Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nach den mir zugegangenen Äußerungen — wohlgemerkt, es mag Unterschiede geben — —
— Bitte, nehmen Sie es, wie es Herr Kiesinger gesagt hat. Ich halte ein kollektives Sicherheitssystem in Europa für noch leichter erreichbar als eine weltumspannende allgemeine kontrollierte Abrüstung, weil sie ein Schritt dazu sein kann.
Denn wenn wir die allgemeine kontrollierte Abrüstung haben, brauchen wir in Europa kein kollektives Sicherheitssystem zur Lösung unserer Probleme mehr. Das ist dann nämlich überflüssig geworden.
Wer die allgemeine kontrollierte Abrüstung will,
muß die Schritte dazu wollen und darf nicht Schritte
in entgegengesetzter Richtung tun. Wer anderen
Staaten zur Atomabrüstung zuraten will, darf nicht selber nach Atomwaffen drängen; er wird dann bei seinen Ratschlägen etwas unglaubwürdig.
Im Auftrage der Sozialdemokratischen Fraktion möchte ich wegen der Bedeutung dieser Frage namentlich Abstimmung beantragen. Nach der Haltung der Regierungsparteien in der ersten und in der heutigen zweiten Lesung ist die Mehrheit dieses Hauses gewillt, die von uns vorgeschlagene Befragung des deutschen Volkes, ob es eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr will, abzulehnen. Mit dieser Ablehnung gibt die Mehrheit dieses Bundestages noch einmal zu erkennen, daß ihr die Meinung von Millionen Menschen in der Bundesrepublik zu dieser das Schicksal unserer Nation entscheidenden Frage gleichgültig ist.
Sie wissen genau, daß das deutsche Volk, von einer Minderheit abgesehen, eine Beteiligung der Bundesrepublik an dem atomaren Wettrüsten in der Welt nicht will. Trotzdem wollen Sie Ihren Willen, Westdeutschland zu einer atomar aufgerüsteten Militärmacht zu machen, gegen diese Mehrheit des Volkes durchsetzen. Um sich darin nicht gehindert zu fühlen, verurteilt man den Wähler zum Schweigen. Das sind die wahren Beweggründe für ihre juristischen Scheinargumente.
Dieses Vorgehen ist um so verhängnisvoller, weil mit Ihrer Politik die Hoffnung der Völker, zu einer allgemeinen Abrüstung in der Welt zu kommen, gestört und die Spaltung unserer Nation vertieft wird.
Sie können sich nicht auf die Bundestagswahlen von 1957 berufen.
Sie haben damals den Wählern Ihre Absicht — die, wie man heute weiß, schon damals bestanden hat — verschwiegen,
die Bundeswehr alsbald nach den Bundestagswahlen mit atomaren Waffen auszurüsten.
— Dort kommt der interessante Zwischenruf „Gelogen". Ich will es Ihnen hier gleich noch deutlicher sagen: Da, wo Ihnen diese Absicht vorgehalten wurde, haben Sie sie abgestritten und sogar das Gegenteil behauptet.
Aber täuschen Sie sich nicht! Mit der Ablehnung unseres Gesetzentwurfes ist der Kampf gegen die atomare Bewaffnung im gespaltenen Deutschland nicht beendet. Ihre Weigerung, das Volk zu hören, wird uns ein Ansporn sein, der Bevölkerung noch
1746 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Erler
stärker als bisher das Gefährliche Ihrer Politik zum Bewußtsein zu bringen.
Wir werden alles tun, um der Stimme des Volkes trotz dieser heutigen Abstimmung Gehör und Beachtung zu verschaffen.
Mit atomaren Waffen kann Deutschland nicht geschützt, sondern nur zerstört werden. Die Verantwortung für das, was kommen wird, werden einzig und allein diejenigen zu tragen haben, die nachher bei der namentlichen Abstimmung gegen den Gesetzentwurf stimmen.
Wir Sozialdemokraten werden nicht ruhen, bis die Bedrohung, die durch Ihre Politik noch gesteigert wird, von unserer Nation und der Menschheit abgewehrt ist.