Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bürde, ein Abgeordneter des Bundestages zu sein, war von Anfang an schwer. Sie ist im Laufe der Jahre schwerer geworden, fast bis zur Unerträglichkeit schwer. Ich glaube, das, was wir heute an Ausführungen namentlich des Herrn Bundesministers des Innern gehört haben, hat diese Bürde nicht erleichtert. Ich danke deshalb Herrn Kollegen Dürr von den Freien Demokraten, daß er es als Mitglied einer anderen Fraktion und einer anderen Partei ungeachtet aller parteipolitischen Gegensätze für seine Pflicht gehalten und eine Ehre darin gesehen hat, hier für uns Sozialdemokraten einzutreten.
Denn eigentlich sollte jede demokratische Partei solche Angriffe und solche Verdächtigungen, wie der Herr Bundesminister des Innern sie heute wieder einmal gegen uns Sozialdemokraten gerichtet hat, als einen Angriff auf jede demokratische Partei und auf das ganze Parlament ansehen.
— Darauf werde ich noch kommen. Vielleicht werden Sie von mir sehr enttäuscht sein. Ich halte es nämlich für ein legitimes demokratisches Recht, die Frage zu erörtern, ob ein Bundeskanzler, eine Bundesregierung einen hinreichenden Willen zur Wiedervereinigung haben.
— Dazu ist dieses Haus da, zu diskutieren. Wenn Sie, Herr Krone, je Diskussionen des britischen Unterhauses gelesen hätten, hätten Sie gesehen, daß das einen Kernpunkt aller Erörterungen in kritischen Zeiten gebildet hat, ob, wie es dort heißt, die Regierung Seiner britischen Majestät das Erforderliche an Willen aufgebracht hat, um die Grundanliegen Großbritanniens zu vertreten und zu verteidigen.
— Der Herr Minister hat etwas ganz anderes getan. Tun Sie doch nicht so, Herr Krone, als ob Sie
das nicht begriffen. Der Minister hat nichts anderes gemacht, als was wir nun seit Jahren kennen: die Sozialdemokratie in Tuchfühlung oder in eine Verschmelzung mit dem Bolschewismus zu bringen. Das ist etwas völlig anderes. Wenn Sie nicht mehr begreifen, wo da der Unterschied liegt, dann ist allerdings ein Gespräch zwischen uns außerordentlich erschwert.
Ich betone also noch einmal, daß ich dem Herrn Kollegen Dürr für diese Ausführungen danke.
Herr Schröder hat dann gemeint, wir sollten es uns doch überlegen, ob wir eine Ehrenerklärung nötig hätten. Nun, das brauchen wir uns nicht zu überlegen; wir haben sie nicht nötig. Wir haben sie insbesondere Ihnen gegenüber nicht nötig, Herr Schröder.
Aber gerade weil wir es nicht nötig haben, daß ein anderer für uns eintritt, ist eine solche Haltung, wie sie Herr Dürr als ein Andersdenkender hier zum Ausdruck gebracht hat und wie sie in diesem Parlament leider selten ist, außerordentlich bemerkenswert.
Diese Fragen, die hier anstehen, bewegen uns alle in der Tiefe. Es kommt dadurch begreiflicherweise, aber nicht entschuldbar, auch einmal hier und dort auf allen Seiten zu Äußerungen, die bedauerlich sind und nicht gebilligt werden können. Ich sehe keine Veranlassung, auf das einzugehen, was Herr Dr. Zimmermann hier vorgetragen hat. Denn man kann uns Sozialdemokraten nicht alles anhängen, was an durchaus zu kritisierenden Auslassungen in einer Zeitschrift abgedruckt wird; übrigens einer Zeitschrift, die einem Kreise nahesteht, dem auch Mitglieder der CDU nach wie vor angehören. Ich will mich aber mit einigen anderen bedauerlichen Äußerungen beschäftigen.
Ich muß zu meinem Leidwesen hier den auch von mir verehrten Herrn Kollegen Professor Dr. B ö h m kritisieren. Die Sache ist nun einmal angesprochen worden; nun müssen wir sie auch zu Ende bereden. Sie zeigt, wie gefährlich manche Worte sind und wie sich der eine oder andere hinreißen läßt. Herr Professor Dr. Böhm hat zwar der in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen — zu meiner schmerzlichen Überraschung; ich konnte das gar nicht glauben — erschienenen Darstellung seiner Äußerungen sehr spät widersprochen; aber der Kern ist geblieben. Denn im Kern — jetzt zitiere ich Hern Böhm selbst — heißt es:
Ich erwiderte etwa folgendes: Als die beiden amerikanischen Bomben auf Japan fielen, da war noch Krieg. Diese Bomben haben nicht den Frieden gestört, sondern einen Weltkrieg beendet. Wären sie nicht gefallen, dann wäre der konventionelle Krieg, von dem man heute immer so tut, als wäre er eine menschliche Angelegenheit, gegen Japan noch ein Jahr oder länger weitergegangen.
Diese Ausführungen bedeuten nichts anderes, als
daß von einem Mitglied des Bundestages, einem
deutschen Politiker und einem hochehrenwertes
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Dr. Arndt
Mann, der Abwurf von Massenvernichtungsmitteln, die keine Vergeltung waren, in einem Krieg mit konventionellen Waffen gebilligt worden ist,
und das ist eine unmögliche Haltung. Das möchte ich mit aller Deutlichkeit feststellen.
Ich möchte daran erinnern — das ist auch sehr bemerkenswert, ich sage es in allen meinen Versammlungen, und ich sage es besonders dann in meinen Versammlungen, wenn Angriffe gegen die CDU kommen, die ich in ihrer Übertreibung nicht als berechtigt anzuerkennen vermag, und wenn manchmal in irgendwelchen aufgeregten Erörterungen Angriffe gegen die Katholische Kirche und ihre Haltung in dieser Frage kommen —, daß niemand anders als der gegenwärtige Apostolische Nuntius, Erzbischof Aloysius Muench, damals in den Vereinigten Staaten von Amerika gesagt hat, daß dieser Abwurf der beiden Massenvernichtungsmittel auf Hiroshima und Nagasaki ein Kriegsverbrechen gewesen ist. Wir als Deutsche haben keine Veranlassung, im Jahre 1958 eine Handlung zu billigen oder für sie einzutreten, die damals in Amerika von Erzbischof Muench so und mit Recht so qualifiziert worden ist.
Aber wohin führt es, wenn die Geister sich so verwirren und wenn ein Geist, bei dem ich es besonders bedauere, bei dem verehrten Herrn Kollegen Böhm, sich so verwirrt, daß er sich dazu hinreißen läßt?
Dem Herrn Kollegen Wilhelmi möchte ich sagen: Sie haben recht mit Ihrer Klage, daß sich niemand hier anmaßen sollte, zu entscheiden, wer Christ ist und wer nicht Christ ist. Ich habe es ja oft deutlich gemacht. Ich habe es auf dem Evangelischen Kirchentagskongreß in Hamburg für mich deutlich gemacht, daß ich diese Haltung der Bruderschaften — denen ich nicht angehöre - nicht zu teilen vermag, wenn sie sagen, hier sei eine Glaubensfrage, die Frage des status confessiones gegeben, und es trenne sich jeder, der anderer Auffassung in der Frage der atomaren Aufrüstung sei, von der Kirche.
Aber das geschieht ja nicht nur auf der einen Seite; es geschieht leider Gottes — und das haben Sie zu sagen vergessen — auf der anderen Seite genauso. Es gibt einen Mann in Ihren Reihen — der auch Mitglied des Bundespresse- und Informationsamtes ist —, der in einem Aufsatz gefordert hat, daß alle, die zu den Bruderschaften gehören oder die sich in dieser Frage ihrem Gewissen folgend so gegen die atomare Aufrüstung stellen, ihre kirchlichen Ämter verlieren sollten, daß sie aufhören müßten, Presbyter zu sein, daß sie nicht mehr Kirchenvorständen angehören dürften. Und das lag sogar vorher.
Aber nicht nur das! Seit Jahrzehnten haben wir doch bei uns in Deutschland die Unterstellung — mit der noch immer kein Ende gemacht worden
ist -, daß jemand, der Sozialdemokrat sei, damit
aufhöre, Christ zu sein. Wir haben doch nicht nur im letzten Wahlkampf, sondern auch im vorletzten Wahlkampf immer wieder erlebt, daß allerlei Leute, die meistens sehr wenig davon verstehen, sich das Handbuch des Bundestages vornehmen und sagen: Wenn dort nicht aufgeführt ist, welcher Konfession ein Abgeordneter angehört, ist er Atheist. — Bei mir ist es nicht aufgeführt und bei mir wird es auch nicht aufgeführt; denn wenn man es nur daher weiß, dann soll's mir leid tun. Man soll auch das Grundgesetz, das hier ja immer so berufen wird, nicht verkennen. Darin steht, daß in derlei amtlichen Verlautbarungen niemand dazu veranlaßt sein soll, seine Konfession bekanntzugeben. — Aus dem Handbuch wird also geschlossen, daß derjenige, der dort nicht als katholisch oder evangelisch bezeichnet wird und der sozialdemokratischen Fraktion angehört, Atheist ist.
Über mich z. B. sind in Bayern ganze Leitartikel erschienen, die das ausgeführt haben. Dort hieß es: Der Arndt, der soll uns nach Bayern den Geist bringen. Was das für ein Geist ist, weiß niemand. Ein christlicher ist es jedenfalls nicht; denn im Handbuch des Bundestages steht eine Konfession nicht verzeichnet; entweder legt er kein Gewicht darauf oder er schämt sich ihrer oder er hält es nicht für nötig, sich dazu zu bekennen.
Diese Dinge erleben wir nun seit Jahrzehnten, und sie verschärfen sich in den letzten Jahren immer wieder. Da muß ich Ihnen antworten, Herr Kollege Wilhelmi: Ihr Anliegen ist richtig. Aber fangen Sie damit zu Hause, in Ihrer Fraktion und in Ihrer Partei, an!
Ich will mich im übrigen nach den Reden meiner Freunde Metzger und Mommer sehr kurz fassen. Der Herr Bundesminister des Innern hat ausgeführt, man solle die Autorität des gewählten Parlaments nicht zerstören. Nun, das Wort „Autorität" braucht nicht schlecht zu sein. Aber es wird heute sehr mißbraucht. Ich höre es deshalb nicht gern. Aber ich will insoweit meine Zustimmung aussprechen: Das Ansehen des Bundestages sollte nicht zerstört werden. Das müßte uns allen eine gemeinsame Aufgabe sein. Aber Ihre Annahme, daß die von uns begehrte Volksbefragung das Ansehen des Bundestages zerstören würde, haben Sie nicht bewiesen und können Sie nicht beweisen.
Sie bestreiten ja dem Bundestag das Recht, das Volk zu befragen, nicht wir. Sie kämpfen doch gegen den Bundestag. Sie wollen doch den Herrn Bundestagspräsidenten in die wunderliche Rolle bringen, daß er in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Körperschaft kämpft, der zu präsidieren er die Ehre und die Aufgabe hat. Denn unser Gesetzentwurf — mein Freund Metzger hat es noch einmal ganz klar gesagt — geht davon aus, daß der Bundestag das Recht hat, mit seiner Mehrheit ein Gesetz zu beschließen, um sich durch eine informatorische oder konsultative Volksbefragung, wie sie
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in zahlreichen anderen Ländern der westlichen Welt mit repräsentativer Demokratie von Norwegen bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika hin, seit Jahrzehnten üblich ist, ein Bild darüber zu verschaffen, wie wirklich die Meinungen im deutschen Volk sind. Das würde das Ansehen des Bundestages nicht beeinträchtigen.
Dafür darf ich Ihnen ein einziges Beispiel unter vielen bieten. Als die Mutter der Parlamente bezeichnet man das britische Unterhaus. Zu seiner Familie als Parlament gehört die Volksvertretung in Kanada, für die die gleichen Grundsätze gelten. Gerade Kanada ist ein Musterbeispiel einer sogenannten repräsentativen Demokratie. Das kanadische Parlament hat sich nicht gescheut, sogar mitten im Kriege, im Jahre 1942, eine Volksbefragung darüber anzuordnen, wie das kanadische Volk über zwei Fragen denke: erstens die allgemeine Wehrpflicht und zweitens die Entsendung kanadischer Truppen in auswärtige Gebiete.
Das war eine konsultative und informatorische Befragung. Selbstverständlich hat das kanadische Parlament sich vorbehalten, diese Frage nachher selber verantwortlich zu entscheiden.
Aber, Herr Kollege Hoogen, die Kanadier haben nicht gemeint, damit an die Verantwortungslosigkeit der Bevölkerung zu appellieren, sondern sie haben gerade geglaubt, ihrer parlamentarischen Unterrichtungspflicht zu genügen, indem sie sich erst einmal ein Bild darüber verschafften, wie man in der Bevölkerung über Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und über Entsendung kanadischer Truppen fern vom Heimatboden des eigenen Landes denkt. Keiner in Kanada hat die Auffassung gehabt, das Parlament begebe sich damit seiner Autorität oder das Parlament zeige sich damit regierungsunfähig. Ganz im Gegenteil, das demokratische Bewußtsein ist dadurch gewachsen, daß die Bevölkerung das Erlebnis bekam: Diese Männer und diese Frauen dort handeln nicht, wie es ihnen gerade gut dünkt, sondern sie wissen, daß es um unsere Haut und um unsere Existenz geht. Darum fragen sie uns erst. Darum vergewissern sie sich erst über die Meinung, die in der Bevölkerung besteht, ehe sie selber die letztverantwortliche Entscheidung treffen.
Man kann alle diese Fragen in Ruhe und in Sorgfalt erörtern und braucht hier nicht zu sagen, die Autorität des gewählten Parlaments werde zerstört. — Ich glaube, daß ich damit noch einmal deutlich gemacht habe, worum es uns geht.
Ich möchte mich nicht mit den juristischen Ausführungen des Herrn Kollegen Barzel auseinandersetzen. Ich habe versucht, in meiner Rede während der ersten Lesung—heute hat es Herr Kollege Metzger noch einmal unternommen - klarzustellen, warum wir den Bundestag für kompetent halten, ein solches Gesetz zu erlassen: weil in einer Kompetenz, die in diesem Falle die Kompetenz des Bundestages zur Regelung von Verteidigungsfragen und zur Regelung auswärtiger Beziehungen ist, immer auch die Mittel enthalten sind, diese Kompetenz auszuüben. Aber es scheint für Herrn Kollegen Barzel schwierig zu sein. Deshalb zitiert er zur Freude der Mehrheit und seiner Fraktion die von mir verfaßten Äußerungen aus dem Jahre 1952, die ja auch meinen Ausführungen in der ersten Lesung dieses Gesetzes zugrunde lagen und die allem zugrunde liegen, was Herr Kollege Metzger heute gesagt hat: daß es selbstverständlich in einem freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat einer Ermächtigung durch die Verfassung bedarf.
Ich habe zum Schluß noch die sehr unerfreuliche Aufgabe, abermals — ich will es so kurz wie möglich machen — zu Ausführungen des Herrn Bundesministers des Innern Stellung zu nehmen. Herr Schröder hat gesagt, man könne ohne ein Minimum an nationaler Gemeinsamkeit nicht auskommen. Das ist sicher richtig, aber ich weiß nicht, Herr Schröder, welches Minimum an solcher Gemeinsamkeit Sie heute in Ihrer Rede gelassen haben,
die doch auf nichts anderes hinauslief als darauf, die Sozialdemokratie zu verdächtigen, ganz und gar kommunistisch infiltriert und der Schrittmacher des Kommunismus zu sein oder, wie es Herr Zimmermann ausgedrückt hat, eine Partei zu sein, deren Hintergrund — ich greife nun mal einen Ausdruck von Herrn Schneider auf — immer die Zwiebeltürme des Kreml bildeten. Das berührt uns nicht. Wir sind es gewöhnt. Wir halten das aus. Das kommt nicht mal bis an die Schuhsohlen. Aber einer, der das tut, soll hier nicht — ich habe keinen parlamentarischen Ausdruck, um das zu qualifizieren — von Gemeinsamkeit sprechen.
Es sollte auch nicht von Gemeinsamkeit gesprochen werden, da Sie ja alle aus dem Jahre 1957, dem letzten Bundestagswahlkampf, und jetzt aus dem Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen die zahlreichen Äußerungen des Herrn Adenauer kennen, nach denen die Sozialdemokratie, wenn es nach ihm ginge, restlos aus der Gemeinschaft des Volkes ausgeschlossen würde,
wo wir nur, wie er neuerdings gesagt hat, geradezu darauf ausgehen, alles zerstören zu wollen. Dann kommen Sie und sagen „Gemeinsamkeit"! Da müssen Sie sich erst in dieser Frage etwas anders verhalten. Aber Sorge muß das einem demokratisch denkenden und patriotisch empfindenden Menschen bereiten. Wenn wir diese Zerwürfnisse sehen, wenn wir diese Unterstellungen und Verdächtigungen hören, dann weiß man nicht, wie lange das ein Volk und ein Staat noch aushalten können und aushalten sollen.
Dasselbe gilt weiterhin für Herrn Schröders schriftliche und mündliche Ausführungen über unseren Stuttgarter Parteitag, für seine Äußerung, wir hätten die Wiedervereinigungsfrage mit parteipoli-
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tischen Akzenten versehen und ähnliches mehr. Er hat sich sogar des Ausdrucks „Verbrechen" bedient. Ich habe mir überlegt: soll ich den Artikel, den Herr Schröder im Bulletin veröffentlicht hat, mitbringen und daraus zitieren. Aber ich bringe es nicht über die Lippen, Äußerungen, die darin enthalten sind, meinerseits auch nur zu verlesen. Jeder von Ihnen mag das nachlesen, was über unsere Entschließung, über unsere Partei und über meinen Parteifreund und persönlichen Freund Herbert Wehner darin enthalten ist. Da ist einfach keine Diskussion mehr möglich, weil es so unter aller Würde wäre, sich darauf einzulassen, das zu erörtern. Das kann man nicht mehr. Ich brauche nicht Ihre Lautstärke, Herr Schröder; aber das möchte ich hier feststellen, daß das so ist. Dann mag einmal das deutsche Volk und die Geschichte entscheiden, wer hier zerstört und wer nicht.
Sie haben dann noch geäußert — das gehört zu Ihrer Art des Zitierens —, mein Parteifreund Karl Mommer habe das Bundesverfassungsgericht einer Dummheit bezichtigt, weil es die Kommunistische Partei verboten habe. Auch das ist gar nicht wahr. Niemand von uns hat je das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kritisiert.
Das Bundesverfassungsgericht zu kritisieren haben wir stets Ihnen und Ihren Ministerkollegen überlassen. Sie haben während des KP-Prozesses eine Pressekonferenz veranstaltet und haben so ungefähr gesagt: Na, wird's bald, die Leute in Karlsruhe sollen mal bald Beine kriegen. — Das ist so Ihre Art, mit dem Gericht zu sprechen. Es hat auch Äußerungen aus Kreisen der ersten, der zweiten und der dritten Bundesregierung gegeben. Nicht das, was das Gericht getan hat, war die Dummheit. Das Gericht konnte gar nicht anders handeln und entscheiden. Die Dummheit, auch nach meiner Meinung, lag darin, daß ein solcher Antrag in einem Zeitpunkt gestellt wurde, in dem das sinnlos war. Sie können noch so oft den Art. 21 zitieren, die Frage der Antragsberechtigung und einer etwaigen Antragsverpflichtung ist in dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht geregelt. Es gibt kein Legalprinzip, d. h. keine Verpflichtung, in jedem Fall von Amts wegen gegen jedwede Partei vorzugehen, bei der mehr als der Verdacht besteht, daß sie verfassungswidrig sei, sondern das ist mit gutem Grund sowohl von der Verfassungsordnung als auch von dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht — ich erinnere mich auch noch genau der Beratungen — von dem Gesetzgeber in das politische Ermessen der Antragsberechtigten gestellt worden. Es ist also eine Frage der Zweckmäßigkeit und des sinnvollen Handelns, eine Frage höchst politischer Überlegung, ob man mit der Kommunistischen Partei besser fertig wird und sie weniger gefährlich macht, wenn man sie verbieten läßt oder wenn man sie offen am Tage bestehen läßt und ihre Hilflosigkeit und Ohn macht zeigt. In dieser politischen Ermessenserwägung ist das begangen worden, was eine Dummheit genannt zu werden verdient. Deshalb soll man nicht uns verdächtigen oder Herrn Mommer sagen, er habe das Bundesverfassungsgericht in dieser Weise angegriffen.
Nun zum Schluß das Bitterste und Schwerste. Zur Frage der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr gehört fraglos die Frage der Wiedervereinigung und die Frage dazu, ob das deutsche Volk bei den Wahlen 1957 getäuscht worden ist oder nicht.
Die Frage der Täuschung ist schon viel behandelt worden. Ich will mich hier einmal auf ein für Sie von der CDU und für Herrn Schröder nun nicht irgendwie zu beanstandendes Zeugnis berufen, das sehr klar ergibt, daß man dort noch im Dezember 1957 nichts davon wußte, daß sich die Bevölkerung bei der Bundestagswahl im September mit taktischen Atomwaffen einverstanden erklärt, sich dafür entschieden habe. Die dem Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier nahestehende und Herrn Schröder gewiß nicht fernstehende Zeitschrift „Christ und Welt" hat in ihrer Nr. 52 — Weihnachten 1957 — einen Kommentar unter der Überschrift „Einen Strauß von wilden Blumen" veröffentlicht. Sie setzt sich darin mit einer Äußerung des Herrn Bundesverteidigungsministers Strauß auseinander. Ich hoffe und glaube, daß der Herr Präsident so freundlich ist, mir die Erlaubnis zu erteilen, davon etwas zu verlesen, wenn es auch etwas länger ist. Es heißt darin:
Am gleichen Tag, an dem der Bundeskanzler vor den Ministerpräsidenten der NATO ausführte, es sei zweckmäßig, auf diplomatischem Wege mit der Sowjetregierung über die Vorschläge Bulganins zu verhandeln, forderte Bundesverteidigungsminister Strauß in einem Interview mit einer Berliner Zeitung, die Bundeswehr solle mit taktischen Atomwaffen ausgerüstet werden; nur dann könne man sie aus der Atomrüstung ausklammern, wenn zusätzlich genügend mit Atomwaffen ausgerüstete amerikanische und britische Einheiten in der Bundesrepublik stationiert würden. Eine Verteidigung der Bundesrepublik ohne Atomwaffen gegen einen mit Atomwaffen ausgerüsteten Angreifer aus dem Osten sei militärischer Wahnsinn.
Und nun fährt die Zeitschrft „Christ und Welt" in dieser redaktionellen Glossierung fort:
Es erhebt sich hier die ernste Frage, ob Strauß dies als eine persönliche Meinung oder ob er ,es als Meinung der Bundesregierung geäußert hat. Wäre das leztere der Fall, so hätte es keinen Sinn, wenn der Bundeskanzler gleichzeitig ein diplomatisches Gespräch mit der Sowjetunion anregt, da sich Verhandlungen mit dem Kreml erübrigen, wenn die von Strauß geäußerten Ansichten bindende Regierungspolitik werden sollten.
Ein persönliches Vorprellen des Bundesverteidigungsministers zu einem so heiklen und entscheidenen Zeitpunkt würde nun allerdings bedeuten, daß Strauß weit über seine Befugnisse hinausgegangen wäre.
Es heißt schließlich weiter in „Christ und Welt":
Sachlich beruht seine Argumentation auf einer
Scheinlogik. Entweder gibt es eine NATO, in
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der es eine strategische Aufgabenverteilung gibt - dann ist die Atomwaffe als letztes Abschreckungsmittel bei der strategischen Reserve, die auf jeden Fall von den Amerikanern gebildet werden muß —, oder aber man glaubt den Amerikanern nicht mehr genügend zutrauen zu können, da sie selbst durch die interkontinentale Rakete bedroht sind; dann könnte die Anwendung der Atomwaffe durch die Bundeswehr gegen die in jedem Fall vorhandene vielfache sowjetische Atomübermacht nur dazu führen, daß das gesamte deutsche Gebiet vernichtet würde. Es läuft dann auf die bekannte Situation hinaus, bei der man Selbstmord mit Selbstmord beantworten möchte.
Und wenn ich die allerletzten Sätze weglasse -
ich glaube, sie sind nicht so erheblich —, dann schließt diese Glosse der Redaktion von „Christ und Welt" in der Weihnachtsnummer von 1957:
Als dritte Möglichkeit bleibt, daß Strauß die sogenannte taktische Atomwaffe meint. Seit vielen Monaten besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Erfindung des Wortes „taktische Atomwaffe" nur eine Verharmlosung, und zwar eine höchst gefährliche, des wirklichen Tatbestandes darstellt. Die Anwendung jeder Art von Atomwaffen hat die gleichen Folgen.
Wenn man daraus etwas schließen darf, so ist es erstens, daß „Christ und Welt" jedenfalls noch im Dezember 1957 in den Augen von Herrn Dr.
mermann naiv war, zweitens in den Augen des Herrn Schröders wahrscheinlich kommunistisch unterwandert, drittens und vor allen Dingen aber, daß man in der Redaktion von „Christ und Welt" auch im Dezember 1957 noch nichts davon wußte, daß bereits am 15. September das deutsche Volk angeblich in der Bundestagswahl die atomare Ausrüstung der Bundeswehr gebilligt und in seinen Willen aufgenommen hat.
Da ist noch etwas Viertes drin, daß nämlich in dieser redaktionellen Ausführung gesagt wird: „Wenn man auch nur mit taktischen Atomwaffen ausrüstet, dann braucht der Bundeskanzler sich die Mühe diplomatischer Verhandlungen mit der Sowjetunion gar nicht erst zu machen." Das ist unsere brennende Sorge. Denn so ist eben die Frage der atomaren Ausrüstung mit der Frage der Wiedervereinigung und auch mit der Frage der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie verkoppelt.
Man hat der Bevölkerung im September 1957 und vorher keine Gelegenheit gegeben, sich zu dieser Frage auf Leben und Tod, die sowohl eine Frage ihrer Existenz als auch eine Wiedervereinigungsfrage ist, zu äußern. Da liegt der Fehler, und — es tut mir leid, das sagen zu müssen — da liegt eben auch die Täuschung. Wenn man heute nachträglich behauptet, das Volk habe durch die Wahl von 1957 das alles gebilligt, ist das — um an das Wort von den taktischen Atomwaffen als der Fortentwicklung der Artillerie anzuknüpfen - in meinen Augen eine Fortentwicklung der Wahrheit, aber nicht zu ihrem Kern hin.
Das andere ist die Frage der Wiedervereinigung; das ist die bitterste und ernsteste Frage. Nach meiner Überzeugung hätte die parlamentarische Auseinandersetzung ihren Sinn verloren, wenn es hier in diesem Hause nicht mehr frei wäre, darüber zu sprechen, ob eine im Amt befindliche Bundesregierung einen hinreichenden Willen zur Wiedervereinigung entfaltet, ob sie wirklich die Entschlossenheit zeigt, die notwendig ist, ob sie in der Wiedervereinigung das vordringlichste Ziel aller deutschen Politik sieht. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß die Bundesregierung nach der Überzeugung aller meiner Freunde schon bei der Regelung der Saarfrage durch das Saarstatut es an einem hinreichenden Willen zur Wiedervereinigung hat fehlen lassen.
Ich bedaure auch, sagen zu müssen, daß meine Fraktion insgesamt nicht davon überzeugt ist, daß der Herr Bundeskanzler und diese Bundesregierung den Willen zur Wiedervereinigung so glühend, so leidenschaftlich gefaßt hat, wie es erforderlich wäre, um das ganze deutsche Volk mitzureißen.
Wir haben keinen größeren Wunsch, als bei der Bundesregierung die Entfaltung dieses Willens zu sehen. Das ist das, was die Gemeinsamkeit hier im Hause herstellen kann. Solange wir aber da und auch in der Frage der atomaren Bewaffnung feststellen müssen, daß es in der Bundesregierung an der notwendigen Kraft des Willens fehlt, sind alle Ihre Rufe nach der Gemeinsamkeit nichts als leere Worte,
selbst von Ihnen zerstört durch Verunglimpfungen, die uns nicht erreichen können.
Aber wenn Sie einen Appell an uns richten, so richte auch ich an Sie einen Appell: Geben Sie jedem wahlberechtigten Bürger die Möglichkeit, in einem fairen Verfahren zur Unterrichtung seiner Regierung und seines Parlaments sich selber darüber zu äußern, wie er über die Frage atomarer Ausrüstung denkt. Sie tun damit dem deutschen Volke und dem Ansehen des Bundestages einen Dienst.