Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Metzger hat seine Rede damit begonnen, daß er sagte, die Anti-Atomkampagne der Opposition habe keinerlei parteitaktischen Hintergrund. Ich möchte Herrn Kollegen Metzger an das erinnern, was unlängst auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Stuttgart gesagt worden ist. Mir liegt der gedruckte Bericht mit der Rede des verehrten Kollegen Professor Carlo Schmid vor. Das, was er dort gesagt hat, entkräftet nicht nur das, was Herr Metzger hier vorgetragen hat, sondern beweist das Gegenteil, daß es nämlich einen parteipolitischen Hintergrund Ihrer Absichten gibt.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten dieses Zitat verlesen. Professor Carlo Schmid sagt:
Man kann nicht zu jeder Zeit jedes Ding zum Problem erheben, das heute zu lösen ist. Heute gibt es ein Problem Nr. 1, und das heißt: Wie bringt man die Atombombe zum Verschwinden? Demgegenüber sind die anderen Dinge zweitrangig. Und wenn wir darauf den rechten Akzent legen, werden wir die Massen hinter uns bringen. Dann werden auch Leute, die mit diesem oder jenem in unserem Programm vielleicht nicht einverstanden sind, sagen: Entscheidend ist, daß die Sozialdemokraten die Partei werden, die regiert.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1713
Dr. Barzel
Der Herr Kollege Metzger hat zum zweiten den furchtbaren Satz gesprochen, daß die atomare Ausrüstung der Bundeswehr lebensgefährlich sei. Ich frage die Opposition, ob nicht vielmehr ihr Nein in der Wehrfrage lebensgefährlich für unser Volk ist.
Warum reden Sie nicht von der Gefährlichkeit der Waffen und der Absicht der Sowjetunion?
Die Antiatomkampagne der Opposition trägt doch nicht nur innenpolitisch. Unordnung und Unruhe in unser Volk. Die Antiatomkampagne vollzieht sich nicht nur, wie wir eben gehört haben, in bedenklicher Nähe der Kommunisten. Die Antiatomkampagne schwächt doch auch den Verteidigungswillen unseres Volkes, und sie schwächt damit die Aussichten für Abrüstung und Wiedervereinigung.
Glaubt denn die Opposition, daß Moskau noch bereit sein würde zum Gespräch über die internationale kontrollierte Abrüstung — die wir doch alle wollen —, wenn wir ihren Weg gehen, also einseitig und ohne Gegenleistung auf die zur Kriegsverhinderung notwendigen Waffen verzichten?
Die östliche Politik in dieser Frage läßt sich doch in einem Satz zusammenfassen. Herr Chruschtschow ruft uns im Grunde nichts anderes zu als dies: Warum wollt ihr eigentlich moderne Waffen, wo wir Sowjets doch davon schon genug haben?
Wir sichern den Frieden und die Freiheit nicht durch einseitigen Verteidigungsverzicht. Ganz im Gegenteil, wer jetzt einseitig und ohne Gegenleistung abrüstet, zerstört nicht nur die Einheit des Westens, sondern gefährdet damit zugleich die Abrüstung, die Entspannung und die Wiedervereinigung.
Dieser Auffassung sind nicht nur wir. Sie haben gelesen, was in der Schweiz durch Ihre Kollegen, durch die Schweizer Sozialisten, verlautbart worden ist. Für den Fall, daß Sie es nicht gelesen haben, darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vielleicht einige Sätze daraus vortragen
— ich komme gleich auf das Labour-Weißbuch zu sprechen —:
Mit großer Sorge nehmen wir zur Kenntnis, daß sich in unserem Land eine Richtung abzeichnet, welche in Verkennung aller Realitäten und in leider nur allzu deutlicher Imitation der innenpolitisch bedingten Kampagne in der deutschen Bundesrepublik eine Bewegung gegen den Atomtod einleitet, die nichts anderes sein
kann als ein Versuch zur Wehrlosmachung der freien Völker. Dabei ist festzustellen, daß die kommunistischen Mächte vor konventionellen und Kernwaffen strotzen. Die Erfahrungen lehren uns, daß die völkerunterdrückenden und weltherrschaftslüsternen Kommunisten nur dann verhindert werden, neue Aggressionen auszulösen, wenn ihnen in der freien Welt ein mindestens gleichwertiges Kernwaffenpotential gegenübersteht. Wir müssen es als ein Verhängnis betrachten, wenn die Geschlossenheit der schweizerischen Arbeiterschaft durch eine Bewegung gestört würde, die sich in ihrer defaitistischen Wirkung einseitig gegen den Westen richtet und dadurch jene Gefahren erst recht heraufbeschwören hilft, die sie irrtümlicherweise zu bannen vermeint.
So weit die Schweizer Sozialdemokraten.
Ich bin soeben nach der Stellungnahme der Labour Party gefragt worden. Sie wissen, daß die Labour Party ein Weißbuch herausgegeben hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz daraus zitieren. Es heißt dort:
So sehr jeder vernünftige Mensch die Wasserstoffbombe verabscheut, so ist doch das britische Volk durchaus gewahr, daß Großbritannien seine eigene atomare Abschreckung bis zu dem Zeitpunkt nicht ausrangieren kann oder darf, bis alle anderen Nationen das gleiche tun.
— Ich würde Ihnen empfehlen, verehrter Herr Kollege Eschmann, einen Artikel nachzulesen, dén der Schweizer Theologe Dr. Emil Brunner kürzlich unter der Überschrift geschrieben hat: „Pazifismus als Kriegsursache."
— Ich habe dieses Zitat deshalb so gut gefunden, weil es mich an das Wort von Kurt Schumacher erinnerte, das da heißt: „Schwäche ist Kriegsanziehung".
Herr Kollege Metzger hat hier ausgeführt, daß die Sozialdemokraten kein Vertrauen zu dem Herrn Innenminister haben könnten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition: Das wissen wir. Aber darauf kommt es doch gar nicht an! Entscheidend ist: Wir haben das Vertrauen zu dem Herrn Innenminister, und wir sind ihm dankbar für diese klare Sprache.
Der Herr Kollege Metzger hat den Herrn Bundeskanzler als einen „niedrigen Parteipolitiker" und als ein „Unglück" für unser Volk bezeichnet.
1714 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. 'Juni 1958
Dr. Barzel
Wir glauben, daß diese Rede des Kollegen Metzger
niedrige Parteipolitik und ein Unglück für unser
Volk war. Unser Bundeskanzler ist ein Staatsmann,
bitte? —
den die Welt anerkennt und um den sie uns beneidet; und Ihr ganzer Ärger geht ja nur darum, daß Sie nicht eine so überzeugende Persönlichkeit vorzuzeigen imstande sind.
Der Kollege Metzger hat weiter geglaubt ausführen zu sollen, bei der Bundestagswahl sei das deutsche Volk getäuscht worden. Diese These ist schon in der ersten Lesung widerlegt worden. Sie empfinden es also als eine Täuschung, wenn unser Volk über Ihre sozialistischen Absichten klar sieht und deshalb zu Ihrer Politik nein und zu unserer Politik ja sagt.
Das ist eine Fortsetzung der Beleidigung der Mehrheit unseres Volkes. Mir liegt hier der „Vorwärts" vom 16. Mai vor, in dem in bezug auf die Bundestagswahl der Satz steht: „Die Mehrheit des Volkes hatte es jedoch offenbar vorgezogen, andere denken zu lassen." Das ist eine Beleidigung der Mehrheit unseres Volkes, das genau gewußt hat, wen und was es wählte.
Herr Kollege Metzger hat dann einige Rechtsausführungen gemacht. Er hat zunächst auf die Verfassungsverhältnisse in Norwegen hingewiesen. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß wir in Deutschland sind, wo unser Grundgesetz gilt. Norwegen hat eine Verfassung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ist eine konstitutionelle Monarchie. Der Kampf um die Erweiterung und Demokratisierung dieser Verfassung ist noch nicht am Ende. Außerdem hat Norwegen nicht unsere Erfahrungen Ich würde Ihnen gerne — ich will es aber nicht tun, weil die Zeit heute morgen nicht zu lange in Anspruch genommen werden soll — etwas über die Erfahrungen vorlesen, z. B. das, was der verehrte frühere preußische Innenminister Severing in seinen Lebenserinnerungen über die Erfahrungen mit diesen Dingen geschrieben hat.
Der Herr Kollege Metzger hat dann behauptet, der Herr Innenminister lege die Verfassung je nach seinem Bedarf aus. Ich will gar nicht sagen, daß das eine unglaubliche Behauptung ist. Aber ich sage: Ihr Vorwurf trifft genau das, was Sie selbst tun. Sie haben einen Grundsatz bei allen Argumenten in der ersten Lesung und auch heute wieder angewandt; ich stelle allerdings fest, der Herr Kollege Dr. Arndt hat sich in der ersten Lesung davon distanziert. Sie haben im Grunde in Übereinstimmung mit dem, was der Kollege Bucher gesagt hat ausgeführt, was nicht verboten sei, das sei erlaubt. Sie haben also aus der Fülle des Gemüts
eine Bundeskompetenz behauptet. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einer gutachtlichen Stellungnahme der SPD-Fraktion vom 18. Oktober 1952, einer gutachtlichen Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht, einige Sätze verlesen, die Sie wahrscheinlich darüber aufklären werden, daß Sie heute eine andere Stellung als früher beziehen:
Letzten Endes.
— heißt es dort —
bedeutet dies nichts anderes als die simple These, dem gesetzgebenden Organ sei alles erlaubt, was ihm die Verfassung nicht verbiete. Ein Satz, der im demokratischen Verfassungsstaat mit Recht für den Bürger gilt, wird hier zu Lasten und zum Nachteil des Bürgers auf ein Staatsorgan übertragen. Das fundamentale Prinzip des demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungsstaates ist jedoch das entgegengesetzte. Dem Verfassungsorgan und auch dem gesetzgebenden
— das ist hier gesperrt gedruckt —
ist nur zu tun erlaubt, wozu sie von der Verfassung ermächtigt sind. Heinrich Triepel hat dieses Prinzip durch die berühmte Formulierung ausgedrückt, daß eine jede Kompetenz an der. Hand des Rechtes bewiesen werden muß, andernfalls auch die gesetzgebende Gewalt einen Staatsstreich unternimmt.
Ich möchte diese Sätze in die Erinnerung der sozialdemokratischen Verfassungsjuristen zurückrufen.
Als auf ein weiteres Argument ist hier auf Castrop-Rauxel hingewiesen worden. Wir haben diese Vorgänge geprüft. .Der Herr Innenminister hat schon während der ersten Lesung vorgetragen, daß er diesen Vorgang beanstandet haben würde, wenn er damals im Amt gewesen wäre. Es war eine örtliche, von der Europäischen Bewegung veranstaltete Maßnahme, der die örtlichen Instanzen hilfreich und sympathisch gegenüberstanden. Es war also keine Volksbefragung, die amtlich im ganzen Bundesgebiet durchgeführt worden ist. Gegenstand der Befragung war nicht eine vom Bundestag getroffene und zwischen den Parteien strittige Entscheidung. Der Vorgang ist also gar kein Präjudiz, ganz abgesehen davon, daß unsere Verfassung sicher nicht aus Präjudizien insbesondere nicht aus eventuell verfassungswidrigen — entwickelt werden kann.
Eine dritte Gruppe von Argumenten hat die Opposition heute wie auch in der ersten Lesung aus einer Vermischung der Begriffe Volksentscheid, Volksbegehren, Volksbefragung und Meinungsforschung entwickelt. Wir legen deshalb heute Wert darauf, diese Begriffe noch einmal ganz kurz klarzulegen.
Der Volksentscheid ist nach unserem Grundgesetz eine Abstimmung des Volkes, durch die unmittelbar eine Frage geregelt wird. Der Volksent-
Deutscher Bundestag — 3 Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1715
Dr. Barzel
scheid ist nur für die Fragen der innergebietlichen Neuordnung vorgesehen.
Das Volksbegehren ist nach unserem Grundgesetz das Auslösen einer Initiativeunmittelbar durch das Volk selbst; es ist wiederum nur für die Fragen der innergebietlichen Neuordnung vorgesehen.
Diese beiden Rechtsinstitute galten in der Weimarer Verfassung auch. Sie hatten einen weiteren Anwendungskreis.
Dagegen ist die Volksbefragung — wir haben das in der ersten Lesung ausführlich vorgetragen — von Hitler in Deutschland eingeführt worden. Art. 118 des Grundgesetzes sieht sie für einen Ausnahmefall der innergebietlichen Neuordnung vor. Dieser Art. 118 ist vom Bundesgesetzgeber ebenso wie vom Bundesverfassungsgericht — das hat der Herr Kollege Metzger eben nicht gesagt - immer als ein Volksentscheid angesehen worden, weil in der Demokratie das Volk der Souverän sei, und der Souverän entscheide, wenn immer er sich äußere.
Die Volksbefragung im Sinne des Gesetzentwurfs der SPD — also die unverbindliche —, die sogenannte unverbindliche informatorische Befragung des Volkes über eine politische Grundsatzfrage — dieses Rechtinstitut gibt es nach dem Grundgesetz aus guten Gründen nicht.
Ob es durch Ergänzung des Grundgesetzes eingeführt werden könnte, ist in der Staatslehre strittig. Aber ein solcher Antrag liegt nicht vor.
Etwas ganz anderes als die amtliche Volksbefragung, das Volksbegehren und der Volksentscheid — das wird von Ihnen bewußt durcheinander gebracht sind die privaten Maßnahmen der Meinungsforschung. Die Tätigkeit der demoskopischen Institute ist nicht amtlich. Sie ist in der Zahl der Befragten beschränkt und in der Methode und der Zielsetzung grundverschieden vom Vorhaben der Opposition. Der Entwurf der Opposition will eine amtliche Äußerung des ganzen Staatsvolkes nach vorangegangener Kampagne. Die Demoskopie will eine private Äußerung einzelner Staatsbürger ohne vorhergegangene politische Kampagne. Der Entwurf der Opposition will Meinung machen, Meinung beeinflussen, und am Schluß soll diese Meinung, wie wir eben wieder gehört haben, auch moralische und politische Folgerungen haben. Die Demoskopie will vorhandene Meinungen feststellen. Das sind grundsätzliche Unterschiede.
Deshalb sagt Theodor Eschenburg meines Erachtens mit Recht — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Wer das Volk auf diese Weise befragt, will nicht eine Information, sondern trachtet nach einer wirksamen Entscheidung des Volkes. Das aber will das Grundgesetz gerade nicht. Die Volksbefragung über politische Grundsatzfragen ist das Trojanische Pferd der Kommunisten.
Deshalb stellen wir heute erneut fest: Dieser Entwurf ist nicht nur verfassungswidrig, weil das
Grundgesetz uns kein Recht gibt, ihn zu verabschieden. Ich frage die Opposition, wo konkret eine Verfassungsnorm steht, an Hand deren Sie die Zuständigkeit zum Erlaß dieses Gesetzes dartun können. Dieser Entwurf ist aber auch verfassungswidrig, weil seine Absicht verfassungswidrig ist, nämlich die Bundesregierung zu stürzen außerhalb des konstruktiven Mißtrauensvotums, durch Kampagnen, durch Aufwiegelung und gegebenenfalls . durch Streik.
Ich möchte nun noch einige wenige Sätze über das sagen, was in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Lesung passiert ist. Das, was passiert ist, gibt uns doch allen Anlaß zu sagen: Hände weg von dieser bedenklichen Aktion!
Da sind zunächst in drei hessischen Gemeinden, in den Gemeinden Blessenbach, Niedershausen und Odersbach, Volksbefragungsaktionen durchgeführt worden. Wir haben das einmal nachgeprüft und festgestellt, daß in keiner dieser drei Gemeinden eine Abstimmung nach den Bestimmungen von Wahlgesetz und Wahlordnung durchgeführt wurde;
es gab keine Wahllokale, in denen geheim hätte abgestimmt werden können.
Die Gemeindevertretungen hatten vielmehr den Wahlberechtigten vor der Abstimmung ein Rundschreiben ins Haus geschickt, in dem sie aufgefordert wurden, sich im Stadthaus in eine Liste einzuzeichnen, um dadurch die Unterstützung dieser Aktion kundzutun. Als sich nur wenige Prozent eintrugen, wurde ein neuer Beschluß gefaßt. Beauftragte des Herrn Bürgermeisters gingen dann in die Wohnungen der Wahlberechtigten, um die Unterschriften zu sammeln.
Das, meine Damen und Herren, ist ein Vorgeschmack von „freien, geheimen" Vorgängen. Von der Wahrung unserer Verfassung in diesem Zusammenhange — —