Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich mir vielleicht zunächst erlauben, die Vorschrift der Geschäftsordnung in Erinnerung zu bringen, daß bei einer Berichterstattung, sofern es in einem Ausschuß zu einer streitigen Abstimmung gekommen ist, sowohl die Meinung der Mehrheit wie auch die Meinung der Minderheit dem Hause vorzutragen ist. Ich möchte mir das nur als Hinweis zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Hoogen, gestatten,
Aber die Meinung der Minderheit im Ausschuß kommt nicht zu kurz; denn ich habe hier die Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu begründen, daß beide Anträge abgelehnt werden sollten.
Das Hohe Haus hat in der Vergangenheit in all den Fällen, in denen eine Beteiligung des Bundestages an Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Debatte stand, ganz bestimmte Grundsätze entwickelt, Grundsätze, nach denen eine Beteiligung entweder in Betracht kam oder nicht in Betracht kam. Das Hohe Haus hat sich stets auf den Standpunkt gestellt, eine Beteiligung an einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht komme nur in Betracht, wenn ein eigenes Gesetz zu verteidigen sei. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Im Rechtsausschuß ist gesagt worden, in diesen beiden Verfahren würden die Rechte des Bundestages berührt. Meine Damen und Herren, es ist nicht ersichtlich und es ist auch nicht ausreichend dargelegt — auch in der letzten Debatte nicht —, wieso die Rechte des Bundestages, die Freiheit der Entscheidung dieses Parlaments, in irgendeiner Weise dadurch berührt werden, daß etwa in Frankfurt oder Offenbach oder sonst irgendwo Volksbefragungen zum Problem der atomaren Aufrüstung durchgeführt werden. Es ist also nicht ersichtlich, inwieweit die Sachkompetenz des Bundestages in irgendeiner Weise zu verteidigen wäre.
Der Herr Kollege Hoogen hat hier übrigens eine interessante Bemerkung gemacht. Er hat gesagt, und zwar zu dem Fragenkomplex, um den es bei der Volksbefragung geht, hier ergebe sich eine Beeinträchtigung der Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiete der Verteidigung. So etwa war die sinngemäße Darlegung des Herrn Kollegen Hoogen. In der Debatte vorhin, als es darum ging, woher der Bundestag die Kompetenz nimmt, ein Volksbefragungsgesetz zu beschließen, haben Sie gerade diese Kompetenz des Bundestages, auf die Sie sich jetzt zur Begründung der Beteiligung an den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht berufen, bestritten.
Erkläret mir, Graf Örindur, diesen Zwiespalt der Natur!
Aus diesen Erwägungen glauben wir, daß der Bundestag sich an den beiden Verfahren nicht beteiligen sollte.
Aber es erscheint mir wesentlich, noch auf einen zweiten Gesichtspunkt hinzuweisen. Es entspricht der Praxis dieses Hohen Hauses, dann, wenn es sich in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht äußern will, ein Mitglied des Hauses mit der Abgabe der Äußerung zu beauftragen. Das
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1749
Wittrock
haben wir gestern getan, als wir dahin entschieden, daß der Bundestag sich an dem Verfahren über die Verfassungsstreitigkeiten beteiligt, die sich aus dem Gesetz über den preußischen Kulturbesitz ergeben haben. Da hat der Bundestag beschlossen: Wir beauftragen den Abgeordneten Hoogen, eine Äußerung für den Bundestag abzugeben. Das ist also die bisherige Praxis des Parlaments. Nun sagt man auf einmal: Der Bundestag wird durch seinen Präsidenten vertreten, und man beruft sich auf den § 7 der Geschäftsordnung.
Ich will hier keine Ausführungen darüber machen, welche Bedeutung dem § 7 der Geschäftsordnung, nach dem der Präsident die Rechte des Hauses wahrzunehmen hat, in unserem Zusammenhang zukommt. Eines ist doch hier wesentlich, das ist auch eine Frage der politischen Würdigung und, was in diesem Zusammenhang wesentlich ist, eine Frage des Stiles dieses Hauses. Es geht zwar hier um einen Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht, aber der Streit ist ja nicht nur ein Rechtsstreit, sondern in materieller Hinsicht, wenn man das betrachtet, was dieses Volk im Bereich der Bundesrepublik bewegt, und wenn man das betrachtet, was dieses Hohe Haus bewegt, erkennt man doch, daß es auch ein politischer Streit ist,
was den Bundestag anlangt, der ja nicht eine abstrakte Institution ist. Der Bundestag ist ja auch ein politisches Organ, Herr Rasner,
und dieser Bundestag ist in diesem politischen Streit in zwei Teile zerspalten. Das mögen wir bedauern, das mögen wir nicht bedauern, das spielt keine Rolle; es ist eine Tatsachenfeststellung.
Es entspricht nicht der Vorstellung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vom Amt des Präsidenten dieses Hauses, daß der Präsident von seinem Stuhl herabsteigt und — nicht als Abgeordneter, als Politiker — als Präsident, der hier über den Wassern schweben sollte, in einen Streit eingreift und in diesem Streit eine Äußerung als Präsident abgibt, in einem Streit, welcher also nicht bloß ein Rechtsstreit, sondern auch ein politischer Streit ist. Wir glauben, dieses Haus tut sich selbst und seinem Präsidenten einen schlechten Dienst, wenn es einen solchen Weg beschreitet, den Weg nämlich, den Präsidenten in einem politischen Streit gewissermaßen in die Arena zu schicken.
Das sollten wir nicht tun. Wir sollten vielmehr an der bisherigen Praxis festhalten, einen Abgeordneten mit dieser Aufgabe zu betrauen, der die politischen und die verfassungspolitischen Meinungen des Hauses darstellt. Es kommt ja nicht nur darauf an, dem Bundesverfassungsgericht ein Verfassungsgutachten mehr zu erstatten, sondern es kommt auch darauf an, daß das Organ Deutscher Bundestag als politisches Organ eine verfassungspolitische Würdigung abgibt. Wir glauben, bei dieser Sachlage würde es dem Hause ziemen — ich sage das mit allem Nachdruck —, wenn in dieser Frage, in der nicht bloß die verfassungsrechtlichen, sondern auch die verfassungspolitischen Wertungen des Hauses auseinandergehen, das Haus nicht einen Abgeordneten, sondern einen Abgeordneten aus dem Kreise der Mehrheit und einen Abgeordneten aus dem Kreise der Minderheit mit der Wahrnehmung seines Rechtes zur Beteiligung im Verfahren beauftragte. Das ist ein weiterer Gesichtspunkt, der uns bestimmen muß, diese beiden Anträge abzulehnen.
Ich weiß nicht, ob Sie sich den Text durchgelesen haben. Es heißt: Der Bundestag wird sich im Sinne des Antrags der Bundesregierung und seiner Begründung äußern. Ich möchte hier einmal die Frage stellen: wer kennt eigentlich die Begründung, welche die Bundesregierung ihrem Antrag gegeben hat?
— Na, Sie vielleicht; aber noch nicht einmal alle Mitglieder des Hauses kennen sie. Sie machen sich eine Begründung — jetzt spreche ich das ganze Haus und nicht nur den Herrn Kollegen Dr. Weber an — für den Inhalt der Äußerung dieses Hauses zu eigen, die Sie in Ihrer ganz überwiegenden Mehrheit überhaupt gar nicht kennen.
— Das, was Sie hier diskutiert haben, besagt nichts über die Einzelheiten der Begründung einer Klageschrift oder einer antragsbegründenden Schrift vor dem Bundesverfassungsgericht.
Das ist auch eine Stilfrage. Mit dem Stil, sich vorbehaltlos für eine Äußerung eines Verfassungsorgans, nämlich des Deutschen Bundestages, die Meinung der Bundesregierung zu eigen zu machen, im Sinne der Begründung der Bundesregierung zu argumentieren, mit einer solchen Einstellung denaturieren Sie dieses Hohe Haus zu einem bloßen Anhängsel der Regierung.
Wir Sozialdemokraten machen das nicht mit, nicht bloß aus verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Erwägungen, die in diesem Streit eine Rolle spielen, nicht bloß aus politischen Überlegungen, die in diesem Streit hier vorgetragen worden sind, sondern wir wollen um der Würde dieses Hauses willen nicht, daß dieses Haus sich zu einem Anhängsel an die Bundesregierung degradiert.