Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Natürlich, Herr Kollege Metzger, habe ich Ihre Begründung gehört. Aber gerade diese Begründung war ein Beweis dafür, wie verstiegen Ihr Urteil ist.
Denn die Einzelheiten, die Sie angeführt haben, sehr geehrter Herr Kollege Metzger, sind in Anbetracht der gesamten Regierungsleistung seit 1949 so ungewichtig, daß Sie keinerlei Aussicht haben, Ihr Urteil damit glaubhaft zu begründen. Das eben fühlt die gesamte Öffentlichkeit.
— Herr Kollege Metzger, es ist aussichtslos, daß Sie in diesem Punkt noch weitere Fragen an mich richten. Sie würden sich einen größeren Dienst leisten, wenn Sie anerkennten, daß die von den Regierungsparteien seit 1949 getragenen Regierungen Adenauer in Deutschland aus einem Nichts eine in der ganzen Welt respektierte Demokratie hergestellt haben, die Gott sei Dank so beständig ist, daß mit Fehlentwicklungen, wie wir sie in anderen Ländern immer wieder erlebt haben und erleben, nicht gerechnet zu werden braucht.
Diese Regierungen Adenauer haben es fertiggebracht, Deutschland gleichberechtigt in die Völker der westlichen Welt einzubauen. Und wenn wir das Mißtrauen der anderen Völker, ja ihren Haß wenige Jahre nach dem Kriege restlos überwunden haben und man heute in den westlichen Ländern eine Stimmung findet — ob in Luxemburg, in Belgien, in Holland oder in anderen Ländern, die unter der Politik des „Dritten Reiches" schwer gelitten haben —, die nicht als deutschfeindlich, sondern
als deutschfreundlich bezeichnet werden muß, dann ist das die Folge des Wirkens dieser Regierungen und des Ansehens, das sie der neuen deutschen Demokratie mit einer klaren, beständigen Regierungspolitik geschaffen haben, mit einer Politik, die keinerlei Mißverständnissen ausgesetzt war und die deshalb Vertrauen erzeugte, weil sie aus einem festen vertrauensvollen Bemühen kam. Nur diese Politik hat uns den Frieden bis heute gesichert, und sie wird ihn weiter sichern. Nur diese Politik hat uns den Freiheitszustand beschert, dessen wir uns heute zu erfreuen haben. Und nur sie hat einen Wohlstand geschaffen, von dem die SPD vor einigen Jahren noch überzeugt war, daß er durch eine liberale Politik überhaupt nicht zu erzielen sei.
Meine Damen und Herren von der SPD, diese Gründe sind es, die klar sehen lassen, daß Sie sich durch nichts mehr schaden als mit Urteilen, mit denen Sie glauben, den Herrn Bundeskanzler abqualifizieren zu können. Aber der Fehler in Ihrem Denken geht ja sehr viel tiefer. Das allein ist die Ursache, warum wir in diesem Hause eine so verschiedene Sprache sprechen, daß man bald befürchten muß, es bestehen keine Verständigungsmöglichkeiten mehr.
Man liest den Aufruf führender Sozialdemokraten der Schweiz, man liest die Auslassungen belgischer Sozialisten zu den Themen, die uns heute hier angehen, man liest die Äußerungen französischer und englischer Sozialisten, — sie sind allesamt von völlig anderen außen- und. wehrpolitischen Auffassungen als denen der SPD getragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt Ihnen das eigentlich nicht zu denken? Zeigt sich da nicht, daß nicht wir, die Vertreter der Regierungsmehrheit, mit unseren Überlegungen und mit unserer Politik vereinsamt sind, sondern daß Sie gegenüber den Sozialisten der westlichen Welt jetzt schon in den Bereich einer hoffnungslosen Isolation gekommen sind?
— Ja, was für Sorgen Sie nicht haben!
Ich darf aus diesem Aufruf führender Sozialdemokraten der Schweiz, den die Mitglieder der Regierungsparteien in diesem Bundestag Wort für Wort unterschreiben können, noch einige wichtige Sätze vorlesen, weil sie die Probleme klarstellen, und zwar auch im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Dürr von der Fraktion der Freien Demokraten. Wir müssen immer wieder klarstellen: das Problem, um das es geht, besteht nicht darin, daß der eine von uns den Frieden will, der andere nicht,
daß der eine ohne Atombombe auskommen möchte, der andere nicht. Wir möchten gemeinsam erreichen, daß der Frieden sichergestellt bleibt und daß es einer deutschen Teilnahme an der atomaren Aufrüstung überhaupt nicht bedarf. Die Frage ist nur:
1720 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Euler
Welches ist der richtige Weg, um dieses Ziel zu erreichen?
Man muß die Fragen richtig formulieren.
— Ja, ich will Ihre Neugierde befriedigen, indem
ich aus dem Aufruf der führenden Sozialdemokraten
der Schweiz mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einige Sätze vorlese. Da heißt es:
Wir nehmen für uns in Anspruch, sowohl den konventionellen wie den Atomkrieg nicht minder zu verabscheuen als andere. Wir verabscheuen ihn nicht minder als diejenigen, die sich in ihrem Wunschdenken den Tatsachen und Erfahrungen des Kalten Krieges verschließen. Diese Erfahrungen lehren uns, daß der völkerunterdrückende und weltherrschaftslüsterne Osten nur dann verhindert wird, neue Aggressionen auszulösen und die Wasserstoffbombe in die Waagschale der Entscheidung zu werfen, wenn ihm in der freien Welt — in der Bewaffnung der Vereinigten Staaten, Englands und der NATO — ein mindestens ebenbürtiges Kernwaffenpotential gegenübersteht.
Und es heißt dann weiter:
Wir lehnen ... den Versuch, die Frage der Bewaffnung der schweizerischen Armee den eidgenössischen Räten zu entziehen und sie zum Gegenstand gefühlsmäßig unterbauter politischer Feldzüge zu machen, entschieden ab. Vom Bundesrat und den zuständigen Organen der Armee erwarten wir, daß sie sich darüber aussprechen, wie sie sich angesichts der heutigen technischen Entwicklung die Ausrüstung der Armee vorstellen. Erachtet man die Landesverteidigung weiterhin als nötig — und wir tun es —, dann ist es unsere Pflicht, dem Soldaten diejenigen Abwehrmittel in die Hand zu geben, ohne die er zum vornherein sowohl psychologisch wie materiell verloren wäre. Wir verkennen — soweit es sich nicht um Kommunisten handelt — keineswegs die humanitären Motive derjenigen, deren Ansichten über die äußerst komplexe Atomfrage sich mit den unsern nicht decken. Aber wir sind nicht bereit, jenen totalitären Kräften Handlangerdienste zu leisten, deren unverhüllte Absicht es seit langem ist, den Westen in lähmende Furcht und im Gefolge davon in die selbstmörderische Resignation zu treiben.
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist genau die Betrachtungsweise, die wir hegen. Sie stimmt mit der unsrigen überein. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, diesen Realismus pflegten — den Sie als Regierungspartei pflegen müßten —, dann würden wir uns nicht so weit auseinander finden, wie das im Augenblick der Fall ist.
Wir wissen, daß unsere Auffassungen auf festem Grunde stehen. Wir wissen, daß Sie, falls Sie die
Regierungsverantwortung bekämen, diese Auffassungen für Ihre praktische Politik übernehmen und nach ihnen handeln müßten. Wir sind dewegen weit von der Gefahr entfernt, uns durch dialektische Scheingründe in Verwirrung bringen zu lassen. Aber wir haben mehr zu tun, als dafür zu sorgen, daß wir nicht selbst der Verwirrung anheimfallen. Wir haben dafür zu sorgen, daß unser Volk nicht einer methodisch geschürten Verwirrung zum Opfer fällt. Darum geht es.
Ein Mittel der methodisch geschürten Verwirrung sind gerade die Volksbegehren, die Volksentscheide und die Volksbefragungen, die in Wahrheit nichts anderes sind als Volksentscheide unter einem neuartigen Namen, einem Namen, den es im Jahre 1948/49 noch nicht gab. Da hatte man Volksbefragungen noch nicht exerziert, während man Volksbegehren und Volksentscheide aus den verschiedensten Demokratien kannte.
Es ist eine Tatsache, die schließlich auch Herr Kollege Metzger nicht bestreiten konnte, daß sich damals im Parlamentarischen Rat die Vertreter aller Parteien dahin einig gewesen sind, daß man der zukünftigen Demokratie erstens eine stabile Exekutive geben müsse und daß man zweitens den Demagogen die besonderen Mittel der Volksverwirrung, als die sich Volksbegehren und Volksentscheide gerade in der Weimarer Demokratie erwiesen hatten, entziehen müsse. Wenn wir die Zeit seit 1948 überblicken und die Motive unserer Verfassungsväter, die leider erst nach dem Scheitern der Weimarer Demokratie in die Lage kamen, eine fester gefügte Demokratie zu bauen, an Hand der Erfahrungen würdigen, die wir seit zehn Jahren in Deutschland gemacht haben und die in anderen Ländern mit, ich möchte sagen, chaotisch entarteten Formen der parlamentarischen Demokratie gemacht worden sind, dann müssen wir sagen: Die Männer, die uns 1948 eine Demokratie mit stabiler Exekutive gegeben haben, waren gut beraten, und wir wären ihrer nicht würdig, wenn wir heute davon abwichen und unsere guten Erfahrungen mit ihren guten Auffassungen verleugneten.
Wir haben schon häufig erlebt, daß die SPD in diesem Hause in bestimmten Fragen mit Entschiedenheit die Aufassung vertreten hat, die Regierung irre nicht nur in ihrem politischen Wollen, sondern sie bediene sich staatsrechtlicher Begründungen, die verfassungswidrig seien, und sie erstrebe Zwecke, die mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen seien. Wir erinnern uns an zahlreiche Debatten, in denen die Sozialdemokratie die Bundesregierung mit größtem Nachdruck, noch ehe ein Prozeß vor dem Verfassungsgerichtshof ausgetragen war, der Verfassungswidrigkeit ihrer Auffassungen und ihrer praktischen Verhaltensweise bezichtigte. In den Prozessen unterlag die Opposition; die sozialdemokratischen Kritiker hatten nicht recht behalten. Sie hatten sich von dem Verfassungsgericht sagen lassen müssen, daß die Regierung nicht falsch beraten gewesen war.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1721
Euler
Wir vertrauen auch in dieser Sache darauf, daß das Bundesverfassungsgericht einen Entscheid fallen muß, der nach allen Argumenten, die aus der Verfassung und aus der politischen Wirklichkeit zu entnehmen sind, kaum den Erwartungen der Opposition entsprechen wird. Die Auffassung der SPD war auch heute wieder ersichtlich schlecht begründet, wenn man auch der SPD zubilligen kann, daß sie alles in allem nach wochenlangen Bemühungen wohl die relativ besten Gründe hier hat vortragen lassen, die in dieser schlechten Sache überhaupt zu finden waren.
Wir wissen, was wir unserem Volke schuldig sind in einer Zeit, in der leider nicht allein wir, sondern alle Völker, die heute von sowjetischen Einflüssen frei sind, fortgesetzt in der Gefahr sind, nicht nur Gegenstand kriegerischer Aggressionen zu werden, sondern — was velleicht für die nächsten Jahre bedeutungsvoller wird — in den Ausstrahlungsbereich erpresserischer Taktiken zu kommen. Wir haben nicht nur zu beachten, daß der westdeutsche demokratische Staat, der repräsentativ für ganz Deutschland ist und auch die Menschen in Mitteldeutschland nach ihrem inneren Willen vertritt, nicht Opfer eines kriegerischen Angriffs der Sowjetunion wird, daß niemals eine Lage eintreten kann, in der sich die Sowjets einbilden dürfen, sie könnten eine Aggression mit geringem Risiko, mit geringen Kosten unternehmen. Nein, noch wichtiger ist es, zu verhindern, daß wir in den Bereich einer erpresserischen Politik der Sowjets ohne direkte kriegerische Aggression hineinkommen.
Wir wissen, daß wir dieses Ziel nur erreichen werden, wenn wir in fester Geschlossenheit mit der gesamten westlichen Welt bleiben, wenn wir alles dafür tun, daß das westliche Abwehrbündnis zur Erhaltung des Friedens wirklich leistungsfähig bleibt. Wenn es nur auf diese Weise möglich ist, Westdeutschland in Frieden zu halten, sicher bewahrt vor sowjetischen Aggressionen und Erpressungen, dann ist es auch nur diese Politik, die eine friedliche Wiedervereinigung zu erzielen vermag.