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    Deutscher Bundestag 31. Sitzung Bonn, 13. Juni 1958 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (SPD) (Drucksache 303) — Zweite Beratung — Metzger (SPD) 1695 B Dr. Schröder, Bundesminister . 1708 D, 1742 D Dr. Barzel (CDU/CSU) 1712 D Dürr (FDP) . . . . . . . . . 1717 A Euler (DP) 1718 D Dr. Mommer (SPD) 1721 B Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . . 1734 A Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) 1737 A Dr. Arndt (SPD) . . . . . . . . 1738 A Erler (SPD) 1743 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 1746 A Namentliche Abstimmung 1746 C Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht: Antrag der Bundesregierung gegen die Regierung des Landes Hessen wegen Verletzung der Pflicht zur Bundestreue; Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 437); Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht: Antrag der Bundesregierung auf verfassungsrechtliche Prüfung des hamburgischen Gesetzes betr. die Volksbefragung über Atomwaffen; Mündlicher Beruht des Rechtsausschusses (Drucksache 438) Hoogen (CDU/CSU) 1748 A Wittrock (SPD) 1748 B Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 1749 D Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) 1750 B Nächste Sitzung 1752 C Anlage 1753 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1695 31. Sitzung Bonn, den 13. Juni 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 30. 6. Bading 13. 6. Dr. Bärsch 15. 6. Baur (Augsburg) 13. 6. Berendsen 13. 6. Berger 13. 6. Frau Berger-Heise 30. 6. Bergmann 13. 6. Birkelbach 13. 6. Dr. Birrenbach 14. 6. Fürst von Bismarck 13. 6. Dr. Bucerius 13. 6. Burgemeister 3. 7. Demmelmeier 13. 6. Dr. Deist 13. 6. Deringer 13. 6. Frau Döhring (Stuttgart) 21. 6. Döring (Düsseldorf) 13. 6. Eilers (Oldenburg) 13. 6. Etzenbach 13. 6. Frehsee 13. 6. Dr. Frey 21. 6. Dr. Friedensburg 13. 6. Dr. Furler 21. 6. Gaßmann 21. 6. Geiger (München) 14. 6. Glüsing (Dithmarschen) 13. 6. Dr. Gossel 13. 6. Hackethal 13. 6. Häussler 30. 6. Dr. Dr. Heinemann 13. 6. Hübner 13. 6. Illerhaus 13. 6. Jahn (Marburg) 14. 6. Kalbitzer 13. 6. Dr. Kempfler 13. 6. Dr. Königswarter 13. 6. Dr. Kopf 13. 6. Frau Dr. Kuchtner 14. 6. Kühlthau 16. 6. Kühn (Köln) 13. 6. Kunze 15. 6. Leber 13. 6. Lenz (Brühl) 13. 6. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 6. Dr. Maier (Stuttgart) 13. 6. Margulies 13. 6. Marx 16. 6. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Dr. Maxsein 13. 6. Mensing 28. 6. Frau Meyer-Laule 14. 6. Müller-Hermann 14. 6. Nieberg 13. 6. Frau Niggemeyer 12. 7. Oetzel 13. 6. Ollenhauer 14. 6. Frau Dr. Pannhoff 14. 6. Paul 14. 6. Peters 13. 6. Pietscher 16. 6. Frau Pitz-Savelsberg 15. 6. Dr. Preiß 30. 6. Pütz 13. 6. Ramms 21. 6. Rasch 25. 6. Frau Dr. Rehling 13. 6. Ruf 30. 6. Sander 20. 6. Scheel 13. 6. Dr. Schellenberg 14. 6. Scheppmann 13. 6. Dr. Schmid (Frankfurt) 13. 6. Schneider (Hamburg) 13. 6. Dr. Schneider (Saarbrücken) 13. 6. Schoettle 19. 7. Dr. Schranz 13. 6. Schultz 13. 6. Dr. Serres 13. 6. Seuffert 13..6. Siebel 20. 6. Simpfendörfer 13. 6. Spies (Brücken) 13. 6. Dr. Starke 13. 6. Stauch 13. 6. Stierle 13. 6. Dr. Storm (Duisburg) 13. 6. Storm (Meischenstorf) 13. 6. Sträter 30. 6. Struve 30. 6. Wagner 13. 6. Dr. Wahl 13. 6. Walpert 13. 6. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 13. 6. Weber (Georgenau) 13. 6. Dr. Weber (Koblenz) 13. 6. Wehner 14. 6. Weimer 17. 6. Dr. Werber 13. 6. Dr. Winter 13. 6. Dr. Wolff (Denzlingen) 13. 6. Zoglmann 13. 6.
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    Rede von Ludwig Metzger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind politische Gründe, die die SPD-Fraktion zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr veranlaßt haben; ich sage ausdrücklich: politische Gründe und keine parteitaktischen Gründe,

    (Lachen in der Mitte)

    das heißt also: Gründe des allgemeinen Wohls.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren von der CDU, Sie geben dieser Aussprache sofort wieder die richtige Ouvertüre,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    indem Sie die Beweggründe Ihres politischen Gegners von vornherein verdächtigen.

    (Abg. Rasner: Nein, belächeln!)

    Das ist eine schlechte Sache und zeugt nicht von einem guten Gewissen.

    (Beifall bei der SPD. Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    Die juristischen Gründe, die bei dieser Frage auch eine Rolle spielen, sind mehr oder weniger deshalb in die Debatte hineingekommen, weil sich die Bundesregierung und die Regierungspartei hinter sie verschanzt haben. Für uns aber ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt die Sorge um unser Volk.

    (Abg. Hilbert: Um den Wahlkampf!)

    — Sie können das glauben oder nicht. Ich meine, es wäre gut, wenn wir uns politisch ein bißchen ernster nähmen

    (Sehr richtig! und Beifall in der Mitte)

    und wenn man das, was von Menschen, die Glaubwürdigkeit verdienen, gesagt wird, nicht einfach mit einem höhnischen Lächeln abtäte, wie das hier von Männern und Frauen — das muß ich zu meinem großen Bedauern feststellen geschieht.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Wir können nicht einsehen, daß die atomare Ausrüstung notwendig ist. Es wäre aber längst nicht das schlimmste, wenn es nur um die Frage ginge, ob sie notwendig oder nicht notwendig ist. Dann könnte man sich zur Not mit einer solchen Sache abfinden. Wir sind aber der Auffassung, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr darüber hinaus eine lebensgefährliche Angelegenheit für unser Volk ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind deswegen der Meinung, daß wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, in dieser Sache tätig zu werden, und zwar um unseres Volkes willen. Es ist nicht so, wie es hier dargestellt wird, daß wir die atomare Ausrüstung brauchen, um unsere Verteidigung sicherzustellen. Es kann — unter den wirklichen Sachverständigen besteht darüber kein Zweifel — gar keine Frage sein, daß mit Atombomben eine Verteidigung nicht gewährleistet werden kann, daß im Gegenteil mit Atombomben alles das, was wir verteidigen wollen, zerstört wird.
    Daß hier so oft in einer sehr leichten Weise über das Problem gesprochen wird, hängt wohl auch damit zusammen, daß es viele Menschen gibt, deren Vorstellungskraft nicht ausreicht, sich klarzumachen, was der Gebrauch von Atombomben bedeutet. Es gibt auch Menschen — Herr Barzel ist ein Beispiel dafür —, die Mangel an Vorstellungskraft mit Mut und Tapferkeit verwechseln. Es ist keineswegs Tapferkeit, wenn man sich im Brustton der Überzeugung für die atomare Bewaffnung einsetzt, sondern es ist ein Mangel an Vorstellungskraft insofern, als man offenbar nicht weiß, welche Folgen eintreten, wenn wir diesen Schritt gehen.
    1696 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
    Metzger
    Darum geht es, daß man sich das klarmacht und daß man aus Verantwortungsgefühl die notwendigen Konsequenzen daraus zieht.
    In dieser Welt stehen sich heute immer noch zwei große Blöcke gegenüber, die atomar so aufgerüstet sind, daß es möglich ist, mit diesen Massenvernichtungswaffen die ganze Erde in die Luft zu sprengen. Es ist einfach nicht wahr, daß man es aus Gründen der Abschreckung nötig habe, auch die Bundeswehr, d. h. die Streitkräfte eines Teils Deutschlands und im Gefolge damit das ganze Deutschland atomar auszurüsten, um Abschreckung zu erzielen. Die Abschreckung ist durch das, was im Augenblick vorhanden ist, völlig gewährleistet

    (Zuruf von der Mitte: Absolut?)

    — ja, absolut gewährleistet —; denn jede Seite weiß, daß die andere sie mit den vorhandenen Atomwaffen restlos vernichten kann.
    Ich glaube, es wäre gut, sich darüber einige Gedanken zu machen. Die Abschreckung mag eine gewisse Zeit ihre Wirkung tun. Glauben Sie aber im Ernst, daß die Menschheit auf die Dauer unter der Geißel der Abschreckung leben kann? Die Abschrekkung geht doch davon aus, daß sich der andere — rational, verstandesmäßig—klarmacht, was der Ausbruch eines atomaren Krieges bedeutet. Ich gebe Ihnen zu: wenn die ratio, wenn der Verstand die Herrschaft hat, wird keiner den Mut haben anzufangen, und es wird keiner den Mut haben, einen atomaren Krieg zu führen. Insofern hat die Abschreckung sicher eine gewisse Bedeutung. Aber wir alle wissen aus der Geschichte, daß sie nicht nur mit rationalen, sondern auch mit irrationalen Gründen gemacht wird. Je länger diese ungeheure Spannung dauert, um so mehr werden die irrationalen Antriebe den Ausschlag geben, und eines schönen Tages wird diese Maschinerie in Gang gesetzt werden, ohne daß man die rationalen Gründe noch entscheidend sein läßt. Die Angst und alles, was damit zusammenhängt, werden auf die Dauer gesehen viel größer sein. Die Menschheit wird diese Spannung nicht ertragen können. Die Sicherheit, von der Sie reden, wird gerade dann nicht gewährleistet sein. Unsere Sicherheit wird auf diese Weise restlos verlorengehen.
    Wenn es aber so ist, daß wir die Abschreckung, die im Augenblick durch die Atomwaffen auf beiden Seiten vorhanden ist, auf die Dauer nicht durchhalten können, stehen wir doch vor der Frage, was wir tun können, um diese Spannung zu vermindern. Das heißt, wir können nur dafür sorgen, daß so schnell wie möglich abgerüstet wird. Da muß man sich doch ,die ernsthafte Frage vorlegen, ob man Abrüstung ernsthaft betreiben kann, indem man den Schrecken, der schon groß genug ist, noch vergrößert,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    indem man die Angst in der Welt noch vergrößert, wobei man die Hoffnung hat oder zu haben vorgibt, daß man nun zu einer generellen Abrüstung kommen könnte. Es ist sehr schön und hört sich glänzend an, wenn der Herr Bundeskanzler und
    wenn die Bundesregierung erklären: Die SPD will ja nur die nichtatomare Bewaffnung, wir wollen viel mehr, wir wollen die weltweite Abrüstung. Sehr schön und gut! Wer will die nicht? Aber es ist doch ein Selbstbetrug, wenn man so tut, als ob man die weltweite Abrüstung auf einen Schlag erreichen könnte und als ob man vorher noch alles Mögliche tun könnte, um dieser Abrüstung entgegenzuwirken.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist doch gar kein Zweifel: Diese Abrüstung kann bei unseren komplizierten Verhältnissen nur dadurch verwirklicht werden, daß wir einmal an irgendeinem Zipfel anfangen. Sie tun das genaue Gegenteil. Sie fangen nicht an einem Zipfel an, sondern Sie vermehren den Schrecken, Sie vermehren die Angst, Sie vermehren die Abwehr auf der anderen Seite. Sie tun damit das genaue Gegenteil von dem, was Sie behaupten. Sie leisten nicht Sicherheit, sondern Sie vermindern die Sicherheit unseres Volkes. Weltweite Abrüstung, jawohl! Aber dann muß man in konkreten Aktionen zeigen, daß man sie ernsthaft will. Das heißt, man muß irgendwo beginnen und darf nicht das Gegenteil tun.
    Die Bundesregierung tut aber das Gegenteil. Der Deutschland-Union-Dienst hat sich jetzt wieder einmal zu diesem Problem in einer Weise geäußert, wie wir sie nun ja allmählich kennen. Es wird davon gesprochen, daß die SPD mit der Atomfrage nur die Bevölkerung hinter sich bringen wolle. Das ist die alte Behauptung, die soeben in Ihren Zwischenrufen wieder zum Ausdruck kam. Dann wird gesagt, die SPD lehne die Außen- und Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung und der CDU/CSU ab, wisse jedoch nach wie vor nicht, was sie an deren Stelle setzen solle.

    (Abg. Rasner: Völlig richtig!)

    Herr Kiesinger hat uns vor einiger Zeit hier erklärt, daß Sie kein Programm für die Wiedervereinigung haben und daß das von Fall zu Fall geklärt werden muß. Wenn Sie zugehört haben — und Sie hatten oft genug dazu Gelegenheit, auch die Herrschaften vom Deutschland-Union-Dienst —, konnten Sie vernehmen, daß wir eine Vorstellung davon haben, wie man zur Wiedervereinigung kommen kann.

    (Abg. Kiesinger: Sie machen die Rechnung nur ohne den Wirt!)

    Sie können meinetwegen sagen, daß Sie mit diesem Weg nicht einverstanden sind, daß Sie ihn für falsch halten.

    (Abg. Kiesinger: Nein, die Russen sind nicht einverstanden!)

    Aber es ist unlauter, wenn hier gesagt wird, die Sozialdemokratische Partei habe keinen Weg zu zeigen. Dann muß man sich schon die Mühe machen, sich mit diesem Weg auseinanderzusetzen. Und das tun Sie gerade nicht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich habe gesagt, es kommt darauf an, daß man an einem Zipfel anfängt, daß man anfängt, von
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1697
    Metzger
    neuem Vertrauen zu schaffen. Wenn wir sagen, dieses Vertrauen muß in der Weise geschaffen werden, daß man sich zusammensetzt, daß man miteinander verhandelt, dann ist es der Herr Innenminister, der davon spricht, daß die Opposition gegenüber den Sowjets in Raten kapitulieren will.

    (Abg. Rasner: Gute Formulierung!)

    Was ist das für eine Redensart von einem Regierungsmitglied, das die Pflicht hätte, objektiv zu sein, und das alles andere als die Aufgabe hätte, in einem amtlichen Bulletin in dieser üblen Weise Parteipolitik zu treiben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben dargetan, daß man mit den Verhandlungen beginnen muß, und wir sind der Meinung gewesen -- im Einklang mit einigen Ihrer Freunde, die mir das erklärt haben —, daß der Rapacki-Plan z. B. eine Möglichkeit gäbe, mit diesen Verhandlungen zu beginnen. Wir haben keineswegs gesagt, daß das ein Evangelium sei, ein Dogma sei. Wir haben aber gesagt, daß das eine Basis ist, von der man ausgehen kann. Auch das haben Sie abgelehnt und haben damit die Wiedervereinigung noch viel weiter unmöglich gemacht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)

    Sie haben dafür gesorgt, daß die Angst, die mit der atomaren Ausrüstung zusammenhängt, gesteigert wird — nicht die Angst, die angeblich von uns hervorgerufen wird, sondern die Angst bei den Menschen in der Regierung auf beiden Seiten der Linie. Auf beiden Seiten besteht doch diese Angst, und sie wird eines schönen Tages das auslösende Moment sein.
    Und Sie haben dabei etwas anderes noch getan, etwas, worauf Kennan in seinen Rundfunkvorträgen aufmerksam gemacht hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer?)

    — Kennan; er wird Ihnen bekannt sein, Herr Dr. Martin.

    (Abg. Dr. Martin: Ja!)

    Vielleicht haben Sie sogar die Vorträge gelesen; ich weiß es nicht.

    (Abg. Dr. Martin: Ja, habe ich!)

    Kennan sagt in einem seiner Vorträge, daß die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik zur Folge hat, daß die DDR und die sogenannten Satellitenstaaten gleichfalls atomar ausgerüstet werden.

    (Abg. Pelster: Sind sie ja längst!)

    — Das ist Ihre Behauptung, die zunächst einmal bewiesen werden müßte; und wenn sie es sind, dann sind sie erst als Folge unserer atomaren Handlungen aufgerüstet worden. — Kennan weist darauf hin, daß die atomare Aufrüstung dieser Staaten, der kleinen Staaten jenseits der eisernen Linie, bedeutet, daß die Sowjetrussen denen gar nicht die Atomwaffen allein überlassen können — denn soviel Zutrauen haben sie nicht —, daß die Sowjetrussen selber diese Atomwaffen in Besitz haben müssen, bedienen müssen, an diesen Stellen, in diesen Gebieten; und das bedeutet, daß die Russen in diesen Gebieten fixiert werden, daß sie niemals mehr aus diesen Gebieten hinausgehen werden.
    Und das ist die Folge Ihrer Politik: daß Sie die Russen an unserer Zonengrenze, bis in Deutschland hinein, für alle Zeiten festhalten und die Möglichkeit, im Wege der Verhandlungen dieses Gebiet von fremden Truppen frei zu bekommen, immer geringer wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU Glaubt Ihr ja selber nicht!)

    Ich glaube, gerade auch die große Zahl der Abgeordneten der CDU/CSU hätte Veranlassung, einmal über dieses Problem nachzudenken. Ich bin davon überzeugt, daß viele von Ihnen diesen Gedanken überhaupt noch nicht erwogen haben.

    (Oh-Rufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

    Die atomare Ausrüstung bedeutet also, daß wir eine weitere Verhärtung herbeiführen, anstatt daß wir den Mut haben, eine verdünnte Zone zu schaffen, und damit eben den Zipfel in die Hand nehmen, bei dem man anfangen muß, um die allgemeine Abrüstung durchzuführen.
    Stattdessen, meine Damen und Herren, beschließen Sie die atomare Aufrüstung und erklären, das Volk habe Ihnen dazu die Vollmacht gegeben. Sie tun so, als wenn Sie davon überzeugt wären, daß das Volk auf Ihrer Seite steht.
    Nun, meine Damen und Herren, wenn das so wäre, kann ich nur die Frage stellen: Warum lassen Sie es dann nicht zu, daß dieses Volk gefragt wird?

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Warum wollen Sie verhindern, daß unser Volk zu einer Frage, die über sein Sein oder Nichtsein entscheidet, gehört wird, daß das Volk die Möglichkeit hat, sich dazu zu äußern? Wir behaupten — und wir haben dafür Beweise erbracht —, daß Sie im Wahlkampf das Volk getäuscht haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Sie haben zunächst einmal nicht davon gesprochen. daß Sie die Absicht haben, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen, und Sie haben da, wo diese Behauptung aufgetaucht ist, sie ganz ausdrücklich abgestritten.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Sie haben also in einem Wahlkampf das Volk in einer Weise getäuscht, wie wir es noch nicht sehr oft erlebt haben.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Leider wahr! Zurufe von der CDU/CSU.)

    Und jetzt, meine Damen und Herren, verschanzen Sie sich hinter juristischen Vorwänden. Deswegen sind wir gezwungen, uns auch mit den juristischen Fragen auseinanderzusetzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Verfassung ist kein „juristischer Vorwand"!)

    1698 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
    Metzger
    — Ja, zur Verfassung werde ich reden. Was verstehen Sie schon von der Verfassung!

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie zur Verfassung stehen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist eine Unverschämtheit! Eitelkeit ist auch eine „christliche Tugend" ! — Weitere Zurufe.)

    Sie stellen also die Behauptung auf, amtliche Volksbefragungen seien verfassungswidrig. Wer diese Behauptung aufstellt, der muß sie auch beweisen. Bei Ihnen liegt die Beweislast.

    (Abg. Schütz [München] : Ja, natürlich!)

    Denn darüber gibt es gar keinen Zweifel, daß in Demokratien prima facie, auf den ersten Anschein die Vermutung dafür besteht, daß das Volk die Möglichkeit hat, sich zu äußern, daß das Volk zum allermindesten amtlich befragt werden kann. Wir brauchen uns nur einmal in den demokratischen Ländern unserer europäischen Umgebung und darüber hinaus umzusehen.

    (Abg. Kiesinger: „Und darüber hinaus"!)

    Da stellen wir fest, daß die Volksbefragung in diesen Ländern auch das ist bereits dargetan worden — auch dann, wenn sie in der Verfassung nicht wörtlich verankert ist, in vieler Beziehung bereits praktiziert wird. Ich kann Ihnen viele Länder nennen: Norwegen, Schweden, Belgien. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern. Es gibt ein einziges Land in Europa, das in seiner Verfassung die Volksbefragung verboten hat, und dieses Land ist Spanien.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Hu-Rufe bei der CDU/CSU.)

    — Die Zuneigung ist manchmal sehr groß, wie wir ja wissen. Wir haben dafür auch Beweise.
    Was nun unsere eigene Praxis in der Bundesrepublik anlangt, so können wir sagen, daß wir in der Frage der Volksbefragungen Praxis haben. Wir haben in der ersten Beratung bereits dargelegt, daß amtliche Volksbefragungen in der Bundesrepublik stattgefunden haben, daß sie von der Regierung gebilligt worden sind und daß sie von führenden CDU-Politikern auch in hohen amtlichen Stellungen nicht nur geduldet, sondern gefördert worden sind.

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr! — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ein klassisches Beispiel — aber das ist nur eins von vielen — ist das von Castrop-Rauxel, ein Beispiel, das dem Herrn Innenminister außerordentlich unangenehm ist.

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

    Der Herr Innenminister versucht daher, diesen Präzedenzfall auf eine ganz eigenartige Weise aus der Welt zu schaffen. Er behauptet nämlich, das sei im Jahre 1950 gewesen, und damals sei die Bundesregierung in ihrer Souveränität noch beträchtlich beschränkt gewesen. Ich muß sagen: man kann sich nur wundern, wenn man von einem Innenminister
    eine solche Begründung hört. Zunächst einmal muß ich fragen: Ist denn die Souveränität der Bundesrepublik heute vollständig wiederhergestellt? Wir brauchen nur in die Verträge zu schauen und können juristisch nachweisen, daß das nicht der Fall ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ach, Herr Dr. Martin, tun Sie doch nicht so! Sie wohnen doch ganz in der Nähe. Sie brauchen nur an einen Fall aus der letzten Zeit zu denken. In Oberroßbach im Kreise Friedberg hat ein amerikanischer Offizier den Wald einer ganzen Gemeinde abholzen lassen. Im letzten Augenblick ist es gelungen, noch einen kleinen Rest einstweilen zu retten. Und als ein sowjetischer Minister hierher flog, war die Bundesregierung nicht in der Lage, ihm die Möglichkeit dazu zu verschaffen; da mußte das Hoheitsrecht der Bundesrepublik durch die ehemaligen Besatzungsmächte ausgeübt werden.

    (Zuruf von der SPD: Schöne Souveränität!)

    Es ist wirklich die Frage: wo ist denn unsere perfekte Souveränität heute?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber ich glaube, das ist gar nicht einmal der entscheidende Gesichtspunkt.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ach, wir könnten Beispiele über Beispiele bringen. Ich will mich beschränken und will nicht so weitschweifig werden. Ich glaube also noch nicht einmal, daß das der ausschlaggebende Gesichtspunkt ist.
    Meine Damen und Herren! Wenn die Verfassung im Jahre 1950 wegen mangelnder Souveränität angeblich nicht gegolten hat, wie kann dann der Herr Innenminister der Meinung sein, daß sie heute gilt? Und wenn das Grundgesetz heute gilt, warum hat es im Jahre 1950 nicht gelten sollen? Das ist doch die Frage, die uns der Herr Innenminister beantworten müßte, und um diese Frage hat er sich mit der faulen Ausrede gedrückt, wir seien damals noch nicht souverän gewesen.

    (Abg. Erler: Souveränität bringt für ihn weniger Rechte für den Bürger!)

    — Ja!
    Wir sind der Meinung, die Anlage unseres Grundgesetzes schafft dem Parlament bereits die Möglichkeit, sich die Informationen zu beschaffen, die es für notwendig hält, und auf dem Wege, den es für richtig hält. Das gehört mit zur Souveränität des Parlaments, und wer anders denkt, beschneidet die Souveränität des Parlaments, und zwar freiwillig.

    (Beifall bei der SPD.)

    Auf diesem Wege sind Sie, das tun Sie, und das tut der Herr Verfassungsminister.
    Aber es gibt auch in der Rechtslehre genügend Auffassungen, die unsere Meinung decken. Professor Dr. Friedrich von der Harvard-Universität z. B hat
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1699
    Metzger
    in seinem Buch „Der Verfassungsstaat der Neuzeit" geschrieben:
    In Theorie und Praxis
    — das deckt sich mit dem, was ich ausgeführt habe —
    ist die moderne Demokratie gekennzeichnet durch ein System des direkten Handelns des Volkes als Alternative neben allen repräsentativen Systemen.
    Es wird also hier absolut deutlich gemacht: Das System mag noch so repräsentativ sein, die Möglichkeit des Handelns des Volkes ist dabei nicht ausgeschlossen. Das ergibt sich aus den allgemeinen Prinzipien der Demokratie, auch aus den Grundsätzen unserer demokratischen Verfassung.
    Nun, wie führt die Bundesregierung und wie führen die Redner der CDU den Beweis dafür, daß trotz alledem unser Grundgesetz die informatorische Befragung unseres Volkes verbietet? Es wird geltend gemacht, daß der Schöpfer des Grundgesetzes die plebiszitären Möglichkeiten bewußt eingeschränkt habe. Der Herr Innenminister hat darüber hinaus auf einer Bundespressekonferenz erklärt, die Verfassung kenne in bewußter Abkehr von früheren Verfassungsformen die unmittelbar plebiszitäre Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk überhaupt nicht. Er hat also sogar bestritten, daß solche plebiszitären Möglichkeiten überhaupt bestehen. Es kann nachgelesen werden im Bulletin vorn 29. Mai 1958, Seite 964. Er hat hinzugefügt, daß Volksbefragungen eine Form des Plebiszits und daher unzulässig seien.
    Das ist also die Basis des Beweises dafür, daß Volksbefragungen verfassungswidrig seien. Wir müssen dem einmal nachgehen und feststellen, was an diesen Behauptungen dran ist. Wenn wir das ominöse sogenannte Rechtsgutachten des Innen-und des Justizministeriums lesen — in der letzten Beratung ist es uns ja noch vorenthalten worden , können wir nur sagen: das ist eine Begründung, die man als ausgesprochen gequält bezeichnen muß. Eine ganze Reihe von Juristen haben zum Ausdruck gebracht, wie enttäuschend die Beweisführung ist, die man hier bringt und die im Grunde genommen genau das enthält, was uns der Herr Innenminister auch vorgesetzt hat.
    Wie verhält es sich damit? Richtig ist zunächst einmal, daß das Grundgesetz Volksbegehren und Volksentscheid nur in einem Artikel, dem Art. 29, geregelt hat. Das betrifft die Neugliederung der Länder der Bundesrepublik. Aber auch die Volksbefragung in den Übergangsbestimmungen, im Art. 118, ist als Volksentscheid durch den einfachen Gesetzgeber ausgestaltet worden.
    Und nun kommt eine ganz ulkige Begründung der sogenannten Rechtsgutachter der Ministerien. Sie sagen, als argumentum e contrario sei anzunehmen, daß Volksbefragungen nur da, wo sie ausdrücklich geregelt sind, zugelassen sind, weil das Wort Volksbefragung so behandelt worden ist, daß man es als Volksentscheid ausgestaltete durch den einfachen Gesetzgeber wohlgemerkt, nicht durch den Verfassungsgesetzgeber! Der einfache Gesetzgeber
    hätte genauso gut die Möglichkeit gehabt, die Volksbefragung anders auszugestalten. Das stand in seiner Freiheit, dazu hatte er kraft seiner Souveränität die Möglichkeit, je nachdem, wie er es für zweckmäßig und für richtig gehalten hätte. Aus dieser Tatsache läßt sich kein juristisches Argument, jedenfalls kein juristisches Argument im Sinne der Bundesregierung ableiten.
    Aber auf alle Fälle gibt es in unserem Grundgesetz die Möglichkeit der rechtlich relevanten Äußerung und der Mitwirkung des Volkes. An dieser Tatsache können wir zunächst einmal nicht vorbeigehen.
    Nun wird auf die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates Bezug genommen. Man sagt: Man muß die Motive des Verfassungsgesetzgebers prüfen, und wenn man diese Motive prüft, kommt man zu dem Ergebnis, daß Volksbefragungen verfassungswidrig sind. Man muß schon auf die Motive zurückgehen, weil man in der Verfassung selbst nichts Rechtes findet, um solche Beweise zu erbringen. Kein Zweifel, im Parlamentarischen Rat ist über die Frage des Plebiszits, d. h. des Volksbegehrens und des Volksentscheids, gesprochen worden. Im Parlamentarischen Rat gab es verschiedene Meinungen, und man ist dann dazu gekommen, daß unser Grundgesetz das Plebiszit in einem beschränkten Umfang zuläßt. Das ist richtig.
    Aber es geht nicht an, daß man jetzt nur die Äußerungen herauszupft, die einem im besonderen Maße gefallen. Aber auch wenn wir diese Äußerungen einmal kritisch prüfen, sehen wir, daß sie für die Meinung der Bundesregierung gar nichts, eher das genaue Gegenteil ergeben. Der damalige Abgeordnete Heuss hat z. B. erklärt:
    Das Volksbegehren, die Volksinitiative ist in der Zeit der Vermassung und Entwurzelung in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen.
    Das hat er in der Plenarsitzung vom 9. September 1948 erklärt.
    Nun hätte man den sogenannten Gutachtern der Ministerien anempfehlen müssen, diese Äußerung, auf die sie sich beziehen, einmal genauer zu lesen. Darin steht nämlich: „Das Volksbegehren, die Volksinitiative ist . . .". Gerade das ist der springende Punkt, den die Bundesregierung verwischen will. Hier geht es um die Frage der Volksinitiative. Man hat damals mit einem gewissen Recht gesagt, man wolle nicht, daß aus der Initiative des Volkes jede beliebige Frage behandelt und dann demagogisch ausgeschlachtet werden kann, man wolle nicht, daß das Volk in der Gesetzgebung, in der Ausübung der Staatsgewalt die Initiative ergreifen kann.
    Nun sagt aber die Regierung — das ist wieder so ein Sprung, mit dem sie sich über die Verlegenheit hinweghelfen will —: Das Plebiszit umfaßt auch amtliche Volksbefragungen; denn wir müssen das Plebiszit im weiteren politischen und soziologischen Sinn auffassen. Die Frage des Plebiszits ist keine soziologische, sondern eine juristische Frage, sie muß juristisch untersucht werden. Das Plebi-
    1700 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
    Metzger
    szit im Sinne des Volksbegehrens und des Volksentscheids geht eben davon aus, wie der Abgeordnete Heuss richtig gesagt hat, daß das Volk die Initiative ergreift.
    Aber die Volksbefragung, wie wir sie hier beantragt haben, will das genaue Gegenteil. Da geht es nicht um die Volksinitiative, da geht es um die Initiative des souveränen Parlaments. Hier haben wir allein die Frage zu prüfen: hat das Parlament das Recht, sich auch auf diese Weise zu informieren, oder hat es das Recht nicht? Hat also im Gegensatz zum Plebiszit nicht das Volk, sondern das Parlament die Initiative? Das ist die Frage, um die es sich hier handelt.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist gar kein Zweifel, daß das Parlament dieses Recht der Initiative hat. Wir müssen eben sauber unterscheiden. Der Herr Innenminister hat beim letztenmal mit seinen juristischen Kenntnissen renommiert und anderen vorgeworfen, daß sie nicht richtig zitiert hätten und keine guten Juristen seien.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die beste Eigenschaft eines Juristen ist, Herr Innenminister, daß er sauber unterscheiden kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das haben Sie nicht getan. Nicht nur auf diesem
    juristischen Gebiet, sondern auch sonst können Sie
    nicht sauber unterscheiden. Das ist eine besondere
    B) Eigenschaft von Ihnen.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen Sie auch noch lernen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Das werde ich Ihnen noch nachweisen.
    Wir haben zu unterscheiden zwischen der informatorischen Volksbefragung und der unmittelbaren Volksgesetzgebung. Wenn die Herren Juristen aus dem Ministerium die Rechtslehre einmal genau studiert hätten, hätten sie diese Unterscheidung getroffen. Sie ist sogar schon im Parlamentarischen Rat gemacht worden. Auch dort ist von der unmittelbaren Volksgesetzgebung gesprochen worden. Das hätte man ebenfalls nachlesen können, wenn man nur gewollt hätte. Der grundsätzliche Unterschied besteht eben darin, daß bei der informatorischen Volksbefragung — ich habe es schon gesagt — erstens nicht der Bürger, sondern das Parlament aktiv wird und zweitens der Bürger keine Staatsgewalt ausübt. So steht es im Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes, wo es heißt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Wir können deswegen auch die Frage beiseite lassen, wie die Worte „Wahlen und Abstimmungen" auszulegen sind; denn es geht eben nicht um die Frage der Ausübung der Staatsgewalt, obwohl das Mehrzahlwort „Abstimmungen" sehr wohl auch Überlegungen in bezug auf die unmittelbare Volksgesetzgebung zuließe.
    Aber diese Frage kann ich beiseite lassen; sie interessiert uns hier nicht. Hier geht es eben nicht um die Ausübung der Staatsgewalt, wie sie im
    Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Hier geht es um die informatorische Volksbefragung. — Herr Kollege, das können Sie, glaube ich, gar nicht bestreiten. Und wenn Sie noch so sehr bedenklich den Kopf schütteln, als Jurist müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, zugeben, daß das so ist und gar nicht anders sein kann.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Unter Juristen gibt es gewisse Grundsätze, die unstreitig sind, und dies ist einer der unstreitigen Grundsätze.
    Nun sagt uns die Regierung - und hier ist die
    Fürsorge der Regierung für unser Volk ganz besonders rührend , es sei eine undemokratische Zumutung, das ganze Volk amtlich zu einer unverbindlichen Meinungsäußerung aufzufordern. Man sagt, auch daraus ergebe sich, daß eine solche informatorische Volksbefragung verfassungswidrig sei.
    Zunächst einmal gibt es keinen Zweifel darüber, daß die Befragung des Volkes rechtlich unverbindlich ist. Aber auch hier gilt es wieder zu unterscheiden. Zweifellos bindet die Äußerung des Volkes in dieser Frage weder den Bundestag noch die Regierung rechtlich. Aber rechtliche Unverbindlichkeit bedeutet noch längst nicht absolute Unverbindlichkeit. Es gibt auch eine moralische Verbindlichkeit, meine Damen und Herren, und davon sollten Sie eigentlich etwas wissen. Wenn das Volk sich in einer solchen Frage, in einer Frage auf Leben und Tod, in einer Frage seiner eigenen Existenz äußert, dann möchte ich die Regierung, dann möchte ich das Parlament, dann möchte ich die Regierungspartei sehen, die glauben, daran einfach vorbeigehen zu können. Eine solche Äußerung ist mindestens ein Appell an das Gewissen und an die Gewissenhaftigkeit. Wenn über 70 % des deutschen Volkes gegen die atomare Aufrüstung und gegen das sind, was sich daraus ergibt, dann kann, glaube ich, ein Parlament nicht einfach so tun, als wenn es das nicht gäbe. Dann kann man sich nicht dahinter verschanzen, es sei eine undemokratische Zumutung, das Volk über diese Frage zu hören.
    Noch viel weniger ist es möglich, sich zu der Äußerung zu versteigen — und dies hat ausgerechnet Herr Kollege Ho o g en getan, den ich aus dem Rechtsausschuß als einen sachlichen, ruhigen Mann schätze und den ich gern weiter so schätzen möchte —, unser Gesetzentwurf sei ein Appell an die Verantwortungslosigkeit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist er auch! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich glaube, es ist einfach nicht fair, in dieser Weise zu reden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es gibt keinen Zweifel, die rechtliche Verantwortung bleibt beim Parlament und bei der Regierung. Daraus, daß wir die Meinung des Volkes hören wollen, zu folgern, wir appellierten an die Verantwortungslosigkeit, das ist — Herr Kollege Hoogen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen das sage - Demagogie.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1701
    Metzger
    Ich betone also noch einmal: Wenn unser Volk die Möglichkeit bekommt, sich zu äußern - wir haben ja schon sehr viele Äußerungen —, dann kann man diese Äußerung nicht als etwas Unverbindliches abtun. Sie ist rechtlich nicht verbindlich. Aber ich wiederhole: es gibt hier auch eine moralische Verbindlichkeit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    — Daß Sie da ausgerechnet „Aha" sagen, ist immerhin kennzeichnend.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist für Ihre Absichten kennzeichnend!)

    Das ist ein gewisses Indiz dafür, was bei Ihnen so alles vorgeht.
    Herr Barzel hat geäußert, das Grundgesetz bestimme selbst die Gebiete, über die der Bund Gesetze erlassen dürfe, und zu diesen Gebieten gehöre nicht das Recht zu unverbindlichen Volksbefragungen. Auch da bin ich über die juristische Begriffsverwirrung erstaunt. Es geht um die Gebiete, auf denen der Bund Gesetze erlassen darf. Hier geht es um das Gebiet der Bewaffnung und der auswärtigen Politik. Die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet ist ohne Zweifel gegeben; die haben Sie ja sogar geschaffen. Soweit die Bewaffnung in Frage steht, stand diese Zuständigkeit des Bundes ursprünglich nicht im Grundgesetz. Sie berufen sich auf das, was seinerzeit hei der Formulierung des Grundgesetzes geschehen ist. Sie lassen völlig außer acht, daß Sie Ihre damalige Geisteshaltung längst aufgegeben, daß Sie das Grundgesetz längst in entscheidenden Fragen genau in sein Gegenteil verkehrt haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wie gesagt, Herr Barzel meint, die Gebiete seien nicht geregelt — sie sind geregelt! —, und er meint, zu diesen Gebieten gehöre nicht das Recht zu unverbindlichen Volksbefragungen. Wenn ich auf einem gewissen Gebiet die Zuständigkeit habe, dann muß ich mich fragen, wie ich diese Zuständigkeit wahrnehmen kann. Die Frage, ob ich das Recht der Volksbefragung habe, hängt mit der Frage zusammen, wie ich dieses Recht ausüben kann. Wie kann ich mir zum Beispiel bei der atomaren Aufrüstung die notwendigen Informationen verschaffen? Wie kann ich mir die Sachkenntnis verschaffen? Wie kann ich mir ein Bild von der Meinung des Volkes verschaffen? Wie kann ich dafür sorgen, daß ich auch weiß, wie das Volk denkt, damit nicht da oben eine Regierung auf dem Präsentierteller sitzt und macht, was sie will und völlig gegen das Volk arbeitet?

    (Abg. Rasner: Haben wir eigentlich ein Parlament?)

    - Auch das Parlament sollte auf das Volk hören, Herr Rasner, wenn Sie das noch nicht wissen. Aber das ist Ihnen ja längst nicht eingegangen, das wissen wir alle.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Schütz: Das Volk hat nur nie auf Sie gehört!)

    — Das Volk ist getäuscht worden, ich habe es Ihnen
    gesagt, Herr Schütz.

    (Beifall bei der SPD.)

    An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorüber, und an dieser Täuschung haben Sie sich alle beteiligt, auch Sie, Herr Schütz.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Jetzt werden Sie drollig!)

    Herr Barzel hat ein anderes Argument gebracht; lauter komische Argumente. Er sagt nämlich, das Rechtsinstitut der Volksbefragung sei durch Hitler am 14. Juni 1933 eingeführt worden und sei mißbraucht worden. Daß Hitler ein solches Institut eingeführt hat, daß er es auch mißbraucht hat, darüber besteht kein Streit.

    (Abg. Rasner: Das ist ja immerhin etwas wert!)

    Aber, meine Damen und Herren, Hitler hat z. B. auch die Wahlen mißbraucht, er hat auch die Gesetzgebung mißbraucht. Sind Sie deswegen der Meinung, daß es in einer Demokratie keine Wahlen und keine Gesetzgebung mehr geben darf? Das ist doch kein Argument; das richtet sich doch selbst. Die Tatsache, daß Hitler eine Volksbefragung durchgeführt hat, eine Volksbefragung übrigens, die darin bestand, daß vollendete Tatsachen vom Volk durch Kopfnicken gebilligt werden sollten, sagt doch nichts gegen das Rechtsinstitut selbst,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    wie überhaupt ein Mißbrauch einer Sache nicht gegen die Sache spricht, sondern nur gegen den Mißbrauch.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    Wenn Sie gegen den Mißbrauch sprechen, dann bin ich einverstanden. Aber das haben Sie ja nicht getan, sondern Sie haben gegen das Institut selbst gesprochen. Ob eine Volksbefragung demokratisch ist oder nicht, das hängt von ihrer demokratischen Ausgestaltung und Handhabung ab,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und das entscheidet die SPD!)

    d. h. von Ihnen in erster Linie und von uns allen. Da kommen wir auf sehr heikle Fragen,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    und da muß ich die Frage stellen: Sind Sie denn gewillt, so etwas demokratisch durchführen zu lassen, wenn das Bundesverfassungsgericht entschieden hat? Wir haben ja bereits Beweise. Da gibt es einen Bundespostminister. Er heißt nicht mehr Lemmer. Wenn er Lemmer hieße, hätten wir das bestimmt nicht erlebt, denn der weiß noch, was Demokratie ist. Aber der neue Bundespostminister hat sich eine Methode der Einschüchterung erlaubt, die schon mehr als bedenklich ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Der Bundespostminister hat einen Erlaß herausgegeben, in dem er gesagt hat, daß die Vorbereitung der Abstimmung über die atomare Abrüstung disziplinarwidrig sei. Er hat seinen 700 000 Bediensteten

    Metzger
    angekündigt, daß sie in der Gefahr sind, disziplinar verfolgt zu werden, weil sie ihr staatsbürgerliches Recht der freien Meinungsäußerung ausüben.

    (Zurufe von der SPD: Pfui! —Nazimethoden!)

    Ich muß sagen, das ist etwas so Ungeheuerliches, wie wir es seit dem Verschwinden der nationalsozialistischen Zeit noch nicht erlebt haben. Das ist das erste Mal.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben alle Veranlassung, das sehr deutlich zu sagen und deutlich zu machen, wie es sich denn mit den demokratischen Rechten und mit der demokratischen Handhabung unserer Institutionen eigentlich verhält.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich habe nicht gehört, daß der Herr Verfassungsminister dazu auch nur einen Ton gesagt hätte. Es hat sehr massiven Drucks der Gewerkschaften und der Bediensteten selbst bedurft, um diese Verfügung etwas abzumildern. Aber im Grunde besagt sie genau dasselbe wie vorher. Der Zweck, der erreicht werden sollte, ist weithin erreicht. Man hat die Staatsbürger, die zufällig bei der Bundespost sind, eingeschüchtert, und man hat damit die freie Meinungsäußerung unterbunden.
    Solche Methoden kennen wir auf staatlichem Gebiet, auf privatem Gebiet, aber auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Da gibt es z. B. die Firma Dunlop in Hanau. Die Betriebsleitung war geneigt, der Volksbefragung eine Unterstützung zu gewähren. Was war die Folge? Aufträge bis hinüber nach England sind suspendiert worden; es war auch angedroht worden, daß sie suspendiert werden. Es gibt auch wirtschaftlichen Druck, und es gibt privaten Druck, den man auf sehr feine, aber auch auf sehr grobe Weise ausüben kann.

    (Abg. Rasner: Wie in Hamburg! — anhaltende Gegenrufe von der CDU/CSU)

    und von diesem Druck in unserer Bundesrepublik können wir einiges erzählen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

    Noch eine andere Sache! Sie gehört mehr in das Gebiet der Hanswurstiaden; aber sie hat dennoch einen ernsten Hintergrund. Es gibt hier in unserem Bundestag einen Abgeordneten Dr. Löhr, der sich folgendes geleistet hat: Er hat sich an den hessischen Staatsgerichtshof gewandt und hat den Magistrat von Darmstadt wegen der Volksbefragungsangelegenheit angeklagt.

    (Zuruf von der Mitte: Vernünftig!)

    Und auf was hat er sich bezogen? Auf den § 38 des
    Gesetzes über den Staatsgerichtshof! Dort heißt es:
    Jedermann kann den Staatsgerichtshof anrufen, um die Strafverfolgung wegen eines auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmens
    jeder Jurist weiß, was das bedeutet -
    gegen den Schuldigen zu erzwingen.
    Herr Dr. Löhr will also gegen den Oberbürgermeister, gegen den Magistrat der Stadt Darmstadt ein
    Strafverfahren wegen Verfassungsbruchs, wegen eines Unternehmens zum Bruch der Verfassung eingeleitet haben. Ich kann nur sagen: Dieses Denunziantentum unter Abgeordneten ist eine höchst bedauerliche Angelegenheit.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und anhaltende Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wenn wir schon nach dem Staatsanwalt rufen, um unsere Meinungsverschiedenheiten über die Verfassung auszutragen, dann sind wir bereits sehr weit. Da werde ich in penetranter Weise an die Sitzung erinnert, in der auch die Frage aufgeworfen wurde, ob man nicht sehr bald einige von uns vor den Kadi und vor den Staatsanwalt bringen sollte, als einige der Meinung waren, jawohl, das sei nötig.

    (Beifall bei der SPD. Abg. Rasner: Wenn sie gegen die Verfassung arbeiten, ja! — Große Unruhe.)

    Herr Dr. Löhr hat es in Gestalt einer Hanswurstiade gemacht; aber er hat den Anfang damit gemacht. Er hat das, was hier angedeutet worden ist, bereits in lie Wirklichkeit umgesetzt.

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich kann nur sagen, Sie hätten Veranlassung, mit diesem Ihrem Fraktionskollegen einmal sehr deutlich zu reden. Ich glaube nicht, daß er Ihnen einen guten Dienst erwiesen hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das geht Sie einen Schmarren an!)

    — Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Vielleicht nehmen Sie auch einmal einen guten Rat an. Das könnte Ihnen nichts schaden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesregierung verlangt aber in einem Nachtrag zum Bundeshaushalt zusätzlich drei Millionen, um die Propaganda für ihre atomare Aufrüstung zu betreiben. Auf der anderen Seite werden Haussuchungen in München veranstaltet,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und in Kassel!)

    verbietet der Innenminister von Rheinland-Pfalz die Sammlung für den Ausschuß gegen den Atomtod. Es wird also alles inhibiert, was überhaupt inhibiert werden kann. Die Bundesregierung allein aber verlangt drei Millionen für diesen einen Nachtrag, abgesehen von allem anderen, was sonst auf diesem Gebiet schon geschehen ist.
    Ich darf zu dem juristischen Schluß kommen, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, zu beweisen, daß unser Grundgesetz informatorische Volksbefragungen verbiete, daß sie nicht gestattet seien.
    In einer Anmerkung will ich - um zu zeigen, wie weit sehr ernsthafte Juristen gehen — noch folgendes sagen: Professor Dr. Ridder aus Frankfurt hat in einem Aufsatz in der Juristenzeitung 1958 Seite 322 ff. sogar den Standpunkt vertreten, daß das Parlament überhaupt nicht die Kompetenz hat, eine atomare Bewaffnung zu beschließen. Ich will nicht auf alle Fragen der Völkerrechtswidrig-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1703
    Metzger
    keit eingehen; darüber ist schon gesprochen worden. Er sieht das Problem von einem anderen Gesichtspunkt aus: daß das Parlament eben gar nicht die Kompetenz habe, über eine solche Sache zu entscheiden, weil das eine Vorfrage der Verfassung sei, die als selbstverständlich vorausgegeben sei. Über diese Frage könne nur das Volk entscheiden, das bei Verabschiedung des Grundgesetzes nicht gefragt worden sei. — Bekanntlich hat das Volk das Grundgesetz nicht beschlossen.

    (Abg. Rasner: Halten Sie das für richtig?)

    — Ich referiere nur, was Professor Ridder gesagt hat.

    (Abg. Rasner: Ach so!)

    — Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie einmal zur Kenntnis nähmen, daß es sehr ernsthafte Juristen gibt, die noch viel weiter gehen als ich.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Aber Sie halten es nicht für gut!? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Diese Sachverständigen bringen immerhin juristische Begründungen, über die man nachdenken sollte. Das Nachdenken, Herr Kollege Rasner, ist schon eine sehr gute Angelegenheit.

    (Abg. Rasner: Wir sind ja gerade dabei!)

    Es wäre gut, wenn Sie nicht nur so in Betrieb machten, sondern wenn Sie auch einmal nachdächten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesinnenminister hat uns erklärt —und er hat es überall gesagt —, daß er und die Bundesregierung bei der Entscheidung der hier anstehenden Frage sich in erster Linie um den Schutz der Verfassung kümmern würden und daß die Bundesregierung entschlossen sei, alles zu tun, um die Verfassung zu schützen. Er hat sich sogar dazu hinreißen lassen, unseren Gesetzentwurf als eine Demontage der Verfassung durch die Hintertür zu bezeichnen.

    (Abg. Rasner: Sehr gut!)

    — Ach, Sie können „Sehr gut" sagen! Sie verstehen ja von Verfassungsdingen nichts, Herr Rasner.

    (Lachen und Zurufe von der Mitte. — Abg. Majonica: Aber wir beneiden Sie um Ihre Kenntnisse!)

    Ich wiederhole jetzt, was Ihr eigener Innenminister gesagt hat, der einmal erklärt hat, daß man erst einmal die Dinge juristisch klären müsse. Ich wiederhole nur, was von dieser Seite gekommen ist. Dazu kann ich Ihnen nur das eine sagen: solange über eine solche Frage Meinungsverschiedenheiten, begründete Meinungsverschiedenheiten bestehen — ich will jetzt gar nicht sagen, welche Meinung die richtige ist —, so lange kann ein Minister, der die Pflicht zur Objektivität hat, der ja ein Amt hat, sich nicht erdreisten, zu erklären, daß jemand, der eine Meinung vertritt, die der seinen nicht entspricht, die Verfassung durch die Hintertür demontieren will. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Das ist seine Pflicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ein Bundesinnenminister, der so oft bewiesen hat, daß er die Verfassung je nach Bedarf auslegen kann,

    (Pfui-Rufe von der CDU/CSU) sollte mit solchen Äußerungen vorsichtig sein.


    (Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich wiederhole es: ein Innenminister, der gezeigt hat, daß er die Verfassung je nach Bedarf auslegen kann,

    (Beifall bei der SPD — fortgesetzte PfuiRufe von der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

    der hat zuviel getan oder nichts getan, als daß er in dieser Frage unbedingt glaubwürdig wäre.

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe in dieser frühen Morgenstunde.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ludwig Metzger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nicht wir, sondern Herr Kollege Dr. Bucher hat in der ersten Beratung nachgewiesen, wie oft der Herr Innenminister Veranlassung gehabt hätte, auf Grund der Verfassung einzuschreiten. Er hat es nicht getan, er hat die Dinge gewähren lassen, er hat sie zum Teil sogar unterstützt. Ich will nur einige Stichworte nennen: „Neues Abendland" und „Abendländische Akademie".

    (Beifall bei der SPD. — Oh-Rufe von der Mitte.)

    — Ja, da rufen Sie „Oh". Da interessiert Sie auf einmal der Geist der Verfassung nicht mehr. Oder ich erinnere an den Herrn Wenger mit seiner Rede in Tauberbischofsheim. Das sind doch Worte gewesen, die sich an der Grenze des Landes- und Hochverrats bewegt haben.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich kann nur fragen: Hat der Herr Innenminister
    auch nur einen Pieps getan! Nichts hat er gesagt!
    Oder ich erinnere an die Bestimmungen des Grundgesetzes selbst. Da gibt es den Art. 21. Darin ist gesagt, daß die Parteien verpflichtet sind, über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft abzulegen.

    (Abg. Pelster: Tun Sie das auch einmal!)

    — Wir tun es. Aber das ist ja gar nicht die Frage. Herr Kollege, Sie haben offenbar die Frage noch gar nicht verstanden. Hier geht es darum, daß ein Gesetz gemacht werden muß, das dies regelt.

    (Abg. Rasner: Aber doch nicht der Innenminister!)

    — Natürlich der Innenminister!

    (Abg. Rasner: W i r machen die Gesetze!)

    — Schön, dann hätten Sie es ja machen können.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum haben Sie denn keinen Antrag eingebracht?)

    1704 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
    Metzger
    Der Herr Innenminister erklärt uns, er habe jetzt glücklich eine Kommission beauftragt, die sich mit dieser Frage beschäftige. Ich kann nur sagen: das ist ein faule Ausrede. Acht Jahre lang haben wir Zeit gehabt, dieses Gesetz zu schaffen, und die Regierung hat acht Jahre lang Zeit gehabt, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Das Gesetz ist bereits durch den ehemaligen Innenminister Dr. Heinemann vorbereitet gewesen. Es liegt in den Schubladen des Innenministeriums, und das Innenministerium hat die Frage mit vollem Bewußtsein verschleppt. Nun hat der Herr Innenminister glücklich eine Kommission beauftragt. Gut, Herr Innenminister, wenn Sie so dafür sind, daß der Geist der Verfassung und der Wortlaut der Verfassung befolgt werden, dann handeln Sie doch entsprechend und tun Sie doch Ihre Pflichten als Verfassungsminister! Aber ich merke nichts davon.
    Da gibt es noch einen anderen Punkt, den Art. 29, der die Neugliederung der Länder des Bundesgebietes betrifft. In diesem Artikel stehen einige Muß-Bestimmungen. Eine solche Muß-Bestimmung ist die Vorschrift, daß die Neugliederung zu erfolgen hat. Es gibt auch eine Soll-Bestimmung, für die Frage der Fristen. Der Herr Innenminister - ich will kein scharfes Wort gebrauchen - beruft sich darauf, daß, was die Frist anlange, nur eine SollBestimmung da sei und daß er deswegen Zeit habe. Auch eine Soll-Bestimmung ist für einen Innenminister bindend. Das sollten Sie sich einmal gesagt sein lassen. Das entspricht nicht nur dem Geist der Verfassung, das entspricht sogar dem Wortlaut der Verfassung.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Herr Innenminister, wo ist die Befolgung des Wortlauts der Verfassung? Sie drücken sich um diese Frage, Sie haben in dieser Frage nichts getan. Sie haben zwar — das war eine „undemokratische Zumutung" an das Volk — das Volk gehört, Sie haben sehr deutliche Meinungsäußerungen gehört, aber diese Meinungsäußerungen interessierten Sie nicht. Die Soll-Bestimmung wird so behandelt, als ob sie nicht da sei. Das ist die Verfassungstreue dieser Regierung, und das ist auch die Verfassungstreue dieser Regierungsparteien.
    Wir haben jetzt wieder ein anderes Beispiel. Der Herr Innenminister hat in „schöner Objektivität" seine parteipolitisch-hetzerische Rede im Bulletin, in einem amtlichen Blatt, drucken lassen. In diesem amtlichen Blatt spricht er z. B. auch von der Gesellschaftsordnung, und er tut so, als ob die Ordnung, die er vertritt, die er für richtig hält, die nach dem Grundgesetz einzig mögliche sei. Er polemisiert gegen eine Entschließung unseres Parteitages, in der steht, daß das deutsche Volk ohne die Überwindung der Teilung Deutschlands nicht in freier Selbstbestimmung eine Gesellschaftsordnung bauen könne — ja, hören Sie, was wir für „furchtbare Dinge" verlangen —, damit allen Mitbürgern die volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit, gleiche Startbedingungen, gleiche Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gewährleistet werden. So „verbrecherisch" ist die SPD, daß sie solche Dinge fordert. Und was
    sagt der Herr Innenminister? Er sagt: Sehen wir einmal ab von der unerhöhten Geringschätzung unserer im Grundgesetz festgelegten Ordnung. — Wenn man solche Dinge verlangt, dann ist das für den Herrn Innenminister bereits eine „unerhörte Geringschätzung" unseres Grundgesetzes. Da sehen wir, wie dieser Innenminister unser Grundgesetz auffaßt. Ich würde Ihnen den dringenden Rat geben, das Grundgesetz einmal genau zu lesen. Vielleicht werden Sie erschrecken, wenn ich Ihnen jetzt folgendes sage. Es gibt nämlich einen Artikel im Grundgesetz — den Art. 15 —, in dem sogar das furchtbare Wort „Gemeineigentum" steht. Offenbar haben Sie davon noch nicht Kenntnis genommen. Denn alles, was in der Richtung geht, ist für Sie schon Hoch- und Landesverrat und wer weiß was alles. Und eine Partei, die in der Richtung Erwägungen anstellt und die daran denkt, die Situation des gesamten Volkes zu verbessern, ist für Sie eine verabscheuungswürdige Partei, die man so behandelt, wie Sie glauben es tun zu dürfen. Da kann man doch nur fragen: wo kommt das moralische Recht eines solchen Mannes her, uns vorzuwerfen, wir demontierten die Verfassung durch die Hintertüre? Wenn sie demontiert wird, dann sind die Handwerksmeister bereits tüchtig am Werk!

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Was soll das heißen?)

    Ich darf auch folgendes einmal zitieren. In einem deutschen Verwaltungsblatt steht der Artikel eines Regierungsrats. Er ist kein so harmloser Mann, wie ihn der Herr Innenminister in der ersten Beratung hingestellt hat. Wir alle, die wir die Wehrgesetze usw. beraten haben, wissen, daß er in den Ausschüssen eine ganz beachtliche Rolle gespielt hat und daß er mehr zu sagen hat, als sein Titel besagt. Dieser Mann, der also immerhin eine höchst verantwortliche Stellung in der Verwaltung, in der Regierung dieser Bundesrepublik hat, schreibt unter anderem:
    Sie
    — die Verfassung, das Grundgesetz —
    läßt den verantwortlichen Organen im entscheidenden Augenblick
    — Sie können sich zurechtmachen, welcher das ist —
    keine andere Wahl, als sich über die Verfassung hinwegzusetzen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Haben Sie einen Ton davon gehört, daß der Herr Innenminister dagegen ein Wort gepiepst hat?

    (Heiterkeit.)

    Er hat diesen Mann hier verteidigt. Er hat gesagt: Der hat das im Verwaltungsblatt geschrieben und ist kein wichtiger Beamter. Als ob das ein entscheidender Gesichtspunkt wäre, ob es ein wichtiger oder unwichtiger Beamter ist! So unwichtig ist er nicht. Aber es ist ein Beamter in einem Ministerium, der etwas Derartiges geschrieben hat, und der Herr Innenminister hat praktisch das hier noch
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1705
    Metzger
    verteidigt, er hat jedenfalls kein Wort dagegen gesprochen. Glauben Sie, meine Damen und Herren, zu einem solchen Minister hätten wir noch das Zutrauen, daß er den Schutz der Verfassung gewährleistet? Ich sage: nein!

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica: Aber wir haben das Vertrauen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Der Herr Innenminister hat auch emphatisch erklärt, den Anfang des Weges, den wir hier zu beschreiten vorhätten, den kennten wir; aber das Ende vermöchten wir nicht zu überblicken. Nun, auch dazu ist ganz einfach zu sagen: was sollen denn diese düsteren Drohungen, was sollen denn diese düsteren Worte? Wenn das Parlament durch Gesetz beschließt, daß ein ordnungsgemäßes Verfahren, eine Befragung des Volkes, stattfindet, wo soll da das nicht zu überblickende Ende sein? Wenn durch Gesetz geregelt ist, daß das Volk gehört wird, dann wird eine Meinungsäußerung des Volkes herauskommen. Das schreckliche Ende wird dann höchstens darin bestehen, daß das Volk anderer Meinung als die Regierung ist; das ist aber auch alles.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das schreckliche Ende könnte vielleicht sogar darin bestehen — wir sind immer noch hoffnungsvoll —, daß dieses Parlament einen schlicht gefaßten Beschluß — kein Gesetz — auf Grund der Meinungsäußerung des Volkes noch einmal sehr gewissenhaft überprüft und dann vielleicht einsieht, daß andere Wege auch noch Wege sind.

    (Zuruf von der SPD: Das soll nicht sein!)

    Aber gerade das will man verhindern, und deswegen soll das Volk nicht gehört werden.
    Sie meinen, wir wüßten das Ende des Weges nicht. Ich kann Ihnen sagen: Ihren Anfang — die atomare Bewaffnung der Bundeswehr — kennen Sie; aber das Ende, das daraus folgt, kennen Sie nicht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Oder besser gesagt: wenn man diese Vorstellungsgabe hat, die vielen von Ihnen abgeht, dann weiß man — in diesem Falle haben wir in der Tat Angst, weil wir es wissen —, daß in einigen Jahren nicht nur dieses Deutschland, sondern daß dieses Europa und ein großer Teil der Welt einfach schlechthin vernichtet, weggewischt werden. Das ist doch die Frage, vor der wir stehen. Wir sollten nicht so tun, als wenn wir es mit irgendeiner nebensächlichen Frage aus dem vorigen Jahrhundert zu tun hätten. Wir leben in einer Zeit, in einer technischen Entwicklung, die Möglichkeiten schrecklichster Art bietet, wie es sie nie gegeben hat. Sie machen doch den Fehler, daß Sie diese neuen Möglichkeiten überhaupt nicht real ins Auge fassen. Sie tun doch so, als wenn man in alten Geleisen weiterfahren könnte. Aber das kann man eben nicht.

    (Abg. Cillien: So etwas Dummes müssen Sie nicht sagen!)

    — Warum soll das dumm sein? Ich behaupte, Sie haben die Tatsache noch nicht real erkannt, daß es
    Waffen gibt, mit denen man nicht verteidigen kann, mit denen man nur alles das vernichten kann, was man angeblich verteidigen will.

    (Zuruf von der Mitte: Ja natürlich, das wissen wir doch genauso gut!)

    — Wenn Sie das wissen, dann müssen Sie die Konsequenzen ziehen, und das tun Sie nicht; darin liegt das Nichtrealisieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesaußenminister hat auf einer Pressekonferenz an Pfingsten im Odenwald — er will es heute nicht mehr ganz wahrhaben, aber es ist doch so — erklärt: Die Regierung wird die Volksbefragung durchführen, falls das Bundesverfassungsgericht sie für recht erklärt. Ich will dabei offenlassen, in welcher Weise die Regierung die Volksbefragung dann durchführen wollte. Herr Kollege Dr. Mommer hat da schon sehr konkrete und veranlaßte Befürchtungen angeführt. Aber diese Frage will ich hier nicht erörtern. Ich will nur einmal herausstellen, daß der Herr Bundesaußenminister durch diese Worte zu erkennen gibt, daß auch die Möglichkeit besteht, daß das Bundesverfassungsgericht anders entscheidet als die Regierung. Sie nicken mit dem Kopf.
    Wenn aber diese Möglichkeit besteht, wie kann dann ein Innenminister, ein Verfassungsminister, den politisch Andersdenkenden, seinen politischen Gegnern, den Vorwurf machen, daß sie die Verfassung durch die Hintertür demontieren wollten? Da wird doch erneut klar, wie ungeheuerlich das ist, was hier an propagandistischen Phrasen in diesen Saal hineingeschleudert wird.

    (Beifall bei der SPD. — Sehr richtig! und Händeklatschen in der Mitte. — Zurufe von der Mitte.)

    — Ich glaube, Sie werden mir keinen Widerspruch nachweisen können. Da müssen Sie erst einmal hier heraufkommen und müßten mir das nachweisen. Das können Sie nicht. Ich kann Ihnen an Hand des Protokolls nachweisen, was für Ungeheuerlichkeiten von Ihren verantwortlichen Leuten gesagt worden sind.
    Ich glaube also, daß der Bundesinnenminister die ihm kraft seines Amtes auferlegte Objektivität in diesem Falle und in vielen anderen Fällen weit überschritten hat. Ich sage auch, daß er bewußt demagogisch gehandelt hat.
    Herr Wilhelmi hat hier in der ersten Beratung einen guten Ansatz gemacht. Er hat erklärt ich zitiere wörtlich —: Wir haben nie gesagt, daß Ihr Gesetzentwurf gegen den Geist der Demokratie schlechthin verstößt. — Das war zunächst seine Meinung. Das mit dem „nie" stimmte zwar nicht. Herr Barzel und Herr Schröder hatten vorher schon ganz andere Dinge gesagt; aber Herr Wilhelmi jedenfalls hat die Meinung vertreten, daß unser Gesetzentwurf nicht gegen den Geist der Demokratie schlechthin verstößt. Sein junger Kollege Barzel, der ja der Mann der „Tapferkeit" ist, hat den Mut besessen, folgendes zu sagen: Ihr Gesetzentwurf — damit schließt er sich wörtlich dem Herrn Schröder
    1706 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
    Metzger
    an — ist ein Anschlag auf den demokratischen Rechtsstaat, auf die Demokratie und auf die Verfassung.

    (Abg. Rasner: Das war milde ausgedrückt!)

    — Ach, Herr Rasner, Sie müssen doch nicht immer beweisen, daß Sie von genau dem gleichen Kaliber sind; das wissen wir doch längst.

    (Beifall bei der SPD.)

    Er hat also die Meinungsverschiedenheit in einer verfassungsrechtlichen Frage als einen Anschlag auf die Verfassung gekennzeichnet. Damit hat dieser junge Parlamentarier bereits gezeigt, in welcher Weise er seine parlamentarische Laufbahn im Bundestag beginnen will.
    Herr Wilhelmi hatte, wie gesagt, zunächst einen völlig anderen Standpunkt vertreten; aber im Laufe seiner Rede ist auch er ins Feuer gekommen. Da zeigte sich, wie leicht man sich verrennen kann. Herr Wilhelmi hat nämlich am Schluß seiner Rede erklärt, daß wir uns an der Grenze der Opposition zur Obstruktion und zur staatsfeindlichen Partei befänden.
    Ich muß Herrn Wilhelmi als Juristen fragen, wie er das, was er zuerst gesagt hat, mit dem logisch vereinbaren will, was er nachher gesagt hat, ganz zu schweigen von der Ungeheuerlichkeit, die auch darin steckt.
    Sie reden immer von Unklarheiten. Wenn man Ihnen Unklarheiten aufdecken wollte, könnte man stundenlang sprechen und Ihnen vorhalten, was da so alles verzapft wird.

    (Abg. Majonica: Herr Metzger, es geht das Gerücht, daß Sie Jura studiert haben! Stimmt das?)

    Ach, meinen Sie doch nicht, daß Sie ein ganz Schlauer seien. Sie haben schon oft bewiesen, daß dazu einiges zu sagen wäre!

    (Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Solche Behauptungen, wie sie Herr Wilhelmi am Schluß seiner Ausführungen einer Partei gegenüber aufgestellt hat, die aus größter Sorge um das Schicksal unseres Volkes handelt, sind einfach ungeheuerlich. Meine Damen und Herren, Sie sollten sich einmal folgendes klarmachen. Wenn man einen politischen Gegner, einen Andersdenkenden damit bekämpft, daß man nicht seine Argumente widerlegt, sondern ihn bezüglich seiner Motive verdächtigt, handelt man schon so, wie man in der Demokratie nicht handeln darf. Das aber tun Sie. Sie erklären nämlich, die SPD handle gar nicht aus Sorge um das Volk, sondern die SPD handle nur deshalb so, weil sie die Wahl verloren habe, weil sie verärgert sei, weil sie sich rächen wolle. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Tiefstand der Betrachtung einer ernsten Sache!

    (Zuruf von der Mitte: Ihre Verleumdungen! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Ich kann da nur fragen: Wenn man dem anderen
    solche Motive zutraut, wie sind dann die eigenen
    Motive? Können Sie sich überhaupt nicht mehr
    vorstellen, daß eine Partei, daß Politiker politische Entscheidungen wirklich aus der Sache heraus und aus ernster Sorge um ihr Volk treffen? Können Sie sich das wirklich nicht mehr vorstellen?

    (Zurufe von der Mitte.)

    Es sitzen hier unter Ihnen eine Reihe von Männern und Frauen, die ich nicht erst seit heute, sondern seit vielen Jahren kenne und mit denen ich im Kirchenkampf der Nazizeit zusammengestanden habe. Mindestens an diese möchte ich appellieren: Bitte, überlegt euch einmal, ob ihr in dieser Weise handeln dürft, ob ihr in dieser Weise, wie das vorhin geschehen ist, einen Mann verhöhnen dürft, der erklärt hat, daß uns die Sorge um unser Volk treibe. Ich appelliere gerade an die ehemaligen Kampfgenossen der Nazizeit, einer Zeit, in der die Bekennende Kirche wirklich einen Kampf geführt hat, bei dem allerdings einige von denen, die heute das große Wort führen, gefehlt haben.
    Sie sagen, wir hätten nur diese niedrigen parteitaktischen Motive. Ich frage Sie: Was sagen Sie aber zu den vielen anderen, die in der gleichen Weise argumentieren wie wir, die in der gleichen Weise leidenschaftlich darum kämpfen, daß eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr verhindert wird, was sagen Sie zu den 18 Göttingern, was sagen Sie zu der großen Zahl von Wissenschaftlern, von Schriftstellern, von Ärzten, von Theologen, von Künstlern? Wollen Sie das einfach auch als taktisch minderwertig abtun? Haben Sie nicht Veranlassung, doch einmal ein bißchen zu prüfen und sich zu überlegen: Wenn so hervorragende Menschen — wenn Sie schon uns Sozialdemokraten für minderwertig halten! — sich darüber Gedanken machen und zu diesen Schlußfolgerungen kommen, dann muß doch etwas dran sein! Das kann man doch nicht einfach so abtun, wie Sie das machen. Dann müssen wir doch einmal sehen, was von höchst beachtlicher Stelle alles gesagt worden ist. Ich rede von dem, was etwa die Evangelische Kirche gesagt hat. Der Herr Bundesinnenminister macht es sich wieder einmal bequem, der Herr Bundesinnenminister spricht einfach von Schwarmgeisterei und verdammt damit ganze Synoden. In der nationalsozialistischen Zeit gab es die Synode von Barmen. Da wurde die Barmer Erklärung verfaßt und abgegeben. Damals hat viel Mut dazu gehört, das zu tun. Ich bin davon überzeugt, der Herr Innenminister hätte auch das als Schwarmgeisterei abgetan.

    (Beifall bei der SPD.)

    Einer der Hauptverfasser der Barmer Erklärung ist der Professor der Theologie Vogel gewesen, derselbe Mann, der sich auf der letzten Synode gegen die atomare Bewaffnung gewendet hat. Und was tut man in dem amtlichen Bulletin, in diesem höchst „objektiven" Regierungsblatt? Da gibt man einen Bericht über die letzte Synode in Berlin und da redet man in suffisanter Weise von dem ostzonalen Dekan Vogel und wertet ihn damit ab.

    (Pfuirufe von der SPD.)

    Daß dieser Mann, der übrigens auch eine Professur an der Freien Universität hat, noch den Mut hat,
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1707
    Metzger
    an der ostzonalen Universität zu lehren, müßten Sie ihm eigentlich als Verdienst anrechnen.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Statt dessen wird in dieser diffamierenden, abwertenden Weise von dem „ostzonalen Dekan" gesprochen. Das ist die „objektive" Berichterstattung des Bulletins. Das ist keine objektive Berichterstattung, das ist Brunnenvergiftung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich möchte auf die Schwarmgeisterei zurückkommen. Der Schwarmgeisterei haben sich dann sehr viele schuldig gemacht. Der Bischof Dibelius — für diejenigen, die es nicht wissen: er ist der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland — hat z. B. auf der Synode in einer sehr ausführlichen Rede erklärt, daß ein atomarer Krieg nicht nur, wie manche meinen, Selbstmord sei, sondern daß er Massenmord an fremden Völkern und am eigenen Volk sei. Das ist natürlich nach der Auffassung des Herrn Innenministers Schwarmgeisterei, das versteht sich von selbst.

    (Abg. Wacher: Aber Herr Metzger, nehmen Sie sich selbst ernst mit solchen Sachen?)

    Ich wollte, Sie würden das ernst nehmen, was ich hier vorbringe.
    Bereits im Jahre 1956 hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland folgendes erklärt. Damals war unter den Schwarmgeistern z. B. auch unser Kollege Dr. Wilhelmi. Ich weiß nicht genau, ob auch unser Kollege Dr. Gerstenmaier, unser Bundestagspräsident, mit dabeigewesen ist. Es ist möglich, aber ich weiß es im Augenblick nicht genau. Damals ist erklärt worden, daß uns das Evangelium verwehrt, mit der Wissenschaft Götzendienst zu treiben und sie zur Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu mißbrauchen, „die durch keinen Zweck geheiligt werden können". Die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln kann nach der bereits im Jahre 1956 abgegebenen Erklärung der Synode durch keinen Zweck geheiligt werden. Schwarmgeisterei, Herr Innenminister? Wollen Sie eine ganze Synode der Schwarmgeisterei bezichtigen? Sie sind dazu imstande, ich weiß es.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit!)

    Das ist keine Frechheit, das sind Tatsachen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das eine Logik?)

    — Ja, von Logik scheinen Sie nicht viel zu verstehen. Wenn Sie einmal die Logik dieses Satzes erkennen würden, würden Sie sehen, daß Ihre Stellung jedenfalls vom Standpunkt der Synode aus höchst bedenklich ist. Die Herren Kollegen Gerstenmaier und Wilhelmi haben auf der Synode sehr deutlich gehört, wie sehr ernste Männer und Frauen ernst darüber redeten, und waren, auch wenn sie eine andere Auffassung hatten, stärkstens davon beeindruckt. Sie haben dem Ausdruck verliehen. Und hier stellt man sich hin und sagt, wenn eine solche Auffassung vertreten wird, daß das gegen die demokratische Verfassung sei, daß das
    an der Grenze von Opposition zur Obstruktion sei, daß das die Zerstörung unseres demokratischen Staates sei usw. Ich muß sagen, man sollte doch da die intellektuelle und die moralische Redlichkeit besitzen, das, was man dort erkannt und gesagt hat, auch hier auf dem politischen Parkett sehr deutlich zu sagen.
    Man sollte auch nicht erklären, wie das ausgerechnet von der Christlich-Demokratischen Union getan wird, daß das, was die Kirche sagt, uns hier alles gar nicht interessiert, daß hier politisch zu reden sei und daß die Kirche in einem ganz anderen Raum zu leben habe und daß deswegen solche Zitate, nämlich dann, wenn sie einem unangenehm sind, hier nichts verloren hätten. Meine Damen und Herren, wenn die Kirche und die Vertreter der Kirche sich um diese Fragen mühen, tun sie es ja nicht, um in den luftleeren Raum hineinzureden; dann tun sie es ja, um dem Volk einen Liebesdienst zu erweisen; dann tun sie es, damit es gehört wird; dann tun sie es, damit die Gewissen geschärft werden. Und wir sollten uns wirklich die Gewissen schärfen lassen. Die Kirche hat ja auch sonst in den politischen Raum hineingeredet. In der Nazizeit hat sie gegen die Judenverfolgung und gegen die Konzentrationslager und gegen vieles andere Stellung genommen. Damals sind viele von Ihnen — nicht alle, aber viele von Ihnen — durchaus der Meinung gewesen, daß das möglich und nötig sei. Diese Möglichkeit ist in der Barmer Erklärung ausdrücklich in Anspruch genommen worden. Wenn die Kirche heute redet und wenn Ihnen das nicht in das politische Konzept paßt, dann ist das auf einmal Schwarmgeisterei, dann soll das auf diese Weise abgetan werden. Meine Damen und Herren, ich glaube, so kann man nicht handeln! Wenn wir über die uns hier beschäftigende Frage sprechen, dann ist sie eine politische Frage, dann ist sie, wie wir gesehen haben, eine juristische Frage; aber sie ist auch eine moralisch-sittliche und religiöse Frage. Und das sollten Sie nicht außer acht lassen.
    Herr Wilhelmi hat in seiner Rede u. a. auch gesagt, daß in der außenpolitischen Debatte von uns niemals der Vorwurf gekommen sei, daß Sie — das heißt also, der Bundeskanzler und Sie — den Atomtod wollten, daß aber draußen in den Aktionen diese Behauptung aufgestellt worden sei. Nun, meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz klipp und klar sagen: wir haben nie gesagt, daß Sie den Atomtod wollten; wir haben immer gesagt, daß Ihre Politik objektiverweise die Gefahr des Atomkrieges heraufbeschwört.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das ist etwas völlig Verschiedenes! Und ich darf Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren: das haben wir nicht nur hier im Bundestag, das haben wir nicht nur vor unseren eigenen Bürgern und vor unseren Wahlberechtigten gesagt, das haben wir auch da gesagt, wo es nicht so ganz einfach ist. Herr Kollege Schmid ist in Polen gewesen, Herr Kollege Kalbitzer ist jenseits des Eisernen Vorhangs gewesen, ich bin im letzten Jahr in der Tschechoslowakei, ich bin in Rumänien gewesen. Dort werden Sie überall die überzeugte Meinung

    Metzger
    finden, daß der Bundeskanzler den Atomkrieg vorbereite und daß er ihn wolle. Ich will Ihnen — —

    (Erregte Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, jetzt hören Sie doch erst einmal zu! Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen wollte.

    (Abg. Rasner: Doch, das wissen wir vorher!)

    — So, Sie wissen das; aber Sie sind nicht bereit, es zu honorieren. — Ich will Ihnen sagen: Wir alle haben damals den Leuten, mit denen wir sehr lebhafte Diskussionen hatten — und keine ganz einfachen Diskussionen! — immer wieder gesagt, daß wir davon überzeugt sind, daß der Bundeskanzler und die Bundesregierung nicht den Krieg wollen. Nebenbei bemerkt: wenn Sie wollen, können Sie das sogar hören. Ich habe in Rumänien zum Schluß noch eine Pressekonferenz gegeben, die auf Band aufgenommen worden ist, auf dem alles das steht, und Sie könnten das hören, Dem Herrn Außenminister habe ich übrigens angeboten, daß ich ihm einmal über meine Erfahrungen hinter dem Eisernen Vorhang berichte. Da hat er mir auch zugesagt — wir sind ja aus einer Stadt —, daß er Weihnachten zu mir käme und sich den Bericht erstatten ließe. Ich warte heute noch auf diese Möglichkeit der Aussprache. Ich glaube, er hätte hier die Möglichkeit, zu erfahren, was ihm andere nicht sagen können, weil sie gar nicht die Möglichkeit haben. Und so geht es anderen von uns auch. Das ist die Art der „Zusammenarbeit", von der immer geredet wird. Sie wollen ja von uns gar nichts hören, und wenn es noch so sachdienlich und nötig ist.
    Also, meine Damen und Herren, ich stelle fest: wir haben nicht nur hier in Deutschland immer wieder erklärt, daß wir der Bundesregierung nicht unterstellen, daß sie den Krieg oder gar den Atomkrieg will. Wir haben sogar das Gegenteil gesagt. Ich wollte, meine Damen und Herren, der Bundeskanzler würde nur die Hälfte dieser Loyalität an den Tag leeren; dann würde es in dieser Bundesrepublik anders aussehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was tut aber der Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren? Ich rede jetzt gar nicht von dem letzten Wahlkampf; ich rede von dem, was sich in diesen Tagen ereignet hat. Sie konnten gestern in der „Süddeutschen Zeitung" lesen, daß der Herr Bundeskanzler in Düsseldorf erklärt hat: Die SPD gefährdet alles, was geschaffen worden ist. Sie w i 1 1 eine Politik und einen Weg, an dessen Ende die sowjetisch-russische Herrschaft über Westeuropa oder ein atomarer Krieg steht.

    (Zuruf von der SPD: Das ist glatte Verleumdung! — Pfui-Rufe bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler erklärt: Die SPD will die Bolschewisierung Deutschlands, die SPD will den atomaren Krieg.
    Da muß ich Sie fragen: Wo ist denn da die Loyalität, und wo ist die üble Verleumdung? Hier spricht
    ein ganz niedriger Parteipolitiker, aber kein Staatsmann!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Sie werden vielleicht verstehen, meine Damen und Herren, daß wir mehr und mehr zu der Überzeugung kommen, daß unter diesen Umständen ein solcher Bundeskanzler, der nur stur seine Parteilinie und nur sein eigenes Interesse unter Ausschluß eines Teils des Volkes sieht, ein Unglück für unser Volk ist.

    (Beifall bei der SPD. Pfui-Rufe und Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich weiß, was ich sage, und habe es bedacht.

    (Erneute Pfui-Rufe und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung hat auf Kosten unserer Mitbürger ein Plakat herausgebracht, in dem das Wort steht: Wir dürfen uns durch falsche Propheten nicht irremachen lassen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich finde, man sollte mit der Verwendung von Worten aus der Bibel vorsichtig sein.

    (Abg. Frau Dr. Schwarzhaupt: Ja, das meine ich auch!)

    Das ist eine schlechte Sache, und damit leistet man keinen guten politischen Dienst. Aber ich darf Ihnen zum Schluß vielleicht einmal den genauen Wortlaut sagen. Das Wort steht im Matthäus-Evangelium, Kapitel 7, Vers 15. Da heißt es: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) inwendig aber sind sie reißende Wölfe!"


    (Anhaltender Beifall bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)