Rede von
Dr.
Rainer
Barzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Hochverehrter Herr Kollege Erler! Das, was in Hessen passiert ist, war eben keine Petition, sondern das lief unter der „Firma", unter der all das läuft: „Volksbefragungsund Antiatom-Aktion".
Außerdem ist inzwischen eine sehr interessante Übereinstimmung zwischen Ihnen - der linken Opposition — und sehr rechtsradikalen Kreisen festzustellen. Die Strasser-Partei hat ihre sämtlichen Mit. glieder verpflichtet, sich an einem eventuellen Volksbegehren oder einer Volksbefragung gegen die Atombewaffung zu beteiligen.
Zur Sache selbst liegt mir ein Bericht aus Essen vor, wonach unser verehrter Kollege Behrisch, dessen Worte über die Dinge in Ungarn wir alle noch im Ohr haben, sich erneut einige aufschlußreiche Sätze erlaubt hat. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich sie hier. Ich würde midi freuen, wenn der Kollege Behrisch dartäte, daß das, was hier steht, nicht seine Meinung ist. Herr Behrisch
hat nach diesem Bericht aus Essen am 28. Mai in einer Kundgebung im Saalbau gesagt:
Nehmen wir an, die Russen kommen und überrollen uns und besetzen Europa bis nach Portugal. Was können sie schon dem Christen nehmen? Das Haus, das Heim, die Habe, doch alles Dinge, die niemand mitnehmen kann, weil das Totenhemd keine Taschen hat.
Ich möchte dem Herrn Kollegen Behrisch doch sagen, daß Haus, Heim, Habe und Geld Dinge sind, die auch in einer christlichen Wertordnung einen Wert darstellen. Und ein zweites möchte ich ihm sagen: wenn die Bolschewisten kommen, könnten sie dem Christen auch das äußere Leben nehmen. Sie könnten vor allen Dingen einen Zustand herbeiführen, in dem bewußt versucht wird, die Seelen zu töten, die Seelen der Kinder zu töten oder ein menschenunwürdiges Leben, ein christlich unwürdiges Leben herbeizuführen.
Zu dem, was im Zusammenhang mit dieser Aktion alles passiert, möchte ich Ihnen noch etwas anderes vortragen. Eine bekannte Illustrierte hat vor kurzer Zeit zwei prominente Filmschauspielerinnen, Frau Maria Schell und Frau Barbara Rutting, zu der Frage der Atombewaffnung „interviewt". Beide Schauspielerinnen haben entrüstet gesagt: Das darf man doch nicht machen.
Auf Grund dieser Interviews hat eine Zeitschrift einen offenen Brief einer Dame gegen diese beiden-Filmschauspielerinnen veröffentlicht. Was ist nun gestern passiert? Die Dame, die diesen offenen Brief geschrieben hat, erhielt folgendes Telegramm, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier verlese:
Ich erlaube mir, Ihnen zur Kenntnis zu geben, daß ich Frau Maria Schell und Frau Barbara Rutting ständig vertrete. Sie schreiben an meine Mandantinnen in der Mai-Ausgabe der von Ihnen redigierten Zeitschrift einen offenen Brief. Dabei beziehen Sie sich auf die Stellungnahmen, die meine Mandantinnen in der Frage der Atombewaffnung gegenüber Zeitungen und Illustrierten abgegeben haben sollen. Bitte, nehmen Sie zur Kenntnis, meine Mandantinnen haben keinerlei Stellungnahmen abgegeben. Die Veröffentlichungen sind erfunden. Unter den gegebenen Umständen kann ich verzichten, auf Ihre Argumentation einzugehen. Beide Mandantinnen sind nicht von der Art, daß sie sich über wichtige Dinge in Schlagworten äußern.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Rechtsanwalt
Alles das, der heutige Gang der Debatte, die Rede des Kollegen Metzger, die nicht vorhandene rechtliche Argumentation zeigen uns erneut, daß diese Politik der Volksbefragungen nicht in unsere freiheitliche demokratische Ordnung paßt, daß sie Un-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1717
Dr. Barzel
ordnung und Unruhe bewirkt, daß sie zugleich unsere außenpolitischen Ziele und unsere außenpolitische Handlungsfreiheit beeinträchtigt.
Deshalb lehnen wir diesen Entwurf ab. Wir lehnen ihn ab, weil wir kein Recht haben, ja zu ihm zu sagen; wir lehnen ihn ab aus rechtspolitischen Gründen; und wir lehnen ihn ab, weil uns die bisherigen Vorgänge in dieser Kampagne bereits reichlich genügen.