Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Innern hat in seinen Ausführungen der Sozialdemokratischen Partei unterstellt, sie komme kommunistischen Zielsetzungen entgegen und sei so hatte es den Sinn — mithin bewußt oder unbewußt Helfershelfer des Bolschewismus.
Wir Freien Demokraten sind entschiedenste Gegner der Sozialdemokratischen Partei auf vielen politischen Gebieten.
Gerade deshalb halten wir es für unwürdig, wenn solche Unterstellungen in diesem Hause vorgebracht werden über eine Partei, mit der die Christlich-Demokratische Union sich immerhin in Berlin, in Bremen und in Baden-Württemberg in Landesregierungen in der Koalition befindet.
Die Sozialdemokratische Partei hat ihre staatspolitische und nationale Zuverlässigkeit in den Jahren nach 1945, wie wir Freien Demokraten glauben, so bewiesen, daß sie sie von niemand in Zweifel ziehen zu lassen braucht.
Wir Freien Demokraten halten die SPD in staatspolitischen und nationalen Fragen für mindestens genauso zuverlässig wie die CDU.
Wir sind auch der Meinung, daß solche Unterstellungen wie die des Herrn Bundesministers des Innern geeignet sind, die Glaubwürdigkeit von Zusicherungen der Bundesregierung herabzusetzen, auch sie sei in gesamtdeutschen und außenpolitischen Fragen an einer gemeinsamen Politik genauso interessiert wie die Opposition.
Meine Damen und Herren! Der Sprecher der Freien Demokraten in der Aussprache zur ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs, der Abgeordnete Dr. Bucher, hat die Stellungnahme unserer Fraktion bereits klar und deutlich dargelegt. Wir sind unverändert der Ansicht, daß der Entwurf nicht aus verfassungsrechtlichen, aber aus verfassungspolitischen Gründen abgelehnt werden sollte. Eigentlich hätte es ja zur heutigen Debatte überhaupt nicht zu kommen brauchen. Die CDU'CSUFraktion hat in der ersten Lesung erklärt, sie sei einstimmig der Ansicht ihrer Experten gefolgt, daß dieser Entwurf verfassungswidrig sei,
und jedermann hatte den Eindruck, diese Fraktion werde in einer zweiten Lesung, die sich sofort an die erste Lesung anschließe, den Gesetzentwurf nach dem Motto behandeln: „Fort, werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!" und werde den Gesetzentwurf sofort ablehnen.
Aber was hat die CDU/CSU-Fraktion getan? Sie — nicht die SPD oder die FDP oder eine andere Partei — hat der zweiten Lesung widersprochen. Ist dieser Widerspruch — das muß man sich doch insbesondere angesichts der heute von Regierungsseite erfolgten Ausführungen fragen — gemacht worden, um der Mehrheitsfraktion dieses Hauses tiefschürfende staatsrechtliche Meditationen zu ermöglichen, oder ist dies nicht vielmehr aus anderen Gründen geschehen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als wäre es der Mehrheitspartei nicht unlieb, wenn sich die Debatte in der Öffentlichkeit mehr auf die Frage der Zulässigkeit der Volksbefragung über die atomare Ausrüstung zuspitzt, als daß sich eine Diskussion über die Hauptfrage, nämlich über die Frage der atomaren Bewaffnung selber, entspinnt.
Es ist heute bereits darauf hingewiesen worden, daß in der Debatte über diesen Volksbefragungsentwurf ein Mischmasch aus den Begriffen „Volksabstimmung" und „Volksbefragung" gemacht worden ist, ein Mischmasch, von dem auch das Gutachten der Bundesministerien des Innern und der Justiz durchaus nicht frei ist. Nun, über die Qualität dieses Gutachtens wird an anderer Stelle, bei der Haushaltsberatung, noch zu reden sein. Die Qualität des Gutachtens ist keineswegs überwältigend.
Die Volksabstimmung besagt doch, daß der parlamentarische Gesetzgeber durch das Volk als Gesetzgeber ersetzt werden soll.
Bei der Volksbefragung soll lediglich der parlamentarische Gesetzgeber, der seine Stellung behält, durch Willensäußerungen des Volkes informiert werden. Eine Volksbefragung, wie sie die SPD vorhat, hat also keine konstitutive Wirkung. Dies hat nach unserer Ansicht den Nachteil, daß am Tage nach einer Volksabstimmung allerhand Rechenkunststücke möglich sind, daß jede Seite herumgeheimnissen kann: Was haben denn eigentlich die gewollt, die gestern nicht zur Wahl gegangen sind? Solche Kunststücke führen im allgemeinen zu dem Ergebnis, daß beide Teile behaupten, gewonnen zu haben.
Sicher hat eine Volksbefragung keine rechtlichen Konsequenzen. Ob sie aber eine moralische Verbindlichkeit begründet? In dieser Frage sind wir
1718 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 31. Sitzung, Bonn, Freitag, den 13. Juni 1958
Dürr
nicht so optimistisch wie Herr Kollege Metzger. Wir sind hier der Meinung, daß ein eindeutiges Ergebnis bei der Volksbefragung nicht auf Grund moralischer Verbindlichkeit zu Konsequenzen führen muß. Ich erlaube mir, unsern Bundesvorsitzenden Reinhold Maier zu zitieren, der einmal gefragt hat: Was muß denn in der Bundesrepublik passieren, bis etwas passiert?!
Hinzu kommt, daß die Stimmabgabe des Bürgers abgewertet wird, wenn sie ohne rechtliche Auswirkung bleibt.
Wenn ein Bürger bei einer Volksbefragung am Sonntag seine staatsbürgerliche Pflicht, wie er meint, erfüllt, ins Wahllokal geht und am Montag erfährt, rechtlich sei seine Stimmabgabe durchaus unverbindlich gewesen, kann man es ihm wohl kaum verübeln, wenn er nach der Volksbefragung sagt: Es hat doch keinen Zweck, ins Wahllokal zu gehen; die machen doch, was sie wollen! Dann wird er bei der nächsten Wahl, bei einer Bundestags-, einer Landtags- oder Gemeinderatswahl der Wahlurne fernbleiben. Das wäre eine Nebenfolge, die wir aus verfassungspolitischen Gründen keineswegs in Kauf nehmen wollen.
Voraussetzung einer Willensäußerung des Volkes, sei es bei einer Volksabstimmung, sei es bei einer Volksbefragung, ist, daß dieses Volk ausreichend und sachlich über die Sachfragen informiert wird. Die Auswirkungen der Atombomben von Hiroschima und Nagasaki sind uns bekannt. Umstritten ist aber die Fernwirkung durch radioaktive Verseuchung. Die Meinung der Wissenschaftler ist hier nicht völlig einheitlich. Auf der einen Seite steht das Göttinger Manifest, steht die Ansicht Albert Schweitzers. Auf der andern Seite stehen vereinzelte amerikanische Wissenschaftler und unser Kollege Pascual Jordan. Bei seinen Betrachtungen über das Leben im Untergrund bin ich allerdings im Zweifel, ob er sie mehr als Wissenschaftler oder als Bundestagskandidat geschrieben hat.
Meine Damen und Herren, man braucht mehr als Verharmlosungen, wie sie in den Worten „modernste Waffen" und „saubere Bomben" zum Ausdruck kommen. Wir Freien Demokraten sind gleichermaßen gegen Verniedlichung wie gegen Panikmache. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung zu sachlicher Untersuchung und Information der Bevölkerung verpflichtet ist. Diesem Ziel dient auch unser Antrag betreffend Zunahme der Mißgeburten, der gestern von diesem Hause erfreulicherweise einmütig angenommen worden ist. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Informationspflicht der Bundesregierung nicht nur in den Zeiten vor Volksbefragungen, sondern stets und ständig gilt. Ich verkneife es mir, darüber nähere Ausführungen zu machen, daß manchmal nicht nur das Volk, sondern
auch dieses Hohe Haus nicht besonders ausgiebig informiert wird.
Wir sind nicht gegen die Volksbefragung, um zu vermeiden, daß wir Freien Demokraten, so wie es der SPD heute geschehen ist, wieder einmal als bewußte oder unbewußte Helfer des Kommunismus bezeichnet werden. Wir sind es aus unseren eigenen Überlegungen heraus und haben uns bei unseren Überlegungen wenig um den sowjetzonalen Rundfunk oder die dortige Presse geschert. Jeder, der eine Politik nach seinem eigenen Gewissen und aus seiner eigenen Überzeugung betreibt, ist bei uns dann und wann in Gefahr, einmal von der Sowjetzone her gelobt zu werden.
Das wir allerdings nicht dauernd von drüben gelobt werden, dafür sorgen wir durch unsere Überzeugung und durch die von uns verfolgte Politik schon selber. Wenn wir aber in unsere Überlegung, was wir tun und wie wir uns in der Politik verhalten sollen, als wesentlichen Gesichtspunkt die Frage hineinbringen: Was tun wir, um nicht von der Sowjetzone oder gar von Moskau gelobt zu werden?, dann laufen wir eben Gefahr, nur noch Reaktionen auf Aktionen von drüben zu setzen und uns dadurch der eigenen Initiative zu begeben.
Wir Freien Demokraten sind gegen die Volksbefragung. Es wäre falsch, deshalb zu vermuten, daß wir in unserer Gegnerschaft gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik schwankend geworden wären. Unser Ziel verfolgen wir so entschieden wie eh und je. Zur Erreichung dieses Zieles halten wir aber eine Volksbefragung, wie sie die SPD vorschlägt, nicht für das geeignete Mittel.