Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Schluß noch einige Bemerkungen zu dem, was wir eben vom Herrn Bundesinnenminister gehört haben, und anschließend eine Erklärung für die sozialdemokratische Fraktion.
Zunächst möchte ich festhalten: Wir Sozialdemokraten lassen gar keinen Zweifel daran, daß wir auf dem Boden des von uns selbst gegen den Widerstand z. B. der CSU mit geschaffenen Grundgesetzes stehen. Daran ist kein Zweifel erlaubt.
Aber, meine Damen und Herren, das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland ist genausowenig
identisch mit der Politik der Bundesregierung Ade-
1744 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Erler
nauer, wie der Staat identisch ist mit der ChristlichDemokratischen Union. Da müssen wir endlich einmal die Grenze ziehen.
Damit bin ich beim zweiten Punkt. Aus den Ausführungen des Innenministers ergab sich ganz klar, daß hier jede Kritik an der Haltung der Bundesregierung in einer wichtigen Frage umgedacht, umgefälscht wird in einen Anschlag auf die verfassungsmäßig etablierte Autorität.
Darin liegt die Verwechslung von Staat und Partei, und auch auf diesem Gebiet gilt es, den Anfängen zu wehren, weil wir wissen, wohin das führt.
Und zum dritten. Bei aller Härte der parteipolitischen Auseinandersetzungen — sie gehört nun einmal mit in eine funktionierende demokratische Meinungs- und Willensbildung hinein — sollten wir doch sehr wohl das Parteiamt vom Staatsamt zu trennen wissen. Der Herr Bundesinnenminister hat behauptet, daß er in seinen Reden hier und auch in seinem Aufsatz im Bulletin von gestern, mit dem wir uns auf dieser Tribüne ja eigentlich nicht beschäftigen sollten; lediglich einen Appell an die Sozialdemokratische Partei gerichtet habe. Es ist ein merkwürdiger Appell. Die Rede des Innenministers — und deshalb habe ich aus Empörung den Saal verlassen - hatte im wesentlichen kein anderes Ziel, als die Sozialdemokratische Partei der ideologischen und politischen Nachbarschaft mit der kommunistischen Gewaltherrschaft zu verdächtigen.
Ich will Ihnen das beweisen. In dem Aufsatz im Bulletin, der nur ein „wohlmeinender staatsmännischer Appell" und nicht etwa eine parteipolitische Entstellung sein sollte,
finden wir als Kapitelüberschrift: „Wehners Schleichweg zum Sozialismus".
Bitte, das ist eine staatspolitische, vom Minister geleistete Aufklärungsarbeit, ein Appell an gemeinsame Verantwortung, nicht wahr? Und dann heißt es, „daß mindestens für große Teile der Sozialdemokratischen Partei die im Grundgesetz festgelegte Wertordnung, die im Grundgesetz festgelegte wirtschaftliche und soziale, d. h. ,gesellschaftliche Ordnung nicht ihren Vorstellungen entspricht". Das Grundgesetz gibt Raum für sehr verschiedenartige innere Gestaltung dieses unseres Staates; denn es ist ein demokratisches Grundgesetz. In diesem Grundgesetz steht z. B. sogar der Art. 15, dessen volle Ausschöpfung von unserem Stuttgarter Parteitag nicht einmal gefordert worden ist. Sie können doch nicht einfach — ich wiederhole das noch einmal — Ihre Politik mit dem Grundgesetz verwechseln, Ihre Politik stehe nunmehr unter Naturschutz und sei durch das Grundgesetz jeder Kritik entzogen. Das ist ein Irrtum.
Ein weiterer Punkt. Der Herr Bundesinnenminister kam noch einmal auf die Bemerkung des Kollegen Dr. Mommer zurück, ob es nicht eine Dummheit gewesen sei, die Kommunistische Partei zu verbieten. Meine Damen und Herren, hier handelt es sich gar nicht um die rechtliche Würdigung, daß die Kommunistische Partei keine Partei ist, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht.
— Nein. Der Grundgesetzgeber hat bewußt nicht das Bundesverfassungsgericht zum Einschreiten kraft Amtes verpflichtet, sondern, weil es sich um eine politische Angelegenheit handelt, das Antragsrecht der Bundesregierung übertragen. So fängt das doch erst einmal an.
— Dazu will ich Ihnen folgendes sagen. Gerade bei der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Gefahr, die ein Weltproblem ist, meinen wir, daß es darauf ankommt, mit dem Gehirn und mit dem Herzen die Auseinandersetzung zu gewinnen, die Menschen, um die sich die Kommunisten durch die Infiltrationsarbeit bemühen, geistig immun zu halten und die Anhänger der Kommunisten in offener Aussprache zu überzeugen. Wer hat denn jene Millionen Wähler in der deutschen Arbeiterschaft zu Demokraten gemacht, die früher einmal kommunistisch gewählt haben? Das waren wir in den Hochburgen des Ruhrgebiets!
Wir warnen davor, überlebten obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen zu verfallen und zu glauben, die Auseinandersetzung, die der einzelne selbstbewußte Staatsbürger, der zur Demokratie steht, persönlich, durch Überzeugung führen muß, allein den Organen der staatlichen Polizei, der Unterdrükkungsmaschinerie oder gar der bewaffneten Macht übertragen zu können. Das ist die falsche Methode. damit fertig zu werden.
Eine Demokratie lebt davon, daß die einzelnen Demokraten bereit sind, für ihre Überzeugung einzutreten und auch der anderen Auge in Auge gegenüberzustehen.
Darauf kommt es an.
Ein Letztes zu diesem Komplex. Hier wurde noch einmal gesagt, die Bundeswehr brauche keine Atomwaffen, wenn es gelinge, in den nächsten anderthalb Jahren zur allgemeinen kontrollierten Abrüstung zu kommen. Ich entsinne mich da der
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958 1745
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Berichte über eine Tagung in Königswinter. Da hat ein Sprecher aus Ihren Reihen dargelegt, daß Voraussetzung für die allgemeine kontrollierte Abrüstung doch wohl ein hohes Maß an Übereinstimmung in den ethischen Prinzipien sei, sonst könne man nicht dazu kommen. In diesen anderhalb Jahren schaffen Sie doch den Bolschewismus nicht ab, Kollege Kiesinger! Wer mit dieser Auffassung an die allgemeine kontrollierte Abrüstung herangeht, sie also gar nicht für möglich hält und trotzdem sagt: In dieser Zeit muß die Entscheidung über die Atombewaffnung in der Bundeswehr gefallen sein, der will die Atomwaffen für die Bundeswehr auf jeden Fall.
Wer wirklich für die allgemeine kontrollierte Abrüstung eintritt, der sollte begreifen, daß man hier nicht nach der Politik des „alles oder nichts" verfahren kann. Sie kommen nie auf einen einzigen Schlag zur allgemeinen kontrollierten Abrüstung. Sie werden dieses Problem nur Stück für Stück meistern, und zwar lediglich dadurch, daß Sie das gegenwärtige Wettrüsten beenden, aber nicht dadurch, daß Sie die Atombewaffnung der Bundeswehr weiter auf die Spitze treiben und damit allgemein das Wettrüsten in der Welt und nicht die Abrüstung fördern.