränkt anerkannt werden, hat in einer sehr sorgfältigen Studie über das Thema: „Mit der Atombombe leben" seine Erkenntnisse und eine kritische Analyse aus diesem langen Amerikabesuch veröffentlicht. Er sagt darin unerhört bemerkenswerte Dinge, die jetzt auszuführen zu weit führen würde.. Aber ich möchte einen seiner Kernsätze anführen, der sich eben um die Abstufungen möglicher Auseinandersetzungen dreht, also das Wort von der „proportionalen Verteidigung" wiederaufnimmt, über die wir in diesem Jahre schon mehrfach diskutiert haben. Er sagt darin folgendes:
Das Ziel der abgestuften Abschreckung ist nicht, wenigstens begrenzte Kriege wieder möglich zu machen, sondern umgekehrt: auch begrenzte Gewaltakte aussichtslos, also auch begrenzte Kriege äußerst unwahrscheinlich zu machen. Die abgestufte Abschreckung will das Patt von den großen Waffen auch auf die kleineren Waffen ausdehnen. Dadurch will sie die immer höher steigende Schraube von Rüstung und Gegenrüstung zum Stehen bringen, um dann beginnen zu können, sie wieder rückwärts zu drehen.
Das ist genau das Gegenteil von der verhängnisvollen Alternative, die auf der Seite der SPD immer lautet: Die Atomwand der Vereinigten Staaten von Amerika muß auf jeden Fall dasein, wenn hier etwas passiert. Der Kollege Erler hat in Stuttgart gesagt, die Verteidigungskraft der Bundesrepublik Deutschland müsse dazu in der Lage sein, bei einer eventuellen Aggression diese Aggression für die ganze Welt sichtbar zu machen. Wir wollen nicht einen dieser beiden Wege ais für uns verbindlich gehen; die Amerikaner werden es nicht tun, daß sie bei jeder möglichen Auseinandersetzung den totalen Krieg mit allen seinen Folgen, den letzten H-Bombenschlag mit allen seinen Folgen heraufbeschwören und damit die ganze Welt zum Untergang verurteilen; und uns auf der anderen Seite würde es gar nichts nützen, wenn wir nach einer erfolgten Aggression diese sichtbar machten, nachdem wir bereits überrollt sind.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Deswegen muß — das ist die bittere, aber klare Konsequenz dieser abgestuften Verteidigung — in jedem Teil der westlichen Welt und an jeder Stelle dieser westlichen Welt eine Abschreckungswirkung vorhanden sein, die den letzten totalen Schlag verhindert. Daraus folgt die defensive Konzeption, die aber gleichfalls für den möglichen Aggressor ein
Risiko enthält, das zu tragen er nicht gewillt sein
kann.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das ist diese abgestufte, proportionale Verteidigung, um die es hier geht. Aber, meine Herren von der Sozialdemokratie, Ihnen ist heute noch immer nicht die Konzeption der NATO klar, und Sie wollen auch gar nicht, daß sie ihnen klar wird. Es geht für Sie bei dieser Frage wieder nur darum, zum x-ten Male zu versuchen, die Wähler hinter sich zu bringen, wie das auf Ihrem Parteitag in Stuttgart ja unzweideutig ausgesprochen worden ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Nachdem hier von Herrn Metzger und auch von Herrn Dr. Mommer so häufig zitiert worden ist, daß das geistige Deutschland jetzt endlich hinter diesen Aktionen der SPD stehe, möchte ich Ihnen, in einer Parallele zu dem, was der Herr Bundesinnenminister vorgetragen hat, ein paar Stellen aus der Zeitschrift „Die Kultur" mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Diese Zeitschrift läßt es sich angelegen sein, eben dieses geistige Deutschland unterzeichnen zu lassen, darunter viele Sozialdemokraten, und sie holt auch Stellungnahmen und Begründungen dieses geistigen Deutschlands zu diesen Schritten ein. Da kann man nun von dem bekannten Schriftsteller Albert Vigoleis Thelen folgendes als Begründung für seine Unterschrift lesen:
Ich halte nicht nur die atomare Bewaffnung der Bundeswehr für verwerflich, sondern die Bundeswehr selbst, mit der man ebenso aufräumen sollte wie mit jeder anderen militärischen Ordnung.
An einer anderen Stelle ist die Rede von der „sich christlich nennenden Regierungspartei". Dazu Thelen:
Das halte ich für eine unlautere Machenschaft, weil es bei arglosen Lesern den Eindruck erweckt, das Christentum sei eine Gewähr für friedfertige Gesinnung. Dabei feiert gerade im Christentum die Verlogenheit unserer Kultur einen hohen Triumph.

(Pfui-Rufe bei der CDU/CSU.)

Das ist ein Vertreter des „geistigen Deutsch-
lands". Ein anderer, der Schriftsteller Martin Kessel, versteigt sich zu folgendem. Er schreibt:
Die Zeit wird kommen, wo es heißt: Sterben müssen wir alle mal, also ist es auch wurscht, ob etwas früher oder später. Und dann wird auch ein Kardinal auftauchen, der das Ruhrgebiet segnet, und die Idiotenbande wird niederknien und beten, bis der ganze Stumpfsinn verbrennt.

(Erneute Pfui-Rufe bei der CDU/CSU.)

Das sind die Begründungen von Leuten, die sich
als das „geistige Deutschland" bezeichnen

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

und hier ihre Stellungnahme gegen die atomare
Bewaffnung begründen. Wir kennen diese Vertreter des geistigen Deutschlands! Dazu kann ich nur
1736 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Zimmermann
sagen: Meine Herren von der SPD, es tut mir in der Seele weh, wenn ich euch in der Gesellschaft seh!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn was hier zu lesen steht, leider in einer Vielzahl von Zuschriften mit diesen Begründungen zu lesen steht, ist der Ausdruck eines alles niederzerrenden Nihilismus. Das sind Leute, die den Staat als Ordnungszelle überhaupt ablehnen und ihn niederreißen wollen, wo sie ihn sehen, insonderheit natürlich diesen Staat, der für sie das Unglück hat, von einer christlich-demokratischen Mehrheit und Regierung geführt zu werden.
Aber wenn schon die SPD glaubte ausziehen zu müssen, als der Herr Bundesinnenminister eine ganz nüchterne und kühle Analyse des Hintergrundes gab, so. ist auf der andern Seite die CDU/CSU keineswegs ausgezogen, als Herr Kollege Mommer mehrfach die Politik der Regierung und ihre Absichten mit Goebbels und mit Hitler verglich. Ich möchte einmal fragen, ob er sich die Mühe genommen hat, nachzulesen, welche Summen Herr Goebbels damals für sein Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda auszugeben in der Lage war, und das mit den bescheidenen Mitteln zu vergleichen, die das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung — ich glaube: legitim hat, um der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, Ihre Politik verständlich zu machen und zu vertreten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303103400
Gestatten Sie eine 31 Zwischenfrage? —

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID0303103500
Bitte!

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0303103600
Herr Kollege Zimmermann, ist Ihnen aus den Unterlagen des Haushaltsausschusses, die Sie ja jederzeit einsehen können, und auch aus den bisher schon gedruckten Haushaltsplänen bekannt, daß der Stellenplan des Bundespresse-und Informationsamtes mehr Bedienstete enthält, als es seinerzeit sogar im Goebhelsschen Propagandaministerium gegeben hat?

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID0303103700
Sehr verehrter Herr Kollege Erler, auf den Stellenplan kommt es leider gar nicht an. Herr Goebbels hatte 500 Millionen RM im Jahr in seinem Etat, und das Bundespresse- und Informationsamt hat davon 2 %. Das ist die Wahrheit, und darauf kommt es an.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, die Sie geradezu immer aufschreien vor Getroffensein, wenn man einmal den Hintergrund aufzeigt oder ihn aufzuhellen versucht, Sie zeigen die gleiche Empfindlichkeit keineswegs, wenn hier manches mit dem „Dritten Reich" verglichen wird.
Herr Mommer hat gesagt, wir hätten die Bevölkerung hineingelistet. Ich halte unsere Bevölkerung nicht für so dumm, Herr Kollege Mommer,
daß sie sich 1949, 1953 und 1957 immer wieder von den gleichen Leuten hat hineinlisten lassen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber es ist Ihnen eben ganz und gar fremd, daß man eine Politik betreiben kann, die logisch und konsequent und manchmal auch unpopulär ist, und daß man trotzdem gewählt wird. Das ist Ihnen unbegreiflich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind allerdings der Meinung, daß es auf die Popularität einer Politik in einem Rechtsstaat nicht ankommen darf. Sie wehren sich immer dagegen, daß der Hintergrund aufgehellt wird, wie das heute geschehen ist. Ich muß Ihnen darauf leider sagen: wenn die Freiheit einmal verspielt ist, spielt das Motiv, das dazu geführt hat, nicht die mindeste Rolle mehr.
Ich glaube, wenn man die heutige Diskussion in der zweiten Lesung im ganzen betrachtet, gilt in hohem Maße das, was die „Süddeutsche Zeitung" am 26./27. April dazu geschrieben hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Sie schrieb:
Die SPD ihrerseits hatte ersichtlich längst jedes sachliche Interesse an ihrem Gesetzentwurf verloren und sah seine Existenz schließlich mehr als Hindernis auf dem Wege zu den angestrebten Volksbefragungen in einzelnen Ländern. Wie weit diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Gegenstand, um den angeblich 10 Stunden lang erbittert gerungen worden war, tatsächlich ging, zeigte sich erst am Schluß
der Debatte, als die SPD darauf verzichtete, überhaupt den Antrag auf Ausschußüberweisung zu stellen. Was wir hier erlebt haben,
— so schließt dieser Kommentar —
war nichts als eine Farce, ein Mißbrauch des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens.
Das schreibt eine Zeitung, der Sie sonst an objektiver Meinungsbildung allerhand zutrauen. Deswegen war alles, was wir heute zur Begründung dieses Gesetzentwurfs in der zweiten Lesung gehört haben, eigentlich ganz und gar neben der Sache. Es waren die letzten Entschuldigungen, die Sie hier vor dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts anführen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sehen diesem Spruch mit Ruhe entgegen, weil wir der sicheren, festen Überzeugung sind, daß es genau in diesem Stadium und auf dem Wege, auf dem die SPD ein getarntes Plebiszit ermöglichen will, keine Konzessionen und keine Kompromisse geben darf.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303103800
Meine Damen und Herren, auf der Rednerliste stehen noch die Kollegen Wilhelmi und Dr. Arndt. Ich darf wohl annehmen, daß der Kollege Dr. Arndt das der antragstellenden Fraktion zustehende Schlußwort sprechen wird.

(Abg. Dr. Arndt: Ja!)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1737
Vizepräsident Dr. Becker
Sind wir darin einig, daß damit die Rednerliste geschlossen ist? — Ich steile Einverständnis fest.

(Widerspruch. — Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man nicht sagen, Herr Präsident!)

— Dann bitte ich, darüber abzustimmen, ob damit die Rednerliste geschlossen ist.

(Erneuter Widerspruch. — Abg. Dr. Krone: Wir wissen gar nicht, was noch gesagt wird, Herr Präsident!)

- Die Schlußerklärung kann immer wieder neu kommen, Herr Kollege Krone.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist keine übliche Handhabung! Wir müssen uns das vorbehalten!)

— Sie wollen damit also keinen Schluß der Rednerliste haben?

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

— Aber es kann immer wieder zu einem neuen Schlußwort kommen.
Ich gebe zunächst dem Kollegen Wilhelmi das Wort.

Dr. Hans Wilhelmi (CDU):
Rede ID: ID0303103900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, eine große Rede zu halten, insbesondere nicht, auf die juristischen Ausführungen des Herrn Kollegen Metzger im einzelnen einzugehen. Denn ich glaube nicht, daß sie für uns, die wir uns mit den Dingen befaßt haben, etwas Neues gebracht haben. Es wäre sinnlos, unseren Standpunkt, den wir in der ersten Lesung vorgetragen haben, erneut darzulegen.
Der Grund, warum ich mich überhaupt zu Wort gemeldet habe, ist in den Ausführungen vom Kollegen Metzger zu finden, und zwar in einem der zahlreichen Angriffe, die er gegen den Herrn Bundesinnenminister gestartet hat. Er hat den Herrn Bundesinnenminister wegen der Erklärung angegriffen, die der Evangelische Arbeitskreis in Essen formuliert hat und in der von den Schwarmgeistern die Rede ist. Herr Kollege Metzger und seine Freunde sind — das habe ich in der kurzen Zeit, in der ich in diesem Parlament sein zu dürfen die Ehre habe, gemerkt — immer sehr empfindlich, wenn man etwas gegen sie sagt. Sie sind aber außerordentlich großzügig in den Beschuldigungen, die sie uns an den Kopf werfen.
So scheint es mir auch hier zu sein. Der Herr Kollege Metzger empfindet es als einen schweren Vorwurf, wenn die evangelischen Christen, die in der Frage der atomaren Bewaffnung seiner Aufassung sind, als Schwarmgeister bezeichnet werden. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir damit diesen Christen jedenfalls nicht ihr Christentum absprechen, sondern uns nur auf den Standpunkt stellen, den wir allerdings aus Überzeugung einnehmen, daß die Christen, die diese Auffassung vertreten, die reale weltpolitische Lage nicht richtig beurteilen. Wir sind der Meinung, daß man bei einer realen Beurteilung der weltpolitischen Lage vom Ethischen, auch vom Christlichen her zu einer anderen Entscheidung kommen sollte als zu dieser.
Der Ausdruck „Schwarmgeister" ist übrigens nicht von dem Herrn Bundesinnenminister gewählt, sondern in der Versammlung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU einstimmig beschlossen worden.
Sehr verehrter Herr Kollege Metzger, es wird Ihnen und Ihren Parteifreunden bekannt sein, daß es Menschen gibt, die im Lande herumreisen und die die Leute, die unsere Auffassung vertreten, bezichtigen, sie glaubten an den Teufelskram, nämlich den Teufelskram der Atomwaffen, mehr als an den lebendigen Gott und daß sie damit die Existenz Gottes verneinen und, wenn sie sich auch tausendmal ein christliches Mäntelchen umhängen, Atheisten seien. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe in der Evangelischen Kirche bisher noch nicht gehört, daß sich jemand, sei es ein einzelner, oder seien es mehrere, wie in den Bruderschaften, oder sei es in einem kirchlichen Gremium, anmaßt, als Mensch darüber zu entscheiden, wer Christ und wer nicht Christ ist. Gott sei Dank gibt es da nur eine Entscheidung. Die aber liegt bei unserem Gott. Daß sich Menschen diese Entscheidung anmaßen und die Leute, die in einer ganz konkreten Frage anderer Ansicht sind, als Atheisten bezeichnen, sollte doch wohl auch der SPD zu denken geben, wenn sie sich auch sonst vielleicht nicht allzuviel mit diesen rein kirchlichen Fragen befaßt. Aber es gehört ja jetzt zu Ihrem Programm, sich mit diesen Dingen mehr zu befassen. Deshalb sollten Sie es auch tun und sollten diesen Leuten entgegentreten und ihnen verbieten, in diesen Ausschüssen, die Sie doch politisch agieren, derartige diffamierende Äußerungen gegen andere zu richten.
Ein solches Verhalten widerspricht im übrigen auch den kirchlichen Beschlüssen, auf die Sie, Herr Kollege Metzger, sich bezogen haben. Sie waren ja selbst mit in der Synode. Wir wissen ganz genau, daß wir nicht zu einer Einigung gekommen sind. Wir wissen ganz genau, daß jeder von uns, so seltsam es vielleicht für den kirchlich nicht Geschulten klingen mag, dem anderen vorwerfen kann, daß er Sünde begehe. Sie können es uns vorwerfen, und wir werfen es Ihnen vor und sehen die Sünde, die Sie begehen, darin, daß Sie die Verantwortung für das Volk nicht richtig kennen und tragen. Einen solchen Vorwurf können und müssen wir ertragen. Wir werden es uns aber in keiner Weise gefallen lassen, daß uns eine andere Partei diffamiert, indem sie behauptet, wir seien keine Christen, sondern Atheisten.

(Zurufe von der SPD.)

Das sollten Sie sich einmal überlegen, Herr Kollege Metzger. Sie haben sich darüber beschwert, daß man von „Schwarmgeistern" sprach. Es geht hier nicht um die Frage, ob Sie an Gott glauben und ob Sie Christ sind. Ich habe von den Aktionsausschüssen noch nie ein Wort in der Richtung gehört, daß sie sich gegen das Auftreten von Leuten gewandt hätten, die diejenigen, die unsere Auffassung vertreten, als Atheisten bezeichnen.
All das zeigt — und damit komme ich auf das Thema des heutigen Tages, Herr Kollege Metzger —, mit welcher Radikalität diese ganze Aktion
1738 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Wilhelm!
„Kampf dem Atomtod" durchgeführt wird, die, wie ich schon in der ersten Lesung ausführte, bereits im Namen eine Unwahrheit enthält.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese ganze Aktion ist nur dazu da, das Volk aufzuwiegeln, zu weiter gar nichts!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Metzger: Ich wollte eine Frage stellen, Herr Kollege Wilhelmi! Meiner Frage sind Sie ausgewichen! Wo habe ich gesagt, daß Sie ein Atheist sind?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303104000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0303104100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bürde, ein Abgeordneter des Bundestages zu sein, war von Anfang an schwer. Sie ist im Laufe der Jahre schwerer geworden, fast bis zur Unerträglichkeit schwer. Ich glaube, das, was wir heute an Ausführungen namentlich des Herrn Bundesministers des Innern gehört haben, hat diese Bürde nicht erleichtert. Ich danke deshalb Herrn Kollegen Dürr von den Freien Demokraten, daß er es als Mitglied einer anderen Fraktion und einer anderen Partei ungeachtet aller parteipolitischen Gegensätze für seine Pflicht gehalten und eine Ehre darin gesehen hat, hier für uns Sozialdemokraten einzutreten.

(Beifall bei der SPD.)

Denn eigentlich sollte jede demokratische Partei solche Angriffe und solche Verdächtigungen, wie der Herr Bundesminister des Innern sie heute wieder einmal gegen uns Sozialdemokraten gerichtet hat, als einen Angriff auf jede demokratische Partei und auf das ganze Parlament ansehen.

(Abg. Dr. Krone: Und Herr Mommer, Herr Kollege Arndt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Darauf werde ich noch kommen. Vielleicht werden Sie von mir sehr enttäuscht sein. Ich halte es nämlich für ein legitimes demokratisches Recht, die Frage zu erörtern, ob ein Bundeskanzler, eine Bundesregierung einen hinreichenden Willen zur Wiedervereinigung haben.

(Abg. Dr. Krone: Da ist das erlaubt, beim Minister nicht!)

— Dazu ist dieses Haus da, zu diskutieren. Wenn Sie, Herr Krone, je Diskussionen des britischen Unterhauses gelesen hätten, hätten Sie gesehen, daß das einen Kernpunkt aller Erörterungen in kritischen Zeiten gebildet hat, ob, wie es dort heißt, die Regierung Seiner britischen Majestät das Erforderliche an Willen aufgebracht hat, um die Grundanliegen Großbritanniens zu vertreten und zu verteidigen.

(Abg. Dr. Krone: Aber der Minister darf das nicht sagen!)

— Der Herr Minister hat etwas ganz anderes getan. Tun Sie doch nicht so, Herr Krone, als ob Sie
das nicht begriffen. Der Minister hat nichts anderes gemacht, als was wir nun seit Jahren kennen: die Sozialdemokratie in Tuchfühlung oder in eine Verschmelzung mit dem Bolschewismus zu bringen. Das ist etwas völlig anderes. Wenn Sie nicht mehr begreifen, wo da der Unterschied liegt, dann ist allerdings ein Gespräch zwischen uns außerordentlich erschwert.
Ich betone also noch einmal, daß ich dem Herrn Kollegen Dürr für diese Ausführungen danke.
Herr Schröder hat dann gemeint, wir sollten es uns doch überlegen, ob wir eine Ehrenerklärung nötig hätten. Nun, das brauchen wir uns nicht zu überlegen; wir haben sie nicht nötig. Wir haben sie insbesondere Ihnen gegenüber nicht nötig, Herr Schröder.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Aber gerade weil wir es nicht nötig haben, daß ein anderer für uns eintritt, ist eine solche Haltung, wie sie Herr Dürr als ein Andersdenkender hier zum Ausdruck gebracht hat und wie sie in diesem Parlament leider selten ist, außerordentlich bemerkenswert.
Diese Fragen, die hier anstehen, bewegen uns alle in der Tiefe. Es kommt dadurch begreiflicherweise, aber nicht entschuldbar, auch einmal hier und dort auf allen Seiten zu Äußerungen, die bedauerlich sind und nicht gebilligt werden können. Ich sehe keine Veranlassung, auf das einzugehen, was Herr Dr. Zimmermann hier vorgetragen hat. Denn man kann uns Sozialdemokraten nicht alles anhängen, was an durchaus zu kritisierenden Auslassungen in einer Zeitschrift abgedruckt wird; übrigens einer Zeitschrift, die einem Kreise nahesteht, dem auch Mitglieder der CDU nach wie vor angehören. Ich will mich aber mit einigen anderen bedauerlichen Äußerungen beschäftigen.
Ich muß zu meinem Leidwesen hier den auch von mir verehrten Herrn Kollegen Professor Dr. B ö h m kritisieren. Die Sache ist nun einmal angesprochen worden; nun müssen wir sie auch zu Ende bereden. Sie zeigt, wie gefährlich manche Worte sind und wie sich der eine oder andere hinreißen läßt. Herr Professor Dr. Böhm hat zwar der in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen — zu meiner schmerzlichen Überraschung; ich konnte das gar nicht glauben — erschienenen Darstellung seiner Äußerungen sehr spät widersprochen; aber der Kern ist geblieben. Denn im Kern — jetzt zitiere ich Hern Böhm selbst — heißt es:
Ich erwiderte etwa folgendes: Als die beiden amerikanischen Bomben auf Japan fielen, da war noch Krieg. Diese Bomben haben nicht den Frieden gestört, sondern einen Weltkrieg beendet. Wären sie nicht gefallen, dann wäre der konventionelle Krieg, von dem man heute immer so tut, als wäre er eine menschliche Angelegenheit, gegen Japan noch ein Jahr oder länger weitergegangen.
Diese Ausführungen bedeuten nichts anderes, als
daß von einem Mitglied des Bundestages, einem
deutschen Politiker und einem hochehrenwertes
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1739
Dr. Arndt
Mann, der Abwurf von Massenvernichtungsmitteln, die keine Vergeltung waren, in einem Krieg mit konventionellen Waffen gebilligt worden ist,

(Abg. Dr. Mommer: Sehr richtig!)

und das ist eine unmögliche Haltung. Das möchte ich mit aller Deutlichkeit feststellen.

(Abg. Dr. Mommer: Das war ein Verbrechen, so wie der Angriff auf Dresden!)

Ich möchte daran erinnern — das ist auch sehr bemerkenswert, ich sage es in allen meinen Versammlungen, und ich sage es besonders dann in meinen Versammlungen, wenn Angriffe gegen die CDU kommen, die ich in ihrer Übertreibung nicht als berechtigt anzuerkennen vermag, und wenn manchmal in irgendwelchen aufgeregten Erörterungen Angriffe gegen die Katholische Kirche und ihre Haltung in dieser Frage kommen —, daß niemand anders als der gegenwärtige Apostolische Nuntius, Erzbischof Aloysius Muench, damals in den Vereinigten Staaten von Amerika gesagt hat, daß dieser Abwurf der beiden Massenvernichtungsmittel auf Hiroshima und Nagasaki ein Kriegsverbrechen gewesen ist. Wir als Deutsche haben keine Veranlassung, im Jahre 1958 eine Handlung zu billigen oder für sie einzutreten, die damals in Amerika von Erzbischof Muench so und mit Recht so qualifiziert worden ist.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Aber wohin führt es, wenn die Geister sich so verwirren und wenn ein Geist, bei dem ich es besonders bedauere, bei dem verehrten Herrn Kollegen Böhm, sich so verwirrt, daß er sich dazu hinreißen läßt?
Dem Herrn Kollegen Wilhelmi möchte ich sagen: Sie haben recht mit Ihrer Klage, daß sich niemand hier anmaßen sollte, zu entscheiden, wer Christ ist und wer nicht Christ ist. Ich habe es ja oft deutlich gemacht. Ich habe es auf dem Evangelischen Kirchentagskongreß in Hamburg für mich deutlich gemacht, daß ich diese Haltung der Bruderschaften — denen ich nicht angehöre - nicht zu teilen vermag, wenn sie sagen, hier sei eine Glaubensfrage, die Frage des status confessiones gegeben, und es trenne sich jeder, der anderer Auffassung in der Frage der atomaren Aufrüstung sei, von der Kirche.
Aber das geschieht ja nicht nur auf der einen Seite; es geschieht leider Gottes — und das haben Sie zu sagen vergessen — auf der anderen Seite genauso. Es gibt einen Mann in Ihren Reihen — der auch Mitglied des Bundespresse- und Informationsamtes ist —, der in einem Aufsatz gefordert hat, daß alle, die zu den Bruderschaften gehören oder die sich in dieser Frage ihrem Gewissen folgend so gegen die atomare Aufrüstung stellen, ihre kirchlichen Ämter verlieren sollten, daß sie aufhören müßten, Presbyter zu sein, daß sie nicht mehr Kirchenvorständen angehören dürften. Und das lag sogar vorher.
Aber nicht nur das! Seit Jahrzehnten haben wir doch bei uns in Deutschland die Unterstellung — mit der noch immer kein Ende gemacht worden
ist -, daß jemand, der Sozialdemokrat sei, damit
aufhöre, Christ zu sein. Wir haben doch nicht nur im letzten Wahlkampf, sondern auch im vorletzten Wahlkampf immer wieder erlebt, daß allerlei Leute, die meistens sehr wenig davon verstehen, sich das Handbuch des Bundestages vornehmen und sagen: Wenn dort nicht aufgeführt ist, welcher Konfession ein Abgeordneter angehört, ist er Atheist. — Bei mir ist es nicht aufgeführt und bei mir wird es auch nicht aufgeführt; denn wenn man es nur daher weiß, dann soll's mir leid tun. Man soll auch das Grundgesetz, das hier ja immer so berufen wird, nicht verkennen. Darin steht, daß in derlei amtlichen Verlautbarungen niemand dazu veranlaßt sein soll, seine Konfession bekanntzugeben. — Aus dem Handbuch wird also geschlossen, daß derjenige, der dort nicht als katholisch oder evangelisch bezeichnet wird und der sozialdemokratischen Fraktion angehört, Atheist ist.
Über mich z. B. sind in Bayern ganze Leitartikel erschienen, die das ausgeführt haben. Dort hieß es: Der Arndt, der soll uns nach Bayern den Geist bringen. Was das für ein Geist ist, weiß niemand. Ein christlicher ist es jedenfalls nicht; denn im Handbuch des Bundestages steht eine Konfession nicht verzeichnet; entweder legt er kein Gewicht darauf oder er schämt sich ihrer oder er hält es nicht für nötig, sich dazu zu bekennen.
Diese Dinge erleben wir nun seit Jahrzehnten, und sie verschärfen sich in den letzten Jahren immer wieder. Da muß ich Ihnen antworten, Herr Kollege Wilhelmi: Ihr Anliegen ist richtig. Aber fangen Sie damit zu Hause, in Ihrer Fraktion und in Ihrer Partei, an!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Metzger: Das sage ich ihm schon jahrelang!)

Ich will mich im übrigen nach den Reden meiner Freunde Metzger und Mommer sehr kurz fassen. Der Herr Bundesminister des Innern hat ausgeführt, man solle die Autorität des gewählten Parlaments nicht zerstören. Nun, das Wort „Autorität" braucht nicht schlecht zu sein. Aber es wird heute sehr mißbraucht. Ich höre es deshalb nicht gern. Aber ich will insoweit meine Zustimmung aussprechen: Das Ansehen des Bundestages sollte nicht zerstört werden. Das müßte uns allen eine gemeinsame Aufgabe sein. Aber Ihre Annahme, daß die von uns begehrte Volksbefragung das Ansehen des Bundestages zerstören würde, haben Sie nicht bewiesen und können Sie nicht beweisen.

(Zurufe von der Mitte.)

Sie bestreiten ja dem Bundestag das Recht, das Volk zu befragen, nicht wir. Sie kämpfen doch gegen den Bundestag. Sie wollen doch den Herrn Bundestagspräsidenten in die wunderliche Rolle bringen, daß er in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Körperschaft kämpft, der zu präsidieren er die Ehre und die Aufgabe hat. Denn unser Gesetzentwurf — mein Freund Metzger hat es noch einmal ganz klar gesagt — geht davon aus, daß der Bundestag das Recht hat, mit seiner Mehrheit ein Gesetz zu beschließen, um sich durch eine informatorische oder konsultative Volksbefragung, wie sie
1740 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Arndt
in zahlreichen anderen Ländern der westlichen Welt mit repräsentativer Demokratie von Norwegen bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika hin, seit Jahrzehnten üblich ist, ein Bild darüber zu verschaffen, wie wirklich die Meinungen im deutschen Volk sind. Das würde das Ansehen des Bundestages nicht beeinträchtigen.
Dafür darf ich Ihnen ein einziges Beispiel unter vielen bieten. Als die Mutter der Parlamente bezeichnet man das britische Unterhaus. Zu seiner Familie als Parlament gehört die Volksvertretung in Kanada, für die die gleichen Grundsätze gelten. Gerade Kanada ist ein Musterbeispiel einer sogenannten repräsentativen Demokratie. Das kanadische Parlament hat sich nicht gescheut, sogar mitten im Kriege, im Jahre 1942, eine Volksbefragung darüber anzuordnen, wie das kanadische Volk über zwei Fragen denke: erstens die allgemeine Wehrpflicht und zweitens die Entsendung kanadischer Truppen in auswärtige Gebiete.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Mommer: Das war Mut! Da können Sie [zur CDU/CSU] lernen, was Mut ist!)

Das war eine konsultative und informatorische Befragung. Selbstverständlich hat das kanadische Parlament sich vorbehalten, diese Frage nachher selber verantwortlich zu entscheiden.
Aber, Herr Kollege Hoogen, die Kanadier haben nicht gemeint, damit an die Verantwortungslosigkeit der Bevölkerung zu appellieren, sondern sie haben gerade geglaubt, ihrer parlamentarischen Unterrichtungspflicht zu genügen, indem sie sich erst einmal ein Bild darüber verschafften, wie man in der Bevölkerung über Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und über Entsendung kanadischer Truppen fern vom Heimatboden des eigenen Landes denkt. Keiner in Kanada hat die Auffassung gehabt, das Parlament begebe sich damit seiner Autorität oder das Parlament zeige sich damit regierungsunfähig. Ganz im Gegenteil, das demokratische Bewußtsein ist dadurch gewachsen, daß die Bevölkerung das Erlebnis bekam: Diese Männer und diese Frauen dort handeln nicht, wie es ihnen gerade gut dünkt, sondern sie wissen, daß es um unsere Haut und um unsere Existenz geht. Darum fragen sie uns erst. Darum vergewissern sie sich erst über die Meinung, die in der Bevölkerung besteht, ehe sie selber die letztverantwortliche Entscheidung treffen.

(Beifall bei der SPD.)

Man kann alle diese Fragen in Ruhe und in Sorgfalt erörtern und braucht hier nicht zu sagen, die Autorität des gewählten Parlaments werde zerstört. — Ich glaube, daß ich damit noch einmal deutlich gemacht habe, worum es uns geht.
Ich möchte mich nicht mit den juristischen Ausführungen des Herrn Kollegen Barzel auseinandersetzen. Ich habe versucht, in meiner Rede während der ersten Lesung—heute hat es Herr Kollege Metzger noch einmal unternommen - klarzustellen, warum wir den Bundestag für kompetent halten, ein solches Gesetz zu erlassen: weil in einer Kompetenz, die in diesem Falle die Kompetenz des Bundestages zur Regelung von Verteidigungsfragen und zur Regelung auswärtiger Beziehungen ist, immer auch die Mittel enthalten sind, diese Kompetenz auszuüben. Aber es scheint für Herrn Kollegen Barzel schwierig zu sein. Deshalb zitiert er zur Freude der Mehrheit und seiner Fraktion die von mir verfaßten Äußerungen aus dem Jahre 1952, die ja auch meinen Ausführungen in der ersten Lesung dieses Gesetzes zugrunde lagen und die allem zugrunde liegen, was Herr Kollege Metzger heute gesagt hat: daß es selbstverständlich in einem freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat einer Ermächtigung durch die Verfassung bedarf.
Ich habe zum Schluß noch die sehr unerfreuliche Aufgabe, abermals — ich will es so kurz wie möglich machen — zu Ausführungen des Herrn Bundesministers des Innern Stellung zu nehmen. Herr Schröder hat gesagt, man könne ohne ein Minimum an nationaler Gemeinsamkeit nicht auskommen. Das ist sicher richtig, aber ich weiß nicht, Herr Schröder, welches Minimum an solcher Gemeinsamkeit Sie heute in Ihrer Rede gelassen haben,

(Beifall bei der SPD)

die doch auf nichts anderes hinauslief als darauf, die Sozialdemokratie zu verdächtigen, ganz und gar kommunistisch infiltriert und der Schrittmacher des Kommunismus zu sein oder, wie es Herr Zimmermann ausgedrückt hat, eine Partei zu sein, deren Hintergrund — ich greife nun mal einen Ausdruck von Herrn Schneider auf — immer die Zwiebeltürme des Kreml bildeten. Das berührt uns nicht. Wir sind es gewöhnt. Wir halten das aus. Das kommt nicht mal bis an die Schuhsohlen. Aber einer, der das tut, soll hier nicht — ich habe keinen parlamentarischen Ausdruck, um das zu qualifizieren — von Gemeinsamkeit sprechen.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Es sollte auch nicht von Gemeinsamkeit gesprochen werden, da Sie ja alle aus dem Jahre 1957, dem letzten Bundestagswahlkampf, und jetzt aus dem Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen die zahlreichen Äußerungen des Herrn Adenauer kennen, nach denen die Sozialdemokratie, wenn es nach ihm ginge, restlos aus der Gemeinschaft des Volkes ausgeschlossen würde,

(Widerspruch in der Mitte und Gegenruf des Abg. Dr. Mommer: Jeden Abend in Nordrhein-Westfalen!)

wo wir nur, wie er neuerdings gesagt hat, geradezu darauf ausgehen, alles zerstören zu wollen. Dann kommen Sie und sagen „Gemeinsamkeit"! Da müssen Sie sich erst in dieser Frage etwas anders verhalten. Aber Sorge muß das einem demokratisch denkenden und patriotisch empfindenden Menschen bereiten. Wenn wir diese Zerwürfnisse sehen, wenn wir diese Unterstellungen und Verdächtigungen hören, dann weiß man nicht, wie lange das ein Volk und ein Staat noch aushalten können und aushalten sollen.
Dasselbe gilt weiterhin für Herrn Schröders schriftliche und mündliche Ausführungen über unseren Stuttgarter Parteitag, für seine Äußerung, wir hätten die Wiedervereinigungsfrage mit parteipoli-
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Dr. Arndt
tischen Akzenten versehen und ähnliches mehr. Er hat sich sogar des Ausdrucks „Verbrechen" bedient. Ich habe mir überlegt: soll ich den Artikel, den Herr Schröder im Bulletin veröffentlicht hat, mitbringen und daraus zitieren. Aber ich bringe es nicht über die Lippen, Äußerungen, die darin enthalten sind, meinerseits auch nur zu verlesen. Jeder von Ihnen mag das nachlesen, was über unsere Entschließung, über unsere Partei und über meinen Parteifreund und persönlichen Freund Herbert Wehner darin enthalten ist. Da ist einfach keine Diskussion mehr möglich, weil es so unter aller Würde wäre, sich darauf einzulassen, das zu erörtern. Das kann man nicht mehr. Ich brauche nicht Ihre Lautstärke, Herr Schröder; aber das möchte ich hier feststellen, daß das so ist. Dann mag einmal das deutsche Volk und die Geschichte entscheiden, wer hier zerstört und wer nicht.
Sie haben dann noch geäußert — das gehört zu Ihrer Art des Zitierens —, mein Parteifreund Karl Mommer habe das Bundesverfassungsgericht einer Dummheit bezichtigt, weil es die Kommunistische Partei verboten habe. Auch das ist gar nicht wahr. Niemand von uns hat je das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kritisiert.

(Zuruf von der SPD: Typisch Schröder!)

Das Bundesverfassungsgericht zu kritisieren haben wir stets Ihnen und Ihren Ministerkollegen überlassen. Sie haben während des KP-Prozesses eine Pressekonferenz veranstaltet und haben so ungefähr gesagt: Na, wird's bald, die Leute in Karlsruhe sollen mal bald Beine kriegen. — Das ist so Ihre Art, mit dem Gericht zu sprechen. Es hat auch Äußerungen aus Kreisen der ersten, der zweiten und der dritten Bundesregierung gegeben. Nicht das, was das Gericht getan hat, war die Dummheit. Das Gericht konnte gar nicht anders handeln und entscheiden. Die Dummheit, auch nach meiner Meinung, lag darin, daß ein solcher Antrag in einem Zeitpunkt gestellt wurde, in dem das sinnlos war. Sie können noch so oft den Art. 21 zitieren, die Frage der Antragsberechtigung und einer etwaigen Antragsverpflichtung ist in dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht geregelt. Es gibt kein Legalprinzip, d. h. keine Verpflichtung, in jedem Fall von Amts wegen gegen jedwede Partei vorzugehen, bei der mehr als der Verdacht besteht, daß sie verfassungswidrig sei, sondern das ist mit gutem Grund sowohl von der Verfassungsordnung als auch von dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht — ich erinnere mich auch noch genau der Beratungen — von dem Gesetzgeber in das politische Ermessen der Antragsberechtigten gestellt worden. Es ist also eine Frage der Zweckmäßigkeit und des sinnvollen Handelns, eine Frage höchst politischer Überlegung, ob man mit der Kommunistischen Partei besser fertig wird und sie weniger gefährlich macht, wenn man sie verbieten läßt oder wenn man sie offen am Tage bestehen läßt und ihre Hilflosigkeit und Ohn macht zeigt. In dieser politischen Ermessenserwägung ist das begangen worden, was eine Dummheit genannt zu werden verdient. Deshalb soll man nicht uns verdächtigen oder Herrn Mommer sagen, er habe das Bundesverfassungsgericht in dieser Weise angegriffen.
Nun zum Schluß das Bitterste und Schwerste. Zur Frage der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr gehört fraglos die Frage der Wiedervereinigung und die Frage dazu, ob das deutsche Volk bei den Wahlen 1957 getäuscht worden ist oder nicht.
Die Frage der Täuschung ist schon viel behandelt worden. Ich will mich hier einmal auf ein für Sie von der CDU und für Herrn Schröder nun nicht irgendwie zu beanstandendes Zeugnis berufen, das sehr klar ergibt, daß man dort noch im Dezember 1957 nichts davon wußte, daß sich die Bevölkerung bei der Bundestagswahl im September mit taktischen Atomwaffen einverstanden erklärt, sich dafür entschieden habe. Die dem Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier nahestehende und Herrn Schröder gewiß nicht fernstehende Zeitschrift „Christ und Welt" hat in ihrer Nr. 52 — Weihnachten 1957 — einen Kommentar unter der Überschrift „Einen Strauß von wilden Blumen" veröffentlicht. Sie setzt sich darin mit einer Äußerung des Herrn Bundesverteidigungsministers Strauß auseinander. Ich hoffe und glaube, daß der Herr Präsident so freundlich ist, mir die Erlaubnis zu erteilen, davon etwas zu verlesen, wenn es auch etwas länger ist. Es heißt darin:
Am gleichen Tag, an dem der Bundeskanzler vor den Ministerpräsidenten der NATO ausführte, es sei zweckmäßig, auf diplomatischem Wege mit der Sowjetregierung über die Vorschläge Bulganins zu verhandeln, forderte Bundesverteidigungsminister Strauß in einem Interview mit einer Berliner Zeitung, die Bundeswehr solle mit taktischen Atomwaffen ausgerüstet werden; nur dann könne man sie aus der Atomrüstung ausklammern, wenn zusätzlich genügend mit Atomwaffen ausgerüstete amerikanische und britische Einheiten in der Bundesrepublik stationiert würden. Eine Verteidigung der Bundesrepublik ohne Atomwaffen gegen einen mit Atomwaffen ausgerüsteten Angreifer aus dem Osten sei militärischer Wahnsinn.
Und nun fährt die Zeitschrft „Christ und Welt" in dieser redaktionellen Glossierung fort:
Es erhebt sich hier die ernste Frage, ob Strauß dies als eine persönliche Meinung oder ob er ,es als Meinung der Bundesregierung geäußert hat. Wäre das leztere der Fall, so hätte es keinen Sinn, wenn der Bundeskanzler gleichzeitig ein diplomatisches Gespräch mit der Sowjetunion anregt, da sich Verhandlungen mit dem Kreml erübrigen, wenn die von Strauß geäußerten Ansichten bindende Regierungspolitik werden sollten.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ein persönliches Vorprellen des Bundesverteidigungsministers zu einem so heiklen und entscheidenen Zeitpunkt würde nun allerdings bedeuten, daß Strauß weit über seine Befugnisse hinausgegangen wäre.
Es heißt schließlich weiter in „Christ und Welt":
Sachlich beruht seine Argumentation auf einer
Scheinlogik. Entweder gibt es eine NATO, in
l742 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Arndt
der es eine strategische Aufgabenverteilung gibt - dann ist die Atomwaffe als letztes Abschreckungsmittel bei der strategischen Reserve, die auf jeden Fall von den Amerikanern gebildet werden muß —, oder aber man glaubt den Amerikanern nicht mehr genügend zutrauen zu können, da sie selbst durch die interkontinentale Rakete bedroht sind; dann könnte die Anwendung der Atomwaffe durch die Bundeswehr gegen die in jedem Fall vorhandene vielfache sowjetische Atomübermacht nur dazu führen, daß das gesamte deutsche Gebiet vernichtet würde. Es läuft dann auf die bekannte Situation hinaus, bei der man Selbstmord mit Selbstmord beantworten möchte.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Und wenn ich die allerletzten Sätze weglasse -
ich glaube, sie sind nicht so erheblich —, dann schließt diese Glosse der Redaktion von „Christ und Welt" in der Weihnachtsnummer von 1957:
Als dritte Möglichkeit bleibt, daß Strauß die sogenannte taktische Atomwaffe meint. Seit vielen Monaten besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Erfindung des Wortes „taktische Atomwaffe" nur eine Verharmlosung, und zwar eine höchst gefährliche, des wirklichen Tatbestandes darstellt. Die Anwendung jeder Art von Atomwaffen hat die gleichen Folgen.
Wenn man daraus etwas schließen darf, so ist es erstens, daß „Christ und Welt" jedenfalls noch im Dezember 1957 in den Augen von Herrn Dr.
mermann naiv war, zweitens in den Augen des Herrn Schröders wahrscheinlich kommunistisch unterwandert, drittens und vor allen Dingen aber, daß man in der Redaktion von „Christ und Welt" auch im Dezember 1957 noch nichts davon wußte, daß bereits am 15. September das deutsche Volk angeblich in der Bundestagswahl die atomare Ausrüstung der Bundeswehr gebilligt und in seinen Willen aufgenommen hat.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Da ist noch etwas Viertes drin, daß nämlich in dieser redaktionellen Ausführung gesagt wird: „Wenn man auch nur mit taktischen Atomwaffen ausrüstet, dann braucht der Bundeskanzler sich die Mühe diplomatischer Verhandlungen mit der Sowjetunion gar nicht erst zu machen." Das ist unsere brennende Sorge. Denn so ist eben die Frage der atomaren Ausrüstung mit der Frage der Wiedervereinigung und auch mit der Frage der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie verkoppelt.
Man hat der Bevölkerung im September 1957 und vorher keine Gelegenheit gegeben, sich zu dieser Frage auf Leben und Tod, die sowohl eine Frage ihrer Existenz als auch eine Wiedervereinigungsfrage ist, zu äußern. Da liegt der Fehler, und — es tut mir leid, das sagen zu müssen — da liegt eben auch die Täuschung. Wenn man heute nachträglich behauptet, das Volk habe durch die Wahl von 1957 das alles gebilligt, ist das — um an das Wort von den taktischen Atomwaffen als der Fortentwicklung der Artillerie anzuknüpfen - in meinen Augen eine Fortentwicklung der Wahrheit, aber nicht zu ihrem Kern hin.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Das andere ist die Frage der Wiedervereinigung; das ist die bitterste und ernsteste Frage. Nach meiner Überzeugung hätte die parlamentarische Auseinandersetzung ihren Sinn verloren, wenn es hier in diesem Hause nicht mehr frei wäre, darüber zu sprechen, ob eine im Amt befindliche Bundesregierung einen hinreichenden Willen zur Wiedervereinigung entfaltet, ob sie wirklich die Entschlossenheit zeigt, die notwendig ist, ob sie in der Wiedervereinigung das vordringlichste Ziel aller deutschen Politik sieht. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß die Bundesregierung nach der Überzeugung aller meiner Freunde schon bei der Regelung der Saarfrage durch das Saarstatut es an einem hinreichenden Willen zur Wiedervereinigung hat fehlen lassen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Krone: Große Selbstgefälligkeit, großer Hochmut!)

Ich bedaure auch, sagen zu müssen, daß meine Fraktion insgesamt nicht davon überzeugt ist, daß der Herr Bundeskanzler und diese Bundesregierung den Willen zur Wiedervereinigung so glühend, so leidenschaftlich gefaßt hat, wie es erforderlich wäre, um das ganze deutsche Volk mitzureißen.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Wie Ihr Kollege Behrisch!)

Wir haben keinen größeren Wunsch, als bei der Bundesregierung die Entfaltung dieses Willens zu sehen. Das ist das, was die Gemeinsamkeit hier im Hause herstellen kann. Solange wir aber da und auch in der Frage der atomaren Bewaffnung feststellen müssen, daß es in der Bundesregierung an der notwendigen Kraft des Willens fehlt, sind alle Ihre Rufe nach der Gemeinsamkeit nichts als leere Worte,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die wollen Sie ja nicht!)

selbst von Ihnen zerstört durch Verunglimpfungen, die uns nicht erreichen können.

(Abg. Dr. Krone: Überheblichkeit!)

Aber wenn Sie einen Appell an uns richten, so richte auch ich an Sie einen Appell: Geben Sie jedem wahlberechtigten Bürger die Möglichkeit, in einem fairen Verfahren zur Unterrichtung seiner Regierung und seines Parlaments sich selber darüber zu äußern, wie er über die Frage atomarer Ausrüstung denkt. Sie tun damit dem deutschen Volke und dem Ansehen des Bundestages einen Dienst.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303104200
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

(Zuruf von der SPD: Unverschämt!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303104300
Hen Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1743
Bundesminister Dr. Schröder
das Hohe Haus wird verstehen, daß ich nach diesen Ausführungen doch noch ganz wenige Punkte berühren muß, so sehr ich darauf bedacht bin, Rücksicht darauf zu nehmen, daß der heutige Sitzungstag an sich als relativ kurz beabsichtigt war.
Ich möchte fünf Dinge sagen.
Der Vorredner hat den Vorwurf, den Dr. Mommer erhoben hat, eigentlich in noch größerer Schärfe wiederholt. Ich werde mich mit dem Vorwurf nicht mehr beschäftigen; als Antwort gilt Wort für Wort das, was ich auf den Vorhalt von Dr. Mommer bereits gesagt habe.

(Abg. Wienand: Das sind schlechte Methoden; mit denen erreichen Sie nichts!)

Der zweite Punkt, auf den ich auch noch einmal zurückkommen muß, ist die Frage des Verbots der Kommunistischen Partei. Ich habe bereits in der letzten Sitzung beklagen müssen, daß Sie uns offenbar verschiedene Maßstäbe nach rechts und nach links empfehlen wollen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Die Bundesregierung hat das abgelehnt; die Bundesregierung wird das ablehnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das Dritte, was ich zu sagen habe, bezieht sich auf meinen gestrigen Aufsatz im Bulletin. Auch der Vorredner ist nicht in der Lage gewesen, den wirklichen Gehalt, die wirkliche Absicht dieses Aufsatzes darzustellen.

(Oh-Rufe bei der SPD.)

Ich richte daher an Sie noch einmal die Bitte — es ist eine sehr bescheidene Bitte , diesen Aufsatz wirklich einmal zu lesen; und dann werden wir uns miteinander darüber unterhalten.

(Abg. Metzger: Die Bitte ist ja längst erfüllt! — Abg. Dr. Arndt: Sie wollen es nicht verstehen!)

— Mit einem Thersites wie Sie setze ich mich überhaupt nicht auseinander.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Ach wie glänzend! — Abg. Heiland: Das nennen Sie Gemeinsamkeit!)

Der dritte Punkt ist dieser. Ich lese jetzt, um jeder Mißdeutung — ich sage: um jeder Mißdeutung — meiner Rede von vorhin entgegenzutreten, noch einmal wörtlich vor, was ich gesagt habe, und dann werden Sie erkennen, ob ich die SPD etwa diffamiert oder ob ich an sie einen Appell gerichtet habe. Diesen Appell richte ich noch einmal an Sie, und ich bitte Sie, sich das anzuhören. Denn vorhin haben Sie sich dem Anhören durch das Verlassen des Saales entzogen.

(Zuruf von der SPD: Ich war anwesend!) Ich habe gesagt und wiederhole das:

Deshalb richte ich noch einmal an diejenigen Träger der Volksbefragungsaktion, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und die sich mit uns für die Verteidigung der grundgesetzlichen Ordnung verantwortlich fühlen,
mit allem Ernst den Appell, die Volksbefragungskampagne einzustellen. Es gibt in unserem Rechtsstaat genügend verfassungsmäßige Mittel der politischen Willensbildung und der Durchsetzung des politischen Willens in den vorgeschriebenen parlamentarischen Bahnen. Die Volksbefragungsaktion gehört aber nicht dazu.

(Abg. Metzger: Eine Behauptung!)

Hier gilt es, den Anfängen zu wehren. Ich bitte das Hohe Haus,
— einschließlich der Opposition, füge ich jetzt hinzu; an wen anders könnte ich die Bitte richten! —
die Bundesregierung bei ihrer Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung mit aller Kraft zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, wennn Sie in diesem Appell eine Diffamierung von sich sehen wollen, dann tut es mir leid, Ihnen darin nicht folgen zu können.

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren! Dies sollte ja wohl nicht eine Debatte über Notwendigkeit und Zeitpunkt einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr sein, sondern eine Debatte über einen von den Sozialdemokraten vorgelegten Gesetzentwurf. Aber Sie sind mehrfach auf die Frage der atomaren Bewaffnung in einem andern Sinne zu sprechen gekommen, und deswegen möchte ich mit einem Satz schließen — ich weiß nicht, ob ich ihn ganz wörtlich zitieren kann, aber dem Sinn nach sicher richtig —, den der Herr Bundeskanzler, wie er öffentlich mitgeteilt hat, an cien Stellvertretenden Ministerpräsidenten der Sowjetunion, Herrn Mikojan, gerichtet hat, als er hier war. Er hat ihm gesagt: Helfen Sie mit, daß es binnen der nächsten 18 bis 24 Monate eine allgemeine kontrollierte Abrüstung gibt, und dann werden Sie nie in den Händen deutscher Soldaten atomare Waffen finden!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303104400
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0303104500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Schluß noch einige Bemerkungen zu dem, was wir eben vom Herrn Bundesinnenminister gehört haben, und anschließend eine Erklärung für die sozialdemokratische Fraktion.
Zunächst möchte ich festhalten: Wir Sozialdemokraten lassen gar keinen Zweifel daran, daß wir auf dem Boden des von uns selbst gegen den Widerstand z. B. der CSU mit geschaffenen Grundgesetzes stehen. Daran ist kein Zweifel erlaubt.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber, meine Damen und Herren, das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland ist genausowenig
identisch mit der Politik der Bundesregierung Ade-
1744 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Erler
nauer, wie der Staat identisch ist mit der ChristlichDemokratischen Union. Da müssen wir endlich einmal die Grenze ziehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Damit bin ich beim zweiten Punkt. Aus den Ausführungen des Innenministers ergab sich ganz klar, daß hier jede Kritik an der Haltung der Bundesregierung in einer wichtigen Frage umgedacht, umgefälscht wird in einen Anschlag auf die verfassungsmäßig etablierte Autorität.

(Zustimmung bei der SPD.)

Darin liegt die Verwechslung von Staat und Partei, und auch auf diesem Gebiet gilt es, den Anfängen zu wehren, weil wir wissen, wohin das führt.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

Und zum dritten. Bei aller Härte der parteipolitischen Auseinandersetzungen — sie gehört nun einmal mit in eine funktionierende demokratische Meinungs- und Willensbildung hinein — sollten wir doch sehr wohl das Parteiamt vom Staatsamt zu trennen wissen. Der Herr Bundesinnenminister hat behauptet, daß er in seinen Reden hier und auch in seinem Aufsatz im Bulletin von gestern, mit dem wir uns auf dieser Tribüne ja eigentlich nicht beschäftigen sollten; lediglich einen Appell an die Sozialdemokratische Partei gerichtet habe. Es ist ein merkwürdiger Appell. Die Rede des Innenministers — und deshalb habe ich aus Empörung den Saal verlassen - hatte im wesentlichen kein anderes Ziel, als die Sozialdemokratische Partei der ideologischen und politischen Nachbarschaft mit der kommunistischen Gewaltherrschaft zu verdächtigen.

(Beifall und Zuruf bei der SPD: Immer das alte Lied! — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich will Ihnen das beweisen. In dem Aufsatz im Bulletin, der nur ein „wohlmeinender staatsmännischer Appell" und nicht etwa eine parteipolitische Entstellung sein sollte,

(Zuruf von der SPD: Eine Verleumdung!)

finden wir als Kapitelüberschrift: „Wehners Schleichweg zum Sozialismus".

(Zuruf von der SPD: Unerhört! Weitere Zurufe.)

Bitte, das ist eine staatspolitische, vom Minister geleistete Aufklärungsarbeit, ein Appell an gemeinsame Verantwortung, nicht wahr? Und dann heißt es, „daß mindestens für große Teile der Sozialdemokratischen Partei die im Grundgesetz festgelegte Wertordnung, die im Grundgesetz festgelegte wirtschaftliche und soziale, d. h. ,gesellschaftliche Ordnung nicht ihren Vorstellungen entspricht". Das Grundgesetz gibt Raum für sehr verschiedenartige innere Gestaltung dieses unseres Staates; denn es ist ein demokratisches Grundgesetz. In diesem Grundgesetz steht z. B. sogar der Art. 15, dessen volle Ausschöpfung von unserem Stuttgarter Parteitag nicht einmal gefordert worden ist. Sie können doch nicht einfach — ich wiederhole das noch einmal — Ihre Politik mit dem Grundgesetz verwechseln, Ihre Politik stehe nunmehr unter Naturschutz und sei durch das Grundgesetz jeder Kritik entzogen. Das ist ein Irrtum.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Ein weiterer Punkt. Der Herr Bundesinnenminister kam noch einmal auf die Bemerkung des Kollegen Dr. Mommer zurück, ob es nicht eine Dummheit gewesen sei, die Kommunistische Partei zu verbieten. Meine Damen und Herren, hier handelt es sich gar nicht um die rechtliche Würdigung, daß die Kommunistische Partei keine Partei ist, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht.

(Zuruf von der Mitte: Gerade darum und nur darum!)

— Nein. Der Grundgesetzgeber hat bewußt nicht das Bundesverfassungsgericht zum Einschreiten kraft Amtes verpflichtet, sondern, weil es sich um eine politische Angelegenheit handelt, das Antragsrecht der Bundesregierung übertragen. So fängt das doch erst einmal an.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Dazu will ich Ihnen folgendes sagen. Gerade bei der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Gefahr, die ein Weltproblem ist, meinen wir, daß es darauf ankommt, mit dem Gehirn und mit dem Herzen die Auseinandersetzung zu gewinnen, die Menschen, um die sich die Kommunisten durch die Infiltrationsarbeit bemühen, geistig immun zu halten und die Anhänger der Kommunisten in offener Aussprache zu überzeugen. Wer hat denn jene Millionen Wähler in der deutschen Arbeiterschaft zu Demokraten gemacht, die früher einmal kommunistisch gewählt haben? Das waren wir in den Hochburgen des Ruhrgebiets!

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir warnen davor, überlebten obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen zu verfallen und zu glauben, die Auseinandersetzung, die der einzelne selbstbewußte Staatsbürger, der zur Demokratie steht, persönlich, durch Überzeugung führen muß, allein den Organen der staatlichen Polizei, der Unterdrükkungsmaschinerie oder gar der bewaffneten Macht übertragen zu können. Das ist die falsche Methode. damit fertig zu werden.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Eine Demokratie lebt davon, daß die einzelnen Demokraten bereit sind, für ihre Überzeugung einzutreten und auch der anderen Auge in Auge gegenüberzustehen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) Darauf kommt es an.

Ein Letztes zu diesem Komplex. Hier wurde noch einmal gesagt, die Bundeswehr brauche keine Atomwaffen, wenn es gelinge, in den nächsten anderthalb Jahren zur allgemeinen kontrollierten Abrüstung zu kommen. Ich entsinne mich da der
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1745
Erler
Berichte über eine Tagung in Königswinter. Da hat ein Sprecher aus Ihren Reihen dargelegt, daß Voraussetzung für die allgemeine kontrollierte Abrüstung doch wohl ein hohes Maß an Übereinstimmung in den ethischen Prinzipien sei, sonst könne man nicht dazu kommen. In diesen anderhalb Jahren schaffen Sie doch den Bolschewismus nicht ab, Kollege Kiesinger! Wer mit dieser Auffassung an die allgemeine kontrollierte Abrüstung herangeht, sie also gar nicht für möglich hält und trotzdem sagt: In dieser Zeit muß die Entscheidung über die Atombewaffnung in der Bundeswehr gefallen sein, der will die Atomwaffen für die Bundeswehr auf jeden Fall.

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Wer wirklich für die allgemeine kontrollierte Abrüstung eintritt, der sollte begreifen, daß man hier nicht nach der Politik des „alles oder nichts" verfahren kann. Sie kommen nie auf einen einzigen Schlag zur allgemeinen kontrollierten Abrüstung. Sie werden dieses Problem nur Stück für Stück meistern, und zwar lediglich dadurch, daß Sie das gegenwärtige Wettrüsten beenden, aber nicht dadurch, daß Sie die Atombewaffnung der Bundeswehr weiter auf die Spitze treiben und damit allgemein das Wettrüsten in der Welt und nicht die Abrüstung fördern.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303104600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0303104700
Ja.

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0303104800
Herr Erler, da Sie mich angesprochen haben, frage ich Sie: Haben Sie nicht gelesen, daß ich diese eine von sechs Voraussetzungen nicht für die Abrüstung, sondern für das Gelingen ein es kollektiven Sicherheitssystems in Europa aufgestellt habe?

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0303104900
Nach den mir zugegangenen Äußerungen — wohlgemerkt, es mag Unterschiede geben — —

(Aha-Rufe von der CDU/CSU.)

— Bitte, nehmen Sie es, wie es Herr Kiesinger gesagt hat. Ich halte ein kollektives Sicherheitssystem in Europa für noch leichter erreichbar als eine weltumspannende allgemeine kontrollierte Abrüstung, weil sie ein Schritt dazu sein kann.

(Beifall bei der SPD.)

Denn wenn wir die allgemeine kontrollierte Abrüstung haben, brauchen wir in Europa kein kollektives Sicherheitssystem zur Lösung unserer Probleme mehr. Das ist dann nämlich überflüssig geworden.

(Beifall bei der SPD.)

Wer die allgemeine kontrollierte Abrüstung will,
muß die Schritte dazu wollen und darf nicht Schritte
in entgegengesetzter Richtung tun. Wer anderen
Staaten zur Atomabrüstung zuraten will, darf nicht selber nach Atomwaffen drängen; er wird dann bei seinen Ratschlägen etwas unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD.)

Im Auftrage der Sozialdemokratischen Fraktion möchte ich wegen der Bedeutung dieser Frage namentlich Abstimmung beantragen. Nach der Haltung der Regierungsparteien in der ersten und in der heutigen zweiten Lesung ist die Mehrheit dieses Hauses gewillt, die von uns vorgeschlagene Befragung des deutschen Volkes, ob es eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr will, abzulehnen. Mit dieser Ablehnung gibt die Mehrheit dieses Bundestages noch einmal zu erkennen, daß ihr die Meinung von Millionen Menschen in der Bundesrepublik zu dieser das Schicksal unserer Nation entscheidenden Frage gleichgültig ist.

(Beifall bei der SPD. — Pfui-Rufe und weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie wissen genau, daß das deutsche Volk, von einer Minderheit abgesehen, eine Beteiligung der Bundesrepublik an dem atomaren Wettrüsten in der Welt nicht will. Trotzdem wollen Sie Ihren Willen, Westdeutschland zu einer atomar aufgerüsteten Militärmacht zu machen, gegen diese Mehrheit des Volkes durchsetzen. Um sich darin nicht gehindert zu fühlen, verurteilt man den Wähler zum Schweigen. Das sind die wahren Beweggründe für ihre juristischen Scheinargumente.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit!)

Dieses Vorgehen ist um so verhängnisvoller, weil mit Ihrer Politik die Hoffnung der Völker, zu einer allgemeinen Abrüstung in der Welt zu kommen, gestört und die Spaltung unserer Nation vertieft wird.
Sie können sich nicht auf die Bundestagswahlen von 1957 berufen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Warum nicht?)

Sie haben damals den Wählern Ihre Absicht — die, wie man heute weiß, schon damals bestanden hat — verschwiegen,

(Zuruf von der CDU, CSU: Ist gelogen!)

die Bundeswehr alsbald nach den Bundestagswahlen mit atomaren Waffen auszurüsten.

(Fortgesetzte lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Dort kommt der interessante Zwischenruf „Gelogen". Ich will es Ihnen hier gleich noch deutlicher sagen: Da, wo Ihnen diese Absicht vorgehalten wurde, haben Sie sie abgestritten und sogar das Gegenteil behauptet.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Metzger: Stimmt! Das haben wir erlebt! — Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber täuschen Sie sich nicht! Mit der Ablehnung unseres Gesetzentwurfes ist der Kampf gegen die atomare Bewaffnung im gespaltenen Deutschland nicht beendet. Ihre Weigerung, das Volk zu hören, wird uns ein Ansporn sein, der Bevölkerung noch
1746 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Erler
stärker als bisher das Gefährliche Ihrer Politik zum Bewußtsein zu bringen.

(Zuruf des Abg. Kiesinger.)

Wir werden alles tun, um der Stimme des Volkes trotz dieser heutigen Abstimmung Gehör und Beachtung zu verschaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie?)

Mit atomaren Waffen kann Deutschland nicht geschützt, sondern nur zerstört werden. Die Verantwortung für das, was kommen wird, werden einzig und allein diejenigen zu tragen haben, die nachher bei der namentlichen Abstimmung gegen den Gesetzentwurf stimmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wissen wir allein! Das brauchen wir uns nicht sagen zu lassen! — Jawohl, Herr Lehrer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir Sozialdemokraten werden nicht ruhen, bis die Bedrohung, die durch Ihre Politik noch gesteigert wird, von unserer Nation und der Menschheit abgewehrt ist.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Erregte Zurufe von den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303105000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0303105100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sehr zugespitzte Erklärung, die der
Herr Abgeordnete Erler namens der Fraktion der SPD abgegeben und mit der er den Antrag auf namentliche Abstimmung begründet hat, veranlaßt die Fraktion der FDP zu folgender Erklärung:
Wir wiederholen die Schlußworte unseres Sprechers, des Abgeordneten Dürr, die sinngemäß lauteten: Es wäre ganz falsch, zu vermuten, daß wir in unserer Gegnerschaft gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik schwankend geworden wären. Da diese atomare Bewaffnung den Weltfrieden und die Wiedervereinigung gefährdet, verfolgen wir unser Ziel nach wie vor weiter. Zur Erreichung dieses Ziels halten wir aber eine Volksbefragung nicht für das richtige Mittel.
Aus diesem Grunde lehnen wir den Antrag der SPD ab, nicht etwa deshalb, weil uns die Meinung der Bevölkerung gleichgültig wäre.

(Beifall bei der FDP.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303105200
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Debatte geschlossen.
Wird der Antrag auf namentliche Abstimmung genügend unterstützt? — Das ist der Fall. Ich bitte, die Stimmkarten für die namentliche Abstimmung einzusammeln.
Ich mache auf folgendes aufmerksam. Nach dem Beschluß über die Erledigung dieser zweiten Beratung bezieht sich die Abstimmung auf die §§ 1 bis einschließlich 4 sowie die Einleitung und die Überschrift. Es wird also mit der einen Abstimmung über das ganze Gesetz entschieden. Ich bin wohl richtig verstanden worden.

(Zustimmung.)

— Dann kann die Abstimmung beginnen.
Sind alle Stimmkarten abgegeben? — Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. —
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben 123 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 215, 2 Enthaltungen, 5 Berliner Abgeordnete haben mit Ja, 2 mit Nein gestimmt. Es sind also insgesamt 340 Stimmen zuzüglich 7 Berliner Stimmen abgegeben. Der Gesetzesantrag ist in zweiter Lesung und damit endgültig abgelehnt.
Ja
SPD
Frau Albertz
Altmaier Dr. Arndt Auge
Dr. Baade Bäumer Bals
Bazille
Dr. Bechert
Behrendt Behrisch
Frau Bennemann Berkhan
Berlin
Bettgenhäuser
Frau Beyer (Frankfurt) Blachstein
Dr. Bleiß Börner
Dr. Brecht
Bruse
Büttner Conrad Corterier Cramer Dewald Diekmann
Diel (Horressen) Dopatka Dröscher
Frau Eilers (Bielefeld) Erler
Faller
Felder Folger Franke Dr. Frede
Geiger (Aalen) Geritzmann
Gleisner (Unna)

Dr. Greve
Haage
Dr. Harm
Hauffe Heide
Heiland Heinrich
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Höcker Höhmann
Höhne Hörauf
Frau Dr. Hubert Hufnagel
Iven (Duren)

Jacobi
Jacobs
Jaksch
Jürgensen Junghans Frau Keilhack
Frau Kettig Keuning
Kinat
Frau Kipp-Kaule
Könen (Düsseldorf)

Koenen (Lippstadt)

Frau Korspeter
Kraus
Dr. Kreyssig
Kriedemann Kurlbaum Lange (Essen)

Lantermann Leber
Lohmar
Ludwig
Lücke (Osnabrück)

Lünenstraß
Maier (Freiburg)

Matzner
Dr. Menzel Merten
Metter
Metzger
Dr. Meyer (Frankfurt)

Meyer (Wanne-Eickel)

Dr. Mommer
Müller (Erbendorf)

Müller (Worms)

Odenthal Pöhler
Pohle
Prennel Priebe
Pusch
Dr. Ratzel Regling
Rehs
Reitz
Reitzner Rohde
Ruhnke
Dr. Schäfer
Frau Schanzenbach
Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)
Schröder (Osterode)

Seidel (Fürth)

Seither
Stenger
Striebeck Frau Strobel
Wegener Wehr
Welke
Welslau
Weltner (Rinteln)

Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1747
Wienand
Wischnewski Wittrock
Berliner Abgeordnete
Frau Krappe
Mattick
Neumann
Schröter (Berlin) Dr. Seume
Nein
C DU /CSU
Frau Ackermann
Dr. Aigner Arndgen
Baier (Mosbach)

Baldauf
Dr. Balke Balkenhol Dr. Bartels Dr. Barzel
Bauer (Wasserburg) Bauereisen Bauknecht
Bausch
Becker (Pirmasens) Berberich
Dr. Bergmeyer
Frau Dr. Bleyler
Blöcker
Frau Blohm
von Bodelschwingh
Dr. Böhm Brand
Frau Brauksiepe
Brese
Frag Dr. Brökelschen
Brück
Bühler
Dr. Burgbacher
Caspers
Dr. Czaja Deringer Diebäcker Diel (Burg Leyen)

Dr. Dittrich Dr. Dollinger
Draeger
Dr. Dresbach
Ehren
Eichelbaum Engelbrecht-Greve
Frau Engländer
Enk
Even (Köln) Franzen
Dr. Fritz (Ludwigshafen) Fritz (Welzheim)
Fuchs
Frau Dr. Gantenberg
Gerns
Gewandt Gibbert
Dr. Gleissner (München) Gockeln
Dr. Görgen Dr. Götz Goldhagen Gontrum Gottesleben Günther
Freiherr zu Guttenberg Hahn
Frau Hamelbeck
Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger
Dr. Heck (Rottweil)

Heix
Dr. Hellwig
Dr. Hesberg
Hesemann
Heye
Höcherl Höfler
Holla
Hoogen Horn
Huth
Dr. Huys
Jahn (Stuttgart)

Dr. Jordan
Josten
Dr. Kanka
Katzer Kemmer Kiesinger
Dr. Kliesing (Honnef) Knobloch
Dr. Knorr
Koch
Kraft
Kramel Kroll
Krüger Krug
Kunst
Kuntscher
Kunze Leicht
Dr. Leiske
Lenz (Brühl)

Lenze (Attendorn) Leonhard
Lermer Leukert Dr. Leverkuehn
Dr. Lindenberg
Dr. Löhr
Lücker (München)

Maier (Mannheim) Majonica
Dr. Baron Manteuffel-Szoege Dr. Martin
Maucher Memmel Mengelkamp
Menke
Meyer (Oppertshofen)

Dr. Meyers (Aachen)

Mick
Muckermann
Mühlenberg
Müser Oetzel Frau Dr. Pannhoff
Pelster Pernoll Dr, h. c. Pferdmenges
Dr. Philipp
Frau Dr. Probst
Rasner
Frau Dr. Rehling
Dr. Reinhard
Dr. Reith
Richarts
Riedel (Frankfurt)

Frau Rösch
Rösing
Dr. Rüdel (Kiel)

Ruland Scharnberg
Schlee Schlick
Dr. Schmidt (Wuppertal) Frau Schmitt (Fulda) Schmücker
Dr. Schröder (Düsseldorf)

Schulze-Pellengahr
Schwarz
Frau Dr. Schwarzhaupt
Dr. Seffrin
Seidl (Dorfen) Dr. Siemer
Solke
Spies (Brücken)

Spies (Emmenhausen)

Dr. Stecker
Frau Dr. Steinbiß
Stiller
Dr. Stoltenberg Storch
Sühler
Teriete
Dr. Toussaint Unertl
Varelmann Vehar
Vogt
Wacher
Dr. Wahl
Frau Dr. h. c. Weber (Essen) Dr. Weber (Koblenz) Wehking
Weinkamm
Frau Welter (Aachen) Wendelborn
Dr. Wilhelmi Dr. Willeke Windelen
Winkelheide Wittmann
Worms
Wullenhaupt Dr. Zimmer
Dr. Zimmermann
Berliner Abgeordnete
Dr. Krone FDP
Dr. Achenbach
Dr. Becker (Hersfeld)

Dr. Bucher Dr. Dahlgrün
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dowidat
Dürr
Eisenmann
Frau Friese-Korn
Graaff
Keller
Dr. Kohut Kühn (Bonn)

Dr. Maier (Stuttgart) Mauk
Schultz
Spitzmüller
Dr. Stammberger
Walter
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Dr. Will
DP
Dr. Elbrächter
Euler
Frau Kalinke
Logemann
Matthes
Dr. von Merkatz Dr. Preusker
Probst (Freiburg) Dr. Ripken
Dr. Schild
Schneider (Bremerhaven) Dr. Steinmetz
Enthalten
FDP
Dr. Hoven Rademacher
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses (12. Ausschuß) über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht — Antrag der Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, gegen die Regierung des Landes Hessen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, zu erkennen, daß das Land Hessen die ihm nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes obliegende Pflicht zur Bundestreue verletze, indem es die Landesregierung unterlasse, die Beschlüsse der Vertretungskörperschaf ten hessischer Gemeinden zur Durchführung von Volksbefragungen über Atomwaffen in der Bundesrepublik aufzuheben (Drucksache 437).
Ich erteile dem Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Hoogen, das Wort.

Matthias Hoogen (CDU):
Rede ID: ID0303105300
Herr Präsident, darf ich anregen, mir zu erlauben, gleich meinen Bericht zu Punkt 3 der Tagesordnung mit zu erstatten, weil er tatsächlich und rechtlich gleichgelagert ist?
1748 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303105400
Ist das Haus damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann rufe ich auch Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Streitsache vor dem BVG (Hamburg)

Beratung des Mündlichen Berichts des Rechtsausschusses (12. Ausschuß) über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht — Antrag der Bundesregierung auf verfassungsrechtliche Prüfung des hamburgischen Gesetzes betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl S. 141) (Drucksache 438).
Das Wort hat Herr Hoogen.

Matthias Hoogen (CDU):
Rede ID: ID0303105500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat in den Verfassungsstreitigkeiten der Bundesregierung gegen das Land Hamburg und das Land Hessen die Klageschriften dem Herrn Präsidenten des Bundestages zugeleitet. Der Rechtsausschuß hat sich üblicherweise mit der Frage befaßt, ob dem Plenum des Bundestages vorgeschlagen werden soll, daß sich der Bundestag in den Verfahren äußere oder nicht. Der Ausschuß hat mit Mehrheit beschlossen, dem Hohen Haus zu empfehlen, sich in den Verfahren, die, wie Sie sicherlich der Presse entnommen haben, am 8. und 9. Juli in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht mündlich verhandelt werden, zu äußern.
Bei diesem Beschlusse waren für die Mehrheit des Ausschusses zwei Erwägungen maßgebend. Einmal handelt es sich hier um die Auslegung des Grundgesetzes in einer sehr grundlegenden Frage, und wir sind der Meinung, daß sich der Bundestag an der Erörterung dieser Frage beteiligen sollte. Zum andern haben wir ein sehr naheliegendes Anliegen; denn durch die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Länder Hessen und Hamburg wird die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiete der Verteidigung berührt. Wir hielten es deshalb im Ausschuß für richtig, daß sich das Hohe Haus — da seine eigene Gesetzgebungszuständigkeit berührt wird auch in dieser Frage äußern solle.
Infolgedessen habe ich Ihnen namens des Rechtsausschusses die Bitte zu übermitteln, den Anträgen auf den Drucksachen 437 und 438 zuzustimmen. Ich darf noch ergänzend bemerken, daß die Vertretung des Hohen Hauses vor dem Bundesverfassungsgericht sich nach § 7 der Geschäftsordnung richtet, daß also der Präsident des Bundestages dafür zuständig und dazu berufen ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303105600
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0303105700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich mir vielleicht zunächst erlauben, die Vorschrift der Geschäftsordnung in Erinnerung zu bringen, daß bei einer Berichterstattung, sofern es in einem Ausschuß zu einer streitigen Abstimmung gekommen ist, sowohl die Meinung der Mehrheit wie auch die Meinung der Minderheit dem Hause vorzutragen ist. Ich möchte mir das nur als Hinweis zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Hoogen, gestatten,
Aber die Meinung der Minderheit im Ausschuß kommt nicht zu kurz; denn ich habe hier die Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu begründen, daß beide Anträge abgelehnt werden sollten.
Das Hohe Haus hat in der Vergangenheit in all den Fällen, in denen eine Beteiligung des Bundestages an Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Debatte stand, ganz bestimmte Grundsätze entwickelt, Grundsätze, nach denen eine Beteiligung entweder in Betracht kam oder nicht in Betracht kam. Das Hohe Haus hat sich stets auf den Standpunkt gestellt, eine Beteiligung an einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht komme nur in Betracht, wenn ein eigenes Gesetz zu verteidigen sei. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Im Rechtsausschuß ist gesagt worden, in diesen beiden Verfahren würden die Rechte des Bundestages berührt. Meine Damen und Herren, es ist nicht ersichtlich und es ist auch nicht ausreichend dargelegt — auch in der letzten Debatte nicht —, wieso die Rechte des Bundestages, die Freiheit der Entscheidung dieses Parlaments, in irgendeiner Weise dadurch berührt werden, daß etwa in Frankfurt oder Offenbach oder sonst irgendwo Volksbefragungen zum Problem der atomaren Aufrüstung durchgeführt werden. Es ist also nicht ersichtlich, inwieweit die Sachkompetenz des Bundestages in irgendeiner Weise zu verteidigen wäre.
Der Herr Kollege Hoogen hat hier übrigens eine interessante Bemerkung gemacht. Er hat gesagt, und zwar zu dem Fragenkomplex, um den es bei der Volksbefragung geht, hier ergebe sich eine Beeinträchtigung der Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiete der Verteidigung. So etwa war die sinngemäße Darlegung des Herrn Kollegen Hoogen. In der Debatte vorhin, als es darum ging, woher der Bundestag die Kompetenz nimmt, ein Volksbefragungsgesetz zu beschließen, haben Sie gerade diese Kompetenz des Bundestages, auf die Sie sich jetzt zur Begründung der Beteiligung an den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht berufen, bestritten.

(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Sie haben aber schlecht zugehört!)

Erkläret mir, Graf Örindur, diesen Zwiespalt der Natur!

(Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Sie müssen besser aufpassen!)

Aus diesen Erwägungen glauben wir, daß der Bundestag sich an den beiden Verfahren nicht beteiligen sollte.
Aber es erscheint mir wesentlich, noch auf einen zweiten Gesichtspunkt hinzuweisen. Es entspricht der Praxis dieses Hohen Hauses, dann, wenn es sich in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht äußern will, ein Mitglied des Hauses mit der Abgabe der Äußerung zu beauftragen. Das
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1749
Wittrock
haben wir gestern getan, als wir dahin entschieden, daß der Bundestag sich an dem Verfahren über die Verfassungsstreitigkeiten beteiligt, die sich aus dem Gesetz über den preußischen Kulturbesitz ergeben haben. Da hat der Bundestag beschlossen: Wir beauftragen den Abgeordneten Hoogen, eine Äußerung für den Bundestag abzugeben. Das ist also die bisherige Praxis des Parlaments. Nun sagt man auf einmal: Der Bundestag wird durch seinen Präsidenten vertreten, und man beruft sich auf den § 7 der Geschäftsordnung.
Ich will hier keine Ausführungen darüber machen, welche Bedeutung dem § 7 der Geschäftsordnung, nach dem der Präsident die Rechte des Hauses wahrzunehmen hat, in unserem Zusammenhang zukommt. Eines ist doch hier wesentlich, das ist auch eine Frage der politischen Würdigung und, was in diesem Zusammenhang wesentlich ist, eine Frage des Stiles dieses Hauses. Es geht zwar hier um einen Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht, aber der Streit ist ja nicht nur ein Rechtsstreit, sondern in materieller Hinsicht, wenn man das betrachtet, was dieses Volk im Bereich der Bundesrepublik bewegt, und wenn man das betrachtet, was dieses Hohe Haus bewegt, erkennt man doch, daß es auch ein politischer Streit ist,

(Abg. Rasner: Aber nicht in Karlsruhe!)

was den Bundestag anlangt, der ja nicht eine abstrakte Institution ist. Der Bundestag ist ja auch ein politisches Organ, Herr Rasner,

(Abg. Rasner: Aber nicht in Karlsruhe!)

und dieser Bundestag ist in diesem politischen Streit in zwei Teile zerspalten. Das mögen wir bedauern, das mögen wir nicht bedauern, das spielt keine Rolle; es ist eine Tatsachenfeststellung.
Es entspricht nicht der Vorstellung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vom Amt des Präsidenten dieses Hauses, daß der Präsident von seinem Stuhl herabsteigt und — nicht als Abgeordneter, als Politiker — als Präsident, der hier über den Wassern schweben sollte, in einen Streit eingreift und in diesem Streit eine Äußerung als Präsident abgibt, in einem Streit, welcher also nicht bloß ein Rechtsstreit, sondern auch ein politischer Streit ist. Wir glauben, dieses Haus tut sich selbst und seinem Präsidenten einen schlechten Dienst, wenn es einen solchen Weg beschreitet, den Weg nämlich, den Präsidenten in einem politischen Streit gewissermaßen in die Arena zu schicken.
Das sollten wir nicht tun. Wir sollten vielmehr an der bisherigen Praxis festhalten, einen Abgeordneten mit dieser Aufgabe zu betrauen, der die politischen und die verfassungspolitischen Meinungen des Hauses darstellt. Es kommt ja nicht nur darauf an, dem Bundesverfassungsgericht ein Verfassungsgutachten mehr zu erstatten, sondern es kommt auch darauf an, daß das Organ Deutscher Bundestag als politisches Organ eine verfassungspolitische Würdigung abgibt. Wir glauben, bei dieser Sachlage würde es dem Hause ziemen — ich sage das mit allem Nachdruck —, wenn in dieser Frage, in der nicht bloß die verfassungsrechtlichen, sondern auch die verfassungspolitischen Wertungen des Hauses auseinandergehen, das Haus nicht einen Abgeordneten, sondern einen Abgeordneten aus dem Kreise der Mehrheit und einen Abgeordneten aus dem Kreise der Minderheit mit der Wahrnehmung seines Rechtes zur Beteiligung im Verfahren beauftragte. Das ist ein weiterer Gesichtspunkt, der uns bestimmen muß, diese beiden Anträge abzulehnen.
Ich weiß nicht, ob Sie sich den Text durchgelesen haben. Es heißt: Der Bundestag wird sich im Sinne des Antrags der Bundesregierung und seiner Begründung äußern. Ich möchte hier einmal die Frage stellen: wer kennt eigentlich die Begründung, welche die Bundesregierung ihrem Antrag gegeben hat?

(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Wir!)

— Na, Sie vielleicht; aber noch nicht einmal alle Mitglieder des Hauses kennen sie. Sie machen sich eine Begründung — jetzt spreche ich das ganze Haus und nicht nur den Herrn Kollegen Dr. Weber an — für den Inhalt der Äußerung dieses Hauses zu eigen, die Sie in Ihrer ganz überwiegenden Mehrheit überhaupt gar nicht kennen.

(Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Über die wir zwei Tage lang diskutiert haben!)

— Das, was Sie hier diskutiert haben, besagt nichts über die Einzelheiten der Begründung einer Klageschrift oder einer antragsbegründenden Schrift vor dem Bundesverfassungsgericht.
Das ist auch eine Stilfrage. Mit dem Stil, sich vorbehaltlos für eine Äußerung eines Verfassungsorgans, nämlich des Deutschen Bundestages, die Meinung der Bundesregierung zu eigen zu machen, im Sinne der Begründung der Bundesregierung zu argumentieren, mit einer solchen Einstellung denaturieren Sie dieses Hohe Haus zu einem bloßen Anhängsel der Regierung.

(Oh-Rufe von der Mitte. — Zuruf von der SPD: Sehr bezeichnend.)

Wir Sozialdemokraten machen das nicht mit, nicht bloß aus verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Erwägungen, die in diesem Streit eine Rolle spielen, nicht bloß aus politischen Überlegungen, die in diesem Streit hier vorgetragen worden sind, sondern wir wollen um der Würde dieses Hauses willen nicht, daß dieses Haus sich zu einem Anhängsel an die Bundesregierung degradiert.

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303105800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0303105900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP stimmt den beiden Anträgen nicht zu. Wir sind zum ersten auch der Ansicht, der Bundestag sollte sich in einen Streit zwischen der Bundesregierung und Landesregierungen in dieser Materie nicht einmischen.
Zum anderen veranlaßt uns folgendes zu dieser Haltung. Der Herr Abgeordnete Arndt hat heute

Dr. Bucher
in sehr ernsten Ausführungen beklagt, daß wir immer mehr gemeinsame Institutionen verlieren. Dafür haben wir heute ein sehr gutes Beispiel erlebt. Der Herr Kollege Metzger hat geäußert, er habe Zweifel daran, ob bei dem Herrn Innenminister als Verfassungsminister die Verfassung in guten Händen sei. Seine Fraktion hat ihm durch Beifall zugestimmt. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß wir diese Zweifel teilen, besonders nach dem heutigen Auftreten des Herrn Bundesinnenministers,

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

das zwar eines guten Wahlredners, aber nicht eines Verfassungsministers würdig war.
Darauf sagt der Herr Abgeordnete Barzel, daß die Opposition dem Bundesinnenminister mißtrauisch gegenüberstehe, sei vollkommen belanglos. Da zeigt sich doch, welch merkwürdige Vorstellungen über Verfassungen hier bestehen. Ich will nicht die Zwischenrufe wiedergeben, die ich das Vergnügen habe immer wieder zu hören, da ich ja neben der Creme der CSU sitze,

(Heiterkeit bei der SPD)

die Gott sei Dank das Ohr des Stenographen meistens nicht erreichen.

(Abg. Rasner: Wollen Sie nach links herüber?)

— Nein, ich halte es noch aus. Aber diese Zwischenrufe — ich könnte eine ganze Blütenlese davon wiedergeben — zeigen, welch merkwürdige Auffassung von der Stellung der Regierungspartei und der Opposition man hat. Heute hat ein Sprecher der SPD einen Satz angefangen: „Unser oberstes Ziel ist es", da wurde gerufen: „die Regierung zu stürzen!" Als ob das nicht ein legitimes Ziel wäre.

(Abg. Rasner: Stürzen!)

— Ja, stürzen ist etwas grausam ausgedrückt; aber es ist ja nicht so wörtlich gemeint. — Einen solchen Zwischenruf könnte ich mir im Obersten Sowjet oder in Portugal vorstellen, aber doch nicht bei uns.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

Nun meine ich, eine der unumstritten gemeinsamen Institutionen, die wir noch haben, ist der Präsident dieses Hauses, der sich z. B. in seiner Antrittsrede in Berlin bemüht hat, die sechs Gemeinsamkeiten herauszustellen, und der sich auch sonst als Person und als Institution bemüht, eine gemeinsame Linie zu erhalten. Ihm sollten wir es nicht zumuten, in dieser doch höchst umstrittenen Sache vor dem Bundesverfassungsgericht zwar formell den Bundestag, praktisch aber eben nur einen Teil, wenn auch den größeren Teil des Hauses, zu vertreten.

(Beifall bei der SPD und der FDP.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303106000
Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelmi.

Dr. Hans Wilhelmi (CDU):
Rede ID: ID0303106100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um drei
Fragen, zunächst um die Frage der Beteiligung in irgendeiner Form überhaupt, zweitens um die Frage, wer sich beteiligt, drittens darum, in welcher Form er sich zu beteiligen hat.
Zu der ersten Frage, ob man sich überhaupt beteiligen solle, war Herr Kollege Wittrock der Ansicht, es gebe hier für den Bundestag nichts zu verteidigen. Nun, es gibt etwas sehr Erhebliches zu verteidigen, nämlich das Grundgesetz, und das ist schließlich das Wichtigste, was der Bundestag zu verteidigen hat.

(Abg. Wittrock: Dann müßte sich der Bundestag an jedem Streit über verfassungsrechtliche Fragen beteiligen!)

Herr Kollege Wittrock, der Bundestag hat die Änderung der Grundordnung beschlossen, um die es sich hier handelt, nämlich die Bestimmungen über clic Gesetzes- und Verwaltungskompetenz bei Wehrfragen. Gerade um diese Dinge handelt es sich hier. Der Streit geht unmittelbar um eine Änderung des Grundgesetzes, die der Bundestag beschlossen hat. Sie können also in dieser Sache nicht einen Unterschied zwischen dem Parlamentarischen Rat und dem Bundestag machen. Es kann gar nicht zweifelhaft sein, daß der Bundestag eine von ihm beschlossene Grundgesetzänderung zu vertreten hat.
Die zweite Frage ist, wer den Bundestag zu vertreten hat. Darüber haben wir uns schon im Rechtsausschuß unterhalten. Man kann darüber verschiedener Meinung sein, wer das primäre Recht hat, ob der Herr Bundestagspräsident aus § 7 der Geschäftsordnung cien Bundestag zu vertreten hat oder ob der Bundestag jemanden bestellen kann, der dann dem Bundestagspräsidenten gegenüber vorgeht. Aber es kann ernstlich nicht bestritten werden, daß jedenfalls dann, wenn das Parlament keinen besonderen Vertreter wählt, der Bundestagspräsident der berufene Vertreter ist; er ist schlechthin der Vertreter. Es gibt in unserem ganzen Rechtsleben nicht die Vorstellung, daß jemand, der nun einmal dazu da ist, eine Institution zu vertreten, dies ausgerechnet in einem bestimmten Prozeß nicht tun darf.

(Abg. Wittrock: Wir reden aneinander vorbei!)

— Nein, Herr Kollege, ich glaube nicht, daß wir aneinander vorbeireden.
Es kommt noch die weitere Frage hinzu, die Sie angeschnitten haben, ob in diesem Falle der Bundestag oder nur dessen Mehrheit vertreten wird und ob wir infolgedessen zwei Vertreter haben müssen, einen der die Mehrheit, und einen, der die Minderheit vertritt. Auch darauf möchte ich Ihnen aus dem Gesetz heraus antworten. Nach dem Gesetz kann Beteiligter nur der Bundestag als solcher sein. Infolgedessen kann auch nur ein Vertreter geschickt werden, nämlich der, der den Bundestag vertritt, und der Bundestag muß sich seinen Willen intern bilden.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0303106200
Darf ich eine Zwischenfrage zum Problem des Vertretungsrechts des Bundestagsprä-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1751
Wittrock
sidenten stellen. Herr Kollege Wilhelmi, ist Ihnen entgangen, daß aus meinen Ausführungen zu entnehmen war, der Bundestag solle zur Wahrung des Wesens der Institution in einem solchen Streit eine andere Willensentscheidung treffen, nämlich die, die Vertretung nicht dem Präsidenten zu überlassen, sondern ein Mitglied des Hauses mit der Wahrnehmung seiner Rechte zu beauftragen? Das ist doch das Wesen. Es kommt ja nicht auf die rechtliche Argumentation, sondern auf die Bewertung der Willensentscheidung des Parlaments an.

Dr. Hans Wilhelmi (CDU):
Rede ID: ID0303106300
Schön, Herr Kollege, da schneiden Sie eine neue Frage an. Vorläufig liegt aber von keiner Seite ein Antrag vor, einen anderen Beauftragten zu bestellen. Wenn dieser Antrag gestellt wird, bin ich gern bereit, auch darüber zu sprechen. Im Augenblick liegt nur der Antrag vor, der Bundestag möge sich beteiligen, möge sich in einer ganz bestimmten Form beteiligen. Es liegt kein Antrag dahin vor, daß irgend jemand bestellt wird. Es ist infolgedessen absolut richtig, wenn ich in meinen Ausführungen davon ausging, daß, falls der Bundestag keinen Vertreter bestellt, der Bundestagspräsident der gesetzliche Vertreter des Bundestags ist. Der Bundestag kann, wie schon gestern im Ausschuß gesagt worden ist, schließlich keine Schizophrenie treiben, indem er zwei verschiedene Ansichten vertritt. Die Ansicht des Bundestags wird, wie das immer der Fall ist, intern durch Mehrheitsbeschluß gebildet.
Weiter haben Sie den Vorwurf erhoben, das, was hier in dem Antrag stehe, überfordere die Mitglieder des Bundestags; denn sie erteilten den Auftrag, der betreffende Vertreter, also jetzt der Bundestagspräsident, solle sich im Sinne der Anträge der Bundesregierung und ihrer Begründung äußern. Ich muß sagen, das ist doch etwas sehr merkwürdig, Herr Kollege Wittrock. Wir haben nun tagelang über die Gründe diskutiert und haben sämtliche Rechtsfragen wirklich — zum mindesten für die Nichtjuristen — bis zur Verzweiflung durchgekaut. Aber selbst wir Juristen waren schon etwas am Verzagen, so oft ist dasselbe gesagt worden.
Im übrigen ist jeder Fraktion das vorn Innenministerium in Verbindung mit dem Justizministerium hergestellte Gutachten zugegangen. Darin ist der Standpunkt der Bundesregierung enthalten, und ich kann Ihnen verraten, daß in der Klage auch nichts anderes steht, abgesehen davon, daß die Klage sich noch damit befaßt, daß das Land Hamburg auf die sinnige Idee gekommen ist, die ganze Angelegenheit sei eine Frage der Statistik. Da hat allerdings die Bundesregierung noch etwas ins Horn geblasen und gesagt, das sei nun doch eine reichlich törichte Begründung, eine solche Wahl als Statistik anzusehen.
Ich glaube also, meine Damen und Herren, Ihnen die Annahme des Antrags empfehlen zu können. Es ist sowohl rechtlich zulässig als auch in diesem konkreten Fall das einzig Gegebene. Die Materialien liegen zum mindesten den Fraktionen vor. Wenn Mitglieder der einen oder anderen Fraktion sich bis jetzt darüber nicht orientiert haben sollten,
können sie das nachholen. Dann wissen sie, mit welchen Aufgaben unser Vertreter betraut ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303106400
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Wittrock hat das Wort.

(Unruhe bei der CDU/CSU.)


Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0303106500
Nur keine Aufregung! — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch namens der sozialdemokratischen Fraktion einen Eventualantrag stellen. Die sozialdemokratische Fraktion beantragt:
Für den Fall der Annahme der Anträge Drucksachen 437 und 438 werden die Abgeordneten Hoogen und Dr. Arndt mit der Wahrnehmung der Rechte des Bundestages beauftragt.

(Unruhe und Lachen bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0303106600
Darf ich um den Antrag bitten. — Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung. Es muß über die Anträge Drucksachen 437 und 438 getrennt abgestimmt werden.
Es liegt der Antrag des Ausschusses vor, den Sie von Herrn Kollegen Hoogen gehört haben, nämlich, der Deutsche Bundestag möge sich gegenüber dem Bundesverfassungsgericht im Sinne des Antrags der Bundesregierung und seiner Begründung äußern. Über die Vertretung ist hierin nichts gesagt. Es ist für den Fall der Annahme des Antrages Drucksache 437 der Eventualantrag gestellt — gezeichnet: Erler und Fraktion —:
Für den Fall der Annahme der Anträge Drucksachen 437 und 438 werden die Abgeordneten Hoogen und Dr. Arndt mit der Ausübung der Rechte des Bundestages beauftragt.
Ich lasse zunächst über den Antrag des Ausschusses Drucksache 437 abstimmen.

(Anhaltende Unruhe.)

— Zunächst darf ich bitten, überall Platz zu nehmen. Mitglieder, die in den Ecken herumstehen, kann ich nicht als mitstimmend ansehen.

(Heiterkeit.)

Wir kommen also zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses — Drucksache 437 — ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist angenommen.
Wir kommen nun zu dem Eventualantrag. Das ist ein Ergänzungsantrag zu den Anträgen Drucksachen 437 und 438. Wer für diesen Ergänzungsantrag — zunächst zu dem Antrag Drucksache 437 — zu stimmen wünscht — der Antrag ist bekannt: Ernennung der Abgeordneten Hoogen und Dr. Arndt —, den bitte ich um das Handzeichen. —

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein schlechtes Gespann! — Gegenruf von der SPD zur CDU/CSU: Schöne Demokratie!)

Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist die gleiche Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
1752 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Vizepräsident Dr. Becker
Wir kommen zum Antrag Drucksache 438. Wer für diesen Antrag des Ausschusses zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Eventualantrag — den Ergänzungsantrag — hierzu auf, den Sie kennen. Wer diesem Antrage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Der Ergänzungsantrag ist abgelehnt.
Damit sind die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf den 19. Juni 1958, vormittags 9 Uhr, und schließe die Sitzung.