Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind politische Gründe, die die SPD-Fraktion zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr veranlaßt haben; ich sage ausdrücklich: politische Gründe und keine parteitaktischen Gründe,
das heißt also: Gründe des allgemeinen Wohls.
— Meine Damen und Herren von der CDU, Sie geben dieser Aussprache sofort wieder die richtige Ouvertüre,
indem Sie die Beweggründe Ihres politischen Gegners von vornherein verdächtigen.
Das ist eine schlechte Sache und zeugt nicht von einem guten Gewissen.
Die juristischen Gründe, die bei dieser Frage auch eine Rolle spielen, sind mehr oder weniger deshalb in die Debatte hineingekommen, weil sich die Bundesregierung und die Regierungspartei hinter sie verschanzt haben. Für uns aber ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt die Sorge um unser Volk.
— Sie können das glauben oder nicht. Ich meine, es wäre gut, wenn wir uns politisch ein bißchen ernster nähmen
und wenn man das, was von Menschen, die Glaubwürdigkeit verdienen, gesagt wird, nicht einfach mit einem höhnischen Lächeln abtäte, wie das hier von Männern und Frauen — das muß ich zu meinem großen Bedauern feststellen geschieht.
Wir können nicht einsehen, daß die atomare Ausrüstung notwendig ist. Es wäre aber längst nicht das schlimmste, wenn es nur um die Frage ginge, ob sie notwendig oder nicht notwendig ist. Dann könnte man sich zur Not mit einer solchen Sache abfinden. Wir sind aber der Auffassung, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr darüber hinaus eine lebensgefährliche Angelegenheit für unser Volk ist.
Wir sind deswegen der Meinung, daß wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, in dieser Sache tätig zu werden, und zwar um unseres Volkes willen. Es ist nicht so, wie es hier dargestellt wird, daß wir die atomare Ausrüstung brauchen, um unsere Verteidigung sicherzustellen. Es kann — unter den wirklichen Sachverständigen besteht darüber kein Zweifel — gar keine Frage sein, daß mit Atombomben eine Verteidigung nicht gewährleistet werden kann, daß im Gegenteil mit Atombomben alles das, was wir verteidigen wollen, zerstört wird.
Daß hier so oft in einer sehr leichten Weise über das Problem gesprochen wird, hängt wohl auch damit zusammen, daß es viele Menschen gibt, deren Vorstellungskraft nicht ausreicht, sich klarzumachen, was der Gebrauch von Atombomben bedeutet. Es gibt auch Menschen — Herr Barzel ist ein Beispiel dafür —, die Mangel an Vorstellungskraft mit Mut und Tapferkeit verwechseln. Es ist keineswegs Tapferkeit, wenn man sich im Brustton der Überzeugung für die atomare Bewaffnung einsetzt, sondern es ist ein Mangel an Vorstellungskraft insofern, als man offenbar nicht weiß, welche Folgen eintreten, wenn wir diesen Schritt gehen.
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Darum geht es, daß man sich das klarmacht und daß man aus Verantwortungsgefühl die notwendigen Konsequenzen daraus zieht.
In dieser Welt stehen sich heute immer noch zwei große Blöcke gegenüber, die atomar so aufgerüstet sind, daß es möglich ist, mit diesen Massenvernichtungswaffen die ganze Erde in die Luft zu sprengen. Es ist einfach nicht wahr, daß man es aus Gründen der Abschreckung nötig habe, auch die Bundeswehr, d. h. die Streitkräfte eines Teils Deutschlands und im Gefolge damit das ganze Deutschland atomar auszurüsten, um Abschreckung zu erzielen. Die Abschreckung ist durch das, was im Augenblick vorhanden ist, völlig gewährleistet
— ja, absolut gewährleistet —; denn jede Seite weiß, daß die andere sie mit den vorhandenen Atomwaffen restlos vernichten kann.
Ich glaube, es wäre gut, sich darüber einige Gedanken zu machen. Die Abschreckung mag eine gewisse Zeit ihre Wirkung tun. Glauben Sie aber im Ernst, daß die Menschheit auf die Dauer unter der Geißel der Abschreckung leben kann? Die Abschrekkung geht doch davon aus, daß sich der andere — rational, verstandesmäßig—klarmacht, was der Ausbruch eines atomaren Krieges bedeutet. Ich gebe Ihnen zu: wenn die ratio, wenn der Verstand die Herrschaft hat, wird keiner den Mut haben anzufangen, und es wird keiner den Mut haben, einen atomaren Krieg zu führen. Insofern hat die Abschreckung sicher eine gewisse Bedeutung. Aber wir alle wissen aus der Geschichte, daß sie nicht nur mit rationalen, sondern auch mit irrationalen Gründen gemacht wird. Je länger diese ungeheure Spannung dauert, um so mehr werden die irrationalen Antriebe den Ausschlag geben, und eines schönen Tages wird diese Maschinerie in Gang gesetzt werden, ohne daß man die rationalen Gründe noch entscheidend sein läßt. Die Angst und alles, was damit zusammenhängt, werden auf die Dauer gesehen viel größer sein. Die Menschheit wird diese Spannung nicht ertragen können. Die Sicherheit, von der Sie reden, wird gerade dann nicht gewährleistet sein. Unsere Sicherheit wird auf diese Weise restlos verlorengehen.
Wenn es aber so ist, daß wir die Abschreckung, die im Augenblick durch die Atomwaffen auf beiden Seiten vorhanden ist, auf die Dauer nicht durchhalten können, stehen wir doch vor der Frage, was wir tun können, um diese Spannung zu vermindern. Das heißt, wir können nur dafür sorgen, daß so schnell wie möglich abgerüstet wird. Da muß man sich doch ,die ernsthafte Frage vorlegen, ob man Abrüstung ernsthaft betreiben kann, indem man den Schrecken, der schon groß genug ist, noch vergrößert,
indem man die Angst in der Welt noch vergrößert, wobei man die Hoffnung hat oder zu haben vorgibt, daß man nun zu einer generellen Abrüstung kommen könnte. Es ist sehr schön und hört sich glänzend an, wenn der Herr Bundeskanzler und
wenn die Bundesregierung erklären: Die SPD will ja nur die nichtatomare Bewaffnung, wir wollen viel mehr, wir wollen die weltweite Abrüstung. Sehr schön und gut! Wer will die nicht? Aber es ist doch ein Selbstbetrug, wenn man so tut, als ob man die weltweite Abrüstung auf einen Schlag erreichen könnte und als ob man vorher noch alles Mögliche tun könnte, um dieser Abrüstung entgegenzuwirken.
Es ist doch gar kein Zweifel: Diese Abrüstung kann bei unseren komplizierten Verhältnissen nur dadurch verwirklicht werden, daß wir einmal an irgendeinem Zipfel anfangen. Sie tun das genaue Gegenteil. Sie fangen nicht an einem Zipfel an, sondern Sie vermehren den Schrecken, Sie vermehren die Angst, Sie vermehren die Abwehr auf der anderen Seite. Sie tun damit das genaue Gegenteil von dem, was Sie behaupten. Sie leisten nicht Sicherheit, sondern Sie vermindern die Sicherheit unseres Volkes. Weltweite Abrüstung, jawohl! Aber dann muß man in konkreten Aktionen zeigen, daß man sie ernsthaft will. Das heißt, man muß irgendwo beginnen und darf nicht das Gegenteil tun.
Die Bundesregierung tut aber das Gegenteil. Der Deutschland-Union-Dienst hat sich jetzt wieder einmal zu diesem Problem in einer Weise geäußert, wie wir sie nun ja allmählich kennen. Es wird davon gesprochen, daß die SPD mit der Atomfrage nur die Bevölkerung hinter sich bringen wolle. Das ist die alte Behauptung, die soeben in Ihren Zwischenrufen wieder zum Ausdruck kam. Dann wird gesagt, die SPD lehne die Außen- und Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung und der CDU/CSU ab, wisse jedoch nach wie vor nicht, was sie an deren Stelle setzen solle.
Herr Kiesinger hat uns vor einiger Zeit hier erklärt, daß Sie kein Programm für die Wiedervereinigung haben und daß das von Fall zu Fall geklärt werden muß. Wenn Sie zugehört haben — und Sie hatten oft genug dazu Gelegenheit, auch die Herrschaften vom Deutschland-Union-Dienst —, konnten Sie vernehmen, daß wir eine Vorstellung davon haben, wie man zur Wiedervereinigung kommen kann.
Sie können meinetwegen sagen, daß Sie mit diesem Weg nicht einverstanden sind, daß Sie ihn für falsch halten.
Aber es ist unlauter, wenn hier gesagt wird, die Sozialdemokratische Partei habe keinen Weg zu zeigen. Dann muß man sich schon die Mühe machen, sich mit diesem Weg auseinanderzusetzen. Und das tun Sie gerade nicht.
Ich habe gesagt, es kommt darauf an, daß man an einem Zipfel anfängt, daß man anfängt, von
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neuem Vertrauen zu schaffen. Wenn wir sagen, dieses Vertrauen muß in der Weise geschaffen werden, daß man sich zusammensetzt, daß man miteinander verhandelt, dann ist es der Herr Innenminister, der davon spricht, daß die Opposition gegenüber den Sowjets in Raten kapitulieren will.
Was ist das für eine Redensart von einem Regierungsmitglied, das die Pflicht hätte, objektiv zu sein, und das alles andere als die Aufgabe hätte, in einem amtlichen Bulletin in dieser üblen Weise Parteipolitik zu treiben.
Wir haben dargetan, daß man mit den Verhandlungen beginnen muß, und wir sind der Meinung gewesen -- im Einklang mit einigen Ihrer Freunde, die mir das erklärt haben —, daß der Rapacki-Plan z. B. eine Möglichkeit gäbe, mit diesen Verhandlungen zu beginnen. Wir haben keineswegs gesagt, daß das ein Evangelium sei, ein Dogma sei. Wir haben aber gesagt, daß das eine Basis ist, von der man ausgehen kann. Auch das haben Sie abgelehnt und haben damit die Wiedervereinigung noch viel weiter unmöglich gemacht.
Sie haben dafür gesorgt, daß die Angst, die mit der atomaren Ausrüstung zusammenhängt, gesteigert wird — nicht die Angst, die angeblich von uns hervorgerufen wird, sondern die Angst bei den Menschen in der Regierung auf beiden Seiten der Linie. Auf beiden Seiten besteht doch diese Angst, und sie wird eines schönen Tages das auslösende Moment sein.
Und Sie haben dabei etwas anderes noch getan, etwas, worauf Kennan in seinen Rundfunkvorträgen aufmerksam gemacht hat.
— Kennan; er wird Ihnen bekannt sein, Herr Dr. Martin.
Vielleicht haben Sie sogar die Vorträge gelesen; ich weiß es nicht.
Kennan sagt in einem seiner Vorträge, daß die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik zur Folge hat, daß die DDR und die sogenannten Satellitenstaaten gleichfalls atomar ausgerüstet werden.
— Das ist Ihre Behauptung, die zunächst einmal bewiesen werden müßte; und wenn sie es sind, dann sind sie erst als Folge unserer atomaren Handlungen aufgerüstet worden. — Kennan weist darauf hin, daß die atomare Aufrüstung dieser Staaten, der kleinen Staaten jenseits der eisernen Linie, bedeutet, daß die Sowjetrussen denen gar nicht die Atomwaffen allein überlassen können — denn soviel Zutrauen haben sie nicht —, daß die Sowjetrussen selber diese Atomwaffen in Besitz haben müssen, bedienen müssen, an diesen Stellen, in diesen Gebieten; und das bedeutet, daß die Russen in diesen Gebieten fixiert werden, daß sie niemals mehr aus diesen Gebieten hinausgehen werden.
Und das ist die Folge Ihrer Politik: daß Sie die Russen an unserer Zonengrenze, bis in Deutschland hinein, für alle Zeiten festhalten und die Möglichkeit, im Wege der Verhandlungen dieses Gebiet von fremden Truppen frei zu bekommen, immer geringer wird.
Ich glaube, gerade auch die große Zahl der Abgeordneten der CDU/CSU hätte Veranlassung, einmal über dieses Problem nachzudenken. Ich bin davon überzeugt, daß viele von Ihnen diesen Gedanken überhaupt noch nicht erwogen haben.
Die atomare Ausrüstung bedeutet also, daß wir eine weitere Verhärtung herbeiführen, anstatt daß wir den Mut haben, eine verdünnte Zone zu schaffen, und damit eben den Zipfel in die Hand nehmen, bei dem man anfangen muß, um die allgemeine Abrüstung durchzuführen.
Stattdessen, meine Damen und Herren, beschließen Sie die atomare Aufrüstung und erklären, das Volk habe Ihnen dazu die Vollmacht gegeben. Sie tun so, als wenn Sie davon überzeugt wären, daß das Volk auf Ihrer Seite steht.
Nun, meine Damen und Herren, wenn das so wäre, kann ich nur die Frage stellen: Warum lassen Sie es dann nicht zu, daß dieses Volk gefragt wird?
Warum wollen Sie verhindern, daß unser Volk zu einer Frage, die über sein Sein oder Nichtsein entscheidet, gehört wird, daß das Volk die Möglichkeit hat, sich dazu zu äußern? Wir behaupten — und wir haben dafür Beweise erbracht —, daß Sie im Wahlkampf das Volk getäuscht haben.
Sie haben zunächst einmal nicht davon gesprochen. daß Sie die Absicht haben, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen, und Sie haben da, wo diese Behauptung aufgetaucht ist, sie ganz ausdrücklich abgestritten.
Sie haben also in einem Wahlkampf das Volk in einer Weise getäuscht, wie wir es noch nicht sehr oft erlebt haben.
Und jetzt, meine Damen und Herren, verschanzen Sie sich hinter juristischen Vorwänden. Deswegen sind wir gezwungen, uns auch mit den juristischen Fragen auseinanderzusetzen.
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— Ja, zur Verfassung werde ich reden. Was verstehen Sie schon von der Verfassung!
Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie zur Verfassung stehen.
Sie stellen also die Behauptung auf, amtliche Volksbefragungen seien verfassungswidrig. Wer diese Behauptung aufstellt, der muß sie auch beweisen. Bei Ihnen liegt die Beweislast.
Denn darüber gibt es gar keinen Zweifel, daß in Demokratien prima facie, auf den ersten Anschein die Vermutung dafür besteht, daß das Volk die Möglichkeit hat, sich zu äußern, daß das Volk zum allermindesten amtlich befragt werden kann. Wir brauchen uns nur einmal in den demokratischen Ländern unserer europäischen Umgebung und darüber hinaus umzusehen.
Da stellen wir fest, daß die Volksbefragung in diesen Ländern auch das ist bereits dargetan worden — auch dann, wenn sie in der Verfassung nicht wörtlich verankert ist, in vieler Beziehung bereits praktiziert wird. Ich kann Ihnen viele Länder nennen: Norwegen, Schweden, Belgien. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern. Es gibt ein einziges Land in Europa, das in seiner Verfassung die Volksbefragung verboten hat, und dieses Land ist Spanien.
— Die Zuneigung ist manchmal sehr groß, wie wir ja wissen. Wir haben dafür auch Beweise.
Was nun unsere eigene Praxis in der Bundesrepublik anlangt, so können wir sagen, daß wir in der Frage der Volksbefragungen Praxis haben. Wir haben in der ersten Beratung bereits dargelegt, daß amtliche Volksbefragungen in der Bundesrepublik stattgefunden haben, daß sie von der Regierung gebilligt worden sind und daß sie von führenden CDU-Politikern auch in hohen amtlichen Stellungen nicht nur geduldet, sondern gefördert worden sind.
Ein klassisches Beispiel — aber das ist nur eins von vielen — ist das von Castrop-Rauxel, ein Beispiel, das dem Herrn Innenminister außerordentlich unangenehm ist.
Der Herr Innenminister versucht daher, diesen Präzedenzfall auf eine ganz eigenartige Weise aus der Welt zu schaffen. Er behauptet nämlich, das sei im Jahre 1950 gewesen, und damals sei die Bundesregierung in ihrer Souveränität noch beträchtlich beschränkt gewesen. Ich muß sagen: man kann sich nur wundern, wenn man von einem Innenminister
eine solche Begründung hört. Zunächst einmal muß ich fragen: Ist denn die Souveränität der Bundesrepublik heute vollständig wiederhergestellt? Wir brauchen nur in die Verträge zu schauen und können juristisch nachweisen, daß das nicht der Fall ist.
— Ach, Herr Dr. Martin, tun Sie doch nicht so! Sie wohnen doch ganz in der Nähe. Sie brauchen nur an einen Fall aus der letzten Zeit zu denken. In Oberroßbach im Kreise Friedberg hat ein amerikanischer Offizier den Wald einer ganzen Gemeinde abholzen lassen. Im letzten Augenblick ist es gelungen, noch einen kleinen Rest einstweilen zu retten. Und als ein sowjetischer Minister hierher flog, war die Bundesregierung nicht in der Lage, ihm die Möglichkeit dazu zu verschaffen; da mußte das Hoheitsrecht der Bundesrepublik durch die ehemaligen Besatzungsmächte ausgeübt werden.
Es ist wirklich die Frage: wo ist denn unsere perfekte Souveränität heute?
Aber ich glaube, das ist gar nicht einmal der entscheidende Gesichtspunkt.
— Ach, wir könnten Beispiele über Beispiele bringen. Ich will mich beschränken und will nicht so weitschweifig werden. Ich glaube also noch nicht einmal, daß das der ausschlaggebende Gesichtspunkt ist.
Meine Damen und Herren! Wenn die Verfassung im Jahre 1950 wegen mangelnder Souveränität angeblich nicht gegolten hat, wie kann dann der Herr Innenminister der Meinung sein, daß sie heute gilt? Und wenn das Grundgesetz heute gilt, warum hat es im Jahre 1950 nicht gelten sollen? Das ist doch die Frage, die uns der Herr Innenminister beantworten müßte, und um diese Frage hat er sich mit der faulen Ausrede gedrückt, wir seien damals noch nicht souverän gewesen.
— Ja!
Wir sind der Meinung, die Anlage unseres Grundgesetzes schafft dem Parlament bereits die Möglichkeit, sich die Informationen zu beschaffen, die es für notwendig hält, und auf dem Wege, den es für richtig hält. Das gehört mit zur Souveränität des Parlaments, und wer anders denkt, beschneidet die Souveränität des Parlaments, und zwar freiwillig.
Auf diesem Wege sind Sie, das tun Sie, und das tut der Herr Verfassungsminister.
Aber es gibt auch in der Rechtslehre genügend Auffassungen, die unsere Meinung decken. Professor Dr. Friedrich von der Harvard-Universität z. B hat
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in seinem Buch „Der Verfassungsstaat der Neuzeit" geschrieben:
In Theorie und Praxis
— das deckt sich mit dem, was ich ausgeführt habe —
ist die moderne Demokratie gekennzeichnet durch ein System des direkten Handelns des Volkes als Alternative neben allen repräsentativen Systemen.
Es wird also hier absolut deutlich gemacht: Das System mag noch so repräsentativ sein, die Möglichkeit des Handelns des Volkes ist dabei nicht ausgeschlossen. Das ergibt sich aus den allgemeinen Prinzipien der Demokratie, auch aus den Grundsätzen unserer demokratischen Verfassung.
Nun, wie führt die Bundesregierung und wie führen die Redner der CDU den Beweis dafür, daß trotz alledem unser Grundgesetz die informatorische Befragung unseres Volkes verbietet? Es wird geltend gemacht, daß der Schöpfer des Grundgesetzes die plebiszitären Möglichkeiten bewußt eingeschränkt habe. Der Herr Innenminister hat darüber hinaus auf einer Bundespressekonferenz erklärt, die Verfassung kenne in bewußter Abkehr von früheren Verfassungsformen die unmittelbar plebiszitäre Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk überhaupt nicht. Er hat also sogar bestritten, daß solche plebiszitären Möglichkeiten überhaupt bestehen. Es kann nachgelesen werden im Bulletin vorn 29. Mai 1958, Seite 964. Er hat hinzugefügt, daß Volksbefragungen eine Form des Plebiszits und daher unzulässig seien.
Das ist also die Basis des Beweises dafür, daß Volksbefragungen verfassungswidrig seien. Wir müssen dem einmal nachgehen und feststellen, was an diesen Behauptungen dran ist. Wenn wir das ominöse sogenannte Rechtsgutachten des Innen-und des Justizministeriums lesen — in der letzten Beratung ist es uns ja noch vorenthalten worden , können wir nur sagen: das ist eine Begründung, die man als ausgesprochen gequält bezeichnen muß. Eine ganze Reihe von Juristen haben zum Ausdruck gebracht, wie enttäuschend die Beweisführung ist, die man hier bringt und die im Grunde genommen genau das enthält, was uns der Herr Innenminister auch vorgesetzt hat.
Wie verhält es sich damit? Richtig ist zunächst einmal, daß das Grundgesetz Volksbegehren und Volksentscheid nur in einem Artikel, dem Art. 29, geregelt hat. Das betrifft die Neugliederung der Länder der Bundesrepublik. Aber auch die Volksbefragung in den Übergangsbestimmungen, im Art. 118, ist als Volksentscheid durch den einfachen Gesetzgeber ausgestaltet worden.
Und nun kommt eine ganz ulkige Begründung der sogenannten Rechtsgutachter der Ministerien. Sie sagen, als argumentum e contrario sei anzunehmen, daß Volksbefragungen nur da, wo sie ausdrücklich geregelt sind, zugelassen sind, weil das Wort Volksbefragung so behandelt worden ist, daß man es als Volksentscheid ausgestaltete durch den einfachen Gesetzgeber wohlgemerkt, nicht durch den Verfassungsgesetzgeber! Der einfache Gesetzgeber
hätte genauso gut die Möglichkeit gehabt, die Volksbefragung anders auszugestalten. Das stand in seiner Freiheit, dazu hatte er kraft seiner Souveränität die Möglichkeit, je nachdem, wie er es für zweckmäßig und für richtig gehalten hätte. Aus dieser Tatsache läßt sich kein juristisches Argument, jedenfalls kein juristisches Argument im Sinne der Bundesregierung ableiten.
Aber auf alle Fälle gibt es in unserem Grundgesetz die Möglichkeit der rechtlich relevanten Äußerung und der Mitwirkung des Volkes. An dieser Tatsache können wir zunächst einmal nicht vorbeigehen.
Nun wird auf die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates Bezug genommen. Man sagt: Man muß die Motive des Verfassungsgesetzgebers prüfen, und wenn man diese Motive prüft, kommt man zu dem Ergebnis, daß Volksbefragungen verfassungswidrig sind. Man muß schon auf die Motive zurückgehen, weil man in der Verfassung selbst nichts Rechtes findet, um solche Beweise zu erbringen. Kein Zweifel, im Parlamentarischen Rat ist über die Frage des Plebiszits, d. h. des Volksbegehrens und des Volksentscheids, gesprochen worden. Im Parlamentarischen Rat gab es verschiedene Meinungen, und man ist dann dazu gekommen, daß unser Grundgesetz das Plebiszit in einem beschränkten Umfang zuläßt. Das ist richtig.
Aber es geht nicht an, daß man jetzt nur die Äußerungen herauszupft, die einem im besonderen Maße gefallen. Aber auch wenn wir diese Äußerungen einmal kritisch prüfen, sehen wir, daß sie für die Meinung der Bundesregierung gar nichts, eher das genaue Gegenteil ergeben. Der damalige Abgeordnete Heuss hat z. B. erklärt:
Das Volksbegehren, die Volksinitiative ist in der Zeit der Vermassung und Entwurzelung in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen.
Das hat er in der Plenarsitzung vom 9. September 1948 erklärt.
Nun hätte man den sogenannten Gutachtern der Ministerien anempfehlen müssen, diese Äußerung, auf die sie sich beziehen, einmal genauer zu lesen. Darin steht nämlich: „Das Volksbegehren, die Volksinitiative ist . . .". Gerade das ist der springende Punkt, den die Bundesregierung verwischen will. Hier geht es um die Frage der Volksinitiative. Man hat damals mit einem gewissen Recht gesagt, man wolle nicht, daß aus der Initiative des Volkes jede beliebige Frage behandelt und dann demagogisch ausgeschlachtet werden kann, man wolle nicht, daß das Volk in der Gesetzgebung, in der Ausübung der Staatsgewalt die Initiative ergreifen kann.
Nun sagt aber die Regierung — das ist wieder so ein Sprung, mit dem sie sich über die Verlegenheit hinweghelfen will —: Das Plebiszit umfaßt auch amtliche Volksbefragungen; denn wir müssen das Plebiszit im weiteren politischen und soziologischen Sinn auffassen. Die Frage des Plebiszits ist keine soziologische, sondern eine juristische Frage, sie muß juristisch untersucht werden. Das Plebi-
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szit im Sinne des Volksbegehrens und des Volksentscheids geht eben davon aus, wie der Abgeordnete Heuss richtig gesagt hat, daß das Volk die Initiative ergreift.
Aber die Volksbefragung, wie wir sie hier beantragt haben, will das genaue Gegenteil. Da geht es nicht um die Volksinitiative, da geht es um die Initiative des souveränen Parlaments. Hier haben wir allein die Frage zu prüfen: hat das Parlament das Recht, sich auch auf diese Weise zu informieren, oder hat es das Recht nicht? Hat also im Gegensatz zum Plebiszit nicht das Volk, sondern das Parlament die Initiative? Das ist die Frage, um die es sich hier handelt.
Es ist gar kein Zweifel, daß das Parlament dieses Recht der Initiative hat. Wir müssen eben sauber unterscheiden. Der Herr Innenminister hat beim letztenmal mit seinen juristischen Kenntnissen renommiert und anderen vorgeworfen, daß sie nicht richtig zitiert hätten und keine guten Juristen seien.
Die beste Eigenschaft eines Juristen ist, Herr Innenminister, daß er sauber unterscheiden kann.
Das haben Sie nicht getan. Nicht nur auf diesem
juristischen Gebiet, sondern auch sonst können Sie
nicht sauber unterscheiden. Das ist eine besondere
B) Eigenschaft von Ihnen.
— Das werde ich Ihnen noch nachweisen.
Wir haben zu unterscheiden zwischen der informatorischen Volksbefragung und der unmittelbaren Volksgesetzgebung. Wenn die Herren Juristen aus dem Ministerium die Rechtslehre einmal genau studiert hätten, hätten sie diese Unterscheidung getroffen. Sie ist sogar schon im Parlamentarischen Rat gemacht worden. Auch dort ist von der unmittelbaren Volksgesetzgebung gesprochen worden. Das hätte man ebenfalls nachlesen können, wenn man nur gewollt hätte. Der grundsätzliche Unterschied besteht eben darin, daß bei der informatorischen Volksbefragung — ich habe es schon gesagt — erstens nicht der Bürger, sondern das Parlament aktiv wird und zweitens der Bürger keine Staatsgewalt ausübt. So steht es im Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes, wo es heißt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Wir können deswegen auch die Frage beiseite lassen, wie die Worte „Wahlen und Abstimmungen" auszulegen sind; denn es geht eben nicht um die Frage der Ausübung der Staatsgewalt, obwohl das Mehrzahlwort „Abstimmungen" sehr wohl auch Überlegungen in bezug auf die unmittelbare Volksgesetzgebung zuließe.
Aber diese Frage kann ich beiseite lassen; sie interessiert uns hier nicht. Hier geht es eben nicht um die Ausübung der Staatsgewalt, wie sie im
Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Hier geht es um die informatorische Volksbefragung. — Herr Kollege, das können Sie, glaube ich, gar nicht bestreiten. Und wenn Sie noch so sehr bedenklich den Kopf schütteln, als Jurist müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, zugeben, daß das so ist und gar nicht anders sein kann.
Unter Juristen gibt es gewisse Grundsätze, die unstreitig sind, und dies ist einer der unstreitigen Grundsätze.
Nun sagt uns die Regierung - und hier ist die
Fürsorge der Regierung für unser Volk ganz besonders rührend , es sei eine undemokratische Zumutung, das ganze Volk amtlich zu einer unverbindlichen Meinungsäußerung aufzufordern. Man sagt, auch daraus ergebe sich, daß eine solche informatorische Volksbefragung verfassungswidrig sei.
Zunächst einmal gibt es keinen Zweifel darüber, daß die Befragung des Volkes rechtlich unverbindlich ist. Aber auch hier gilt es wieder zu unterscheiden. Zweifellos bindet die Äußerung des Volkes in dieser Frage weder den Bundestag noch die Regierung rechtlich. Aber rechtliche Unverbindlichkeit bedeutet noch längst nicht absolute Unverbindlichkeit. Es gibt auch eine moralische Verbindlichkeit, meine Damen und Herren, und davon sollten Sie eigentlich etwas wissen. Wenn das Volk sich in einer solchen Frage, in einer Frage auf Leben und Tod, in einer Frage seiner eigenen Existenz äußert, dann möchte ich die Regierung, dann möchte ich das Parlament, dann möchte ich die Regierungspartei sehen, die glauben, daran einfach vorbeigehen zu können. Eine solche Äußerung ist mindestens ein Appell an das Gewissen und an die Gewissenhaftigkeit. Wenn über 70 % des deutschen Volkes gegen die atomare Aufrüstung und gegen das sind, was sich daraus ergibt, dann kann, glaube ich, ein Parlament nicht einfach so tun, als wenn es das nicht gäbe. Dann kann man sich nicht dahinter verschanzen, es sei eine undemokratische Zumutung, das Volk über diese Frage zu hören.
Noch viel weniger ist es möglich, sich zu der Äußerung zu versteigen — und dies hat ausgerechnet Herr Kollege Ho o g en getan, den ich aus dem Rechtsausschuß als einen sachlichen, ruhigen Mann schätze und den ich gern weiter so schätzen möchte —, unser Gesetzentwurf sei ein Appell an die Verantwortungslosigkeit.
Ich glaube, es ist einfach nicht fair, in dieser Weise zu reden.
Es gibt keinen Zweifel, die rechtliche Verantwortung bleibt beim Parlament und bei der Regierung. Daraus, daß wir die Meinung des Volkes hören wollen, zu folgern, wir appellierten an die Verantwortungslosigkeit, das ist — Herr Kollege Hoogen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen das sage - Demagogie.
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Ich betone also noch einmal: Wenn unser Volk die Möglichkeit bekommt, sich zu äußern - wir haben ja schon sehr viele Äußerungen —, dann kann man diese Äußerung nicht als etwas Unverbindliches abtun. Sie ist rechtlich nicht verbindlich. Aber ich wiederhole: es gibt hier auch eine moralische Verbindlichkeit.
— Daß Sie da ausgerechnet „Aha" sagen, ist immerhin kennzeichnend.
Das ist ein gewisses Indiz dafür, was bei Ihnen so alles vorgeht.
Herr Barzel hat geäußert, das Grundgesetz bestimme selbst die Gebiete, über die der Bund Gesetze erlassen dürfe, und zu diesen Gebieten gehöre nicht das Recht zu unverbindlichen Volksbefragungen. Auch da bin ich über die juristische Begriffsverwirrung erstaunt. Es geht um die Gebiete, auf denen der Bund Gesetze erlassen darf. Hier geht es um das Gebiet der Bewaffnung und der auswärtigen Politik. Die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet ist ohne Zweifel gegeben; die haben Sie ja sogar geschaffen. Soweit die Bewaffnung in Frage steht, stand diese Zuständigkeit des Bundes ursprünglich nicht im Grundgesetz. Sie berufen sich auf das, was seinerzeit hei der Formulierung des Grundgesetzes geschehen ist. Sie lassen völlig außer acht, daß Sie Ihre damalige Geisteshaltung längst aufgegeben, daß Sie das Grundgesetz längst in entscheidenden Fragen genau in sein Gegenteil verkehrt haben.
Wie gesagt, Herr Barzel meint, die Gebiete seien nicht geregelt — sie sind geregelt! —, und er meint, zu diesen Gebieten gehöre nicht das Recht zu unverbindlichen Volksbefragungen. Wenn ich auf einem gewissen Gebiet die Zuständigkeit habe, dann muß ich mich fragen, wie ich diese Zuständigkeit wahrnehmen kann. Die Frage, ob ich das Recht der Volksbefragung habe, hängt mit der Frage zusammen, wie ich dieses Recht ausüben kann. Wie kann ich mir zum Beispiel bei der atomaren Aufrüstung die notwendigen Informationen verschaffen? Wie kann ich mir die Sachkenntnis verschaffen? Wie kann ich mir ein Bild von der Meinung des Volkes verschaffen? Wie kann ich dafür sorgen, daß ich auch weiß, wie das Volk denkt, damit nicht da oben eine Regierung auf dem Präsentierteller sitzt und macht, was sie will und völlig gegen das Volk arbeitet?
- Auch das Parlament sollte auf das Volk hören, Herr Rasner, wenn Sie das noch nicht wissen. Aber das ist Ihnen ja längst nicht eingegangen, das wissen wir alle.
— Das Volk ist getäuscht worden, ich habe es Ihnen
gesagt, Herr Schütz.
An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorüber, und an dieser Täuschung haben Sie sich alle beteiligt, auch Sie, Herr Schütz.
Herr Barzel hat ein anderes Argument gebracht; lauter komische Argumente. Er sagt nämlich, das Rechtsinstitut der Volksbefragung sei durch Hitler am 14. Juni 1933 eingeführt worden und sei mißbraucht worden. Daß Hitler ein solches Institut eingeführt hat, daß er es auch mißbraucht hat, darüber besteht kein Streit.
Aber, meine Damen und Herren, Hitler hat z. B. auch die Wahlen mißbraucht, er hat auch die Gesetzgebung mißbraucht. Sind Sie deswegen der Meinung, daß es in einer Demokratie keine Wahlen und keine Gesetzgebung mehr geben darf? Das ist doch kein Argument; das richtet sich doch selbst. Die Tatsache, daß Hitler eine Volksbefragung durchgeführt hat, eine Volksbefragung übrigens, die darin bestand, daß vollendete Tatsachen vom Volk durch Kopfnicken gebilligt werden sollten, sagt doch nichts gegen das Rechtsinstitut selbst,
wie überhaupt ein Mißbrauch einer Sache nicht gegen die Sache spricht, sondern nur gegen den Mißbrauch.
Wenn Sie gegen den Mißbrauch sprechen, dann bin ich einverstanden. Aber das haben Sie ja nicht getan, sondern Sie haben gegen das Institut selbst gesprochen. Ob eine Volksbefragung demokratisch ist oder nicht, das hängt von ihrer demokratischen Ausgestaltung und Handhabung ab,
d. h. von Ihnen in erster Linie und von uns allen. Da kommen wir auf sehr heikle Fragen,
und da muß ich die Frage stellen: Sind Sie denn gewillt, so etwas demokratisch durchführen zu lassen, wenn das Bundesverfassungsgericht entschieden hat? Wir haben ja bereits Beweise. Da gibt es einen Bundespostminister. Er heißt nicht mehr Lemmer. Wenn er Lemmer hieße, hätten wir das bestimmt nicht erlebt, denn der weiß noch, was Demokratie ist. Aber der neue Bundespostminister hat sich eine Methode der Einschüchterung erlaubt, die schon mehr als bedenklich ist.
Der Bundespostminister hat einen Erlaß herausgegeben, in dem er gesagt hat, daß die Vorbereitung der Abstimmung über die atomare Abrüstung disziplinarwidrig sei. Er hat seinen 700 000 Bediensteten
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angekündigt, daß sie in der Gefahr sind, disziplinar verfolgt zu werden, weil sie ihr staatsbürgerliches Recht der freien Meinungsäußerung ausüben.
Ich muß sagen, das ist etwas so Ungeheuerliches, wie wir es seit dem Verschwinden der nationalsozialistischen Zeit noch nicht erlebt haben. Das ist das erste Mal.
Wir haben alle Veranlassung, das sehr deutlich zu sagen und deutlich zu machen, wie es sich denn mit den demokratischen Rechten und mit der demokratischen Handhabung unserer Institutionen eigentlich verhält.
Ich habe nicht gehört, daß der Herr Verfassungsminister dazu auch nur einen Ton gesagt hätte. Es hat sehr massiven Drucks der Gewerkschaften und der Bediensteten selbst bedurft, um diese Verfügung etwas abzumildern. Aber im Grunde besagt sie genau dasselbe wie vorher. Der Zweck, der erreicht werden sollte, ist weithin erreicht. Man hat die Staatsbürger, die zufällig bei der Bundespost sind, eingeschüchtert, und man hat damit die freie Meinungsäußerung unterbunden.
Solche Methoden kennen wir auf staatlichem Gebiet, auf privatem Gebiet, aber auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Da gibt es z. B. die Firma Dunlop in Hanau. Die Betriebsleitung war geneigt, der Volksbefragung eine Unterstützung zu gewähren. Was war die Folge? Aufträge bis hinüber nach England sind suspendiert worden; es war auch angedroht worden, daß sie suspendiert werden. Es gibt auch wirtschaftlichen Druck, und es gibt privaten Druck, den man auf sehr feine, aber auch auf sehr grobe Weise ausüben kann.
und von diesem Druck in unserer Bundesrepublik können wir einiges erzählen.
Noch eine andere Sache! Sie gehört mehr in das Gebiet der Hanswurstiaden; aber sie hat dennoch einen ernsten Hintergrund. Es gibt hier in unserem Bundestag einen Abgeordneten Dr. Löhr, der sich folgendes geleistet hat: Er hat sich an den hessischen Staatsgerichtshof gewandt und hat den Magistrat von Darmstadt wegen der Volksbefragungsangelegenheit angeklagt.
Und auf was hat er sich bezogen? Auf den § 38 des
Gesetzes über den Staatsgerichtshof! Dort heißt es:
Jedermann kann den Staatsgerichtshof anrufen, um die Strafverfolgung wegen eines auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmens
jeder Jurist weiß, was das bedeutet -
gegen den Schuldigen zu erzwingen.
Herr Dr. Löhr will also gegen den Oberbürgermeister, gegen den Magistrat der Stadt Darmstadt ein
Strafverfahren wegen Verfassungsbruchs, wegen eines Unternehmens zum Bruch der Verfassung eingeleitet haben. Ich kann nur sagen: Dieses Denunziantentum unter Abgeordneten ist eine höchst bedauerliche Angelegenheit.
Meine Damen und Herren, wenn wir schon nach dem Staatsanwalt rufen, um unsere Meinungsverschiedenheiten über die Verfassung auszutragen, dann sind wir bereits sehr weit. Da werde ich in penetranter Weise an die Sitzung erinnert, in der auch die Frage aufgeworfen wurde, ob man nicht sehr bald einige von uns vor den Kadi und vor den Staatsanwalt bringen sollte, als einige der Meinung waren, jawohl, das sei nötig.
Herr Dr. Löhr hat es in Gestalt einer Hanswurstiade gemacht; aber er hat den Anfang damit gemacht. Er hat das, was hier angedeutet worden ist, bereits in lie Wirklichkeit umgesetzt.
Ich kann nur sagen, Sie hätten Veranlassung, mit diesem Ihrem Fraktionskollegen einmal sehr deutlich zu reden. Ich glaube nicht, daß er Ihnen einen guten Dienst erwiesen hat.
— Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Vielleicht nehmen Sie auch einmal einen guten Rat an. Das könnte Ihnen nichts schaden.
Die Bundesregierung verlangt aber in einem Nachtrag zum Bundeshaushalt zusätzlich drei Millionen, um die Propaganda für ihre atomare Aufrüstung zu betreiben. Auf der anderen Seite werden Haussuchungen in München veranstaltet,
verbietet der Innenminister von Rheinland-Pfalz die Sammlung für den Ausschuß gegen den Atomtod. Es wird also alles inhibiert, was überhaupt inhibiert werden kann. Die Bundesregierung allein aber verlangt drei Millionen für diesen einen Nachtrag, abgesehen von allem anderen, was sonst auf diesem Gebiet schon geschehen ist.
Ich darf zu dem juristischen Schluß kommen, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, zu beweisen, daß unser Grundgesetz informatorische Volksbefragungen verbiete, daß sie nicht gestattet seien.
In einer Anmerkung will ich - um zu zeigen, wie weit sehr ernsthafte Juristen gehen — noch folgendes sagen: Professor Dr. Ridder aus Frankfurt hat in einem Aufsatz in der Juristenzeitung 1958 Seite 322 ff. sogar den Standpunkt vertreten, daß das Parlament überhaupt nicht die Kompetenz hat, eine atomare Bewaffnung zu beschließen. Ich will nicht auf alle Fragen der Völkerrechtswidrig-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1703
Metzger
keit eingehen; darüber ist schon gesprochen worden. Er sieht das Problem von einem anderen Gesichtspunkt aus: daß das Parlament eben gar nicht die Kompetenz habe, über eine solche Sache zu entscheiden, weil das eine Vorfrage der Verfassung sei, die als selbstverständlich vorausgegeben sei. Über diese Frage könne nur das Volk entscheiden, das bei Verabschiedung des Grundgesetzes nicht gefragt worden sei. — Bekanntlich hat das Volk das Grundgesetz nicht beschlossen.
— Ich referiere nur, was Professor Ridder gesagt hat.
— Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie einmal zur Kenntnis nähmen, daß es sehr ernsthafte Juristen gibt, die noch viel weiter gehen als ich.
Diese Sachverständigen bringen immerhin juristische Begründungen, über die man nachdenken sollte. Das Nachdenken, Herr Kollege Rasner, ist schon eine sehr gute Angelegenheit.
Es wäre gut, wenn Sie nicht nur so in Betrieb machten, sondern wenn Sie auch einmal nachdächten.
Der Herr Bundesinnenminister hat uns erklärt —und er hat es überall gesagt —, daß er und die Bundesregierung bei der Entscheidung der hier anstehenden Frage sich in erster Linie um den Schutz der Verfassung kümmern würden und daß die Bundesregierung entschlossen sei, alles zu tun, um die Verfassung zu schützen. Er hat sich sogar dazu hinreißen lassen, unseren Gesetzentwurf als eine Demontage der Verfassung durch die Hintertür zu bezeichnen.
— Ach, Sie können „Sehr gut" sagen! Sie verstehen ja von Verfassungsdingen nichts, Herr Rasner.
Ich wiederhole jetzt, was Ihr eigener Innenminister gesagt hat, der einmal erklärt hat, daß man erst einmal die Dinge juristisch klären müsse. Ich wiederhole nur, was von dieser Seite gekommen ist. Dazu kann ich Ihnen nur das eine sagen: solange über eine solche Frage Meinungsverschiedenheiten, begründete Meinungsverschiedenheiten bestehen — ich will jetzt gar nicht sagen, welche Meinung die richtige ist —, so lange kann ein Minister, der die Pflicht zur Objektivität hat, der ja ein Amt hat, sich nicht erdreisten, zu erklären, daß jemand, der eine Meinung vertritt, die der seinen nicht entspricht, die Verfassung durch die Hintertür demontieren will. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.
Ein Bundesinnenminister, der so oft bewiesen hat, daß er die Verfassung je nach Bedarf auslegen kann,
sollte mit solchen Äußerungen vorsichtig sein.
— Ich wiederhole es: ein Innenminister, der gezeigt hat, daß er die Verfassung je nach Bedarf auslegen kann,
der hat zuviel getan oder nichts getan, als daß er in dieser Frage unbedingt glaubwürdig wäre.