Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang der Auseinandersetzung über eine Volksbefragung stand dieser Beschluß vom 25. März, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten. Wir Sozialdemokraten — und nicht nur wir — halten diesen Beschluß für einen der verhängnisvollsten Beschlüsse, die je in einem deutschen Parlament gefaßt worden sind.
Wir halten ihn für verhängnisvoll für die Sicherheit
unseres Volkes, das, wenn es so weitergeht, damit
rechnen muß, daß dieses Land im Ernstfall von den
eigenen Atomwaffen zerstört wird, die auf beiden Seiten und von beiden Seiten her schießen.
Wir halten diesen Entschluß für verhängnisvoll für das Ziel unserer Politik, das — nach den Lippendiensten, die Sie, Herr Euler, und andere immer noch leisten — das oberste Ziel unserer Politik sein soll, nämlich die Wiedervereinigung. Diese Wiedervereinigung erhält durch das, was hier geschieht, und dadurch, daß diese Politik ein Beitrag zum allgemeinen Wettrüsten in der Welt ist und den Lauf in die Katastrophe beschleunigt, einen schweren Schlag. Daher ist dieser Beschluß verhängnisvoll nicht nur für uns Deutsche und für die Europäer, sondern für die ganze Menschheit.
Sie haben mit diesem Beschluß vorn 25. März eine Kettenreaktion der Aufrüstung ausgelöst. Sie können sich ja nicht einbilden, daß es dabei bleiben wird, daß Sie auf dieser Seite der Zonengrenze — unserer östlichen Grenze — Atomkanonen auffahren. Auf der anderen Seite werden auch welche aufgefahren werden. Dann wollen Sie es sich immer so billig machen: Die Russen können den Unzuverlässigen ja gar keine solchen Waffen geben. Dabei sollten Sie aber wissen, daß sie es genauso wie die Amerikaner machen könnten, die Ihnen zwar die Kanonen, aber zunächst einmal nicht die Zünder zu den Granaten geben. Das könnten die Russen auch mit taktischen Atomwaffen bei der SED und deren Volksarmee machen. Das können sie auch bei den Polen, bei den Tschechen und bei allen anderen Satellitenstaaten machen. Das ist die Kettenreaktion, die Sie durch Ihren Beschluß vom 25. März hervorgerufen haben. Was die Menschheit und wir insbesondere hier im geteilten Deutschland in dieser Situation brauchen, ist aber eine umgekehrte Kettenreaktion, eine Kettenreaktion, die zur Abrüstung und nicht zu gesteigerter atomarer Aufrüstung hinführt.
Da droht Verhängnis für unser Volk. Es ist nicht das erstemal, daß wir Sozialdemokraten mahnen, warnen, ja, manchmal sogar flehen: Deutsches Volk, paß doch dieses Mal auf! Wie oft haben wir gesagt, daß wir uns in Machtrausch hineinbegeben, in die Gefahr, daß schließlich geschossen wird, daß schließlich der Krieg kommt. O ja, Sie sind wieder ganz und gar in dieser Entwicklung zur Macht und zum Machtrausch.
— Natürlich nicht, um sie anzuwenden; ich komme nachher noch darauf. Niemals ist diese Macht aufgebaut worden, um sie anzuwenden, immer nur, um den Frieden zu sichern. Aber am Schluß standen der Krieg und die Katastrophe für unser Volk, zweimal in unserem Jahrhundert.
Wir glauben, wenn sich eine solche Entwicklung anbahnt, dann ist es oberste Pflicht eines guten Deutschen, Widerstand zu leisten. Wir wollen Widerstand leisten.
Dr. Mommer
Wir werden die Mittel ausschöpfen, die uns zur Verfügung stehen, um diesen Widerstand zu leisten, Herr Innenminister.
— Die Verfassung ist da, und wir glauben, daß wir im Rahmen dieser Verfassung Widerstand leisten können, daß wir dazu nicht aus dieser Verfassung herauszugehen brauchen.
Die Ausrüstung mit Atomwaffen, die Sie beschlossen haben, ist ja nur der vorläufig letzte Schritt auf dem Wege, den Sie bereit sind zu gehen, den Sie gewillt sind um jeden Preis zu gehen, nämlich auf dem Wege zur Entwicklung dieses deutschen Teilstaates Westdeutschland zu einer atomaren Großmacht. Das ist das oberste Ziel ihrer Politik, nicht die Wiedervereinigung.
Aus diesem deutschen Teilstaat eine atomare Großmacht machen, das ist das oberste Bestreben, das Sie heute noch kennen.
— Wir sitzen hier fast neun Jahre miteinander in diesem Hause, man beobachtet einander und weiß, welches die letzten Triebkräfte sind. Ich werde Ihnen nachher noch einige Argumente dazu liefern.
— Die Verträge sind vorläufig. In ihnen haben Sie auf die Produktion der Atomwaffen verzichtet. Bei den letzten Sitzungen hier im Bundestag haben wir doch festgestellt — und der Herr Bundesverteidigungsminister hat das zugegeben —, daß man jetzt schon dabei ist, diesen Vertrag, in dem der Verzicht auf die Herstellung der Waffen steht, zu umgehen und über das Rüstungsdreieck nicht nur zu dem Gebrauch der Waffen — den der Bundeskanzler 1955, als es um die Ratifizierung der Verträge ging, noch abgestritten hat —, sondern jetzt auch schon zu der Produktion dieser Waffen zu kommen, und dann wird der Weg weitergehen. Ich werde nachher noch einiges dazu sagen.
Es war kein leichtes für Sie, in der Bundesrepublik diese Politik zu betreiben. Es bedurfte vorsichtiger Schritte, um langsam aber sicher auf dem Wege zu dieser atomaren Großmacht weiterzukommen. Und es bedurfte einer bestimmten Methode der Menschenführung, um das Resultat zu erzielen. In diesem Volke war nach dem letzten Machtrausch und dem furchtbaren Resultat dieses Machtrausches die Abneigung gegen solche Politik riesengroß. Der Herr Bundeskanzler mußte einsehen, daß man da nur langsam vorwärtskommen konnte. Unser Bundeskanzler hat ein inniges Verhältnis zur Macht, und er hat Sinn dafür, was Macht bedeutet. Hätte er nur so ein inniges Verhältnis zur Demokratie, wie er es zur Macht und zur militärischen Macht hat.
Zur Demokratie hat er nur das Verhältnis des Opportunisten, der sagt: Grundsatz hin, Grundsatz her, aber es gibt so politische Notwendigkeiten des Augenblicks, und an diese Notwendigkeiten muß man sich anpassen.
Er sah eine Chance, durch das Zerwürfnis der Sieger wieder zu militärischer Macht hier im geteilten Deutschland zu kommen, und er war entschlossen, die Chance zu nützen. Es stellte sich aber die Frage: wie sage ich es meinem Volke? Wie kann man eine solche Politik verkaufen? Wie kann man diese Menschen, die nicht wollen, daran gewöhnen? — Er war sich bewußt, daß er gegen den Wind kreuzen mußte.
Herr Barzel hat hier gesagt, die CDU habe einen ungeheuren Mut bewiesen, indem sie eine solche Politik betrieben habe. Nein, Herr Kollege Barzel, Mut haben Sie nicht dabei bewiesen, wohl viel List, das muß ich anerkennen, viel List haben Sie dabei bewiesen
und auch viel Kenntnis der Massenpsychologie. Sie haben wirklich gewußt, wie man so etwas macht, ein Volk gegen seinen Willen und all seine Gefühle, die auf jüngster Erfahrung basieren, herumzubekommen zu einer solchen Politik.
Es ist oft geschildert worden, wie das seit 1950 vor sich gegangen ist. Ich will nur kurz wiederholen, wie das jetzt bei der atomaren Bewaffnung gelaufen ist. Wie war das denn? Da stand doch am Anfang, also noch 1955, der klare Verzicht auf den Besitz, die Fabrikation und den Gebrauch solcher Waffen. Das haben wir in den Diskussionen hier klargestellt. Herr Adenauer sagte: Unser Verzicht auf Besitz und Gebrauch, das ist unser Beitrag zum Frieden und zur Abrüstung. Dann sagte man: Ja, wir bleiben bei dem Verzicht, aber wenn man es recht besieht mit diesen Atomwaffen, gibt es da ja zweierlei, einmal die großen Dinger, die wir nicht wollen — die man auch heute angeblich noch nicht will —, und dann gibt es die kleineren, die eigentlich nur fortentwickelte Artillerie sind, und sogar die wollen wir nicht; also: wir verzichten weiter.
Dann fing man an, davon zu sprechen, daß man ja nun der NATO beigetreten sei und daß sich aus dem Bündnis bestimmte Verpflichtungen ergäben. In der nächsten Phase gab es dann einzelne Vorreiter, die kühne Vorstöße machten und sagten, im Grunde müßte man doch, wenn die andere Seite usw., schließlich auch solche Waffen haben. Sie wurden zurückgepfiffen und sie wurden dementiert, die da die Vorpostengefechte machten.
Dann kam die Wahl. Man mußte nun Stellung nehmen, denn man wurde danach gefragt. Sie haben recht: über Atombewaffnung ist im Wahl-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1723
Dr. Mommer
kampf gesprochen worden. Dafür haben wir Sozialdemokraten gesorgt.
Wenn wir nicht dafür sorgten, daß über die Atombewaffnung gesprochen wird, dann würden Sie das als eine reine Verwaltungsangelegenheit behandeln.
Dann würde die Bevölkerung in den Glauben gewiegt, daß es sich da nur um moderne Bewaffnung handelt, so wie wir früher weniger schießende Maschinengewehre hatten und jetzt ein bißchen mehr schießende. So würde das dem Volke dargestellt, wenn nicht die Opposition da wäre, um die Wahrheit über diese Dinge zu verbreiten.
Sehen Sie, wie das im Wahlkampf war, das spielt hier immer wieder eine Rolle. Sie behaupten, den Wahlkampf mit dieser Politik geführt zu haben und daß Sie das Volk über das in Kenntnis gesetzt hätten, was Sie schon vor der Wahl beabsichtigten. Aber da gibt es nun einmal solche Texte, um die Sie nicht herumkommen: „Christlich-Demokratische Union Deutschlands, Sonderrednerdienst für Außenpolitik im Wahlkampf, ein außen- und wehrpolitischer Leitfaden für den Gebrauch im Bundestagswahlkampf 1957, CDU-Bundesgeschäftsstelle, Bonn, Nassestraße 2." Ich zitiere nur ganz kurz einen Satz:
Die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wird also
- und dann gesperrt gedruckt —nicht von der CDU angestrebt.
„Die Ausrüstung" — ich wiederhole: die Ausrüstung — „der Bundeswehr mit Atomwaffen wird also nicht von der CDU angestrebt." Das war der Leitfaden
für den Wahlkampf, den Sie Ihren Parteirednern mit auf den Weg gaben.
So war der Stand der Dinge zur Zeit der Bundestagswahlkampfes.
Dann ging es weiter. Sie waren schon vor dem Bundestagswahlkampf bereit, diese atomare Bewaffnung zu betreiben. Das ist nun mal ein Prozeß, und man kann die atomare Ausrüstung der Bundeswehr nicht von heute auf morgen verwirklichen. Bei der Planung waren Sie schon lange vor dem Wahlkampf. Am Tage nach der Wahl fingen Sie schon an, Matadore zu bestellen, die man militärisch sinnvoll — was man da beim Militär sinnvoll nennt — nur mit atomaren Sprengköpfen verwenden kann. Es gehört zu dieser ganzen Methode der Menschenführung — besser sollte man sagen: -verführung -, Fakten zu schaffen, immer daran zu arbeiten, erst sehr spät davon zu sprechen und zuzugeben, wenn sich die Menschen schon weitgehend an die neue Entwicklung gewöhnt haben.
Dann ging es weiter, dann kam die ideologische Offensive. Vorher hatte man gesagt: Wir leisten einen Beitrag zum Frieden und zur Abrüstung. So ist es in unseren Protokollen zu lesen, gesprochen aus dem Munde des Bundeskanzlers. Vorher war unser Verzicht ein Beitrag zu Frieden und zu Abrüstung. Jetzt hieß es: Wir brauchen das, um den Frieden zu bewahren und um zur Abrüstung zu kommen. Wie war das soeben, Herr Barzel? „Wenn man Abrüstungsgespräche will, dann muß man atomare Rüstung in der Bundesrepublik machen" —sagt uns Herr Barzel —, „sonst sagen die Russen doch: Na, da brauchen wir keine Abrüstungsgespräche zu machen, wenn die Deutschen schon abgerüstet haben." So hat uns Herr Barzel gerade erst berichtet. Also zuerst Frieden durch Verzicht auf Atomwaffen, nachher Frieden durch Anschaffung von Atomwaffen in der Bundesrepublik.
Ja, ja, und dann setzt bald der ganze Propagandaapparat ein, der jetzt erst langsam auf Touren kommt. Da steht uns noch etwas bevor in der Bundesrepublik. Wie die Steuergelder verwendet werden, um die Bundesbürger davon zu überzeugen, daß Sicherheit nur in Atomwaffen liege! Da werden wir noch etwas erleben. In diesen Tagen haben wir im Haushaltsausschuß gesehen, wie mit einer begrüßenswerten Offenherzigkeit z. B. zusätzliche 3 Millionen DM in die zuständigen Propagandafonds hineingesetzt werden. Es wird mit Offenheit gesagt: Das ist wegen der letzten Debatten, die wir im Bundestag über die Atomwaffen gehabt haben. Unser Volk muß über die Gefahren, die ihm drohen, aufgeklärt werden,
muß darüber aufgeklärt werden, wie sehr wir diese Atomwaffen brauchen. Ja, das tat auch der Goebbels mit seinem Propagandaministerium;
der klärte das Volk auch über die Gefahren auf, die ihm aus dem Osten drohten, und wie nötig es die Aufrüstung brauchte, um — ich entsinne mich noch dessen persönlich — die Türen sicher zu machen, daß da keiner einbrechen könnte. So sah das aus, und so geht es wieder.
Der Prozeß, von dem ich zeigte, wie man so etwas Schritt für Schritt, Stück für Stück macht, ist noch nicht am Ende. Am 25. März haben wir aus dem früheren Ausspruch des Herrn Bundeskanzlers „Wir verzichten auf Besitz, Produktion und Gebrauch" nur das Wort „Gebrauch" gestrichen. Wir sind dabei, „Produktion" zu streichen. Schließlich kommt dann auch der letzte Akt.
Ach, es war seltsam, als Herr Kiesinger nach der großen Debatte hier heraufging und erklärte: Wir wollen zwar die modernsten Waffen, aber nur die ganz kleinen. „Nur die ganz kleinen"! Es hat mich, wenn ich auch einmal einen Spaß in so ernsten Dingen machen darf, an jene gute Frau erinnert, die auf das Standesamt kam und sagte, sie
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Dr. Mommer
müsse ein kleines Kind von ihrer Tochter anmelden; es sei zwar unehelich, aber nur ein ganz kleines.
Nun, Herr Kiesinger, sagte: Wir brauchen die modernsten Waffen, um uns verteidigen zu können; aber wir wollen nur die ganz kleinen modernsten Waffen. Vorläufig! Vorläufig, meine Damen und Herren! Wir werden sehen, wie es darum in einem Jahr stehen wird.
Sie haben das Volk immer in diese Politik hineingelistet. Das ist Ihnen gelungen. Aber es ist falsch zu sagen, daß Sie die Wahl wegen dieser Militärpolitik gewonnen hätten.
Alle Ihre Redner, die da in den Wahlkampf gezogen sind, wissen sehr gut, daß Sie nicht wegen, sondern trotz dieser Politik den Wahlkampf gewonnen haben.
Sie wissen sehr wohl, daß der, der den Wahlkampf gewonnen hat, Ihr Kühlschrankminister und nicht Ihr Kanonenminister war.
Wollen Sie dafür noch eine Bestätigung, so schauen Sie bloß darauf: Wer ist denn nachher Vizekanzler geworden und dafür belohnt worden, daß er im Wahlkampf so kräftig gezogen hat?
Bei der Atombewaffnung, meine Herren, ist nun der Widerstand größer, als Sie erwartet hatten, größer, als er bei den früheren Schritten der Wiederaufrüstung in unserem Lande war. Sie stellen fest: Nicht nur die Masse der Namenlosen ist es, die sich da zur Wehr setzt, die die Gefahr spürt, mehr spürt, als sie sie verstandesmäßig überschauen kann, sondern auch die Männer des Geistes stehen auf. Darüber waren Sie sehr erschrocken. Diese Männer des Geistes — etwa alles Mitglieder der Kommunistischen Partei? Herr Schröder, von Schweitzer über die Göttinger Professoren und, wie sie alle in der Welt heißen — „besorgen alle bewußt oder unbewußt die Geschäfte des Bolschewismus!"
— Der Papst auch; ja, der ist auch verdächtig. Der Verfassungsschutz unseres Innenministers wird ihn vielleicht auch unter Beobachtung nehmen.
Nun, meine Damen und Herren, diese Männer des Geistes, die Göttinger, die sagten sehr schlicht — man muß solche Sätze wiederholen, glaube ich; wir sollten sie uns einprägen; selten werden so klare Sätze von solch wissenden Männern gesprochen -: Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet.
Dann kommt der eigentliche politisch relevanteste Satz:
Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichneten bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.
— „Erfunden haben Sie es", diesen Zwischenruf müssen wir hier festhalten.
Weil der Widerstand so groß ist, der Widerstand der Namenlosen und der Männer des Geistes,
darum müssen Sie jetzt große Gegenaktionen organisieren.
So schätzen Sie immerhin die Kampagne ein, daß Sie in dieser Woche in den Haushalt zu den vielen Millionen, die für die Propagandafonds schon drinstehen, noch weitere 3 Millionen für Aufklärung in Verteidigungsfragen — es heißt, glaube ich, „Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen" — eingesetzt haben, daß Sie zusätzlich 3,6 Millionen DM in den Reptilienfonds des Herrn Bundeskanzlers eingesetzt haben, die sicherlich weitgehend denselben Zwecken dienen werden.
Das Ziel Nr. 1, das oberste Ziel Ihrer Politik ist, aus dieser Bundesrepublik eine Atomgroßmacht zu machen.
— Ich sage umgekehrt, Sie wissen ganz genau, daß es stimmt. Wir sprechen uns in ein paar Jahren wieder.
Wir sprechen uns wieder, so haben Sie gesprochen, als wir Ihnen 1955 sagten: Ja, heute machen Sie es so und in kurzer Zeit wollen Sie dann Atomwaffen, war das Verleumdung. Dann reagierten Sie mit dem Lachen, mit dem Sie heute antworten, wenn wir Ihnen sagen, in Zukunft wollen Sie die 4. oder 5. Atomgroßmacht in dem großen Atomklub werden.
Wenn man einmal auf dieser Bahn der Macht ist und da süchtig geworden ist, ist es schwer, wieder einen Stopp zu finden. Weil das Ihr oberstes Ziel ist, darum müssen Sie den Rat der Göttinger und der Humanisten und der Christen beiseite schieben, darum müssen Sie vorläufig taktische Atomrüstung machen.
Weil Sie aus der Bundesrepublik eine Atommacht
machen wollen, mußte der Rapacki-Plan zu Fall
gebracht werden. Darum wird das Nein am ersten
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1725
Dr. Mommer
Tage ausgesprochen und bekommen die Experten dill zweiten Tage den Auftrag, sich um Argumente zu bemühen. Am Anfang steht hier in Bonn in der Behandlung des Rapacki-Plans das Nein. Das läßt sich doch dokumentarisch nachweisen. Es ist sehr einfach zu begreifen, warum dieses Nein dasteht. Eingehen auf diesen Plan heißt nicht, ihn annehmen. Das heißt, ihn als Ausgangspunkt für Verhandlungen benützen. Eingehen auf den Plan und da, wo man glaubt — und ich glaube, es gab Anlaß dazu
daß er unzulänglich ist und daß die Verzichte auf der einen und der anderen Seite nicht gut verteilt sind, auf eine Abänderung hinwirken, heißt, auf den Plan verzichten, aus der Bundesrepublik eine atomare Großmacht zu machen. Darum muß der Rapacki-Plan fallen, gleichviel, was damit aus Polen wird, gleichviel, was damit aus der Wiedervereinigung wird, gleichviel, was damit aus der Abrüstung wird, gleichviel, was damit aus der vom Wettrüsten geplagten Menschheit wird.
Unser Ziel Nr. 1, unser sozialdemokratisches Ziel ist Frieden und demokratische Freiheit,
ist Freiheit und Sicherheit für das ganze deutsche Volk. Erinnern Sie sich gelegentlich daran, daß 18 Millionen von diesem Volk jenseits der Zonengrenze leben und daß wir um deren Sicherheit auch besorgt sein müssen.
Für das ganze deutsche Volk, für diese Freiheit und Sicherheit des ganzen deutschen Volkes sind zahllose Sozialdemokraten in der Vergangenheit in die KZ.s gegangen, in die Gefängnisse und in die Zuchthäuser, Herr Innenminister!
Wenn Sie Garantien brauchen für die demokratische Zuverlässigkeit, dann prüfen Sie einmal die Männer und Frauen, die hier sitzen, wo die waren, als es gefährlich war, für die Freiheit zu streiten,
wie die da alles geopfert und alles riskiert haben. Und dann kommt da so ein junger Mann, so ein anmaßender junger Mann her und will uns Nachhilfeunterricht in Demokratie geben!
Sie wagen es, uns die Absicht zu unterstellen, das Grundgesetz zu untergraben, uns zu radikalisieren, uns dem Kommunismus anzunähern!
Vor dem Hintergrund einer fast hundertjährigen sozialdemokratischen Geschichte erscheinen Sie da als ein erbärmlicher Agitator im nordrhein-westfälischen Wahlkampf, Herr Innenminister.
— Ja, ja; Ihre Auffassung über Demokratie haben wir ja gestern mal wieder kennengelernt. Da hören Sie mal zu in der CDU-Fraktion; das richtet sich gegen Sie, was der Herr Bundeskanzler da gemacht hat mit dem Kabinettsbeschluß, durch den ein gefährdeter Außenminister seine Position wieder restauriert erhalten sollte.
Kritik an einem Minister ist „Schädigung nationaler Interessen", meine Herren; und Sie haben das getan! In Ihrer Fraktion wurde er kritisiert, und der Stock wurde von Ihrem Chef gezeigt gegen Ihre Fraktion, nicht einmal gegen die unsere.
Aber das ist seine Konzeption von der Demokratie.
Kritik an seiner Politik und an seinem Außenminister, der sich ja so ausgezeichnet hat durch Phantasie
und glorreiche Ergebnisse in den Jahren, in denen er die außenpolitischen Geschäfte geführt hat — Kritik an ihm ist „Schädigung der nationalen Interessen". Sehen Sie, Sie sind da gar nicht so weit von uns weg. Bei uns sagt er dann gleich: „Die wagen es, anderer Auffassung zu sein als ich. Das kann nur in den Bolschewismus führen!" Passen Sie auf! Wenn Sie einen Minister kritisieren, dann kommen auch Sie in die Gefahrenzone hinein.
Sehen Sie Ihr Chef hat ein lockeres Verhältnis zur Demokratie.
Und hier, meine Damen und Herren, geht es ja auch immer um die deutsche Frage, um die Wiedervereinigung. Ihr Chef hat ein lockeres Verhältnis zur Frage ganz Deutschlands,
zur Frage der Wiedervereinigung. In gesamtdeutschen Fragen ist er so unzuverlässig wie sein Wahlverwandter Paul Wilhelm Wenger.
So unzuverlässig wie sein Wahlverwandter Paul Wilhelm Wenger!
Ich gehe gar nicht zurück in jene Zeit da, 1923 und so; wir können näher dranbleiben, was da alles los gewesen ist.
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Dr. Mommer
Das haben wir doch erlebt, wie es um die Saar ging und wie der Bundeskanzler bereit war, wegen der Aufrüstung auch auf die Saar zu verzichten,
und wie der Bundeskanzler bereit war, und nicht nur bereit war, sondern wie er es getan hat: wie er wegen der Aufrüstung auf Verhandlungsangebote wie 1952 nicht einging,
und wie froh Sie wären, wenn Herr Mikojan noch einmal mit einer solchen Note käme, wie wir sie am 10. März 1952 bekommen haben. Und das ist ja das großartige Resultat Ihrer Politik der Stärke, nicht wahr, daß man heute den Preis für die Wiedervereinigung kaum noch sieht, daß Sie ratlos dasitzen und nicht sagen können, wie Sie da überhaupt weiter operieren wollen.
— Ach, Sie Schlauberger! Wie war das denn? Hatte der Herr Bundeskanzler schon eine starke, bewaffnete Bundesrepublik gemacht, als wir hier zuerst zusammenkamen und frei miteinander sprachen? Wie ist das denn alles gekommen?
Wo liegt denn heute diese Sicherung der Freiheit, die wir hier haben? Etwa in den Divisionen, die der Herr Bundeskanzler inzwischen aufgebaut hat? Die liegt in etwas ganz anderem.
Und nun tun Sie doch nicht immer so primitiv, als wären wir dafür, daß man der Militärmacht des Bolschewismus nichts entgegenzusetzen brauchte! Wo ist das je gesagt worden?
Hier hat eben einer Ihrer Redner gesagt: Wir wollten, daß die Amerikaner ihre Atomwaffen ins Meer würfen!
— Ach, Herr Rasner, geben Sie sich die Mühe und lesen Sie durch, was dazu fast einstimmig auf dem Parteitag der SPD in Stuttgart beschlossen worden ist und was die verantwortlichen Leiter unserer Partei dort zu dieser Frage gesagt haben!
Lesen Sie das einmal durch; dann wissen Sie, welche Vorstellungen wir davon haben, welche Bedeutung militärischen Dingen zukommt und welche Bedeutung ihnen nicht zukommt.
Und dann denken Sie mal wieder über die Strategie des Westens nach, die Sie so eifrig mitmachen, bei der Sie der beste Schüler in der europäischen Klasse sind,
die aber ihre großen, ihre sehr großen Mängel hat.
Sie konzentrieren Ihre Kräfte an einer Front, an der der Gegner offensichtlich nicht die Absicht hat, seinen Hauptangriff — wenn überhaupt jemals — zu führen.
Aber dieser Feind, den Sie so fürchten, den wir fürchten und der unsere Freiheit nicht zerstören soll, konzentriert seine Kräfte an einer ganz anderen Front und erringt da Sieg um Sieg, in Asien und in Afrika, und Sie jagen ihm mit der Politik, die Sie da betreiben, die Hasen in die Küche!
Ich will hier keine ausgedehnte Debatte darüber entfesseln, aber ich muß Ihnen sagen: wir sind erschrocken über die Entwicklung in unserm Lande.
Wir sind erschrocken über diese Entwicklung zur Machtpolitik und zur Beteiligung an dem Kollektivwahn des atomaren Wettrüstens.
Darüber sind wir besorgt, und Sie glauben es ja in Wirklichkeit, daß wir besorgt sind, und Sie sehen ja draußen die Menschen und wissen, daß diese Menschen überall, wo sie zusammenkommen, in der Universität oder in der Synode, in einer Versammlung oder in ihrem Betrieb, sich Sorgen machen, berechtigte Sorgen darüber, wohin das führt, woran wir uns jetzt beteiligen, nämlich dieses atomare Wettrüsten.
Weil wir dadurch in einer so besonderen Situation sind, darum haben wir Sozialdemokraten erstmals den Vorschlag gemacht, einmal das Volk nach seiner Meinung zu fragen.
Und tun Sie doch nicht so, als ob wir den Wortlaut oder auch nur die Praxis unseres Grundgesetzes und unserer demokratischen Einrichtungen ändern wollten. Das wollen wir doch gar nicht!
Wir wollen hier zum erstenmal in einer ungewöhnlichen, gefährlichen Situation einen ungewöhnlichen, aber nach unserer Verfassung möglichen Schritt tun
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1727
Dr. Mommer
und das Volk nach seiner Meinung fragen. Und Sie weinen dann Krokodilstränen der Sorge um unsere demokratische Verfassung!
Ach, unser so besorgter Innenminister! Wie der sein Grundgesetz hütet! Wie der besorgt ist darüber, daß die Sozialdemokratie jetzt darangeht, das Grundgesetz zu demontieren und den Kommunisten in die Hände zu arbeiten! Dazu noch ein Wort, da wir gerade einmal dabei sind. Herr Innenminister, Ihre Brandrede, die Sie eben hier gehalten haben, war eine Landtags-Wahlkampfrede.
— Das war eine Landtags-Wahlkampfrede mit dem Ziel, das Sie immer verfolgen, wenn es ans Wählen geht, nämlich jedesmal die Kommunisten möglichst mit den Sozialdemokraten zu identifizieren.
— Haben Sie keine Angst, ich komme darauf! — Das ist die alte Masche: diese sozialdemokratische Partei möglichst mit den Kommunisten zu identifizieren und dann von der Infiltration der Kommunisten bei uns reden und davon, wie sie dabei Erfolg haben.
Sie wissen sehr wohl — und wenn Sie ehrlich wären, würden Sie das auch zugeben —, daß es diese Infiltration nicht gibt. Es gibt Versuche der Infiltration.
— Jawohl, die gibt es, aber Resultate werden Sie vergeblich suchen. Ich will Ihnen eines sagen.
— Ach, Herr Majonica, aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen dies sagen: Wo immer sich bei uns jemand präsentiert, der angeblich dasselbe will wie wir und dessen demokratische „Papiere"
nicht in Ordnung sind, sei es wegen rechtsradikaler oder linksradikaler Tendenzen, fliegt er achtkantig am ersten Tag hinaus. Das ist unsere Politik.
Wir haben auch einen Ausschuß gegen den Atomtod in meinem Wahlkreis, und als sich dort Kommunisten und Rechtsradikale melden wollten, da war es selbstverständlich, daß wir wie immer sagten: Euer Platz ist draußen; ihr seid unsere Gegner! Das gilt auch dann, wenn zufällig einmal in der Behauptung, daß zweimal zwei vier sei, beide dasselbe sagen.
Wie ist das eigentlich damit? Darf man so etwas nicht sagen? Ist das demokratisch kompromittierend, wenn jemand, der kein Demokrat ist, zufällig einmal etwas Ähnliches oder dasselbe sagt?
- Warten Sie ab! Wir haben gestern hier im
Hause sang- und klanglos einen Gesetzentwurf in den Ausschuß geschickt. Es geht darum, diese Annexion Südbadens oder Badens überhaupt durch die bösen Schwaben rückgängig zu machen. Darunter stehen eine ganze Menge — ich glaube, über hundert — Unterschriften Ihrer Fraktion, auch eine Unterschrift aus unserer Fraktion.
— Warum nicht? Hindert es die CDU-Kollegen aus Baden sehr, daß die „Kommunisten" auch für die Wiederherstellung des Landes Baden sind?
Doch zum Thema. Der Herr Innenminister möchte uns hier in die seltsame Logik hineinmanövrieren, daß es eine Atomgefahr und die Gefahr des Atomtodes deshalb nicht gebe, weil die Kommunisten sagen, es gebe eine Atomgefahr.
— Das war der Sinn seiner Rede, und das werden Sie wissen, wenn Sie zugehört haben. Wenn man bewiesen habe, daß die Kommunisten auch so etwas wollen, dann brauche man sich mit der Sache selbst nicht mehr zu befassen. Das war der Sinn seiner Ausführungen. Das war seine Logik.
— Ja, ja — —
— Nein, Sie müssen noch einiges ertragen, Herr Rasner! Ich kann verstehen, daß Sie das alles nicht gern hören.
— Das will ich Ihnen sagen. Die Sozialdemokratische Partei spielt und hat in der Bundesrepublik gespielt die Rolle gerade des wirksamsten Kämpfers gegen den Kommunismus. Setzen Sie sich nicht immer aufs hohe Roß, vor allem auch nicht wegen der Zukunft! Gott sei Dank haben wir die Kommunisten nun wirklich in der Bundesrepublik unter Kontrolle. Eine Gefahr von innen ist ernstlich nicht gegeben. Die wäre noch geringer, wenn Sie nicht die Dummheit begangen hätten, eine Sekte in die Illegalität zu schicken.
Aber ob das immer so sein wird, wissen Sie nicht.
1728 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Mommer
Dann sollten Sie sich doch vergegenwärtigen, daß ein Schutzwall gegen den Kommunismus in der ganzen Welt in den demokratischen sozialistischen Parteien gegeben ist.
Da, wo es demokratische sozialistische Parteien gibt, die dafür sorgen, daß man auch an die andere Sicherheit denkt, nämlich an die soziale Sicherheit, wo es Parteien gibt, die Sie hier zwingen, vor der Wahl Rentenreformgesetze zu machen, und die dafür sorgen, daß die Verhältnisse in unseren westlichen Demokratien auch sozial erträglich sind, werden die westlichen Demokratien immun gegen die innere Gefahr des Kommunismus, die die größte Gefahr ist.
Nicht die Waffen des Kommunismus werden in Zukunft die größte Gefahr sein, sondern die kommunistische ideologische Offensive.
Dann heißt es auch einmal: herunter von dem hohen Roß, meine Herren, auf das auch unser Bundesschatzminister gestern gestiegen ist, als er sagte, wie herrlich weit wir es gebracht haben mit unserer freien Marktwirtschaft. Gut, einverstanden, damit sieht es gut aus. Aber dann blickte er so voller Verachtung und Hochmut auf den anderen Teil Deutschlands herunter.
Ich habe in der vorigen Woche CDU-Redner gehört, die von der Sowjetunion noch sagten, in ein paar Jahren werde sie wegen ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusammenbrechen:
Das sagt man in der CDU zu einer Zeit, da ein Mr. Allan Dulles, der Bruder des anderen genialen Diplomaten, Dulles, erklärt: Die Zuwachsrate der russischen Volkswirtschaft ist heute seit einigen Jahren größer als die amerikanische. Meine Herren, wir sollten uns wirklich einmal überlegen, wie wir in Zukunft mit den Gefahren fertig werden, die da auf uns zukommen.
Und was meinen Sie, wie Sie dann die Sozialdemokratische Partei mit ihrer Verankerung in unserer Arbeiterschaft brauchen! Dann werden wir wieder über solche Äußerungen reden, wie sie dieser Minister hier heute gemacht hat.
Ich muß hier auch noch einige andere Argumente aus der Diskussion zurückweisen. Herr Barzel hat sich gefreut — das kann ich verstehen —, daß sich da ein paar Schweizer Sozialdemokraten für die atomare Bewaffnung ausgesprochen haben.
— Nun warten Sie mal. Ich will Ihnen ja jetzt erzählen, wie die Gesamtsituation wirklich ist. Ihr Regierungsblatt, die Neue Zürcher Zeitung,
bringt am 12. Juni einen Bericht, worin der Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Nationalrat Walter Bringolf, einen Ordnungsruf an zweierlei Leute der sozialistischen Partei der Schweiz erteilt, einmal an die, die Herr Barzel zitiert hat und die da forsch-schweizerisch Atomrüstung machen wollen, und auf der anderen Seite an eine Gruppe, die sich dagegen aufgetan hat, die, bevor sich der Parteivorstand am 21. Juni mit den Dingen befassen wird, in der anderen Richtung sagt: Auf gar keinen Fall Atomwaffen!
So ist die wirkliche Situation in der schweizerischen sozialdemokratischen Partei. Diese Partei wird darüber beraten, welche Politik in der Schweiz zu befolgen sei.
Lassen Sie mich diese Gelegenheit ergreifen, um einmal ein Wort über gute Schweizer Ratschläge für unsere deutsche Sicherheit und Wehrpolitik zu sagen. Das ist seit langem ein leidiges Kapitel. Sie können es einfacher haben, Herr Barzel. Halten Sie uns doch z. B. Herrn Goedhard oder auch Herrn Spaak und andere Sozialisten aus den BeneluxLändern entgegen. Sie haben recht, diese Leute sind für atomare Bewaffnung. Sie treten ein für Raketenbasen. Und ich habe einen großen Respekt vor diesen Leuten, wenn sie für sich selbst die Konsequenzen daraus ziehen, daß sie diese Waffen und Raketenbasen, die Atombombenmagnete sind, wie man weiß, für sich selbst haben wollen. Nun, das ist eine ehrliche Haltung. Wenn ich so höre, wie kürzlich ein Herr Bretscher auf einer großen Diskussion in London über Probleme des Disengagement die Schweizer Neutralität und die Verdienste dieser Neutralität preist — wie moralisch das sei —, wenn ich höre, wie er uns empfiehlt, auf keinen Fall, auch nicht um der Wiedervereinigung willen, auf Gedanken des Disengagement einzugehen, nun, dann muß ich sagen, solche Schweizer Stimmen sind unappetitlich für uns.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist vorgeschritten. In einer solchen Debatte gäbe es so unendlich viel zu sagen. Ich muß auf vieles verzichten, was ich mir vorgenommen hatte.
— Ja, schön, gut! Das ist ein Stichwort. Da haben Sie etwas angerichtet.
Jetzt muß ich Ihnen nämlich folgendes sagen. Mein Freund Metzger hat schon gesagt: Wir sagen nie — auch draußen nicht, im Osten und im Westen nicht —, daß Sie und daß diese Bundesregierung
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Dr. Mommer
den Krieg wollten, daß Sie Atomwaffen wollten, um damit anzugreifen.
Wir sagen: Es ist unsere Überzeugung, daß Sie dazu doch zu einsichtig sind, daß Sie dazu viel zu genau wissen, was so etwas heute gerade für uns bedeuten würde. Unsere These ist immer die, daß Sie eine Politik machen, die zwar nicht auf den Krieg abzielt, die ihn aber herbeiführt. Das ist unsere politische These.
Da bestehen immerhin einige Unterschiede. Wenn Sie — das hat Herr Metzger schon gesagt — so fair wären, von uns zu sagen, daß wir zwar eine andere Sicherheitspolitik verträten, daß es aber nicht unsere Absicht sei, den Bolschewismus ins Land zu holen, dann könnten wir besser miteinander reden.
Wir sagen also, daß es nicht das Ziel Ihrer Politik ist, die Atomwaffen einzusetzen. Eigentlich muß man sagen „nicht mehr". Man braucht nur nachzulesen, was darüber in den Jahren 1950 bis 1952 gesagt worden ist, als man noch an die Stärke glaubte, als man noch meinte, man könne durch NATO und Aufrüstung in der Bundesrepublik stärker werden als die Russen und diese zum Rückzug zwingen, dadurch die Wiedervereinigung erreichen und Osteuropa neu ordnen. Da sah die Sache noch ganz anders aus. Aus jener Periode sind verständlicherweise in dem Bewußtsein bzw. dem Unterbewußtsein einiger unserer Kollegen hier einige Rückstände geblieben. Darf ich zitieren?
Herr von Manteuffel-Szoege ist ein Mann, der gerade auch meine persönliche Hochachtung genießt. Aber Sie entsinnen sich, was er hier gesagt hat, als wir über die atomare Bewaffnung sprachen. Jawohl. sagte er, die Atombomben muß man gegen das Böse auch einsetzen. Das war doch wohl seine Formulierung. Oder sollen wir es wörtlich aus dem Protokoll heraussuchen?
Bei Ihnen sitzt da ein großer Atomexperte, der Herr Pascual Jordan, der Professor, der in seinen Schriften
— der Maulwurf, jawohl! — sagt, man könne sich sehr wohl vorstellen, daß die Menschheit in Zukunft auch einmal fünf Jahre unter der Erde lebe, his sich der Atomgestank da oben verzogen habe. Er sagt: Nun, was macht es schon, wenn durch einen Atomkrieg die Menschheit auf ein Tausendstel reduziert wird? Zweitausend Jahre später ist das von denen, die übrigblieben, wieder aufgeholt. Ja, was würden Sie machen, wenn in der SPD-
Fraktion jemand etwas Ähnliches oder Vergleichbares geschrieben hätte?
Ich will Ihnen sagen, was Sie gemacht haben. Sie haben, um ein Gegengewicht gegen die Göttinger zu haben, diesen Mann mit diesen Schriften, mit diesen Auffassungen, in dieses Hohe Haus geholt. Das haben Sie getan.
Und schließlich noch eins, meine Damen und Herren. Dieser Tage sind wir alle ein wenig entsetzt gewesen. Da ist noch ein Kollege, der unsere Hochschätzung, in diesem Fall sogar unsere ganz besondere sozialdemokratische Hochschätzung genießt. Das ist der Professor B ö h m.
— Sehr schlimm? Nein, das ist sehr ehrenvoll für Professor Böhm, Herr Bundesfamilienminister, das ist sehr ehrenvoll für ihn. Denn dieser Mann hat Mut bewiesen, auch in Ihrer Fraktion. Ja, wenn es ein Abkommen über die Wiedergutmachung mit Israel gibt, so ist das weitgehend sein Verdienst. Schon deswegen, wegen dieses Mutes und wegen dieser Leistung, genießt er unsere Hochschätzung. Aber was ist da passiert? Auf einer Versammlung in Frankfurt, wo unser Kollege Böhm — —
- Ich lese jetzt vor aus dem „Stadtanzeiger", zitiert in der „Welt", und da heißt es:
Wir haben es nicht für möglich gehalten; aber niemand, den wir fragten, wagte, es zu Jementieren.
— Gut, kommen Sie gleich rauf mit dem Dementi von Professor Böhm.
— Mir ist es nicht vor die Augen gekommen.
— Ich lese die Zeitungen, Herr Majonica. Die habe ich morgens schon gelesen, wenn Sie aufstehen.
— Nun hören Sie mal zu.
Ich will gar nichts Böses über Professor Böhm sagen. Ich hatte die Absicht, folgendes zu sagen. Was Herr Böhm da gesagt hat,
1730 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dr. Mommer
das muß ganz besonderen Umständen zuzuschreiben sein. In ruhiger Überlegung würde er das sicher nicht sagen.
— Darf ich bitten, mir schnell das Dementi raufzureichen. Dann verlese ich das Dementi. Mir liegt an der Fairneß, gerade wenn es darum geht, sich mit einem Mann wie Professor Böhm auseinanderzusetzen. Ich habe ein paar Tage hintereinander diese Sache verfolgt — —
Meine letzten an ihre persönliche Adresse gerichteten Sätze sind das einzige, was in diesem ganzen Bericht richtig wiedergegeben ist. Der Bericht zeigt, daß ich die Herren ganz zutreffend beurteilt habe.
Und vorher heißt es:
Gleich nach den ersten Sätzen der Herren war mir klar, daß ich nicht Studenten vor mir hatte, denen es um die Sache ging, sondern ein versiertes Team von Funktionären, ganz offensichtlich aus der Ecke des Ohne-mich-Nationalismus, mit antiamerikanischen Ressentiments, die darauf abzielten, Worte zu verdrehen und Brunnen zu vergiften. Man kann nichts daran ändern, daß es unter Politikern solche hartgesottenen Taktiker gibt. Ich glaubte aber Studenten vor mir zu haben, und bei jungen Menschen empört mich ein solcher Kaltsinn und ein solches Verdrehen der moralischen Gewichte und der Wahrheit. In dieser Empörung habe ich ihnen gesagt, was ich von einer solchen politischen Heuchelei und ihren Trägern halte.
Jetzt habe ich wohl den entscheidenden Absatz zitiert. Ich sehe da kein Dementi dessen, was ich jetzt einmal aus der Darstellung des Kölner Stadtanzeigers zitieren muß.
Ich sehe in diesem Dementi keine Stelle, die sich auf das bezieht, was hier gesagt worden ist. Da ist etwas über das Thema gesagt, das uns heute angeht — darum bin ich auf diese Sache doch nur zu sprechen gekommen —, nämlich über das Thema der Atomwaffen und der Atomwaffenverwendung. Ist es richtig oder ist es nicht richtig — das ist hier nicht dementiert —, daß Professor Böhm den Einsatz der Atombomben gegen ein verbrecherisches Volk gebilligt hat? Das müßte einmal klargestellt werden,
und dann wollen wir weiter mit ihm darüber reden.
Ich freue mich ja darüber, wenn es nicht gesagt worden ist
und hier statt dreier Kollegen zwei dastehen, die sich zur Anwendung der Atombombe bekennen, nämlich unser Kollege Manteuffel-Szoege und der Kollege Pascual Jordan. Die bleiben stehen, und ich sehe,
wie das aus dem Unterbewußten hervorquillt und wie das, was man mit klarem Verstand gar nicht sagen und billigen kann, dann doch noch brodelt: die Gewaltanwendung und die Anwendung auch der schrecklichsten Waffen.
Herr Barzel sprach von Mut. Mutig haben Sie gekämpft und das Volk für sich gewonnen. Nur über die atomare Bewaffnung haben Sie möglichst nicht gesprochen, und gerade da hätten Sie Gelegenheit gehabt,
Mut zu beweisen, und Sie haben die Gelegenheit jetzt wieder.
Sie hätten im vorigen Herbst die Möglichkeit gehabt, mutig vor das Volk zu treten, wenn Sie der inneren Überzeugung gewesen wären, daß atomare Waffen in diesem geteilten Lande notwendig seien, um die Freiheit diesseits der Atomkriegsgrenze zu bewahren. Wenn Sie dieser inneren Überzeugung wären, dann hätten Sie vor dieses Volk treten müssen und hätten sagen müssen: Wollt ihr die Freiheit behalten? Wenn ihr sie wollt, dann müßt ihr uns zustimmen, dann müßt ihr uns das Mandat zur atomaren Bewaffnung geben. So tritt ein mutiger Demokrat vor sein Volk.
Es gibt einen noch lebenden Staatsmann
— ja, einen Staatsmann —, der trat vor sein Volk und versprach nichts anderes als Blut und Tränen, wenn man die Freiheit bewahren wolle.
Diesen Mut haben Sie nicht bewiesen. Sie haben gekniffen, Sie haben gelistet und das Volk in der Frage der atomaren Aufrüstung hintergangen.
Hier haben Sie eine zweite Gelegenheit, Mut zu beweisen. Wenn Sie der Meinung sind, daß die atomare Bewaffnung unvermeidlich notwendig für
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1711
Dr. Mommer
unsere Fortexistenz ist, dann stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu und verfechten Sie Ihre Sache vor dem Volk!
Beweisen Sie ihm Ihre These, und dann müssen Sie ja eine Mehrheit bekommen.
Aber dieser Mut fehlt Ihnen wieder. Sie kneifen auch diesmal, und es zeigt sich wieder einmal, daß Machtpolitik — besonders atomare Machtpolitik — nur schwer mit Demokratie vereinbar ist.