Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich darauf auf-
merksam machen, dass die für heute verlangte Aktuelle
Stunde zum Thema „Rolle des Bundes beim Tarifkon-
flikt bei der Deutschen Post AG“ nicht stattfindet. Die
Fraktion Die Linke hat ihren Antrag zurückgezogen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Tech-
nischen Abkommens zwischen der internatio-
nalen Sicherheitspräsenz und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugosla-
wien und der Repu-
blik Serbien vom 9. Juni 1999
Drucksachen 18/5052, 18/5248
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5249
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
lung des Auswärtigen Ausschusses werden wir in 25 Mi-
nuten namentlich abstimmen.
Über die Streitkräfteeinsätze in Mali und im Libanon
– das sind die Tagesordnungspunkte 29 und 30 – werden
wir jeweils im Abstand von 25 Minuten ebenfalls na-
mentlich abstimmen. Wir werden also in den nächsten
anderthalb Stunden drei namentliche Abstimmungen
durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dieses Tagesordnungspunkts 25 Minuten
vorgesehen. – Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Abgeordnete Dietmar Nietan, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der KFOR-Einsatz geht nun schon in sein16. Jahr. Seit 1999 sind deutsche Soldatinnen und Solda-ten im Kosovo präsent. Ich glaube, wir sind uns alle ei-nig, dass unser größter Wunsch ist, dass sich die Situa-tion im Kosovo möglichst schnell in eine Richtungentwickelt, dass wir dieses Mandat beenden können;denn wir alle wissen: Die Probleme und die Verwerfun-gen, die es in der Region gibt und die ihre Ursachen auchin dem schrecklichen Bürgerkrieg der 90er-Jahre haben,werden nie mit militärischen Mitteln zu lösen sein, son-dern sie können nur im Miteinander in der politischenArbeit gelöst werden. Aber – das sage ich an dieserStelle auch sehr deutlich – solange diese Situation imKosovo noch fragil ist, solange Kosovo noch nicht aufeinem stabilen Weg ist, wäre es verantwortungslos, dieMission zum jetzigen Zeitpunkt zu beenden.
Ich will aber auf die politischen Rahmenbedingungenzurückkommen; denn es reicht nicht aus, dass wir hierein Mandat verlängern. Wir müssen uns überlegen, waswir als Bundesrepublik Deutschland, aber auch gemein-sam mit unseren Partnern in der Europäischen Union tunkönnen. Ich denke dabei an die Unterstützung von posi-tiven Entwicklungen im Kosovo, die Stärkung der Zivil-gesellschaft, die Schaffung einer ökonomischen Per-spektive, die Bekämpfung von Korruption undorganisierter Kriminalität oder etwa die Ausarbeitungvon konkreten Roadmaps für eine bessere Governanceim Kosovo. Wir müssen in diesen Fragen eng zusam-menarbeiten und immer wieder neue Initiativen starten.
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10884 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Dietmar Nietan
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Warum sage ich das? Ich meine damit nicht, dass wirbesser wissen, welcher Weg der richtige für das Kosovoist, als die Bürgerinnen und Bürger des Kosovo. Aberich sehe es schon als unsere Aufgabe an, deutlich zu ma-chen, dass wir an den politischen Entwicklungen imKosovo ein großes Interesse haben, dass wir aber aucheine Empathie für die Menschen dort haben und wir mit-helfen wollen, dass die Menschen eine Perspektive be-kommen. Wir müssen ihnen zeigen, dass ihr Weg derrichtige ist, wenn er zu Demokratie und Rechtsstaatlich-keit führt. Dabei muss klar sein, dass dieser Weg amEnde auch von uns mit dem Ziel unterstützt wird, einesTages das Kosovo als Mitgliedstaat in der EuropäischenUnion begrüßen zu können.
Ich halte das auch deshalb für sehr wichtig, weil dieGesellschaft im Kosovo sehr jung ist; es ist die jüngstealler europäischen Gesellschaften. Gerade dort, wo eineGesellschaft sehr viele junge Menschen hat, können Ju-gendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit – das müs-sen wir erkennen – zu besonders großen Problemen füh-ren.Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen: Na ja,die politischen Eliten im Kosovo hätten auch schon eini-ges besser machen können – was sicherlich richtig ist –,sondern wir müssen immer wieder überlegen, wie wiruns mit den Kräften in der Zivilgesellschaft und auch mitden Kräften in der Politik im Kosovo engagieren kön-nen, die ein Interesse daran haben, den Status quo zuverändern, und nicht danach schauen, welcher politischeClan welche Macht und welches Geld einkassiert, unddie ihr Land vielmehr wirklich auf einen guten Wegbringen wollen. Diese Kräfte gibt es im Kosovo, und sieerwarten von uns, dass wir sie nicht alleinlassen unddass wir weiterhin ein großes Engagement, nicht nur imKosovo, sondern auch in der gesamten Region des soge-nannten Westbalkans zeigen.Ich will an dieser Stelle betonen, dass wir das Kosovonatürlich nicht allein betrachten können. Deshalb willich ausdrücklich sagen, dass ich es begrüße, dass sich dieBundesregierung so stark in dieser Region engagiert,dass 2014 die Westbalkankonferenz stattgefunden hat,die neue Perspektiven für die gesamte Region entwi-ckeln soll.Ich begrüße ausdrücklich, dass die BundesregierungInitiativen auch in der Frage von Beitrittsverhandlungenmit Serbien gestartet hat; dort soll ein neues Kapitel auf-geschlagen werden. Ich glaube, dass es der richtige Wegist und dass jetzt auch die richtige Zeit ist, mit der serbi-schen Regierung darüber zu sprechen, wie wir die Kapi-tel 35 und 32 des Besitzstands öffnen können. Wir er-warten, dass auf beiden Seiten, in Serbien, aber auch imKosovo, mit Ernsthaftigkeit, mit Lauterkeit daran gear-beitet wird, die Differenzen zwischen beiden SeitenSchritt für Schritt abzubauen. Am Ende des Weges musssich Serbien klar sein – auch das sage ich an dieser Stelle –,dass der Weg in die Europäische Union nur über die An-erkennung des Kosovo führen wird.
Allerdings – auch das will ich betonen – müssen wiruns die Realitäten in der Entwicklung seit dem schreckli-chen Bürgerkrieg in der Region anschauen. Deshalb willich an dieser Stelle sagen: Es mag bei den fünf EU-Staa-ten zum damaligen Zeitpunkt gute Gründe gegeben ha-ben, das Kosovo nicht anzuerkennen. Aber ich sageauch: Wenn wir diese gemeinsame Perspektive für alleWestbalkanstaaten, insbesondere für Serbien und dasKosovo, eröffnen wollen, dann ist es jetzt an der Zeit,dass in diesen fünf Staaten darüber nachgedacht wird, objetzt nicht der Zeitpunkt ist, auch das Kosovo anzuerken-nen; denn eine Veränderung von Grenzen und ein Zu-rückdrehen der Zeit wird keinen einzigen Arbeitsplatzim Kosovo schaffen, wird keinem jungen Menschen einePerspektive geben, aber es wird die nationalistische Aus-einandersetzung befeuern und die Region destabilisie-ren. Deshalb appelliere ich an die fünf Staaten, die esnoch nicht getan haben, zu überlegen, ob jetzt nicht derZeitpunkt ist, das Kosovo anzuerkennen.
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist der, dasswir uns sehr genau überlegen sollten, wie wir deutlichmachen können, dass die Perspektive eines Beitritts zurEuropäischen Union, die wir für das Kosovo und die an-deren Staaten aufrechterhalten wollen – wofür auch wiruns engagieren –, ein Missverständnis von vornhereinausschließt: Alles Bemühen, eine faire Beitrittsperspek-tive zu bieten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dasssich nicht nur im Kosovo, sondern überall in den soge-nannten Westbalkanstaaten die politischen Eliten ändernmüssen. Sie müssen von der Haltung wegkommen: So-lange ich am Status quo festhalte, meine Pfründe sichere,aber nach außen erzähle: „Wir wollen in die EU“, fahreich am besten. – Nur wenn die politischen Eliten bereitsind, auf das einzugehen, was sich in ihren Zivilgesell-schaften schon längst tut, nur wenn sie bereit sind, ihreteilweise oligarchischen Strukturen aufzugeben, dannwird es für die Staaten und insbesondere für das Kosovoauch eine ernsthafte Perspektive geben. Das ist denMenschen dort zu wünschen. Ich finde, es liegt auch inunserer Verantwortung, gerade den jungen Menschen imKosovo eine Perspektive zu geben.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dienächste Rednerin aufrufe, möchte ich einer Kollegin gra-tulieren. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerinder SPD-Fraktion feiert heute ihren 50. Geburtstag.Glückwunsch vom ganzen Haus!
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10885
Vizepräsident Peter Hintze
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Noch viele weitere spannende Debattenjahre, in welcherFunktion auch immer!Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Laut dem Antrag der Bundesregierung leistet der NATO-
Einsatz KFOR Folgendes – ich zitiere aus dem Antrag –:
„Unterstützung zur Entwicklung eines stabilen, demo-
kratischen, multiethnischen … Kosovo“. Dafür beantra-
gen Sie auch für das nächste Stationierungsjahr rund
45 Millionen Euro.
Allein: Die Bundeswehr steht schon seit 16 Jahren im
Kosovo, und keines der von Ihnen vorgegebenen Ziele
wurde auch nur annähernd erreicht, meine Damen und
Herren. Im Gegenteil: Die gesamte Regierung besteht
aus ehemaligen UCK-Kadern. Im Schatten der Bundes-
wehrpanzer im Jahr 2015 agiert diese Terrororganisation
UCK erneut und überzieht die Nachbarstaaten wie
Mazedonien mit Terror. Ihr Rückzugsgebiet ist das
Kosovo. So erhielten die in Mazedonien in einem Ge-
fecht mit Sicherheitskräften getöteten UCKler in Pristina
erst kürzlich ein Heldenbegräbnis auf dem Friedhof der
Märtyrer unter Anwesenheit höchster Kader dieser nati-
onalistischen Truppe.
Muss es Ihnen nicht zu denken geben, meine Damen
und Herren, dass das Kosovo zu der Region in Europa
geworden ist, aus der mittlerweile die meisten Kämpfer
für die Terrorbanden des „Islamischen Staats im Irak und
in Syrien“ rekrutiert werden – und das unter den Augen
der NATO und Ihrer Bundeswehr? Ich finde, Deutsch-
land darf nicht weiter großalbanischen Nationalismus
der UCK und Terrorzentren wie das Kosovo unterstüt-
zen, die die Gewalt in die Region und in den Nahen
Osten tragen.
Das Kosovo ist das Armenhaus Europas. Die Men-
schen stimmen dort mit ihren Füßen gegen ein zutiefst
korruptes System ab. Gerade die Minderheiten der Roma
und der Serben haben die Region zu Hunderttausenden
verlassen. Auch deshalb ist Ihre Bilanz hier einfach nur
niederschmetternd.
Auch in puncto Völkerrecht ist Ihre Performance
schlicht negativ. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder
aus der SPD erklärte erst letztes Jahr,
dass es sich beim Jugoslawien-Krieg um einen Völker-
rechtsbruch auch der Bundesregierung gehandelt hat.
„Die Bombardierung Jugoslawiens war völkerrechtswid-
rig“, sagte der ehemalige Bundeskanzler Schröder.
Ich frage Sie: Welche Konsequenzen haben Sie ei-
gentlich aus dieser Aussage gezogen? Die Bundeswehr
steht im Kosovo in der Folge dieses Völkerrechtsbruchs,
und sie hat wie die deutsche Außenpolitik dort nie eine
neutrale Rolle eingenommen.
Ich finde, wir brauchen keine deutschen Soldaten auf
dem Balkan, die Partei ergreifen und Völkerrechtsbrüche
militärisch absichern. Wir brauchen eine Rückkehr zum
Völkerrecht; denn nur dies kann die Basis für ein friedli-
ches Zusammenleben in Europa sein.
In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert,
dass sich der Entschließungsantrag der Grünen von dem
Antrag der Bundesregierung unterscheidet; er fordert
noch schärfer Völkerrechtsbrüche. Jene EU-Mitglied-
staaten, die das Kosovo bzw. die einseitige Unabhängig-
keitserklärung des Kosovo nicht anerkannt haben und im
Rahmen des Völkerrechts geblieben sind, sollen diesen
Völkerrechtsbruch gleich der Bundesregierung anerken-
nen. Während Sie alle hier Russland wegen der Krim
Völkerrechtsbruch vorwerfen und deshalb sanktionieren,
verlangen Sie von Zypern, Rumänien, Spanien, Grie-
chenland und der Slowakei, Ihren Völkerrechtsbruch so-
zusagen anzuerkennen und ihm zu folgen. Das ist pure
Heuchelei, meine Damen und Herren.
Doppelte Standards, deutsche Machtpolitik und die
Heiligung von Völkerrechtsbrüchen schaffen keinen
dauerhaften Frieden in Europa. Wir sagen: Wir müssen
zurück zum Völkerrecht und zu der friedlichen Außen-
politik Willy Brandts, sodass niemals wieder Krieg von
deutschem Boden ausgeht.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der jetzigenDebatte im Bundestag KFOR Völkerrechtsbruch vorzu-werfen, ist angesichts dessen, was wir zurzeit erleben,eine Verhöhnung der Geschichte und der historischenTatsachen.
Ich glaube, wir sind uns im Bundestag bis auf wenigeAusnahmen übergreifend einig, dass es uns in den letz-ten 25 Jahren wirklich gelungen ist, eine Grundstabilitätauf dem Balkan zu entwickeln. Überlegen wir einmal:Vor 100 Jahren gingen Mord und Gewalt vom Balkan
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10886 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Roderich Kiesewetter
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aus. Der Erste Weltkrieg hatte dort einen seiner Aus-gangspunkte.
Vor 25 Jahren sind Hunderttausende Menschen vom Bal-kan in den sicheren Schoß Europas geflüchtet, auch undgerade nach Deutschland. Vor 15 Jahren befand sich dieNATO in einem Krieg mit Serbien, und wir sind umHaaresbreite an einem intensiveren Konflikt mit Russ-land vorbeigeschlittert.Heute haben wir erreicht, dass im Bewusstsein derdeutschen Bevölkerung und auch aus Sicht Europas derBalkan eben nicht mehr zur Peripherie Europas gehört.
Angesichts der Eskalation, die wir gerade am OstrandEuropas erleben, wird uns immer deutlicher, dass einstabiler Balkan zur Befriedung unseres Kontinents bei-trägt. Auch wenn Sie weiterhin nicht zuhören wollen: Eshilft nichts. Sie werden damit keinen Fortschritt erzielen.Fortschritt erreichen wir – Sie haben Willy Brandt zitiert;ich sage das als Christdemokrat – nur durch Versöhnenstatt Spalten. Mit Ihren Aufführungen hier versuchen Sie,zu spalten. Aber der Bundestag steht zusammen und un-terstützt das KFOR-Mandat.
Uns ist bewusst: Der Balkan braucht keine Gesamtbe-trachtung, sondern auf dem Balkan müssen wir jedeseinzelne Land gesondert betrachten. Im Kosovo, einemarmen Land mit einem Durchschnittseinkommen von2 800 Euro, einer Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von40 Prozent und einer Regierung, die dieses Land letztesJahr über nahezu ein halbes Jahr im Stich gelassen undjetzt mühsam zu einer Koalition gefunden hat, müssenwir uns mit ganz großem Augenmerk um Rechtsstaat-lichkeit, die Bekämpfung organisierter Kriminalität unddie Bekämpfung des zunehmenden Islamismus küm-mern.In Albanien haben wir ein schwächelndes Justizsys-tem und ebenfalls Herausforderungen bei der Bekämp-fung der organisierten Kriminalität und der Herstellungder Rechtsstaatlichkeit. In Mazedonien – der KollegeBeyer hat es beim letzten Mal angesprochen – versuchenKräfte, den gesamten Balkan zu destabilisieren, indemsie interethnische Konflikte wieder in den Vordergrundtragen.Auf der anderen Seite haben wir ein Serbien, von demvor 25 Jahren Gewalt ausging und das heute versucht,mäßigend in der Region zu wirken. Hier geht es mir umFolgendes: Wir sollten mit aller Kraft darauf hinwirken,dass die Staaten des Balkans nur gemeinsam die Chancehaben, in die Europäische Union zu kommen, damit eshier nicht um einen Wettbewerb der besten Staaten geht,sondern darum, dass diese Länder sich in einer Art Ge-leitzug untereinander unterstützen.Aussöhnung ist das Entscheidende. Wie können wirdas schaffen? Indem wir die KFOR-Mission fortsetzen.Sie merken: Ich gehe gar nicht direkt auf die KFOR-Mission ein. Wir sind jetzt in der 32. Mandatsdebatte seit1999. Ich glaube, wir sind uns, was das Mandat angeht,einig. Die Ergebnisse der Rühe-Kommission werden zei-gen – fünf Parlamentarier waren ja Mitglied in dieserKommission –, dass wir uns künftig auch stärker überdie sicherheitspolitische Ausrichtung unseres Landesund der EU unterhalten müssen, statt jedes einzelneMandat im Detail zu beleuchten.Es gehört aus meiner Sicht ganz intensiv dazu, dasswir für den Balkan Stabilität schaffen. Das kann dahinführen, dass das KFOR-Hauptquartier auf längere Sichtzu einem gemeinsamen Hauptquartier unter Beteiligungder sechs Staaten des westlichen Balkans, die noch nichtMitglied der EU sind, wird, dass wir also Inklusivitätvorantreiben, dass wir dabei den Aussöhnungsprozessvorantreiben und Rechtsstaatlichkeitsmissionen unter-stützen. Dazu gehört übrigens, dass auch EULEX denAnsprüchen, die wir an diese Länder stellen, gerechtwerden muss und dass wir auch im Bereich von EULEXKorruptionsbekämpfung im eigenen Hause stärker durch-setzen müssen.
Wenn es um die Sicherheit geht, müssen wir auch aufdie Bereiche wirtschaftliche Stabilität, Arbeitslosigkeitund Korruptionsbekämpfung setzen. Das machen wir,indem wir Aussöhnungsprogramme unterstützen und in-dem wir Bildungsprogramme unterstützen. Wir solltenuns auch parlamentarisch Gedanken machen – dabeisollten wir allerdings nicht der uneingeschränkten Visa-liberalisierung das Wort reden –, wie wir ganz gezielt be-stimmte Bevölkerungsgruppen, Wissenschaftler undUnternehmungen mit Visaerleichterungen unterstützenkönnen, um den Austausch der jungen Generation mitMitteleuropa fortzusetzen und zu befördern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchteabschließend sagen: Mit KFOR stabilisieren wir die Re-gion. Mit KFOR schaffen wir auch den Anker für einestärkere sicherheitspolitische Integration. Aber die zivil-gesellschaftlichen Anstrengungen, wie wir sie 2003 inThessaloniki beschlossen haben, müssen zukünftig zu-nehmend in den Vordergrund. Überlassen wir den Bal-kan nicht reaktionären Gestaltungsmächten. Gestaltenwir selbst als Deutsche und als Europäer.Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kiesewetter,ich möchte zwei Aussagen von Ihnen nicht unwiderspro-chen hier stehenlassen. Ich glaube auch, dass Sie selberIhre Aussagen nicht zu Ende gedacht haben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10887
Wolfgang Gehrcke
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– Ja, ich glaube es. Das muss ja nicht so sein.Die Aussage, dass der Erste Weltkrieg seinen Aus-gangspunkt auf dem Balkan gehabt hat, ist derartig skan-dalös, weil sie die militante, aggressive Politik des Deut-schen Kaiserreiches ausblendet.
Die deutsche Großmachtpolitik, Flottenaufrüstungspro-gramme und die Unterdrückung der inneren Oppositionin Deutschland sind die Ausgangspunkte. 1933 hatteauch seinen Ausgangspunkt in 1914, letztendlich auchder Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.Wer Geschichte so umfälscht, wie es gerade passt, tutsich selbst und unserem Land überhaupt keinen Gefal-len. Anzuerkennen, dass der deutsche Militarismus fürden Ersten Weltkrieg verantwortlich ist, ist das Min-deste, was gemeinsame Einstellung hier im Hause seinmuss.
– Es war das Argument eines Teiles der Sozialdemokra-tie, dass der Erste Weltkrieg geführt worden ist, um denrussischen Zaren zu stürzen. Dieses Argument ist zig-fach widerlegt worden, lieber Kollege Mützenich. LesenSie einmal die Protokolle der Zimmerwalder Konferenznach. Das lohnt sich heute. Das waren noch Sozialdemo-kraten und nicht Angepasste.Das zweite Argument – ich bitte Sie, ernsthaft da-rüber nachzudenken – ist: Wollen Sie wirklich ein Parla-ment, das Opposition nicht mehr will?
Soll die große Übereinstimmung im Parlament, die Sieausgerufen haben, die Regel werden? Wer den Wider-spruch nicht will, der will keine Demokratie. Das ist dasEntscheidende. Widerspruch hat etwas mit Demokratiezu tun. Das verfechte ich.
Die vielen Menschen in unserem Land – mittlerweileist es die Mehrheit –, die keine deutschen Militäreinsätzewollen, müssen im Parlament eine Vertretung haben, da-mit Demokratie in diesem Land eine Chance hat.
Denken Sie bitte einmal über die beiden Aussagen nach.
Zur Erwiderung gebe ich dem Kollegen Roderich
Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten
Damen und Herren, wenn Sie mir genau zugehört hätten
– ich glaube, das ist Ihnen in der Geräuschkulisse Ihrer
Fraktion nicht gelungen –, hätten Sie gehört, dass ich ge-
sagt habe: einer der Ausgangspunkte. Das Attentat von
Sarajevo war der Auslöser. Darüber, dass die Ursachen
vielfältig sind, sind wir uns einig. Aber der serbische Na-
tionalismus seinerzeit war der wesentliche Punkt, der die
anderen Kräfte in den Krieg getrieben hat.
Vielleicht haben Sie das Buch Die Schlafwandler von
Christopher Clark nicht gelesen. Es arbeitet in herausra-
gender Art und Weise heraus, wie die Ursachen waren.
Lassen wir das einmal ganz beiseite. Ich weiß, woher Sie
kommen, und ich habe Respekt vor Ihrer Sozialisation.
Der zweite Punkt, den Sie genannt haben, ist noch
deutlich gravierender. Wenn eine Opposition ihre Rechte
wahrnehmen möchte, dann hört sie zu und setzt gezielt
Akzente,
dann begeistert sie den Rest des Parlaments, nämlich die
Mehrheit, mit Initiativen, dann beteiligt sie sich an ent-
scheidenden Punkten.
Sie haben sich an der Rühe-Kommission nicht betei-
ligt. Sie haben sich auch in nachträglichen Bereichen
verweigert. Sie haben allerdings Gespräche mit den Re-
präsentanten der Kommission, Volker Rühe und Walter
Kolbow, geführt, denen ich beiden an dieser Stelle aus-
drücklich danke. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mir Ge-
legenheit geben, den Dank an diese beiden deutlich aus-
zusprechen.
Lassen Sie mich abschließen. Wenn Sie als Opposi-
tion konstruktiv mitwirken wollen, dann übernehmen
Sie die Aufgabe, zu kontrollieren. Diese Rechte haben
Sie; sie werden durch die Rühe-Kommission sogar noch
eindeutig gestärkt. Es hilft uns hingegen überhaupt nicht,
wenn Sie Beiträge anderer durch Getöse, Lärm und zeit-
weise auch durch das Hochhalten von Plakaten unterbin-
den. Das ist keine Oppositionsarbeit, das ist Polemik.
Herzlichen Dank.
Nachdem die historischen Streitfragen unterschied-lich dargestellt wurden, darf ich darum bitten, demnächsten Redner zu lauschen. – Danke schön.Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-ordneten Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
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10888 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Dr. Tobias Lindner
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Debatten über die Rühe-Kommission und über die Ursa-chen des Ersten Weltkrieges mögen spannend sein, aberich möchte mich in meinem Beitrag mit dem KFOR-Mandat befassen.Das Mandat geht in das 17. Jahr. Ich selbst bin33 Jahre alt; der Einsatz der Bundeswehr im Kosovodauert also schon fast die Hälfte meines Lebens an. Prüf-stein für uns muss sein: Was bedeuten 17 Jahre Einsatzder Bundeswehr im Kosovo? Der lange Einsatz machtdeutlich: Man benötigt Jahre, teilweise Jahrzehnte, umdas, was in Wochen und Monaten zerstört werden kann,um das Chaos, das in einer so kurzen Zeit verursachtwerden kann, um das, was Gewalt anrichten kann, wie-der in den Griff zu kriegen.Eine Debatte über ein Mandat, das so lange existiert,darf kein Selbstzweck sein, keine jährliche Selbstverge-wisserung, dass alles okay ist. Vielmehr müssen wir unsfragen: Was ist in dieser Zeit erreicht worden? WelcheProbleme liegen vor uns? Was ist nicht erreicht worden?Wo liegt der Schlüssel für die Lösung der Probleme?Es bleibt festzustellen: Seit 1999 hat die Rolle desMilitärs im Kosovo stetig abgenommen, und das ist einErfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Im Jahr 1999 hat die Bundesregierung noch eine Ober-grenze von 8 500 Soldatinnen und Soldaten beantragt.Derzeit befinden sich 773 deutsche Bundeswehrsoldatin-nen und -soldaten im Einsatz im Kosovo, denen ich andieser Stelle, ich denke, im Namen vieler Kolleginnenund Kollegen, für ihren Dienst danken möchte.
2009 hat die NATO im Zuge eines mehrstufigen Pro-zesses mit einer Reduktion der KFOR-Truppen begon-nen. Es ist bedauerlich, dass diese Reduktion nach erstenUnruhen im Jahr 2011 ausgesetzt werden musste. MeineFraktion begrüßt es ausdrücklich, dass die NATO in die-sem Jahr den Prozess der Truppenreduktion wieder vo-ranbringen will, indem sie nicht mehr an starren Zielmar-ken zur Reduktion festhält, sondern nun einen flexiblenProzess beginnen will. Wir begrüßen, dass in diesemJahr mit der Freigabe solcher ersten Reduzierungs-schritte zu rechnen ist. Auch das ist ein Fortschritt, liebeKolleginnen und Kollegen.
Wir reden in dieser Debatte – Kollege Kiesewetter hates angesprochen – über die notwendigen zivilen Schritteund darüber, dass der Schlüssel für die Lösung der Pro-bleme in dieser Region das Haus Europa ist. Ich will indiesem Zusammenhang deutlich sagen: Ja, es muss einEnde haben, dass fünf Staaten der Europäischen Unionnach wie vor das Kosovo nicht anerkennen. Ja, beide Staa-ten, Serbien und das Kosovo, benötigen eine Beitrittsper-spektive hin zur Europäischen Union.Uns muss eines klar sein: Militärische Intervention istnicht zwingend die Lösung für die Probleme. Es brauchtaber nach wie vor einen Rahmen für ziviles Wirken, derdurch das KFOR-Mandat gesetzt wird.
Deshalb fordern wir als Grüne in unserem Entschlie-ßungsantrag die Bundesregierung auf, weitere Schrittezu unternehmen und sich stärker als bisher zu engagie-ren: für eine zivile Lösung, für weitere Gespräche, für ei-nen Weg in das Haus Europa für das Kosovo und Ser-bien.Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehrgeehrten Damen und Herren, wird meine Fraktion amheutigen Tag auch der Verlängerung dieses Mandats zu-stimmen.Ich danke Ihnen.
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich
das Wort der Abgeordneten Gisela Manderla, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich wiederhole es noch einmal: Deutschlandträgt seit 16 Jahren über seine Beiträge an NATO undEU-Kommission substanziell zur Stabilisierung diesesjungen Landes Kosovo und der Gesamtregion bei.Ich will an dieser Stelle noch einmal daran erinnern,was die internationale Gemeinschaft Ende der 90er-Jahre zu diesem Einsatz bewogen hat. Auf der Basis derResolution 1244 des UN-Sicherheitsrates ging es umnicht weniger als die unmittelbare Beendigung derkriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Ko-sovaren und Serben, um die Beendigung von Vertrei-bung und Barbarei auf dem Balkan. Das, liebe Kollegenund Kolleginnen, dürfen wir zu keinem Zeitpunkt ver-gessen.
Erinnern wir uns noch einmal an jene Zeit: an die Ohn-macht angesichts der Rückkehr des Krieges nach Eu-ropa, an die Brutalität, mit der die verschiedenen Ethnienübereinander herfielen, und an die ethnischen Säuberun-gen ganzer Landstriche. Wenn man sich diese Szenen inErinnerung ruft und dies dann mit der heutigen Situationvergleicht, kann man eigentlich nur zu einer vernünfti-gen Wahrnehmung kommen: Unser Einsatz, der Einsatzinternationaler Streitkräfte zur Beendigung dieses grau-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10889
Gisela Manderla
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samen Krieges, war richtig, und er war wichtig, meineDamen und Herren.
Die Bundeswehr war dabei seit Anbeginn ein robusterund verlässlicher Eckpfeiler der internationalen Sicher-heitspräsenz. Deutlich mehr als 120 000 Soldatinnenund Soldaten haben mittlerweile im Auftrag dieses Par-laments ihren Beitrag geleistet zu einem friedlicheren,demokratischen, rechtsstaatlichen und vor allen Dingenauch multiethnischen Kosovo; ihnen allen danke ich aus-drücklich für ihren wertvollen Einsatz.
Mit gegenwärtig circa 773 Einsatzkräften vor Ort, wieKollege Dr. Lindner bereits festgestellt hat, stellt dasKFOR-Kontingent den zweitgrößten Auslandseinsatzder Bundeswehr dar, knapp hinter Resolute Support, derTrainingsmission in Afghanistan. Was die Mandatsober-grenze anbetrifft, ist KFOR sogar der mit Abstandgrößte Einsatz. Diesen Umstand darf man nicht unter-schätzen; schließlich lag gerade in den letzten Jahren derFokus der öffentlichen Wahrnehmung eher auf demdeutschen Einsatz in Afghanistan.Dabei war die in weiten Teilen positive Entwicklungim Kosovo keineswegs selbstverständlich. Es ist in denvergangenen Jahren gelungen, die KFOR mehr undmehr aus der ersten Reihe zurückzunehmen und sie zu-nehmend mit sekundären Aufgaben zu betrauen. Siewirkt mittlerweile oft als stiller Vermittler im Hinter-grund. Viele Sicherheitsaufgaben, etwa der Schutz vonserbischen Denkmälern oder Klöstern, werden mittler-weile in Eigenregie von der kosovarischen Polizei aus-geführt.Als echter Meilenstein im Annäherungsprozess zwi-schen Serbien und Kosovo gilt das Normalisierungsab-kommen zwischen beiden Ländern, das im April 2013unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen war ein echterDurchbruch und wird mittlerweile in beiden Ländernvon einer immer breiteren politischen, vor allen Dingenaber von einer zivilgesellschaftlichen Mehrheit getragen.Es trägt wesentlich zu einer Normalisierung der nachbar-schaftlichen Beziehungen bei. Die konkreten Fortschritte,die seitdem erzielt wurden, dürfen durchaus optimistischstimmen, zum Beispiel der Abbau der illegalen Parallel-strukturen im mehrheitlich serbisch bewohnten Nord-kosovo und deren Eingliederung in die kosovarischeStaatsverwaltung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe im letztenJahr das deutsche KFOR-Kontingent besucht. Ich will andieser Stelle klar festhalten: Eine ganze Reihe von Fra-gen sind immer noch nicht oder nur unzureichend gelöst.Die kosovarische Regierung muss weiter hart daran ar-beiten, tragfähige Strukturen zu implementieren, um inder Bevölkerung ein belastbares Vertrauen in die eigeneRegierungs- und Handlungsfähigkeit herzustellen. Hierist noch ein langer Weg zurückzulegen. Denn, meine Da-men und Herren, ohne Vertrauen und Verlässlichkeit istkein Staat zu machen.Korruption, organisierte Kriminalität und unzurei-chende Rechtsstaatlichkeit müssen noch entschlossenerals bisher bekämpft werden. Die Rechtsstaatlichkeits-mission der EU – EULEX Kosovo –, die den Aufbauvon Polizei, Justiz und Verwaltung im Kosovo aktiv be-gleitet, ist daher genauso bedeutsam wie das KFOR-Mandat. Auch EULEX muss seine Strukturen überprü-fen und darf keinen Anlass für Korruptionsverdacht bie-ten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, unser langfristiges Ziel bleibt eindauerhaft friedlicher, mit einer realen europäischen Per-spektive ausgestatteter westlicher Balkan. Das KFOR-Mandat bildet auf absehbare Zeit die richtige Plattform,um – mit Blick auf die militärische Komponente des Ge-samtkonzeptes – angemessen reagieren zu können. Ichbitte Sie deshalb um Zustimmung für das anstehendeMandat.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu demAntrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deut-schen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä-senz im Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/5248, den Antragder Bundesregierung auf Drucksache 18/5052 anzuneh-men.Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind diePlätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich er-öffne die namentliche Abstimmung.Sind noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal, dieihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Das istnicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekannt ge-geben.1)Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Da-men und Herren Parlamentarische Geschäftsführer, ihrePlätze einzunehmen, damit alle wissen, wie sie abstim-men müssen. – Wir stimmen jetzt über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/5260 ab. Wer stimmt für den Entschlie-ßungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Entschlie-ßungsantrag abgelehnt. Für ihn haben gestimmt die Grü-nen, dagegen haben gestimmt CDU/CSU-Fraktion,SPD-Fraktion und Fraktion Die Linke.1) Ergebnis Seite 10892 C
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Vizepräsident Peter Hintze
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneterdeutscher Streitkräfte an der Multidimensio-nalen Integrierten Stabilisierungsmission derVereinten Nationen in Mali aufGrundlage der Resolutionen 2100 und2164 des Sicherheitsrates der VereintenNationen vom 25. April 2013 und 25. Juni2014Drucksachen 18/5053, 18/5250– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 18/5251Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-schusses werden wir, wie angekündigt, in circa 25 Minu-ten namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-teile ich das Wort der Abgeordneten Gabi Weber, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Mali hat seit Erlangung seiner Unab-
hängigkeit im Jahre 1960 mit sozialen und politischen
Problemen zu kämpfen.
2012 eskalierte die Situation im Norden. Glücklicher-
weise konnten die Franzosen den Konflikt eindämmen.
Seit 2013 unterstützt die UN-Mission MINUSMA die
Stabilisierungsbemühungen. Die Bundeswehr beteiligt
sich an MINUSMA, indem sie Kapazitäten zum Luft-
transport und zur Betankung bereithält und sich in der
Missionsführung engagiert.
Frau Kollegin, einen Moment. – Hier wird gebeten,
den Lautsprecher lauter zu stellen. Es wäre natürlich gut,
wenn Sie selber etwas leiser würden.
Dann könnten wir nämlich der Rednerin zuhören. Wer
etwas Wichtiges zu besprechen hat – ich kann eigentlich
nicht glauben, dass es etwas Wichtigeres gibt –, kann das
bitte draußen tun. – Frau Kollegin, fahren Sie einfach
fort.
Vielen Dank, Herr Präsident.Ein Erfolg der Mission ist, dass Mitte Mai endlich einFriedensabkommen seitens der Regierung und einigerregierungsfreundlicher Gruppen, der sogenannten Platt-form, unterzeichnet wurde. Am morgigen Samstag wollenauch die regierungskritischen Gruppen, zusammengefasstin der „Coordination“, das Abkommen unterschreiben.Darüber bin ich sehr glücklich. Dieser Erfolg wecktHoffnungen, dass endlich, nach mehreren konfliktrei-chen Jahrzehnten, die Probleme des Landes angegangenwerden können. Das ist ein großer Erfolg, der ohne dieBemühungen von MINUSMA und anderen, nämlichEUTM Mali und EUCAP Mali, sicher nicht erreichtworden wäre.Aber, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, wirsollten dennoch zurückhaltend bleiben. Nicht die Unter-schrift, sondern die Verwirklichung des Abkommenswird entscheidend sein. Die politischen Forderungen desAbkommens nach stärkerer Dezentralisierung müssenvon den Vertragspartnern gemeinsam umgesetzt undauch garantiert werden.Die politischen Institutionen Malis sind seit Jahrzehn-ten sehr schwach. Das bedeutet, dass sich auch nach demFriedensschluss eine Verbesserung der Sicherheitslageim Norden nicht automatisch einstellen wird; wir werdenweiter mit terroristischen Anschlägen und hoher Krimi-nalität rechnen müssen. Langfristig umso wichtiger ist esdaher, von internationaler Seite Hilfe anzubieten. Wirsind Bestandteil dieser internationalen Hilfe, und das istgut so.
Militärisch unterstützen wir MINUSMA aktuell mitacht Soldaten in den Bereichen Aufklärung und Analysesowie im Hauptquartier. Darüber hinaus sind siebenPolizisten im Rahmen der UN-Polizei und der Beratungder malischen Behörden zur Bekämpfung organisierterKriminalität eingesetzt.In der Mandatsbegründung bezeichnet die Bundes-regierung Mali als einen „Schwerpunkt des deutschen si-cherheitspolitischen Engagements in Afrika“. DiesenAnspruch sollten wir ernst nehmen. Das ZIF hat Vor-schläge unterbreitet, inwieweit wir im Rahmen des be-stehenden Kontingents – das sind wesentlich mehr alsacht Soldatinnen und Soldaten – und gemeinsam mit un-seren europäischen Nachbarn weitere Aufgaben über-nehmen könnten.Wie Sie wissen, richtet sich mein Blick bei jederMandatsdebatte auch auf die entwicklungspolitischenMaßnahmen. Die staatlichen Organisationen GIZ undKfW sind zurzeit in drei Bereichen besonders aktiv: De-zentralisierung und gute Regierungsführung, Förderungder Landwirtschaft sowie Trinkwasserversorgung. Dane-ben kommt der nichtstaatliche Sektor ins Spiel. Bei-spielsweise setzt sich der Deutsche Hochschulverbandfür eine Verbesserung der Alphabetisierung ein. DieseProgramme werden gepaart mit der Schaffung von Ar-beitsplätzen und erzielen umgehend eine positive und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10891
Gabi Weber
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spürbare Verbesserung für die Bevölkerung. Das ist we-sentlich, und es ist ein gutes Beispiel, wie Entwicklungs-zusammenarbeit die zivile Krisenprävention unterstüt-zen kann.
Es gibt aber auch einen Wermutstropfen: Im letztenJahr haben wir über das EZ-Budget 130 Millionen Euroin Mali eingesetzt und weitere 25 Millionen Euro fürnichtstaatliche Hilfsorganisationen. In diesem Jahr wer-den diese Mittel leider ganz massiv zurückgefahren. DieSondermittel werden reduziert. Diese Reduzierung wirdleider nicht aufgefangen. Das ist ein Riesenproblem. Wirhaben gestern eine Debatte darüber geführt, wie wir dieEntwicklungszusammenarbeit mit Afrika verstärkenkönnen. An dieser Stelle machen wir aber einen Rück-zug. Das ist ein Zickzackkurs. Dadurch werden unsereBemühungen im Rahmen der Stabilisierungsmission lei-der nicht unterstützt.
Wir brauchen eine stärkere Beteiligung an den Maßnah-men, die in Mali möglich sind. Deswegen müssen dieseSondermittel wieder zur Verfügung stehen.
Herr Präsident, ich möchte abschließend ein paarWorte zum Thema Flüchtlinge sagen; denn auch diesesThema spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Inden vergangenen Wochen hat sich die Lage im NordenMalis leider wieder verschlechtert. Aus Timbuktu muss-ten 50 000 Menschen fliehen. Im Moment sind in denNachbarländern aufgrund des Konflikts weitere135 000 Menschen als Flüchtlinge unterwegs. Zugleichdebattieren wir in Europa darüber, welche Länder wieviele Flüchtlinge aufnehmen können, die es durch dieSahara und über das Mittelmehr hierher geschafft haben.Viele dieser Menschen kommen auch aus Mali. Sie sindauf der Flucht vor Bedrohungen und auf der Suche nacheinem wirtschaftlich besseren Leben. Das zeigt, wiewichtig es ist, dass wir hier in Europa die Initiative er-greifen und gemeinsam mit den anderen Europäern ver-nünftige Regelungen finden, wer Verantwortung für dieFlüchtlinge in Europa übernimmt. Ich denke, wir sindmit einem guten Beitrag dabei und können die Debattenochmals anstoßen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir verlängernheute das Mandat für MINUSMA – hoffentlich. Klar ist,dass der Konflikt und seine Auswirkungen mit militäri-schen Mitteln allein nicht zu lösen sind. Entwicklungs-politik und Diplomatie haben gleiche Anteile an diesemProzess.Sicherheitspolitisch: MINUSMA kann einen wichti-gen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage undzur Einhaltung des Friedensvertrages leisten.Entwicklungspolitisch: Wir kommen nicht umhin, dasNiveau der EZ weiterhin hochzuhalten, auch wenn wirnoch keinen Weg gefunden haben, das 0,7-Prozent-Zielzu erreichen.Diplomatisch: Unser Außenminister Frank-WalterSteinmeier hat gemeinsam mit den AußenministernFrankreichs und Italiens Anfang dieser Woche die Euro-päer aufgerufen, die Herausforderungen, die sich aus derMigration ergeben, gemeinsam mit den Afrikanern zulösen. Gerade Deutschland kann hierzu einen gewichti-gen Beitrag leisten, der nicht zuletzt den freundschaftli-chen deutsch-malischen Beziehungen gerecht wird. Ichbitte Sie daher um Ihre Unterstützung für dieses Mandat.Danke.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UN-Mission MINUSMA soll seit 2013 die Lage in Mali sta-bilisieren und die Sicherheit unterstützen. Wenn dieBundesregierung diesen Maßstab ernst nehmen würde,müsste sie einräumen: MINUSMA ist eben keine Er-folgsgeschichte. Im Norden Malis herrschen weiter be-waffnete Konflikte, und die UN-Truppe steckt mitten-drin. In den letzten drei Monaten gab es 40 Angriffe aufMINUSMA; die Mission gilt als eine der gefährlichstenUN-Missionen überhaupt.Um es plastisch zu machen: Im Januar haben hollän-dische MINUSMA-Soldaten mit Apache-Kampfhub-schraubern im Nordosten von Mali ein Fahrzeug von Re-bellen angegriffen und dabei mindestens sieben Tuareggetötet. Die Gefechte dauerten Stunden an. Ebenfalls imJanuar gab es Demonstrationen von Jugendlichen gegenMINUSMA. MINUSMA-Polizisten schossen in dieMenge, es gab drei Tote. MINUSMA wird zunehmendals Konfliktpartei angesehen.
Ich glaube, es muss doch klar sein, dass es Ihnen hiermitnichten um die Menschen und um Menschlichkeitgeht. MINUSMA ist in Wirklichkeit ein Teil eines vielgrößeren militärischen Engagements, das unter französi-scher Führung steht. Paris geht es insbesondere um dieSicherung des Uranabbaus in der Region und um dieVormachtstellung in der Region. Es geht darum, in Malieine Regierung zu stabilisieren, die dem Westen genehmist. Da will die Bundesregierung nicht hintenanstehen.Das machen wir nicht mit.
Wenn die Bundesregierung von Stabilisierung spricht,dann meint sie auch den Aufbau der malischen Armee.Doch die bewaffneten Kräfte des Staates Mali sind selbst
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Christine Buchholz
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Teil des Problems. Im letzten Jahr haben malische Ge-fechtsverbände, die unter anderem von der Bundeswehrausgebildet wurden, die Tuareg-Stadt Kidal angegriffen.80 Tote waren die Folge. Vor vier Wochen haben Solda-ten der malischen Armee im Nordosten des Landes lautAgenturmeldungen neun Zivilisten hingerichtet, darun-ter einen 13-jährigen Jungen und Mitarbeiter einer fran-zösischen Hilfsorganisation. Die Linke sagt: Problemein Mali können nicht militärisch gelöst werden.
Die meisten Malier sind bitterarm. Das ist das Haupt-problem in diesem Land. Auch der Konflikt im Nordenwird durch Armut und Perspektivlosigkeit befeuert. Dienordmalische Abgeordnete Aicha Belco Maiga sagte,dass die Lage katastrophal ist: „Es gibt keine Medika-mente, … es fehlt an Nahrungsmitteln und Trinkwasser.Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule.“ Wie wenig diesozialen Probleme der Bevölkerung für die Bundesregie-rung eine Rolle spielen, wird auch am Umgang mit denmalischen Flüchtlingen deutlich. Zweieinhalb Jahrenach Beginn der Militäroperationen sitzen immer noch135 000 malische Flüchtlinge in Lagern im Ausland fest;die Kollegin Weber hat es angesprochen. Ihnen mussendlich geholfen werden.
Doch, Frau Weber, die Bundesregierung wird jetzt ak-tiv gegen die Migration in Richtung Europa und nichtfür die Flüchtlinge. Außenminister Steinmeier hat er-klärt, die Mission EUCAP in Mali ausweiten zu wollen.Dabei sollen malische Polizei, Nationalgarde und Gen-darmerie befähigt werden, wie es heißt, „illegale Migra-tion“ in Richtung Europa zu verhindern. Aber es gibt garkeine sicheren legalen Migrationswege nach Europa.Das heißt, alles läuft wieder auf die Bekämpfung derFlüchtlinge hinaus. EU und Bundesregierung bekämpfenFlüchtlinge, nicht Fluchtursachen. Das ist schäbig.
Als ich im vergangenen November in Mali war, trafich viele Menschen, die für die Verbesserung der sozia-len Lage im Land und für ihre eigenen Rechte kämpfen.Ein Generalstreik im August hat zur Anhebung des Min-destlohns um 30 Prozent geführt. Das alles sind ermuti-gende Schritte aus der malischen Zivilgesellschaft. DieLinke befürwortet zivile Projekte, die ihren Namenwirklich verdient haben. Und: Wir unterstützen die mali-sche Bevölkerung in ihrem Kampf für Würde.
Was wir nicht tun, ist, diesem Bundeswehreinsatz zuzu-stimmen.Vielen Dank.
Unsere Schriftführerinnen und Schriftführer warensehr schnell. Ich gebe Ihnen daher jetzt das von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-trag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschenBeteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz inKosovo auf der Grundlage der Resolution 1244
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwi-schen der internationalen Sicherheitspräsenz
und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien
und der Republik Serbien vom
9. Juni 1999“, Drucksachen 18/5052 und 18/5248, be-kannt: abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben gestimmt532, mit Nein haben gestimmt 60, Enthaltungen 7. DieBeschlussempfehlung ist damit angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 599;davonja: 532nein: 60enthalten: 7JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus Grübel
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10893
Vizepräsident Peter Hintze
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Manfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja Schmitt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerLothar Binding
Burkhard BlienertDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot Erler
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10894 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Vizepräsident Peter Hintze
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Petra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr. Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinSPDKlaus BarthelDr. Ute Finckh-KrämerDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10895
Vizepräsident Peter Hintze
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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHans-Christian StröbeleEnthaltenSPDPetra Hinz
Waltraud Wolff
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika LazarPeter MeiwaldBeate Müller-GemmekeLisa PausCorinna Rüffer
Ich erteile nun als nächstem Redner in dieser Debattedem Abgeordneten Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Frak-tion, das Wort.
Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Frau
Buchholz, ich möchte kurz auf das eingehen, was Sie ge-
sagt haben. Keiner der bisherigen Redner, die sich für
die Verlängerung dieses Mandats ausgesprochen haben,
hat in irgendeiner Form behauptet, dass wir diesen Kon-
flikt militärisch lösen können.
Wenn die Linke also klatscht, wenn gesagt wird: „Wir
wollen den Konflikt mit politischen Maßnahmen lösen“,
dann sind wir genau dieser Meinung; da können Sie sich
uns gerne anschließen. Auch wir sind der Meinung, dass
man diesen Konflikt nur politisch lösen kann und eben
nicht militärisch.
Allerdings: Die Zwischenfälle, die Sie aufgezählt ha-
ben, sind sehr, sehr ernst zu nehmen, und sie beschäfti-
gen uns natürlich. Aber ohne MINUSMA würde es nicht
bei diesen Zwischenfällen bleiben, sondern dann hätten
wir einen Flächenbrand. MINUSMA bringt uns über-
haupt erst in die Lage, die Entwicklungszusammenarbeit
zu vertiefen, Staatlichkeit aufzubauen und das Land wie-
der an den Verhandlungstisch zu bringen. Das ist ja ge-
lungen.
In Ihrem ganzen Beitrag haben Sie außer Acht gelas-
sen, dass der Versöhnungsprozess innerhalb des Landes
mittlerweile sehr große Fortschritte macht.
Daran hat auch MINUSMA einen Anteil; gar keine
Frage. Ohne MINUSMA wäre das nicht zustande ge-
kommen, ohne unser großes politisches Engagement da-
rüber hinaus auch nicht.
Im Bereich der Krisenprävention sind wir mehr als je
zuvor tätig. Wir haben Ausstattungshilfeprogramme für
die malischen Streitkräfte auf den Weg gebracht, um dort
wieder Staatlichkeit hinzubekommen. Polizei und Si-
cherheitskräfte werden im Rahmen von EU-Missionen
und VN-Missionen nach unseren Maßstäben ausgebil-
det. Die Entwicklungszusammenarbeit habe ich schon
angesprochen.
Darüber hinaus versuchen wir, die Konfliktursachen
anzugehen. Wir müssen die staatlichen Strukturen in die
Lage versetzen, mit der Bevölkerung in Kontakt zu tre-
ten. Wir haben ein Programm aufgelegt, in dessen Rah-
men Trainingskurse für Polizeikräfte durchgeführt wer-
den. Wir haben ein Programm aufgelegt, das eine
Professionalisierung der Medien zum Ziel hat, damit die
Kommunikation wieder funktionieren kann und die
Leute nicht auf einzelne örtliche Stammesgruppen oder
andere Rattenfänger, die versuchen, dort Unruhe zu stif-
ten, hereinfallen. Das alles ist nur möglich, weil wir ei-
nen Gesamtansatz gewählt haben; das ist uns nicht
leichtgefallen.
Keiner von uns ist gerne dabei, wenn es darum geht,
Soldaten in gefährliche Einsätze zu schicken. Aber als
unsere französischen Partner uns gefragt haben, ob wir
ihnen zur Seite stehen würden – sie haben dort die Lead-
Funktion übernommen –, haben wir nicht Nein gesagt,
sondern wir haben gesagt, dass wir unter den Bedingun-
gen, die ich genannt habe, bereit sind, unser Engagement
über das Politische hinaus um eine militärische Kompo-
nente zu ergänzen. Das verstehe ich unter Verlässlich-
keit, auch im Bündnis mit unseren französischen Freun-
den, meine Damen und Herren.
Die Lage – das haben Sie richtig beschrieben – ist
nach wie vor sehr fragil; gar keine Frage. Wir haben am
7. März dieses Jahres einen Anschlag erlebt, von dem
auch Ausländer beinahe betroffen gewesen wären. Die-
ser Anschlag ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Es gibt
verschiedene Terrorgruppen, die dort aktiv sind. Keiner
weiß so richtig, aus welcher Richtung diese Terror-
gruppierungen kommen. Damit es keinen erneuten Flä-
chenbrand in Mali gibt, damit dieses Land nicht aus-
einanderfällt, ist es notwendig, sich ihm mit großer
Aufmerksamkeit zu widmen. MINUSMA ist im Ver-
bund mit unseren entwicklungspolitischen Maßnahmen
die richtige Antwort. Deshalb plädiere ich für die Fort-
setzung dieses Mandats.
Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. –Bitte schön.
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10896 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Esstimmt: Es ist nicht alles gut für die Menschen in Mali.Nach wie vor ist Mali eines der ärmsten Länder derWelt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind dort5 Millionen Menschen von Hunger bedroht; das ist einDrittel der malischen Bevölkerung. Und, ja, die Sicher-heitslage in bestimmten Gebieten des Nordens von Malihat sich verschlechtert, und sie bietet Anlass zu großerSorge.Meine Damen und Herren, die 2013 eingerichteteMultidimensionale Integrierte Stabilisierungsmissionder Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA – heute be-raten wir die deutsche Beteiligung daran –, gilt mittler-weile leider als eine der gefährlichsten Missionen derWelt. Immer wieder werden auch die Camps vonMINUSMA und Blauhelmsoldaten Ziele von Anschlä-gen. Wir gedenken heute auch der fast 50 Blauhelmsol-daten, die bei ihrem Einsatz für mehr Frieden und Si-cherheit im Mali ihr Leben lassen mussten.Als 2012 eine unheilvolle Allianz aus Rebellengrup-pen, Unabhängigkeitsbewegungen, religiösen Extre-misten und organisierten Kriminellen den Norden desLandes unter ihre Kontrolle brachte, dort ein Schre-ckensregime errichtet hat und dann auch noch den Restvon Mali erobern wollte, hat die internationale Gemein-schaft entschlossen reagiert, und zwar auf einen dramati-schen Hilferuf aus der malischen Hauptstadt selbst. Manhat sich nicht darauf beschränkt, die Gewalttäter zurück-zudrängen und aus dem Norden zu vertreiben, sondernman wollte die Probleme in Mali im Anschluss umfas-send angehen; denn die Krise im Jahre 2012 hat auch of-fenbart, dass die malische Zentralregierung extremschwach ist und dass sich die Sicherheitskräfte in einemdesolaten Zustand befinden.Die Europäische Union, die westafrikanische Wirt-schaftsgemeinschaft ECOWAS, die Afrikanische Unionund die Vereinten Nationen haben eine Vielzahl vonMaßnahmen und auch mehrere Missionen auf den Weggebracht, um diese Probleme anzugehen, und das warrichtig und notwendig.
MINUSMA ist eine dieser Maßnahmen. Ihre Aufgabe istes nicht, jemanden militärisch zu bekämpfen, sondernbesteht vor allem darin, die Zivilbevölkerung zu schüt-zen, die Menschenrechte zu fördern und staatliche Insti-tutionen und die Polizei zu stärken.
Eine besonders wichtige Aufgabe von MINUSMA ist es,den Dialog und den Versöhnungsprozess zwischen denverschiedenen Gruppen zu begleiten.Frau Kollegin Buchholz, Sie haben völlig recht: Es istvöllig inakzeptabel, dass MINUSMA-Angehörige ineine Menge von Demonstranten schießen und dadurchZivilistinnen und Zivilisten ums Leben kommen. Sie sa-gen an diesem Pult aber immer nur die Hälfte der Wahr-heit, nämlich das, was in Ihre Logik passt.
Dass die Vereinten Nationen diesen Vorfall sehr ernst ge-nommen und sofort untersucht haben, die drei Schuldi-gen dafür ausgemacht und für das Strafverfahren in ihreHeimatländer geschickt haben, haben Sie hier nicht er-zählt. Das gehört aber zur Wahrheit dazu.
Die meisten Soldatinnen und Soldaten, die Polizeian-gehörigen und auch die zivilen Expertinnen und Exper-ten leisten im Rahmen dieser Mission einen sehr wichti-gen Beitrag für mehr Frieden und Sicherheit in Mali.Dafür sind wir auch als Grüne sehr dankbar.Auch wenn die Zunahme an Gewalt im Norden vonMali wirklich großen Anlass zur Sorge bietet, ist dortnicht alles düster. In den letzten Jahren konnten Präsi-dentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen statt-finden. Die Menschenrechtslage hat sich verbessert, auchwenn es dort immer noch gravierende Probleme gibt,und 200 000 Flüchtlinge konnten mittlerweile zurück-kehren. Was besonders wichtig ist und großen Anlass zurHoffnung gibt, ist, dass es nach langen und schwierigenVerhandlungen endlich gelungen ist, ein Friedensabkom-men zwischen der Zentralregierung und vielen Gruppenim Norden von Mali zu verhandeln. Dieses Abkommenist die erste Grundlage dafür, dass die Konflikte zwi-schen dem Norden und dem Süden in Zukunft nichtmehr mit Gewalt, sondern im Rahmen eines Dialogesund von Verhandlungen ausgetragen werden, sodass da-rauf basierend endlich ein Versöhnungsprozess beginnenkann.Meine Damen und Herren, für die Menschen in Maliwäre es schlecht, wenn wir heute gegen dieses Mandatstimmten. Man muss bedenken: So lange die Verhand-lungen über dieses Friedensabkommen auch gingen undso schwierig sie waren, die größte Herausforderung stehtnoch an; denn dieses Abkommen muss umgesetzt und inkonkrete Politik gegossen werden. Das ist eine noch vielgrößere Herausforderung. Dafür, dass sich die Hoffnungder Menschen in Mali auf einen nachhaltigen Friedenund echte Sicherheit erfüllt, braucht es MINUSMA,braucht es mehr deutsches Engagement und auch mehrEngagement der Vereinten Nationen.Vielen Dank.
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ichder Abgeordneten Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10897
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! MINUSMA ist das kleinste Mandat, über das
wir heute reden. Nur acht Soldaten sind zurzeit in Mali;
es könnten 150 sein. Warum beschäftigen wir uns so in-
tensiv mit diesem Thema? Egal wie groß der Einsatz ist
und wie viele Soldaten im Ausland sind: Jeder Einzelne
hat es verdient, dass wir uns intensiv Gedanken über
seine Sicherheit machen
und über die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes.
Auf der Grundlage von sozialen, wirtschaftlichen und
politischen Indikatoren veröffentlicht die amerikanische
NGO The Fund for Peace einmal jährlich einen Index
der fragilen Staaten. Mali belegt in dieser Tabelle mit
178 Nationen den 36. Platz. Das bedeutet: Die Lage ist
alarmierend, aber nicht aussichtslos. Staaten, die noch
schlechter als Mali beurteilt wurden, sind unter anderem
Südsomalia, der Kongo, Tschad und Syrien. Aber Platz
36 ist keineswegs beruhigend. Immer noch befinden sich
135 000 Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. In Europa
halten sich etwa 10 000 malische Flüchtlinge auf. „Eu-
ropa oder Tod“, so hat ein junger Flüchtling seine Situa-
tion in der Tagesschau beschrieben. Wir wissen, dass für
viele der Flüchtlinge die Flucht mit dem Tod endet. Vor
diesem Hintergrund müssen wir die Frage beantworten,
warum wir Soldaten nach Mali schicken.
Natürlich ist es zuallererst sinnvoll, dass Menschen in
Freiheit und Sicherheit leben können. Wir haben in den
letzten Wochen und Monaten immer wieder über die
Flüchtlinge und ihre Situation gesprochen. Auch Sie,
Frau Buchholz, haben ja gesagt: Wir wollen die Flucht-
ursachen bekämpfen. – Aber das geht doch nur, indem
wir für Sicherheit und Stabilität in diesen Ländern sor-
gen. Diese Flüchtlinge sind ja keine Auswanderer; sie
fliehen vor Mord, vor Terror, vor Gewalt und Vergewal-
tigung. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch in Mali
– das ist der kleinste, aber vielleicht auch gefährlichste
Einsatz – mithilfe der Soldaten das Ziel verwirklichen,
Stabilität zu erreichen. Wir wollen nicht, dass Menschen
den schier unüberwindbaren Weg durch die Sahara an-
treten müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Wir
müssen verhindern, dass die Menschen den Weg durch
Staaten suchen, die selbst von Terror und Verfolgung be-
droht sind. Wir müssen verhindern, dass Menschen alles
hinter sich lassen und sich nur mit dem Nötigsten am
Leib, nicht selten auch mit einem Säugling im Arm, auf
diesen gefährlichen Weg begeben.
Die Sicherheit in Mali ist noch lange nicht gewähr-
leistet; wir haben das eben gehört. Der Norden des Lan-
des ist nicht befriedet. Dort gibt es Terroristen aus ganz
verschiedenen islamistischen Organisationen. Sie bedro-
hen die Bevölkerung. Deshalb muss der Einsatz weiter-
gehen. Deshalb müssen wir versuchen, staatliche Autori-
tät wiederherzustellen und die politischen Prozesse
voranzutreiben. Oberstes Ziel – Herr Mißfelder hat es
gesagt – ist die Aussöhnung im Land. Sie schreitet vo-
ran, und das macht uns Hoffnung. Insofern ist dieser
Einsatz in Mali gerechtfertigt.
Die humanitäre Lage hat sich inzwischen verbessert.
Das Land macht politische Fortschritte. 80 Prozent der
Binnenflüchtlinge haben den Weg zurück in die Heimat
antreten können. Frau Buchholz, das sind doch Erfolge
und Ergebnisse.
– Wir wollen nicht, dass diese 135 000 Flüchtlinge nach
Europa kommen,
sondern in ihrer Heimat bleiben können. Aber dafür
müssen wir vor Ort Sicherheit gewährleisten. Ansonsten
werden sie den Weg nach Europa antreten, und dann sind
die Alternativen nur Europa oder Tod. Genau das wollen
wir nicht. Deshalb danke ich den Soldaten, dass sie ver-
suchen, den Menschen diese Überlegung zu ersparen.
„Europa oder Tod“ kann nicht das Lebensmotto der
Menschen in Mali oder anderswo sein. Deshalb bitte ich
um Zustimmung für diesen Einsatz.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu demAntrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Be-teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mul-tidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission inMali. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 18/5250, den Antrag der Bun-desregierung auf Drucksache 18/5053 anzunehmen.Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-mentlich ab. Sind die Plätze an den Urnen mit Schrift-führerinnen und Schriftführern besetzt? – Das ist derFall. Ich eröffne die Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht derFall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zubeginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gege-ben.1)1) Ergebnis Seite 10899 C
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10898 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Vizepräsident Peter Hintze
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneterdeutscher Streitkräfte an der „United NationsInterim Force in Lebanon“ aufGrundlage der Resolution 1701 vom11. August 2006 und nachfolgender Verlänge-rungsresolutionen des Sicherheitsrates derVereinten Nationen, zuletzt Resolution 2172
vom 26. August 2014
Drucksachen 18/5054, 18/5252– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 18/5253Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-schusses werden wir in circa 25 Minuten namentlich ab-stimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteileich dem Abgeordneten Thomas Hitschler, SPD-Fraktion,das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine letzte Rede zur UN-Mission im Liba-non habe ich mit einem Zitat der libanesischen SängerinFairuz begonnen. Heute möchte ich zum Einstieg nochetwas weiter in die lange und reiche Geschichte diesesLandes zurückblicken:Mit ihren Fußsohlen stampfen sie auf der Erde.Durch ihr Herumspringen bersten Sirara und Liba-non. Da wurde schwarz das weiß‘ Gewölk. Der Todregnet wie Nebel auf sie herab.Diese Zeilen stammen aus dem Gilgamesch-Epos, demvielleicht ältesten Mythos der Geschichte. Diese Zeilenhandeln vom epischen Kampf zwischen dem sumeri-schen König Gilgamesch und dem Wächter des Zedern-waldes. Sirara ist der alte Name für das Kalamun-Ge-birge, im Deutschen besser bekannt als der Antilibanon,das Gebirge, das die Grenze zwischen dem Libanon undSyrien bildet. Diese Zeilen sind gut 4 000 Jahre alt. Siekönnten aber auch genauso gut vier Wochen alt sein;denn vor vier Wochen verkündete der Generalsekretärder libanesischen Hisbollah die Vertreibung der dschiha-distischen Al-Nusra-Front aus dem Kalamun-Gebirge.„Durch ihr Herumspringen bersten Sirara und Liba-non.“ Das Bersten Syriens verfolgen wir seit vier Jahren.Syrien ist faktisch auseinandergebrochen, zwischen denletzten Bastionen des Assad-Regimes und dem blutigenKalifat des „Islamischen Staates“, zwischen der sunniti-schen Al-Nusra-Front und der schiitischen Hisbollah,zwischen den Interessen Saudi-Arabiens und den Inte-ressen des Iran. Das Bersten des Libanon blieb bisheraus. Aber auch der Libanon steht vor einer Zerreißprobean den eigenen konfessionellen Konfliktlinien, zwischenden Assad-Unterstützern und den Assad-Gegnern, zwi-schen den Interessen Saudi-Arabiens und den Interessendes Iran. Das Bersten Syriens hat den Libanon bishernoch nicht erfasst. Aber der schreckliche Bürgerkriegwirft seine dunklen Schatten immer wieder über dieGrenze, etwa bei blutigen Attentaten wie dem Bomben-anschlag im libanesischen Tripolis im Januar dieses Jah-res, bei dem neun Menschen starben.„Da wurde schwarz das weiß‘ Gewölk. Der Tod reg-net wie Nebel auf sie herab.“ Immer wieder drängen diedschihadistischen Kämpfer von IS und al-Nusra aus Sy-rien auf libanesisches Territorium vor, vor allem in dieBeeka-Ebene, die zwischen dem Libanongebirge unddem Antilibanon liegt. Aber nicht nur Dschihadistendrängen aus Syrien in die Beeka-Ebene. In Hundertenprovisorischen Zeltsiedlungen sind die meisten der biszu anderthalb Millionen Flüchtlinge untergebracht, dievor dem syrischen Bürgerkrieg in den Libanon geflohensind.Gemeinsam mit meinen beiden FraktionskollegenChristina Kampmann und Jens Zimmermann habe ichMitte Februar den Libanon besucht und dort auch einedieser Zeltstädte in der Beeka-Ebene. Die Temperaturenlagen unter dem Gefrierpunkt. Im alles durchdringendenSchneeregen spielten Kinder im eiskalten Schlamm, inoffenen Sandalen oder barfuß. „Mit ihren Fußsohlenstampfen sie auf der Erde.“ Dies war nicht das ersteFlüchtlingslager, das ich besucht habe. Aber selten habeich in meinem ganzen Leben etwas so Bedrückendes er-lebt. Wenn ich dann die Ignoranten bei uns in Deutsch-land höre, die gegen vermeintliche Wirtschaftsflücht-linge hetzen, und wenn ich von den Feiglingen lesenmuss, die Unterkünfte für Flüchtlinge anzünden, dannweiß ich nicht, was ich mehr sein soll: mehr traurig,mehr wütend oder mehr fassungslos.
Nur einer Sache bin ich mir ganz sicher: dass wir als De-mokraten diese geistige und diese tatsächliche Brandstif-terei mit aller Entschlossenheit bekämpfen müssen.
Dem Libanon und den Flüchtlingen zu helfen, ist eineFrage der Menschlichkeit. Es ist eine Frage der Glaub-würdigkeit, ob wir es mit unseren Werten ernst meinen.Dem Libanon zu helfen, ist aber auch eine Frage unserereigenen Sicherheit. Das Bersten Syriens hat zu enormenFlüchtlingsbewegungen geführt, die den Mittleren Ostenmassiv belasten und uns selbst in Europa vor große He-rausforderungen stellen. Das Bersten des Libanon würdediese Situation in einer Dimension vervielfachen, die ichmir nicht vorstellen möchte. Dieses Bersten müssen wirverhindern.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10899
Thomas Hitschler
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Neben der Flüchtlingsproblematik sind zwei weitereFaktoren in hohem Maße sicherheitsrelevant für Europa:die zunehmende Instabilität einer Region direkt vor un-serer Haustür und der Terrorismus. Zerfallene Staatensind Brutstätten des Terrors. Der Niedergang der Staat-lichkeit im Mittleren Osten hat den Aufstieg des „Islami-schen Staates“ erst ermöglicht. Hier können sich seineAnhänger ausbreiten. Hier können sie sich zurückziehen.Hier können sie neue Mitglieder anwerben.Neben dem IS tummeln sich etliche weitere Terror-gruppen im Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Liba-non. Die Al-Nusra-Front ist ein direkter Ableger von al-Qaida. Die Hisbollah greift direkt in den Syrien-Konfliktein, gewinnt Kampferfahrung, rüstet auf und steht an derSchwelle zu einem neuen Krieg mit Israel. Die Sicher-heitslage im Libanon ist äußerst fragil. Ich bin mir si-cher: Wenn sich die internationale Gemeinschaft in die-ser Situation herausziehen würde, wäre das Bersten desLibanon kaum noch aufzuhalten.Heute stimmen wir über die UN-Mission UNIFILab – ein kleiner, aber sehr bedeutender Stabilitätsfaktorfür den Libanon. Das bestätigte mir auch der libanesi-sche Außenminister Gebran Bassil bei meinem Besuch.Davon konnte ich mich auf der deutschen Korvette „Er-furt“ im Hafen von Beirut selbst überzeugen. UnsereSoldaten leisten dort hervorragende Arbeit in einemdurchaus schwierigen Umfeld.
Auch sie wissen um die Situation der Flüchtlinge. Auchsie wissen, dass Anfang des Jahres ein spanischer Soldatder UN-Mission gefallen ist. Umso wichtiger ist, dasssie mit ihren Angehörigen in der Heimat kommunizie-ren können. Dafür müssen wir ihnen die technischenMöglichkeiten zur Verfügung stellen, wie etwa einenWLAN-Zugang an Bord. Das wäre das Mindeste.
UNIFIL sichert die libanesische Küste und den Zu-gang zu humanitärer Hilfe. Angesichts der katastro-phalen Situation der Flüchtlinge ist dies unerlässlich.UNIFIL stärkt die libanesischen Sicherheitskräfte, dieals einzige Institution konfessionsübergreifendes Ver-trauen genießen. Angesichts der politischen Spaltung imLand ist dies unersetzlich. UNIFIL bietet die einzigePlattform, auf der sich Israel und der Libanon direkt un-tereinander austauschen. Angesichts der Spannungenzwischen der Hisbollah und Israel ist dies unverzichtbar.Helfen Sie mit, das Bersten des Libanon zu verhin-dern. Stimmen Sie für die Weiterführung von UNIFIL.Vielen Dank.
Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführerin-nen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der zwei-ten namentlichen Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Auswärtigen Ausschusses
zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Be-teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mul-tidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission derVereinten Nationen in Mali auf Grundlageder Resolutionen 2100 und 2164 (2014) des Si-cherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013und 25. Juni 2014“, Drucksachen 18/5053 und 18/5250:abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 529,mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 4. Die Be-schlussempfehlung ist damit angenommen. Berlin, den19. Juni 2015, die Schriftführerinnen und Schriftführer.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 597;davonja: 528nein: 65enthalten: 4JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda Heller
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10900 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Vizepräsident Peter Hintze
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Jörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja Schmitt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerLothar Binding
Dr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian Hartmann
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10901
Vizepräsident Peter Hintze
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Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr. Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinSPDKlaus BarthelDr. Ute Finckh-KrämerCansel KiziltepeChristian PetryWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPeter MeiwaldCorinna RüfferHans-Christian StröbeleEnthaltenSPDMarco BülowPetra Hinz
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika LazarBeate Müller-Gemmeke
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10902 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
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Vizepräsident Peter HintzeAls nächster Rednerin erteile ich der AbgeordnetenInge Höger, Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahr für
Jahr stimmen wir hier im Bundestag über die Fortset-
zung der Beteiligung an dem UNIFIL-Mandat ab. Als
Ergebnis dieses traurigen Rituals entsendet die Bundes-
wehr zwischen 150 und 250 Soldatinnen und Soldaten in
die Kriegs- und Krisenregion Nahost. Die Situation hat
sich dadurch kaum verbessert. Im Gegenteil: Sie hat sich
in den letzten Jahren deutlich zugespitzt.
Der Auftrag des Mandats war von Anfang an eher
symbolischer Natur. Die Bundesmarine hat dort nach
Waffen gesucht, wo höchstens geschmuggelte Zigaretten
zu finden waren. Das einzig greifbare Ergebnis der deut-
schen Beteiligung an UNIFIL ist die völlige Enttabuisie-
rung der militärischen Präsenz von deutschen Soldatin-
nen und Soldaten überall in der Welt.
Das Ziel der UNIFIL-Mission war ursprünglich die
Umsetzung der UN-Resolution 1701, also die Überwa-
chung des Waffenstillstandes zwischen Israel und dem
Libanon. Das Mandat wirkt inzwischen eher wie ein Sy-
rien-Mandat durch die Hintertür.
Die Beteiligung an UNIFIL zusammen mit dem Patriot-
Einsatz in der Türkei ermöglicht es der Bundeswehr, im
Nahen Osten präsent zu sein. Für die Linke ist klar: Wir
wollen keine Auslandseinsätze der Bundeswehr und
ganz besonders keine deutschen Soldaten im Nahen Os-
ten.
Mir ist bewusst, dass Deutschland in den letzten vier
Jahren 247 Millionen Euro als Hilfe für Flüchtlinge zur
Verfügung gestellt hat. Allerdings ist dies völlig unzurei-
chend, um der humanitären Katastrophe in Syrien und
im Irak gerecht zu werden. Für den Nothilfefonds der
Vereinten Nationen für syrische Flüchtlinge sind von den
notwendigen 4,5 Milliarden Dollar bis Anfang Juni 2015
gerade einmal 23 Prozent zusammengekommen.
Durch Verzicht auf das Militär bei UNIFIL könnte
Deutschland seinen Beitrag um 50 Prozent steigern. Noch
besser wäre der Verzicht auf das völlig unsinnige Rüs-
tungsprojekt MEADS.
Mit der möglichen Einsparung von 4 Milliarden Euro
könnte man den gesamten Nothilfetopf auffüllen. Das
wäre aktive humanitäre Hilfe und zugleich aktive Frie-
denspolitik.
Dem Welternährungsprogramm stehen gerade 62 Cent
pro Tag und Flüchtling im Libanon zur Verfügung. Da-
von können die Menschen nicht satt werden,
von ausreichender hygienischer und medizinischer Ver-
sorgung ganz zu schweigen. Die fehlenden Gelder für
die Versorgung von syrischen Flüchtlingen stellen neben
der humanitären Krise auch ein sicherheitspolitisches
Risiko dar. Hier könnte verantwortliche Außenpolitik
wirklich etwas ändern; sonst müssen wir uns über die
weitere Destabilisierung des Libanon und weitere Flücht-
lingstragödien im Mittelmeer nicht wundern.
Der Kampf gegen Waffenlieferungen kann übrigens
statt auf dem Mittelmeer sehr viel erfolgreicher in
Deutschland beginnen. Warum kann die Türkei ohne
Konsequenzen Milizen in Syrien bewaffnen? Warum lie-
fert Deutschland U-Boote an Israel, die atomar bewaff-
net werden können? Warum schickt Deutschland weiter
Waffen in die Golfregion, obwohl die Waffen an terroris-
tische Gruppen wie den IS geliefert werden? Dass Saudi-
Arabien auch die offizielle libanesische Armee ausrüstet,
ist ebenfalls kein Grund zur Entwarnung. Das nutzt al-
lein der Waffenindustrie. Stoppen Sie die Waffenliefe-
rungen in die gesamte Region, und zwar sofort!
Unabhängig davon lohnt es sich, die bisherige Strate-
gie des Einfrierens von Konflikten zu überdenken. Die
militärische Präsenz von UN-Truppen beruhigt besten-
falls kurzfristig die Lage. Die Lösung der zugrundelie-
genden politischen Probleme tritt dadurch allzu oft in
den Hintergrund. Ein glaubwürdiger politischer Prozess
könnte zum Beispiel eine Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten nach
dem Vorbild der KSZE sein.
Ohne einen umfassenden politischen Prozess wird es
keinen dauerhaften Frieden und keine Sicherheit im Na-
hen Osten geben, weder für die Menschen im Libanon
noch für die Menschen in Syrien noch für die Menschen
in Israel. Den notwendigen Friedensprozess sollte
Deutschland nicht durch immer mehr Waffen und Solda-
ten erschweren; vielmehr sollte man zu einem glaubwür-
digen politischen Prozess kommen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! FrauHöger, ich hatte gerade schon die Gelegenheit, das, wasFrau Buchholz gesagt hat, einzuordnen. Diese Gelegen-heit möchte ich auch bei Ihnen nicht verstreichen lassen.Ich möchte aber zunächst eine Bemerkung zu den Vor-gängen innerhalb Ihrer Fraktion machen. Nachdem ich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10903
Philipp Mißfelder
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gehört habe, was Sie, Frau Höger, und vorher Sie, FrauBuchholz, gesagt haben, kann ich verstehen, warumGregor Gysi aufgegeben hat, zu versuchen, die Links-partei in der Außenpolitik auf einen verantwortungsbe-wussten Kurs zu bringen.
Sie haben gerade gefordert, einen Prozess für den Na-hen Osten ähnlich der OSZE anzustoßen. Ich darf Siedarauf hinweisen, dass UNIFIL genau so etwas ist.
Ohne UNIFIL würden die Drei-Parteien-Gesprächenicht stattfinden. Ohne UNIFIL, der Beobachtermissionder Vereinten Nationen, wären diese Gespräche über-haupt nicht auf den Weg gebracht worden. Das Beste andiesem Mandat ist, dass man alle vier Wochen zusam-mensitzt und versucht, gemeinsam Lösungen zu finden,übrigens zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
Die Situation – damit haben Sie recht – ist insgesamtsehr fragil. Das Mandat ist unter ganz anderen Gesichts-punkten, unter einem ganz anderen Konfliktszenario zu-stande gekommen. Aber gerade weil sich die Situationim Nahen Osten insgesamt durch ISIS und durch andereVorgänge sehr verschärft hat, kann man nun wirklichnicht sagen: Wir verschließen die Augen davor und zie-hen uns zurück.Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dieses Mandatdringend verlängern müssen. Was sich im Irak vollzieht,der steigende Einfluss des Irans, insbesondere im Liba-non, aber auch im Jemen, in der gesamten Region, isteine große Gefahr. Zu befürchten ist, dass daraus wiederneue Konflikte entstehen. Das, was wir in Syrien sehen,ist – davon sind einige von uns schon seit längerer Zeitüberzeugt – nur der Anfang dessen, was dem Nahen Os-ten insgesamt an Stellvertreterkonflikten bevorstehenwird. Wenn die mittleren Mächte und Großmächte wiedie Türkei, Saudi-Arabien und der Iran aufeinanderpral-len, dann dürfen wir nicht an der Seitenlinie stehen undso tun, als wenn uns das nichts angeht. Es geht uns etwasan. Deshalb ist UNIFIL auch weiterhin wichtig, und des-halb müssen wir mit UNIFIL weiter präsent sein, meineDamen und Herren.
Der Hisbollah-Angriff auf zwei israelische und einenspanischen UNIFIL-Soldaten zeigt, dass die Situationnach wie vor sehr angespannt ist. Ich befürchte, dassdurch die Vorgänge im Irak, durch den drohenden Ein-fluss des Irans die Gelegenheit, im Libanon an Einflusszuzulegen und die Hisbollah in eine noch viel stärkerePosition zu bringen, nicht ungenutzt bleiben wird. Ge-rade deshalb ist es wichtig, für Ausgleich zu sorgen. Dasmacht UNIFIL in dieser Situation. Deshalb bin ich auchdavon überzeugt, dass das Mandat richtig ist.Es ist korrekt, dass politische Konflikte – ich wieder-hole das, was vorhin viele Redner schon gesagt haben –nicht durch militärische Maßnahmen gelöst werden.Aber die Einbettung dieses Mandats, flankiert durch un-sere starken diplomatischen Bemühungen in der Region,ist sinnvoll, ist nachhaltig und führt dazu, dass es einengroßen Beitrag zum Frieden und zur Stabilität in der Re-gion liefert. Das ist wichtig. Deshalb wollen wir diesesMandat auch fortsetzen, meine Damen und Herren.
Wenn wir resümieren, wo wir in unserer Syrien-Poli-tik stehen, müssen wir natürlich schon kritisch sagen:Aus der Oppositionsbewegung in Syrien ist nicht dasentstanden, was wir anfangs gehofft hatten. Aber geradeaufgrund dieser Erfahrung in Syrien kann uns nicht egalsein, was in Ländern passiert, die auch fragil sind, wieim Libanon oder in Jordanien, das mit einer so großenZahl von Flüchtlingen konfrontiert ist, dass es ein Wun-der ist, dass es überhaupt noch so stabil ist. Wir müssenuns auf allen Ebenen politisch, aber an dieser Stelle ebenauch militärisch engagieren, um die Staatlichkeit weiteraufrechtzuerhalten.Das BMZ ist im Libanon stark präsent. Sie haben aus-geblendet, was wir auf dieser Ebene tun. Es ist tatsäch-lich eine unserer Prioritäten und eine Verpflichtung füruns, in der gesamten Region mit allen Möglichkeiten,die die politische Klaviatur bietet, zu helfen und zu un-terstützen.Dieses Mandat ist nur ein kleiner Ausschnitt von dem,was wir alles tun. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sieum die Verlängerung und weiterhin auch um die Unter-stützung derjenigen Maßnahmen, die wir sonst nochdurchführen.Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Liba-non liegt in einer Region, in der es extreme konfessio-nelle und ethnische Spannungen gibt, in der es viel zuviele Waffen gibt, in der extremistische, islamistischeGruppen Gräueltaten verüben und brutale Regime auchmit militärischen Mitteln um Macht und Einfluss kämp-fen. Auch im Libanon ist die innenpolitische Lage sehrfragil. Die politischen Institutionen sind sehr schwach.Wahlen mussten mehrfach verschoben werden, undwichtige politische Ämter sind vakant. Verschiedenste
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10904 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Agnieszka Brugger
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Gruppen versuchen, die Konflikte zwischen den Konfes-sionen zu befeuern und die Lage immer wieder auch mitGewalt zu destabilisieren.Seit Jahren hat das Land eine hohe Bürde auf sich ge-nommen. Man muss sich das einmal vorstellen: Jedervierte Mensch in diesem Land, das bei weitem nicht sowohlhabend ist wie Deutschland, ist ein Flüchtling.In einem solch schwierigen Umfeld haben Streitkräfteschon oft eine sehr ungute, eine verheerende Rolle ge-spielt, gerade in einem solchen politischen Vakuum.Meine Damen und Herren, dass die Armee im Libanonbei allen Problemen, die es in ihren Reihen gibt, immernoch großes Vertrauen in der Bevölkerung genießt undeben nicht zur Destabilisierung, sondern zur Stabilitätbeiträgt, hat auch etwas mit der UN-Mission UNIFIL zutun; das ist auch richtig.
Neben der Aus- und Fortbildung des libanesischenMilitärs hat UNIFIL aber auch die Aufgabe, Waffen-schmuggel zu unterbinden und den Schutz der Puffer-zone zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Israel undLibanon sicherzustellen. Diese Friedensmission ist ange-sichts der explosiven Lage in der Nachbarschaft ebensowie der innenpolitisch fragilen Situation im Libanonkeine Selbstverständlichkeit, sondern eine Erfolgsge-schichte. Allein dass mit dem Beginn dieser Mission derKrieg zwischen Israel und Libanon vor neun Jahren be-endet werden konnte, ist, finde ich, auch heute noch einRiesenverdienst. Das kann kaum hoch genug gewürdigtwerden.
Israel und der Libanon gelten auch heute nicht als be-freundete Staaten. UNIFIL hat aber nicht nur dazu bei-getragen, den Krieg vor neun Jahren zu beenden, son-dern leistet Tag für Tag neu einen Beitrag zurVertrauensbildung, einen Beitrag dazu, dass Gewalt ver-hindert wird und Deeskalation stattfindet. Das ist einsehr wertvoller Beitrag.
Ich würde das gern einmal konkret machen, weil dasimmer so große Schlagworte sind, die wir benutzen,wenn wir im Deutschen Bundestag über solche Mandatesprechen. Wir müssen nur in den Januar dieses Jahresschauen. Da ist ein Hisbollah-Konvoi von einer israeli-schen Rakete getroffen worden. Es gab daraufhin einenVergeltungsangriff. Israel hat dann wieder mit Artillerie-beschuss reagiert. Die traurige Bilanz dieser drei Vor-fälle: Zwei israelische Soldaten, ein UNIFIL-Soldat,sechs Hisbollah-Kämpfer und ein iranischer Offiziersind gestorben. Ich finde, es braucht eigentlich gar nichtso viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass aus solchenschrecklichen Vorfällen eine neue verheerende Gewalt-spirale entstehen kann. Aber gerade auch in diesem Fallhat UNIFIL dazu beigetragen, dass andere Konfliktlö-sungsmechanismen greifen, dass die Logik der Gewaltdurchbrochen wird und der Waffenstillstand hält. Ichfinde, das zeigt auch, dass es verantwortungslos wäre,UNIFIL angesichts der Lage in der Region und im Liba-non selbst heute zu beenden, und dass die Soldatinnenund Soldaten der Marine hier einen wichtigen Beitragzur Prävention von Gewalt leisten. Dafür sind wir sehrdankbar.
Aber wenn wir über die Situation im Libanon disku-tieren, dann müssen wir auch über Flüchtlinge sprechen.Dass das Programm für die syrischen Flüchtlinge, dasnur zu 20 Prozent ausfinanziert ist, dazu führt, dass dieMenschen dort teilweise nur noch eine Mahlzeit am Tagbekommen, ist, finde ich, beschämend und ein Armuts-zeugnis für die internationale Gemeinschaft. DiesesGeld muss dringend und schnell fließen.
Ebenso beschämend finde ich die Politik der europäi-schen Mitgliedstaaten der letzten Jahre, aber auch insbe-sondere der letzten Wochen. Nicht nur, dass man es ver-säumt hat, über Jahre hinweg eine funktionierendeSeenotrettung auf den Weg zu bringen, und den Kata-strophen im Mittelmeer einfach zugeschaut hat. Ichwundere mich schon, warum die europäischen Verteidi-gungs- und Außenminister auf einmal so viel Aktionis-mus entwickeln und Energie aufwenden, um eine Mis-sion zu planen, die die Schlepperbanden militärischbekämpfen soll. Ich finde, das ist gefährlich, und das isteine Fortsetzung und sogar eine Verschärfung der fal-schen und fatalen Politik der letzten Jahre.
Gerade wenn man verhindern will, dass es im östli-chen Mittelmeer zu genau solchen dramatischen Kata-strophen wie vor Libyen und Lampedusa kommt, darfman nicht die Schlepper in einer militärisch hochriskan-ten Mission bekämpfen. Vielmehr muss dann die Bun-desregierung endlich handeln, damit diejenigen, die vorNot und Gewalt fliehen, nicht auch noch unter Lebens-gefahr den Weg nach Europa auf sich nehmen müssen.Deshalb sind legale und sichere Einwanderungswegenach Europa die richtige Antwort. Sie sind weniger risi-koreich als ein solches militärisches Abenteuer. Sie sindauch viel geeigneter und nachhaltiger, weil sie den ver-brecherischen Schlepperbanden nämlich die Geschäfts-grundlage entziehen. Tun Sie hier endlich etwas!
Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, im Rahmen von UNIFILübernimmt Deutschland Verantwortung.
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Geschätzte Frau Kollegin, Sie haben die Zeit über-
schritten.
Ich bin bei meinem letzten Satz, Herr Präsident.
Sie haben schon dramatisch überzogen, fast schon
eine zweite Rede.
Noch besser wäre es, wenn auch endlich die europäi-
sche und deutsche Verantwortungslosigkeit in der
Flüchtlingspolitik ein für alle Mal beendet würde.
Der Satz war wichtig. Aber sagen wir einmal so: Man
kann einen wichtigen Satz auch an das Ende seiner Rede
legen statt zwei Minuten später. Insofern wäre auch das
einmal gut.
Der nächste Redner – der letzte in dieser Aussprache –
ist der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Erneut stim-men wir über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffne-ter deutscher Streitkräfte an der „United Nations InterimForce in Lebanon“ ab. UNIFIL ist leider so etwas wieder vergessene Einsatz. Von der breiten Öffentlichkeitkaum wahrgenommen, leisten seit 2006 unsere Bundes-wehrsoldaten einen wertvollen Beitrag zur Friedens-sicherung im Libanon.Die heutige Debatte zur erneuten Verlängerung desMandates ermöglicht es, den Fokus etwas schärfer aufdiesen Auslandseinsatz zu richten, um noch einmal her-auszustellen, was deutsche Soldatinnen und Soldaten indiesem Einsatzgebiet tatsächlich leisten. Das ist wichtig,meine Damen und Herren; denn gerade mit Blick aufden linken Teil des Plenarsaales wird immer wiederdeutlich, dass gerade die Fraktion Die Linke diesen Ein-satz nicht verstehen will. Sie wollen ihn nicht verstehen.Deshalb werden die guten Argumente noch einmal insFeld geführt.Meine Damen und Herren, es ist wahrlich keineSelbstverständlichkeit, dass seit dem verheerenden Bür-gerkrieg 2006 zwischen Israel und dem Libanon eine re-lative Ruhe herrscht. Nach dem Libanon-Krieg wurdeUNIFIL zu einem robusten Mandat, bei dem die Zahlder eingesetzten Blauhelme erheblich erhöht wurde. Zielwar und ist es, Frieden und Sicherheit in der Region her-zustellen, um letztendlich auch der libanesischen Regie-rung – die Kollegin Brugger hat die Problemvielfalt dortgeschildert – zu helfen, die Souveränität und ihre Autori-tät in dem Gebiet wieder zu erlangen.
Die deutsche Marine leistet hier einen wertvollen Bei-trag zur Sicherung der Seegrenzen und hat die Führungim Bereich der seemännischen Ausbildung übernom-men.Die UNIFIL-Mission ist aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion aber viel mehr. Sie ist ein erkennbar starkes Si-gnal an die Nachbarn Israel und Libanon. Auch dieserAspekt wird von Ihnen leider völlig ausgeblendet. DieUN-Kräfte, insbesondere die deutsche Marine, werdensowohl vom Libanon als auch von Israel als Partner undStabilitätsfaktor für die Krisenregion betrachtet. BeideStaaten schätzen das deutsche Engagement und legenausdrücklich Wert auf eine Fortsetzung. Ich wunderemich bei jeder erneuten Beratung, dass die Linken die-sen konkreten Wunsch der beiden Länder nicht erfüllenwollen.Gerade mit Blick auf die instabile Lage in Syrien istUNIFIL ein sehr wichtiges Mandat. Wir wollen einenmöglichen Flächenbrand in der Region verhindern.Durch den Syrien-Konflikt und den unverändert anhal-tenden Flüchtlingsstrom ist die Sicherheit im Libanonohnehin schon stark gefährdet. Zudem nimmt die Bedro-hung durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in derRegion weiter zu. Für diese wachsenden Herausforde-rungen braucht der Libanon auch weiterhin internatio-nale Unterstützung. Deshalb ist alles, was hilft, um denlibanesischen Staat zu ertüchtigen, gut und richtig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurzetwas Allgemeines zum Wirken deutscher Soldaten sa-gen; denn auch hier werden vom linken Teil des Hausesoft abstruse Gebilde aufgebaut. Deutsche Bundes-wehrsoldaten haben das feste Ziel, überall dort, wo sieim Friedenseinsatz sind, auch Frieden zu schaffen. Sieschaffen Vertrauen, bauen Vorurteile ab, sorgen für einKlima der Verlässlichkeit und der partnerschaftlichenKooperation. Die deutschen Soldatinnen und Soldatenmeistern ihre Aufgabe in allen Einsatzgebieten vorbild-lich, professionell und souverän. Damit geben sie unsereWerte und unser Demokratieverständnis, zum Beispielauch im Libanon, weiter an die Menschen und an dieSoldaten. Hier in Deutschland wachen 99,7 Prozent derMenschen auf und genießen die Freiheit. 0,3 Prozent un-serer Menschen, Bundeswehrsoldaten, schützen dieseFreiheit in diesen Einsätzen. Die Bundeswehr sichert un-seren Frieden jeden Tag aufs Neue. Dies ist nicht in Zah-len oder Statistiken zu messen, sondern im kontinuierli-chen Fortschritt, wie wir im UNIFIL-Mandat auch amBeispiel der libanesischen Marine gut beobachten kön-nen.Leider ist der Libanon noch weit von einer innerenStabilität entfernt und noch lange nicht befriedet. Geradein den letzten Monaten gab es immer wieder Grenzzwi-
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10906 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Ingo Gädechens
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schenfälle mit Verwundeten, leider auch mit Toten.Umso wichtiger ist es, dem etwas entgegenzusetzen. Esgibt vor Ort viele Libanesen, die sehnlichst auf Friedenhoffen und aktiv dafür arbeiten. Die Soldaten des deut-schen Kontingents unterstützen diese Bemühungen mitganzer Kraft. Ihnen gilt mein besonderer Dank.Ich bitte Sie um die Unterstützung des UNIFIL-Man-dats.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United
Nations Interim Force in Lebanon“ . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5252, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5054 anzunehmen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die Plätze an den Urnen zu besetzen. – Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Die Plätze an den Urnen
sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer um die Auszäh-
lung. Das Ergebnis wird dann später im Verlaufe der Sit-
zung bekannt gegeben.1)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Pau, Jan Korte, Martina Renner, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf
Bundesebene einrichten
Drucksache 18/4450
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Aufenthaltsgesetzes – Aufenthalts-
recht für Opfer rechter Gewalt
Drucksache 18/2492
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
1) Ergebnis Seite 10907 D
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Diana Golze, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bundesprogramme gegen Rechtsextremis-
mus verstetigen und finanziell absichern
Drucksache 18/2493
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Sportausschuss
Haushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich darf, bevor ich dem ersten Redner, genauer ge-
sagt: der ersten Rednerin, das Wort gebe, bitten, dass die
Kollegen Platz nehmen. Wer meint, er muss unbedingt
etwas besprechen, möge das bitte draußen tun, damit wir
hier ordnungsgemäß unsere Beratungen fortsetzen kön-
nen. Es wäre uns ein Herzenswunsch, dass auch die Bun-
desregierung diesem Wunsch des Parlamentes folgt.
Bitte Platz nehmen oder hinausgehen, das sind die bei-
den Alternativen. Das Allerbeste ist Platz nehmen und
zuhören, das ist vollkommen klar.
Nun rufe ich die erste Rednerin in dieser Aussprache
auf: Das ist die Abgeordnete Petra Pau, Fraktion Die
Linke. – Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Demnächst jährt sich zum zweiten Mal derAbschluss des NSU-Untersuchungsausschusses. NSU istdas Kürzel für eine Nazibande. Über zehn Jahre zog sieraubend und mordend durch Deutschland, angeblich un-erkannt und offenbar ungehindert.Das Kürzel NSU steht aber auch für ein komplettesStaatsversagen. Deshalb enthielt der Abschlussberichtdes Untersuchungsausschusses auch 47 dringende For-derungen, was zu ändern sei. Also gefragt: Sind dieseÄnderungen inzwischen umgesetzt? Bei einigen ist dasnicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten, anderebrauchen Zeit. Aber insgesamt geht es mir, geht es derLinken zu langsam. Mehr Konsequenz ist längst überfäl-lig.
Hinzu kommen politische Aktivitäten, die vorgeben,Missstände in Sicherheitsbehörden zu beheben, es abernicht wirklich tun. Dazu gehört der neue Gesetzentwurffür den Verfassungsschutz – ein Placebo, wie etliche Ex-perten auch im Innenausschuss fanden. Übel werden ge-regelt, statt behoben. Wir werden diesen Gesetzentwurfdaher in der nächsten Sitzungswoche ablehnen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10907
Petra Pau
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Als Lehre aus dem NSU-Desaster hat die Linke nun-mehr drei weitere Anträge gestellt. Wir wollen erstenseine unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf Bundes-ebene, zweitens ein Aufenthaltsrecht für Opfer rechts-extremer Gewalt und drittens eine solidere Basis für Ini-tiativen gegen Rechtsextremismus.
Alle drei Anträge sind auch im Sinne der Opfer desNSU-Netzwerkes und gehen gleichwohl darüber hinaus.Sie wollen unser aller Demokratie stärken.Zur unabhängigen Polizeibeschwerdestelle. Ich unter-stelle im NSU-Komplex keinem Beamten Rassismus;aber die Ermittlungen trugen nahezu durchweg rassisti-sche Züge. Die Opfer und Hinterbliebenen der Mordse-rie wurden als Täter verdächtigt und so von Amts wegenein zweites Mal zu Opfern gemacht. Niemand nahm ihreEinwände, Hinweise und Beschwerden ernst. Es gab fürsie einfach keinen Ansprechpartner, schon gar nicht ei-nen unvoreingenommenen. Ich finde, das kann so nichtbleiben.
Eine unabhängige Beschwerdestelle wäre übrigenszugleich ein Angebot für Polizistinnen und Polizisten.Auch sie hätten einen Partner, wenn sie Unzulänglich-keiten im Dienst wahrnehmen und ihre Vorgesetztennicht als Partner, die unvoreingenommen sind, erfahren.Zahlreiche Bürgerrechtsverbände und humanistische Or-ganisationen fordern dies seit längerem – die Linkeauch.Ich komme zum zweiten Antrag, zum Aufenthalts-recht für Opfer rechter Gewalt. Rechtsextreme Gewaltnimmt bundesweit zu, insbesondere gegen Flüchtlingeund ihre Heime, gegen Migranten und ihr Umfeld insge-samt. Es ist höchste Zeit, dagegen Zeichen zu setzen –demonstrativ und faktisch. Die betroffenen Menschenbrauchen unsere Solidarität, und sie brauchen Sicherheit.Deshalb will die Linke, dass von Gewalt Betroffene ei-nen Aufenthaltsstatus erhalten, sofern sie noch keinenhaben oder nur geduldet sind.
Das würde obendrein den Gewalttätern auch jedwedeGenugtuung – nach dem Kumpanei-Motto „Wir greifenan, und der Staat schiebt an“ – nehmen.Ich möchte das Problem und das Anliegen anhandvon zwei Beispielen illustrieren. Vor wenigen Wochensollte ein 28-jähriger Asylsuchender aus dem Iran, deram Anklamer Bahnhof im November 2014 von Rechtenangegriffen wurde, nach Italien abgeschoben werden.Die Ausländerbehörde hatte dies angeordnet, obwohl derBetroffene Zeuge und Opfer einer schweren Straftatwurde und die Täter bislang nicht vor Gericht standen.Ähnlich erging es einem algerischen Asylsuchenden.Er war im Juni 2013 in Dresden rassistisch beleidigt undzusammengeschlagen worden. Die Staatsanwaltschafterhob Anklage gegen den Täter. Der Betroffene wollteund sollte im Prozess als Nebenkläger auftreten. Dochdann verlängerte die Ausländerbehörde den Aufenthalts-status des Algeriers nicht mehr. So konnte er weder imGerichtsprozess gegen die Täter aussagen noch seineRechte als Nebenkläger wahrnehmen.Leider sind diese beiden Fälle keine Ausnahmen.Deshalb muss die Regel zugunsten der Opfer geändertwerden. Genau das ist der Sinn unseres Antrages.
Zur Förderung gesellschaftlicher Initiativen gegenRechtsextremismus: Diese engagieren sich vor Ort fürDemokratie und Toleranz – die meisten hochprofessio-nell. Mithin sind sie unverzichtbar. Etliche Initiativenwerden inzwischen besser als vordem aus Bundesmittelngefördert – aber mitnichten gut. Das muss sich ändern.Das müssen wir, das muss der Bundestag ändern.
Dabei geht es auch um Geld. Gefragt ist aber vor allemVerlässlichkeit, damit diese Initiativen endlich konti-nuierlich arbeiten können.Alle drei Anträge sind, finde ich, in unser aller Inte-resse. Deshalb hofft die Linke auf prinzipiellen Zu-spruch, und zwar so, wie es im NSU-Untersuchungsaus-schuss möglich war: fraktionsübergreifend. Das ist unserAngebot.
Herzlichen Dank. – Ich verlese das Protokoll des vonden Schriftführerinnen und Schriftführern ermitteltenErgebnisses der namentlichen Abstimmung über dieBeschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusseszum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Be-teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ‚Uni-ted Nations Interim Force in Lebanon‘ aufGrundlage der Resolution 1701 vom 11. August2006 und nachfolgender Verlängerungsresolutionen desSicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolu-tion 2172 vom 26. August 2014“, Drucksachen18/5054 und 18/5252: abgegebene Stimmen 598. Mit Jahaben gestimmt 526, mit Nein haben gestimmt 65, Ent-haltungen 7. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.Berlin, den 19. Juni 2015, die Schriftführerinnen undSchriftführer.
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10908 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Vizepräsident Peter Hintze
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 599;davonja: 527nein: 65enthalten: 7JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Andreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja Schmitt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan Stracke
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10909
Vizepräsident Peter Hintze
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Max StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogThomas HitschlerDr. Eva HöglChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr. Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischIrene MihalicÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-Asche
Metadaten/Kopzeile:
10910 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Vizepräsident Peter Hintze
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Dr. Wolfgang Strengmann-KuhnMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinSPDKlaus BarthelDr. Ute Finckh-KrämerGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Rüdiger VeitWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika LazarHans-Christian StröbeleEnthaltenSPDCansel KiziltepeBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMaria Klein-SchmeinkPeter MeiwaldBeate Müller-GemmekeLisa PausCorinna RüfferDr. Harald Terpe
Ich gebe nun als Nächstem das Wort dem Abgeordne-ten Günter Baumann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Unter dem Tagesordnungspunkt 31 beratenwir heute drei Anträge der Fraktion Die Linke unter-schiedlicher Art.Ich möchte zunächst zum ersten Antrag sprechen. DieFraktion fordert eine unabhängige Polizeibeschwerde-stelle auf Bundesebene und darüber hinaus eine Abstim-mung der Gesetzesinitiative, damit ähnliche Polizei-beschwerdestellen in den Ländern entstehen. MeineDamen und Herren, für mich liegt diesem Antrag ein ge-nerelles Misstrauen gegen unsere Polizei, gegen unsereInstitutionen zugrunde,
und das tragen wir als Fraktion absolut nicht mit.
Wir möchten einen derartigen Generalverdacht gegendie Polizei so nicht stehen lassen.Das gibt mir die Gelegenheit, mich an dieser Stelleeinmal ganz herzlich bei unseren Bundespolizistinnenund Bundespolizisten sowie Landespolizistinnen undLandespolizisten für den Job zu bedanken, den sie jedenTag für uns alle in Deutschland leisten.
Wir sehen die Bilder von – auch jungen – Polizisten, diebei Demonstrationen, bei Fußballchaoten zwischen dieFronten geraten. Da kann man sich nur bei den Leutenfür das bedanken, was sie für uns leisten.Meine Damen und Herren, was Beschwerden über dieBundespolizei und Beschwerden innerhalb der Polizeianbelangt, gibt es bereits eine Reihe von Möglichkeiten,Abhilfe zu leisten. Als Erstes steht den Bürgerinnen undBürgern eine unabhängige Justiz, die Staatsanwaltschaf-ten und Gerichte, zur Verfügung, um rechtswidriges Ver-halten bei der Polizei anzuprangern. Es gibt die Prüfun-gen der Verwaltungsgerichte, um Anzeigen von Bürgernnachzugehen. Es gibt staatsanwaltschaftliche, gegebe-nenfalls strafrechtliche Überprüfungen polizeilichenHandelns. Das kennen wir alle, da gibt es Beispiele.Im Falle einer Anzeige gegen Polizeibeamte beauf-tragt die zuständige Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrerSachleistungsbefugnis immer eine nicht betroffene Poli-zeibehörde mit der Ermittlung des Sachverhaltes. Dasheißt, es gibt bereits unabhängige, objektive Ermittlun-gen. Es gibt bei uns eine generelle Trennung zwischenStaatsanwaltschaft als Teil der Judikative und Polizei alsTeil der Exekutive, was einen unabhängigen Verfah-rensablauf absolut gewährleistet.Darüber hinaus haben wir Dienstaufsichtsbeschwer-destellen. Auch da gibt es Möglichkeiten, sich direktüber Fehlverhalten zu beschweren. Es gibt die gesetzlichvorgeschriebene Möglichkeit, sich bei Personalvertre-tungen oder Berufsorganisationen zu beschweren und ei-nen Sachverhalt aufklären zu lassen. Der Präsident desBundespolizeipräsidiums Dr. Romann hat die Einrich-tung einer Sonderbeschwerdestelle angekündigt, die dieMöglichkeit einer Beschwerde außerhalb des Dienst-wegs ermöglicht.
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Günter Baumann
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Ich möchte einen weiteren Schwerpunkt nennen: un-ser Petitionswesen. Wir haben den Artikel 17 im Grund-gesetz der Bundesrepublik Deutschland, der besagt: Je-dermann kann sich mit Bitten oder Beschwerden an dasParlament wenden. – Gerade in der letzten Woche habenwir über den Bericht des Petitionsausschusses beraten.Ich war vor diesem Hintergrund, Frau Kollegin Pau, et-was enttäuscht über Ihren Antrag. Die Fraktion DieLinke bemüht sich seit Jahren um den Vorsitz im Peti-tionsausschuss und hat ihn auch inne; Kollegin Steinkemacht das im Übrigen hervorragend. Wir sind überzeugt,dass wir hier den Bitten und Beschwerden der Bürgerabhelfen können. Eigentlich, Kollegin Steinke, kämpfenwir gemeinsam darum, dass keine anderen Stellen nebenuns geschaffen werden; denn wir als Parlamentsaus-schuss können die Angelegenheiten hervorragend klä-ren. Der Tätigkeitsbericht, den wir in der letzten Wochevorgelegt haben, besagt, dass bei uns jedes Jahr fast20 000 Bitten oder Beschwerden eingehen und wir denBürgerinnen und Bürgern in über 40 Prozent der Fällehelfen können. Es gibt also beim Bundestag bereits dieMöglichkeit, sich zu beschweren.Ich kann Ihnen sagen: Der Petitionsausschuss bietetverschiedene Möglichkeiten. Zum einen stellen wir fest,dass sich Bürgerinnen und Bürger über die Bundespoli-zei beschweren. Es wenden sich auch Bundespolizistin-nen und Bundespolizisten an uns, die sich über Problemeinnerhalb der Bundespolizei beschweren. Beide Mög-lichkeiten gibt es bereits, und in beiden Fällen arbeitenwir es ordnungsgemäß auf. Ich könnte Ihnen eine Reihevon Beispielen für Petitionen von Bundespolizeibeamtenaus dem letzten Jahr aufzählen, die sich zum Beispielüber eine nicht erfolgte Beförderung, eine ungenügendeAusstattung oder einen nicht genehmigten Sonderurlaubbeschwert haben. Es gab also eine Reihe von Beschwer-den, denen Vertreter aller Fraktionen gemeinsam nach-gegangen sind, und in vielen Fällen konnten wir abhel-fen.Eine zusätzliche Stelle brauchen wir also eindeutignicht. Eine weitere Kommission würde aus meiner Sichteine Dopplung bedeuten. Deswegen lehnen wir diesenAntrag ab.Der zweite Antrag – Frau Pau hat ihn vorgestellt –enthält die Forderung nach einem dauerhaften Aufent-haltsrecht für ausländische Personen, die während desAufenthalts im Bundesgebiet Opfer einer rechten Ge-walttat geworden sind oder denen eine rechte Gewalttatangedroht wurde. Das heißt, für diese Personen giltdann, dass sie nicht mehr ausreisepflichtig sind.Wir alle – ich denke, da sind wir uns einig – verurtei-len rechte Gewalt. Wir haben das Beispiel NSU erlebt.Alle Fraktionen haben der Umsetzung der Empfehlun-gen des NSU-Untersuchungsausschusses zugestimmt.Da waren wir uns einig. Ich glaube, wir sollten nicht un-terscheiden zwischen rechter Gewalt, linker Gewalt undterroristisch motivierter Gewalt. Wir haben die Möglich-keit, mit rechtsstaatlichen Mitteln darauf zu reagieren.
– Wir brauchen das nicht zu erweitern, weil die Mög-lichkeiten bereits bestehen.Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt in seinemBericht fest, dass die Anzahl von Gewalttaten zugenom-men hat. Unsere Sicherheitsbehörden sind aufgefordert,zu reagieren. Ich denke, man kann deutlich sagen: Wirsind nicht auf einem Auge blind, sondern bearbeiten alleGewalttaten gleich. In den letzten Wochen und Monatengab es auch schlimme linksextremistisch motivierte Ge-walttaten. Unterschiede zu machen und Sonderregelun-gen für eine Opfergruppe zu erlassen, wäre – so sage ichdas einmal – eine Privilegierung einer Opfergruppe.Dann hätten wir Opfer erster und Opfer zweiter Klasse.
Frau Jelpke, das brauchen wir auf jeden Fall nicht.
Deswegen lehnen wir die Privilegierung einer Opfer-gruppe absolut ab. Das Herleiten eines nachträglichenAufenthaltstitels für Personen, denen politisches Asyl inDeutschland nach einem rechtsstaatlichen Verfahren ver-wehrt wurde, über einen anderen Weg ist absolut nichtnachvollziehbar.In den Vorlagen wurde der Tatbestand sehr weit ge-fasst und, so möchte ich es sagen, auch schwammig for-muliert. Ich möchte zwei Sätze aus dem Gesetzentwurfzitieren:Zur Feststellung einer rassistischen oder vorteils-motivierten Gewalttat genügen in diesem Zusam-menhang nachvollziehbare Angaben der Opfer, wo-bei deren Ängste und subjektive Wahrnehmungenangemessen zu berücksichtigen sind …Wenn ein Opfer also sagt: „Mir könnte das eventuellpassieren“, reicht das für einen Aufenthaltstitel. Daskann so natürlich nicht sein.Ein weiteres Zitat:Erforderlich ist nicht, dass eine gerichtliche Verur-teilung des Täters vorliegt, die eine solche Moti-vation als bewiesen annimmt. Ebenso wenig isterforderlich, dass Ermittlungsbehörden oder dieStaatsanwaltschaft von einer solchen Motivationausgehen.Die Argumente der Linksfraktion können wir nichtnachvollziehen. Wir – das gilt für alle Behörden – sindnicht auf einem Auge blind. Wir behandeln alle Strafta-ten gleich. Eine anderslautende Unterstellung müssenalle Parteien, die auf der demokratischen Grundlage fu-ßen, ablehnen. Deshalb müssen wir, die CDU/CSU-Fraktion, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 31 aund 31 b ablehnen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat IreneMihalic von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Zu Beginn dieser Wahlperiode haben
wir mit allen vier Fraktionen hier einen Antrag zu den
Konsequenzen aus dem NSU-Terror beschlossen und da-
rin ausdrücklich eine Fehlerkultur bei den Sicherheitsbe-
hörden angemahnt. Doch leider, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Großen Koalition, fehlt bis jetzt jegli-
che gesetzgeberische Initiative, um die institutionellen
Voraussetzungen für das Entstehen einer solchen Fehler-
kultur zu schaffen, zumindest an den Stellen, an denen
der Bund in der Verantwortung steht. Dabei könnte man
diese Voraussetzungen durch die Einrichtung der Stelle
eines unabhängigen Polizeibeauftragten schaffen.
Herr Kollege Baumann, Sie haben diese Forderung
damit zurückgewiesen, dass das Ausdruck einer Miss-
trauenskultur wäre. Ich frage mich allen Ernstes: Mit
dem Wehrbeauftragten haben Sie doch auch nicht die ge-
ringsten Probleme; oder darf ich Ihrer Zustimmung ent-
nehmen, dass Sie den Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr misstrauen? Ich glaube nicht, dass das der
Fall ist.
Die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten ha-
ben wir Grüne, unterstützt von den Linken, bereits in
zwei Haushaltsberatungen beantragt. Dieser Forderung
haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union
und SPD, stets die kalte Schulter gezeigt. Von Ihnen hieß
es immer: Wozu brauchen wir denn noch einen Beauf-
tragten? Er sei doch ohnehin nur für die Polizeibehörden
des Bundes zuständig. – Ja, und genau in diesen Zustän-
digkeitsbereich fallen die skandalösen Vorfälle bei der
Bundespolizeidirektion Hannover, die jetzt bekannt ge-
worden sind. Dort hat es in mindestens einer Dienst-
gruppe über Jahre hinweg eine scheinbar völlig undurch-
dringliche Struktur mit einem informellen Machtgefüge
des Sich-gegenseitig-Schützens und des Schweigens ge-
geben. Folter, Nötigung und sogar Vergewaltigung ste-
hen als Vorwürfe im Raum. Diese schlimmen Vorfälle
– auch das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen – be-
treffen selbstverständlich nicht die gesamte Polizei; aber
weil solche Vorwürfe eben nicht nur in Hannover, son-
dern auch an anderer Stelle leider immer wieder auftau-
chen, müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.
Einem Polizeibeauftragten hier beim Deutschen Bun-
destag könnten sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch
Beamtinnen und Beamte auf Wunsch anonym Hinweise
geben. Das heißt, keiner, der hier sein Herz ausschüttet,
müsste am Ende Angst davor haben, von den Kollegin-
nen und Kollegen als Nestbeschmutzer diffamiert zu
werden. Hierin liegt der entscheidende Schwachpunkt
beim sogenannten Vertrauensbüro, das Bundespolizei-
präsident Romann jetzt als schnelle Konsequenz aus
dem Skandal in Hannover präsentiert hat. Denn dieses
Vertrauensbüro ist Teil der Polizeihierarchie und natür-
lich auch dem Legalitätsprinzip verpflichtet, strafrecht-
lich relevante Sachverhalte zu verfolgen. Das betrifft
nicht nur die Beamten, die sich strafrechtlich relevant im
Sinne der Vorfälle, die ich eben geschildert habe, verhal-
ten haben, sondern auch die Beamten, die solche Vor-
fälle nicht sofort melden, sondern vielleicht zeitlich ver-
zögert. Denn dann muss diese Vertrauensstelle sofort
wegen Strafvereitelung ermitteln. Im Klartext: Das
bringt überhaupt nichts. Solche Vorgänge wie in Hanno-
ver werden auch zukünftig viel zu spät bekannt oder
vielleicht nur durch puren Zufall.
Leider ist der Antrag von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Linken, bei der Frage der Unab-
hängigkeit sehr ungenau. Sie sagen, eine solche Stelle
müsse räumlich von den Polizeidienststellen getrennt ar-
beiten und Mitarbeiter dürften in keinem institutionellen
oder hierarchischen Verhältnis zum betroffenen Beamten
stehen. Das reicht meiner Ansicht nach nicht aus.
Wir brauchen eine völlig autonome Stelle, am besten
hier beim Parlament;
denn es geht auch um die Verbesserung der parlamenta-
rischen Kontrolle. Die Unabhängigkeit ist ein zentraler
und unverzichtbarer Bestandteil eines Polizeibeauftrag-
ten. Leider bleiben Sie mit der Forderung bei einer Be-
schwerdestelle stehen. Wir brauchen aber keinen Kum-
merkasten – entschuldigen Sie, wenn ich das so flapsig
sage –, sondern ein echtes Rad im Getriebe der Sicher-
heitsarchitektur.
Es ist natürlich gut, dass sich die Linken mit uns auf
den Weg machen. Die zentrale Frage ist jetzt: Wo steht
die SPD, wo stehen CDU/CSU? Der Vorschlag für einen
Polizeibeauftragten trifft auf äußerst positive Resonanz,
sowohl bei Bürgern als auch bei Experten jeglicher
Couleur und auch bei immer mehr Polizeibeamten. Auch
der ehemalige Wehrbeauftragte und Sozialdemokrat
Reinhold Robbe, der nun nicht gerade bekannt dafür ist,
ein ausgewiesener Grünenversteher zu sein, sagt: Wir
brauchen einen unabhängigen Polizeibeauftragten beim
Deutschen Bundestag. – Ich finde, das kann Sie jetzt
nicht unbeeindruckt lassen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, geben
Sie sich einen Ruck. Packen Sie endlich dieses wichtige
Reformwerk mit uns gemeinsam an.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang
Gunkel von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei demhier vorliegenden Antrag der Linken, der ja sozusagendreigeteilt ist, ist es meine Aufgabe, zum ersten Teil zusprechen. Zwei weitere Kollegen meiner Fraktion wer-
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Wolfgang Gunkel
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den die anderen Teile behandeln. Deshalb stütze ichmich jetzt zunächst auf das, was hier zur Polizei zu sa-gen ist. Wir haben ja gehört, dass auf die NSU-Untersu-chungen Bezug genommen wird, also auf die Untersu-chungen zu den Vorfällen, die vor einiger Zeit zu zehnMorden geführt haben und aufs Höchste zu bedauernsind. Das, was daraus geschlossen wird, ist selbstver-ständlich richtig, auch, dass es da Veränderungen gebenmuss. Es ist aber die Frage zu stellen, ob man der Polizeistrukturellen Rassismus unterstellen kann, weil die Er-mittlungen nun leider nicht in die richtige Richtung ver-laufen sind.Ich weise darauf hin, dass mehrere Beamte des baye-rischen Landeskriminalamts sehr wohl die Spur desrechtsextremen Verhaltens aufgedeckt haben. Leider istdiese Spur dann nicht weiterverfolgt worden, weil dieMehrheit anderer Auffassung war. So etwas kann passie-ren. Das ist höchst peinlich. Das hat ja dann auch zu denentsprechenden Ergebnissen geführt. Letztendlich bliebals Konsequenz übrig, dass viele Menschen sehr tief be-stürzt waren, dass da vielen Ausländern Unrecht gesche-hen ist. Auch das muss man ganz einfach konstatieren.Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen?Ich glaube nicht, dass die Polizei strukturell rassistischist und dass diese Ermittlungen nur unter diesem Aspektgeführt wurden, zumal es auch Landesbehörden waren,nämlich die von Bayern, Sachsen und Thüringen, unddie entsprechenden Verfassungsschutzämter, die da ver-sagt haben. Die Bundespolizei, um die es ja bei einemBundespolizeibeauftragten oder bei einer polizeilichenBeschwerdestelle beim Bund geht, ist daran überhauptnicht beteiligt gewesen.Aber es ist natürlich richtig: Man muss fragen, ob dasim Wesentlichen Sinn macht. Wir haben gerade ein lei-denschaftliches Plädoyer dafür gehört. Ich kann michdieser Frage nicht entziehen. Deswegen will ich auf daszurückkommen, was wesentlich ist.Uns liegt ein Antrag der Linkspartei vor. Darin wirddie Einrichtung einer Beschwerdestelle gefordert, diezwar unabhängig sein, aber die vollen Befugnisse einerStaatsanwaltschaft erhalten soll, also das Recht der Zeu-genvernehmung, das Recht auf Akteneinsicht und dasRecht auf Beweisführung. Das stößt nach meiner An-sicht an rechtsstaatliche Grenzen. Denn im Rahmen un-serer Gewaltenteilung haben wir die Exekutive, die Le-gislative und die Jurisdiktion, und die Staatsanwaltschaftist zuständig, wenn es sich um Straftaten handelt, dievon Polizeibeamten begangen wurden.Es ist bekannt, dass viele Bundesländer bei der Staats-anwaltschaft Dezernate unterhalten, die sich ausschließ-lich mit Beamtendelikten befassen, also auch mit vonPolizeibeamten begangenen Straftaten. Es ist keines-wegs so, dass da gemauschelt wird oder Ähnliches. ImGegenteil: Da wird ganz präzise ausermittelt, und dieentsprechenden Verurteilungen erfolgen. Es ist für michnicht tragbar, eine Parallelinstitution zu schaffen, um da-mit den Nachweis zu führen, dass bei der Polizei irgend-etwas falsch läuft. Von daher geht das nach meinem Da-fürhalten leider an der Sache vorbei.Eine andere Frage ist, wie man generell mit diesemThema umgeht. Ich kann eine gewisse Sympathie nichtverhehlen. Der Wehrbeauftragte des Bundestages ist da-für sicherlich das Maß aller Dinge.
In einem Bundesland gibt es ja schon einen Polizeibe-auftragten; darauf möchte ich einmal zu sprechen kom-men.
Rheinland-Pfalz hat seit Juli 2014 einen Polizeibeauf-tragten.
– Ja, darauf komme ich gleich; warten Sie es ab. – Die-ser Polizeibeauftragte war vorher schon Bürgerbeauf-tragter. Jetzt hat er die Aufgabe, auch Beschwerden vonPolizeibeamten entgegenzunehmen. Ich habe mir einmalangesehen, was er bisher gemacht hat. Herr Burgard hatda einen Rechenschaftsbericht vorgelegt. Es gab 35 Be-schwerden von Bürgern. Bei diesen Beschwerden ginges im Wesentlichen um rauen Ton und Unhöflichkeit, umüberzogene Personen- und Fahrzeugkontrollen und umRangeleien bei Fußballspielen. Na ja, gut; so etwas istalltäglich, wenn man sich dorthin begibt.Die zweite Frage, die auftauchte, lautete: Über washaben sich Polizeibeamte beschwert? Es waren 25 an derZahl. Sie haben im Wesentlichen Beschwerden über ihreVorgesetzten geführt; das heißt, sie sind mit ihren Vorge-setzten nicht gut klargekommen. So weit, so gut.Auf die Frage nach den Vorfällen in Hannover – FrauMihalic, Sie haben sie ja hier sehr schön erwähnt – hat ergeantwortet: Das ist erste Aufgabe der Ermittlungsbe-hörden. – Genau so ist es.
– Danke. – Dieser Polizeibeauftragte handelt nach mei-ner Ansicht insofern völlig korrekt, als er sagt: Wenn essich um Straftaten handelt, dann ist in erster Linie dieErmittlungsbehörde zuständig, also die Staatsanwalt-schaft. – Hinzugefügt hat er aber – auch das muss manerwähnen –: Natürlich untersuchen wir dann, wenn die-ses Verfahren abgeschlossen ist, ob es vielleicht Ansatz-punkte gibt, um in der Polizeiarbeit Verbesserungen zuerzielen, bei Aus- und Fortbildung und Ähnlichem.
Dass dies möglich ist, kann ich mir durchaus vorstellen.Dazu bedarf es natürlich auch einiger Initiativen.
Insgesamt sage ich: Dieser Antrag ist ein Anstoß die-ser Diskussion vonseiten der Linkspartei, den ich ganzgut finde. Was Sie da aufgeschrieben haben, ist aber in-
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Wolfgang Gunkel
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haltlich falsch. Deswegen müssen wir den Antrag leiderablehnen.
Aber wir werden weiter über dieses Thema diskutieren.Ich habe ja vor einiger Zeit im Innenausschuss gesagt,dass es Aufgabe von uns allen ist, sich darüber Gedan-ken zu machen. Über dieses Thema werden wir alsonoch weiter zu diskutieren haben. Heute möchte ich zu-sammenfassend sagen: So wie es in Ihrem Antrag steht,geht es nicht. Deswegen wird meine Fraktion diesen An-trag ablehnen.Danke.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Volker
Ullrich von der CDU/CSU das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Antrag der Linkspartei auf Einrichtung ei-
ner unabhängigen Polizeibeschwerdestelle und eines
Aufenthaltsrechts für Opfer ist dem Titel nach eine
Sorge um die Polizei und den wehrhaften Rechtsstaat.
Tatsächlich ist Ihr Antrag aber geprägt von einer tenden-
ziösen Sprache und von Voreingenommenheit.
Ihr Antrag, in dem über unsere Polizei „institutionel-
ler Rassismus“, „Corpsgeist“, „bestehende Polizeikul-
tur“, „Schwierigkeiten, Fehlverhalten anzeigen zu kön-
nen“ zu lesen ist, ist von einem tiefen Misstrauen
gegenüber dem Rechtsstaat und der Polizeiarbeit ge-
prägt.
Wir setzen dem Misstrauen gegenüber der Polizeiarbeit
das Vertrauen in den wehrhaften Rechtsstaat und in un-
sere Polizei gegenüber.
Viele Zehntausend Menschen sind in diesem Land als
Polizeibeamte tätig – die meisten davon im Streifen-
dienst, auf den Straßen, auf den Plätzen, in den Revieren,
im Umfeld von Fußballstadien, an Flughäfen und an
Bahnhöfen. Diese Polizeibeamten haben keine leichte
Aufgabe. Sie sind meist im mittleren Dienst besoldet, sie
haben Nachtschichten und haben mit Gewalttätern und
Betrunkenen zu kämpfen, und sie sind oftmals nicht im
großen Maße sichtbar, sind aber immer da, wenn es da-
rum geht, Freiheit und Sicherheit zu verteidigen.
Deswegen lade ich Sie ganz persönlich ein: Machen
Sie einmal eine Nachtschicht mit Polizisten am Haupt-
bahnhof oder mit Streifenbeamten in einer deutschen
Großstadt.
Sie werden erkennen, welch wertvolle Arbeit unsere
Polizei leistet. Wir danken für deren Arbeit.
Natürlich kommen auch – das sind aber die absoluten
Ausnahmen – Fehlverhalten von einzelnen Polizeibeam-
ten vor. Diese müssen und werden vom Rechtsstaat ver-
folgt werden. Das Gewaltmonopol des Staates verlangt,
dass dieser Staat bei einem Überschreiten der Grenzen
intensiv reagiert, und wir haben gar keine Erkenntnisse,
dass dies nicht der Fall ist.
Herr Dr. Ullrich, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein.
Dienstaufsichtsbeschwerden, interne Ermittlungs-gruppen, Disziplinarverfahren, die Möglichkeit zur Re-monstration, besondere Straftatbestände, die eine höhereStrafdrohung haben, wenn im Dienst Gewalt angewen-det wird oder gar bei Verfolgung Unschuldiger, zeigen,dass dieser Rechtsstaat sehr klar und deutlich reagiert,wenn Inhaber und Träger des Gewaltmonopols ihreGrenzen überschreiten. Wir haben Vertrauen in diesenRechtsstaat.Der Linkspartei scheint es auch entgangen zu sein,
dass 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsaus-schusses teilweise schon umgesetzt worden sind.Im Bereich der Gewaltkriminalität wird sorgfältigergeprüft, ob ein rassistischer oder anderweitig politischmotivierter Hintergrund vorliegt. Wir haben vor einigenMonaten § 46 des Strafgesetzbuches geändert und damitauch den Staatsanwaltschaften den Auftrag gegeben, ras-sistische oder menschenverachtende Motive besonderszu berücksichtigen. Wir haben dem Generalbundesan-walt mehr Kompetenzen gegeben. Das, was Sie fordern,ist zu einem großen Teil bereits umgesetzt, und die ande-ren Punkte werden wir umsetzen. Dieser Staat handelt,er schläft nicht.
Meine Damen und Herren, in diesem Land ist abernicht nur über das Fehlverhalten einzelner Polizisten zu
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Dr. Volker Ullrich
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sprechen, sondern auch über die Frage, wie diese Gesell-schaft mit denjenigen umgeht, die uns schützen. Deshalbsei noch ein Wort in Bezug auf Blockupy und Frankfurtverloren: 150 verletzte Polizeibeamte, verletzte Feuer-wehrleute, circa Tausend Gewalttäter: Das sind schreck-liche Bilder, die uns noch gut in Erinnerung sind.Was sagt die Vorsitzende der Linkspartei, KatjaKipping? Parlamentarier seien anwesend gewesen, umzu deeskalieren, weil – ich zitiere –:Dies war auch deshalb notwendig, weil Teile derPolizei zum Aufheizen der Stimmung beigetragenhaben.
Ihre Kollegin Heike Hänsel hat Rauchschwaden inFrankfurt mit dem Maidan verglichen – ich zitiere –:Auf dem Maidan in Kiew waren Rauchschwadenfür die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung!
Ulrich Wilken, Landtagsvizepräsident in Hessen, hatgesagt:Klar ist uns allen, dass die Proteste, die in Frankfurtauch in Gewalt stattgefunden haben, in anderen eu-ropäischen Ländern viel selbstverständlicher sind,als das in Deutschland Demonstrationskultur ist.Wilken sieht die Ausschreitungen nur als „Auswirkun-gen einer gewalttätigen Politik“. Der Fraktionschef IhrerPartei im hessischen Landtag, Willi van Ooyen, sagt,wer Sturm ernte, werde Wind säen.
Meine Damen und Herren, die Äußerungen Ihrer Partei-kollegen sind inakzeptabel. Ich verlange eine Ablehnungund Distanzierung von Gewalt im Bereich der politi-schen Auseinandersetzung.
Wer Gewalt relativiert oder sie zu politischen Zwe-cken billigt, stellt sich außerhalb des demokratischenKonsenses. Deswegen wäre es wichtig, dass Sie sich vondiesen Aussagen eindeutig distanzieren und die gutePolizeiarbeit in Frankfurt und auch anlässlich des G-7-Gipfels klar und deutlich würdigen. Das ist in diesemHohen Haus einfach Ihre Pflicht.
Unsere Anstrengungen gelten unserer Polizei. Wirwerden bei der Bundespolizei 750 neue Stellen schaffen.Wir werden die Ausrüstung verbessern. Wir werdenauch ein Gesetzespaket zum besseren Schutz von Poli-zeibeamten und Rettungskräften angehen. Das sind wirdenjenigen schuldig, die diesen Staat schützen.Diese Rede wäre aber unvollständig, wenn man nichtauch noch auf Ihren zweiten Punkt eingehen würde: Siefordern ein Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt.Wir werden diesen Antrag aus vielen guten Gründen, diemeine Kollegen schon angesprochen haben, ablehnen.Aber es bleibt augenfällig, wen Sie ausblenden: Sieblenden die Opfer linker Gewalt aus. Sie blenden dieOpfer religiös-extremistischer oder islamistischer Ge-walt aus. Sie blenden die Opfer von Menschenhandelaus, von Ausbeutung und von erpresserischem Men-schenraub.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Sie sehen Menschen nurin Gruppen gemäß Ihren Interessen aufgeteilt.
Wir haben alle Menschen im Blick; alle Menschen, dieOpfer von Gewalt, von Übergriffen und von Intoleranzwerden. Wir werden es nicht zulassen und auch nichtdulden, dass unvollständige Anträge beschlossen wer-den, dass man linke, rechte oder islamistische Gewaltgegeneinander ausspielt. Wir bekämpfen Gewalt undExtremismus jeglicher Couleur.
Meine Damen und Herren, diese Anträge sind rechts-staatlich bedenklich, unvollständig und drücken Miss-trauen gegenüber diesem Rechtsstaat und der Polizeiaus. Wir leben eine Kultur des Vertrauens in den Rechts-staat, der Tauglichkeit unserer Maßnahmen, der Freiheitund der demokratischen Werte. Deswegen lehnen wirdiese Anträge ab.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Frank Tempel von der Fraktion Die
Linke erhält jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzinterven-
tion.
Herr Dr. Ullrich, ich kann mir bei dem, was Sie erzäh-len, sehr gut vorstellen, dass Sie Angst vor Zwischenfra-gen haben.
Aber man darf zum Glück eine Kurzintervention ma-chen.Wenn Sie über Polizeibeamte reden und glauben, IhreVerweigerungshaltung, zum Beispiel zur Einrichtung ei-ner polizeilichen Beobachtungsstelle, mit der Ablehnungvon Polizeibeamten begründen zu können, dann rate ichIhnen, sich besser zu informieren. Da Sie so viel überden Polizeidienst gesprochen haben: Fahren Sie einfacheinmal eine Weile mit, und schauen Sie sich an, was dortpassiert.
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10916 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Frank Tempel
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Polizeibeamte wenden sich nach den Vorfällen inHannover sehr häufig an uns Abgeordnete, gerade auchan mich als ehemaligen Polizeibeamten, was zeigt, dassdie Zustimmung zu einer solchen polizeilichen Beobach-tungsstelle bei Polizeibeamten enorm steigt. Wie ist esdenn, wenn jemand tatsächlich den Mund aufmachenwill, um Missstände anzusprechen? Er hat Angst, alsNestbeschmutzer dazustehen. Er hat Angst, eine Durch-schnittsbeurteilung zu bekommen. Er hat Angst, niewieder befördert zu werden. Es gibt zahlreiche Bei-spiele, die zeigen, dass genau das eingetreten ist. AlsPolizeibeamter in einer Dienststelle tatsächlich denMund aufzumachen, erst recht, wenn Vorgesetzte invol-viert sind, ist fast unmöglich, weil dann die Karriere zuEnde ist.Deswegen wollen viele Polizeibeamte – Personalräte,Gewerkschafter und auch ganz normale diensttuendePolizeibeamte wenden sich an mich und verfolgen, washier diskutiert wird – eine auch für sie nutzbare Polizei-beschwerdestelle, bei der ihnen außerhalb des Dienstwe-ges rechtssicher Vertraulichkeit zugesichert werdenkann, bei der sie sicher sind, dass diese Einrichtung par-lamentarisch und demokratisch kontrolliert wird. Einesolche Beschwerdestelle wollen sie, um gerade solcheDinge vorzutragen und um sich sicher zu sein, dass ihreweitere Karriere in der Polizei nicht gefährdet wird.Wir brauchen eine solche Stelle, die in alle Richtun-gen entsprechend nutzbar ist. Das zeigt sich gerade,wenn wir auf das schauen, was im Zusammenhang mitdem NSU passiert ist. Das ist übrigens der Anlass derheutigen Diskussion. Man muss daraus Rückschlüsseziehen; denn vieles davon ist passiert, ohne dass eineentsprechende Rückmeldung möglich war. Es wird im-mer ordentlich der Dienstweg beschritten. Dabei ist auchvieles versandet oder gestoppt worden. Wir haben dievielen Berichte von Polizeibeamten und die Zeugenaus-sagen gehört. Diese Rückmeldungen muss man dochernst nehmen.Verkaufen Sie Ihre Verweigerungshaltung nicht alsWillen der Polizeibeamten!
Diese sehen das sicherlich sehr unterschiedlich. Bei ih-nen wird das Thema genauso kontrovers diskutiert wiehier.
Sie haben nicht das Recht, für alle Polizeibeamten zusprechen. Es gibt eine ganze Menge, für die Sie heutenicht gesprochen haben.
Herr Dr. Ullrich, Sie erhalten das Wort zur Erwide-
rung.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Tempel, in den letzten
Jahren bin ich sicherlich ein Dutzend Mal in Polizei-
dienstwagen zur Nachtschicht mitgefahren.
Ich war mit Feuerwehreinsatzkräften, mit dem Roten
Kreuz und dem Rettungsdienst unterwegs, und ich habe
auch eine Schicht mit Verkehrskontrolleuren verbracht.
Ich habe eine ganz andere Beobachtung als Sie. Zwar
gibt es – ich habe das vorhin angesprochen – auch Vor-
fälle innerhalb der Polizei, bei denen Fehlverhalten vor-
liegt. Das ist gar keine Frage. Aber ich glaube, wir soll-
ten uns vielmehr darum sorgen, wie wir diejenigen
schützen, die alltäglich ihren Kopf riskieren oder, wie
bei der Feuerwehr, sogar ihr Leben einsetzen, um andere
zu retten. Das sind die entscheidenden Fragen, um die es
geht.
Wenn Sie selber nachts unterwegs wären, dann wür-
den Sie erleben, dass gerade bei alkoholbedingten Aus-
fällen Polizisten bespuckt und angegriffen werden.
Sie müssen auch bei Demonstrationen ihren Kopf hin-
halten. Deswegen gilt unsere Sorge der Integrität und
dem Schutz unserer Polizei. Das werden wir uns auch
von solchen Kurzinterventionen nicht nehmen lassen.
Wir fahren fort in der Debatte. Als nächste Rednerin
hat Monika Lazar von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin den Ausführungen des Kollegen Tempel sehrdankbar, weil er einige Beispiele aus der Praxis gebrachthat. Im Gegensatz dazu hatte ich bei der Rede des Kolle-gen Ullrich – die Nachbemerkungen haben es nicht bes-ser gemacht – eher das Gefühl, wir leben in unterschied-lichen Welten.
Denn wir alle müssen konstatieren – das hat uns ge-rade auch die gemeinsame Arbeit im NSU-Untersu-chungsausschuss gezeigt, und dort waren wir uns in vie-len Fragen einig –, dass wir in unserem Land auf vielenEbenen ein Problem mit Rassismus haben. Das zeigtsich im Alltag, und das reicht bis in die letzten Monatehinein. Die Aktivitäten von Pegida und Co. haben ge-zeigt, wie tief rassistische Einstellungen in der Gesell-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10917
Monika Lazar
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schaft verankert sind und wie viele verschiedene Er-scheinungsformen es gibt. Rassismus ist nicht nur imAlltag verankert, sondern auch in staatlichen Institutio-nen. Sie sind nicht frei davon.
Gerade die Opfer des NSU hätten sicherlich davonprofitieren können, wenn es schon damals auf Bundes-oder Landesebene so etwas wie einen unabhängigenPolizeibeaufragten gegeben hätte.
Denn ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dannmanches, was wir heute zum Glück alle so bitter bekla-gen, anders gelaufen wäre.Einige Beispiele: Ein Kriminalbeamter in der Zwi-ckauer Polizeidirektion hat mehrfach fahndungsinterneE-Mails mit rassistischen Bemerkungen versehen und anseine Mitarbeiter weitergeleitet. Das Foto eines Dunkel-häutigen kommentierte er mit den Worten: „Der solltesich mal die Hände waschen.“ Bei einem anderen er-gänzte er die Frage, ob der Mann seine Frau oder Toch-ter auf den Strich schicke. Der Beamte ist vom Dienstsuspendiert worden. Dazu mag es im Einzelfall kom-men.
– Ja, aber erst im Nachhinein.
Aber es wäre früher möglich gewesen, wenn sich dieKollegen, die die E-Mail bekommen haben, sofort bei ei-ner solchen unabhängigen Beschwerdestelle hätten mel-den können. Darum geht es.
Es geht darum, sofort zu reagieren. Das ist als Schutz derPolizisten gedacht. Ich glaube, das verstehen Sie aufsei-ten der CDU/CSU einfach nicht.
Wo immer Rassismus auftaucht, muss er geahndet wer-den.Kollegin Mihalic hat gesagt, dass wir schon in denletzten Haushaltsberatungen Anträge dazu gestellt ha-ben, weil wir das finanziell abgesichert wissen wollen.Nach dem NSU-Untersuchungsausschuss waren wir unsalle einig, dass sich Diskursfähigkeit und Fehlerkultur inden Behörden verbessern müssen.Es gibt auch Beispiele dafür, dass die Polizei Bürgerunangemessen behandelt. Im Zusammenhang mit denProtesten von Legida in Leipzig wurde meinem grünenLandtagskollegen Sebastian Striegel von der Polizei vor-geworfen, er habe einen Böller geworfen. Für diesenVorwurf gab es weder Anhaltspunkte noch Zeugen.Trotzdem kam es zu Ermittlungen durch die Staatsan-waltschaft. Auch in einem solchen Fall könnte man sichdirekt bei einer unabhängigen Polizeibeschwerdestellebeschweren.Die Vorfälle, die wir immer wieder beobachten, pas-sen nicht in das Bild einer Polizei, die unsere Grund-rechte schützen soll.
Sie beschädigen das Vertrauen der Bevölkerung in dieSicherheitsorgane. Aber dieses Vertrauen braucht diePolizei zur Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben. Deshalbfordern wir Grüne schon lange einen strukturierten Dia-log zwischen Polizei und Zivilgesellschaft sowie einenunabhängigen Polizeibeauftragten.
Frau Lazar, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Wendt zu?
Aber selbstverständlich.
– Weil ich schon weiß, was kommt.
Sie haben das Wort, Herr Wendt.
Ich möchte ein paar Dinge klarstellen, weil die Zu-
schauerinnen und Zuschauer sonst den Eindruck bekom-
men könnten, dass wir in einem von Polizeigewalt ge-
prägten Staat leben.
Da Sie aus Leipzig stammen: Nehmen Sie zur Kenntnis,
dass in Leipzig alleine im letzten halben Jahr fünf spon-
tane Gewaltaktionen gegen Polizei, staatliche Behörden,
Gerichte und das US-Generalkonsulat stattfanden, dass
dabei bis zu 600 vermummte Personen wie ein Mob van-
dalierend durch die Stadt gerannt sind und Bierflaschen
und Steine geworfen haben, dass Polizisten verletzt wur-
den und dass es am Rande der Legida-Demonstrationen
zu linksextremistischer Gewalt gegen die Polizei kam,
oder wollen Sie das negieren?
Vielen Dank.
Am Rande von Legida kam es nicht zu den von Ihnenso genannten linksextremistischen Gewalttaten.
– Ich komme darauf noch zu sprechen. Hören Sie mirjetzt bitte erst einmal zu! Ich möchte hier eine Trennungvornehmen.
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Monika Lazar
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Zu den Vorfällen am Rande der Legida-Demonstratio-nen: Ich war dabei und habe beide Seiten – auch diePolizei – beobachtet. Am Rande der Legida-Demonstra-tionen kam es nicht zu den von Ihnen so genanntenlinksextremistischen Gewalttaten.
Es war eher so, dass Legida-Teilnehmer Linke und auchJournalisten angegriffen haben. So viel zu diesem Fall.Zu den von Ihnen erwähnten Gewalttätigkeiten: Ichglaube, hier sind wir uns einig. Ich finde, dass alle Vor-kommnisse seit Anfang des Jahres absolut inakzeptabelsind; denn egal wer Gewalttaten verübt, für uns Grüneist Gewalt kein Mittel der politischen Auseinanderset-zung.
Gewalt ist absolut abzulehnen. Gewalttaten sind extremkontraproduktiv, weil man mit Gewalt nicht das erreicht,was man erreichen will. Vielmehr bringt man den Protestinsgesamt in Misskredit.Die Zahl der gewalttätigen Ausschreitungen in Leip-zig hat sich zum Glück nicht erhöht. Die Zahl ist sicher-lich noch immer zu hoch. Aber wir unterstützen so etwasauf keinen Fall. Wir sind uns einig, dass wir solche Ge-walttätigkeiten ablehnen. Aber das eine hat mit dem an-deren nur indirekt etwas zu tun. Wenn sich ein Polizistüber einen Gewalttäter hätte beschweren wollen, dannhätte er sich auch bei einer unabhängigen Polizei-beschwerdestelle beschweren können. Das eine schließtdas andere nicht aus.
– Natürlich, der Petitionsausschuss wurde schon ange-sprochen. Wir beide sind Mitglieder dieses Ausschussesund wissen, dass er eine Möglichkeit darstellt, sich zubeschweren. Es geht aber darum, eine weitere Beschwer-demöglichkeit zu schaffen. Kollegin Mihalic hat auf denWehrbeauftragten Bezug genommen. Diesen wollen Sieauch nicht abschaffen.Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass es da-rum geht, dass sich Menschen in unserem Land sicherund willkommen fühlen. Präventionsarbeit ist unver-zichtbar. Wir müssen dort ansetzen, wo Rassismus undDiskriminierung beginnen, und nicht erst dort, wo esschon zu Eskalation und Gewalt kommt.Gerade deshalb brauchen wir ein umfassendes Kon-zept zur Förderung der demokratischen Kultur in unserergesamten Gesellschaft. Ich hoffe, da sind wir uns dannwieder einig.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Lars
Castellucci von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sprechezum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke „Entwurf ei-nes Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes –Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt“. Zunächsteinmal muss unmissverständlich klargestellt sein: Men-schen anzugreifen, die gerade Schutz hier bei uns su-chen, gehört zum Schändlichsten, was man sich über-haupt ausdenken kann.
Dem müssen wir alles entgegenstellen, was wir alsRechtsstaat haben. Wir alle sind gefordert; denn es gehtimmer auch um Einstellungen und Haltungen; es gehtum Vorurteile und kleine Diskriminierungen, die dieEinstellung und Haltung, die zu so etwas führen, för-dern.Sie schlagen nun vor, dass diejenigen, die Opfer rech-ter Gewalt werden, automatisch ein Aufenthaltsrecht inDeutschland bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Zu-nächst einmal halte ich das für eine charmante Idee.Wenn Sie sich im Bereich der Kinder- und Jugendlitera-tur bewegen und jemanden darstellen würden, der sichmit anderen zusammensetzt und wirklich viel Hirn-schmalz darauf verwendet, um herauszufinden, was maneigentlich tun müsste, um der Sache Herr zu werden, undwelche Ideen man entwickeln müsste, dann würde ichSie für preiswürdig halten. Aber für ein Gesetz reicht dasnicht.Es reicht auch deshalb nicht, weil Sie keine Analysevorlegen, die eine belastbare Grundlage für diesen An-satz enthält. Frau Pau, Sie sprechen selber davon, dassEinzelfälle keine Ausnahmen seien. Nur, woher nehmenSie das? Wenn etwas zu machen ist, ausgehend von dem,was Sie gesagt haben, dann müssen wir mehr Engage-ment aufwenden, um das Dunkelfeld zu erhellen; wirmüssen besser Bescheid wissen, bevor wir Gesetzent-würfe vorlegen.
Sie erwähnen auch die Residenzpflicht, die wir längstabgeschafft haben. Das heißt, in vielen Teilen ist dieserGesetzentwurf veraltet.Schauen Sie, wenn auf dem Pausenhof jemand von sei-nen Schulkameradinnen oder Schulkameraden – Schulka-meraden werden es wohl eher sein – vermöbelt wird,sollen wir dann ein Gesetz beschließen, dass derjenige inder Schule automatisch versetzt wird? Ich glaube, das istnicht die richtige Antwort, weil das eine sachfremdeAntwort ist. Sachlich richtig ist die Antwort, dass mandiejenigen, die sich fehlverhalten, zur Rechenschaftzieht, dass man präventiv arbeitet und dass man sich für
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Dr. Lars Castellucci
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Zivilcourage einsetzt. Das ist etwas, was wir mit Pro-grammen wie „Demokratie leben!“ fördern. Meine Kol-legin Susann Rüthrich wird darauf eingehen.Ich möchte eine Stelle aus der Problembeschreibungin Ihrem Gesetzentwurf zitieren. Frau Pau, ich weißnicht, ob Sie diesen Satz aufgeschrieben haben. Ich frageSie an dieser Stelle, welches Geschäft Sie eigentlich be-treiben. Sie schreiben hier:Zum anderen muss bereits der Anschein eines – undsei es unfreiwilligen – Zusammenwirkens zwischenrechten Gewalttätern und dem Staat vermiedenwerden.Der Passus „… der Anschein eines – und sei es unfrei-willigen – Zusammenwirkens …“ heißt: in Teilen einesmöglicherweise sogar ganz bewussten Zusammenwir-kens zwischen dem Staat und rechten Gewalttätern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, da überziehen Sie wie-der einmal.
Herr Castellucci, lassen Sie die Zwischenfrage von
Frau Pau zu?
Ja. Bitte schön.
Frau Pau.
Ich empfehle, nachher den Blick auf das Protokoll der
Rede zu richten. Ich habe genau ein solches Beispiel, in
dem es um diesen Anschein geht – also nicht um irgend-
eine Regel –, hier zitiert. Es war das Beispiel eines Op-
fers von schwerer Gewalt, welches durch seine Abschie-
bung seines Rechts beraubt wurde, als Nebenkläger
aufzutreten. Diese Abschiebung hat gleichzeitig den Tä-
tern die Genugtuung verschafft, dass sie ihr Ziel erreicht
haben.
Wir wissen genau: Es ist doch das Ziel dieser Gewalt-
täter, Migranten, Asylsuchende und in der sozialen
Hierarchie vermeintlich unter ihnen Stehende einzu-
schüchtern und ihnen zu bedeuten: Wir wollen euch
nicht hier haben. –
Jetzt geht es mir doch gar nicht darum, dass jeder, der
– in welcher Weise auch immer – Opfer solcher Gewalt-
taten wird, für immer und ewig in der Bundesrepublik
leben soll; er will es vielleicht auch gar nicht. Aber er
muss doch wenigstens die Möglichkeit haben, die Mög-
lichkeiten des Rechtsstaates hier auszuschöpfen, bei-
spielsweise indem er in einem solchen Prozess als Zeuge
auftritt und seinem Nebenklagerecht nachgeht.
Ich empfehle Ihnen – das war der Inhalt meines Zwi-
schenrufs vorhin – den Band mit den Geschichten der
Überlebenden der NSU-Anschläge und der Angehörigen
der NSU-Opfer, den Barbara John, Mitglied der Partei
Ihres Koalitionspartners, im November letzten Jahres
herausgegeben hat. Dort schildern beispielsweise Wit-
wen der NSU-Opfer, wie sie beinahe ihres Aufenthalts-
status verlustig gegangen wären, weil sie als Folge des
Mordes an ihren Ehemännern nicht mehr ihren Lebens-
unterhalt hier bestreiten konnten. Tatsächlich erhielten
einige von ihnen eine Aufforderung zur Ausreise. Wir
reden über solche Extremsituationen.
Mag sein, dass das handwerklich besser zu lösen ist,
als wir es vorgeschlagen haben; deswegen habe ich Sie
zu dieser Debatte eingeladen. Aber dann sollten wir uns
genau dieser Frage zuwenden.
Frau Kollegin Pau, so wie Sie hier sprechen und wieSie sich jetzt zu Wort gemeldet haben, diskutiere ich allediese Fragen sehr gern mit Ihnen; denn Sie argumentie-ren differenziert und unterlegen ihre Äußerungen mitkonkreten Beispielen. Ich beziehe mich aber auf das,was Sie hier aufgeschrieben haben.Das, was Sie hier aufgeschrieben haben – ich sage esnoch einmal: „Anschein eines – und sei es unfreiwilli-gen – Zusammenwirkens“, heißt – das weiß man, wennman sich mit der deutschen Sprache auskennt –, dass eseben auch ein freiwilliges Zusammenwirken von Staatund rechten Gewalttätern geben kann. Davon distanziereich mich. Das hat hier keinen Boden.
– Frau Pau, ich habe Sie ja deswegen extra persönlichangesprochen.Was Sie mit solchen Aussagen erreichen, ist, dass Sieden Rechtsstaat madig machen.
Damit leiten Sie Wasser auf die Mühlen von Leuten, beidenen Sie das gar nicht wollen. Damit fordern Sie nichtdie Stärke des Rechts, sondern diejenigen, die meinen,dass das Land mit dem Recht des Stärkeren zu regierensei. Auch das kann nicht in Ihrem Interesse sein.Meine Damen und Herren, das Beispiel, das Sie ge-nannt haben, legt nahe, dass wir uns verstärkt um Einzel-fälle kümmern müssen. Wir brauchen rechtsstaatlicheMittel, die uns in die Lage versetzen, auch im EinzelfallGerechtigkeit walten zu lassen; aber wir brauchen keineVerallgemeinerung in dem Sinne, dass jeder, der Opferrechter Gewalt ist, hier Aufenthaltsstatus bekommt.Im Übrigen machen wir eine ganze Menge dafür, dassder Aufenthaltsstatus sicher werden kann. Wir werdenhier in Kürze einen Gesetzentwurf einbringen, in dem esum die Ausweitung des Bleiberechts und die Abschaf-fung von Kettenduldungen geht. Das sind ganz wichtigeInitiativen, die von dieser Bundesregierung ergriffenwerden.
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Dr. Lars Castellucci
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Die entscheidende Frage ist, wo der richtige Anknüp-fungspunkt ist, wenn wir gegen rechte Gewalt vorgehenwollen. Wir wissen, dass die Einstellungen, die rechterGewalt zugrunde liegen, tief in der Bevölkerung veran-kert sind. Deswegen geht es um Demokratielernen. Dazuwird meine Kollegin Susann Rüthrich noch etwas sagen.Es geht darum, die Einstellung zu verändern. Es gehtauch darum, das Dunkelfeld aufzuhellen und mit der Be-völkerung im Gespräch darüber zu sein, wie wir in die-sem Land zusammenleben können. Das ist zentral. Aberdas macht man nicht, indem man rechtsstaatliche Institu-tionen infrage stellt, sondern gerade dadurch, dass manherausstellt, welchen Wert diese rechtsstaatlichen Insti-tutionen in Deutschland für das Gemeinwesen haben.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Martin
Patzelt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Als ich den Antrag der Linken zur Kennt-nis genommen habe – ich spreche jetzt über das Begeh-ren, 10 Millionen Euro mehr in die Präventionspro-gramme gegen Rechtsextremismus zu stecken –, habeich gedacht: Es ist wieder so, dass Sie zwei verhängnis-vollen Irrtümern erliegen.Der erste Irrtum ist: Viel hilft viel. Das ist durchausnicht der Fall. Jeder gute Arzt schaut genau, welche Me-dikation indiziert ist und wird diese entsprechend dosiertverordnen. Ich bin dem Ministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend und insbesondere HerrnHeppener außerordentlich dankbar, dass sie in einemganz anderen Ansatz nach unserer Debatte zu den Ergeb-nissen des NSU-Ausschusses eine äußerst akribischeHerangehensweise gewählt haben. Wir haben gemein-sam vereinbart, dass wir die Ansätze verstetigen. Das ha-ben wir getan. Das ist jetzt auf fünf Jahre ausgedehnt.Damit kann man für einen überschaubaren Zeitraum pla-nen. Wir haben weiter gesagt: Die Ergebnisse müssenausgewertet werden. – Wir haben dann noch einmal10 Millionen Euro draufgelegt.
– Unser gemeinsamer Antrag war das damals; daranmöchte ich erinnern.Jetzt sagen die Linken: Wir legen noch einmal etwasdrauf. – Herr Heppener hat mit seinem Team eine her-vorragende Arbeit geleistet. Wir haben erst in den letztenTagen die letzten Millionen vergeben. Das hat also überein Jahr gedauert. Warum? Weil er nicht alle Antragstel-ler aus den vergangenen Jahren so bedacht hat, wie siedas begehrt hatten. Es wurde genau evaluiert: WelcheErgebnisse sind da erzielt worden? Wer war daran betei-ligt? Die Antragsteller mussten ihr Begehr verteidigen.Er hatte unabhängige Gutachter dazugenommen. Dannwurde sehr akribisch gearbeitet und entschieden – werwollte, konnte als Parlamentarier daran teilnehmen –,wer wie viel bekommt. Die Programmmittel sind tat-sächlich nach sehr nachvollziehbarer fachlicher Erkennt-nis vergeben worden und nicht einfach nach dem Motto:Jetzt geben wir noch ein paar Millionen aus; wir habenes ja.Wir haben gerade in den letzten Tagen eine Veröffent-lichung vom Deutschen Jugendinstitut zu den Ursachenvon Radikalismus bekommen; wer will, kann es nachle-sen. Danach hat sich deutlich herausgestellt, dass esnicht nur die politischen Rahmenbedingungen sind,nicht die aktuelle politische Situation, die politisch wirk-samen Kräfte und die Abhängigkeitsverhältnisse, son-dern dass die Ursachen ganz wesentlich zu liegen schei-nen – man ist noch vorsichtig, aber es sind etlicheUntersuchungsergebnisse angeführt worden – in der Pri-märsozialisation in den ersten Jahren der Kindheit. Ju-gendliche Straftäter, Extremisten haben vermehrt davonberichtet, dass sie aus Stiefkinderfamilien kommen, dassder Vater gefehlt hat, dass das Klima rau und grob war,dass es gleichgültig war, dass keine Zeit für die Kindervorhanden war, dass Konflikte unangemessen verarbei-tet wurden, dass das die Sicht auf die Welt und das Mit-einander geprägt hat und dass im Laufe des weiteren Le-bens die Erfahrungen in der Schule, die Erfahrungen inder Ausbildung vielleicht noch diese Sicht in der selekti-ven Wahrnehmung immer wieder verstetigt haben.Ich erzähle Ihnen das, weil das nun einmal eine wis-senschaftliche Erkenntnis und nicht meine persönlicheErkenntnis ist. Danach müssen wir noch einmal ganzwoanders gucken, müssen vielleicht auch in unserer Fa-milienpolitik Ansätze suchen, um dem politischen Extre-mismus zu begegnen. Es reicht nicht, immer sozusageneine Soforthilfe, ein Notprogramm zu fordern, ein Pflas-ter aufzukleben, um sagen zu können: Jetzt haben wirPolitiker etwas gemacht. – Notwendig ist, systematischvon der Ursache her zu denken und von der Ursache herzu handeln, eine gesunde Familienpolitik zu betreiben.Es gilt, nicht bestimmten ideologischen Schimären zumOpfer zu fallen. Es ist immer so naheliegend, zu sagen:Die Armen, die Ausgegrenzten, das sind diejenigen, diedas Potenzial für unangemessene Verhaltensweisen ha-ben.Ich komme aus einer armen Familie, Nachkriegsgene-ration, viele Kinder. Ich hatte das große Glück, dass ichArmut erlebt habe, Glück deshalb, weil wir nicht auf ma-terielle Werte setzen konnten, weil wir kulturvoll und so-zial sehr befriedigend miteinander umgegangen sind.Das hat mir eine Sozialisation geschenkt, aufgrund dererich heute sagen kann: Ich bin ein glücklicher Mensch. –Das würde ich auch meinen Kindern wünschen.Aber Glück gibt es nicht zu kaufen. Mit Geld und im-mer mehr Geld können wir die Probleme der Kindernicht lösen. Wir brauchen für die Kinder Zeit. So ist dasProgramm „Elterngeld Plus“ zum Beispiel ein wesentli-cher Beitrag dazu, dass Eltern mehr Zeit für Kinder ha-
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Martin Patzelt
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ben. Wir müssen die Aufmerksamkeit darauf richten,dass Eltern nicht nur ihre Karriere oder ihre neue Lieb-schaft im Auge haben, sondern dass sie tatsächlich se-hen: Mein Kind braucht mich.
Kinder sind nicht die Glücksgehilfen für die Eltern. Ichhabe in all den Debatten, die wir geführt haben, immerdas Kind ein bisschen vermisst.
Kinder sind erst einmal für sich selbst Mensch. Sie brau-chen unsere Fürsorge, unsere Unterstützung. Wenn wirdadurch glücklich werden, dann ist das wunderbar, abersie sind nicht Objekt, um uns Befriedigung zu verschaf-fen.Das zu dem Teil, auf den bezogen ich sage: „Viel hilftviel“ ist einfach falsch.Dann sind Sie in Ihrem selbst geschaffenen Gefängnisder ideologischen Verblendung. Der Antrag hätte sich jaauch gegen politischen Extremismus richten oder Mittelfür Programme gegen politischen Extremismus fordernkönnen. Aber auf diesem linken Auge sind Sie einfachblind.Man hat im Ministerium die Sorge gehabt, dass sichviel zu wenige – vielleicht referiert meine KolleginRüthrich nachher die Zahlen; damit will ich Sie jetzt garnicht belasten – oder kaum Antragsteller melden, dieOpfer politischen Linksextremismus wurden.
– Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Dann könnenwir nachher oder an einer anderen Stelle darüber reden.– Der politische Extremismus ist in jeder Hinsicht eineIrreführung. Deswegen bin ich immer ein bisschen skep-tisch, wenn eine Aufteilung in die alten Bilder von rechtsund links erfolgt und dann Etiketten verteilt werden, da-mit wir wissen, wo die Guten und wo die Bösen sind.Das ist doch eine Engführung, in der wir selber hängenbleiben.Es geht darum, dass es ein unangemessenes Verhaltenvon jungen Menschen gibt, das sie selbst in eine schwie-rige Situation bringt, das sie unglücklich macht und dasanderen Menschen Unglück bringt. Da müssen wir ein-mal genau schauen: Wie kommt es dazu? Welche Rah-menbedingungen können wir beeinflussen? Wie könnenwir ihnen helfen und damit auch uns? Das kommt mirimmer viel zu kurz. Ich habe manchmal den Eindruck,dass – nicht gewollt; aber doch in der Wirkung ganz si-cher – auch zum Hass erzogen wird, nicht gegen dasRechte und gegen das Feindliche, sondern gegen dieMenschen. Das ist äußerst gefährlich.Ich bin in einer Situation aufgewachsen, in der mangesagt hat: Wir müssen das Böse hassen. Wir müssenden Klassenfeind hassen. Wir müssen uns stark machendagegen. – Wenn ich die Aktionen der Linken in meinerStadt beobachtet habe, habe ich immer gedacht: MeineGüte, wie rennen diese armen jungen Menschen gegeneinen vermeintlichen Feind an, weil sie in ihrem puber-tären Drang und aufgrund von Idealen – ja, guter Ideale– meinten, sie könnten mit Gewalt, mit Gewalt derStraße das Unrecht und das Elend der Welt beseitigen.Es sind Milliarden Liter Blut geflossen, beispiels-weise während der Französischen Revolution und auchbei anderen Revolutionen. Hat das die Welt wesentlichverändert? Nein. Wir sind heute in einer Phase, in derwir mit Vernunft und Verstand sowie angemessenen Hil-fen den Menschen tatsächlich helfen können, die Dingeneu zu sehen. Sie haben das vorhin selber gesagt: Gewaltist niemals ein Mittel – niemals. Damit meine ich nichtnur körperliche Gewalt. Kollege Ullrich hat ja die Zitate,die ich mir aufgeschrieben habe, hier schon vorgetragen.Aber eines möchte ich doch noch vortragen, insbeson-dere meinen linken Kollegen, weil mich das so erschro-cken gemacht hat. Auf der Homepage des KollektivsCrimethInc. steht:Deshalb mag es zwar manchmal sogar nötig sein,Polizist_innen anzuzünden, allerdings sollte diesnicht in einem Anflug von rachsüchtiger Selbstge-rechtigkeit geschehen, sondern von einem Stand-punkt der Fürsorge und des Mitgefühls aus – wennauch nicht für die Polizei, dann wenigstens für alle,die sonst unter ihnen zu leiden hätten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir solcheHaltungen bei jungen Menschen befördern – ich meinenicht unbedingt das mit dem Verbrennen; das ist einExtrem –,
wenn die Polizei, also diejenigen, die das Gewaltpoten-zial des Staates verbürgen, in ihrer Existenz angegangenwerden, wenn man nicht dagegenhält, dann setzen wirunseren Staat aufs Spiel, dann setzen wir unsere Demo-kratie aufs Spiel. Genau das passiert aber.
Sie waren wohl noch nicht bei den Demonstrationendabei, wenn die Bullen getrieben wurden, wenn die Bul-len sich schützen mussten. In meiner Tageszeitung inFrankfurt stand nach einer der letzten Demonstra-tionen sinngemäß: Es war eigentlich relativ friedlich. Essind nur drei Polizisten verletzt worden. – Toll! Die Poli-zisten, die das Gewaltmonopol haben und die dafürSorge tragen, dass wir in unserem Staat friedlich lebenkönnen, werden dann noch zum Opfer von jungen, undich sage: fehlgeleiteten, Menschen.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit deutlich über-schritten.
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Ja, ich weiß, meine Zeit ist um. Danke schön. – Ich
sage einmal: Dieser Antrag ist ein Schaufensterantrag.
Es liegt nichts drin, was mich überhaupt nur anziehen
könnte, die Ware zu kaufen. Überlegen Sie einmal, wie
Sie Ihre Anträge besser und möglichst ideologiefrei stel-
len können. Dann haben wir vielleicht eine gemeinsame
Zukunft.
Danke.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Susann
Rüthrich von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Letzte Wocheist bei mir zu Hause eine Asylunterkunft mit Steinen an-gegriffen worden. Das geschieht dieser Tage immer wie-der, überall in Deutschland. Es werden Menschen ange-griffen. Sie werden angepöbelt. Manche Jugendlichewerden zu Glaubenskriegen rekrutiert. An anderer Stellewird vor einer vermeintlichen Islamisierung Deutsch-lands gewarnt. Ich will, dass das anders wird, dass alleMenschen, die bei uns leben, sicher sind – egal wohersie kommen, wie sie aussehen und was sie glauben –:ohne Demütigungen, ohne seelische und ohne körperli-che Übergriffe. Doch das kommt nicht von allein. VorOrt muss das Miteinander gestützt und gefördert werden,und zwar verlässlich, sicher und ausreichend.Der Antrag der Linken handelt von genau dieser Un-terstützung. Er ist schon einige Tage alt – macht nichts.Für mich sind diese Fragen immer aktuell. So nehme ichden Ball also gerne auf und rede darüber, was wir mitdem Programm „Demokratie leben!“ umsetzen, das vomFamilienministerium unterstützt wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns ein-stimmig dazu bekannt, die Forderungen des NSU-Unter-suchungsausschusses umzusetzen. Wir haben zugesagt,die Förderung der Demokratie dauerhaft mit mehr Geldzu unterstützen. Wir wollen ein eigenes Bundesgesetz,um diese Arbeit auch zukünftig zu sichern. So ist unsereBeschlusslage, und im Übrigen sieht das auch der Koali-tionsvertrag vor. Der Beschluss ist sehr gut. Gut ist auch,dass er umgesetzt wird.In 220 Kommunen gibt es jetzt lokale „Partnerschaf-ten für Demokratie“. In den Gemeinden können vor OrtEinwohnerinnen und Einwohner ganz konkrete Projekteumsetzen, egal ob es Kinderkonferenzen sind oder dasEngagement für Asylsuchende. Alle 16 Bundesländerhaben jetzt Demokratiezentren, in denen die Opferbera-tung, die mobile Beratung und weitere Beratungs-ansätze, etwa für Schulen, koordiniert und umgesetztwerden. 28 bundesweit wirkende Initiativen und Projekt-träger haben jetzt die Möglichkeit, ihre Arbeit auf stabileFüße zu stellen. Sie sind so etwas wie ein inhaltlichesDach, weil sie Konzepte und Inhalte von einem EndeDeutschlands an das andere transferieren können unddann inhaltliche Koordinierungen umsetzen können. Zu-sätzlich erproben 54 Modellprojekte, was beispielsweiseDemokratie im ländlichen Raum stützt. Weitere 36 Mo-dellprojekte wirken präventiv gegen Radikalisierungen.Ich kann nur sagen: Ich bin davon beeindruckt, was hieralles möglich gemacht wird. Ich sage den vielen Enga-gierten Danke, die jeden Tag dabei helfen, dass wir unsin Deutschland alle wohlfühlen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Programmist komplett neu geschrieben worden. Für den Prozess,wie das Familienministerium – von der Spitze mitManuela Schwesig über die Leitungsebene bis zu denFachabteilungen – diese Aufgabe angegangen ist, kannich nur aus vollem Herzen Danke sagen. Es wurde bera-ten, miteinander gesprochen, gemeinsam gedacht – unddas nicht nur mit uns Abgeordneten, sondern auch mitden Engagierten in den Projekten. Das war eine Zusam-menarbeit auf Augenhöhe. Das ist eine Qualität für sich.Dafür vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 40,5 MillionenEuro: Das ist die Summe, die wir jetzt in das Programmstecken können. Nun schauen wir, ob das reicht, umauch den Forderungen aus dem NSU-Untersuchungsaus-schuss gerecht zu werden; denn weiße Flecken – egal obregional oder inhaltlich – können wir uns nicht leisten.Die darf es nicht geben. Wenn Notwendiges am Geldscheitert, dann sind wir im Parlament gefragt, solcheMissstände aufzuheben.Noch etwas ist neu. Die Programmlaufzeit beträgtjetzt fünf statt drei Jahre. Die Engagierten können end-lich einige Jahre ihre Arbeit machen, ohne an den Fol-geantrag und das nächste Projekt denken zu müssen.Verstetigung aber heißt – sowohl im NSU-Abschlussbe-richt als auch im Koalitionsvertrag –: eine dauerhafteLösung. Eine dauerhafte Lösung ist eine eigene bundes-gesetzliche Grundlage. Das Gutachten von Herrn Profes-sor Battis sagt, dass wir dafür auch die Zuständigkeithaben. Meiner Meinung nach geht es jetzt darum, dasProgramm „Demokratie leben!“ in eine Institution „De-mokratie leben!“ zu überführen. Das wird auch der Ar-beit der Träger gerecht; denn Bildungsarbeit, Opferbera-tung, mobile Beratung sowie Gemeinwesenarbeit sindkeine Projekte, die einen Anfang und ein Ende haben;vielmehr wird mit ihnen eine Daueraufgabe erledigt.
Dem tragen wir Rechnung, indem wir diese Aufgabenauf Dauer unterstützen. Wir haben das versprochen. Ichfinde, das ist ein gutes Ziel für die zweite Halbzeit dieserLegislaturperiode.Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Damit, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/4450, 18/2492 und 18/2493 an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungAgrarpolitischer Bericht der Bundesregie-rung 2015Drucksache 18/4970Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhältBundesminister Christian Schmidt für die Bundesregie-rung das Wort.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Mit der Vorlage des Agrarberichts rückt dasThema Landwirtschaft in das Zentrum der Debatte und,ich hoffe, auch in das Zentrum der Gesellschaft. Für dieDebatte stehen uns 38 Minuten zur Verfügung. Ichwürde mich freuen, wenn es uns darüber hinaus gelingt,die Diskussionen über die Zukunft der Landwirtschaft,der Forstwirtschaft und, nicht zu vergessen, der Fische-reiwirtschaft breit in die Gesellschaft hineinzutragen.Die Debatte muss nicht von allgemeinen Übereinstim-mungen gekennzeichnet sein. Auf jeden Fall aber solltenwir den Handelnden – das sind in der Land-, Forst- undFischereiwirtschaft in erster Linie die Erzeuger, dieBäuerinnen und Bauern, die Fischer und die Forstwirte –zunächst dafür danken,
dass sie unser Land in einem hervorragenden Zustandhalten und die Ernährung sichern.
Der Agrarbericht zeigt, dass wir in Bezug auf Leis-tungsfähigkeit und Produktivität zusammen mit den vor-und nachgelagerten Bereichen – ein Begriff, der allesumfasst: vom Boden bis zum Teller – bisher viel erreichthaben. Die Land- und Ernährungswirtschaft hat eineBruttowertschöpfung von 161 Milliarden Euro erzielt.Das sind mehr als 6 Prozent der Wertschöpfung allerWirtschaftsbereiche und unterstreicht die Bedeutung derErnährungswirtschaft.
Unsere Produkte sind weltweit beliebt und gefragt.Jeden vierten Euro erlöst die deutsche Landwirtschaft imExport, die deutsche Ernährungswirtschaft sogar jedendritten Euro. Der Export ist natürlich keine Einbahn-straße. Aber wir sollten uns auch in Verhandlungen überFreihandelsabkommen immer wieder vor Augen führen:Wir müssen einerseits unsere Standards durchsetzen,aber wir müssen andererseits im globalen Kontextgestaltungsfähig bleiben und deshalb unsere Qualitäts-produkte aus Deutschland mit Selbstbewusstsein ver-markten. Ein Nichtvermarkten, eine Entlastung der Pro-duktion zulasten von anderen Märkten über den Wegvon Exporterstattungen, gibt es mit mir und dieser Bun-desregierung Gott sei Dank nicht mehr. Das ist kein rich-tiger Weg.
Das würde auch die Auffassung, über die die wichtigstenIndustriestaaten beim G-7-Gipfel in Elmau übereinge-kommen sind, nicht widerspiegeln. Wir wollen uns mitfairen Produkten und fairer Produktion auf dem globalenMarkt behaupten. Das ist das Ziel.Die bäuerliche Landwirtschaft ist das Rückgrat desErfolges. In Deutschland gibt es 285 000 solcher Be-triebe, 90 Prozent davon sind Familienbetriebe. Ich freuemich deshalb, dass es uns gelungen ist, den Strukturwan-del, der stattgefunden hat und der, wie der Strukturwan-del in anderen Bereichen unserer Gesellschaft auch, wei-tergehen wird – da sollten wir ganz realistisch sein –,etwas abzufedern.Heute haben wir im Verhältnis zur Zahl der Betriebevor 40 Jahren gerade noch 15 Prozent; die Leistungsfä-higkeit ist hingegen deutlich gesteigert worden. Ichmöchte klar sagen, dass für die bäuerlichen, familiärenBetriebe mit ihrer Unmittelbarkeit im Wirtschaften, aberauch für die Nebenerwerbsbetriebe, die ich auch erwäh-nen möchte, eine Stabilisierung der Produktion und dieOrientierung nicht nur am Markt, sondern auch in derGesellschaft eine wichtige Rolle spielen.Ich sehe meine Aufgabe darin, deutlich zu machen,dass der vorgelegte Bericht einen Hinweis gibt, dass dieLandwirte im Prinzip zuversichtlich nach vorne schauenkönnen. Damit das weiter so bleibt, ist vorgesorgt: Diebeschlossene Gemeinsame Agrarpolitik der Europäi-schen Union bis 2020, die bei uns umgesetzt wird, trägtzur Planungssicherheit für unsere Bäuerinnen und Bau-ern bei; das ist der Boden, auf dem sie und auch wir ste-hen. Wir haben stabile Direktzahlungen in Höhe vonknapp 5 Milliarden Euro bis 2020 gesichert. Dadurch hatsich die Einkommenslage der Landwirte weiter verbes-sert. Deutschlands Landwirte liegen mit im Schnitt45 800 Euro Gewinn deutlich über dem EU-Durch-schnitt von knapp 18 000 Euro. Denjenigen, die jetzt zu-hören und sich fragen: „Ja, was sagt denn der Ministerhier? Weiß der nicht, wie meine augenblickliche Milch-abrechnung aussieht? Die sieht nicht so aus“, muss ich
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10924 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Bundesminister Christian Schmidt
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sagen: Ich weiß. Ich berichte über einen vergangenenZeitraum, den Zeitraum bis Ende letzten Jahres. Wirmüssen feststellen, dass es in der Einkommenssituationder Landwirte in diesem Jahr leider Verwerfungen gibt.Was ist daran schuld? „Schuld“ ist das falsche Wort. Wassind die Ursachen? Wetter, Märkte, Menschen.
– Gegen das Wetter, lieber Kollege Ostendorff, könnenwir gerne gemeinsam vorgehen.
– Da Sie das Einkommen ansprechen: Sie wissen ja, dasswir gerade durch die Stabilität unserer Politik die Grund-lage dafür schaffen, dass das Einkommen der Landwirteerhalten bleibt und besser wird.
– Bei der Milch haben wir einen großen Wandel weg vonder Milchquote bewältigen müssen. Die Milchquote hatübrigens auch nicht die Milchkatastrophe in den Jahren2007 und 2008 verhindert.
Alle die, die Patentrezepte kennen, möchten sich bittebei mir melden. Nein, wir brauchen ein Netzwerk, dasLeitplanken schafft und Krisenreaktionen beinhaltet.Das hat die Europäische Union, glaube ich, ganz gut ent-wickelt. Wir müssen in diesem Bereich aber aktiv blei-ben und werden das tun.Ich will auf das Bodenrecht hinweisen. SteigendePachtpreise, mancherorts um 50 Prozent, und eine zu-nehmende Flächenkonzentration sehe ich kritisch für un-sere heimische Agrarstruktur. Das ist eine Baustelle, ander wir arbeiten müssen.
Eine weitere Baustelle ist die Bürokratie. Es gab ein-mal die Diskussion um eine Steuerreform – Sie erinnernsich vielleicht noch –, in der ein Bierdeckel eine Rollespielte. Auf den will ich gar nicht hinaus. Aber die Aus-dehnung der bürokratischen Belastungen – Mehrfach-antrag etc., durch das Greening nicht weniger gewor-den – sind für mich Anlass, anzukündigen, dass die Bun-desregierung, mein Haus, zukünftig im Abstand vonzwei Jahren einen Bericht darüber vorlegen wird, wiedie Belastung der Landwirtschaft und der Erzeugerdurch europäische und nationale Regelungen aussiehtund wo Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Wir müs-sen dieses Thema angehen.
Es gibt eine Reihe von Themen, die es erfordern, dassdie Mitte der Gesellschaft mitredet. Diejenigen, die überdie Landwirte reden, sollten zuerst mit ihnen reden. Dasschärft den Blick für das Wesentliche und das Machbare.Ich appelliere an die Dialogfähigkeit unserer Gesell-schaft. Nicht über die Landwirtschaft reden, sondern mitihr, das schafft Erkenntnis.
Das gilt auch für die Frage des Tierwohls, wo wirviele Initiativen ergriffen haben, die eindeutig und gutüberschaubar Verbesserungen bringen. Es geht um dieKernkompetenz der Agrar- und Ernährungsbranche. Da-bei sind Anpassungsfähigkeit, Modernität und Innova-tion von Bedeutung. Es ist ja nicht so, dass diese keineRolle spielen. Dabei gibt es auch eine Verknüpfung mitden umweltpolitischen Herausforderungen, zum Bei-spiel mit den Düngeregelungen, die wir in der nächstenZeit besprechen werden, oder mit den Belastungen derLuft. Das sind Probleme, welche die Landwirtschaftnicht leugnet. Sie ist bereit, darüber zu sprechen. Wirmüssen über diese Dinge in einem gesamtgesellschaftli-chen Dialog reden und dann Entscheidungen treffen.
Herr Minister, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich
überschritten.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herzlichen Dank für den Hinweis. – Ich möchte noch
einen letzten Hinweis bezüglich des ländlichen Raums
geben, der für uns ganz wichtig ist. Eine unabhängige
Jury hat mein Modellvorhaben „Land(auf)Schwung“ be-
wertet. Von den 37 Landkreisen in Deutschland, die sich
beworben hatten, sind 13 ausgewählt worden. Auch die
nicht Ausgewählten verdienen für ihr Konzept Achtung
und Unterstützung. Bei ihnen wird es noch manch eine
Weiterentwicklung geben. Heute werden die entspre-
chenden Landkreise die Information erhalten, dass sie
ihr Entwicklungskonzept für den ländlichen Raum in
den nächsten Jahren mit einer Finanzierung von unge-
fähr 1,5 Millionen Euro umsetzen können.
Wir bleiben bei der Agrarentwicklung und brauchen
keine Agrarwende.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin in dieser De-
batte hat Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die
Linke das Wort.
Die Koalition hat ja so wenig Redezeit, da muss manschon mal überziehen!
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Dr. Kirsten Tackmann
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Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Als ich das Inhaltsverzeichnis des Agrar-berichtes las, war ich positiv überrascht. Denn das ersteMal seit 1990 wurde dort der Begriff „Agrarleitbild“ er-wähnt. Beim weiteren Lesen wurde ich doch bitter ent-täuscht. Von den siebeneinhalb Zeilen im entsprechen-den Absatz wird höchstens ein Phrasenschwein fett.Ja, alle Stichworte sind richtig: ländliche Räume,multifunktionale Land- und Forstwirtschaft, Fischerei,landwirtschaftliche Familienbetriebe, Unternehmen mitbäuerlicher Wirtschaftsweise. – Das wurde sprachlichnoch mit Adjektiven wie „attraktiv“, „vital“, „lebens-wert“, „ökologisch verantwortbar“, „nachhaltig“ sowie„ökonomisch leistungsfähig“ geschmückt. Aber das sinddoch bestenfalls Überschriften. Sie stellen jedoch keinLeitbild dar. Dabei ist ein Leitbild bei den vielen ökolo-gischen und sozialen Herausforderungen doch wirklichdringend notwendig.Bei diesen Herausforderungen geht es zum Beispielum die Bodenpolitik. Der Agrarbericht beschreibt im-merhin sehr zutreffend die Problemlage, auf die wir Lin-ken seit Jahren hinweisen. Dabei geht es um zum Teildrastisch gestiegene Kauf- und Pachtpreise, um die zu-nehmende Aktivität nichtlandwirtschaftlicher Investo-ren, um – wie es zum Beispiel auch in meinem Dorf inBrandenburg der Fall ist – Holdingstrukturen in derLandwirtschaft sowie um die deutliche Zunahme derKonzentration des Bodenbesitzes in bestimmten Regio-nen.Ja, das führt zu einschneidenden Veränderungen aufdem landwirtschaftlichen Bodenmarkt. Aber, MinisterSchmidt, wo sind denn Ihre Initiativen, um das endlichzu ändern? Beim Boden geht es doch schließlich um dieExistenzgrundlage der regionalen Landwirtschaft. Ge-rade in Ostdeutschland läuft doch längst die Umvertei-lung des Bodens in die Hände landwirtschaftsfremderKapitalgeber. Es gibt doch real längst Ackerbauholdings,die aus der Ferne gesteuert werden. Zum Beispiel ge-schieht das auch in Bezug auf die Felder in meinemDorf. Dabei wird in Niedersachsen bestimmt, was inBrandenburg wächst. Statt aber Vorschläge zu machen,verweisen Sie auf die Zuständigkeit der Länder. Und Siesagen, dass alles so kompliziert sei und man miteinanderreden müsse.
Ja, richtig. Aber mit welchem Ziel denn? Es gibt dochVorschläge, die sinnvollerweise im Bund oder wenigs-tens bundeseinheitlich geregelt werden sollten. ZumBeispiel geht es darum, dass Anteilskäufe bei Agrar-unternehmen von Behörden genehmigt werden müssen.
Tun Sie doch endlich etwas gegen die feindlichen Über-nahmen durch landwirtschaftsfremdes Kapital!
Wo bleibt denn ein bundesweites Kataster, aus dem her-vorgeht, wer wo wie viel Boden besitzt? Ich fürchte, esgibt ein böses Erwachen, weil sich schon jetzt immermehr Boden im Besitz von wenigen kapitalstarken Hän-den konzentriert. Hier ist Gefahr in Verzug. Handeln Sie,Herr Minister!
Wem gehört das Land? Das ist doch eine der zentralenZukunftsfragen. Marktgläubigkeit ist hier die völlig fal-sche Antwort! Es geht aber nicht nur um die ortsansässi-gen Betriebe. Wenn Bodeneigentum und Landbewirt-schaftung nichts mehr mit den Menschen in den Dörfernzu tun haben, dann stirbt das Dorf. Deshalb wollen wirLinken eine Allianz zwischen Dorfbevölkerung, orts-ansässigen Betrieben und Verbraucherinnen und Ver-brauchern.
Es gibt noch mehr Brennpunkte, denen Sie auswei-chen, Herr Minister. Stichwort: Bioökonomie. Ja, wirmüssen raus aus dem fossilen Kohlenstoffzeitalter; aberwenn die Landwirtschaft zum Rohstofflieferanten degra-diert wird, ist es doch mit der Nachhaltigkeit zu Ende.Die Konflikte zwischen Tank, Trog und Teller werdendann nur noch nach Gewinnerwartungen entschieden.Das dürfen wir doch nicht zulassen.
Hier geht es schließlich um die Daseinsvorsorge, um dieVersorgung mit Lebensmitteln und erneuerbaren Ener-gien.Nachwachsende Rohstoffe sind nicht unendlich ver-fügbar. Die Anbaufläche ist doch begrenzt, und wir ver-lieren täglich 70 Hektar. Zwischen 2005 und 2013 ist dieAnbaufläche für Biomasse um rasante 40 Prozent ge-wachsen, zulasten von Lebensmitteln und Futtermitteln.Der Anstieg hat sich jetzt zwar verlangsamt, aber wirbrauchen endlich eine Biomassestrategie, die energeti-sche und stoffliche Nutzung zusammenführt. Dann wirdes auch was mit dem nachhaltigen Anbau.
Noch ein Thema möchte ich ansprechen. Die USA er-leben gerade einen verheerenden Vogelgrippeseuchen-zug, dem schon 40 Millionen Stück Geflügel zum Opfergefallen sind. 10 Prozent der Eierproduktion wurdenvernichtet. Als Tierärztin sage ich: Das hat auch was mitRisikostrukturen zu tun, nämlich mit zu vielen Tieren aneinem Standort und in einer Region.
Das sollte uns jetzt wirklich mahnen. Lassen Sie unsendlich Obergrenzen für Tierbestände an einem Standortund in einer Region gesetzlich definieren.
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Dr. Kirsten Tackmann
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Das bringt übrigens auch wieder Frieden in die Dörfer;denn 40 000 Schweine oder 400 000 Hähnchen in derNachbarschaft sind definitiv zu viel.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht
Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! VerehrterHerr Minister, ich freue mich außerordentlich, dass Siedie Zeit gefunden haben, in der wichtigen Debatte heuteeinen Redebeitrag zu leisten.
Denn ich glaube, es ist die vornehmste Aufgabe desMinisters, zum Agrarbericht hier im Parlament Stellungzu beziehen.Wir haben die zeitliche Abfolge vor etlichen Jahrenverändert: Früher gab es jährlich einen Agrarbericht;jetzt diskutieren wir alle vier Jahre einen Agrarbericht.Deshalb kann man jetzt immer nur auf vier Jahre zurück-schauen. Die Rückschau weist viele Zahlen für die letz-ten vier Jahre aus, die durchaus positiv sind. Da kannman würdigen, dass unsere Agrarwirtschaft internationalwettbewerbsfähig ist. Das Exportvolumen von 60 Mil-liarden Euro spricht eine deutliche Sprache. Bei so vie-len positiven Zahlen und Entwicklungen kann man ansich stolz sein.
Wenn wir die Diskussionen in der Rückschau betrach-ten und versuchen, in die Zukunft zu schauen, erkennenwir aber auch eine Diskussion in der Gesellschaft, in derviele die Form der Produktion und Wertschöpfung kri-tisch hinterfragen. Das ist auch ihr gutes Recht. 40 Pro-zent der Bevölkerung sind laut einer Umfrage in beson-derer Weise an gesunden und sicheren Lebensmittelninteressiert. Sie wollen, dass die Politik ihren Beitragdazu leistet; das ist ihnen vielleicht wichtiger als dasWirtschaftswachstum oder eine gesicherte Energiever-sorgung. Das macht deutlich, wie wichtig dieser Sektorfür uns und für die Menschen ist.Die Verbraucherinnen und Verbraucher vertrauen da-bei auf eine hohe Lebensmittelsicherheit und auf einehervorragende Produktqualität.
Diese liefert unsere deutsche Landwirtschaft, und damitwird in der deutschen Landwirtschaft auch Geld ver-dient – zu Recht. Aber das Hinterfragen der Produk-tionsweise in der gesellschaftlichen Diskussion müssenwir natürlich auch ernst nehmen. Begriffe wie „indus-trielle Massentierhaltung“, „Antibiotikamissbrauch“ und– regelmäßig im Januar, wenn die Grüne Woche stattfin-det – der Satz „Wir haben es satt!“ machen deutlich, dassdie Form, die Art und Weise der Produktion und be-stimmte Strukturen kritisch hinterfragt werden. Ichfinde, es ist bislang für die Politik nicht ganz einfach, dierichtige Antwort darauf zu finden.Es beginnt ein Umdenkprozess in der Branche. DieLandwirte stellen sich diesen Themen. Der Bauernver-band hat diese Diskussion, wenn ich zurückschaue, vorJahr und Tag vermutlich gar nicht so ernst genommen.Mittlerweile reagiert aber nicht nur er darauf, sondernauch die ISN, wie ich neulich auf einer Veranstaltung derISN, bei der es hervorragendes deutsches Fleisch gab,live feststellen konnte.Ich glaube, das sind richtige Ansätze, um sich mitdem auseinanderzusetzen, was notwendig ist. Notwen-dig ist natürlich auch der stete Wandel. Notwendig istauch, dass man auf die Gesellschaft zugeht. Ich hoffe,dass das alle Landwirte in Zukunft weiter gemeinsamtun werden.Agrarpolitik ist heute ein Teil der Gesellschaftspoli-tik. Tiergerechte Haltungssysteme, Tierhygiene und bes-seres Management sind an sich Selbstverständlichkeiten,die in unseren Ställen umgesetzt werden. Wir sollten dieStälle an die Tiere anpassen und nicht umgekehrt.
Deshalb begrüße ich die Initiative Tierwohl; dennhierbei wird zum ersten Mal der Versuch unternommen,entlang der Kette ein System zu schaffen, das zu spürba-ren Verbesserungen führt. Das ist ein erster Versuch; dasist ein erster Anlauf.
Es bedarf allerdings weiterer Initiativen und, wie ichglaube, auch einer entsprechenden Flankierung.Ich glaube, der Verbraucher sollte klar und deutlicherkennen, unter welchen Tierschutz- und Tierwohlbedin-gungen das Fleisch produziert worden ist, das er an derLadentheke kauft. Zu bedenken ist, dass die höherenStandards nicht nur für das Fleisch gelten, das an der La-dentheke unter diesem Label verkauft wird, sondernauch für das Fleisch, das für den Export bestimmt ist.Höhere Standards sind nur dann umzusetzen, wenn dieWettbewerbsfähigkeit der Branche in Gänze nicht in-frage gestellt wird.
Die Branche muss letztlich so wettbewerbsfähig und soproduktiv sein, dass Maßnahmen für höhere Tierschutz-standards finanziert werden können.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10927
Dr. Wilhelm Priesmeier
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Das Gutachten des Sachverständigenrates liefert ei-nen, wie ich finde, guten und positiven Ansatz, der dieDiskussion in den nächsten Jahren mit Sicherheit erheb-lich beflügeln wird.
Diese Diskussion ist notwendig. Notwendig ist aberauch, dass wir Konsequenzen ziehen und diesen Prozessbegleiten, und zwar auch durch entsprechende Forderun-gen.Dazu bedarf es vielleicht einer neuen Architektur derAgrarpolitik auf europäischer Ebene. Vielleicht mussman Geld aus dem kaum an Bedingungen geknüpftenZahlungssystem herausnehmen und zielgerichtet in land-wirtschaftliche Betriebe investieren, die bereit sind, sichdiesem Prozess zu stellen, die bereit sind, zu investierenund das Risiko zu tragen. Durch diese finanzielle Förde-rung kann man dafür sorgen, dass das Risiko derjenigen,die diesen Weg zuerst beschreiten, abgemildert wird.Das ist, glaube ich, grundsätzlich richtig.Wenn wir uns die Ausrichtung der Agrarpolitik an-schauen – dafür ist der Agrarpolitische Bericht immerein guter Anlass –, sollten wir unser Augenmerk auchauf 2017 richten. Wir sollten die notwendigen Konse-quenzen hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der eu-ropäischen Agrarpolitik ziehen. Ich halte das jetzigeSystem – das habe ich hier schon wiederholt kundtundürfen – für wenig zukunftsfähig. Man sollte langsambeginnen, aus dem jetzigen System auszusteigen. Zielmuss es sein, dass wir nach 2020 aus dem Säulensystem,das wir auf europäischer Ebene entwickelt haben, he-rauskommen. Wir müssen für mehr Effizienz im Zah-lungssystem sorgen, als wir heute haben.
Einen ersten Ansatz haben wir in die Koalitionsver-handlungen eingebracht: 4,5 Prozent aus der ersten indie zweite Säule. Mit Blick auf 2017 muss man natürlichsehen, dass 225 Millionen Euro in diesem Zusammen-hang nicht allzu viel sind. Da kann man mehr tun.
Theoretisch können wir 750 Millionen Euro umschich-ten. Ich halte diesen Weg für richtig. Wir sollten das zumZiel unserer Arbeit hier im Deutschen Bundestag ma-chen; denn undifferenzierten Zahlungssystemen gehörtsicherlich nicht die Zukunft.Wir brauchen natürlich auch einen guten Ansatz fürdie Weiterentwicklung der Politik für die ländlichenRäume. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu etwas auf-geschrieben: Wir wollen aus der GAK etwas Ordentli-ches machen. Diese Aufgabe werden wir jetzt angehen,im Sinne unserer ländlichen Räume. Wir wollen uns denProblemen stellen, die in bestimmten Regionen beson-ders groß sind, zum Beispiel bei mir zu Hause, wo wir2035 – das ist nicht lang hin; das sind nur 20 Jahre – einViertel weniger Einwohner haben werden. Das machtdeutlich, dass wir auch in diesem Bereich zusätzlicherfinanzieller Ressourcen bedürfen, um die Politik für dieländlichen Räume aktiv ausgestalten zu können, um Pro-zesse aktiv begleiten zu können. Es geht nicht darum,Sterbehilfe für die Dörfer zu leisten, sondern darum, Ini-tiativen zu fördern, darum, bürgerschaftliches Engage-ment zu fördern, darum, all diejenigen zu fördern, dieIdeen haben und sich in diesen Prozess einbringen wol-len.Angesichts des, glaube ich, schon in der Abstimmungbefindlichen Gesetzes zur Novellierung der alten GAKhoffe ich auf den Herbst und darauf, dass wir einefruchtbare Diskussion führen werden.In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksam-keit.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat FriedrichOstendorff von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dasWort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Überall volle Säle, kein Ereignis hat in den ver-gangenen Wochen die Diskussion über die Landwirt-schaft und die Zukunft der Landwirtschaft so bestimmtund verändert wie das Gutachten des WissenschaftlichenBeirates des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur ge-sellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Überall wirdheute entlang konkreter Vorschläge diskutiert, wohin un-sere Nutztierhaltung gehen muss, um zukunftsfähig zusein.Allerdings, nebenbei bemerkt, verhält sich MinisterSchmidt auch zu dieser großen gesellschaftlichen De-batte wie immer, nämlich gar nicht. Stille, absoluteStille im Haus des Bundeslandwirtschaftsministers. HerrMinister Schmidt, Sie werden scheinbar zwischen Mün-chener Staatskanzlei und Bauernverband bis zur Un-kenntlichkeit pulverisiert, aber nicht nur Sie, sondern lei-der auch – das bedauern wir besonders – das ganzeMinisterium.Herr Minister, die große Frage für uns alle ist doch:Wohin soll sich unsere Landwirtschaft entwickeln? Da-rüber müssen wir diskutieren und debattieren, und Siemüssen handeln. Sie sind die Handlungsebene.
Wenn ich aber in den Agrarpolitischen Bericht schaue,dann muss ich feststellen, dass sich hinter Ihrem agrar-politischen Leitbild – Kollegin Tackmann sagte esschon – nur leere Worthülsen, nur Allgemeinplätze ver-stecken: „… attraktive, lebenswerte und vitale ländlicheRäume und eine nachhaltige, ökologisch verantwortbare,ökonomisch leistungsfähige und multifunktionale Land-wirtschaft“ – wir Grünen hätten es nicht besser formulie-ren können – streben Sie an. Danke, Herr Minister, ja,aber etwas genauer wollten wir es dann doch schon wis-sen. Das ist, glaube ich, klar.
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10928 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Friedrich Ostendorff
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Aber da Sie, Herr Minister Schmidt, im Zweifel nichtsentscheiden, wird der Aktenberg der ungelösten Pro-bleme höher und höher – statisch sehr bedenklich, näm-lich bedrohlich hoch.
Uns würden wirklich einmal die konkreten Konzepte,mit denen Sie die Probleme anpacken wollen, interessie-ren. Reden wir doch endlich einmal Tacheles. InitiativeTierwohl – das Thema, das die Landwirtschaft momen-tan neben der großen Frage der Zukunft der Tierhaltungbewegt –: Welche Strategie, Herr Minister, haben Siedenn, um den Betrieben zu helfen, die sich auf den Weggemacht haben, Tierschutz in die Ställe zu bringen, dieGeld investiert haben und die heute im Regen stehen, daüber die Hälfte von ihnen nicht in den Genuss der Aus-gleichszahlungen kommt? Erklären Sie uns doch bitteIhre Strategie. Hier und heute ist der Ort, wo die Land-wirtschaft eine Antwort erwartet.
Aber auch hier: nichts, gar nichts von Ihnen, kein Wort.Die Betriebe, die sich aufgemacht haben, müssen dochendlich für ihren Aufwand entlohnt werden, damit sieMut fassen, auf diesem richtigen Weg weiterzumachen.Ihre Versprechungen, Herr Minister, waren groß. Sie ha-ben während der Grünen Woche viel darüber geredet.Aber jetzt sind wir in einer Zeit, in der Taten erforderlichsind. Wir wollen endlich Taten sehen.
Ihre Aufgabe ist es, den Lebensmittelhandel mehr indie Verantwortung zu nehmen, sodass er das notwendigeGeld für die tierwohlgerechte Haltung bereitstellt.
Warme Worte helfen den Betrieben hier überhaupt nicht.Die Folgen Ihres Nichthandelns bezahlt die Gesellschaft,bezahlen die Steuerzahler, bezahlen die Bäuerinnen undBauern. Aber es kann doch nicht sein, dass Steuerzahlerdie Auswüchse des falschen Wirtschaftens bezahlen. Istdenn der Staat zum Reparaturbetrieb der Wirtschaft ver-kommen? Das kann doch nicht Staatsaufgabe sein.
Aber was macht der Minister? Selbst die Kosten fürdie Beendigung des Kükenschredderns sollen nun dieSteuerzahler zahlen. Wenn das nicht ein Beispiel für einefalsche wirtschaftliche Entwicklung ist, dann weiß ichnicht, was eins sein soll.
Noch schlimmer: Die Lösung vertagen Sie auch nochauf den Sankt-Nimmerleins-Tag.Wie steht es denn nun um die Betriebe? Für die meis-ten Betriebe hat sich zum Glück das Einkommen – daswar nötig für sie – in den letzten vier Jahren bis 2014 gutentwickelt, sehr gut entwickelt.Aber wir alle wissen doch, dass dies ganz besondereJahre waren. Und aktuell? Die Betriebsergebnisse wer-den aufgrund der abstürzenden Preise, der rasant abstür-zenden Preise in diesem Jahr viel, viel schlechter ausfal-len. Viele werden große Schwierigkeiten haben, dienächsten Jahre zu überstehen.Sie wissen genauso gut wie ich, Herr Minister: DieSituation vieler Milchviehbetriebe entwickelt sich trotzIhrer blumigen Zukunftsvisionen seit dem Wegfall derQuote am 1. April dieses Jahres desaströs. Schöne Mär-chen haben Sie in der Zeit rund um März/April erzählt.Wie blumig sie waren, die Worte! Sie sagten, wie toll al-les wird, wie gut die Zukunft für die Milchviehhaltungist.
– Ich habe den Milchpreis nicht gemacht – das wäre einefalsche Entwicklung, Herr Auernhammer –,
und ich glaube, Sie auch nicht; also wir beide nicht.Aber wir hätten es gemeinsam beeinflussen können.
Um die Situation der Milchviehhalter in dieser Kri-senzeit zu verbessern, sind ein effektives Krisenmanage-ment und Marktregulierungen nötig.
Dazu haben wir Sie immer wieder aufgefordert, und dashaben wir immer wieder angemahnt. Sie haben das vomTisch gewischt. Wir Grüne haben deutlich gemacht, dasseine aktive Marktgestaltungspolitik für die Milch ge-braucht wird, und wir haben deutlich gemacht, wie sieauszusehen hat.
Was hören wir auch hier vonseiten des Ministers seitWochen, seit der Milchpreis abgestürzt ist? Nichts, garnichts, eisiges Schweigen, Ignoranz!
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10929
Friedrich Ostendorff
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Dabei laufen selbst auf europäischer Ebene die Dis-kussionen, wie die Probleme gelöst werden können, aufHochtouren. Herr Minister, Handeln, auch wenn es Ih-nen schwerfällt, ist dringend notwendig, mehr als drin-gend notwendig. Deshalb fordern wir von Ihnen: LegenSie endlich einen Masterplan zum Umbau der Tierhal-tung vor!
Herr Ostendorff, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Minister Schmidt zu?
Wenn ich meine drei Forderungen genannt habe, kön-
nen wir gerne darüber diskutieren. Lassen Sie mich das
aber eben zu Ende vortragen; denn sonst ist das abge-
hackt. – Legen Sie endlich einen Masterplan zum Um-
bau der Tierhaltung vor, Herr Minister! Sorgen Sie end-
lich dafür, dass der Lebensmittelhandel unter Druck
gesetzt wird und er für die Initiative Tierwohl mehr Geld
bereitstellt! Geben Sie der Milchviehhaltung eine Per-
spektive! Sorgen Sie endlich für aktive Milchmengen-
steuerung, damit nicht weiterhin jedes Jahr 4 Prozent der
Milchbetriebe aufgeben müssen!
Jetzt Sie, Herr Minister; ich freue mich auf Ihre
Frage.
Jetzt der Abgeordnete Schmidt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der AbgeordneteSchmidt möchte diese Diskussion mit zwei Fragen zudem in der Rede des Kollegen Vorgetragenen ergänzen.Darf ich Sie bitten, uns an Ihren Ideen im Hinblickauf die Milchmarktregelung teilhaben zu lassen, bzw. istIhnen bekannt, welche Aussagen zur Zukunft des Milch-marktes in dem Gutachten, das das baden-württembergi-sche Landwirtschaftsministerium gerade zu diesemThema eingeholt hat, vor dem Hintergrund der derzeitschwierigen Situation getroffen worden sind?Die zweite Frage, die ich stellen möchte, betrifft dieInitiative Tierwohl. Ist Ihnen bekannt, dass die InitiativeTierwohl eine private Brancheninitiative des DeutschenBauernverbandes und des Lebensmitteleinzelhandelsist? Welche Mittel schlagen Sie dem Bundesministervor, um unter Beachtung des Kartellrechtes zu verord-nen, was wo wer bezahlen soll?
Ja, wunderbar; danke für diese Fragen. – Nicht nurwir, sondern auch die Kollegen der Linken haben seit derGrünen Woche dazu aufgefordert
– Herr Minister bzw., in diesem Fall, Herr Kollege, jetzthören Sie mir bitte zu –,
sich aktiv um die Milch zu kümmern, weil wir die Sorgehatten – das ist leider eingetreten; keiner von uns kanndas wollen –, dass die Preise in große Turbulenzen kom-men, und sich Gedanken zu machen: Welche Hilfsinstru-mente kann es geben, um die Märkte zu stabilisieren?Aber Sie haben ja jede Debatte darüber abgelehnt; Siehaben sich auf keine Debatte eingelassen.
Das wollen wir doch erst einmal feststellen!
Wir haben gesagt, dass die Marktbeobachtungsstellein Brüssel, die von den Milchviehhalterinnen und Milch-viehhaltern mühsam erkämpft worden ist, gestärkt wer-den muss. Wir haben das in den Haushaltsberatungen ge-sagt und entsprechende Anträge eingebracht, um dabeizu helfen, die Aktivitäten der Milcherzeuger zu bündelnund zu stärken.
Was war? Sie haben es abgelehnt! Sie haben ja keine De-batte darüber zugelassen!
Sich jetzt hierhinzustellen und uns zu fragen: „Wo sinddenn die Instrumente?“, halte ich für infam. Wir werdenIhnen all unsere Vorschläge, die wir in den ganzen Re-den der letzten Wochen und Monate vorgetragen haben,zuschicken.
Das ist infam, wie Sie hier Politik machen.
Herr Minister, die Initiative Tierwohl ist sehr zu be-grüßen. Sie haben immer wieder erklärt, dass sich dasMinisterium in die Debatte einbringen wird, wenn dieseBrancheninitiative Schwierigkeiten hat. Das ist sogar inden Verträgen niedergelegt. Was ist denn jetzt? Wo brin-gen Sie sich denn ein? Sagen wir es doch einmal so: Wasmuss denn noch passieren, damit Fahrt aufgenommenwird
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10930 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Friedrich Ostendorff
(C)
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und wir diese Debatte beginnen?
Kommen Sie doch einmal mit mir in die Säle Westfa-lens und Niedersachsens, und hören Sie sich an, was dortzur Initiative Tierwohl diskutiert wird. Vielleicht habenSie ja in Bayern keine Gelegenheit dazu. Die Bauern undBäuerinnen fragen Johannes Röring und alle, die wirhier sind, wo die Hilfe bleibt, die ihnen versprochenworden ist. Hier ist der Minister gefordert.
Herr Abgeordneter, Sie können sich gerne hinsetzen;ich bin mit meiner Beantwortung fertig.
Zum Schluss will ich Ihnen, Herr Minister, aber nochsagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt – auch bei uns, unddas ist bei einem evangelischen Christen sehr schwer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren jetzt in
der Debatte fort. – Als nächste Rednerin hat Ingrid
Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wohl.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Schmidt hatja die großen Schlaglichter des Agrarpolitischen Berichtsbeleuchtet und deutlich gemacht, dass die Anforderungenan die deutsche Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft inimmer stärkerem Maße auch mit den gesellschaftspoliti-schen Anforderungen korrespondieren müssen. Ichdanke ihm auch ganz besonders für die Anerkennung,die er hier eben den so wirtschaftenden Betrieben ausge-sprochen hat.Herr Ostendorff, mir ist ein stilles, konkretes, effekti-ves Arbeiten zehntausendmal lieber als laute Schaum-schlägerei, die nur aus viel heißer Luft besteht.
Aufgabe der Politik muss es sein, verlässliche Rah-menbedingungen zu schaffen
für ein Nebeneinander von Akzeptanz, Wertschätzung,aber auch wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit derBranche.
Die Branchen sind bereit, sich den gesteigerten Anforde-rungen zu stellen und die Dinge mitzumachen, die aufden Weg gebracht werden.Ich möchte jetzt aber die Aufmerksamkeit auf zweispezielle Bereiche des Berichts lenken, die hier nochnicht behandelt worden sind, nämlich auf die Fischereiund auf die Forschung.In der Fischereipolitik ist nachhaltige Fischerei dasoberste Ziel – in der Binnen- wie auch in der Seefische-rei –; denn eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fisch-bestände ist ökologisch geboten, und der Erhalt der Bio-diversität ist im Sinne der Bewahrung der Schöpfung.Gesunde Bestände sichern aber auch die wirtschaftlicheLebensgrundlage der Fischer, die so einen wesentlichenund immer bedeutsamer werdenden Beitrag als Lieferan-ten gesunder Lebensmittel leisten können. Hier gilt, wiein anderen Bereichen auch, was der Bundesministerbereits bei der Vorstellung des Agrarpolitischen Berichts2015 in der Befragung der Bundesregierung am20. Mai 2015 postulierte:Das Schützen und das Nutzen unserer natürlichenRessourcen sind zwei Seiten einer Medaille.
Das Fischereiwesen in Deutschland ist ein traditionel-ler Bestandteil von Wirtschaft und Kultur – besonders ander Küste, aber auch im Binnenland. Deshalb ist es aucherfreulich, dass der weitaus größte Teil der deutschen Fi-schereifahrzeuge, nämlich 1 166 von insgesamt 1 530,der kleinen Küstenfischerei angehört. Auch wenn wir eskritisch sehen, dass sich die Kapazität der Fischereiflottein den letzten Jahren insgesamt weiter verringert hat– die Fischereiflotte hat ja wirtschaftlich durchaus einenschweren Stand –, ist der eingeschlagene Weg auf jedenFall der richtige.Gerade im Bereich der Hochseefischerei und der Küs-tenfischerei war der große Kraftakt der vergangenenJahre die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik. Siegilt seit dem 1. Januar des letzten Jahres. Auch wenn mitdem Inkrafttreten die eigentliche Arbeit erst angefangenhat und längst noch nicht alles zufriedenstellend gelöstist, muss man doch anerkennen: Das Nachhaltigkeitszielals oberstes Prinzip ist ein großer Erfolg.
Rückwurfverbot und Anlandegebot zeigen bereits ersteWirkungen. Die Entwicklung der Fischbestände im Be-richtszeitraum ist erfreulich und zeigt, dass wir auf ei-nem guten Weg sind, den wir konsequent fortsetzen wol-len.Auch die Aquakultur darf in diesem Zusammenhangnicht unerwähnt bleiben. Hier besteht noch erheblichesPotenzial für Wachstum und Produktionssteigerung, wo-
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Ingrid Pahlmann
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bei auch hier die nachhaltige und tiergerechte Erzeugungdas oberste Prinzip sein muss.Das spannt dann auch den Bogen zu meinem zweitenSchwerpunkt, der Agrarforschung. Hier wird das geför-dert, was wir schon lange fordern: eine innovative undgut aufgestellte Forschung, die anwendungsorientiertzukunftsfähige Lösungen entwickelt, die Ressourcenschont und umweltverträglich unsere Agrar- und Ernäh-rungswirtschaft wettbewerbsfähig hält. Dabei sind dieeinzelnen Forschungsfelder derart komplex, dass ihneneigentlich eine weitaus größere Aufmerksamkeit zukom-men sollte.
Ich nenne zukunftsfähige und attraktive ländlicheRäume; nachhaltige Produktion und Nutzung pflanzli-cher Ressourcen; Tiergesundheit, Tierschutz und nach-haltig gestaltete Erzeugung tierischer Produkte; funk-tionsfähige Märkte und faire Handelsbedingungen;Lebensmittel- und Produktsicherheit; gesunde Ernäh-rung und Lebensweise sowie Sicherung der globalen Er-nährung. All die genannten Forschungsfelder stehengleichberechtigt nebeneinander und sind unabdingbarfür eine gelingende Gesellschaft.
Dabei soll Forschung nicht nur gesellschaftliche De-batten aufgreifen und für diese Lösungen entwickeln,sondern sollte selbst auch zukunftsweisende Prozesseanstoßen. Hierfür muss Forschung allerdings nicht nurmit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden,sondern auch strukturell ermöglicht werden, indem zumBeispiel Hindernisse abgebaut werden, die in der Pro-grammförderung weiterhin noch vorhanden sind. Wirhaben das Stichwort schon gehört – der Minister hat esangesprochen –: Entbürokratisierung ist ein großesThema, auch für die Forschung.
Die Ausgaben für Wissenschaft, Forschung und Ent-wicklung haben sich seit dem letzten Bericht um knapp40 Millionen Euro erhöht. So fördern wir seit 2014 zumBeispiel im Rahmen der Eiweißstrategie –
Frau Kollegin.
– ich bin gleich fertig – Forschungsvorhaben mit dem
Ziel, die Versorgung mit pflanzlichen Eiweißen heimi-
scher Produktion zu verbessern.
Weil Forschungsergebnisse eben erst dann nutzbrin-
gend sind, wenn sie auch praktische Anwendung in den
Betrieben finden, wurde die Deutsche Innovationspart-
nerschaft Agrar gegründet.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Ja, ich komme zum Schluss. – Wir brauchen die For-
schung an der Seite der Politik, wir brauchen die For-
schung an der Seite der Betriebe – im Interesse aller und
im Miteinander für den ländlichen Raum. Dann gelingt
das auch.
Ich danke Ihnen.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Rainer
Spiering von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Zuschauer! Meinen Redebeitrag zumAgrarpolitischen Bericht 2015 möchte ich mit einem Zi-tat beginnen:Der politische und gesellschaftliche Konsens, dieLandwirtschaft als elementaren Teil unserer ökono-mischen, sozialen, ökologischen und kulturellenGesellschaftsstruktur anzuerkennen, ist in Teilenbrüchig geworden.Das sagte Landwirtschaftsminister Schmidt bei der Vor-stellung des Agrarpolitischen Berichts 2015.Ein zweites Zitat daraus, auch vom Landwirtschafts-minister:Die Bruttowertschöpfung im Bereich der Ernäh-rungs- und Landwirtschaft beträgt 161 MilliardenEuro;– diese Zahl ist heute schon einmal genannt worden –das entspricht einem Anteil an der gesamten Wert-schöpfung von 6 Prozent.Diese beiden Zitate machen das Spannungsfeld klar,in dem wir uns zurzeit befinden: Wir haben eine sehrleistungsfähige Agrarwirtschaft. Aber wir haben aucheine gesellschaftliche Entwicklung, die dazu führt, dassdie Menschen den Produkten der Agrarwirtschaft nichtmehr das Zutrauen entgegenbringen, das sie ihnen ei-gentlich entgegenbringen müssten.
Daran müssen wir schwerpunktmäßig arbeiten, und zwarunter Berücksichtigung der Kritik, die geübt worden ist.Im Agrarpolitischen Bericht wird die Bedeutung ei-nes verantwortungsvollen Umgangs mit Tieren und Um-welt betont. Zitiert worden ist heute bereits ProfessorSpiller, der mit seinem Gutachten über die Marketing-seite – diese darf man nie vergessen – deutlich macht,wie das Produkt zurzeit in seinem Umfeld, also inDeutschland, wahrgenommen wird. Daraus folgt, es gibtin Deutschland nachhaltig, in unserem inneren Kreis und
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Rainer Spiering
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nicht irgendwo draußen, ein Unwohlsein. Dieses Un-wohlsein kann man nicht wegdiskutieren; denn es ist da.Man kann es auch nicht verdecken; denn es ist da. Dasheißt, wir müssen irgendwie damit umgehen. Und „um-gehen“ bedeutet hier, eine Strategie zu entwickeln, mitder nach vorne geschaut wird.Tierwohl kann dabei eine sehr große Rolle spielen.Ich möchte mich ausdrücklich bei meiner KolleginChristina Jantz bedanken, die in diesem Zusammenhangein wirklich ausgesprochen innovatives Papier entwi-ckelt hat. Wir werden gemeinsam mit Christina dafürkämpfen, dass wir es umsetzen. Denn Tierwohl ist einmarktrelevanter Faktor. Aber wenn wir uns mit diesemmarktrelevanten Faktor auseinandersetzen wollen, dannbrauchen wir keine Versuche – probieren reicht nämlichnicht aus –, sondern nachhaltige wissenschaftliche Un-tersuchungen.Die Kollegin Pahlmann hat gerade die Forschung an-gesprochen. Wir sind ein Land, das im Bereich For-schung und Entwicklung sehr stark ist. Zur Frage desTierwohls sind wir aber offensichtlich noch nicht in derLage nachhaltige Untersuchungsergebnisse vorlegen zukönnen. Das wird unsere Aufgabe sein.Diskutiert wird auch der Stall der Zukunft. Aber derStall der Zukunft – das hat gestern unser Gespräch mitder DAFA gezeigt – ist ein ausgesprochen vielschichti-ges und analytisch schwer zu erfassendes Instrument.Die DAFA weist zu Recht darauf hin, dass eine Erpro-bung, wenn man sich dafür entscheidet, in mehrerenStreams gemacht werden muss. Das heißt, man mussmehrere Projekte gleichzeitig auf den Weg bringen.Wenn man das tun will und den Landwirten, die man da-für braucht, nachhaltige Sicherheit für ihr Experimentgeben will, dann müssen wir dafür Geld ausgeben, HerrMinister Schmidt. Das ist eine Tatsache; das ist eine ein-fache Wahrheit.
Das gilt auch für andere Forschungsbereiche. Die Ei-weißpflanzenstrategie ist bereits angesprochen worden.Schön und gut, Kolleginnen und Kollegen, aber damit,dass wir der Eiweißpflanzenstrategie die richtige Rich-tung geben, geben wir letztlich noch keine schlüssigeAntwort. Das heißt, dass wir auch im Rahmen der Ei-weißpflanzenstrategie sehr gründlich darüber nachden-ken müssen, wie wir Proteine in einem ganz anderenMaße nutzen können, als wir das derzeit tun. Denn dieNutzung von Proteinen erfolgt nicht nur auf dem Wegüber das Tier. Es gibt auch andere Nutzungsmöglichkei-ten für Proteine. Auch in diesem Bereich werden wirGeld für Forschung in die Hand nehmen müssen. For-schung ist schlechthin der Ansatz, den wir brauchen, umüberhaupt agieren zu können.Da meine Redezeit schon abgelaufen ist, lassen Siemich Folgendes sagen: Landwirtschaft made in Ger-many ist weltweit gefragt. Wir haben hochwertige Le-bensmittel. Wir haben sehr hohe prozessorientierte Stan-dards, und wir haben Spitzentechnologien im Bereichder Landmaschinentechnik. Wir können es schaffen, dieökonomischen Interessen der Landwirtschaft mit den ge-stiegenen Anforderungen des Verbraucher- und des Um-weltschutzes zu verknüpfen. Aber wir müssen dies auchwollen. Und dafür werden wir Geld in die Hand nehmenmüssen.Wir müssen besser werden. Forschung ist dabei vonzentraler Bedeutung. Der Agrarsektor ist – das ist mir inden letzten zwei Jahren klar geworden – einer der weni-gen Sektoren, bei dem wir in Deutschland Urproduktionhaben. Wir reden immer davon, dass wir nur eine Basishaben, nämlich unser Wissen. Nein, wir haben im land-wirtschaftlichen Bereich auch Urproduktion, und wirmüssen die Möglichkeiten, die wir im Bereich der Ur-produktion haben, nutzen.
Mittels Pflanzen findet Urproduktion statt. Aber esreicht nicht, darüber zu reden. Man muss auch Geld indie Hand nehmen, um eine Zukunftsperspektive aufzu-bauen. Wir können das, und wir wollen das.Wir können mit Big Data, Toptechnologie und einerhochengagierten Landwirtschaft mit stark ausgeprägtemUmwelt- und Produktbewusstsein einen Zyklus vorge-ben, mit dem Deutschland in der Welt Vorreiter seinkann – wenn wir denn wollen.Ich danke fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Franz-Josef Holzenkamp von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Lieber Rainer Spiering, mitdieser Rede kann man sich sogar bei der CDU bewerben.
Aber zurück zum Agrarpolitischen Bericht 2015. Mansollte vielleicht auch noch den Gartenbau erwähnen. Erwurde nämlich bislang komplett vergessen.Jedenfalls, meine Damen und Herren, tut sich etwasin unserem Land. Das Interesse am Essen und Trinken– und auch ein bisschen die Wertschätzung dafür –steigt,
wenn es auch, wie ich finde, noch zu gering ist; da istnoch Luft nach oben. Über diese Entwicklung könnenwir uns freuen. Auch das Interesse an der Art und Weiseder Erzeugung in Deutschland steigt,
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Franz-Josef Holzenkamp
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ob im Pflanzenbau oder in der Tierhaltung. Die Agrar-politik steht also zunehmend im gesellschaftlichen Fo-kus.Ich will an dieser Stelle aber auch anmerken: Ichfinde, wir verlangen richtig viel von unseren Landwir-ten, und sie leisten auch richtig viel. Ich finde, dafür ha-ben sie ganz banal Dank, Würdigung und Unterstützungverdient.
Sie sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten demPreisdruck der Märkte und den Forderungen nach Effi-zienzsteigerungen sehr erfolgreich entgegengetreten.Aber gleichzeitig – auch das ist wahr – sind Akzeptanzund Vertrauen spürbar gesunken. Die Erwartungen undAnsprüche der Gesellschaft steigen. Das tatsächlicheKaufverhalten ist aber nach wie vor im Wesentlichenvon Preisbewusstsein geprägt. Der Agrarpolitische Be-richt greift dieses Spannungsfeld als Standortbestim-mung auf. Wichtig ist nun, die Weichen richtig zu stellenund die entsprechenden Vorhaben auf den Weg zu brin-gen.Ich will behaupten: Das BMEL, die Agrarwirtschaftund wir als Agrarpolitiker sind auf einem guten Weg,und zwar mit einer Art Qualitätsoffensive Landwirt-schaft made in Germany, wie ich es einmal nennenmöchte.
Wir haben auch Veränderungsbereitschaft – das hat Bun-desminister Schmidt deutlich gemacht –, Landwirtschaftneu zu denken. Aber wir machen es ein bisschen andersals einige andere, nämlich miteinander statt gegeneinan-der.
Wir wollen den notwendigen Änderungsprozess alsChance verstehen. Aber dafür brauchen wir Begeiste-rung. Wir dürfen keine Zukunftsängste unter den Land-wirten und in der Landwirtschaft verbreiten. Da stehenwir alle in der Verantwortung, meine Damen und Herren.Der gesundheitliche Verbraucherschutz spielt einegroße Rolle. Ich will nur zwei Beispiele nennen. Wirwollen die Kennzeichnung vorantreiben, damit jederweiß, ob das drin ist, was draufsteht, nach dem Motto„Wahrheit und Klarheit“.
Deshalb kämpfen wir für eine umfassende GVO-Pro-zesskennzeichnung. Ich will an dieser Stelle auch erwäh-nen: Wir haben trotz Anlaufschwierigkeiten das AMGnovelliert, um den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhal-tung zu reduzieren, und haben damit große Verantwor-tung übernommen. Dieses Gesetz ist beispielhaft unddient dazu, den Antibiotikaeinsatz jedes landwirtschaft-lichen Betriebs zu ermitteln und automatisch Reduk-tionsmaßnahmen auf den Weg zu bringen.
Hier sind wir hervorragend aufgestellt. Darüber dürfenwir uns auch einmal freuen.
Landwirtschaft, meine Damen und Herren, ist aberauch Wirtschaft. Nur durch Landwirtschaft gibt es näm-lich auch lebendige Dörfer. Natürlich funktioniert Wirt-schaft nur – Herr Spiering hat bereits darauf hingewie-sen –, wenn Wettbewerbsfähigkeit gegeben ist. Im Übri-gen gibt es ohne Wettbewerbsfähigkeit auch keine Nach-haltigkeit. Das hat der kollektive Zusammenbruch desSozialismus gezeigt. Anders geht es nicht. Dabei ge-winnt Regionalität an besonderer Bedeutung. Ich willaber klarstellen: Für uns sind Regionalität und Globalitätkein Widerspruch. Wochenmarkt und Weltmarkt sindunsere Leitlinie. Deshalb bin ich dem Bundesministerdankbar, dass beide Richtungen gestärkt und nicht ge-geneinander ausgespielt werden.
Wir wollen unsere Ressourcen im Umweltbereichschützen und nutzen. Pflanzenschutz und Düngerechtstehen im Zentrum einer effizienten und ressourcenscho-nenden Pflanzenerzeugung. Es wurde darauf hingewie-sen, dass wir die Düngeverordnung neu regeln,
um Einträge in Wasser zu minimieren. Aber ich will un-terstreichen: Auch die Pflanzen müssen ausreichend er-nährt werden. Das geht nicht mit Verboten, sondern nurmit Lösungen.
Auch in der Tierhaltung ergreifen wir – das wurdeschon mehrfach angesprochen – konkrete politischeMaßnahmen. Ich weise auf die Tierwohl-Initiative desBMEL hin. In diesem Rahmen wollen wir konkrete Lö-sungen durch Forschung erarbeiten und den Landwirtenanbieten. Wir machen Politik, indem wir Lösungen an-bieten, und nicht, indem wir nur Verbote aussprechen;das greift nämlich zu kurz. Deshalb haben wir die Initia-tive „Verbindliche Freiwilligkeit“ ins Leben gerufen.Friedrich Ostendorff, ich weiß um all die Probleme, diedu zu Recht angesprochen hast, und dass sich der Handelstellenweise nicht ausreichend seiner Verantwortungstellt. Daran arbeiten wir.
Herr Kollege Holzenkamp, Sie müssen zum Schlusskommen.
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10934 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
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Ich komme zum Schluss. – Die Initiative „Verbindli-
che Freiwilligkeit“ ist ein erster Schritt; nur so haben wir
die Chance, dass die Landwirte für ihre höheren Stan-
dards tatsächlich angemessen entlohnt werden.
Meine Damen und Herren, wir sind auf einem sehr
guten Weg. Wir nehmen die richtigen Weichenstellungen
vor. Wir stehen vor einer herausfordernden und spannen-
den Aufgabe.
Ich lade Sie alle herzlich ein, mitzumachen, aber bitte
konstruktiv.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Ich wünsche Ihnen allen so-wie unseren Gästen auf der Tribüne einen schönenMittag.Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/4970 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich bitte um Platzwechsel. Wer die nächste Debattenicht verfolgen will, möge den Saal bitte zügig verlas-sen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSUund SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Neuordnung des Rechts der Syndikus-anwälteDrucksache 18/5201Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und SozialesNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Heiko Maas, der Bundes-minister der Justiz und für Verbraucherschutz, hat dasWort.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzent-wurf wollen wir den Beruf der Syndikusanwälte und -an-wältinnen zum ersten Mal auf eine eigene gesetzlicheGrundlage stellen. Wir wollen damit Rechtssicherheitfür die Betroffenen schaffen, aber wir wollen vor allenDingen auch – das ist ein wichtiges Ziel – die Einheit derAnwaltschaft stärken.Dieser Gesetzentwurf hat einen Anlass. Es sind dieUrteile des Bundessozialgerichts aus dem vergangenenJahr. Die meisten, die sich damit beschäftigt haben, wer-den sie kennen. Das Gericht in Kassel war der Ansicht,dass ein Jurist, der bei einem nichtanwaltlichen Arbeit-geber angestellt ist, kein Anwalt sein kann. Diese Urteilehaben bei den Betroffenen für große Unsicherheit ge-sorgt; denn damit standen für sie die Mitgliedschaft inden Versorgungswerken der Anwaltschaft und damitauch ihre Altersversorgung auf dem Spiel.Mit diesem Gesetzentwurf formulieren wir jetzt erst-mals klare Voraussetzungen, unter denen ein Syndikusfür seine Tätigkeit im Unternehmen zur Rechtsanwalt-schaft zugelassen werden kann. Wir schaffen damitRechtssicherheit für über 40 000 Kolleginnen und Kolle-gen; denn wir geben ihnen die Möglichkeit – darum gehtes im Wesentlichen in diesem Gesetzentwurf –, in dieVersorgungswerke zurückzukehren.Unser Gesetzentwurf geht von einer berufsrechtlichenLösung aus. Ob ein Unternehmensjurist als Anwalt zuqualifizieren ist, hängt danach von folgenden Umstän-den ab: Er muss fachlich unabhängig und weisungsfreitätig sein. Seine Tätigkeit muss darin bestehen, Rechts-fragen zu prüfen, Rechtsrat zu erteilen und Rechtsver-hältnisse zu gestalten, und er muss eine Vertretungsbe-fugnis nach außen besitzen. Dabei orientieren wir unsgenau an den Kriterien, die die Deutsche Rentenversi-cherung auch bisher schon angelegt hat.Mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft werden dieSyndikusanwälte den übrigen Anwälten weitestgehendgleichgestellt. Einige Unterschiede bestehen nur bei derVertretung und bei den Privilegien in der Strafprozess-ordnung; aber das ist, wie ich finde, nachvollziehbar undberechtigt.Der Syndikusrechtsanwalt ist in seiner Beratung undVertretung grundsätzlich auf die Rechtsangelegenheitenseines Arbeitgebers beschränkt. Wo vor Zivil- und Ar-beitsgerichten Anwaltszwang herrscht, dürfen Syndikus-anwälte ihren Arbeitgeber nicht gerichtlich vertreten.Auch das halte ich für sinnvoll und notwendig. In Straf-und Bußgeldverfahren besteht ein umfassendes Vertre-tungsverbot. Außerdem sollen das Zeugnisverweige-rungsrecht und das Beschlagnahmeverbot der StPO hiernicht gelten. – Diese Einschränkungen sind allesamt be-gründet, sie sind der besonderen Stellung der angestell-ten Anwältinnen und Anwälte in ihren Unternehmengeschuldet und deshalb, wie ich finde, alle sehr nach-vollziehbar.Ganz wichtig bei diesem Gesetzentwurf ist auch, dasssich zugelassene Syndikusanwälte in Zukunft wiedervon der Rentenversicherungspflicht befreien lassen kön-nen. Für besondere Rechtssicherheit – darauf kommt esvielen Syndikusanwälten, die im Moment sehr verunsi-chert sind, an – sorgt dabei die Bindungswirkung derKammerentscheidung. Wenn die Rechtsanwaltskammereinen Unternehmensjuristen zur Rechtsanwaltschaft zu-
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Bundesminister Heiko Maas
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gelassen hat, dann bindet diese Entscheidung auch dieRentenversicherer, wenn es um die Befreiung von derVersicherungspflicht geht.Der Gesetzentwurf geht noch weiter. Er schafft näm-lich auch Vertrauensschutz: Wer bis zu den Urteilen desBundessozialgerichts von der Versicherungspflicht be-freit war und anschließend in die gesetzliche Rentenver-sicherung eingezahlt hat, der kann seine Beiträge nun indie anwaltliche Versorgung zurückführen.Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurfschaffen wir alles in allem ein modernes Berufsrecht,wir schützen das Vertrauen der Syndikusanwälte in ihreAlterssicherung, und wir stärken damit die Anwaltschaftals Ganzes.
– Aber er war immer noch an der richtigen Stelle, HerrPetzold.
Dieses Thema ist umfassend diskutiert worden, unddas ist auch alles gut und richtig. Dieser Gesetzentwurfist mittlerweile bei den Betroffenen, in der Fachwelt,aber auch in allen politischen Lagern auf viel Zustim-mung gestoßen. Deshalb hoffe ich, dass dieser Entwurfauch in diesem Hause auf große Zustimmung stößt.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Heiko Maas. – Nächster Redner in der
Debatte: Harald Petzold für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen!Die Bundesregierung will – so schreibt sie in ihrem Ge-setzentwurf, und so hat es der Minister gerade vorgetra-gen – die Stellung des Syndikusanwalts als Rechtsanwaltgesetzlich regeln. Nun kann man das natürlich so sehen,wie es der Minister hier gerade vorgetragen hat. Für dieLinke kann ich nur sagen: Es ist zumindest bedauerlich,dass diese Gesetzesinitiative erst dann zustande kam, alsuns das Bundessozialgericht dazu gezwungen hatte, hieraktiv zu werden. Sie wäre eigentlich schon längst über-fällig gewesen. Das Kernproblem, um das es geht, näm-lich die rentenrechtliche Frage, hätte eigentlich schonlängst gelöst sein können, wenn Sie sich einer Diskus-sion über eine solidarische Bürgerversicherung nichtständig verweigern würden.
Mit den bisherigen gesetzlichen Regelungen habenSyndikusanwälte – ich erläutere diesen Begriff für dieje-nigen, die ihn heute zum ersten Mal hören –, alsoRechtsanwälte, die im Rahmen eines dauerhaften Be-schäftigungsverhältnisses ihre Arbeitszeit und ihre Ar-beitskraft einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber, etwaUnternehmen, Versicherungen, Banken, Verbänden, zurVerfügung stellen, vor allen Dingen ein rentenrechtli-ches Problem. Nun kann man sagen: Das stimmt ja garnicht. Das Bundessozialgericht hat doch nur entschie-den, dass Rechtsanwälte, die nicht selbst anwaltlich tätigsind, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichenRentenversicherung nicht mehr befreit werden können. –Das stimmt zwar. Wenn wir aber, wie gesagt, eine Versi-cherung einführen würden, in die alle einzahlen und diedann auch für alle gilt, dann hätten wir dieses vermeintli-che rentenrechtliche Problem mit einem Schlag gelöst.Denn wir hätten eine Rentenversicherung, in die ers-tens alle einzahlen, in der es zweitens keine Beitragsbe-messungsgrenzen gibt – wer wenig leisten kann, zahltalso wenig ein, und wer mehr leisten kann, zahlt auchmehr ein –, in die drittens alle Einkommensarten einbe-zogen werden, bei der es viertens eine Parität zwischenArbeitgebern und Arbeitnehmern gibt und für die fünf-tens gilt, dass die Leistungen, die daraus resultieren, sogeregelt sind, dass wir Sonderversorgungssysteme undprivate Versicherungssysteme eigentlich nicht mehr alsVollversicherungssysteme brauchen.
– Nein, wir machen eben nicht alle gleich. Aber wir stel-len einen solidarischen Ausgleich in der Gesellschafther; das ist etwas anderes. – Dementsprechend wird un-ser parlamentarisches Handeln in der vorliegenden Sa-che darauf gerichtet sein, dass wir eine sozialrechtlicheLösung anstreben, und alles andere ist ein erfundenesNebenproblem.
Natürlich ist es ein längst überfälliger Schritt, dass ge-sagt wird, dass Syndikusanwälte neben ihrer Tätigkeitals angestellter Anwalt auch als niedergelassener Anwalttätig sein können. Damit werden die Syndikusanwälteden niedergelassenen Rechtsanwälten gleichgestellt,wenn sich – das ist wiederum das Problem dabei – ausihrem Anstellungsvertrag ergibt, dass die anwaltlicheUnabhängigkeit nicht durch das Weisungsrecht eines Ar-beitgebers beeinträchtigt wird.Es ist natürlich zu unterstützen, dass die bisherigePraxis, so zu verfahren, fortgesetzt wird. Auf der ande-ren Seite ist das für die Syndikusanwälte überhauptkeine Gewähr für eine ausreichende Unabhängigkeit.Die würden sie nur erreichen, wenn es einen Sonderkün-digungsschutz für sie gibt. Das alles festzustellen, alsoherauszufinden, wer tatsächlich unabhängig ist, alsonicht weisungsgebunden arbeitet, überlassen Sie dannwieder der Rechtsanwaltskammer. Die bekommt die bü-rokratische Arbeit aufgebürdet. Ich sage: Entbürokrati-sierung sieht anders aus.
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10936 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Harald Petzold
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Wir begrüßen natürlich die Einschränkungen bei dergerichtlichen Vertretung des Arbeitgebers durch einenSyndikusanwalt. Ohne diese Einschränkungen würde eszu einem Ungleichgewicht zwischen den Prozesspar-teien kommen: Einzelpersonen oder kleine und mittlereUnternehmen ohne eigene Rechtsabteilung müssten ih-ren Rechtsanwalt selbst bezahlen, während sich großeUnternehmen mit eigener Rechtsabteilung durch ihre ei-genen Syndikusanwälte vertreten lassen könnten
und so ihr Kostenrisiko in einem Prozess minimierenkönnten. Das kann nicht sein. – Die Einschränkungenunterstützen wir natürlich.Es wäre aber nicht notwendig gewesen, extra ein Ge-setz dafür zu schaffen, um hier ein Berufsrecht zu defi-nieren. Wir sagen: Schaffen Sie endlich eine solidarischeBürgerversicherung! Dann bekommen wir das Problemgelöst.In diesem Sinne werden wir uns in den Ausschusssit-zungen an der Arbeit an dem Gesetzentwurf beteiligen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Petzold. – Nächster Redner in
der Debatte: Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung formuliert:„Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ derRechtspflege.“ In § 3 Absatz 1 heißt es, dass der Rechts-anwalt „der berufene unabhängige Berater und Vertreterin allen Rechtsangelegenheiten“ ist. Ich glaube, diesewenigen Worte verdeutlichen, dass der Rechtsanwalt einzentraler Akteur in unserem rechtsstaatlichen Gefüge ist.Ohne freie Advokatur, ohne Anwälte, die dem Justizge-währungsanspruch der Bürger tatsächlich Geltungskraftverschaffen, gibt es keinen Rechtsstaat.Meine Damen und Herren, was macht einen unabhän-gigen Rechtsanwalt aus? Bei dieser Frage scheiden sichdie Geister. Die Diskussion darüber hat letztlich ihrenKulminationspunkt in den Urteilen des Bundessozialge-richts vom April des letzten Jahres gefunden. Darin hatdas Gericht allen in Unternehmen angestellten Syndikus-anwälten abgesprochen, Rechtsanwälte zu sein; dennnach Ansicht des Gerichts – wir haben es hier gehört –schließen sich abhängige Beschäftigung und anwaltlicheTätigkeit aus. Weil Syndizi als abhängig Beschäftigtedem Direktionsrecht ihres Arbeitgebers unterliegen,seien sie nicht in der Lage, so das Gericht, unabhängigenund weisungsfreien Rechtsrat zu erteilen. Die sozial-rechtliche Folge dieser Auffassung war, dass Syndikus-anwälte sich nicht mehr von der Versicherungspflicht inder gesetzlichen Rentenversicherung haben befreien las-sen können.Diese Urteile – das haben wir gehört – haben zu einerwirklich großen Verunsicherung der Betroffenen geführt.Sie reichen aber weiter. Sie betreffen auch die Grundfra-gen des anwaltlichen Berufsbildes.Da muss man schon einmal fragen: Ist denn eigentlichdas vom Bundessozialgericht zugrunde gelegte Berufs-bild richtig? Bildet es die Realität des Anwaltsberufsnicht nur in den Unternehmen, sondern etwa auch mitBlick auf die große Zahl angestellter Anwälte in Kanz-leien treffend ab? Ich glaube, man muss hier sagen, dassdie Prämissen des Bundessozialgerichts an dieser Stellefalsch gewesen sind.
Keinem Unternehmen – das muss man deutlich for-mulieren – ist mit einem nach Weisung erstellten ge-schönten Rechtsgutachten geholfen. Da setzt sich einVorstand nur der Gefahr von Haftungsfällen, von Com-pliance-Verstößen oder gar der Gefahr aus, strafrechtlichzur Verantwortung gezogen zu werden. Nein, es ist so,dass Syndikusanwälte ihren Berufsethos und damit dasRecht in die Unternehmen tragen. Deswegen können,sollen und müssen Syndizi unabhängigen Rechtsrat fürihren Arbeitgeber erteilen. Alles andere verkennt dieRealität in den Unternehmen.
Deswegen war für uns als Union in dieser Diskussionimmer klar: Syndikusanwälte sind keine Anwälte zwei-ter Klasse, sondern, im Gegenteil, sie sind zentrale undintegrale Bestandteile der Anwaltschaft, meine Damenund Herren.
Weil wir an dieser Stelle so klar waren, haben wir ausden Urteilen des Bundessozialgerichts einen klaren ge-setzgeberischen Handlungsauftrag abgeleitet. Wir wol-len klarstellen, dass Syndikusanwälte wirkliche, echteAnwälte sind und sich dann in der Folge auch wiedervon der Versicherungspflicht befreien lassen können.Insofern freut es mich, dass wir nach über einem Jahrzusammenkommen, um über diesen Gesetzentwurf zudiskutieren. Unser Ziel ist dabei ganz klar: Wir wollenden Status quo ante, also vor den Urteilen des Bundesso-zialgerichts, wiederherstellen. Der Entwurf geht an derStelle in die richtige Richtung, einen berufsrechtlichenAnsatz in der Bundesrechtsanwaltsordnung zu finden,der dann auch von sozialrechtlichen Regelungen imSGB VI flankiert wird.Was sagt nun der Entwurf? Dazu haben wir schon ei-niges gehört. Erst einmal ist es so, dass der Syndikusan-walt legal definiert und statusrechtlich anerkannt wird.Ich will an der Stelle auch sagen: Es geht hier nicht da-rum, dass jeder Jurist, der in einem Unternehmen tätigist, zukünftig auch ein Syndikusanwalt ist. Darum gehtes nicht. Wir reden nicht über den Sachbearbeiter bei ei-ner Versicherung, sondern wir reden über diejenigen, die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10937
Dr. Jan-Marco Luczak
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wirklich anwaltlich tätig sind, das heißt fachlich unab-hängig und eigenverantwortlich ihre Tätigkeit ausüben.Das Gesetz definiert hier klare Kriterien. Diese leh-nen sich an denen der Rechtsprechung und an denen derDeutschen Rentenversicherung an. Die Deutsche Ren-tenversicherung hat hier eine Vier-Kriterien-Theorie ent-wickelt: Rechtsberatung, Rechtsgestaltung, Rechts-entscheidung und Rechtsvermittlung, das waren dieStichworte. Die finden sich im Anklang jetzt auch imGesetz wieder. Mir ist ganz wichtig, an der Stelle zu be-tonen: Diese vier Kriterien wollen wir beibehalten. Wirwollen diesbezüglich keine Änderungen erreichen undschon gar keine Verschärfung. Deswegen müssen wirauch noch einmal genau hinschauen, etwa was die Ver-tretungsbefugnis nach außen anbelangt: Das ist einKriterium an dieser Stelle. Damit ist natürlich eine ge-richtliche Vertretungsbefugnis gemeint, nicht etwa einerechtsgeschäftliche im Sinne von Prokura oder etwasÄhnlichem. Im parlamentarischen Verfahren soll klarge-stellt werden, dass hier an die bisherigen Kriterien ange-knüpft wird.Die entscheidende Frage ist natürlich: Wer legt denndiese Kriterien aus? Wer entscheidet letztlich darüber,was anwaltliche Tätigkeit ist und was nicht? Für uns alsUnion war die Beantwortung der Frage sehr klar: Wirwollen, dass diejenigen, die die Sachkompetenz über dasanwaltliche Berufsbild haben, die auch die Veränderun-gen im Zeitablauf nachverfolgt haben, darüber entschei-den. Für uns ist ganz klar, wer das ist: Das sind die je-weiligen Rechtsanwaltskammern. Das ist ausdrücklichnicht die Deutsche Rentenversicherung. Auch die So-zialgerichte haben über diese Frage nicht zu entscheiden.
Das Letztentscheidungsrecht über diese Fragen muss beiden anwaltlichen Kammern liegen.Insofern ist es gut, dass der Kabinettsentwurf gegen-über dem Referentenentwurf jetzt klarstellt, dass eine be-standskräftige Zulassungsentscheidung von der Rechts-anwaltskammer zukünftig auch für die DeutscheRentenversicherung bindend ist. Es ist gut und richtig,dass es hier nicht zu gegenteiligen Entscheidungenkommt und die Deutsche Rentenversicherung das einesagt, die Kammer das andere und man sich fragt: Wiegeht man damit um? Das war im Referentenentwurfnoch nicht vernünftig geregelt. Im Kabinettsentwurfgeht das jetzt in die richtige Richtung.Wir haben einige weitere Punkte, die wir im Rahmendes parlamentarischen Verfahrens klären müssen. Diekann ich jetzt aus Zeitmangel nicht mehr alle nennen.Ein Punkt ist mir aber ganz wichtig: Wir müssen nochdie Frage der Pflichtmitgliedschaft klären, die Anknüp-fungspunkt bei der Befreiung von der Rentenversiche-rungspflicht ist. In § 6 SGB VI ist die Pflichtmitglied-schaft in einem Versorgungswerk geregelt. Nun ist es so,dass die Landessatzungen der Versorgungswerke eineAltersgrenze von 45 Jahren eingezogen haben. Dasheißt: All diejenigen, die nach dem 45. Lebensjahr in einUnternehmen wechseln, hätten ein Problem bei der Be-freiung. Das müssen wir noch klarstellen und im Kabi-nettsentwurf ändern.Das Gleiche gilt für die Frage der Berufshaftpflicht-versicherung. Hier müssen wir noch einmal schauen, obdie Grundsätze der Haftungsprivilegien für Angestellteim Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber auch entsprechendwidergespiegelt sind. Da ist noch einiges zu tun.Ich will am Schluss nur noch sagen: Wir tun hier et-was für die Syndikusanwälte. Das ist gut. Wir als Unionnehmen aber auch die anderen freien Berufe in denBlick: die Ärzte, die Apotheker, die Architekten. Diesefreien Berufe sind alle miteinander das Rückgrat unserermittelständischen Wirtschaft. Auch für die müssen wirbeim Befreiungsrecht etwas tun, vielleicht nicht in die-sem Gesetzgebungsverfahren; aber wenn wir das alsPars pro Toto nehmen, können wir uns diesem nicht ver-weigern. Auch die Angehörigen der freien Berufe habenein Anrecht, in der Zukunft Rechtssicherheit zu haben.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin:
Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine Damen undHerren! Ich hätte es ja anfangs gar nicht gedacht, dassich in den letzten 15 Monaten zu diesem Thema, überdas wir jetzt reden, so viele Zuschriften bekommenwürde, vor allem von jungen Kolleginnen und Kollegen,die sich nach dem zweiten Staatsexamen oder kurz vor-her die Frage gestellt haben, wie sie sich eigentlich absi-chern, auch für das Alter, wenn sie nach dem zweitenStaatsexamen in ein Unternehmen gehen und dort Syndi-kus werden. Das Urteil des Bundessozialgerichts vonApril 2014 war für sie dann schon ein schwerer Schlag,weil es einfach zu Handlungsunfähigkeit geführt hat.Deshalb an dieser Stelle, Herr Minister – ich bin manch-mal nicht einer Meinung mit Ihnen, vor allem nicht mitdem, was Sie heute und morgen beschäftigt –, ein klaresLob, dass es eine Vorlage gibt, die, wie ich finde, rechtgut ist, wenn auch noch nicht alles darin geregelt ist.
Der mittelenglischen Umgangsformen wegen müssteich Ihnen für morgen eigentlich alles Gute wünschen.Aber das kann ich leider nicht,
weil ich bei der Vorratsdatenspeicherung auf der anderenSeite stehe. Wir werden sehen.
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10938 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Renate Künast
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– Herr Fechner sagt: „Selbstläufer!“ Das werden wir se-hen. Denn es gibt am Ende immer noch den Bundestagund das Bundesverfassungsgericht. Mal sehen, wohindie Reise am Ende geht.Hier geht es jetzt aber um die Syndikusanwälte. Siepräsentieren eine berufsrechtliche Lösung. Ich finde esgut, dass wir an der Stelle diese Variante nehmen, ohneuns, lieber Harald Petzold, etwas für die Zukunft zu ver-bauen. In Zukunft muss es nämlich um eine Bürgerversi-cherung gehen, meine Damen und Herren.
Das sage ich gerade auch in Abgrenzung zu den Worten,die Herr Luczak am Ende gesagt hat, und zu den Re-aktionen der CDU/CSU.Wir haben hier folgendes Problem: Anwälte, die an-gestellt sind, haben nach dem BSG-Urteil die Verpflich-tung, in der gesetzlichen Rentenversicherung versichertzu sein. Sie können nicht mehr einem anwaltlichen Ver-sorgungswerk angehören. Diese Verunsicherung müssenwir beseitigen. Man kann diese Anwälte nicht alleinlas-sen, und deshalb sind wir in der Pflicht. Aber langfristig,bei allem, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehntengesehen und erlebt haben und was wir über die Zukunftbei der Altersversicherung wissen, ist eine solidarischeBürgerversicherung für alle die richtige Antwort, die üb-rigens auch jede Menge Probleme löst, sogar noch bes-ser als dieser Gesetzentwurf.
Deshalb, Kollege Petzold, ist die Bürgerversicherung alsPerspektive und Ziel wichtig, aber wir müssen das Pro-blem auch heute irgendwie lösen. Das gilt gerade für dieJüngeren; denn sie wissen noch nicht, wie sie sich orien-tieren sollen.Ich finde, es ist richtig, dass die Anwaltskammer letzt-entscheidlich ist. Wir haben einen freien Beruf. Wer,wenn nicht die Anwaltskammern, soll dann über dieseFrage entscheiden? Ich glaube nicht, dass die Kammernwehklagen müssten, sie hätten zu viel zu tun. Wenn wirihnen die Arbeit nicht geben würden, würden sie weh-klagen, dass sie nicht selbst entscheiden dürfen. Wenn eseine Anerkennung als anwaltliche Tätigkeit gibt, ist andieser Stelle klar, dass der Syndikus dann eine Pflicht-mitgliedschaft in der Anwaltskammer und eine Pflicht-mitgliedschaft im anwaltlichen Versorgungswerk hat.Daraus ergibt sich dann die Möglichkeit, sich von derMitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherungbefreien zu lassen.Da wir – das hat Herr Luczak angesprochen – dieGrenze von 45 Jahren in einigen Satzungen der Versor-gungswerke haben, müssen wir sehr genau hinschauen.Wir würden uns dem verweigern, zu sagen, dass wir die-ses Problem lösen, indem wir für alle ab 45 Jahre eineLösung nehmen, die noch weiter von der Bürgerversi-cherung entfernt ist. Das würden wir nicht tragen, meineDamen und Herren.
Wir finden, dass durch diese Vorlage eine Art Markt-bereinigung entsteht. Trotzdem müssen wir im Gesetz-gebungsverfahren noch einige Punkte diskutieren. Ichwill zwei, drei nennen. Das eine ist die Frage: Warumwurde es unterlassen – absichtlich oder unabsichtlich –,den Arbeitgeber zu verpflichten, die Unabhängigkeit desSyndikusanwaltes herzustellen? Warum gibt es nicht diePflicht auf dieser Seite, sondern warum bleibt sie auf deranderen Seite bestehen? Ich finde, dass man zum Schutzder Syndikusanwälte Maßnahmen treffen muss, die ihrePosition auch weiter stärken. Das wäre zu diskutieren.Es geht aber auch um die Frage: Warum sind es dieSyndikusanwälte, die sich vor dem Berufsgericht verant-worten müssen, wenn ihr Arbeitgeber ihnen die anwaltli-che Tätigkeit nicht ermöglicht? Das sind ein paar Dis-kussionspunkte, die wir klarstellen müssen. Wenn derDAV kritisch sieht, dass es das Zeugnisverweigerungs-recht oder Beschlagnahmeverbote nicht gibt, dann kannich nur sagen: Diskutieren können wir gerne darüber.Aber wir müssen in unserer Variante der Tatsache Rech-nung tragen, dass man auf der einen Seite Syndikus undauf der anderen Seite Anwalt ist, meine Damen und Her-ren.Wir können also mit diesem Gesetzentwurf leben.Gut, dass wir die Vorlage haben. Gut, dass wir ein StückSicherheit bekommen. Es sind nur noch kleine Dinge zuregeln. Wir schaffen hier hoffentlich und bald Rechts-sicherheit, weil ich will, dass auch die Angehörigen derfreien Berufe in eine Altersversorgung eingebundenwerden und nicht, was es in diesem Bereich leider auchnoch gibt, später in ein tiefes schwarzes Loch fallen, wodie Allgemeinheit wieder helfen muss. Auch diese Be-rufe sollen die Pflicht und die Chance haben, sich zu ver-sichern.
Vielen Dank, Frau Kollegin Renate Künast. – Nächste
Rednerin in der Debatte: Elisabeth Winkelmeier-Becker.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Das Urteil des Bun-dessozialgerichts aus dem letzten Jahr hat die Syndikus-anwälte bei einem ausgesprochen sensiblen Thema, beiihrer Altersversicherung, kalt erwischt. Es gibt zwar Be-standsschutz für die Tätigkeiten, die man schon ausübt,für die man befreit ist; aber in Zukunft ist jeder Wechselmit dem Risiko verbunden, dass man vom Versorgungs-werk in die Rentenversicherung wechseln muss. Das be-deutet erhebliche Einschnitte hinsichtlich des Status, denman hat. Man muss Wartezeiten erfüllen, man verliert
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10939
Elisabeth Winkelmeier-Becker
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die Berufsunfähigkeitsversicherung, und eventuell redu-ziert sich die Höhe der Altersversicherung.Kein Wunder also, dass die Betroffenen extrem ver-unsichert sind. Deshalb darf man mit diesem Thema– das möchte ich unterstreichen – nicht leichtfertig um-gehen. Man darf beim Thema Altersvorsorgeplanungnicht leichtfertig all das über Bord werfen, was sichMenschen aufgebaut haben, sondern man muss beson-ders auf die Lebensplanung und die damit verbundeneBerufsplanung Rücksicht nehmen.Das Urteil hat aber noch weitere Auswirkungen. Esbelastet die Wirtschaft. Wir hören aus der Wirtschaft,dass sie Schwierigkeiten hat, entsprechende Stellen zubesetzen, weil die Menschen nicht mehr bereit sind, dieangestammten Arbeitsplätze aufzugeben. Das hemmtden erwünschten und gewollten Erfahrungsaustausch,den wir gerade zwischen Phasen der Tätigkeit in einerKanzlei und Phasen der Tätigkeit in einem Unternehmenbrauchen.Dazu muss man wissen, dass durch die zunehmendeBedeutung von Corporate Governance den Unternehmenimmer mehr Pflichten auferlegt werden. Zum Beispielist es erforderlich, dass es in Unternehmen unabhängigeJuristen als Ansprechpartner gibt, dass diese als unab-hängiges Organ der Rechtspflege tätig sind und ebennicht nur als Angestellte. Durch ihre innere Unabhängig-keit haben die Anwälte in den Unternehmen ein beson-deres Standing.
Syndikusanwälte sind das rechtliche Gewissen derUnternehmen. Wir als Gesetzgeber sorgen dafür, dass sieweiterhin diese wichtige Rolle spielen. Wir treffen im-mer wieder neue rechtliche Entscheidungen, durch dieden Unternehmen weitere Pflichten, zum Beispiel wei-tere Haftungsrisiken bis hin zu einer persönlichen Haf-tung, übertragen werden. In der Beratung befinden sichbeispielsweise neue Tatbestände im Korruptionsrecht.Im Ministerium berät man sogar ein Unternehmensstraf-recht. Da ist es doch klar, dass es für die Unternehmenimmer wichtiger wird, sich Rechtsrat einzuholen.Zu einer anderen Vorgabe. Auch die Partnerschafts-gesellschaften haben als Leitbild vor Augen, dass sichJuristen und Spezialisten zusammentun und wiederumweitere Kollegen anstellen. Das ist auch auf angestellteAnwälte gemünzt. Wir dürfen das Leitbild des Anwalts-berufs nicht mehr ausschließlich am forensisch tätigenAnwalt ausrichten, der Generalist ist und alles macht,sondern wir müssen den Beruf des angestellten Anwaltsin die neue Berufsordnung übernehmen. Wir braucheneine stringente Politik, die diese Entwicklung nachzeich-net. Wir wollen nicht – gewollt oder ungewollt –, dassden Menschen durch die Änderungen bei der Altersvor-sorge der Boden unter den Füßen weggezogen wird.Ich möchte daran erinnern: Als es darum ging, dieRentenversicherung zu gründen, hat man die freien Be-rufe explizit außen vor gelassen. Es ist nicht etwa so,dass sich die freien Berufe der Solidarität entzogen ha-ben. Damals wurde die Entscheidung getroffen, diefreien Berufe nicht in das gesetzliche System, das auchsteuerfinanzierte Anteile hat, aufzunehmen. Vielmehrsollten sie sich in eigenen Versorgungswerken zusam-menschließen und sich so um ihre Altersversicherungkümmern. Erst daraufhin wurden die Versorgungswerkegegründet. Das muss man immer wieder im Blick haben,wenn man meint, man müsse die freien Berufe in eineBürgerversicherung integrieren.
Ich füge ausdrücklich hinzu: Wir wollen das auch fürdie anderen freien Berufe regeln, für die es entspre-chende Regelungen gibt. Auch hier ist die Altersversor-gung möglicherweise infrage gestellt. Das ist eine exis-tenzielle Frage, die eben nicht nur Anwälte betrifft.
Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, deranders als seine Vorläufer auch diese Fragen vernünftigin dem angesprochenen Sinne löst. Für uns ist klar, dassdie Frage, wer die Tätigkeit eines Syndikus mit all dendamit verbundenen Anforderungen, auch mit der not-wendigen Unabhängigkeit, erfüllt, nur beurteilt werdenkann von der Anwaltskammer als Körperschaft des öf-fentlichen Rechts, die – davon können wir ausgehen – danicht nach Gusto verfährt, sondern sich an das hält, wasim Berufsrecht festgelegt ist.Es ist wichtig, noch einmal zu unterstreichen, dasssich die Regelung am Status quo ante orientiert. Wirwollen die Regelung, die vorher in der Praxis gegoltenhat, im Wesentlichen materiell wiederherstellen. Das istallerdings kein ganz banales Unterfangen. Das hätte essein können, wenn man sich an § 6 SGB VI herangewagthätte. Dafür gab es aber keine Mehrheit. Deshalb müssenwir hier über das Berufsrecht gehen.
Jetzt liegt ein Entwurf vor, mit dem man gut arbeitenkann. Es gibt aber noch einige Fragen und Sorgen: Es istklar, dass die neu formulierten Kriterien für den Syndi-kus in der Praxis nicht zu substanziellen Einschränkun-gen des Tätigkeitsbereichs führen dürfen. Wir müssenklären, wie das Merkmal der Vertretungsbefugnis ausge-legt werden muss. Kaum ein Syndikus ist forensisch tä-tig; das darf also nicht der Maßstab sein, sonst wäre dasein Ausschlusskriterium. Wir müssen klären, was es mitder doppelten Pflichtmitgliedschaft in Kammer und Ver-sorgungswerk auf sich hat. Da darf nicht die Regelung,dass die Rechtsanwaltskammer verbindlich Vorgabenmacht, auf anderem Wege wieder aufgehoben werden.Wir müssen die Frage der Haftpflichtversicherung re-geln; das hat mein Kollege schon ausgeführt. Wir müs-sen uns auch noch einmal anschauen, welche Anforde-rungen an die fachliche Unabhängigkeit zu stellen sind.Es besteht natürlich im Arbeitsverhältnis ein Spannungs-verhältnis zwischen den Vorgaben des Arbeitgebers ei-nerseits und der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts an-dererseits. Aber ich denke, Maßstab ist auch da derselbstständige, niedergelassene Rechtsanwalt: Auch erkann von seinem Mandaten entlassen werden, auch ihmkönnen von seinem Mandanten Vorgaben gemacht wer-
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Elisabeth Winkelmeier-Becker
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den. Wenn wir das als Maßstab für Abhängigkeit im Ar-beitsverhältnis nehmen und nicht darüber hinausgehen,dann wird das ein gutes Gesetz.Ich danke Ihnen.
Vielen herzlichen Dank, Frau Winkelmeier-Becker. –
Nächster Redner: Christian Flisek für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guterTag, nicht nur weil er einer der wenigen Tage ist, an de-nen Frau Künast als Vorsitzende des Rechtsausschussesausdrücklich mal einen Gesetzentwurf des Bundesjustiz-ministers lobt – dafür danke ich Ihnen –,
sondern auch deswegen, weil dieser Tag etwas Gutes fürdie mehr als 40 000 Syndikusanwälte in Deutschlandbringt, für jene Rechtsanwälte, die in Unternehmen, inVerbänden, in der Wirtschaft anwaltlich tätig sind.Der Bundestag berät heute in erster Lesung einen Ge-setzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und fürVerbraucherschutz, mit dem wir die aktuell bestehendeRechtsunsicherheit in Bezug auf den berufsrechtlichenund auf den sozialversicherungsrechtlichen Status dieserBerufsgruppe beseitigen wollen. Diese Rechtsunsicher-heit – das ist bereits angesprochen und betont worden –ist entstanden durch ein Urteil des Bundessozialgerichtesim Frühjahr letzten Jahres. Dieses Urteil war für dieSyndikusanwälte in Deutschland ein Paukenschlag: Voneinem auf den anderen Tag wurde eine über viele Jahregelebte Rechtspraxis infrage gestellt. Das hat viele Sor-gen hervorgerufen: Sorgen der Syndikusanwälte, aberauch Sorgen der Arbeitgeber dieser Syndikusanwälte,Sorgen bei den Versorgungswerken, der gesetzlichenRentenversicherung, aber auch bei den Anwaltskam-mern und den Verbänden, beispielsweise dem DeutschenAnwaltverein oder dem Bundesverband der Unterneh-mensjuristen in Deutschland.Die Politik – der Bundestag, die Koalitionsfraktionenund vor allen Dingen auch das Bundesministerium derJustiz – hat hierauf sehr schnell reagiert. Diese Sorgenwurden aufgegriffen. Wir haben bereits vor Beginn derparlamentarischen Beratungen in einem sehr intensivenDialog mit allen Beteiligten nach Lösungen gesucht.Es ging darum, das Berufsrecht und den versiche-rungsrechtlichen Status von Syndikusanwälten – das be-tone ich – zügig auf eine verlässliche Grundlage zu stel-len und die zum Teil bestehenden existenziellen Sorgenund Unsicherheiten zu beseitigen. Ich finde, das ist auchgelungen.Ich möchte hier und heute die Gelegenheit nutzen,dem Bundesjustizminister Heiko Maas, aber auch derBundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Nahles,deren Häusern, den beteiligten Staatssekretären sowie auchden Berichterstattern der Koalitionsfraktionen – überhauptallen Beteiligten, die sich konstruktiv in diesen Dialogeingebracht haben – dafür herzlich zu danken, dass dasso zügig geschehen ist. Nur so ist das überhaupt in dieserZeit zu bewerkstelligen gewesen.
Der Dialog ist noch nicht zu Ende. Wir befinden uns,wie gesagt, erst am Beginn der parlamentarischen Bera-tungen. Wer sich den Gesetzentwurf anschaut – es istheute schon, was einige Details angeht, viel Richtigesgesagt worden –, wird feststellen: Syndikusrechtsan-wälte haben in Zukunft ein Wahlrecht. Sie können zumBeispiel ihre Tätigkeit auf ihre Arbeit als Syndikusan-wälte in einem Unternehmen oder einem Verband be-schränken. Wenn sie sich darauf beschränken, regelt die-ser Gesetzentwurf klipp und klar ihren berufsrechtlichensowie ihren versicherungsrechtlichen Status. Sie könnenauch bei dieser Tätigkeit weitgehende Vertretungsbefug-nisse vor Gericht wahrnehmen. Wir haben aber auch da-rauf geachtet, dass die Rechte und Interessen der nieder-gelassenen Rechtsanwälte gewahrt bleiben.Meine Damen und Herren, wer sich den Gesetzent-wurf anschaut, wird feststellen, dass der Syndikusanwaltin Zukunft ein Rechtsanwalt eigener Art sein wird. Daszeigt sich auch darin – das ist ebenfalls schon angespro-chen worden –, dass ihm beispielsweise einige strafpro-zessuale Privilegien vorenthalten bleiben. Wenn manetwa über das Beschlagnahmeverbot redet, ist das für je-dermann einsichtig und deutlich. Es ist auch sachge-recht; denn wir wollen vermeiden, dass in Zukunft Straf-verfolgungsbehörden – etwa durch einen Missbrauchvon Syndikusanwälten quasi als Wagenburg in einemUnternehmen – daran gehindert werden, ihre Arbeit zutun und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.Ich sage aber auch deutlich, dass ich mir gewünschthätte, dass man dabei nicht so „hopp oder top“ vorge-gangen wäre, sondern bei den strafprozessualen Rege-lungen eine differenziertere Betrachtung vorgenommenhätte. Wenn man den Syndikusanwalt als Rechtsanwaltdefiniert – das tun wir ja –, dann sage ich sehr deutlich:Ich kann mir einen Rechtsanwalt, der noch nicht einmalein Zeugnisverweigerungsrecht hat, irgendwie nichtwirklich vorstellen. Das wäre auch etwas, was ich gernein den parlamentarischen Beratungen auf die Tagesord-nung bringen würde. Vielleicht gelingt es uns, bei diesenstrafprozessualen Privilegien eine etwas differenziertereBetrachtung hinzubekommen.Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dassdieser Gesetzentwurf auch im Hinblick auf die Frage derHaftung eine gute Grundlage dafür sein wird, dass dieVersicherungswirtschaft brauchbare Lösungen findenund anbieten wird.Wer als Syndikusanwalt in Zukunft zusätzlich zu sei-ner Tätigkeit im Unternehmen noch als niedergelassenerAnwalt tätig sein will, der muss zusätzliche Vorausset-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10941
Christian Flisek
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zungen erfüllen. Ich finde, auch das ist eine absolut sach-gerechte Lösung – auch wenn mir klar ist, dass wir zudiesem Punkt noch viele Diskussionen führen werden.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen, sofernSie eine große sozialrechtliche Lösung lieber gehabt hät-ten, Folgendes sagen: Ich finde, das Bundessozialgerichthat ausschließlich für die Syndikusanwälte entschieden.Wir sollten an dieser Stelle – davon bin ich überzeugt –den Ball im Sinne einer schnellen und zügigen Lösungfür diese 40 000 Kolleginnen und Kollegen flach halten.Denn eines – das wurde auch in dieser Debatte deutlich –ist klar: Wenn wir das Fass aufmachen und die großeLösung suchen, wäre eine solche Lösung im Sinne die-ser Kolleginnen und Kollegen weit weg bzw. nicht soschnell in Sicht. Deswegen: Überlegen Sie sich das nocheinmal.
Ich denke, dass wir nah beieinander sind; aber in dieserFrage sollten wir noch ein bisschen näher aneinanderrü-cken.In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Flisek. – Die letzte Redne-
rin in dieser Debatte: Dr. Silke Launert für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir habenes schon mehrfach gehört: Die Entscheidung des Bun-dessozialgerichts zur gesetzlichen Rentenversicherungs-pflicht der Syndikusanwälte hat wirklich für ordentlichWirbel gesorgt. Sie hat nicht nur die Unabhängigkeit derSyndikusanwälte infrage gestellt und damit überhaupterst so richtig die Grundsatzdiskussion über die rechtli-che Stellung der Syndikusanwälte ausgelöst; sie hat vorallem die langjährige Praxis der Deutschen Rentenversi-cherung durchkreuzt. Bis dahin war es nämlich in derRegel so, dass für Syndikusanwälte grundsätzlich eineBefreiung von der Rentenversicherungspflicht vorgese-hen war. Somit war der Weg frei in die berufsständischeVersorgung.Das Bundessozialgericht hat jetzt gesagt: Das gehtgrundsätzlich nicht mehr. Man muss sagen: Das hat dieAltersversorgung von 40 000 Syndikusanwälten ins Wan-ken gebracht. Deshalb wundert es mich überhaupt nicht,Frau Künast, dass bei Ihnen so viele Beschwerdeschrei-ben eingegangen sind. 40 000 Menschen, die plötzlichAngst um ihre Altersversorgung haben – das ist nichtnichts. Und Syndikusanwälte sind als Juristen meistensauch in der Lage, zu schreiben.
Es gibt aber ein weiteres Problem – FrauWinkelmeier-Becker hat es schon angesprochen –: Dasschränkt auch die Mobilität ein. Es führt dazu, dass manaus Angst, die Vorteile der berufsständischen Versor-gung zu verlieren, nicht mehr in ein Unternehmen wech-selt. Aber gerade diesen Wechsel – freier Anwalt, An-walt in der Kanzlei eines anderen Anwalts, Anwalt ineinem Unternehmen –, den Transfer von Erfahrungenhin zu Unternehmen und vielleicht auch wieder zurückwünschen wir uns, wie wir uns generell mehr Erfah-rungsaustausch, vielleicht auch in der Politik, wünschen.Die Unternehmen haben sich zu Recht gemeldet undgesagt: Es ist immer schwieriger, gute Leute zu finden,die eine gewisse Erfahrung haben. – Insofern denke ich,es war höchste Zeit, etwas zu tun. Die Rechtsunsicher-heit war enorm. Es bestand ein großes Bedürfnis nachKlarstellung.
Auch wenn der Ruf nach der Schaffung einer gesetz-lichen Grundlage für die Syndikusanwälte durch dieEntscheidung aus dem letzten Jahr erst so richtig lautgeworden ist: Es gab ihn vorher auch schon. Die Syndi-kusanwälte wurden schon vorher stiefkindartig behan-delt. Es war jetzt Zeit, sie endlich gleichzustellen – imSinne einer Einheit der deutschen Anwaltschaft, wie esHerr Minister zu Recht betont hat.Das sieht der jetzt vorliegende Entwurf auch vor. Eswird klargestellt: Man kann Arbeitnehmer sein undtrotzdem Anwalt, trotzdem fachlich unabhängig und ei-genverantwortlich agieren, wie es mein Kollege HerrLuczak ausgeführt hat. Die Anforderungen stehen genauim Gesetz. Ich finde, das trägt massiv zur Rechtsklarheitbei.Man spricht jetzt nicht mehr von Syndikusanwälten.Sie haben das Recht, sich als Rechtsanwalt zu bezeich-nen, mit dem Zusatz „Syndikusrechtsanwalt“ in Klam-mern. Es ist ganz klar, worum es sich hier handelt. Manermöglicht den Syndikusanwälten den Verbleib bzw.künftig den Eintritt in das anwaltliche Versorgungswerk.Über die Frage, ob anwaltliche Tätigkeit vorliegt odernicht, entscheidet nicht irgendeine sachfremde Renten-versicherung, sondern die Anwaltskammer. Die Frage,ob anwaltliche Tätigkeit vorliegt oder nicht, sollte tat-sächlich die Anwaltskammer treffen. Ich bin jemand, dersagt: bei Fachfragen lieber die Fachkompetenz nutzen.An eine entsprechende bestandskräftige Zulassungsent-scheidung ist die Rentenversicherung dann auch gebun-den.Besonders wichtig ist der Vertrauensschutz für dieje-nigen Syndikusanwälte, die schon einen Bescheid übereine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversiche-rungspflicht haben. Die weiteren Details werden wir imGesetzgebungsverfahren noch ansprechen.Ich möchte zum Schluss auf die freien Berufe einge-hen, die hier schon mehrfach angesprochen worden sind.Dieser Entwurf beseitigt jetzt die Unsicherheit bei denSyndikusanwälten, aber bei den anderen freien Berufenbesteht nach wie vor Unsicherheit: Was ist mit den Ärz-
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10942 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Dr. Silke Launert
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ten, mit den Apothekern und mit den Architekten? Siehaben jetzt ebenfalls Schwierigkeiten bei der Befreiungvon der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Wirhaben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, diefunktionierende berufsständische Altersversorgung bei-zubehalten.Herr Petzold, ich wundere mich immer: Wieso müs-sen wir nach Ihrer Meinung immer das abschaffen, wasfunktioniert, und in das integrieren, was nicht funktio-niert?
Ich weiß, Sie würden immer gerne jedes Instrument zumkompletten Sozialausgleich heranziehen, aber das ist eseigentlich nicht. Man könnte schauen, ob wir ein effekti-ves Instrument finden; aber die Integration in die gesetz-liche Rentenversicherung ist vielleicht nicht das perfekteMittel.
Frau Winkelmeier-Becker hat die Frage bereits ange-sprochen: Wollen Sie die staatlichen Zuschüsse zur ge-setzlichen Rentenversicherung auch noch den Ärztenund Anwälten zukommen lassen? Ich glaube, nicht.Wir machen den ersten Schritt und sorgen für eineKlarstellung bei den Syndikusanwälten. Von daher sageich: Vielen Dank für diesen Gesetzentwurf. Es geht hierum Sicherheit und Vertrauen in einem der elementarstenBereiche, nämlich dem der Altersversorgung. Wenigs-tens in diesem Bereich sollte Klarheit herrschen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Launert. – Damit
schließe ich die Aussprache.
Die Redezeiten waren, glaube ich, großzügig bemes-
sen. Da ich viel gelernt habe, war ich nicht so streng.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/5201 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich bitte diejenigen, die an der nächsten sehr spannen-
den Debatte nicht teilnehmen wollen, ihren Platz zu räu-
men, damit wir zügig weiterdebattieren können.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Kordula Schulz-Asche, Uwe Kekeritz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Bevölkerung vor Krebsgefahr durch das Un-
krautvernichtungsmittel Glyphosat schützen
und EU-Neuzulassungsverfahren für Glypho-
sat stoppen
Drucksache 18/5101
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin
Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutz-
mittel einschränken
Drucksachen 18/1873, 18/5087
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Harald
Ebner für Bündnis 90/Die Grünen.
Werte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren reden wirheute in diesem Parlament über einen Pestizidwirkstoff,der traurige Berühmtheit erlangt hat, über Glyphosat, ei-nen Wirkstoff von Totalherbiziden, also Pflanzenver-nichtungsmitteln mit umfassender Breitenwirkung.Die Bundesregierung hat hinsichtlich der Senkungdes Pestizideinsatzes nichts erreicht, die Hersteller vonPestiziden feiern erneut Rekordumsätze. Noch nie wurdeweltweit mehr Glyphosat verwendet als heute, über5 000 Tonnen pro Jahr allein in Deutschland. Und nochnie war der Einsatz von Glyphosat so fragwürdig wieheute!
Schon lange gibt es Hinweise, dass dieses ZellgiftKrebs, Erbgutschäden, Missbildungen und andere Ge-sundheitsschäden verursacht, übrigens auch bei Tieren.Der Spiegel hat letzte Woche über missgebildete Ferkelund andere Folgen berichtet. In Argentinien hat sich dieKrebs- und Missbildungsrate in Sojaregionen mit massi-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10943
Harald Ebner
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vem Glyphosateinsatz vervielfacht. 30 000 Ärzte schla-gen dort deshalb Alarm.Über viele Jahre haben Industrie, Bundesregierungund Behörden uns dennoch versichert, dass dieses Pflan-zenvernichtungsmittel gesundheitlich unbedenklich sei.Das werden wir ganz bestimmt gleich auch wieder vonder Union hören; sie hat das heute bereits der Presse mit-geteilt. Jetzt hat aber Ende März dieses Jahres die Krebs-forschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, dieIARC, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beiMenschen“ eingestuft. Das ist die zweithöchste Risiko-kategorie. Damit kann und darf es kein „Weiter so“ beiGlyphosat geben.
Die IARC ist unbestritten die wissenschaftliche Insti-tution weltweit für die Bewertung krebserzeugenderSubstanzen. Sie arbeitet unabhängig, transparent, nachstrengen Regeln, und sie berücksichtigt keine Geheim-studien von Herstellern, sondern ausschließlich öffent-lich zugängliche, überprüfte und überprüfbare Studien.Das ist der wissenschaftliche Goldstandard! Wenn einesolche Institution eine solche Warnung ausspricht, mussdas Konsequenzen haben,
gerade in Deutschland, das von den Herstellern als Be-richterstatter für die EU-Neuzulassung von Glyphosatbenannt wurde.Aber was macht die Bundesregierung? Sie sieht kei-nen Handlungsbedarf. Das Bundesinstitut für Risikobe-wertung, BfR, hat schon nach wenigen Tagen die Ergeb-nisse kleingeredet: Sie seien „wissenschaftlich schlechtnachvollziehbar“. Ganz ähnlich hat auch Monsanto re-agiert. Dessen Chef, Hugh Grant, hat die Arbeit desIARC als „junk science“, also als Dreckswissenschaft,bezeichnet, und das alles noch, bevor der umfassendeBericht, die Monografie, dazu veröffentlicht wurde.Schauen wir doch einmal auf das BfR und seine ent-warnende Risikobewertung. Im BfR-Pestizidkomitee sit-zen seit Jahren Angestellte großer Agrochemiekonzernewie Bayer und BASF.Die WHO-Wissenschaftler fanden klare Belege fürdie Mechanismen, durch die Glyphosat Krebs verursa-chen kann: Schädigung des Erbguts und oxidativerStress. Diesen Risikobereich hat das BfR aber kaum un-tersucht und wichtige Studien dazu ignoriert.Das BfR verwendet nicht nur in großem Umfang In-dustriestudien. Viel schlimmer: Es hat eine große Anzahldieser Studien auch gar nicht selber bewertet, sonderndie Bewertung der antragstellenden Industrie übernom-men. Unter einer eigenständigen Bewertung stellen wiruns jedenfalls etwas anderes vor.
Gleichzeitig verharmlosen das BfR und andere Gly-phosat-Fürsprecher das Gift und seine Risiken weiter.BfR-Präsident Hensel erzählt im Agrarausschuss, Gly-phosat sei weniger toxisch als Kochsalz oder Kaffee.Der Vergleich ist, gerade wenn es um Krebsverdachtgeht, absolut abwegig. Verbraucher können immerhinselber entscheiden, wie viel Salz oder Kaffee sie zu sichnehmen. Hinsichtlich Glyphosat weiß ich doch gar nicht,was in meinem Brötchen ist. Das steht nicht drauf.
Dass selbst bei vielen Großstädtern schon Glyphosat imKörper nachgewiesen wird, ist für Herrn Hensel normalund erwartbar. Die Bundesregierung und Teile diesesHauses mögen die Auffassung teilen, dass es normal ist,wahrscheinlich krebserregende Substanzen im Körper zuhaben. Wir jedenfalls können das nicht verantworten.
Öko-Test wurde bei den meisten auf Glyphosat getes-teten Getreideprodukten fündig. Sind Sie denn wirklichsicher, Herr Bleser, dass Glyphosat nicht schon längst inder Muttermilch auftaucht und Babys es aufnehmen?Um zu wissen, woher die Belastungen der Menschenkommen und wie hoch sie sind, brauchen wir eine um-fassende Überwachung der Lebensmittelrohstoffe undendlich ein Human-Biomonitoring für Glyphosat.
Trotz Krebsrisiko plädiert das BfR für eine Anhebungder akzeptablen Aufnahmedosis um zwei Drittel. Das istbei einem wahrscheinlich krebserregenden Stoff schlichtfahrlässig, weil hier jede noch so kleine Dosis schadenkann. Wir brauchen keine höheren, sondern wir brau-chen niedrigere Grenzwerte. Gerade hier muss uns dasVorsorgeprinzip oberstes Gebot sein. Bei deutlichenHinweisen auf eine Gefährdung von Mensch und Um-welt dürfen wir eben nicht warten, bis die Gefährdungabschließend geklärt ist und der Krebsverdacht eindeutigbelegt oder widerlegt ist. Aber der BfR-Präsident deutetdas Vorsorgeprinzip um und spricht von einem „ökono-mischen Vorsorgeprinzip“. Heißt das im Klartext, dasswir Gesundheitsrisiken in Kauf nehmen sollen, wenn esum Gewinne geht? Wir meinen: Wenn der Chef einer sohochrangigen staatlichen Behörde den begründeten Ver-dacht auf krebserregende Wirkung derart kleinredet,dann ist das ein untragbarer Zustand.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – DieBundesregierung will erst einmal abwarten und behaup-tet, es gebe keine Rechtsgrundlage für ein Eingreifen.Die Niederlande und Österreich beweisen das Gegenteil.Sie sind tätig geworden. Wo ein Wille ist, ist auch einWeg. Herr Schmidt, Herr Bleser, Glyphosat gehört nichtin die Hände von Privatpersonen. Das sagen auch derBundesrat, die Fachminister der Bundesländer und dieUmweltverbände. Auch da hat die Bundesregierungnichts gemacht. Da musste erst die Opposition einenBrief an die Baumärkte schreiben, die jetzt nach undnach dieses Mittel aus den Regalen nehmen. Das zeigt,
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10944 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Harald Ebner
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wie es geht. Tun Sie etwas! Nehmen Sie das Problemendlich ernst! Lesen Sie unseren Antrag! Ich freue michauf die Debatte im Ausschuss.Danke schön.
Vielen Dank, Harald Ebner. – Nächster Redner in der
Debatte: Hermann Färber für die CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Zuschauer oben auf den
Tribünen! Im März dieses Jahres hat die IARC – das ist
die Internationale Agentur für Krebsforschung – die Ein-
stufung von Glyphosat in die Kategorie 2A veröffent-
licht. Danach ist Glyphosat wahrscheinlich krebserzeu-
gend. Glyphosat ist nach Einstufung der IARC also
genauso gefährlich wie Matetee. Ja, Sie haben richtig ge-
hört: genauso gefährlich wie Matetee; denn beide sind in
der gleichen Gefahrenklasse eingruppiert. Ein Antrag
der Grünen zum Verbot von Matetee liegt allerdings bis-
her noch nicht vor. Ebenso wenig liegt ein Antrag der
Grünen vor, alle Frisörgeschäfte in Deutschland zu
schließen,
obwohl die IARC bereits 2010 die Berufsausübung von
Frisören als vermutlich krebserzeugend eingestuft hat.
Ist das etwa eine beklagenswerte Lücke in der Antrags-
arbeit der Opposition, meine Damen und Herren? Nein,
das ist es nicht.
Ich will hier nicht polemisch werden.
: Daran sind
: Das ist ja
Aber was ich deutlich machen will, ist Folgendes: Die
Opposition erweckt mit der Einbringung ihres Antrags
den Eindruck, eine Einstufung als vermutlich krebs-
erzeugend durch die IARC sei so schlimm und drama-
tisch, dass sofortige Verbotsmaßnahmen nötig seien.
Meine Beispiele zeigen aber, dass genau dies eben nicht
erforderlich ist.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung der Kollegin Künast?
Die Frau Künast soll jetzt einfach einmal meiner
Rede zuhören.
Es wäre gut gewesen, wenn sie schon früher, in ihrer
Zeit als Ministerin, mehr zugehört hätte.
Also nein.
Im Anschluss.
Meine Beispiele zeigen, dass das ganz und gar nichtso ist. Übrigens – für denjenigen, der es nicht weiß –:Als sicher krebserzeugend eingestuft ist Alkohol. Auchhier möchte niemand ein Verbot.
Wir müssen uns auch im Klaren darüber sein, dassdiese neue Einstufung nicht die einhellige Haltung derWeltgesundheitsorganisation ist;
denn andere WHO-Gremien, etwa die JMPR, vertretennach wie vor die gegenteilige Ansicht.Ebenso sieht auch die europäische Bewertungsbe-hörde EFSA bislang keine Hinweise auf eine krebs-erzeugende Wirkung; auch das gehört zur vollständigenWahrheit. Der Bewertung von Glyphosat liegen immer-hin mehr als 1 000 Studien zugrunde.
Richtig ist aber, Herr Ebner, dass diese EinstufungGrund zu weiterer Überprüfung ist. Deshalb hat dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion unmittelbar nach Be-kanntwerden der Einstufung im Ausschuss für Ernäh-rung und Landwirtschaft einen Bericht beantragt,
um zu prüfen, ob Sofortmaßnahmen notwendig sind.
Wir haben dort am 22. April dieses Jahres eine Stellung-nahme von Professor Hensel gehört; er ist der Präsidentdes Bundesinstituts für Risikobewertung. Dieses Institutist die für solche Fragen zuständige wissenschaftliche
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10945
Hermann Färber
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Bewertungsbehörde. Professor Hensel hat uns in dieserSitzung klar und deutlich erklärt, dass eine wissenschaft-liche Bewertung dieser Einstufung ohne Kenntnis dervollständigen Unterlagen nicht möglich sei.
Die IARC hat die Veröffentlichung dieser Unterlagenfür Juli, also für den nächsten Monat, angekündigt. Übri-gens hat auch ein Vertreter der IARC, nämlich ProfessorRusyn, bei einem Fachgespräch der Grünen am vergan-genen Montag erklärt,
das BfR solle mit Verlautbarungen besser warten, bis dievollständigen Unterlagen veröffentlicht sind.
Das ist ein wissenschaftlicher Ratschlag, den wir für ver-nünftig halten und dem wir uns gerne anschließen. Des-halb können wir heute noch gar nichts zu den nötigenrechtlichen Folgerungen aus dieser Einstufung sagen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mir ist einAspekt in dieser ganzen Diskussion sehr wichtig, näm-lich die Frage: Welche Expositionspfade, die laut IARCzu erhöhter Krebsgefahr führen, sind eigentlich fürDeutschland relevant? Zur Beantwortung dieser Fragebrauchen wir die Unterlagen, die aber noch nicht veröf-fentlicht sind.
Herr Kollege?
Ja?
Herr Kollege, ich versuche es noch einmal – bzw. ein
Kollege versucht es noch einmal –: Erlauben Sie eine
Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Ebner?
Auch der Herr Kollege Ebner sollte sich damit abfin-
den, dass er sich im Anschluss an meine Rede äußern
kann.
Gut, nein; alles klar.
Ja. – Wir sind uns doch hier im Hause einig, dass dieArt und Weise der Glyphosatanwendung in Deutschlandin keiner Weise mit der Anwendung in Nord- und Süd-amerika vergleichbar ist. Wir haben hier wesentlichstrengere Anwendungsbestimmungen und arbeiten nichtmit Monokulturen, sondern mit Fruchtfolgen. Schon dasvermindert im Vergleich den Herbizideinsatz. Im Übri-gen sind bei uns auch viele Beistoffe verboten, die in an-deren Ländern noch erlaubt sind, wie zum Beispiel Tal-lowamine, die zwar als Zusatz in Pflanzenschutzmittelnverboten, in Körperpflegemitteln aber nach wie vor er-laubt sind. Pflanzenschutzmittel erfüllen bei uns also hö-here Standards als Körperpflegemittel. Auch bei derKombination verschiedener Wirkstoffe ist Deutschlandwesentlich restriktiver als andere Länder. Das lernen diejungen Bauern bereits sehr früh in der Ausbildung.Die Definition guter fachlicher Praxis in Deutschlandbewährt sich auch bei Glyphosat. Das sieht man schondaran, dass es in Deutschland keine Resistenzen gegenGlyphosat gibt, wie das in anderen Ländern der Fall ist.Es ist also sehr gut möglich, dass die Unterlagen derIARC zeigen werden, dass Deutschland schon alles Not-wendige getan hat, um die Umwelt, die Verbraucher unddie Landwirte hinreichend zu schützen.
Wir wissen sehr gut, dass es in anderen Ländern nocherheblichen Handlungsbedarf gibt. Dieses Problem kön-nen wir aber nicht durch eine schärfere Gesetzgebung inDeutschland lösen;
denn dann würden wir die landwirtschaftliche Produk-tion ins Ausland exportieren.
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hatam Mittwoch einstimmig, also mit den Stimmen der Op-position, beschlossen, im September eine Anhörung zuGlyphosat durchzuführen.
– Herr Ebner, ich habe immer den Eindruck, Sie hörendas nicht. Deshalb spreche ich ein bisschen lauter.
Bis dahin – jetzt kommen wir wieder runter und wer-den wieder sachlich – können auch die zuständigen deut-schen Bewertungsbehörden die ausführliche Monografieder IARC prüfen und dann eine fundierte Bewertung ab-
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Hermann Färber
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geben. Auf deren Grundlage ist dann eine Entscheidungmöglich. Nur das ist die richtige Reihenfolge.
Jetzt noch einige Worte dazu, was andere Länder ma-chen. Das Schweizer Landwirtschaftsministerium hatam 19. Mai 2015 erklärt, es könne die Einstufung erstdann bewerten, wenn die ausführliche Begründung vor-liege. Erst dann könne man entscheiden, ob weitereMaßnahmen nötig seien.Mit Frankreich möchte ich ein weiteres Beispiel nen-nen. Dazu hat es in den letzten Tagen eine massiveFalschinformation der Öffentlichkeit gegeben, als in ver-schiedenen Medien erklärt wurde, Frankreich wolle einVerbot des Verkaufs von Glyphosat in Gartencentern.Ich habe die entsprechende Aussage der französischenUmweltministerin Royal übersetzen lassen. Sie möchtelediglich ein Verbot des Verkaufs auf Selbstbedienungs-basis. Es soll verpflichtend werden, dass die Pflanzen-schutzmittel, die Glyphosat enthalten, nur direkt durcheinen Verkäufer abgegeben werden. Damit würde sichFrankreich dem in Deutschland längst geltenden Stan-dard anpassen, und das ist doch durchaus zu begrüßen.Die falsche Meldung wurde tagelang unter anderemauf www.tagesschau.de verbreitet. Deshalb ein Wort andie Medienvertreter: Ein Blick auf die entsprechendeMeldung auf der Homepage des französischen Umwelt-ministeriums hätte ausgereicht, um den Fehler zu korri-gieren. Ich erwarte gerade auch von unserem finanziellsehr gut ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk,dass er dieses Minimum an Recherche leistet
und Presseerklärungen nicht einfach ungeprüft über-nimmt und sich so an gezielten Fehlinformationen betei-ligt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ichkonnte mit diesen Informationen etwas zur Aufklärungbeitragen.
Dass die CDU/CSU-Fraktion aufgrund dieser Tatsachendie Anträge der Opposition ablehnt, ist nur folgerichtig.
Wir sind immer bereit, neue Informationen in unsereEntscheidungen einfließen zu lassen. Aber wir beteiligenuns nicht an Panikmache, an der Angstindustrie undschon gar nicht an blindem Aktionismus.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Jetzt erhält zu ei-
ner Kurzintervention der Kollege Ebner das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, Sie haben
sehr darauf abgezielt, dass man erst einmal die Mono-
grafie abwarten müsse. Das ist richtig. Dies sollte man
aber auch tun, bevor man die Arbeit des IARC in Grund
und Boden verdammt. Das wäre meine Aufforderung
ebenso an das BfR.
Deutschland ist berichterstattender Staat für ganz Eu-
ropa bei der Neuzulassung von Glyphosat. Davon sind
28 Mitgliedstaaten betroffen, Herr Kollege. Nehmen Sie
bitte zur Kenntnis, dass das BfR seinen Bericht über
Glyphosat vor Vorliegen dieser Monografie unverändert
an die EFSA geschickt hat. Wie passt das mit Ihrer Rede
zusammen? Das würde mich wirklich interessieren.
Sie haben so schön gesagt, die WHO habe ja auch
noch andere Gremien. Da frage ich Sie: Wollen Sie die
wissenschaftliche Reputation des Gremiums der WHO,
das für die Einstufung von Substanzen im Hinblick auf
die Krebsgefahr zuständig ist und bezüglich krebserre-
gender Substanzen weltweit am besten Bescheid weiß,
infrage stellen und relativieren?
Sie haben sich auf das JMPR berufen. Mich interes-
siert, ob Ihnen bekannt ist, dass sowohl in der einzuberu-
fenden Taskforce als auch im JMPR Mitglieder sind, die
für das ILSI und für Chemieunternehmen arbeiten, etwa
Boobis, Moretto und Dellarco – ich kann Ihnen auch die
Namen nennen –, und dass dort auch ein Mitarbeiter des
BfR vertreten ist. Wie bewerten Sie es, dass ein solches
Gremium mit solchen Interessenvertretern besetzt ist?
Herr Färber, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Ebner, das Problem ist, dass Sie mirnicht zuhören wollen.
Wenn Sie, so wie ich, abends gescheiter ins Bett gehenwollen, als Sie morgens aufgestanden sind, dann werdenSie nicht umhinkommen, anderen einmal zuhören zumüssen.Herr Ebner, ich habe das eben ausgeführt.
Die Frage ist doch folgende: Welche Expositionspfadenutzt die IARC bei der Einstufung in ihren Grundlagen,die für Deutschland überhaupt repräsentativ sind? Wirhaben hier andere Zulassungsvoraussetzungen. Wir ha-ben eine andere Form der Anwendung.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10947
Hermann Färber
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– In der Zulassung und in der Anwendung haben wir inDeutschland andere Vorgaben; das ist völlig klar.
Jetzt ist Herr Färber dran.
Vielen Dank. – Das ist doch die Frage. Man sollte
jetzt nicht in blinden Aktionismus verfallen und sagen:
Wir sehen – auf der Basis von Nichtinformationen – ein
Verbot vor. Damit bestünde nämlich das Risiko, dass wir
dieses Verbot nachher nicht begründen könnten.
Ich muss sagen: Das BfR, das von Ihnen jetzt ins Nir-
wana geredet wird, ist das in Deutschland zuständige
Institut, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Es ist auch ein
gutes, weltweit anerkanntes Institut. Alle Bewertungs-
behörden, die an dem Zulassungsprozess für Glyphosat
als Berichterstatter beteiligt sind, haben ja nicht nur eine
Studie als Grundlage genommen. Sie haben mehr als
1 000 Studien aus ganz verschiedenen Bereichen ver-
wendet. Entscheidend ist, ob die Studien, die verwendet
werden, auch wissenschaftlichen Standards entspre-
chen. Darüber haben wir im Ausschuss schon oft gespro-
chen. Es gibt auch Studien, die etwas anderes besagen.
Entscheidend ist, ob die Studien wissenschaftlichen
Standards entsprechen. Das ist doch die Frage.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in dieser Debatte ist
Dr. Kirsten Tackmann für Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf den Tribünen!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gefährliche Un-krautvernichter Glyphosat ist in aller Munde, und zwarleider nicht nur im übertragenen Sinne. Das hat derBUND vor fast zwei Jahren in einer Studie gezeigt.182 Urinproben von Menschen aus Großstädten in18 Ländern Europas wurden auf Glyphosat untersucht,und in keinem einzigen Land waren alle Proben frei vonGlyphosat. Im Gegenteil: In Malta wurde in 90 Prozentder Urinproben, in Deutschland immer noch in 70 Pro-zent der Proben Glyphosat gefunden. Ich finde das alar-mierend.
Nein, das ist keine repräsentative Studie. Aber selbstdas Bundesinstitut für Risikobewertung hält die Ergeb-nisse für plausibel. Die Messwerte liegen zwar unterhalbder Schwelle der gesundheitlichen Unbedenklichkeit,aber sind ein Hinweis auf eine allgemeine Hintergrund-belastung europäischer Bürgerinnen und Bürger mitGlyphosat. Ich finde das bedenklich.
Aber bis heute wurde keine einzige repräsentative Studiein Auftrag gegeben, um diese alarmierenden Ergebnisseentweder zu widerlegen oder zu bestätigen. Das findeich fahrlässig. Wir brauchen hier endlich Klarheit.
Bis dahin sollten wir davon ausgehen, dass derBUND recht hat. Dann stellen sich aber mindestens dreidringende Fragen: Erstens. Warum wird so häufig Gly-phosat im Urin von Menschen gefunden? Zweitens. Wel-che Risiken sind damit verbunden? Drittens. Was kannoder, besser gesagt, was muss getan werden?Warum haben so viele Menschen Glyphosat im Urin?Das ist der Fall, weil Glyphosat sehr häufig in der Land-wirtschaft eingesetzt wird und so in die Lebensmittel ge-langt. Vielleicht haben Sie schon einmal im FrühjahrÄcker gesehen, auf denen alle Pflanzen totgespritzt wa-ren. Das ist Unkrautbekämpfung mit Glyphosat. Wennein Mähdrescher einmal nicht schnell genug für dieErnte bereitsteht oder die Ernte nicht gleichmäßig genugreift – die Antwort ist Glyphosat. Das wurde im Sommer2014 selbst dem Bundesamt für Verbraucherschutz undLebensmittelsicherheit zu krass, und es schränkte dieZulassung ein. Immerhin! Ob es daran liegt oder an deröffentlichen Debatte, zumindest habe ich in meiner Hei-matregion Priegnitz in diesem Frühjahr seltener totge-spritzte Felder gesehen.Aber auch für den Haus- und Kleingartenbereich sind51 glyphosathaltige Mittel zugelassen. Man kann sie ka-nisterweise im Baumarkt kaufen, angeblich mit Bera-tung; nun ja. Bei www.amazon.de gibt es 500 MilliliterRoundup Easy für 17,63 Euro, gänzlich ohne Beratung.In Nord- und Südamerika werden glyphosatresistenteGentech-Pflanzen, zum Beispiel Roundup-Ready-Soja,in großem Stil angebaut und nach Europa importiert.Auch so kommt Glyphosat in den Urin der europäischenBevölkerung. Glyphosat ist unterdessen das weltweit amstärksten verbreitete Pflanzenschutzmittel. Das ist einRiesengeschäft für Monsanto, und zwar auf unsere Kos-ten.Umso wichtiger ist die zweite Frage: Welche Risikensind damit verbunden? Die ökologischen Risiken sindim Grundsatz klar. Wenn auf einem Acker ausschließlichMais, Getreide oder Kartoffeln wachsen dürfen, ist daseine ökologische Wüste. Auch Hinweise auf Schädenbei Lebewesen in Gewässern gibt es, übrigens auch vonBundesoberbehörden. Über das konkrete Ausmaß derökologischen Schäden wissen wir fast nichts. Aber nochgrößer sind die Wissenslücken bei den gesundheitlichenRisiken. Es gibt zwar immer wieder Hinweise auf erheb-liche Tiergesundheitsprobleme bei Rindern und Schwei-nen, die mit Glyphosat in Verbindung gebracht werden.Aber offiziell wurden diese gesundheitlichen Risikenimmer verneint – bis zum Paukenschlag Ende März, als
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10948 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Dr. Kirsten Tackmann
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die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO– das ist schon erwähnt worden – Glyphosat als „wahr-scheinlich krebserregend“ eingestuft hat.Ja, die wissenschaftliche Dokumentation dazu liegterst Mitte Juli vor, und ja, es ist völlig legitim, diesenoch einmal zu überprüfen. Aber dass Union und Bun-desregierung schon vorab die wissenschaftliche Kompe-tenz dieser WHO-Agentur infrage stellen, finde ich ab-solut inakzeptabel.
Ich muss ehrlich sagen: Diese deutsche Arroganz ist er-schreckend und hochnotpeinlich.
Damit kommen wir zur dritten Frage: Was muss jetzteigentlich getan werden? Die Forderungen der Linkenliegen seit einem Jahr vor. Wenn die Krebsforscher derWHO recht haben, dann sind das, was wir fordern, nurdie allernötigsten Maßnahmen.Unsere erste Forderung wird von vielen Baumärkten– vielleicht in vorauseilendem Gehorsam – schon umge-setzt. Sie nehmen Glyphosat aus dem Sortiment, und dasist auch gut so.
Was sagt es eigentlich über unser Land, wenn Baumärktevorsorgender denken als die Bundesregierung?
Zweitens. Glyphosat gehört nicht in die Ernte. Drit-tens wollen wir mehr Forschung zu ökologischen undgesundheitlichen Risiken. Das kann man nun wirklichnicht ablehnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann. – Nächste
Rednerin in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Unser täglich Brot gib uns heute.“ DiesenSatz habe ich als gläubige Christin – genauso wie Mil-lionen andere Menschen – schon tausendfach gen Him-mel gesandt, immer in der Überzeugung, dass dieses Le-bensmittel gut für mich, meine Kinder, meine Familieist. Genau dieses Lebensmittel steht nun im Verdacht,ein krebserregendes Pflanzenschutzmittel in unserenKörper zu bringen.Glyphosat ist ein Wirkstoff, der in den letzten Jahrenimmer mehr zum Einsatz kommt. Es ist das weltweit– auch in Deutschland – am meisten verwendete Her-bizid. Die Zahlen wurden schon genannt. Allein inDeutschland werden 5 000 bis 6 000 Tonnen Glyphosatjährlich eingesetzt. Durch die massive Anwendung vonGlyphosat werden die damit bespritzten Unkräuter aberimmer resistenter. Dies führt zu einem verstärkten Ein-satz dieses Herbizidwirkstoffs und steigender Konzen-tration des Wirkstoffs. Darüber hinaus kommt es oft zurVermischung mit anderen Herbiziden. Dadurch entstehteine noch größere Toxizität.In Deutschland sind derzeit 83 glyphosathaltige Mit-tel zugelassen, etwa die Hälfte davon auch für Haushaltund Kleingärten. Das heißt, man kann sie, wie wir vonder Kollegin vorhin gehört haben, in Baumärkten frei er-halten. Diese Mittel stehen in einem mit einem Schlossgesicherten Schrank. Man geht zur Verkäuferin und sagt,dass man 500 Milliliter haben möchte. Die Verkäuferinfragt dann zurück: Welche Marke hätten Sie denn gerne?Dann gibt sie uns die gewünschte Marke. Ähnliches giltfür das Schneckenkorn. Beratung findet kaum statt. Ichkann mich jedenfalls an keine ausführliche Beratung er-innern. Gleichzeitig verlangen wir von den Landwirteneinen Sachkundenachweis. Dabei darf jeder Hobbygärt-ner solche Mittel einfach so verwenden.Laut einer Studie werden 39 Prozent der Ackerflä-chen in Deutschland mit glyphosathaltigen Wirkstoffenbehandelt. Das ist eine sehr hohe Zahl. Aber die Anwen-dung von glyphosathaltigen Mitteln betrifft nicht nur dieAckerbauflächen und die heimischen Gärten, sondernauch den öffentlichen und insbesondere den kommuna-len Bereich. Dieser Wirkstoff wird zur Pflege von öf-fentlichen Grünflächen und Spielplätzen sowie zurPflege von Bahnstrecken und Autobahnrandstreifen ver-wendet. Welche Mutter lässt es kalt, wenn sie weiß, dassder Spielplatz, auf dem ihr Kind gerade im Sand buddelt,zuvor mit Glyphosat behandelt wurde? Mich würde esnicht kaltlassen.
Die aktuelle Studie der Arbeitsgruppe der Krebsfor-schungsagentur, die von meinen Vorrednern bereitsmehrfach genannt wurde, hat mit der Einstufung vonGlyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Men-schen“ große Besorgnis in der Bevölkerung ausgelöst.Dazu hat auch die Presse beigetragen, die dies vermittelthat; das ist auch richtig so. Die neuesten Erkenntnissehaben bewirkt, dass Produkte mit diesem Wirkstoff inden Baumärkten zum Teil schon freiwillig aus dem Sor-timent genommen wurden.Wie der Kollege Ebner bereits gesagt hat, haben wirdie Aufgabe, bis Ende 2015 bei der Entscheidung aufEU-Ebene mitzuwirken, ob Glyphosat auch in dennächsten zehn Jahren verwendet werden soll. Bei dieserEntscheidung muss der Schwerpunkt auf die Gesundheitvon Menschen und Tieren sowie auf die Folgen für dieUmwelt gesetzt werden. Wir als SPD nehmen dieses
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10949
Rita Hagl-Kehl
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Problem sehr ernst und haben deswegen der Anhörungzugestimmt, die wir im September haben werden. Wirwollten diese Anhörung auch deshalb, weil dort hoffent-lich die neuesten Erkenntnisse für uns zusammengetra-gen werden.
Bevor wir an ein umfassendes Verbot denken, solltenwir eine Reihe von bevorstehenden Ereignissen noch ab-warten. Auf die Monografie der Krebsforschungsagen-tur, die die Belege für die Einstufung von Glyphosat als„wahrscheinlich krebserregend“ enthalten wird, wartenwir noch bis Juli. Auch die Schlussfolgerung der Neube-wertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsi-cherheit zum Pflanzenschutzmittelwirkstoff wird nochveröffentlicht werden. Wir werden darauf einwirken,dass die EU auch diese Studie der IARC mit einbezieht.Bei der Anwendung von Glyphosat zur Abreifebe-schleunigung wurde bereits 2014 eine Einschränkungvorgenommen. So dürfen nur noch Flächen behandeltwerden, auf denen das Getreide unregelmäßig gereift istund auf denen eine Beerntung ohne diese Behandlungnicht möglich wäre. Dies ist ein erster Schritt; aber wirwissen auch, dass diese Maßgabe schwer zu kontrollie-ren ist.Wir brauchen mehr Forschung, um relevante Alterna-tiven zum Glyphosateinsatz zu finden und weiterzuent-wickeln, die zum einen denselben Effekt haben und dieProduktion nicht hemmen, zum anderen aber nicht ge-fährlich für Menschen, Tiere und Umwelt sind. Es istuns wenig geholfen, wenn wir in Deutschland sofort denEinsatz verbieten
und dann aufgrund von Ernteausfällen, die womöglicheintreten, Getreide importiert wird, von dem wir auchnicht wissen, ob es belastet ist.
Auch andere Länder, wie zum Beispiel die Schweiz– vorhin wurde auch Frankreich genannt –, arbeiten be-reits an einer entsprechenden Gesetzgebung.
Immer mehr Länder nehmen die Gefahr der Verwendungernst. Obwohl ein vollkommenes Verbot mehr Zeit inAnspruch nehmen wird, als wir heute haben, scheint mirdoch ein Verbot des Verkaufs zum privaten Gebrauch ei-gentlich sehr realistisch. Dieses Ziel müssen wir uns vor-nehmen.
Denn ich kann zwar nicht vom Bauern verlangen, dass erjedes Unkraut auszupft; aber von einem Hobbygärtnerkann ich sehr wohl verlangen, dass er seine Unkräuternoch mit der Hand auszupft und nicht die Giftspritze be-nutzt.Herzlichen Dank.
Vielen herzlichen Dank, liebe Kollegin Hagl-Kehl. –
Nächster Redner in der Debatte: Arthur Auernhammer
für die CDU/CSU-Fraktion.
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Tagesordnungspunkt 34“ steht hier, und darunter: „Un-
krautvernichtungsmittel Glyphosat“.
Man könnte meinen, man sei in einer militärischen De-
batte.
Diese Überschrift passt wieder ideal in das große politi-
sche Leitbild der Grünen, nämlich die deutsche Land-
wirtschaft zu stigmatisieren, wie es ständig in diesem
Hause geschieht.
– Ich bitte die Saaldiener, den Grünen Baldriantropfen
vorbeizubringen; denn die sind heute etwas sehr aufge-
dreht.
Haben Sie eine Ahnung, wie das ist, wenn die wirk-
lich aufgedreht sind?
Dann möchte ich Sie nicht im Rücken haben, FrauPräsidentin.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habenbundeseigene Institutionen – BfR und UBA, Umwelt-bundesamt –, wo gut bezahlte Wissenschaftler sitzen, diesich mit dem Thema Glyphosat befassen. Wir solltendoch in dieser Diskussion auf die Wissenschaftler ver-trauen und nicht auf kurzfristige Polemik abfahren.
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10950 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015
Artur Auernhammer
(C)
(B)
Wir haben bereits im Jahr 2014 gehandelt; das ist an-gesprochen worden. Die sogenannte Sikkation wurdeverboten. Das Mähdreschermanagement, das teilweisegroßflächig angewandt wurde, ist nicht mehr erlaubt. Esist sehr eingeschränkt, und es war gut so, dies zu ma-chen.Wir diskutieren hier oft über den Schaden durchPflanzenschutzmittel. Ich war als Landwirt heilfroh, als– ich nenne das Kind jetzt einmal beim Namen –Roundup auf den Markt kam und wir zur Bekämpfungder sogenannten Gemeinen Quecke – sie ist wirklich ge-mein; zuvor hatten wir zu ihrer Bekämpfung nur Boden-bearbeitungsgeräte – endlich ein effektives Mittel hatten.Durch die mechanische Bodenbearbeitung hatte ich mirwie viele andere Landwirte schon Bandscheibenschädenzugezogen, und deshalb waren wir alle froh, als diesesPräparat auf den Markt kam. Wir wollen alles dafür tun,dass wir es auch weiterhin nutzen können.
Wenn wir von heute an landauf, landab auf Glyphosatverzichten würden, wäre Europa – das ist bereits ange-sprochen worden – zum Beispiel nicht mehr in der Lage,Weizen zu exportieren, sondern müsste, um die eigeneErnährung sicherzustellen, Weizen importieren.
Wissenschaftler haben bereits Berechnungen dazu ange-stellt und sind zu entsprechenden Erkenntnissen gekom-men. Wir haben aber die Verantwortung – das will ichhier ebenfalls sagen –, einen Beitrag zur Welternährungzu leisten.In diesem Zusammenhang wird immer wieder auchüber die Kleingärtner und die Baumärkte gesprochen. Eswird gefordert, jeder Baumarkt müsse dieses Präparatsofort aus seinem Sortiment nehmen. Ja, sollen es dieBaumärkte herausnehmen. Aber man muss bedenken:Gemessen an der Gesamtmenge an eingesetztem Gly-phosat liegt der Anteil bei den in Baumärkten vertriebe-nen Produkten bei vielleicht 1 Prozent. Natürlich stelltsich auch mir die Frage, ob eine Verbraucherin oder einVerbraucher das in einem Baumarkt gekaufte Glyphosatauch richtig einsetzt. Die Landwirtschaft verfügt überSachkundenachweise, über Ausbildung, über eine ge-prüfte, kontrollierte Technik. In einem Baumarkt öffnetsich einem ein Glasschrank, und jeder kann das angebo-tene Präparat erwerben. In welcher Konzentration er dasauf das Pflaster ausbringt, ist dann die Frage.
– Herr Kollege Ebner, nicht alle Menschen machen das,was man darf. So weit sind wir noch nicht.
Es lebt nicht jeder wie Sie in einer Gutmenschenwelt.Meine Damen und Herren, das Thema „Glyphosat inVerbindung mit GVO-Anbau“ ist bereits angesprochenworden, Stichwort: Roundup und Co. Wir haben geradedurch den GVO-Anbau die eine oder andere Resistenz inNord- und in Südamerika festgestellt. Ich habe das Bei-spiel Atrazin vor Augen: Atrazin war ein gutes Produktzur Unkrautbekämpfung beim Maisanbau.
Am Anfang betrug die Aufwandmenge pro Hektar1,5 Kilogramm. Dann kamen die ersten Resistenzen, undman hat die Aufwandmenge erhöht, woraufhin Atrazinim Grundwasser nachgewiesen wurde. Bei der Frage, obetwas giftig ist, ist immer die Dosis entscheidend. Ge-rade beim GVO-Anbau ist es wichtig, genau hinzu-schauen, inwieweit höhere Aufwandmengen genutztwerden, um die Resistenzen zu bekämpfen.Eines muss ich noch sagen: Warten wir doch erst ein-mal ab, was uns die Wissenschaftler im im Juli erschei-nenden WHO-Bericht sagen. Dann können wir in die-sem Hause entscheiden und eine gute und vernünftigeLösung für die deutsche Landwirtschaft und für die deut-schen Verbraucherinnen und Verbraucher finden.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Auernhammer. – Dann
kommen wir zur letzten Rednerin in dieser Debatte und
wahrscheinlich auch des heutigen Tages. Das ist Frau
Elvira Drobinski-Weiß für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatzzum Kollegen Auernhammer bin ich der Meinung, dasseine Landwirtschaft ohne Glyphosat möglich ist.
Ganz sicher bedeutet ein Verzicht darauf weder den Un-tergang der deutschen Getreide- und Zuckerrübenpro-duktion noch das Ende des unkrautfreien Kleingartens.Die Internationale Agentur für Krebsforschung – sieist heute schon mehrfach genannt worden – hat Glyphosatals „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft; Hinweisedarauf existieren schon seit langem. Die Rückstände die-ses Pflanzenschutzmittels finden sich in Brötchen, Mehlund im menschlichen Urin.Im Gegensatz zur Internationalen Krebsforschungs-agentur halten das Bundesinstitut für Risikobewertungund die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Juni 2015 10951
Elvira Drobinski-Weiß
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Glyphosat bisher für unbedenklich; das ist hier schon an-geklungen. Angeblich fehlen die wissenschaftlichen Be-lege für die gesundheitlichen Risiken. Beide Behördenmüssen jedoch endlich die gesamte Studienlage in ihreBewertung einbeziehen. Es ist den Verbraucherinnenund Verbrauchern, die im Übrigen zu Tausenden für einVerbot von Glyphosat demonstrieren, schwer zu vermit-teln, dass die kritischen, unabhängigen Studien wegenformaler Ausschlusskriterien nicht in die Bewertung ein-fließen, während die industriefinanzierten Studien einbe-zogen werden, im Übrigen oft, ohne dass sie öffentlichzugänglich sind. Die formalen Kriterien, die die Behör-den ansetzen, sind von vielen unabhängigen Universi-tätsinstituten jedoch kaum einzuhalten, und sie sindgleichzeitig auch kein Garant für die Qualität oder Aus-sagekraft der Studien.
Mir erscheint diese Praxis außerordentlich problema-tisch.Wir haben die Aufgabe, die Gesundheit und Unver-sehrtheit von Menschen und die Umwelt zu schützen.
In Sachen Glyphosat nichts zu unternehmen, wird dieserAufgabe jedoch nicht gerecht.
Ja, der Einsatz kurz vor der Ernte, um die Reife zubeschleunigen, ist inzwischen eingeschränkt. Ja, dieAnwendungsbestimmungen sind im letzten Jahr nocheinmal konkretisiert worden. Aber dennoch landen Tau-sende Tonnen Glyphosat auf Pflanzen, Spielplätzen, öf-fentlichen Anlagen und eben auch in privaten Gärten;das ist schon mehrfach genannt worden.Die Handelskette Rewe hat sich inzwischen dazu ent-schieden, keine Produkte mit Glyphosat mehr zu verkau-fen. Man will stattdessen umweltverträglichere Alter-nativen anbieten. Das ist sehr begrüßenswert. Ich hoffe,dass andere Unternehmen folgen.Das entbindet uns aber selbstverständlich nicht vonder Pflicht, bald zu entscheiden, wie wir mit den Er-kenntnissen der Weltgesundheitsorganisation und dembreiten gesellschaftlichen Protest gegen Glyphosat um-gehen. Dazu haben wir in dieser Woche eine Anhörungim Bundestag beschlossen. Das ist auch gut so. Auchwollen wir die vollständige Auswertung der Stellung-nahme der Internationalen Krebsforschungsagentur ab-warten; darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden.Aber eines ist jetzt schon klar: Das Vorsorgeprinzipwird uns gebieten, den Einsatz deutlich zu beschränken.Für uns bedeutet das auf jeden Fall: Glyphosat sollte inBaumärkten für den privaten Gebrauch nicht mehr freierhältlich sein. Dafür werden wir uns einsetzen. Und– ich sage es noch einmal –: Auch eine Landwirtschaftohne Glyphosat ist zweifellos möglich.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Drobinski-Weiß. – Damit
schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5101 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel
einschränken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/5087, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1873 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen. Die Große Koali-
tion – CDU/CSU und SPD – hat zugestimmt. Dagegen
waren Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 1. Juli 2015, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen, auch Ihnen auf den Tribünen, ein
schönes Wochenende und noch viel Spaß in Berlin.
Die Sitzung ist geschlossen.